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lyaigiseit in6gTSgg.i!rp- ci^ ktbict]
HARVARD UNIVERSITY
UBRARY OF THE
FOGG ART MUSEUM
THE BEQUEST OF
JOS.EPH CLARK HOPPIN
CLASSOF 1893
diadJflsJj!i4!3ra5"-£!2raS>l^-toslb«L5i"tL3sL?a:sid5
HANDBUCH
DER
KLASSISCHEN
AETEKTÜMS-WISSENSCHAFT
in systematischer Darstellung
mit besonderer Rücksicht auf Oeschichte und Methodik der einzelnen
Disziplinen.
In Verbindung mit Gymn.-Rektor Dr. Autenrieth (Nürnberg), Prof. Dr. Ad.
Bauer (Graz), Prof.Dr.Blass (Halle), Prof. Dr. Brugmann (Leipzig), Prof. Dr.
Busolt (Kiel), Geh..Rat. Dr. v. Christ (München), Prof. Dr. Gleditsch (Berlin),
Prof. Dr. 0. Gruppe (Berlin), Prof. Dr. Günther (München), Prof. Dr. Heerdeg'en
(Erlangen), Prof. Dr. Hommel (München), Prof. Dr. Hübner (Berlin), Priv.-Doz.
Dr. Judelch (Marburg), Prof. Dr. Jul. Jung (Prag), Prof. Dr. Krumbacher
(München), Prof. Dr. Larfeld (Remscheid), Dr. Lollingr t (Athen), Prof. Dr.
Niese (Marburg), Geh. Regierungsrat Prof. Dr. Nissen (Bonn), Prof. Dr.
Oberhummer (München), Priv.-Doz. Dr. Öhmiehen (München), Prof. Dr.
Pöhlmann (Erlangen), Gymn.-Dir. Dr. 0. Richter (Berlin), Prof. Dr. Schanz
(Würzburg), Geh. Oberschulrat Prof. Dr. Schiller (Giessen), Gymn.-Dir.
Schmalz (Rastatt), Prof. Dr. Sittl (Würzburg), Prof. Dr. F. Stengel
(Berlin), Prof. Dr. Stolz (Innsbruck), Priv.-Doz. Dr. Traube (München), Prof.
Dr. Ungrer (Würzburg), Geh.-Rat Dr. v. Urlichs t (Würzburg), Prof. Dr. Moritz
Voigt (Leipzig), Gymn.-Dir. Dr. Volkmann f (Jauer), Prof. Dr. Windelband
(Strassburg), Prof. Dr. Wissowa (Halle)
herausgegeben von
Dr. Iwan von Müller,
ord. Prof. der klassischen Philologie in München.
Siebenter Band.
Geschichte der griechischen Litteratur.
DHtte vermehrte und verbesserte Auflage.
MÜNCHEN 1898
C. H. BECK'SCHE VERLAGSBÜCHHANDLUNG
OSKAR BECK.
GESCHICHTE
DER
GRIECHISCHEN LITTERÄTÜR
BIS AUF DIE im mmmi
VON
WILHELM CHRIST,
ORD. PROFEBSOB AN DEB ÜNIVEBSTTÄT MÜNOHEN.
DRITTE VERMEHRTE UND VERBESSERTE AUFLAGE.
MIT 28 ABBILDUNGEN.
MÜNCHEN 1898
C. H. BECK'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG
OSKAR BECK.
FOGG ART MUSEUM
HARVARD ÜNIVERSITY
%
Alle Rechte vorbehalten.
C. H. Beok'sohe Buchdruckerci Id Mördliugen.
Vorrede.
Wenn man mit Recht von dem Verfasser eines Buches zu hören
wünscht, was ihn bestimmt habe, den alten Darstellungen des gleichen
Gegenstandes eine neue zur Seite zu stellen, so kann ich mich im
vorliegenden Fall einfach auf das grosse Unternehmen, von dem dieses
Buch nur einen Teil bildet, beziehen. Denn es ist ja selbstverständ-
lich, dass in einem Handbuch der klassischen Altertumswissenschaft
die klassische Litteratur und diejenige, welche vor allen diesen Ehren-
namen verdient, die griechische, nicht fehlen darf. Ich selbst wäre
aus eigenem Antrieb schwerlich je dazu gekommen, eine griechische
litteratui^eschichte zu schreiben; es bedurfte der ehrenvollen Auf-
forderung der Leiter jenes Unternehmens und der ermunternden Zu-
rede lieber Freunde, um in mir den Entschluss zu reifen und die
eigenen Bedenken zurückzudrängen. Die Bedenken betrafen nur meine
Person und das Missverhältnis der Schwierigkeit der Aufgabe zum
Masse meiner Kräfte; dass an und für sich eine zusammenfassende
Darstellung der griechischen Litteraturgeschichte, die den heutigen
Anforderungen der kritischen Forschung entspreche, äusserst wünschens-
wert sei, darüber besteht ja nirgends ein Zweifel, nachdem die ge-
priesenen Werke von Bemhardy, Müller, Bergk unvollendet geblieben
sind und auch das neueste Buch von Sittl nur bis Alexander reicht.
Auch die Beschränktheit des Raumes, der durch den Plan des Gesamt-
untemehmens gegeben war, schreckte mich nicht ab. Zwar würde ich
ja lieber eine Litteraturgeschichte in 4 Bänden geschrieben haben,
um auf die Begründung meiner Ansichten tiefer eingehen und die
litterarischen Hilfsmittel ausführlicher vorführen zu können. Aber
ich habe frühe gelernt, meine Neigungen den gegebenen Verhältnissen
unterzuordnen, und über einen umfangreichen Gegenstand ein Buch
von kleinem Umfang zu schreiben ist auch eine Kunst, die ihren
VI Vorrede.
Mann fordert. So bin ich also nach einigem Zögern auf das freund-
liche Anerbieten eingegangen und habe mich nach Kräften bemüht,
dem in mich gesetzten Vertrauen zu entsprechen. Freilich erst während
der Arbeit lernte ich so recht die Schwierigkeiten der Aufgabe kennen,
und mehr wie einmal drohten die Flügel mir zu erlahmen; aber die
Liebe zur Sache und die Ermunterung der Freunde hoben mir immer
wieder den Mut, so dass ich schliesslich doch mit Gottes Hilfe zur
festgesetzten Zeit zum Ziele ham.
Was die Anlage des Buches anbelangt, so war mir schon durch
den Plan des gesamten Handbuches die Auflage gemacht, mich nicht
nach Art Ottfr. Müllers auf die Darlegung des Entwicklungsganges
der griechischen Litteratur zu beschränken, sondern auch Nachweise
über die gelehrten Hilfsmittel beizufügen. Mir selbst ward so in
erwünschter Weise die Möglichkeit gegeben, den Urhebern derjenigen
Auffassungen, denen ich mich in meiner eigenen Darstellung anschloss,
die Ehre der Erfindung zu wahren, wie es den Benutzern des Buches
erwünscht sein wird, durch jene philologischen Schlussbemerkungen
über die Handschriften, Ausgaben und den jetzigen Stand der For-
schung in Kürze orientiert zu werden. Ausser am Schlüsse der
einzelnen Absätze habe ich aber auch gleich unter dem Text zu den
einzelnen Sätzen die litterarischen Belege und die Hauptzeugnisse
aus dem Altertum angemerkt, die letzteren meist im vollen Wortlaut.
Trotzdem, fürchte ich, werden viele nicht alles finden, was sie von
gelehrter Litteratur suchen und wünschen; aber zugleich hoflfe ich,
dass die Knappheit des zugemessenen Raumes mich entschuldigen wird,
wenn ich den Fortschritt in der Textesbearbeitung nicht historisch
verfolgt und bezüglich der ins Unendliche anwachsenden Programmen-
und Aufsätzelitteratur auf Engelmann und andere Hilfsmittel im all-
gemeinen verwiesen habe. Bei der Ausarbeitung im einzelnen kam
es mir zunächst darauf an, einen gedrängten Lebensabriss der Autoren
und ein Verzeichnis ihrer Werke mit kurzer Bezeichnung des Inhaltes
und des ästhetischen Wertes derselben zu liefern. Aber bei Ent-
werfung dieses Grundgerüstes bin ich doch nicht stehen geblieben,
ich habe mich auch bemüht, die Stellung der Autoren in ihrer Zeit
zu zeichnen, eine Charakteristik der einzelnen Perioden zu geben und
die äusseren Bedingungen des litterarischen Lebens, die musischen
Agone, die Organisation der Bühne, die Gunstbezeugungen der Könige
und Musenfreunde zu schildern. Ich gestehe, dass ich diese durch
die Sache gebotene Gelegenheit gerne ergriff, um hie und da auch
über den engen Kreis der gelehrten Forschung hinauszugehen und
Vorrede. VII
meine Gedanken über die Weltstellung des Hellenismus und das Ge-
heimnis seiner Macht anzudeuten. Nahe hätte es gelegen im Anschluss
daran, auch öfters Exkurse in die vergleichende Litteraturgeschichte
zu machen und das Fortleben der griechischen Litteratur in der
modernen anzudeuten. Doch einer solchen Aufgabe fühlte ich mich
nicht gewachsen; in diesen Fragen gehe ich lieber selbst bei meinen
lieben Freunden Bernays und Carriere in die Lehre.
Auch bezuglich der Ausdehnung der Litteraturgeschichte möchte
ich mich gern in dieser Vorrede über einige Punkte mit meinen
Lesern auseinandersetzen. Vor allem handelte es sich hier, wie weit
soll herabgegangen werden? An imd für sich schien mir der Vor-
gang von Fabricius, SohöU, Nicolai, die auch die byzantinische Zeit
mit hereingezogen hatten, äussert nachahmenswert zu sein. Aber da
ich selbst auf diesem schwierigen, erst allmählich sich aufhellenden
Gebiete viel zu wenig bewandert bin, so musste auf anderem Wege
Ersatz gesucht werden. Der fand sich in erwünschtester Weise da-
durch, dass mein junger Freund Dr. Krumbacher sich bereit finden
liess, einen Abriss der byzantinischen Litteratur als Ergänzung dieser
Geschichte der altgriechischen Litteratur auszuarbeiten. Derselbe ist
bereits so weit gediehen, dass sein Erscheinen im Laufe des nächsten
Jahres in Aussicht gestellt werden kann. Ich führte also mein Buch
nur bis auf Justinian oder bis auf die Aufhebung der Philosophen-
schule Athens herab. Innerhalb dieses Zeitraums mussten aber alle
litterarischen Grössen, also auch die Philosophen herangezogen werden.
Zwar ist in diesem Handbuche ein eigener Abschnitt von Professor
Windelband der Geschichte der alten Philosophie gewidmet worden,
so dass einige Wiederholungen nicht vermieden werden konnten.
Aber Piaton und Aristoteles haben nicht bloss für die Geschichte der
Philosophie Bedeutung; wollte man ohne Piaton eine griechische Lit-
teraturgeschichte schreiben, so hiesse dieses die Litteratur eines ihrer
schönsten Juwele berauben; auf Aristoteles Schultern aber ruht so
sehr die gelehrte Thätigkeit der Alexandriner, dass ohne jenen diese
nicht begriffen werden kann. Ich persönlich habe mit Eifer diese
Seite des griechischen Geisteslebens aufgegriffen, da ich mich mit ihr
seit meinen Studentenjahren mit Vorliebe beschäftig thatte. Des Gleichen
kann ich mich nicht bezüglich der Fachwissenschaften und der christ-
lichen Schriftsteller rühmen; aber beide gehören, wenigstens in der
ihnen von mir gegebenen Begrenzung, zur griechischen Litteratur, so
dass ich mich entschliessen musste, in einem Anhang auch diese
Partien in den allgemeinsten Umrissen zu behandeln.
VIII Vorrede.
Einen den bisherigen Handbüchern fremden Schmuck hat dieses
Buch noch am Schlüsse durch die Abbildung von 21 (24) Köpfen oder
Statuen griechischer Autoren erhalten. In unserer Zeit, wo sich die
litterarischen und graphischen Darstellungen überall die Hand reichen,
lag die Beigabe von solchen Abbildungen gewissermassen in der Luft,
zumal durch den Kunstsinn der Griechen auch nach dieser Seite ihre
Litteratur vor der anderer Völker in entschiedenem Vorteile ist. Ich habe
daher von vornherein diese artistische Beilage in den Plan meines Werkes
gezogen und durfte deshalb im Text mir die Charakteristik der Ge-
stalt der griechischen Geistesheroen erlassen. Für die Auswahl der
Köpfe, wobei in erster Linie auf inschriftlich bezeugte Porträte Wert
gelegt wurde, und für die sorgfältige Aufnahme der Originale oder
Gipse bin ich meinen verehrten Kollegen Prof. Heinr* v. Brunn und
Dr. Julius zu besonderem Danke verpflichtet.
So möge denn das mit Liebe gepflegte Werk hinausgehen in die
Welt, sich und seinem Verfasser Freunde werben, vor allem aber dazu
beitragen, dass die Liebe und Begeisterung für die Werke des klassi-
schen Hellenentums, diese unersetzbare Grundlage jeder echten Bildung,
lebendig erhalten werden.
München, im Oktober 1888.
Vorrede zur zweiten Auflage.
Schneller als mir lieb war ist die Anforderung, eine neue Auf-
lage vorzubereiten, an mich herangetreten. Denn ein längerer Ge-
brauch des Buches hätte voraussichtlich in mehr Fällen mich auf
Mängel und Irrtümer desselben aufmerksam gemacht. Aber auch so
habe ich mir angelegen sein lassen, nach Kräften das Werk zu ver-
vollkommenen, und habe dabei die Urteile und Winke meiner Re-
zensenten, mochten dieselben in freundlichem Tone gegeben oder mit
Wermut gemischt sein, gewissenhaft berücksichtigt. Zu einer tiefer-
greifenden Änderung der ganzen Anlage, wie sie von Herrn Cr usius
und Dräseke gewünscht wurde, habe ich mich nicht entschliessen
können. Namentlich musste ich, wollte ich nicht meiner ganzen Auf-
fassung von der Stellung des Hellenismus zu den neuen Ideen des
Christentums untreu werden, die Verweisung der christlichen Schrift-
Vorred«. IX
steller in den Anhang aufrecht erhalten. Doch habe ich mich be-
müht, diesen am meisten verbesserungsbedürftigen Teil, auf dessen
Boden ich mich am wenigsten heimisch fühle, so viel als möglich zu
verbessern und zu erweitern. Im ganzen ist auf solche Weise der
umfang der neuen Auflage um etwas über 6 Bogen gewachsen. Den-
jenigen Herren, welche mich auf einzelne Versehen privatim aufmerksam
gemacht haben, fühle ich mich zu warmem Danke verpflichtet; nament-
lich sei meinen jüngeren Freunden Krumbacher, Römer, Wey-
man, Zollmann für die vielen wertvollen Beiträge auch öffentlich
hiemit mein Dank ausgesprochen.
München, im Juni 1890.
Vorrede zur dritten Auflage.
Die landläufigen Klagen der Bücherkäufer, dass gerade von den
beliebtesten Büchern die früheren Auflagen infolge von weitgreifenden
Änderungen bei ihrem neuen Erscheinen so rasch veralten, kenne
ich und weiss ich wohl zu würdigen. Aber was thun, wenn inzwischen,
ohne eigenes Zuthun, der Stoff durch neue Funde und neue
Untersuchungen sich vergrössert hat? Man wird doch nicht im Jahre
1898 eine griechische Litteraturgeschichte liinausgeben sollen, in der
von den Mimiamben des Herondas, der athenischen Politeia des Aristo-
teles, den Oden des Bakchylides und all den anderen seit 1890 ge-
machten Funden nichts zu lesen ist. Ebensowenig aber könnte ein
Litterarhistoriker auf Nachsicht rechnen, wenn er, unbekümmert um
die inzwischen erschienenen Werke, die alten und nun zum Teil wirk-
lich veralteten Angaben von 1888 und 1890 unverändert stehen Hesse.
Und wahrlich, nicht klein ist der Ertrag, den so vortreffliche Werke
wie Susemihls Geschichte der griechischen Litteratur in der Alexandriner-
zeit, Hamacks Altchristliche Litteraturgeschichte bis Eusebius, Wachs-
muths Einleitung in das Studium der alten Geschichte, Reitzensteins
Geschichte der griechischen Etymologika dem Verfasser einer all-
gemeinen Geschichte der griechischen Litteratur geliefert haben. Selbst-
verständlich waren auch die neuen Ausgaben, deren in den letzten
Jahren auch viele von der allgemeinen Heerstrasse weiter abliegende
Autoren sich zu erfreuen hatten, zu berückzichtigen und nachzutragen*
X Vorrade.
Und nachdem nun einmal die alten Linien nicht mehr eingehalten
werden konnten, habe ich mich nicht mehr gescheut, auch überall
sonst die bessernde und erweiternde Hand an das alte Buch anzu-
legen, so dass schliesslich dasselbe zu meinem eigenen Erstaunen
um mehr als zehn Bogen grösser wurde. Nur an den Grundlinien
des Werkes habe ich nichts geändert; ich glaubte dies schon den
alten Freunden des Buches schuldig zu sein, es entsprach dies aber
auch meiner eigenen, mit der Zeit immer mehr gefestigten Über-
zeugung: ich wollte eben kein Bepertorium aller möglichen litterarischen
Erscheinungen auf dem Gebiete der griechischen Autoren liefern, und
ich wollte ein Buch für Philologen und Freunde der klassischen
Litteratur, nicht für Theologen und wissenschaftliche Spezialforscher
schreiben. Hat auch in diesen Grenzen das Buch an Umfang und
hoffentlich auch an innerem Gehalt nicht unerheblich zugenommen, so
verdanke ich dieses zum grossen Teil den alten wie neuen Freunden,
die mich teils durch briefliche Mitteilungen, teils durch Übersendung
ihrer Abhandlungen freigebigst unterstützt haben. Ihnen allen sei auf
diesem Wege auch ohne Nennung von Namen der wärmste Dank ge-
sagt! Mit Namen sei nur meines leider über der Arbeit erkrankten
jungen Freundes Jos. Hirmer gedacht, der mit unverdrossenem Eifer
die Korrekturbogen durchzusehen und zu bessern die aufopfernde
Güte hatte.
München im Mai 189S.
Wilh. Christ.
Inhaltsverzeiclmis.
Rotte
Ein lei taug. Begriff und Gliedenmg der LiUeraturgesohichte .... 1
Erste Abteilung.
Klassische Periode der grrieehisehen Litteratur.
I. Poesie.
A. Das fi|>og 10
1. Elemente nnd Yorstofen der griechiachen Poesie 10
2. Homers Dias ond Odyssee 26
3. Die homerischen Hymnen und Scherze 70
4. Der epische Kyklos 76
5. Hesiodos . . : 86
6. Die spftteren Epiker 103
B. Die Lyrik 112
1. Anfänge der Lyrik, Nomendichtung 112
2. Die Elegie 123
3. Die iambische Poesie und die Fabel 134
4. Arten der Lyrik im engeren Sinn 140
5. Liederdichter oder Meliker 147
6. Ghorische Lyriker 154
7. Pindar 168
8. Die attischen Lyriker 184
C. Das Drama 190
1. AnHlnge nnd ftossere Verhältnisse des Dramas 190
2. Die Tragödie 206
a) Die Anfänge der Tragödie bis auf Aischylos 206
b) Aischylos 209
c) Sophokles 227
d) Euripides 252
e) Die flbrigen Tragiker 276
8. Die Komödie 280
a) Die Anf&nge der Komödie in Griechenland und Sikilien 280
b) Die altattische Komödie 284
c) Aristophanes 290
d) Mittlere und neue Komödie 308
II. Prosa.
1. Anftoge der Prosa 317
2. Die Geschichtschreibung 317
a) Die Logographen 326
b) Herodotoe 336
XIT InhaltsTerseiohnifl.
Seite
c)Thnkydideg 836
d) Xenophon 345
e) Die kleineren und verlorenen Geschichtswerke 357
3. Die Beredsamkeit 365
a) Anfänge der Beredsamkeit 365
b) Antiphon und Andokides 368
c) Lysias and Isaios 871
d) Isokrates und die sophistische Beredsamkeit 877
e) Demosthenes 385
f) Die Zeitgenossen des Demostiienes 404
4. Die Philosophen 410
a) Anfänge der Philosophie 410
b) Die attische Periode der Philosophie 416
c) Piaton 422
d) Aristoteles 457
Zweite Abteilung.
Nachklassische Litteratur des Hellenismus.
A. Alexandrinisches Zeitalter 491
1. Allgemeine Charaktieristik 491
2. Die Poesie 501
a) Die Elegie, Hymnen, Epigramme 501
b) Die bukolische Poesie 517
c) Das Eunstepos und das Lehrgedicht 528
d) Dramatische und parodische Poesie 538
3. Die Prosa 548
a) Die Geschichtschreibnng 548
b) Die Philosophie 572
c) Grammatische und gelehrte Litteratur 585
B. Btfmisehe Perlode 613
a) Von Augostos bis Konstantin 613
1. Allgemeine Charakteristik 613
2. Die Poesie 620
3. Die Prosa 681
a) Historiker und Rhetoren aus dem Beginne der Eaiserzeit . 631
b) Jüdische Historiker 643
c) Plutarch 648
d) Die Historiker der griechischen Wiedergeburt 669
e) Chronographen und historische Sammler des 2. und 3. Jahrhunderts . 678
f) Die Geographen 681
g) Die Philosophie 695
h) Die Sophistik 710
i) Buntschriftstellerei 730
k) Lukianos 738
1) Die Rhetorik 749
m)Die Grammatik 758
b) Von Konstantin bis Justinian 779
1. Allgemeine Charakteristik 779
2. Die Poesie 783
3. Die Prosa 797
a) G^chichtschreiber und Geographen 797
b) Die jüngere Sophistik 802
c) Der Roman 814
d) Die Philosophie 828
e) Die Grammatik 837
InhaltsTerseichnis. XIII
ficlto
Dritte Abteilnng.
Anhangr.
A. Fachwissenaebaftliche Litteratur 851
1. Mediziner 852
2. Naturkunde und Landbau 862
3. Mathematiker und Astronomen 865
4. Taktiker 874
5. Kunstschriftsteller 876
6. Jurisprudenz 877
B. Christliehe Sehriftsteller 879
1. Die Schriften der altchristUchen Kirche 880
2. Die Kirchenväter 889
3. Christliche Theosophen und Dogmatiker 906
4. Kirchenhistoriker 917
5. Christliche Dichtungen 923
Register 927
Verzeichnis der Abbildungen 945
Einleitung.
Begriff und Gliederung der Litteraturgeschichte.
1. Das Wort Litteratur, das jetzt in alle Kultursprachen überge-
gangen ist, stammt aus dem Lateinischen, ist aber selbst einem grie-
chischen Ausdruck nachgebildet. Mit litteratura übersetzten nämlich die
Lateiner wortgetreu das griechische yqaiißaTtxrj i) und verstanden darunter
im allgemeinen Kenntnis der lUterae oder y^dfiiiccxc^. Ward dabei litterae
in dem ursprünglichen Sinne genommen, so bezeichnete litteratura die
niedere Stufe der Grammatik oder die Kenntnis der Buchstaben beim
Lesen und Schreiben. Mit dieser niederen Grammatik, welche im Alter-
tum die Aufgabe des yqaiifiaxiüTxiq (nicht y^afifiarixog) bildete, haben wir
es hier nicht zu thun. Wir gebrauchen Litteratur in dem höheren Sinn
von Inbegriff alles dessen, was in Schrift niedergelegt ist, im Gegen-
satz zu dem, was in Marmor oder Farbe seinen Ausdruck gefunden oder
in den staatlichen Einrichtungen und im Leben des Volkes sich verkörpert
hat. Alle Schriften in griehischer Sprache gehören daher zur griechischen
Litteratur; eine eingehendere Betrachtung aber fordern naturgemäss die-
jenigen, welche dem Kreise der allgemeinen Bildung und damit der ganzen
Nation angehören, und bei welchen auf die Form oder den kunstvollen
Ausdruck der Gedanken ein besonderer Nachdruck gelegt ist. Eine Lit-
teraturgeschichte soll aber zugleich, wie der zweite Teil des Namens an-
zeigt, einen geschichtlichen Charakter haben; sie darf sich daher nicht
mit einer blossen Aufzählung der litterarischen Denkmale eines Volkes
begnügen, sie muss zugleich die Entwicklung nachweisen, welche bei
einem Volke die geistigen Ideen und insbesondere die Kunst, geistige
Ideen in der Sprache niederzulegen, im Laufe der Zeiten genommen haben.
Damit sind die Hauptlinien der Aufgabe, die uns in diesem Buche
gestellt ist, bezeichnet. Dazu kommen aber noch mehrere andere Punkte:
Kunst ist von Künstler, /ro/Vy^ua von noirjTi^g unzertrennbar, und so werden
wir von selbst dazu geführt, neben den Schriften auch den Verfassern
derselben und ihrem Leben unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Sodann
^) Quint. n 1, 4: grammatice, quam in Jatinum transferentes litteraturam vocaverunt,
Bcndbfach der Maas. AltertnmtwlneTiflchaft. YII. 8. Aufl. 1
Griechische Litteratnrgeschichte. Einleitung.
stehen zwar die erhaltenen Schriftwerke im Vordergrund der Betrach-
tung; aber da uns verhältnismässig nur weniges erhalten ist und die er-
haltenen Schriftien nur einzelne Glieder in der grossen Eette der Entwick-
lung bilden, so dürfen auch die Fragmente und diejenigen Autoren, von
denen uns nur durch andere Kenntnis zugekommen ist, nicht ausser acht
gelassen werden. Endlich haben die einzelnen Autoren und Werke selbst
wieder ihre Geschichte, und auch diese erheischt Berücksichtigung: es
verlohnt sich, nachzuweisen, welche Auftiahme die grossen Autoren bei
den nachfolgenden Generationen gefunden haben und durch welche Kanäle
ihre Schriften auf uns gekommen sind. Die Scholien und Handschriften
verlangen also ihren Platz in einer Litteraturgeschichte des Altertums,
und wenn ich denselben in beschränktem Masse auch bibliographische
Angaben über Hauptausgaben und wichtige Erläuterungsschriften beige-
fügt habe, so fürchte ich damit vielen des Guten eher zu wenig als zu
viel gethan zu haben.
2. Die Darstellung der Litteraturgeschichte kann sich entweder rein
an dem Faden der zeitlichen Folge abspinnen (synchronistische Methode)
oder von den verschiedenen Gattungen der Litteratur («rfi/ t(öv avyyqaii-
liatoav) ausgehen und nur innerhalb dieser die zeitliche Folge berücksich-
tigen (eidologische Methode).^) Welche von diesen beiden Methoden den
Vorzug verdiene, lässt sich nicht im allgemeinen festsetzen; das richtet
sich vielmehr nach dem jeweiligen Charakter der darzustellenden Litteratur.
Ehe wir jedoch diese Frage bezüglich der griechischen Litteratur zur Entr
Scheidung bringen, müssen wir zuerst die Grundlinien beider Methoden an
und für sich betrachten.
3. Die Gattungen der Litteratur. Die obersten Gattungen
der Litteratur sind Poesie {noirjcic) und Prosa {i^yog^ bestimmter ne^og
A.6yog oder t« xaTaXoydJrjV yeyQu/ifieva),^) Äusserlich sind dieselben so
unterschieden, dass die Werke der Poesie durch das Versmass gebunden
sind {oratio vimta), die der Prosa einer solchen Fessel entbehren {oralio
soluta)y somit frei, ohne Rückkehr zum gleichen Gefüge vorwärts schreiten
{prosa i. e. proversa oratio) J) Aber Versmass und Vortragsweise sind nur
äussere Unterscheidungszeichen; der Unterschied geht tiefer und berührt
das innere Wesen der beiden Litteraturgattungen: die Poesie wendet sich
an die Phantasie oder die sinnliche Vorstellungskraft, die Prosa an den
Verstand und das abstrakte Denkvermögen.^) In der Poesie spielen
>) BöcKH, Encvklopttdie d. Philol. 615 ff.,
wo auch eine Gliederung der Litteratur nach
etift] gegeben ist.
^) T« xnraXoyttdfjv schon bei Plat.
sympos. p. 177 b und Isokr. 2, 7. Ueber ne^og
Xoyog = oratio pedestris Strabon p. 18: xal
«rro (f^ ro ticC«*' >lf/i9j;i^at loy uvbv rov
fASTQOv Xoyoy iu^ttivsi roy ano vtffovg »tivog
xaTaßuvTtt xai o/i7^«rof cig jovdtttpog. Schon
Plat. Sophist, p. 237 a neCo *"' ^^^" fiergtoy.
Als Gegensatz mochte den Gelehrten der
Wagen des Parmenides im Eingang seines
philosophischen Gedichtes vorgeschwebt ha-
ben. Danach sang auch Pindar I 2, 1 ol
fiky naXai^ cJ 9Qacvßot'Xey (ptüieg, ot xQvcafA-
nvxüiv ig di(pQoy Moicny eßaiyoy xXvi^ fpoQ-
fiiyyi üvyaytofjiBvM. Vgl. Gregor Naz. or.
20 p. 332 a ed. Colon. neCoc fjfiBy naqd Aviioy
ÜQfÄtt &eoyTsg.
») Donat. ad. Terent Enn. II 8, 14:
prorsum est porro versum . . . hinc et prorsa
oratio, qtuim non inflexit cantilena,
*} Oft angeführt wird dafür die Weise,
wie Homer B 128 die Grösse des Heeres
bezeichnet. Interessant und einer nftheren
Untersuchung wert ist die Umgestaltung der
Begrüf und Gliederimg der Litteratargeaohiohte. (§§ 2—4.)
3
daher die äusseren, in die Sinne fallenden Elemente der Darstellung, die
Wortverbindung und der Rhythmus, eine grössere Bolle als in der Prosa.
Da nun die Litteraturgeschichte nicht den Inhalt an sich, sondern den
in kunstvolle Form gegossenen Inhalt betrachtet, so steht ihr die Poesie
im Vordergrund des Interesses und widmet sie denjenigen Werken in
Prosa, die ihre Bedeutung lediglich im Inhalt haben, wie den Schriften
über Mathematik, Mechanik etc., nur eine untergeordnete Aufinerk-
samkeit.
4. Die Poe^e pflegt man in Epos, Lyrik, Drama einzuteilen, und
diese Einteilung werden auch wir unserer Darstellung zu Grunde legen,
müssen aber gleich hier bemerken, dass diese Terminologie nicht ganz auf
die Arten der griechischen Poesie passt und dass die griechischen Gelehrten
eine teilweise abweichende Einteilung aufgestellt haben. Dieselben unter-
schieden nämlich, ausgehend von einer Stelle Piatons, ^) zunächst zwischen
dem yävog fiifirivixov oder Sgafiarixor und dem /«Vog itrjYrjfJLaTixov oder
caiayyekTixov^ und fügten denselben dann noch ein vermittelndes yävoq
xotvov oder fuxTov hinzu.*) Zu dem letzteren stellten sie Hias und Odyssee,
weil in diesen bald der Dichter erzählt, bald Agamemnon, Achill oder ein
anderer in direkter Rede spricht, während ihnen die Erga des Hesiod, in
denen nie eine Person redend eingeführt wird, das reine y*Vo$ dirjy^jiiiaTixov
repräsentierten. Aber gerade diese Beispiele stellen die Mangelhaftigkeit
der antiken Theorie in grelles Licht und empfehlen die heutzutag übliche
Gliederung. In ihr hat das Epos seinen Namen von dem Gegensatz der
gesprochenen {irrrj) und gesungenen Gedichte {^(rfiata) und von dem für das
Epos bei den Griechen typisch gewordenen Versmass, dem daktylischen
Hexameter, der bei den Metrikem den Namen Inog hatte.®) Der Name
Lyrik, d. i. «das von der Lyra begleitete Lied", ist insofern nicht ganz
bezeichnend, als er nur auf einen Teil der lyrischen Poesie, die eigentlichen
fiüri, passt, während wir unter demselben auch die iambische und elegische
Poesie begreifen.
Den drei Arten der Poesie stehen in der Prosa gegenüber Ge-
schichtschreibung, Rhetorik, Philosophie. Von diesen entspricht in mehr-
facher Beziehung die Geschichte dem Epos: beiden eignet die erzählende
Form der Darstellung, und beide sind von den loniern in Kleinasien aus-
gegangen. Insbesondere schliessen sich die Städtegründungen {xriffeig)
der Logographen aufs engste an das genealogische Epos des Eumelos und
Asios an. Auch das Drama und sein Gegenstück, die Redekunst, sind in
derselben Stadt, in Athen, zur Blüte gelangt, und die Verteidigungs- und
Sprache infolge des stllrkeren Hervortretens
der Prosa, namentlich die Vermehrung der
Abetrakta auf «tk, ia, cvyrj,
*) Plato de rep. m p. 394 b: trj^ noiij-
cetöf xe xal fiv&oXoyiag fj fjihy dia /dif4ijo6(ag
oXri ioTiy . . tgaytodia le xal xfofiatdiay 17
(fl dl* «nayyeXiag avtov rov Tioitjtov ' ei'Qoic
<r av aviijy fiaXior« nov iv diBvQdfAßoLg ' ij
9 av Ä' afitpotcgtay Iv xe rp rw»* inaiy notij-
ff» noXXaxop dd xal aXXo^i. Dieselben drei
Hanptarten hat Aristoteles poet. 1.
*) Proclus ad Hes. p. 4 G.; Proclus
ehrest, p. 230 W.; Proleg. ad Theoer. VI;
Schol. ad Hom. A 16, Z 46, Eur. Phoen. 1225;
Sueton de poetis 3; Probus ad Verg. Bucol.
7, 12 K. vgl. Rbifferschbid, Suetoni rell.
p. 4.
») Plat. rep. 111 p. 386 c und Arist. me-
taph. N 6. Mi^ewirkt haben bei Feststel-
lung der Terminologie die homerischen Wen-
dungen enea meQOBvta n^oütjvda, fjietXixl'Oioi
Mrteaoi u. ä,
1*
4 ChriechiMhe Idttaratorgesohiohte. EiBleiinng.
Anklagereden haben in dem Wortstreit and den langen Gegenreden {^^asig)
des Dramas ihr Analogen. Weniger fallen die Berührungspunkte der Lyrik
und Philosophie ins Auge. Doch kann auch hier geltend gemacht werden,
dass beide in gleicher Weise bei allen Stämmen Griechenlands vertreten
sind und beide von der Aussenwelt den Blick in das Innere lenken.
5. Die Perioden der griechischen Litteratur. Die chronologische
Darstellung muss sich von selbst, will sie übersichtlich werden und sich nicht
mit einer kunstlosen Aneinanderreihung begnügen, nach grossen Wende-
punkten umsehen. Einen solchen Hauptwendepunkt bezeichnet der Untergang
der Freiheit und Selbständigkeit der griechischen Staaten durch Philipp und
Alexander d. Gr. Derselbe hat nicht bloss politische Bedeutung, er scheidet
auch die Zeit des fröhlichen, produktiven Schaffens in Kunst- und Wissen-
schaft von der Periode mühsamen Sammeins und trockner Gelehrsamkeit.
Innerhalb der ersten Periode bilden wieder die Perserkriege einen Haupt-
markstein, weniger wegen der Besiegung des Nationalfeindes, als weil in-
folge des hervorragenden Anteils der Athener an dem Siege nunmehr Athen
in den Vordergrund des politischen und geistigen Lebens der Nation tritt.
Denn während zuvor die einzelnen Stämme, jeder für sich und in seiner
Sprache, an der Entwicklung der Litteratur sich beteiligt hatten, reisst
nun Athen die geistige Führung, ja das Monopol der Bildung an sich.
Das bedeutete aber mehr als einen blossen Ortswechsel: die Litteratur
gewinnt eine universellere Richtung^) und nimmt das Gepräge des atheni-
schen Volkes an, d. i. den Charakter geistiger Aufklärung, praktischer Ver-
ständigkeit, schwungvollen Freiheitssinnes. In der zweiten Hauptperiode
bezeichnet der völlige Untergang der aus Alexanders Weltmonarchie hervor-
gegangenen hellenistischen Reiche einen wichtigen Abschnitt; er fällt zu-
sammen mit der Schlacht von Aktium (31 v. Chr.) und dem Untergang des
Ptolemäerreiches. Denn von nun an bilden die Griechen nur dienende Glieder
der grossen römischen Weltherrschaft. Wir lassen diese letzte Periode bis
auf den Regierungsantritt des Kaisers Justinian (527) oder bis zur völligen
Aufhebung der altgriechischen, nunmehr heidnisch gescholtenen Philosophen-
schulen reichen. Es Hessen sich innerhalb dieser 4 Perioden, namentlich
innerhalb der letzteren, noch leicht mehrere Unterabteilungen gewinnen,
aber es werden uns für unsere Darstellung jene grossen Scheidungen vor-
erst genügen.*)
6. Kehren wir nun zur Frage zurück, ob die Darstellung nach Lit-
teraturgattungen, oder die nach der zeitlichen Zusammengehörigkeit für eine
griechische Litteraturgeschichte die angemessenere sei, so springt uns so-
*) Ueber die universelle Natur Athens,
das die Kultur loniens und Eorinths in sich
aufnahm, gute Gedanken bei Wilahowitz
Hom. Unters. 256 ff.; über die attische Sprache
Isoer. 15, 295; über die Stämme der Griechen
und ihre Stellung im Geistesleben der Nation
überhaupt Bbrgk El. Sehr. II 365 ff.
*) F. A. Wolf und nach ihm Bemhardy
schicken diesen vier Perioden eine Periode
von den poetischen Anfängen der griechischen
Nation bis auf Homer voraus und lassen
ihnen eine sechste Periode ,von Justinian
bis zur Einnahme von Konstantinopel* nach-
folgen. Die letzte Periode, die byzantinische,
ist in diesem Handbuch selbständig von
meinem jüngeren Freunde Kbumbacheb be-
handelt; die erste erscheint bei uns als Vor-
halle zum ersten Teil. Eine Zeit, aus der
uns nichts erhalten ist, verdient es kaum,
eine eigene Periode der Litteratur zu bilden.
Mehr Unterperioden stellt Bbrgk Gr. Litt. I
302 ff. auf.
Begriff und Gliedemng der latteratnrgeschiohte. (§§ 5->6.) 5
fort ein grosser Unterschied der griechischen Litteratur von der modernen,
und innerhalb der griechischen Litteratur zwischen der Zeit vor und nach
Alezander in die Augen. Unser Schiller und 6oethe haben in Prosa und
in Versen geschrieben, haben Lieder, Epen und Dramen gedichtet; eine
Darstellung nach Litteraturgattungen würde daher dieselbe Persönlichkeit
nach den verschiedensten Seiten auseinanderreissen. So etwas ist in der
griechischen Litteratur nicht zu besorgen, am wenigsten in der klassi-
schen Zeit vor Alexander. Hier zerteilte sich die Kraft eines Mannes
nicht nach verschiedenen Seiten, hier machte die Beschränkung den
Meister. Femer begegnen wir im Eingang unserer deutschen Litteratur
einem Werk in Prosa, und tritt uns in der römischen Litteratur als erster
Schrifteteller Livius Andronicus, ein Dichter von Tragödien und Komödien
entgegen; das ist eine Verkehrung der natürlichen Ordnung, herbeigeführt
durch die Einwirkung fremder Kultur. Bei den Griechen hat sich die
Litteratur fast ohne jeden fremden Einfiuss, lediglich aus sich entwickelt;
es folgten sich daher auch die Litteraturgattungen in naturgemässer Ab-
folge.^) Zuerst im Jugendalter der Nation, als es noch keine Schrift und
keine Bücher gab, erblühte die heitere, leichtgeschürzte Poesie, die im
Kreise jugendfroher Sinnlichkeit erwuchs und von der lebendigen Stimme
des Volkes getragen, keiner schriftlichen Aufzeichnung bedurfte. Erst gegen
die Zeit der Perserkriege, als die Nation den schönen Traum der Jugend
schon hinter sich hatte und bereits in das denkende Mannesalter einge-
treten war, entwickelten sich die Anfänge der Prosa, die, losgelöst von dem
sinnlichen Reize des Metrums und der Bildersprache, sich von vornherein
an den Verstand wendete und zu ihrer Portpflanzung die Fixierung durch
die Schrift erheischte. Und von der Poesie selbst hinwiederum entwickelte
sich zuerst das Epos, wie auch der Mensch in seiner Kindheit zuerst
Märchen und Erzählungen liebt. Es folgten sodann die verschiedenen Arten
der Lyrik, die von der reizvoll entfalteten Aussenwelt in die Tiefe der
inneren Empfindungen und Betrachtungen hinabstieg und zum Ausdruck
mannigfacher Gefühle auch einer kunstvoller verschlungenen Form bedurfte.
Und erst als das Epos und die Lyrik ihren Höhepunkt bereits überstiegen
hatten, folgte das Drama, das jene beiden Elemente in sich aufnahm und
die alten Mythen in einer neuen, dem attischen Geiste mehr entspre-
chenden Form gleichsam wiedergebar. Innerhalb der Prosa ist die Reihen-
folge nicht eine gleich regelmässige; doch bleibt es immerhin bezeichnend,
dass die ersten Denkmäler der Prosa der dem Epos entsprechenden Historie
angehören, und dass die Rhetorik später als die Historie und Philosophie
zur Entfaltung kam. So empfiehlt sich also für die klassische Periode
der griechischen Litteratur unbedingt die Darstellung nach Litteratur-
gattungen, die nach dem Gesagten ungesucht auch die richtige zeitliche
Ordnung im Gefolge hat. — Minder günstig stellen sich die Verhältnisse
fär die Zeit nach Alexander. Hier ist von jener natürlichen Folge ohnehin
keine Rede mehr, da ja in Alexandria der Kreislauf der Litteratur nicht
wieder von neuem begann. Aber auch die Arten scheiden sich nicht mehr
*) hl dieser Beziehung hat die griechi- 1 der indischen, deren Analogie wir noch öfter
sehe litteratur die grOeete Aehnlichkeit mit | anziehen werden.
Qrieohisohe LitteratnrgeBohiohte. Einleitimg.
in gleich scharfen Linien von einander. Apollonios und EallimachoB schreiben
als Gelehrte in Prosa, verzichten aber dabei nicht auf den Ruhm, als
Dichter von Elegien und Epen zu glänzen; Plutarch zeigt zwar keine dich-
terische Ader, aber in der Prosa tritt er zugleich als Historiker, Philosoph
und Rhetor auf. Hier werden wir also Modifikationen anbringen und die
Gleichzeitigkeit mehr berücksichtigen müssen. Wie? Das wird sich später
passender erörtern lassen. Ohnehin werden wir nicht dem System zu lieb
uns dem Vorwurfe praktischer Unzweckmässigkeit aussetzen. Wir werden
also z. B. den Xenophon an nur einer Stelle behandeln, wiewohl er
historische und philosophische Schriften geschrieben hat, und werden
die Dichter der neueren Komödie nicht von einander trennen, wiewohl
die Blüte mehrerer, ja der meisten derselben, in die Zeit nach Alexanders
Tod fällt.
7. Die litterarhistorischen Studien im Altertum. Die Studien
zur griechischen Litteraturgeschichte reichen bis in das Altertum selbst
zurück. 1) Sie waren zunächst biographischer Natur, indem man über die
Abkunft {ysvog) und das Leben (ßiog) der grossen Dichter und Autoren
Bestimmteres zu ermitteln suchte. Schon aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. wird
uns eine Schrift des Stesimbrotos über das yävog 'Ofn]Qov genannt und
hören wir von den litterarhistorischen Versuchen des Qlaukon von Rhegion
n€Qi Twv uQxamv noirjTwv xal fiovaixSv und des Damastes negi noirjfcmv
xai aoifiaxmv. Lebhafter ward das Interesse für biographische Unter-
suchungen in der Zeit nach Alexander. Auch hier gab, wie auf so vielen
anderen Gebieten, Aristoteles die Anregung und ihm zur Seite der geistes-
verwandte Schüler Piatons, Herakleides Pontikos. Die Peripatetiker De-
metrios von Phaleron, Aristoxenos, Phanias, Praxiphanes, Chamaileon,
Satyros traten in die Fusstapfen ihres grossen Meisters. Aus den Hallen
der Philosophenschulen verpflanzte sich dann die Neigung für derartige
Studien auf die grammatischen Schulen in Alexandria und Pergamon:
Antigenes der Karystier, die Kallimacheer Hermippos und Istros sind hier
die Hauptvertreter der biographischen Forschung geworden. Was von
diesen Philosophen und Gelehrten über das Leben der hervorragenden
Dichter und Philosophefl erforscht oder erfabelt worden war, ging mit
Neuem vermehrt teils in die den Ausgaben der Autoren vorausgeschickten
Abrisse neQl rov yävovg xal ßiov, teils in die grossen zusammenfassenden
Werke eines Demetrios Magnes, Hermippos Berytios, Herennios Philon,
Alius Dionysius, Hesychios Milesios über. Auf uns gekommen sind ausser
den zerstreuten biographischen Notizen der Scholien und den Spezialwerken
des Diogenes und Plutarch über die Philosophen und Redner das grosse
Lexikon des Suidas (10. Jahrhundert)*) und die Chronika desEusebius.») Wir
würden uns den Zugang zu unserer eigentlichen Aufgabe übermässig er-
schweren, wollten wir gleich hier auf die einzelnen Namen und Schriften
^) EoEPKB, Quid et qua ratione iam
Graeci ad litteranun histoiiam condendam
elaboraverint, Berol. 1845.
') Die litterarhistorisclieii Artikel des
Suidas aasgezogen nnd bearbeitet von Flach,
Hesycliii Müesii Onomatologi relL, Lips. 1882.
') Eusebii Chronica ed. Schöne, Berol.
1875. Dazu aus älterer Zeit (Ol. 129) Chro-
nicon Parium (parische Marmorchronik), neu-
bearbeitet von Flach, Tüb. 1884.
Begriff nnd Gliederung der Litteratiirgeeohiohte.
7-8.)
80 eingehen, wie es eine kritische Beleuchtung der biographischen Studien
des Altertums verlangte. Daher genüge hier die allgemeine Bemerkung,
dass schon von den Peripatetikern und Alexandrinern die wenigen sicheren
Notizen über das Leben grosser Männer mit einer Fülle wunderreicher
Fiktionen und Anekdoten versetzt wurden, und dass die chronologischen
Angaben aus der älteren Zeit meist auf fingierten Stammtafeln und syn-
chronistischen Kombinationen beruhen, so dass viele der auf ein bestimmtes
Jahr lautenden Angaben sich, auf ihre Quelle zurückgeführt, in eine vage
Allgemeinheit verflüchtigen, i)
Zu den biographischen Forschungen gesellten sich in der alexandri-
nischen Periode repertorienmässige Aufzeichnungen (ävayQaipat) der Schriften
der Autoren. Schon bald nach Gründung der Bibliothek in Alexandrien
verfasste der gelehrte Bibliothekar Eallimachos Verzeichnisse {mvaxeg) der
Autoren und ihrer Schriften mit genauen Angaben des Titels und der
Zeilenzahl der einzelnen Bücher. Später wurden ähnliche Kataloge auch
von der Bibliothek in Pergamon angelegt und veröffentlicht. An die Pi-
nakes des Kallimachos schlössen sich dann litterarbistorische Erläuterungen
des Aristophanes von Byzanz und anderer Gelehrten an, welche zur Auf-
stellung von Verzeichnissen der Schriften in den einzelnen Sparten und
im weiteren Verlauf zur Festsetzung eines Kanon mustergiltiger Autoren
führten. Die daher stammenden Charakteristiken der hauptsächlichsten
Autoren sind durch Quintilian Inst. or. X auf uns gekommen. Tiefer ins
einzelne gingen die Inhaltsangaben, {ynod'äaeig) einzelner Werke, nament-
lich der Tragiker und Komiker, mit deren Abfassung sich vornehmlich
Dikäarch und Aristophanes von Byzanz beschäftigten.') Sind uns dieselben
auch nur teilweise und in stark verstümmelter Form erhalten, so bilden
sie doch mit ihren gelehrten Notizen über die Abfassungszeit und die be-
nutzten Mythen eine Hauptquelle unserer litterarhistorischen Kenntnisse.
Endlich verdanken wir noch mannigfache Belehrung über Werke der grie-
chischen litteratur, die uns nicht vollständig erhalten sind, den Exzerpten,
welche gegen Ende des Altertums und im byzantinischen Mittelalter ge-
lehrte Männer veranstalteten. Dahin gehören die Chrestomathie des Pro-
klos, die Anthologie des Stobaios, die Bibliothek des Patriarchen Photios
und die historischen Exzerpte des Kaisers Konstantinos Porphyrogennetos.
8. Die neueren Werke über griechische Litteratur. In der
neuen Zeit nach dem Wiederaufleben des klassischen Altertums hatte man
anfangs die Hände so vollauf zu thun mit der Herausgabe, Verbesserung,
Übersetzung der griechischen Schriftsteller, dass man zu einer systemati-
schen Darstellung der griechischen Litteraturgeschichte wenig Zeit fand.
Das oft aufgelegte Büchlein von Gyraldus, De historia poetarum tam
^) Die richtige Schfitzimg der alten Nach-
richten ist in unserer Zeit besonders klar^-
stellt und zur Berichtigung der herkömmlichen
Nachrichten verwertet von Erw. Robde in
verschiedenen, später anzuf&hrenden Auf-
sttten des Rhein. Mus.; schon zuvor wurden
^ Angaben der Alten auf ihren richtigen
Wert zurttckgefOhrt von Lbhrs, Wahrheit und
Dichtung in der griechischen litteraturge-
schichte, in Pop. Aufs. 2. Aufl. Leipz. 1875.
') SoHNBiDEWii?, De hjpothesibus tra-
goediarum graec. Aristophani Byzantio vin-
dicandis, in Abhdl. d. Gott. Ges. VI 3—37;
vgl. WiLAHOwiTZ, Eur. Herakl. I 145 f.
Griechische Litteratargeachiohie. Einleitung.
graecorum quam latinorum dialogus (1545) ging nicht viel über eine Zu-
sammenstellung der biographischen Überlieferungen des Altertums hinaus.
Von selbständigerer Bedeutung waren die Einzeluntersuchungen von G. J.
Voss, De historicis graecis (1624) i) und von Ruhnken, Historia critica
oratorum graecorum (1768).*) Den Versuch, das weitschichtige Material
zur griechischen Litteraturgeschichte mit Einschluss der Kirchenväter und
Byzantiner zu einem grossen Sammelwerk zu vereinigen, machte im vorigen
Jahrhundert Fabricius in seiner Bibliotheca graeca. .Wertvolle Beiträge
lieferten um dieselbe Zeit die Zweibrücker Ausgaben (Bipontinae), indem
in denselben den Texten der Autoren die Nachrichten (testimonia) über
die betreffenden Werke und eingehende Lebensbeschreibungen (vitae) voraus-
geschickt wurden. Die methodische Behandlung der Litteraturgeschichte
datiert von Fr. A. Wolf, der hier wie in anderen Disziplinen der Philo-
logie die bloss stoffliche Anhäufung verschmähend, auf systematische An-
ordnung und organische Entwicklung drang. Seine in Halle gehaltenen
Vorlesungen über die Geschichte der griechischen Litteratur wurden erst
nach seinem Tod von Gürtler (1831) herausgegeben. Auf seinen Schultern
steht Bernhardy, der in seinem leider unvollendet gebliebenen Grundriss
der griechischen Litteratur mit reicher Gelehrsamkeit die Fächer ausfüllte,
zu denen Wolf die Lineamente gezogen hatte. Unvollendet blieben auch
die Werke der beiden Männer, welche neben Bernhardy sich das meiste
Verdienst um unsere Wissenschaft erworben haben und jenen an lebens-
voller Frische der Auffassung weit übertreffen, Otfr. Müller und Th.
Bergk. Mehr aber noch zur Förderung der Sache trugen die Untersuchungen
über einzelne Zweige der griechischen Litteratur bei. Allen voran leuchten
in dieser Richtung drei Männer, Fr. Jakobs, der im 13. Bande seiner
Ausgabe der griechischen Anthologie und in den Nachträgen zu Sulzers
Theorie der schönen Wissenschaften den Weg gelehrter und geschmack-
voller Behandlung litterarhistorischer Fragen wies, Aug. Meineke, dessen
unvergleichliche Sorgfalt in der Sammlung und Ordnung der Fragmente,
namentlich der Komiker, die Lücken der erhaltenen Litteratur glücklich
überbrückte, und Fried r. Gottl. Welcker, der vornehmlich durch seine
Werke über den epischen Cyclus und die griechischen Tragödien neue
Bahnen unserer Wissenschaft brach und das Band zwischen Litteratur
und Kunst neu knüpfte.
Fabricii, Bibliotheca graeca sive notitia vetenun scriptoram graecorum, Hamburg
1705—28, 14 Bde. 4., ed. IV von Habless, Hamb. 1790—1810, 12 Bde. 4. - Bernhardt,
Grandrifls der griech. Litt., 1. TeU Imiere Gesch., 2. Teü in 2 AbteU. Gesch. der griech.
Litt (nur die Poesie enthaltend), Halle I« 1876, <^ besorgt von Yolkmann 1892, H* 1880.
— 0. MüLLBR, Gesch. d. griech. litt, bis auf das Zeitalter Alexanders, Breslau 1841, 2 Bde.,
neubearbeitet von Heitz mit Fortsetzung, 4. Aufl. 1882—4; in England wurde das Werk
fortgeführt bis auf die Einnahme Eonstantinopels durch die Türken von Donaldson, Lond.
1858, 2 Bde. — Fr. Scholl, Histoire de la littärature grecque, Paris 1813, deutsch be-
arbeitet von Schwarze und Pivdbr, Berlin 1828—80, 3 Bde. — Berok, Griech. Litteratur-
geschichte, 1. Band vom Verf. selbst besorgt, Berlin 1872, die 8 folgenden Bände aus den
Papieren Bergks herausgegeben von HnmiCHS und Peppmüller 1888—7, umfasst nur Enos,
Lyrik, Drama bis Euripides, Anfänge der Prosa. — Nicolai, Geschichte der griechiscnen
*) Neubearbeitet von Wbstermank, lips.
1838, womach wir citieren.
') Erschienen als Einleitung zur Ausgabe
des lateinischen Rhetors RutOius Lupus, auf-
genommen in Ruhnkenii Opnsc. I 810—92.
Begriir imd Qliedemng der Litteratnrgesohiohte. (§ 8.) 9
Litieratiir, neue Bearbeiiimg, Magdeburg 1873, 8 Bftnde mifc Einachlass der byzantinisclien
Litt, Auszug in 1 Bd. 1883. — Sittl, Geschichte der griechischen Litt, bis auf Alexander
d. Gr., Mlinchen 1887, 3 Bde. — Mure, Histonr of lang, and litt, of ancient Greece, London
1857, 2. Aufl. 1860 5 toI. nur bis Alezander ohne Drama und Redner. — Mahafft, History
of classical greek literature, London 1883 — 95, 2 vol. in je 2 Teilen. — Croibet Alfr. et
Maüb., Histoire de la litt, grecque, Paris, im Erscheinen seit 1887.
Kompendien: Passow, Grundzttge d. griech. n. röm. Litteraturgesch. u. Eunstgesch.,
2. Aufl., Breslau 1829. — Münk, Gesch. der griech. Litt mit vielen Auszügen in Ueber-
setzung, 3. Aufl. besorgt von Yolkjiann, Berlin 1880, 2 Bde. — Bbrgk, Griech. Litteratur,
Abriss in Ersch und Grubers Encykl. 1863. — Kopp, Gesch. der gr. Litt. (fOr Gymnasiasten),
4. Aufl. besorgt von Hubert, Berlin 1886, 5. Aufl. besorgt von G. J. Müller 1893. ~
Mahlt, Gesch. der antiken Litteratur, Leipz. 1880, 2 Bde., ^ weitere Kreise der Ge-
bildeten bestimmt. — Bender, Gesch. d. giiech. Litt, bis auf die Zeit des Ptolem&er, 1886
in der bei Friedrich in Leipzig erscheinenden Gesch. d. Weltlitteratur, ohne gelehrtes Bei-
werk. — Sitzler, Abriss der griech. Litteraturgeschichte, Leipzig, 1. Bd. 1890. — Krokbr,
Geschichte der griechischen Litteratur, Leipzig 1895. — Haberlin, Jahresbericht ttber die
Geschichte der griechischen litteratur fOr 1879—1893, in Jahresbericht über die Fortschritte
der klass. Altertumswissenschaft, Heft 85.
Hilfsmittel: Westrbmann, Bio^phi graeci seu vitarum scriptores graec. min., Brunsv.
1845. — Clinton, Fasti hellenici civiles et litterarias Graecorum res ab ol. 45 ad ol. 124
ezplicantes, ex altera anglici exemplaris edit conversi a Krüegbro, Lips. 1830. — Engbl-
XANN, Bibliotheca scriptorum classicorum, 8. Aufl., Leipzig 1880, die in Deutschland seit
1700 erschienenen Bttcher und Abhandlungen umfassend. — Hoffmann, Lezicon bibliographicum,
Lips. 1832, 3 vol., umfasst auch die Altere und die ausserhalb Deutschlands erschienene
Litteratur. — HObneb, Bibliographie der Gesch. u. Encykl. d. klass. Phil., 2. Aufl. Berl. 1889.^
— Bibliotheca philol. classica, m Jahrb. f&r Phil, und seit 1877 als Anhang zu Bursian-
Müller, Jahresbericht der Fortschritte der klass. Altertumswissenschaft. — Paüly, Real-
encyklopftdie der klass. Altertumswissensch., Stuttg. 1839—52, 6 Bde.; 1. Bd. neubearbeitet
unter der Redaktion von Teüffel. Das ganze Werk in neuer Bearbeitung unter der Re-
daktion von WissowA im Erscheinen.
Ein Quellenbuch zur griech. Litteraturgeschichte, das ausser den in den Schollen
erhaltenen ßioi und vno&^csig die litterarischen Artikel des Suidas, Eusebius und der pa-
rischen Chronik, femer die Kanones der Alexandriner und die litterarischen Inschriften ent-
halte, gehört noch zu den frommen Wünschen der Philologen und Litteraturfreunde.
Erste Abteilung.
Klassische Periode der griechischen Litteratur.
I. Poesie.
A. Epos.
1. Elemente und Vorstufen der griechischen Poesie.
9. Die griechische Sprache. Der Tempel der Gottheit erhebt
sich auf der Grundlage eines Fundamentes; auch der Tempel der Litteratur
hat ein solches, Jahrhunderte vor seinem Aufbau gelegtes Fundament, das
ist die Sprache. Wir müssen daher auch in der griechischen Litteratur-
geschichte zuerst der griechischen Sprache oder der Form, in der die
Dichter und Schriftsteller des Hellenenvolkes ihre Ideen niederlegten,
unsere Betrachtung zuwenden.
Indogermanische Elemente. Es gilt heutzutag als eine allge-
mein anerkannte Wahrheit, dass die Griechen mit Unrecht sich Kinder
ihres Landes {avroxv^ovsg) nannten, dass sie vielmehr als Zweig des
indogermanischen Stammes in grauer Vorzeit durch die nördliche Balkan-
halbinsel in ihre späteren Sitze eingewandert waren und aus ihrer alten
Heimat in Asien oder Osteuropa eine reich ausgebildete Sprache und
eine vielgegliederte, aus der Vergöttlichung der Naturkräfte entwickelte
Religion mitgebracht hatten, i) Und da nun jede Poesie in der Sprache
ihr sinnliches Organ pnd in dem religiösen Volksglauben ihre kräftigste
Wurzel hat, so werden wir auch die Anfänge der griechischen Poesie auf
jenen indogermanischen Stamm zurückzuführen berechtigt sein. Das will ich
aber nicht so genommen sehen, als ob die Griechen aus Asien vollständige Ge-
sänge oder auch nur ganze Verse mitgebracht hätten; wenigstens fehlen
uns zu einer solchen Annahme jedwede Belege.*) Wohl aber begegnen
') üeber das Yerh<ms des Griechischen 1 die Indogermanen vor ihrer Trennmig emen
zur indogermanischen Grundsprache und den | Vers, den Achtsilber, und den aus zwei Acht-
Sprachen der benachbarten Völker Europas '. silbern bestehenden Doppelvera ausgebildet
und Eleinasiens nach dem jetzigen Stand der i hatten, yertritt Westphal, Zur ältesten Me-
Forschung: Ebetschmab, Einleitung in die | trik der indogermanischen Völker, KZ. 9,
Geschichte der griech. Sprache, Göttingen
1896.
') Die entgegengesetzte Meinung, dass
487 ff., und in seinem letzten Werk, Allge-
meine Metrik, Berlin 1893.
A. Bpos. 1. Elemente nnd Yorstafen der grieohisohen Poeaie. (§ 9.) H
ODS in der ältesten Poesie der Griechen poetische Worte und Wortver-
bindungen, die in den ältesten Liedern der Inder, den Yeden, wiederkehren
und die wir deshalb als ein altes, gemeinsames Erbe beider Völker be-
trachten dürfen. Dahin rechnen wir in erster Linie eine Reihe von Götter-
namen, wie Zev nareg = skt. dyaus püar = lat. Juppiter, Jicivrj = lat.
Diana aus ursprünglichem diväna = die Leuchtende, Ovqavog = skt. Va-
runas, der Umfasser, *H(6g *= skt. t^äs = lat. Aurora, die Brennende oder
Leuchtende, "Hhog = skt. süryas (aus svaryas) = lat. Sol, Kqovog = skt.
hranas, vgl. ital. Cerus, der Vollbringer, XaQivsg = skt. harita^, die
strahlenden Sonnenrosse, i) IlQOfArj^evg = skt. pramanthasj der feuerbe-
reitende Reiber, T\&wv6g = skt. didhj/anas, der Flammende, vielleicht
auch x^eog = skt. dSvas = lat. deus, der Leuchtende. In den gleichen
Bereich religiöser Anschauungen gehören die hochpoetischen Wörter
aßßQoafa = skt. amrtam, Speise der Unsterblichkeit, neben ßgorog = skt.
mrtas, sterblich, nort'ta = skt. patnT, Herrin, ayiog = skt. yagya^, der
zu verehrende, iqeßog = skt. ragas = got. riquis, Finsternis, diog = lat.
diu8 = skt. deivyas, hinmilisch, Soqtij und ßqäxctg verwandt mit skt. vratam^
Gelübde, Verehrung. Mehr in das Gfebiet der Stäatenbildung schlagen ein
nohg = skt. pwm, Stadt, deancTTjg = skt. gaspaiis, Geschlechtsherr,
xv^og = skt. Miras, starker Held. Dazu kommen dann Wörter, welche
von der Anrufung der Götter zur Verkündigung des Ruhmes der Helden
hinüberführen. In diesem Sinne sind namentlich mehrere Bildungen der
sonst auf griechischem Boden fast ganz abgestorbenen Wurzel kru „hören"
zu fassen, wie xlv&i = skt. srudhi, xXvzpg = skt. srutds = lat. inclutus,
xXäfog = skt. sravas,^) xXäog a(p&iTov = skt. sravas ak§itam. Andere den
Griechen selbst nicht mehr recht verständliche Wörter Homers erhalten
Licht aus Namen und Wortverbindungen der verwandten Sprachen: zum
homerischen doTrjgeg eäcov stellt sich das vedische datäras vasünäm, Geber
von Schätzen, das Beiwort TQitoyeveia enthält als erstes Element den
Gott Tritas der Inder und Thraetaonö der alten Baktrer, wxsavog ist nach
Ad. Kuhn's geistvoller Deutung (K. Z. IX 240) ursprünglich der die Erde
gleich einer Schlange umgebende Strom. Endlich weisen auch einige direkt
die Poesie berührende Wörter auf altarischen Ursprung hin: nachdem es
geglückt ist, für das lat. Casmma das Urbild im vedischen gasman „Anruf,
Lob'' zu finden, wird es auch nicht zu gewagt sein, vfivog zu vedisch
sumnam „freudevolle Gtötteranrufung" zu stellen,*) und fiavtig, sowie das
verwandte Moiaa (aus montja) mit skt. mantram „Spruch" in Verbindung
zu bringen.*)
') Diese von Max Müller herrühreDde
GleichstelluDg kann als yollkommen ge-
aehert gelten, nur muss man dabei beachten,
dass haritas nicht zunftchst Sonnenrosse,
sondern Glänzende bezeichnet; die Bedeutung
«Dank* von x^9^ ^uid gratia ist natürlich
eine abgeleitete und somit spätere.
') Zorn Helden^esang fOhrt hinüber der
Ausdruck «€/«f€ iT a^a xXia ayJ^tSy I 189,
▼gl. * 73 u. Hes. Theog. 99.
') Von den einheimischen Gelehrten
wird das vedische sumnam (wahrscheinlich
aus aumanam) als Wort für Glück erklärt;
Benfey im Glossar zum Sama-Veda gibt ihm
die Bedeutung Hynmus, Roth im Peters-
burger Wörterbuch die von Andacht, Gebet.
FicK, Wörterb. der indogerm. Sprachen I*
230 gibt die Zusammenstellung von skt.
sumnam u. griech. vfÄt/og^ aber mit dem Zu-
satz „zweifelhaft".
*) Vielleicht hängt auch vedisch Stomas
(Loblied) und stötä (Lobsänger) mit dem
12
Grieohisohe Litteratnrgeschiohte. L Elassisohe Periode.
Aus der Fremde hat die Sprache der Griechen nur ausserordent-
lich wenig aufgenommen; haben sich die Hellenen schon in der Entwick-
lung ihrer Kultur rasch von den Einflüssen der älteren Kulturvölker Asiens
und Ägyptens emanzipiert, so haben sie noch mehr darauf gesehen, ihre
schöne Sprache von dem Misslaut fremder, barbarischer Wörter rein zu
erhalten.^) Was sie von den Kai*em und Lykiern entlehnten, lässt sich
bei der mangelhaften Kenntnis, die wir von der Sprache jener Völker
haben, nicht mehr festsetzen; über einige Götternamen, wie ^rjTci, AijSa,
'AnoXXiüv^ wird die Entlehnung kaum viel hinausgegangen sein. Mehr ent-
nahmen sie der Sprache jenes Volkes, das ihnen vorzugsweise die Kultur
Ägyptens und Innerasiens vermittelte, der der seefahrenden Phönikier.
Nicht bloss die Eigennamen MehxtQTtjg, 2d/iog^ Maqad^wv stammen aus
Phönikien, auch die Appellativnamen SäXrog, ßvßKov^ xddog^ ^dxmqcc^ /i^-
yaQov^ XiTciv^ dqqaßmv^ dQaxfi^j liva^ nalkaxig, (fVQty^, xivvqa^ vielleicht
auch ohog^ vs'xzaQ, XQ^^^^j iXbfpag^ oi^ovtj^ YQ^^ waren zugleich mit der Sache
durch die Phönikier den Griechen übermittelt worden.*) Aber auch diese
fremden Sprachelemente mussten es sich ebenso wie die aus der Fremde
überkommenen Kunstformen gefallen lassen, mit griechischem Stempel ver-
sehen und nach der Analogie vaterländischer Wörter umgemodelt zu werden.
Bedeutsamer als die sprachlichen Bereicherungen waren die neuen Ideen,
namentlich die religiösen, welche die Griechen in den älteren Zeiten von
den .fremden Völkern entlehnten. Nur ein Teil der Götter des griechi-
schen Olymp war altgriechischen Ursprungs, die Mehrzahl derselben war
fremder Herkunft. Namentlich ^die Anfänge des Qötterkultus waren den
Griechen aus den Religionen Kyperns, Asiens, Ägyptens durch den Ver-
kehr mit fremden Kaufleuten und Priestern übermittelt worden, indem
sie dieselben teils direkt aus der Fremde herübemahmen, teils aus den
bei ihnen importierten Bildern auf Ringen und Goldplättchen in selb-
ständiger Weise entwickelten. Aber auf dieses dunkle, durch die Ent-
deckung der mykenischen Kultur nur teilweise aufgehellte Gebiet näher
einzugehen, können wir uns um so eher ersparen, als die bezüglichen
Fragen mehr die Mythologie und Archäologie als die Litteraturgeschichte
angehen.
10. Dialekte des Griechischen. Jener Zweig des indogermani-
schen Vdksstammes, der sich später den gemeinsamen Namen Hellenen
gab,«) setzte sich, in verschiedene Stämme geteilt, viele Jahrhunderte vor
faomerisclien <Tt€vtai Medium zu altind. stöti,
er rühmt, zusammen. Wahrscheinlich ist
auch xotis (altgr. xo/ftje) und &vo<ix6og mit
skt kavis (Seher, weiser S&nger), lat catUus
verwandt.
^) Der ßaQßa^tfffiof oder der anstössige
Laut lallender Barbaren, im Gegensatz zu
iXXrjyta/uo^, galt in der Sprachlehre der Grie-
chen als Fehler, vor dem zu allen Zeiten die
Grammatiker eindringlich warnten.
') A. Müller, Semitische Lehnwörter
des Griech., in Bezzenbergers Beitr. I 273 ff.;
Lewy, Die semitischen Fremdwörter im Grie-
chischen, Berlin 1895; Müss-Abnoldt, On
semitic words in Greek and Latin, in Trans-
actions of the American Philol, Association
XXni (1892) 35-156.
') Jlay/XXtjysg kommt zuerst im Schiff-
katalog B 530 und bei Hesiod Op. 528 vor.
Ueber die spätere Ausdehnung des Namens
'"EXXrjyef, der anfangs nur einem kleinen
Stamm Thessaliens zukam, ist die Haupi-
stelle Thuk. 1 3, wozu Homerscholien bei
Lehrs, Aristarch p.233 kommen. Vgl. Wila.-
MOwiTz, Hellas vor der Völkerwanderung,
in Euripides Herakles I 258 ff.
A. Spos. 1. Elemente und Vorstufen der grleohisohen Poesie. (§ 10.) 13
dem troisclien Kriege in seinen europäischen Sitzen fest. Stammesunter-
schiede traten zwar gewiss im Laufe der Zeit infolge der lokalen Tren-
nung starker hervor, aber die hauptsächlichsten waren doch schon bei
der ersten Niederlassung in Europa vorhanden. Von Nordgriechenland
und Thessalien aus, vermutlich dem ältesten gemeinsamen Sitz,^) ver-
breiteten sie sich in verschiedenen Verstössen nach Süden und Westen
über ganz Hellas, von der älteren Bevölkerung die fremden Bestandteile
aufsaugend, die verwandten sich angliedernd. So gingen die alten Be-
wohner des Landes, die Pelasger, Karer und LelegjBr,^) von denen sich
ausser der neuerdings aufgefundenen Doppelinschrift der Insel Lemnos
noch Erinnerungen in alten Berg- und Ortsnamen erhielten, fast spurlos
in der neuen Bevölkerung der Hellenen auf.») Von diesen gelangte der
Stamm der Dorier, welcher zuletzt die Wanderung nach Süden antrat, in
den dauernden Besitz des grössten Teils der Pelopsinsel. Die früher süd-
wärts vorgedrungenen und früher dort zu höherer Kultur emporgestie-
genen Stämme der Achäer und lonier mussten, so weit sie sich nicht den
neuen Herren unterwarfen, teils neue Wohnsitze auf den Inseln und in
Eleinasien aufsuchen, teils sich zu den alten Sitzen ihrer Stammesgenossen
zurückziehen. Denn die lonier und Achäer waren nicht insgesamt nach
dem Peloponnes ausgewandert, vielmehr war ein grosser Teil derselben
in den früher von ihnen okkupierten Ländern Mittel- und Nordgriechen-
lands zurückgeblieben.^)
Die Sonderung des Volkes der Hellenen in verschiedene Stämme ist
am deutlichsten in den Dialekten ihrer Sprache ausgeprägt. Die alten
Grammatiker unterschieden, indem sie wesentlich nur die litterarischen
Denkmale in Betracht zogen, 4 Dialekte, den äolischen, dorischen, ioni-
schen, attischen. Die neueren Forscher sind, indem sie von den sprach-
^) Entgegen dieser Annahme hat E.
CüBTius, die lonier vor der ionischen Wan-
derung, 1855, die haltlose Hypothese aufge-
stellt, dass die lonier gesondert von den
flbrigen Hellenen ans Eleinasien Über die
losein nach den Kflstenlftndem der griechi-
schen Festlande gekommen seien. Darüber
B. PöHLMAinr, Gnindriss der griech. Gesch.
2. Aufl. S. 10 ff.
*) Strab. p. 661: ol Kdgsg vno Miyto
irärrovTo, rois AiXeyeg xaXovfieyot, xai Tag
njcovf mxovv fii* rjneiQwtm ysyofieyoi 7t oX-
Xi^y r^f TitiQaXitti xai rrjg (jtecoyaiag xaxicyoy,
lovg nffoxarix^yrag ä(peX6fieyor xai ovtoi
9* rfluy ol TtXBtovg AiXeyH xai TleXaayoij
TtäUy Sk TovTOug atpeiXoyro fi^Qog or'EXXrjyegy
*lmyig ib xai JtaquTg. Vgl. Strab. p. 221 n.
321 f.
') Die zwei auf einem Steinblock der
ehedem von Pelasgem bewohnten (Strab.
D.221) Insel Lemnos i. J. 1885 gefundenen
Inschriften sind in griechischer Schrift ge-
schrieben und gehören, nach dem Schrift-
cbarakter zn schliessen, dem 7. Jahrhundert
an. Die Sprache der Inschrift ist nicht grie-
chisch und zeigt offenbare Verwandtschaft
mit der Sprache der Etrurier, welche ja
gleichfalls für Pelasger galten. Pauli, Eine
vorgriechische Inschrift von Lemnos, Alt-
italische Forachungen II 1, 1886; 11 2, 1894;
Deecke, Die tyrrhenischen Inschriften von
Lemnos, Rh. M. 41 (1886) 460 ff.
^) In Mittelgriechenland war Attika seit
alters von loniem, die mit Pelasgem zu-
sammensassen, bewohnt, ebenso ein Teil der
Insel Enbüa. Auch die Graoi im Asoposthal
sind als lonier durch eine Inschrift aus dem
Amphiaraosheiligtum von Oropos erwiesen
(s. Wilamowitz Herm. 21, 98). lonier er-
hielten sich femer in den Küstengebieten des
Peloponnes, wie in Kynuria, wo sie zur
Amphiktionie von Eelaurea zusammentraten.
Für das Gebiet um lolkos in Thessalien ist
eine ältere, voräolische Bevölkerung bezeugt
durch Pindar N: IV 54. Ob das aber laoner
waren, wie E. Cürtius, Die lonier vor der
ion. Wanderung, An. 33 annimmt, oder Pe-
lasger, die in Thessalien wie in Attika den
jugendkrftftigeren Stämmen der Hellenen
weichen mussten (Schol. Hom. B 591), steht
dahin.
u
firieohisohe LitteraiiirgasohlohU. t. KUssisohe Periode.
liehen, am deutlichsten in den Inschriften ausgeprägten Unterschieden
ausgingen, zu wesentlich anderer Einteilung gekommen.^) Danach sind
zunächst zwei Oruppen zu unterscheiden,') das Ionische und das Nicht-
ionische. ») Von dem Ionischen zweigte sich infolge lokaler Trennung das
Attische als eine besondere Mundart ab>) In der nichtionischen Gruppe
reichen die Unterschiede des Dorischen (in Lakonien, Argos, Kreta) und
Äolischen (in Thessalien, Böotien, Lesbos) in die älteste Zeit hinauf.^)
Diese vier Dialekte, Ionisch, Attisch, Dorisch, Äolisch haben zugleich im
Laufe der Zeit hohe Bedeutung für das litterarische Leben Griechenlands
gewonnen. Hingegen ist nicht in die Litteratur eingetreten, zum grossen
Teil schon vor Erwachen des litterarischen Strebens untergegangen der
Dialekt der Achäer oder der alten Bewohner des Peloponnes, von dem
inschriftliche Reste im Arkadischen und Kyprischen erhalten sind. Ebenso
kennen wir nur aus Inschriften und nur ganz mangelhaft die lokalen
Schattierungen des Nordwestgriechischen (in Phokis, Akamanien, Epirus),
des Eleischen und des Pamphylischen.^)
Die Dialekte spielten in der griechischen Litteratur eine grössere
Rolle wie in irgend einer andern der alten oder neuen Zeit. Die scharfe
Sonderung der hellenischen Stämme und die Eifersucht der einzelnen Staaten
auf ihre Selbständigkeit brachten es mit sich, dass bis über die Zeit des
peloponnesischen Krieges hinaus nicht bloss die Privaten und Behörden
sich in den öffentlichen Urkunden und Inschriften des einheimischen Dia-
lektes bedienten, sondern auch die Dichter und prosaischen Schriftsteller
die Sprache ihres speziellen Stammes redeten. So sind in allen Litteratur-
gattungen die ältesten Denkmale nicht in der gemeingriechischen Sprache,
sondern in irgend einem Dialekte geschrieben. Auch als die Autoren von
der Mundart ihrer Landsleute abzuweichen begannen, gingen sie nicht
gleich zu einer gemeinsamen Sprache über, sondern hielten sich zunächst
^) Ahbens, De graecse lingnae dialectis,
Gott. 1889—43; voUständig neubearbeitet
von Meister, Die griech. Dialekte, noch un-
vollendet; 0. Hoffmann, Die griech. Dia-
lekte in ihrem historischen Zusammenhang,
Gott. 1893, unvollendet; H. W. Smith, The
Sounds and Inflections of the Greek Disilects,
Oxford 1894, unvollendet; Gu. Mbybr, Griech.
Gramm.» p. XI— XII u. S. 6 ff.; Collitz, Die
Verwandtschaft der griech. Dialekte, Gott.
1885. — Dialektische Inschriftensammlungen
von Collitz, Sammlung der griech. Dialekt-
inschriften, Göttingen 1888, Hauptwerk;
Gauer, Delectus inscriptionum graecamm
propter dialectum memorabilium,'^ed. 1 1, Lips.
1883.
^) Schon im Altertum hat Strabon p. 333
die vier Dialekte auf zwei reduziert, indem
er die Atthis zur las, und die Doris zur
Aiolis stellte.
») Hauptunterschiede sind, dass das Io-
nische massenhaft altes ä in 17 verwandelte,
das Digamma frühzeitig, sicher schon im 7.
Jahrhundert aufgab, zum Ausdruck des dubi-
tativen Verhältnisses «v statt xe verwandte.
^) Hauptzeugnis fttr die Stammesver-
wandtschaft ist Thukyd. II 15: jd aQ^ato-
rega Jiovvcia tß ^(adsxäin noiBirai iy fJitjyl
'Jy&eatTjQUiiyi, alaneg xai ol an* '^&i]yaitay
"lioyeg sti xal yvy youl^ovaiy.
^) Hauptunterschiede sind, dass das
Aeolische durchweg baryton ist und den
weichen Hauch {iplXtaaig) liebt, den alten
Laut des v = u wenigstens teilweise, nament-
lich im Böotischen, bewahrte und häufig ein
0 in v (ähnlich wie die Lateiner) verwan-
delte. Dazu kamen später die Unterschiede
der Ersatzdehnung und Kontraktion, ver-
möge derer äol. MoTca, dor. MnHaa^ ion.
Movaa aus altem Movtia, äol. raig, dor.-ion.
Tag aus altem rayq gegenübertraten.
^) Der elische Dialekt ist stammver-
wandt dem von Nordwestgriechenland, aus
welcher Gegend die Aetoler und Epeer in
Elis eingewandert waren. Das Famphyliscbe
erinnert durch den Namen an die dorische
Tribus der IlctfjKpvXoiy deren Grundstock wohl
die alten Bewohner der von den Doriem
okkupierten Länder bildeten.
l.Epos. 1 Elemente und Vontafen der grieohisohen Poesie. (§ 11—12.)
15
an die Sprache und den Dialekt ihres Vorbildes. So entstand in Griechen-
land eine neue Art von Dialekten, die man die litterarischen im Gegen-
satz zu den lokalen oder Stammesdialekten zu nennen pflegt. Schon die
Sprache Homers gibt nicht rein die Formen und Wörter eines einzelnen
epichorischen Dialektes wieder, verdient vielmehr bereits den Namen eines
EuDstdialektes, des sogenannten epischen Dialektes. Schwer aber ist es
bei ihm und fast noch mehr bei den späteren Dichtern, wie Pindar, zu
Dnterscheiden, wie viel sie aus der Mundart ihrer Stammesgenossen, wie
viel aus der Sprache ihrer Vorbilder herübergenommen haben.
11. Vorzüge der griechischen Sprache. Die griechische Sprache
überhaupt hatte von vornherein für die Entwicklung der Litteratur ausser-
gewöhnliche Vorzüge: der Wohllaut ihrer Vokale und die Weichheit ihrer
Konsonantenverbindungen, verbunden mit der Freiheit der Wortstellung
machten sie zu einem vorzüglichen Instrument des musikalischen Vortrags;
der Reichtum ihrer Flexionsformen führte von selbst zum klaren, die ver-
schiedenen Beziehungen scharf scheidenden Gedankenausdruck; die jung-
fräuliche Reinheit des Sprachschatzes Uess den nationalen Charakter in
voller Starke hervortreten; die Mannigfaltigkeit der Mundarten endlich
ermöglichte eine den Stilarten sich anschmiegende Modifizierung der all-
gemeinen Sprachmittel. ^) Waren so in der sprachlichen Form den grie-
chischen Dichtem und Rednern ausgezeichnete Mittel für den Ausdruck
ihrer Gredanken gegeben, so kam nun noch der reiche Inhalt an mytho-
logischen und kulturellen Ideen hinzu, die teils schon in der Grundsprache
der Griechen Ausdruck gefunden hatten, teils durch Anregungen von
Aussen neu befruchtet eine wachsende Fülle von Vorstellungen und Sagen
erzeugten.
12. Die Schrift. Neben der Sprache und den in der Sprache aus-
geprägten Ideen bildete ein drittes Element der Litteratur die Schrift;
sie ist es, welche zumeist dazu beiträgt, den Schöpfungen des Geistes blei-
bende Dauer zu verleihen. Die Griechen und Römer dachten sich sogar
80 sehr die Schrift mit der Litteratur verwachsen, dass sie beide mit dem
gleichen Wort, ygafifiaray lüterae bezeichneten. Darin indes gingen die-
selben zu weit; denn die Dichter der alten Zeit hatten bereits herrliche
Werke der erzählenden Dichtung geschaffen, ehe sie zur Verbreitung der-
selben von der Schrift Gebrauch machten. Erst mit dem Anfang der
Olympiaden begann man schriftliche Aufzeichnungen von Listen zu
machen, und erst im 7. Jahrhundert fanden es die Gesetzgeber, wie der
Lokrer Zaleukos, für gut, schriftlich fixierte Gesetze an die Stelle münd-
licher Spruch Weisheit {^rjzQai) zu setzen.*) Den Listen und Gesetzen folgten
die Bacher zur Aufzeichnung dichterischer Schöpfungen. Aber wenn wir
solche auch bereits für die Zeit des Archilochos voraussetzen müssen,») so
hat doch auch später noch die Mehrzahl der Griechen lieber durch den
') Jacobs, lieber einen Vorzug der grie-
eliiscben Sprache in dem Gebrauche ihrer
Mundarten, Yermiechte Schriften III 375 ff.
*) 8tnd). Vi p. 259: n^ioi di v6/4otg
^yy^nioif Xqrjaaa&ai nenicxBvfjiiyoi Biüiv sc.
ol AoxQol ol 'ETiiCefpvQtoi,
') Archilochos fr. 89 erwähnt bereits die
axvtttXrjy den um einen Stab gewickelten
Lederriemen zum Behufe brieflicher Mit-
teilung.
16
Qrieohisohe Litteratargeschiohte. I. KlaMisohe Periode.
Vortrag von Rhapsoden und den Gesang von Chören als durch das Lesen
von Büchern die Werke der alten Dichter kennen gelernt. — Die Schrift
haben die Griechen nicht selbst erfunden, sondern aus der Fremde,
von den Phönikiern herübergenommen, und dieses zu einer Zeit, als die-
selbe bereits durch eine jahrhundertlange Entwicklung aus einer ursprüng-
lichen Bilderschrift zu einer Lautschrift sich umgestaltet hatte. Die Grie-
chen waren sich, wenn sie auch nebenbei den Palamedes als Erfinder der
Schrift priesen, des fremden Ursprungs dieses wichtigen litterarischen Hilfs-
mittels wohl bewusst, indem sie die Buchstaben, wie Herodot 5, 58 be-
zeugt, ^oivixr;ia ygafifiava nannten.^) Die Zeichen der Schrift müssen
bereits im 10. Jahrhundert recipiert worden sein;^) der Gebrauch der
Buchstaben zur Niederschrift ganzer Dichtungen erfolgte erst einige
Jahrhunderte später. Bei Anfertigung von Büchern gebrauchten die
Griechen ebenso wie die alten Perser das imförmliche Material von
Ziegen- und Schafhäuten {iig>&€Qai).^) Seit Psammetich (656—617) kam
infolge der zunehmenden Erleichterung des Verkehrs mit Ägypten der
Bast der Papyrusstaude (ßvßlog) fast ausschliesslich zur Anfertigung von
Rollen in Verwendung, bis um 200 v. Chr., zunächst in Pergamon, wieder
das besser präparierte Pergament dem Papyrus Konkurrenz machte.
Aus dem Abschreiben von Büchern entwickelt sich dann zur Zeit des
peloponnesischen Krieges, zuerst in Sikilien und Athen ein lebhaft be-
triebener Buchhandel, der zugleich die Anlage von Bibliotheken er-
leichterte.*) Doch damit sind wir unwillkürlich in viel jüngere Zeiten
gekommen; kehren wir also wieder zurück zu der Zeit, wo es noch keine
Bücher gab und alle Schöpfungen des Geistes auf mündliche Fortpflanzung
angewiesen waren.
13. Vorhomerische Poesie. An der Schwelle der griechischen
Litteratur stehen zwei Dichtungen unerreichter Grösse und Vollendung,
die nias und Odyssee des Homer. Der Dichter, der so grosses und voll-
endetes schuf, der mit solcher Leichtigkeit und Meisterschaft die Sprache
handhabte, kann nicht der erste gewesen sein; er muss, auch wenn er
nicht die ganze üias und Odyssee, sondern nur einzelne Gesänge derselben
gedichtet hat, eine ganze Reihe von Vorgängern gehabt haben, durch die
erst der sprachliche Stoff geformt und der Boden geebnet wurde, auf dem
sich der stolze Bau der grossen homerischen Dichtungen erheben konnte.
Zunächst leuchtet ein, dass die Litteratur nicht mit grossartig angelegten,
in behaglicher Breite sich ergehenden Werken begann, dass denselben
vielmehr eine Periode kurzer Erzählungen und kleiner Heldenlieder voraus-
^) Die weitere Bestätigung liegt in den
Namen der Buchstaben, der Reihenfolge und
der Form derselben; s. Kibchuoff, Studien
zur Geschichte des griechischen Alphabets,
4. Aufl., Berlin 1887.
*) So Ed. Meyer, Geschichte des Alter-
tums II 380. — Dass die Kyprier ihre von
der der übrigen Griechen abweichende Syl-
labar-Schrift nicht von den Phönikiern ent-
lehnten, macht Meister, Griech. Dial. II 130.
plausibel. — Auch bei den Mykeneem hat
man den Gebrauch von Schriftzeichen ver-
mutet, aber diese sind sehr unsicher und
jedenfalls für die Litteratur ohne Bedeutung.
') Herodot 5, 58; vgl. Blass, Palfto-
graphie im Handbuch der Altertumswissen-
schaft I 2', 333 ff. Auch die Aegypter ge-
brauchten vor dem Papyrus Leder zum
Schreiben.
*) BiRT, Das antike Buchwesen in seinem
Verhältnis zur Litteratur, Berlin 1882.
A. Epofl. 1. Elemente und Vorstafen der grieohisohen Poesie. (§§ 13— H ) 17
ging. Die homerischen Gedichte tragen noch die deutlichsten Spuren jener
alteren Sangesübung an sich, ja sie haben zweifellos viele jener älteren
kleinen Lieder in ihren neuen Rahmen aufgenommen. Sodann sind dem
altionischen Grundton des homerischen Dialektes viele ältere Formen, wie
Genetive auf oio und acor, Instrumentale auf 9)^, Infinitive auf fisvM^ bei-
gemischt, die nach Äolien und zum Teil über das äolische Eleinasien
hinaus weisen und in die homerischen Gedichte nur aus älteren, nicht-
ionischen Dichtungen gekommen sein können. Ebenso macht es die Form
des heroischen Hexameters wahrscheinlich, dass er nicht das älteste und
ursprüngliche Yersmass der Griechen war, sondern erst aus anderen For-
men hervorgegangen ist. Die Zusammenfassung von 6 Füssen zu einem
Vers ist für einfache Zeiten und volkstümliche Lieder zu gross, und die
bei Homer vorherrschende Cäsur nach dem 3. Trochäus in Verbindung
mit Resten asynartetischer Zusammenfügung der beiden Elemente, wie in
dXX' äxhovaa xdt^rjco, \ €f.i(^ d'ininsid^eo fivi^(i) (A 565),
rvv aye vija fjiäXaivav j fS€Qvaaofi€v tig dXa 6Tav (A 141)
lasst uns vermuten, dass der Hexameter erst aus der Vereinigung zweier
kleineren, ehedem selbständigen Tripodien entstanden ist, dass also der
epischen Poesie mit ihren langen Zeilen eine andere vorausging, die kür-
zere Verse liebte und sich demnach mehr dem Charakter der lyrischen
Poesie näherte. Der Annahme von dreifüssigen Verselementen ist aber
nebst dem deutschen Nibelungenvers insbesondere die Analogie des latei-
nischen Nationalverses günstig, da auch der Saturnius sich in 2 Tripodien
zerlegt und, vom Umfang der Senkungen abgesehen, sich nur dadurch
vom griechischen Hexameter unterscheidet, dass in ihm die Glieder mit
und ohne Auftakt in umgekehrter Reihe aufeinander folgen:
malum dabunt Metelli \ Naevio poetae
Tov d'cog ofir iv6i]<ssv \ ^AXä^avÖQoq d^soeidr.q,
14. Zu der an die Form der ältesten Poesie anknüpfenden Erwä-
gung^) kommt noch eine andere aus dem Inhalt geschöpfte hinzu. Die
homerische Poesie entstand in Kleinasien, in den vom europäischen Fest-
land ausgegangenen Kolonien. Die Verhältnisse 'des wohlhabenden, mit der
reichen Küstenentwicklung in den Weltverkehr hinausreichenden Landes
und die befruchtende Nachbarschaft der älteren Kulturvölker Phrygiens,
Lydiens und Lykiens mochten hier der aufstrebenden Entwicklung beson-
ders günstig gewesen sein.*) Aber soll das Mutterland den Auswan-
derern nur den kräftigen Arm und die nautische Geschicklichkeit, nicht
auch den Samen höherer Kultur und mit den religiösen Ideen und Bräu-
chen nicht auch einen Schatz heiliger Gesänge und volkstümlicher Lieder
mitgegeben haben? Das werden wir von vorneherein nicht leicht be-
') Bkbgk, üeber das ftlteste Versmass der
Griechen, Kl. Sehr. II 392 ff.; Usenisk, Ali-
griechischer Versbau, Bonn 1887, der über-
blies den Versuch wagt» die Tripodien auf
nreprüngliche Tetsrapodien zurückzuführen;
Allih, Ueber den Ursprung des hom. Vers-
masses, in K. Z. XXIV 556 ff.
') Olympos, der halbmythische Flöten-
spieler, war ein Phrygier; Hanpttonarten der
Griechen waren die phrygische und lydische;
lykische Baumeister bauten die alten Burgen
der Achfter in Argos und Mykenä.
Bandboch der klaw. Altertnmawiciienflchaft. VII. 8. Aufl.
lg Orieohisehe Litieratargeeohichte. L Klassische Perlode.
zweifeln woUen; aber wir brauchen uns nicht mit blossen Wahrscheinlich-
keiten zu begnügen; wir haben bestimmte Zeugen einer aus der europäi-
schen Heimat mitgenommenen Poesie. Die Thaten der Ilias spielen sich
wohl auf asiatischem Boden ab; aber daneben klingt durch Ilias und
Odyssee ein reicher Nachhall von thebanischen, thessalischen, argivischen
Sagen, und diese haben alle einen solchen Zauberklang, dass man auch
für sie nicht die trockene Fortpflanzung durch Erzählungen von Bauern,
sondern die Verklärung durch den Zaubermund der Poesie voraussetzen
darf. Und wo thronen die Götter, wo singen die Musen zur Phorminx
des Apoll? auf dem Olymp, i) dem hochragenden Berge Thessaliens. Hier
in Thessalien, an den Abhängen des Olympos, im romantischen Thale des
silbersprudelnden Peneios werden wir auch mit Zuversicht die Wurzeln
der griechischen Poesie suchen dürfen. Wir dürfen also nicht mit Homer
die griechische Litteraturgeschichte beginnen, wir müssen weiter hinauf-
steigen zu ihren Anfängen in dem europäischen Festland.
Von diesen Anfilngen der griechischen Poesie und dem Inhalt der alten
vorhomerischen Lieder können wir uns wesentlich nur aus dem, was die
homerischen Gesänge uns lehren, eine Vorstellung machen. Denn die
überlieferten Namen der alten Sänger und die Erzählungen von ihrem
Leben sind nur geeignet, uns in die Irre zu führen, einmal weil mehrere
der Personennamen, wie Lines, Musaios, Eumolpos, erdichtet sind, und
dann weil auch an echte Namen, wie Orpheus, sich Vorstellungen aus
Verhältnissen späterer Zeit angeschlossen haben. Das aber lässt sich un-
schwer erkennen, dass die ältere vorhomerische Poesie eine doppelte war,
eine hieratische, die hauptsächlich in Anrufungen und Verherrlichungen
der Götter bestand, und eine mythische, die von den Geschicken der
einzelnen Stämme und ihrer Königsgeschlechter handelte.
15. Hieratische Anfänge der Poesie. Die ersten Anfänge der
griechischen Poesie gingen aus dem Dienste der Musen hervor. Die Musen
selbst,*) die wie alle Götter der alten Zeit in quellreichen Hainen verehrt
wurden, 8) hatten ihre ältesten Sitze am Olymp in Thessalien und am Helikon
in Böotien.*) Vom Olymp und Pierien, wo sie an der Quelle Pimpleia und
in der Grotte von Leibethron wohnten, hatten sie die Beinamen 'OXv/n-
niiiSfg und UiegfSsg, und dass dort ihr ältester Sitz war, zeigt sich auch
darin, dass Hesiod, der böotische Sänger, neben dem neuen Beinamen ^EXixw-
vidSfg noch jene alten beibehielt. Diener der Musen waren in grauer Vorzeit
*) Allerdings heissen erst im jungen stelle Paus. IX 29, 2 ; nach ihr hiesaen die
Schiffkatalog die Musen 'OXvfjinuidtg Movata | drei alten Musen Mektitj^ Afytj/At^, 'AoiJ^,
(B 491), aber auf dem Olymp, im Hause I was auf die Zeit hinweist, wo bei dem Mangel
des Zeus, singen sie schon ^ 604 und Movaat I schriftlicher Aufzeichnung die Oedächtaiis*
VXvjuTiift ifuifinr^ e/orcrat heissen sie schon
^218, ^508, i7 112. Dass aber "OAr^/iof
im echten Homer nicht die verblasste Be-
deutung , Himmel, Götterwohnung *, sondern
die konkrete eines Berges in Thessalien hatte,
bemerkte bereits Aristarch; die Echtheit der
Verse Od. C 42 — 7, in denen eine verwa-
schenere Bedeutung hervortritt, ist zweifel-
haft.
') lieber die Zahl der Musen Haupt-
übungen eine Hauptsache waren; die Zahl
von neun Musen zuerst Od. ai 60.
») Bekgk, Gr. Litt. I 320 will g^eradezu
die Musen mit den Nymphen identifizieren
und ihren Namen auf lydisch fotiv ' rö vöio^
(Hesych.) zurückfahren. Eher liesse ich es
mir gefallen, .zu dem partizipialen juovaM das
Nomen yvfiqai in dem Sinne .sinnende Mftd-
chen* zu ergänzen.
*) Paus. IX 29; Strab. p. 410 u. 471.
A. Spofl. Elemente und Voretafen der grieohisohen Poesie. (§ 15.)
19
die sogenannten thrakischen Sänger, die in Pierien, Böotien und Phokis
ihren Sitz hatten.^) Namen solcher thrakischen Sänger sind uns viele
überliefert. Der gefeiertste derselben war Orpheus. Als seine Heimat
galt Pieria am Olympos;*) dort an alten Sitzen orphischer Verehrung,
in Pimpleia, Leibethron, Dion zeigte man sein Grab.^) Die Sagen,
dass er, ein Sohn der Muse Kalliope, mit seinem Saitenspiel die Bäume
und Felsen nach sich gezogen habe, dass er in die Unterwelt hinab-
gestiegen sei, um seine Gemahlin Eurydike zurückzuholen, dass er
als Sänger an der Argonautenfahrt teilgenommen habe und schliesslich
von ekstatischen Frauen zerrissen worden sei, haben seine Person so in
mythisches Dunkel gehüllt, dass Aristoteles nach Cicero de nat. deor. I 38
seine Existenz förmlich leugnete^) und in kritischen Kreisen früh-
zeitig die Echtheit der unter seinem Namen umlaufenden Gedichte be-
stritten wurde. ^) Wahrscheinlich war Orpheus Repräsentant des Zagreus-
oder Dionysoskultus und rühren die ihm beigelegten Verse von jüngeren
Anhängern jenes im 6. Jahrhundert zum Geheimdienst umgestalteten, mit
dem Unterweltsglauben eng verbundenen Kultes her.^) — Als Schüler des
Orpheus galt Musaios;') er war von Pierien am Olymp mit den Thrakern
nach Böotien an den Helikon gewandert (Strab. 471) und hatte in Athen
sein Grab gefunden (Paus. I 25, 7); er und sein Sohn Eumolpos sind mit
dem eleusinischen Geheimdienst der Demeter enge verknüpft. Die von
den Musen und dem Gesang gebildeten Namen der beiden Sänger erwecken
wenig Vertrauen auf die persönliche Existenz ihrer Träger. Pausanias
I 22, 7 verwirft alle damals umlaufenden Gedichte des Musaios mit Aus-
*) Solche Thi-aker finden wir in Phokis
bei Thuc. II 29, im böotischen Anthedon bei
Ljkopbron 754 und Steph. Byz., in Delphi
beiDiodor XVI 24; im übrigen s. 0. Möller,
OrchomenoB 379 ff.; Bode, Hell. Dichtk. I
99 ff. Unterschieden werden sie von den
Hstorischen Thrakern von Thuc. 11 29. Die
Späteren folgten der seit Euripides verbreiteten
AJusehaunng von der Identität der thrakischen
Sänger und des barbarischen Yolkes der Thra-
ker; daher die Sage, dass die Leier des Orpheus
TOD der thrakischen EtLste nach Antissa auf
Usbos, der Vaterstadt des Terpander, ge-
acbwommen sei; siehe Stob. Flor. 64, 14;
Bode, Hell. Dicht. 1 143 ff. Riese, Jahrb. f.
kL Phü. 1877 S. 225 ff Aus 11. / 5 suchte
man, wie Strabon p. 28 lehrt, abzunehmen,
dass Homer Thrakien vom Hellespont bis
nach Thessalien reichen liess. Nach den
Tbrakem in Phokis und Böotien Ifisst irrig die
atamnivenrandten nördlichen Thraker be-
nannt sein Kbbtzscbmeb, Einleitung in die
Gesch. der griech. Spr. 171 u. 242.
») Eur. Bacch. 561 ff. (vgl. Ale. 967 ff,
Blies. 944); ApoU. Arg. I 23 ff.; Paus. IX 30.
*) Paus. IX 30; nach Dion liess man
die Gebeine des Orpheus gebracht sein, nach-
dem dort zur Zeit des makedonischen Königs
Aichelaos mnsische Agone eingerichtet waren.
^)Vg]. Suidas: 'O^evs *0&^af]g iiionoiog.
Jiovvaiog Sk rovToy ovS^ yeyoysyat Xs'ysi.
^) Piaton als ältester Zeuge führt Ptot.
316 d teXerdg xal x9V^f^H^^^«Si Crat. 402 b
(vgl. Legg. IV p. 715 d und dazu die Scholien;
femer Phileb. 66 c, Phaed. 69 c, Ion 536 b) zwei
kosmogonische Verse von Orpheus an; s.
LoBBCK, Aglaoph. 529 ff.; 0. Gruppe, Die rhap-
sodische Theogonie und ihre Bedeutung inner-
halb der orphischen Litteratur, Jahrb. f. Phil.
Suppl. 17 (1890) 687—747. Die unter Orpheus
Namen auf uns gekommenen Gedichte '^^-
yoyavtixd, Ai^ixa, vfjtvoi, sind Fälschungen
aus der Zeit n. Chr. und werden unten im
Kapitel von den Orphica § 587 zur Sprache
kommen. Ueber die Unechtheit der übrigen
Orphika und über Orpheus selbst brachte
zuerst Licht Lob eck, Aglaophamus (Regim.
1829) lib. II p. 233 ff. — Der Name 'Qg^evg
ist alt und stimmt, wie schon Lassrn, Ztschr.
für Kunde des Morgenlandes III 487 bemerkt
hat, lautlich genau zu vedisch Ribhus, womit
die göttlichen Künstler im Veda bezeichnet
wurden.
«) Maass, Orpheus, München 1895, be-
sonders S. 76 ff. Diener des Apoll hingegen
war Orpheus den Aelteren, Pindar P. IV 176
und Aischylos in den Bassariden.
') Suidas: MovaaTog fia^rjxfjg 'ÖQffimgy
fittXXoy d^ TTQSüßvreQog • ijx^atle ydq xatd
toy devTCQoy Kixqona,
2*
20
Qriechisohe Litteratnrgesohiobte. I. Klassisohe Periode.
nähme eines einzigen auf die Demeter fUr die Lykomiden gedichteten
Hymnus. 1) — Mit dem Demeterkultus in Attika stund auch der alte Hymnen-
dichter Pamphos in Verbindung, der nach Pausanias VIH 37, 6 vor Homer
lebte und verschiedene Hymnen, darunter auch solche an Eros (Paus. IX
27, 2) dichtete. — Der jüngste der thrakischen Dichter war Thamyris
(oder Thamyras), dessen Blendung durch die Musen, die er zum Wett-
gesang herausgefordert hatte, der Dichter des Schiffskataloges (IL B 595)
erwähnt») Er wird von dem Scholiasten und Suidas ein Sohn des Phi-
lammon genannt, dem die Tradition für den Tempeldienst in Delphi eine
ähnliche Bedeutung wie dem Musaios für den in Eleusis beilegte.^) Am
ehesten ist bei ihm an eine bestimmte Dichterpersönlichkeit zu denken, mit
der man dann jedenfalls über die Zeit des Schiffskataloges oder über den
Schluss des 7. Jahrhunderts hinaufgehen muss.
Nach einer anderen Richtung weist uns Ölen aus Lykien, dem Pau-
sanias VIII 21, 3 die ältesten Hymnen, darunter einen an die Eileithyia zu-
schreibt, und auf den Herodot IV 35 die alten in Delos gesungenen Hymnen
zurückführt.*) Pausanias X 5, 7 macht den Ölen zu einem Hyperboreer
und berichtet, dass nach den einen dieser Ölen, nach andern Phemonoe,
die Prophetin in Delphi, den Hexameter erfunden habe.*) Sehen wir von
dem Ursprung aus dem Lande der Hyperboreer ab, der ohnehin erst nach
Aristeas aufgebracht sein kann, so scheint Ölen Vertreter des aus Lykien
stammenden Apollodienstes zu sein und mit der Einführung der Kreter in
den delphischen Apollodienst zusammenzuhängen; er war demnach kaum
vor dem 7. Jahrhundert in Griechenland bekannt geworden, ß)
Lines war nachweislich keine individuelle Person, sondern nur Re-
präsentant einer alten Liedweise. Denselben machten zwar der Historiker
Charax bei Suidas und der Verfasser des Agon zu einem Ahnen des Or-
pheus und somit auch des Homer;'') aber trotzdem uns auch noch Verse
unter dem Namen des Lines durch Stobaios aufbewahrt sind und man
sein Bild in einer Grotte am Helikon zeigte,®) kann es doch nicht zweifel-
haft sein, dass es nie einen Dichter Lines gegeben hat, und dass ihn nur
die Mythenbildner aus dem Verse der Ilias 2 570 l/nsgoev x^d^ägi^e^ Xhov
1) Aristoteles PoHt. VIII 5 p. 1339»* 22
führt aus Musaios den Halbvers ß^oroi^ rj6ia-
Toy (ieidsiy an. Im 3. Jahrhundert n. Chr.
treffen wir auf einer eleusinischen Inschrift
CIG 401 einen Hierophanten og xeXerag
avBfftjve xal ogyi« ntiyyv/a fjtvaxaig EvfioX-
7701' TiQoxetJjy Ifnegoeaaay ona.
*) Die Blendung Iftsst Homer bei dem
Städtchen Dorion in ELis geschehen; wahr-
scheinlich aber nannte die alte Sage Dotion
in Thessalien, wohin die Verbindung mit
Oichalia weist; s. Steph. Byz. u. Juiiioy, und
NiESK, Der hom. Schiffskatalog 22. Verse
des Thamyris erwähnt Piaton Ion 533 b und
Legg. 829 e.
') Eusebius setzt den Philammon 1292
V. Chr.; nach Pausaniaa X 7, 2 folgte Phi-
lammon selbst auf Chrysothemis aus Kreta.
Erwähnt ist Philammon zuerst in einem neu-
aufgedeckten Vers des Hesiod: rj (seil. 4>i'
I Xo}yig) xiney JvroXvxoy j€ ^tXafji^ovd re
xXvtoy avdijy. Vgl. Schol. ad Od. r 432.
*) Nach Kallimachos hymn. IV 304
scheint man damals noch in Delos einen
NomoB des Ölen unter Tanzbegleitung ge-
sungen zu haben.
^) Nach andern galt Orpheus als Erfinder
des Hexameters; s. Lobeck, Aglaoph. II 233.
®) Auch von Melanopus in Kyme, den
die Logographen in das Ahnenstemma des
Homer und Hesiod aufnahmen, hatte man
nach Paus. V 7, 8 Hymnen. Im übrigen lese
man die Hauptstelle für diese alten hiera-
tischen Dichter aus Heraklides Pontikos bei
Plut. de mus. 3.
^) Die Stammtafel gibt Sbnobbüsch, Dies.
Hom. prior p. 159.
») Paus. IX 29, 6; nach Paus. II 19, 8
befand sich in Argos sein Grab; bei Suidas
heisst er XaXxnfevg. Vgl. Flacb, Gr. Lyr. 1 5 ff.
A. Epo0. 1. Elemente and Vorstnfen der griechisohen Poesie. (§ 16.) 21
d' vno xalov auSe seil. na7<; herauslasen, indem sie das Wort Xivov in
dem Sinne eines Eigennamens fassten.^) Angeblicher Schüler dieses Lines
war der oben schon genannte Pamphos.
16. Bei dem heutigen Stand der kritischen Forschung bedarf es nicht
erst langen Nachweises, dass nicht bloss sämtliche Verse, die unter den
Namen jener hieratischen Dichter auf uns gekommen sind, sondern auch
alle diejenigen, welche die Alten kannten, von jüngeren Fälschern her-
rühren. Das Richtige sah bereits der Vater der Geschichte, der sonst
so leichtgläubige, in litterarischen Fragen aber sehr richtig urteilende
Herodot, indem er II 53 sagt: oi nqoteQov notr^xal Xsyofievoi tovtcov tcov
avigdv (Ofjir^Qov xal ^HaioSov) yaväGx^ai^ vatsQov i/ioiys ioxäeiv sy^rorTO,^)
Später hat dann ein sonst nicht näher bekannter Gelehrter Epigenes, der
nach Harpokration unter "/wv vor Kallimachos gelebt haben muss, in einer
Schrift 7r€Ql %rjg sig 'Oq^psa ävag)€Qo^ävrjg Ttoir^aawg^) die überlieferten Ge-
dichte einzeln geprüft und den grösseren Teil derselben dem Schwindler
Onomakritos zugeschrieben, der nach Herodot VII 6 von dem Musiker
Lasos aus Hermione über der Fälschung von Orakelsprüchen des Musaios
ertappt worden war. Es drücken sich daher auch die guten Autoren, wo
sie von Gedichten des Orpheus und jener alten Sänger sprechen^ mit zwei-
felnder Vorsicht aus, wenn sie nicht geradezu den Namen des Orpheus
durch den des Onomakritos ersetzen.*) Aber wenn wir uns auch bezüg-
lich der apokryphen Litteratur ganz dem ablehnenden Urteil der alten
und neuen Kritiker anschliessen, so muss doch daran festgehalten werden,
dass es vor Homer eine ältere Periode hieratischer Poesie gegeben hat,
deren Andenken in Thessalien, Böotien und Attika fortlebte und an die
jene Fälschungen der seit dem 6. Jahrhundert auftauchenden Sekte der
Orphiker anknüpften. Homer und Hesiod schweigen allerdings, wenn wir
von der Stelle des jungen Schiffkataloges B 595 und den zweifelhaften
^) Der Vers steht in der jungen Schüd-
beBchreibnng im Abschnitt von der Wein-
lese. Linos als personifizirter Klagegesang
erBcheint schon bei Hesiod fr. 132; s. Garm.
pop. 2. Es war aber die Linosmelodie orien-
talischen Urspnings und nach Herodot II 79
(vgl. Pans. IX 29, 7) über Phönikien, Kypros,
Aegypten (vgl. Plutarch de Iside 17) yer-
breitet; s. Bbdgsch, Die Adonisklage nnd das
Linoslied, Berlin 1852; 0. Gruppe, Die griech.
Kulte und Mythen I 543 ff.; Wilaxowitz zu
Eur.Herc. II 119ff.
') Ebenso Joseph, c. Ap. I 2: oXfos
nttQa TOff 'yUXrjciy ovökv ofJtoXoyovfXSVov
tvQiifjieTai r^g 'Ofiij^ov noitjaetog ngeaßv-
UQoy, Sext. Emp. adv. granim. I 20, 3:
yag ovöky ngeaßvZBQoy fjxey eis Vf*"^ ^^^
txiiyov fioiijaeiof, Schol. DionjB. Thrac. p. 785
Bekk.: ei xai UnoQovoi riyeg noirftdi ngo-
ytyey^ird'ai *Ofiijgov Movoaloy re xal 'Ogtp^a
tat Aiyoy, d3iX' ofitog ov&ky rtgecßvtegoy r^s
*Üui6of xal 'Odwscelag ffti^eif&ai noLrjfia ' dXX*
igu ug, ntäg; inei ygaufiata ato^oytat ngeü-
ßvreQa; xai fpafdey ort t« fjiiy rovtaty i\pev~
Ofjiiyovg l/ovfTi xovg XQ^^^^^i ^^ ^^ vetaxiqtay
riytov ixoyTuiy ofKoyv/niag Xüiy naXaicay rag
hnyqatpdg e^ovat. Das war eben die Mei-
nung Aristarchs und der alexandrinischen
Kritiker.
8j Clem. Alex, ström. I p. 397 u. V p. 675 P;
▼gl. LoBBOK, Aglaophamos p. 340 f.
^ *) Aristot. de an. gen. II 1 p. 734«» 19: iy
rofV xaXov/Lisyotg "OQffitag tneaiy, ebenso de
an. I 5 p. 410^ 28, und dazu Philoponos:
ineidtj /4ij doxet 'Ogtp^tog elyai rd etiij, vig
xal avrog iy roTg negl fpiXuaofflag Xiyei '
avxov fÄ^y ydg eiat td öoy^ata, xavxa ^i
qifiaty uyojudxgixoy iy eneat xaxaxelvai Sext.
Empir. p. 126, 15 und 462, 2 B. sagt schlecht-
weg 'OyofidxQixog iy xotg *OQ(pixoTg. Weder
Zweifel noch Zustimmung enthält der Aus-
druck Piatons de rep. II p. 364e:^ ßlßXmy
ofnadoy Trflrp^/oiTffr» Mowraiov xai 'Ogtp^tog.
Der Sophist Hippias scheint nach Clemens
Alex. Strom. VI p. 745 die Echtheit der Ge-
dichte des Orpheus und Musaios nicht be-
zweifelt zu haben; s. Lob eck a. 0. 336 f.
22 Grieohisohe LitteratnrgeBohichte. I. KlaBsisohe Periode,
Versen des Hesiod fr. 132 absehen, von jenen älteren Dichtern, aber das
darf nicht allzuhoch angeschlagen werden; die neue Richtung des epischen
Heldengesangs stand so hoch über jenen hieratischen Anfängen und war
von ihnen so grundverschieden, dass ihre Vertreter leicht jene älteren
Sänger völlig ignorieren konnten. Sicher aber kannte Homer Päane, die
unter Tanz und Gesang zur Versöhnung des Gottes Apoll gesungen wurden
{A 473. X 397), und machen es auch allgemeine Erwägungen wahrschein-
lich, dass dem Heldenepos eine ältere Poesie von hieratischem Charakter
voranging: auch in Indien gingen dem Mahabharata die Veden voraus;
auch in historischer Zeit noch war Thessalien Hauptsitz der religiösen
Zaubersprüche; der daktylische Hexameter eignete sich wegen seiner gra-
vitätischen Länge und seines feierlichen Rhythmus vorzüglich zum hei-
ligen Lied und kitharodischen Nomos,^) während derselbe für die erzäh-
lende Poesie des Heldenepos zwar nicht unpassend, aber doch keineswegs
ausschliesslich geeignet war; vollends die Begleitung einfacher Erzählungen
mit dem Saitenspiel der Phorminx war eine fast unbequeme und deshalb
früh aufgegebene Erbschaft aus der älteren Poesie, in der, wie in den
Götterhymnen, das lyrische Element vorherrschte. Wenn sich endlich die
Götter mit ihren Beinamen so ganz ungezwungen dem daktylischen Rhyth-
mus fügen, wie (PoTßog ^AnoXXcoVy Movaa Xiyeia^ q)iXo^^€iSrjg 'A(pQoitTrj,
yceiijoxog ^Evvoaiyaioq^ Zev %6 ndxeq xai *A&r]vair] xal ^AnoXXwv, und wenn
sich gerade unter den heiligen Formeln so viele Spuren älteren Sprach-
tums, wie noTvia lEfpij, vsfpeXriyeQsza Zsvg^ iXa xß-edcav, SotrJQeg sdaiv, "Ep-
fietag axccxr^ra, SidxtOQog 'AQyeiipovtiqg^ xviiaTJj Tgiroyäreia^ jYiiirjtsQog oxti^',
X&ova ßü)tidv€iQav, rjego^otrig *EQivvg finden, so dient auch dieses zur Be-
stätigung dessen, worauf uns die alte Überlieferung mit Fingern hinweist.
Es bewahrte aber auch in der Folgezeit die griechische Poesie etwas von
jenem heiligen Charakter ihrer Anfänge. Auch Homer und Hesiod be-
trachteten sich als Priester der Musen und in dem religiösen Kult wur-
zelte wie die chorische Lyrik so die ganze dramatische Poesie. Insbe-
sondere verschmähten zu aller Zeit gerade die besten der griechischen
Dichter den blossen Sinnenkitzel, sie wollten den Lesern und Hörern nicht
bloss einen vorübergehenden ästhetischen Genuss bereiten (^'vxccY^Y^''^')^
sondern auch sittigend und belehrend auf ihr Volk einwirken.«)
17. Anfänge der Sagenpoesie. 3) Über jenen beschränkten Kreis
von religiösen Anrufungen und Gesängen traten die Dichter hinaus, als
sich im heroischen Zeitalter ein lebhafter Thatendrang der Nation be-
mächtigte und die Wanderungen der Stämme zu heftigen Kämpfen und
mutigen Wagnissen führten. Die Kämpfe jener ritterlichen Helden, die
Ruhmesthaten der einzelnen, wie die gemeinsamen Unternehmungen zu
Land und zu See boten der Sage reiche Nahrung, wobei es bei dem
^) Orpheus wird mit der Leier darge-
stellt; ebenso spielt Thamyris die^ Kithara,
und heisst es bei Hesiod nr. 132 äotdol xal
eben, Brannschweig 1852; Müllenboff, Dent-
scbe Altertumskunde I 8—73, wo indes all-
zusehr die phönizische Sage als Grundlage
xi&ttQicrai. ' der griechischen betont ist; Usener, Der
') Vgl. Aristoph. Ran. 1009. 1080 ff. I Stoff des griechischen Epos, Sitzb. d. Wiener
») G. W. NiTzscH, Sagenpoesie der Grie- Ak. 1897.
A. Epos. 1. Elemente und Vorstiifeii der griechischen Poesie.
17-18.) 23
mythenbildenden Zuge der Zeit nicht fehlen konnte, dass die historischen
Thaten und Persönlichkeiten durch Hereinziehung verwandter Erzählungen
und Niederschläge der Göttermythen erweitert und ausgeschmückt wurden.
Schon auf dem Festland hatte sich auf solche Weise ein Hort von Mythen
gebildet; er ward wesentlich bereichert, als im 11. und 10. Jahrhundert
vor unserer Zeitrechnung^) infolge des Vordringens thessalischer Völker-
schaften nach Böotien und der Wanderung der Dörfer nach dem Pelo-
ponnes die alten Bewohner der bedrängten Länder nach Eleinasien aus-
wanderten und dort unter mannigfachen Kämpfen neue Reiche und Nieder-
lassungen gründeten. Solche Sagen gestalteten sich von selbst bei einem
begabten Volke, das an Saitenspiel und poetische Sprache gewöhnt war,
zum Gesang, und der Gesang selbst hinwiederum verklärte die Sage und
gab ihr reichere Gestalt und festere Dauer. Das ganze Volk zwar dich-
tete nicht, immer nur ein einzelner gottbegnadeter Sänger schuf den
Heldengesang; aber indem jener einzelne Dichter nur die im ganzen Volke
lebende Sage wiedergab und sich in seinem Singen und Dichten mit dem
Volke selbst eins fühlte, ward sein Gesang zum Volksgesang und trat
seine Person ganz hinter dem volkstümlichen Inhalt seiner Dichtung
zurück. In solchem Sinne reden wir von einem Volksepos und verzichten
auf scharfe Scheidung von Sage und Epos. Bei den Griechen aber
kam so gut wie bei den Germanen, Indem und Spaniern jenes Helden-
epos in der Zeit zur Blüte, wo das Volk aus ruhmloser Vergangenheit
unter Kämpfen und Ruhmesthaten in das Halbdunkel seiner ersten Ge-
schichte einzutreten und seiner nationalen Stellung sich bewusst zu
werden begann.
18. Das heroische Epos ging naturgemäss von der Dichtung kleinerer,
balladenartiger Lieder aus, von denen wir Deutsche in unserem Hilde-
brandslied noch ein hübsches Beispiel haben. Der Dichter von solchen Liedern,
die wie vordem sich als Diener der Musen ausgaben, ^) gab es natürlich viele
vor Homer; ja es hat grosse Wahrscheinlichkeit, dass die Äolier und
Achäer schon aus ihrer europäischen Heimat derartige Heldenlieder mit
nach Asien brachten. Die Namen jener älteren Dichter sind uns unbe-
kannt; selbst der Phemios und Demodokos der Odyssee können, wenn sie
überhaupt historische Namen sind,^) nach den Gesängen, die sie vortrugen.
^) Die alten Chronologen Eratosthenes
und Apollodor setzten die Eroberung Troias
11S4, die dorische Wanderung 1104, die
Aoswanderong der lonier aus Attika 140
post Tr. oder 1044 v. Chr., was wir einfach
annehmen, wiewohl der Ansatz zu hoch ge-
griffen zu sein scheint, üeber den verschie-
denen Ansatz der Troika selbst s. Flagb,
€Shron. Par. p. X f.
<) Daher riefen sie die Musen im Ein-
gange an; der formelhafte Vers Bcnere yvy
fioi Moööai, *OXvfjinia doifjiaT* l/ovaort stammt,
wie das vorionische eaners und die Erwfth-
mmg des Olymp zeigt, ans alter, vorhome-
nseher'Zeit. Ihr Gesang gilt so als Einge-
bung der Gottheit; vgl. Od. q 518, x 347.
*) Demodokos, der blinde, gottbegeisterte
Sänger (^eToc «onfog Od. ^ 44, j' 28) der
Phftaken scheint eine hiBtorische Persönlich-
keit gewesen zu sein, da der Name nichts
Fingiertes an sich hat Misstrauen hingegen
erregt der Name des Sängers in Ithaka, Phe-
mios Terpiades, der, wie eine Abstraktion
von (prjfjiy «erfreuende Sage" aussieht. Jeden-
falls geht es nicht an, den Phemios zu einem
Ithakesier und zum Verfasser eines 'Axauay
vöifxoq zu machen, wie z. B. Bodb, Hellen.
Dichtk. I 207 that. In der Ilias übt den
Gesang auch einer der Helden, Achill 11. IX
186 ff.
24 Grieohisohe Litteratargesohiohte. I. ElasBisohe Periode.
nur als Repräsentanten der jüngeren Entwicklung des epischen Gesanges
gelten. Aber die Sagenkreise kennen wir durch die Epen, welche aus
ihnen den Stoflf nahmen, und durch die Andeutungen, welche Homer über
sie uns aufbewahrt hat. Sie waren geteilt nach den Landschaften, da fast
jede Landschaft ihre Stammeshelden und ihre sagenhafte Geschichte hatte,
so dass man von einem thessalischen,^) thebanischen, argivischen, elischen,
attischen, ätolischen, kephallenischen, kretischen Sagenkreis spricht. Die
Sagen der meisten Landschaften und Städte, wurden auf einen Stammes-
gründer zurückgeführt, wie die der Athener auf Kekrops, der Thebaner auf
Kadmos, der Argiver auf Danaos, der Peloponnesier auf Pelops, der Kreter
auf Minos. Diese Stammesgründer spielten aber keine Rolle in der alten
Sage, da ihnen meistens etwas Fremdes, die Herkunft aus Phönikien, Ägypten,
Phrygien, anklebte; statt ihrer traten in den Vordergrund des allgemeinen
Interesses und der volkstümlichen Erzählung die nationalen Helden und
die mächtigen Stammeskönige der Vorzeit wie die Atriden und Peliden
bei den Achäem, die Labdakiden bei den Thebanem, Theseus bei den
Attikern, Herakles bei den Doriern.^) Gelegenheit, die Helden und Könige
verschiedener Stämme zusammenzuführen, boten die gemeinsamen Unter-
nehmungen. Diese wurden recht eigentlich der Punkt, an welchem das
griechische Epos ansetzte, das griechische, dem von vornherein ein starker
Zug zur nationalen Gesamtheit eigen war. So wurden Lieblingsgegenstände
der Sage und des Heldengesangs die Kämpfe der Sieben gegen Theben
und die Einnahme der Stadt durch die Epigonen, ») die Fahrt der Arge
vom Hafen lolkos am pagasäischen Meerbusen nach dem Hellespont und
dem fernen Kolchis,*) der zehnjährige Kampf um Ilios, die Veste des
Königs Priamos. Diese grossen gemeinsamen Sagenkreise nahmen die
einzelnen Stammessagen in ihren Rahmen auf und führten von selbst über
den Horizont kleiner Einzellieder hinaus zu grossen Epen oder Lieder-
zyklen.
19. Der troische Sagenkreis. Von den verschiedenen Sagen-
kreisen erhielt im Verlaufe der Zeit der jüngste, erst in Asien infolge der
Kolonisation ausgebildete, der troianische, die grösste Beliebtheit. Er war
nicht bloss der neueste,^) er bot zugleich das meiste Interesse für die
Abkömmlinge der alten Geschlechter, da er mit den neuen Ruhmesthaten
>) Von der tiiessaliÄchen Sage wurden I ») ErwÄlmt IL J 378, 405 ff.; E 801 ff.;
insbesondere frOh besungen die Fahrt der i Z 222 ff.
Argonauten und der Efunpf der Lapithen ^) Od. fji 69 an ^iner jungen Stelle:
und Kentauren; auf die erstere geht Hom. • * " '
fi 69, auf den letzteren Hom. A 213—8 u.
Ps.Hesiod Scut. 178—190.
') Das Fremde und Einheimische ist
dabei cum grano saUs zu verstehen, da auf
der einen Seite Minos durch die Verwandt-
schaft mit skt. Manus, ahd. manisco sich als
indogermanisch erweist (er gehörte wohl zu den
^EreoxQrjre^ im Gegensatz zu den später ein-
gewanderten ^Axaioi und Jtogieeg Od. r 175)
und auf der anderen Herakles viele Züge des
phönikischen Melkart angenommen hat.
'Agyta naai fAiXovca, Die Ausdehnung der
Fahrt his nach Eolchis stammt natürlich
aus späterer Zeit. Auf die Argonautensage
geht auch die Stelle E 467 — 75 von Enenos,
dem Sohne des lason und der Hypsipjle,
femer x 137—9, fi 61—72, X 14—19, welche
Stellen jedoch zum Teil der Interpolation
verdächtig sind.
*) Was die Neuheit des Gesangs aus-
macht, deutet 'Homer Od. <x 351 an: ri/r
yaQ doiSrjv fjtäXkov inixXeiovo^ itV^itf/rM, 17
Tig axovovTBifCh reaTtirrj dfiKpiniXtixat,
A. Epos. 1. Elemente nnd Vorstiifen der grieohischen Poesie. (§ 19.) 25
der Äolier in Eleinasien die Erinnerung an die alten Geschlechter der
europäischen Heimat verband; er trat überdies früh mit seiner Verbreitung
über die ionischen Kolonien aus dem Rahmen einer äolischen Lokalsage
heraus, indem er auch die Helden der Achäer des Peloponnes, der lonier
Attikas und zuletzt selbst den dorischen Heraklessohn Tlepolemos an dem
Kampfe gegen Troia sich beteiligen Hess. Wie alle volkstümlichen Sagen,
so hatte natürlich auch die troianische einen historischen Hintergrund.
Derselbe bestand in den Siedlungen, welche im 11. Jahrhundert v. Chr. Äolier
aus Südthessalien und Böotien an der nordwestlichen Küste von Kleinasien
unternahmen. Die Griechen fanden hier eine ältere Bevölkerung vor, und
die neuen Ansiedler werden den Boden nicht ohne schwere Kämpfe den
alten Einwohnern abgerungen haben. Diese Kämpfe gaben der Sage und
dem Liede Stoff und wurden nach der alten berühmten Hauptstadt der
Landschaft, der Veste des Priamos, verlegt, wenn dieselben auch that-
sächlich um die von den Äoliern zuerst eingenommenen Inseln Lesbos und
Tenedos und die kleineren Städte am adramyttenischen Meerbusen statt-
gefunden hatten. Von dem wirklichen Schauplatz der Kämpfe haben sich
noch Andeutungen in Episoden der Ilias von den Unternehmungen des
Achill gegen Lesbos (/ 129) und die Städte . Lyrnessos, Pedasos, Chryse
{V 92. A 431) erhalten. In unserer Zeit hat man durch die Ausgrabungen
von Mykene Kenntnis von dem Hauptsitz einer älteren, der äolischen
Kolonisation um drei bis vier Jahrhunderte vorausgehenden Kultur Griechen-
lands erhalten; und da in der Ilias Agamemnon, der Heros Mykenes, Ober-
könig der Griechen ist, und da die Wagenkämpfe und Rüstungen der
troianischen Helden unverkennbare Ähnlichkeiten mit bildlichen Dar-
stellungen Mykenes haben, i) so lag es nahe, die troische Sage mit der
mykenischen Kultur und dem alten Reiche auf der Pelopsinsel in Verbindung
zu setzen. Der Verfasser der Geschichte des Altertums, Ed. Meyer II § 133,
hat diese Kombination gewagt, indem er die ganze troianische Sage aus
einem Heereszug peloponnesischer Fürsten oder des Königs von Mykene
und seiner Mannen hervorgehen Hess. Aber von einem alten Zug der
peloponnesischen Herrscher nach dem Nordwesten Kleinasiens wissen wir
absolut nichts, und der Hauptheld der Ilias ist nicht Agamemnon, sondern
Achill, der König der südthessalischen Äolier, wie auch in Aulis und nicht
in einer Hafenstadt des Peloponnes sich die Schiffe der Achäer zum Heeres-
zug nach Kleinasien sammeln.^) Wir werden also bei der alten Annahme
bleiben, dass nicht Unternehmungen der Mykenäer den Ausgangspunkt
der troischen Sage bildeten, sondern dass nur der Ruhm des altberühmten
Herrscherhauses von Mykene in die jüngere äolische Sage eingeflochten
wurde.
^) S. WoLFG. RsrcHRL, üeber homerische sondern ihessalische Argos verstanden habe,
Waffen, Abh. d. archftol. Sem. in Wien 1894. verfehlt ist. — Dass der Dichter auch einer
*) Gegen Ed. Meyer hat die alte An-
schauung von dem äolischen Hintergrund
der trojanischen Sage gut verteidigt F. Gaübb,
Grandnugen der Homerkritik, Leipz. 1895
8. 138, wenn auch seine Hypothese, dass
Homer unter Argos nicht das peloponnesische,
späteren Zeit noch Formen einer älteren
Kultur heihehalten konnte, hat mit Bezug auf
die mykenische und homerische Frage gut
ausge Ahrt Hblbio, Sur la question myc^nienne,
M^m. de Pacad. des inscr. 35 (1896) 291 ff.,
besonders p. 338.
26
Grieohisohe LitteratiirgeBohiohte. I. Klasaisohe Periode.
2. Homers Ilias und Odyssee.
20. Ilias. Aus dem troischen Sagenkreis sind die zwei grossen,
weltberühmten Dichtungen Homers hervorgegangen, die Dias und Odyssee,
von denen die eine kriegerische Scenen aus den Kämpfen vor Bios, die
andere friedliche Bilder der Seefahrt und des Lebens an den Fürstenhöfen
im Anschluss an die Heimkehr der Helden enthält. Der Name Ilias der
ersten Dichtung ist nicht ganz passend und stammt gewiss nicht von dem
Dichter selbst her. Die kleine Dias begann mit 'Ikiov aeiifo xal Jagiavir/v
€vnü)lov, und sie wird zuerst von jenem Vers den Namen Ilias erhalten
haben. Aber der Ruhm der Helden vor Uios knüpfte sich an das ältere,
grössere und berühmtere Werk, und so werden die Homeriden das kleine
Gedicht 'ihdg fjuxQa, das grosse des Homer hingegen 'iXidg schlechthin
genannt haben. In der That erzählt die Ilias nicht den ganzen zehn-
jährigen Krieg um die Veste Dies, sondern nur einen Teil aus dem letzten
der 10 Jahre, der sich um die Entzweiung des Oberkönigs Agamemnon
und des tapfersten Recken der Achäer, des Achill, gruppiert. Mit fir^tiv
aeide xß^ed IlißrjidSsü) Uxii-tjog hebt das Proömium der Dias an, und Mrjvig
'AxMrjog oder 'Axi^^ig wäre wohl auch das Gredicht überschrieben worden,
wenn es nicht in seinen Rahmen Gesänge aufgenommen hätte, welche
zwar auch den Zorn des Achill zur Voraussetzung haben, aber ganz dem
Preise anderer Helden gewidmet sind. Mit glänzender Meisterschaft aber
hat der Dichter nicht den ganzen Krieg zu besingen sich vorgenommen,
sondern nur eine Handlung desselben herausgegriffen,^) die sich in wenigen
Tagen (51)^) abspinnt und dem Ganzen einen einheitlichen Mittelpunkt
gibt. Diese eine Handlung ist aber dann auch, wie es Aristoteles verlangt,
vollständig besungen, so dass das Ganze Anfang, Mitte und Ende hat.
Ohne langweilige Orientierung über den Stand des Krieges und die Kämpfe,
die vorausgegangen, werden wir mitten in die Sache,*) in den Ausbruch
des Streites zwischen Achill und Agamemnon, hineingeführt. Mit der
Beilegung des Zwistes und dem, was davon untrennbar war, der Rache,
die Achill an Hektor, dem Überwinder seines Freundes Patroklos nimmt,
schliesst das alte Gedicht. Die Mitte umfasst die Leiden, welche der
verderbliche Hader den Achäem gebracht hat. Da aber der Nationalstolz
einem griechischen Sänger verbot, auch nur in einer Phase des Krieges
die Barbaren stets siegreich sein zu lassen, so werden der schweren
Niederlage der Achäer und dem Sturm auf das Schiffslager glänzende
Siegesthaten des Agamemnon, Diomedes, Aias gegenübergestellt, und um
die Handlung nicht allzu einfach verlaufen zu lassen und die Aussöhnung
des Achill zugleich aufzuhalten und zu motivieren, kommt zuerst Patroklos
mit den Myrmidonen des Achill den bedrängten Achäem zu Hilfe und
') Arist Poet 23: &$<miaio^ av (paysifj
"OfÄffQOs nagti jovs äXXovs rto fitj^k xov n6~
XefAov XttinsQ l/ovr« '^QXV^ ^''^ teXos inir-
XBiQrjCai Tioiety oXop ' Xlav ytiQ av fzfya xal
ovx Bvavvontoy ifieXXey eaea&ai ij no f4eyed€i
f4etQniCoy xaxanBitXByfjtfvov t^ noixiXitf * vvy
di iy fd^QO^ dnoXttßioy inetffodiotg xexQtjToi
TioXXolf,
') Zenodot rechnete 1 Tag weniger als
Aristarch, woranf mehrere Scholien gehen;
darüber Lachxank, Betrachtungen Aber Ho-
mers Ilias S. 90 ff.; Bbbok, El. Sehr. H
409 ff.
*) Trefflich erkannt von Horaz a. p. 148:
in medias res non seeus €lc notas audUorem
rapit.
A. £po8. 2. Homers lUas nnd Odyssee. (§§ 20—21.) 27
überwindet in der Brast des edlen Helden der Schmerz über den Fall des
Freundes den Groll über die schmähliche Zurücksetzung. Das sind die
Hauptzüge der Handlung, die dem Oeiste des Dichters von Anfang an
v?)r8chwebten; denn gewiss nicht ohne Vorbedacht lässt derselbe den Achill
schon im ersten Gesang A 240 drohen:
fj not' 'Axi^i'fjog no&ri l'^srai vfag 'Axaiwv
cvfiTiavTag • t6t€ d* ov %i Svvt](f€ai dxvvfji€v6g Tteg
XQ€eiafA€tv^ evt' av nolXol v(p' "Exxoqog dv3Qog>6i'oio
d^vfflxovtsg niTiTcoai.
Aber jene Hauptzüge sind nur die Angelpunkte der Handlung; reichere
Ausschmückung und Erweiterung brachte die Ausführung des Planes. Da
sind teils Episoden eingewoben, wie der Abschied Hektors von Andromache,
das nächtliche Kriegsbild der Doloneia, der Tod des Lykierfürsten Sar-
pedon, die Bethörung des Zeus, der Flusskampf, teils ist für einen weicheren
Ausklang des wilden Kampfgetümmels durch die Leichenspiele des Patro-
klos und die Lösung Hektors gesorgt, teils endlich ist die Haupthandlung
selbst durch die Einlage einer Gesandtschaft an den hartherzigen Achill
komplizierter gestaltet.^)
Nach der heutigen, von den alexandrinischen Gelehrten herrührenden
Einteilung zerfällt das Ganze in 24 Bücher oder Rhapsodien. Dieser Ein-
teilung liegt ein ganz äusserliches, von der Zahl der Buchstaben herge-
nommenes Motiv zu gründe, wodurch teils ganz Verschiedenartiges, wie
die Volksversammlung und der Schififkatalog, in einen Gesang zusammen-
geworfen, teils Zusammengehöriges, wie die Bethörung des Zeus {Jiog
aTtdrij) und ihre Folgen, in zwei Gesänge auseinander gerissen wurde. Dem
Plane des Homer und der Vortragsweise der Rhapsoden führen uns die
alten Namen der Ilias näher, von denen mehrere Älian V. H. 13, 14 er-
halten hat: td ^OfiTjQOV iTtrj tiqotsqov SirjQrjfiäva f^dov ot nalaioi ' olov eXs-
yov Tfiv eiri vavai fidxrjv (üf) xal JoXoivstdv rira (K) xal 'AQiCTSiav 'Aya^
fikfivovog {A) xal Necov xatdXoyov {B 484 — 760) xal HatQoxXeiav (H P) xal
Avr^a (Q) xal 'Eni JJaTQoxXti) at^Xa (^ 262 — 897) xal ^Oqxiwv d(pdnaiv
{J 1—222).«)
21. Odyssee. Der Name der Odyssee ('Orfvtro'««) kommt von Odys-
seus, dem Träger der Handlung her und ist wahrscheinlich durch den
ersten Vers des Proömiums "Av^Qa fxoi svvene Movaa noXvtgonov veran-
lasst. Aber eine Odyssee im vollen Sinne ist auch dieses Gedicht nicht.
Manches ist zwar aus dem früheren und späteren Leben des Helden ver-
mittelst der Kunst episodischer Einlage herangezogen, wie seine Verwun-
dung auf der Jagd bei seinem Grossvater Autolykos (r 392—466), die List
des hölzernen Pferdes (^ 491—520, (f 271—289), der Streit um die Waffen
des Achill (X 545-567), die Ausspionierung Troias (rf 242—264), der
friedhche Tod des Helden in hohem Alter {X 119—137), aber die Haupt-
erzählung dreht sich doch um nur eine Handlung, die Heimkehr des Odys-
^) Die Gesandtschaft des Baches i machte I fddxv des Baches S, notwendig,
mdenini die Einlage eines dritten nnglttck- | ') Näheres im 1. Kapitel meiner Pro-
hdi verlaufenden Schlachttages, die xoXog \ legomena zor Ilias.
28 GrieohiBche Litteratargeschiehte. I. Elassisohe Periode.
seus.^) Indes so einfach und kurz war an sich diese eine Handlung nicht,
da Odysseus 10 Jahre umhergeirrt war und bei der Heimkehr an den
übermütigen Freiern der Penelope neue Feinde in seinem Hause gefunden
hatte. Aber der Kunst des Dichters gelang es, die Handlung trotzdem auf
die kurze Zeit von 41 Tagen zusammenzudrängen, indem er uns gleich
im Eingang, ähnlich wie in der Dias, in das letzte Jahr der Irrfahrten
versetzt und den Odysseus seine früheren Erlebnisse in dem Hause des
Alkinoos nacherzählen lässt. Er erlangte damit zugleich den Vorteil, länger
bei der Schilderung des Königshofes im Lande der Phäaken verweilen zu
können und die lieblichen Scenen von der Königstochter Nausikaa, den
Gärten des Alkinoos, dem blinden Sänger Demodokos, den ritterUchen
Spielen am Hofe des Alkinoos, der Erzählung von Odysseus Abenteuern
in sein Gedicht einzulegen. Weniger wahrte er die Einheit des Ortes.
Denn nicht bloss treffen wir Odysseus anfangs bei der Kalypso, dann bei
den Phäaken, dann bei dem Sauhirten Eumaios und schliesslich in seinem
eigenen Hause, sondern es gehen auch bis zur Hälfte des Epos zwei
Fahrten nebeneinander her, die des Haupthelden und die seines Sohnes
Telemachos, indem kurz vor der Rückkehr des Odysseus Telemachos auf
die Spähe nach seinem Vater auszieht und beide auf ihrer Rückkehr bei
dem Sauhirten Eumaios zusammentreffen. Dies hatte das Gute, dass so
der Dichter uns gleich in den ersten Gesängen über die Zustände im
Hause des Odysseus orientieren und über die Geschicke auch der übrigen
Führer, namentlich des Nestor, Menelaos, Agamemnon, aufklären konnte;
aber dadurch wurde zugleich die Erzählung der Odyssee bunter und ver-
flochtener, was nicht ganz ohne Unzukömmlichkeiten abging, indem Tele-
machos zwischen dem 4. und 15. Gesang aus den Augen verloren wird
und weit länger als er wollte und sollte (s. d 594—599) bei Menelaos zu
verweilen in die Lage kommt. ^) Aber diese Unzukömmlichkeiten werden
durch die grössere Spannung der Erzählung und die Überraschung der
Erkennungsscenen wieder reichlich aufgewogen, 3) zumal der Dichter gerade
diese Scenen, wie die von der Fusswaschung des verkleideten Odysseus
durch die alte Amme Eurykleia (t 357—504), mit unvergleichlicher Zart-
heit zu behandeln verstand.*)
Der Held, von dem das ganze Epos den Namen hat, Odysseus, steht
im Gegensatz zu Achill, dem Helden der Ilias: in ihm war die Klugheit
und verschlagene List verkörpert wie in jenem der Heldenmut und die
jugendliche Kühnheit; beide zusammen repräsentierten den Griechen das
Ideal eines hellenischen Mannes. Die Klugheit wiegt auch im Kriege etwas,
>) Dabei beachte, dass all die anfge-
zfthlten Odysseiisepisoden jOngeren Partien
der Odyssee angehören und zum Teil sicher
erst nachträglich eingelegt sind.
7ia&rjrix6yy iq de *0dvaa6M nenXey/jiäyoy {dya-
yyiOQiireis yaQ dV oXov) xal tj^ixov. Ueber
die grössere Beliebtheit der Odyssee schol.
Find. N. 4, 68 : f4nXXov r^g *lXiadoc 1} *Odvaa$ia
*) Störender noch ist die Wiederkehr ' ^atpütdehai.. Später in der römischen Kaiser-
der Scene des Anfangs der Odyssee im Ein-
gang des 5. Gesangs, aber die Partie e 1 — 27
ist elendes Flickwerk, das in dieser Gestalt
zeit kehrte sich das Verhältnis um.
*) Auch die Kunst hat sich dieses herr-
lichen Motives bemächtigt, wie wir noch aus
nicht von dem alten Dichter herrührt. ' einem Relief der Sammlung Campana t. 71
*) Treffend urteilt auch ttber diesen Punkt | sehen.
Aristoteles Poet. 24: rj (abv 'iXiag dnXovv xai j
A. Epos. 3. Homers lüas und Odyssee. (§ 22.)
29
und schön hat uns der Dichter der Doloneia an Diomedes und Odysseus
gezeigt, wie kühne Beherztheit und schlaue Klugheit zum Gelingen einer
kriegerischen Unternehmung zusammenwirken müssen. Aber mehr kommt
doch dieselbe in den Fahrten zur See, in dem Kampf mit den Gewalten
der Natur, in den Schicksalen des privaten Lebens zur Geltung. Es war
daher ein guter Griff des Dichters der Odyssee, dass er den Stoff zu seinem
Epos aus dem Sagenkreis von der Heimkehr der ilischen Helden nahm
und in denselben die wundervollen Mären von den Bewohnern femer Länder
und den Abenteuern kühner Seefahrer verflocht. Er hat so zu dem Helden-
gedicht der Ilias eine vortreffliche Ergänzung geschaffen, die um so mehr
Anziehungskraft üben und andächtig lauschende Zuhörer finden musste,
als inzwischen auch die Bestrebungen der Nation sich mehr der Schiffahrt
und den friedlichen Beschäftigungen zuzuwenden begonnen hatten.
Die Einteilung der Odyssee in 24 Bücher, die man jetzt mit den Buch-
staben des kleinen Alphabets zu bezeichnen pflegt, rührt gleichfalls aus
der aiexandrinischen Zeit her. Auch hat der gleiche Älian Y. H. 13, 14
mehrere ältere Namen einzelner Teile uns erhalten, wie Td iv nvX((i (y),
Ta iv AaxsdaCfiovi (J), Kakvipovg ccvtqov {b 1 — 281), Td negl Tt]v ax^öiav
{€ 282—493), 'Ahcirov anoXoyog (*-iu),i) Kvxlwneia {&), Näxvia (A), Td tf^g
KiQXTjg (x), NtntQa (t), MvijffTTJQcov ifovog (x), Td iv dyqtT} xal td iv Aaiqtov
(o) 205 — 548). Aber weit mehr als die kleinen Gesänge treten in der
Odyssee die grösseren Abschnitte hervor, wie die Irrfahrten des Odysseus
(^—li)^ die Reise des Telemachos (a — (J), die Heimkehr des Odysseus und
der Freiermord (v — xp), so dass innerhalb dieser Gruppen die einzelnen
Gesänge sich nicht mehr gleich gut wie in der Ilias zum Einzelvortrag
eigneten und die selbständigen, breit ausgeführten Episoden fast ganz
fehlen.«)
22. Die Person des Homer, dem die beiden Dichtungen beigelegt
werden, verflüchtigt sich um so mehr, je näher man derselben zu treten
sacht. Wir haben 9 teils längere, teils kürzere Lebensbeschreibungen
Homers; aber diese sind nur späte, zum Teil geradezu erlogene Fabrikate
von Grammatikern, welche örtliche Fabeleien für alte Überlieferungen aus-
geben oder das, was ursprünglich nur Vermutung und Schlussfolge war,
als feste Thatsache hinstellen. 5) Wir besitzen mehrere Büsten des Homer
^) iv *AXxiyov dnoXoyta kommt ebenso
wie iy xoTg NItitqois schon bei Aristoteles
in der Poetik c. 16 vor. Wie ich in den
Proleg. Iliadis p. 4 nachwies, ist der Aos-
dinck verkürzt aus änoXoyog iy ^AXxiyov sc.
fofitp pErzfthlnng im Hanse des Alkinoos"
im Gegensatz znr «Erzählung beim Sauhirten ".
'} Kleinere Episoden innerhalb eines Ge-
sanges finden sich öfter, wie das Liebes-
abenteuer des Ares und der Aphrodite (^ 266
bis 366), die Handelslist der phönikischen
Seefahrer (o 403 — 484), die Verwundung des
Odysseus auf der Jagd (r 399—466). — In
^ fiberlieferten BucheinteUung erkennt man
den Qranunatikerwitz darin, dass mit dem Ende
der Infahrten die erste Hälfte des Werkes
(n — /4) abschliesst und dass die Telemachie
gerade soviel Gesänge {a — (f) enthält wie
der Nostos des Odysseus (e — /u).
•) Auf uns gekommen sind 9 Vitae, ab-
gedruckt in Westermanns Biographi gr.
und besprochen von Sengebusch Dissertationes
homericae; die Vit. 6 ist jetzt vollständiger
aus Cod. gr. 6 der Vittorio-Emanuelebibl.
mitgeteilt von Sittl, Stzb. d. b. Ak. 1888 II
274 f. Von diesen 9 Vitae reicht keine über
die Zeit des Augustus hinauf. Die erste ist
in ionischem Dialekt geschrieben und trägt
den Namen des Herodot, ist aber eine plumpe
Fälschung aus der Zeit nach Strabon, wie
aus dem Vergleich von c. 20 mit Strabon
p. 596 hervorgeht; sie setzt nämlich den
30
Grieohisohe LitteratargeBohiokte. t. Slassisohe Periode.
aus dem Altertum, i) aber diese sind Idealschöpfungen, hervorgegangen
aus der Vorstellung von einem blinden Sänger, welche Vorstellung selbst
wieder auf der irrigen Voraussetzung beruht, dass der Dichter der Dias
und Odyssee mit dem Verfasser des Hymnus auf den delischen Apoll iden-
tisch sei.*) Wir hören von einem Vater unseres Dichters, Maion aus
Smyrna, und einem Geschlecht der Homeriden in Chios; aber der Smymäer
Maion muss sich mit dem Flussgott Meles in die Ehre der Vaterschaft
teilen,^) und der sorgfaltige Artikel des Harpokration über die Homeriden*)
belehrt uns, dass die Zurückfiihrung jenes Geschlechtes auf den Dichter
Homer als Ahnherrn desselben bestritten und zweifelhaft war. Wir sehen
seit Piaton und Aristarch den Homer als Verfasser der Ilias und Odyssee
an, aber in der Zeit vor Herodot galt Homer vielen als Kollektivname
für den Dichter der alten Heldengesänge überhaupt.*) Wir haben be-
stimmte Angaben über das Vaterland und die Lebenszeit des Homer, aber
ihr Ansehen wird durch den Widerspruch der Überlieferung geschwächt
und zum grossen Teil auf die Bedeutung von blossen Kombinationen herab-
gedrückt; 7 Städte, Kyme, Smyrna, Chios, Kolophon, Pylos, Argos, Athen,
und noch andere mehr stritten sich um die Ehre, Homers Heimat zu
sein.ß) Nicht weniger gehen die Angaben über die Zeit des Dichters aus-
Homer in die iiächsten Jahre nach der dori-
schen Wanderung, während ihn der echte
Herodot H 58 in der Mitte des 9. Jahr-
hunderts leben Iftsst. Die Schrift UlovraQ-
Xov nsQi lov ßlov xal r^g noitjaecog 'Ofii^Qov
ist aus zwei Schriften zusammengesetzt, von
denen die erstere sicher nicht von Plutarch
herrührt, und auch die zweite, welche R.
Schmidt dem Prophyrios zuschrieb, nur Ex-
cerpte aus Plutarch enthält. Am wertvoll-
sten sind die aus Proklos Chrestomathie ge-
zogene Vita und das Certamen Hettiodi et
Homerij beide aus Hadrians Zeit.
*) Siehe die beigegebene Tafel. Vergl.
Bauheister, Denk. d. kl. Alt. I 698 und
FurtwXnglbr, Denkmäler griech. Skulpt.
Ausw. n. 37. Die Studien der alexandrinischen
Grammatiker leuchten hervor aus dem be-
rühmten Relief Apotheose des Homer von
Archelaos aus Prione (um 100 v. Chr.), ge-
funden in Bovillä zusammen mit der soge-
nannten Tabula lliaca.
*) Hymn. Apoll. Del. 172 sagt vom Dich-
ter des Hymnus Tvg>X^g txyijg oixsi di Xiut
§yi TititnaXoecau, Indem man, wie schon
Thukydides III 104, Homer für den Dichter
dieses Verses annahm, kombinierte man da-
mit den blinden Sänger Demodokos in Od.
^ 64 lud den geblendeten Kitharisten
Thamyris in 11. B 599. Dagegen gut Proklos
p. 232 W.: Tvg)Xöv d^ oaoi tovtov anBtfrj-
vavxo^ avioi fjioi doxovtn xrjv didvoiav tbxv-
(pXaia&tti, ähnlich Vell. I 5, wahrscheinlich
nach einem Epigramm. Scherzend Plato
Phaedr. 243*.
■) Als MeXfjaiyey^g wird Homer gedacht
von dem alten samischen Dichter Samios bei
I Ath. 125 d. Daneben ist Phemios als Nähr-
vater genannt von Ephoros in Ps. Plutarch
vita Hom. 2.
*) '0/iijQLdai ' y4yog iv Xi'y, onsQ ^Jxovai-
Xaog iv y', 'EXXdv^xog iy rj 'AxXavxldi äno
xov noirjxov fptjacy dyofjida&M, £iXevxog <fd
iy ß' 7I€qI ßl(oy afia^xdyBiy tpipriy KQatijra
vofjii^ovxa xovg iy xalg leQonoitaig VfÄtjQL^
dag dnoyoyovg eiym xov noirjtov * aiyofidc&fj^
aay yaQ dnd xvSy ofiiJQfoy, inel al yvyo,Tx4g
noxB Xiüv Xiixiv iy Jioyvffioig naQag)Qoytj<rafra^
eig fJtdj^rjy tjX&oy xoTg dydgdin xal doyreg
dXXijXotg ofATjQtt yvfAfpiovg xal yvfjiq>ag inctV'
caytOy my xovg dnoyoyovg 'Ofxijgidag Xiyovaiyy
vgl. Strab. p. 645.
') Proclus p. 233 W. : yiyqatps di noitj^
aeig dvoy 'iXidda xal *Odvaaeiay, rjy Siytay
xal 'EXXdyixog d(paiQovvxai> avxov, ol /ACyroi
y dg^a'ioi xai xoy xvxXov dyatpif^owsiy eig
avroy. Vergl. mdes über die Kontroverse
unten § 52.
«) Anth. Plan. 297, wozu Anth. Pkn. 295.
296. 298. 299; Gellius IH 11; Epiphan. adv.
haer. I 326; Tzetzes ChU. XUl 621—646.
Nach ihnen erhoben auch los, Eypem, Ithaka,
selbst Phrygien und Aegypten Ansprüche, so
dass Antipater (Anth. Plan. 296, ähnlich
CIG 6092) witzig von Uranos und der Muse
Ealliope den Homer entsprossen sein liess.
Für Smyrna erklärten sich die meisten der
alten Gewährsmänner, Pindar, Stesimbrotos,
Ephoros, Hellanikos, Charax (siehe Rohdb,
Rh. M. 36, 388), für Athen Aristarch, indem
er von der Kolonisation Smymas durch At-
tika ausging und diese durch die Attikismen
Homers bestätigt fand (s. Aristides rhet. I
317 Dind.). Chios wird sich auf das Ge-
▲. Epos. t. Homen Ilias imd Odyssee, (t 29.)
31
einander: Hellanikos setzte ihn in die Zeit des troischen Krieges (1194
bis 1184), Erates zwischen die Einwanderung der Böotier und den Auszug
der HerakUden (1130 — 1104), Aristarch in die Zeit des ionischen Auszugs
(1044), ApoUodor 100 Jahre (914), Cornelius Nepos 4 Menschenalter nach
der ionischen Wanderung (910), Ephoros und Sosibios in die Zeit des
Lykurg (866), Theopomp in die des Einfalls der Kimmerier.*) — Löst
sich so schon angesichts der Unsicherheit der Überlieferung die Gestalt
des Homer in Nebel auf, so sind neuere Gelehrten noch weiter gegangen,
indem sie sogar dem Namen Homers die Bedeutung eines Individualnamens
absprachen, da mit demselben nicht eine bestimmte historische Person
benannt, sondern nur in genereller Weise der Zusammenordner älterer
Gesänge oder der Genosse einer Sängerzunft bezeichnet worden sei.^) Das
letzte ist nun zwar eine entschiedene Verirrung der Zweifelsucht: EvfioX-
nog *der schön Singende' und MovaaXoq *der Musensohn' sind fingierte
poetische Namen, aber wer hätte den Mann, der eine Ilias und Odyssee
schuf und an dessen Vorbild sich eine ganze Generation von Dichtern
bildete, mit einem so niederen Namen wie Zusammenordner oder Zunft-
Bänger zu bezeichnen wagen dürfen? Auch sollte sich die Kritik nicht
erlauben, dem göttlichen Sänger Homeros deshalb, weil ihm später allerlei
Fabeln angedichtet wurden, nun gewissermassen zur Sühne auch noch das
Leben abzusprechen. Aber immerhin ist durch die wissenschaftliche Kritik
der Glaube an den historischen Homer stark erschüttert, und wäre nament-
lich der nicht so leicht zu widerlegen, der den Namen Homer nicht von
dem Schöpfer des alten Kerns der Ilias, sondern von einem jüngeren, die
älteren Epen zum Abschluss bringenden Dichter getragen sein liesse.
23. Homerische Frage, ihre Geschichte. ») Die Zweifel sind
bei der Person und dem Namen des Homer nicht stehen geblieben; die
Kritik ist auf die dem Homer beigelegten Werke selbst übergegangen.
Diese Kritik begann bereits im Altertum in der Zeit des Herodot; sie
Zeitalter und Vaterland des Homer, Halberst.
1832; Lauer, Gesch. der hom. Poeaie, Berl.
1851 S. 69 u. 124.
^) Die erste Deutung vorgeschlagen und
durch die Analogie des Vyasa, Sammler des
Mahabharata, gestützt von Holtzmann, die
zweite begründet von G. Cürtiüs, De no-
mine Homeri, Kiel 1855. Die ganze Frage
von neuem einer umsichtigen Kritik unter-
zogen von DüNTZBB, Die homerischen Fragen,
Leipz. 1874 S. 13—33.
») Zusammenfassende Schriften von W.
Möller, Homerische Vorschule, Leipzig 1836,
jetzt veraltet; Minckwitz, Vorschule Homers,
Leipzig 1863; Bonitz, üeber den UrspruDg
der hom. Gedichte, ursprünglich ein Vortrag,
5. Aufl. von Neubauer besorgt, 1881; Niese,
Die Entwicklung der homer. Poesie, Berlin
1882; Christ, Homer oder Homeriden, 2.
Aufl., München 1885. Vieles Einschlägige bei
DDntzbr, Hom. Abhandlungen, Leipz. 1872;
WiLAMowiTz, Hom. Untersuchungen, Philol.
Unters. 11. Heft; Jül. Erhardt, Die Ent-
stehung der homerischen Gedichte, Leipz. 1894.
schlecht der Homeriden und den Hymn. Ap.
Bei. 172. spftter auch auf den ehrwürdigen
Steinsitz Homers gestützt haben (s. E. Hoff-
üAVK, Homeros und die Homeridensage von
Ghios 1856). Eolophon berief sich auf den
f&r homerisch gehaltenen Margites; für Eo-
lophon war der Eolophonier Nikander in dem
Buch Über die Dichter von Eolophon einge-
treten. In loB opferte man nach Aristoteles
bei Gellius UI 11 am angeblichen Grab des
Homer, was auf eine Sftnger- oder Rhapsoden-
scfaule in los hinweist. Dass jedenfalls in
Eleinasien die Wiege Homers stund, hat zu-
erst Wood, On the original genius of Homer,
siegreich erwiesen.
M Die Zeitangaben verdanken wir ausser
den Vitae zumeist den christlichen Schrift-
steilem Clemens Alex, ström. I 21 und Ta-
tian ad Graec. 31 (abgedruckt bei Ssnoe-
BDscH, Hom. diss. I 14 ff.). Unsere nftchste
Aufgabe, die Gründe der verschiedenen An-
gaben zu ermitteln, behandelt Rohde, Studien
znr Chronologie d. gr. Litt im Rh. M. 86,
380 ff. Vgl. aus älterer Zeit Bkrnh. Thikrsch,
32 Grieohisehe Litteratargesehichte. L KlaBsische Periode.
sprach zunächt dem Schöpfer der Dias und Odyssee die Gedichte des
epischen Kyklos ab. Wie man dabei verfuhr, ersieht man aus Herodot
II 117, wo zum Beweise dafür, dass die Kyprien nicht von Homer her-
rühren, auf den Widerspruch zwischen den Kyprien und der Ilias hinge-
wiesen wird, indem Paris in dem ersteren Gedicht in 3 Tagen direkt von
Sparta nach Ilios heimfuhr, nach der Ilias ^291 hingegen lange umher-
irrte und bis nach Sidon verschlagen wurde. Weiter gingen in der ale-
xandrinischen Zeit die sogenannten Chorizonten, Xenon und Hellanikos,
welche für Ilias und Odyssee verschiedene Verfasser annahmen. Sie
befolgten dabei die gleiche Methode, indem auch sie von den Widersprüchen
zwischen Odyssee und Ilias ausgingen. So betonten sie, dass in der Ilias
2 382 Charis, in der Odyssee ^ 267 Aphrodite Frau des Hephaistos ist,
dass Nestor in der Ilias A 692 elf Brüder, in der Odyssee i 286 nur zwei
hat, dass die Dias den Aiolos als Herrscher der Winde nicht kennt und
ebenso wenig davon etwas weiss, dass Hebe, die jungfräuliche Dienerin
der Götter, dem dorischen Nationalhelden Herakles angetraut ist.^) Aber
die Ansicht der Chorizonten drang nicht durch: Aristarch, dem die Über-
einstimmung der beiden Gedichte im grossen Ganzen, namentlich gegenüber
dem epischen Eyklos und den Neueren {ot vscotsqüi), mehr bedeutete als
die paar nebensächlichen, obendrein zum Teil leicht zu beseitigenden Un-
ebenheiten,^) hielt an der Einheit fest, und seine Autorität behauptete im
Altertum die Oberhand, so dass man an Homer als Dichter der Bias und
Odyssee festhielt und sich höchstens nur dazu verstand, die Bias dem
jugendlichen, die Odyssee dem gealterten Homer zuzuschreiben.')
24. Einen stärkeren Ansturm unternahm F. A. Wolf mit den Pro-
legomena ad Homerum 1795,*) worin der bahnbrechende Gelehrte aus den
Widersprüchen und den Mängeln der Komposition zu erweisen suchte, dass
auch jedes der beiden grossen Epen nicht das Werk eines einzigen Dich-
ters, sondern mehrerer Sänger sei, und dass die Zusammenfügung der alten
Gesänge zu einem einheitlichen Ganzen erst viele Jahrhunderte später
von unbedeutenden Geistern, im wesentlichen von den Redaktoren des
Peisistratos vollzogen worden sei. Die kühne Hypothese stützt sich auf
die grossen Anstände,^) zu denen die Komposition der Bias und Odysse
als Ganzes Anlass gibt, und die um so auffälliger erscheinen, je weniger
die Vollendung der beiden Werke im Einzelnen bestritten werden kann.
Aufgebaut aber ist dieselbe weniger auf einer sorgsamen Analyse der
*) Gbppbrt, Ursprung der homer. Ge- ] *) Ed. III curavit Pkppmüllbr, Halle
dichte, Berlin 1840, I 1—62, und Chbist, I 1884 mit dem Briefwechsel zwischen Heyne
Homer oder Homeriden^ 8 — 15, besprechen : und Wolf,
die Divergenzen im einzelnen. ') So erscheint Pylaimenes, nachdem er
'^) Ein Hauptanstoss A 603 gegenüber K 576 gefallen ist, S 656 wieder unter den
£ 905 ward durch Athetese von X 565—627 Lebenden und wird es an dem 3. Schlacht-
glücklich behoben.
') Ps. Longin de sublim. 9. Spöttelnd
bemerkt Seneca de brev. vitae 13: Grae-
corum inte morhuH fuit quaerere, quem nu-
tag zweimal (A 83 u. B 777) Mittag; anderes
mehr s. unten. Wolf hat indes die Wider-
sprüche nicht zuerst bemerkt; wie man aus
den Scholien sieht, waren dieselben grossen-
tnerum ü/uices retnigum hahuissetj prior teils schon den alten Grammatikern anfge-
scripta esset Ilias an Odyssea, praeterea an fallen.
eiusdetn esset auctoris. .
A. Epos. 2. Homera Ilias nnd Odyssee. (§ 24.)
33
beiden Dichtungen, als auf dem Boden der Zeugnisse des Altertums von
der Vereinigung der zuvor zerstreuten Gesänge durch Peisistratos und
auf dem Grunde zweier äusserer Momente. Denn einmal sei zur Zeit
Homers die Schrift noch nicht bekannt gewesen, sei aber ohne Schrift die
Dichtung so umfangreicher Werke nicht denkbar, und dann habe in jener
Zeit zur Abfassung so grosser Epen kein Anlass bestanden, da damals die
Sänger nur kleine Gesänge vorzutragen pflegten. Der von dem grossen
Philologen angeregte Streit, der die Geister nicht bloss der zünftigen Ge-
lehrten, sondern aller Gebildeten und nicht zum wenigsten unserer grossen
Dichterfftrsten Goethe^) und Schiller mächtig ergriflf, hat im Laufe der
Zeit wesentlich zur Klärung der Sache und zum richtigeren Verständnis
des Volksepos beigetragen, hat aber noch nicht seinen Abschluss in einer
allseitigen Verständigung gefunden. >) Einesteils haben die Unitarier, auf
deren Seite sich gleich anfangs Schiller und Voss stellten und deren Sache
in gelehrter Ausführung besonders Nitzsch^) verfocht, die Haupt Voraus-
setzung der Wolf sehen Hypothese, den Nichtgebrauch der Schrift, be-
stritten und den ganzen Gedanken von einem Flickhomer als barbarisch
verschrieen. Anderseits haben sich die Wolfianer nicht dabei beruhigt,
nur im allgemeinen die Existenz des einen Homer zu leugnen, sind aber,
indem sie den von Wolf aufgeworfenen Gedanken zu Faden schlugen, auf
verschiedene Wege gekommen, welche sie teils den Unitariem näherten,
teils zu dem Extrem einer unbestimmten Menge von Homeriden führten.
Am konsequentesten hat die Liedertheorie Wolfs E. Lachmann ver-:
folgt.*) Er war durch Untersuchung der epischen Poesie unserer Vor-
fahren zur Überzeugung gekommen, dass bei allen Völkern die Zeit des
Volksepos nur einzelne kleinere Lieder hervorgebracht habe, und hat dem-
nach an der Hand innerer Kriterien wie aus dem Nibelungenlied 20, so
aus der Hias 15 oder 16^) Einzellieder herausgeschält.^) Er wollte damit
nur den alten volkstümlichen Liederschatz wieder gewinnen, aus dem
erst mehrere Jahrhunderte nachher die grossen Epen entstanden seien;
die Frage, wer und wie viele Sänger jene 16 Lieder gedichtet, liess er
ganz beiseite. Erst spätere Anhänger der Lachmann'schen Liedertheorie,
wie Benicken, haben geradezu für jedes der 16 Lieder einen besonderen
Dichter in Anspruch genommen. Nur eine Konsequenz dieser Anschauung
>) VgL M. BfERHAYS, Goethes Briefe an
Ft. A. Wolf, 1868; Cbbibt, Homer und Hö-
rnenden S. 84.
*) YoLEXAKir, Geschichte und Kritik der
Wolf sehen Prolegomena, Leipzig 1874, wo
zugleich aber die Vorgeschichte der Pro-
legomena gehandelt ist, d. i. über die Männer,
welche schon vor Wolf fthnliche Gedanken
ansgeoprochen haben, wie Yico (1686—1744)
imd Wood, Ueber das Qriginalgenie Homers
(1769).
') G. W. NiTzscB, Meletemata de histo-
ria Homeri 1830, Sagenpoesie der Griechen
1852, Beiträge zur Geschichte der epischen
Poesie 1862. Einen fthnlichen Standpunkt
vertreten Bauxlein, Gomment. de Homero
in Tanchn. Ausg. 1854; Nutzhobm, Ent-
Baadbnch der klasa. AltertnmBwlHenaobaft. YU.
stehungsweise der hom. Gedichte, Leipz. 1869.
^) Lacbxann, Betrachtungen über Ho-
mers Dias (1846) 2. Aufl. mit Zusätzen von
Moritz Haupt, Berlin 1865.
'^) Die Diskrepanz entsteht dadurch, dass
Lachmann wohl einmal S 84 von einem
grossen 16. Liede spricht, thatsächlich aber
nur 15 kleinere Lieder gewinnt und schon
mit dem 17. Buch seine alte Hias schliesst.
^) Lachmanns Lehre brachte mit kleinen
Modifikationen zum Ausdruck im Text Köchly,
Iliadis carmina XYI, Lips. 1861 in BibL
Teubn., wozu die trefflichen Dissertationes
de Iliadis carminibus und de Odysseae car-
minibus im 1. Band von Eöchlys Opusc.
kommen.
8. Aufl. 3
34 Griechische litteratorgeBchichte. I. Klassische Periode.
war es, dass andere in Homeros gar nicht mehr den Individualnamen
eines gottbegnadeten Dichters, sondern nur den Repräsentanten der Flick-
arbeit eines Zusammenordners erblicken wollten. — Einen anderen Weg hatte
schon vor Lachmann G. Hermann in der klassischen Abhandlung De
interpolationibus Homeri (1832) ^) eingeschlagen. Er ging davon aus, dass
sich die Oegensätze einer unleugbaren Einheit des Gesamtplanes und der
Widersprüche und Abweichungen im Einzelnen nur erklären liessen, wenn
man eine Urilias und eine Urodyssee von massigem Umfang in den An-
fang setze und diese erst allgemach durch Zu- und Eindichtungen zu den
grossen Epen des Peisistratos anwachsen lasse. ^) Aber jene UriUas und
Urodyssee hat Hermann nicht selbst wieder herzustellen versucht; er schien
sogar zu glauben, dass dieselben später durch jüngere Überarbeitungen
und Erweiterungen vollständig überwuchert und verschüttet worden seien.
Darüber sind die neueren Forscher hinausgegangen; sie hielten die Ho-
meriden für zu treue Bewahrer des alten Schatzes ihres Stammeshauptes,
als dass sie denselben irgendwelche Unterschlagung des kostbaren Ver-
mächtnisses zutrauten;') sie suchten daher nach Mitteln und Wegen, um
die verschiedenen Schichten der homerischen Poesie von einander zu
scheiden. Auf solche Weise ist die homerische Frage allmählich der Sphäre
allgemeiner Erwägungen entrückt worden und hat, wenn auch bis jetzt
noch vieles zweifelhaft geblieben ist und wohl auch in Zukunft bleiben
wird,^) doch immerhin eine fassbarere Gestalt angenommen.
25. Stand der homerischen Frage. Es wäre vermessen, die all-
gemach zu einer grossen Litteratur angewachsene homerische Frage hier
in diesem kurzen Abriss lösen oder nur vollständig diskutieren zu wollen.
Gleichwohl werden einige resultierende Schlusssätze am Platze sein. Kein
vernünftiger Mensch ist heutzutage noch reiner Unitarier oder reiner Wol-
fianer. Die Verfechter des einen Homer und unter ihnen nicht bloss die
Königsberger, ^) sondern selbst Nitzsch haben nach und nach zugegeben,
dass unsere Ilias und Odyssee viele jüngere, nicht von Homer herrührende
Bestandteile enthalten, und zwar nicht bloss kleine, aus wenigen Versen
bestehende Interpolationen, ö) sondern auch grössere Erweiterungen^) und
^) Jetzt in Oposc. V 52—77. | diesem Gebiet passt der schöne Aussprach
') p. 15: Homenim duo non magni am- \ des geistvollen Emperius Rh. M. I 447:
Homeri carminum qnalis fnerit antiqnissima
forma, quaeritur et quaeretor qnonsque phüo-
logia erit inter aequales.
^) Das Verdienst, die Einheit des Planes
energisch vertreten zu habeo, gebfihrt dem
Haupte der Eönigsberger, Lbbbs; aber da-
bitus carmina de ira AchilHs Ulixisque re-
dUu compo8ui88e, quae deinceps a multia
cantata pauUadmque aucta atque expoHta
Homeri nomen ad posteroa ut poetae vettis-
tissimi propagaverint.
») Ich will damit nicht gesagt habeu,
dass die alten Lieder, als sie durch jüngere ' neben nahm doch auch er oft den Namen
Dichtungen erweitert wurden, nicht kleinere Interpolation in den Mund; weiter gingen
Aenderungen am Anfang und Schluss erlitten 1 auf dem letzteren Weg Fbibdlander und
haben. Aber wie sorgsam man das alte Gut besonders Kammbb , Einheit der Odyssee,
wahrte, ersieht man namentlich aus ^ 227 ff., I Leipz. 1873. Unter den Neueren tritt Roudb
Si 728, 71 23—29, wo sich, nachdem eine Er- ' mit Entschiedenheit für die Einheit im gros-
weiterung aufgenommen war, eine kleine Um- sen Ganzen ein.
Wandelung des alten Textes empfohlen hätte, ®) Verschiedene Arten solcher Inter-
aber aus heiliger Scheu vor der alten üeber- polationen von mir nachgewiesen in Proleg.
lieferung nicht vorgenommen wurde. §§ 12 — 18.
*) Als Motto für jede Forschung auf ^) S. meine Proleg. § 19 u. 20.
A. fipoB. 2. Homers lUaa und Odyssee. ($25.)
35
selbst ganze Gesänge, wie den ScUuss der Odyssee (ip 297 — « fin.), den
schon die Grammatiker Aristophanes und Aristarch als unecht verwarfen,
die Doloneia, welche nach einem alten Scholion erst Peisistratos in die
Hias einlegte,^) den läppischen aus Reminiszenzen zusammengestoppelten
Zweikampf des Aeneas und Achill ( V 75—352), den Schiflfkatalog {B 484
bis 779 mit der Ergänzung II 168—199). Ebensowenig wird es heute
noch jemand Wolf oder Lachmann nachreden, dass Peisistratos erst die
Hias und Odyssee als Ganzes geschaffen habe. Umgekehrt hat der grosse
Historiker Englands, Grote, der im 2. Bande seiner Geschichte Griechen-
lands der homerischen Poesie einen trefflichen Abschnitt gewidmet hat,*)
allgemeinen Beifall mit der Bemerkung gefunden, dass unmöglich ein Werk
mit faktisch bestehender Einheit aus Atomen von nicht aufeinander be-
rechneten Liedern entstanden sein könne. Noch handgreiflicher beweist
die Sprache, deren Entwicklungsstadien man seit Wolf viel schärfer zu
unterscheiden gelernt hat, dass alle Gesänge Homers in derselben Sprach-
periode entstanden sind und nicht um zwei Jahrhunderte auseinander liegen
können. Über 150 Jahre vor Peisistratos war Dias und Odyssee fertig,
die Redaktoren Attikas haben zu den alten Gedichten nicht 100 Verse
hinzugethan oder weggenommen. So oder noch ungünstiger für die Wolf-
sche Theorie lautet jetzt das allgemeine Urteil der Sachverständigen.')
Es hat femer der Grundgedanke Lachmanns, dass auch bei den
Griechen der Zeit grosser Epen eine Periode kleiner balladenartiger Helden-
lieder vorausgegangen sei, und dass sich in den ältesten Bestandteilen der
Hias noch viele Anklänge, selbst Reste jener alten Lieder finden, bei
Freunden und Gegnern Lacbmanns immer mehr Boden gewonnen. Jeder
wird es Lachmann und seinen Anhängern Dank wissen, dass sie die will-
kürlichen Schranken der späteren Einteilung in 24 Bücher niederrissen
und die alten Lieder, wie sie Homer und die Homeriden in dem Männer-
saal und der Festversammlung sangen, wiederzugewinnen und abzugrenzen
suchten. Das Verständnis der kunstvollen Komposition der alten Gesänge
hat dadurch wesentlich gewonnen,*) und es ist damit zugleich den Ver-
ständigen unter unsem Schulmännern ein bedeutsamer Fingerzeig für die
richtige Auswahl bei der Homerlektüre gegeben worden. Aber an allem,
was darüber hinausgeht, halten heutzutage nur eingefleischte Lachmann-
^) Das ist freüich nur so za deuten,
dass einige Rhapsodenschfiler, vielleicht auf
Gnrnd alter Traiditioo, die Doloneia nicht in
den Gj^klns der Gesftnge der Ilias aufge-
nommen hatten. Denn nicht erst in der 2^it
des Peisistratos im 6. Jahrh. ist die Doloneia
entstanden.
^) Yergl. Fbiedlakdeb, Die homerische
Kritik von Wolf his Grote, Berlin 1853.
') Palbt, Homeri quae nunc extant an
nliquis cycli carminibus antiquiora iure
hibita sint, London, Ifisst freilich noch im
Jahre 1878 die Ilias in der Zeit des Anti-
machos und Platon entstanden sein.
*) So begreift man bei der Annahme
Ton Einzelliedem leicht den heitern Ab-
schluss des Gesangs yom Zweikampf des
Paris und Menelaos durch die ergötzliche
Gardinenscene zwischen Paris und Helena;
so versteht man es auch, wie der Gesang
von den Grossthaten des Agamemnon {A 1
bis 595) im entscheidenden Wendepunkt der
Handlung mit grossartiger Perspektive ab-
bricht und der folgende Gesang {M) mit
Uebergehung der wenig anziehenden Zwischen-
fälle gleich mit einem neuen Knotenpunkt
der Handlung, dem Kampf um die Schiffe,
anhebt. Die Zwischenverse und Zwischen-
scenen sind alle erst spftter eingelegt und
ich hätte hier in meiner Ausgabe weiter
gehen und z. B. ^ 306—317 und X 385 bis
390 nicht als alt bezeichnen sollen.
3*
36 Oriechisohe Litteratnrgeaohieht«. I. Klassische Periode.
ianer, und selbst diese nur mit gewissen Einschränkungen fest. Wenn
Homer vom Sänger Demodokos %> 499 sagt (paire d' äoidtjvy iv&€v ihav
(og oi fx^v ivaatXiiwv im vrjwr ßcivveg anbnksiov^ so hat er damit selbst
ein Zeugnis daf&r abgelegt, dass die Praxis des Vortrags einzelner Lieder
nicht die Dichtung mehrerer, zu Gliedern eines grösseren Ganzen bestimmter
Gesänge ausschliesst. Der 3. Gesang der Dias vom Zweikampf des Paris
und Menelaos ist zwar sehr hübsch in sich abgerundet und eignet sich
vortrefflich zum Einzelvortrag, aber derselbe kündigt sich doch zugleich
als Vorläufer einer Reihe grösserer Eampfesscenen an, und der 4. Gesang
bildet dazu den natürlichen Schluss (die oqxi(ov avyxvaig zu den oQMa\
nicht eine für sich bestehende Dichtung. Und wollten wir auch das
Proömium der Ilias als nachträglichen Zusatz preisgeben, so ist doch der
ganze erste Gesang, und selbst schon der erste Teil des ersten Gesangs
(A 1 — 305), so breit angelegt, dass man ihn nicht als Eingang einer kurz-
gefassten Erzählung, sondern als Ankündigung eines grossen, weit aus-
gesponnenen Epos ansehen muss. Wenn daher auch noch so sehr Einzel-
lieder, die für sich singbar waren, der Ilias zu gründe liegen, so muss
man doch daran festhalten, dass jene Einzellieder zu einander vom Dichter
selbst in Beziehung gesetzt und auf ein grosses gemeinsames Ziel gerichtet
waren. Also auch über die Bedeutung des Liedes im alten Epos lässt sich
eine Verständigung finden.
Auf der anderen Seite hat die Lehre Hermanns von einem ursprüng-
lichen kleineren Kern, der sich allmählich durch Einschaltungen zu einem
grossen Epos entwickelt habe, im Laufe der Diskussion solche Gestalt
angenommen, dass sie mit der Liedertheorie leicht in Einklang gebracht
werden kann. Alle nämlich, welche den Gedanken Hermanns weiter ver-
folgt und aus unserer Ilias den ursprünglichen Kern wieder herauszuschälen
versucht haben, kamen auf eine Urilias nicht von einigen Hunderten,
sondern von vielen Tausenden von Versen. Ein so umfangreiches Gedicht
eignete sich aber nicht mehr zum Vortrage auf einmal, sondern musste
notwendig in mehrere Teile oder Lieder zerfallen, so dass wir also auch
auf diesem Wege in den Anfang einen Zyklus von mehreren zusammen-
hängenden Liedern setzen müssen, wie wenn wir den Kern der Ilias, die
Achilleis, aus Mrjugy ^Aqiaxeia 'Ayaintjxrorog, UaTQoxXua^ Extogog dvaf(}€<xig,
und die erste grosse Einlage, den Kampf um Ilios {ohog 'iXtov), aus *Ayoqd^
"Ogxia, MsveXäov xal 'Akf^dvdQov fnorofiaxtcc, Teixoaxonia^ ^ÖQxfoiv ffvyxvctg^
'EmTKäkr^atg, Jio^rjdovg dgicxsta^ Exroqog xal *AvSQOfAaxf/C ofiikta, Ätawog
xal "ExioQog ftorofiaxfa bestehen lassen.
26. Auf solche Weise kann man nicht sagen, dass die homerische
Frage, wie so manche andere, vollständig im Sand verlaufen sei; vielmehr
hat man sich von verschiedenen Seiten die Hände gereicht und ist
über mehrere Hauptpunkte zu einer gegenseitigen Verständigung ge-
kommen. Aber freilich gehen innerhalb dieser Grenzen, wenn es zur
Entscheidung im einzelnen kommen soll, die Meinungen noch stark aus-
einander. Es sind hauptsächlich drei Punkte, in denen weniger infolge
prinzipieller Meinungsverschiedenheit als infolge verschiedener Beurteilung
des einzelnen Falles die Stimmen der Forscher sich scheiden. Es handelt
A. EpoB. 2. Homers Dias nnd Odyssee.
►.)
37
sich erstens um solche Partien, von denen zugegeben wird, dass sie nicht
von vomlierein in dem ursprünglichen Liederzyklus stunden. Hier fragt
66 sich, wer hat dieselben zugedichtet, derselbe Dichter oder ein anderer?
Nichts nämlich nötigt uns zur Annahme, dass Homer die Gesänge der Ilias
und Odyssee so nacheinander dichtete, wie sie jetzt hintereinander stehen.
Jeder moderne Schriftsteller erlaubt sich, nachdem er den Plan seines
Werkes im Geiste entworfen hat, je nach Stimmung und äusserem Anlass
bald eine vordere, bald eine spätere Partie herauszugreifen und zur Aus-
arbeitung vorzunehmen. Weit mehr noch wird dieses der Dichter in jener
Zeit der Yolkspoesie gethan haben, wo ein grösseres Epos nie als Ganzes
zum Vortrag kam, wo immer nur einzelne Lieder verlangt und gesungen
wurden. Wenn nun z. B. in der Patrokleia B 366 nur von einem Graben
um die Schiffe der Achäer, nicht auch von einer Mauer die Rede ist, die
Oesänge M N 8 O aber sich um die Mauer als Mittelpunkt des ganzen
Kampfes drehen, so muss man daraus allerdings schliessen, dass die letzt-
genannten Gesänge, auch wenn sie vor der Patrokleia stehen, doch erst
nach derselben gedichtet wurden.^) Aber konnte nicht derselbe Dichter
mit der Zeit sein Werk selbst erweitern und nachträglich auch eine Mauer
in den Plan seiner Dichtung aufnehmen? Dieselbe Frage vnederholt sich
bezüglich der Lykier am fernen Xanthos neben den Lykiern am nahen
Ida, bezüglich der Kämpfe der ersten zwei Schlachttage, bezüglich der
Unterweltscene in der Odyssee, bezüglich der Telemachie und vieler anderer
Partien. Mit allgemeinen Prinzipien ist aber da nicht viel anzufangen,
sondern es wird die Entscheidung der Frage, ob die betreffende Partie
vom Originaldichter selbst oder von einem fremden Nachdichter herrühre,
immer von einer sorgfältigen Untersuchung des einzelnen Falles abhängen.
So ftüUt z. 6. die Episode vom Zusammentreffen des Diomedes und Glaukos,
Z 119—236, vortrefflich die Zeit zwischen dem Weggehen des Hektor
(Z 116) und seiner Ankunft am skäischen Thore {Z 237) aus, und da
dieselbe, von den südlichen Lykiern abgesehen, gar nichts enthält, was
gegen die Sprache und den Mythus der alten Partien der Dias verstiesse,
so nehme ich trotz der zweifelweckenden Bemerkung des Scholiasten A
ßFioTiO^taai tireg aXXaxotse Tavtijv xrjv avataaiv^ unbedenkUch an, dass
Homer selbst diese Episode nachträglich eingelegt habe, um den Lykier-
f&rsten Glaukos, dem er im 2. Teil seines Epos eine so grosse Rolle zu-
wies, doch auch einmal in den Kämpfen des ersten Schlachttages auftreten
zu lassen. Die gleiche Entschuldigung kann ich aber für die ähnliche
Episode vom Kampfe des Sarpedon und Tlepolemos, E 628—698, nicht
gelten lassen, und zwar aus drei Gründen nicht, einmal weil der Gang der
') Die Chronologie der homerischen
Gesinge, wie ich sie für die Hias in meinen
Proleg. p. 55 - 78 und 731—733 festgestellt
habe, wird den Angelpunkt der weiteren
Untersnchmigen über die homerische Frage
bilden müssen. Wenn ich dazu den Boden
gelegt nnd an den Hauptsätzen auch heute
noch unverbrüchlich festhalte, so nehme ich
dodi im einzelnen manches zurück. So yer-
biiide ich jetzt A 306-611 mit B 1-52 und
lasse diese Fortsetzung von A 1—305 nicht
unmittelbar nach dem 1. Lied gedichtet sein.
Femer gebe ich die Wahrscheinlichkeit zu,
dass H 8—312 unmittelbar nach Z h—H 7
und dass M-^0 vor S 248—335, T 1—139,
357—424, y 375— # 227 gedichtet seien.
Hingegen ist mir zweifelhaft, ob ich mit
Recht Hektors Tod oder den Kern von #
526— X 394 zum Bestände der ältesten Achil-
leis rechnete.
38
Griechisohe Lüteratnrgeschichte. I. Klassisohe Periode.
Erzählung keine gleich passende Zwischenzeit lässt, dann weil die dorische
Sage von dem Herakliden TIepolemos dem ionischen Sänger fremd war,
und endlich weil von der in dieser Episode geschilderten schweren Ver-
wundung des Sarpedon im folgenden {M 101 ff.) gar keine Notiz genommen
ist. Auch möchte ich zwar nicht von kleinen sprachlichen Unebenheiten,
die sich durch Erweiterung der alten Gesänge ergaben, allzuviel Aufhebens
machen; aber schwer glaublich ist es doch, dass der Dichter der Presbeia,
wenn er selbst den beiden Abgesandten der Achäer, Odysseus und Aias,
nachträglich als dritten den greisen Phönix beigegeben hätte, die Duale
ßcnrjv, €vxofJL€va), ictov (/ 182. 183. 192. 198) der alten Erzählung hätte
stehen lassen.^)
Ein zweiter Streitpunkt dreht sich um die Widersprüche innerhalb
der beiden grossen Dichtungen.*) Viele derselben, welche schon die alten
Grammatiker beschäftigten, sind unbestreitbar; aber wie gross ist die Trag-
weite derselben? muss man immer zum Äussersten, zur Annahme ver-
schiedener Verfasser schreiten? Ich bin nicht so leicht geneigt, zu dem
horazischen quandoque bonus dormüat Homerus meine Zuflucht zu nehmen;
aber doch glaube ich, dass, wenn Diomedes im 5. Gesang verwegen auf
die Aphrodite eindringt, im 6. dagegen in heiliger Scheu sagt ovo' av iyw
liaxaQfaai &€oTa i&tlotfui fidxea&ai (Z 141), dieses nicht zur Annahme
verschiedener Dichter nötigt, sondern an der Verschiedenheit der Situation
und dem Vorkommen in verschiedenen, nicht notwendig hintereinander zu
singenden Gesängen seine ausreichende Entschuldigung hat. Und selbst
wenn in dem 1. Teile des 1. Gesangs der Ilias die Athene von dem Olymp
zum Lager der Achäer herabsteigt [A 195), im 2. Teile hingegen {A 424)
mit allen Olympiern tagszuvor zu den Äthiopiern abgereist ist, so durfte,
denke ich, sich der Dichter auch dieses in der Voraussetzung erlauben,
dass seine andachtsvoll lauschenden Zuhörer den Widerspruch nicht mer-
ken, und wenn sie ihn merkten, keinen Anstoss an demselben nehmen
würden. Aber wenn Pylaimenes, nicht ein gemeiner Soldat, sondern ein
König der Paphlagonier im 5. Gesang [E 576) im Kampfe mit Menelaos
fällt, im 13. hingegen (N 656) die Leiche seines Sohnes . begleitet, so er-
regt dieses schon schwerer zu beseitigende Zweifel an der Einheit der
^) Vergleiche meine Proleg. p. 29 und
Note zu / 168. Oft kann man schwanken,
oh eine Partie ganz einer jüngeren Periode
des epischen Gesangs znzuschreihen, oder
nach Ausscheidung der jüngeren Teile in ein
höheres Alter hinaufzurücken ist. So ist
z. B. der zweite Teil des 11. Gesangs der
Ilias A 596 — 838 samt der einleitenden
Partie A 499 — 510 jedenfalls erst nach der
Patrokleia gedichtet, indem dieselbe A 604
und 796 die Patrokleia ankündigt, die Patro-
kleia aber und insbesondere der Anfang der-
selben den zweiten Teil des 11. Gesangs
vollstftndig ignoriert. Aber ob derselbe noch
von Homer oder einem älteren Homeriden
herrührt oder erst in jüngerer Zeit, als be-
reits in Olympia der Wagenkampf einge-
führt war {A 699—702) gedichtet worden
ist, hängt wesentlich davon ab, ob man die-
jenigen Partien, welche Spuren jüngeren
Alters tragen und hauptsächlich Anstoss er-
regen {A 668—763 und 806—838 mit O 390)
ausschneiden will oder nicht. Ich selbst
neige mich jetzt zur Ausschneidung, da an
und für sich die Verbindung einer kriege-
rischen Scene mit einem friedlichen Aus-
gang ganz im Greiste der alten homerischen
Poesie gelegen ist.
^) Gute Gedanken entwickeln bezüglich
der Widersprüche Pbby, Zur Poetik Homers,
Bern. Progr. 1881 S. 23 ff.; C. Rothe, Die
Bedeutung der Widersprüche für die home-
rische Frage, Progr. des Berliner coU^ge
francais 1894; JELiifSK, Hom. Ünt«^, Wi-
dersprüche im zweiten Teil der Odyssee,
Wien 1896.
▲. Epos. 2. Homers Ilias und Odyssee. (§ 26.)
39
Terfasser. Doch ist auch hier noch zuversichtliches Absprechen wenig
am Platz, da auch bei anderen Dichtem ähnliche Ungenauigkeiten vor-
kommen und z. B. selbst der sorgsame Ariosto im Orlando furiose 18, 45
den Ballustrio fallen, 40, 73 aber und 41, 6 wieder unter den Lebenden
weilen lässt.^) Aber wenn selbst auch in diesem Punkte noch das operi
Umgo fas est obrepere somnum seine Geltung hat, so darf doch unter keinen
Umstanden der Widerspruch auf die leichte Achsel genommen werden,
wenn er auf einem Missverständnis der Situation oder des sprachlichen
Ausdrucks beruht. Ein solcher liegt in dem Gesang von der Mäxrj naqu-
notdfuog (<I>) vor, wo sich der ältere Dichter den Achill von der rechten,
der Fortsetzer von der linken Seite des Skamander kommend {<P 245)
dachte, und noch offenkundiger im Eingang des 12. Gesanges der Odyssee,
wo wir plötzlich vom westlichen Meer in das östliche versetzt werden.^)
Einen dritten Streitpunkt bildet die Frage nach dem Umfang der
Thätigkeit des Zusammenordners oderDiaskeuasten. Derselbe spielt nament-
lich bei Bergk, aber auch bei KirchhoflF, Fick und Wilamowitz^) eine sehr
grosse Rolle, indem diese Gelehrten von der Voraussetzung ausgehen, dass
die alten Bestandteile der Dias und Odyssee eine ganz selbständige Stellung
inne hatten, eigene Epen für sich waren, und dass erst in viel jüngerer
Zeit ein Diaskeuast durch Schneiden, Zudichten, Umdichten, Versetzen
aus denselben die uns vorliegenden Werke Hias und Odyssee zu stände
brachte. Einen entgegengesetzten Standpunkt vertritt Bened. Niese,
indem er die Erweiterer und Fortsetzer immer selbst die Verbindung
mit den älteren Gesängen herstellen lässt, so dass für den Zusammen-
ordner weniges mehr zu thun übrig blieb. Ich neige mich entschieden
auf die letztere Seite,^) muss aber doch zugeben, dass der Gedanke Eirch-
hoffs, der alte Nostos sei ursprünglich in der 3. Person geschrieben ge-
wesen und erst später in die 1. umgesetzt worden, ^) etwas bestechendes
*) Darauf machte mich M. Bemays auf-
merksam. Noch Arger steht die Sache, wie
mich Max Koch lehrte, hei dem Englftnder
lliakeray, der sich in dem Roman New
eomes am Schlüsse seihst entschuldigt, dass
er die Matter des Brftutigams küled at one
page and hraught to life at an other.
') Zu den Stellen, in denen yom Nach-
dichten ein sprachlicher Ausdruck seines
Vorgängers missverstanden wurde, gehört
Tor allem / 234 gegenüber M 107—126 (den
veischiedenen Gehrauch der gleichen Phrase
hält indes fßr möglich £o. Göbbl, Progr.
Falda 1891 [Nr. 380] 13—15). Oh das gleiche
auch hezOglich 0 196 gegenüber B 190 ov
9e |o»e xaxoy tSc deidlaaea^at. anzunehmen
sei, ist eine wichtige, aber schwer zu ent-
Kheidende Frage. Die Wiederholung formel-
bafter Ausdrücke führte zu Missverstftnd-
mssen «r 424 dtj xoxb xaxxeioyre? eßar oixov^B
txttgjog (sc. fiyrjar^ites und fthnlich a 428), da
& Freier aas Bolicliion, Same, Zakynthos doch
nicht zum Schlafen in ihr Haus gehen konnten;
».MiHtT, Bay. GymnJBl. 25 (1889), 266.
*) Berok, Griech. litt an ziüilreichen
Stellen; Eibchhoff in Ausg. der Odyssee, und
in Abhängigkeit yon diesem Fick in Ausg.
der Odyssee und Ilias, wo die ganze Ai^-
fassung vom Ursprung der homerischen Dich-
tungen in jenem Diaskeuasten ihren Angel-
punkt hat; WiLAMOWiTZ, Hom. Unters., be-
sonders S. 228; Ed. Mbybr, Gesch. d. Alter-
tums n 406 ff., der wesentlich von Kirch-
hoff und Wilamowitz abhängig ist.
*} Dabei nehme ich aber doch auch ein-
zelne Zusätze von der Hand der späteren Re-
daktoren an. Auch mögen spätier einzelne
Partien versetzt worden sein; so zweifle ich
nicht, dass die Proömien S 1 — 27 und a 1
bis 87 in der Hauptsache altes Gut sind,
aber erst von den jüngeren Erweiterem an
ihre heutige Stelle gesetzt wurden.
^) Eibchhoff im 2. Exkurs, hauptsäch-
lich gestützt auf /Ä 374—390. Ist es aber
nicht denkbar, dass der Dichter unwillkürlich
in den ihm geläufigen Ton des Erzählens in
3. Person hineingeriet und dann, nachdem er
auch Dinge den Odysseus hatte erzählen lassen,
die zu wissen nur dem Hanvg aot&öq zukam, die
entschuldigenden Verse fi 389 f. zufügte?
40
Qriechiaohe Litteraturgeschichte. I. KlasBische Periode.
hat, und dass vorerst noch keine Sicherheit darüber erzielt worden ist,
ob in der Odyssee die Partien a 88 — 144 und o 1 — 300 von dem Dichter
der Telemachie selbst herrühren, oder ob dieselben erst von einem Dias-
keuasten, der die Telemachie mit der alten Odyssee zu einem Ganzen
verband, zum Behufe des besseren Zusammenschlusses zugefügt wurden.^)
27. Im vorstehenden habe ich die Stellung bezeichnet, zu der man
aus der geschäftigen Diskussion der homerischen Frage allmählich gelangt
ist. Viele Forscher, wie z. B. Gebet, bleiben bei diesen allgemeinen Sätzen
stehen und halten die Versuche, die ursprünglichen Bestandteile der ho-
merischen Dichtungen herauszufinden, für eine Danaidenarbeit, von der
sich ein besonnener, der Grenzen seiner Kunst bewusster Kritiker fern-
halten solle.*) Andere hingegen gehen von der Überzeugung aus, dass
der Prüfstein für die Richtigkeit der allgemeinen Sätze in ihrer Durch-
führbarkeit im einzelnen zu suchen sei, und wagen daher eine Zerlegung
der Gedichte in ihre Elemente, eine Rekonstruktion der alten Ilias und
Odyssee und eine Scheidung der verschiedenen, älteren und jüngeren Zu-
sätze. Ausgeführt ist dieses Wagnis in der Art, dass auch durch den
Druck die verschiedenen Bestandteile bemerkbar gemacht sind, von Kirch-
hoff in seiner Homerischen Odyssee (2. Aufl. 1879)*) und von mir in der
Ausgabe Homeri Diadis carmina, Lips. 1884.^) Auf das ähnliche ünter-
Mählt in der Rezenmon der ersten Auflage
dieses Werkes m Bayer. GymnJBl. 25 (1889),
267 f. weist dieses höhere W issen des Dichters
durch weitere Beispiele nach, verdftchtigt aber
dann die jenes unmittelbare Wissen beschrän-
kenden Verse (i 389 f. als Interpolation.
Auch Gaübb, Homerkritik 295 erklärt sich
schliesslich gegen Eirchhoffs Hypothese. Sach-
lich schliesst sich fJi 391 ff. leicht an fjt 373
an, so dass man auch zur alten Athetese
von fJL 370—390 seine Zuflucht nehmen kann.
^) Die Entscheidung wird schliesslich
von sprachlichen, metrischen und stilistischen
Erwägungen abhängen, und die scheinen
mir vorerst der Ansicht von Eirchhoff, dem
hier Hbnninos, Ueber die Telemachie, Jahrb.
für Phil. Suppl. III 135 ff. vorangegangen ist,
nicht günstig zu sein. Die Verse cf 613 — 9
kehren o 113 — 9 wieder, was jedenfalls so
zu erklären ist, dass ehedem die jetzt 620
abgebrochene Erzählung in den Versen o
121 ff. ihre Fortsetzung hatte. — In ähn-
licher Weise fragt es sich, ob nicht die Er-
gänzung des Scäffskatalogs Jl 168—199 ur-
sprünglich einen Teil des Schiffskataloges
gebildet hat und erst der Diaskeuast die Ver-
setzung jener Verse aus B in 17 vornahm.
^) GoBET, Miscell. crit. p. 402: quo sae-
pius carmina lonica, quae Homeri nomine
feruntur, relego et diligenter omnia con-
sidero, eo magis magisque mihi confirmatur
sententia eorum, qui haec non unius tioidov
carmina esse arbUrantur, sed a compluribus
cantorihus neque aetatis eiusdem neque patriae
eii tfjy avti^y ^no&eatv olim composita et
cantata fuisse, deinde in unum coUecta et
ordine disposita, ut eis ir amfuxnoy eoaU-
scerent . . . plura non addo, quia taJia omnia
sentiri posaunt, sed demonstrari non possunt,
et nolo ffideri ultra Lycurgi aetatem inda-
gando procedere velle, Aehnlich ist der
Standpunkt, den Mahly, Bayer. Gymn.Bl. 25
(1889), 263 einnimmt.
*) Vielfach weicht von Eirchhoff die
neuere Rekonstruktion von Wilamowitz,
Homer. Unters, ab, namentlich in der An-
nahme, dass von den 3 Epen, die dem Konta-
minator vorgelegen haben sollen, das dritte,
vom Sieg des Odysseus über die Freier,
jünger als die Telemachie gewesen sei. Den
Boden unter den Füssen verliert Sebck, Die
Quellen der Odyssee, Berlin 1887, indem er
die Quellenforschung der Historiker auch
auf die Dichtung der Odyssee zu übertragen
wagt.
^) Lineamente zur Scheidung zog schon
Nabeb, Quaestiones Homericae, Amstel. 1877;
ein neuer Versuch ohne strenge Beweis-
führung von £. H. Meter, Indogerm. Mythen,
2. Bd. Achilleis, Berlin 1887. Beachtens-
werteres bietet E. Bbandt, Zur Geschichte
und Eomposition der Ilias, Jahrb. f. PhiL
1885/89. Eine Scheidung nach kulturhisto-
rischen Gesichtspunkten verlangt, führt aber
nicht im einzelnen durch P. Gaueb, Homer-
kritik (1895) S. 168. Nach Versuchen, die
ich selbst angestellt habe, zweifle ich an
ihrer Durchführbarkeit, da Homer Eulturzu-
stände, wie er sie für die ältere Lebenszeit
seiner Helden voraussetzte, und wie er sie
in der eigenen Umgebung fand, nebeneinander
zu stellen keinen Anstand nahm. Es zeigt
A. EpoB. 2. Homere Dias and Odyssee, (gg 27^28.)
41
nebmen Ficks werde ich, da es von einem ganz speziellen, erst später
za besprechenden sprachlichen Gesichtspunkt ausgeht, weiter unten zurück-
kommen. Ausserdem ist die Stellung einzelner Gesänge und Gesangspaitien
in zahh-eichen Abhandlungen diskutiert worden; die Hauptgedanken der-
selben sind durch die sorgfältigen Referate in dem Anhang von Hentze's
Ausgabe auch dem Femerstehenden jetzt leicht zugänglich gemacht. ^
28. Suchen wir schliesslich unsere Gesamtauffassung in ihren Eern-
ponkten darzulegen, so stellen wir zuerst einige allgemeine Sätze auf und
geben dann eine Analyse der Dias und Odyssee nach den Ergebnissen
der homerischen Frage.
1. Dias und Odyssee beruhen auf nationalen, bereits von älteren
äolischen Sängern poetisch gestalteten Sagen, die durch die Kämpfe äoli-
scher und achäischer Ansiedler Asiens mit den ehemaligen Herren des
Landes und durch die kühnen Wagnisse der Äolier und lonier zur See
ihre Hauptnahrung empfangen hatten.^) Durch die Sage und die älteren
Sänger waren dem neuen Dichter Homer die Gestalten der Haupthelden,
des Agamemnon, Achill, Aias, Nestor, Odysseus, bereits vorgezeichnet.
2. An den neuen grossen Schöpfungen der Dias und Odyssee haben
sicher mehrere Dichter gewoben, aber der Gedanke, den Streit zwischen
Achill und Agamemnon in seinem ganzen Verlauf zum Mittelpunkt der
Dichtung zu machen, ist sicher nur in dem Kopfe eines einzigen reich-
begabten Sängers entstanden, ebenso wie der Plan, den Odysseus in dem
Pbäakenland seine früheren Irrfahrten erzählen, und dann nach seiner Heim-
kehr die übermütigen Freier seiner treuen Gattin erschlagen zu lassen,
nur von einem Manne ausgegangen ist.
3. Beide Dichtungen sind aus derselben Sängerschule hervorgegangen,
und es mögen auch manche der jüngeren Partien der Dias und Odyssee
denselben Dichter zum Verfasser haben. Aber um mit Zuversicht die
Odyssee demselben Dichter wie die Dias zuzuweisen, dazu reicht die all-
gemeine Übereinstimmung in Sprache und Kunst nicht aus.
4. In Sprache und Versbau stimmt ebenso wie im Mythus*) die Odyssee
mit der Dias im wesentlichen überein; namentlich behauptet in beiden
Dichtungen das Digamma, welches frühzeitig bei den loniern zu schwinden
begann, noch seine Kraft, und stehen die ehedem durch s vj getrennten
Vokale, wie in i<o hms TeXäofiev^ unkontrahiert nebeneinander.*) Doch
ach dieses namentlich in dem Nebeneinander
▼on Waffen ans Erz (xc^xog) und solchen
US Eisen [ffidpgog); s. Od. IX 391.
') Statt die Utteratur im einzehien an-
mgehen, begnüge ich mich anf Hentze zu
▼erweisen.
') Es fehlen anch nicht mythologische
Kiederscfall^e in der troischen Sage; die-
selben sacht im Üebermass Osk. Meteb,
Qoaestiones Homericae, Bonn 1846, and £.
H. MsTiR, Indogerm. M^en Bd. II. Za
weit in der Annahme ethischer Ideen in der
AdiiQ- and 0d}rs8eas8age geht Carrtbrb, Die
Sonst im Zosammenhang der Ealtarentwick-
famg II 49 ff. Üeber die Odyssenssage speziell
B.M€iuniHOFr, Deutsche Altertamsk. 1 30—58.
*) So ist Herakles durchweg gedacht
/Äi^ yBvs^ ttoy Tgaixwy nQoyBviaxsQog (s. 0
638, (f 21) und findet sich nicht bloss von
den Söhnen des Priamos, sondern auch von
denen des Laomedon und Antenor Überall die
gleiche Anschauung.
^) Das Nähere lehren insbesondere Enös,
De diganmio Homerico, ups. 1872, und
Mbkrad, De contractionis et synizeseos usu
Homerico, Monachii 1886. So gebraucht
Homer noch nicht das später und schon bei
Hesiod oft vorkommende ^oyog^ sagt durch-
weg fiagrvgog, nicht wie die Späteren uaQ-
TVQj wendet 7iQoq>vyBTv im Sinne von vjibx-
(pvyeTy an, gebraucht bloss je einmal in Tlias
(142) und Odyssee (^21) das konsekutive diäte.
42 Qrieohisohe Litieratnrgeschiohte. I. Klassische Periode.
sind daneben kleine Unterschiede nicht zu verkennen; so findet sich von
olvog das Digamma in der Odyssee und in den jüngeren Gesängen der
nias öfters vernachlässigt^) und kommen nur in diesen Partien die jüngeren
Formen ixsTvog statt xeTvogj rji.i€ag statt a/Uju«, vfttag statt vfufie vor; ebenso
hat die Caesura hephthemimeres ohne einen Einschnitt im 3. Fuss ge-
ringere Verbreitung in der Odyssee als in der Dias.*)
5. Dias und Odyssee sind nicht erst nachträglich dadurch zustande
gekommen, dass ein Redaktor alte, ursprünglich selbständige Lieder oder
Epen zu einheitlichen Werken umschuf; vielmehr haben von Anfang an
die alten Dichter die einzelnen Lieder in Bezug zu einander gesetzt, und
haben auch die jüngeren Homeriden die Einlage ihrer Zudichtungen an
ganz bestimmten Stellen von vornherein ins Auge gefasst. Kleine Stö-
rungen des ursprünglichen Zusammenhangs, von denen die Überlieferung
der Scholien zu Z 119 und K 1 meldet, mögen in der Zeit vor Peisistratos
durch die Freiheit einzelner Rhapsoden eingetreten sein.
29. Entstehung der Ilias. Den Kern der Rias bildet das Gedicht
vom Zorn des Achilles (ju^rrg 'Axi^^og); denselben hat Homer in 4 Ab-
teilungen besungen, von denen die erste den Ausbruch des Streites zwi-
schqji Achill und Agamemnon und im Anschluss daran die Bitte der Thetis
um Rache für die Entehrung ihres Sohnes enthält (Gesang Ä), die zweite,
die Uyafis^vovog ägiareta^ den schlimmen Ausgang erzählt, den der Ver-
such des Agamemnon, ohne Achill den Kampf gegen Hektor und die Tro-
janer zu führen, nahm {A 1—595 und O 592—746), die dritte, die IlaTQo-
xXhia^ die Hilfeleistung durch Patroklos, den Tod dieses Helden und den
Kampf um seine Leiche umfasst (II— 2 242), die vierte (Teile von TV ^
und (P 526— X 393) ») den speziellen Namen UxtXktjtg insofern verdient,
als sie sich um Achill allein gruppiert und mit der Erlegung des Hektor
durch Achill abschliesst. Ob Homer diese 4 Teile des Heldengesanges vom
Zorn des Achilles ununterbrochen nach einander gedichtet hat, dieselben
also auch zeitlich den ältesten Bestandteil der Ilias ausmachen, ist mehr
als zweifelhaft. Zunächst wohl hat der Dichter nach dem Gesang vom Aus-
bruch des Streites die Agamemnonos Aristeia gedichtet und dieselbe, also
den 11. Gesang unserer jetzigen Rias, zur unmittelbaren Anreihung an den
ersten Gesang {A 1 — 305) bestimmt. In diesem 11. Gesang nun werden
rasch hintereinander Agamemnon, Diomedes, Odysseus, Eurypylos ver-
wundet und ausser Kampf gesetzt, so dass nur Aias mit Mühe dem Ein-
dringen der Troer in das Schiffslager der Achäer widersteht. Damit war
für eine breitere Schilderung der Heldenthaten der Achäer, welche das
Nationalgefühl der Griechen verlangte, kein Platz gegeben. Daher scheint
Homer, noch ehe er zur Achilleis, vielleicht selbst ehe er zur Patrokleia
(1892) 91 flf.
*j Ueber die Aasscheidnng der Teile
jener vier Gesftnge, welche zur alten Achilleis
gehörten, sowie auf die ähnliche Ausschei-
dung der Patrokleia aus den Ges&ngen DP£
verweise ich auf meine Ausgabe. Daneben
vergleiche man die im einzelnen abweichende,
') Belege geben die Proleg. meiner Ilias-
ausgabe p. 163. Ueber das allmähliche üeber-
handnehmen der Eontraktion in den jtlngeren
Partien der Odyssee siehe mein Buch, Homer
u. Homeriden ."). 60.
2) Lbhrs, Aristarch.« p. 394—419. —
Seymoub, On the homeric caesura and the
close of the verse as related to the expression aber im ganzen doch übereinstimmende Aus-
pf thougt, Havard Studies in class. philol. lU , Scheidung bei Fick, Ilias S. 18—75.
A. Epos. 2. Homers Ilias und Odyssee. (§ 29.)
43
überging, einen zweiten Schlachttag hinzugedichtet und die Erzählung
desselben dem Gesang von Agamemnons Thaten vorausgeschickt zu
haben. Es sind dieses die Gesänge B—E oder B—-H 312, in denen
in breiter Ausführung und trefflicher Exposition die Volksversammlung
vor der Wiederaufnahme des Kampfes, der Zweikampf der Eriegs-
stifter Paris und Menelaos, die Mauerschau und die Musterung des
Heeres, die Heldenthaten des Diomedes, der Abschied des Hektor von der
Andromache, der Abschluss des ersten Schlachttages durch den Zweikampf
des Hektor und Aias besungen sind. Es hat Orote und nach ihm Düntzer
und Fick diese 6 Gesänge als ein eigenes Epos vom Schicksal Trojas
(okoq ^iXiov) i) fassen wollen, das ursprünglich eine ganz selbständige Stel-
lung gehabt habe und erst nachträglich in das Epos vom Zorn des Achilles
eingelegt worden sei. Aber der Umstand, dass an den Kämpfen jenes
ersten Schlachttages Achill keinen Anteil nimmt, beweist sonnenklar, dass
jene 6 Gesänge mit Bezug auf den Streit des Achill und Agamemnon ge-
dichtet sind und von vornherein zur Einlage zwischen dem 1. und 11. Ge-
sang bestimmt waren. Richtig ist allerdings, dass in denselben der Zorn
des Achill ganz in den Hintergrund tritt*) und Zeus seines der Thetis
gegebenen Versprechens ganz zu vergessen scheint.*) Aber das ist in
der retardierenden Stellung dieser zwischengeschobenen Gesänge begründet
und auch bei dem zyklusartigen Charakter des älteren, mit einem aus
einzelnen Perlen zusammengesetzten Halsband vergleichbaren Heldenepos
nicht allzu auffallend.
Die breite und umfangreiche Schilderung des ersten Schlachttages
hatte zur Folge, dass der Dichter nun auch den zweiten Schlachttag zur
Herstellung des Gleichgewichtes erweiterte; er that dieses, indem er zwi-
schen die Verse A 525 und O 592, die ehedem unmittelbar aufeinander
folgten, mehrere Gesänge einschob. Dabei erweiterte er zugleich den
Hintergrund der Dichtung, indem er einesteils das Schiffslager, statt wie
zuvor nur durch einen Graben, nun auch noch durch eine Mauer umgeben
dachte, und andemteils den Kriegsscharen der Troer und nächsten Nachbar-
völker auch noch die südlichen Lykier unter Sarpedon und Glaukos zu-
gesellte. So kamen zu den allmählich einförmig gewordenen Schilderungen
von Kämpfen in der Ebene neue Bilder in dem Mauerkampf {Tsixoiiaxicc
in M) und in dem Kampf an den Schiffen (i; inl vaval fidxrj in N) hinzu.
Keubelebt aber wurde insbesondere die Darstellung durch die bezaubernde
Dichtung von der Überlistung des Zeus durch seine Gemahlin Hera {Jiog
ijtdxTj) und die damit herbeigeführte Veränderung der Situation zu Gun-
sten der Achäer. — Die Patrokleia und Achilleis waren von vornherein
breiter angelegt, so dass sie weniger der Erweiterung bedurften; doch
nahmen auch sie neue Kampfesepisoden in den ursprünglichen Rahmen
auf, und erfuhr insbesondere die Achilleis einen versöhnenden, auch das
^) Ffir den Namen war den Gelehrten
besimimend der Vers der Odyssee 9 578
^^yeiwy Jaratov fj&* 'JXiov oixov axoviav,
') Die Bezagnahme auf Achill am Schlusse
d^Bede des Theraiies B 239— 42 ist sicher
interpoliert, aber nicht der versteckte Hin-
weis in B 876.
') Der letztere Umstand ist ohnehin von
geringem Belang, da der 2. Teil des 1. Ge-
sanges A 306—611 nicht unmittelbar nach
dem ersten gedichtet zu sein scheint.
44
Qrieohisohe Litteratiirgesohiohte. I. Klassisohe Periode.
religiöse Gef&hl befriedigenden Abschluss durch die Zudichtung von der
Bestattung der Leiche des Patroklos (^ 1 — 256) und von der Lösung des
Hektor {Avtga in Ä). Denn mit Recht lehnte es Köchly ab, diesen letzten
Gesang der Dias, wiewohl er in Sprache und Ton vieles mit der jüngeren
Odyssee gemeinsam hat,^) der alten Dichtung abzusprechen und so den
Homer eines der schönsten Blätter seines Ruhmeskranzes zu berauben.')
Was wir bis jetzt von der Ilias besprochen haben, rührt wohl alles
von einem Dichter her; dazu kamen aber später noch mannigfache Zu-
sätze von Homeriden, die sich nicht auf die Einlage einzelner Verse be-
schränkten, sondern auch ganze Gesänge hinzudichteten. Die bedeutsamste
Zudichtung stammt von einem begabten Dichter, welcher den geschickten
Einfall hatte, eine Gesandtschaft mit demütigen Bitten an den grollenden
Achill abgehen zu lassen (/). Da aber zu einer solchen Demütigung sich
Agamemnon nicht verstehen konnte, wenn er nicht zuvor in die trost-
loseste Lage versetzt war, so legte der Dichter vor der Presbeia einen andern
Schlachttag (KoXog /ia^i? in 0) ein, der mit vollständiger Niederlage der
Achäer endete. Um auf der anderen Seite das Selbstgefühl der Achäer
wieder zu heben und einen passenderen Übergang zu der *AyaiJL€firoro^
dgiaieia herzustellen, schob dann der Dichter der Presbeia oder ein an-
derer jüngerer Dichter zwischen den 9. und 11. Gesang die Doloneia ein,
welche zugleich den Vorteil der Neuheit eines nächtlichen Streifzuges bot
Ausserdem sind von jüngeren Dichtern zur alten Dias noch hinzu-
gedichtet die Schmiedung der Waffen des Achill (OnXonoua 2 369—617),
die Götterschlacht (0 383—514), die Leichenspiele zu Ehren des Patro-
klos CA^la im naxQoxhn qi 257—817), der Schiflfekatalog {B 484—759
mit einem Nachtrag /7 168—199). Die letztere Dichtung hängt mit Böo-
tien, wovon sie selbst den Namen Boionia erhielt, zusammen und fuhrt
uns so zur katalogisierenden Richtung der hesiodischen Schule hinüber.
30. Entstehung der Odyssee. Die Odyssee ist eine jüngere
Schöpfung als die Ilias. Das beweisen zur vollen Evidenz die zahlreichen
Nachahmungen von Stellen der Ilias; 8) das zeigt sich aber auch in dem
entwickelteren Kulturleben der Odyssee und in der ganzen Anlage des
Gedichtes. Denn in der Odyssee tritt das Einzellied zurück und haben
wir statt eines gradlinigen Fortschrittes der Erzählung eine kunstvolle
Ineinanderflechtung der einzelnen Teile. Der Mythus knüpft zwar an die
Sage vom trojanischen Kriege an, hat aber seine Wurzel in den SchiflF-
fahrtsmären der Kephallenier und weist somit nach Samos, das nach Strabo
p. 637 von Kephalleniern besiedelt worden war. — Den ältesten Bestand-
teil der Odyssee bildet das Gedicht von der Irrfahrt des Odyssens
^) Zu sehr ist dieses betont und der
Wert der letzteren herabgedrdckt von Pepp-
MÜLLER in seiner Sonderansgabe des 24. Ge-
sangs.
*) Ohne diesen Abschluss wäre es wohl
auch der Ilias wie später der Aeneis (darüber
s. Kebk, Supplemente zur Aeneis; Progr.
Nürnberg N G. 1896) begegnet, dass ihr
andere Dichter abschliessende Supplemente
zugedichtet h&tten.
') SiTTL, Die Wiederholungen in der
Odyssee, München 1882. Die Nachahmungen
zeigen indes, dass das oben Gesagte nur von
den alten Partien der Ilias und Odyssee gilt
Die jüngsten Gesänge der lUas sind unge-
fähr gleichzeitig mit der Odyssee enistanden,
so dass sogar in der Doloneia und Hoplopoiie
einzelne Stellen begegnen, welche Verse der
alten Odyssee zum Vorbild gehabt zu haben
scheinen.
A. Epoa. 2. Homers Dias and Odyaaee. (§ 80.) 45
(vwrtog 'OfviXixijogj i x fi). Der eigentümliche Charakter jenes alten
Epos, das vielleicht der Dichter der Odyssee schon vorfand und nur
mit geringen Veränderungen in sein neues Oedicht einlegte, besteht in
der märchenhaften Natur der Abenteuer und in der Knappheit der schlichten,
auf die poetischen Mittel der Gleichnisse und Göttermaschinerie fast ganz
verzichtenden Erzählung. — Das neue Epos knüpft vermittelst einer Götter-
versammlung (a 1—87) an den alten Nostos an, indem es zunächst (« — »5^)
den edlen Dulder von der Insel der Kalypso^) in das Land der Phäaken ge-
langen und dann dort seine früheren Irrfahrten erzählen lässt. Mit dem Lied
von der Heimkehr (r ^) schlägt sodann der Dichter die Brücke zu dem
zweiten Hauptteil der Odysseussage, der Rache, welche der heimgekehrte
Held unter mancherlei Listen an den übermütigen Freiern der treuen Pene-
lope nimmt {n — j^'). Laufen auch hier neue Erfindungen des Dichters
neben altüberlieferten Motiven her, so sind doch die Diskrepanzen so ge-
ring und ist alles so gut ineinander gearbeitet, dass sich eine glatte Ausson-
derung und scharfe Scheidung verschiedener Epen nicht durchführen lässt. ^)
Zur Odyssee im engeren Sinne ist später die Telemachie [a ß y S,
0 1—557) gekommen, welche den Irrfahrten des Odysseus die Er-
kundigungsreise seines Sohnes Telemachos zur Seite stellt. Dieselbe
ward erst von der jüngeren Hand eines Homeriden dem alten Gedichte
zugefugt; sie ist nicht bloss ärmer an Schönheiten der Erfindung und
Darstellung, sie verrät auch den Charakter einer fremden Zudichtung
durch das geringe Geschick der Einfügung.^) Aber von einem ganz
selbständigen Epos der Telemachie kann keine Rede sein; dieselbe ist
vielmehr von vornherein gedichtet, um eine Ergänzung, und somit einen
Teil der Odyssee zu bilden. — Endlich haben auch hier jüngere Dichter
durch Einlage neuer Gesänge das alte Epos erweitert. Eine solche Ein-
lage ist die Nekyia oder Hadesfahrt (x 490— iit 30), die von vornherein
unnütz war, weil Odysseus dasjenige, was ihm in der Unterwelt der Seher
Teiresias weissagt, in dem alten Nostos schon von der Kirke erfahren
hatte.*) Noch jünger ist der schon von den alten Grammatikern ver-
worfene Schluss der Odyssee {\p 297 — w fin.), indem eine jüngere Nekyia
M Die Gestalt der Ealypso selbst ist
eine Yariante der alten Zauberin Kirke, wie
man noch hübsch aus » 29 — 33 ersehen
kann.
') AnsBcheidimgen versuchten Eirchhoff,
Wilamowitz, Niese, Jelinek; aber selbst
Cauer, der jenen Männern so gerne entgegen-
kommt, erkennt schliesslich (Homerkritik
307 i an, dass sich eine sichere Grenze zwi-
schen den beiden Hauptteilen der Odyssee
nicht finden lässt und wir besser thun, dieses
einzugestehen, als mit einem gewaltsamen
Schnitt den Knoten zu durchhauen. Damit
soll aber die Möglichkeit des Nachweises
einiger jüngerer Zusätze wie der SchUderung
▼on den Gärten des Alkinoos (17 103—131),
der Reminiszenzen aus der Argonautensage
(f 3—4. 61 — 72), der Visionen des Sehers
Theoklymenos (0 256—286. 508. 549. q 151
bis 167. V 347—385;, nicht in Abrede gestellt
werden. Die Verwandlung des Odysseus
X 397 ff. braucht nicht erst erfunden zu sein,
um, wie Kirchhoff annahm, die verschiedene
Erscheinung des Helden im ersten und zweiten
Teil der Odyssee in Einklang zu bringen.
') Siehe oben § 21. Schon in dem alten
Epos kamen Odysseus und Telemachos bei
dem Sauhirten Eumaios zusammen, aber Tele-
machos war dort (n 27—9) nur zufüllig von
der Stadt auf das Land gekommen. Erst
der Einfüger der Telemachie brachte durch
eine noch deutlich erkennbare Interpolation
(71 24. 26) einen Hinweis auf die Telemachie
in das alte Gedicht.
^) Es wiederholen sich geradezu die-
selben Verse A 110—114, fji 137-144. Im
übrigen siehe die meisterhafte Darstel-
lung von der Entstehung und Erweiterung
der Nekyia von Rohde, Rh. M. 50 (1895)
600 ff.
46 Oriechisohe LitteratargMohichte. t. Ilaasiaohe Periode.
(o) 1 — 202) jener älteren nachgedichtet ist. Auch diese Einlagen, ins-
besondere die Nekyia, haben später noch bei dem flüssigen Charakter der
ganzen alten Poesie allerjüngste Erweiterungen erfahren; solche sind z. B.
der von einem Dichter der hesiodeischen Schule herrührende Frauenkatalog
(A 225 — 337) und die Schilderung des inneren, von Odysseus nicht be-
tretenen Totenreiches (A 565—627).
31. Die dichterische Kunst des Homer. i) Die Kunst Homers
steht, so sehr sie auch an sich betrachtet zu werden verdient, doch auch
mit der eben behandelten homerischen Frage in Zusammenhang. Genies
wie Homer, hat man gesagt, sieht die Welt alle tausend Jahre einmal,
und das kleine lonien sollte auf einmal ein Dutzend solcher Genies hervor-
gebracht haben? Fragt man aber, worin das Genie und die Kunst Homers
besteht, so wird man finden, dass die einen der Vorzüge nicht allen Teilen
der homerischen Dichtung gemeinsam sind, und dass andere nicht speziell
dem Homer eignen, sondern in dem Volkscharakter ihre Wurzel haben.
Der geniale Gedanke, uns mitten in die Sache zu versetzen und um eine
Handlung voll spannender Kraft alle Erzählungen zu gruppieren, ist unserer
Darlegung nach in der Ilias gewissermassen von selbst aus der Erweiterung
des Grundepos herausgewachsen ; schon die Komposition der Odyssee verrät in
diesem Punkt eine bewusste, wenn auch in selbständiger Weise durchgeführte
Nachahmung der Ilias. Anders steht es mit den nächstbewunderten Schön-
heiten Homers, der jugendlichen Kraft und erfinderischen Klugheit der Helden,
der heiteren, menschlich fassbaren Vorstellung vom Walten der Gotter, dem
Adel und der Tiefe der Empfindungen in ihrer ganzen Skala vom zarten Liebes-
traum der Königstochter bis zum lührenden Abschied der Gattin, von der
zornigen Aufwallung ob erlittener Schmach bis zum wehmutsvollen Mitleid mit
dem greisen Vater des erschlagenen Feindes. Das sind allerdings die Saiten,
die an jedes fühlende Herz anschlagen, die Schwungfedern, die heute noch
bei der Lektüre Homers unsere Seele über die gemeine Wirklichkeit er-
heben; aber diese Vorzüge sind nicht speziell dem Homer eigen; sie gehören
dem hellenischen Volke in jener Zeit jugendfrischer Entfaltung an. Homer
bewährt sich hierin nur als echter Volksdichter, der aus dem Herzen und
in dem Sinne seines Volkes spricht und in seinen Dichtungen gleichsam
seine Zeit und die Art seines Volkes widerspiegelt. Das thut der Be-
deutung und dem Zauber seiner Poesie keinen Abbruch, lässt uns aber
einen Hauptvorzug derselben auf Rechnung nicht seiner Person, sondern
seines Volkes und seiner Zeit setzen. Auch der melodische Fluss der
Verse und die biegsame Schönheit der Sprache darf nicht als spezielles
Eigentum eines einzigen Dichters angesehen werden. Diese herrlichen
Mittel der Darstellung waren durch lange Übung und durch das Zusamjnen-
wirken vieler Dichter gereift worden; sie anzuwenden stand allen oflFen,
und die Kunst leichter Versifikation wird damals ebenso verbreitet ge-
wesen sein, wie heutzutage das Vermögen, eine gute Prosa zu schreiben.
Andere Vorzüge sind allerdings speziell dem Dichtergenie Homers
zuzuschreiben, die ruhige Objektivität der Erzählung, die des Dichters
») Bbbgk, Gr. Litt. I 780—873.
A. Spoa. d. Homers Iliaa und Odyssee. ($ dl.) 47
Person ganz in den Hintergrund drängt und nur die Sache reden lässt,
die klare Anschaulichkeit («'la^/^ca) der Schilderung,^) durch die wir alles
mit eigenen Augen zu schauen und das Erzählte mitzuerleben vermeinen,
der belebende Wechsel im Tone der Erzählung, der uns nach aufregenden
Kämpfen wieder in Scenen gemütvollen Stilllebens aufatmen lässt, der
dem beflügelten Charakter der Sprache entsprechende Fluss der Erzählung,
der alles im Werden und Fortschreiten erfasst und auch die Bilder auf
dem Schilde des Achill vor unseren Augen entstehen lässt, nicht als bereits
fertig beschreibt, endlich die Fülle und Schönheit der Vergleiche, die Kunst
der dem Charakter der Sprechenden angepassten Rede, die Ebenmässigkeit
und das schickliche Mass in allem. Das sind allerdings individuelle Vorzüge,
die aus dem allgemeinen Wesen der Volkspoesie nicht abgeleitet werden kön-
nen. Denn die Volksepen anderer Völker, selbst unsere Nibelungen und
der Mahabharata der Inder halten darin keinen Vergleich mit Homer aus.
Aber nach dieser Seite zeigt sich auch ein erheblicher unterschied zwi-
schen nias und Odyssee, indem die Dias wohl die grössere Zahl ausge-
f&hrter Gleichnisse') und den Glanz heldenmässiger Schlachtenbilder voraus
hat, der Dichter der Odyssee aber in Erfindung wundervoller Mären und
in gemütvoller Erfassung des Menschen- und Tierlebens überlegen ist.
Wohl entlockt auch in der Ilias uns Thränen der Rührung die herrliche
Scene, wo Hektor beim Abschied von Andromache den kleinen Astyanax,
der sich vor dem Helmbusch und der ehernen Rüstung des Vaters fürchtet,
nach Herabnabme des Helmes herzt und küsst (Z 466—496), aber noch
einen tieferen Blick in das Seelenleben selbst der Tiere lässt uns der
17. Gesang der Odyssee an jener Stelle (290-— 327) thun, wo den Odysseus
beim Eintritt in das Heimathaus sein Hund Argos, der dem Verenden nahe
auf dem Misthaufen liegt, allein, vor Frau und Dienern wiedererkennt
und sterbend mit dem Schweife wedelt, sein Herr aber sich die Thräne
der Rührung abwischt.') Grössere Unterschiede noch zeigen sich zwischen
dem alten Kern der beiden Dichtungen und ihren jüngeren Erweiterungen.
Wohl zeichnen sich mehrere der Gesänge, welche wir für jüngere Ein-
lagen halten, wie die Gesandtschaft, die Lösung Hektors, der Schild des
Achill, durch grosse poetische Schönheiten aus, und wir müssen schon
zugeben, dass auch noch manchem der Homeriden ein glücklicher Wurf
^) Sehr hübsch hat mehrere dieser Vor- ■ gangen,
dge Aristot Poet. 24 verzeichnet: "O/iijQOf \ >) Die Ilias hat 182, die Odyssee 39
cU« I« noXXtt S^toq inmyeiOt^M xai &rj *ai i ansgef&hrte Gleichnisae; meist begnügt sich
ort fioyoi ttöy noiijiiuy ovx tiyyoBT ö ösl , der Dichter der Odyssee mit einem ein-
nrntty avtow ' avtoy yuQ ifei joy Jtoirjiijy fachen Hinweis auf den zur Vergleichung
^/i^r« Xiyeiy ' ov yag iaji, xard tavju ' herangezogenen Qegenstand. Indes auch die
/tt^f^ri^V ' ol fAky ovy aXXoi avjoi uiy di' | einzelnen Gesänge der Ilias und selbst die
öioo «ymyi^oytttt, fiifiovyiai &^ oMytt xw. \ inhaltlich auf einer Stufe stehenden weichen
^5 — :_., r »i _M.'... ? _'«->_ ' hierin je nach der Situation stark von ein-
ander ab; an jugendlichem Bilderreichtum
zeichnet sich vor allen die Aristeia Aga-
memnonos (Ä) aus. Vgl. Arn. Passow, De
«« r« iy 'oi^itaaiitji uXaya . . xolg aUoig comparationibus Homericis, Dias. Berl. 1852.
iy«9oif6notijTrjgd(payiCeiijdvyioyj6ttXoyoy. , *) DargesteUt ist diese Scene auf einer
hl diesem Urteil war dem Philosophen der ' Gemme bei Ovbrbbck, Gal. her. Bild. 7, 33, 10.
IKchter Pindar Nem. YII 20 ff. vorange- i
»hyaxig, 6 äi oXiya (fQotfuaadfAcyog €v9vs
tkayei dy&ga ij yvyaTxa jjf dlXo n xai ovdiv*
«17^17 . . . d€dtdaj[£ di fidXiata "OfitjQog xai
t99g aXXovg iffivSfj Xeyeiy tag dei ... ^71«
48 Qrieohisohe Litteratnrgeachiohte. I. iQasaisohe Periode.
gelungen ist^ Aber die meisten der Zudichtungen erkennt man doch
als solche eben auch aus dem geringeren Vermögen des Dichters und dem
Ungeschick des Nachahmers. Die Verse von Achill und Aeneas, die vor
dem Kampfe lange und langweilige Reden halten ( Y 75 — 380), sind nicht
carmina Homeri setnper ad eventum festinantis, die unruhige Hast der Kolog
fiaXi] (0) verrät nichts vom Dichter der alten Dias, der, wenn alles Eile
hat, ruhig seiner Wege geht, die trockene Aufzählung der Schiffe der
Achäer und der Namen ihrer Führer hat nichts von dem belebenden
Wechsel in Situation und Ausdruck, der in den anderen Gesängen uns
ununterbrochen gefesselt hält.
Von besonderer Bedeutung sind in dieser Beziehung die Nachahmungen
und Wiederholungen. Die öftere, oft drei- und viermalige Wiederkehr der
gleichen Verse ist eine Eigentümlichkeit der homerischen Poesie; sie ist
nicht an sich ein Anzeichen verschiedenen Ursprungs, sie hängt vielmehr
mit der Objektivität der Erzählung und den stehenden Epitheton zusammen.
Wenn die Sonne von neuem in der Natur aufzugehen beginnt, so singt
auch der Dichter von neuem ohne Variation rjiuiog S'rjQiytveia (pavr; ^oio'
iäxTvkog rj(agy wie er immer von neuem das Bild des Schiffes durch das
Epitheton ivaaeXfiog oder fih'Xaiva uns anschaulich vor die Seele fuhrt.
Aber das Epitheton kann nicht bloss unnötig, es kann auch unpassend
werden; der Vers oder die Verse können in unpassendem Zusammenhang
und in missverstandenem Sinne wiederholt sein; eine ganze Stelle kann
aus zusammengestoppelten Versen und Halbversen bestehen. Solche Gen-
tonen kommen auch schon in unserem Homer vor, wie in dem Füllstück
zwischen dem ersten und zweiten Schlachttag (H 313—482),*) rühren aber
gewiss nicht von dem göttlichen Homer, sondern von einem Spätling unter
den Homeriden her.«)
3*2. Zeit des Homer. Erst jetzt können wir auf mehrere Fragen
zurückkommen, die wir oben nur gestreift haben, so zuerst auf die Enfc-
stehungszeit der homerischen Dichtungen. Da offenbar die Alten von der
Zeit, in der Homer lebte und Ilias und Odyssee entstanden sind, keine
bei^immte Überlieferung hatten, so sind auch wir wesentlich auf Kombi-
nationen angewiesen. Diese müssen von dem zeitlichen Verhältnis der
altgriechischen Epen zu einander ausgehen.^) Nun gilt es jetzt als aus-
*) Otfb. MClleb, Gesch. der gr. Litt I
84 niteilt von der Scene der Zusammenkunft
des Achilleus und Priamos im letzten Gesang
der Hias, dass sie mit keiner andern in der
ganzen alten Poesie verglichen werden könne,
und Schiller sprach einmal: «wenn man
auch nur geleht hätte, um den *23. Gesang
der Ilias zu lesen, so könnte man sich über
sein Dasein nicht beschweren*. Von den
Dichtem jener Gesänge galt eben auch schon
im Altertum der Goethe'sche Spruch „denn Ho-
meride zu sein, auch nur als letzter, ist schön*.
haft geworden, ob die Gemeinverse ans der
Odyssee und nicht aus älteren hieratischen
Gedichten entlehnt sind.
*) Dieser Punkt, schon von Eöchly und
Kirchhoff beachtet, ist von mir besprochen
in dem Aufsatz, Die Wiederholungen glei-
cher und ähnlicher Verse in der Ilias, in
Sitzb. d. b. Ak. 1880, S. 221—271.
*) Davon ans habe ich die Frage be-
handelt in dem Aufsatz, Zur Chronologie des
altgriechischen Epos, im Sitzb. der b. Akad.
18^ S. 1—60, wo auch die auf ägyptischen
^) In der Ghryseisepisode J 430—492 Kombinationen beruhende Datierung Glad-
scheint man gleichfalls einen solchen Cento | stones zurückgewiesen ist. Vgl. D&ivtzsr,
vor sich zu haben, doch ist es mir zweifei- j Die homerischen Fragen, Leipzig 1874.
A. Epos. 2. Homera Iliaa und Odyssee. (§ 32.)
49
gemachte, durch Anzeichen der Nachahmung erwiesene Thatsache, dass
Hesiod jünger als Homer war und nicht bloss die Ilias, sondern auch
schon die Odyssee, wenigstens in ihren älteren Bestandteilen, vor Augen
hatte; mit Hesiod dürfen wir aber nicht, wenigstens nicht viel unter 700
herabgehen. Ferner liegt es in der Natur der Sache und lässt sich aus
Sprache und Mythos erweisen, dass die Gedichte des epischen Kyklos erst
zur Zeit, als die zwei grossen homerischen Epen bereits fertig waren,
entstanden sind.^) Nun wird Arktinos, der Dichter der Aithiopis, in die
1. oder 9. Olympiade gesetzt, und wenn diese Ansätze auch nicht ganz ausser
Zweifel stehen und vermutlich etwas zu hoch gegriffen sind, so dürfen wir
doch mit Zuversicht den Beginn des kyklischen Epos noch in das 8. Jahr-
hundert setzen. Einen dritten Vergleichungspunkt bilden die Werke der
bildenden Kunst. Auf dem amykläischen Throne waren bereits Scenen
der Dias und Odyssee, wie der singende Demodokos, Menelaos in Ägypten,
Proteus, dargestellt.') Damals waren also schon die jüngsten Gesänge der
Odyssee allgemein bekannt; schade nur, dass sich die Zeit jenes Thrones
selbst nicht genau fixieren lässt, und dass die Angabe, der Thron sei aus
dem Zehnten des messenischen Krieges gestiftet worden, nicht als zuver-
lässig gelten kann. 3)
Zu der durch Vergleichung gewonnenen Zeitgrenze stellen sich meh-
rere äussere Zeugnisse und historische Anzeichen im Homer selbst. Im
Schiffskatalog, der die Ilias mit Einschluss der Leichenspiele zur Voraus-
setzung hat, wahrscheinlich auch vor der Telemachie und den jüngeren
Partien der Odyssee gedichtet ist,*) wird die Blüte Megaras,*^) die mit der Be-
freiung der Stadt (Ol. 10) begann, völlig ignoriert; ja selbst der Name Megara
ist noch unbekannt, und Nisa erscheint noch als Teil Böotiens (B 508), ge-
radeso wie Korinth noch als Teil von Argos (B 570). Das führt also auf eine
Zeit, wo entweder die neuen Verhältnisse noch gar nicht eingetreten waren
oder doch die alten noch in der Erinnerung der Leute fortlebten. Auf der
anderen Seite kennt der Schiffskatalog kein Messenien mehr und lässt die
^) Im einzelnen erwiesen von Wblckeb,
Der epische Cyklns; vgl. Niksb, Entwicklung
d. hom. Poesie 27 ff und 225 ff. Anspielungen
auf die entwickelten Mythen des Kyklos
finden sich allerdings auch in der Ilias,
aber nur an interpolierten Stellen T326 -837,
ß 28— 30, 9 230-2 (B 699-709. 721—8).
Die in der Odyssee, in der Telemachie und
Nekyia, vorausgesetzten Gesäuge vom Falle
nions durch das hölzerne Pferd, vom Streit
am die Waffen des Achill, von der Heran-
ziehung des Philoktetes, Neoptolemos, Eurypy-
los, von der Heimkehr der Könige imd der
Rache des Orestes herOhren sich mit den Dich-
tmigen des Arktinos, Lesches, Hagias,
brauchen aber nicht notwendig aus denselben
geflossen zu sein, da auch deren Epen Einzel-
Heder vorausgegangen waren. Dass indes
Arktinos vor dem Dichter der jüngsten Par-
tien der Odyssee lebte, scheint mir auch heute
noch wahischeinlich zu sein.
^) Paus, in 18; es fanden sich auf dem-
selben auch schon Scenen aus den Kyprien
Bavdlroch d«r klan. AltertuioswiaMDsohaft. VII.
und der Aithiopis, wie das Parisurteil und
der Kampf des Achill und Memnon.
') Bbukn, Gesch. der griech. Künstler I
52 f. setzt seine Verfertigung um Ol. 60;
andere gehen höher, 580—540 v. Chr. hinauf;
8. OvKBBBCK, Gcsch. der griech. Plastik
I* 68. Neuestens setzt Wolfo. Rbichel,
Ueber vorhellenische Qötterkulte, Wien 1897
8. 15, die Statue des ApoUon, die als Sieges-
zeichen aufgestellt worden sei, in das siebente
Jahrhundert, den Thron, den Bathykles für
jene Säule herrichtete, erheblich später.
^) Es passen allerdings die Epitheta xoiXijy
AttxidaifAoya xt]i(osaaay gut zum Land (ß 581),
schlecht zur Stadt (cf 1); aber es kann doch
auch die letztere Stelle auf die Landschaft
Lakedämon gedeutet werden. Zu beachten
ist auch, dass in dem Schiffskatalog unter den
böotischen Städten Askra, die Heimat Hesiods,
nicht vorkommt. Das kann aber auch aus der
Unbedeutendheit des Ortes erklärt werden.
^) Schon zu Ol. 15 wird ein Sieger
"O^cmnoq MeyaqBvg angeführt.
3. Aufl. 4
50
Grieohiaohe Litteratnrgeachiohtd. I. Slaaaiaohe Periode.
Landschaft Lakedämon bereits die Städte Pharos, Amyklai, Helos {B 582~-4)
umfassen, die erst durch die Könige Teleklos und Alkamenes in der zweiten
Hälfte des 8. Jahrhunderts unterworfen worden waren, i) Nehmen wir dazu,
dass der Schiffskatalog sich nicht bloss im Fahrwasser der hesiodischen Dich-
tungsart bewegt, sondern auch bereits auf Sagen anspielt, die wie der Fall
des Protesilaos und die Zurücklassung des Philoktetes in den Kyprien und der
kleinen Ilias erzählt waren, ') so werden wir denselben allerdings kaum vor
650 ansetzen dürfen, aber dann auch jedenfalls annehmen, dass sicher da-
mals bereits die ganze Ilias in allen ihren wesentlichen Teilen fertig war. —
Femer verrät die Ilias und insbesondere der Eingang des 13. Gesangs
noch gar keine Kenntnis von dem schwarzen Meere und der an seinen
Gestaden im 8. und 7. Jahrhundert von den Milesiern gegründeten Kolo-
nien; ihre Entstehung muss also über die Zeit der Gründung von Trape-
zunt und Sinope hinaufgerückt werden. — Für die Abfassung des letzten
Gesangs der Odyssee, also eines der allerjüngsten, gibt der Yers w 88
^oivvvvTai re väoi xal iirevTvvovTai äe&Xa einen annähernden Terminus
ante quem an die Hand. Denn da in der 15. Olympiade die Wettkämpfer
in Olympia den Gurt ablegten und die Einführung der nackten Ringkämpfe
so ziemlich gleichzeitig in aUen Teilen Griechenlands erfolgt sein wird,
so muss jener Vers vor, kann sicher nicht lange nach 715 gedichtet sein.^)
In ähnlicher Weise fuhrt die Erwähnung der sizilischen Dienerin in den
jüngeren Partien der Odyssee (i; 388. w 211. 866. 889) auf die Zeit der
Kolonisation Siziliens (Ol. 9), und scheint die Erwähnung der Quelle Ar-
takie Od. x 108 mit der Gründung von Kyzikus (756 oder 680 v. Chr. nach
Euseb.) zusammenzuhängen.^) Damit bleiben wir also in der Zeit vor
Schluss des 8. Jahrhunderts; nur mit den kleinen Interpolationen der Dias
und Odyssee werden wir noch weiter herabgehen müssen. Zwar die Verse
yi 699 ff. brauchen nicht auf die in der 25. Olympiade in Elis eingeführten
Wettkämpfe mit Viergespannen bezogen zu werden, ^) aber die Stelle in der
Odyssee q> 15—41 geht von der Unterwerfung Messeniens unter Lakedämon
0 Im Gegensatz zum Schiffskatalog setzt
die nias i 149 — 156 voraus, dass die See-
städte, wenigstens die messenischen, noch im
Besitze der alten achäischen Fürsten und noch
nicht den dorischen Eroberem unterthan waren.
') Ich wage jetzt nicht mehr, wie ich in
meiner Ausgabe der lUas that, die betreffenden
Stellen ß699— 709 und «791—728 einem spä-
teren Interpolator zuzuweisen; übrigens wird
auch dann an der Zeitrechnung wenig geändert.
») Kirchhoff, Hom. Od. 288 ff.; Ein-
wendungen von Niese, Entwicklung der
homerischen Poesie 223 ff. lieber die Zeit
(Ol. 15, nicht 32) handelt Böckh, Ges. Sehr.
IV 137 ff. Noch weiter geht Eirchhoff
S. 340, indem er aus oi 417 schliesst, dass
Eugammon, der Dichter der Telegonie (um
Ol. 53), den Schluss der Odyssee noch nicht
gekannt habe, und so ähnlich auch Wila-
xowiTz, Hom. Unt. 185. Aber einfacher ist
die Lösung, dass entweder Proklos oder der
Exzeiptor bei ol finjaroqeg vno ttör ngo^jf]-
xoyxfüv ^anroyiai die Freier mit den am
Schlüsse {<o 523) gefallenen Ithakesiem yer-
wechselt habe, oder dass die Worte unseres
Odysseetextes atovxsg itfoltiov {ia 415) bis
ii9ivtBg (o) 419} einer jungen Interpolation
entstammen.
^) Ich habe mich etwas zurückhaltender
gefasst mit Rücksicht auf die Einwände yon
Roths in Jahresb. d. Alt. XIII 1, 182. Noch
weiter zu gehen und die Hälfte der Odyssee
mit WiLAMowiTZ dem 7. Jahrh. zuzuweisen,
verbietet schon die Sprache, namenÜich das
Digamma.
») Vgl. Aüo. MoMMSBN, Phü. 8, 721 ff.;
aber notwendig ist es durchaus nicht
an die Pferdewettkämpfe der olympischen
Spiele zu denken; eines spricht sogar da-
gegen, dass die Stelle A 700 Dreifüsse als
Preise erwähnt, in Olympia aber schon mit
der 7. Oly^mpiade der Wertpreis durch den
Ehrenpreis eines Kranzes ersetzt wurde.
A. Spos. 2. Homers Uiaa und Odyaaee. (§ 82.)
51
aus,^) kann also erst nach dem Ausgang des ersten messenischen Krieges
geachtet sein. In der ganzen Frage aber müssen wir uns gegenwärtig
halten, dass einzelne Oesänge, wie die Doloneia, der Schiffskatalog, die
zweite Nekyia, insbesondere aber kleinere Interpolationen, wie die Er-
weiterungen in der Schildbeschreibung {2 590 — 606), den Leichenspielen
{9 788—897), der Beschreibung der Gärten des Alkinoos {rj 103—113),
der Nekyia (A 565—617), die Rekapitulation der Irrfahrten des Odysseus
{ip 310—343) leicht noch von Homeriden und Rhapsoden zugefügt werden
konnten, nachdem die Ilias und Odyssee in ihrem Grundgerüste längst fertig
waren, dass aber die Ausführung des Grundplanes der beiden Dichtungen
sich kaum durch mehr als 2 bis 3 Generationen hingezogen haben wird.')
Sollen wir zum Schluss bestimmte Zahlen geben, so scheint uns aus
den angedeuteten Kombinationen zu folgen, dass die Ilias um 850 — 780,
die Odyssee um 800 — 720 entstanden ist, und dass nach dieser Zeit,
vom Schiffskatalog abgesehen, keine ganzen Gesänge mehr, sondern nur
noch kleine Interpolationen, zum Teil zur besseren Verbindung der
Teile und in Zusammenhang mit der schriftlichen Fixierung des Textes
hinzukamen. Im allgemeinen pflichten wir so Herodot bei, wenn er den
Homer 400 Jahre vor seiner Zeit, also um 840, gelebt haben lässt.^) Nur
müssen wir dem noch hinzufügen, dass der Ursprung der Sagen, welche
in Homer widerkUngen, und teilweise auch die Anschauung, welche Homer
von der aussergriechischen Welt hatte, in frühere Vergangenheit zurück-
reichen. Merkwürdig ist in letzterer Beziehung namentlich, dass der Dichter
noch Sidon, nicht schon Tyrus die Meere beherrschen, und noch nicht
Memphis, sondern das ältere Theben Hauptstadt Ägyptens sein lässt.^)
^) Dafür sprechen die Verse 18—15
*lqfiTog EvQvtidf]^ inielxeXog a9ayäjoi<ny ' rw
«T 4p Mecaijyfi ivf^ßkijaxo aXXfjXoityy aber mit
y. 15 beginnt die Interpolation.
') Weiter zn gehen, missrät schon der
geringe Unterschied der Sprache namentlich
im Gebraach des Digamma und in der Ab-
neigong gegen EontralLtion. Die historischen
Eimmerier, welche um 660 in Lydien und
lonien einbrachen, beweisen nichts f&r die
Zeit Homers, da es umgekehrt grössere
Wahrscheinlichkeit hat, dass diese rftube-
risehen, aus dem dunklen Norden kommenden
Horden von den Zeitgenossen mit den home-
rischen Ejmmeriem (Od. X 14) verglichen
und nach ihnen KtfifitQioi benannt wurden,
Ihnlieh wie spftter die germanischen Völker
des Nordens den Namen Cimbri, das ist eben
Ktiifji4Qio&, erhielten. Uebrigens stammt der
Name Kifdfi^^oi aus Innerasien, da in assy-
rischen Eeilinschriften die nordischen Sky-
then Gimiral heissen, so dass sowohl £e
KifißiiQioi a 14) als die Krjreioi (X 520), d. i.
Chethiter, der Odyssee ein Beweis sind, wie
die Griechen IQeinasiens allmfthlich mit den
grossen Reichen am Orontes und Euphrat
Ffihlung bekamen.
') Herod. II 53 : *Balo&oy ydq xal "Ofit^Qoy
ijXixirjy xBxqaxwiioiai hsin doxim fjiev n^ea-
ßvjsgovg yey^a&at xal ov nXelocw.
*) n. J 381 : ovV* Off* ig 'ÖQxofjiByoy noji-
yiaffSTM, otJcf o'ff« Si^ßttg Aiyvntiae, o&i nXeicta
dofiotg iy xtijfiaTa xeitaiy aX d-* ixaTOfinvXoi
eiin, ^ifjxoaiot (f dy^ kxdaxag dysgeg i^oixyevat
avy Vnnoiffiy xal oxeatpvv. Eral, Diodor u.
Manetho, Stzb. d. österr. Ak. 96 (1880) 381
sieht darin eine dunkle, im Lied fortlebende
Erinnerung an die Zeit der Ramessiden, wo
griechische Stämme (eher Earier) mit Ae^^p-
ten und seiner damaligen Hauptstadt Theben
in BerUhrung kamen. — Von Aegypten aus
drang zu Homer auch die Eunde von den
Zwergen Afrikas r6, die in unserer Zeit
Stanley in den ürwUldem südlich der Nil-
quellen wiedergefunden hat. Mit Aegypten
scheinen ausserdem zusammenzuhängen die
Göttertriade Zevg xal 'jS^yalij xal 'AnoXXav
(vgl. Isis, Osiris, Horus), die Seelenwägung
X 209 ff. und die Vorstellungen von der
Unterwelt. — Die Aegypter und ihre Fabri-
kate lernten die Griechen durch die Yer-
mittelung phönikischer Eaufleute kennen.
Von Bedeutung für die Sache ist es daher
auch, dass Helbiq, Ein ägyptisches Grab-
gemälde und die mykenische Frage, Sitzber.
d. b. Ak. 1896, zwei Perioden des eindringen-
den Einflusses Phönikiens auf Griechenland
52 Qriechiache Litieratnrgeachiohte. L Klasaisohe Periode.
33. Sprache und Heimat des Homer. Die Frage nach der Heimat
des Homer und seines Geschlechtes hängt eng mit seiner Sprache zusammen.
Die Sprache, in der uns die homerischen Gedichte durch die Alexandriner
überliefert sind, hat das Gepräge des ionischen Dialektes, geradeso wie
sich auch in dem ganzen Ton der Dichtung loniens heiteres Leben wider-
spiegelt.^) Wenn jenes Gepräge vielfach von dem der Sprache des Herodot
abweicht, so fand man dieses ehedem durch die Grösse des zeitlichen Ab-
standes sattsam erklärt. Aber so leicht darf man sich mit jenem Unter-
schied nicht mehr abfinden, nachdem wir. durch Bentley belehrt, wissen,
dass der Dichter der Ilias und Odyssee noch das Digamma gesprochen und
in einigen Wörtern, wie im Pronomen der 3. Person ov ol i' og, ferner in
«»'«f, ^O^vog, ^Tog regelmässig zur Geltung gebracht hat.*) Denn diesen
Laut hatten im 7. Jahrhundert die ionischen Landsleute der Elegiker und
lambographen schon vollständig abgeworfen, so dass sie ihn schwerlich
im 9. und 8. Jahrhundert noch in dem Umfange gesprochen haben werden,
den wir für die Landsleute und Zeitgenossen des Homer voraussetzen
müssen. Auch mit der Annahme, dass Homer vieles aus der Sprache
seiner Vorgänger könne herübergenommen haben, 8) reichen wir zur Er-
klärung jenes sprachlichen Unterschiedes nicht aus. Denn aus älteren
Dichtungen können wohl einzelne formelhafte Ausdrücke, wie rscfskriyegita
Z€vg, InTVora NtatmQ^ not via '^HQrj, ttqoc&sv &akdfioio O^vgcLtav^ fiavTig
dfjivfKov, herübergenommen sein, aber in dem Gebrauch eines ganzen Lautes,
wie es das Digamma ist, in der Diärese oder Synizese der Vokale,^) in
den Formen der Pronomina*») und der Worte des Alltagslebens richtet sich
jeder Volks- und Naturdichter^) nicht nach der Sprache firüherer Jahr-
hunderte, sondern nach der seiner Zeit und seiner Umgebung. Die Sprache
der Ilias und Odyssee verbietet uns daher, die Landsleute Homers in dem
Lande des Archilochos oder Kallinos zu suchen, sie führt uns ebenso wie
die Sage vom troianischen Krieg nach Äolien oder doch nach einem nörd-
licheren, äolisierenden Teile loniens. Denn nicht alle Bewohner loniens
redeten die gleiche Sprache, vielmehr unterscheidet Herodot 1 142 ausdrück-
lich vier verschiedene Dialekte der lonier.^) Geradezu zum Äolier stempelte
nachweist, in der Art, dass der ältere Ein- 1 seos usu Homerico, Monachii 1886.
fluss in der my kenischen Periode durch die | ^) In unseren Texten stehen von den
Wanderung und Eroberung der Dorer unter- | Pronomina ftolische und ionische Formen;
brochen wurde, dann aber im 7. Jahrhundert | die ftolischen fiberwiegen und lassen sich
einen neuen Aufschwung nahm. i mit Sicherheit noch weiter ausdehnen; aber
^) Die anderen Züge der homerischen ' auch die ionischen können nicht ohne Ge-
Poesie, welche auf lonien hinweisen, hat | waltsamkeit ganz ausgetrieben werden,
gut MüLLEß, Gr. Litt. I^ 72 ff. besprochen, i ^) Ich betone „Naturdichter*, da die
ohne von Neueren widerlegt worden zu sein. ' nachi^menden Dichter der sp&teren Zeit einer
*) Auf die durchwegige Geltung des 1 anderen Uebung folgten.
Digamma gewisser Wörter ist ein Haupt- ^) Es hängt diese Verschiedenheit der
gewicht zu legen, da damit die Erklärung Sprache mit der Verschiedenheit der Ein-
des Gebrauchs jenes Lautes infolge konven-
tioneller Vererbung wegfällt. Zur Sache
Enös, De digammo Homerico, Ups. 1872,
und meine Proleg. lliadis carm p. 150 sqq.
") Diesen Standpunkt vertritt Hinrichs,
De Homericae elocutionis vestigiis Aeolicis,
Jenae 1875.
*) M EKB AD, De contractionis et sjnize-
wanderer zusammen; so hatten sich in Prione
Thebaner unter Philotas (Strab. 633), in
Teos Minyer unter Athamas (Anakr. fr. 114,
Paus. VII 3 6, Steph. Byz.) angesiedelt; nach
Kolophon waren ausser Kretern Manto und
Mopsos (Paus. VII 3, 1 und Schol. Apoll.
Rhod. III 74) gewandert, in Milet waren die
Thaliden phönikischen oder kadmeischen Ur-
A. Epoa. 8. Homers Ilias und Odyssee. (§ 33.)
53
den Homer in unserer Zeit August Fi ck, indem er die ganze ältere Dias
und Odyssee ursprünglich in äolischer Sprache gedichtet und erst später
in den Mischdialekt der jüngsten Zusätze umgesetzt sein lässt.^) Aber
die glänzende Hypothese hat nicht nur kein Analogen in der griechischen
Litteratur, da umgekehrt jüngere Dichter, auch wenn sie einem anderen
Stamme angehörten, den Dialekt des älteren Vorbildes beizubehalten
pflegten, sie lässt sich auch nur mit grossen Willkürlichkeiten und ge-
waltsamen Änderungen durchführen, indem sich ebenso wenig die festen
lonismen auf die jüngeren Gesänge, wie die festen Äolismen auf die älteren
einschränken lassen.^) Ich halte mich daher nach wie vor an den anderen
Ausweg, dass Homer und seine Schule nicht in Südionien blühte, sondern
dort, wohin auch die besten Zeugnisse des Altertums uns führen,^) auf
dem Grenzgebiet von lonien und Äolis. Dabei möchte man zunächst an
Smyma denken, was ehedem von Äoliem besiedelt worden war, später
aber dem ionischen Städtebund sich anschloss. Aber auf einen anderen
Punkt führen uns zwei Stellen der Dias ^ 227 und Si 13, welche die Sonne
über dem Meere aufgehen lassen.^) Der Dichter dieser Stellen lebte also
nicht auf dem Festlande Asiens, sondern auf einer der Inseln, welche im
Westen der kleinasiatischen Küste lagen. Als solche bietet sich im nörd-
lichen lonien einzig Chios,*) auf welcher Insel obendrein nach dem Geo-
graphen Stephanos von Byzanz ein Städtchen Bolissos lag, welches eine
äolische Kolonie war und wo Ephoros den Homer verweilen liess.^) Wer
sein Gefallen an Kombinationen der Phantasie hat, mag es den Alten
glauben, dass Homer im äolischen Smyma geboren,*^) dann aber nach Ghios
ausgewandert sei, auf welcher Insel sich neben einer nordionischen Haupt-
Bpnmgs (vgl. Herod. I 170); s. 0. ImmibcBi
KlaroB, in Jahrb. f. Phil Snppl. XYII 129 ff.
^) FicK, Die homerische Odyssee 1883
(Sapplementband von Bbzzevbrrgebs Bei-
trftgen znr Kunde der indogerm. Sprachen),
Die homerische Ilias 1886, Das Lied vom
Zorne Achills, Beiträge znr Kunde der indo-
germ. Sprache 1895. Vorausgegangen war
ihm teilweise schon, aber ohne die nö-
tigen sprachlichen Kenntnisse und ohne Klar-
heit des Standpunktes der Engländer Patne-
KsfOBT in seiner Ausg. von 1820. Schon im
Altertom verlangten einige Grammatiker
einen äolischen Homer, worfiber Anecd. Rom.
von Osann p. 5 : rijy ^i uoitjaiv dyayiytoa-
xea9ai et (toi Ztonvgo^ 6 Mayvrig AioXidt dia-
Icrrni, to d* avio Jixaiagxot:. Bezüglich des
iolisciien Ursprungs der troischen Sage siehe
mdes SiTTL, Die Griechen im Troerland und
das homerische Epos, Philol. 44, 201 ff.
*) Meine Einwände habe ich entwickelt
in der Besprechung von Ficks Odyssee in
Phil. Anz. XIV 90 ff., worauf Fick in der
Einleit. seiner Dias p. III sqq. mit nicht be-
weiskräftigen Analogien antwortete. Dass
mdes im Laufe der Zeit, namentlich durch
den EinfloBS der alezandrinischen Gramma-
tiker manche nichtionische Form getilgt
worden sei und von uns wieder zurückge-
führt werden dürfe, gebe ich vollständig zu.
Zu den sprachlichen Einwänden kommen aber
noch die aus den sachlichen Verhältnissen
genommenen hinzu, welche im nächsten
Paragraphen ihre Besprechung finden.
') Diese führen eben nach Smyma zu-
meist und dann nach Chios; vgl. Döntzer,
Hom. Fragen 33 ff.
*) ff 227 XQoxonenXog vneig aXa xitf"
vtcriu "^oSg, ß 13 lywV g>aiyofi^ytj Xij&eoxsy
vneiQ ttXtt 1^10 yag re. Die Verse stehen aller-
dings nicht in den allerältesten Partien der
Dias; das thut aber ihrer Bedeutung wenig
Eintrag, da die alte homerische Schule
schwerlich an einem anderen Orte sich be-
fand als Homer selbst. Die Bedeutung dieser
Stellen für unsere Frage wru-de erkannt von
Bkbok, Gr. Litt. 1451; leichthin widerspricht
DüNTZBR, Hom. Frag. 81.
^) An Lesbos, das keine der alten Ueber-
lieferungen für die Heimat Homers ausgab,
wollte FiGK, Ilias S. 108 denken.
^) Steph. Byz. : BoXXiaaos ' -noXig JioXixij
in* äxQov Xiov nXrjffiov . . . xai €p€tai,y ort
"OfiTjQog iy xovr(^ rdc dunQißdg inwehOf tag
"Ecpogog.
7) Vgl. BöCKH zu Find. fr. ine. 86 und
den Rhetor Alkidamas bei Arist. rhet. 11 23
p. 1398 »> 2.
54
Qrlechische Litteratargeachichte. I. Klaaaiaohe Periode.
bevölkerung auch äolische Siedelungen befanden. Früh aber sind die
homerischen Gesänge über das äolisch-ionische Grenzland hinausgetragen
worden und haben an den Eönigshöfen loniens eine zweite Heimatstatte
gefunden. Dort in lonien wird auch die Sage neue Nahrung gewonnen
haben, und wird namentlich Samos, das frühe weite Fahrten nach dem
Westen unternommen hat,i) von Einfluss auf die Ausbildung der Odyssee-
sage gewesen sein.*)
84. Dass Homer von seiner Heimat aus als wandernder Sänger viel
im Lande herumgekommen sei, versteht sich bei den damaligen Verhält-
nissen der Gesellschaft und Dichtkunst von selbst. Die Orte lassen sich
zum Teil noch aus den Umhüllungen der Dichtersage herausfinden, wenn
auch dieselben mehr auf die Homeriden, als Homer selbst Bezug haben
sie sind Phokäa, wo Homer bei Thestorides Aufnahme fand,*) Neonteichos-
bei Kyme, wo er um des lieben Brotes willen seine Gedichte vorlas,*)
Kolophon, wo er den Margites dichtete,^) Samos, wo er von Kreophylos
gastlich aufgenommen wurde,«) los, wo man sein Grabmal zeigte. 7) Also
über Äolis hinaus nach den ionischen Kolonien Kleinasiens war frühzeitig
die homerische Poesie gedrungen und war Homer selbst auf seinen Wan-
derungen gekommen. Ähnliches lehren uns die Dias und Odyssee selbst.
Ihr Dichter feiert,' indem er die Kämpfe besingt, welche die achäischen
Ansiedler mit den alten Herren des Landes zu bestehen hatten, zugleich
die Stammesheroen der äolischen Kolonien Kleinasiens ; ^) er schmeichelt
daneben mit dem Preise des Nestor und der Lykierfürsten Sarpedon und
Glaukos den ionischen Königen, welche von jenen Heroen ihr Geschlecht
ableiteten;») er flicht mit der Verherrlichung der Heldenthaten des Ido-
meneus die Sagen der alten kretischen Ansiedler Kleinasiens in den Kranz
der äolischen Stammessage. ^^) Seine Gleichnisse nimmt er mit Vorliebe
^) Strabo p. 637 IftBst geradezu das
kleinaaiatisclie Samos von JÜiaka und Ee-
phallenia kolonisiert sein.
') Vgl. H. D. Müller. Historisch-mytho-
logische Untersuchungen 8. 49 f. u. 129 ff.
»j Ps. Herod. vit. Hom. 15. üsbheb, De
Iliadis carmine quodam Phocaico, Bonn 1875
sucht nachzuweisen, dass IL XI mit der Be-
schreihung der Waffen des Agamemnon
(A 15 his 42) und dem Vergleich des den
Hirsch zerreissenden Löwen {A 474-82) auf
die Stadt Phokäa hinweist, welche lebhafte
Verbindung mit den Ph5nikiem unterhielt
und deren Kolonie Velia als Stadtwappen auf
ihren Münzen eben jene Bewältigung eines
Hirsches durch einen Löwen zeigt.
*) Ps. Herod. vit. Hom. 9.
*) Cert. Hes. et Hom. p. 313 G.
^) Strab. p. 638 nach Kallimachos; an-
gedeutet von Plato de rep. X p. 600 b. Ein
Nachkomme des Kreophylos war Hermo-
damas, den nach Diog. 8, 2 Pythagoras hörte.
T) Aristoteles bei Gellius Hill.
') In Lesbos herrschten die Nachkommen
des Penthilos, des Enkels Agamemnons
Arist. Pol. V 8, 13), in Tenedos neben Böo-
tiem Nachkommen des Peisandros aus Amyklä
(Pind. N. 11, 34), das Gros der äolischen Be-
völkerung war aus Böotien eingewandert
und hatte die Sage der Myrmidonen und
ihres Königs Achill mitgebracht.
») Herod. I 147. Auf den Pylier Nestor
führten ihr Geschlecht zurück die alten Kö-
nige von Kolophon (Mimnermos fr. 9) und
Miiet (Strab. 633); vgl. Töpffeb, Att. Genea-
logie 235 ff. Die dorischen Sagen hingegen
sind dem Homer fremd; die Episode vom
Zweikampf des Sarpedon und des Herakliden
Tlepolemos (£ 628—98) sieht ganz wie ein
auf einen fremden Baum gepfropftes Reis
aus imd kann glatt ausgeschnitten werden;
die übrigen Stellen, an denen des dorischen
Nationalheros Herakles Erwähnung geschieht,
T 95 -136, 0 639—44, «^363, A 601-27, sind
teils interpoliert, teils gehören sie den jüng-
sten Partien der homerischen Gesänge an.
^^) Die Kreter als ältere Bewohner der
Gegend von Milyas, Milet und Kolophon be-
zeugen Herodot 1 173; VH 171 und Pausanias
VII 2, 5; Vn 3, 1.
▲• Bpo8. 2. Bomers Dias und Odyssee. (§ 34.)
55
von den Natur- uBd Eulturverhältnissen der mittleren Eüstenlandschaffc
Eleinaaiens, von dem Geschnatter der Gänse in der asischen Wiese am
Kaystros {ß 459), ^) von dem Wirbelsturm der aus Thrakien her wehenden
Winde Boreas und Zephyros (/ 4), von dem Stier, der dem Poseidon im
Panionion geopfert wird ( V 404). Er zeigt sich wohlbewandert in den
Küsten des adramytteischen Meerbusens und kennt die hochragenden Grab-
hügel, die man beim Vorbeifahren am weiten Gestade des Hellespont
gewahrte {H 86).') Seine Schilderungen von dem Berge Ida, der Ebene
des Skamander {E 773), der hohen Warte Samothrakiens {N 10) zeigen
so viel Naturwahrheit, dass man zuversichtlich annehmen darf, er habe
den Schauplatz der Thaten seiner Helden, den Schliemanns Ausgrabungen
jetzt wieder der gebildeten Welt erschlossen haben, mit eigenen Augen
geschaut.') Wenn er daneben entgegen der Wirklichkeit die Priamos-
veste auf einem ringsumlaufbaren Hügel gelegen und vor ihren Mauern
zwei Quellen, eine warme und eine kalte emporsprudeln lässt (X 143), so
sind das Freiheiten, die sich Homer, so gut wie jeder andere Dichter, er-
lauben durfte, zumal in der Schilderung einer Stadt, die inzwischen vom
Erdboden verschwunden war und deren Lage nur wenige seiner Zuhörer
aus eigener Anschauung kannten.
Nach einer anderen Richtung führen uns die Irrfahrten des Odysseus
und die Lokalitäten der Odyssee. Die Person des Königs von Ithaka und
die Kunde vom alten Reiche der Kephallenier waren dem Dichter wohl aus
der alten Sage der nach Kleinasien ausgewanderten Pylier und Kephallenier
überkommen; aber Farben und Leben erhielt das Bild erst durch die
Fährnisse, welchen die ionischen Landsleute des Dichters auf ihren See-
fahrten begegneten. Homer selbst indes scheint nicht weit nach Westen
gekommen zu sein: er hatte von Sikilien und dem Westmeer, wohin er
die Irrfahrten des Odysseus in märchenhafter Ausschmückung verlegt,
nicht aus eigener Anschauung, sondern nur aus den fabelhaften Erzäh-
lungen aufschneidender Landsleute und phönikischer Seefahrer Kenntnis. ^)
0 Einen Eaystaios gibt es mchi;, sondern
nur einen Eaystros, weshalb B 461 Kavarqoo
(nicht KawfjQiov) dfiipi ^h&Qa zu lesen ist.
*) Offenbar weil er wohl noch Trfimmer
von Troia, aber nichts mehr vom achftischen
Lager am Hellespont sah, erdichtete er die
ToUstftndige Zerstörong des Lagers durch
Poseidon H 459—63 u. M 1—34.
') Die Kenntnis aas Autopsie stellt mit
flbertiiebener Skepsis in Abrede Hbbcbbr,
Ueber die homeiiscne Ebene yod Troia, Abhdl.
der Berl. Akad. 1876. FQr die gauze Frage
vurde erst ein sicherer Grund geschaffen
durch die weltberfihmten Ausgrabungen
ScBLiBMANiiB, dargelegt in dessen Werken:
nies, Stadt und Land der Troianer 1881;
Troia 1884; Mykenfi 1878. Schon vor Schüe-
mami hatte das Richtige getroffen G. v.
EccEiiBRBCHER, Die Lage des hom. Troia,
Dfiaseldorf 1837; die Lage von Troia, 1875.
hd die Wahrheit der Naturschilderungen
Homers hatte zuerst aufmerksam gemacht
Wood, On the original genius of Homer,
Lond. 1769.
^) Der Streit tlber die Lokalität der Irr-
fahrten des Odysseus ward schon im Alter-
tum mit Heftigkeit gefCÜirt, wie man beson-
ders aus dem 1. Buch des Strabon sieht.
Die einen suchten die Irrfahrten um Sizilien
und Italien (Polybios), andere fanden Plätze
der homerischen Schilderung am Pontus und
selbst im nördlichen Ozean (Erates), andere
hinwiederum, wie Eratosthenes, zogen sich auf
den vorsichtigen Standpunkt der poetischen
Fiktion zurück und warnten nur vor einem
Hinausgehen über das Mittelmeer. In neuerer
Zeit verirrte sich wieder der grosse Natur-
forscher K. V. Babb, Die hom. Lokalitäten
in der Odyssee (1873) nach dem schwarzen
Meer, Jarz in Ztschr. für wiss. Geogr. U 10 ff.
und Fr. Soltaü, Die Mythen und Sagen-
kreise in Homer, Berl. 1887, nachTenariffa.
Den vorsichtigen Standpunkt des Erato-
sthenes nimmt auf Hebqt, Quam vere de
56
Chrieohisohe Litteratnrgeaohiohte. I. Klassiaohe Periode.
Selbst Ithaka hatte höchstens der Dichter der jungen Telemachie, nicht auch
der des alten Nostos mit eigenen Augen gesehen. ^) Daraus erklärt sich,
dass das Bild, welches wir uns nach den Schilderungen der Odyssee von
der Heimat ihres Helden machen, ungleich weniger als das der troischen
Ebene zur Wirklichkeit stimmt. Selbst das griechische Festland kannte
Homer schwerlich aus Autopsie ; dieses hatte auch inzwischen so gewaltige
Umänderungen erfahren, dass dem Dichter die alte Sage bessere Kunde
von den Königsburgen in Mykenä, Tiryns, Orchomenos brachte als ein
eigener Besuch jener Gegenden.
So fuhren uns also auch die homerischen Dichtungen nach dem
äolischen und ionischen Kleinasien und zeigen uns die Sage auf der Stufe,
die sie auf ihrer Wanderung von Äolis in den ionischen Niederlassungen
des mittleren Küstenlandes eingenommen hatte, bevor sie noch weiter
nach Süden gedrungen und auch von dort durch Einmischung dorischer
Elemente bereichert worden war. — All das Gesagte gilt indes nur be-
züglich des eigentlichen Kerns der homerischen Dichtungen. Die Ein-
dichtungen und Zusätze sind vermutlich nicht bloss in späterer Zeit,
sondern auch an verschiedenen Orten entstanden ; ') aber über das ionische
Kleinasien hinaus zum griechischen Mutterland führt nur der SchiflEskatolog,
der den Charakter der böotischen Dichterschule an sich trägt und wobi
auch in Böotien entstanden ist.')
35. Mündliche Fortpflanzung. Wenn Homer die Sänger Demo-
dokos und Phemios ihre Lieder vom Ruhm der Helden zur Phorminx vor-
tragen lässt, so dürfen wir uns unter diesen den göttlichen Homer selbst
vorstellen. Homer also hatte seine Lieder im Kopf und sang sie in der
Versammlung des Volks oder beim Mahl der Fürsten, ohne beim Vortrag
eines Blattes oder einer schriftlichen Aufzeichnung zu bedürfen. Aber wir
müssen weiter gehen und dem Homer überhaupt den Gebrauch der Schrift
absprechen. Dieser Ansicht waren bereits die alexandrinischen Gelehrten;^)
Ulixis erroribns Eratosthenes iudicaverit,
Landshut 1887, nnd Blätter f. bayer. Gymn.
28 (1892) 83 ff.; ebenso Breusimg, Die Irr-
fahrten des Odysseus, Bremen 1889. Zu
beachten ist, dass die Meeresströmung vom
Hellespont um den Peloponnes herum nach
dem westlichen Griechenland (Ithaka, Eorfu)
und von da nach Sfiditalien und Sizilien
führt.
^) Gegen Autopsie spricht deutlich die
verkehrte Ansicht von Ithakas Lage Od. i
25 f. Der von frflheren Gelehrten zur de-
taillierten Ausmalung des homerischen Ithaka
missbrauchte Glaube an die Autopsie Homers
wurde mit nfichtemem Urteil zerstört von
Hercbeb, üeber Ithaka in Herm. I 265 ff.
Ob die Sage von der Versteinerung des
heimkehrenden Schiffes der Phäaken (>" 156 ff.)
wirklich durch das Felsriff vor dem Hafen
von Eorfu veranlasst sei, lasse ich dahinge-
stellt
') Ftck in seiner Ilias und in Hesiods
Gedichte S. 124 f. sucht zu erweisen, dass
speziell in Kreta die Telemachie und TisiB
und von der Ilias die Gesftnge N 3 0
entstanden seien. Das sind luftige Ver-
mutungen, aber genaue Kenntnis von der
Sage der Pylier und Epeer zeigt die Episode
11. A 668->763, von Attika die interpoÜerten
Verse Od. 17 80 f. u. z 518—24.
>) Der Schiffskatalog hatte den Titel
Boitoxia, weil er von Böotien ausgeht, was
mit dem Sammelplatz der Schiffe in Aulis,
wahrscheinlich aber auch mit der Heimat des
Dichters zusammenhängt. — Mit dem Schiffs-
katalog stimmt im Stil der Frauenkatalog
in der Nekyia Od. X 225—337.
*) Joseph c. Ap. I 2: xai tfaaty ovdl
"OfjirjQov iy yQafifiaai rtjy avrov noitjGty xa-
TaXinety, aXXd &iaf4yi]fioyevo/jieytjy ix rwy
tfüfidTtoy varegoy avyre^ynt xai &ia rovro
TtoXXds iy avTtj ax^Ty rag &tn<pogas. Ari-
starch setzte eine Diple zu H 175 ol dk
xX^Qoy ifffjfujyayjo ixaatog tmd P 599 y^mpsr
6i ol ooxiov aj^Qig ^^Xf^V ^ovXv&n fMteyrnc.
um anzudeuten, dass ygaq:eiy im Sinne von
▲. Epo8. 2. HomerB Ilias und Odysaee. (§ 35.) 57
in neuerer Zeit ist, wie wir oben sahen, F. A. Wolf von diesem Satz in
seiner ganzen Anschauung vom Wesen der homerischen Poesie ausgegangen.
Aach hat er damit bei den meisten Homerforschem Beifall gefunden ;i)
doch fehlte es auch nicht an Widersachern. Nicht bloss Nitzsch in seiner
Historia Homeri, sondern neuerdings auch Bergk ^) nahmen an, dass wohl
die homerischen Gedichte für den mündlichen Vortrag bestimmt waren,
dass sie aber gleichwohl der Dichter auch niedergeschrieben habe. Die
Frage muss zunächst aus Homer selbst beantwortet werden. Nun kann
an der Stelle H. H 175 ff. keine Bede davon sein, dass die Helden, welche
sich zum Zweikampfe mit Hektor erboten, ihren Namen mit Buchstaben
aaf das Täfelchen schrieben; sonst hätte es ja des Herumreichens des
herausgesprungenen Loses nicht bedurft, sondern hätte einfach Nestor
oder der Herold den Namen verlesen und ausgerufen; es waren also nur
allgemeine Zeichen ((DJfAata), nicht gerade Buchstaben, welche die Helden
auf ihr Täfelchen einritzten.») Dass aber dem Dichter selbst der Ge-
brauch der Schrift zur Kundgabe der Gedanken nicht ganz unbekannt
war, bezeugen in der Episode vom Zusammentreffen des Dioraedes und
Glaukos die Worte näfjtn^e da fiiv yivxCrjvde, koqsv d'oys (Xrjfiara kvyQcc,
yqdipaq iv mvaxi mv^nif x^vfioip^oga noXXd {Z 168 f.). Denn danach
musste der Dichter schon etwas von einem brieflichen Verkehr mit ab-
wesenden Personen gehört haben ;^) aber auch hier scheint er sich unter
den Zeichen (atjfAava) keine Buchstaben, sondern symbolische Zeichen,
wie Chimäre, Amazone etc. gedacht zu haben. Wie wenig er aber an
eme allgemeinere Verbreitung der Schreibkunst dachte, erhellt daraus,
dass er, der uns doch von der Kultur seines Zeitalters das anschaulichste
Bild entwirft und uns so viel von Schmieden, Zimmerleuten, Schilderern,
Goldarbeiten! u. a. zu erzählen weiss, nirgends, auch nicht in den jüngsten
Büchern der Odyssee, von Schreibern und Büchern Erwähnung thut.
Direkt sprechen gegen die ursprüngliche Fixierung des Textes der homeri-
Gedichte durch die Schrift die sprachlichen Erscheinungen der Verkürzung
von Vokalen, der Verdoppelung von Konsonanten (ÄnokXmv und ^ÄnoXXmvog,
'AxiXltvg und UxiXrjog) und des völligen Verschwindens des Digamma aus
den Gedichten Homers. Allerdings bezeichnete auch die ältere Schrift der
Griechen weder die Quantität der Vokale noch die Verdoppelung der
.ritien* nicht ^schreiben" za nehmen sei, *) Beachtenswert ist, dass dieses Zeug-
md ^rjfifjrarro auf eingeritzte Zeichen, > nis eines brieflichen Verkehrs sich auf den
mcht anf Bachstaben hinweise: s. Lbhbs, De
Arisi stod. Hom.' p. 95.
*) WoLy, Proleg. p. 73 sqq.; Senoebdsch,
HoBL disB. post. 27 ff.; Düntzeb, Die hom.
Fragen S. 175 ff.; FbiedlIkpiib, Schicksale
der homerischen Poesie S. 9.
*} Bbbok, Gr. Litt I 526—81. Auch
WaABowiTz, Hom. ünt S. 293 nimmt ftir
die Odysse« den Gebrauch der Schrift in
io^mch.
') Dafls in diesem Sinne Aristarch seine
Zeichen setacte, beweist namentlich das Scho-
lion ni ^ 168, wie Bömbb, 6ay. Gymn. Bl.
HI (1885) 289 ff. dargethan hat.
Verkehr mit einem fremden, lykischen
Fürsten bezieht, w&hrend wir in der Odyssee
bei der Schilderung heimischer Verhftlüiisse
griechischer Lftnder gar nichts vom Ge-
brauche der Schrift vernehmen. Homer
scheint damit auszudrücken, dass in diesem
Punkte die Leute der Fremde den Griechen
voraus waren, geradeso wie er einen Tempel
der Burggöttin und ein thronendes Götter-
bild der Athene bei den Troianem voraus-
setzt (Z 303), nirgends aber in Griechenland
einen derartigen vorgerflckten Götterkult be-
stehen Ifisst.
58
Orieehisehe LitUnttorgeticIiichto. L Dt— lach» Periode.
Liquida, und konnte zur Not das Digamma, auch wenn es ursprünglich
im Texte stand, spftter wieder verschwinden. ^) Aber die Flüssigkeit der
homerischen Sprache und die grosse Umgestaltung des Textes infolge des
Verschwindens des Digamma erklärt sich doch ungezwungen nur durch die
Annahme, dass der Text nicht gleich von vornherein durch die Schrift
fixiert war. Endlich lässt die ganze Geschichte des griechischen Schrift-
gebrauches eine so frühe Niederschreibung umfangreicher Gedichte als
durchaus unwahrscheinlich erscheinen. Mag immerhin schon vor der Zeit
der Siegestafel des Moabiterkönigs Mesas (um 850) die Schrift von den
Phönikiern nach Griechenland gebracht worden sein, ein ausgedehnter Ge-
brauch von derselben wurde in Griechenland erst nach dem Beginn der
Olympiaden gemacht: erst im 7. Jahrhundert begann man Gesetze schriftr
lieh aufzuzeichnen, und doch erheischten diese viel eher als Gedichte eine
Fixierung durch die Schrift.*)
36. Die Rhapsoden. Vermittler der homerischen Gesänge waren
bis zu ihrer schriftlichen Abfassung und teilweise noch Jahrhunderte
darüber hinaus die Rhapsoden {^a^oiSot).^) Dieselben trugen mit einem
Stab (qdßSog^ cuaaxoq) in der Hand und geschmückt mit einem Kranz die
Verse Homers in Festversammlungen {iv dywai) vor.*) Homer kennt weder
das Wort noch die Sache; diejenigen, welche bei ihm in den Hallen der
Eönigsburgen beim Mahle von den Ruhmesthaten der Helden singen, heissen
doidoi und führen die Phorminx, ^) nicht den Stab. Es war also inzwischen
eine Wandlung in der Vortragsweise eingetreten : das Saitenspiel, das nie
eine grosse Rolle bei den epischen Sängern gespielt hatte, ^) war gänzlich
weggefallen, und an die Stelle der Laute war der Stab getreten, der den
Vortragenden nur als Sprecher in der Versammlung kennzeichnete. ^ Mit
der Zeit knüpfte sich an die Namen auch noch ein tieferer Unterschied:
während die Aöden Sänger und Dichter zugleich waren, setzte sich der
Stand der Rhapsoden aus solchen zusammen, welche, ohne selbst die gött-
liche Gabe der Dichtkunst zu haben, nur als gedächtnisstarke Deklamatoren
die Gesänge anderer vortrugen. Der Name Rhapsode geht indes ziemlich
*) Bbbgk, Gr. Litt. I 529 hat besonders
auf Pindar hingewiesen, ans dessen Gewehten
infolge ihrer Yerbreitong in Attika das Di-
gamma verschwand. Aber eine Umgestal-
tung des Textes hat durch Verschwinden des
Digammas Pindar nicht erfahren.
') Vgl. oben § 12. Dass aber münd-
liche Fortpflanzung selbst von Gedichten, die
mehrere Tausend Verse umfassten, nichts
Unerhörtes war, zeigen die Inder, deren
Veden auch zur Zeit, wo man bereits die
Schrift kannte, immer noch mündlich fort-
gepflanzt wurden.
») WßLCKBB, Ep. Cycl. I 335 flf.
^) Ueber die Tracht der Rhapsoden Hanpt-
stelle Plato, Ion in.
*) Die zum Eingang (dyaßoXij) des Vor-
trags angeschlagene Phorminx des Homer
vergleicht sich der Gusle, zu der die alten
Serben ihre Volkslieder vortrugen. Den Vor-
trag im hohen Saale des Königspalastes hat
auch Uhland vor Augen in seiner Ballade
vom blinden Sänger.
*) Erst später komponierten kunstvollere
Melodien zu den Versen Homers Terpander
(Flut, de muB. 3) und Stesander (Ath. 638a,
620 cd). Die Späteren vermengen die Zeiten
und Vortragsweisen, wenn sie, wie H^«-
kleides Pontikos (Ath. 632 d und Plnt de
muB. 3) den Homer selbst das Melos zu
seinen Gedichten erfinden lassen. Indes
wurden sicher noch zur Zeit Plutarchs (Mor.
736 E. 743 c) Verse des Homer und Hesiod
zur Lyra vorgetragen.
^) Der Sprechende in der Versammlung
erhält bei Homer r 218, ^ 568, ß 37 den
Stab oder das axrjniQoy. Wblckkb, Ep. Cyd.
I 337 erinnert an den Stab, den auch die
französischen Nouvellistes f&hrten.
A. Epos. 2. Homers Uias und Odyssee.
I 36-37.)
59
weit, bis in die Zeit des Hesiod hinauf. Denn dieser erwähnt ausdrücklich
den Stab im Eingang der Theogonie:
£g ig^aaav xovQai fisyäkov Jiog aQTiänsiai
xm fioi axfJTtXQOV Miov ddtpvrjg CQt^rjXäog o^ov,^)
Den Stab, ^dßSog, darf man aber nicht in dem Namen ^aipoMg
selber finden woDen, vielmehr enthält nach der Analogie von iysQaifiaxog,
'Ajrfiihiog^ oQaivefpr^g u. a. der erste Teil des Kompositums einen verbalen
Begriff, so dass die ursprüngliche Bedeutung des Wortes genau wieder-
gegeben wird durch Hesiod fr. 227: fiäXnofAev Sv veagoTg vfivoig ^äipavTeg
S7. Da die Rhapsoden verschiedener Dichter Werke vortrugen, so
Wessen diejenigen, welche speziell den Homer zum Vortrag sich erkoren,
'Ofir^^dat, so bei Pindar Nem. H 1 : o&€v nsq xal ^OfjirjQidai ^amäv stiscov
xanoXX aoidoi ccQxoy^rat, wobei jedoch die Möglichkeit, ja Wahrscheinlich-
keit offen bleibt, dass der Name ursprünglich nur denen zustand, welche,
von Homer abstammend, sich die Aufgabe stellten, die Gedichte des Ahn-
herrn ihres Geschlechtes vorzutragen. ^) Durch diese Homeriden also
wurden die Werke Homers fortgepflanzt und rasch über Hellas verbreitet.
In den vielgestaltigen Überlieferungen von der Heimat des Homer hat
Sengebusch mit Recht Anzeichen von den Sitzen solcher Rhapsodenschulen
erkannt, wenn auch der scharfsinnige Gelehrte zu weit ging, wenn er in
den betreffenden Zeitangaben Zeugnisse über die Zeit der Einführung der
homerischen Lieder in den einzelnen Städten finden wollte.^) So wurden
die Dichtungen Homers im Laufe des 8. und 7. Jahrhunderts über ihre
Heimat im äolisch-ionischen Eleinasien hinaus nach den Inseln los, Rhodos,
Kypem, Kreta, nach Prokonnesos in der Propontis, Kenchreä in der Troas,
ond des weitern von Kyme nach Böotien, von Samos nach Sparta, von
Smyma nach Attika getragen.'^) Denn wenn die späteren Schriftsteller
die Sache so darstellen, als ob Lykurg, sei es von Samos, sei es von
Chics, sei es von Kreta den Homer ^) nach Sparta gebracht habe, so
machen es schon die von Maximus Tyrius XXHI 5 erwähnten Rhap-
sodenwettkämpfe Spartas wahrscheinlich, dass man dabei nicht an ein
geschriebenes Homerexemplar zu denken hat, sondern an die öffentliche
Einrichtung von Homerrecitationen, wozu man Rhapsoden von den alten
Sitzen des homerischen Gesanges, zunächst von dem befreundeten Samos,
hatte kommen lassen. 7) Genaueres erfahren wir über die Verpflanzung
*) Auf Homer selbst ist die Sitte der
Bliapeoden abertragen yon Pindar Isth. III
55: l)utj^og xatd ^dßSot^ ItpQaoBv. Ebenso
S»b der KfinsÜer Arcbelaos in der Apotheose
Homers dem Homer einen Zweig in die Hand.
') AofflUlig ist nur die Betonung, die
^er auf den Begriff ^ntuiy aotdo^ fthren
vMe; indes kium Her die yermeintUche
Okiehbeit von avXwdog, xtSagm^og etc. zur
Betcmimg der Scblnsssilbe geftUurt haben.
*\ an verwandter Name, der aber keine
Gescideehtazagehörigkeit mehr bezeichnete,
war nach Aristoteles bei Ath. 620^ 'O/urjQiaiaL
^) Die diesbezdgliche Tabelle bei Semge-
BUBCH, Hom. diss. post. p. 85 f.
») AeUan V. H. XIII 14.
•) Diese Nachrichten bei Plut. Lykurg
4, Ephoros bei Strab. p. 482 und Dio Chrys.
n 45 betrachtet Wilamowitz, Hom. Unt.
271 als erdichtete Dubletten der Solon-
legende.
') Flach, Peisistratos S. 17 nimmt ein
geschriebenes Exemplar an, ohne irgendwie
zwingende Beweise zu erbringen.
60
Grieohisohe LitteratnrgeBohiehte. I. KlasBisohe Periode.
des homerischen Gesanges nach Sizilien durch ein altes Scholion zu Pindar
Nem. n 1,1) wonach der Rhapsode Eynaithos aus Ghios, dem man auch
den Hymnus auf Apoll beilegte, in der 69. Olympiade, 504/1 v. Chr. den
homerischen Gesang nach Syrakus brachte. Leider aber ist die Zeit-
angabe unsicher, da es wenig glaublich ist, dass Homer so spät erst bei
den poesie- und kunstliebenden Syrakusanern sich eingebürgert haben soll.
Bestimmte Nachrichten über rhapsodische Vorträge und Wettkämpfe haben
wir überdies von Salamis inKypern,*) von Sparta, Sikyon,») Epidauros,^)
Brauron in Attika,*) Athen. ^) Am berühmtesten wurden die Vorträge in
letztgenannter Stadt an dem alle vier Jahre wiederkehrenden Feste der
Panathenäen. Dieselben waren nach dem Zeugnis des Redners Lykurg
durch ein Gesetz angeordnet, ') welches aller Wahrscheinlichkeit nach auf
Selon selber zurückging. Zweifelhaft ist es, ob die weitere Anordnung,
dass bei dem Vortrag die einzelnen Gesänge in richtiger Ordnung auf-
einander folgen sollten, gleichfalls schon von Selon ausging und nicht viel-
mehr erst unter Peisistratos durch dessen Sohn Hipparch getroffen wurde.*)
38. Niederschrift Homers. Die erste schriftliche Aufzeichnung und
Zusammenordnung der Uias und Odyssee soll von Peisistratos (560 — 527)
veranstaltet worden sein. Die Hauptnachricht darüber steht bei Cicero de
erat. HI 34, 137 : primus Homeri libros conftisos antea sie disposuisse dicitur^
nt nunc habemus.^) Damit stimmen im wesentlichen das Epigramm in Anth.
XI 442 und die schon oben angeführte Stelle des Aelian V. H. 18, 14
ano xof 'OuiJQOv ytyovg, oi xal tijy noirjaiy
avrov ix diado^^g ^doy * fiera d^ ravra xai
ol ^a\f)(f)&ol ovxeri to yivog 6ig"Of4i]Qoy dva-
yovtes ' iniffayBig di iyiyoyjo ol ne^l Kv-
V(tt,9ov, ovq (faoi noXXa rtSy incSy noitioavtag
ifjißaXuy Big rijy 'OfiiJQov noltjüiy ' rjy de 6
Kvvtti&og Xiog, og xal TcSy irtcygatfofiiyoty
'OfiiJQov noifjfAdxioy xoy eig 'AnoXXtDya yS'
yottfifAdvoy vfiyoy Xeyerai neTiottjx^yai ' oviog
ovy 6 Kvyaid^og Ttgtotog iy IvQaxovoaig ig-
gtt\p(^dTjae r« 'Of^ijgov inrj xard Xfjy e^tjxo-
ati^y iyydttjy 'OXvf^nidda, cJc 'Innoaigaiog
fpfjaiy. Die wahrscheinlich verderbte Olym-
piadenzahl wollte Welcker, wenig glaublich,
in exjfjy 17 rrjy ivvdxtjyy DOntzer in 6ixo<fXf}y
iyydxrjy ändern. Aasserdem erwähnt Snidas
einen Parthenios, Sohn des Thestor nnd
Abkömmling des Homer aus Chios.
«) Hom. hymn. VI 19 u. X 4.
') Herodot V 67: KXeio*9iyTjg 'Jgyeloig
•noXifitjcag ^ailfwdovg enavoty iy Zixvioyi
tty(oyi^e<r9tti xtoy 'OfiijgtxcSy irtetoy.
*) An den Asklepien nach Plat. Ion in.
^) Hesychios u. Bgavgoiyioig und Athen,
p. 275^
*) Nachdem musische Agone hinzuge-
kommen waren, behielten doch die rhap-
sodischen die erste Stelle, was die In-
schriften von Oropos Eph. arch. III 128, 5,
von Orchomenos CIG 1583 u. 1584 und Ath.
538 bezeugen.
') Lykurg in Leoer. 102: yofjioy e^sy
xo (sc. vfAüiy ol naxigeg) xa&* kxdatrjy ney-
xaejtjglda xtay JIaya9tjyal<ay /jioyov (ÖfAiJQov)
xujy dXX<oy TtoiijTtSy (tt\p<^deTa&ai xd hiij.
Vgl. A. MoMMSBN, Heortologie 138.
^) Dem Solon wird die Anordnung zu-
geschrieben von Diog. I 57 auf Grund der
Angabe des Historikers Dieuchidas, der in
der Zeit Alexanders lebte: xd xe 'Ofiijgov i^
vnoßoXijg yiygatpe ^a\pt^d$ic&at, oioy önov
6 ngaixog iXtj^eyi ixst^ey «p/fa*a( xoy i^d-
fAsyoy, dem Hipparch, welcher überhaupt
nach Herodot VII 6 seinen Vater Peisistra-
tos in seinen wissenschaftlichen üntemeh*
mungen wesentlich unterstützte, von Fa.
Plato Hipp. p. 228 B: xd'Ofiijgov inrj ngwxog
ixof^iaey elg xtjy y^y xavttjyif xal ijydyxtrae
xovg ^atpmdovg JlayaStjyaloig i^ vnoXtj^ffem^
diTeyati tacneg yvy oVde noiovai. Zwischen
i£ vnoßoXijg .nach Anleitung* und ii vrro-
Xfjipetag .nach der Reihe* mag ursprünglich
ein Unterschied bestanden haben, Hier aber
sind die beiden Ausdrücke offenbar gleich-
bedeutend gebraucht. Die Bedeutung i( vtio-
ßoXfjg .nach Vorschrift oder Anleitung* steht
fest durch eine Inschrift der Insel Teos C16
3088, wo der Gegensatz ist i^ dyxanodoaewg *
8. NiTzscH, Sagenpoesie 413 ff.
") DüNTZER, Peisistratos und Homwos,
in Jahrb. f. Phil. 1865 S. 729 ff. sucht zu er-
weisen, dass Dikäarch der Gewährsmann des
Cicero gewesen sei. Dagegen erhebt Ein-
wendungen VoLKXANN, WolfB Proleg. 348 f.
A. Epos. d. HomerB üias und Odyssee. (§ 88.) 61
überein. In neuerer Zeit haben wir auch durch ein Scholion des Byzan-
tiners Tzetzes^) Kenntnis von den vier Gelehrten bekommen, deren Bei-
iiilfe sich Peisistratos bei jenem Unternehmen bediente. Drei derselben
waren Onomakritos aus Athen, den wir als Fälscher von Gedichten des
Musaios schon früher § 16 kennen gelernt haben, Zopyros aus Heraklea
und Orpheus aus Kroton ; der Name des vierten ist verderbt und scheint
überhaupt auf einem Missverständniss zu beruhen.^) Das ganze Unter-
nehmen des Peisistratos hängt mit der ersten Anlage einer Bibliothek durch
den kunstliebenden Fürston zusammen, und mit der durch dessen Sohn Hip-
parch getroffenen Anordnung des vollständigen und geordneten Vortrags der
homerischen Gedichte an den Panathenäen.*) Schwerlich aber wird Peisistratos
der erste gewesen sein, der etwas von Homer niederschrieb oder nieder-
schreiben liess. Schon 100 Jahre vor dem athenischen Tyrannen gab es
bei den loniern Bücher, und es wäre sonderbar, wenn die Ehre der
schriftlichen Aufzeichnung einem lambographen oder Elegiker früher als
dem grossen Nationaldichter zu Teil geworden wäre. Auch besagen die
Zeugnisse nur, dass erst unter Peisistratos eine Gesamtilias und eine Gesamt-
odyssee hergestellt wurde. Damit ist es aber wohl verträglich, dass schon
zuvor von Bhapsoden einzelne Gesänge, wie insbesondere der Schiffskatalog ^)
oder die Initien der einzelnen Rhapsodien und Absätze zur Unterstützung
des Gedächtnisses waren niedergeschrieben worden. Noch weniger natür-
lich durfte aus den angeführten Zeugnissen geschlossen werden, dass erst
Peisistratos die Dias und Odyssee geschaffen habe.*) In dieser Annahme
sind Wolf und Lachmann entschieden zu weit gegangen ; darüber sind heut-
zutage alle einig. Aber zu skeptisch sind auch nach der anderen Seite
neuere Gelehrte, wie namentlich Lehrs und Ludwich, wenn sie deshalb,
weil Aristarch von Peisistratos schweigt, nun gleich der ganzen Über-
lieferung den Glauben absprechen.*^) Auch ist es nur natürlich, wenn bei
dieser ersten Herstellung einer Gesamtausgabe des Homer die Redaktoren
teils einigen Episoden, wie Z 119 — 236, die richtige, das ist vom Dichter
') Proleg. in Aristoph. (s. La Roche, Hom.
Texikr. p. 10, Ritschl, Opnsc. I 1 flf.): einoy
9vv9urm xov *'OfAriQov irtl Ueiaiatgarov
ißSofujxoyra ifro ao(povg, tjy iß&ofirjxoyra
ivo ityai xeel loy Ztjyodoxov xni top ^Agi-^
viaQxov^ xaijoh xeaaaQiav oytmv inl Ileiai-
Gedächtnissttltze fühlbar geworden sein. Auch
das Fehlen von Messenien scheint nicht auf
einen Gedächtnisfehler, sondern auf den auch
in der Ausschmttckung der Tlepolemos-Sage
B 658—70 ersichtlichen Einfluss von Sparta
zurückzugehen, da man dort ein Interesse
97Q<aovavydiyfiüyr6y''Oju7iQoy, oVnyeg shiy ^atte, die politische ünselbsttndigkeit der
..%«: 'E..x6yxvXo, (verderbt aus ,^.e.o, fr^-^i^,^;.^^^
xrxXog)^ 'OyofdUXQiXog 'j4*itjyatog , ZüiitvQog
'HfUixXftoxrj^ xeel 'Ogeptv^ KQOxufyieixrjg. Die
72 Gelehrten sind natürlich eine konfuse
Reminiszenz an die Uebersetzer des alten
Testamentes. Auch die 4 Redaktoren gibt
ftr eine späte Ausmalung aus Wilamowitz,
Hom. ünt. 254. Flach, Peisistr. S. 12 führt
ae Bach einer Beischrift der Pariser Hdschr.
ftof den pergamenischen Gelehrten Atheno-
^oros Koidylion zurück.
*) Lycorg adv. Leoer. 102.
') Bei den vielen Eigennamen des Schiffs-
^ataloges wird zuerst das Bedürfnis einer
(E 542, r 488, o 186) stammte, durch Homer
besiegeln zu lassen.
^) Allerdings heisst es schon bei Aelian
V. H. XIII 14: vaxßQoy *fk IJstaicxQnxoe av-
yayaytüy dnfq)tjyB xrjv 'fkiada xal 'Odvaemety,
^) Lehrs, Zur homerischen Interpolation,
in Arist* 430—54; dagegen Düntzer a. 0.
und Wilamowitz, Hom. ünt. 235 ff. Dagegen
überbieten Lehrs noch Flach a. 0. u. Lud-
wich, Arist. hom. Textkr. II 390 ff., welch
letzterer nur mehr von einer Peisistratos-
legende spricht.
62
Grieohioche Litteratnrgesohiohie. 1. KlasBisohe Periode.
beabsichtigte Stelle wieder anwiesen, teils jüngere Rhapsodien, wie die
Doloneia, welche nicht alle Bomeriden als echt anerkannten, in die Reihe
der Gesänge förmlich aufnahmen, teils einzelne Verse, wie A 265, A 631,
B 558, r 144, M 372 zusetzten oder zu Gunsten attischen Ruhmes um-
gestalteten.^)
39. Einfluss der homerischen Gedichte. Homer war den Hel-
lenen ihr allgemein anerkannter Nationaldichter; in den Helden der lUas
und Odyssee fanden dieselben die schönsten Eigenschaften ihres Volkes,
die heldenmässige Tapferkeit und die erfinderische Klugheit verkörpert
Mit der allgemeineren Verbreitung der Gedichte durch die Schrift gewami
auch ihr Einfluss auf das ganze Geistesleben der Nation. Homers An-
schauungen von den Göttern blieben neben denen des Hesiod massgebend
für den Volksglauben, so dass auf sie Herodot H 53 die ganze griechische
Götterlehre zurückführen konnte.^) Aus seinen Mythen sog die chorische
Lyrik, insbesondere aber die Tragödie ihre beste Nahrung, wie denn
Aischylos seine Dichtungen Brosamen von der reichbesetzten Tafel des
Homer nannte.*) Die von ihm in Worten gezeichneten Typen der Götter
und Heroen schwebten den Künstlern bei ihren Schöpfungen als Norm
vor, wie Pheidias, um die Majestät des olympischen Zeus auszudrücken,
sich die Verse des ersten Gesangs der Dias A 528 ff. vorhielt:
r xai xvavtr^aiv en 6<fQV<n revae Kqoviwv
dfißQoaiai d'aqa xaXrat insQQiaaavxo avaxTog
xQarog an' äO^avccTOiOy fiäyav 3'ikh'h^sv 'OkvfiTiov,^)
Es schwanden so vor dem Lichtblick homerischer Idealgestalten die
fratzenhaften und abergläubischen Vorstellungen der älteren Zeit und
durchdrang unter dem Einfluss der Sonne Homers ein hochstrebender,
idealer Sinn die ganze Nation. Auch dem Unterricht und den Übungen
im Lesen, Memorieren und Erklären wurden frühzeitig homerische Verse
zu Grunde gelegt, so dass es nicht wenige gab, welche die ganze Hias
auswendig wussten. Kurz nach allen Seiten drang Homer, der Dichter
xat' s^oxijv, in das Nationalbewusstsein der Griechen ein, so dass selbst
Piaton, der sonst den Dichtern wenig hold war, unumwunden den Homer
Griechenlands Erzieher nannte.*^)
40, Anfänge der homerischen Studien. Nachdem einmal unter
Peisistratos die homerischen Gedichte durch die Schrift fixiert waren, hat
die darauf folgende Zeit bis zu den Alexandrinern weder in der Gestaltung
des Textes wesentliche Änderungen, noch bedeutende Leistungen für das
Verständnis und die Erklärung des Dichters gebracht. Das Exemplar des
Peisistratos sebst ist im Laufe der Zeiten untergegangen; ob es mit der
übrigen Bibliothek durch Xerxes weggeführt wurde, darüber lässt sich bei
M Vgl. meine Proleg. p. 17 f.
*) Vgl. den zu § 65 citierten Anssprnch
des Simonides.
^) Arisiot. poet. 4 f&hrt die Tragödie auf
Ilias und Odyssee zurück. In der Apo-
theose des Homer huldigen dem Homer die
allegorischen Figuren der Jloirjaig, laroglit,
*) Ueber den Einfluss Homers auf die
Bildung der Götierideale Brunn, G riech.
Götterideale, München 1893.
*) De rep. X p. 606 : rtjy 'EXXd&a Ttsnai-
Sevxey oitos 6 noirjxijs. Protag. p. 839:
71 ni.^eiag fi^yiütov fidqog nsQi intoy detyoy
A. £poB. fi. Homers IUm und OdyBBee. (§§ 89-40.) 63
der Padenscheinigkeit der Überlieferung *) nichts sicheres aufsteDen. Nicht
unbedeutend muss hingegen die Thätigkeit derjenigen gewesen sein, welche
nach den Perserkriegen den in alter Schrift abgefassten Text in die neue
umschrieben (ol fieraxaQaxtr^Qfaavtsg), Manche bis auf unsere Zeit fort-
vererbte Fehler des Textes sind auf den Irrtum und die Unsicherheit
jener Männer zurückzuführen. *) Den Homer zu kommentieren fand man
in dieser Zeit noch nicht für notwendig ; man stand noch dem Dichter zu
nahe und lebte noch zu sehr in der Periode des frohen Schaffens, als dass
man schon an die Peinlichkeit der Textesverbesserung und fortlaufenden
Kommentierung gedacht hätte. Doch geschah schon etwas nach dieser
Richtung hin ; teils suchte man Näheres über die Person des Homer, sein
Geschlecht und das Schicksal seiner Werke zu ermitteln, teils versuchte
man seinen Witz an der Beanstandung eines und des andern Ausdrucks,
teils endlich bekämpfte man dessen Ansichten über die Götter oder legte
den diesbezüglichen Worten einen geheimnisvollen Sinn unter. Dahin
gehörten im allgemeinen die Arbeiten der alten Homeriker, von denen
Aristoteles ^) den bekannten Ausspruch that, dass sie die kleinen Ähnlich-
keiten sahen, die grossen übersahen. Namen gibt Piaton im Eingang des
Ion;*) zu den dort genannten, Metrodoros, Stesimbrotos, Qlaukon, *) kommt
noch Theagenes von Bhegion aus der Zeit des Eambyses, der zuerst über
Homer geschrieben haben soll und deshalb auch der erste Grammatiker
genannt wird.«) Etwas verschiedener Art waren die Bemerkungen der Philo-
sophen und Sophisten, die sich zwar zum Teil auch an die einzelnen Worte
hielten, hauptsächlich aber Widersprüche und Schwierigkeiten im Homer
aufstöberten und dieselben in ihrer Weise zu lösen suchten {^rit^fnata xal
ivüstg). Von den älteren, Demokritos, Anaxagoras, Hippias,') ist uns
nichts erhalten, hingegen liegen uns noch viele derartige Streitfragen oder
Spielereien bei Aristoteles Poet. 25 vor. Grossen Respekt flösst uns die
Interpretationskunst jener Männer nicht ein, wie wenn der Widerspruch
») Gelliufl Yn 17: Libro8 Aihenis dis-
eipUnarum liberalium publice ad legendum
praebendos primus posuisse dicitur Pisi-
rtratus iyrannua. Deinceps studiosius ac-
curatiusque ipsi Atheniensea auxerunt; sed
<mnem iUam postea librorum copiq,m Xerxes
Ätkenarum patitus, urbe ipsa praeter arcem
incensa, abstulit asportavitque in Persas.
Eos porro Ubros univeraos multis post tetn-
pe$taiihus Sel^urus rex, qui Nicanor appel-
faiiu e«t, referendos Athenas curavit.
*) So r 201 T^iffj für jgiiffBy, H 434
f^e«To für fjyQcxo, fAaxrjcofiat neben fittxfc-
9fuUj teSrtjaic neben re&vetwf. Siehe meine
poleg. p. 104 — 115. Jene ümschreibnng wird
in Abrede gestellt Ton Wilamowitz, Hom.
unten. 286 ff. und Ludwicb, Arist. hom.
Teztkr. U 420 ff. Siehe dagegen CAUkB,
6) Für Glaukon ist im Schol. zu A 636
Glaukos verschrieben.
«) Schol. ad n. r 67 p. 533 a 30: ovrog
fiiv ovy TQonog änoXoyiag d^x^^^^ "'*' TiaVt»
Xttl dno ßeayeyovg jov *Priyivov^ oq nQvÜTog
llyQatpB tibqI *OfÄfJQov^ Tatian adv. Graecos
c. 31: nsgi ydq xrjg Ttoiijaeatg rov 'OfiiJQov,
yivovg TS tti'jov Xttl xQoyov xtt&* ov fjxfiaaey,
nQOYiQBvvrjaav oi ngsaßvraroi Seayeyrjg re 6
'Pijyiog jf«r« Kftfißvarjy yeyoywgy SxrjaifAßQO-
TÖg T€ 6 Sdaiog xal *4vti[Anxog 6 KoXo(pwyiogj
'HgodoTog rs 6 UXixaQyaaevg xai Jioyvaiog
6 'OXvy&iog, fiBx' ixelyovg ^Ekfogog 6 Kv^nTog,
Vgl. Sekgebüsch a. 0. p. 210 ff. In weiterem
umfang gehören hieher auch noch die Logo-
graphen Hellanikos, Charax, Damastes.
^) Unter den Werken des Demokritos
erwähnt Diogenes IX 48: Ttegi 'O/utjgov ^
Homerkritik 69 ff. ^ I oQ&oensirjg xai yXütaüiiov. Vgl. Senoebusch
^ *) Metaph. iV 6 p. 1093 a: öfAotoi 6rj xttl | a. o. p. 135. Anaxagoras war der Lehrer
o»?öi TOfV a>;|faio*5 'OfitjQixoTg, oV fAi.xQttg ' des oben genannten Metrodoros und vertrat
^\tOi6rfitttg Sgwffi, fXByaXag 6k nagogtoaiy. 1 schon die allegorische Erklärung.
*) Vgl. SiCHOKBusoB, Hom. diss. prior 1 33 f. |
64
QrieohiBohe Litieratnrgeschiohte. I. KlasaiBche Periode.
im Eingang der Doloneia zwischen ndvxeq fxev ^a d-soi xs xal aväqsg
InnoxoQvaTai evdov na%n*vxioi {K \) und i; toi ox' ig nsdiov to TQfoixov
d&Qr-asi€v^ avXSv (TVQiyyiov &'ofia3ov {K 11) mit der Annahme gelöst wird,
dass ndvxsq metaphorisch für nolXo( stehe, i) Einige gingen dabei bis
zur Feindseligkeit gegen Homer, wie Xenophanes aus Eolophon, der dem
Homer und Hesiod vorwarf, den Göttern alle Gottlosigkeiten angedichtet
zu haben, und der Sophist Zoilos, der von seiner Polemik den Beinamen
^OfiTjQOfidan^ erhielt.*) Daneben aber fuhr Homer fort, den mächtigsten
Einfluss auf die ganze Nation, auf das Sinnen und Handeln der Gebildeten
wie der Leute aus dem Volk zu üben.
41. Homer bei den Alexandrinern.^) Das schulmässige Studium
Homers beginnt mit dem alexandrinischen Zeitalter. Auch hier hat sich
die Bedeutung Homers darin gezeigt, dass von ihm die gelehrten Studien
Alexandriens überhaupt ausgingen und an ihm die philologische und kri-
tische Kunst ge Wissermassen sich emporrankten. Die drei hervor-
ragendsten Grammatiker Alexandriens, Zenodot, Aristophanes und
Aristarch, haben nach einander kritisch berichtigte Texte {dioQd^foceiq)
Homers, der letzte sogar zwei besorgt. Zu dem Zweck der Herausgabe
notierten sich dieselben als Grundlage ihrer eigenen kritischen Thätigkeit
die Lesarten alter Ausgaben (ixdoasig). Wir hören von zwei Arten von
Handschriften, von solchen, die im Besitze von Städten gewesen waren
{xaxd noXsig), und von solchen, die einzelne Männer besessen und beim
Gebrauch verbessert hatten (xard avögag). Zur ersten Klasse gehörten
die Ausgaben von Massilia, Chios, Sinope, Kypern, Kreta, Aiolis, Argolis,
zur zweiten die von Antimachos, Euripides (dem Jüngeren nach Suidas),
Aristoteles.*) Von hohem Alter und besonderer Güte waren jene Hand-
schriften nicht. '^) Das beste thaten die Gro-mmatiker selbst durch Fest-
setzung der Bedeutung verschollener Wörter und Aussonderung des Un-
echten (. .*/« r^rr). Weit überragte hierin seine Vorgänger Aristarch, «) der
mit unerreichtem Scharfblick und feinstem Verständnis der poetischen
Kunst das Wahre vom Falschen zu scheiden und die Eigentümlichkeiten
des Homer im Gegensatz zu den späteren Dichtern herauszufinden ver-
stand. Seine Ausgabe versah er am Rand mit kritischen Zeichen (erij/iera), 7)
\) Ariafc. Poet. 25 p. 1461 «^ 16. Die
Schwierigkeit ist in unseren Texten gelöst
durch die Lesart äXXov fjiky naQn ytjvaiy aQl-
axrjBg Tlaraxonaiv ' s. Römer, Die Homercitate
und die hom. Fragen des Aristoteles, Sitzb.
d. b. Ak. 1884 S. 264-314.
^) üeber diesen Zoilos, einen Zeitgenossen
des Isokrates, ein Artikel bei Suidas, wo er
^ijtiüQ xal <fiX6ao(fog heisst und von ihm
angeführt wird xatd rrjs 'OfjirJQov noirjaecug
Xoyoi »', Bei Heraklit Alleg. Hom. c. 14
heisst er von seiner Heimat Amphipolis ^ga-
xixoy ay^ganodov. Näheres Ulr. Fried-
linder, De Zoilo alüsque Homeri obtrecta-
toribus, Diss. Königsberg 1895.
') La Roche, Die homerische Textkritik
im Altertum, Leipzig 1866.
^) Vielleicht war dieselbe identisch mit
der berühmten, von Aristoteles revidierten
'IXius Y) ix Tov ydg^xog, welche Alezander
in einer kostbaren Kapsel (yetgS^fj^) aufbe-
wahrte; s. Plut Alex. 8 und Strab. p. 594.
^) Römer, Homerrecension des Zenodot,
Abh. der bayer. Akad. XVll 662 ff. Ueber
Aristarchs handschriftlichen Apparat handelt
Ludwich, Aristarchs hom. Textkr., Kap. 1.
^) Lehrs, De Aristarch! studüs iiome-
ricis, 2. Aufl. 1865, 3. unveränderte Aufl.
1886, Hauptwerk für Homerstndien; Lud-
wich, Aristarchs hom. Textkritik, Leipzig
1884, 2 Bde.
'') Die Zeichen stehen noch heutEutag
im cod. Yen. A, wovon zuerst La Rochb,
Text Zeichen und Scholien des berühmten
Cod. Yenetus der llias, Wiesbaden 1862, Mit-
teilungen machte. Ueber die kritischen Zei-
A. Spoa. 2. Homers Ilias und Odyssee. (§§ 41—42.)
65
unter denen besonders der Obelos and die Diple viel genannt sind.^)
Ausserdem hinterliess er Kommentare {vTtofivtjfiata) zur Dias and Odyssee
in 48 B. und besondere Abhandlungen über einzelne Punkte, wie über das
SchifEslager {TreQi vavaxdd^iiov). Dass von ihm auch die Einteilung der
Sias und Odyssee in je 24 Gesäuge herrühre, ist eine unbeweisbare und
nicht sehr wahrscheinUche Behauptung. Beweisen lässt sich nur, dass er .
dieselbe kannte; vermutlich aber war sie schon von Zenodot eingeführt
worden; Aristoteles hat sie noch nicht gekannt.*) — Die drei be-
röhmten Rezensionen von Zenodot, Aristophanes und Aristarch waren
nicht die einzigen; es gab noch welche von Aratos (nur Odyssee),
Rhianos, Phüemon, Sosigenes, Eallistratos dem Aristophaneer.^) Haupt-
gegner des Aristarch war der Pergamener Erat es, der eine dioQ^waig
*lhd3oq xal 'Odvaasiag schrieb und nicht bloss in der Wahl einzelner Les-
arten dem Aristarch entgegentrat, sondern auch in der Methode der
Mythenerklarung und der geographischen Auslegung der Irrfahrten des
Odysseus einen verschiedenen Standpunkt vertrat.
42. Was in den nächsten Jahrhunderten auf dem Gebiet der Homer-
kritik geleistet wurde, geht fast alles von Aristarch aus und bedeutet
keinen nennenswerten Fortschritt. Zunächst gehen direkt auf Aristarch
die Schriften zweier Grammatiker aus der Zeit des Cicero und Augustus
zurück, denen wir zumeist unsere Kenntnis der aristarchischen Kritik
verdanken, nämlich des Didymos ncQi rijg ^QKXTaQxsiov dioQd-iifS^wq^*) und
des Aristonikos nsqi atjfxeifov T^g ^Ihddog xai^Oivtsaaiccg.^) In dem ersten
Buche war über die bereits damals schon vielfach verdunkelten Lesarten
des Aristarch auf Grund seiner zwei Ausgaben und seiner Kommentare
weitläufig gehandelt, in dem zweiten waren die Gründe der von Aristarch
gesetzten kritischen Zeichen kurz und bündig entwickelt.^) Selbständiger,
aber nicht bedeutender waren die Arbeiten derjenigen, welche zu den
Lesarten und Erklärungen Aristarchs Stellung nahmen, teils abwehrend,
teils verteidigend. Die Polemik gegen Aristarch hielten nach Krates auf-
recht Kallistratos, der sich gegen die Athetesen Aristarchs wandte, und
Ptolemaios, ein Schüler des Ghorizonten Hellanikos, der von seinen An-
griffen auf Aristarch den Beinamen 6 ijri&sTrjg erhielt. Für Aristarch,
eben Oberhaupt siehe Rbipvbbschsii}, Säet.
reH p. 137 ff. und Osasn, Anecdotum Ro-
manam de notis veteram criticis, inprinuB
AriBtarchi Homeiicie, Gissae 1851.
^) Mit dem Obeloe (Spiess) — wurde
da Vera ala unecht bezeichnet {oßeXiCeiy,
tt^etiiv); mit der Diple (sc. yQafjifiijf Doppel-
linie) > wurde angedeutet, dass die be-
treffende Stelle fOr Lteung einer kritischen
Fnge oder zur Erkenntnis einer homerischen
Eigentflmlichkeit von Bedeutung sei.
') Jedenfalls datiert die Stauung in
24 Gesänge aus der Zeit nach Einführung
des ionischen Alphabets, da die 24 Gesänge
nadi den 24 Buchstaben des neuen ionischen
Alphabeies benannt sind; von der älteren
finteilnng in eine kleinere Zahl von Rhap-
sodien ist oben § 20 u. 21 gesprochen.
*) Aus unbestimmter Zeit sind i^ xvxhxij,
17 ix Mowrsiov, rj noXvct^x^ig, lieber die
grössere Yerszahl der gemeinen (xotva/),
nicht durchgesehenen und von unnützen
Versen gereinigton Exemplare, worQber uns
neuere Papyri Auskunft geben, s. Mbnbad,
Sitzb. d. bayer. Ak. 1891 S. 551.
^) Ludwich, Aristarchs hom. Textkritik
nach den Fragmenten des Didymos, Leipzig
1884, 2 Bde., dazu die Einwände von Maasb,
Herm. 19, 565 ff.
^) Aristenici nsgi atj/neioDy 'iXuxdog rell.
ed. FbibdlXkdbb, Götting. 1853, zur Odyssee
von Carnuth, Leipz. 1870.
«) Daher hat man das Eigentum des
Aristonikos an dem Kennzeichen öti aus der
Masse der homerischen Schollen herausge-
funden.
Hndboch der klan. AltertniiMwlaBeiiflchift. VII. S. Aufl.
66
Chrieohisohe Litteimtlirgesohiohie. I. KlaMiache Periode.
das gefeierte Schulhaupt, traten besonders ein die Aristarcheer Dionysios
Thrax, Ammonios, Parmeniskos, Dionysios Sidonios, Chairis, Seleukos und
Apollodor. Alle diese lebten und schrieben vor Didymos ; nach ihm spannen
die alten Fragen fort Tryannion der Jüngere, Herakleon der Ägyptier,
Alexion, Philoxenos, Apion, Epaphroditos. Mehr eigene Wege gingen
Nikanor unter Hadrian, der die Fälle strittiger Interpunktion bei Homer
besprach, ^) und der berühmteste Grammatiker der römischen Periode,
Herodian, der im Anschluss an Aristarch über die Prosodie (Accent,
Hauch, Quantität) bei Homer handelte.*)
43. Lexikalische und erklärende Arbeiten zu Homer. Erklä-
rungsbedürftige Wörter des Homer bildeten schon bei Zenodot einen
Gegenstand der Untersuchung. Auf uns gekommen ist neben unbedeuten-
den Exzerpten aus Apion ') und Zenodoros ^) ein homerisches Speziallexikon
von dem Aristarcheer Apollonios Sophistes (um 100 n. Chr.), in welchem
die Kommentare des Aristarch und die Lesarten (Ac^^ig) des Apion be-
nutzt sind.^) — In Gegensatz zur grammatischen Erklärung trat schon seit
alter Zeit die allegorische. Sie fand auch bei Grammatikern Eingang,
wie insbesondere bei Erates von Mallos, galt aber immer als eine spezielle
Domäne der Philosophen. NamentUch hatten die Stoiker sich auf dieses
Gebiet geworfen, und in der Zeit des Augustus ward die allegorische
Deutung in ein förmliches System gebracht. <') Daraus ist das uns er-
haltene Buch 'AlXrjoQiai Vfir^Qixai von Herakleitos (nicht Herakleides)
hervorgegangen.') Manches darin ist zutreffend, wie wenn c. 14 der
Vers : oifQtjag fitv nQdoTov in((}x^xo xai xvvag aQyovg {A 50) auf den natür-
lichen Verlauf der Seuchen zurückgeführt wird. Das Meiste aber ist
verkehrt, wie dass die Besiegung der Aphrodite durch Diomedes in der
Inferiorität der Unvernunft der Barbaren {äXoyiatia ßagßaQwv) gegenüber
der kriegerischen Tüchtigkeit der Griechen ihren Grund haben soll (c. 30).
Daneben wandte man in den schreibseligen Kreisen der Grammatiker und
Philosophen auch der antiquarischen Seite der homerischen Gedichte seine
Aufmerksamkeit zu. Besonderes Ansehen erlangte das Buch eines ge-
wissen Dioskorides, Über die Sitten bei Homer, welches fleissig von
*) Nicanoris nsQi 'iXtaxtj? ajiyfjLrjg rell.
ed. FrirdlUndbr, Regiom. 1850; nsQi ^O^wt-
aeiaxijg atiyfiijg ed Carnuth, Berl. 1875.
') Das Bnch Herodians hatte den Titel
'OßiTjQixij TtQoafinfia und war geteilt nach Ilias
und Odyssee; es verfolgte die kontroversen
Stellen Huch für Buch. Hauptausgabe von
Lrntz, Horodiani technici rell., Lips. 1867.
■) Apions rXoiaaM 'O^i/piar«/, von Sturz
im Anhang des Et. Gud. p. 601 publiziert,
sind ein elendes Exzerpt; dass dasselbe aber
doch auf Apion zurückgeht, beweist Kopp,
Herrn. 20, l«l flf Ein Exzerpt *Ex rov 'Ani^-
voi im Cod. Vind. 169 veröffentlichte Kopp,
Rh. Mus. 42, 118—121.
*) Von diesem Zenodoros, der nach Dio-
nysios Halic, den er citiert, lebte, und den
E'orphyrios und Eustathios öfters anführen,
gibt MiLLBB, M41. 407 -411, eine Enirofi^
Ttav 7t€Qi avyij9eiae (in 10 B.), worin die Ab-
weichungen Homers vom gewöhnlichen Sprach-
gebranch behandelt sind.
*) 'JnoXXmyiov aotpurrov Xe^txoy (er-
halten in einem cod. Sangermanensis} rec.
Imm. Bbkkbr, Berol. 1883. Dass das Lexi-
kon in verdünnter Gestalt auf uns gekommen
ist, weist nach Lbydb, De Apollonii sophistae
lex. Homerico, Leipz. 1855; vgl. Kopp a. 0.
•) DiELS, Dox. gr. p. 88 ff. Ihre Blüte
erreichte diese Spielerei allegorischer Deutung
im Mittelalter, worüber Kaufmakv, Gesch.
d. deutschen üniversitftten I 25 f.
') Heracliti Allegoriae Homericae ed.
Mbhler, LB. 1851; es sind in dieser Ausg.
vollständigere Handschriften als in den frü-
heren benutzt; neue kritische Beiträge gibt
Ludwich, Arisi Textkr. II 642 ff.
A. Epos. 2. HomerB Dias lud Odyssee.
i 43-44.)
67
Athenaios, *) daneben aber auch von Plutarch und dem Rhetor Dion Chry-
sostomos benutzt wurde.*) Noch später, im 3. Jahrhundert kehrte die
Homererklärung teilweise wieder zu der voralexandrinischen Manier zurück.
Es geschah dieses durch die Neuplatoniker, bei denen die Philosophie
Homers ein stehendes Thema bildete, ^) und aus deren Betrachtungen uns
die X)firjQixä ^rjTijfiata des Porphyrios erhalten sind.*) Dort werden
nach alter Weise Fragen, oft recht läppische, aufgeworfen und in der
Art klügelnder Grammatiker und Sophisten gelöst.^)
44. Scholien. Die Arbeiten der alten Grammatiker sind nicht im
Original auf uns gekommen, sondern nur in Auszügen. Der hauptsäch-
lichste Auszug eines anonymen Grammatikers aus den Viermännern Ari-
stonikos, Didymos, Herodian, Nikanor ist uns bezeugt durch die Unter-
schriften des Cod. Yenetus A der Dias: naQaxeixai xd ^ÄQiaxovixov ariiieXa
xal Ttt Jidviiov 7t€Qi TTJg 'ÄQiaxaQXsiov dioQ&oiacwgy rivd 3^ xal ix TTJg ^Ihaxfjg
nqwSf^Siag ^Hgoodiavoi xal ix tcov NixdvoQog Ttegl atiyfirjg,^) Dazu waren
in der nachfolgenden Zeit noch Scholien aus anderen Grammatikern, be-
sonders aus den ZijX'qfAaxa des Porphyrios gekommen. Auf diese Auszüge
gehen die Scholien unserer Handschriften zurück; dieselben sind uns am
besten in dem Yenetus 454 {Ä) erhalten, und zwar in doppelter Fassung
als ausführlichere Rand- oder Hauptscholien, und als kürzere Zwischen-
oder Textscholien.'^) Aus derselben Quelle stammen die Scholien des
Townleianus, mit dem der jüngere Yictorianus übereinstimmt, ®) und die
des Yenetus 453 (E),^) Mehr die Erklärung berücksichtigten die fälsch-
^) Bei Athenaios I 15 Iflaffc die Schrift
JTf^t rov tmr xa&* "O/jltjqov ßiov anonym.
*) R. Th. Wbbkb, De Dioscnridis negl
imy nag* 'OfÄiJQio rofnov, Lipß. Dias. 1888.
Ehedem identifizierte man, durch Suidaa unt.
't)ufiQoq irregefOhrt, unseren stoischen Gram-
matÜEer mit dem Isokrateer Dioskurides. In
Wahrheit lebte derselbe, der auch anofjiyfj-
fiQpevuara und über den lakonischen Staat
Bchrieb, nach Aristarch, dem er folgte, und
Tor Dion Chrysostomos, der ihn exzerpierte;
Weber setzt ihn 160—60 v. Chr.
') Schon der Epikureer Philodem
seiirieb über das Fürstenideal bei Homer
(8. BücQBLBB Rh. M. 42, 198 ff.), Longinos ei
^pcAoffo^fK "OfifjQogj Porphyrios negi r^f
Ufüj^ftv tptXoco(fias.
^) Porphyrii Quaestionum Homericarum
ad Diadem pertuientium rell. ed. Herm.
ScBBADBB, Ups. 1882, mit Nachträgen im
Herm. 20 (1885), 380 ff.; Porphyrii Quaest.
Hom. ad Odysseam perünentinm, ed. Hbbm.
ScBULDBB, liipfi. 1890. Erhalten ist der 1.
Teil des Buches mit dem Widmungsbrief im
Tai 305, das Gkmze exzerpiert in den Homer-
echoUen, Eustathios und Tzetzes. In die
Foastapfen der allegorischen Erklärung des
Neuplatonikers Porphyrios trat im 5. Jahr-
Irandert die gleichfalls von den kosmo-
gonischen Ideen der Neuplatoniker ausgehende
Schoüastin Dbmo, worüber Ludwich, die Homer-
dcQterin Demo, Leipz. 1895.
*) So zu ^ 298: M tl 6 '-^/iJUw Tf/y
fi^v Bgiofjtda (ptjal dtSaety, xdiv cT äXkiay ov6kv
TfQotea&ai qtrjaiv ävev noXäfiov; ^rjtioy ovv,
Ott onag firj dnqttxtjg sivtti ioxj. Einen spe-
ziellen Versuch allegorischer Deutung lieferte
derselbe Porphyrios in dem Büchlein negi
tov iv *Odv<ra€i(f ttäy Nvfiquoy äyxQov,
^) Bbcoabd, De scholiis in Hom. Iliadem
Yenetis, Berlin 1850.
^) Römer, Die Werke der Aristarcheer
im Cod. Yen. A, in Sitzb. d. b. Ak. 1875, und
LuDwiOH, Arist I 83 ff.
^) Dass der Yictorianus in München di-
rekt aus dem Townl. abgeschrieben sei, be-
zweifelt SiTTL, N. Phil. Rundschau 1889
S. 194; vgl. auch Römbb, De schol. Yicto-
rianis, Münch. 1874 S. 24 f.
^) Die Scholien zuerst bekannt gemacht
durch YiLLoisoN, Yen. 1788 fol. — Neuere
Ausgabe : Scholia in Homeri Iliadem ex
rec. Bbkkerf, Berol. 1825. — YoUstftndigste
Ausgabe nach Handschriften gesondert:
Scholia graeca in Homeri Iliadem ex codi-
cibus ancta et emendata ed. Gu. Dindobf,
t. I-IY Ox. 1875; t. Y— YI die SchoUa
Townleiana enthaltend, besorgt von Maas,
Ox. 1888. Die Scholia codicis Lipsiensis,
welche Bachmann, Lips. 1835—8 herausge-
geben hat, haben keinen selbständigen Wert,
da sie, wie Maass, Herm. 19, 264 ff. nach-
gewiesen hat, aus Yen. B, u. Townl. ge-
5*
68
Griechiftehe LitteratnrgeBehiohte. 1. KlaMisehe Periode.
lieh dem Didymus zugeschriebenen, schon von Aldus herausgegebenen
Scholia minora.^) Dürftiger sind die Scholien, namentlich die kritischen,
zur OdysseO; vornehmlich erhalten durch den Harleianus 5674 des bri-
tischen Museums (H) und den Venetus 613 (-W).*) Ausser den Auszügen
der Viermänner und den Abschnitten aus Herakleitos und Porphyrios ent-
halten diese Scholien manche zum Teil sehr beachtenswerte exegetische
Bemerkungen B) und viele Notizen aus dem, was man historia fabularis
nennt.*)
45. Homer im Mittelalter. Das Mittelalter hat nichts neues und
standhaltendes in der Kritik und Exegese Homers geleistet ; die Eustathios
und Tzetzes haben wesentlich' nur breitgetreten, manchmal auch entstellt,
was ihnen aus dem Altertum überkommen war. Der früher überschätzte
Kommentar des Eustathios (12. Jahrhundert),*) UaQexßolal €ig tiJv
X)fi7]Qov ""OSvaasiav xai "'iXiüda^ «) findet jetzt, nachdem uns durch Villoison
die alten Scholien selbst zugänglich gemacht worden sind, wenig Be-
achtung mehr. Sein Wert besteht wesentlich nur in dem, was Eustathios
aus alten Quellen,^) einem Auszug des Kommentars der Viermänner, den
Lexeis des Aristophanes, den rhetorischen Wörterbüchern des Dionysios
und Pausanias, dem enkyklopädischen Lexikon des Apion und Herodoros, ^)
den Paralipomena des Porphyrios aufgenommen hat. Noch unbedeutender
ist die von Tzetzes in seiner Jugend (1143) verfasste Exegesis Diados.^)
Neben den Kommentaren spielten in den Studien der Byzantiner die Para-
phrasen eine Rolle, von denen uns mehrere in Handschriften, teilweise
auch in Drucken vorliegen, ^o) — Schon gegen Ende des Altertums kam die
Spielerei auf, Verse und Halbverse des Homer zu neuen Gedichten zu
verbinden; solche Centonen (Ofir^goxsvTQa) sind uns von der Kaiserin
nommen siod. Ueber den Cod. Laur. 32, 3
8. ScHRADBR Heim. 22, 282 ff.
^) Ein alter Cod. Moreti in der Bibl.
Yitt. Eman., nachgewiesen von Maass Herrn.
19, 559.
^) Scholia antiqua in Homeri Odysseam
ed. Ph. BüTTMANir, Berol. 1821. — Scholia
graeca in Homeri Odysseam ex codicibus
aucta et epaendata ed. Gu. Dimdorf, 2 vol.
Ox. 1855. Ueber die Ambrosianischen Odyssee-
Bcholien Scrrader Herm. 22, 337 ff.
') Rom RR, Die exegetischen Scholien
der llias, München 1879. Dieselben stehen
fast alle in Cod. B.
*) Ed. Sohwartz, De scholiis Homericis
ad historiam fabularem pertinentibus, in Jahrb.
f. Phü. Suppl. XU 405 - 463.
^) Eustathios, der anfangs Diakon und
Maistor rhetoron zu Eonstantinopel und seit
1175 Erzbischof von Thessalonike war, hat
den Kommentar zu Homer vor seiner Er-
nennung zum Erzbischof veröffentlicht; dass
er den zur llias vor dem zur Odyssee be-
arbeitete, wiewohl er sich wechselweise in
dem einen auf den andern bezieht, macht
wahrscheinlich Fr. Kuhn, Quo ordine et
quibus temporibus Enstathius commentarios
suos composuerit, in Comment. in hon. Stade-
mundi p. 249—57.
^) Die älteste Ausgabe zu Rom 1542; die
neueste ohne neue Hilfinnittel Lips. 1825 — 30.
2 vol.
») La Roche, Hom. Textkritik S. 151 flf.;
Max Nbumann, Eustathios als kritische Quelle
für den Iliastext, Jahrb. f. Phil. Suppl. XX
145 ff.; CoHN, De Aristophane Byzantio et
Suetonio Tranquillo Eustathü auctoribus, in
Jahrb. f. Phü. Suppl. XII 285 ff.
®) Neben Herodoros kommt auch die
Variante Heliodoros vor, der Naber ad Phot.
lex. I 119 den Vorzug gibt.
^) Zu A 1 — 102 gedruckt in Hermanns
Ausg. des Drako. Ausserdem verfasste
Tzetzes Allegorien zur llias und Odyssee,
worüber Krumb achbr, Byz. Litt. 2. Aufl.
S. 529 ff.
^®) Eine Paraphrase veröffentlichte Bbk-
KBR, Scholia in Homeri Iliadem, am Schluss.
Neue Mitteilungen über Homerparaphrasen
gibt LuDWicu, Arist. hom. Textkr. II 486 ff.
A. Spos. 2. Homers Ilias and Odyssee. (§§ 45—46.)
69
Eudokia, dem Bischof Patrikios, dem Philosophen Optimus und dem Me-
loden Kosmas erhalten, i)
46. Homer bei anderen Nationen. Homer, der schon von
Alexandria aus zu fremden Völkern bis nach Indien gedrungen war und
in Rom gleich beim ersten Erwachen des litterarischen Lebens an Livius
Andronicus (Odyssee) und Matius (Dias) Übersetzer gefunden hatte, *) war
im Mittelalter den Völkern des Abendlandes nur durch eine metrische
Epitome der Ilias, den sogenannten Homeruft latinus, bekannt. Zu neuem
Leben erblühte er in der Zeit der Wiedergeburt der Wissenschaften: 8) im
Jahre 1488 erschien zu Florenz die erste Ausgabe ; zuvor schon hatte für
Boccaccio der Calabrese Pilato eine lateinische Übersetzung der Ilias an-
gefertigt. Aber wiewohl auch schon 1542 der weitläufige Kommentar des
Eustathios gedruckt wurde, so dauerte es doch noch Jahrhunderte, bis
Homer volles Verständnis und gerechte Würdigung fand. Es überwog
eben infolge des romanischen Einflusses die von Jul. Cäs. Scaliger (gest.
1558) in seiner Poetik vertretene Anschauung, dass nur dem Vergil die
Fahne des klassischen Dichters gebühre, dem gegenüber die homerische
Poesie die Rolle einer plebeia ineptaque muliercula spiele. Die richtige
An£Fassung ging von England aus, wo Pope 1715 seine berühmte Homer-
fibersetzung dichtete und der in Oriechenland selbst vielgewanderte Wood
mit seinem Buche, On the original genius of Homer (1719), das Ver-
ständnis der Natur- und Volkspoesie erschloss. In Deutschland fanden
die Anschauungen der Engländer bei Gottsched, Lessing, Winckelmann,
Heyne lebhaften Anklang. Mit der Übersetzung von Voss*) ist dann bei
ims Homer in den weitesten Schichten des Volkes populär geworden, wie
sonst es nur Werke nationaler Dichter zu werden pflegen, und mit den
Prolegomena von Fr. A. Wolf (1795) begann für die Homerforschung
und die ganze Philologie eine neue Epoche kritischer Studien und tieferer
Erkenntnis.
Codices fliadis: Zu den bereits § 40 genannten kommen noch: ein syrischer
PaUmpsest (ed. Curbton 1851); Papyri (zu den älteren schon von Bekker benutzten
kommen mdirere neue Bmchstacke, worflber Landwehr, Philol. 44, 585 ff.; Mbnrad, Sitzb.
d. bayer. Äkad. 1891, 539 ff., 1897, IT); Cod. Mediolanus mit Miniaturen (Iliadis antiquissima
fragm. com picturis ed Ako. Mai, Mediol. 1819, Romae 1835). — Codd. Odysseae: ausser
den oben § ^ erwähnten noch die Laurentiani F u. G des kritischen Apparates von La
RocHB u. Ludwich.
Schollen s. oben §§ 42. 44.
Ausgaben: ed. princ. ex rec. Dsiostrii Chalcondtlae, Flor. 1488; mit gelehrtem Kom-
mentar von Clark b-Ernbsti, 1779, 4 vol.; Ilias cum. vers. lat. et annot. cur. Heyne, Lips. 1802,
9 vol. Berichtigter Text mit epochemachenden Proleg. von F. A. Wolf, Hai. 1795. — Tumul-
tuarischer Versuch der Herstellung eines Urhomer von Paywb-Knioht, Lond. 1820. — Ilias rec.
Spiizeer, 1835, 4 voL mit kritischen Noten u. Exkm-sen.— Kritische Hauptausgabe mit Digamma
*) Eodociae Augustae fragm. ed. Lud-
wicB in Bibl. Teubn. p. 79 ff.
^ ToLXiEHK, De Homeri auctoritate in
c«tidiana Romanorum vita, Jahrb. f. kl. Phil.
Sappi. TYin 1896.
') Fbibdlahdbr, Schicksale der home-
liachen Poesie, in der Deutschen Rundschau,
^Aniarheft 1886.
*) Die Odyssee erschien 1781 in erster
Gestalt, die Dias folgte 1793. Vgl. M. Bbb-
nays, Einleitung zu Voss Homers Odyssee.
Stuttg. 1881. Die erste deutsche üebersetzung
der Odyssee lieferte im JiJire 1537 ein Mttn-
ebener Beamte Schaidenraisser, worüber
REnraABDSTÖTTNBB, Jahrb. f&r MOnch. Gesch.
I 511 ff., die erste der Dias der Augsburger
Meistersftnger Spreng, worüber Kbinz, Siäb.
d. b. Ak. 1893, I 675,
70
Orieohisohe Litteratargesohiohte. I. ElassiBohe Periode.
im Text und dem Anfang eines kritiBchen, wesentlich auf den Schollen basierten Kommentars
von Imm. Brkkbb, Bonnae 1858; dazu dessen Homerische Blätter, Berl. 1868, 2 Bde. — Homeri
Odyssea ad fidem librorum optimorum ed. La Rocbb, Lips. 1867, Ilias 1873, mit einem
reichen, aus Scholien und Handschriften geschöpften kritischen Apparat — Ilias u. Odyssea
ed. A. Nauck. Ber. 1877 mit kritischem Apparat und einschneidender, die von Bekker em-
geschlagenen Wege weiter verfolgenden Recensio. — Ilias und Odyssea cum apparata
critico rec. Leevweh et Mendes da Costa, Lugd. Bat. ed. alt. 1897. — Homeri carmina
rec. et selecta lectionis varietate instruzit Arth. Ludwich, Lipe., davon Odyssea 1889.
— Textausgaben der Bibl. Teubn. von Dxndobf mit Sengebuschs Hom. Dissertationes
1861; der Bibl. Schenkeliana von Rzach Dias, von Gauer Odyssea. — Ausgaben, welche
die homerische Frage berficksichtigen: Iliadis carm. XVI ed. Eöchly, lipsiae 1861; Die
homerische Odyssee von Eircbhoff, 2. ed. Berlin 1879; Iliadis carmina seiuncta emendata
ed. Christ, Lipsiae 1884; Die homerische Odyssee, Die homerische Dias, in der ursprüng-
lichen Sprachform hergestellt von Ficx, Göttingen 1883 u. 1886. — Schulausgaben mit er-
klärenden Anmerkungen von Ameis-Hentzb mit gelehrtem, unentbehrlichen Anhang; toh
Fasi-Feancke; von La-Kochb; von Düivtzeb. — Einzelausgaben: Erklärende Anmerkungen
zu Homers Odyssee von Nitzsch, Hann. 1826, 3 vol. ; Dias 1. XX et XXI ed. Hoffkabk,
Clausthal 1864; Anmerkungen zu II. ^ 0 r von Näoelsbach, neubearbeitet von Autbnsibth,
Nürnberg 1864; Pepfmüller, Eommentar des XXIV. Buches der Dias, Berlin 1874; Bs-
NicKBN, Der 12. u. 13. Gesang vom Zorn des Achilleus, Innsbruck 1884.
Hilfsmittel, lexikalische: Index Homericus studio Sbbbbi, ed. Oxon. 1780 (verdiente
eine Neubearbeitung); Index Homericus compos. Auo. Gbhbuvo, Lips. 1891; Lexicon Homericam
ed. Ebelino, Lips. 1885, 3 vol-, Haupthilfsmittel; Parallelhomer von C. Ed. Schmidt, G5tt.
1885. — Realien: Friedbbich (Mediziner), Die Realien in der Iliade und Odyssee, ErL
1851; Buchholz, Die homerischen Realien, Leipz. 1871—85, 3 Bde.; Helbig, Das home-
rische Epos aus den Denkmälern erläutert, 2. Aufl., Leipzig 1887; Reicbbl, Ueber home-
rische Waffen, Wien 1894. — Archäologisches: Overbegk, Gallerie historischer Bild-
werke der alten Eunst, Braunschw. 1853; Brunn, Troische Miscellen in Sitzb. d. b. Akad.
1868 u. 1880; Wörmann, Die antiken Odysseelandschaften vom Esquilin, Mflnchen 1876;
R. Enoblmann, Bilderatlas zum Homer, Leipz. 1889. — Yölkbr, Hom. Greographie, Hann.
1830 (bedarf einer Neubearbeitung); Eofhiniotes, 'OfAfjQ^xtj yetoyQatpia, Athen 1884. —
Nagelsbach, Homerische Theologie, 3. Aufl. von Autenbieth, Nfimberg 1884. — Sprach-
liches: Buttmann, Lexilogus, 4. Aufl., Berlin 1865, 2 Bde.; Hoffmank, Quaest. Hom., Claus-
thal 1842; Enös, De digammo homerico. Ups. 1872; Classen, Beobachtungen aber homer.
Sprachgebrauch, Frankf. 1867; Hartel, Hom. Studien, aus Sitzungsb. d. Wien. Ak. 1871—4;
Mbnbad, De contractionis et synizeseos usu Homerico, München 1886. — Grammatiken:
MoNBo, Grammar of the hom. dialect, Oxf. 1882, 2. Aufl, 1890; Leeuwen u. Mbndbs da
Costa, Enchiridium dictionis epicae, Leiden 1892; Yoobinz, Grammatik des homerischen
Dialektes, Paderborn 1889; W. Ribbeck, Hom. Formenlehre, 2. Aufl., Berlin 1880; Hartel,
Abriss der Grammatik des homerischen und herodotischen Dialekts, Wien-Prag 1887.
Litteratur Aber homerische Biographien oben § 22, über homerische Frage § 23 u. 24,
über die Lebenszeit Homers § 32, über Ortskimde Homers § 34.
3. Die homerischen Hymnen und Scherze.
47. Hymnen. Unter Homers Namen ist ausser Ilias und Odyssee
eine Sammlung von Hymnen und scherzhaften Kleinigkeiten (Ttmyria) auf
uns gekommen. Der homerischen Hymnen sind es 84, darunter 5
grössere. Mit ihrem eigentlichen, noch von Thukydides HI 104 und Pindar
Nem. II 2 gebrauchten Namen hiessen sie ngooi^ua^ so genannt, weil sie
bestimmt waren, dem Vortrage homerischer Heldengesänge {o^iim Od.
^ 481, X 347) voranzugehen.^) Es schliesst demnach der 31. Hymnus auf
Helios mit ix aäo d'aq^d^svoq xkr^ata fisgortcov yhvoq avdqm'^ und mehrere
andere mit amaq iyco xai asTo xai aXXrjq [x^^tjaoiii' doiSrjg. Es stehen nam-
') Ausser den daktylischen Prooimien
gab es auch lyrische und kitharodische. Vgl.
Rhet. anon. bei Spengel I 427, 6 n^ooifua
iXsyoy ol naXaiol rd rdSy m&aQ^dwy. YgL
Find. P. I 4, 0. VI 88, Suidas u. nfto&eog.
A. Epos. 8. Die bomerisohen Hymnen und Soherse.
\ 47-48.)
71
lieh die Hymnen mit den Götterfesten in Verbindung und hängen mit der
nachhomerischen Sitte zusammen, die Heldenlieder nicht mehr in den
Männersälen der Eönigsburgen vorzutragen, sondern in den öffentlichen
Versammlungen bei den Festen der Götter, i) an welchen selbstverständ-
licher Weise der Gottheit, welcher das Fest galt, auch die erste Gesanges-
spende dargebracht wurde.') So waren die Hymnen auf Apollo bestimmt
in Delos und Delphi, der auf Demeter an den Panathenäen in Athen, der
9. bei dem Artemistempel in Klares bei Eolophon, der 6. und 10. beim
Aphroditefest im kyprischen Salamis, der 17. und 33. an dem Fest der
Dioskuren in Lakedämon oder Sikilien vorgetragen zu werden, s) Wie auf solche
Weise die Hymnen an sehr verschiedenen Orten, wohin nur immer Home-
riden den homerischen Gesang trugen, gesungen wurden, so sind sie auch in
sehr verschiedenen Zeiten entstanden. Während die älteren bis in das
7. Jahrhundert hinaufreichen und an die alten Götter Apollo, Zeus, Hermes,
Aphrodite gerichtet sind, wenden sich andere an Halbgötter wie Herakles
(15.), Asklepios (16.), Dioskuren (17. und 33.) und stammen aus viel
jüngerer Zeit. Der 19. auf Pan ist erst nach der Schlacht von Marathon
entstanden;^) andere, wie insbesondere der auf Ares (8.), weisen in den
Kreis der jüngeren Orphiker.^) Im allgemeinen steht die daktylische Hymnen-
poesie in Zusammenhang mit der Vertiefung des religiösen Geistes, der
mit dem Schluss des 7. Jahrhunderts ganz Griechenland ergriff und in
der Verherrlichung der Götterfeste zunächst an die damals allein aus-
gebildete Form des epischen Gesanges anknüpfte.
48. Der älteste und schönste der Hymnen ist der auf den delischen
Apoll, der ehedem, in den Handschriften und Ausgaben, mit dem auf den
pythischen Apoll zu einem Hymnus vereint war.<^) Aber beide Hymnen
smd für verschiedene Kultstätten bestimmt und tragen ganz verschiedenen
Charakter. Der zweite stammt aus der hesiodischen Schule, 7) der Dichter
*) Auf dem Markte wird Bchon bei
Homer die jnnge Emdichtnng von der Liebe
des Ares und der Aphrodite, ^ 266-866,
Torgetragen. An die Gottheit wendet sich
aach beim Anbeben des Gesangs, ähnlich wie
Homer selbst im Anfang der Ilias and Odyssee,
Demodokoe der Sfinger in^Od. » 499: cüc
dtH^y. Ein aytay, ein Preisbewerb bei
solchen Yolksversammlnngen ist erwähnt
Hymn. 6, 19.
*) Plut. de mns. 6: t« ydo nQog rovg
d§ovs dipoaitüCiifÄeyot i^äßaiyoy ev&vg im rtjy
\)^f;^ov xtel ttoy aXXtay nolijaiy ' SrjXoy Sh
rotto iaxi did raSy Te^Ttayd^v ngooifiitoy,
Vergleiche auch Find. Ol. 3, wo von der
kurzen Erwähnung der Tyndariden, denen
das Fest galt, zum Preise des Siegers über-
g^angen ist.
»} Nach Find. iV 11 in. "O&eyneQ^ xai
'0/iil^idiu fanxiüy htitor td noXX* dot&ol
ii}TQyT4u Jiog i* nQooitAiov fingen die Rhap-
soden in der Regel mit dem F^eis des Zeus
•n. AufßÜligerweise ist uns aber in unserer
Sammlung nur ein einziger (n. 23) und dazu
recht kurzer Hjmmus auf Zeus erhalten.
*) Der Hymnus ist nämlich für Attika
bestimmt, dort aber wurde nach der Erzäh-
lung des Herodot VI 105 erst in den Perser-
kriegen die Einführung des Pankultus ver-
anlasst.
^) Baumbistbb in der Ausgabe schreibt
geradezu den Vers 15, 8, der nach dem un-
echten Vers der Od. X 603 gedichtet ist, dem
Onomakritos zu; aber dazu fehlen bestimmte
Zeugnisse.
*) Die Scheidung wurde vorgenommen
von RuHMKiN in ep. crit.; Ath. 22^ iy xolg
eig 'AnoXXtova vfxyoig hatte noch in seinem
Exemplar 2 Hymnen. Vergl. Lehrs, P<^.
Aufs.« 428 flf.
') Auch das Haften des Digamma weist
auf nichtionischen Ursprung. Als hesiodisch
wird der Hjmmus citiert schol. Hom. B 522.
Anzeichen des hesiodischen Stils, der euro-
päischen Heimat des Dichters und der Nach-
ahmung des älteren delischen Hvmnus weist
nach Baumeister in Ausg. 115 f.
72 Orieohisohe LitteratargMohiohie. I. Klassische Periode.
des ersten bezeichnet sich selbst (V 172) als blinden Sftnger von Chics,
der Heimstätte des homerischen Oesangs. Den verschiedenen Eultorten
entspricht auch der verschiedene Inhalt der beiden Hymnen: der delische
erzählt die Niederkunft der umherirrenden Leto und die Geburt des
Zwillingspaares Apollo und Artemis auf der Insel Dolos; der pythische
handelt von der Gründung des Heiligtums in Delphi durch Apollo nach
Erlegung des Drachen Pytho und von der Einsetzung der kretischen
Fremdlinge als Tempeldiener des pythischen Gottes. Den alten Homer
nahmen ohne Bedenken Thukydides IE 104 und Aristophanes, Vögel 575,
als Dichter des älteren delischen Hymnus an. Dagegen ward nach dem
Scholion zu Pindar Nem. U 1 bereits von einigen Alexandrinern der Ho-
meride Eynaithos, welcher die homerische Poesie in Syrakus eingeführt
hatte, als Verfasser ausgegeben.^) Diese Meinung gründete sich o£Fenbar
auf die Verse 14 — 18, in denen der Artemis in Ortygia gedacht ist; aber
diese sind unecht, wie G. Hermann erkannt hat, und der Bhapsode Ey-
naithos kann daher nur als Interpolator, nicht als Verfasser des Hymnus
gelten. >) Auf die Abfassungszeit des pythischen Hymnus, der offenbar
dem delischen nachgebildet ist, scheinen die Schlussverse 362 bis 365,
welche eine Veränderung in der Stellung der alten aus Ereta stammenden
Tempelpriester prophezeien, eine Vermutung zu gestatten. Dieselben be-
ziehen sich nämlich auf den dominierenden Einfluss, den damals der Bund
der Amphiktyonen auf die Satzungen des delphischen Apollofestes ge-
wonnen hatte, und weisen demnach auf die Zeit unmittelbar vor Grün-
dung der Pythien durch die Amphiktyonen hin (586). — Umfangreich
und alt ist auch der Hymnus auf Hermes, in dem die Geburt und
die ergötzlichen Schelmereien des Gottes, die Verfertigung der Schild-
krotleier und der Diebstahl der Rinder Apolls, hübsch in der Art der
ionischen Sänger erzählt sind; in dem jüngeren Schluss 507—580 einigen
sich dann die Brüder Hermes und Apollon über die Verteilung ihrer
Rechte. Auch dieser Hymnus wird dem Homer von einem der ältesten
Grammatiker Antigenes von Earystos, Parad. 7, beigelegt. In der
That aber stammt derselbe aus der Zeit nach Terpander, da er bereits
V. 51 die siebensaitige Eithara erwähnt. — Der Dichter des Hynmus auf
Aphrodite hing ganz von Homer ab, aus dem er eine Masse von Versen,
Halbversen und Wendungen genommen hat, ') verstand es aber im übrigen
gut, das Liebesabenteuer der Göttin mit Anchises recht anmutig zu erzählen.
— Der grosse Hymnus auf Demeter ward erst im vorigen Jahrhundert
aus einer Moskauer Handschrift ans Licht gezogen. Derselbe gibt der
Einführung der eleusinischen Mysterien die poetische Weihe: er schildert
) Für die Stellung des Aristarch zur Schluss des Hymnus herleitet. Sittl, Phil.
Frage ist beachtenswert, worauf mich mein
Freund Römer aufmerksam machte, dass in
den Scholien kein einziger Vers der soge-
nannten homerischen Hymnen als homerisch
angefahrt ist.
•) Ueber Eynaithos siehe oben § 37.
Anz. 1887 S. 346 will aus Strabon p. 23, wo
fOr die Erwähnung von Ortygia als ftitester
Gewährsmann Hesiod angefoibirtist, schliessen,
dass derselbe unsere Verse 14 — 18 noch
nicht kannte.
') Dieses Yerhfiltnis anschaulich ge-
FiOK, Hom. Odyssee S. 280 widmet dem | macht in der Ausgabe von Stbbrbtt, Boston
Hymnus eine eingehende Besprechung, indem i 1881. Vgl. Thiblb, Proleg. ad hymn. in
er die fraglichen Verse aus einem doppelten | Venerem Homericum, Halle 1872.
A. Epos. 8. IMe homerisohen Hyinxieii niid Scherse. (§ 48.) 73
die EntfahruDg der Persephone durch den Unterweltsgott Pluton und das
lange Suchen der Mutter Demeter nach ihrer Tochter, bis sie sich end-
lich in Eleusis niederlässt und dort, fQr zwei Drittel des Jahres mit ihrer
Tochter wiedervereint, die heiligen Weihen stiftet. Der Hymnus ist, wie
Voss in seiner trefflichen Ausgabe (1826) auch aus sprachlichen Anzeichen
nachwies, in Attika zu Anfang des 6. Jahrhunderts in der Zeit des Selon
entstanden.^) Leider ist das Verständnis des Gedichtes durch zahlreiche
Lücken der einzigen Handschrift arg gestört. Auch ist nicht zu ver=
kennen, dass ein älterer Mythus vom Raube der Persephone erst nach-
träglich mit der Eultsage von Eleusis in Verbindung gebracht wurde,
aber die Mehrheit der Mythen rechtfertigt nicht die Annahme, dass der
Hymnus selbst aus Fetzen mehrerer älterer Hymnen zusammengeflickt sei.
— Aus Attika stammt wahrscheinlich auch der 7. Hymnus auf Dionysos, ')
in dem das bekanntlich auch am choragischen Denkmal des Lysikrates
dargestellte Abenteuer des von tyrsenischen Seeräubern gefangen genom-
menen Gottes und die Verwandlung der Seeräuber in Delphine hübsch und
anschaulich erzählt sind.^)
Wann und von wem die Sammlung unserer Hynmen veranstaltet
wurde, wissen wir nicht. Der Redaktor ging offenbar von den grossen
Hymnen aus und liess denselben die kleineren nachfolgen; aber auffallig
ist, dass Hymnen auf dieselbe Gottheit auseinander gerissen sind, ohne
dass immer der später gestellte kleiner wäre oder jüngeren Ursprung ver-
riete,*) ein Umstand, der zur Vermutung führt, dass unsere Sammlung
erst allmählich durch Vereinigung mehrerer älterer Sammlungen ent-
standen ist.
U eberlief er nng: im Certamen Hesiodi ist vom Hymnus auf den delisclien Apoll
Wzahlt, dass ihn die Delier auf einer Tafel im Tempel der Artemis aufbewahrten, wie die
Rhodier das Siegealied Pindars auf Diagoras. Unsere Ueberlieferung geht auf zwei Quellen
zorack, von denen die eine durch den Mosquensis s. XIY repräsentiert wird (ein Facsimile
in BGcHSLSBS Ausgabe des Hvmn. Cer., Lips. 1869), die andere aus einem von Aurispa
1423 in Konstantinopel gefundenen Codex stammt, von dem selbst nur Abschriften von
Abeehrifien auf uns gekommen sind; über diese Hollandes, Die handschriftliche Ueber-
lieferung der homerischen Hymnen, Progr. Osnabr&ck 1886, mit Nachtrag von Ludwich,
Jahrb. f. Phil. 145 (1892) 239 f. — Ausgaben: Homeri hymn. et epigr. ed. G. Hermann,
lipsL 1860; Die homer. Hymn. herausgeg. von Gemoll, Leipz. 1886; Homeri hynm. epigr.
Bairachom. ed Abbl in Bibl. Schenk. 1886. — Sonderausgabe des Demeterhymnus von
BücHXLKK, Lips. 1869; von Puntoni, Livomo 1896, wo der Hymnus in verschiedene Teile
(3 Hymnen und Redaktorenerweiterungen) zerstückelt wird. — ErlAuterungsschriften:
>) Voss pflichtet bei K. Fbanke, De
hymni in Cererem Homerici compositione,
&1 1881: ut passe Carmen compositum esse
post Hesiodum, Ua non posse post SoUmem.
*) Beziehungen zu Attika und zu den
religitoen Brftuchen und Agonen von Brauron
vennutete schon Wblckeb, Ep. Cycl. I 391.
Gegen Ladwich, der den Hymnus in die Zeit
der Orphiker herabrflcken wollte, wendet sich
Cbcsivs, Philol. N. F. II 193 ff. Ein Zeugnis
ftber den alten Ursprung des Hymnus ent-
bilt nach wahrscheinlicher Ergänzung Philo-
demoB nsQi svaeßsia^ 48 : KJMwaoy tf^ \ u. 11
Oftriqoi ir totg vfAvoif vnoy Xrjcx(o¥ dX<ii)yat> \
j^g Xrjaisiai.
>) Die Erzählung geben auch Ovid. met.
III 576 ff. und Nonnos Dion. XLV 105 ff. Eine
bildliche, eng an unseren Hymnus sich an-
schliessende Darstellung bei Philostr. Imag.
I 19. Auf eine altattische Amphora mit
Dionysos und Satyrgefolg in einem Zwei-
ruderer macht au&ierksam Maass, Ind. Gryph.
1889 p. 9.
*) Jfinger sind wohl 2. 3. 10 gegenüber
1. 6. 18, kaum aber 28 u. 29 gegenüber 24
l
74
Qrieohisohe Liiteratargesohiohte. I. KlasBisohe Periode.
Eberhard, Die Sprache der hom. Hymnen verglichen mit derjenigen der Dias und Odyssee,
Husum Progr. 1873 und 1874; Güttmank, De hymin. Homer, historia critica, Greifsw.
Dies. 1869.
49. Homerische Epigramme. In der fälschlich den Namen des
Herodot tragenden Vita des Homer sind uns noch ein paar poetische
Kleinigkeiten überliefert, die hinter den Hymnen als 'Eniyqd^fuxra ^Oiir^^ov
den älteren Ausgaben der Odyssee angehängt sind ; darunter ein Abschieds^
gedieht an die undankbare Vaterstadt Smyrna, eine Bitte an die Eymäer
um freundliche Aufnahme, ein Gebet an Poseidon um günstige Fahrt von
Ghios zum Fusse des Waldgebirges Mimas, eine Anrede an die reiche
Stadt der Erythräer, ein Epigramm fUr die eherne Jungfrau auf dem
Grabe des phrygischen Königs Midas (gest. Ol. 21), ein anmutiges Bettler-
lied {€lQ€ai(6Yr)^) für samische Singknaben, welche am Feste des Apoll
von Haus zu Haus zogen, um Gaben einzusammeln, ein scherzhaftes Bitt-
gedicht für das Geraten des Töpferbrandes, das bekannte Rätsel oaa'
i'Xofifv kinofieay, oaa d'ovx i'^ofxev (fSQopLBad^a^ welches heimkehrende Fischer,
die keine Fische gefangen, aber von Läusen sich bestmöglich gereinigt
hatten, dem Homer aufgaben. Dass von diesen Spielereien, die nur zum Teil
gute volkstümliche Poesie, meistens aber elendes Machwerk sind, >) nicht«
auf Homer zurückgeht, ist selbstverständlich. Beachtenswert ist, dass das
Epigramm auf Midas, welches die Homerbiographen dem Homer beilegen,
bei Piaton noch anonym geht.^)
60. Margit es. Auch Spottgedichte wurden dem Homer beigelegt.
Das berühmteste und älteste war der Margites, so benannt nach dem
Helden des Stückes, einem linkischen Tölpel, der trefflich durch den Vers
gezeichnet wird noXX' rjmaTaTo iQyccy xaxtag d'rjmaxaTo jiavra. Das Ge-
dicht spielte nach dem erhaltenen Eingang in Kolophon und gab Anlass,
den Homer selbst zu einem Kolophonier zu machen. Denn dem Homer
schrieb dasselbe schon Archilochos *) zu, und an dieser Überlieferung
hielten ohne Bedenken Piaton und Aristoteles fest; der letztere stellt
dasselbe sogar neben Ilias und Odyssee, indem er von ihm die Komödie,
wie von jenen die Tragödie ableitet.*) Erst später kamen Zweifel; man
half sich aber mit Ausflüchten, indem man den Margites, wie die Odyssee,
von Homer im gereiften Alter gedichtet sein liess.«) Nur der Gewährs-
mann des Suidas macht den Karer Pigres aus Halikarnass, den Bruder
der Artemisia, zum Verfasser. Das ist aber wahrscheinlich so zu deuten,
dass Pigres nur die iambischen Epoden einlegte, wie er sich in ähnlicher
*) Benannt von dem mit Wolle um-
wundenen Oelzweig, den die untrer den Schutz
des Gottes sich stellenden Knaben trugen.
Peppmüller, Drei bei Umgängen in Griechen-
land gesungene Bittlieder, Jahrb. f. kl. Phil.
1894 S. 15 ff.
') Das meiste ist von dem Fälscher, der
in der Vita die Maske des Herodot annahm,
selbst gedichtet. Sonderbarerweise will Berok,
Gr. Litt. I 77 auch in diesen Knittelversen
Reste echter Poesie finden.
■) Plato Phaedr. p. 264 d: intyQu/nfAutos,
Diog. I 89 f&hrt Verse des Simonides dafür
an, dass das Epigramm nicht von Homer,
sondern von Kleobnlos ans Lindos herrOhre.
^) Nach Enstratios zu Arist. Eth. Nie.
VI 7.
«) Plato Hipp. II 147 c.^ Arist Poet. 4:
o yttQ MaQyirrjg dydXoyoy l/«t äane^ *lXid^
xai 17 'Odvaaeia nQog Ttts TQayt^ifLag, ovrm xal
ovxog TfQog rag xü)f4(f>diag. FOr die Eoxnddie
passten allerdings viele Stellen des Gedichtes,
wie wenn Margites heiraten soU and nicht
weiss, wie er es anfangen soll.
•) Dio Chrys. or. 53 p. 275 B,
A. Spo8. 8. Die homeriBohen Hymnen nnd Soherse.
1 49—51.)
75
Weise den Spass machte, den Homer durch eingelegte Pentameter zu
interpolieren.^) So lautete bei ihm der Eingang der Ilias:
Mip'iv asiöe x^sd IlrjXrjidisa} ^Axti-^jog
Movaa • ai ydq ndarjg nsiqav ^x^ig (Xog>hjg'
und der des Margites:
HXd-ä %ig ig KoXoifciva ysqwv xai ■d'sXog äoidog,
Movüdwv ^iqdnoav xai ixTjßoXov ^ÄnoXXfüvog^
(piXrjg M%(üV iv xeqaiv €Vif&oyyov XvQtjv.
Ein anderes durch die Metopen von Selinunt berühmt gewordenes
Gedicht waren die KäQxwneg^ worin die Schelmereien der bübischen Brüder
und ihre Bezwingung durch Herakles im Anschluss an das dem Homer
zugeschriebene Epos OlxaXiag äXaoatg erzählt waren. ^)
51. Batrachomyomachia. Erhalten hat sich das scherzhafte Ge-
dicht BccTQaxofivofiaxtct (v. 1. BazQaxofiaxia) ») Froschmäuslerkrieg, wie wir
im Deutschen nach der Übersetzung von Stolberg sagen.^) Es ist eine
Parodie, angelehnt an die Tierfabel, ^) mit harmlosem Scherz ohne bissige
Seitenhiebe, wenn auch ohne jenes gemütvolle Verständnis des Tierlebens,
das uns in unserem Reinecke Fuchs entzückt. Die Maus Psicharpax wird
von dem Froschkönig Physignathos, dem Sohne des Peleus, eingeladen,
sich von ihm auf dem Kücken zu seinem gastlichen Hause tragen zu
lassen. Anfangs geht die Fahrt ganz gut von statten; da lässt sich
plötzlich eine Wasserschlange blicken; darob grosser Schrecken bei den
beiden; der Frosch taucht unter, die Maus ertrinkt. Infolge dessen
grimmer Krieg zwischen den Mäusen und Fröschen, dem schliesslich der
Eronide Zeus ein Ende macht, indem er mit dem Blitzstrahl dreinfahrend
die Streitenden von einander trennt, und als auch dieses noch nicht fruchten
will, das Heer der Krebse mit ihren Scheren über die Mäuse schickt.
Ergötzlich sind die Namen gebildet, der Lecker, der Brotnager, der Käse-
fresser, der Lochschlüpfer unter den Mäusen, der Lautschreier, der Wasser-
freund, der Kotwater unter den Fröschen. In witziger Parodie ist auch
die Rüstung der beiden Heere geschildert, und wenn gleich die Kämpfe
nach Art der KoXog fJtdxrj der Ilias rasch und ohne viele Episoden ver-
laufen, so begreift man doch, dass das Gedicht viele Leser und im Alter-
tum wie im Mittelalter viele Nachahmer fand. Vom alten Homer rührt
aber diese Parodie sicher nicht her,^) wahrscheinlich ist sie das Werk
>) Weuckxr kl Sehr. lY 27 ff.; Hillbb
Jahib. f. Phü. 135 (1887) 13 ff. verwirft den
Zottis der iambischen Trimeter durch Pigres
ond bezweifelt fiberhanpt die Echtheit des
ProGminiiis. Von anderen metrischen Inter-
polationen des Homer dnrch Idaios und
Timolaoe berichtet Suidas.
>) Vgl. LoBBOK, Aglaoph. 1296 ff. Ausser-
dem nennen Suidas, Proklos und die Vita
des Fb. Herodot noch die Scherze 'Enxenax-
ww (fort. *Bnaxiioy), *Aqaxyo(A«x^^i Fegayo-
t^Z^t ^ugoftaxia, KegafAis, von denen die
Xtgafuf mit dem schon erwähnten Töpfer-
lied identiflch zu sein scheint.
*) Ueber die Variante der Aufschrift s.
LuDwioH in Ausg. p. 11; derselbe entscheidet
sich fOr Bajgaxofiaxia,
^) Schon BoUhagen (gest. 1609) ge-
braucht in seiner Nachdichtung den Namen
, Froschmäuseier * .
B) Ein ähnliches Motiv wie unser Frosch-
mäuslerkrieg enthält die äsopische Fabel
n. 298 Halm - Babrius 195; doch ist wohl
diese Fabel erst xmserem Tierepos nachge-
bildet, nicht umgekehrt das Tierepos aus der
Fabel herausgewachsen, üeber das ver-
wandte Gedicht KatofAvo/naxia des Ptodromos
s. Ebümbaohbb, Byz. Litt.^ p. 51.
') Auf dem bekannten Marmorrelief
«Apotheose Homers" sollen der Frosch und
76
Qrieohisohe Liiteratnrgeaohiohie. I. Klassisehe Periode.
des Pigres aus Halikarnass, eines angeblichen Bruders der karischen
Königin Artemisia, dem sie Suidas und Plutarch De Herodoti malign. 43
zuschreiben, und auf den, wie wir oben § 50 sahen, auch andere Spiele-
reien der Art zurückgeführt wurden. Aut die Zeit der Perserkriege passt
auch gut die Bezugnahme auf den Schriftgebrauch (iv dälTotg V. 3) und
die Erwähnung des Hahns (Y. 193), der erst zur Zeit des Theognis von
Persien nach Griechenland kam.^) Aus sprachlichen und metrischen
Gründen indes erklärt sich Herwerden Mnem. X 163 gegen die Annahme
eines so hohen Alters und nimmt lieber zu einem anonymen Dichter aus der
Zeit Alexanders seine Zuflucht. Crusius Philol. 54 (1886) 734 hält den
Namen Pigres für eine Erfindung des Aufschneiders Ptolemaios Ghennos.
Codices sehr zahlreiche, darunter stark interpolierte; ein Stemma versacht aufco-
stellen Ludwich in seiner Ausg. ; die ältesten sind Baroccianus n. 50 in Oxford s. X/XI und
Laurentianus 32, 3 s. XI. — Scholien, wertlose aus dem Mittelalter von Moschopolos. —
Ausgaben: ed. princ. besorgt von dem E[reter Laonikos Ven. 1486; mit Hymnen von
Ilobn, Dedikation an Goethe; kritische Ausg. von Baumeister, Gott 1852; Hanptaus-
gäbe von Lud wich, Die homerische Batrachomyomachia des Earers Pigres nebst Scholien
und Paraphrase, Leipz. 1896. Das Gedicht auch aufgenommen von Brandt in Corpusculum
poesis epicae graecae ludibundae, Bibl. Teubn.
4. Der epische Kyklos.
52. Die Werke des sogenannten epischen Eyklos wurden in alter
Zeit dem Homer als dem Repräsentanten des alten Heldengesangs zu-
geschrieben; *) später, seit der Zeit der Perserkriege, setzte sie eine
bessere Einsicht geradezu in Gegensatz zu den Schöpfungen Homers und
nannte als Verfasser der einzelnen Gedichte andere, freilich vielfach
zweifelhafte Namen. Ilias und Odyssee waren eben die beiden mächtigsten
Äste an dem kräftigen Baum der epischen Poesie, der daneben -noch viele
kleinere Zweige trieb, die alle als Schösslinge desselben Stammes an-
gesehen wurden. Der Name Smxog xvxXog für diese Sammlung alter
epischer Gedichte lässt sich erst aus der Zeit nach Christi Geburt aach-
die Maus am Fussschemel des Dichters die
Autorschaft Homers andeuten; s. Ludwich
in Ausg. S. 15.
M Hbhit, Kulturpflanzen und Haustiere
S. 282 ff.
2) Ppo^i ehrest. 233 W.: ol fAe'yjoi f
a^/flrrot xai xdy xvxXoy ayarpegovaty sig
"O/LtfjQoy, ehenso'Philoponos ad Arist. an. post.
I 12, soph. el. 10 und ähnlich Suidas unt.
"OfjLfjQog und Ps. Herodot vit. Hom. 9. Spe-
ziell erzählte Pindar nach Aelian V. H. IX 15,
dass Homer die Kypria seiner Tochter als
Mitgift gegeben habe (die Stelle Isth. III 55
braucht nicht notwendig auf die Aithiopis
oder kleine Ilias bezogen zu werden). Ausser-
dem legte Eallinos nach Paus. IX 9, 5 dem
Homer die Thebais bei, und bezeugt Herodot
II 117 u. IV 32 (vgl. V 67), dass einige fttr
die Kypria und Epigonoi Homer als Ver-
fasser ausgaben. Auch Simonides fr. 53 be-
schränkt den Namen Homer nicht auf Ilias
und Odyssee, und Aischylos mnss in dem
bekannten Ausspruch, dass seine Dramen
T€f4((Xfj 6siny(ay 'Of^iJQov seien, den Homer
als Dichter des ganzen Kyklos angesehen
haben. In Ps. Demosth. epitaph. 29 wird
Homer als Dichter der Kyprien und der
kleinen Ilias gedacht, und von Antigonoe
Caryst. Parad. 25 wird ein Vers des Homer
citiert, der nicht in Dias und Odyssee steht.
R. VoLKMANK, lieber Homer als Dichter des
epischen Kyklos (Jauer 1884) und Hxi.lsb,
Homer als Kollektivname (Rh. M. 42, 321
bis 361) leugnen, ohne zu überzeugen, daas
Homer ehedem allgemein als Dichter des
epischen Kyklos gegolten habe. Dagegen
Kjbllbero, De cyclo epico, Upsala 1890. Im
übrigen ist das Verhältnis ähnlich wie bei
den orphischen Gedichten, die von dem Volk
alle dem Orpheus beigelegt, von den Ein-
sichtsvolleren auf bestimmte Persünlichkeiten
zurückgeführt wurden. Auch das Corpus
der Schriften des Hippokrates bietet *
logien.
A. Spos. 4. Der episohe Kyklos. (§ 52.)
77
weisen.^) Zwar gebrauchte schon Kallimachos den Ausdruck xvxh-
xor Ttotr^fAu, aber noch nicht in einem Sinne, der die Vereinigung der epi-
schen Oedichte zu einem Corpus notwendig voraussetzte.') Denn wenn
derselbe sich unter einem xvxhxov noitjfia ein triviales Gedicht vorstellte,
und wenn danach Horaz a. p. 136 nee sie incipies ut scriptor cyclicus olim
mit dem Namen cyclicus scriptor den Nebenbegriflf des Geringschätzigen
verbindet, so kann er dabei von der gewöhnlichen Bedeutung des Wortes
iyxvxltog .dem allgemeinen Kreis der Bildung angehörig'' ausgegangen
sein.«) Im Sinne einer umfassenden Sammlung begegnet uns das Wort
xvxlog sicher erst bei den jüngeren alexandrinischen Gelehrten, aber auch
diese dachten dabei zunächst nicht an eine Sammlung von Gedichten,
sondern von Mythen, Der berühmteste von den Verfassern solcher mytho-
logischer Sammlungen war der vom xvxkog beigenannte Eyklograph Dio-
nysios, welcher um 100 v. Chr. einen xvxlog tatoqixoq in 7. B. herstellte,
der die Mythen oder alten Geschichten in geordneter Folge umfasste und
in welchem bei jedem einzelnen Mythus auf die Stellen und Verse der
alten Dichter und Mythologen verwiesen war.*) In diesem Mythenkyklos
hatten auch, wie im epischen Eyklos des Proklos, die Erzählungen des
Bomer ihre Stelle, wie denn Athen, p. 481 e aus dem 6. Buch desselben
das Kyklopenabenteuer anführt.*^) Aber auch jüngere, von den älteren
ionischen Epikern nicht behandelte Mythen, wie von den Argonauten, von
Herakles, von Dionysos, hatten in demselben Aufnahme gefunden. Der-
artige Eykloi gab es gewiss mehrere ; der des Dionysios war nur der ge-
lehrteste und umfangreichste. Ein anderer war der des Lysimachos,^)
') Philoetr. ep. 73: 6 twy knonoidiv xv-
tkoq, und Proklos a. 0.
*) Kallimikchos in Anth. XII 43:
ix^ui^ rö noLtifjut x6 xvxAixoV ovSk xbX$v9(^
X«iQ^, *j TioXXov^ wde xal at^e ip^Q€^,
Vgl. Merxbl, Apoll. Argon, prol. 1. 1 c. 2.
Aelndich ist von der Schule des Aristarch
xvtXtxmg , trivial* in den Scholien zu 11. Z
825, I 222, Od. <f 248, i? 115 gebraucht.
Direkt an den Vers des Kallimachos schliesst
neb an Pollianos (aus Hadrians Zeit) in Anth.
XI130:
TöTf xvxXiovs toviovg rovs avtaQ inena
Xeyoyjag
fucm Xtanodvt€ig äXXoTQttoy in^toy.
Aefanlich sagt Statius Süy. II 7, 51: trita
vatüms orbita sequantur,
*) Arist £th. Nie. I 3: Ixayas ydq xal
iw ToTp iyxvxXioif ei^xat negi rovTtoy, wo-
Büt Aristoteles auf die populäre Darstellung
d^ Sache in seinen Dialogen hinweist. Arist
ie eaelo I 9 p. 279a 30; xa^ansQ iv toig
iyxvxXioif ^iXoaoipij/jiaat negl ni d^eia tioX'-
inxt^ n^fHpuivetui, wozu Simplicius: iyxvxXi«
Ü xnUi tptXocoifrjfÄitta xa xaxd tijy xäiiy
^ «Viri^ ^^^ ^oJiXoig TtQoxiSefzeya, äncQ xai
ümii^xd xttXety etto^ey. Hftngt wirklich
mit dieser Bedeutung von iyxvxXia der Name
iniMoi xvxXos oder xvxXog [cxoQixog zusammen,
aowiren die bekannten MyÜien der Alteren
Dichter den ausgesuchteren der alexandri-
nischen Elegiker entgegengestellt. — Verkehrt
ist die Deutung in den Scholien zu Clem.
Alex, protr. II 30: xvxXixol ^^ xaXoijyxai
noiTjxai ol xä xvxXf^ x^g ^iXuidog ij xd n^tata
rj xd fÄSxayeyecxega i^ avuoy ttoy 'OfÄtjQixtoy
üvyygdtpayxeg. Durch den Inhalt der Ge-
dichte ist allerdings diese Definition be-
gründet, wie Bethb Herm. 26 (1891) 628 ff.
betont.
*) Diodor III 66: Jioyvaito x(o cvyxa-
^audy<^ xdg naXaidg fjtv^onouag' ovxog ydq
xa xe 7i€Qi xoy Jioyvaoy xal X€tg 'JfjLul^ovag,
frt &e xovg 'AQyoyavxag xal xd xaxd xoy
*lXiax6y noXefdoy nga/S^yta xal noXX* eiega
avyxiraxxai, naQaxidBig xd nottjfiaxa xujy
aQX^^^^ ^^^ ^^ fjiv&oXoytoy xal xtjy noitj-
xißy. Vgl. Ed. Schwabtz, De Dionysio Scy-
tobrachione, Bonn 1880.
^) Ausdrücklich ist eine kyklische Aus-
gabe des Homer erwfihnt in Schol. zu Od.
71 195 u. ^ 25. Spuren derselben im Schlüsse
der Ilias wies 0. Möller, Gr. Litt. I* 106
nach; ebenso sollte, wie Hbitz S. 113 An. 2
gut bemerkt, das aus Aristoxenos im Anecd.
rom. erwähnte, von unserem Text abweichende
Proömium die Ilias mit den Kyprien ver-
knüpfen.
^) Lysimachos aus Alexandria lebte unter
Augustus; s. G. Möllbb FHG. III 334 ff.
78
GrieohiMhe LitUratiirgescliiehie. t, KUuMisehe Periode.
ein dritter der des Theodoros, welch letzterer den Bildern der bei Bo-
villae aufgefundenen, nachher ins kapitolinische Museum verbrachten Tabula
Uiaca zu Grunde lag.^) Aus dem früheren Vorkommen des xvxlog taro^xo^
möchte man schliessen, dass nach ihm erst die Sammlung epischer Gedichte,
welche den Stoff zu jener Mythengeschichte lieferten, den Namen imxog
xvxXog erhalten habe. Aber das ist bei dem trümmerhaften Zustand der
uns erhaltenen Litteratur keineswegs sicher. Es lässt sich auch recht wohl
denken, dass schon früher in Alexandria durch Zenodot, den Ordner des
epischen Teiles der alexandrinischen Bibliothek, und vielleicht sogar schon
noch früher in Athen zur Zeit der Tragiker die alten, durch die homeri-
schen Rhapsoden überkommenen Gedichte unter dem Namen xvxlog inwv
zu einer Einheit zusammengefasst worden waren.
58. Die Gedichte des epischen Kyklos sind bis auf wenige Bruch-
stücke verloren gegangen; aber über ihren Inhalt sind wir noch ziemlich
gut unterrichtet durch die erhaltenen Exzerpte aus der grammatischen
Chrestomathie des Proklos, ^) die uns der Patriarch Photios Bibl. cod. 239
erhalten hat. Im Eingang bemerkt derselbe: „der sogenannte epische
Kyklos beginnt mit der Heirat des üranos und der Ge, aus der die Dichter
ihm die drei Hunderthänder und die drei Kyklopen geboren sein lassen;
alsdann geht er alles durch, was sonst Fabelhaftes die Hellenen von ihren
Göttern erzählen und was in alter Zeit sich ereignet hat, bis zur Landung
des Odysseus in Ithaka." Es ging danach in dein epischen Kyklos eine
Göttergeschichte voraus und folgten dann die nach alter Tradition dem
Homer zugeschriebenen Epen der Heroensage, vornehmlich die des troja-
nischen Sagenkreises. Von den letzteren sind Inhaltsangaben auch durch
Iliasscholien *) auf uns gekommen; illustriert und bereichert werden die-
selben ausserdem durch bildliche Darstellungen insbesondere auf der Tab.
niaca und Borgiana, sowie durch die Mythen der Lyriker und Tragiker,
denen die Gedichte des epischen Kyklos eine sehr erwünschte und eifrig
ausgenutzte Fundgrube waren. Leider können wir aber trotzdem kein ganz
verlässiges Bild von dem Inhalt jener Gedichte gewinnen, da es unserem haupt-
sächlichsten Gewährsmann Proklos mehr darum zu thun war, seine Leser
in die Mythenwelt der Griechen im allgemeinen einzuführen, als ihnen
ein genaues Exzerpt jener Gedichte zu liefern. Daher folgte er der ge-
wöhnlichen Form des Mythus auch da, wo das exzerpierte Gedicht, wie
wir aus anderen Quellen wissen, eine bedeutsame Variante hatte. So
lässt er im Excerpt der Kyprien den Paris mit der geraubten Helena auf
der Heimfahrt nach Sidon kommen, während wir aus Herodot H 117
erfahren, dass der Dichter der Kyprien im Gegensatz zu Homer den Paris
von Sparta in drei Tagen bei günstigem Fahrwind direkt nach Hios
') Die Tafel trägt die Inschrift ä tpiXe
not Seod^iogrjoy fiaSe idiiy 'OfAfJQOv, o(fga
daeig ndatji fxexQoy ?/pf ao<piag.
*) Wblckbb, Ep. Cycl. I 3 fF. unter-
scheidet entgegen der Ueberlieferung der
Alten diesen Grammatiker Proklos von dem
Neuplatoniker Proklos und weist ihn dem
2. Jahrh. n. Chr. zu. In der That weicht die
präcise Sprache unserer Chrestomathie stark
von der breiten, verwaschenen Diktion des
Philosophen ab.
>) Im Yen. 454 (A); die Inhaltsangabe
der Kyprien fehlt in demselben (s. Wissowa,
Herm. 19, 198 fT.) und ist uns in einem
Codex des Eskurial erhalten, in den sie mr
Zeit, als das fehlende Blatt in A noch -vor-
handen war, gekommen ist.
▲. fipos. 4. Der epische Syklos.
53-54.)
79
kommen liess. Ebenso scheint er in der Erzählung vom Streite de: Dios-
kuren Kastor und Pollux mit den Apharatiden Lynkeus und Idas der
jüngeren, durch Pindar aufgebrachten Sage, nicht der des alten Epos ge-
folgt zu sein.^) Doch gehen wohl die neueren Kritiker zu weit mit der An-
nahme, dass Proklos jene alten Gedichte gar nicht mehr im Original ge-
lesen, sondern sich nur mit schlechten Exzerpten beholfen habe.')
Die einzelnen Gedichte des epischen Kyklos waren folgende: &€oyo-
tia,*) Ti%avofia%(a^ Olömodsia^ Otjßatg, ^Ernyoroi, KvnQia, ["Ihdg^, Aiv^ionig,
Tlidg fn^xQÜy 'iXiov ntQiXig, Ncatoi^ ['OSvaaeia]^ Tr^Xeyovsia. Wir besprechen
von ihnen zuerst die auf den troischen Sagenkreis bezüglichen, da sich
diese am meisten an Dias und Odyssee anschliessen und auch der Zeit
nach jenen Dichtungen am nächsten stehen. Auch ihnen war so gut wie
der nias die Ausbildung des Sage durch Einzellieder vorausgegangen, da
bereits die Dias Achills Fall {X 359), die Fahrt des Paris (Z 290), die
Versammlung der Schiffe in Aulis {B 303) u. a. an Stellen erwähnt, welche
den Verdacht nachträglicher Interpolation ausschliessen.
54. Die KvnQia (sc. irirj) in 11 B. umfassten die der Ilias voraus-
gehenden Ereignisse. Sie begannen unter offenbarer Anspielung auf das
Proomium der Ilias ^) mit dem Entschlüsse des Zeus, die übervölkerte Erde
dorch Erregung des ilischen Krieges zu erleichtem. Sie erzählten dann
das Parisurteil, den Baub der Helena, die Versammlung der Heerführer
in Aulis, den ersten irrtümlichen Feldzug nach Teuthrania, dem Reiche
des Telephos,^) die Zerstreuung der absegelnden Schiffe durch einen Sturm.
Hiemit endete der erste, 6 Gesänge umfassende Teil des Gedichtes, ^) der
ehedem ein Ganzes für sich gebildet zu haben scheint. 7) Daran schloss
sich eine Fortsetzung in 5 Gesängen, welche die zweite Unternehmung
gegen Ilios, die Zurücklassung des von einer Schlange gebissenen Philoktet
in Lemnos,^) die Landung der Achäer und die ersten Kämpfe vor Troja
enthielt. Mit einem Katalog der Bundesgenossen der Troer schloss das
Gedicht nach der Angabe des Proklos. ^) Die Kyprien setzten also die
0 Vgl. schol. Find. N. X 60 und meine
Änmerkmigen zur Stelle.
*) Nach WilamowitE und Robert, BUd
und Lied, hat besonders Bethe Herrn. 26
(1891) 593 ff. n. Theb. HeldenUeder 33 ff. die
TerUteigkeit des Proklos angegriffen.
f) Ath. 277 d nennt als Verfasser der
kjkliscben Tbeogonie den Eumelos oder
AriLtinoB, wahrscheinlich den einen so wenig
mit Recht wie den andern.
*) Dabei ward von dem jOngerdn Dichter
der Halbyers Jiog d*ii$X€ii7o ßovXij falsch
▼erstanden oder doch falsch gewendet. Den
Kyprien folgt Eorip. Hei. 29 f.
*) Auch dieser Enfthlnng lag, wie bereits
Aiiattrch erkannte, ein Missrerst&ndnis des
Versea A 59 yvy afÄfie ndXiy nXayx^fytaq
(statt nakiitnX.) otm a%ff dnovoax^aiy zn
Snmd.
*) Die einzelnen Gesftnge lassen sich,
mm Teil nach sprachlichen Anzeichen, noch
sicher abteilen.
') Bei selbständiger Stellung des ersten
Teils erkl&rt sich leichter der grosse Zwi-
schenraum zwischen dem ersten und zweiten
Feldzug, der notwendig ist, um den Neopto-
lemos heranwachsen zu lassen und die 20
Jahre in II. i2 765 zu gewinnen.
^) Auffällig ist die Angabe des Aristo-
nikos zu II. B 722: on iv Ai^fjLVia efisye
xatttXsXsififjieyoi 6 ^iXoxiijirjfy ol di ycoitegoi
iv vtjaidifo igijiÄto. Ob hier ein Missver-
ständnis des sopnokleischen Philoktet vor-
liegt?
*) Dass dieser Katalog nicht ein Teil
der Kyprien selbst, sondern einer des mytho-
logischen Handbuchs, aus dem die Exzerpte
des Proklos geflossen sein sollen, gewesen
sei, sucht nachzuweisen Bbthb Herm. 26
(1891) 61.
80
Grieohische Litieratargeaohiohte. I. KlaMisohe Periode.
Bekanntschaft mit der ganzen Dias, einschliesslich des Schiffiskataloges ^)
voraus. Das Werk ward nach Herodot II 117 von einigen dem Homer
beigelegt, aber derselbe Herodot erkannte richtig aus sachlichen Gründen
die Verschiedenheit der Verfasser der Ilias und der Kypria.*) Andere
schrieben das Gedicht teils dem Stasinos aus Kypern, teils dem Hegesias
(oder Hegesinos) aus Salamis oder Halikarnass zu. Soviel scheint schon
aus dem Namen Kvnqia und dem erotischen Charakter der Mythen her-
vorzugehen, dass das Gedicht auf Kypern entstanden ist und dort an dem
Feste der kyprischen Göttin zum Vortrag kam. Es hatte aber Kypern,
das zwar weit entlegen war, aber als Vermittlungsstation zwischen der
innerasiatischsn und griechischen Kultur in den Anfängen der griechischen
Geschichte eine grosse Bolle spielte, seit alter Zeit enge Beziehungen zu
dem Volk der Achäer und den Ansiedlern der Troas. Das zeigen einer-
seits die Verse der Dias XI 21 f.
nevd-sto yccQ KvTiqovds fis'ya xleog, ovv€x' *AxccioCy
ig TQoiTjV vijeaaiv avanXsvasa&ai sinsklov^
andererseits die Ähnlichkeit der ältesten Töpferwaare von Hissarlik-Troja
mit der von Kypern und die Sage von der Gründung der Stadt Gergitha
in der Troas durch den kyprischen Stamm der Gerginer (Klearch bei
Athen. 256 b).
65. At&io7i.tg in 5 B. von Arktinos aus Milet, wohl das älteste
der kyklischen Epen, hat von dem Äthiopier Memnon seinen Namen.
Dasselbe begann mit
'SIg Ol y' äfi^ienov td<fov ^ExTOQog, rjXO^s d' ^Afia^aiVy
schloss sich also ganz eng an den letzten Gesang der Dias an. Die fünf
Bücher hatten durchweg den Charakter geschlossener Einzellieder, die
nach der Inhaltsangabe des Proklos sich noch mit Sicherheit rekonstruieren
lassen. Der 1. Gesang enthielt die Ruhmesthaten der Amazone Penthesi-
leia und ihren Fall durch Achill ; er endete mit der Bestattung der Toten
und erhielt ein Nachspiel im 2. Gesang, worin Achill, von Thersites ob
der Liebe zur gefallenen Heldin beschimpft, den Lästerer tötet und dann
nach Lesbos segelt, um sich von der Blutschuld entsühnen zu lassen. Im
3. Gesang trat Memnon, der Sohn der Eos, als Bundesgenosse der Troer
auf den Schauplatz und tötete bei erneutem Zusammenstoss der Heere den
Antilochos, den jugendlichen Freund des Achill. Der 4. Gesang liess dann
den Achill in ungestümem Zorn auf die Feinde eindringen, den Memnon
erschlagen und die Troer zu Paaren treiben ; er endete mit dem Tod des
Achill, der, als er schon in die Stadt eindrang, vom Pfeile des Paris ge-
troffen, nur mit Mühe von Aias und Odysseus ins Lager zurückgebracht
wurde. Den Schluss des Ganzen bildete die Bestattung des Achill mit den
der Ilias nachgebildeten Leichenspielen und der Streit des Aias und
^) Aus den Kyprien ist wahrscheinlich
der Anhang zum Schififskatalog der Ilias
B 816—876 ausgezogen, wofür auch das
Fehlen des Asteropaios in jenem Verzeichnis
spricht; s. Mülleb, Gr. Litt. I^ 91. Leider
lassen uns über diesen Punkt die SchoHen
im Stich.
') Die Kyprien Hessen nftmlich den
Paris nicht nach Sidon kommen wie Homer
Z 291, sondern in drei Tagen nach Troja
zurücksegeln ; vgl. oben § 58. — Bei dem
Grammatiker Glaukos in SchoL Eur. Hec. 41
läuft das Gedicht anonym.
A. Epos. 4. Der epische Kyklos.
I 55 -57.)
81
Odysseus um die Waffen des Helden. Als Verfasser des spannenden,
durch ritterliche Romantik ausgezeichneten Epos galt Arktinos, Sohn
des Teles, aus Milet,*) der von Eusebios, wir wissen nicht mit welcher
Berechtigung, in die 1., von Suidas in die 9. Olympiade gesetzt wird,*)
und wohl noch dem 8. Jahrhundert angehört. Der hochpoetische Stoff
hat in unserer Zeit Goethe angezogen, um als letzter der Homeriden das
leider unvollendete Epos Achilleis zu dichten.
66. 'li,iov näQiXtg in 2 B. von dem gleichen Arktinos, stand im
epischen Eyklos wegen der zeitlichen Folge erst hinter der kleinen Dias.
Im ersten Gesang behandelte das Gedicht die Vorbereitungen der Er-
oberung Trojas, die List des hölzernen Pferdes mit den aus Vergil be-
kannten Geschichten von Laokoon und Sinon. Der 2. Gesang enthielt
das düstere Gemälde von der Einnahme der Stadt mit all ihren Greueln
und schloss effektvoll mit der drohenden Gestalt der zürnenden Göttin
Athene. •) Wahrscheinlich ging den von Proklos exzerpierten zwei Büchern
noch ein anderes Buch, wenn nicht mehrere Bücher, voraus, worin die
Zhnmerung des hölzernen Pferdes, der verstellte Abzug der Achäer,
die Abholung des Neoptolemos und die Entwendung des Palladiums
geschDdert war.*) Robert, Phil. Unt. V 223, nimmt geradezu an, dass
die Iliupersis mit der Aithiopis ursprünglich ein einziges zusammen-
hängendes Epos gebildet habe.^)
57. 'iXidg fiixgd in 4 B. war die inhaltreichste der troischen Dich-
tungen. Nach dem Auszug des Proklos begann sie mit dem Streit um die
Waffen des Achill und endete mit der Aufnahme des hölzernen Pferdes
in die Stadt. In der That aber war sie umfangreicher und enthielt nicht
bloss auch die Einnahme der Stadt, welche Proklos lieber nach Arktinos
erzählte, sondern holte auch im Anfang etwas weiter aus, wie uns schon
der erhaltene Eingang lehrt:
') DasB Arktinos Verfasser der Aithiopis
ad, scheint nie bestritten worden zu sein.
Bern Homer ward das Gedicht nor von denen
Bigeschrieben, welche, weU einzelne Gedichte
des episdien Eyklos anf Homer zurtLckgeftQirt
wurden, nnn den ganzen Kyklos in Bansch
und Bogen dem Homer zoscnrieben.
*) Die 2. Angabe des Eusebios, die ihm
in die 4. Ol. setztj, scheint aus der Yer-
wechselang von A und J herzurfihren. Bei
Suidas 'J^xxiyos yeyoyotg xatä ifjy &" 6X.
fiiTa x6TQ€cx6aia sjfj rwy TQtoixiiy ist ent*
weder xatd xijy a oX. oder /ieitt v/n' htj
kerzustellen. Weiter herab wflrde uns der
angebliche Wettstreit des Arktinos mit Le-
sches f&hren, wenn demselben Glauben bei-
BunesseD wSre. Von Wichtigkeit fOr die
Chronologie und das hohe Alter des Arktinos
ist der Umstand, dass er den Achill zwar
nach der Insel Lenke im schwarzen Meer
eairflckt werden, aber die Amazonen aus
Tfankien, noch nicht aus dem Kaukasus
komnien läset. Die Milesier hatten also
damals schon ihre Seefahrten nach dem Pontus
ausgedehnt, waren aber noch nicht bis nach
Eolchis gekommen. Da auf die durch Ark-
tinos verbreiteten Sagen in der Odyssee
Rflcksicht genommen ist, so lebte Arktinos
wahrscheinlich vor Abschluss der Odyssee,
d. i. vor dem Dichter der Telemachie und
derNekyia. Auf dem Kypseloskasten fanden
sich, wie bereits oben § 32 bemerkt, bereits
Scenen aus der Aithiopis (Achilleus u. Mem-
non) und den Eyprien (Parisurteil).
') Wir folgen der von Lehrs vorgeschla-
genen Umstellung der Schlusssätze des Ex-
zerptes.
^) Die Entwendung des Palladiums fand
noch in dem vollständigen Exemplar des
Arktinos der Rhetor Dionys. Hai. Ant. I 69.
^) Auf beide Gedichte zusammen geht
die Angabe der Tab. Borg., dass das Gedicht
des Arktinos 9500 Verse gehabt habe; auch
diese Zahl weist auf mehr als 7 (5 + 2)
Bücher.
Baodlnich der klan. Altertamswlnenflchaft, Yn. 3. Aufl,
6
82
Grieohisohe Idtieratiirgeaehiohie. I. KUssisoh« Periode.
^'iXiov äe(S(a xm JaQSavfrjv evnmXov,
rjq nägi nolld ndd^ov Javaoi d'sqdnovTcq ^'AQtjog.
Das ganze Werk wird also mindestens sechs Bücher umfasst haben, von
denen aber Proklos nur vier zu exzerpieren seinen Zwecken angemessen
fand.^) Dieselben enthielten den Streit des Aias und Odysseus um die
Waffen des Achill, die Herbeiholung neuer Streitkräfte von Seiten der
Achäer und Troer, den Tod des Paris durch den Pfeil des Philoktet und
den Fall des Eurypylos durch Neoptolemos, den Führer im neuen Kriege.
Das Gedicht setzte in der von Proklos angegebenen Begrenzung die
Aithiopis, wie diese die Ilias, voraus; ob dasselbe nach den Eyprien, oder
umgekehrt vor denselben gedichtet sei, lässt sich nicht mit Bestimmtheit
sagen. Als Verfasser des Epos ward so ziemlich allgemein Lasches
(ältere ionische Namensform Aeax^wg)^ der Sohn des Aischylinos aus Pyrrha
in Lesbos angegeben,^) den zu einem blossen Repräsentanten der Er-
zählung in der Halle (l^ax^j) zu verflüchtigen der mythenbildenden Schein-
kritik unserer Zeit vorbehalten war.«) Nach Eusebios lebte derselbe in
der 30. Olympiade; der Peripatetiker Phanias bei Clemens Alex, ström.
I p. 144 setzt ihn in die Zeit des Archilochos, lässt ihn aber zugleich
einen Wettkampf mit dem Dichter Arktinos bestehen. Die letztere An-
gabe macht Schwierigkeiten und würde uns nötigen, entweder den Lesches
weiter hinauf oder den Arktinos weiter herab zu rücken. Wahrscheinlich
aber ist jener Wettkampf nur eine Fiktion,*) hervorgegangen aus der
richtigen Beobachtung, dass der jüngere Lesches mit dem älteren Arktinos
in der Behandlung des gleichen Stoffes rivalisieren wollte.^)
68. Noaxot in 5 B., von Hagias aus Trözen,<^) schlössen sich an
den Ausgang der Iliupersis des Arktinos oder an den durch den Frevel
der Sieger hervorgerufenen Zorn der Göttin Athene an. 7) Sie enthielten
') Aristot. Poet. 23 las in seiner kleinen
Ilias noch die Zerstörung der Stadt, worans
er die Erzählung von den gefangenen Tro-
i'anerinnen anführt. Das Gleiche gilt von
Tansanias, wenn er X 25 den Polygnot in
seinem Gemälde vom Untergang Trojas dem
Lesches folgen lässt.
^) Ps. Herodot vit. Hom. tischt uns die
Märe auf, Homer hahe die kleine Ilias in
Phokäa gedichtet und dem Schulmeister
Thestorides, der ihm gastliche Aufnahme
gewährte, zum Ahschreihen überlassen. Das
Scholion zu £ur. Troad. 821 nennt nehen
diesem Thestorides den Lakedämonier Kinai-
thon oder den Erythräer Diodoros als mut-
massliche Verfasser, und stützt sich, was
beachtenswert, für Kinaithon auf das Zeugnis
des Hellanikos; s. Robert, Phil. Unt. V 326 f.,
der die These aufstellt, dass der Kyklograph
Lysimachos den Lesches als Verfasser nicht
anerkannt habe.
') Die Deutung aufgestellt von Wblcker,
Ep. Cycl. I 254, und von andern nachgebetet.
Bei Plut. Conv. sept. sap. 10 wird auch das
Certamen Hesiodi et Homeri dem Lesches
zugeschrieben; aber dieses ist ein offenbarer
Irrtum, wahrscheinlich aus einer interpolie-
renden Randbemerkung hervorgegangen (s.
I Rh. M. 25, 535 f.), da ein Homeride sicher
I nicht den Homer von Hesiod hätte besiegt
I werden lassen.
I ^) Zu derselben mögen die Dichterweti-
I kämpfe in Mytilene Anlass gegeben haben,
die noch Pompeius dort sah, wie zu lesen
bei Plut. Pomp. 42: rov tiywya x6v nax^tor
i&enaaro ttoy noiijttäy.
^) So liess nach Paus. X 27 Arktinos
den Pnamos von Neoptolemos auf dem Altar
des Zeus ermordet werden, während Lesches
einen solchen Frevel von dem griechischen
Helden fem hielt.
') Eustathios zu Od. n 118 nennt den-
selben einen Kolophonier, was vielleicht da-
von herkommt, dass in dem Gedichte Kolo-
phon und sein Orakel eine grosse Bolle
spielte. In den Schol. Pind. Ol. XIII 18 ist
ein Noüto^ rtSy 'EXXijytoy des Eumolpos (kor-
rigiere: Eumelos) erwähnt
^) unklar ist das Verhältnis des letzten
Buches zu dem von Ath. 281b und 895 d
erwähnten Epos 'Jrgenfuiy xa^o6og, worüber
WiLAMowiTz, Hom. Unt 157.
A. EpoB. 4. Der epische Kyklos.
I 58-60.)
83
die Geschicke des heimkehreDden Heeres der Achäer : des Ealchas, Leon-
teos und Polypoites, welche über Eolophon längs der kleinasiatischen
Küste zogen, der Hauptmacht der Achäer, welche den Seeweg einschlug,
aber an den kaphereischen Felsen Euböas Schiffbruch litt, des Neopto-
lemos, der zu Land quer durch Thrakien und Makedonien in das Gebiet
der Molosser gelangte, um die Teile des Gedichtes nicht ganz aus-
einanderfallen zu lassen, kehrte der Verfasser im letzten Buch wieder zu
Agamemnon und Menelaos zurück und erzählte die Rache, welche Orestes
an den Mördern seines Vaters nahm, und die gleichzeitige Rückkehr des
Menelaos. Das Gedicht sollte somit den Raum zwischen üiupersis und
Odyssee ausfüllen; sein Verfasser hat ausdrücklich auf die Odyssee und
den Aufenthalt des Odysseus bei dem Priester Maren im Lande der
Kikonen (Od, i 197) Bezug genommen, aber gewiss nicht eine Dias post
Homerum geschrieben und nicht die Heimkehr des Odysseus von neuem
erzählt. 1)
69. TrjXeycvsia in 2 B., von Eugammon (Eugamon bei Clem. AI.)
aus Kyrene (nach Eusebius in Ol. 53), war das jüngste und schlechteste der
kyklischen Gedichte, das in loser Gestalt gewissermassen zur Ergänzung der
Odyssee die letzten Geschicke des Odysseus und seines Hauses erzählte;
den Namen hatte dasselbe von dem zweiten Teil, welcher den tragischen
Znsanunenstoss des Odysseus mit seinem von Kirke geborenen Sohne
Telegonos enthielt und in romanhafter Weise mit der Heirat des Telegenes
und der Penelope einerseits und des Telemachos und der Kirke andrerseits
schloss. Im ersten Teil benützte der Erzähler vornehmlich die heimischen
Sagen des Thesproterlandes, die er nach Clemens Alex, ström. VT 266
aus der Thesprotis eines sonst nicht näher bekannten Dichters Musaios
schöpfte.
60. Ausserdem gehörten zum epischen Eyklos noch folgende, dem
thebamschen Sagenkreis angehörende Dichtungen:')
Gr^ßatg in 7000 Versen,') auch kyklische Thebais im Gegensatz zu
der Thebais des Antimachos genannt,^) enthielt die Geschicke des Lab-
dakidenhauses und insbesondere den Zug der Sieben gegen Theben; sie
berührte sich also im Inhalt mit dem Epos i^sXaaiq ^Äfxifiaqdov^ so dass
man an verschiedene Titel desselben Gedichtes denken möchte.^) Von
Pausanias IX 9, 5 wird die Thebais hoch geschätzt und neben Dias und
Odyssee gestellt. Nach demselben Gewährsmann hat der Elegiker Eallinos
das Gedicht als homerisch anerkannt.^) Suidas und Ps. Herodot im
^) Das Umgekehrte behauptet Eirobhoff
im Exkors seines Baches über die Odyssee;
flan tritt Wilamowitz, Hom. Uni 176 f. bei,
todem er zugleich die Nostoi für ein Eon-
^bmerat von Versen der verschiedensten
Diehter und Zeiten ansieht.
') Bktbb, Thebanische Heldenlieder,
Leipz. 1891.
•) Gert. Hes.: o ^h "O/iijgog oTioTV/aiV
»^ rinjg 7r€^4€^/o^€A'o; eXeye td 7ioiijf4araf
npMToy fiiy ttiv Sfjßatifa, Inrj ,C . • . sita
'Entyorovf, htrj X Nach der Tab. Borg, ist
^ie ZiOü 7000 abgerundet für 6600. Auch
Properz 1 7, 3 schreibt das Gedicht dem
Homer zu; hingegen stimmt die Darstellung
in der Odyssee o 244 ff. nicht mit der der
Thebais überein.
*) Vgl. Ath. 465 e, Asklepiades in Schol.
Find. Ol. VI 17, Schol. Soph. Oed. Col. 1375.
») Immisch Jahrb. für Phil. Suppl. XVII
171 f. sucht nachzuweisen, dass die i^eXcccig
^AfjLtpittQoiov ein eigenes Gedicht neben der
Thebais, nicht bloss ein Gesang derselben,
wie Welcker annahm, gewesen ist.
') Auch die Angabe des Herodot V 67,
dass der Tyrann Eleisthenes von Sikyon die
6*
84 Grieohisohe Litteratargesohiohte. I. KlassUche Periode.
Leben Homers lassen dasselbe von Homer nach seiner Vertreibung aus
Smyrna in Neonteichos bei Eyme gedichtet sein; aber schon gleich der
erste Vers
"Agyog aeiScy &€dy noXvSiipiov^ iv^ev avaxteg
weist mit der Vernachlässigung des Digamma von äva^ auf spätere Zeit
hin.i)
'Eniyovoi, gleichfalls in 7000 Versen, behandelten, wie man schon
aus dem Titel abnehmen kann, die Einnahme der Stadt Theben durch
die Nachkommen der beim ersten Zug vor Thebens Mauern gefallenen
Helden. Dass Homer das Epos gedichtet habe, bezweifelt bereits Herodot
IV 32; der Scholiast zu Aristoph. Pac. 1270 schreibt dasselbe einem ge-
wissen Antimachos aus Teos') zu.
Oldmodeia in 6000 Versen enthielt die Geschicke des Königs
Oedipus nach der gleichen Sage, die dem Dichter der Nekyia, Od. X 271
bis 280 vorlag. Neu war in der Erzählung nur das päderastische Ver-
hältnis des Laios zu Ghrysippos, dem Sohne des Pelops, und der daraas
abgeleitete Zorn der eheschützenden Göttin Hera.*) Das Gedicht wird
auf der borgiaschen Tafel dem Lakedämonier Einaithon zugeschrieben,
den Eusebios, man weiss nicht mit welchem Recht, in Ol. 5 setzt.
61. Andere aus der alten Zeit des Heldenepos stammende, aber
nicht mit Sicherheit dem epischen Eyklos zuzuweisende Epen waren:
OixaKag alwaig. Das Gedicht behandelte die Einnahme von
Oichalia durch Herakles und stand mit dem troischen Sagenkreis insofern
in Verbindung, als Odysseus seinen Bogen von Iphitos, dem Sohne des
Eönigs Eurytos von Oichalia, erhalten hatte (Od. (p 37). Nach einem
Epigramm des Eallimachos*) war dasselbe ein Werk des Homeriden
Ereophylos aus Samos. Da eine andere Überlieferung dasselbe dem
Homer zuschrieb, so haben ausgleichende Litterarhistoriker beide Angaben
in der Art vereinigt, dass sie den Homer das Gedicht dem Ereophylos
als Lohn für die gastliche Aufnahme schenken liessen.
(Po)xaig hatte nach Ps.Herodot im Leben Homers den Namen
davon, dass Homer das Epos in Phokäa gedichtet hatte. Nach Welckers
feiner Eombination (Ep. Cycl. I 237) war dasselbe identisch mit der
Mivvag^ welche nach Pausanias IV 33, 7 den Phokäer Prodikos zum
Verfasser hatte. Diese Minyas behandelte den Fall des minyschen Orcho-
Rhapsodenvorträge T(6y 'Ofxrjgeltoy inim' | Alex, ström. VI 2, 12. AnfHÜlig ist die An-
hinderte, weil in ihnen die Argiver und Argos I gäbe des Scholiasten Porphyrion za Horas
gepriesen seien, hat Gbote, History of Greece ' s. p. 146: AntimachuB fuU cyclictAs poetci. hie
IP 129 mit grosser Wahrscheinlichkeit auf , adgressus est materiam, quam sie extendU^
die Thebais bezogen, weil in dieser weit mehr ut viginii quatuor polumina impleverü, ante^
als in der llias von Argos die Rede war. qtiam Septem duees ad Thebas duceret,
*) Brrgk, Gr. Litt. II 40 setzt die The- >) Den Inhalt des Gedichtes findet Beäie
bais vor den Anfang der Olympiaden, da a. 0. wieder in dem Exzerpt des Peisandros
dieselbe in der 6. Ol. von dem Teier Anti- in Schol. Eur. Phon. 1760.
machos fortgesetzt worden sei; aber diese | ^) Strabon XIV 688, Suidas unt. IC^aJ-
letzte Kombination ist ganz unsicher. j ffvlo^, Schol. Plai de rep. p. 600 b na<^
*) Dieser 'Avrlfittxog 6 Trjtog inonoUg der gemeinsamen Quelle des Hesychios Mi-
ist genannt von Plut. Rom. 12 und Clemens j lesios.
A. Epos. 4. Der epische Kyklos. (§§ 61—62.) 85
menoB durch Herakles; in ihr kam auch eine ünterweltsscene vor, aus
der Polygnot die Figur des Fährmanns Gharon entnahm (Paus. X 28, 2).
Javatg, in 5500 Versen nach der borgiaschen Tafel, handelte von
den Gfeschicken des Danaos und seiner Töchter. Da der Dichter der
Nostoi Hagias aus Trözen stammte, so werden wir auch den Verfasser
dieses argivischen Epos in Argos suchen dürfen; nach ApoUodor 11 6
faiess er vielleicht Kerkops.
68. Über den inneren Wert und den Kunstcharakter der kyklischen
Epen iSsst sich bei der Spärlichkeit der Fragmente nicht sicher urteilen.
]^ge von ihnen scheinen an Anschaulichkeit der Schilderung und Helden-
haftigkeit der Gharakterzeichnung den homerischen Gedichten nicht viel
nachgestanden zu sein; doch überwog im allgemeinen in ihnen das stoff-
liche Interesse, dem gegenüber die künstlerische Anordnung und die aus
der Konzentration der Handlung entspringende Spannung zurücktraten. In
der Vorliebe für erotische Motive und schwärmerische Romantik erkennt
man das nahende Wehen der lyrischen Dichtung und das Absterben der
naturwüchsigen Kraft des alten Heldengesangs. Auch in den religiösen
Torstellungen macht sich der wachsende Einfluss des Orakelwesens und
der Priesterlehren geltend. Von den Namen und den Persönlichkeiten der
Verfasser der einzelnen Epen hatte man offenbar schon zur Zeit der Perser-
kriege keine genaue Kenntnis mehr. Doch kann man immerhin aus den
spärHchen Fragmenten und den dürftigen Nachrichten über die Dichter
des Kyklos entnehmen, dass zur Zeit der Kykliker im 7. Jahrhundert der
epische Gesang sich über die Gegend von Smyrna und Chios hinaus nicht
bloss nach den übrigen Städten des ionischen und äolischen Kleinasiens,
wie Kolophon, Milet, Lesbos, sondern auch weiter bis nach Kypern, Argos,
Lakedämon, Kyrene verbreitete, i) Aber das Interesse für epische Dich-
tung nahm im 7. Jahrhundert bei dem raschen Aufblühen der iambischen
und lyrischen Poesie immer mehr ab, so dass kein Gedicht des Kyklos
gleich der Dias und Odyssee eine nationale Bedeutung erlangte. Gleich-
wohl wurden von den Künstlern und den späteren Dichtern die kyklischen
Gedichte wegen des Reichtums ihres Inhaltes viel mehr als selbst die Ilias
und Odyssee benutzt, in welchem Sinne schon Aristoteles Poet. 23 be-
merkt, dass die Ilias nur zu einer oder zwei, die kleine Ilias aber aUein zu
acht Tragödien den Stoff hergegeben habe.
C. W. MOllbb, De cyclo Graecorom epico, Lips. 1829. — Wblcker, Der epische
Cyclns, Bonn 1885 (1864), 2 Bde., Hauptwerk. - 0. Jahn, Griecliische Bilderchroniken,
Mch des Verf. Tod heransgegeben von Micbablis, Bonn 1873. — Kinkel, Epicorum grae-
eomm fragm., Lij». 1877. — Wilamowitz, Der epische Cyclus, in Hom. Ünt. 328—380. —
BoBBST, Bild n. Lied, in Phil. ünt. Heft 5. — Luckbnbach, Das Verhältnis der griechischen
VaMDVQder zu den Gedichten des epischen Kyklos, in Jahrb. f. Phil. Suppl. XI 491— 637,
wo namentlich das freie Schalten der Kfinstler mit den Ueberliefenmgen der Dichter her-
Torgeboben wird. Seit Welcker nnd Jahn sind neu hinzagekommen Homerische Becher,
henosgegeben von RoBBBT, Winckelmanns-Programm 1890, nnd die Relief darstelinngen des
Heroons Ton Gj5lbaschi in Lykien (jetzt in Wien) ans dem 5. Jahrb. y. Chr., welche einen
9mzen Cyklns von Darstelinngen des thebanischen und troischen Krieges und überdies von
Perseos- und Thesensthaten enthielten; s. BEiiiri>0BF-NiBMA5ir, Das Heroon von Gjölbaschi-
Trysa, Wien 1889.
^) Za beachten, dass nach Pindar P.V83 die Antenoriden nach Kyrene kamen.
86
Griechische Litteratnrgeschichte. I. Klassische Periode.
5. Hesiodos.
63. Die Person Hesiods. Der epische Gesang, dessen Samen der-
einst die Ansiedler aus Europa nach Asien mitgenommen hatten, wurde,
noch ehe er in der neuen Heimat verblühte, von dort infolge des lebhaften
Verkehrs mit dem Mutterland wieder nach dem Festland und speziell nach
Böotien zurückgebracht, um hier in neuer Eigentümlichkeit sich zu ent-
wickeln. Die neue Richtung lehrhafter Poesie wai*d von Hesiod inauguriert,
an den sich dann ähnlich wie an Homer eine ganze Schule von Dichtern
gleicher Richtung anschloss. Auch vom Leben des Hesiod haben wir keine
ausführlichen Nachrichten, aber seine Person ist doch weit davon entfernt,
in Nebel zu zerfliessen. Dafür hat er selbst gesorgt, indem er, durch den
Charakter des didaktischen Epos veranlasst, öfters seiner Lebensverhältnisse
gedenkt.^) Das was er selbst sagt und die erhaltenen Werke uns
lehren, ist aber auch so ziemlich das einzige, was wir von ihm wissen.
Denn nicht bloss ist das uns erhaltene Leben Hesiods ^Haiidov yävoq)
von Tzetzes eine geringwertige Kompilation des Mittelalters,^) sondern
auch Proklos und Plutai-ch und selbst die alexandrinischen Gelehrten 3)
ermangelten besseren Wissens. Die wertvollste Überlieferung enthalt,
von den eigenen Dichtungen des Hesiod abgesehen, der ^Ayuiv "^Haiodov
xal ^Ofii]Qov, der zwar erst aus der Zeit des Hadrian stammt, aber in
seinen Elementen auf den Rhetor Alkidamas, einen Schüler des Gorgias,
zurückgeht.
64. Die Familie des Hesiod stammte aus dem äolischen Kyme, wo
Strabon p. 622 denselben auch geboren sein lässt.*) Der Vater des Dich-
ters^) hatte aus Not die Heimat verlassen und sich am Fusse des Helikon
in dem elenden Dorfe Askra, nahe bei dem musenfreundlichen Städtchen
Thespiä niedergelassen.^) Dort ward Hesiod geboren und weidete als Knabe
') Velleius I 7: vitavit (Hesiodus) ne in I
id quod Homerus incideret, patriamque et \
parentes testatus est. Die Nachrichten zu |
einer Vita zusammengestellt von Robinson
und von Göttling-Flach in ihren Ausgaben.
') Das r^yog, ehedem fälschlich dem
Proklos zugeschrieben, trägt in mehreren
Handschriften den Namen des Tzetzes; siehe
Flach p. LVIÜ.
') Proklos berührt manches aus dem
Leben des Dichters in dem uns erhaltenen
Kommentar; Plutarch hatte einen uns ver-
loren gegangenen Kommentar in 4 B. zu
den Werken seines Landsmannes geschrieben,
den Proklos und überdies Gellius XX 8
bezeugen. Von älteren Grammatikern hatten
über Hesiod geschrieben Herakleides Pont.
(Diog. Y 92), Kleomenes (Clem. Alex, ström.
I p. 129), Antodoros aus Kyme (Crambb, An.
Ox. IV 310).
*) Vgl. Ephoros in Ps. Plut. vit. Hom. 2
und Steph. Byz. nnt. Kv/nij, Auf Lokalsagen
von Kyme geht es auch zurück, wenn Me-
lanopos aus Kyme (Paus. V 7, 8) bei Suidas
u. Ps. Plutarch zum Ahnen des Hesiod und
Homer gemacht wird.
'^) Der Name des Vaters war nach der
Ueberlieferung Dies, aber dieser ist wahr-
scheinlich^nur erschlossen aus Op. 299 i^yd^ev
nigari dioy yiyog^ wo Ruhuken geradezu
JLov yivog nach Analogie von Laevinwn
Valeri genus bei Hör. öat. I 6, 12 und Vergil
Aen. VI 792 Atigustus Caesar Divi genus her-
stellte und vielleicht auch schon Velleius
I 7 und der Verfasser des Agon lasen. Aber
das dtov ye'yog des Hesiod scheint aus Homer
IL IX 538 herübergenommen sein. Noch
weniger Verlass ist auf den Namen der
Mutter des Dichters, Pykimede, da derselbe
sich auf keine Stelle des Hesiod stützt und
ganz wie eine etymologische Fiktion aus-
sieht. Auch den Namen Hesiod haben Neuere,
wie Wblckbb, Hes. Theog. 5 im generellen
Sinn = Ulg wdrjy , Sänger* gedeutet; aber
dagegen erhebt schon die Grammatik Ein-
sprache^ da zu Hesiods Zeit der Gesang doMj^
mcht oitfi; hiess, also ein ^Baidoidog zu er-
warten gewesen wäre.
•) Hes. Op. 633 flf. ^ Den Namen ^Aifx^
statt des überlieferten "A^f^ hatte Zenodot
in den homerischen Text B 507 bringen
wollen. •
A. Epos. 5. Henodoa. (§§ 63—64.)
87
aaf den waldigen Triften des Helikon die Herde. ^) Nebst dem Vater und
Heimatsort ist es der Bruder des Dichters, Perses, der durch seine Ge-
dichte bekannt geworden ist. Derselbe hatte nach dem Tode des Vaters
in einem Rechtsstreit über das hinterlassene Vermögen den Hesiod durch
Bestechung der Richter um sein Erbteil gebracht,*) war aber dann selbst
darch Arbeitsscheu in Not gekommen, so dass er hintendrein wieder
seinen Bruder um Hilfe angehen musste. Hatte Hesiod durch die Un-
gerechtigkeit der Richter Haus und Hof verloren, so hatten ihm die
Musen dafür eine andere Gabe, die Kunst des Gesanges verliehen. Seine
glänz- und farblose Poesie war zwar weniger geeignet, ihn zum gesuchten
Sänger an den Fürstenhöfen zu machen; aber nicht bloss haben seine
hausbackenen Wirtschaftsregeln bei den Bauern und Schiffern offenes Ohr
gefunden,^) auch für die Kreise religiöser Festgenossen eigneten sich
trefflich seine Hynmen und mythologischen Dichtungen,^) die jetzt seinen
grösseren Werken einverleibt sind, aber so, dass man ihre ehemalige
selbständige Stellung noch unschwer erkennen kann. Dass diese Gedichte
nicht alle für das armselige Dorf Askra bestimmt waren, versteht sich
von selbst; vielmehr wird Hesiod ähnlich wie Homer als fahrender Sänger
in dem Lande umhergezogen sein, und nicht bloss in den Städten
Böotiens, wie Thespiä und Orchomenos, '^) fand er Anklang, auch über die
Grenzen seiner engeren Heimat hinaus drang der Ruhm seiner Muse. In
den Werken 650 ff. lesen wir, dass der Dichter einst von Aulis nach
Chalkis in Euböa zu den Leichenspielen des Amphidamas gefahren sei,^)
bei diesen im Hymnus gesiegt und den Dreifuss, den er als Siegespreis
errungen, den Musen des Helikon geweiht habe. Zwar ist auf diese Nach-
richt kein sicherer Verlass, da die Echtheit der ganzen Stelle (Op. 646
his 662) schon von den alexandrinischen Grammatikern beanstandet wurde. 7)
Aber auch die Nachrichten von dem Tode des Dichters^) weisen darauf
*) Hes. Theog. 22 f.
«) Hes. Op. 27—39; 213 ff.; 248 ff.
274 ff.
'} So eignete sich fOr Schiffer Op.
618-94, für Bauern Op. 383-617, fttr
Richter Op. 213—69, als guter Rat beim
Heiraten Op, 695—705.
*) So die Erzählung yom Titanenkampf
TL 617-819, die Prometheussage Th. 535
bis 610, der Pandoramythus Op. 42—89, die
fünf Weltalter Op. 109-201, die Hymnen
auf die Musen und Hekate Th. 36—104 u.
413-49.
') In Orchomenos zeigte man das Grab
des Hesiod auf dem Marktplatz der Stadt;
8. Cert Hes., Paus. IX 38, 3, Vit. Hes. Die
Nachricht geht auf Aristoteles if rß O^/o-
fuyitoy 7ioXiTfi<f zurQck (s. Vit. Hes. und
Proklos zu Op. 631); vgl. Boss, Arist. pseudep.
PL 505 ff.
*) Von jenem Amphidamas lesen wir bei
Flntarch Ccfnv. sept. sap. c. 10, wahrschein-
lich nach Aristoteles: ^»^ ^i *Jfi<pMfÄag ayiJQ
nohnxos xai noXXa nqayfiaxa naqaüx^y
^EQBXQiBvaiy ev raig negl ArjXaf^tov fiaxa^
hieasy, woran Bbbok, Gr. Lii^. I 930 die von
RoHDE, Rh. M. 36, 421 ff. bekämpfte Ver-
mutung knfipfte, dass derselbe nicht vor
Ol. 29, 1 gestorben sei. Nach Rohdes Be-
rechnungen hätten die Alten vielmehr den
Amphidamas 160 nach den Troika leben
lassen.
') Proklos fand zu V. 649 ein kritisches
Zeichen: arjfÄeiovTM 6 ^rxixog ovtog ' eintoy
yaQ Bivai aneigog vavnXlfcg n<ag vnoTt&erai
avjijy; der Athetese war nach Proklos z. St.
auch Plutarch beigetreten, ebenso der Ge-
währsmann des Pausanias IX 31, 3. Vgl.
Procl. ehrest, p. 232, 20 W. : änioi, dk ol
ro «XviygAa (corr. iniyQttfjifAa) nXdaayxeg xovto
'Halodog Movaaig ^Xixcjylat toVcT ayä&ijxey^
vfiyiü vixrjaag iy XaXxldv dioy "Ofitjgoy,
dXXd yuQ inXavij&fjatty ix ttoy 'Haioökitoy tj-
fASQtay ' ixBQoy ydg xt (corr. xiya) <fr]f4.alyei.
Neuerdings schreibt Eirchhoff in seiner Aus-
gabe S. 72 ff. die Stelle wieder dem alten
Hesiod zu.
*) Es gab zwei Ueberlieferungen über
88
Griechische Litieratargeschichte. I. ElaeBisohe Periode.
hin, dass derselbe von seiner böotischen Heimat nach Westen über Delphi
hinaus bis nach Naupaktos ins Tiand der ozolischen Lokrer gekommen
war. Vom Orakel, in Delphi, so erzählten die Alten, gewarnt, den Hain
des nemeischen Zeus zu betreten, da dort ihm zu sterben bestimmt sei,
hatte er sich nach Oineon in Lokris gewandt, ohne eine Ahnung zu
haben, dass auch dort ein dem nemeischen Zeus geheiligter Ort war.^)
In Oineon also kehrte er bei den Söhnen des Phegeus, Amphiphanes und
Ganyktor, *) ein, geriet aber in den Verdacht, die Schwester seiner Gast-
freunde, Klymene, verfuhrt zu haben. Die Brüder, darüber ergrimmt,
erschlugen ihn und warfen seinen Leichnam in das Meer. Delphine brachten
den Toten ans Land, wo er in einem Felsengrab bestattet wurde. Die
Sage ist natürlich poetisch ausgeschmückt; aber ein historischer Kern
wird ihr zu gründe liegen, wahrscheinlich der, dass Hesiod im Lande der
Lokrer gestorben ist. Denn dort in Naupaktos erbte sich auch die hesio-
dische Sangesart fort, wofür schon der Name Navnaxtia ^Ttrj einer Dich-
tung der hesiodischen Schule, zeugt. Wenn auf der anderen Seite auch
Orchomenos auf dem Markt das Grab des Hesiod zeigte, so ward dies
früh so gedeutet, dass die Orchomenier, einem Orakelspruch zufolge, die
Gebeine des Dichters aus dem Lande der Lokrer nach ihrer Stadt über-
geführt hätten.^) Einfacher wird es sein anzunehmen, dass sich auch an
Orchomenos, die alte Hauptstadt Böotiens, Erinnerungen aus dem Leben
des Hesiod knüpften. Später errichteten ihm auch die Thespier auf dem
Markt ein ehernes Standbild,^) und zeigte man auf dem Helikon einen
sitzenden Hesiod mit der Kithara auf den Knieen, welche Darstellung
Pausanias tadelt, da dem Hesiod nach seinen eigenen Worten im Eingang
der Theogonie der Lorberstab, nicht die Kithara zukomme.^)
66. Lebenszeit des Hesiod. Verwickelt ist die Frage nach der
Lebenszeit des Hesiod, in der schon die Alten zwiespältiger Meinung
waren. Es handelt sich hiebei zunächst um das Verhältnis des Hesiod
zu Homer. Herodot H 53 nahm beide als gleichzeitig an und Hess sie
400 Jahre vor seiner Zeit gelebt haben. Ephoros nach Ps. Plutarch vit.
Hom. 2 hielt den Hesiod für etwas älter, indem er dessen Vater zum
Grossonkel Homers machte,*') welches Verhältnis das Marmor Parium
den Tod des Dichters, eine yon Alkidamas
und eine von Eratosthenes; s. Friedel, Die
Sage von Hesiods Tod, Jahrb. f. Phil. Suppl.
X 235 ff.
*) Thucyd. HI 96 : iy rw rot; Jiog xov
NsfAemov Uqw 'HaioSog 6 nMijtijs Xiystiii
vno Xüiv xavxf^ ano&ayety, XQV^^^*^ oor^ iy
N€fÄd<f Tovxo •nadeiy. Damit stimmen überein
Gert. Hes., Plut. Conv. sept. sap. 19, Paus. IX
31, 5 u. 38, 3, Vit. Hes., Anth. VIF 55.
') So nannte sie Alkidamas; Antiphos
und Ktimenos hingegen hiessen sie bei Era-
tosthenes (und Suidas) nach dem Zeugnis
des Certamen.
') Die Deutung wäre sehr alt, wenn
auf die Angabe Verlass wäre, dass Pindar
mit Bezug auf jenes Doppelbegräbnis das
Epigramm gedichtet habe:
XaiQB &ig vßrjcag xal dig tatpov dvtißoXtjaagy
'Haio&'i ay^Qüinoig (jiixqov e^ioy <rotpitjg.
Das darauf bezügliche Sprichwort 'HaUieioy
yrJQoig erwähnte nach den Parümiographen
I 456 schon Aristoteles iy 'Og^o/ueyliay
noXixelq,
*) Paus. IX 27, 4.
*) Paus. IX 30, 2.
•) Vgl. Sbngebüsch, Hom. diss. I 160;
dass vor Ephoros schon Simonides Ceus die
gleiche Meinung geäussert, erweist Stern-
bach, Comm. Ribbeck. 358 aus dem Gno-
mologium Vaticanum: lifAtayLdrjg roV 'Haio-
&oy xfjnovQoy ^keye, xoy dk^OfjLrjqoy axeKpayfi-
nXoxoy^ xoy fx^y (6g (pvxevaayxa xag ttbqI
t^fo/v xal iJQtotay fivS-oXoyiag, xoy <f^ tog }(
ecvxtay avjunXd^ayxa xoy 'iXtadog xal 'Odvc-'
aeiag oxdq>ayoy.
A. EpoB. 5. HMiodoB. (§ 65.)
derart in Zahlen umsetzte, dass es den Hesiod 30 Jahre älter als Homer
sein liess.^) Dem entgegen schlössen die alexandrinischen Kritiker Era-
tosthenes und Aristareh aus der Erweiterung der geographischen Kennt-
nisse^) und Mythen bei Hesiod, ^) dass derselbe nach Homer gelebt haben
mös8e>) Die Beweiskraft der in diesem Sinne verwerteten Stellen steht
zwar nicht ganz ausser Zweifel, da dabei nicht allein die ältesten und
zweifellos echten Werke des Hesiod, die Erga und Theogonie, sondern
auch jüngere Gedichte und Verse von zweifelhafter Echtheit in Betracht
gezogen wurden. So kann z. B. die Fortbildung des Mythus nicht leicht besser
illustriert werden, als durch Vergleichung der Stelle der Odyssee y 464,
wo die jüngste Tochter des Nestor, die schöne Polykaste, dem Gaste
Telemachos die Füsse wäscht, mit den Versen des Hesiod bei Eustathios
zu Od. 71 118, welche aus jenem harmlosen Brauch der alten Gastfreund-
schaft eine geschlechtliche Verbindung des Telemachos und der Polykaste
ableiten, deren Frucht der Heros Persepolis gewesen sei.*^) Aber die Verse
stehen nicht in dem echten Hesiod, sondern gehörten zu dem aus der
Schule des Hesiod stammenden Frauenkatalog. Ebenso finden sich die
meisten der geographischen Namen an Stellen, deren Echtheit von der
modernen Kritik in Zweifel gezogen wurde. Indes wenn auf solche Weise
auch viele Belegstellen wegfallen, so bleiben doch noch genug zum Be-
weise, dass zur Zeit Hesiods die geographische Kenntnis des Westens in-
folge der fortgeschrittenen Seefahrt und der Kolonisation der euböischen
Chalkidier weit ausgebreiteter war, ^) und dass Hesiod nicht bloss die Färbung
des Dialektes aus Homer entlehnt, sondern auch in zahlreichen Versen
Stellen des Homer nachgeahmt hat.*^) Den Werken des Hesiod also ging
') Aehnlich Tzetzes in Vit. Hes., wenn
er den Hesiod in den Anfang nnd den Homer
an das Ende des 35 Jahre dauernden Archen-
tftts des Archippos setzt. Dem Ephoros
folgten Accins bei Gellius UI 11 und Philo-
steates fleroic. p. 162, 5. Nach Vit. Hom. 6
liielt schon Herakleides den Homer fttr älter
als Hesiod.
') Strab. p. 23 n. 29, wo richtig hervor-
gehoben ist, dass Hesiod bereits den NU
(Th. 388), den Aetna (Th. 860), die Thyrsener
(Th. 1016) und Ortygia kenne, die bei Homer
noch nicht vorkommen. Man kann diesen
Namen noch hinzuf&gen den Latinos, den
Sohn der Eirke (Th. 1013), den Eridanos
und IstroB (Th. 338 f.), die Insel Erytheia
mit den Hes^teriden (Th. 290 u. 518).
') AristfU'ch setzte in diesem Sinn seine
Zeichen K 4dl -riQog rd negi ijXtxla^ 'Hauidov,
I 246 oTi jrjp oXijy UeXonoyyt^oy ovx oidey
ö itMijjfjg, 'Haio^os di, A 75() Ott ivxBv^Bv
'fhiodog "Axxa^og xar* inlxXijaiy xttl MoXlovog
tirjovg yeyeysaXoyrjxsy , femer zu M 22,
5119, 9^683, ß527.
^) An Aristareh schloss sich sein Schüler
Apollodoros an bei Strabon p. 299 und 370.
Ueberifieben drückt sich Cicero de senect. XV
54 ans: Hamerus qui muliis ut mihi videtur
^nU Hesiodum saeculis fuit. Schon vor
den Alexandrinern hatte Xenophanes nach
Gellius III 11 die gleiche Meinung vertreten.
^) EiRCHBOFF, Die hom. Odyssee 315 ff.
^) Auf die von den Chalkidiem ge-
gründete Kolonie Eyme weist insbesondere
die Erwähnung des Latinos in Theog. 1013
KiQxrj yelyar* 'Odvaatjog xaXaaltpQoyog iy
fpiXoTijti ^AyQioy tjdh Attxlyoy, Denn be-
kannt ist der Einfluss von Oumft auf Rom
nnd Latium; auch die Verlegung der Kirke
in jene Gegend ist wohl aus dem Anklang
von Klqxi] an das Promontorium Circeium ent-
standen. Ob auch "Ayqiog aus "A^giog ent-
standen ist und mit dem Avemersee, dem
Sitz der Sibylle, zusammenhängt?
^) Eine Ausgabe mit genauem Nachweis
der parallelen Stellen Homers haben wir
noch nicht; gute Vorarbeiten dazu lieferte
Ed. Rausch, Quatenus Hesiodi elocutio ab
ezemplo Homeri pendeat, Regiom. 1876 und
Elbing 1878, Martin, De Od^ssea et Theo-
gonia, Speirer Progr. 1889. Die Nachahmung
selbst steht ausser Zweifel, und es fragt sich
nur, inwieweit auch Stellen der jüngsten
Partien homerischer Gesänge nachgeahmt
sind. In dieser Beziehung ist von Wichtig-
keit die Vergleichung von Op. 403 inätoy
yofiog und y249; Op. 721 und 7 250; Op.
299 ^toy yeyog und l 538; Op. 648 fi^rga
90
Orieehiaohe Litteraturgesehlohte. I. KlaMisdhe Periode.
die Dichtung der ganzen Ilias mit Einschluss des letzten Gesangs und
ebenso die Odyssee, wenigstens die älteren Teile derselben voraus. Auch
die Umsetzung des ursprünglichen äolischen Textes des Homer in den
ionischen Mischdialekt muss jedenfalls der Zeit des Hesiod vorausgegangen
sein, da es sonst unerklärlich bliebe, wie der im äolischen Böotien ge-
borene Dichter sich des ionischen Dialektes der keinasiatischen Epiker
bedienen mochte. — Auf der anderen Seite steht ebenso fest, dass
Hesiod den lambographen Simonides und Archilochos bereits bekannt war.
Denn gewiss waltet nicht blinder Zufall im Zusammentreffen von Hes.
Op. 702
ov fi^v ydq %i yvvmxoq dvrJQ Xrjt^er' a^isivov
TTJg dya&rjg, rrjg d'avts xaxijg ov ^lyiov allo
und Simonides fr. 6.
yvvaixog ovd^v XQW' ^'^Q Xrjt^evai
ia&Xijg iifieivov ov6^ ^iyiov xaxfjgA)
Auch der korinthische Epiker Eumelos, der von den Alten in die 6. oder
9. Olympiade gesetzt wird, lebte sicher erst nach Hesiod; ebenso ist der
homerische Schiffskatalog aller Wahrscheinlichkeit nach der hesiodischen
Theogonie eher nachgefolgt als ihr vorausgegangen.
Demnach lässt sich für die Zeit des Hesiod sowohl ein terminus
post quem als einer ante quem mit Sicherheit feststellen. Die Versuche
darüber hinaus zu einer engeren Abgrenzung zu kommen, schlugen in der
Mehrzahl fehl.*) Nur das eine äussere Anzeichen, das in der Schilderung
vom Ausbruch des Ätna (Th. 820—80) liegt, ») liefert den sicheren Beweis,
dass die Theogonie in der Zeit nach Gründung der Kolonien Sikiliens durch
Chalkis, die Mutterstadt von Naxos, Leontinoi und Katane, gedichtet wurde.
&aXdaarjg und fiixQa xeUv»ov d 389, x 589,
ferner von Op. 318 und Ä45; Th. 128—9
(mit kontrahiertem vvfifptav) nnd Sl 615 — 6;
Th. 341- 2 und Af 20—1. In die Telemachie
a 56 kam alf^vXioiai Xoyoiai aus Theog. 890,
wahrscheinlich auch in a> 12 dtjfioy ovBiQiav
aus Theog. 212 q)vlov oveiQtoy. Auch die
hftufigere Vemachlfissigung des Digamma
bei Hesiod beweist die spätere Zeit der Ab-
fassung, zumtd bei ihm ausser Zweifel steht,
dass seine Landsleute noch das Digamma
sprachen.
M Aehnlich Archil. fr. 88 nach Op. 202 ff.
und 213; Alcaeus fr. 39 nach Op. 584 ff.;
Alkman fr. 106 nach Th. 961. Vgl. Stbitz
in seiner Ausgabe der Erga S. 3.
^) Die astronomischen Berechnungen aus
den Stemdeklinationen sind in Seifenblasen
aufgegangen; wichtig scheint besonders zu
sem Op. 566 f. u. 610 über den Aufgang des
Arkturus; s. Robinson, Vit. fles. p. LIX ff.;
Ideler, Handb. d. Chronologie 1 246; Gallbn-
MÜLLBR, Progr. d. alten Gymn. in Regensburg
1885. Die Angabe femer, dass Stesichoros
ein Sohn des Hesiod und der Elymene sei
(s. schol. ad. Op. 271 u. Vit. Hesiodi) sieht
ganz wie eine leere, aus der Mythenver-
wandtfichaft abgeleitete Fiktion aus. Des
weitem statzt sich der Ansatz des Zeitalten
des Amphidamas (Op. 650 ff.) auf 1020—980
y. Chr. (s. Rohdb Rh. M. 36, 421 ff.) auf die
schlechten und unverl&ssigen Hilfsmittel der
alten Chronologen. Endlich die Erwähnung
eines nackten Ringkampfes, der uns in die
Zeit nach Ol. 15 fCLhren würde (s. schol. Hom.
2^683 = Hes. fr. 127; vgl. Voss, Mythol.
Briefe 2) findet sich nicht m den echten
Werken des Hesiod, sondem stand in irgend
einem der untergeschobenen Epen.
') Th. 860 0VQ60S iv ßtjcanair ^Aijyfiq
nainaXoeaarj^y wo SchOmann mit glücklichem
Scharfblick 'Mryrjg für das überlieferte mS^jg
herstellte. Homer selbst (nicht der Verfasser
des Schiffskataloges, wie gewöhnlich ange-
nommen wird) hatte bereits in dem 2. Ge-
sang der üias B 783 den Typhoeus, den
Repräsentanten feuerspeiender berge, im Land
der Arimer erwähnt. Er hatte aber dabei
nicht an den Aetna, sondem an den Vulkan
Argaios in Eappadokien gedacht, wie Pabtsgh,
Geologie u. Mythologie in Eleinasien, Philol.
Abb. zu Ehren von Hbbtz S. 105—122 nach-
gewiesen hat.
A. Epos. 6. HesiodoB. (§ 66.)
91
Danach hat denn auch in unserer Zeit Fick, Hesiods Gedichte S. 4, indem
er auch noch die Fabel, dass Stesichoros ein Sohn des Hesiod und der
Elymene gewesen sei, zur Zeitbestimmung heranzog, die Blüte unseres
Dichters auf 675 angesetzt. Wir begnügen uns mit der runden Zahl 700
V. Chr.
66. Charakter der hesiodischen Poesie. Hesiod ist Vater und
Hauptvertreter des didaktischen Epos, wie Homer des heroischen. Diese
neue Richtung der Poesie hing zunächst mit der individuellen Anlage
unseres Dichters zusammen: Hesiod war eine hausbackene, verständig
beobachtende, des kühnen Fluges der Phantasie wie der tieferen Erregt-
heit des Gremüts entbehrende Natur, geboren zum Dichter für Bauern,
wie Homer zum Dichter für Könige. Es hatte aber auch die neue Rich-
tung ihre Wurzeln in dem Naturell seiner Landsleute und dem Zustand
seines Heimatlandes: dort in Asien eine frisch aufblühende Entwicklung
auf dem Boden älterer, vorgeschrittener Kultur, ein leicht bewegliches,
durch die See in die Ferne gewiesenes Volk, Hörer voll Lust und Freude
an Mären und Abenteuern; hier in Böotien ärmliche, im Rückgang be-
findliche Verhältnisse, eine wesentlich auf Ackerbau und Viehzucht an-
gewiesene Bevölkerung, wenn auch nicht gerade stumpfsinnig, so doch
ohne Schwung und geistige Beweglichkeit. Dem Inhalt nach enthält also
die hesiodißche Poesie verständige Belehrung über Hauswesen und Acker-
bau, zusammenfassende Unterweisung über alte Sagentraditionen, fromme
Einführung in den öötterglauben, doch alles dieses so, dass die eigent-
liche Grundlage des Epos, der Mythus, nie ganz verleugnet wird, vielmehr
öfters in ausgesponnenen, lebhafteren Pulsschlag verratenden Episoden die
lehrhafte Darstellung durchbricht. Der Form nach knüpfte die Poesie des
Hesiod teils an das homerische Epos an, dem sie in Versmass, ^) Dialekt^)
und sprachlichem Ausdruck folgte, teils trat sie in Gegensatz zu ihm
durch den Charakter einfacher Aufzählung und lockerer Aneinanderreihung,
verbunden mit der Neigung zur strophischen Gliederung. ») Von den alten
^) Yom daktylischen Hexameter haben
aoch die Gedichte des Hesiod den Namen
inrj erhalten.
') Dem homerischen Grandton der Spra-
che sind nur einige lokale Eigentümlich-
keiten beigemischt, wie die Acc. plnr. auf äg
(delphisch und thessalisch), die 3. Fers. plur.
Ulf oy {iditfoy Op. 139, 6&oy Th. 30), *Txa
statt Itffiyya (bdotisch); s. Förstemaitn, De
äalecto Heeiodea, Hai. 1863; Rzach, Der
Dialekt des Hesiod in Jhrb. f. Ph. Suppl. 8.
Dem üebergang des homerischen Dialekts
ffl die hesiodiache Poesie steht der Gebrauch
des gleichen Dialektes in den delphischen
Orakel^irachen zur Seite. Fick nimmt auch
ftr Hedod spfttere Umdichtung an und gibt
in seiner Odyssee S. 397 ff. eine Probe seines
vr^rBngUchen Hesiod in altthessalischem,
in Bezzenbergers Beitr. XU (1886) 1-37
eine solche in delphischem Dialekt. Diese
•eiiie Anschauungen hat jetzt der ingeniöse
Gelehrte in dem Buche, Hesiods Gedichte
(1887), dahin ausgeführt und modifiziert, dass
er die Theogonie im delphischen, die Erga
im altftolischen, die Zusfttze beider Dichtungen
zum grösseren Teil im ionischen Misch-
dialekt verfasst sein lässt. Von der Zu-
stimmung hält mich nicht bloss die über-
lieferte Form des Textes, sondern auch die
geringe Wahrscheinlichkeit einer späteren
Umschrift ab. Vgl. Mbnbad, Philol. Anz.
1887 n. 8.
*) Solche Gruppen von meistens drei,
mitunter auch fünf und vier Versen sind
unverkennbar in den aufzählenden Partien,
namentlich der Theogonie, wenn man auch
eine strenge Durchfährung des strophischen
Prinzips vermisst Aufgesucht sind sie von
Gbtjppb, Ueber die Theog. des Hes. 1841
und G. Hbrmann, De Theog. forma antiquis-
sima 1844 (Op. VIH 47 ff.), im Texte ange-
zeigt von EöoHLY in seiner Ausgabe (vgl.
dessen Akad. Vortr. I 387 ff.); neuerdings
stellte Fick sechszeiüge Strophen her. Zu
92 Ghriechisohe LitUratnrgesohichte. I. Klassisohe Periode.
Kunstkritikern wurde diese Stilform *^H<n6d€iog xccQaxti^Q genannt und daher
z. B. das trockene Verzeichnis des Nereidenchors in der Dias 2 39—49
verworfen cHg 'Haiodeiov ixov x^Q^^VQ^-^) Daniit verband sich die gleich-
falls von den Alten schon erkannte Neigung zur gnomischen und alle-
gorischen Darstellung,^) welche den Gegensatz zur heiteren Phantasie und
plastischen Naturwahrheit Homers bildete. Wird man in allem dem
einen starken Abfall von der Herrlichkeit homerischer Poesie finden müssen,
so darf man doch nicht den grossen und wohlthätigen Einfluss verkennen,
den der sittliche Gehalt der hesiodischen Poesie und die Mahnung zu
rühriger Thätigkeit auf die Entwicklung des griechischen Volkes übte.
Der geistige Genuss an Meisterwerken der Schönheit übt zwar auch an
und für sich einen veredelnden Einfluss auf Sitten und Anschauungen
eines Volkes aus; aber zur Erziehung der Jugend und Durchsittigung der
Massen bedarf es direkter ethischer Nahrung, und glücklich ein Volk, dem
dieselbe gleich in seinen Anfängen durch den Honigmund eines Dichters
gereicht wird.
Mit den Werken des Hesiod ist es ähnlich gegangen wie mit denen
Homers; auch dem Hesiod ist vieles zugeschrieben worden, was von
seiner Schule ausging, und auch seine echten Werke haben viele Inter-
polationen erfahren, die um so eher Eingang finden konnten, je lockerer
das umschlingende Band war. Vorangestellt wird von den Werken Hesiods
gewöhnlich die Theogonie als das ältere Gedicht;») wir beginnen lieber mit
den Erga, weil deren Echtheit am wenigsten Zweifeln unterliegt.
67. Die "Egya waren nach der Tradition der Böotier am Helikon
das einzige echte Werk des Hesiod;*) jedenfalls sind sie dasjenige, in
welchem seine Persönlichkeit am klarsten uns entgegentritt. Dasselbe
ist gerichtet an den Bruder des Dichters, Perses, und hat den Doppel-
titel "Egya xai n^fnegai {Opera et dies), weil es eine Anweisung zur Ver-
richtung der Arbeiten und im Anhang dazu einen Arbeitskalender nach den
Tagen des Monats enthält. Eine vollkommene Einheit bilden die 828 Verse
des Gedichtes in keinem Fall; es bestehen nur hier, ähnlich wie bei Homer,
zwei Möglichkeiten, dass entweder der Dichter selbst ein Ganzes überhaupt
nicht beabsichtigte, so dass nicht Hesiod, sondern ein späterer Ordner als
eigentlicher Vater des Gesamtgedichtes zu gelten hätte, oder dass die Mangel
vergleichen sind die strophenartigen Absätze scheinen zu lassen. Noch bestimmter weist
in der lyrischen Totenklsge an der Bahre der Vers 659 auf Theogonie als das filtere
des Hektor IL Sl 725—75, worüber zuletzt i Gedicht zurück; aber die Echtheit dieses
Seibbl, Die Klage um Hektor, Progr. München Verses ist bestritten. Nach Lucian, de salt 24
1881 gehandelt hat. ' stand in den Handschriften des Hesiod die
^) Schol. A zu i? 39, .ß 614. | Theogonie voran. Den alten Grammatikern
^) Scholien zu IL 0 21 p. 410, 12 B. u. folgend setzen auch Eirchhoff und Fick die
Od. o 74. Mit dem Mangel an plastischer | Theogonie als das filtere Epos vor die Erga.
Darstellung hfingt es auch zusammen, dass , *) Paus. IX 31, 4: Botwtwr ol negl iw
Hesiod der Kunst, namentlich der älteren I 'Ehxwya oixovyreg TtaQBiXrjfifÄäva doS^ Xfyoih'
Vasenmalerei, sehr wenig Anregung bot, i aiytog äXXo'HaMo^ noiijaai ot'dey ^ rdT^ya.
worüber Bbuvn, Stzb. d. b. Ak. 1889, H 73. | Ob aber diese Leute am Helikon nicht die
') Der Vers Op. 11 ovx «qu (ehedem | Meinungen der gelehrten Chorizonten wieder-
vielleicht ov xoi) fiovvov irjy 'EQidtjy y^vog \ gaben, wie Pausanias VI 22, 6 auch den
scheint auf Theog. 225 zurückzuweisen, die i Eleem Dinge in den Mund legt, welche die
Theogonie also als das filtere Gedicht er- , Gelehrten ermittelt hatten?
A. Epos. 6. HeaiodoB. (g 67.)
93
der Ordnung erst durch Zusammenfügung mehrerer, zu verschiedener Zeit
gedichteten Teile und durch Einlage fremder Zusätze entstanden sind. Die
auflösende Kritik hat auch hier in unserer Zeit ihre geschäftige Thätigkeit
entfaltet; 1) aber so anregend und fruchtbar auch die Nachweise mangelnden
Zusammenihanges einzelner Teile gewesen sind, so überwiegen doch auch
hier die Anzeichen der Zusammengehörigkeit der Hauptteile. Die Anrede
an Perses rührt unzweifelhaft nicht von einem späten Diaskeuasten,
sondern von Hesiod selbst her. Da nun diese sich an mehreren weit aus-
einanderliegenden Stellen des Werkes findet, so spricht von vornherein
fOr alle diese die Wahrscheinlichkeit, dass sie vom Dichter als Teile eines
Ganzen gedichtet waren. Eher hingegen sind diejenigen Partien, in
denen der Name Perses gar nicht vorkommt, dem Verdachte nachträg-
b'cher Eindichtung ausgesetzt. Solche sind das Anhängsel der Tage
(765 828), die beiden Sentenzensammlungen 317—382 und 695—764,
die Schilderung der fünf Weltalter (109—201), der Pandoramythus (49 bis
104). In der That sind alle diese Partien, wenn sie auch mit dem Grund-
gedanken des Gedichtes, dass in der gegenwärtigen Zeit vor allem Arbeit
und Thätigkeit not thue, in idealem Zusammenhang stehen, doch nur äusserst
locker mit dem übrigen Gedicht verbunden, so dass man den Eindruck em-
pfangt, als seien sie ursprünglich für sich bestanden und erst später, vielleicht
von Hesiod selbst, den Erga einverleibt worden:*) Von dem Proömium an die
Musen (1 — 10) ist ohnehin die spätere Zudichtung durch Pausanias IX
31, 4 bezeugt. 3) Was nach Ausscheidung dieser Einlagen und einiger
kleineren Zusätze^) übrig bleibt, ist aber auch noch kein geschlossenes
M TwESTEN, Conunent. crit. de Hesiodi
carmiiie qaod inscribitor Opera, Kiel 1815;
Lehbs, Qnaest. ep. 179—252, wo die Anord-
oang der Sprflche nach dem Alphabet er-
wiesen wird; Thibbsch, De gnomids carmi-
nibus Graecornm, Acta phil. Mon. III 402 ff.
Dagegen konservativ Hakkb, De Hesiodi
openbos et diebus, Gott. 1838; Vollbbhb,
Hesiodi Opera et dies, Kiel 1844; vennit-
tebd Stbitz, De Operom et dieram com-
pofiitione, forma pristina et interpolationibus
Gott 1856; Hbtzel, De carminis quod 0. et
B. inscribitor compositione et interpolatio-
rnbus, Weüburg 1860. Vgl. Süsbmihl, Zur
Lttteratnr des Hesiod, in Jahrb. f. Ph 89, 1 ff.
Eine Zerlegung in die einzelnen Teile stellt
Fiek in seiner Ansgabe auf. Eirchhoff in
seiner Ansgabe macht den Versuch, den
alten, dem Hesiod zuzuschreibenden Grund-
bestandteil von den späteren Znsätzen durch
verschiedene Schrift zu scheiden und das
alte Gedicht in acht einzelne, sehr ungleiche,
lieder za zerlegen.
') Am meisten noch hängt der Pandora-
mythoa mit dem Grundstock des Gedichtes
zusammen und ist im engen Anschluss an
dessen Grundgedanken gedichtet, da ja die
Sendung der Pandora, wie die Sünde der Eva
im alten Testament, die Nötigung zur Arbeit
gebracht hat. Auch die EemsprQche und
die Dichtungen von den Weltaltem, deren
Anklänge an altindische Poesie Roth, Der
Mythus von den fQnf Menschenaltem bei
Hesiod und die indische Lehre von den vier
Weltaltera, Tüb. 1880, nachgewiesen hat,
machen den Eindruck echter hesiodischer
Poesie. Spätere werden sie den Erga einge-
legt haben, damit sie nicht in ihrer Ver-
einzelung zu gründe gingen.
*) Das Proömium, das auch Aristarch
und Plutarch Sympos. IX 1, 2 verwarfen, ist
ein elendes Plickwerk, von dem man sich
nur wimdem kann, dass es bei Eirchhoff
in seiner Ausgabe Gnade fand. Nach den
Schollen des PSroklos hat noch Praxiphanes,
der Schüler Theophrasts, eine Ausgabe der
Erga ohne dieses Proömium gefunden, so
dass dieselben gleich mit dem Verse Ovx
liga fiovvov evjv ^Egidcay yt'yog begannen.
Wie Mabtik, Das Proömium zu den Erga
des Hesiod, Diss. München 1897, wahr-
scheinlich macht, ist das Proömium erst im
Beginne der Alexandrinerzeit hinzugedichtet
worden von stümperhaften Grammatikern,
welche an dem abrupten Eingang der echten
Erga Anstoss nahmen.
*) Solche Interpolationen sind die Verse
504 536 von den Leiden des Winters, in
denen der ionische Monatsname Aijvmoiv
(504) und der Name Hav^XXtjyeg auf späten,
94
Grieohisohe Litieratnrgeschiohte. 1. KlasBisohe Periode.
Ganze, sondern besteht aus zwei gleichmässig an Perses gerichteten Teilen,
einem Rtigegedicht (11— -48, 203—316), worin Hesiod seinem Bruder und
den bestochenen Richterkönigen ihr unrecht vorhält, und einem Lehr-
gedicht, das in leidenschaftslosem Tone Anleitung zum Ackerbau und zur
Schiffahrt gibt (383—616 u. 618—694). Diese beiden Teile sind nicht
zur gleichen Zeit entstanden,^) aber sie sind doch zur Zusammenfugung
zu einem Ganzen bestimmt: es findet sich nur ein abrundender Schluss
(V 694 xcMQog d*inl naaiv agiarog), und die Aneiferung zur Arbeit zieht
sich als roter Faden durch beide Teile hindurch. Denn sie spricht gleich
aus dem Eingang von der doppelten Eris, der bösen (Zank) und der guten
(Wettstreit), und sie schlägt die Brücke vom ersten zum zweiten Teil,
indem Perses ermahnt wird, statt durch ungerechte Rechtshändel, durch
redliche Arbeit sein Auskommen zu suchen (286 — 302, 315 f.).
68. Die &€OYovia in 1022 Versen ist ein ehrwürdiger Versuch, die
bunten Gestalten der hellenischen Götterwelt in ein System zu bringen,
wobei die alten und heimischen Götter mit neuen und fremdländischen
zusammengebracht^) und die in religiösen Kulten und alten Hymnen über-
lieferten Mythen mit Sätzen theosophischer und kosmogonischer Spekulation
zu einem halb poetischen, halb philosophischen Lehrgedicht vereinigt sind.')
Mit gutem Griff hat der Dichter seinen Plan so durchgeführt, dass er treu
dem Wesen epischer Poesie die Dinge im Werden erfasste und so eine
Geschichte der Weltschöpfung und der Göttergenerationen dichtete. Unter-
stützt ward er in der Ausführung dieses Planes durch den Charakter des
griechischen Mythus, der überall von Vater und Sohn oder Tochter sprach
und auch schon bei dem ionischen Sänger zur Einkleidung kosmischer
Vorgänge in poetische Umhüllung geführt hatte.*) Auch mochten die
nichtböotischen Ursprung hinweisen, die Pa-
rallelrezension 60—68 und zahlreiche, lose
angefügte Spruchverse; vielleicht auch die
Verse 646-662 von den Leichenspielen des
Amphidamas. Sehr weit geht in der An-
nahme von Zusätzen Fick S. 43 ff., so dass
ihm für die echten Werke nur 144 Verse übrig
bleiben.
0 Vgl. V. 34 ff. mit 396.
^) Manche Gottheiten bei Hesiod, die
Homer nicht kennt, erweisen sich durch die
vergleichende Mythologie als uralt und arisch,
wie yAJila = lat. Vesta, ^'O^Sgog — skt.
Vrtras, 'PeTa = skt. urm (breite Erde), KeQ-
ßegog — skt. sarvaras, woraus sabalas, der
scheckige Hund Yamas, nach Bknfey, Vedica
149 ff. Hingegen weist auf Eleinasien hin
die XifiaiQa und der Tr^wci»?, auf Aegypten
die 2(piy^, auf die Semiten 'läneiog und
Kd^fiog. Diese fremden Bestandteile der
Theogonie dürfen uns angesichts des ägyp-
tischen Namens Srjßai und der ägyptischen
Omamentmuster in der von Schliemaun
ausgegrabenen Schatzkammer von Orcho-
menos nicht auffallen. Selbst bei Homer
finden sich schon einige orientalische Namen,
wie Tvfffoevqy Kififiigioij W/^^wr, andere
später verbreitete, wie KdßeiQoi, "AdwyiS:
MsXixiQxrjSy ygvnes, finden sich auch bei
Hesiod noch nicht.
") Hesiod heisst ^eoXoyog und o ngtotor
^eoXoyijactg bei Aristoteles Met. p. 983^ 29
u. 1000^ 9. Dass es vor Hesiod schon Theo-
gonien gegeben habe, ist sehr unwahrschein-
lich, wenn auch einzelne Stellen des Homer,
namentlich die Jiog dnaitj, zeigen, dasa
schon vor Homer theogonische Anschauungen
und Hymnen in Umlauf waren; s. Schömahn,
Comparatio theogoniae Hesiodeae cum Ho-
merica, Opusc. U 25 — 29.
*) So sind zu fassen die Fesselung des
Zeus in der Luft und seine Befreiung durch
die Wassergottheiten Thetis und Briareos
in J 397 ff., die 350 schwaizen Rinder (Nächte)
und die 350 weissen Schafe (Tage) des
Sonnengottes /u 128 ff. Diese kosmogonischen
Ideen des Mythus gehen in die indogermanische
Vorzeit zurück; der in den Veden geschil-
derte Kampf des Vrtras und die Erbeutung
der Rinder beziehen sich auf die Gewitter-
wolke und die von ihr verdeckten Sonnen*
strahlen; die Giganten- und Titanenkämpfe
der Griechen berühren sich mit dem Kampf
des Indras und der Rakshasas bei den Indem
und des Donar und der Riesen bei
Altvordern.
A. Epos. 6. HesiodoB. (§ 68.)
95
Legenden der Tempelpriester dem Dichter noch manche andere allegorische
DDd philosophische Idee an die Hand gegeben haben, wie insbesondere
die hohe Stellung, die Hesiod in seiner Theogonie dem Eros anweist (Y
120 f.), mit dem Kultus dieses Gottes in Thespiä zusammenzuhängen
scheint.^) Durchgeführt ist der Plan in folgender Weise: In der Ein-
leitung (1 — 115), welche aus der Verschmelzung von zwei Ehapsoden-
proömien , einem an die helikonischen und einem an die olympischen
Uusen, entstanden ist,») wird die Anrufung der Musen mit der Dichter-
veihe des Sängers sinnig in der Art verbunden, dass die nachfolgenden
Ferse nur als Nachklänge des Musengesangs erscheinen. Mit Vers 116
beginnt das alte Gedicht, welches anfangs lediglich mit gestaltlosen Ab-
straktionen von Naturkräften operiert (Kosmogonie), aber im weiteren
Verlauf auch altertümliche Gestalten der Mythenwelt und Personifikationen
ethischer Begriffe hereinzieht (116—452). Im Anfang war dem Hesiod das
Chaos (die Leere oder der gähnende Schlund), sodann die breitstimige Erde
{raTa)^ die dunklen Abgründe ( Tagraga, ursprünglich Westland bei Tartessus)
and der Allbezwinger Eros (Liebesgott); aus dem Chaos entstanden die Finster-
nis CE^ßog) und die Nacht (iVvJ), aus der Erde der Himmel {OvQavog), die
Berge und das Meer (Ilortog), Von diesen ürelementen werden im folgenden
als göttererzeugende Kräfte nur verwandt Erde und Himmel (152 — 210), die
Nacht (211—232), der Pontes (233—370), so dass aus ihnen mit oder ohne
Liebesvereinigung neben abstrakten Wesen wie Themis, Thanatos, Eris,
Nike, Nemesis, auch Gestalten der Mythologie, wie Eyklopen, Erinyen,
Moiren, Gorgonen, Kronos, Nereus, Kerberos, hervorgehen. Angehängt ist
diesem ersten Abschnitt der Theogonie ein Nachtrag von den Abkömm-
lingen der Kinder der Gäa und des Uranos, der Thetys, Theia, Krios,
Koios, Phoibe') (211 — 276). Der trockene Ton dieser Partien, der durch die
parallele Anordnung der Sätze mehr an Durchsichtigkeit als eigentlicher
Schönheit gewinnt,*) wird angenehm unterbrochen durch die breiter aus-
geführten Erzählungen von der Entmannung des üranos (154 — 210), von
der Bezwingung des Geryoneus und der lernäischen Schlange durch He-
rakles (288 — 318), von der feuerschnaubenden Chimäre und ihrer Erlegung
durch Bellerophon mit dem Pegasos (319—325). — Von Vers 453 an
*) Die theosophische Allegorie ist älter
ils Hesiod. Die XaQtreg oder Holdgottiieiten
sind ans den sinnlichen Gestalten der falben
Sonnenpferde (harüas) entstanden (s. G. Cüb-
TIU8, Etjm.^ p. 121), und der menschenfreund-
liehe Fenergott Prometheus hat sich aas der
Anachannng eines Werkzeugs der Feuerberei-
tong entwickelt (s. Ad. Kubk, Herabkunft des
Feuers). Nach Mfillers Vermutung bedeutete
auch der thespische Eros ursprQnglich den
SoimeDsirahl, skt. artisha.
*) Dass das 1. Prodmium in seiner ur-
^rtnglichen Gestalt (1—4. 9—12. 22—24.
26—34) nachhesiodisch sei, wage ich nicht
lait der Zuversicht der neueren Kritiker zu
^whanpten; bekannt war dasselbe schon dem
Interpolator der Erga V. 659. Nach Plutarch,
QoMiL conv. 9, 14 wurde ein Teil des Pro-
, V. 36—67, als besonderer Hymnus
gesungen. Drei Prodmien und drei Theo-
gonien will 0. Gruppe, Die griech. Kulte I
597 ff. herausfinden, deren Zusammenstellung
in Korinth unter dem Tyrannen Periander
erfolgt sein soll.
') Der Nachtrag, der eigentlich schon
nach V. 136 erwartet wurde, enthält Götter-
namen, die man schwer entbehrt, wie Helios,
Eos, Leto, so dass man ihn wohl dem Hesiod
selbst beilegen muss; aber sehr verdächtig
ist der in diesen Anhang- wieder hineingelegte
Anhang von dem Styx 383—403.
*) Namentlich in dem ersten kosmogoni-
sehen Teil (116—152) lässt sich durch Aus-
scheidung leicht erkennbarer Interpolationen
(122. 128. 130. 136. 138. 144 f. 215 f. 218 f.)
eine Anordnung in dreizeilige Strophen sicher
herstellen.
i
96 GriMhisohe Litteratiirgeaohiohte. I. KlaMUsche Periode.
treten wir in den Olymp der lichten Gottheiten ein: wir hören zuerst von
der Geburt des Allvaters Zeus und seiner Geschwister Hestia Demeter
Hera Hades und Poseidon (453 — 500), im Anschluss daran von der
gegenseitigen Befehdung der mächtigen Kroniden und des listigen Pro-
metheus (501—616), von den gewaltigen Kämpfen des Zeus mit den
Titanen jjnd deren Verstossung in den Tai-tarus (617—819), von den
Frauen und Kindern des Zeus und der übrigen Kroniden (886—962). In
diesem Teile des Gedichtes erhebt der reiche Stoff den Dichter von selbst
über die sterile Form langweiliger Aufzählung und Belehrung. Nament-
lich in dem Titanenkampf wetteifert er nicht ohne Glück mit Homer,
freilich mehr in grossartigen Entwürfen und gigantischen Ausdrücken als
in anschaulicher, farbenreicher Schilderung. — Den Schluss des Gedichtes
bildet ein locker angereihter Anhang von den Göttinnen, welche mit
sterblichen Männern Heroen und Heroinnen geboren haben (963 bis
1022); derselbe sollte den Übergang der Theogonie zu dem Katalog der
Frauen anbahnen.
Ein einheitlicher Faden zieht sich auf solche Weise wohl durch das
ganze Gedicht, aber deshalb ist dasselbe doch noch weit entfernt von
einem kunstvollen Ganzen mit einheitlichem Ton. Die Vereinigung von
trockenen Aufzählungen und breitausgeführten Kampfesscennen ist störend ^)
und von den 1022 Versen ist ein guter Teil auf späte Interpolation zurück-
zuführen.*) Von später Hand rührt vor allem der Anhang (963 — 1022)
her, der sich schon durch die Namen der Tyrrhener (1016) und des La-
tinus (1013) und die Anspielung auf die Aithiopis (984) und die Kypria
(1008 — 1010) als eine jüngere Dichtung kund gibt.') Sodann unterbricht
die Typhonsage (820 — 880) in störender Weise den Zusammenhang und
war daher, wenn sie auch von Hesiod herrührt und durch einen Ausbruch
des Ätna zur Zeit des Dichters veranlasst war, nicht für diese Stelle und
schwerlich für die Theogonie überhaupt bestimmt. Des weiteren ist entr-
schieden jüngeren Ursprungs die zu weit ausgedehnte Stelle über Hekate
(411 — 452), die wahrscheinlich aus einem gesonderten Hymnus auf diese
Göttin herstammt. Zweifelsohne ist endlich, um kleinere Interpolationen
nicht weiter zu berühren, das Proömium durch Einschiebung von Hymnen-
resten auf die olympischen Musen erweitert.*) Was den Verfasser der
Theogonie anbelangt, so hat das ganze Altertum, mit Ausnahme der Ge-
währsleute des Pausanias IX 31, 4^) dieselbe für ein Werk des Hesiod an-
gesehen, inbesondere der Geschichtschreiber Herodot, wenn er II 53 sagt:
^) Ein Mangel ist es auch, dass V. 935
(8. y. 121) plötzlich Menschen auf der Bild-
fläche erscheinen, ohne dass zuvor von ihrer
Erschaffung die Rede gewesen; auch begreift
man nicht, wie die Sterblichen sich fort-
pflanzten, ehe Zeus die Frau zum Unheil der
Menschen schuf.
'^) A. Meter, De compositione Theo-
goniae, Berl. 1887.
») Der fehlerhafte Vers 1014 Trj'keyoyov re
tiixxe diu jjfptxrfiyK U(pQodirt]y fehlt in dem
massgebenden Cod. Mediceus, kann also nicht
Telegonie herabzudrücken. Natürlich ist mit
Anfügung des Anhanges zugleich der alte
Schluss der Theogonie nach 962 oder, wie
andere annehmen, nach 955 weggefallen.
*) Die alte Theogonie Ifisst auf einen
oder vielmehr zwei kleine strophisch kom-
ponierte Teile zusammenschrumpfen Köcblt,
De diversis Hesiodeae Theogoniae partibua
(1860), in Opusc. p. 244—288. Fick nimmt
drei ältere Gesänge der Theogonie von je 144
Versen an.
^) An einer anderen Stelle VIII 18, 1
verwendet werden, um den Anhang unter die , unterdrückt Pausanias selbst den Zweifel.
A.Epo8. S.Hemodos. (§69.) 97
"B^Mog xai "OfAr^^ stciv oi noifjaawsg ^coyorir^v 'EXXf^at tuxI voict &€oi(n
rag imavvfiiag iovteg xal nfiag %€ xal xtyiyttg StsXovreg xai &iea avvdiv
af^fiffVttvregJ) In unserer Zeit hat Schömann die Zweifel des Pausanias
wieder aufgenommen und die Theogonie für eine Komposition aus dem
pisistratischen Zeitalter erklärt.^) Von einer so späten Zeit kann nun gar
keine Kede sein; dagegen spricht schon ein untrügliches Zeugnis, die
Sprache und das Digamma. Aber überhaupt die Theogonie dem Hesiod
abzusprechen, ist übertriebener Skeptizismus. Für die Gleichheit des
Dichters der Theogonie und der Werke sprechen die wesentlich gleiche
Sprache und der Eünweis auf die gleiche Heimat am Helikon (Th. 2, Op. !
639) in der Nähe von Thespiä (Th. 120 ff.). Die Abweichung des Mythus i
Ton der Erschaffung des Weibes, indem in der Theogonie 570 — 612 das |
Weib im allgemeinen, in den Werken 47 — 104 das bestimmte Weib I
Pandora geschaffen wird, ist ohne Belang; überdies ist die betreffende
Stelle der Erga durch Interpolationen stark verwirrt.')
69. Fvvaixwv xatdXoyog hiess das dritte, leider nicht erhaltene
Hauptwerk des Hesiod. Mit demselben scheint die Aufzählung der be-
rühmten Frauen der Unterwelt in Homers Nekyia Od. XI 235—327 zu-
saounenzuhängen. Frauenkatalog hiess das Werk, weil es ein zum Her-
sagen {xttxaXäytiv) bestimmtes Verzeichnis der sterblichen Frauen enthielt,
welche mit Göttern Heroen geboren hatten; es bildete also gewissermassen
eine Ergänzung derjenigen Partie der Theogonie, welche von Heroen
bandelt, die von Göttinnen und sterblichen Männern stammten, wie von
Telegonos, ^dem Sohne der göttlichen Eirke und des sterblichen Odysseus,
oder von Äneas, dem Sohne der Aphrodite und des Anchises. Wie die
Theogonie, so bestand auch der Katalog aus kleinen, locker aneinander
gereihten Absätzen in der Manier der hesiodischen Schule, und bildete in
einer Zeit, wo es noch keine Staatengeschichte gab, ein versifiziertes Lehr-
buch der Heroengeschichte. Das Ganze bestand aus fünf Büchern, von
denen die beiden letzten den Spezialtitel *H6iai, hatten. Der Titel *Hoiai^^)
der sicher dem vierten Buch des Werkes, wahrscheinlich den beiden letzten
zukam, ^) hatte seinen Grund darin, dass die einzelnen Absätze mit ^ oltj
anfingen, wie
^ oirjf» ^Yq(r^ Boioytiti itQSifB xovqtjv»
') Bas älteste Zeugnis f&r den gleichen
Yahaßer der Werke und der Theogonie liegt
in dem Vers Op. 659 ^y^a fie 16 nQiäxov
^r^9V^ inäßijöay aoi^g, der offenbar auf den
liiipog der Theogonie hinweist, und, wenn
nch anecht, doch jedenfalls aus alter Zeit
itBDiiiit. Auch in Op. 48 ist ein stillschwei-
geader Hinweis auf die ausf&hrliche Erzäh-
bnig vom Betrog des Prometiieus in Theog.
^35->.553 enthalten. Einen verschiedenen Ver-
fiuner hat fOr die Theogonie unter den Neueren
WiLCKXR, fies. Theog. 57, angenommen.
') ScBÖMAKN, De compositione Theogoniae,
in Oposc. n 475 ff., und in seiner Ausgabe der
The^onie S. 20 ff. Redaktion althesiodischer
md sonstiger in die Theogonie einschlägiger
Bnidistdeke durch Onoinakritos nimmt an
Qbbhabd, Üeber die hesiodische Theogonie,
in Abhdl. d. Berl. Ak. 1856.
») Die ünechtheit von V. 69—82 ist nach-
gewiesen von R. Scholl, Satura crit. Sauppio
oblata p. 133—47. ^
*) MsydXat ^Hottti bei Paus. II 2, 3 und
IX 31, 7 und Schol. ApoU. II 181 und IV 57
war nach Ealkmanns Vermutung (Rh M. 39,
563) Titel des Gesarotwerks; anders Bergk,
Gr. Litt. I 1003 u. 1011.
') Arg. Scuti III: xijs 'Aani&og ij kqxv
iv IM ö' xniakoyut g^eQCiaiy der Anfang des
Schildes beginnt aber mit 97 ol'tj. Daher ver«
diente sicher das 4. Buch des Katalogs den
Spezialtitel 'Rotai. Da femer das 3. Buch
des Katalogs den Eden vom Scholiasten zu
Apoll. II 181 entgegengesetzt wird, so nahm
Httdbocb der klaai. Altertumswlaseoachaft. VII. 3. Aufl. 7
98
Grieohiflche LitUraturgesohiohte. I. KlaMÜiohe Periode.
Da die Angaben des Katalogs und der Eöen nach dem Zeugnis des gut-
unterrichteten Scholiasten zu Apollonios 11 181 und IV 57 öfter sich
widersprachen, 1) so ist es wahrscheinlich, dass es ursprünglich zwei ver-
schiedene Werke gab, Fvvaixtöv xardXoyog und *HoTai, und dass dieselben
erst später, wahrscheinlich erst in Alexandria, des verwandten Inhaltes
wegen zu einem Gesamtwerk mit dem Titel KardXoyog oder *HoTat fieyahu
vereinigt wurden. ') Der Plan der beiden Werke, an dem Faden berühmter
Frauen eine Heroengeschichte zusammenzuweben, hängt mit der besonderen
Verehrung der Frauen bei den Lokrern zusammen, da bei diesen die Ge-
rechtsamen des Adels von der mütterlichen, nicht der väterlichen Abstam-
mung abhingen ; ^) im Lande der Lokrer aber starb Hesiod, wie wir oben
sahen, und dort hat sich auch seine Schule am kräftigsten entwickelt. Der
Mythenschatz der beiden Dichtungen, der für die Lyriker und Tragiker der
nachfolgenden Zeiten eine unerschöpfliche Fundgrube bildete, reichte weit
über den Horizont der äolischen und ionischen Epiker Kleinasiens hinaus,
er umfasste die Sagen aller Stämme, der lonier nicht minder als der Achier
und Äolier.^) — An der Echtheit des Katalogs haben selbst die besten
Kritiker Alexandriens nicht gezweifelt. Philochoros (Strab. p. 328) und
Apollodoros (Strab. p. 370) führen unbedenklich Stellen daraus als hesio-
disch an;^) demnach scheint auch Aristarch, der Lehrer des Apollodor,
keinen Zweifel an der Echtheit gehegt zu haben. ^) Nur Pausanias IX 31, 4
spricht denselben auf Grund der Aussagen seiner Führer am Helikon dem
Hesiod ab. Gegen die Echtheit der Eöen haben eher die Grammatiker
Bedenken erhoben, wie man aus der zweifelnden Wendung des alten
Scholiasten zu Pind. P. III 14 iv toig slg ^HafoSov dvaffsqofihvoic sneaiv
ersieht. Jedenfalls aber macht die Vertrauensseligkeit des Philochoros
und Apollodor ihrem kritischen Scharfblick wenig Ehre, da viele der er-
haltenen Fragmente nicht von Hesiod herrühren können und einer jüngeren
Periode angehören müssen. Uns selbst ist ein festes Urteil erschwert,
da wir nur Bruchstücke haben und weder wissen, in welchem Verhältnis
die fünf Bücher zu einander standen, noch inwieweit ihr ursprünglicher
Bestand durch Interpolationen alteriert war. Denn dass Inpolatoren auch
hier ihr Unwesen trieben, lässt sich bei der Anlage des Werkes von vorn-
herein vermuten') und wird durch sprachliche Unterschiede zur Gewiss-
Mabckbcheffbl, Hes. Eiim. fragm. c. 11 an,
dass ursprünglich der rw. xnx. die 3 ersten,
die 'Holm die 2 letzten Bücher des spftter ver-
einigten Gesamtwerkes gebildet haben.
^) Marckscheffel p. 106 fP.
'^) Hesychios 'Hoiai,' 6 xarukoyog '//<rto-
dov, und Et. Gud. ^HoTai ' büxi xatciXoyog
^Haiodov.
») Polyb. XII 5 nach Aristoteles: oit
itdyra t« iut -nQoyovfay eydo^a 7F«(»' avrotg
(ino X(av ywuixtüv, ovx «tio TcJr «vdQoiv
laxoQovVy olov svt^eais svyevelg naQa afpiai
yofAiCeoBai rovg äno roJr ixmoy oixtcSy Af-
yofjiiyovq xxX. Vgl. Pind. Ol. IX und Lübbbbt,
De Pindaro Locrorum Opuntiorum amico et
patronO) Bonn, Ind. schol. 1883.
^) Dem Reichtum der Mythen des £ata
logs und der £5en steht der gleiche Reich-
tum in den Reliefdarstellnngen der um die-
selbe Zeit entstandenen Kypseloslade zur
Seite; auch dort stunden Scenen aus den
Sagen von Troja und Theben, Herakles und
Theseus, Pelias und Medea nebeneinander.
^) S. Mabckschbffbl p. 132 f. Asklepia-
des in Anth. IX 64 schreibt dem Hesiod zu
fjLaxaQOiy yiyog (Theog.), e^ya (Erga) und
yivog dQ/(tla)y i^Qoiwy (Katalogos).
") Auch Lukian ngog 'Haio&oy 1 erkennt
das Werk unter dem Titel yvymxiJy d^ertti
als echt an.
^) Von interpolierten Versen spricht Plot
Thes. 20 und Paus. U 26, 6.
A.Bpo8. S.HesiodoB. (§70.) 99
heit erhoben. Während z. B. in anderen Fragmenten das Digamma des
Pronomens der dritten Person noch fest haftet, ist dasselbe Fr. 82, 2
ganz vernachlässigt.^) Stand Fr. 81, welches sich auf die Gründungs-
geschichte von Eyrene in Afrika bezieht, im alten Katalog, so muss man
mit der Abfassungszeit desselben bis unter das Gründungsjahr von Eyrene
Ol. 37, 2 (630 V. Chr.) herabgehen.*) Übrigens führt auch ein anderes
Anzeichen, das Fehlen des Gürtels im Ringkampf der Atalante, das die
Scheuen zu Hom. 9 683 bezeugen, auf die Zeit nach Ol. 15. Und da
auch die geographischen Notizen und die Weiterbildung der Mythen ') auf
verhältnismässig späte Zeit hinweisen, so werden wir trotz des altertüm-
lichen Charakters der Sprache ^) nicht an eine Abfassung vor dem Ende des
7. Jahrhunderts denken dürfen. Von den beiden Gedichten pflegt man die
Eöen für jünger als den eigentlichen Katalog zu halten; wir können nur
so viel mit Bestimmtheit sagen, dass zunächst nur der letztere bestimmt
war, an die erweiterte Theogonie angeschlossen zu werden.*) Auch ver-
dient es Beachtung, dass die Stelle, welche auf das jüngste Datum, die
Gründung von Kyrene, hinweist, in den Eöen stand. ^)
70. 'Aanig ^HQaxXtovg in 480 Versen trägt den Namen des Hesiod,
wiewohl schon der Grammatiker Aristophanes die Unechtheit erkannte.'')
Das Proömium (1 — 56) ist, wie uns die alte Hypothesis lehrt, aus dem
vierten Buch des Frauenkatalogs herübergenommen und hängt nur locker
mit dem Hauptinhalt des Gedichtes zusammen, so dass es erst nachträg-
lich demselben vorgesetzt zu sein scheint. An das Proömium schliesst
sich in ganz äusserlicher Weise die Erzählung vom Kampfe des Herakles
mit dem Unhold Kyknos im pagasäischen Hain des Apollon an, bei welchem
Kyknos unterliegt und Ares selbst, während er seinen Sohn beschützt, ver-
wundet wird. Den grössten Teil des Gedichtes aber nimmt die Beschrei-
bung des Schildes des Herakles ein, wovon dasselbe auch seinen Namen
hat Dass damit der Autor ein Seitenstück zum Schild des Achill liefern
wollte, hegt auf der Hand, aber ebenso auch, dass er damit weit hinter
) Fr. 80, 6, wo die gleiche YemachlAssi- sprochen wurde, was sich auch in dem
gong begegnet, ist koirapt; hingegen ist in
der E5e der AUnnene das Digamma bewahrt
(8. 8cDt 11. 15. 20. 22. 34. 38. 40. 45).
') EiKCHHOFF, Odyssee 315 ff. a. Nibsb,
hAw. d. hom. Poesie 223 setzen den Katalog
zwisdien OL 40 n. 50.
*) In beachtenswerter Weise stimmen
2. Hymnus auf Apoll geltend macht.
') Vielleicht ist der Anhang der Theo-
gonie V. 963—1022 vom Verfasser des Ka-
talogs selber gedichtet. Darauf führt die
erweiterte Kenntnis von Italien (Th. 1014—6)
und die Benennung des Cheiron nach der
Mutter, *iXvQidrjs, in Th. 1002.
beiQglich der Zwölfeahl der Kinder des Ne- *) Aus der alezandrinischen Zeit werden
leiis die junge Homerstelle A 692 und Hes.
fr. 45 fiberein. Die Erwfthnung der Pyg-
Dien, Makrokepfaaloi und anderer Wunder-
menachen fllhrt mit Recht Marckscheffel
p. 137 auf die von Herodot IV 152 erwähnten
von Ath. 590 b erwfthnt 'HoToi von Sosikrates
und ein Tvyaixbiv xaiaXoyoq von Nikainetos.
') Argum. IH: vntanxsvxB di 'Jquito-
(fdytjg 6 ygttfAfiajixog (og ovx ovaay apxrjy
Hatodovy (iXX* irtgov uyog xrjv 'O/AtjQixtjy
fahrten des Samiers Korobioe (Ol. 30) zurück. ; aanlda fAifAtjanaf^ai ngoaiQovueyov. Die Echt-
Avf der anderen Seite weist die Nichter
wilminig der Arimaspen, Greifen und Hyper
Weer auf die Zeit vor Aristeas aus Pro
komiesoe.
*) Dabei ist aber zu beachten^ dass das
IHguuna in der Heimat der hesiodischen ' FV 315.
Sdmle noch weit Ifinger als in lonien ge- i
heit verfocht dagegen mit Berufang auf den
Katalog der Grammatiker Apollonios. Zweifel
an der Echtheit hegen auch Ps. Longin de
suhl. 9, 5, der anonyme Grammatiker in
Bbkkeb An. gl*. 1165 u. Gramer An. Ox.
i
100 Qrieohiaohe LitUratnrgMohiohte. I. Klaseisohe Periode.
Homer zurückgeblieben ist. Ein Hauptfehler besteht, wie Lessing im
Laokoon uns gelehrt hat, darin, dass, während Homer den Schild vor
unseren Augen entstehen lässt, hier die fertigen Bilder des Schildes in
ermüdender Beschreibung uns vorgeführt werden. Ein Fortschritt der
Kunst liegt in der Art der Schild Verzierung: bei Homer sind es Bilder
des Lebens, genremässige Scenen des Krieges, der Weinlese, der Hochzeit,
bei Hesiod mythologische Gestalten, Herakles im Kampf mit den Schlangen,
Streit der Lapithen und Kentauren, Apoll inmitten der Musen, der be-
flügelte Perseus verfolgt von den Gorgonen u. a. Dieselbe Stufe der Kunst
treffen wir auf dem Kypseloskasten (Paus. V 17—19), so dass eine Wechsel-
beziehung der Dichtung und Bildnerei unbestreitbar ist.^) Auf der an-
deren Seite lebte der Dichter des Schildes vor Stesichoros und Pisander,
von denen der erste nach der Hypothesis irgendwo des hesiodischen
Schildes gedacht hat,*) der zweite den Herakles nicht mehr wie unser
Dichter mit Schild und Speer, sondern wie die ganze Folgezeit mit Keule
und Löwenfell darstellte. Das Gedicht mag daher noch vor 600 ent-
standen sein. In der Sagengeschichte nimmt dasselbe insofern eine be-
bedeutsame Stellung ein, als in ihm alles sich um den Ruhm des Herakles
dreht. Es traten nämlich bei den Griechen, wie in der Religion so auch
in der Sage zu verschiedenen Zeiten verschiedene Personen in den Vorder-
grund. Herakles, von dem bei Homer und den äolisch-ionischen Dichtem
noch kaum die Rede war, ist als Stammheros der Derer mit dem Wachsen
des dorischen Einflusses zu Ehren gekommen. Die Sage von seinen
Heldenthaten hat sich auf der Insel Kypern durch Amalgamierung des
griechischen Heros mit dem phönikischen Gotte Melkart entwickelt.')
Aber schon früher erzählten die Derer, die zur Zeit des Aufblühens der
Chorlyrik auch in der Litteratur steigenden Einfluss errangen, von den
Thaten ihres Stammesheros im Peloponnes und in Mittelgriechenland.
71. Ausserdem wurden dem Hesiod noch mehrere andere, aus seiner
Schule hervorgegangene Werke zugeschrieben, von denen uns nur spär-
liche Reste erhalten sind, nämlich:
Krjvxog ydfiog, Hochzeit des Herrschers von Trachis, welcher auch
Herakles beiwohnte.*) Die Echtheit wurde schon von Athen. 49 b und
Plut. Sympos. VIII 8 angezweifelt.
^Enix^ctkufAiov elg IltjXea xal &6Tiv.
Qr^abwg slq "Aidov xataßaaig^ erwähnt unter den unechten Werken
von Pausanias IX 31, 5.
^) Bronn, Die Kunst bei Homer und
ihr Verhältnis zu den Anfängen der griech.
Kunstgeschichte, Abh. der bayer. Ak. XI 17 ß.;
LöscBKE, Arch. Zeit 1882, S. 46 ff.; Sittl
ebenda 1887, S. 182 ff.
*) Argum. III: waavxcog d^ xal Zxrjal-
XOQog (ftjaiy 'Haiodov eiyai, ro noirj/na. Der
Name Stesichoros ist allerdings in dem Satz
nicht ohne Anstoss und vielleicht aus dem
indes Mabckscheffbl p. 149 f.
') Namentlich ist die Sage vom Kampf
des Herakles mit dem Löwen und der
Schlange aus Kj^m und den Melkartdar-
stellungen der dort neben den Griechen
wohnenden Phönikier zu den anderen Orten
Griechenlands getragen worden ; a. Furt-
WANGLBB in Röscher, Mytholog. Lexikon I
2144.
Namen eines Grammatikers verderbt; siehe , *) Vgl. Scut. 355 f.
A. Bpoa. 6. HesiodoB.
71-73.)
101
Myfiuoc.^ von anderen dem Milesier Eerkops beigelegt,^) der in der
Zeit des Onomakritos lebte und dem Fick auch die jetzige Fassung der
Theogonie und der Erga zuschreibt. Das Gedieht behandelte den Kampf
des AJgimios mit den Lapithen.
MsXafinoSta in mehreren Büchern, benannt von dem pylischen Seher
Melampns, dessen Geschlecht wie in die Telemachie und Thebais so auch
in die Gründungssage von Kolophon verflochten war. Unter anderem war
in dem Epos ähnlich wie in dem 'Ayoiv ^Hisiodov xai ^OfA^gov ein Wettstreit
der Seher Ealchas und Mopsos vorgeführt.^)
XsfQoyrog v/rov^jjxa», ein griechischer Ritterspiegel, der im Unterricht
der Knaben eine grosse Bolle spielte, so dass ihn Isokrates ad Nicocl. 43
mit Theognis und Phokylides zusammenstellt. Auch Pindar F. 6, 21 ff.
spielt auf ihn an, indem er aus ihm den an die Zehngebote erinnernden
Spruch anführt: „Nebst dem Herrscher Zeus ehre zumeist die Eltern."
Nach Quintil. I 1, 15 hat Aristophanes Byz. das Gedicht dem Hesiod ab-
gesprochen.
*O^H&ofAavT€fa, dem Schluss der Erga nach dem Zeugnis der Scholien
angefügt, von Apollonios Rhodios aber verworfen. »)
MeydXa iQya^ ^Aaxqovofiia^*') JdxzvXoi 'iSatot^ Fijg nsQiodog, lauter
apokryphe Schriften.
72. Aufgenommen ist in die neueren Hesiodausgaben auch der Uyoiv
'HfrioSov xal VfirJQov, oder der Wettstreit des Hesiod und Homer bei den
Leichenspielen des Königs Amphidamas in Chalkis. Die Prosadichtung
stammt aus der Zeit des Kaisers Hadrian, dessen Namen sogar in der-
selben vorkommt, <^) geht aber auf eine ältere Erzählung des Rhetors Al-
kidamas zurück. Zum Wettstreit werden alte und neugeschmiedete Verse
der beiden Dichter vorgeführt; Sieger bleibt nach dem Schiedsspruch des
königlichen Preisrichters Hesiod, der Begründer der lehrhaften Poesie,
während die Zuhörer sich mehr für Homer erwärmen. Angeknüpft sind an
den Wettkampf die weiteren Schicksale der beiden Dichter Hesiod und
Homer. Nach einer Stelle des Plutarch, Conv. sept. sap. 10 galt Lesches
als Verfasser des Wettkampfs, was aber wohl auf einer Konfusion mit
dem Wettstreit des Lesches und Arktinos (s. § 57) beruhen wird.
73. Die Gedichte des Hesiod wurden gewiss ebenso wie die des Homer
anfangs mündlich fortgepflanzt; nur so ist die Überwucherung des Ur-
sprünglichen durch fremdartige Zusätze erklärlich. Früh verbreitete sich
£e Kenntnis derselben auch über das griechische Festland hinaus nach
dem ionischen Kleinasien, wie die Einreihung des Milesiers Kerkops in
den Kreis der hesiodischen Dichterschule und der Einfluss der Erga auf
die Entwicklung der iambischen Poesie entnehmen lassen. Dass die schrift-
*) Ath. p. 50ad; Diog. U 46 führt ans
Ari8tofcel«6 an: K^Qxwtff'HcU^i^ Cfi^yri, ttkev-
») Vgl Sfcrab. p. 642.
*) So Proklos za Hes. Erga 824.
*) Die Astronomie, vor 500 entstanden,
eodiielt bereäs die Anfinge der Stembflder-
ngen, worüber Rbbm, Mythogr. Unters.,
Manchen MGProgr. 1896 p. 86 ff. Dagegen
Ifisst Maass, Aratea, Phil. Unt. XII 268 sie
erst später „vielleicht erst nach Arat* ent-
standen sein.
*) p. 858, 19 QOttl.: önsQ dxfjxoa/Äer
int tov &eiotdrov avroxQaroQog *j4dQiayot
siQTjjLi^voy vn6 jij^ BvO-la^ n$Qi ^OfiiJQOv,
102
Grieohisohe Litteratargesohiobte. I. Elassiaohe Periode.
liehe Redaktion von Peisistratos ausging und dabei auch Onomakritos be-
teiligt war, ist eine blosse Vermutung, die sich hauptsächlich auf die
Nachricht des Plutarch Thes. 20 von der Tilgung eines Verses durch Pei-
sistratos stützt und an der Konformität des homerischen und hesiodischen
Textes einen Anhalt hat. Gewiss cj^er werden schon zuvor von Hesiod,
noch mehr als von Homer, Aufzeichnungen einzelner Partien bestanden
haben. Die Leute am Helikon zeigten dem Pausanias IX 31, 4 eine Blei-
tafel, auf welcher die Erga ohne das Proömium geschrieben waren. In
der Zeit nach Peisistratos wurden die Werke des Hesiod, die echten, wie
unechten, als eine Fundgrube für Fabelgeschichten und als ein Schatz
von Lebensweisheit 1) in Schule und Haus fleissigst gelesen und aus-
wendig gelernt. Von einer kritischen oder kommentierenden Behandlung
des Dichters aus jener Zeit hören wir nichts; nur dass der Philosoph
Xenophanes ihn als den Begründer der falschen Vorstellungen von den
Göttern heftig befehdete,') und der Logograph Akusilaos ihn in Prosa
umsetzte und berichtigte. 3) In der alexandrinischen Zeit ward neben
Homer auch der Text des Hesiod von den hervorragendsten Kritikern,
Zenodot, Apollonios Rhodios, Aristophanes, Aristarch, Krates, Seleukos,
bearbeitet. Aristophanes und Aristarch setzten auch bei ihm ihre kri-
tischen Zeichen, die dann in ähnlicher Weise wie bei Homer den Aus-
gangspunkt für die Kommentare des Didymos und Aristonikos bildeten.*)
Natürlich bot sodann die Götterlehre des Hesiod den Stoikern und Neu-
platonikern willkommene Gelegenheit zu allegorischen Erklärungsversuchen.
Plutarch, der Landsmann und Verehrer Hesiods, schrieb vier Bücher
Kommentare zu den Werken, welche die Grundlage der erhaltenen Scholien
des Neuplatonikers Proklos (5. Jahrhundert) bildeten. Im byzantinischen
Mittelalter fehlte es nicht an Erklärern der Erga und der Theogonie,
aber die Kommentare des Tzetzes, Moschopulos, Planudes und die Ui.Xt^-
yoQ(ai dg ttjv tov "^HaioSov Geoyoviav des lo. Diakonos Galenos (11. Jahr^
hundert)*^) verarbeiteten nur den überkommenen Stock alter Scholien, so
dass es die Aufgabe der modernen Philologie war, wieder den Kern alter
Gelehrsamkeit aus der Umhüllung byzantinischer Geschwätzigkeit heraus-
zuschälen.
Codices: Der ftlteste and beste Codex ist ein Mediceus 31, 39 s. XII (enthält Hesiodi
Op. u. Oppiani Halieut.); ilun stehen znnftchst ein zweiter Mediceus 32, 16 s. XIII (enth<
Theog. Scut. Op., Nonnos etc.)» Ambros. C 222 s. XIII (Op. und Scut.) und Messanioa s. XIV
(Op.); ftir Theog. n. Scut. 2 Pariser Codd. vom Athos N. 663 u. 679, besprochen von Sittl,
Stzb. d. b. Ak. 1889, S. 351 ff. Kritischer Apparat in den Ausgaben von Köchlt-Kinksl,
Lips. 1870, RzACH in Bibl. Schenk. 1884, Sittl, Athen 1890. — Rzach, Die handschriftliche
Ueberlieferung der hesiodischen Theogonie, Wiener Studien XIX (1897) 1 ff.
*) Der Elegiker Hennesianaz V. 22 nennt
den Hesiod ndatjg rJQoyoy laroQirjg.
<) Sext. Emp. I 289 u. IX 193; Athen.
462 f.; Diog. 11 46: K^^xtoif; 'B<ti66i^ C(^yti
(sc. iq)iXoyeix6i)t reXBvrijaayTt' ifi 6 nQoeiQr^-
fiivog Scyofpaytjg,
») Clem. Alex ström. VI p. 267: rd
'Haiodov fzsTijXXtt^er ek neCor Xoyov, Joseph.
c. Ap. I 3: oaa &k diioQ&ovto tov 'Haloaoy
*j4xovaiXaoi,
^) Suidas erwähnt von Aristonikos eine
Schrift negi rtSy atjfjLHtoy rtay iy tj Seoyo^^iif
'Haiodov. Die Fragmente zusammengestellt
Yon Flach, Glossen und Scholien zur hesiod.
Theog. S. 100 ff. Did3rmos benutzte besonders
noch die ausführlichen Kommentare des
Seleukos, worüber ebenda S. 112 ff.
') Die Zeit steht nicht ganz fest und
hängt mit der Frage über die Identität des
Pediasimos und (xalenos zusammen; siehe
Eruxbachbb, Byz. litt. 557 ' Anm. 3.
A. Epos. 6. Die späteren Epiker. (§ 74.)
103
Seholien, Aber deren Bestandteile bereits § 78 gehandelt ist, herausgegeben yon Gais-
roBD Poetae graec. min. vol II des Leipziger Druckes 1823. — Glossen und Scholien zur
hesiodischen l^eogonie yon Flach, Leipz. 1876.
Ausgaben: ed. princ. Mediolani 1493; cum notis variorum cur. Lösner, Lips. 1778,
enth< auch die Vita von Robinson; rec. et commentariis instrozit Göttling, ed. III. cur.
Flach, Lips. 1878; ed. Sittl, Athen 1890; Teztausg. mit Comment. crit. von Schömann,
Berol. 1869. - Zerlegung der Gedichte in ihre Teile und ZurUckfOhrung auf ihre ursprüng-
liche Form versucht von Fick, Hesiods Gedichte, Gott. 1887. — Separatausgaben: '^ya
eomineni instr. van Leknep, Amstel. 1843; Die Werke u. Tage des Hesiod von Stbitz,
Leipzig 1869; von Eibchhoff, Berl. 1889 - Die hesiodische Theogonie von Welcher,
£ll)«rfeld 1865; Sohömahv, Berl. 1868. — Hesiodi quod fertur Scutum ed. Ranke, Quedlin-
boig 1840; Dbitbbs, De Hes. scuti descriptione, Bonn 1858; dazu Lbhbs, Pop. Aufs.' 427 £f.
— Hesiodi Eumeli Cinaeihoms Asii et carminis Naupactii fragm. coli Marckscheffbl, Lips.
1840. — Certamen bearbeitet von Nietzsche, Acta Lips. I 1 — 23, dazu Rh. M. 25, 528 £f.
Erläuterungsschriften: Schömanns AbhancUungen zu Hesiod, im 2. Bde. seiner
Oposcacad., Berlin 1857; 0. Gbufpb, Die griech. Kulte u. Mythen I 567—612.
6. Die späteren Epiker.
74. Genealogisches Epos. Mit dem Hingang Homers und Hesiods
ging die Blüte des griechischen Epos zur Neige; im 7. und 6. Jahrhundert
drängte die frisch aufblühende Gattung der elegischen und lyrischen Poesie
das Epos in den Hintergrund. Doch fehlte es auch in dieser Zeit nicht
ganz an Gedichten im epischen Versmass. Ausser den Werken des epischen
Eyklos waren es genealogische Epen, die mehr in dem Geleise der hesiodi-
schen Poesie sich bewegten, aber zum grössten Teil schon bestimmt fass-
bare, historische Namen an der Stime trugen. Aus den Namen der
Dichter und den trümmerhaften Resten ihrer Poesien ersehen wir, dass in
dieser Zeit das Epos die Grenzen seiner alten Heimat überschritt und
auch im Peloponnes Wurzel zu schlagen begann. Insbesondere war es
Korinth, das damals wie in der politischen Stellung, so auch auf geistigem
Gfebiete den Wettkampf mit den übrigen Staaten Griechenlands aufnahm.
Es war eben die Zeit, in der die Stadt des Isthmus unter der kräftigen
Führung des adeligen Geschlechtes des Bakchiaden und der volkstümlichen
lyrannen Kypselos (657—627) und Periander (627— -.^87) zu ungewöhn-
licher Macht emporstieg. Die Blüte der epischen Poesie ging dort Hand
in Hand mit dem Aufschwung der Toreutik und Vasenmalerei ; kann man
doch geradezu die berühmten, mit metrischen Beischriften versehenen
Darstellungen der Kypseloslade *) die älteste Bilderchronik der Griechen
nennen. Der berühmteste der korinthischen Epiker war
Eumelos,^) Sohn der Amphilytos aus dem Geschlechte der Bak-
chiaden. Die Blüte desselben wird von den Alten in die Zeit des Archias,
des Gründers von Syrakus, also um 740 gesetzt, *) wird aber kaum vor
Mitte des 7. Jahrhunderts gefallen sein, da doch nach dem ganzen Gang
') Wir kennen dieselhen bekanntlich
M» der Beschreibung des Pausanias V 17 — 19.
*) WiLiscB, Die Fragmente des Epikers
^elo6, Zittauer Progr. 1875, Sporen alt-
konnthischer Dichtungen ausser Eomelos,
Jabb. f. Phü. 123, 161 ff.
^) So demens Alex, ström. I p. 144;
Soaebios setzt ihn Ol. 5 u. 9. Zn diesen An-
pben stimmt im allgemeinen die Ueber-
lieferung (Paus. IV 4, 1), dass er fOr den
König von Messenien Phintas ein Prosodion
gedichtet habe. Fttr sein zeitliches Verhält-
nis zu den homerischen Dichtungen ist
wichtig, dass er schon die milesischen Pontos-
fahrten bis an den Boiysthenes (fr. 17) kennt
und das Digamma geradeso wie der Dichter
der Verse des Eypseloskastens yemach-
lässigt.
104
Griechische Litteratnrgeschichte. L KlasBisohe Periode.
der Dinge die korinthische Dichterschule erst nach der hesiodischen oder
böotischen zur Entwicklung gekommen sein kann. Sein Hauptwerk waren
die KoQiv&iaxdy worin die sagenhafte Vorgeschichte Korinths behandelt
war, darunter auch die Verstossung der Medea und die Heirat des Jason
mit der Kreusa, der Tochter des Königs Kreon von Korinth.*) Dies Ge-
dicht wurde später in einen prosaischen, von Tansanias Hl,! erwähnten
Auszug gebracht. Ausserdem dichtete Eumelos eine EvQtonfa, in der die
Fabel von der Europe, der Tochter des phönikischen Königs Agenor, vor-
kam, und ein ländliches Gedicht Bovyovia. Auch ein Prosodion, also ein
lyrisches Gedicht in Hexametern, das er für die Messenier auf den Gott in
Dolos dichtete, erwähnt Paus. IV 4, 1 u. 33, 3. Die Vermutung des Pen-
egeten V 19, 10, dass er auch die Verse auf dem Kypseloskasten verfasst
habe, kann richtig sein, stimmt aber nicht zu den sonstigen Angaben über
die Zeit unseres Dichters.
Marckscheffel, Hesiodi Eameli Cinaethonis Asii fragm., Lips. 1840. — Dübhtzbr,
Die Fragmente der epischen Poesie der Griechen, Köln 1840, 2 Teile. — Kinkel, Epiconun
graecoram fragmenta, 1877 in Bibl. Teubn.
75. Dem argivischen Sagenkreis gehörte die Alkmaionis an, deren
Verfasser nicht vor dem Schluss des 7. Jahrhunderts lebte, da derselbe
als Bruder der Penelope den Leukadios anführt (Strabon p. 452), der von
der unter Eypselos oder Periander gegründeten korinthischen Kolonie
Leukas seinen Namen hat.^) Das Epos behandelte im Anschluss an den
Zug der Epigonen gegen Theben die Schicksale des heimkehrenden Alk-
maion und die Gründung des amphilochischen Argos. In diese Gründungs-
sage waren auch die Geschicke des Tydeus und Diomedes verflochten.')
Die Mythen des Epos boten später den Tragikern reichen Stoff für ihre
Dramen.
Die NavTiaxTia inrj waren ein genealogisches Epos auf berühmte
Frauen nach Art der Eöen; als Verfasser derselben ward nach Paus. X
38, 11 von den einen ein Milesier (Eerkops?), nach anderen Earkinos
aus Naupaktos genannt. Jedenfalls hatte das Epos seinen Namen davon,
dass es aus der hesiodischen Schule zu Naupaktos hervorgegangen war.
Es war in dem Gedicht namentlich auch, im Anschluss an Medea, die
Argonautensage behandelt, weshalb dasselbe öfters in den Scholien zu
ApoUonios Rhodios angeführt wird.
Kinaithon aus Lakedämon, nicht zu verwechseln mit dem chiischen
Rhapsoden Eynaithos,^) wird von Pausanias II 3, 7 als genealogischer
Dichter bezeichnet. Auf ein genealogisches Gedicht weisen auch die dem
Kinaithon zugeschriebenen Nachrichten über Medea, Helena, Orestes, Talos.
Namentlich scheint er als Peloponnesier die Genealogie und Sagen-
^) Die Medeasage war wohl von Nau-
paktas, von welcher Stadt die NavTidxrta
enrj benannt sind, nach Eorinth gebracht
worden. Zor Verknflpfang derselben mit der
heimischen Sage von Korintii scheint die
üeberliefemng von einer korinthischen Heroin
Medeia (siehe Schol. Enr. Med. 10) nnd die
Totenfeier an zwei Kindergrftbera im Haine
der "ÜQa Hxgnia zu Eorinth (siehe Eur. Med.
1379 nnd Paus. H 3, 6} Anstoss gegeben zu
haben.
^) Oberhummbb, Akamanien S. 74.
') Siehe hierüber Immisch, Elaros, Jahrb.
f. Phil. Suppl. XVII 182—193.
*) Verwechselt von Weloker, Ep. CycL
I 227. Die Etymologie der beiden Namen ist
dunkel.
A. Epos. 6. Die späteren Epiker. (§§ 75—76.) 105
geschichte der Dorer und Herakliden behandelt zu haben (Paus. 11 18, 6);
eines der ihm beigelegten Gedichte hiess '^Hgaxkeia. Andere machten ihn
auch zum Verfasser der Oldtnödeia und der ^ihdq fiixQce, Seine Zeit steht
nicht fest; denn der Ansatz des Eusebios auf Ol. 5 ist zweifelsohne zu
hoch gegriffen; die Nachrichten desselben über Medea bei Paus. II 8, 9
rücken ihn unter Eumelos herab.
Chersias aus Orchomenos lebte um Ol. 40 zur Zeit des Periander. ^)
Seine inrj konnte schon Pausanias (s. IX 38, 9) nicht mehr auftreiben. In
der Vita des Hesiod wird ihm auch das Epigramm auf dem Grabdenkmal
des Hesiod in Orchomenos zugeschrieben.
76. Asios, der Sohn des Amphiptolemos aus Samos, hatte gleich-
falls Genealogien gedichtet, die noch Pausanias häufig benutzte. Begreif-
licherweise behandelten seine inf^ zunächst die Genealogie der Herrscher
seiner Heimatinsel Samos (Paus. VII 4), enthielten aber auch die Abstam-
mung anderer Fürstengeschlechter , wie z. B. der Phoker (Paus. II 29).
Ausserdem hat uns Athenaios p. 525 e mehrere Verse auf den Luxus der
Samier erhalten, wie sie in langen, bis auf die Erde herabwallenden
Röcken und mit goldenen Zikaden im Haar*) zum Tempel der Hera zogen.
Die Verse gehören aber schwerlich dem genealogischen Epos des Asios
an, sondern einem anderen Gedicht von satirischem Charakter. Auch
Verse einer Spottelegie auf die Hochzeit des vom Flussschlamm auf-
steigenden Gottes Meles werden von Ath. p. 125 d angeführt. Schon diese
dienen zum Beweis, dass man den Ausdruck "A(fiov tov nakawr ixetvov bei
Ath. 125 b nicht streng nehmen darf, und lassen uns Urlichs (Rh. M. 10, 3)
beistimmen, wenn er unsem Dichter auf Ol. 35 — 40 herabrückt.
Speziellen Sagenkreisen galten folgende Epen:
!^T^rg des Hegesinos, aus welcher 4 Verse Paus. IX 29, 1 anführt,
ohne das Buch selbst mehr zur Hand zu haben.
(PoQwvtg von einem unbekannten Verfasser; das Epos benutzten als
Quelle die Logographen Hellanikos und Akusilaos.
&€iT7tQwtig, angeführt von Paus. VIU 12, 5 und wohl identisch mit
des Musaios inrj ntQi OtaTtgcoTciv ; vgl. § 59.
^HQaxisim^^) Yon denen eine bald dem Kinaithon,*) bald einem gewissen
Eonon zugeschrieben wird.
Sr^arjt'g, angeblich von Diphilos, vermutlich von einem ionischen Dichter
nach dem Muster der Herakleen gedichtet.*^)
') Nach Plut Conv. sept. aap. p. 156 e. 1 mowitz, Eur. Herakles I 311 hat die Eühn-
*) Einen fthnlichen Haarschmuck trugen | heit, auch einen dorischen, vor Hesiod leben-
den Dichter der zwölf Thaten des Herakles
anzunehmen.
B) Einer späteren Zeit gehörte Zopyros
an, der nach Stob. Flor. 64, 38 im 3. Buch
seiner in Prosa geschriebeneu Theseis den
Medeamythus erzfihlte. Die dem Diphilos
vom Scholiasten zu Pind. Ol. X 83 zuge-
wiesenen choliambischen Trimeter gehören
vielleicht dem Theseus des Komikers Di-
philos an. Aus einer Theseis nahm Bak-
chyUdes in einem neu gefundenen Gedichte
18 die Schilderung der Thaten des Theseus.
die alten Athener nach Thuc. I 6, Aristoph.
EqiL 1328, Schol. Arist. Nub. 980. Ein Terra-
kottenköpfchen mit solchen Haarverzierungen
US Kleinasien besitzt das Antiquarium in
MOnchen n. 35.
') Arist. Poet. 8: dio nayxeq ioixaai»^
ifjui{narety oca twy noitjrüiy 'HgaxXrjtda
<«f Srjfftjida xai tu roiavia noinfiata nenotij-
twy • oZotrwai ydg in ei eis rjy 6 llQttxX^fj
iwa xai toy fxvdoy etyai ngoaijxHy,
*) Kiyai,9og heisat der Verfasser in Schol.
a Apoll. I 1357, K6ytoy zu I 1165. Wila-
106 Chieohweh« latteraiargMeluelito. I. KUMiseh« Periode.
77. Die ^ÄQifiMnHa J^nr^ des Aristeas aus Prokonnesos in 3. B. be-
reicherten die Mythenwelt der Griechen mit neuen Fabeln.^) Über den
Verfasser und den Inhalt dieser f/rr^ ist Hauptquelle Herodot IV 13—16
u. in 116. Danach stammte Aristeas aus einer angesehenen Familie von
Prokonnesos, einer Kolonie der Milesier an der Propontis, und stand in
dem Rufe eines Wundermannes {^otßoXa/Anzog). Von seiner Heimat aus
machte er ausgedehnte Reisen nach dem Norden bis zu den Issedonen
und erzählte in seinen enr^ fabelhafte Dinge von den Völkern jener
fernen Länder, von den einäugigen Arimaspen, *) den goldhütenden Greifen,
den Hyperboreern, Kimmeriem, Skythen u. a.*) Seine Blute setzt
Suidas Ol. 50 (58 V) in die Regierung des Kyros und Kroisos;*) Herodot IV 15
lässt ihn 240 Jahre vor seiner Zeit, also schier 100 Jahre früher leben. ^)
78. Das jüngere Heldenepos. Das volkstümliche Heldenepos war
mit den letzten Homeriden so gut wie verklungen. Homer und seine
Nachfolger hatten aus dem Jungbrunnen der epischen Poesie, der volks-
tümlichen Sage, geschöpft; sie waren dadurch Volksdichter im edelsten
Sinne des Wortes geworden und stunden mit ihren Dichtungen mitten in
ihrem Volke und ihrem Stamme. Das hatte jetzt aufgehört: es gab zwar
noch Dichter, welche immer von neuem sich an der poetischen Gestaltung
der alten Sagen versuchten, aber das thaten sie für sich ohne Zusammen-
hang mit dem Volk. Dass immerhin auch so noch Gutes geleistet wurde,
zeigt die Aufnahme dreier dieser Epiker in den Kanon der alexandrinischen
Kunstrichter.«) Unter diesen ist der älteste
Peisandros, Sohn des Peison und der Aristaichme aus Kameiros
in Rhodos,') Verfasser einer Herakleia in 2 Büchern. Die Zwölfzahl
der Arbeiten, das Löwenfell und die Keule des Heros gingen von
Peisander in die Fabelgeschichte über.^) Die Kraft der Darstellung und
die Konzentrierung der Erzählung auf eine Person verschafiFten dem
Gedicht sein hohes Ansehen;®) erhalten sind uns nur einige wenige
Verse; vermutlich aber enthielt die Schilderung der 12 Athla des Herkules
bei dem Mythographen Apollodor H 5 Exzerpte aus Pisander. Die Zeit des
Dichters wird von Suidas Ol. 33 (um 645) gesetzt; nach den Resten seines
Gedichtes kann er kaum älter als das 6. Jahrhundert gewesen sein.^^)
Danach dürfen wir die Theseis vor die Perser-
kriege setzen.
^) Suidas führt von ihm auch eine Theo-
gonie und Schriften in Prosa an; die Echt-
heit aller Schriften bezweifelt Dionys. de
Thuc. 23; s. Tournibb, De Aristea Procon-
nesio et Arimaspeo poemate, Par. 1863.
') Das Wort ist iranisch und bedeutet
, wilde Pferde habend*.
') Aristeas beschrieb Land und Leute
yom schwarzen Meer bis zur Ostsee. Dass
in der That griechische Handelswege so
weit hinaufreichten, bezeugen die Funde von
39 altgriechischen Autonommünzen an der
Netze und von grossen Goldgerftten bei
KvQoy rXvfjiniddi v (vtf em. Flach nach
Rohde).
') Dort liest jetzt Stein nach den besten
Handschriften TeaaeQctxoyr« xai dirjxoaioun
statt des frflheren rQtrjxoaioiaiy.
•) Procl. ehrest, p. 230 W.: yeyoyaff^ di
TOV €7tOVC TtOltJiai XQdtUTTOt (Jikv "OftfJQO^f
'Hclo^ogy Ueiaaydgog, Jlayvaaig, 'JyTtfiaxog.
') Das f&r seine Statue bestimmte, dem
Theokrit zugeschriebene Gedicht steht in
Anth. Pal. 9, 598.
«) O. MüLLBB, Dörfer H 475 ff. Schon
Pindar /. VI 48 u. 0. HI setzt die Arbeiten
in bestimmter Reihenfolge voraus.
•) Quint. X 1, 56: Quid? Herculis acta
Vettersfelde, worüber Furtwängler in dem (athla coni. Wölfflin) non bene Pisandros?
43. Winckebnannsprogr., Berl. 1883 handelt, i >•) Wilamowitz, Euripides Heraklee I
^) Suidas: yeyoye de xaxil Kgoiaoy xai | 309.
A. EpoB. 6. Die späteren Epiker. (§§ 77—81.) 107
Wohl ZU unterscheiden von ihm ist ein jüngerer Pisander, der unter
Alexander Severus eine '^iatoQia noixflrj di* inwv schrieb. i)
79. Panyassis aus Halikarnass, ^) Oheim des Historikers Herodot,
der in den Freiheitskämpfen seiner Vaterstadt durch den Tyrannen
Lygdamis den Tod fand, erweckte die epische Poesie wieder zu neuem
Leben. Seine Berühmtheit verdankte er der Herakleia in 14 B., in
welche er des Kreophylos Otxakiag äk(oalg verflocht.*) Ausserdem dichtete
er in elegischem Versmaas 'iiavixa, in denen er die Gründungsgeschichte
der ionischen Kolonien Eleinasiens erzählte. Einen fröhlichen Sinn voll
Weineslust atmen die schönen Fragmente, die sich uns erhalten haben.
80. Choirilos aus Samos,*) jüngerer Zeitgenosse und Verehrer des
Herodot, dem wir gegen Ende des peloponnesischen Krieges zuerst als
Begleiter des Feldherrn Lysander*^) und dann neben dem Tragiker Aga-
then, dem Komiker Piaton u. a. an dem Hofe des Königs Archelaos von
Makedonien begegnen.^) Nach dem Vorbild des Aischylos wählte er zu
seinem Epos ncQar/g {IJeQaixd bei Herodian) den Stoff aus der Zeit-
geschichte. Schön begründet er in dem erhaltenen Proömium diesen seinen
Plan damit, dass dem Diener der Musen, nachdem alles verteilt sei, nichts
übrig bleibe, als einen neuen Weg zu suchen. Die Perseis hatte ihren
Mittelpunkt in dem Sieg der Athener über den Perserkönig Xerxes ; durch
Volksbeschluss der Athener erhielt sie die Ehre mit den Gedichten des
Homer öffentlich, vermutlich an den Panathenäen, vorgelesen zu werden
(Suidas). Ein zweites Gedicht des Choirilos 2afAiaxcc ist frühzeitig ver-
schollen. Verschieden von dem Verfasser der Perseis ist der Epiker
Choirilos ans lasos in Karien, der Herold der Ruhmesthaten Alexanders,
welcher durch Horaz Ep. U 1, 232 u. 3, 357 f. eine traurige Berühmtheit
erlangt hat.
81. Antimachos aus Kolophon,') der Dichter einer Thebais, lebte
zur Zeit des peloponnesischen Krieges bis in die Regierungszeit des Arta-
xerxes II hinein. ^) Bekannt ist die Anekdote der von Piaton seinen Dichtungen
geschenkten Anerkennung,, womit er sich über seine sonstigen Misserfolge
tröstete: Plato mihi nnus instar est milium.^) Sein Hauptwerk war das
weit ausgesponnene Epos &rjßatg. Aber mehr Ansehen bei den Späteren
verschaffte ihm das grosse, mindestens 2 B. umfassende elegische Gedicht
') Auf den Mythographen Peisandros
beaehen sich die Scholien zn Eur. Phoeniss.
8a4. 1760 und zu Apoll. Argon. I 152. 471.
*) Der Historiker Dnris bei SoidaB nennt
flin Sohn des Diokles (andere des Polyarchos)
und macht ihn ans Lokalpatriotismns zu
einem Sander, weil er, wie Herodot, zur
Zeit seiner Verbannung in Samos lebte. Auf
Inschiiften wird der Name nayvang ge-
Mfarieben.
») Clem. Alex, ström. VI p. 266.
^) Choerili Samii quae supersunt coli.
Kabks, ups. 1817.
») Plnt Lysand. 18.
•) MaiceUinus vit Thuc. 29.
0 Clarius heisst er bei Ovid. Trist. I
6, 1 mich dem benachbarten Klares. — Üeber
einen angeblich älteren Epiker Antimachos
aus Teos s. In misch, Jahrb. f. Phil. Suppl.
XVH 129 f.
®) Unter Artazerxes II setzt seine Blüte
Diodor XIII 108 nach dem Chronographen
Apollodor.
») Cic. Brut. 51; Plut. Lysand. 18;
vgl. Procl. in Plat. Tim. p. 28 '\ Dass
dagegen andere chronologische Bedenken
erhoben, ersieht man aus der Bemerkung
des Suidas: yiyovB 6k txqo nXdroiyog. Hera-
kleides Pont, in den Scholien des Proklos
zu Plat. Tim. I p. 28 *' erzählt von einer
Sammlung der Gedichte des Antimachos, die
er auf Veranlassung seines Bewunderers
Piaton gemacht habe.
108
Grieohisohe LüteratnrgMoliiohte. L EUssisoha Periode.
Avdrj^ in welchem er sich über den Tod seiner Geliebten Lyde durch
Erzählung unglücklicher Liebesverhältnisse der mythischen Vorzeit weg-
zudichten suchte.^) Die Grammatiker, die ihn als Hauptvertreter des
kraftvollen, rauhen Stils (aiaxriQd a^iiovCa) betrachteten, *) gaben ihm die
nächste Stelle nach Homer, wozu Quintilian X 1, 53 die feine Bemerkung
macht: ut plane manifesto appareat, quanto sü aliud proximum esse, aliud
secundum,
82. Die religiösen Inr], Den epischen Hexameter und den home-
rischen Dialekt eigneten sich die Orakel und Priester um so eher an, als
sich schon die hieratische Poesie vor Homer des Hexameters bedient
hatte. Das Orakelwesen und der Geheimkult der Sühnungen kamen erst
nach dem 8. Jahrhundert auf;^) in der Ilias wird nur einmal, und zwar
in dem jungen Gesang der Presbeia / 404 der Schätze gedacht, welche
die eherne Schwelle des pfeilentsendenden Gottes einschliesse, und erst
in der Erweiterung des Nostos, Od. ^ 79 f., hören wir von einem Orakel,
das Apoll in der heiligen Pytho den Achäem gab. Hesiod selbst spricht
in seinen echten Werken wohl von jener heiligen Stätte,*) aber erst die
späteren Fälscher legten ihm auch ^ttt] fiavTtxa bei. In den nachfolgenden
Zeiten entwickelte sich unter dem Einfluss der delphischen Amphiktyonie
und des im 6. Jahrhundert um sich greifenden Geheimkultus der Orphiker
eine erhebliche Litteratur von mystischen Gedichten im epischen Vers-
mass und im ionischen Mischdialekt.
Dahin gehören vor allem die Orakelsprüche ixqria^oi) von Delphi,
die seit dem 6. Jahrhundert mit dem steigenden politischen Einfluss der
delphischen Priesterschaft zahlreicher und kunstvoller wurden; erhalten
sind uns solche nur durch gelegentliche Anführungen bei Historikern und
Grammatikern. ^)
Von dem Hyperboreer Abaris, der nach Herodot IV 36 mit einem
von Apoll ihm geschenkten Pfeil umherzog,^) erwähnt Suidas skythische
Orakelsprüche, ein Gedicht von der Reise des Apoll zu den Hyperboreern,
Reinigungen und eine Theogonie in Prosa. Oflfenbar lebte der Schwindler
nach Aristeas; Suidas setzt ihn Ol. 53.
Von Epimenides dem Kreter, einem halbmythischen Hellseher,
welcher nach Diogenes und Suidas in der 46. Olympiade Athen vom
kylonischen Frevel reinigte,') nach Piaton aber erst zehn Jahre vor den
') Asklepiades in AnÜh. IX 63 preist
überschwenglich das Gedicht: xd qvyoy Mov-
adiy YQcifjifAa xal 'Avjifjiaxov. üeber die ver-
schiedenen Urteile s. Wentzel bei Pauly-
Wissowa I 2435.
^) Dionys. Halic. cens. vett. Script. II 3
und de comp. verb. 22.
») LoBBCK, Aglaoph. 304—317.
*) Uv&ol iy fjya&en Theog. 499 an der-
selben Versstelle, wie Od. & 80, was auf
gegenseitige Abhängigkeit der beiden Stellen
hinweist.
^) ELbndess, Oracula graeca, in Dias.
Hai. IV (1877). Viele der angeführten Orakel
sind erst sp&ter erdichtet oder interpoli^t
worden; namentlich gilt dieses von den
Orakeln m iambischen Trimetem and im
nichtepischen Dialekt.
«) Nach Ps. Plato, Azioch. p. 371 haben
die mystischen Lehren von der Unterwelt
Opis nnd Hekaergos aus dem Hyperboreer-
land auf eherner Tafel nach Dolos gebracht;
vgl. Roh DB, Psyche 381 Anm. 1.
') Diog. I 110; bei Smdas ist 6k, fOf
aberliefert. Xenophanes gab ihm nach Dio-
genes ein Leben von 154, die Kreter gar
von 299 Jahren, was mit dem weiten Ab-
stand der ihm zugeschriebenen Wiederaufer-
A. Epos. 6. Die späteren Epiker. (§§ 82—83.)
109
Perserkriegen in ähnlicher Eigenschaft nach Athen kam,^) zirkulierten
eine Orakelsammlung, ^) eine Theogonie, ein Epos vom Argonautenzuge,
aberdies Schriften über Opfer und Reinigungen in Prosa ; ^) auch eine Ge-
schichte der fabelhaften Teichinen wurde von einigen unserem Epimenides
zugeschrieben. ^)
Onomakritos,*^) der von Hipparch aus Athen verjagt wurde, weil
er von Lasos aus Hermione der Fälschung von Orakeln überführt worden
war, der uns aber später wieder bei dem Perserkönig als Freund der Pei-
sistratiden begegnet,^) liess sich nicht bloss von dem kunstsinnigen
Tyrannen Athens zu seinen litterarischen Unternehmungen benutzen,
sondern dichtete auch selbst ^tti;, welche nach den Citaten des Pausanias
Vin 31 u. 37 und IX 35 in das Gebiet der Theogonie einschlugen. Am
meisten aber scheint er seine versifikatorische Geschicklichkeit dazu ver-
wendet zuhaben, um Gedichte des Musaios und Orpheus in die Litteratur
einzusch Warzen. T) Aber zu weit ging man ehedem, wenn man auch die
ans erhaltenen orphischen Hymnen dem Onomakritos beilegen wollte.
Neben Onomakritos werden noch Zopyros aus Heraklea, Nikias
von Elea und die Pythagoreer Brontinos und Kerkops als Verfasser
solch mystischer Dichtungen genannt, auf die wir unten bei den Orphika
nochmals zurückkonmien werden. Wohl zahlreicher noch als die auf einen
bestinmiten Namen zurückgeführten hieratischen Gedichte waren die ano-
nymen, an den verschiedenen Mysterien- und Orakelplätzen (Eleusis, An-
dania, Samothrake, Delphi, Dodona) bei den Weihen, Sühnungen und son-
stigen religiösen Übungen gesungenen Verse. Auch astrologische Gedichte
erwähnt schon aus jener alten Zeit Herodot II 82.
83. Die philosophischen Lehrgedichte {tpiloaotpa snr^ waren
Ausläufer des didaktischen Epos. Die Theogonie des Hesiod galt und gilt
auch jetzt noch als die Vorhalle der philosophischen Spekulation. Was
war da natürlicher, als dass auch die ersten Philosophen zur Zeit, als es
noch keine Prosa gab und die Philosophie noch nicht in der Dürre ab-
strakter Darstellung ihr Ideal suchte, sich der poetischen Form und des
epischen Hexameters bedienten? Die ersten Philosophen indes, die Phy-
siker im ionischen Eleinasien^ und der Begründer der ethisch-mathematischen
stehongen znsamineiiliAngt. Die EuiiBt stellte
ihn deäalb als schlafenden Seher mit ge-
scUoaBenen Augen dar.
>) Fiat. legg. I p. 642 d; danach fiele
seine Blflte 500 v. Chr., in welchem Jahre
nach einer Inschrift CIA I 475 eine Seuche
Athen heimsuchte; vgl Töpffbb, Att Geneal.
140 ff:
') Allst. Rhet m 17 p. 1418e 24; Plut.
de orac. def. 1.
') Snidas: iyQtnpe di noXXa inixui(; xai
unttXoyadfjy. Diog. I 111: inoirjce ^k Kov-
fijTWK xai Koffvßamotf yiyBüiv xai ^eoXoyiay
hff ;r<rr«jrMr/fiUa, *Jgyovs vavntjyiity tb xai
'lucoro^ eig KoXj^ovf anonkovv intj i^axia-
XiXia nertaxocM • cvviyQmpB dk xai xaxaXoyd-
hfy negi Svauoy xai rtjg iv KQtjip uoXijeiag
JUti n^fn Mirm xai 'Pada^äy&vog eis Intj %B-
xQaxiaxiha. Ueber die geringe VerlAseigkeit
der Angaben vgl. Hiller Rh. M. 37, 525 f.
Die Reste der Theogonie besprochen Yon
EsRir, De Orphei, Epimenidis, Pherecydis
theogoniis, Berol. 1888. Dibls, Ueber Epi-
menides von Kreta, Stzb. d. pr. Ak. 1891
S. 393 ff.
*) Ath. 282 e: 6 irjy TeXxiytaxrjy taro-
Qiay avy^eigj stte *E7iifieyidrjg iüxly 6 Kqijs
rj TtjXexXeldijg ei'r* aXXog rig,
^) RiTSCHL, Onomakritos von Athen,
Opusc. I 238 ff.
•) Herod. VII 6.
^) Clemens Alex, ström. I p. 143: oi
{*OyofÄaxQitov) ja sig 'OQ<pea aya^egofABya
noirjfiaia Xdyerav eiyai . . xai rovg fAhy
dl atpBQOfjLiyovg eig Movoaioy x^V^f^ovg Wo-
fAttXQixov eiyai Xiyovöiy,
110 Griacliisohe Litteratargesohiohte. L Klassisohe Periode.
Richtung der Philosophie, Pythagoras in ünteritalien, schrieben überhaupt
nichts, sondern beschränkten sich auf mündliche Unterweisung ihrer Schüler
und Anhänger, weshalb man von der späteren Veröflfentlichung der Lehre
durch Schriften den Ausdruck Hinausgeben (ixiovrat^ edere) gebrauchte. Der
Brauch, die Lehre zu veröflFentlichen und in der einschmeichelnden Form
poetischer Einkleidung hinauszugeben, kam durch die Eleaten im 6. Jahr-
hundert auf. Vollständig ist uns von solchen philosophischen Oedichten
nichts erhalten, wohl aber sind zahlreiche Fragmente auf uns gekommen,
die sich durch poetische Schönheit fast mehr noch als durch gedanken-
reichen Inhalt empfehlen. ^)
Xenophanes aus Kolophon, Gründer der eleatischen Schule, blühte
in der 2. Hälfte des 6. Jahrhunderts^) und brachte aus seiner Heimat,
die seit alters Sitz einer Homeridenschule war, die Übung des rhar-
psodischen Vortrages mit.^) Er dichtete selbst in der Manier der Genea-
logen die Epen Koko(fO}vog xtfaig und ^Anoixiafiiq sig *Ekäav zi^g '/raA/crc.
Aber grössere Berühmtheit brachten ihm das philosophische Lehrgedicht
Tiegi g vasmg und die gegen Philosophen und Dichter gerichteten Spottverse
(Silloi).*) Als Vertreter des Monotheismus eiferte er leidenschaftlich gegen
Homer und Hesiod, welche bei den Menschen die unwürdigen Vorstel-
lungen von den Göttern verbreitet hätten; berühmt sind die Verse:
ndvra x^eoTg ävt'O^rjxav "Ofir^gog xh* "^Haiodog t£,
Zaaa naq* dvO^QWTTonnv oveidsa xal xpoyog iativ . . .
(og nXeiat* i(p&€y^av%o O^sSv ad^efiiaTia igya,
xXkTiTHv fioix^vsiv %€ xul aXXrjXovg dnaTSveiv.^)
Hohen Ansehens erfreuten sich auch seine, zum Teil uns noch erhaltenen
Elegien, in denen er in edler Sprache den Vorzug der Lehren der Weis-
heit vor den thörichten Anschauungen des grossen Haufens pries.
Parmenides, der angesehenste unter den eleatischen Philosophen,
der ausser seinem Lehrer Xenophanes auch die Pythagoreer Ameinias
und Diochaites hörte, blühte nach Diog. IX 23 in der 69. Olympiade.^)
Sokrates hat als ganz junger Mann (Plat. Parm. 127 b) denselben gehört,
') Die Reste gedruckt in den Samm- ' Dichtung gegeben Bein sollte, überliefert
lungen des Fragmente der griechischen
Philosophen von Ritter -Preller, Karsten,
Mullach.
^) Zrllbr, Die Philosophie der Griechen
I^ 486; die Angaben der Alten gehen weit
auseinander: Diog. IX 20 setzt seine Blüte
Ol. 60, ApoUodor bei Clem. Alex, ström. 1
130 lässt ihn von Ol. 40 bis zu den Zeiten
des Eyrus und Darius leben (s. Uno er im
Philol. 43, 209 ff.); Timaios macht ihn zum
Zeitgenossen des älteren Hieron und Epi-
charmos (s. Plut. apophth. reg. p. 175 c).
Das Entscheidende ist, dass er den Pytha-
goras und ihn Heraklit erwähnt.
•) Diog. IX 18 e: ttvrdg iggatl^tode^ Jt<
iavfov.
*) Dass er solche Sillen geschrieben,
wenn der Titel oiXXoi, auch erst später der
Strabo p. 643 und erweist Wachsmütb, Sillogr.
gr. 55 ff.
^) Darauf geht die Anekdote bei Plat
apophth. reg. p. 175 c: ngog de Sevoffui^r
toy KoXoffoSyioy Binotrta fioUg oixerag <fvo
TQeg^etyj «ÄX* "^'O^i/^of, ciney, oV av <ff aar^e'Cy
jiXeioyag tj fAVQiovg rgifpei te&ytjxtäc.
•) eßdofÄtjxocTijy statt iSr^xoffzrjy (460 statt
500) vermutete schon Scaliger, so dass damit
das Jahr bezeichnet wäre, an dem Panne-
nides nach Athen kam. Sokrates, geb. Ol.
77, 4, war damals allerdings erst 8 Jahre
alt, aber das mochte dem Piaton gentlgea»
um eine Zusammenkunft; des ganz jungen
{atpodga y^og) Sokrates mit dem bereits g;ran
gewoiHlenen Parmenides anzunehmen; die ün-
genauigkeit der Angabe bemerkte schon Athe-
naios p. 505 f.
A. Epos. 6. Die spftteren Epiker. (§ 83.) 1 1 1
als er 65 Jahre alt (nach Plato Farmen. 127 b u. Theaet. 183 e) von Italien
nach Athen gekommen war. Nach dem Vorbild des Xenophanes philo-
sophierte auch er in Versen. Im Eingang seines Werkes nsql ifvaamg
schOderte er mit grossartiger Phantasie, wie er, von den Sonnentöchtern
geführt, zu dem Heiligtum der Weisheit aufgefahren sei und dort aus
dem Munde der Oöttin die Lehren der ewigen Wahrheit und die trüge-
rischen Meinungen der Sterblichen erfahren habe.^)
Empedokles (geb. um 492) leistete im philosophischen Lehrgedichte
das Höchste unter den Griechen, so dass der römische Dichter Lucrez
voll Bewunderung zu ihm aufschaute und hauptsächlich an ihm sich bil-
dete.*) Geboren war er in Agrigent aus vornehmem Hause und wirkte
für das Wohl seiner Vaterstadt in einflussreicher Stellung. Zugleich ragte
er durch reiches Wissen in der Heilkunde, Rhetorik*) und Philosophie
hervor, endigte aber infolge der Missgunst seiner politischen Gegner fern
von seiner Vaterstadt im Peloponnes.*) Schon im Leben nicht frei von
pathetischer Überhebung*) und geheimnissvoller Wichtigthuerei, *) ward
er vollends nach seinem Tod zu einem Wundermann gestempelt. Nach-
dem er einst, so erzählten die einen, '^) ein totes Mädchen zum Leben
wieder erweckt hatte, veranstaltete er ein grosses .Opfermahl, und wurde
dann in der Nacht, während die anderen schliefen, von einer geheimnis-
vollen Stimme ins Jenseits abgerufen. Die anderen fabelten, er sei auf
den Ätna gestiegen und habe sich selbst in den Krater gestürzt, um
seine Gottahnlichkeit zu besiegeln.^) Seine Blute wird Ol. 84, d. i. gleich-
zeitig mit der Gründung der athenischen Kolonie Thurii (444) gesetzt.
Hinterlassen hat er zwei philosophische Gedichte, ein theoretisches /rf^l
ifvüswg, an seinen Freund Pausanias gerichtet, worin er seine im Äther
der Poesie geborene Lehre vom Streit {Ntixog) und der Liebe {^il6ti)q)
entwickelte, und ein ethisches, KaO^ag^iol betitelt, worin er, ausgehend von
der Lehre der Seelenwanderung, seine Mitbürger zur sittlichen Reinigung
aufforderte. Von beiden haben wir leider nur Fragmente, aber ziem-
lich zahlreiche und solche von grösserem Umfang.^) Poetisch schön ist
besonders die Schilderung von dem goldenen Zeitalter, wo statt dem
Kriegsgott der mildherrschenden Kypris unblutige Opfer dargebracht
werden (fr. 142).
^) H. Stbih, Die Fragmente des Par-
menides ntgl tfvaetog, in Symb. philol. Bonn,
p. 755 ff.; DiBLs, Pannenides Lehrgedicht
griecL n. deutsch, Berl. 1897.
*) Lucr. I 716: Quae (Sieilia) cum
mngna modis multis miranda videtur, Nil
tatnen hoe hahuisse viro praeelarius in se,
JSee ganetum magis et mirum carumque
videlur; Carmina quin etiam divini pectoris
«*«» Vociferantur et exponunt praeclara
reperta, Üt vix humana videatur stirpe
creatu». Vgl. das ürteU des Aristoteles bei
Diog. VIU 57.
>) Satyros nach Diog. VIII 58 macht den
Goigias zu seinem Schüler. , S. 1062 ff.
*) Diog. VIU 67 nach den Angaben des
Timaios.
») Diog. Vm 66 führt zum Belege die
Worte an: XttiQei\ iyw d* i^fny ü^eog clfi-
ßQotog^ ovxeti ^yrjtog THoXevfiai.
«) Diog. VIII 59.
'j Diog. VIII 67 f. nach Herakleides
Pontikos.
8) Diog VIII 69, Horaz a. p. 464. Schon
l^mon in seinen Sillen hatte die Qrossthuerei
des Empedokles zur Zielscheibe seines Spottes
gemacht.
*) Aus einer Herkulanischen Rolle n.
1012 entzifiPert ein neues Fragment der Ka-
SaQfÄoi DiELS Sitzungsb. d. preuss. Ak. 1897
112
Grieohiiohe LittaratiirgMohiolite. I. KlMsUohe Periode.
B. Lyrik.*)
1. Anfänge der Lyrik, Nomendichtung.
84. Die verschiedenen Arten der lyrischen Poesie wurden von den
Alten noch nicht als Ganzes mit einem gemeinsamen Namen der epischen
und dramatischen Poesie gegenübergestellt.') Daran war hauptsächlich
der Umstand schuld, dass das unterscheidende Merkmal der Lyrik, der
singende Vortrag einerseits auch dem Epos in ältester Zeit eigen war,
andererseits frühzeitig von einigen Arten der lyrischen Poesie, wie dem
Spottgedicht und der Elegie, aufgegeben wurde. Aber die Ausbildung der
Lyrik war bei den Griechen in noch höherem Grade als bei uns mit der
Geschichte der Musik verknüpft. Diese Verbindung fand ihren Ausdruck
darin, dass nicht bloss die Thätigkeit des Musikers und Dichters mit
demselben Worte nouTv bezeichnet, *) sondern auch dem Texte des Liedes
und der Melodie die gleiche Gliederung {fit'i.og) zu gründe gelegt wurde,
indem der Dichter entweder zugleich mit dem Texte eine Melodie zu dem-
selben dichtete oder die Worte des Textes einer zuvor erfundenen Melodie
anpasste.*) So fielen bei den Griechen die Anfange der Lyrik mit der
Erfindung von Musikweisen zusammen, und hingen die Fortschritte der-
selben von der Entwicklung kunstvollerer Rhythmen und Melodien ab;
diese ergab sich aber erst, als man von der einförmigen Wiederholung
des gleichen Verses zum Wechsel erst von verschiedenen Formen des
gleichen Rhythmus (Tetrapodien, Tripodien, Dipodien, mit und ohne Kata-
lexe) und dann von verschiedenen Rhythmengeschlechtem (Daktylus,
Anapäst, lambus, Trochäus, Päon) überging. Bis zum 8. Jahrhundert
herrschte in der griechischen Poesie einzig der daktylische Hexameter,
erst vom 7. Jahrhundert an begegnen uns neue und wechselnde Formen
des Metrums.
86. Schon Homer und vor Homer die thrakischen Sänger Orpheus
und Thamyris spielten die Phorminx, und so reichen auch die Anfänge
der Lyrik über den Beginn der Olympiadenrechnung hinauf. Im Vortrag
der epischen Gesänge freilich bestand das Zitherspiel nur in ein paar
Accorden, die der Sänger dem Gesang vorausschickte. Aber auf diesen
unbedeutenden, nebensächlichen Gebrauch hat sich sicher die Kunst der
*) Welckeb, Kleine Schriften, Bonn 1844,
3 Bände, von denen die 2 ersten wesentlich
den Lyrikern gewidmet sind; Flach, Ge-
schichte der griech. Lyrik, Tüb. 1884, 2 Bde
ohne Pindar; Naoeottk, Hist. de la po^sie
lyrique grecque, Par. 1889, 2 Bde bis Pindar
incl. — Poetae lyrici graeci, rec. Bbrgk,
4. Aufl., Leipz. 1878, 3 Teile; Anthologie aas
den Lyrikern der Griechen, erklärt von E.
Buchholz, 4. Aufl., Leipz. 1887; Anthol. lyr.
praeter Pindarum ed. Hillbb 1890 in Bibl
Teubn., neubearbeitet von Causius, 1897.
*) Arist. Poet. 1: ij inonoita xai ij tga
y(f)dlas noifjaiq xai ij dtSvgaf^ßirXtj xai
avXrjxLxrj xai xi^aQiatirXtj, Procl. ehrest, p,
230, W,: 10 dif]yr]fiafirx6v ix<peQeiiti ÖC Inovq,
idfißov x€ xttl iXeysiov xai fisXovs. Die drei
Arten lafdßos, iXeyeioy, fiiXo^ zusammen
bilden dasjenige, was wir mit dem Gattungs-
begriff Lyrik bezeichnen.
*) Plut. de mus. 8: £axddag mHfjtiji
fieXuiy re xai iXeysiioy fiSfjteXonoirjfieywy,
c. 10: avXtodtxovf yofiovg inolrjasy. AtiliusFori.
I 9, 25 : Graeci erant non tantum poetae per-
fectissimi sed etiam musiei. Dasselbe Wort
fjieXrj bezeichnet liedertezte und Melodien:
aber daneben sind auch beide unterschieden
von Alkman fr. 17: inij läde xai fiiXo;
'AXxiJtttv evQsy.
*) Dieses letztere scheint durch die
Präposition vno angedeutet zu sein an der
Homerstelle £ 570 ifiSQoey xi&aQiCey. Xiyoy
cf' V7i6 xaXoy äeidey.
B. Lyrik. 1. Anftage der Lyrik, Komendiohtimg. (§§84—86.) HS
von Homer {B 600) und Hesiod (theog. 95) bewunderten Kitharisten
(»i^ttQunai) nicht beschränkt. Nicht bloss gab es schon zu Homers Zeiten
Hymnen und Päane, welche an den Götterfesten und bei der Siegesfeier
gesungen wurden,^) Homer kennt auch schon die Vereinigung von Tanz
und Musik, oder Tanz Musik und Gesang, und erwähnt neben dem geist-
lichen Päan auch schon das weltliche Lied bei der Hochzeit und der
Weinlese : ^) ein Knabe in der Mitte des Zuges der Winzer spielt die hell-
klingende Fhorminz und singt dazu mit zarter Stimme den Linosgesang,
die anderen folgen, unter Scherz und Jauchzen die Erde stampfend; bei
der Hochzeit ertönen zum Hymenaios Flöten und Zithern zugleich, wäh-
rend Jünglinge im Tanze sich drehen und Yortänzer ein mimisches Spiel
auff&hren.s) FreiUch stehen die betreffenden Stellen in jungen Gesängen
Homers, zum Teil sogar in Interpolationen junger Gesänge, aber immerhin
bezeugen sie für eine den ältesten Lyrikern vorausgehende Zeit die Übung
des Gesanges und Tanzes bei den Götterfesten, der Hochzeit und der
Weinlese. Auch von Vorsängern (^fa^x<>* ^ 721. 2 606) und vom Wechsel-
gesang der Musen {A 604. co 60) weiss uns schon Homer zu erzählen, und
die Zusammenfassung mehrerer Verse und Strophen liegt uns bei ihm
bereits ausgeprägt in den Elagegesängen an der Leiche des Hektor vor
(ß 793—776).
86. Nomenpoesie. Der Entfaltung der lyrischen Poesie ging eine
Vorstufe voraus, die man mit dem Namen der Nomenpoesie zu bezeichnen
pflegt. Wiewohl nämlich Text und Melodie in der griechischen Poesie
bis zur Zeit des peloponnesischen Krieges eng verbunden waren, so dass
in der Regel derselbe, der den Text dichtete, auch die Melodie dazu er-
&nd, so ging doch in dem geschichtlichen Verlauf die Ausbildung der
Musik der der Poesie voraus und fanden Melodien für Zither und namentlich
für Flöte in dem Volke Verbreitung, ehe zu denselben poetische Texte
gedichtet wurden. So stehen im Eingang der griechischen Lyrik die
Nomoi, bei denen die Melodien die Hauptsache ausmachten, so dass zu
denselben teils gar keine Texte existierten, teils nur solche von unter-
geordneter Bedeutung. Der Ausdruck Nomos, der in diesem Sinn bei
Homer noch nicht vorkommt,^) weist auf die gleichmässige Taktordnung
hin^) und hat dem Gott, unter dessen Schutz die Musik stund, den Namen
*Än6klwv vofiiog eingetragen. Unterschieden wurden Weisen für Zither
>) D. j4 472, X 891. Aiistarch bemerkt
za d» ersten SteUe, dass fieXnut bei Homer
nicht auf den blossen Gesang beschränkt
Mi; vgl. Od. C 101, wo fAoXntj vom Ballspiel
gebraaclit ist. Ueber die Vortragsweise der
Hymnen nnd Pftane vgl. hymn. Apoll. II 10
0. 336, Hes. Seat 201.
*) n. J?493 u. 569, Od. ^ 261—5.
«) n. £ 494 ff. u. 604 ff, Od. «f 18— 20.
Als Vort&nzer treten im Hymnus des pythi-
•chen Apoll V. 22 Ares mid Hermes auf.
*) rofjiog bedeutet bei Homer in der
Regel Weideplatz; die Bedeutung Oesetz findet
aich nur in dem Kompositum ev^ofAirj Od.
ei87; btt Hefidod Op. 276 u. Th. 417 kommt
auch das einfache yofio^ in dieser Bedeutung
vor. Die Verbindung initav vofAoc findet sich
in einem jungen Vers der llias V 249 und
in Hes. Op. 403. Von dem Gesang ist das
Wort vofAog gebraucht im Hymn. Apoll. Del.
20 ndvtrj yaQ xoi., ^oi߀, yofxog ßeßXtjaj'
*) Plut. de mus. 6: vo^aoi nqwstjyoQBv-
(krjoatv, 4nei&rj ovx i^rjv -naQftßrjvai. xaff^ ^xaa-
TOM yeyofiiafiäyoy eidog xfjg tdaeotg. Vgl.
Thucyd. V 70 AaxsdatfAoyioi cf^ ßgadiuig
XiOQovyjBS xai V7i6 avXrjtaiy noXXoiy yofAto
iyxa&Baiüitwy^ ov jov &biov X^9^*^i "^^' ^'*'"
6/LinXiug fABxd ^vf^fAOV ßalyoviBg ngoeX^otsy.
Alcman 67 oida ifof^yi^my yöfi^g Ttäyraty,
Budbacfa der klav. AltertTmuwiweiiscbaft. VU. 3. Aufl. 8
114 Grieohische LitteratargeBohiohte. L KlaMisohe Periode.
{xi&äfa) und Flöte {avXoi), und bei beiden für ein einfaches Instrumental-
spiel [tpUfj fiovffixrj, vofxoi xid-aQKTuxoi und avlr^Moi), und für Spiel mit
Gesang {vofioi xid^aQfpöixot und avkftydixot). Die aulodischen Nomen setzen
natürlich zwei Personen, einen Flötenspieler und einen Sänger voraus;
bei den kitharodischen war Sänger und Spieler in einer Person vereinigt
Ein Chor oder eine grössere Anzahl von Sängern war bei keiner Art von
Nomen vorgesehen, i) Im Flötenspiel gingen zeitlich die auletischen Weisen
voraus und kamen die aulodischen früh wieder in Abnahme, so dass in
Delphi seit der 2. Pythiade nur das reine Flötenspiel in den Wettkampf
eintrat. Umgekehrt gingen im Zitherspiel die den Gesang begleitenden
Weisen voraus, und brachte die kitharistischen Nomen erst Aristonikos
aus Argos zur Zeit des Archilochos in Aufnahme (Ath. 638 ■). Ehe wir
uns aber zu den Nomendichtem selbst wenden, müssen wir zuvor noch
einiges von den Instrumenten und dem Einfluss der Fremde auf die Ent-
wicklung der griechischen Musik vorausschicken.
87. Musikinstrumente. Das alte Saiteninstrument der homerischen
Zeit heisst (pogfAiy^. Daneben kommt schon bei Homer der Name xiO^aQa
oder xi&aQig vor;*) im Hymnus auf Hermes tritt dazu das später meist-
verbreitete Wort Ivga, Ein nachweisbarer Unterschied der Gestatlt des
Instrumentes war mit den drei verschiedenen Namen nicht verbunden.*)
Als Resonanzboden diente in der Regel die Schale einer Schildkröte, wo-
von auch das ganze Instrument den Namen x^'^^^ (testudo) erhielt. Be-
spannt war dasselbe mit Darmsaiten, anfangs mit vier, seit Terpander
mit sieben, wovon die Namen tsxqdxoQdog und emdxoQdoq seil. Xvga her-
kommen. Die Erfindung des Instrumentes schrieb die Sage dem heimischen
Gotte Hermes zu,*) auch lässt sich das Wort g^oQfiiy^ aus der heimischen
Sprache (a fremendo) leicht und sicher erklären. Gleichwohl ist eine Ent-
lehnung des Instrumentes aus der Fremde, speziell aus Ägypten, wo wir
ähnliche Saiteninstrumente auf uralten Denkmälern finden, nicht aus-
geschlossen. Sicher kamen später zur alten Phorminx infolge der grossen
Verbreitung ausländischer Harfenspielerinnen mehrere fremde Saiten-
instrumente hinzu, so die Pektis'^) und Magadis^) aus Lydien, die drei-
seitige Harfe (TQiymog) ') aus Syrien, die Nebel ®) und Kinyra ») aus Phö-
^) Dass die Nomoi von einem Einzelnen,
nicht einem Chor vorgetragen wurden, be-
zeugt Arist. Probl. 19, 15. — In den hesiodi-
schen Versen Theog. 94 f. : ix yrig Movoätoy
xni ixTjßoXov 'jnoXXcjyog ay&QSg doi&oi eaaty
i-ni x^ot*€( xtti x(>^ttQiatttl hat man in äoidog
und xidaQiarijg nur zwei Bezeichnungen
derselben Person zu suchen, wie der Ver-
fasser des Schiffskataloges B 600 von dem-
selben Thamyris sagt: at^j ccq uoiörjy iV€<r-
Ttealrjy u(fiXovto xai ixXiXadoy xi^ccQicrvy.
*) Arist. Polit. VIII 6p. 1341« 17 ff. unter-
scheidet die einfachen, fllr die Uebung der
Freien allein geeigneten Saiteninstrumente,
und die kunstreicheren Instrumente der
Virtuosen.
•) Im Hynmus auf Hermes werden Xvqij
und xi9aQig ganz synonym gebraucht.
^) Hymn. Marc. 30 ff.
*) Pnot Ttfjxtlg ' naydovQioy tjroi Avdiov
ogyavoy x^q'^S nXrjxtQov \paXX6f4€yoy, Herod.
I 17 von dem Lvderkdnig Alyattes: ioTga-
tsvaato v7j6 avQiyytjy rs xai ntjxTidußy xai
ttvXov.
^) Magadis, eine Harfe mit 20 Saiten
bei Anacr. fr. 18, schon erwähnt bei Alk-
man fr. 91.
7) Erwähnt bei Sophocl. fr. 219. 375
u. a.; die syrische Herkunft bezeugt durch
Ath. 175 d. Zu ihr singt das Mädchen bei
dem Komiker Plato (Ath. 665 <*) ein fteXog
ifoyixoy.
^) Nebel, Hauptinstrument der Juden.
kommt zuerst bei Sophocl. fr. 764 vor: or
vdß'Aa xioxvToTaiy^ ov XvQa tfiXrj.
*) Dem hebräischen Kumor entspricikt
B. Lyxik. 1. Anfftiige der Ljrrik, Nomendiohtiing. (§ 87.)
115
nikien, endlich die asische Zither,^) die Sambyke^) und das Barbiton.^)
In der alten Zeit waren bei den Griechen nur Saiteninstrumente in Ge-
brauch; Homer und Hesiod kennen nur Kitharisten ; selbst das alte Klage-
lied, der Lines, wird II. 2 341 zur Kithara, nicht zur Flöte gesungen.
Von dem hohen Alter der Lyra zeugt auch der Umstand, dass die Kreter,
welche die alte Sitte der Derer am treuesten bewahrten, unter dem Klang
der Lyra in das Feld zogen.*)
Die Flöten, die wir richtiger unseren Klarinetten vergleichen,
kommen bei den Griechen gewöhnlich nur im Plural vor, weil in der
Regel ihrer zwei zugleich geblasen wurden. Der Name stammt von
griechischer Wurzel,^) aber das Instrument kam nicht bloss später als
die Phorminx in Brauch, sondern scheint auch aus der Fremde, und zwar
aus Phrygien, nach Griechenland gekommen zu sein. Denn während die
homerischen Sänger und Helden zur Phorminx singen, hören wir den
Lärm der Flöten und Pfeifen nur im Lager der Troer (II. K 13).«) Auch
die Sage von Marsyas und die Oberlieferungen von Olympos führen
nach Phrygien als ursprünglichem Sitz des Flötenspiels, für das die
Gegend von Kelainai ein treffliches Rohr und das berekynthische Gebirg
das treffliche Holz des Buchsbaums lieferte.*^) Ausserdem kommen von
ausländischen Blasinstrumenten bei den Griechen vor : die ßoiißvxeg^ welche
bei dem Kulte der thrakischen Göttin Kotyto gespielt wurden, ^) der ägyp-
tische Monaulos, ^) die karischen, bei den Adonisfesten gebrauchten yCyyQok
wAoi'.io)
Der Einfluss der Fremde und der fremden Götterkulte auf die An-
finge der griechischen Musik und Lyrik ward schon von den AJten her-
vorgehoben (Strab. 471; dem. Alex, ström. I p. 132). Ward derselbe auch
mitunter übertrieben, so ist doch sicher, dass die Griechen auf keinem
Gebiete mehr als auf dem der Musik Anregung von aussen empfangen
haben: von den hauptsächUchsten Tonarten ^dfoQiaxi^ ^QvyKrrt, kviiati,
aiokta%i\ iaavi haben zwei von fremden Ländern, Phrygien und Lydien, ihren
das grifich. xivvQa; dayon scheint das seit
Aischyloe in Griechenland verbreitete Yerbum
nrvQOfiai herzukommen.
>) BmcKSB, An. gr. 451 u. Et. M. 158, 32.
') Sambyke, vielleicht aramAisch, ward
▼OB Ibykoe nach Ath. 175 e erwähnt.
*) Das ßä^ßijoy soll nach Ath. a. 0.
Äaakreon erfänden, d. 1. in Gebranch ge-
Imeht haben.
<) Ath. 627'!; Qiem. Alex, paedag. 71.
*) Die ursprOngliche Bedeutung war ge-
hdhlte Röhre, in welchem Sinn das Wort
noch bei Homer vorkommt Auf die zui*
Fl5(aianfertigang yerwendete Enochenröhre
veist auch das lat tiinae hin.
*) Dieses bemerkte bereits Aristarch zu
i^ 13 u. ^ 495; dazu stimmt Aristot. Polit.
Vm7 p. 1342*» 5; vgl Her. 1 17. In der jftngeren
Ho|iIopMie £ 495 freilich werden auch schon
& Fldtim neben der Phorminx bei dem
HjmenAns erwälmt Vgl. Telestes fr. 2:
*^ya . . avXov oq iJQfAoae n Quitos Jaogidog
aytinaXoy f^ovaijg, — In ähnlicher Weise
kennt Homer nur bei den fremden Völkern,
nicht schon bei den Griechen, Tempel und
Götterbilder.
^) Ueber das fttr die Flötenzungen
(yXtiaaat) geeignete Rohr von Kelainai s.
Strab. p. 578; dorthin verlegte auch die Sage
den Streit des Marsyas und Apoll. ; s. Herod.
Vn 26. Ueber den Buchsbaum vgl. Hbhn,
Kulturpflanzen 202 £f., und Ath. 176 f.: tovs
yctQ iXvfjLovg avXovg, (oy fjivrjfjLoyevBf, lotpo-
xXvjg iy Nioßfi re xay Tvf^nayiaxaig. ovx
ttXXovs xtvag eiyai axotfo/ney ij toüV 4*Qvyiovg,
^) Erwähnt von Aischylos nach Sterben
p. 470.
•) Ath. 175 f., PoUux IV 75; nach der
ersten Stelle kam er schon bei Sophokles
vor. Damit in Zusammenhang steht, dass
man das Flötenspiel auch für eine Erfindung
der Libyer ausgab; s. Ath. 618c und Nonnos
Dion. 28, 622; 40, 227.
") Ath. 174e u. 618c, PoUux IV 102.
8*
116
Griechische litteratargeachicht«. I. Klftssischc Periode.
Namen ;^) das älteste Lied, dessen Namen uns überliefert ist, das Lino»-
lied, stammt aus dem Orient;*) die Totenklage, welche von jeher mit
Musik, Gesang und ekstatischen Gestikulationen verbunden war, trägt
orientalisches Gepräge;^) die orgiastischen, mit Pauken und Flöten ge-
feierten Kulte der berekyntischen Eybele und der thrakischen Bendis
kamen von den Barbaren zu den Griechen.
Der Gegensatz zwischen Flöte und Lyra spielte nicht bloss in den
Götterkulten und Landschaften, sondern auch in dem ganzen Verlauf der
griechischen Musik eine grosse Rolle; er fand seinen symbolischen Aus-
druck in dem Mythus vom Streit des Marsyas und Apoll. In der Vorzeit
der thrakischen Sänger, aus der keine Melodie sich in die historische
Zeit rettete, herrschte einzig die Phorminx. Der erste Aufschwung der
Musik ward der Flöte und dem Meister des Flötenspiels, dem phrygischen
Olympos, verdankt.^) Bald folgte ihr die Vervollkommnung des alten
Saiteninstrumentes und die Dichtung neuer Weisen für die Lyra durch
Terpander. Alsdann hielten sich eine Zeitlang die beiden Musikarten die
Wage, so aber, dass die Flöte als begleitendes Instrument bei den Aufzügen
und der Chorfeier allmählich das Übergewicht erhielt, im übrigen aber
der saitenlose Klagegesang (tälefiog iikvQog) im Gegensatz blieb zu den
hehren Zitherweisen des Lichtgottes Apoll. ^) Im allgemeinen gehörte
die Pflege und Kenntniss der Musik bei den Hellenen zu dem Wesen
des freien Mannes, so dass auch in dem Unterricht der Knaben die
Musik einen Hauptgegenstand bildete, ohne den man sich eine libercUis
educatio nicht denken konnte;^) durch die Musik erhielten dann auch die
verschwisterten Künste des Tanzes und des Gesangs ihre Weihe und ihre
Ausbildung.
88. Olympos, der Begründer der auletischen Nomenpoesie, im Gegen-
satz zu dem fabelhaften älteren Olympos der jüngere Olympos genannt, lebte
gegen Ende des 8. Jahrhunderts unter dem phrygischen König Midas 11
(734—695).') Plutarch de mus. 11 nennt ihn Begründer {aQx^jyov) der
J) Zwei Haupttonarten, die strenge ein-
heimische dorische and die weiche auslän-
dische phrygische unterscheidet Aristot. polit.
IV 3 p. 1290 * 12; aher wenn die Phorminx
aus Aegypten stammt, so wird auch die fOr
einheimisch ausgegebene dorische Tonart aus
der Fremde, nur in früherer Zeit gekommen
sein.
^) ^gl- § 1^; dazu stelle die/icAi; Tog^ijßia
von der lydischen Stadt Toirebos bei
Steph. Byz.
'j MaQiavSvpoq SQTjyrjtiJQ bei Aesch.
Pers. 992; vgl. Kagix^ fiovajj bei Plat. legg.
VII p. 880 und KaQixoy fieXog bei dem
Komiker Piaton in den AdxfawBg 1, 12.
*) Marsyas und Hyagnis, die angeb-
lichen Eltern des Olympos, sind die mythi-
schen Erfinder des Flötenspiels. Olympos
ward als jugendlicher Knabe neben Marsyas
dargestellt von Polygnot; s. Paus. X 30, 9.
') Im 4. Jahrhundert thaten sich be-
sonders die Thebaner im Flötenspiel hervor;
aus Theben stammten die berOhmten Flöten-
virtuosen Pronomos, Diodoros, Antigenidas,
Timotheos, Theon, Dorotheos.
') Darüber belehrt insbesondere Aristo-
teles im letzten Buch der Politik und Piaton
im Gastmahl 187 <^, wo geradezu EenntiiiB
der Musik mit Bildung (naidBia) identifiziert
ist. Dazu vergl. die. Tusc. I 4, Plut The-
mist. 2, Cim. 4. Bildlich ist dieser edle
Zweig der Jugendbildung dargestellt auf der
Schale des Malers Duris (um 450); s. Micha-
elis, Attischer Schulunterricht auf einer
Schale des Duris, Arch. Zeit N. F. 6 (1873).
^) Ueber beide je ein Artikel des Soidas,
wo es von unserem Olympos, dem histori-
schen, heisst: "OXvfxnog 4»gv$ yeiüi€Qog avkfj-
Tiyf yeyoywg ini Mi&ov xov Fo^diov, Den
älteren mythischen Olympos setzt Soidas
TtQo idiy Tgtjixwv; Clemens Alex, ström. I
p. 132 unterscheidet einen Mysier und einen
Phrygier Olympos. S. Ritschl, Olympus
der Aulete, Opusc. I 258-270.
B. Lyrik. 1. Anftnge der Lyrik, Nomendichtnng.
f 88 -89.)
117
hellenischen Musik, was insofern seine Richtigkeit hat, als der Aufschwung
der griechischen Musik von den Flötenweisen unseres Phrygiers Olympos
ausging. Von Worten, die er zu seinen Melodien gedichtet, erfährt man
nichts. 1) Natürlich hat er seine Melodien nicht niedergeschrieben, sondern
durch Vorspielen auf seine Schüler verpflanzt. Um so leichter konnte sich
ein Streit über die Autorschaft der ihm zugeschriebenen Nomen erheben.
Zugeschrieben aber wurden ihm mit mehr oder minder Recht: der vofjiog
nolmagfaXog auf Apoll, nach Pindar P. XII so benannt von den vielen
Köpfen der Gorgo, deren schrillen Klageton er nachahmte,*) der vofiog
a^fioTHog, der dem Namen nach für den ritterlichen Wagenwettstreit be-
stimmt war,') femer Nomoi auf Athene, Ares und die Oöttermutter.^)
Er galt femer als Erfinder des enharmonischen Musikgeschlechtes, ^) dessen
Wesen darin bestand, dass es bestimmte Töne der diatonischen Skala für die
Melodie unbenutzt liess. Auch mehrere neue Rhythmen, wie der nqaaod^axog
( — v^_v><y-)j %OQ€iog (-w_w-w-..)j ßaxxBiog (-^^- _v^^-)^
werden auf ihn zurückgeführt. <^) — Schüler des Olympos war Hierax
ans Argos, von dessen Erfindungen Pollux IV 79 und Plutarch de mus. 26
berichten.
89. Terpandros aus Antissa in Lesbos, dessen Zeit sich dadurch
bestimmt, dass er Ol. 26 = 676/3 v. Chr. an den Earneen in Sparta siegte, 7)
hat den Ruhm, Begründer der kitharodischen Nomendichtung und der
lyrischen Poesie der Griechen zu sein. Er ward dieses dadurch, dass er
die Zitherweisen, welche eine Zeitlang durch die auletischen Nomen des
Phrygiers Olympos in den Hintergrund gedrängt waren, auf eine eben-
bürtige Höhe erhob und die Wege der alten Eitharisten verfolgend, den
Weisen der Lyra auch Texte unterlegte. Insbesondere hat er als Er-
finder der siebensaitigen Lyra (€n%d%oqdog Xvqay) den alten 4 Saiten 3
neue hinzugefügt und neben dem alten daktylischen Rhythmus mehrere
neue Rhythmen in die Poesie eingeführt. Er knüpfte in seinen Nomen
') Nichts beweist das Scholion zu Ari-
fltopli. Eqa. 10: "OXvf^nog fygaiffe avXrjuxovg
Mm 9^tnjtueovg yofAovs.
') Neuere laasen ihn von den vielen Ab-
sitzen (xeffaXtti) benannt sein. Die Erfin-
dong des Pol^kephalos wird der Athene
selbBt zugeschrieben von Pindar P. XII; nach
tBdern soll Erates, ein Schiller des Olympos,
um erfunden haben; s. Plnt. de mus. 7.
>) Plnt de mns. 7; anff&lliger Weise
wird derselbe Nomos als £[lageweise bezeich-
net yon Enr. Gr. 1885.
*) Plnt. de mns. 29 ; vgl. Aristoph. Eqn. 9.
*) Plnt de mns. 11.
*) üeber diese Rhythmen siehe meine
Vebik« 253 n 478. Ritschl, Opnsc. 1 260 hat
las der Notiz des Alezander Polyhistor bei
Plat de mns. 5 XQovfiara tPXvfATtoy nQtSxoy
tis toig ISilfjyag xofucai geschlossen, dass
Olympos ausser auletischen anch kitharisti-
sdM Melodien gedichtet habe. Aber dagegen
bricht die ganze ftbrige üeberliefemng; yiel-
oidir scheint das Wort x^avfiata hier in dem
allgemeinen Sinn von Tonweisen, nicht in
dem speziellen von Zithermelodien gebraucht
zu sein, wie Suidas sagt *t)XvfÄ7tog ^ysfjttay
trjg XQovfÄaux'^g fjLOvaixrjq lijg dia rtoy x^ov-
fjiätwy.
^) Ath. 635®: t« Kagyeia ngoitog nay-
t<oy Tignaydgog yi^x^^ tag TSXXdyixog IcxoqbI
ey te roTg ififi^TQOig xaQyeoyixwg xdy roig
xaraXoyddrjy ' iyivBJO 6k ij &taig raiy Kag-
ysiaty xatd Ttjy ixttjy xai eixotntjy ''OXvfA-
nid&a. Danach war Terpander um etwas
geringes Alter als Archilochos, wie auch
Glaukos bei Plut. de mus. 4 bezeugt und
Wbstphal, Vhdl. d. 17. Vers. d. Phil. 8.
51 — 66 aus der Geschichte der Musik nach-
weist. Umgekehrt setzen den Terpander
später als Archilochos der Peripatetiker Pha-
mas bei Clemens Alex, ström. I 144, das
Mann. Parium zu Ol 33, 4 = 645 v. Chr.,
und Ensebios zu Ol. 36, 2 = 635.
«) Strabo 618: Td^aydgog dytl tijg
tergaxogdov Xvgag inxaxoQdtp jif^ird/itfi'oc.
Genaueres Plut. de mns. 28.
118 Grioohisolie littorainrgesoliiohte. L KlaMisohe Periode.
zunächst an die Weise der thrakischen und delphischen Sänger und Eatha-
risten an, weshalb die Sage das Haupt und die Leier des erschlagenen
Orpheus durch das Meer nach dem lesbischen Antissa schwimmen liess/)
und der Grammatiker Proklos den Kreter Chrysothemis zum Vorgänger
unseres Terpander in der Nomenpoesie macht.*) Ausserdem verwertete
er die musikalischen Weisen der benachbarten Lydier zur Vervollkomm-
nung der griechischen Musik. So rühmt Pindar fr. 125 von ihm, dass er
den Barbiton zuerst aufgebracht habe, als er bei den Gelagen der Lydier
das Widerspiel der hohen Pektis vernommen. Epochemachend für die
Verbreitung der Musik nach dem griechischen Festland war die Berufung
des Terpander nach Sparta, das im 7. Jahrhundert nach der Bezwingung
Messeniens eine Hauptpflegestätte der Musik und der Götterfeste war.
Spätere sagenhafte Ausschmückung hat dieser Berufung die politische Ab-
sicht einer Beschwichtigung der Parteien untergelegt. >) Sicher ist, dass
der lesbische Musiker in Sparta mit grosser Auszeichnung aufgenommen
wurde, wodurch der sprichwörtliche Ausdruck entstand: fisrd Aäaßiov ^dov,
d. i. zuerst der lesbische Sänger und d&nn die andern.^) Die Namen der
kitharodischen Nomen Terpanders waren: Bouovioq^ Aiohoq^ ^Qox^Tog, o^vg^
Kfjmwvy TsQndvdgwgy xsxQamdkoq; ausserdem hatte er kitharodische Pro-
oimia, d. i. Melodien zu Hymnen gedichtet.^) Allen diesen Kompositionen
lagen Texte zu grund;*) als Text benützte er teils Dichtungen Homers,
vermutlich auch homerische Hymnen, teils dichtete er selbst eigene Verse
in langgedehnten Rhythmen, wovon uns ein paar dürftige Reste erhalten
sind, wie:
Zsv navTwv dgxdy
navtanv €r/7;ra>^,
Zev ZeVy aol cnäviw
%av%av vfivwv ä^x^v.'')
Die grösseren Nomen waren selbst wieder, ähnlich wie unsere Symphonien
und Kantaten, in mehrere Sätze gegliedert. Nach Pollux IV 66 hatten
die terpandrischen Nomen 7 Teile: ccQxdy fiixuQxdy xcnatQond^ fAeraxorra-
TQond^ ofi^aXog (Westphal stellte um: o/i^aXog^ fisxaxaxaxQond)^ ^9Q^yf'^y
imXoyog.^) Wenn schliesslich Terpander von Plut. de mus. 28 auch als
*) Phanokles bei Stob. Flor. 64, 14; | Zeit nichts Ton Wettkftmpfen in Delphi
Antig. bist mir. 5; Ovid. met XI 50; Ludan
adT. ind. 11.
") Procl. csbreet p. 245, 2 W. : Xqvco-
TtQsnsi xai xi&aQay avaXaßiav eis fiifitjciv
tov *An6Xkta¥og /Äoyog jce . . . doxil d^ Teg-
TtaydQOf fiky itQtStof t€X€^wca^ tov yofior
iJQ(oi^ fAhgip X^ficäfAB¥os. Bis auf den my-
thischen Amphion geht znrück Herakleides
bei Fiat de mos. 3.
») Philod. de mos. XIX 18 n. XX 2; Plut.
de mos. 42; Aelian V. H. XII 50; Zenob. 5, 9.
*) Aristot. fr. 497, wo von Rose die ganze
litterator zusammengetragen ist Die 4 Sdege
des Terpander in Delphi scheinen spätere
Erfindungen zu sein, da wir aus so früher i hatte der berOhmte Uv&uns yofsos de« 8a-
») Plut de mus. 4; Schol. Aiist Nub. 595.
*) dem. Alex, ström. I 133: ftiXog «Tor
TtQidtog negii^xs tois non^fitun xai toi«;
Attxe6aiuovitti¥ vo/Äovt ifieXonolijae Te^na»^
^Qos 6 Avxiacaiog. Plut de mus. 3: Ti^
nay&Qoy . . totf 'OfjiiJQov f*iXrj nsQ^S^eyra
^&e^v iy roiV nywoiy. Die ^X^ x^&a^t^r^s
wurde nach Atfa. 637 f. erst durch den Ar-
giver Aiistonikos, Zeitgenossen des Archi-
lochos, eingef&hrt
') Das Fragment, eihalten von Clem.
Alex. Strom. VI 279, wird nur ▼ermutungs-
weise dem Terpander zugeschrieben.
•) Nach Poll. lY 84 und Strab. p. 421
B. Lyrik. 1. Anfange der Lyrik, Nomendiohiang. (§§ 90—91.)
119
Dichter von Trinkliedern (axoha) gepriesen wird, so erklärt sich dieses
leicht aus der Beliebtheit der Musik und des Gesanges bei den fröhlichen
Gelagen, wie sie Terpander nach dem oben angegebenen Fragment Pindars
bei den Lydiem vorfand und nach griechischen Landen verpflanzte.
90. Elonas, Polymnastos, Sakadas, Echembrotos waren die
Haaptvertreter der erst nach Terpander aufgekommenen aulodischen Nomen.
Von diesen hat Elonas, den die einen zu einem Tegeaten, die anderen zu
einem Thebaner machten,^) die aulodische Nomenpoesie begründet und zu
seinen Melodien Elegien und Hexameter gedichtet.^) Wenn demselben auch
Prosodien beigelegt werden, so sieht man daraus, dass schon damals aulo-
dische Rompositionen auch zum Vortrag bei Prozessionen bestimmt waren. ^)
— Sakadas aus Arges, der Verfasser von fjte^rj und iUyeXa fiefieXonatr^^
fi£va,^) war der Schöpfer des berühmten auletischen vöfiog nv&^xog, der
den Kampf des Gbttes Apoll mit dem Drachen Python darstellte.^) Seine
Zeit wird dadurch genau bestimmt, dass er nach Paus. X 7, 4 in den
Jahren 586, 582 und 578 bei den pythischen Wettkämpfen siegte. Von
ihm oder Polymnastos rührte auch der vofAog TgifASQ/jg (oder TQifjicXt^g) her,
von dessen 3 Strophen jede in einer anderen Tonart {dtaQiaxi^ ffqvyiaxC,
Ivdunf) gesetzt war. Vermutlich war Sakadas auch Erfinder der Instru-
mentalnotenschrift, welche älter war als die der Vokalnoten, aber mit dieser
darin übereinstimmte, dass sie die Lautzeichen des Alphabetes zur Be-
zeichnung der Tonhöhe in den verschiedenen Tonarten verwendete.«) —
Gleichzeitig mit Sakadas war der Arkadier Echembrotos, der bei den ersten
pythischen Spielen (586 oder 582) mit einem aulodischen Nomos siegte,
aber durch den traurigen Charakter seiner Dichtung Anlass gab, dass die
Gattung der aulodischen Nomen wieder aus der Liste der zulässigen Dich-
tungen gestrichen wurde. 7)
91. Orchestik und Anfänge des Ghorgesangs. Die kitharodi-
schen und aulodischen Nomen waren zum Einzelvortrag bestimmt. Es
bildete daher auch die Nomenpoesie zunächst nur für die eigentliche Musik
oder die Liederpoesie den Ausgangspunkt. Der Chorgesang hingegen ging
aas den Reigentänzen hervor, indem bei diesen Tänzen, die selbstverständ-
lich immer von mehreren aufgeführt wurden, die Tänzer ihren Empfin-
kidas 5 Teile, worüber Lübbbbt, De Pin-
dari carminiiin compeeitione. Flut, de mus.
3S erw&hnt auch Kompositionen von 3 Teilen
(«rp/i;, fi€0oy, ixßrttfif). Auf die Bedentang
dieser Teile f&r die spätere Poesie werden
wir bei Pindar rarackkommen.
>) Phit de mns. 5.
*) Plnt de mus. 3 n. 8.
*) Da Polymnastos anch von Alkman
fr. 114 erwähnt ward, so wird er in der
2. Hüfte, Elonas in der Mitte des 7. Jahrb.
geUflht haben.
^) Plnt de mns. 8.
^) GcBBAüBB, Der pythische Nomos, eine
Stadie zur griech. Mnmkgeschichte, Jahrb.
1 PbiL Savpl. 8. Ath. eiO«" ftthrt von Sa-
kidas aach eine 'IXiw ni^^g an. Die ihm
beigelegten yofAoi hieasen anö&Btoq und
*) Der Yokalnotenschrift der Griechen
liegt das zur Zeit der Perserkriege ausgebil-
dete ionische Alphabet von 24 Buchstaben
zu grund. Die iDstrumentalnotenschrift hin-
gegen enthielt nicht bloss noch das Digamma,
sondern auch das gebrochene Jota, das nach
den Inschriften nur in Ärgos Verbreitung
hatte. Dieser Umstand fOhrt auf den Argiyer
Sakadas; vgl. Monbo, The modes of anc.
greek music p. 75.
0 Paus. X 7, 46 hat die Aufschrift des
ehernen Dreifusses erhalten, den Echem-
brotos ob eines Sieges nach Theben stiftete:
'ExifdßQotos *4Qxdg i&ijxsy rto ^HQaxXet yixijaag
Tod* äyaX/Äa,^j4fÄ(pixtv6v{oy iy aä&Xoigy'EXXijiHy
deidtoy (AiXsa xiXiyovg»
120
Ori«chisolie litieraiiirgeaohiolite. I. KUssische Periode.
düngen auch in Worten, zunächst in Ausrufen, dann aber auch in ent-
wickelten Sätzen Ausdruck gaben. Das Wort x^Q^ bedeutete in der
älteren Zeit und so noch bei Homer den Tanzplatz (verwandt dem lat
co'hors) und ward dann erst auf die Gesamtheit der Tänzer, die auf jenem
umfriedeten Platze ihre Reigen aufführten, übertragen. Festliche Tänze
waren bei allen Griechen Üblich; einer besonderen Pflege erfreuten sie
sich aber auf der Insel Kreta. Schon Homer schildert den Tanzplatz {x^Qoq)
der Ariadne im kretischen Knossos (2 590 ff.) und nennt den Kreter
Meriones einen Tänzer {oQxrfixvfi li 617).^) Wie die übrigen Künste, so war
auch der Tanz in Kreta in den Dienst der Gottheit gestellt; so galten die
Päane den Festen des Heilgottes Apoll und die Waffentänze {nvq^x^
denen des Kriegsgottes Ares.*) Schwerlich indes waren dies alte nationale
Tänze; vielmehr scheinen dieselben unter fremden Einflüssen entstanden
zu sein. Dahin weist die Verwandtschaft der kretischen Kureten mit den
phrygischen Korybanten und die Verbindung der idäischen Daktylen und
Kureten mit dem Kultus der grossen Göttermutter.») Von Kreta ver-
breitete sich dann der religiöse Tanz und Gesang nach dem griechischen
Festland, zunächst nach Delphi und Sparta. Von der Verpflanzung nach
Delphi haben wir ein litterarisches Denkmal im pythischen Hymnus auf
Apollo.^) Nach Sparta brachte die neue Art der Götterfeier durch Chor-
gesang Thaletas aus Gortyn. Derselbe ward zur Zeit einer Pest von
den Lakedämoniem berufen, um durch religiöse Sprüche (im^aC) den
Zorn der Götter zu beschwichtigen.*^) Bei dieser Gelegenheit, wahrschein-
lich im Jahre 665, in welches Jahr Eusebios die Einführung der Gymno-
paideia in Sparta setzt, führte er die in feierlichem Tanze aufgeführten
Heillieder an Apoll, die Päane, und die in raschem Takte sich bewegen-
den kriegerischen Tänze der Pyrriche {inoqxw^'^^) i" Sparta ein.«) Des-
halb wird er von Plut. de mus. 9 zusammen mit Xenodamos von Kythera
und Xenokritos aus dem unteritalischen Lokris^) Begründer der zweiten
Musikperiode in Sparta {ßsxntqaq xatactdasoig ziav negl xrjv fAovaixtjv h
Tjj Ina^Tj) genannt. Die erste war, wie wir oben sahen, von dem Lesbier
Terpander ausgegangen. Der Einführung der Karneen und Gymnopädien
in Sparta folgten bald ähnliche mit Musik und Tanz begangene Feste bei
') Auch Sappho fr. 54 besingt den Tanz
der Kreteriimeii um den reizenden Altar.
Ueber die Tänze der Ereter im allgemeinen
AristoxenoB bei Ath. 630^ und Sosibios in
Scbol. Find. P. II 127. Von Kreta benannt
ist der ^»t^/urc KQf^ixog JL \j ^ z v> _
•) Das waren die MnXioq oqxv^^ bei
Strabon p. 480 und die iyonXia naiyyia des
Piaton Legg. VII p. 796 »>.
») Diodor XVII 7; Strabon p. 473. An
die Waffentänze der Kreter erinnern die
Tänze und Lieder der römischen Salier; ob
aber dabei an griechischen Einflnss zu denken
sei, ist problematisch. — An Olympus knüpfte
Thaletas an nach Plut. de mu». 10.
*) Das Verhältnis kehrt umWiLAMowiTz,
Eur. Herakl. I 265: wenn der homerische
Hymnus an Apollon, der in diesen Teilen
dem Ende des 7. Jahrh. angehört, die del-
phischen Priester aus Kreta holt, so zeigt
sich darin die später so häufige Vorstellung,
da3s Kreta der Sitz der reinen Dorer ist» in
naiver Umkehrung des Verhältnisses, in
Wahrheit waren die Dorer vom Pamass nach
Kreta gezogen.
^) So sagte Pratinas in irgend etn^m
Liede nach Plut. de mus. 42.
•) Plut. de mus. 9; Schol. Pind. P. n 127;
Strab. 480.
^) Auf die Bedeutung dieses Xenokritos
in der Musik weist der Umstand hin, daas
die Griechen auch eine lokrische Humonie
aufstellten.
B. Lyrik. 1. Anftnge der Lyrik, Nomendichtnng. (§ 92.)
121
den übrigen Griechen, die Apodeixeis {imdef^sig era. Hiller) in Arkadien,
die Apodymatia in Arges, i) die Festspiele des Apoll in Delphi (seit 586
oder 582) und Delos,*) die Pythien in Sikyon,«) die Panathenäen in Athen,*)
die Hyakinthien in Samos,^) die Museia und Erotidia in Thespiä.^) Es
nahm aber diese Art von Festfeier eine mittlere Stelle in der Entwicke-
luog der griechischen Agone ein. Vorausgegangen waren die rein gym-
mschen Spiele, welche lediglich in körperlichen Kraftproben im Laufen,
Springen, Ringen bestanden. Weit später, gegen Ende des 6. Jahrhunderts
kamen die dionysischen Festspiele in Schwung, aus denen sich im Nord-
peloponnes und in Attika die dramatische Poesie entwickelte. In der
Mitte stand unsere aus musikalischen Vorträgen und orchestischen Schau-
stellungen (imdst^eig) bestehende Festfeier, welche sich, wie sie von den
Doriem Kretas ausgegangen war, so auch bei den Doriem des Festlandes
einer besonderen Beliebtheit erfreute, während die lonier bei ihren Festen
die ältere Weise des rhapsodischen Vortrags epischer Heldengesänge zu
kultivieren fortfuhren.
92. Blicken wir zum Schluss nochmals zurück auf jene älteste, text-
arme Periode der griechischen Lyrik und Musik, so sehen wir, dass sich im
Laufe des 7. Jahrhunderts all jene Elemente entwickelten, die wir später
in der Glanzperiode der griechischen Lyrik vereinigt sehen. Zu dem ein-
tönigen, feierlich ernsten Rhythmus des daktylischen Taktgeschlechtes ge-
sellte sich der rasche Gang des spitzigen lambus und rollenden Trochäus
sowie der energische Schritt des anapästischen Marschgesanges (TTQoüodiaxog).
Neben dem Dreitakter (Tripodie) und dem aus dessen Wiederholung ent-
standenen Hexameter kamen die ebenmässigeren, in geraden Zahlenver-
hältnissen sich aufbauenden Sätze, die Dipodien und Tetrapodien zu Gel-
tung, t) Dieselben waren von Hause aus den iambischen, trochäischen und
auapästischen Reihen eigen, fanden aber mit der Zeit auch in die dakty-
lischen Verse Eingang. Neue Formen sodann entstanden dadurch, dass
die Katalexis, welche ursprünglich auf den Versausgang beschränkt
war, auch auf die Vorderglieder eines Satzes ausgedehnt wurde. Auf
diese Weise entwickelte sich aus dem katalektischen trochäischen Dimeter
der Creticus ( ^ w « ) und Päon ( -^ ^ ^, die, wie die Namen sagen, in
Kreta und in dem apollinischen Chorgesang ihre Stellung hatten. Es hing
n&mlich die Ausbildung der Rhythmengeschlechter hauptsächlich mit der
Entwickelung des dritten Hauptfaktors der griechischen Lyrik, des Tanzes,
zusammen. Denn beide, Rhythmus und Tanz, gingen derart Hand in Hand
») Plut de muB. 9; Ath. 626 *>; Polyb.
IV 20, 8.
«) Hymn. Ap. I 150; Paus. X 7, 4.
*) DieBelben waren allinfthllch erweitert
na gymnischen Wettkftmpfen za rhapBo>
diaclieii, dann lyiischeii, s. Bbbgk, Gt litt.
II 149.
*) Sicher seit Perikles nach Fiat. Per. 13.
») Ath. 139«.
*) Paus. IX 31, 3; von diesen freilich
«ad den Hyakinthien ist die Zeit der Ein-
filhnmg nidit beetinunbar. Vgl. Rbiscb, De
■üisidB Graeeonun certaminibus, Vind. 1885.
') Die ZnsammenfÜgang von 2 Fassen
zu einer Dipodie nnd von 2 Dipodien zn einem
Dimeter ist von Nator emfacher nnd erweist
sich auch durch ihr Vorkommen bei anderen
Völkern als verbreiteter nnd ftlter. Diesem
Grandgedanken von Usbnbb's ßnch über den
altgriechischen Versbau stimme ich voU-
st&ndig bei; aber den Versuch, die Hälften
des Hexameters nun auch zu solchen Vier-
taktern zu machen, halte ich fOr eiÜe Liebes-
mühe: im Anfang steht eben die Messung
nach der Zahl der Ikten, nicht nach der der
Sylben.
122
Qriechiaohe Litteratarg^Bohiehta. I. Klasaisohe Periode.
bei den Griechen, dass dieselben zur Bezeichnung der rhythmischen Be-
griffe Takt, Doppeltakt, Auftakt lauter von dem Tanz und dem Schreiten
hergeholte Ausdrücke {7101g, ßdtng, nQoaoiiaxoq, ncQiodog, trrQo^fjy ävTiatQog/jj)
gebrauchten. Die Liebe zu dem Tanz, nicht dem einförmigen Rasen unserer
Walzer, sondern den eurhythmischen Bewegungen religiöser Festfeier,
war den Griechen schon zu Homers Zeiten in Fleisch und Blut über-
gegangen; nicht bloss tanzen bei ihm die Jünglinge bei der Hochzeit und
Weinlese, auch zur Versöhnung des Apoll führen die Söhne der Achäer
Reigen auf, zum Tanze den Päan singend (A 472).^) Glänzendere Entfal-
tung fand dann aber erst in unserer Periode, namentlich in den dorischen
Staaten, die Orchestik, so dass bald kein Götterfest, keine militärische
Parade ohne Tanz und rhythmischen Aufzug begangen wurde.
An dem Aufschwung der drei verschwisterten Künste Musik, Rhyth-
mik, Orchestik beteiligten sich die verschiedenen Stämme Griechenlands;
auf ihre Entwicklung haben aber ausserdem auch fremde Völkerschaften
Eleinasiens, namentlich Phrygier und Lydier, Einfluss geübt. Da jeder
der Stämme seine eigene Art hatte, so bildeten sich schon in jener alten
Zeit verschiedene Tonarten aus, die dorische, äolische, phrygische, lydische,
mixolydische, ionische.^) Diese Tonarten oder Harmonien sind ihrer tech-
nischen Bedeutung nach nur verschiedene Oktavengattungen und Trans-
positionsskalen, aber mit der verschiedenen Skala und dem verschiedenen
Schlusston hatte sich auch ein verschiedenes Ethos verbunden, so dass
die dorischen Melodien würdevolle Ruhe, die phrygischen orgiastische Be-
geisterung, die lydischen zarte Weichheit, die äolischen ritterlichen Stolz
atmeten.^) Diese Unterschiede des Ethos erklären sich kaum zur G^enüge
aus der Natur der Skalen; sie hatten wohl ihren Hauptgrund darin, dass
von vornherein die in den betreffenden Tonarten gesetzten Lieder einen
bestimmten Charakter in Stimmung und Rhythmus^) hatten, und dass dieser
auch in der Folgezeit in den neu gedichteten Melodien und Gesängen bei-
behalten wurde.
Auf solche Weise hatte die griechische Lyrik aus der älteren Zeit
einen reichen Fond von Melodien und Rhythmen ererbt; die Dichter der
^) In Attika existierte ein (Geschlecht
EvysTifaty das Hesychios als ye'yos oQxrjaxtay
xai xi9aQiaTüjy bezeichnet, und das bei Staats-
festen (leQovQyiai) den Dienst von Tänzern,
Kitharaspielern und Sängern versah.
*) Ptolemaios Harm. 2, 6 und Bakcheios
c. 12 unterscheiden nur *S Haupttonarten:
JtiQioyj ^Qvyioyj Av^ioy, nur 2 Aristoteles
Polit. p. 1290" 12: dm^iazl, (pgvyiari Weniger
Beachtung verdient Herakleides Pontikos bei
Ath. 624 c (vgl. Pollux IV 65), der unter
einseitiger Betonung des Reinhellenischen 3,
den 8 Yolksstämmen der Dorier, Aeolier,
lonier entsprechende Tonarten annimmt. Zu
den 3 Grundtonarten des Ptolemaios kamen
das Hypodorische oder Aolische, das Hypo-
phrygische oder Ionische, das Mixolydische.
Das Ionische, dem Heraldeides a. 0. etwas
Herbes und Stolzes, Plato de rep. 398 rich-
tiger (vgl. Aesch. Snppl. 69) etwas Weiches
und Trunkenes beimass, kam erst durch
Pythermos auf, der nach Ath. 625 c vor
AjDanios und Hipponax gelebt haben soll;
das Mixolydische nat nach Plut. de mus. 28
zuerst Sappho und dann die Tragödie ge-
braucht.
^) Ueber das Ethos der Tonarten, das
auch fOr die Erziehung der Jugend von Be-
deutung war, handeln Piaton de rep. p. 398,
Aristoteles PoHt VIH 5—7 u. Probl. 19, 48,
Herakleides Pontikos bei Ath. 624 ff.
^) So passten die schweren Daktylo-Epi-
triten zur dorischen Tonart, die Choriamben
und Päone zur äolischen, die Bacchiaci nnd
Prosodiaci zur phrygischen, die Logaöden zur
lydischen und mixolydischen, die loniker zur
ionischen.
B. Lyrik. 2. Die Elegie. (§ 98.)
123
nachfolgenden Periode, zu der wir uns jetzt wenden, haben dafür gesorgt,
dass es nun auch nicht an Versen und Texten fttr diesen musikalischen
Fonnenreichtum fehlte. Es fiel aber die Blüte der neuen Gattung der
lyrischen Poesie in eine Zeit, in der die alte Ordnung des patriarchali-
schen Königtums in die Brüche ging und unter Kämpfen und Parteiungen
eine neue Zeit republikanischer Staatsverfassung und freierer Bewegung
aDw&rts in Griechenland heranbrach. Zum Ausdruck der subjektiven Ge-
f&hle und Empfindungen, die durch den Umschwung der politischen Ver-
hUtnisse geweckt und genährt wurden, eignete sich aber die lyrische Poesie
ungleich besser als die epische. Kein Wunder also, dass im 7. und 6. Jahr-
hondert die lyrischen Dichtungen sich des grösseren Anklangs erfreuten
und die litterarische Produktion beherrschten.
Die griechische Lyrik hat vier Unterarten, die Elegie, den lambus,
das Helos und den Ghorgesang. Die beiden letzten heben sich von den
beiden ersten als höhere Gattungen dadurch ab, dass sie allein die kunst-
volle Form der Strophe kennen. Die vier Arten kamen erst nacheinander
ZOT Ausbildung; erst in späterer Zeit wurden dieselben nebeneinander
kultiviert, jedoch auch dann noch so, dass immer eine Art vor den andern
in höherem Ansehen stund. Danach wird sich auch unser Gang in der
Besprechung der griechischen Lyrik regeln.
2. Die Elegie.')
93. Am wenigsten entfernte sich von der alten Sangweise der epischen
Poesie die Elegie. Im elegischen Distichon wurden nur 2 Verse zur Einheit
einer Periode verbunden, und der 2. Vers gehörte dem gleichen Rhythmen-
geschlecht wie der erste an. Diesem 2. Vers, der aus 2 katalektischen
Tripodien bestand,') gebührte speziell der Name ^Xeyog. Denn iXsyoq be-
deutete ursprünglich ein Klagelied,') zur Klage aber eignete sich vortreff-
lich jener Vers, mochte man nun durch Pausen die Unterbrechungen des
geraden Ganges ausfüllen oder die Schlusslängen zu langangehaltenen
Klagetönen^) anschwellen lassen:
KJ<^ LJ . v>^ .
uj oder
Vk«A^ . \^^
Ä • K^X^ «, v>\^
^) Havtuvg, Die griech. Elegiker, griech.
mit netr. üebenetE., Leipz. 1859, 2 Bde. —
f^BASCKB, CaUinns siTe qusestiones de ori-
gme canninis elegiaci, Altona 1816. — Bach,
De lognbri Graecomm elegia, Bresl. 1835,
De ijrmpoeiaca, Fnlda 1837. — Caesar, De
eannisiB Graeconim eleaaci origine et noti-
«e, Upe. 1887. — 0. Imiisce, üeber Ur-
■pnmg der Elegie, Verh. der Philologenvers.
in Gdiliiz, 1889 S. 372. — Rbitzeksteii«,
llpignunm und Skolion, Giessen 1893 S. 65 ff.
') Bnr. Troad. 119: tovg ael daxgvtoy
äi'rorf. Iph. Taur. 1091: eXeyoy oixxgov.
Hei 85 und Iph. Tainr.^146: aXv^ov Ue^oy.
SdioL Axifli. Ay. 217: iXeyoi ol ngog ai*X6y
4^fi9vci^S^yM. Ptocl. 242, 15 W.: rd y«>
^^f^of tXeyor ixttXovy ol nuXtdol. Ei. M.
326, 49: iX^yo^ ' d-^rjyog 6 roTs tBf^yetoaty
imXeyofABvoQ. Zuerst kommt das Wort in
der Inschrift des Echembrotos (§ 90 An.) vor.
') In der Regel kam dieser zweite Vers
nnr verbanden mit dem ersten vor; doch
findet er sich aosnahmsweise auch in stichi-
scher Wiederholung, so in einer altattischen
Weihinschrift bei Aristoteles Athen, polit. 7,
und vereinzelt bei den Tragikern, worüber
meine Metrik' p. 211.
*) Die Elegoi an den angeführten Stellen
sind im anapästischen Versmass, nicht in
daktylischen Pentametern geschrieben, teilen
aber mit diesen die häufigen Katalexen,
welche ihnen den Namen Elaganapäste ein-
tragen.
124
Ghri«ehisch6 Uttoraiiirgeaohiohie. I. KlaMische Periode.
Von dem einfachen flfy^g ist das abgeleitete ileysTov sc. ^tto^i) oder
iXcyeia sc. t^ii] gebildet, um die aus den zwei Versen, dem daktylischen
Hexameter und dem elegischen Pentameter gebildete Periode zu bezeichnen.')
Der Ursprung des Namens Elegos ist dunkel; an die von den Alten ver-
suchte Herleitung von sv Uyeiv, die der Bedeutung des lateinischen elagium
zu gründe liegt,«) ist nicht zu denken. Nicht viel besser ist die von Suidas
und Et. M. 326, 57 vertretene Ableitung aus dem fingierten Schlusvers i Heye
i le'ye i, auf den der Refrain mhvov cahvov eine bei Aischylos Agam. 121
geführt zu haben scheint. Wahrscheinlich stammt das Wort aus der Fremde
und kam aus Armenien über Phrygien zu den loniem Kleinasiens.^)
Der Dichtung von Texten im elegischen Versmass ging die Anwen-
dung und Ausbildung des elegischen Rhythmus in der Musik voraus, und
da die älteste £legie threnodisch und das spezifische Instrument der Klage
die Flöte war,^) so dürfen wir in der Überlieferung des Suidas, dass
schon Olympos Elegien dichtete,^) einen Kern von Wahrheit finden. 7)
Allgemach erlaubte man sich auch Dichtungen im elegischen Versmass
nicht mehr nach einer Melodie zu singen, sondern frei in der Weise
epischer Gedichte zu deklamieren. Die Vortragsweise mit und ohne Gesang
mochte sich lange nebeneinander erhalten haben: von den Elegien des Solen
gebraucht Piaton, Tim. 21 c bald den Ausdruck ^J^ir, bald den ^atpfpieTv;
die Elegien des Phokylides wurden nach Ghamaileon bei Athen. 620 c ge-
sungen, nach einem anonymen Metriker bei Ath. 632 d aber gehörte Pho-
kylides mit Xenophanes, Selon, Theognis, Periander zu denjenigen, die zu
ihren Gedichten keine Melodie mehr fügten.®)
Die Elegie als Dichtung fand ihre erste Ausbildung im asiatischen
lonien, mag man nun, worüber die Alten stritten,^) Archilochos oder Kai-
linos oder Mimnermos für Erfinder dieser Dichtgattung halten. Sie ent-
stand also in demselben Land, in welchem das Epos seine Blüte erreicht
hatte; daraus erklärt es sich, dass die Elegiker im grossen Ganzen der
Sprache Homers folgten, und dass auch der Dorier Theognis in seinen
') iXsyeioy zuerst bei Thuc. I 132 und
Critiae fr. 3.
*) Der Gebrauch des Femininums kam
in der Zeit des Dionysios Hai. auf und er-
zeugte das lateinische elegia. Die Versuche,
einen tieferen unterschied zwischen eXeyos
und iXeycToy zu statuieren, werden zurück-
gewiesen von Wblckeb, El. Sehr. I 65 ff.
») Procl. 242, 17; Et. M. 326, 52; Orion
p. 58, 7 ff. Die verschiedenen Etymologien
gehen aufDidymos negl 7t oirjrto y zaxflck; s.
Didymos bei Orion. Eine neue Herleitung
bei Usbner, Altgr. Versbau S. 113.
*) BöTTiCHBR, Arica 8. 34 geht auf arm.
elegn = Rohr, und arm. eiern = Unglück
zurttck, hat aber als de Laoabdf, Armen.
Stud. p. 8, worauf mich mein IVeund E.
Kuhn aufmerksam machte, jene Ableitung
selbst wieder zurückgenommen. Auf Earien
weist die Glosse des Photios Kaginfj (novau •
T^ OQtjytüdei, Phönizischen Ursprung sucht
zu erweisen Imhiscb, Verb. d. 40 Vers. d.
Phil, in Görlitz.
*) Vgl. Plut. de Iside p. 394.
*) Suidas: "OXv/atio^ Maioyos Avd^q av^
XrjTtjg Xttl TtoiijTrjg fjiBXtov xai iXsyeitoy. Plut.
de mus. 15: 'bXvfLiTioy ydg nQioroy U^mtto-
^syog iy T^ n^oitfp negi fxovoixfjq int r^
Av6tayi tprjciy inucrjdetoy avXijaai- AtHfrirre.
^) Einer der anlodischen Nomen des
Elenas hiess ^Xeyoi nach Plut de mus. 4.
Das Singen dazu heisst 4^€^y vn* avXfjrtj^itg
bei Archil. fr. 122 und Theognis 583. Von
iXeysitt Ttgoatfifofisya toig avXotg spricht Paus.
X7, 5.
*) Roh DB, Griech. Roman 140 f. vor-
wirft die Glaubwürdigkeit des letzten Zeug-
nisses.
') Horaz a. p. 77: quis tarnen exig^Mos
elegos emiserit auetor, Grammatiei cert€tni
et adhue auh iudice lis est. Vgl. Didymos
p. 387 Schm.
B. Lyrik. 2. Die Blegie.
I 94—95.)
125
Elegien die ionische Sprache redete.^) Die älteste Art der Elegie war
Dach dem Zeugnis der Alten die threnodische.^) Aus ihr entwickelte sich
im weiteren Verlauf das Grabepigramm.') Neben der threnodischen Elegie
behauptete sich schon in alter Zeit die sympotische, welche unter den
neaeren Forschem Reitzenstein, Epigramm und Skolion S. 45 ff. in erste
Linie gerückt wissen will.*) Vielleicht hängen beide Arten dadurch zu-
sammen, dass man auch der Toten bei dem Mahle gedachte, worauf ein
altes Skolion Attikas (bei Aristot. Athen, pol. 20) hinzudeuten scheint:
ei xQfj '^otg aya^otg avigdaiv olvoxoeTv,
Die sympotische Elegie nahm von selbst einen teils erotischen, teils
paiinetischen und politischen Charakter an, da frohe Zecher beim Weine
gern auch der Liebe gedenken und herzhafte Männer beim Qelage zur
mutigen Tapferkeit und politischen Thatkraft sich gegenseitig begeistern.
Durch Antimachos, den Verfasser der Lyde, erhielt die Elegie den bei den
Alexandrinern weiter entwickelten Charakter romantischer Erotik und
sentimentaler Gefühlsschwärmerei. Wir folgen, ohne Unterabteilungen zu
machen, der zeitlichen Ordnung, indem wir nur noch im allgemeinen be-
merken, dass, wer von dem lyrischen Dichter edle, hohe Gedanken und
erhebende Lebensweisheit in schöner, gewählter Form sucht, dieses Ideal
in keiner Dichtungsart besser als in der Elegie der Griechen verkörpert
findet.
94. Eallinos aus Ephesos, älterer Zeitgenosse des Archilochos,^)
lebte in der 1. Hälfte des 7. Jahrhunderts, als die Kimmerier von Norden
her in das Land der Phrygier, Lydier und der griechischen Kolonien ein-
brachen. Auf diesen Einfall und den Krieg seiner Vaterstadt mit Mag- .
nesia am Mäander beziehen sich die wenigen und obendrein angezweifelten
Fragmente unseres Dichters, in denen er seine Mitbürger zum ruhm-
ToDen Kampf für das Vaterland anfeuert.
95. Tyrtaios, Sohn des Echembrotos, trat ganz in die Fusstapfen des
EaUinos. Er blühte um 632 <^) zur Zeit des 2. messenischen Krieges, mit
dessen Geschichte seine eigenen Geschicke eng verbunden waren. Nach der
Erzählung der Athener hatten die Lakedämonier, als sie durch den lang sich
hinziehenden Krieg in Bedrängnis gekommen waren, sich Hilfe von den
') Kleine Abweichungen von Homer im
AoBchliias an den Dialekt seiner Heimat,
wie nif statt ntos, erlaubte sich schon Eal-
finoe; aosseidem gestatteten sich die Ele-
giker nicht mehr die altertOmlicben oder ftoli-
Khen Formen Homers, wie die Instromentale
uf ^ ond die Infinitive auf fiit'M; vergl.
Hmriw, Qoaestiones de dialecto antiquioris
GiMcorom poeais elegiacae et iambicae, in
Corttiis Stad. 1 134 £f.
*) Honiz a. p. 75: versibus impariter
innetii querimonia primum, post etiam in-
du$a ewt voti sententia cwnpos.
')Hesy^ch. iXeyeia'ta intidtpitt noitjfiftr«,
*) Beide Arten der Elegie lässt Dietrich,
PhiIoL 51, 1 iL IL 577 aus der gemeinsamen
Wimel phrygischer Kultgesänge zu Ehren
> der Göttermutter Mida oder Mise ent-
standen sein.
^) Nach Strabon p. 647 sah Kallinos Mag-
nesia noch in Blüte und sprach Archilochos
schon von dessen Fall; ähnlich dem. Alex.
Strom. I 144. Die Eroberung von Sardes
durch die Kimmerier geschah unter Ardys,
dem Nachfolger des Gyges (687 -652), wie
Herodot 1 15 angibt; über den Anfang des
Einfalls unter Gyges unterrichten uns die
Eeilinschriften, worüber Geiger, De Callini
aetate. Erlangen 1877, der die Blüte des
EaUinos auf 652 setzt; vgl. Caesar, De Cal-
lini aetate, Marburg 1837, mit einem Nach-
trag 1876.
^) So nach Eusebios; nach Suidas Ol. 35;
s. BusoLT, Griech. Gesch. 1^ 591.
126
Orieohiaohe Litieratnrgeaohiohta. 1. Klassische Periode.
Athenern erbeten, und hatten diese ihnen einen lahmen Schulmeister, unsem
Tyrtaios, geschickt, der sie mit seinen Kriegsliedem so begeisterte, dasß
sie über ihre Feinde Herr wurden, i) Aber das war wahrscheinlich nur
eine der Eitelkeit der Athener zulieb erfundene Fabel, zu der vielleicht die
Überlieferung, dass Tyrtaios aus Aphidna, dem lakonischen nämlich, nicht
attischen, stamme, die Handhabe geboten hatte.*) Denn wenn Tyrtaios
fr. 2 singt
avTog ydq Kgoviutv^ xaXXittxäifavoq nocig "Hqt^c,
Zsvg ^HQaxXsidjjg trjvie iäiwxs noXtv^
oloiv äfjia TiQohnovteg ^Egtveov rjvsfAoevta
€VQ€iav näXonog vijifov äq>ix6fie&aj
so bekennt er sich damit deutlich als einen der Lakedämonier, und wenn
er gar in einer anderen Elegie nach Strabon p. 362 von sich als Fuhrer
im Kriege sprach, ') so passte dieses doch nicht auf einen fremden lahmen
Schulmeister. Dunkel ist die weitere Angabe des Suidas Tv^vatog* Adxfav
Ij Miktjaiog; vielleicht war damit angedeutet, dass Tyrtaios aus dem ioni-
schen Milet die Elegie nach Lakedämon verpflanzt habe. Die Gedichte
desseHben brachten die Alexandriner in fünf Bücher ; am gefeiertsten war
unter ihnen die Evrofiia, mit welcher er die infolge der Kriegsnot ent-
standene Zwietracht der Lakedämonier beschwichtigte; berühmt ist aus
ihr der Vers
ä ^iloxgrjfiaTia 2ndQtav ölet, aXlo S^ ovStv.^)
Aus einem anderen Teil, vTto&^xai überschrieben, sind uns drei voll-
ständige Elegien erhalten, welche ganz im Geiste des Kallinos zur Tapfer-
keit mahnen und vor der Schande der Feigheit warnen.*^) Von den
Elegien unterschieden waren die 'Eiißatr^Qia^ Marschlieder im anapästischen
Rhythmus, voll kriegerichen Feuers, von denen uns einige Verse erhalten
sind ; «) sie waren im dorischen Dialekt verfasst, da hier nicht der Dichter
durch ein älteres Vorbild veranlasst war, von der heimatlichen Mundart
abzugehen. Auch nach des Dichters Tod blieben seine Werke bei den
kriegerischen Doriern in hoher Ehre: sie wurden nicht bloss nach Kreta
gebracht,^) sondern auch von den Lakedämoniern regelmässig im Lager
nach dem Tischgebet oder Päan gesungen, wobei der Polemarch nach
*) Die ältesten GewährsmäDner sind
Piaton Legg. I p. 269«, Lykurg in Leoer. 28.
Wiederholt ist die Fabel von Diodor XV 67,
Paus. IV 15, lustin. UI 6, Themist. or. XV
p. 197, Schol. Plat. a. 0. Die Opposition des
Strabon p. 362 scheint auf den lakonischen
Lokalforscher Sosibios zurückzugehen. Die Un-
richtigkeit der üeberlieferung ist erwiesen von
Fb. Thikrsch, De gnomicis carminibus Grae-
corum, in Acta phil. Mon. III 587 fl. Eine
Ähnliche Anekdote bei Valer. Max. I 5 p. 20
Halm: Samii Prienensihua auxilium adversus
Cares petentibus in derisum sihyllam miserunt,
hatte pro exercitu ac classe offerentes; qua
duce usi Prienenses bellum consummaverunt.
Widerspruch von Berok, Gr. Litt II 244.
*) Beide Aphidna unterschieden von
Steph. Byz. unt. *'Jtpi6va.
*) Auch bei Tzetzes Chil. I 692 heiasfc er
TvQjmog Adxiav axQaxtjyoq xal wotj/riyc.
*) Der Vers wM dem delphischen Orakel
unterlegt; s. Lykurg in Leoer. 28; Arist. Polit
V6, 2.
'^) Daher Horaz a. p. 402: Ttfrtaeusque
mares animos in Martia bella versihus eano-
cuit Es wird sogar vermutet, dass bei Stob.
Flor. 51, 19 in der Lücke der Name r»^-
Tttiog ausgefallen sei und so auch die ein-
zige längere Elegie des Kallinos dem Tyr-
taios angehöre.
•) Cic. Tusc. disp. II 16; Die Chrys. I 34;
Ammian. Marc. XXIV 6.
'j Plat. Legg. I p. 629b.
B. Lyrik. 2. Die Elegie. (^ 96-97.)
127
alter Sitte dem, der am besten gesungen, ein Stück Fleisch als Preis
gab.i)
96. Mimnermos aus Eolophon^) blühte gegen Ende des 7. Jahr-
hunderts, ^) als die ionischen Städte Eleinasiens, insbesondere auch Smyrna
und Kolophon, den Angriffen der Lyderkönige unterlegen waren und in-
folgedessen in weichlichen Luxus verfielen. In einer Elegie, fr. 14, knüpfte
er noch an den Charakter der älteren Elegie an, indem er den Helden-
mut der Smyrnäer in der Schlacht gegen den König Gyges besang, ver-
mnüich m der Absicht, seine Landsleute zu gleich mutiger Ausdauer gegen
den erneuerten Ansturm des Königs Sadyattes anzufeuern. Aber in seinen
anderen Elegien schlägt er einen ganz verschiedenen Ton an, indem er
in schwärmerischer Sentimentalität seine Liebe zur schönen Nanno besingt
und in wehmütigen Weisen das rasche Hinwelken der Jugend und des
Liebesglücks beklagt. Dieser erotische Charakter seiner Elegien machte
ihn zum Liebling der alexandrinischen und römischen Elegiker.^) Übrigens
war Mimnermos nicht bloss Dichter, sondern auch Flötenspieler und Er-
finder auletischer Nomen, unter denen der KgaSiaq vofAog einen besonderen
Hang hatte.«)
97. Solon (um 639—559), «) der weise Gesetzgeber und grosse
Patriot Athens, ist zugleich der erste Athener, der seine Vaterstadt auf
die Bahn poetischen und litterarischen Ruhmes wies. Von dem 7. Jahr-
hundert an zog sich überhaupt das geistige Leben Griechenlands von
Kleinaaien, wo es unter günstigen Anregungen zuerst erblüht war, dann
aber dem Vordringen barbarischer Despotien erlag, allgemach nach dem
griechischen Festland zurück. Athen insbesondere begann damals sich
als See- und Handelsmacht zu heben und hatte das Glück, aus der Krisis
innerer Parteiungen mit- gesteigerter Kraft hervorzugehen. Solon, der
selbst von dem Geschlechte der Kodriden abstammte, aber einen besseren
Adelsbrief sich durch edle Gesinnung und reiche, auf Reisen in Ägypten
nnd Asien ') vermehrte Erfahrungen erworben hatte, war berufen, in jenem
') PhilochoroB bei Aih. 630 f.; vergl.
Lykurg c. Leoer. 107.
*) Soidas: Mi/Areguo^ Atyrgru^dov, Ko-
lo^ttfVioc rj IfAVQyaio^ rj 'JatvTiaXaisvs. Unter
dem Namen Aiyvaciiddrj redet Um Solon
fr. 20 an. Er selbst besingt fr. 9 die Ein-
i^^^e Yon Smyrna durch die Eolophonier.
') Snidas setzt ibn Ol. 37, was Rohde
Wi. IL 33, 201 aufklärt.
^) Propertius I 9, 11: plus in atn&re
ttrfrf Mimnermi versus Homero. Charakte-
riatisch fttr ihn ist der Vers rig Sk ßiog, rl
<ß Jtgnydy äyev /^t'a/iyf 'AtpQOifhtjg ;
*) Plut de mns. 8: xal äXXog d^iarly
e^/tuof vofiog xaAOVfisyog Kga^iag, oy (ftjaiy
Iftntartt^ Mifiy€gfioy ttvX^ffm ' iy ngj^fj yuQ
fUyvm. fiSfieXoJioiTjfieya ol m'Xt^doi ji<ray.
V^. Sirabon p. 643. Das Wort bedeutet
Pcigenastweise, worüber Mölleb, Gr. Litt.
1*175.
*) Plotarch, Leben Solons; seine Haupt-
Stelle war Hermippos, der aber schon von
dem Leben des weisen Mannes, von dem
er wenig zuverlässiges wusste, eine halb
romanhafte Darstellung gegeben hatte. An-
dere Quellen sind Aristot. Athen, pol. 5 — 12,
Diog. Laert. I 45 ff.; Suidas vervollständigt
durch Schol. Plat. de rep. X 599.
^) Die Reisen des Solon sind besonders
in Fabeln gehttllt worden. Die Angaben
über die Veranlassung derselben durch die
Tyrannis des Peisistratos und über die Grün-
dung von Soloi in Kilikien (bei Hesych.)
sind ganz unhaltbar; aber selbst die Unter-
redung mit KroisoSy von der schon Herodot
I 29 berichtet, erregt Bedenken, da zur Zeit,
wo Solon in Asien war, Eroisos noch nicht
zur Herrschaft gelangt sein konnte. Die
Bedenken sucht zu zerstreuen Ungsb, Jahrb.
f. Phil. 1888 S. 383 ff. Gut bezeugt ist die
Reise nach Aegypten durch Herodot I 29,
Piaton Erit. 108d, Plut. Sol. 2 und Solon selbst
fr. 28, ebenso durch Solon fr. 19 die Reise
nach Eypem. Nach Herodot I 29 und
128
Qrieohisohe litteratnrgesohiohte. 1. KlaMisohe Poriode.
politischen Gärungsprozess seiner Vaterstadt eine hervorragende Bolle za
spielen. In dem Streit der Megarer und Athener um den Besitz von
Salamis rief er seine Mitbürger zu einer letzten Eraftanstrengung und zur
Wiedereroberung der schönen Insel auf (604). Als Archen im Jahre
594/3 beruhigte er den Groll der verschuldeten Kleinbürger durch die von
den Reichen leichter ertragene Massregel der Herabsetzung des Münz-
fusses^) und unternahm das grosse Gesetzgebungswerk, das in der Sank-
tionierung und Aufstellung der hölzernen Gesetzestafeln {xvgße^g oder a^ovsg)
auf der Akropolis seinen Abschluss fand.*) Eine dauernde Beilegung des
Parteihaders gelang ihm freilich nicht; er selbst verliess, des ewigen Haders
müde, Athen und suchte durch eine Abwesenheit von 10 Jahren dem Drangen
der Parteien zu entgehen. Aber schliesslich musste er es noch erleben, dass
Peisistratos, gestützt auf die demokratische Gebirgsbevölkerung, die Macht
der Optimaten brach und sich der Tyrannis bemächtigte (561) ; den Beginn
der Tyrannis überlebte er nur 2 Jahre; 80 Jahre alt starb er in Kypern,«) wo
er schon in früheren Jahren Freundschaft mit dem Herrscher von Soloi ge-
schlossen hatte. — Zur Weisheit und Thatkraft eines Staatsmannes war dem
Selon auch die schöne Gabe der Poesie von der Mutter Natur verliehen. In
jungen Jahren sang er wohl auch von sorgenloser Lebensfreude und aus-
gelassener Liebeslust (fr. 23—26);^) in reiferen Jahren aber stellte er
die Poesie in den Dienst der Politik, indem er durch Verse, wie Spätere
durch Reden, ^) auf das Volk einzuwirken suchte und dasselbe in seinen
Elegien bald zu mutigen Unternehmungen, bald zur Eintracht und Gesetz-
lichkeit aufforderte. Nach Diog. I 69 hatte man von ihm in 5000 Versen
Elegien, lamben und Epoden. Die einzelnen Abteilungen hatten besondere
Titel, wie 2aXafiig^ vnoxJ-r^xai etg iavTOV^ nqcq Kgitiav^ nqiiq 0iX6xv7iQOV.
In der Form lehnte er sich an seine ionischen Muster an, doch gestattete
er sich in der Sprache auch einzelne Eigentümlichkeiten des Attischen ein-
zuführen.^) Erhalten haben sich ausser kleineren Bruchstüchen von lamben,
trochäischen Tetrametern und Skolien mehrere Elegien, welche die schön-
sten Seiten der attischen Denkweise, heitere Lebensweise, Mass im Genuss,
besonnenes Handeln, thatkräftiges Eintreten für den Staat und das Gemein-
wohl, in einschmeichelnden Versen ') zum Ausdruck bringen. Nach Ver-
dienst haben daher die Athener die Gedichte des Selon, wie die Spartaner
die des Tjrrtaios, in dankbarem Andenken behalten. Am Feste der Apa-
Aristoteles Athen, pol. 11 machte er die
10jährige Reise nach seiner Gesetzgebung;
von Handelsreisen des jungen Solon spricht
Plut. Sol. 2.
*) HüLTSCH, Griech. u. röm. Metrologie,
2. Aufl. S. 200 ff.
*) Ueber diese Gesetze gibt näheres
Plut. Sol. 19 -24 und besonders Aristot.
Athen, pol. 5 — 12, wo zum Belege auch Stellen
aus seinen Poesien angeführt sind. Darüber
WiLAMowiTz, Aristot. u. Athen. II 304 ff.
») Diog. 1 62; ebenso Schol. Plat. de
rep. X p. 599, wo der Artikel des Hesychios
Mil. etwas vollst-ändiger wie von Suidas
wiedergegeben ist. Das Todesjahr €>' Uys-
cTQaxov ci^x^^ ^ S^^t Phanias bei Plut. Sol. 32.
Nach Herakleides bei Plut. Sol. 31 blieb Solon
noch längere Zeit in gutem Einvernehmen mit
Peisistratos. In diesem Sinn ist der unechte Brief
des Peisistratos an Solon geschrieben Diog. 153.
*) Plut. Sol. 3.
^) Diog. I 61 schreibt ihm geradezu
Demegorien zu.
^) Vielleicht sind in unseren Texten die
Attikismen teilweise wieder durch die be>
kannteren lonismen verdrängt worden, wor-
über FicK in Beitr. zur Kunde der indogerm.
Spr. XIV 252 ff.
^; Strophische Gliederung sucht nachza-
weisen Wkil Rh. M, 17, 1 ff.
B. Lyrik. 2. Die Elegie. (§ 98.)
129
tarien sangen die Kinder dieselben im Wettgesang, indem die Eltern dazu
Preise gaben, ^) und nicht bloss preist Piaton den durch Eritias ihm ver-
wandten Dichter in überschwenglichen Worten,*) sondern auch Demo-
sthenes fand aufmerksames Ohr bei den Richtern, als er ihnen in der
Bede über die falsche Gesandtschaft § 255 eine ganze Elegie des grossen
Volksfreundes vorlas. Einfacher gehalten sind seine lamben, mit denen er
in lebhafter, an die Volkssprache sich anlehnender Rede seine politischen
Grundsätze verteidigte. In ihnen findet man bereits die Elemente des
dramatischen Dialoges; aber was Plutarch, Sol. 29 von dem Zwiegespräch
des Solen und Thespis erzählt, ist sophistische Anekdote, gegen deren
historische Treue schon die Chronologie Einsprache erhebt.
98. Selon galt zugleich als einer der Sieben Weisen; daher mögen
auch über diese einige Worte hier eingeflochten werden, wenn dieselben
auch mehr Männer der praktischen Lebensweisheit als der Theorie und
Litteratur waren. Die Namen derselben sind bei dem ältesten Gewährs-
mann, Piaton Protag. p. 343a, Thaies aus Milet, Pittakos aus Mytilene,
Bias ausPriene, Selon aus Athen, Kleobulos aus Lindes,*) Myson aus
Chen, Cheilon aus Lakedämon. Spätere setzten an die Stelle des Myson
den Periander aus Eorinth; statt des Kleobulos nannte Andren aus
Ephesos*) den Aristodemos aus Sparta.*) Die Siebenzahl stand bereits
zur Zeit Pindars fest, da dieser danach im Siegesgesang auf den Rhodier
Diagoras 0. VII 72 sieben weise Söhne des Sonnengottes Helios erdichtete.
Seit alters kursierten von diesen sieben Weisen kurze Kernsprüche, wie
yvöi^» aeavToVy fxrjd^v ixyav^ iibTQov aqiaiov, eyyva naqä S'ena, ß) Vermutlich
hangt sogar die Zusammenstellung der sieben Weisen mit einem alten
Weisheitsspiegel zusanmien, in dem zu Unterrichtszwecken derartige
Sprache unter Beifügung des Automamens zusammengestellt waren. Später
wurden denselben nicht nur immer mehr Sprüche und Sentenzen, sondern
einigen von ihnen, wie dem Cheilon, Pittakos, Periander, auch Elegien,
fifitsel (Yfiq^oi) und Skolien untergeschoben. Gegen die Echtheit der letzteren
') Plat Tim. p. 21b.
*) Ibid.: TU TS aXka aoq^raroy yeyo-
^rtci ZoXara xal xata trjp noirjciv av twv
nottjtur nttvrmv iXev&SQuJTatov, . . . Et ye
Hij nage^y^ rß noitjoBi xaj€XQ^<fttro . . .
MTff yifnjy ^Q^ay ovts *Haiodos ovre '^'Ofifj-
p<K wji aiUof ovdsig not>rjTfjg Bvdoxi/ioireQog
iyiwiro av noi* ttvtov.
*) Diesem Kleobulos wurde auch das
I^isnmmi auf der Grabs&ale des Midas zu-
gMchrieben, wie Simonides bei Diog. Laert.
1 89 beseugt.
*) Schol. Find. Is. II 17; Clem. Alex.
«<Kmi. I p. 143. Jener Andron, den Wulf (s.
Mg. Anm.i in die Zeit des Hellanikos setzt,
itttte in einem Bucbe TQinovq die schöne,
oft wiedeiiiolie Geschichte erzILhlt, dass das
Onkel in Delphi einen aufgefischten goldenen
Oreifaas dem Weisesten zu geben befahl,
▼OD den 7 Weisen aber aus Bescheidenheit
keiner denselben annehmen wollte, sondern
HiiMibach der klan. AlterttmwwiMeDaebaft. YII.
immer einer zu einem anderen schickte, bis
er zuletzt wieder an den Gott zurückgelangte.
^) Ueber die yerschiedenen Namen der
7 Weisen Bohren, De Septem sapientibus,
Bonn. Diss. 1867; Harro Wulf, De fabellis
cum coUegii Septem sapientium memoria
coniunctis quaestiones criticae, Diss. philol.
Hai. XIU 1896.
•) Diese Sprttche (dnoq>i^iyfjittxa) wurden
gesammelt von Demetrios aus Phaleron, wo-
raus Stobäus Floril. 3, 79, Anth. Pal. IX 866,
und spAtere griechische und lateinische
Spruchsammlungen schöpften. Eine griechi-
sche in lamben publizierte Wölfflin in
Sitzb. d. b. Ak. 1886 S. 287 ff., zwei latei-
nische Brünco, Bayreuther Progr. 1885.
Ueber die Unechtheit der den 7 Weisen zu-
geschriebenen, durch Diogenes zum Teil noch
erhaltenen Skolien vergl. Müller, Gr. Litt.
I 343.
8. Aufl.
9
130
Oriechisohe LitteratnrgMohioliie. I. Klassisohe Periode.
spricht schon das Yersmass, das uns in die Zeit nach Euripides weist. ^)
Auch von der Kleobulina, der Tochter des Kleobulos, sind uns einige
lUtsel erhalten.»)
99. Phokylides aus Milet und Demodokos von der Insel Leros
waren gleichzeitige gnomische Dichter, die in ihren Versen sich gegen-
seitig neckten. Die Blüte des berühmteren von ihnen, des Phokylides,
wird von Suidas auf 537 v. Chr. gesetzt; er hatte Sittenregeln in Hexa-
metern und Distichen geschrieben, die durch den einförmig wiederholten
Anfang xai rode (P(axvX{d£(o in Absätze von wenigen Versen zerfielen.*) Von
ihnen sind nur wenige, zumeist aus der Blumenlese des Stobäus, auf uns
gekommen. Dagegen sind vollständig erhalten die sogenannter Phoky-
lidea, ein ehemals vielgelesenes, den zehn Geboten gleichgestelltes Leb-
gedicht in 230 Hexametern,*) das schon gleich im Anfang durch den Vers
TiQiOTa r^€(v vffia^ fi€t€7T€iTa dk asXo yovfjag an die Gesetze der Juden
erinnert. Zweifel an der Echtheit des Gedichtes dämmerten zuerst dem
Heidelberger Gelehrten Sylburg auf; Jos. Scaliger wies dann bestimmter
auf die Übereinstimmung einzelner Sätze, wie von der Auferstehung des
Fleisches (V. 103) und der Aushebung der Vogelnester (V. 84 f. = Deut.
22, 6), mit der Lehre der Bibel hin und liess die Wahl zwischen einem
jüdischen oder christlichen Fälscher. Zum Abschluss brachte die Frage
Jak. Bemays in der klassischen Abhandlung, Über das phokylideische
Gedicht (Ges. Abh. 1 192—261), indem er nachwies, dass der Fälscher zu
den alexandrinischen Juden gehörte, und in der Zeit zwischen dem 2. Jahr-
hundert V. Chr. und dem Kaiser Nero gelebt haben muss.^)
100. Theognis ist der einzige Spruchdichter, dessen Elegien in
einiger Vollständigkeit auf uns gekommen sind. Seine Abkunft und seine
Lebenszeit war bestritten: der älteste Zeuge, Piaton in den Gesetzen I
p. 630 a nennt ihn einen Bürger des hybiäischen Megara in Sikilien.^)
Das muss aber ein Irrtum sein; Theognis war wohl nach Sikilien ge-
kommen und hatte in einem Gedicht der rühmlichen Thaten der hybiäischen
Megarenser gedacht;^) aber er bezeugt selbst V. 773 u. 782 ff., dass seine
^) Freigebig in Erdichtung von Werken
war besonders der Grammatiker Lobon, zu
dessen Zeit man aber lyrische Metra wie die
den 7 Weisen zugeschriebenen nicht mehr
machte, so dass dieselben nicht, wie Suse>
mihi AI. Lit I 510 annimmt, erst von Lobon
fabriziert sein können; s. Hillbb, Die lii
Thätigkeit der 7 Weisen, Rh. M. 33, 518 ff.
2) Crüsius, Philol. LV 1 ff. lässt die
Rätsel aus dem Aesop-Roman stammen.
») Dio Chrys. or. 36, 12.
*) Yon^vddaa genannt TiaQMyiaeiSi yya-
fAaiy xBfpdXata, in der ed. princ. nolfjfÄa vov-
&€Jix6y.
^) Nur der eine Vers 129 rijg cTä ^co-
nyevatov aotpiriq Xoyog iatiy ägtarog scheint
die christliche Logoslehre vorauszusetzen;
Bemays hat denselben als Interpolation ge-
strichen. Näheres über die Kontroverse bei
Susemihl AI. Lit. U 642 Anm. 63.
*) Nach Piaton auch Suidas; dem ent-
gegen trat Didymos in den Scholien zu Pia-
ton L 1. fOr das nisäische Megara ein, ebenso
Harpokration u. Seoyyig. Bsloch Jahrb. f.
Phil. 137 (1888) S. 729 nimmt seine Zuflucht
zur zweifelhaften Annahme, dass Theognis
in dem sikilischen Megara geboren und von
dort um 490 vertrieben, in dem nisftischen
Megara Aufnahme gefunden habe. Rbitzkv-
STEiN, Epigr. 277 wül sich mit der Annahme
von 2 Dichtern mit Namen Theognis helfen.
') Vermutlich in der von Suidas aiige>
führten iksyela eis rovg awS^syrag taiy Ip^
Qaxovaitoy iy tß noXioQxlif. Piaton wird den
Gelehrten von Syrakus, die sich auf diese
Elegie stützten, gefolgt sein. Sitzlbb in der
Ausg. p. 52 und Flach, Griech. Lyr. p. 412
wollen jene Elegie unserem Theognis ab-
sprechen.
B. Lyrik. 2. Die Elegie. (§§ 99— lOO.j 131
Wiege nicht in Sikilien, sondern in dem nisäischen Megara, der Stadt des
Alkathoos, stand. Nicht minder waren bezüglich seiner Lebenszeit schon
im Altertum falsche Meinungen verbreitet. Eusebios und Suidas setzen
ihn Ol. 58, 3; nun spricht aber Theognis selbst an zwei Stellen V. 764 und
775 von der Gefahr, die seiner Heimatstadt von den Modem drohe. Das
kann man mit jener Überlieferung nur vereinigen, wenn man den Meder-
krieg auf die Unternehmungen des persischen Heerführers Harpagos gegen
die ionischen Staaten Eleinasiens deutet.^) Aber die Gefahr fttr Megara
lag damals noch in sehr weiter Ferne ; die ward erst greifbar mit dem
Zage des Mardonios gegen das griechische Mutterland (492). Auf diesen
also deuten wir jene Verse, und dieses um so unbedenklicher, als auch
eine andere Stelle, V. 891—4, von der Verheerung der lelantischen Ebene
durch die Ejpseliden, d. i. die Athener unter dem Eypseliden Miltiades,
ans bis auf 506 herabführt. Danach blühte Theognis in der 2. Hälfte
des 6. Jahrhunderts und erlebte noch die Gefahr eines nahenden Kriegs-
zugs der Perser. Sein Leben war ein ausserordentlich bewegtes und fiel
in die Zeit heftigster, innerer Parteikämpfe. Es befehdeten sich nämlich
im 6. Jahrhundert in Megara wie in anderen Staaten Griechenlands aufs
grimmigste der alte Adel und der mit Hilfe von Tyrannen oder dema-
gogischen Parteichefs zur Macht anstrebende Demos. Theognis selbst
war ein entschiedener Anhänger der Adelspartei und schaute mit dem
ganzen Hochmut eines eingefleischten Junkers auf die Gemeinen {xaxo()
herab. ^) Aber er hatte, als die Volkspartei zur Herrschaft gelangt war,
seinen Hochmut schwer büssen müssen. Seiner Güter beraubt, musste er
lange das Brot der Verbannung essen und kam bei dieser Gelegenheit
nach Sikilien, Böotien, Euböa, Sparta.^) Später scheint er wieder in seine
Vaterstadt zurückgekehrt zu sein und sich in die veränderte Staatsord-
nung geschickt zu haben,*) doch ohne den Verlust seiner Güter zu ver-
schmerzen mid ohne seiner aristokratischen Gesinnung untreu zu werden.
Geschrieben hat Theognis nach Suidas eine Elegie auf die Geretteten
von den Syrakusanem, ein Spruchgedicht in Elegien an seinen geliebten
Kymos, Unterweisungen an andere Genossen.*^) Auf uns gekommen ist
eine Sentenzensammlung von 694 Distichen in zwei Büchern, von denen
das erste (1 — 1230) politisch-moralische Sprüche, das zweite, das nur in
dem Cod. Mutinensis und in diesem nicht vollständig erhalten ist, erotische
Verse auf die Liebe zu schönen Knaben {rtaiSixa) enthält.«) Den Grund-
>) So RoBDE Rh. M. 33, 170, der jene
Teree um 540 gedichtet sein Iftsst.
*) Siehe besonders V. 847—50.
«) V. 783 ff., 789, 891, 1209. Die Nach-
lichten fiber Kyme, Eolophon, Magnesia
(1103 f. ü 1024) entnahm er wohl dem Eal-
ÜDoe.
«) V. 945 ff. n. 381 f. Verlftssige Schlflsse
aaf das Leben unseres Dichters lassen sich
freiUdi ans jenen Versen nicht ziehen, da es
ndat ausgemacht ist, ob sie wirklich von
TheogBO» herrflhren. So werden gleich die
Vene 945 ff. von Bergk und Festa dem Selon
n^ewiesen.
*) Suidas: fygaxf/ey iXeyBitty ei^ tovg
üotS^yjag tiüv £vQttxoai<oy iy rp noXiogxitfj
yyiüfAaq dt* iXeyelag eig inrj ,/J(J, [xal] ngog
KvQyoy roy avtov iQuificyoy yytofdoXoyiay «ft'
iXeyeitoy^ xttl hi^ag vTio&ijxag itaQaiyeTtxdg^
xd ntiyia inixtog. Dass er ausser Elegien
auch Gedichte in anderen Yersmassen dich-
tete, schliessen Bebgk Gr. Litt. 11 309 und
Reitzbustein Epi^. 54 aus Plat. Men. 95 d.
^) Die Echtheit des 2. Buches bestreiten
HiLLEB, Jahrb. f. Phil. 1881, p. 471 f.,
CoüAT, Le second livre d'614gies attribu^ a
Theognis, Bordeaux 1883, Abth. Cobsbnk,
Quaestiones Theognideae , Geestemünde ,
9*
132 GrieohiMhe LitteratiirgMOhiohie. L KlAnisohe Periode.
stock der Sammlung bildet das Spruchgedicht an Kyrnos, den Sohn des
Polypais, einen edlen Jüngling, den der Dichter mit väterlicher, aber doch
der Sinnlichkeit nicht ganz entbehrender Zuneigung ^) in die Lebensweisheit
und die Grundsätze des aristokratischen Regimentes einführen will. Ein-
gelegt sind Stücke aus den übrigen vnodf^xat des Theognis, namentlich
aus den Elegien an seine Freunde und Zechgenossen Simonides, Klearistos,
Onomakritos, Damokles, die alle, ebenso wie Kymos, wiederholt in den
Elegien angeredet sind. Aber es finden sich in der Sammlung auch Verse
von anderen Dichtern (von Selon 153 — 4; 227 — 32; 1253—4; Minmermos
795 f.; 1017—22; Tyrtaios 935—8; Buenos 472), die zunächst wohl als
Parallelen zu Sprüchen des Theognis zugefügt waren. Aber auch damit
nicht genug, begegnen uns an verschiedenen Stellen zwei Fassungen der-
selben Sentenz, eine getreuere, ursprüngliche, und eine gekünte, der
gangbaren Sprache näher gerückte, wofür das einleuchtendste Beispiel die
Vergleichung von V. 213—8 und 1071—4 bietet.*) Wir haben also offen-
bar eine Blütenlese vor uns, die, da sie den Namen des Theognis an der
Stirne trägt, offenbar auch die Elegien des Theognis, und in erster Linie
das Spruchgedicht desselben an Eyrnos zur Grundlage hat, die aber dann
nicht bloss durch Kernsprüche anderer alter Elegiker, sondern auch durch
ümdichtungen jüngerer Nachahmer erweitert wurde. Die Aussonderung
der verschiedenen Bestandteile bildet eine Sisyphusarbeit für den Philo-
logen, zumal an diese Aufgabe sich noch andere Fragen anknüpfen, ins-
besondere wann und zu welchem Zwecke die Sammlung angelegt wurde.')
Reitzenstein, der in seinem Buche Epigramm und Skolion S. 52 — 86 diese
Fragen zuletzt behandelt hat, lässt die beiden Bücher um 400 v. Chr.
entstanden sein und gibt ihnen, indem er von jedem Unterrichtszwecke
absieht,^) die Bestimmung, als Kommersbuch für attische Trinkgelage zu
dienen. Jedenfalls lässt sich aus der Sammlung noch deutlich die Per^
sönlichkeit des Dichters und der Ton seiner Poesie erkennen. Theognis
war ein verbissener und verbitterter Aristokrat, aber dabei eine origi-
nelle Dichternatur, voll Lust an Wein und Gesang, dazu von leidenschaft-
Progr. 1887. Neuerdings tritt mit Recht 1 Sprachsammlung, Rh. M. 22, 181 ff. lAsst die
wieder Rbitzbnstbin, Epigr. 81 ff. fftr die { Sammlung zwischen Piaton nnd Ptolemaios
relative Echtheit und das gleiche Alter des
2. Buches ein. Da in dem 2. wie im 1.
Kymos sich angeredet findet, so hat offen-
bar erst der Anordner aus Anstandsrlick-
sichten die erotischen und päderastischen
Verse in eine eigene Abteilung verwiesen,
wie bekanntlich ähnliches in den Antiken-
sammlungen von Neapel geschehen ist.
1) y. 1049: aol «f dyti old re nai&i
nttxrjQ v7io%9^ofiM avxoq. Das sinnliche Ver-
hältnis erkennbar aus V. 253 f. Gegen den
Vorwurf der Knabenliebe den Theognis ver-
teidigen hiesse einen Mohren weiss waschen.
Ueber die Knabenliebe der Megarenser vgl.
Theokrit. XII 27 ff.
') M. ScHAFEB, De iteratis apud Theo-
gnidem distichis. Diss. Halle 1891 ; Studbhund
Ind. lect. Vrat. 1890; Reitzenstein, Epigr. 60.
') NiETscHB, Zur Geschichte der Theogn.
Philadelphos entstanden, aber später erwei>
tert sein. Vermittelst subtiler metrischer
und prosodischer Beobachtungen sucht die
späteren Bestandteile ans der attischen und
alexandrinischen Zeit von den alten des
Theognis zu sondern Sitzlbr im Tauber-
bischofsheimer Progr. 1885. Em. v. Getso,
Studia Theognidea, Diss. Strassburg 1892
unterscheidet 3 Anthologien von versus mo>
rales, convivales, erotici.
*) Rücksichten auf Erziehungszwecke
liegen schon in der Aussonderung der päde-
rastischen Verse des 2. Buches zutage. Aus
der Stelle des Isokrates Nicocl. 44 Ir*
6* et TIS ixXB^ue xtay Ti^sxcyvtay noirjxtiw^
rag xaXovfieyag yytSfias gebt hervor, dasa
eine ixXoyrj, wie sie in unserem Theognisbuch
vorliegt, damals zwar noch nicht existierte,
wohl aber schon in der Luft lag.
B. Lyrik. 2. Die Elegie. (§ 101.)
133
lieber Liebe zu seinem Liebling. Seine Elegien sollten nur indirekt zur
sittlichen und politischen Unterweisung dienen; zunächst waren sie zum
Gesang bei den Gastgelagen bestimmt, ^) wie besonders aus V. 241 her-
vorgeht:
xal ae avv avXlaxoiai Xiyvipd-cyyoiq väoi avdqsq
€tW(r/(0)g igaroi xald %€ xai hyäcc \ ^aovTai,
Erst später wurden sie ohne Flötenbegleitung vorgetragen*) und unter
dem Einfluss der Sokratiker, des Piaton, Xenophon und Isokrates in die
attischen Schulen als Tugendspiegel eingeführt. Ihrer bis gegen Ende des
Altertums andauernden Beliebtheit verdanken wir die Erhaltung unserer
Sammlung, durch die indes frühzeitig die ursprünglichen Ausgaben ver-
drängt wurden.
Hsopthandschrift: Cod. Mutineneis (vielmehr Veronensis) s. X (A) jetzt in Paris; ihr
zmiichst vatic. 915 a XIII (neue MitteUungen von Jobdan, Quaest. Theognideae, Regiom.
1885). — Aa8gsl)en mit krit Apparat von I. Bbkkbr, Berol. 1815 u. 1827. — Zibglbb ed. II,
Tnb, 1880. — SrrzLBB, Heidelb. 1880. — Daneben die einschneidende Bearbeitung von Bbbgk
in PL6. Der Erklftrong nnd Anordnung gewidmet ist die Ausgabe von Wblckbb, Francof.
1826. — Lateinische Uebersetzung der Distichen von Hugo Gbotius. — Guter Jahresbericht
von Leütsch, Phil. 29, 636--90.
101. Elegien haben ausserdem in der älteren Periode die von uns
an anderer Stelle behandelten Dichter Archilochos, Asios, Xenophanes, Par-
menides gedichtet, denen ich ehrenhalber die epigrammatischen Spruch-
verse des Hipparch auf den von ihm an den Landstrassen gesetzten
Hennen anfüge (Plat. Hipp. 228 c). In der attischen Periode, nach den
Perserkriegen fand das Epigramm und die Elegie, namentlich die sympo-
tische, eifrige Pflege, so dass fast alle grossen Dichter, wie Simonides,
Aischylos, Ion, Antimachos, überdies Piaton und Aristoteles nebenbei auch
Elegien dichteten. SpezieU als Elegiker machten sich einen Namen Dio-
nysios, der von dem Vorschlag, kupferne Münzen statt silberne zu schlagen,
den Beinamen Chalkus erhalten hatte und in einigen seiner Elegien die
Abgeschmacktheit beging den Pentameter dem Hexameter vorauszuschicken,
die beiden Euenoi aus Paros, von denen der jüngere, Zeitgenosse des
Sokrates, wegen seiner weisen Sinnsprüche bei den Philosophen in beson-
derer Ehre stand, Eritias, einer der dreissig Tyrannen, der ausser so-
phistischen Reden und Tragödien auch Elegien unter mannigfachen Titeln
schrieb.') Einer jüngeren Periode gehören die weisen Scherze {7ia{yvia)
des Philosophen K rat es aus Theben an, der ein Schüler des Kynikers
Diogenes war und in geistreichen Versen und Reden die Moral der Ein-
facheit {fvvikeia) verkündete.
*) Der Anfang eines Distichons V. 1365
0 nai^mv xaXXtüis auf einer Trinkschale
▼cm Tanagra in Mitt d. arch. Inst zu Athen
IXlff:
') Die Angabe des Ath. 682 d, wonach
TheogniB keine Melodien filr seine Elegien
gvdidbiei habe, ist der Üebnng der späteren
Zot entnommen.
') In einer der erhaltenen Elegien zählt
er die Erfindungen der einzelnen Völker-
schaften und Städte auf; in einem hexamet-
rischen Gedicht (fr. 7) preist er den Anakreon;
ob er auch über Homer und Archilochos in
Versen oder sophistischen Xoyoi gehandelt,
bleibt ungewiss. Auch in Prosa schrieb er
über Staatsverfassungen, s. Mülleb FHG II
68—71.
134
Ghrieelii«ch6 Lüteraturgesohiohte. I. KUssisohe Periode.
3. Die iambische Poesie und die Fabel.
102. Die iambische Poesie (i; twv lafAßonotwv nohfiiq) hat ihren Na-
men von dem iambischen Rhythmus. Dieser Rhythmus, den wir bereits
in den Melodien des Terpander vertreten fanden, hat etwas Erregtes, un-
ruhiges, das schon in der rascheren Aufeinanderfolge der Hebungen des
*/8 Taktes {yävoq imXaaiov) gelegen war, noch mehr aber durch den Auf-
takt iambischer Reihen zum Ausdruck kam. Dadurch entfernte sich die
iambische Poesie von der Feierlichkeit daktylischer Hymnen und näherte
sich dem raschen Ton der Umgangssprache. Wie aber überaU in der
griechischen Litteratur, so hatte auch hier die Eigenartigkeit der me-
trischen Form einen ähnlichen Inhalt zum Begleiter: aus den iambischen
Versen tönte der Streit des Lebens und der Lärm des Marktes. Wohl
kam dieser Rhythmus auch bei gottesdienstlichen Festen vor, aber nicht
in den ernsten Weisen der Priester des Zeus und Apoll, sondern in der
ausgelassenen Festfeier der neu zu Ansehen gekommenen Gottheiten, des
lakchos und der Demeter.^) Der Kult dieser Gtötter war bei den loniem
in Naxos, Paros und Attika zu Haus ; dem ionischen Stamme gehörte auch
recht eigentlich die iambische Poesie an. Dem ionischen Kleinasien ent-
stammten ihre Erfinder, und in dem stammverwandten Attika hat sich
aus ihr die schönste Blüte der Poesie, die Komödie und Tragödie, ent-
wickelt. Ihre Anfange fallen fast gleichzeitig mit dem ersten Auftauchen
der Elegie; ihre Blüte hat aber weniger lang angehalten, da ihre Formen,
der iambische Trimeter und trochäische Tetrameter, zu einfach waren,
als dass die stete Wiederholung derselben lange der rasch vorwärts dräng-
enden Entwicklung der griechischen Musik und Rhythmik hätte genügen
können. Nachdem sie ihren Hauptdienst geleistet und ein frischeres Blut
in die Adern der griechischen Litteratur gebracht hatte, machte sie me-
lodischeren Formen der Lyrik Platz oder ward als belebendes Salz in an-
dere Litteraturgattungen aufgenommen. In den Kanon der Alexandriner
erhielten nur drei lambographen Aufnahme: Archilochos, Simonides, Hip-
ponax.
103. Archilochos aus Paros, jüngerer Zeitgenosse des Kallinos,*)
blute um 650,») jedenfalls nicht vor dem Lyderkönig Gyges (687—652),
dessen Reichtums er in dem Verse (fr. 25) ov fioi vd rvyew rot noXvxqvaov
fiäXev gedenkt. Sein Vater Telesikles hatte von Paros eine Kolonie nach
der Insel Thasos geführt; seinen Ahnherrn Tellis brachte der Maler Po-
lygnot, der selbst aus Paros stammte, in der ünterweltscene neben der
>) Yergl. Aristoph. Ran. 884—444. Die
Fabel machte die Dienerin lambe, die mit
ihren Spässen die am ihre Tochter trauernde
Demeter zum Lachen brachte, zur Erfinderin
des lambns; s. Procl. ehrest, p. 242, 28 W.
•) S. § 94.
») Die Stelle bei Herodot I 12 Fryp? •
Tov xai 'ÄQxi^ox^^ ^ Udgio^ xaxd roy avroy
XQoyoy yeyofieyo^ iy iafißf^ xgif4^TQ<^ inefiyij-
o9if ist interpoliert Oppolzbb, Sitzb. der
Wien. Akad. 1882 S. 1 hat die von Archilochos
fr. 76 geschilderte Sonnenfinsternis anf 648
y. Chr. berechnet Dazu stimmen im wesent-
lichen Eusebios, der ihn Ol. 28, 4 ansetzt,
das Marm. Parium, nach dem er Ol. 24, 4
die Kolonie nach Paros ftthrte, und Cornelius
Nepos, der ihn nach dem Chronographen
ApoUodor (Gellius XVII 21, 8) unter Tnllns
Hostilius (670—638) leben lässt Vgl. Gelzsr,
Zeitalter des Gyges Rh. M. 35, 230 ff., Roboe
Rh. M. 36, 557 f. und oben § 93. Bei Snidas
ist? der aus Heaychius Miledus stammende
Artikel Archilochos ausgefallen.
B, Lyrik. 8. Die iambisehe Poesie.
102—103.)
135
Eleoboia, der Stifterin des Demeterkultus von Thasos, an (Paus. X 28, 3).
Den Archilochos selbst war ein wechselvolles, an Kämpfen und Drangsalen
reicbes Leben beschieden. In einem Distichon (fr. 1) drückt er schön
seine dopi>elte Stellung als Bürgersoldat und Dichter aus:
sijul i* iyto ^egccTTiov fiiv 'Evvalioio ävaxvog
xal Movtfäfov sgarov Swqov iniaTaiisvoq.
Aas Not Verliese er seine Heimat Faros und brachte seine Jugendjahre
aaf der rauhen und unwirtlichen Insel Thasos zu,^) auf der aller Jammer
Griechenlands zusammengeflossen war (fr. 54). In den Kämpfen gegen
die thrakischen Saier verlor er seinen Schild, über welchen Verlust er sich
leichten Sinnes hinwegsetzte, da er das Leben gerettet habe und einen
anderen Schild leicht erwerben könne. ^) Zu Hause in Thasos und Faros
erlebte er manche Kränkung und Zurücksetzung: ein parischer Bürger
Lykambes hatte ihm seine Tochter Neobule verlobt, dann aber ihre Hand
einem anderen gegeben, wofür sich der Dichter in beissenden lamben an
seinem vordem erhofften Schwiegervater und dessen ganzer Sippe rächte.')
Dann führte er als Kriegsknecht ein abenteuerliches Leben,^) nahm an
den Kämpfen in Euböa teil und fand schliesslich in einem Krieg mit
Naxos den Tod.«)
Als Dichter wiesen die Alten dem Archilochos die nächste Stelle nach
Homer an: wie jener das Epos geschaffen und gleich auch zur Vollendung
gebracht, so er die Foesie der subjektiven Empfindung und des beissenden
Spottes.^) Als ein Hauptverdienst rechneten sie ihm die Erfindung neuer
metrischen Formen an: 7) ausser Elegien dichtete er iambisehe Trimeter
und trochäische Tetrameter; aber auch die Verbindung von Versen ver-
schiedener Länge, eines iambischen Trimeter und iambischen Dimeter, und
von Versen verschiedener Art, des gleichen und ungleichen Rythmen-
geschlechtes, zu einer Feriode brachte er in seinen Epoden und Asynar-
teten^) auf und wurde so Begründer der eigentlichen Lyrik. ^) Auch eine
neue Vortragsweise, die Farakataloge, die zwischen dem vollen Gesang
und der einfachen Rezitation die Mitte hielt, soll er erfunden haben, in-
*) Aelian V. H. X 13 referiert aus dem
ELegiker Kritias, dass Arch. selbst bezeuge,
Sri Ttaxaltniov Uagoy did nsvlay xai äno'
ffittv ^XSey h Stiaoy, Auf seine aftaxavia
geht Pmdar P. 11 54.
') Fr. 6, nachgeahmt von Alkaios nach
Herod. Y 95, An^eon fr. 28 und Horaz
Od. n 7, 10.
>) Fr. 27 u. 34, worauf Horaz £p. I 19,
25 anspielt.
*) Fr. 23: xai dtj 'nixovgog waxB Kdg
Me*hJ0Of£ai. Des Kampfes in Euböa gedenkt
er fr. 4.
») Heracl. Pont in Müllbr's FHG II 210.
D«n Nftzier Ealondas wies die delphische
Pythia mit den Worten ab: Movctiwv ^e^d-
fforrff xarixtayes ' l|*^* yrjov, 8. Suidas u.
'J^Z^' nach Aelian; Tgl. Arist. rhet. 11 28,
TieOeicht nach dem Moseion des Alkidamas.
*j YelleiOB I 5: negue quemquam Mum,
euius operis primus fuerit auctor, in eo
perfectissimum praeter Homerum et Archi-
lochum reperiemiM. Schon Herakleides Pont,
hatte nach Diog. V 87 nagt 'Jqx^^^X^^' *«i
'0/ÄiJQov geschrieben. Beide sind zusammen-
gestellt von Antipater Anth. XI 20 und Dio
Chrys. 33, 11; vereint stellte sie die Kunst
dar, wie die Doppelherme des Vatikan; der
gestrenge, bärtige Kopf mit einem bitteren
Zug in den Mundwinkeln bei Visconti Icon.
gr. pl. 2, 6 und Bauxbisteb, Denkm. d. klass.
Alt. p. 116.
') Marina Vict. HI 2.
*) Die Asynarteten, wie 'Egafffiovldij
XagiXae XQVf^"^ ^^ yiXoioy, waren nur ftusser-
lieh von den Epoden verschieden, indem bei
ihnen die 2 verschiedenen {äavydQxtixa)
Glieder (rnoXa) in 1 Zeile zusammenge-
schrieben waren.
•) Theocrit epigr. 19.
136
Orieohiflche Litteraturgesohichte. I. ElassiBche Periode.
dem er halbsingend und halbsprechend {^aipMdog xaraläywv) sich nur an
den Hauptstellen durch ein begleitendes Instrument, die lambyke, im Vor-
trag unterstützte.^) Aber der Reichtum und die Vollendung der metrischen
Form war es nicht allein, welche dem Archilochos eine so hervorragende
Stelle in der griechischen Litteratur verschaflfte; er war auch ein gott-
begnadeter Dichter, voll Glut der Leidenschaft und Klarheit des Blickes,
der mit den Spottiamben sich energisch gegen die Unbill und Gemeinheit
seiner Feinde zur Wehr setzte,*) daneben aber auch in lieblichen Bildern
sein Liebchen besang (fr. 7. 13). Mit Geschick flocht er das populäre
Element der Fabel {ahog) in seine Lieder, 3) erfand die schöne Kunst mit
reizender Aufschrift den Wert des Weihgeschenks zu erhöhen (fr. 17),
und stellte die leichtbeschwingten Weisen seiner Poesie auch in den Dienst
der Siegesfeier^) und des volkstümlichen Kultus des Dionysos und der
Demeter (fv zoTg toßdxxoig). Schade, dass von einem im Altertum so
hochgefeierten Dichter, welcher der alten Komödie^) und später in Rom
dem venusinischen Dichter zum Vorbild diente, nur spärliche Bruchstücke
auf uns gekommen sind.
1Ü4. Simonides (Semonides),^) der Amorginer genannt im Gegensatz
zu dem Lyriker Simonides aus Keos, hat diesen Zunamen von der kleinen
Insel Amorgos, nach der er selbst von Samos aus eine Kolonie führte.
Seine Blüte fiel um 625. ^) Nach Suidas hatten die Alten von ihm Elegien,
von denen eine die Geschichte von Samos {aQxaioloyfa rwv 2afuwv) be-
handelte, ^) und zwei Bücher lamben. Erhalten ist uns ausser losgerissenen
Kleinigkeiten durch Stobaios ein pessimistisches Gedicht auf das schlimme
Los der Menschen und ein grosses Spottgedicht auf die Weiber.*) Im
letzteren führt er den auf Hesiod Op. 700 zurückgehenden Gedanken
yvvaixog ovdhv XQVf^* dvrJQ Xrji^sTai
ia&Xijg aiieivov ovdk ^(yiov xax^g
näher aus, indem er das Weib der Reihe nach mit dem Schwein, dem
') Flut, de mus. 28. üeber den Vortrag
der Verse des Archilochos durch Rhapsoden
8. Fiat. Ion. p. 531a und 620 b. Dass er da-
neben auch Gedichte zur Flöte dichtete, sagt
er selbst fr. 76, 123.
') Quintil. X 1, 60 rühmt an Archilochos:
validae, tum brevea vibrantesque sententiae,
plurimum sanguinis atque nervorum, adeo
ut videatur quibusdam quod quoquam minor
estf materiae esse, nan ingenii Vitium,
*) Fr. 86 u. 88; vgl. Julian or. VII p. 207.
Auch hierin knüpft Archilochos an Hesiod an.
^) In dem iambischen Gedicht auf die
Siege des Herakles und seines Wagenlenkers
lolaos, das noch in Pindars Zeit den Siegern
zu Ehren in Olympia gesungen wurde, s.
Find. Ol. IX 1 und Sybbl Herrn. V 192 ff.
^) Eratinos schrieb '^^/lAo/o», Alexis
einen *^qx^^X^^j Aristophanes entlehnte ihm
die schönsten Versmasse; nur Findar F. II
55 spricht tadelnd von dem iffoysQog 'j4qx^-
XoxoSi und in Sparta, wo man keinen Spass
verstand, waren seine Gedichte verpönt; s.
Flut. Inst. Lac. 34; Val. Max. VI 3 extr.
*) Der Unterscheidung halber, aber ohne
genügende Berechtigung ward schon von alten
Grammatikem (E. M.) der lambograph Semo-
nides mit e, im Gegensatz zu Simonides dem
Lyriker, geschrieben.
^j Mann. Farium und Suidas setzen ihn
gleichzeitig mit Archilochos, das erstere
Ol. 28, 4, der zweite 490 post Troica. Wenn
die Gründung von Thasos Ol. 15 oder 18,
die von Amorgos Ol. 22 angesetzt wurde, so
spiegelt sich darin der Zeitunterschied zwi-
schen Archilochos und Simonides wieder.
Froklos ehrest, p. 243, 21 W. setzt den Archi-
lochos unter Gyges, den Simonides unter die
Regierung des makedonischen Königs *Ayayiots^
was aus 'JQyaiov korrumpiert scheint and
auf 640 610 führt.
^) Unserem lambographen Simonides
gehört wohl auch die unter den Fragmenten
des Simonides Ceus fr. 88 stehende Elegie,
deren pessimistische Anschauung ganz sa
unserem Dichter passt
*) Die Fragmente neu bearbeitet von
0. Hoffmann, Griech. Dial. II 125^135.
B. Lyrik. 8. Die iambisohe Poesie. (§§ 104—106.) 137
Fuchs, dem Hund, der Erde, dem Meere, dem Esel, Wiesel, Pferd, Affen
vergleicht und nur die einen, welche von der Biene abstammen, in Ehren
bestehen lässt.^) Im ganzen sind seine lamben weit zahmer als die des
Archüochos, indem sie die allgemeine Reflexion an die Stelle des persön-
Uchen Spottes setzen.*) Doch hatten die Alten auch giftigere Verse von
ihm, m denen er einen gewissen Orodoikides verfolgte. ')
105. Hipponax von Ephesos lebte zur Zeit des Vordringens der
Perser nach der griechischen Küste und musste um 542 dem unter persi-
schem Schutz in seiner Vaterstadt eingesetzten Tyrannen Athenagoras
weichen.^) Er wandte sich nach Elazomenä, wo er sein übriges Leben
in Dürftigkeit als halber Bettler (fr. 16—19) verbrachte. In seinen Dich-
tungen verfiel er wieder ganz in den Lästerton des Archilochos, nur dass
er diesen durch das Pöbelhafte seiner von der Oasse geholten Sprache
noch übertrumpfte. Mit grimmem Spott verfolgte er namentlich den Bild-
hauer Bupalos und dessen Bruder Athenis, welche die hagere und häss-
liche Gestalt des Dichters karikiert hatten. Er wird Erfinder der Parodie
und der Gholiamben genannt. <^) In hinkenden lamben ist kein ganzes
Gedicht auf uns gekommen, wohl aber haben wir einzelne hinkende Tri-
meter und Tetrameter, wie die famosen
Sv' rlfAäQai yvraixog elaiv ridicxai^
orav yccfjt^ xig xaxiptQy tev^vrjXvTav,
Man fühlt die Geschicklichkeit des Griffes, mit der Brechung des Rhyth-
mus das Lahme und Hässliche nachzuahmen.
Grosse Vertreter des Spottgedichtes hat es ausser diesen dreien nicht
gegeben. Kleine Spielereien gab es von Ananios, der mit Hipponax
gleichalterig war, Hermippos, einem Zeitgenossen des Perikles, der Ko-
mödien und lamben schrieb, Skythinos aus Teos, der nach dem Philo-
sophen Heraklit lebte, Kerkidas aus Megalopolis, der zur Zeit des Philipp
die Gattung des lyrischen Spottgedichtes (Meliamboi) erfand, Aischrion
ausHytilene, einem Freund des Aristoteles, von dem uns durch Ath. 335 b
eine witzige Ehrenrettung der Hetäre Philainis erhalten ist, ^) Hermeias
aus Knrion in Kypern, von dem Hephästion p. 67, 11 auch einen kre-
tischen Vers aufgezeichnet hat, Phoinix aus Kolophon, der um Ol. 118 zur
Zeit des Königs Lysimachos Gholiamben und ein Gedicht auf die Einnahme
seiner Vaterstadt dichtete.
106. Die Fabel {alvog, fniO^og, Xoyog, ccTioloyog) ') ist ihrem ältesten
Namen (alvog) nach eine Erzählung von lehrhaftem Charakter; speziell
') Man erwartet in dem grossen Gedicht
▼on 118 Versen Gleichheit der einzelnen
Alwehnitte; diese sachten durch kühne Eon-
iektiiren herzustellen Eibsslino u. Ribbbck,
Wl IL 19, 136 «F. u. 20, 74 flf.
') Dahin gehört wahrscheinlich auch
0 liftariöov (jLaxgog Xoyog (Aiist. Met. p.
1091a 7), der nach Alezander Aphrod. z.
St die Entachnldigungsreden von Sklaven
enthielt
*) Luc. Pseudol. 2.
*) Ich beziehe darauf den Ansatz des
nius N. H. 36, 5 setzt ihn Ol. 60.
') Die hinkenden lamben haben nach
ihm den Namen Hipponactei versus erhalten;
Erfinder der Parodie nennt ihn Polemon bei
Athen. 698 b, indem er zugleich 4 parodische
Hexameter von ihm anftihrt.
') Aischrion schrieb auch ein episches
Gedicht ^E<pTjfĀQtdeg ; s. Suidas und Tzbtzbs,
Chil. VUI 405.
7) alyos = Erzählung in Od. 14, 508,
= Tierfabel in Hes. Op. 202, Archil. fr. 86;
fÄv^og^ wovon fabtda die lat. Uebersetzung
Hipponax in Marm. Par. auf Ol. 59, 3; Pli- i ist, fbadet sich zuerst bei Aeschyl. fr. 135 u.
138
Ghrieohisohe litteratnrgMohiohte. L KlMisisohe Periode.
verstanden schon Hesiod und Archilochos darunter eine Erzählung aus
der Tierwelt. ^) Als Erzählung fällt sie in die Sphäre der epischen Poesie;
sie aber hier zu behandeln, mahnt ihre häufige Anwendung bei den iam-
bischen Dichtem und ihre Einkleidung in iambisches Yersmass bei den
erhaltenen Fabeldichtem Phädrus und Babrios. Märchen und Tierfabeln
pflegen wie keine andere Gattung der Litteratur von Volk zu Volk za
wandern, und so haben nicht bloss die griechischen Fabeln zu den Lateinern,
Deutschen, Indem ihren Weg gefunden, sondern sind umgekehrt auch nach
Griechenland aus fremden Ländern viele sinnige Beobachtungen vom Leben
der Tiere gekommen. >) Ist es auch sehr fragwürdig, ob schon die In-
dogermanen, wie Jak. Grimm in der Einleitung zum Reinhart Fuchs an-
nahm, einen Schatz von Tierfabeln in ihre späteren Wohnsitze mitbrachten,
so stammen doch unzweifelhaft viele Fabeln der Griechen aus der Fremde,
aus Ägypten, Indien, Phrygien, Earien. Es waren wohl zumeist die fremd-
ländischen Sklaven, die solche Erzählungen aus ihrer Heimat mitbrachten
und damit bei den Griechen, die selber schon von Hause aus an scharfe
Naturbeobachtung gewöhnt waren, Beifall fanden. Mit der Zeit wurden
auch Sammlungen von Freunden dieser volkstümlichen Poesie veranstaltet
Neben den äsopischen Fabeln kennt schon Aischylos Fr. 135 und Aristo-
teles Rhet. II 20 die libyschen Erzählungen;^) dazu kamen später die
sybaritischen Witzfabeln aus dem Kreise der menschlichen Gesellschaft,^)
und die Aufzeichnungen von phrygischen, karischen, kilikischen, ägyptischen,
kyprischen Tier- und Pflanzenfabeln. ^) Dabei darf man sich nicht wundem,
wenn teils die Tiemamen je nach dem Orte wechselten,^) teils dieselbe
Fabel früher im politischen, später im ethischen Sinne gedeutet wurde. ')
Plato Phaedr. 61b, Rep. 350 e; Xoyog bei
Herod. I 141 u. II 184; apologus in der Be-
deutung einer Erzählung aus der Tierwelt
steht bei Quintil. VI 3, 44 und Gellius II 29, 1 ;
imuvd-ia und iniXoyoi hiessen die Nutzan-
wendungen am Schluss, die erst in den
Schulen der Grammatiker und P&dagogen
hinzukamen.
1) Heg. Op. 198—208; Arch. fr. 86; Lud-
wich in Einleitung der Ausg. der homerischen
Batrachomachie.
') Näheres darüber in der inhaltreichen
Abhandlung von 0. Keller, Geschichte der
griechischen Fabel, in Jahrb. f. Phil. Suppl.
IV 309—418, worauf ich bezüglich der vielen
hiebei in Frage kommenden Kontroversen
verweise. Die Wanderung der Fabeln lehrt
im einzelnen Brnfby in der berühmten Be-
arbeitung des indischen Fabelbuches Pantscha-
tantram, Leipz. 1859, 2 Bde. Vgl. Lessino,
üeber die äsopischen Fabeln, Gesamtausg.
von Lachmann V 395 ff.; Prantl, Ueber das
Tierepos bei den Schriftstellern des späteren
Altertums, in PhUol. VII (1852) 61—76.
') Babrios im 2. Proömium V. 5 nennt als
Verfasser der libyschen Fabeln den Kibysses.
*) Arist. Vesp. 1259: AtawnBiov yiXoiov
i IvßoQiiucoy. Schol. Arist. Av. 471: twy
cf^ fiv9ioy ol fikv dXoytoy C^'aiv eiaiy AUftonov,
ol di negl ay&Qoinioy £vßaQitucol. Gegen
diese Sonderung polemisiert Tbeon in Rhet
gr. ni 73, 9 Sp.
*) Theon Progymn. c. 8: ol Xoytn xa-
Xovtrrai- Aüfaineioi xal Aißwruxol 17 Svßtt-
Qitixoi TS xal ^Qvyioi, xai KiXixio& xai Ka^-
xoL xai Aiyvnrioi xal KvnQioi* weiter unten
werden als Verfasser von Fabeln genannt
JtcioTios, Koyyig 6 iCtittl, Sovgof 6 £vßa^ttigf
Kvßiaaos ix Aißvijg, Eine Pflanzenfiabel ist
die vom Streit des Oelbaums und Lorbeers
bei Callim. fr. 93. Aug. Wühsghb, Die Pflan-
zenfabel in der orientalischen und clasaiBchen
Litteratur, Beil. d. Allg. Zeit. 1897 Nr. 59-61.
*) Den Schakal als Berater des LOwen
bei den Indem ersetzte bei den Griechen
der Fuchs; s. Kbllbb, a. 0. 337 f., Tiere
des klass. Altertums S. 193. Wahischeinlieh
kommt auch der Name dXmntj^ von l&päsoy
was im Sanskrit Schakal bedeutet.
') So erzählte Stesichoros die Fabel vom
Pferd, das, um sich an dem Hirsch zu rächen,
den Zaum von dem Menschen ftnt>ftliTn den
Himeräem, damit sie sich vor dem Tyrannen
Phalaris hüteten; siehe Arist Rhet. II 20.
Ebenso warnte Aesop selbst die Samier v<tt
den Demagogen, indem er ihnen die Fabel
vom Fuchs, Blutegel und Igel eR&hlte; ihn* ■
lieh ist die Erzählung von Menenins Agrippa. '.
B. Lyrik. 3. Die Umbisohe Poesie. (§ 107.)
139
Die Griechen selbst hatten nicht bloss wie alle noch im Naturzustand
lebenden Völker grosses Gefallen an solchen Fabeln, sie verwendeten
de auch frühzeitig zu pädagogischen Zwecken, indem sie an ihnen das
jogendliche Oemüt bildeten, i) Den Grundstock der griechishen Fabeln
bildeten die äsopischen, und von dem Vater derselben soll hier noch in
Kürze gehandelt werden.
Vn. Aesop (JS^ifwTtog) war nach der einzigen glaubwürdigen Nach-
richt des Herodot 11 134 Sklave des ladmon in Samos zur Zeit des
Königs Amasis, also um die Mitte des 6. Jahrhunderts. Herodot erzählt
auch, offenbar nach Erkundigungen, die er während seines Aufenthaltes
in Samos eingezogen, dass der Enkel jenes ladmon von den Delphiern
ein Sühngeld für den erschlagenen Aesop empfangen hatte. Allgemein
muss also damals bereits die Kunde von dem gewaltsamen Tode des
Fabeldichters in Delphi verbreitet gewesen sein. Die Veranlassung des
Todes gibt Herodot nicht an; die Späteren wissen bald von der bösen
Zunge des Aesop zu erzählen, bald von der Unterschlagung der Geschenke
des Königs Krösus, bald von dem Diebstahl einer silbernen Schale.^)
Zeigt sich hier schon die Neigung der Alten, mit freier Phantasie die
Lacken der Überlieferung zu ergänzen, so noch mehr in all dem andern
Detail, was das spätere Altertum von der Herkunft, dem Leben und der
Gestalt des Vaters der Fabeldichtung den jungen und alten Kindern auf-
tischte.*) Herakleides Pontikos machte ihn zum Thraker,*) vermutlich weil
seine Mitsklavin, die berüchtigte Hetäre Rhodopis, nach Herodots Zeugnis
eme Thrakerin war; andere Hessen ihn aus Phrygien stammen, vielleicht
weil der Kern seiner Fabeln phrygischen Ursprung^) verriet. Neuere dachten
an äthiopische Herkunft, indem sie den Namen Aisopos für eine Verstüm-
melung aus ^«^loi// erklärten.«) Zusammenkommen liess man ihn mit dem
reichen König Krösus und mit den 7 Weisen Griechenlands.'') In Athen,
dem Centrum des Witzes und der Gescheutheit, musste der witzige Dichter
natürlich auch gewesen sein.*) Selbst von dem Reiche der Schatten liess
ihn die attische Komödie wieder auferstehen.*) Von Gestalt dachte man
Vgi L Spbkoel im Kommentar za Arisiot.
Rbet n 20, 8. — Wie beliebt auch später
nodi bei den Athenern die Tierfabel war,
lagen die Fragmente des Redners Demades.
') Aiistoph. Av. 471; Hennogenes pro-
Sjvm. 1 : Toy ßjtv^oy ngwtoy d^iovat ngood-
ytiy Totg yf<M^j Öxt ing iffv^ng avtav ngog
M ßünoy ^Sfii^Hy dvyatat,
') Arist. Vesp. 1446 bringt die Beschol-
^igong des Diebstahls mit einer Fabel des
Aewp vom Kftfer nnd Adler in Verbindung;
flcrAasdmck Jiawneioy alfia wurde sprich-
w&tiicb, 8. Zenob. I 47, Ps. Diog. I 47, Himer.
er. Xni 5. Aristoteles gedachte der Sage in
fa" Politie der Samier, fr. 445 Rosb.
>) ffinen vollständigen Roman über das
I*^ des Aesop haben wir aus dem Mittel-
•^, der fUsclilich — wir haben ältere
Huidachiiften — anter dem Namen des
Planudes geht; vgl. Ebumbaghbr, Byz. Lit.'
897. Mit dem alten Köhlerglauben hat
gründlich aufgeräumt Bbntlby, De fabulis
Aesopi, im Anhang zu den Epist. Phalarideae.
Vgl. Gbaubrt, De Aesopo et fabulis Aesopeis,
Bonn 1825.
*) Fr. 3; danach Schol. Arist. Av. 471.
SuidaQ u. AXawnoq * Evyslxfoy di MeatjfAßgi-
ayoy einsy.
») Die Chrys. or. 32 p. 684, Gellius II 29,
Aelian V. H. X 5, Himer. XIII 5.
«) Wblcker Kl. Sehr. II 254 f ; Zündel
Rh. M. 5, 447 ff.; dagegen Keller a. 0. 375.
') Plut. Sol. 28; Conv. sept. sap. c. 4.
^) Phaedr. 12 u. II epil. Alexis dichtete
eine Komödie Aiaamog, worin ein Zwie-
gespräch des Aesop und Selon vorkam.
*) Piaton der Komiker bei Schol. Arist,
Av. 471.
140
Grieehisehe Litieratargesehiohte. I. KlMunsohe Periode.
ihn sich höckerig und verwachsen;^) denn den von Natur Vernachlässigten
pflegt ja bekanntlich zumeist der Stachel beissenden Mutterwitzes gegeben
zu sein. Eine ganze Serie von Abenteuern wurde ihm angedichtet, bis
er schliesslich selbst fllr eine blosse Fiktion ausgegeben wurde.*) Seine
Fabeln erzählte Aesop in schlichter Prosa, was auch in den Namen Idym
und Xoyonoioq ausgedrückt ist.') Dass er sie niedergeschrieben habe, hat
mit Recht Bentley bezweifelt, da der Alte in Aristophanes Wespen V. 566
(vgl. 1259) die lustigen Geschichtchen {yeXoXa) Aesops nicht aus einem
Buch, sondern aus den Unterhaltungen bei den Gelagen lernt. Zuerst soll
Sokrates im Gefängnis die zuvor nur mündlich kursierenden Fabeln in Verse
gebracht haben.*) Später veranstaltete Demetrios von Phaleron eine Samm-
lung äsopischer Fabeln in Prosa {Xoydnv Avaoanelwv awaydoyaC)^ welcher die
Sammlungen libyscher Fabeln von Eybissos, kilikischer von Eonnis, syba-
ritischer von Thuros folgten. Die Sammlung des Demetrios ist so wenig
wie eine der andern auf uns gekommen ; erhalten sind uns aus dem Alter-
tum nur die poetischen Bearbeitungen des Babrios, Phädrus, Avianus. Aus
dem Mittelalter stammen prosaische Metaphrasen äsopischer Fabeln, die
Fabeln des Syntipas, und eine in choliambischen Tetrametern verfasste
Sammlung des Ignatius Diakonos aus dem 9. Jahrhundert.
Fabelsammlungen: Die zuerst (1479) gedruckte Sammlung war die des byzantinischeD
Mönches Planudes von 144 Fabeln. Dazu kamen neue Fabeln von Nivolbtti ex bibl. Pala-
tina, Frankfurt 1610, von Db Fctria aus Florentiner Handschriften, Flor. 1809, von J. G.
ScHNBiDEB 1812 aus dem cod. Augusfcanus = Monac. 564, von Eköll 1877 aus dem cod Bod-
leianus 2906, von Stebnbach (Abb. d. Erak. Ak. pbil. 1894) aus cod. Paris. 690 — Sammel-
ausgaben: Mv&üjy Aitftoneifov avyaytoyij von Korabs, Par. 1810; Fabulae Aesopicae von
Halm in Bibl. Teubn. — Hausbath, Untersuchungen zur Ueberlieferung der äsopischen
Fabeln in Jahrb. f. Phü. Suppl. XXI 247 ff.
4. Arten der Lyrik im engeren Sinn.^)
108. unter lyrischen Gedichten {fie'Xrj) im engeren Sinn verstanden
die Griechen solche, die gesungen wurden und zum Singen von vornherein
durch ihre Form angelegt waren. Charakteristisch für dieselbe ist daher
die strophische Komposition {noirjfia xazd ncgfoSor). • Denn für die Alten,
welche die musikalische Komposition eng der Form des Textes anpassten,
war die Vereinigung mehrerer Glieder (xcola) zu einem grösseren Satz
(7€€Q{odog) die naturgemässe Voraussetzung der Singbarkeit. Mit dem Ge-
sang hängt dann eine zweite Eigentümlichkeit der Form, die Verbindung
von daktylischen und trochäischen Füssen oder der Gebrauch von logaödi-
sehen Reihen zusammen. In solchen Versen nämlich traten zum Unter-
schied von langen und kurzen Silben oder ganzen und halben Noten, mit
denen sich kaum eine einigermassen klangvolle Melodie herstellen liess,
^) Lysipp nach Agathias 35, Aristode-
mo8, ein Schüler Lysipps, nach Tatian adv.
Graec. 55, hatte ihn neben den 7 Weisen in
Athen gebildet.
'•) Wblckbr, Aesop eine Fabel, in Kl.
Sehr. II 228 ff.
«) Theon, Progymn. p. 73, 27 Sp.
*) Als eine Fiktion des Piaton betrachtet
die Angabe in Plat. Phaed. 60 d Sghajce,
Herrn. 29, 597; die erhaltenen Verse in
Distichen sind aUerdings Fälschungen.
*) Härtung, Griech. Lyriker, Leipsig
1856. Der Name fÄsXonoioi ist ebenso wie
/ÄeXto^itt (schon bei Piaton) falsche Analogie-
bildung nach iafzßonoioi.
B. Lyrik. 4. Arten der Lyrik. (§§ 108-109.) 141
noch die Werte von IV«, V«, 3 Zeiten hinzu. Solche logaödische Verse
aber, wie
dädvxE fjUv a asXdva / | Ji ^ ^ J" \ J. J 7
haben einen so melodischen Tonfall, dass jeder unvdllkürlich zum Singen
sich eingeladen fUhlt. Vorgebildet war bei den Griechen die Liederdichtung
durch die Entwicklung der Musik, wie wir sie in dem einleitenden Kapitel
dargestellt haben. Die Elegie mit ihrer einfachsten Vereinigung zweier Verse
und die Ausbildung des iambischen Rhythmus neben dem daktylischen waren
gleichsam die Vorstufen, auf denen sich der kunstvolle Bau der lyrischen
Poesie erhob. Mit dem Epodos des Archilochos war im Grund genommen
die lyrische Strophe schon fertig. An Archilochos schloss sich denn auch
anmittelbar die Entfaltung der lyrischen Poesie an, die noch mit dem
7. Jahrhundert begann und der Litteratur des 6. Jahrhunderts die eigentliche
Sipatnr gab. In dieser Zeit hatte das ionische Eleinasien aufgehört Aus-
gangs^ und Mittelpunkt des geistigen Lebens zu sein; Lieder wurden daher
nicht bloss in lonien, sondern allerorts in Griechenland, auf dem Festland
ond auf den Inseln, in den griechischen Mutterstädten und in den blühen-
den Kolonien von Sikilien und Unteritalien, im äolischen wie im ionischen
ond dorischen Hellas gedichtet. Eine allgemein gültige [xoivt]) Sprache
gab es aber damals noch nicht, und da auf der anderen Seite Lieder,
welche für das Volk bestimmt waren, auch in der Sprache des Volkes
gedichtet sein wollten, so schied sich die Lyrik, im Unterschied vom Epos,
nach den Dialekten. Und nicht bloss entstanden Lieder im äolischen,
ionischen, dorischen Dialekt; es nahmen dieselben auch die Eigentümlich-
keiten der Stamme an, so dass mit der Sprache auch die glühende Leiden-
schaftlichkeit der Äolier, die lebensfrohe Genusssucht der lonier, der feier-
fiche Ernst der Dorier zum Ausdruck kam. Schade, dass die Ungunst
der Zeiten von diesem vielästigen Baum der Litteratur nur wenige Blüten
unversehrt zu uns getragen hat und dass mit dem Verklingen der alten
Melodien auch die Texte der Lyriker aus den Bibliotheken frühzeitig zu
verschwinden begannen.^) Die Grammatiker haben aus der grossen Zahl
der lyrischen Dichter und Dichterinnen 9 als mustergültig ausgewählt:*)
Alkman, Alkaios, Sappho, Stesichoros, Ibykos, Anakreon, Simonides, Pindar,
BakchyUdes.
109. Die Lyrik selbst zerfällt wieder in viele Arten, von denen das
Lied und der Ghorgesang die obersten sind. Das Lied {i^iekog),
zum Einzelgesang bestimmt, dient vornehmlich zum Ausdruck subjektiver
Empfindungen, singt von Liebesschmerz und Weineslust, von jauchzender
Freude und niederschlagender Trauer, von allem, was des Menschen Herz
bewegt. Es ist diejenige Gattung der Lyrik, welche unserer sentimentalen
Stimmung am meisten zusagt und deren liebliches Spiel, weil es allgemeine
Saiten der menschlichen Seele anschlägt, den Moment und den Anlass, der
') Im 4. Jahrh. las der Sophist Himerios I vero lyricoruin longe Pindarus princeps. £in
Mcfa fleififlig seine Lyriker, so dass uns in | unbedeutender Traktat ne^i Xvgixuiy ver-
Kba Reden viele prosaische Paraphrasen , öffentlicht von Boissonade, Anecd. IV 458,
tlter Lieder vorliegen. i M. Schmidt, Didymi fragm. 395 f.
*) Änth. IX 184; Quinta. X 1, 61: novem |
U2
OrieohiBohe LitteratuFgeBohiohte. 1. ItlasBittche Periode.
es geboren, am längsten überdauert. Sie wurde bei den Griechen vorzüg-
lich von den Äoliem und loniern gepflegt, die sich schwärmerischen Ge-
fühlen und freier Lebenslust ungezwungener überliessen,!) und f&hrte zum
erstenmal auch die Frau in die Hallen der Litteratur ein. Der Chorgesang,
der sich im Anschluss an die Feier von Götterfesten und Siegen entwickelte,
war von vornherein mehr auf das Erhabene und Grossartige als auf das
Gemütvolle und Zarte gerichtet. Sein kalter Objektivismus vertrug sich
gut mit dem epischen Element der Götter- und Heroenmythen, deren Preis
nach altem Herkommen mit den öffentlichen Festen, die ja zumeist den
Göttern und Heroen galten, unzertrennbar verbunden war. Das alles
stimmte zu dem ernsten Wesen und der innerlichen Tiefe des dorischen
Charakters, und so verwuchs der Chorgesang derart mit dem dorischen
Stamm, dass der dorische Dialekt für die chorische Poesie die typische
Form wurde. Auch in der metrischen Form fand die verschiedene Natur
der beiden Dichtungsarten ihren Ausdruck: das Melos liebte kleine Kola
und tändelnde logaödische Verse; der Chorgesang baute die rhythmischen
Reihen zu langen Perioden auf und bevorzugte teils die ernstfeierlichen
Daktylo-Epitriten, teils die beweglichen Tanzrhythmen der Päonen. Die
Gegensätze Lied und Chorgesang waren indes keine absoluten, so dass
auch manche Lieder der äolischen Meliker, wie die Epithalamien der
Sappho, nicht von einem Einzelnen, sondern einem ganzen Schwärm (xtöfjtog)
gesungen werden konnten.^)
110. Ausserdem wurden von den Alten noch mehrere Unterarten
lyrischer Dichtungen je nach Anlass und Inhalt unterschieden. ')
Skolien*) waren Trinklieder, die beim Wein von den Tischgenossen
gesungen wurden. Es gab nach den Zeugnissen der Alten^) mehrere Arten
von Trinkliedern: zuerst wurde zur Spende von allen im Chor unter Flöten-
begleitung ein Päan, gewissermassen ein Tischgebet, gesungen;^) dann
sangen beim Gelage die Einzelnen kurze Trinklieder, indem ein Myrten-
oder Lorbeerzweig in die Runde ging, den der Vortragende, wie vordem
») Ath. 624e: AluiXiiav fj»og . . i^tjQfie-
vov xal xsdagQTjxog * cfto xal oixeToy iüilv
itvxoU 17 q>i>Xonoaia xal id igtotixa xal na<fa
17 nsQi xrjv dlaixay ayeaig.
^) Demetr. de eloc. 167 lässt für die
Epithalamien die Annahme des Vortrags
durch die Dichterin oder durch einzelne, gegen
einander sprechende Choreuten ixogog cftrt-
Xexxixog) frei. Einwendungen von Flach,
Gr. Lyr. 509 f. Auf Chorgesang weist auch
Sappho fr. 54 und hezügUch des Anakreon
Eritias bei Ath. 600 d.
«) Pindar fr. 139 deutet folgende
Arten an: aoidai naiavlde^, dt^vQnjußoty
^gijyoi, 'Aivoi, vfjievaioi^ inXe/Joi. Procl. Chrest.
p. 243 unterscheidet: t« eig 9eovs, xa eig
dySgttinovqj xd Big ^eovg xal dyffgwTiovg^ xd
Big Tag Ttgoaninrovcag TtBQiaxdastg, das Et.
M. 690, 41 nQocodia, tmogj^tjfjiaxaf axuaifia.
Ausserdem zählt Pollux IV 53 auf i»vq>aX-
Xixdj iuoxoq>OQixdy toßaxxoi, imXrjyia, iju-
ßaxfjgia, ngooifÄia u. a. Vgl. Bopp, Leip-
ziger Stud. 8, 134 ff. ; Walther, De graecae
poesis melicae generibus, Halle 1866.
^) Ilorn, Scolia, Jenae 1798; Enou-
BRECHT, De scoliornm poesi, Vind. 1882;
Reitzenstbin, Epigramm u. Skolion, Giessen
1893, Kap. 1.
^) Dikaiarch u. Aristoxenos in Schol.
Plat. Gorg. 541 e (Suidas, Photios, Schol.
Aristoph. Nub. 1364) und bei Athen. 694a;
Plut. sympos. I 1, 5 und Proklos in Phot
bibl. p. 321 a nach Didymos; Enstathios
1574, 14; Schol. Aristoph. Vesp. 1222. Vgl.
Plat. Symp. p. 176.
^) Darauf beziehe ich Alcman fr. 24:
(poiyaiQ dk xal iy 9idaoi<ny dydgai^ nagd
daixvjuöyBOCiy ngenBi natdra xaragj[€iy.
Dieses waren die nicht getanzten Ulane des
Athenaios p. 631 '^. Hieher gehört aach die
Stelle des Clem. Alex. paed. 72: nnQ€i tag
üvfjinoxixdg Bvot^iag tfßfia [ro xaXot^fäcyor
oxöXioy] ijdBXO xoiyutg andyxwv <pwy^ natart-
Coyfioy.
B. Lyrik. 4. Arten der Lyrik. ($ 110.)
143
den Stab der Rhapsode, beim Oesang in die Hand nahm; drittens gab es
auch kunstvollere Gedichte, wie die Tischoden Pindars^), welche geübte
S&nger beim Mahle zur Lyra vortrugen. Die mittlere Art hatte den spe-
zieDen Namen cxolta (läXt), Über den Ursprung des Namens (schon bei
Aristoph. fr. 222), eigentlich „krummes Lied*^, wurde schon von den
Alten gestritten. Die Meisten deuteten ihn auf die Sitte, dass der Zweig
nicht in gerader Linie herumging, sondern in die Quere von einem dem
andern gereicht wurde. ^) Mehr Wahrscheinlichkeit hat die von Eustathius
aufgestellte musikalische Deutung,^) wonach sich das axoXiov fiäXog dem
tiiuiog ^v&fiag zur Seite stellte. Denn war auch die Melodie der Skolien
gegenüber den Dithyramben verhältnismässig einfach, so wich doch ihr
logaödischer Rhythmus, die freie Behandlung des ersten Fusses (Her-
mannische Basis), die Häufigkeit der inneren Eatalexen von dem graden
Bau der alten daktylischen und iambischen Verse in bedeutsamer Weise ab.
Epithalamion hiess speziell das Ständchen, welches am Abend den
Neuvermählten vor dem Brautgemach {&äXafAog) dargebracht wurde.*)
Im weiteren Sinne verstand man darunter ein Hochzeitslied überhaupt,
auch dasjenige, unter dessen Gesang die Braut aus dem Elternhaus zu der
neuen Wohnung geleitet wurde. Von der ersteren Art gibt das 18. Idyll
döB Theokrit ^EXävrfi eni&aXüfi^og einen Begriff, von der zweiten die der
Sappho nachgebildeten Hymenäen des Catull. Die Schollen zu Theokrit 18
erwähnen ausserdem oQ&Qia ij iyequxd^ welche scherzende Mädchen vor
dem Hause der Neuvermählten am Morgen nach der Brautnacht sangen.
Hymnen waren Gedichte auf die Götter im aUgemeinen. Speziell
wnrden so die einfachen Preislieder genannt, welche seit alter Zeit an den
Götterfesten in daktylischen Hexametern vorgetragen wurden und als
Hauptsache einen Mythus der betreffenden Gottheit enthielten. Später
bemächtigten sich die Lyriker, wie Alkaios, Anakreon, Pindar auch dieser
Gattnng der Poesie, indem sie statt des stereotypen Hexameters kunst-
vollere Versarten anwandten und zum Teil auch an die Stelle eines
Rhapsoden einen ganzen Chor treten Hessen. Aber das behielten auch sie
von der alten Einfachheit bei, dass sie die Hymnen stets stehend (nicht
tanzend) zur Eithara (nicht zur Flöte) vortrugen. 0)
Die Prosodien {jiQocodia sc. ixäXrl) hatten ihren Namen and xov
aSsa^ai iv r^ nQoüuvai toTg ßcofioTg rj vaoTg.^) Sie wurden zur Flöte vor-
getragen, weil diese mehr geeignet war einen schreitenden und singenden
Chor im Takt zu halten. Ihre Ausbildung erhielten sie in der chorischen
Lyrik, doch hat schon der alte Epiker Eumelos in Hexametern ein Prosodion
;j Find. fr. 122—8; besonders fr. 124
Tmo TM TiifAnm (ABtaSoQniov ' iv ^vyta xbv
i^ 9Vfin6iaiciv te yXvxegoy xai Jiiovvaoio
<>p^ xal xvXixBcaiv 'j&ayaiaurty xiyjQOv^
ittTtPov di Xfjyovrog yXvxv tgotyäXioy.
*) Beleochtet ' wird die Sitte durch
Aristo^. Vesp. 1217 flf.; Nub. 1354 flf. Die
^ ▼ar besonders im 5. Jahrh. im Schwung;
BIT Zeit dernenen Komödie kam sie ab, wie
Aa^phaoes fr. 85 E zeigt.
') So auch Engblbbbcht p. 40, der auf
Maximus Tyr. XXIIl 5 verweist.
*) Pind. P. IXT 17 aXixsg ola naq^vot
(fiXioiaiy etaiQai ianegiatg vnoxovgiCBa&ai
*) Procl. ehrest. 244: 6 xv^itog iifdyos
TtQog xi&ttQtty ^deto ioToittoy.
«) Procl. ibid., Et. M. 690, 43; vergl.
Xenoph. Anab. VI 1, 11: iy tatg rtQog lovg
»eovg TiQoaodoig, Arist. Nub. 307, Pac. 396.
144 Chrieohische LitteratargeBohiohte. L KlaBsisohe Periode.
für den delischen Apoll gedichtet, i) Für die Feierlichkeit des religiösen
Aufzugs schien auch den Spätem noch der daktylische Rhythmus am ge-
eignetsten zu sein, doch schickten sie, um mehr Leben in die Bewegung zu
bringen, den daktylischen Reihen einen Auftakt voraus {^vO-fAog 7€Qo<roiiax6g),
Für Prosodien wie für aUe Marschlieder eigneten sich nur Verse mit dipo-
discher, dem Schritt der Sänger entsprechender Messung; ausserdem mussten
in ihnen emmetrische Pausen in massigen Zwischenräumen zur Erholong
der Stimme vorgesehen sein. Aus den lyrischen Prosodien haben sich
später die anapästischen Parodoi des Dramas entwickelt.
Der Dithyrambus*) war von Hause aus ein Lied auf den Weingott
Dionysos, weshalb er zumeist an den Orten, wo der Weinbau und der
Kultus des Dionysos zu Hause war, in Naxos, Thasos, Böotien, Attika
gepflegt wurde. Seine eingentliche Heimat scheint Phrygien gewesen zu
sein, da er nach Aristoteles, Polit. VHI 7 den Charakter der phrygischen
Tonart hatte. ^) Schon Archilochos (Fr. 79) rühmte sich der Kunst, dem
Herrscher Dionysos einen Dithyrambus anzustimmen. Wie man aus dem
dort gebrauchten Ausdruck i^aQ^ai fueXog schliessen muss, war bereits da-
mals beim Dithyrambus ein Chor beteiligt, wohl ein Chor schwärmender
Zecher, der mit jauchzendem Zuruf in die Worte des Vorsängers einfiel.
Seine kunstvolle Ausbildung erhielt er durch Arion in Korinth,^) der um
600 zuerst einen dithyrambischen Chor im Kreisrund {xvxXiog x^Q^^) ^^^f"
stellte.^) Seine hauptsächlichste Pflege fand sodann der Dithyrambus in
Athen, wo er nicht bloss aus sich die Tragödie erzeugte, sondern auch
fortwährend neben dem Drama das Hauptfestspiel abgab. Anfangs war
auch dieser entwickelte Dithyrambus noch strophisch gegliedert,*) immer
mehr aber entledigte er sich der beengenden Fessel wiederkehrender
Strophenbildung, so dass er schliesslich der Hauptrepräsentant der freien
Komposition {anoXsXvixbvov fieXog) wurde. ^) Schon zuvor war er aus dem
engen Kreis dionysischer Festlieder herausgetreten und hatte auch den
Preis anderer Götter und die Darstellung anderer Mythen in sein Gtebiet
gezogen.«)
Der Päan hatte seinen Namen von dem Ausruf It] naidv^ mit dem
der Chor in den Gesang des Vorsängers einfiel. Es gab zwei Arten von
Päanen, das schon zuvor besprochene choralartige Tischgebet, welches
ohne Tanz bei der Spende von den Tischgenossen zur Flöte gesungen
») Die betreffenden Hexameter werden | Vgl. Schol. Find. Ol. XIII 25. lieber döe
aber wohl nicht xatd jgino^ixa xwXa, son- I Stellung des Eoiyphaios s. Ath. 125 b. Eifi
dem xcträ ömotfiay vorgetragen worden sein. ' Bild von einem solchen im Kreis um den
*) M. Schmidt. Diatribe in dithyrambum,
Berl. 1845. Der Name scheint mit ^giafißog
und doQvßos zusammenzuhftngen und erinnert
an den Ausruf io triumpe.
3) Nach Strabon p. 469 hatte Pindar
(fr. 79) den Dithyrambus der Griechen den
Gesängen der Phrygier zu Ehren der Götter-
mutter gleichgestellt.
*) Schol. Pind. Ol. XIIl 25.
*) Procl. ehrest. 244, 26: roV cf^ «(>!«-
fiBvov t^g lüdijg 'AgiaxoiiXrjg 'jQioyä (ptjaiy
eiyai, og n^wrcg loy xvxXioy rjyrtye ^ogöy.
Altar tanzenden Chor gibt uns Callim. hymn.
IV 312 ff.
^) Sogar daktylische Hexameter kommen
in Dithyramben der Praxilla fr. 1, 2 vor.
Vgl. Arist. poet. I p. 1447»» 24.
') Procl. 245, 14; Hör. Od. IV 2, 10:
seu per audaces nova dithyramhos vtrba
devolvit numerisque fertur lege »olutis. Die
herrschende Tonart der Dithyramben blieb
die phrygische und hypophrygische.
®) Neben Dithyramben werden ioßaxx^
genannt; der Unterschied beider ist dunkel.
B. Lyrik. 4. Arten der Lyrik. (§ 110.) U5
wurde, und das Tanzlied auf den Heilgott Apoll, das bei besonderen An-
lässen, besonders zur Abwendung von Seuche und Krankheit gesungen
ward.*) Diese zweite Art von Päan, die vornehmlich Pflege und Aus-
bildang in der griechischen Litteratur fand, treffen wir schon bei Homer
D. Ä 473 und im Hymnus auf den pythischen Apoll 326. Weitergebildet
wurde derselbe in Kreta, von wo er sich nach Delphi, Sparta und dem
übrigen Festland verbreitete.*) Päane im ersteren Sinne scheint Ty nnichos
aus Chalkis gedichtet zu haben, von dem Piaton Ion p. 534 d einen in
aller Mund lebenden Päan, ein wahres evQirpd ti Moiaär, erwähnt.*) ür-
spränglich gab es nach Proklos nur Päane an Apoll und Artemis, später
kamen auch solche an andere Götter auf, die mit jenen nur den feierlichen
Sesang und den Vortrag durch einen in gemessenem Takte {ififieleia)
sich bewegenden Chor teilten. ^) Polybios lY 20 und Zosimos II 5 lassen
sogar zu Ehren von Menschen, wie der Könige Antigonus und Deme-
trius PoUorketes Päane gesungen werden. Übrigens gebraucht schon Homer
X 391 das Wort auch von dem Siegesgesang, welchen die Söhne der
Achäer bei dem Falle Hektors anstimmten. Diese neue Art von Päan
scheint sich aus Dankliedern an Apoll nach glücklicher Beendigung der
Not, wie uns ein solches bei Aristoph. Vesp. 869—874 erhalten ist, ent-
wickelt zu haben. Ein Hauptversmass der Päane war der Päon - ^^=^^
der von dem Paean den Namen hat. Die Dichtung von Päanen hat sich bis
ins 3. Jahrhundert v. Chr. erhalten, wofür wir neuerdings in den Päanen aus
dem Schatzhaus der Athener zu Delphi Beweise erhalten haben. Von den
Päanen der Glanzzeit Griechenlands kann man sich am besten aus Pindars
Siegesgesängen 0. H, P. V eine Vorstellung machen; der Chor der Päane
bestand in der Regel aus Männern. Einen gemischten Chor von Mädchen
and Jünglingen finden wir erst in den römischen Päanen bei Horaz
Od. I 21, IV 1, 25—8, carm. saec.
Das Hyporchem war ein Tanzlied, bei dem der Tanz, und zwar
ein in lebhafteren Rhythmen sich bewegender Tanz die Hauptsache war. ^)
Aach er galt wie der Päan dem Gotte Apollo und fand wie jener seine
Ausbildung in Kreta, ^) so dass man oft schwer beide auseinander kennen
*) Vgl. Snidas u. i^a^x^ytsg, und Ath. j ^ai roTg nydXfiamv xoTg xaiyotg nQog td
Mf ttber das nMuytxoy ini(p&ey(Aa. uQxaTa,
') ProcloB chrestom. p. 244 W.: o dk , ') Ath. 628 a stellt deshalb den gemes-
nn«v icxiy eidog y'cftjf eis ndyxag yvy yQtt- senen Pftan dem Dith^rrambos entgegen.
fifitwov »eovg. lo Sk naXaioy idlatg dnive- \ •) Procl. 246; vnoQXVf^« ro fier* oqxV"
fitro ro» 'AnokXatyt xal rp 'AQt4fJiidv inl <rstog 4d6fÄByoy fÄsXog^ Atk. 6Slc i^ tmoQXf]-
xazejtarcei XoifKuv xal yoatoy (^dofieyog. fxattxij iciiy iy ^ ^duy 6 x^Q^S OQxstrai,
'•iKx^tjffnxvSg dk xal tä TiQocodue tiyeg
xtuttrag Xdyovaiy.
') Doch gab es auch einen lesbischen
Plan, vielleicht von Terpander gedichtet;
^^ Archilocbos fr. 78 avxog i^dgx^^ ^9*^^
«fior Aiußioy Tiaifjoya.
_ *) Vgl. Porphyiins de abstin. U 18: toy
Y^y Ai^xvXoy <paai, xtüy JeXtptay dhovy-
'«w ttg toy &e6y ygd^i nainyuy eineiy ort
ßi^t€ta TvyyCxttf nenoiijiai ' nuQttßaXXofÄsyoy
« Tor aviov 7? ^og roy ixeiyov ruvioy TtEictc-
Bwdbocb di»r kUmt. AltortumHWiiiiioii9cb.ift. VIJ. 3. Aufl. 10
Menander de encom. p. 331, 21 Sp.: rovg uky
ydg eig 'AnoXXtoya naidyag xal vnoQxi^fJiuxtt
oyofiäCofiey, tovg de eig Jiöyvcoy dt&VQafi"
ßovg xal ioßfixxovg. Näheres über diese
Tänze gibt Flut. Qnaest. conv. IX 15.
^) Ath. 181b: x^nxd xaXovai xcl vnog-
XrjfAttia. fCgijxa fAey xaXiovci tgoHoy^ x6
d*oQyayoy MoXoaaoy. Simonides fr. 31: ona
dk yagvaai, avy r' {yvy codd.) iXa(pg6y ogxVf*''
otda nodiay fiiyyvfjLsy,
146
Grieohische LitteratargMohiohte. I. KlMsisehe Periode.
konnte. ^) Wie andere lyrische Oesänge, so hat auch das Hyporchem seine
Fortbildung im Drama, und zwar zunächst in den kretischen (besängen der
Komödie gefunden. Aber auch das in lebhaftesten Rhythmen gedichtete
Chorlied an Apoll in Soph. Trach. 205—224 dürfen wir für die Nach-
bildung eines solchen kretischen Tanzliedes halten. Daneben gab es eine
andere Art von Hyporchem, bei dem, während der Chor sang oder singend
nur einfache Tanzbewegungen ausführte, einige ausgewählte Tänzer sich
mit kunstvolleren Tanzfiguren produzierten. Die Anfänge eines solchen
Spieles begegnen uns schon bei Homer E. XVin 604 ß. ; wir finden das-
selbe sodann ausgebildet in der Exodos der Wespen des Aristophanes,
und genauer beschrieben von Lukian in dem Buche vom Tanz c. 16 : nai-
3wv xo^oi (TvveX&ovTsg in avXtf xai xi&aQ^ oi piiv ixoqsvoVj vnfüQ%ovv%o
dh ci aqiaxoi TTQOXQi&ävteg €^ avx&v, ra yovv toig xoQoig YQag>6fi€va tovfoiq
(fCfiaTtt tTTOQX'^f^f'CC'^cc ixakeiTO xai ifxnsnXrjiXro tSv toiovrav r^ IvQa*)
Parthenien waren, wie der Name besagt, Lieder für Mädchenchöre,
die entweder selbst tanzend sangen oder zum Gesang und Spiel eines An-
deren ihre Tanzbewegungen ausführten. Sie waren vornehmlich in Sparta
zu Haus, wo die freiere Stellung des Weibes ihre Entwicklung begünstigte.*)
Unter den Lyrikern haben ausser Alkman, dem berühmtesten Parthenien-
dichter, Pindar, Simonides und Bakchylides Parthenien gedichtet. In ihrem
Geiste scheinen die Tanzlieder in der Exodos der Lysistrate gehalten za
sein. Noch in römischer Zeit hat nach Livius 27,37 der lateinische Dichter
Livius Andronicus ein Parthenien gedichtet; doch war dieses ebenso wie
das Säcularlied des Horaz ein Bittlied, das mit den griechischen Parthenien
nur das gemeinsam hatte, dass es wie jene von Mädchen gesungen wurde.
Eine Unterabteilung der naQd-ävsia waren die iaipvri<fOQi,xd^ bei deren Vor-
trag ein edelgeborener Jüngling {nmq dfiipid'akijg;) voranzog und ein mit
Lorbeerzweigen geschmückter Jungfrauenchor nachfolgte.^)
Threnoi waren Elagegesänge auf verstorbene Krieger und Freunde,
die an dem zu Ehren des Verstorbenen veranstalteten Totenmahl vor-
getragen wurden. Dieselben sind aus der in die Zeit Homers hinauf-
reichenden Sitte der Totenfeier erwachsen; nur war, als die Menschen
mehr zur geistigen Feier neigten, an die Stelle der gymnischen Spiele
der musische Elagegesang getreten. Inhalt aber gaben diesen Elage-
gesängen zumeist die orphischen Lehren von dem Fortleben der Seele und
der Wiedervergeltung nach dem Tode, wie sie sich in Griechenland seit
dem 6. Jahrhundert verbreiteten. Das erkennt man zumeist an den kost-
M Plut. de mus. 9 erkennt an der Me-
lodie, ob das Gedicht ein Pton oder ein
Hyporchem ist.
') Zum Vergleiche bietet sich die Er-
zählung von dem Verfahren des römischen
Dichters Livius Andronicus bei Livius VII 2 :
suorum carminum actor dicitur, cum saepius
revocatus vocem ohtudisset et venia petita
puerum ad canendum ante tibicinem cum
statuissetf canticum egisse aliqiMnto magia
vigente motu, quia nihil vocis usus impediehat,
inde ad manum cantari histrhnibus coepium
diverbiaque tantum ips&rum voci reiicta,
Uebrigens war diese Teilung der Aufgabe
des Tanzens und Singens gewiss nicht auf
das Hyporchema beschränkt. Auch die Par-
thenien des Alkman scheinen ganz ähnlich
vorgetragen worden zu sein.
s) Theokrit 18, 22 erwähnt die Wett-
läufe der Mädchen am Gestade des Flusses
Eurotas, welche auch in Alkmans Parthenien
vorausgesetzt werden.
^) Unterscheidung derselben bei Procl.
247, 16 u. Ath. 174 c.
B. Lyrik. 6. Liederdiohter oder Meliker. (§ 111.)
147
baren Resten, die von pindarischen Threnen uns erhalten sind. — Im
Gegensatz zu diesen ernstfeierlichen Threnen stunden die leidenschaftlichen
Idbfioi, die später in den xofifioi der Tragödie wieder auftauchten.^)
Ausserdem kommen als Namen spezieller Gesangsformen noch vor:
iwnxM (sc. vfivoi) Siegeslieder, eyxcofAia Preisgesänge auf Könige und
Fürsten, gesungen beim festlichen Mahl (ev x&i/if|;),2) '^Jo^r/Jca Adonislieder,^)
«riAijria Kelterlieder, iovXoi Schnitterlieder (Athen. 618^), ßavxaXrniaxa
Wiegenlieder,*) TQi7io6rj<poQixd und waxo(fOQixd^^) die von den Dreifüssen
und Weinranken, welche die Sänger trugen, ihren Namen hatten.
5. Liederdichter oder Meliker.
111. Alkaios^) bildet mitSappho das ruhmgekrönte lesbische Dichter-
paar, das am Schlüsse des 7. und in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts
die neue Gattung der melischen Poesie begründete.^) Das Geschlecht des
AUaios gehörte zu den altadeligen Familien von Mytilene ; er selbst nahm
mit seinem Bruder Antimenidas lebhaften Anteil an den Kämpfen des
Adels gegen den von der Demokratie auf den Schild gehobenen Tyrannen
Melanchros und dessen noch verhassteren Nachfolger Myrsilos. Über den
Tod des letzteren jubelte er in wildem Parteihass auf Fr. 20
vvv XQ^ fisd-vax^-rjv xai xiva Tiqdq ßiav
TToivTjVy ineiSrj xcet&avB MvQüiXoq,^)
Auch in dem Krieg, den seine Vaterstadt um die Kolonie Sigeion im
Troerland gegen Athen führte, kämpfte er mit, wobei er seinen Schild
verlor, den dann die Athener im Athenetempel in Sigeion aufhingen.^)
Als die Mytileneer, des ewigen Haders müde, zur Schlichtung der inneren
Zerwürfnisse den weisen Pittakos zum Aisymneten aufstellten, verliess
Alkaios mit seinen Genossen die Heimat ^^) und trat in fremde Kriegs-
dienste, die ihn bis nach Ägypten führten. ^^) Den Abend des Lebens
*) Schol. Eur. Rhes. 892: tpaal (T /«Ae-
fiw vaQtoyof4tiaSai inl tiuß 'laXifiOv rov
Jn6MurOi xal KakXtonrjff aig <pijai Jliv^aqo^'
« <r (bc. doi6d vfAVBt) 'IdX&ftoy tjfioßöXif)
voMTfe) ne^a&eyra o^eyog, vloy Oidygov,
*) Find. N. Vm 50: in^ntüfiiog vfirog.
•) VgL Anacreontea 57, 8.
^) Solche lünschl&femngslieder sind ein-
gelegt in Soph. Phil. 827 ff. und Eur. Or.
mff.
*)ProcL248f.
*) Der Artikel 'Ahtalog ist bei Soidas
iosgefallen; DikSarch hatte ein Buch negi
^JUttiov geschrieben, das Öfters Athenaios
düert; a. Wblckbb, AlkäoB, in Kl. Sehr. 1
126 ff., womit Marm. Par. ep. 36 stimmt.
') Euaeb. setzt ihre Bifite Ol. 46, 2 =
•^do T. Chr. Suidas setzt die Sappho, die wir
ua als etwas jünger zu denken haben, Ol. 42.
Kadi Herod. II 135, muss Sappho noch bis
in die Begierangszeit des Amasis (570 — 526)
Usern gelebt haben. Ueber die Stelle des
Berodoi V 95, die den Alkaios in die Zeit
^«8 Peiastraios herabzurücken scheint, siehe
Anm. 9. Das angebliche Gedicht der Sappho
an Anakreon bei Athen. 599 d muss ganz
anssser Betracht bleiben, da es Athenaios
selbst als untergeschoben anführt.
*) Nachgeahmt von Hör. Od. I 37; vgl.
Strabon p. 617.
») Herod. V 95. Der Historiker bringt
den Fall des Alkaios in Verbindung mit dem
Kampfe, den Peisistratos um Sigeion führte
(550 — 40). Aber Herodot hat offenbar, wie
die Erwähnung des Feriander zeigt, an die
Erzählung von den jüngeren Kämpfen um
Sigeion episodenartig den Fall des Alkaios
in den älteren Kämpfen der Athener und
Mythilenäer um jene Küste angeknüpft;
das weist entgegen Beloch neuerdings nach
Crusius, Litteraturgeschichtliche Parerga,
Philol. 55, 11 ff
>o) Arist. Polit. III 9 p. 1285«^ 35.
") Strabon p. 37. Sein Bruder nahm
Kriegsdienste in Babylon, von wo er den
elfenbeinernen Schwertgriff zurückbrachte,
worüber Ale. fr. 33.
10*
148
Qrieohisohe LitteratnrgMohlohie. I. KlaBsisohe Periode.
brachte er wieder am heimatlichen Herde zu, indem ihm Pittakos die
Rückkehr gestattete mit dem berühmten Ausspruch avyyvüifirj TifKüQiaq
xQeiaawvA) Diesem Leben entsprechend, durchweht ein kriegerischer Geist
die Lieder des Alkaios, dem sich die äolische Neigung zu rauschenden Wein-
gelagen und leidenschaftlicher Liebe verband.^) Auch die veilchenlockige,
süsslächelnde Sappho sang er in seinen Liedern an, ohne bei der schönen
Dichterin geneigtes Ohr zu finden.') Seine Gedichte, die mindestens 10 B.
füllten, waren nach dem Inhalt geordnet; sie umfassten Hymnen auf die
Götter,*) Streitlieder {ataaiwuxä) voll kriegerischen Feuers, darunter die
glänzende Beschreibung eines Waffensaales (Fr. 15), Trinklieder, von denen
mehrere der glückliche Nachahmer unseres Dichters, Horatius, nachgebildet
hat (Od. I 9. 18. 37), endlich Liebeslieder (iQiOTixä), von denen uns die
Nachahmung des Horaz Od. IH 12 einen Begriff gibt. Dem feurigen, aus
der Frische des Lebens genommenen Inhalt entsprach eine wundervolle
Vollendung der Form. Die Gedichte des Alkaios und der Sappho sind
die melodischsten Schöpfungen der Griechen; das lesbische Dichterpaar
hat die einschmeichelnden Logaöden, wenn nicht erfunden, so doch in die
griechische Lyrik eingebürgert, daneben aber auch choriambische und
ionische Verse gedichtet. In ihren Liedern wiederholt sich in gefälliger
Weise dieselbe Periode oder Strophe (jiovoarqoifu fiäXrj), so dass dieselben
leicht nach einfacher Melodie gesungen werden konnten. Die meisten ihrer
Strophen bestanden aus vier Gliedern (tstQdxwkog aTQotpij) ; speziell ist nach
Alkaios die kräftige alkäische Strophe benannt; doch wandte er auch mit
gleicher Virtuosität die weiche sapphische Strophe an. Als Beispiel der
nach ihm benannten alkäischen Strophe mag gelten fr. 18
'Aavvärrjfxi r£v dväfxwv ardaiv - i >^ ^ ^-^^ ^ \^ ^
To fAh' yuQ fvd-sv xvfia xvXivdsTcci^ ^ ± ^ -— A^w_v/ii
To d' ivx^ev ' aiifxeg d' dv xo fitaaov
vai (fOQTiiis&a avv fiuXaivijc
Die Lieder des Alkaios fanden bald auch ausserhalb der äolischen
Heimat des Dichters Anklang; namentlich bürgerten sich seine Skolien in
Athen ein und riefen dort die verwandte Gattung der attischen Trink-
lieder hervor.
112. Sappho^) aus Eresos (nach andern aus Mjrtilene) in Lesbos
war die jüngere Zeitgenossin des Alkaios. Von ihren Lebensverhältnissen
j. \j ^
Z W _ C7
-- v^ <j ~y^ v-» Z vy _ O"
») Diog. I 76.
2) Hör. Od. I 32 u. n 13. Ath. 429a
sagt, Alkaios und Aristophanes hätten trunken
{fi€^voyteg) ihre Gedichte geschrieben.
») Arist. Rhet. I 9; Hermesianax V. 47.
Daraufhin sind beide vereinigt auf einer Vase
der Münchener Sammlung; vgl. Jahn, Dar-
stellungen griechischer Dichter auf Vasen-
bildem S. 706 ff. Der Kopf des Alkaios auf
einer Münze des Pariser Eabinets, worüber
Baumbister, Denkm. unt. Alcaeus
*) Der auf Apoll enthielt den Zug des
Gottes in das Land der Hyperboreer auf
einem von Schwänen gezogenen Wagen; ihn
gibt Himerios or. XIV in Prosa wieder; den
auf Hermes übersetzte Hör. Od. 1 10.
') Suidas nimmt aus Missverstfindnis
zwei Sappho an. Manches über die Dichterin
bei Ovid. Heroid. 15. Ein Buch des Cha-
maileon über Sappho erwähnt Ath. 599 c.
Yergl. Wblgkbr, Sappho von einem herrschen-
den Vorurteil befreit, in Kl. Sehr. II 80—144:
Lbhrs, Pop. Aufs.' 399 f.; A. SghGnk, Untei^
suchungen über das Leben der Sappho, in
Symb. phil. Bonn. 731-62. Ausgabe der
Fragmente von Nbue, Berol. 1827. Eine Erz-
statue hatte Silanion gefertigt (Cic. Verr. IV
57, 126); Kopien derselben hat man in Mar-
mor und Thon wiedergefunden; s GAJccRRin.
Testa di Saffo, Ann. deli' Inst LI (1879)
8. 246 ff.
B. Lyrik. 6. Liederdichter oder Meliker. (§ 112.)
149
weiss man nur wenig Sicheres, da dieselben früh durch die Sage und die
Komödie entstellt wurden, i) Ihr Vater war Skamandronymos, verheiratet
war sie mit Kerkylas aus Andres;') von ihren drei Brüdern lebte der
eine. Charaxos, längere Zeit in Naukratis mit der verführerischen Hetäre
Rhodopis zusammen.'} Infolge der politischen Wirren verliess auch sie
ihre Heimat und floh mit anderen Gesinnungsgenossen nach Sikilien.^)
Das Glück der Liebe hatte ihr eine Tochter Kleis geschenkt, die sie mit
zärtlichster Liebe als das Kleinod preist, welches sie um ganz Lydien nicht
hergeben würde.^) Romantisch ausgeschmückt wurde in alter und neuer
Zeit das Verhältnis der Dichterin zu dem schönen Jüngling Phaon, der ihr
untreu wurde und dem in heisser Liebe in der Richtung nach Sikilien
nacheilend, sie sich vom leukadischen Felsen in das Meer hinabstürzte.
Wahrscheinlich diente der romantischen Erzählung die politische Flucht
der Sappho nach Sikilien zur Folie und bot die Erwähnung des leukadi-
schen Felsens in einem ihrer Lieder ^) Anlass zur speziellen Ausschmückung
der Sage. Verzerrt und ins Gemeine herabgezogen ward die Beziehung
der enthusiastischen Dichterin zu dem Kreise ihrer Freundinnen. In Lesbos
and bei den ÄoUern überhaupt hatte das Weib eine freiere SteDung, die
den engeren Zusammenschluss gleichgesinnter Mädchen und Frauen zu
musischen und geselligen Vereinen {haiQtai) ermöglichte. Auch Sappho
versammelte in ihrem Hause, das sie selbst Musenheim {iiotaonoXov olxiav)
nannte, 7) schöne junge Freundinnen, mit denen sie dichtete und sang und
an denen sie mit der überschwenglichen Liebe einer heissblütigen Süd-
länderin hing. Es war ein ähnliches Verhältnis wie das des Sokrates zu
seinen Schülern. 8) Hier wie dort spielte neben der geistigen Begabung
die Schönheit der Gestalt eine Rolle; aber erst die Ausgelassenheit der
Komiker und die schmutzige Phantasie der Römer haben aus den schwär-
merischen Versen, mit denen Sappho ihre Freundinnen, die Atthis, Tele-
sippa, Megara feierte, ein gemeinsinnliches Verhältnis herausgelesen, von
welchem Vorwurf die liebenswürdige Dichterin in unserer Zeit Welcker,
El. Sehr, n 80 ff., gründlich gereinigt hat. ») Die Gedichte der Sappho
waren in 9 B. nach der Zahl der Musen eingeteilt; massgebend war bei
^) DiphUos Hess in seiner Sappho, gegen
die Zeib-echnnng, Archilochos and Hipponax
als ihre Liebhaber aufbreien; s. Ath. 599^.
*) Suidas uni SanKpto ; auch hierin, spe-
zieQ in dem Namen Andres (Mftnnerstadt),
hat man einen Witz der Komödie gefimden.
') Herod. II 135; eines zweiten Bmdera
Lariehos, der Mundschenk in Mytilene war,
gedenkt Sappho bei Ath. 424 f.
*) Mann. Par. zwischen Ol. 43, 4 und
47, 3 (wahrscheinlich Ol. 47, 1 oder 47, 2
oaeh Schöne): Sangxo iy MitvXijyijg eis £i'
nUay hilewre tpvyovaa, Ihre Rflckknnft
und ihren Tod in der Heimat setzen die
Gnbsdiriften Anth. VIT 14 mid 17 vorans.
^) Fr. 85; möglich freilich ist, dass eine
•ädere Fran in 1. Person spricht.
') In Lenkas, der Yom Festland loe-
gctrennten Insel Akamaniens, bestand ein
alter religiöser Brauch, einen Menschen zur
Sohne der Gottheit vom Felsen ins Meer
hinabzustürzen; ihn erwähnten Stesichoros
fr. 43 und Anakreon fr. 19; Sappho und
Phaon brachte damit in Verbindung Menan-
der bei Strabon p. 452; s. Müller, Dorier I
233 und Oberhummer, Akamanien S. 226.
') Fr. 136. Herod. II 135 nennt dem-
gemäss die Sappho selbst fAovaonoiog,
^) So fassite das Verhältnis schon Ma-
ximus Tyiius XXIV 8 auf.
») Ob bei Horaz Ep. I 19, 28 temperat
Archilochi musam pede masculn Sappho wirk-
lich pede mit mascula zu verbinden sei,
bleibt doch zweifelhaft. Pedantische Gram-
matiker wie Didvmos untersuchten schon im
Altertum allen Ernstes, an Sappho publica
fuerit, 8. Seneca ep. 88, 87.
150 Grieohiaohe LitteratnrgoBohiohte. I. Klassische Periode.
der Anordnung das Yersmass, so dass z. B. das 1. Buch Gedichte in
sapphischen Strophen, das 2. solche in äolischen Daktylen enthielt. Wir
sind so glücklich ausser zahlreichen Fragmenten noch 2 vollständige Ge-
dichte zu haben, eine Anrufung an die buntthronende Aphrodite um Bei-
stand in Liebesnot und ein Bekenntnis eifersüchtiger Liebe zur süssprechen-
den, wonniglachenden Freundin, i) Der Grundton, der alle ihre Gedichte,
die Liebeslieder, Epithalamien, Epigramme durchweht, ist der verzehrender
Liebesglut, die sie mit einer bei einer Frau uns doppelt auffallenden Offen-
heit ausspricht, wie wenn sie singt:
iädvHB fi^v d aeldva \ xai UXr/iddeg^ fA^aai da
vvxreg, naQcc d' ^QX^'^' &Qa^ \ iyd dh fjiova xctrsvdw.
Der sinnliche Reiz gehört zur Erotik, namentlich bei den Alten, aber
es ist nicht die schöne Gestalt allein, die Sappho begeistert, sie verschmäht
den Reichtum ohne Tugend (fr. 81) und verweist in das Dunkel des Hades
das Mädchen, das nicht teilhat an den pienschen Rosen (fr. 68). Alle
ihre Gedanken aber kleidet sie in die anmutigste Sprache, die harte Laut-
verbinduugen sorgfaltig meidet^) und liebliche Bilder, wie vom sonne-
geröteten einsamen Apfel am hohen Aste (fr. 93), uns vorzaubert. An
Reichtum und Zartheit des Rhythmus übertrifft sie selbst ihren Rivalen
Alkaios ; nach ihr benannt ist die sapphische Strophe, die mit ihren weichen
Ausklängen ganz dem Wesen des liebevollen Weibes entspricht, wie jeder
aus dem nächst besten Beispiel herausfühlt:
nal Jfog, iokoTtXoxe, XiaaoiiaC c«, zw-— A^v^-w-w
fiT^ fi* aaaiGi firjT* oviaiat ddfiva, -lo-cjA^w-w-c?
Ausserdem dichtete sie einfache Systeme aus gleichen Gliedern {avc%riiia%a
s$ üfAoifov), mehrgliederige, zu je zwei verbundene Logaöden, daktylische
Reihen mit einleitender Basis {Älohxd iistqu); auch die Erfindung einer
neuen Tonart, der mixolydischen, wird ihr beigelegt.') Kein Wunder also,
dass Sappho auch früh hohe Anerkennung fand und als zehnte Muse von
den Epigrammatikern und Römern überschwenglich gepriesen wurde.^)
Die meisten der Lieder trug die Dichterin selbst nach Weise der kitha^
rodischen Nomen zur Lyra vor. Nur die Hochzeitslieder oder Epithala-
mien waren zum Vortrag durch einen Chor bestimmt. In einem derselben,
das Catull 62 übersetzt oder nachgebildet hat, kamen zwei Chöre, einer
von Mädchen und einer von Knaben vor, und war obendrein dadurch,
dass am Schlüsse der einzelnen Strophen der Gesamtchor mit jubelndem
Ephymnion einfiel, ein schöner Wechsel in den Vortrag gebracht. Das Bildnis
der Sappho erscheint auf mytilenischen Münzen, und ihre Statue von Silanion
wird von Cicero in Verr. IV 126 als unübertroffenes Meisterwerk gerühmt.
^) Uebersetzt von Catull 51, der uns
auch in dem Epithalamion 62 einen Begriff
von den gleichnamigen Liedern der Sappho
gibt
*) Dionys. de comp. verb. 23, wo sie als
Muster der yXafpvgd xal dy^^ irvy^eai^
gepriesen wird; Demetr. de eloc. 166 f., wo
auch das Anpassen der Worte an die ver-
schiedenen Personen in den Epithalamien
hervorgehoben wird.
>) Plut. de mus. 16.
^) Vgl. Strabon p. 617, der sie ^v/ua-
inoy Ti /^^jua nennt.
B. Lyrik. 6. Liederdiohter oder Meliker. (§ 113.)
151
Mit der Nachahmung ihrer Lieder haben Gatull und Horaz die römische
Lyrik Qber die seelenlose Künstelei der Alexandriner erhoben. *)
113. Anakreon^) von der ionischen Stadt Teos (Teius poeta) schloss
sich im erotischen Ton seiner Dichtungen ganz an die lesbische MeUk an,
nur dass er dem weichlichen Lebensgenuss noch mehr huldigte und im
ionischen Dialekte seiner Heimat schrieb. Vorangegangen war ihm in
letzterer Beziehung unter seinen Landsleuten Pythermos, der Skolien
gedichtet und nach Athen, p. 625 c die ionische Tonart eingeführt hatte.
Infolge des Angriffs des persischen Satrapen Harpagos auf lonien (545)
wanderte Anakreon nach Abdera, einer teischen Kolonie in ThrlEÜsien,
aus.') In diese Zeit wohl fallen seine wenig rühmlichen Kriegsthaten,
deren er selbst scherzend gedenkt (fr. 28. 29). Später treffen wir ihn
neben Ibykos am Hofe des Polykrates, des mächtigen und kunstsinnigen
Tyrannen von Samos (533 — 522), bei dem er als Herold der Liebe und
des Lebensgenusses in besonderer Gunst stand. ^) Nach dessen Fall zog
ihn Hipparch nach Athen, ^) und nachdem auch dieser gefallen war (514),
seheint er einer Einladung des Echekrates, eines thessalischen Dynasten
aus dem Hause der Aleuaden, gefolgt zu sein.^) Er erreichte das hohe
Alter von 85 Jahren, ^ und als lebenslustigen Greis, der trotz der ge-
bleichten Haare nicht von Wein und Liebe liess, pflegte man ihn mit
Vorliebe sich vorzustellen.®) Die Alexandriner hatten von ihm Elegien,
Epigramme, Jamben und Mele, zusammen in 5 B. ;^) auf uns sind von
denselben ausser zwei vollständigen Liedern (fr. 32 u. 70) nur ärmliche
Trümmer gekommen. Die lamben, namentlich das durch Athenaios er-
haltene Gedicht auf Artemon (fr. 21), beweisen, dass Anakreon auch den
bitteren Stachel des Spottgedichtes zu führen wusste; aber die Mehrzahl
seiner Lieder zeigt den heiteren Gesellschafter und feinen Hofmann, dem
das Saitenspiel beim Weingelage über alles geht, der nur durch das Beil
des Eros verwundb^ ist (fr. 48), und auch beim Herannahen des grauen
Alters mit Wein und Lied sich den Gedanken an den dunklen Abgrund
des Hades verscheucht. Auch seine Hymnen an die Götter, wie an Ar-
temis, Eros und Dionysos, scheinen nur zur Einkleidung des Gesangs von
Liebeslast und Liebessehnsucht gedient zu haben. Dem spielenden und
weichen Inhalt entspricht auch die Form seiner Lieder; als Strophe ver-
^) Philostr. Tii Apoll. I 30 erwähnt eine
Pamphylierin Damophyle^ welche damals die
Sappho in der Lehensweise und in der Dich-
tong nachahmte.
^) Eine dfirftige Vita hei Soidas; Welokbr,
EL Sehr. I 251 ff.; L. Webbb, Anacreoniea,
Diss Gott. 1895.
') Strab. p. 644; Soidas spricht iirtfim-
lieh von Histiaios.
*) HerodJII 121, Strab. p. (
Plato Hipp. 228c, Charm. 157e.
<) Geschlossen aus Fr. 103 u. 109.
^) Lac. Macroh. 26; sein Grab befand
flieh in Teos nach dem Epigramm in Anth.
VI! 25, X 599; siehe indes Bbbok, Gr. Lit.
n339.
") So ist er aufgefasst auf teischen
Mfinzen und in einer Marmorstatue der Villa
Borghese; s. Baümbisteb, Denkm. 79; als
Sänger in halbtrunkenem Zustand dargestellt
sah ihn Pausanias I 25, 1 auf der Akropolis
in Athen. Ueber die beste Büste jetzt im
Berliner Museum EEKULii Jahrb. d. arch.
Inst. 1892 tab. 3. — Eine Liebschaft mit
Sappho las man irrtümlich aus dem Lied
auf die schöne Lesbierin (fr. 14) heraus und
erdichtete dann sogar ein Lied der Sappho
an Anakreon, das uns Athen. 599 d erhalten
hat, aber als unecht verwirft.
») Von Krinagoras AP. IX 239 bezeugt
ßvßXay -nBvttt^y citiert finden sich nur drei
Bücher (lihj^ nach Grusius bei Wissowa 1 2041
enthielten <He zwei übrigen Bücher klsysTa
xai iäfißovf.
152
Grieohuiohe Litteraturgesohiohte. I. Elassisohe Periode.
wandte er zumeist die gefällige, aber übereinfache Form glykoneischer
Systeme, wie in
Ü naX naqd-äviov ßXänwv^ i ^-^ ^^ j. ^ -
diXrjfxai (X€j av i' ov xXv€$g jl ^ ^<j t w _
ovx etdayg ort vfjg sfirjg -t — -^ v^ z w «
daneben mit besonderer Virtuosität die zum Ausdruck artigen Liebesspiels
vorzüglich geeigneten loniker.^) Unter Verschmähung der Tripodien scheint
er in allen Versen die dipodische Messung durchgeführt und dieser auch
die Grlykoneen in der Art angepasst zu haben, dass er den Vorschlag der
lesbischen Dichter, die sogenannte Hermannische Basis, in den Rhythmus
hineinzog. Zum subjektiven Ton seiner Lieder passte nur der Vortrag
durch einen Einzelnen. Wenn dagegen Kritias fr. 7 in einem Preislied
auf Anakreon von nächtlichen Mädchenchören spricht
ovTiOTh aov (fiXorrfi yriqdtfstai ovdk x^aveirm^
^av* av viwQ oTvtp avfxfiiyvvfievov xvXixeaaiv
natg SiaTtofXTrevrj, ngonoaeiq inida^ia veofieov,
navvv%iiaq x^' tegdg xhrXeig %OQoi afiifinsawciv,
so kann sich das nur auf den Vortrag einzelner weniger Lieder, wie ins-
besondere der Hymnen, beziehen. Wie Anakreon im Leben als höfischer
Dichter und heiterer Gesellschafter überall beliebt war, so hörte man auch
nach seinem Tode noch gern, besonders in dem lebensfrohen Attika >) beim
Gelage und bei nächtlicher Festfeier seine liebestrunkenen Lieder. Auch
in Alexandrien beschäftigten sich mit ihm hervorragende Grammatiker:
Chamaileon schrieb sein Leben, Aristarch und Aristophanes von Byzanz
besorgten kritische Ausgaben. Aber in der römischen Zeit traten allmäh-
lich seine echten Gedichte hinter den tändelnden Spielen seiner Nach-
ahmer zurück.')
114-. Die Anacreontea sind eine Sammlung von etlichen 60 Ge-
dichtchen in der Art des Anakreon (AvaxQb'ovvog tov Trjiov avfinoaiaxd
rjiiiaiißa), welche der Anthologie des Eonstantinos Eephalas angehängt
sind. Dieselben galten früher allgemein als echt und fanden noch im vorigen
Jahrhundert bei unseren Anakreontikern Ramler, Uz u. a. überschweng-
liche Bewunderung. Von diesem Taumel ist man jetzt allgemein ernüchtert,
nachdem man diese Lieder mit den echten Fragmenten des Anakreon acht-
samer verglichen und ihre grosse Verschiedenheit in Versbau, Dialekt und
Ton erkannt hat. Dass die Sammlung Nachahmungen enthalte, ist indes
früh bemerkt worden; trägt doch das 2. die Überschrift tov aviov Baaihov,
und spricht das 60. geradezu von Nachahmung des Anakreon. Aber
^) Auffftlligerweise hatte Anakreon nach
Ath. 635 c nur die Indische, phiygische und
dorische Tonart, nicht auch die ionische
in seinen Melodien angewandt. Die ge-
brochene Form des lonicus, welche sich
Anakreon neben der regelrechten erlaubte,
sahen Spätere als Nachlässigkeit an, welche
Anschauung sich in Horaz Ep. 14, 12 m>n
elaboratum ad pedetn ausspricht.
') In Athen stand sein Erzbild auf der
Burg (Paus. I 35); vom Kultus des Ana-
kreon in Athen meldet uns das schöne Epi-
gramm des geistreichen Oligarchen Ejitiaa
fr. 7.
') Horaz hat noch Anklänge an den echten
Anakreon; so Od. I 23 u. m 11, 9 an Fr. 51
und 75; vgl. Od. I 27 u. Fr. 68.
B. Lyrik. 6. Liederdichter oder Meliker. (§§ 114—115.) 153
Benüey, Mehlhorn, Stark, Welcker^) begnügten sich mit der Annahme
einer Vermischung ven Echtem mit Unechtem, während heutzutag allge-
mein die ganze Sammlung als spielende Nachahmung aus verschiedenen
Zeiten angesehen wird. Der erste Teil, welcher die 20 ersten Gedichte
nmfasst und mit einem Lied in Pherekrateen abschliesst, ') scheint schon
dem Gellius XIX 9 vorgelegen zu haben, der daraus das 3. unter dem
Namen des Anakreon anfuhrt. Der zweite Teil (21 — 34) ist eine Doppei-
grappe von sieben Gedichten in Hemiiamben und sieben in gebrochenen
ionischen Dimetem, darunter das artige, von Goethe nachgebildete Ge-
dichtchen auf die Zikade (22). Der Rest umfasst Gedichte jüngeren Da-
toms, zum Teil schon mit starken metrischen und prosodischen Fehlem,
wie 52, 8 und 58, 2. In diesen jüngeren Gedichten tritt auch entsprechend
den gebesserten Sitten der Zeit die Enabenliebe ganz zurück. — Dem
aus dem Altertum stammenden Corpus Anacreonteorum lässt Bergk
in der Ausgabe der PLG noch aus der Publikation von Matranga eine
Appendix von ähnlichen Nachbildungen aus dem beginnenden Mittelalter
folgen, die mit den christlichen Anakreonteen des Sophronios ver-
wandt sind.
115. Neben den grossen Meistern Alkaios, Sappho, Anakreon hat
Griechenland noch eine Reihe von Liederdichtern und namentlich Lieder-
dichterinnen 3) in äolischen und dorischen Landschaften hervorgebracht.
Von ihnen sind die namhaftesten: Myrtis aus Anthedon in Böotien,
Eorinna aus Tanagra, die beide zur Zeit Pindars lebten, die erstere
sogar in einen Wettstreit mit dem grossen Chormeister sich einliess.
Beide dichteten in dem einheimischen böotischen Dialekt und verherr-
lichten hauptsächlich auch einheimische Lokalsagen in ihren Liedern.
Praxilla aus Sikyon, die nach Eusebius um 455 blühte, erwarb sich be-
sonders durch ihre Trinklieder Ruhm; nach ihr ist auch ein Metrum
n(fa^illsMv genannt, von dem die Metriker als Muster anführen:
CO diä zcov &VQiSa)V xakov iixßXänoiaa,
Telesilla aus Argos dichtete Lieder in leichten ionischen Dimetem
a maiore oder wie die Neueren sagen, in logaödischen Tripodien mit
schwerem Auftakt; Hephästion gibt als Beispiel
"Ai' ^ÄQTefjug, cS xoQai,
(fsvyoiaa Tov ^AXipsov,
Gefeiert war dieselbe durch ihren Heldenmut, indem sie als Kleomenes
die Argiver besiegt und die waffenfähigen Männer getötet hatte (im
Jahre 510), die Frauen zur Verteidigung der Stadt aufgerufen haben soll.^)
AuffiLllig ist nur, dass Herodot, der VI 76 ff. jene Kämpfe erzählt, nichts
_ • v>\^ _
V.>V--' _
') Wklcksb, Die Anakreonteen, El. Sehr,
n 356 ff.
*) Hanssbh, Ueber die Gliederung der
Aiakreonteeii in Yhdl. der 36. Vers. d. Phil,
a Karifinike 1882; Anacreonteomm sylloge
Pdatina, Ups. 1884. In den Gedichten 21
to 31 weist Cbusivs, Philol. N. F. 1 238 ff. ' Polybi VIII 23.
Aükliiige an Wendungen der Sophisten der
Eaiserzeit nach. Nr. 5 trfigt in Anth. Pia-
nudea 388 die Aufschrift 'lovhavov dnd
vnuQX^^ Aiyvnxov,
>) Antipater Anth. IX 26 zählt 9 Dich-
terinnen, 80 viel wie Musen, auf.
*) Paus. II 20, 8; Plut. de virt. mul. 8;
154
Grieohiaohe LitteratargMcliiohte. L EUtBsisohe Periode.
von der Telesilla meldet, wozu noch kommt, dass auch Eusebios dieselbe
weit später, OL 82, 2, ansetzt. Noch weniger kann die Erinna, die an-
gebliche Freundin der Sappho,^) von der es ein berühmtes Gedicht in
Hexametern, die Spindel {fjXaxdvrj) gab, unserer Periode zugewiesen
werden ; vielmehr lebte dieselbe im Anfang der alexandrinischen Zeit und
ist nur dadurch, dass sie mit Glück die Sappho nachahmte, zum Ruhme
einer Freundin der lesbischen Dichterin gekommen.^)
116. Volkslieder^) im weiteren Sinn waren fast alle Dichtungen
der klassischen Lyrik der Griechen, insofern sie alle für die weiten Schichten
des Volkes bestimmt waren und vom Volke, von einzelnen oder im Chor,
gesungen wurden. Speziell aber verstehen wir unter Volksliedern solche,
deren Verfasser unbekannt war und die man deshalb vom Volke, das sie
sang, auch hervorgebracht wähnte. Gegenüber der enormen Zahl, die
unser deutsches Volk an solchen Dichtungen besitzt, sind uns aus dem
alten Griechenland nur wenige Volkslieder erhalten. Die einfachste Form
des rhythmischen Volks witzes ist das Sprichwort (naQoifua), das bei den
Griechen meistens die Form des davon benannten Versus paroemiacus hatte,
wie (fiXei S^ voTog fuerd ndxvr^v oder iiXXoi xdfjLov ixXXoi oi'avro.*) In ihre
Klasse gehören auch die später den sieben Weisen zugeteilten Eernsprüche,
wie yvm^i ceavrov, iiäxQov aqiaxov^ und die in landläufige Verse gekleideten
volkstümlichen Rätsel {yqT<foi). Kunstvoller sind die aus mehreren, meist
lyrischen Versen bestehenden Volkslieder, wie das Mahllied (y<fj; im/^iviiog)
der Lesbier, das Spinnerlied, das Kelterlied, das Lied auf den GK)tt Dio-
nysos, das die Frauen in Elis sangen, das Schwalbenlied der Rhodier^) u. a.
Das Schönste aber, was die Griechen in dieser Gattung leisteten, ist in
den attischen Trinkliedern enthalten, in denen kerniger Freiheitssinn
mit frohem Lebensmut gepaart ist. Einen hübschen Kranz von solchen
Skolien, eine Art von Kommersbuch aus dem 5. Jahrhundert, verdanken
wir der Aufzeichnung durch Athenaios p. 694.«)
6. Chorische Lyriker.
117. Über den Chorgesang im Gegensatz zur Melik und über die
einzelnen Formen desselben habe ich bereits oben § 110 gehandelt. Seine
Blüte erreichte derselbe unter dem Dreigestirn Simonides, Pindar und
Bakchylides, also zur Zeit, als bereits die Glanzperiode des Melos vorüber
war ; aber die Anfänge der chorischen Poesie reichen über Alkaios hinauf
und knüpfen unmittelbar an die musischen und orchestischen Neuerungen
') So Snidas, der sie iraigay Zantpovg
xtn ofAoxQoyoy nennt, womit aber Eusebios
nicht stimmt, der sie auf 352/1 v. Chr. setzt.
') Reitzenstein, Epigr. 142.
') Bebok, PLG unter Carmina popu-
laria; Ritschl, Opusc. I 249 ff.; Benoist,
Des ch^nts populaires dans la Gr^ce anti-
que, Nancy 1857.
^) Zusammenstellungen von Meinbke zu
Theokrit 524 ff.; Haupt, Opusc. III 520;
Usenkr, Altgriech. Versbau 43 ff. In letzt-
genannter Schrift ist zugleich der Nachweis
geliefert, dass viele hexametrische Senteuen
der Eunstdichter aus solchen volkstttmliehen
Sprichwörtern erweitert sind.
^) Usenbr a. 0. 80 ff. üeber den Brauch
der mit einer Schwalbe oder Erfthe in der
Hand herumziehenden Bettelknaben s. Aih.
359. Anklänge im Neugriechischen bei Pas-
sow, Neugr. Volkslieder No. 805-8.
^) REiTZBHSTBUTy Epigramm a. Skolion
p. 13 -24.
B. Lyzik. 6. Chorisohe Lyriker.
116—118.)
155
des Terpander und Thaletas an.^) Seine Entwicklung hängt mit dem
Glänze der musischen Wettspiele {aytaveg) zusammen, welche seit dem
7. Jahrhundert die Dorier und später die Athener im Anschluss an die
ödtterfeste, namentlich des Apoll und des Dionysos entfalteten.^) Voran
ging Delphi, der altehrwürdige Eultsitz des Apoll, und Sparta, wo, wie
Terpander sang, der Lanzenwurf der Jünglinge und der helle Sang der
Musen blühte. Ihnen folgten bald andere Städte im griechischen Festland
und in den Kolonien mit ähnlichen Festen der Götter und Heroen nach. Zu
den Götterfesten gesellte sich im weiteren Verlauf die Feier der Siege in den
Nationalspielen, indem die Städte die Erfolge ihrer Bürger sich zur all-
gemeinen Ehre anrechneten und dieselben mit festlichen Aufzügen lohnten.
Bei keinem derartigen Feste fehlte der Gesang; der Inhalt desselben hatte
selbstverständlich einen objektiven Charakter und bezog sich in erster
Linie auf den Anlass des Festes, den Mythus des Gottes oder Halbgottes
und die Ruhmesthat des Siegers. Doch mischte frühzeitig der Dichter auch
seine subjektiven Gefühle in die erzählende Darstellung, und zwar so, dass
er den singenden Chor zum Träger seiner eigenen Empfindungen machte.
Es waren vorzüglich die Partheoien, die in dieser Beziehung die Brücke
zwischen Gefühl und Erzählung, Melik und Chorgesang schlugen. Die Form
des Chorgesangs war von vornherein ernster und feierlicher, so dass statt
der spielenden Logaöden die gravitätischen Daktylo-Epitriten vorherrschten.
Die beseitenden Tanzbewegungen riefen die Gliederung in Strophe, Anti-
sta*opbe und Epode hervor; ebendaher stammte der grössere Umfang der
Strophen und die kunstvollere Gestaltung der Perioden, deren Verständnis
indes ohne Hilfe des Gesangs schon den Alten verschlossen war.^) Die
Grundlage der Sprache bildete das Dorische oder der Dialekt der Heimat
der ältesten Chorlyriker, der auch beibehalten wurde, nachdem die chorische
Poesie zu anderen, nichtdorischen Stämmen getragen war. Doch blieb die
Sprache der Ghorlyrik nicht so gleichmässig wie die epische, indem dieselbe
dadurch, dass sie einzelne Formen und Wörter teils aus dem alten epischen
Dialekt und der äolischen Melik, teils aus der speziellen Heimat der einzelnen
Dichter aufoahm, zu einem Kunstdialekt mit dorischem Grundton wurde.*)
118. Alkman blühte in der 2. Hälfte der 7. Jahrhunderts, nach Archi-
lochos und Thaletas und vor Alkaios.*^) Seine Heimat war, wie er selber
') Sn zeitUches Anzeichen liegt darin,
da» zu Delphi der Einzelgesang zur Kithara
im J. .554 V. Chr., zur Flöte schon 582 auf-
Se^ben wurde.
') RnsGH, De mnsicis Graecorum certa-
■inflms, Wien 1886. Vgl. oben § 92. Durch
A'e neuen Feste des Apoll und Dionysos
surfen die alten Feste, wie in Athen die
^MrVur, K^tfia, UocsiihSyia, stark in den
SButergnmd geschoben.
*) Qc. Or. 183: a modis quibusdam
«w^K remoto soluta esse videatur oratio
^»oximeque id in optitno quoque eorum poe-
•■nwi gut kvgixoi a Graecis nominantur.
*) Absbss, Ueber die Mischung der Dia-
*^ in der griechischen Lyrik, Vhdl. d.
Philol. in Gottingen 1852. Auf die lokalen
Dialekte will die Sprache der einzelnen Ly-
riker zurückflihren Fühbeb, Die Sprache und
Entwicklung der griechischen Lyrik, Progr.
von Münster, und Philol. 44, 49 ff.
^) Suidas setzt ihn Ol. 27, Eusebios Ol.
30, 4 und 42, 2; entscheidend ist, dass er nach
Suidas unter dem lydischen König Ardys
lebte, was wohl aus einer Stelle seiner Ge-
dichte hervorgegangen sein wird. Vergl.
Bdsolt, Griech. Gesch. P 601. Im Kanon
stand er vor Alkaios. In Alexandrien schrieb
Sosibios neQi 'Ahtfjtdvog in mindestens 3. B.
Danach Alezander Polyhistor nsQi tcSy naQ*
^AXxfiäyi xonixcSg ei^fiirtDv.
156
GrieohUohe litteratnrgeBohiohte. I. Elassuiohe Periode.
Fr. 25 bekennt, das lydische Sardes.^) Von dort brachte er die Kenntnis
der lydischen Musik und der äolischen Gesangsweisen mit. Seine Thätig-
keit entfaltete er in Sparta, wo bereits Terpander und Thaletas den Grund
zur Pflege musischer Künste gelegt hatten. >) Er scheint dorthin als
Kriegsgefangener aus den Raubzügen der Kimmerier gekommen zu sein,
muss aber dann in irgendwelcher Weise das lakonische Bürger- oder
Heimatsrecht erlangt haben,«) da er bei'Suidas Adxcov and Msacoaq ge-
nannt wird *) und in seinen Gedichten ganz wie ein vollberechtigter Bürger
Lakedämons auftritt. Auch den Namen Alkman oder Alkmaion soll er
nach Alexander Aetolus (Anth. YII 709) erst in Lakedämon erhalten
haben. Den Tod fand er hochbejahrt, da er Fr. 26 über das Alter klagt,
das ihm die Kniee lähme, und sich das Los des Eisvogels wünscht, den
im Alter die Weibchen über das Meer hintragen. Die Pietät Spartas
setzte dem Dichter der Jungfernlieder an der Laufbahn {dQo^oq) der
Mädchenriegen ein Denkmal, das noch Pausanias sah.^) Seine Gedichte
in 6 B. waren in altlakonischer, mit epischen und äolischen Elementen
versetzter Mundart geschrieben.^) Den Hauptruhm verdankte er seinen
Parthenien, welche mindestens 2 B. füllten ^) und von welchen Mariette
1855 ein grosses Bruchstück mit alten Randbemerkungen aus ägyptischer
Grabesnacht an das Tageslicht gezogen hat. Es standen dieselben in der
Mitte zwischen dem geistlichen und weltlichen Lied, indem dem Lobpreis
der Gottheit die Verherrlichung des Liebreizes der Chorführerinnen bei-
gemischt war. Damit stimmt es, dass den Ghorgesängen des Alkman eine
sehr subjektive Färbung nachgesagt wird, und dass Athenaios p. 600 f unseren
Dichter geradezu zum Begründer der erotischen Lyrik macht. Bestimmt
waren die Parthenien zum Vortrag durch Chöre oder Riegen (dyelai) von
Jungfrauen, wie sie in Sparta für die turnerischen Übungen der Mädchen
in der Laufbahn {igofioq) gebildet, dann aber auch zu Gesängen und
gottesdienstlichen Handlungen verwendet wurden.*) Aber wie die Halb-
chöre einander ablösten,*) welches die Aufgabe der Chorführerinnen war.
^) Alexander Aetolus, Anth. YII 709
bezeichnet Sardes nur als Heimat der Yäter
des Dichters.
^) lieber das liederreiche Sparta der
älteren Zeit Plut. Lyc. 21 und Ath. 632 f.
Namen älterer Dichter Spartas waren Gitiades
(Paus. III 17. 2), Spenden (Plut. Lyc. 28),
Dionysodotos lAth. 678 c). Plutarch a. 0.
hat uns tlher das alte Sparta den berühmten
Lobpreis des Pindar erhalten: Bvd^a ßovXal
ycQOvxtoy xal vi(av dy&Qtsiv «giarsvotaiv
aixfdui xal x^Q^'^ *<*^ Motaa xtcl 'AyXata.
Cf. Pind. fr. 112 u. Pratin. fr. 2.
•) Heracl. Pont. fr. 2: 'JXxfuay oUett^g
rjy *Ayijüidaf evtpvfjs 6^ wv i]X€V\^6gij&tj xal
7i oiTjxtjg an^ßt].
^) Indem Suidas dieses Meaaoa mit Mes-
sene verwechselte, nahm er einen zweiten
Alkman an.
s) Paus, in 15, 2. Poetische Grab-
schriften, natürlich jüngere in Anth. VII 18
u. 19.
«) Spibss in Gurt. Stud. X 331 ff.;
Schubert Sitzb. d. Wien. Ak. 1878 S. 517 ff;
Meister, Griech. Dial. I 20; Jübenka, Zqt
Aufhellung der Alkman'schen Poesie, Wien
1896 Progr. Leider ist der Boden rar £r>
kenntnis der sprachlichen Form sehr un-
sicher, wie bei allen Dichtem, die wir nur
ans Gitaten kennen.
^) Steph. Byz. u. 'E^tHjt/17.
*) Unterrichtet werden wir über die
Vereinigung von 240 Altersgenoasinnen (oua^
Aexe?) unter 12 Vorsteherinnen haapts&chlich
durch Theokrit XVIII, wozu Eaibel Herrn.
27, 255. Wie dann diese Mädchenriegen mit
Reigengesängen auftraten und die jungirftii«
liehe Jagdgöttin Artemis feierten, davon gibt
uns Aristophanes am Schluss der Lyaistrate
ein anschauliches Bild.
») Auf Halbchöre zu 10 und 11 (d. i.
10 Ohoreutinnen und 1 ChorfÜhrerin) ist am
Schlüsse des erhaltenen Parthenion selbst
hingewiesen.
B. Lyrik. 6. Chorüiohe Lyriker. ($ 119.)
157
\y^^ ^ \-Aw>
and in welcher Form der Dichter seine eigenen Empfindungen in dem
Gesang der Mädchen zur Geltung brachte, darüber besteht noch grosse
TJnklarkeit. Ausser Parthenien dichtete Alkman auch Hymnen, Päane,
Skolien. In den Rhythmen schloss er sich teilweise noch der daktylischen
Art der terpandrischen Nomen an, dichtete daneben aber auch Kretiker,
lamben und leichtflissige Logaöden nach der Art des lesbischen Dichter-
paares. Über seine Kunst in der Strophenbildung lässt sich schwer
arteilen, da die Fragmente zu dürftig sind und keine seiner Strophen
Nachahmer gefunden hat oder populär geworden ist. In dem erhaltenen
Parthenion hat der Scharfsinn von Blass und Ahrens Strophen von 14 kurzen
Versen nachgewiesen, die sich in zwei gleiche, epodisch gebaute Vorder-
sätze (V. 1—4 = 5 — 8) und in einen grösseren, gleichfalls aus trochäischen
und logaödischen Elementen gebildeten Zugesang gliedern. In anderen
Gedichten wandte er einfachere Strophenformen an, wie in dem Hymnus
auf Zeus (fr. 1) dreigliedrige Strophen, bestehend aus zwei daktylischen
Gliedern, einer akatalektischen Tetrapodie und einer katalektischen Tri-
podie, und einem iambischen Epodos:
M£c' aysy Mwca Xlyeia noJivfiinei^g
ätvaoiie fiäkog
räoxfiov aQX€ naqökvoig aeidev, '
Sitzleb, Die Lyriker EnmeluB Terpander u. Alkman, E[arl8nilie 1886. — Dibls, Das
igTptiache Parthenion nach neuer Vergleichung, Herrn. 31, 359 fF. — Jurenka, Der ägyptische
Papyrus des Alkman, Sitzb. d. Wiener Ak. 1896, Wiener Studien XIX 2, Philol. 56, 399 ff.
119. Arion^) aus dem lesbischen Methymna lebte und wirkte an
dem Hofe des Periander, des kunstsinnigen Tyrannen von Korinth (625
bis 585).*) Allbekannt ist die schöne Legende von der Seefahrt des
Meisters der Töne von Tarent nach Korinth, und von seiner Rettung
dnrch den Delphin, der ihn unversehrt an das Land nach Tainaron trug.
Aelian, der in der Tiergeschichte XII 45 ausführlich die Fabel erzählt,
teilt uns zugleich den angeblich von Arion selbst auf das Votivdenkmal
in Tainaron gesetzten Hymnus auf Poseidon mit. Dass derselbe nicht von
Arion herrührt, hat Böckh erkannt; Metrum und Sprache weisen uns nach
Attika und auf die Zeit des Euripides hin.^) Die Bedeutung des Arion
besteht wesentlich in dem Anstoss, den er mit seinen Dithyramben für
die Entwicklung der Tragödie gab, worauf wir weiter unten zurückkommen
werden. Suidas führt von ihm nqooiixia elg ^nr^ ,ß' an, aber diese Gedichte
müssen frühe verschollen sein, wenn sie überhaupt je existierten.*)
j. v>^ _
V,.A-» — V-^^ —
W -i W _ W Jl ii
>) Herod. I 23 f ; ein Artikel bei Suidas;
der dort angegebene Name seines Vaters
Kvxlfrg (von xvxXtog X^9^^) '8^ offenbar
fingieit^ findet sich aber schon auf der alten
fca. OL 40) Inschrift von Thera bei Eaibel
Ep. gr- 1086 KvxXeidrjg K]vxXijog iide'Afpeno
*A^»pi, I xor dtXfpif [atace, fivrjfjioavvoy rä-
*) Find. Ol. XIII 18 von Korinth: rat
Jivrvcov nöi^^r iietpayer avr ßOfiXaKf» x^'
3) Bbbqk PLG unter Arion; Lehrs
Popul. Aufs.« 385 ff. Von Einfluss war der
Münzfcypus des auf einem Delphin reitenden
Taras, des Sohnes des Poseidon. Mit dem-
selben stimmt hübsch die Zeichnung Albr.
Dfirers ttberein, welche den von einem Del-
phin getragenen Arion darstellt; siehe Jahn,
Popul. Aufs. S. 351.
*) Crüstus bei Wissowa II 840 ver-
mutet eine Fälschung des Schwindlers Lobon.
158
Chrieohisohe LitteratnrgeBohichte. I. Klassisohe Periode.
120. Stesichoros*) (um 640—555)*) stammmte aus dem lokrischen
Matauros, wo damals die Pflege der Musik in hoher Blüte stand, galt aber
als Himeräer,*) da er in Himera den grösseren Teil seines Lebens zu-
brachte. Die Himeräer warnte er auch vor den ehrgeizigen Plänen des
Phalaris, indem er ihnen die Fabel von dem Pferde erzählte, welches, um
sich an dem Hirsch zu rächen, von dem Menschen den Zaum annahmt)
Aber vergeblich waren seine Warnungen; er selbst musste fliehen und
starb in Katane, wo man vor dem Thore sein Grabdenkmal zeigte.*) — In
der Entwicklung der griechischen Poesie nimmt Stesichoros eine hervor-
ragende Stellung ein; er war nicht bloss ein ungewöhnlich fruchtbarer
Dichter (seine Werke umfassten nach Suidas 26 Bücher), er hat auch
das besondere Verdienst, neue Formen erfunden und die Pflege der Poesie
von dem Osten über die Brücke der ozolischen und epizephyrischen
Lokrer nach Italien und Sikilien getragen zu haben. Vorgearbeitet war
ihm in diesen westlichen Landen durch den alten sikilischen Meliker
Xanthos, den er selbst in der Orestie nachgeahmt haben soll, •) femer
durch Xenokritos aus Lokri, der unter den Mitbegründern der zweiten
Musikperiode in Sparta genannt wird,') und Arion, von dessen Sänger-
fahrten nach Sikilien die Sage erzählt. In den musikalischen und rhyth-
mischen Formen hat er sich weniger an die lesbischen Meliker an-
geschlossen, als an den Auleten Olympos, «) von dem er den Prosodiakus
(daktylische Tripodie mit Auftakt), ein Hauptelement der Daktylo-Epitriten,
entnahm. Dem Inhalt nach bezeichnet den Charakter seiner hauptsäch-
lichsten Dichtungen hübsch Quintilian X 1, 62 mit den Worten: epici car-
minis onera lyra sustinuit,^) Der Mythus mit seinem reichen und stets
von neuem bereicherten Inhalt bildete wie bei Homer und Hesiod das
Hauptelement seiner Muse. Da aber zu seiner Zeit das Ansehen der
^) Artikel bei Saidas; Wblckkb, Stesi-
choros in Kl. Sehr. I 148 ff.; Rizzo, Qaestioni
Stesichoree, I Vita e scuola poetica, Messina
1895. Die zwei Erwähnungen eines Stesi-
choros in der parischen Marmorchronik zu
485 u. 370 V. Chr. haben schwerlich mit
unserem Stesichoros etwas zu thun; vgl.
RoHDB Rh. M. 33, 198 ff.
^) Die Zahlen sind danach berechnet,
dass er nach Luc. Macrob. 85 Jahre alt
wurde und nach Suidas und Eusebios Ol. 56, 2
starb.
') Suidas: ix noXetog IfAegag rryc ^txeXiag,
xaXeTjfti yovy 'IfASQaiogy ol 6i ano Maravgiag
tfjg iv 'IraXlify ol cf^ ano IlaXttvxlov i^g 'Aq^
xadiag. Vgl. Steph. Byz. u. MaravQog. Lokroi
wird als Geburtsstadt des Stesichoros auch
vom Rhetor Himerios bezeichnet or. XXEX
*j4XxaTog Aiaßop xai AoxQorg iXöyovg cod.,
em. Wilamowitz) xonfisl IrtjalxoQog. Von
einem den Lokrem gegebenen Rat berichtet
Aristot. rhet. II 21. Nach der von Alki-
damas verbreiteten Sage war er Sohn des
Hesiod und der Elymene, worüber oben
§ 65 und NiETZscHB Rhein. Mus. 28, 223 ff.
Suidas zählt f&nf verschiedene Namen seines
Vaters auf; Eukleides heisst derselbe auf
einer Herme IGSI 1213.
*) Arist. Rhet. II 20. In Himera sah
acero in Verr. H 85, 87 (vgl. PoUux IX 100)
seine Statue; sein Bild als Greis mit einer
Rolle auf einer Mttnze von Himera bei
Visconti Icon. gr. III 7 und Baumbisteb,
Denkm. S. 1710.
6) Suidas in der Vita; Anth. VU 75;
das Grabdenkmal hatte acht Ecken und acht
Säulen, war also ähnlich dem sogenannten
Grabmal der Horatier in der Campagna. Ent-
gegen der Wirklichkeit gingen die Fälscher
des uns erhaltenen Briefwechsels zwischen
Stesichoros und Phalaris von einem freund-
schaftlichen Verhältnis der beiden Männer aus.
^) Ath. 513 a. Dagegen verweist den
Xanthos zu den Fiktionen Robebt, Bild u.
Lied 173 ff.
7) Oben § 91 ; Plut. de mus. 10.
») Plut. de mus. 29.
^) Aehnlich von ihm Antipater Anth. VU
75: ov xard Tlv&ttyoqov (pvct-xdy g>ätuf d
nQiv 'Ofiijgov V^i'/ff iyi ifrdgvoig &tut€goy
(^xiaaio' ebenso Anth. IX 184.
B. Lyrik. 6. Chorivohe Lyriker, (g 120.)
159
epischen Dichtung und die Einfachheit der daktylischen Hymnen im Er-
löschen waren und insbesondere bei den Doriem an den Festen der Götter
und Heroen ^) Reigentänze und Chorgesänge sich grösserer Beliebt-
heit erfreuten, so erzählte er die Mythen in lyrischen Yersmassen und
liess sie von Chören an den religiösen Volksfesten vortragen.^) Er hatte
dabei den grossen Vorteil, in SikiUen mit seinen Mythen Neues zu erzählen,
da hier die Werke des Homer und Hesiod noch keine allgemeine Ver-
breitung gefunden hatten. Aber auch viel Neues und Altes in neuer Be-
leuchtung enthielten sein Gedichte, so dass dieselben auch in Attika viel-
verbreitet und namentUch von den Tragikern vielbenutzt wurden.') Den
Inhalt seiner episch-lyrischen Gedichte, von denen uns nur spärliche Reste
erhalten sind, bezeichnen die Titel aO-Xa ijü üeXtf,^) rrjQvovrjtg^ KsgßcQog^
Kvxvogy Sxvliay EvQconeta^ ^EQtifvXa^ 2vo&rJQat^ *lidov nägaig, Noaroi^ 'Ogä-
ffTcia. In den Fragmenten der Geryoneis, in der der Sonnenmythus eine
grosse Rolle spielte, finden sich merkwürdige Anklänge an ägyptische An-
schauungen. Denn wie in Fr. 8 Helios den goldenen Becher besteigt, um
damit durch den Okean zur dunklen Nacht des Westens zu gelangen, so
fährt der ägyptische Sonnengott Ra in einer Barke über den Himmel.
Bekannt durch Piaton Phaedr. 243a ist seine Palinodie auf Helena; man
erzählte, vermutlich nach einer poetischen Andeutung in seinen Gedichten,
er sei, weil er in einem Gedicht, der Oresteia oder Iliupersis, die Helena
geschmäht habe, blind geworden, und habe dann sein Augenlicht wieder
erhalten, nachdem er in einer Palinodie die Schmähung widerrufen
habe. Epochemachend fQr die italische Sagenentwicklung war seine Iliu-
persis, weil darin die Mythe von Aeneas Wanderung nach Italien vor-
kam, ^) erfolgreich für die Entwicklung der tragischen Poesie seine Er-
zählung von den Geschicken des Muttermörders Orestes. Neben den
heroischen Mythen des griechischen Mutterlandes berücksichtigte er aber
auch die sentimentalen Volksmärchen der Heimat.^) So führte er zuerst
die später vielgefeierte Gestalt des Hirten Daphnis in die Poesie ein, den
eine Nymphe liebte, dann aber, als er die Treue in den Armen einer
^) Die Heroenknlte waren besonders in
den Kolonien verbreitet nnd beruhten auf
den Sagen von deren Gründung; gefeiert
wurden die Atriden in Tarent, Philoktet in
S^baris, Diomedes in Thurii, Odysseus in
Kyme. Der Demeter galten die Anthes-
phoria, Theogamia, Anakalypteria, Eoreia,
Theamophoria, dem Apoll die Eameia, den
Dioakuren die Tbeoxenia.
*) Ob StesichoroB all seine Gedichte, auch
die rein erzfthlenden, durch Chöre vortragen
liees, bleibt mir freilich sehr zweifelhaft.
Auch das lange Gedicht des Pindar P. lY
von der Argonautensage kann ich mir trotz
seiner Abfassung in Strophen, Antistrophen
und Epoden nicht leicht- durch einen viel-
stimmigen Chor oder wechselnde Halbchöre
vorgetragen denken. Der Wechsel des Me-
trums gegenüber der eintönigen Wiederholung
desselben Verses belebte den Vortrag, auch
wenn er von Einzelnen erfolgte.
') Sebliorr, Die Ueberlieferung der grie-
chischen Heldensage bei Stesichoros, Meissen
1886; RoBBRT, Bild u. Lied 149 ff.
*) Dieselben sind nach der Dichtung des
Stesichoros dargestellt auf einer Vase von
Cftre, publiziert in Monnm. Inst. X 4; die-
selben fanden sich nach Paus. V 17 auch auf
dem Eypseloskasten.
*) Auf der Tabula Iliaca, welcher des
Stesichoros, nicht des Arktinos Iliupersis zu
gründe gelegt war, steht geschrieben Aivelag
dnai^mv ek 'Eaneglap; merkwürdigerweise
aber weiss Dionysios, Ant. 1 45 davon nichts.
Vgl. Chadzi Konstas, Die Iliupersis nach
Stesichoros, Leipzig 1876.
•) Ath. 601a: Hirjcixo^og <f ot» fieTgtüt^
igmtixos yepojueyog avydajijae xai xovjop xop
XQonoy Xiüv (^OfjLaxtay.
160
GrieohiBche LitteraturgeBohiohte. I. ElassiBohe Periode.
Königstochter brach, elend zu Grunde gehen liess. In einem andern Idyll
besang er das traurige Ende des von dem schönen Euathlos verschmähten
und so in den Tod getriebenen Mädchens Kalyke, in einem dritten das
blutige Geschick der treuen Rhadina, die dem Tyrannen von Korinth an-
getraut, von der alten Neigung zu ihrem geliebten Vetter nicht lassen
wollte. — - In der Form wurde Stesichoros der eigentliche Begründer der
chorischen Lyrik; er stellte zuerst in Sikilien Chöre auf, wovon er nach
Suidas den Namen Itrfli'xoqog statt des ursprünglichen TcKftag erhielt.
Dass er auch die Dreiteilung in Strophe, Antistrophe und Epode erfunden
habe, hat man früher auf Grund des sprichwörtlichen Ausdrucks ovd^
TQia Toov 2Tr^aix6gov yirciaxeig angenommen; dass aber diese Deutung falsch
sei und dass die Worte einfach nur bedeuten „du kennst nicht einmal drei
Verse des Stesichoros", hat 0. Crusius nachgewiesen. i) Die beliebteste
Form seiner Gesänge war die daktylo-epitritische, die an alte volkstüm-
liche Kola anknüpfte und trefflich zur gemessenen Gravität der dorischen
Tonart stimmte.^) In der Sprache mischte er dem dorischen Grundton
viele ionische Elemente bei, welche in der Hauptsache auf das alte Epos,
teilweise aber auch auf die ionischen Gründer von Himera und Rhegion
zurückzuführen sind.^)
121. Ibykos^) aus Rhegion, älterer Zeitgenosse des Anakreon, zog
trotz der angesehenen Stellung, die ihm in seiner Heimat winkte, es
vor, das unstete Leben eines Wandersängers zu führen. Er durchzog die
Städte ünteritaliens und Sikiliens,^) lebte eine Zeitlang an dem Hofe der
Tyrannen von Samos«) und kam schliesslich auf einer Reise nahe bei
Korinth ums Leben. Sein Tod ward später, ähnlich wie der des Arion
und Hesiod, durch die schöne, von unserem Schiller verherrlichte Sage von
den Kranichen (ißvxeg), welche den versammelten Festgenossen die Mörder
verrieten, poetisch verklärt. 7) Seine Gedichte umfassten 7 B. und zeigten
zwar in Dialekt und Versbau den Einfluss der dorischen Chorlyrik, näherten
sich aber in Ton und Inhalt mehr der äolisch-ionischen Melik. Denn die
Liebe zu schönen Knaben und Mädchen bildete das Hauptthema seiner
Gedichte. Es sind die naidsToi fjtfhyaQveg v/nvoi, auf die Pindar Isth. H 3
^) 0. Gbüsiüs, SiesichoroB und die epo-
dische Komposition in der griechischen Lyrik,
in Comment. Ribbeckianae p. 3—22, wo mit
Recht die epodische Komposition auf Alkman
zurflckgefQhrt wird. In Sparta führte znr
Dreigliederung die tgixoQta oder der Gehrauch
von 3 verschiedenen Chören, worüber Flut.
Lyc. 21 und PoUux IV 107.
') Uebrigens gebrauchte Stesichoros auch
die phrygische Tonart (fr. 34) und den
{iQfÄttteiog yofAog des Ol3rmpo8 (Flut, de mus. 7).
') Den einheimischen lonismus betont
RoB. Hülsten, De Stesichori et Ibyci dialecto
et copia verborum, Greif swald 1884; dazu
die Emwände von Hiller, Jahrber. d. Alt.
XIV 1, 68 ff.
*) Ein Artikel des Suidas; Sobnbidbwin,
Ibyci relL, Gott. 1833 mit umständlichen
Froleg.; Welckbb, Kl. Sehr. I 220 ff.
^) Davon das Sprichwort bei Diogen. 11
71: ttQx^ioTSQOc 'Ißvxov ' ovTog yag xvgayyety
dvyafÄevog uTiedfjfLirjcey.
*) Himer. XXH 5; in Samos war er wahr-
scheinlich vor Anakreon, da ihn Suidas
Ol. 54 setzt und zur Zeit, als der Vater des
Folykrates herrschte, nach Samos kommen
Iftsst.
^) Die Sage zuerst bei dem Epigram-
matiker Antipater, Anth. Pal. VII 745, dann
bei Flutarch de garr. 14 und Suidas; vgl.
Wklckbr, Kl. Sehr. I 100 ff. Dieselbe spricht
eine ewige, der Kindesphantasie aller Völker
eingeprägte Wahrheit aus, ist aber speziell
durch eine etymok)gische Spielerei hervor-
gerufen. Das Grab des Dichters in der
Heimat setzt das Epigramm der Anth. VII
714 voraus.
B. Lyrik. 6. Chorisohe Lyriker.
121-122.)
161
anspielt,^) und welche vielleicht, nach Welkers geistreicher Vermutung,
bei den griechischen Schönheitswettkämpfen, wie sie in Lesbos üblich waren,
von Enabenchören gesungen wurden. Es stellen sich dann die Enaben-
üeder des Ibykos den Parthenien des Alkman zur Seite, in denen ja auch
durch die Reigentänze der schönen Mädchen wonnige Gedanken der Liebe
in der Seele des Dichters geweckt wurden.
122. Simonides (556—468),*) Sohn des Leoprepes, war auf der
ionischen Insel Keos, die auch des Sophisten Prodikos Heimat war, ge-
boren. Schon auf der Heimatinsel, in dem Städtchen Karthaia war er als
junger Mann mit der Dichtung und Einübung von Chorgesängen zu Ehren
Apollos beschäftigt.^) Aber sein hochfliegender Geist strebte früh über die
engen Schranken seiner kleinen Heimat hinaus. Es war ohnehin seit dem
Anfang des 6. Jahrhunderts Sitte geworden, dass die Dichter und Schön-
geister ein Wanderleben führten: mit den grossen Zielen der Perserkriege
waren vollends die kleinlichen Stammeseigentümlichkeiten einer grösseren
Auffassung der Dinge gewichen. Simonides aber war in Leben und Dich-
tung so recht ein Repräsentant jenes aufgeklärten, universellen Zeitgeistes.
Von Eeos kam er zunächst nach Athen an den Hof des kunstverständigen
Hipparch.*) Nach dessen Ermordung (514) ging er nach Krannon und
Larissa in Thessalien, wohin ihn die Machthaber jener Städte riefen. Auf
Skopas dichtete er ein berühmtes, von Piaton im Protagoras zergliedertes
Loblied; dem Andenken des Antiochos von Larissa weihte er einen ge-
priesenen Trauergesang ]^) allbekannt ist seine später poetisch ausgeschmückte
wundervolle Rettung bei dem Einsturz des Saales, durch den Skopas und
alle übrigen Tischgenossen verschüttet wurden.^) Nach der Schlacht von
Marathon treffen wir ihn wieder in Athen, wo er in einer Elegie auf die
gefallenen Yaterlandsverteidiger den Sieg über Aischylos davontrug. In
Athen gewann er auch im März 476 mit einem Dithyrambus den Preis,
wie er uns selbst in einer poetischen Didaskalie meldet.'') Bald danach
ging er nach Sikilien^ wo er die Aussöhnung des Gelon und Hieron ver-
mittelte (476/5)«) und sich an den Höfen der glanzliebenden Fürsten der
gesegneten Insel besonderer Gunst erfreute.^) In Sikilien fand er auch
seinen Tod (468); vor den Thoren von Syrakus befand sich sein Grab-
denkmal, das später ein roher Soldatenhauptmann zerstörte.*®) Ob er die
^) Schol. Arist. Thesm. 161 stellt geradeso
wie der Pindarscholiast Alkaios, Ibykos und
Anakreon als Dichter von rtaidix« neben-
einander.
') Ein Artikel des Suidas; Chamaileon
hatte ein Bach über Simonides geschrieben.
ScHUBiDEWiN, Simonidis Oei rell., Brunsv.
1835. Das Geburtsjahr ist vom Dichter selbst
angedeutet fr. 147 ; das Todesjahr steht
Mann Par. 57. Die Lebensdauer gibt Suidas
auf 89 Jahre an.
*) Ath. 456 f. Auch Pindar dichtete nach
Is. I 8 eine Ode fttr Eeos.
*) Die Freundschaft des Hipparch be-
zeugt Piaton Hipp. 228 c.
^) Auf die Verherrlichung des Antiochos
und der Skopaden durch unseren Eeier weist
Theokrit 16, 34 hin.
8) Cic. de or. II 86; Phaedrus IV 25;
Valer. Maximus I 8, 7; Aelian fr. 63 u. 78;
Quint XI 2, 11 ; vgl. Lehbs, Popul. Aufs.«
S. 393 f.
'0 Der Schluss des Epigramms Fr. 147
lautet: dfdqtl didaaxaXiii de ZifAtoyidg iansro
xvdoc 'Oydtüxoyjaejsi natdi Aetüngerteos,
8) Schol. Pind. 0. 2, 29.
^) Xenophon lässt ihn in dem Dialog
'leQtoif mit dem Tyrannen ein Gespräch über
das Los des Herrschers fCLhren.
") Callim. fr. 71; Aeüan fr. 63.
Ba&dlmch der klMs, AltertmuswIflseDochaft, VIL 8. Aafl.
11
162
Orieohisohe Litteratnrgesoldohie. L Slassisohe Periode.
ganze Zeit über (476—468) in Sikilien verweilte, ist nicht ausgemacht;^)
sicher hatte er dort nach 476 die hochfahrenden Anfeindungen seines grossen
Rivalen Pindar zu bestehen, den gleichfalls Hieron an seinen Hof berufen
hatte. Im übrigen liess er sich durch die vielen Aufträge, welche ihm für
Siegeslieder, Choraufführungen und Aufschriften zu teil wurden, bald hier-
hin, bald dorthin ziehen. Sein poetisches Talent und seinen feinen Witz
stellte er eben in den Dienst aller, die ihn verlangten und bezahlen konnten.
Denn für seine Gedichte sich honorieren zu lassen, betrachtete er als eine
selbstverständliche Sache.*) Dadurch freilich, sowie durch die Wahl der
Themata verweltlichte er die Poesie, indem er unter den Dichtem eine
ähnliche Stellung wie die Sophisten unter den Philosophen einnahm:') den
griechischen Voltaire hat ihn Lessing im Laokoon genannt. Zur Frau des
Hieron sagte er einst mit witziger Unverfrorenheit: Reichtum gebt vor
Weisheit; denn die Weisen kommen zu den Thüren der Reichen.*) In
unseren Augen hat so Simonides die Poesie von ihrer erhabenen Höhe
herabgezogen, und in der That finden wir auch in seinen zahlreichen
Fragmenten nicht dasjenige, was wir von einem Lied in erster Linie ver^
langen, Wärme der Empfindung und schwungvolle Idealität. Aber gleich-
wohl verdient sein formales Talent, das namentlich in den geistreichen
Epigrammen seinen rechten Boden fand und ihm zahlreiche Siege, den 56.
im 80. Lebensjahre eintrug,^) alles Lob; besonders gerühmt wird von den
Alten seine Kunst in der ergreifenden Schilderung und in Erregung des
Mitleides.^)
Die Dichtungen des Simonides waren sehr mannigfaltig und zahlreich ;
den grösseren Raum nahmen die chorischen Gesänge ein, religiöse und
weltliche. In diesen behielt er den für diese Gattung typisch gewordenen
dorischen Dialekt bei, wiewohl er von Geburt ein lonier war und der Qeist
seiner Dichtung mehr die weltmännische Feinheit eines Attikers als die
Gemütstiefe eines Doriers verriet. Wir haben Fragmente von Hymnen, Päa-
nen, Skolien, Epinikien,^) Enkomien, Dithyramben, Hyporchemen,Threnen.«)
*) Dass er noch nach 468 Aihen zu Ehren
ein Epigramm auf die Sieger am Enrymedon
verfasste, ist man nicht berechtigt anzu-
nehmen, da das betreffende Epigramm unter-
geschoben und sicher nach 423 geschrieben
ist, wie Br. Kbil, Herm. 20, 341 ff. nach-
gewiesen hat.
*) Soidas: ovros HQtöxog doxei fAixgoXoyiay
BÜreyeyxeiy eig rd ^afia xai ygäipm ^ofAa
fJllO&OV,
*) Bezeichnend für das sophistische
Wesen des Dichters ist der Vers fr. 76 : to
doxeTy xai raV aXäSetay ßiatai.
*) Arist. rhet. II 16; vgl. Plat. Prot. 346b.
Die andere Anekdote von den 2 Kästchen
bei Stob. Flor. 10, 39 (vgl. Callim. fr. 77)
iRsst sich nur griechisch erz&hlen: lifjuoyidrjg
nttQttxaXovvroq jiyoq iyxwmoy noifjam xal
X«Qiv €|mv UyovTO(:, aQyvQioy dk fiij dtdoy-
rog, ovo, etney^ l^^ xißmotg, ttjy fi^y ^ttgl-
Tfoy, xrjy dk d^yv^iov, xai jtQog tag /^e/a;
tijy (Aky ttSy x^9^^^^ xByrjy BVQUrxta orer
ayoiitOf ifjy dk x^V^^^V^ fxoytjy, Ctegen die
Geldgier des Simonides ist auch gerichtet
Thuk. II 44 und Arist. rhet 111 2.
») Fr. 145 und 147.
*) Quint. X 1, 64: praeeipua eius in
commovenda miseratüme virtus, ut quidam
in hac eum parte Omnibus eius aperis an^
toribus praeferant, Dionys. Cenfi. vet. scnpt.
6: ZifÄioyidov naQaTijget rtjy ixXoyijr rtiy
oyofAixrtayy trjg cvy&eaemg xrjy tixQißetayy
TtQog tovfotg xa&^ o ßeXtiay sv^Urxejai xttl
[JtydäQOV ro oixriCeif&ai fitj /uisyaXon^entig,
(6g ixsryog, dXXa na^fjzixaig,
^) Geordnet waren dieselben nach Kam-
pfesarten.
^) Nach Suidas schrieb er auch eine Tra-
gödie, worunter Böckh den Meninon, welch^i
Strabon p. 728 einen DithyramboB nennt,
verstehen wollte; vgl. LObbbkt, Ind. Bonn.
1885 p. 16. Dagegen nahm G. Hkbmaxv,
B. Lyrik. 6. Ghorisohe Lyriker. (§ 122.) 163
In den beiden letzteren Gattungen erfreute er sich im Altertum eines be-
sonderen Rufes: in den Tanzliedern verstand er sich am besten auf male-
rische Wirkung durch das Ineinandergreifen von Wort, Melodie und Be-
wegung;^) in den Klageliedern entfaltete er in glänzender, der Tragödie
vorgreifender Weise die Kunst, das Mitleid der Hörer und Leser zu er-
regen. Der Rhetor Dionysios de comp. verb. 26 hat uns ein herrliches
Fragment eines solchen Threnos erhalten, in welchem Danae, die in einer
Eiste mit ihrem Kindlein Perseus in die wogende See geworfen war, die
Gefahren, welche sie und ihr Kind bedrohten, in ergreifender Weise be-
singt. Vereinzelt in der griechischen Lyrik steht sein melisches Gedicht
auf die Seeschlacht bei Artemision. Ausserdem glänzte er als Dichter von
Elegien, wie auf die Siege von Marathon, Salamis, Platää, besonders aber
als Epigrammatiker.*) In der grossen Zeit des nationalen Aufschwungs
wetteiferten Gemeinden und Private in der Errichtung von Siegestrophäen
und in der Ehrung des Andenkens tapferer Yaterlandsverteidiger. Auf
den Statuen, Grabsteinen, DreifQssen, Tempeln wollte man aber auch in
Worten die Erinnerung an die grossen Ruhmesthaten festgehalten wissen,
and dieses nicht in nackter Prosa, sondern in schönen Versen. Zur Dich-
tung solcher poetischer Aufschriften war aber keiner geeigneter als der
geistreiche Simonides, der in wenigen Zeilen die Hauptpunkte zusammen-
zufassen und der Erwähnung des Thatbestandes irgend eine feine Fassung
zu geben verstand. Überall wurde daher seine Kunst in Anspruch ge-
nommen, und auch bei den Nachkommen so hoch in Ehren gehalten, dass
die Grammatiker schon frühzeitig einen besonderen Eifer auf die Samm-
lung dieser Aufschriften {imyQafifiara) verwandten. Auf solche Weise
sind uns viele seiner Epigramme erhalten, wahre Perlen der alten Poesie,
wie das auf die Gefallenen von Thermopylä
xeffiex^a toTg xtivmv ^ijfiaai neid-ofjievoi.
Auch sonst knüpfte sich an den Namen unseres Simonides der Ruhm
erfinderischen Geistes: er, der bis in sein 90. Lebensjahr sich ein wunder-
voll frisches Gedächtnis erhielt, galt zugleich als Erfinder der Mnemotechnik ;
in den Ausgaben seiner Werke verbreitete er die für die Deutlichkeit des
Gedankenausdrucks wichtige, zuerst von den loniern aufgebrachte Unter-
scheidung der langen und kurzen Vokale e und o ; über die verschiedensten
Dinge zirkulierten von ihm geitreiche Aussprüche {artoffd^äyiiaxa), wie z. B.
der von Plutarch de glor. Athen, uns überlieferte Tryv fihv ^((tyquifiav €ivai
^oitfliy auonwaaVj trjv i^ noirjinv ^(fyqa<f(av kcckovtxav.
OpQsc VII 214 eine wirkliche Tragödie an. 1 in BiblioÜi^qne de la facultö des lettres de
Flach hat jenes xal iQayi^diai mit Recht als | Paris, 1896; dazu die Recension von Preger
Interpolation eingeklammert: s. Immisch Rh.
M. 44, 556.
^) Plat Symp. IX 15 von Simonides:
A^W (T o fÄftJUara xaitoQ^iaxeyai do^ag iy
in Neue phil. Rundschau 1897 n. 9. Schwer-
lich hat Simonides selbst schon eine Samm-
lung seiner Epigramme gemacht; denn sonst
hätten nicht so leicht fremde Epigranmie
tnoQi^fiuci xai yeyoyivai nidaytuxaxoq unter seinem Namen eingeschwärzt werden
iorror. < können. Aber schwer ist es zu sagen, wann
*) Vgl. Pkeobb, De epigrammatis graecis, | und von wem nach dem Tode des Autors
Monachü 1889 p. 3 sqq. Hautettr, De die Sammlung veranstaltet wurde,
ranthenticit^ des epigrammes de Simonide, ,
11*
164
Qrieohische Lütoratargesohlohta. I. KlaMisohe Periode.
128. Bakchylides (um 505 bis um 430)^) der jüngste der drei grossen
Dichter der chorischen Lyrik stammte gleichfalls aus der ionischen Insel
Keos.') Er war Schwestersohn des Dichters Simonides; sein gleichnamiger
Gross vater war Athlet; so wies ihn Abstammung und Verwandtschaft
auf die chorische Lyrik und den Preis der Sieger an den Nationalspielen.
Seine Blüte setzt Eusebius Ol. 78 = 468 v. Chr., in welchem Jahre er das
Preislied auf den olympischen Wagensieg seines Gönners Hieron dichtete.
Schon vor der Schlacht von Salamis war er als Dichter von Epinikien
aufgetreten: 481 oder 483 feierte er zugleich mit Pindar den nemeischen
Sieg des Aegineten Pytheas, und um dieselbe Zeit wird er auch den
Siegesgesang auf den Phliasier Automedes gedichtet haben. 3) Wann er
geboren und wann er gestorben ist, darüber mangeln uns verlässige Angaben.
Eusebius zwar lässt ihn Ol. 87, 2 = 430 v. Chr. bekannt sein, also sicher
in jener Zeit noch leben, aber es ist nicht sehr glaubhaft, dass sein Leben
bis zu diesem späten Jahre herabreichte. Auch von seinen Lebensverhält-
nissen sind uns nur zwei Punkte überliefert, sein Aufenthalt an dem Hofe
des Königs Hieron von Syrakus^) und sein Exil im Peloponnes.^) Sein
Aufenthalt in Sikilien muss vor 476 fallen, da er zu den von Hieron in
den Jahren 476 und 468 errungenen Erfolgen bei den olympischen Spielen
Siegeslieder aus seiner Heimatinsel Keos sandte (5, 10 u. 3, 98); wahr-
scheinlich hielt er sich 477/6 an dem Hofe des Hieron auf, da in dieser
Zeit einerseits sein Oheim Simonides den Streit zwischen den Herren von
Agrigent und Syrakus, Theron und Hieron, durch glückliche Vermittelung
beilegte, ^) und andererseits Pindar in dem Siegesgesang auf Theron O. 2, 96
seine Rivalen Simonides und BakchyUdes als kreischende Raben bezeichnete,
die sich nicht messen dürften mit dem göttlichen Vogel des Zeus.^) üeber
seine Verbannung geben uns weder die Reste seiner Dichtkunst noch an-
dere Zeugnisse des Altertums näheren Aufschluss. Wir können nur aus
dem Zusammenhang, in welchen Plutarch unseren Bakchylides mit Thuky-
dides und Xenophon bringt, vermuten, dass seine Verbannung längere Zeit
dauerte und in seine spätere Lebenszeit fiel. Sicher weilte er noch im
Jahre 468 in Keos, wie wir jetzt aus seinem in diesem Jahr aus Eeos nach
Syrakus gesandten Siegeslied auf Hieron (3, 98) nachweisen können.^)
^) Ein dürftiger Artikel des Suidas —
MiCHELANGBLi, Della vita di Bacchilide,
Messina 1897.
'} Seiner Heimatinsel Eeos gedenkt er
3,98; 5, 10; 17, 130; 19, 11; fr. 71.
') Auch m diesem Gedichte 9, 50 ff.
folgte er der von Pindar Isth. 18, 17 um
478 gegebenen Sage, dass Thebe und Aegina
Töchter des Flussgottes Asopos seien.
*) Aelian V. H. IV 15 : 'le'giüy avyrjy It/Äm^
yidg T^ Keio) xai Uiy^ägip toJ Stjßaiip xcti
BaxxvXldn tüJ VorAijyrfl. Vgl. Schol. Find.
0. II 154.
*) Plutarch negl fpvy^i 14, wo unter
den grossen Männern, welche aus ihrem
Vaterland verbannt in der Feme grosse
Werke schrieben, auch Bwx/rAtcfiyj 6 7ioifjitj(:
iy UeXonoypijirfp genannt wird.
•) Siehe Schol. Pind. 0. 2, 29.
^) Schon von den alten Scholiasten
wurde in den Werken Pindars 0. 2, 96
XdßQoi nayyXüHfalif xogaxeg tSg ax^rra
yaQV€Toy der Dual yttQvexoy auf die rivali-
sierenden Dichter Simonides und Bakchylides
gedeutet. Wir ersehen jetzt aus Bakch.
5, 16 ff., dass der angegriffene Dichter mit
einer Retourchabe antwortete, indem er sich
selbst dem Adler verglich, vor dem aus
Furcht sich die anderen Vögel ducken.
^) Zu einer Verbannung des Bakchylides
in höherem Alter stimmt es auch, dass sich
die Keier i. J. 459 ein Chorlied bei Pindar
bestellten (siehe meine Einleitung za Pind.
Is. I). Denn das war begreiflich, wenn da-
B. Lyrik. 6. Ghoriaohe Lyriker. (§ 123.)
165
Aach hinderte der Aufenthalt in dem dorischen Peloponnes unseren Dichter
nicht, mit Athen gute Beziehungen zu unterhalten und an den Festen der
Eephissosstadt den ionischen Nationalheros Theseus zu feiern. Überhaupt
scheint Bakchylides, auch darin grundverschieden von seinem grossen
Rivalen Pindar, an den politischen Kämpfen seiner Zeit und selbst an den
Geschicken seiner Heimatsstadt wenig Anteil genommen zu haben: seiner
qoietistischen Natur sagte es mehr zu, die schönen Mythen der Vergangen-
heit im Liede zu feiern, als sich in die Kämpfe der rauhen Gegenwart zu
mischen.
Die Dichtungen des Bakchylides bewegten sich in allen Formen der
chorischen Lyrik; erwähnt werden von ihm Epinikien, Hymnen, Päane,
Dithyramben, Prosodien, Parthenien, femer Tanz-, Wein- und Liebeslieder
and Epigramme. Eines besonderen Ansehens erfreuten sich seine Hymnen,
da der Rhetor Menander (Rhet. gr. HI 333—6 Sp.) seine Theorie der
Hymnendichtung und insbesondere die Unterscheidung von vfivoi xXrjftixoi
und viivoi dnoneftmixoi wesentlich auf Bakchylides stützt. Aber auch
seine Parthenien werden mit Auszeichnung von Plutarch, De mus. 17
neben denen des Alkman, Pindar und Simonides genannt. Bisher hatte
man von allen Dichtungsarten des Bakchylides nur spärliche Fragmente;
jetzt sind wir so glücklich, neben Bruchstücken auch mehrere ganze Gedichte,
damnter solche von grösserem Umfang, zu besitzen. Dieselben stammen
ans einem ägyptischen, jetzt im britischen Museum befindlichen Papyrus,
der bei einer Länge von 17 Fuss ungefähr 45 Kolumnen umfasst. Durch
mfihselige Zusammensetzung der geretteten Stücke der Rolle haben sich
ausser ein paar Dutzend von Bruchstücken zwanzig zusammenhängende
Gedichte zum Teil in vorzüglicher Erhaltung ergeben. Voran stehen
auf dem Papyrus vierzehn Epinikien, zwei an einen Landsmann des
Dichters, drei an König Hieron, die übrigen an verschiedene Sieger aus
Eeos, Phlius, Athen, Metapont, Aegina und Thessalien. Ein bestimmtes
Prinzip der Anordnung lässt sich nicht erkennen. Sicher war nicht wie
bei Pindar die Rangordnung der vier grossen oder heiligen Spiele mass-
gebend, nur dass ganz an den Schluss dasjenige Epinikien gesetzt ist,
das zu keinem der vier Nationalspiele in Beziehung steht, sondern einem
an den thessalischen Spielen des Poseidon Petraios gewonnenen Siege gilt,
hn übrigen sind die Epinikien auf den gleichen Sieger zusammengestellt
und stehen unter diesen die auf den glänzendsten Sieg, den mit Pferden
ijnniu^) oder mit dem Viergespann, voran. i) Höchst interessant ist, dass
sich unter den neuen Epinikien zwei befinden, welche die gleichen Siege
feiern, die uns schon aus der Verherrlichung Pindars bekannt sind. Es
feiern nämlich Rnd. 0. 1 und Bakch. 5 den Sieg des Hieron mit dem
Renner Pherenikos zu Olympia, und Pind. N. 5 und Bakch. 13 den
nemeischen Sieg des Aegineten Pytheas im Pankration; beachtenswert ist
mal» nidit bloes Simonides bereits tot, son-
dern such Bakchylides ans seiner Heimat
KeoB Teibaimt war.
') Zu den Epmikien des Bakchylides,
^, wie die des Pindar, bei den Grammatikem
mehr Interesse wie die religiösen Lieder
fanden, schrieb Didymos einen Kommentar,
wie wir aus einer Bemerkung des Ammonios
De differentüs p. 97 ersehen.
166 Qrieohisohe LüteratnrgMohichta. L Klassische Periode.
dabei, dass in dem letzteren Falle beide Dichter in gleicher Weise, wohl
infolge eines Winkes des Bestellers, mit dem Preise des Siegers Pytheas
den seines Turnlehrers Menandros verbinden. Die Art des Siegesliedes
ist im wesentlichen die gleiche wie bei Pindar: es wird in allen Tonarten
die Tugend gepriesen, die mehr wert ist als Geld und Macht; es wird
mit der Verherrlichung des gegenwärtigen Sieges auch die rühmende Er-
wähnung früherer Ruhmesthaten verbunden; es wird endlich, um dem Ge-
dichte mehr Inhalt zu geben, in das Preislied meistens die Erzählung irgend
eines Mythus eingelegt; einmal, in dem Epinikion auf den olympischen
Wagensieg des Hieron (3, 23—62), muss dazu das aus Herodot I 87
bekannte Wunder der Errettung des Königs Krösus durch den auf den
Scheiterhaufen herabströmenden Regen herhalten. Bestimmt sind von
den Epinikien die einen zum Vortrag an dem Orte des Sieges selbst, die
mehreren zur Verherrlichung des Siegers nach seiner Rückkehr in die
Heimat. Zu letzterem Zwecke wurde zumeist ein Feiertag ausersehen, so
dass das ganze Volk an dem Feste teilnehmen und der eingelegte Mythus
zugleich zur Verherrlichung der Gottheit dienen konnte; oder es wurde
in mehr privater Weise dem heimgekehrten Sieger ein musikalisches Ständ-
chen gebracht (6, 14).
Der zweite Teil des Papyrus umfasst, so weit er lesbar ist, sechs
für Götter- oder Heroenfeste gedichtete Oden. Sie haben eigene auf den
Inhalt bezügliche Titel, wie ©r^frcv^, 76), 'Mag; zwei derselben (16 und 17)
tragen im Metrum und Inhalt den deutlichen Charakter von Päanen; andere
scheinen eher in die Klasse von Dithyramben (19) oder Hymnen zu gehören.
Alle erregen in besonderem Grade unser Interesse, weil wir das Siegeslied
schon früher aus Pindar kannten, hier uns aber ganz neue Beispiele für die
Formen der chorischen Lyrik geboten werden; schade nur, dass mehrere
dieser Lieder stark verstümmelt sind und so plötzlich abbrechen, dass wir von
dem Gang derselben keine klare Vorstellung bekommen. Besonders anziehend
ist das lange und gut erhaltene 17. Gedicht 'H/'^£Oi xai Qr^aevq, welches die
schöne, bisher nur aus Mythographen und Vasenbildern bekannte Mythe er-
zählt, wie Theseus, um den Spott des Minos zurückzuweisen und sich als Sohn
des Poseidon zu legitimieren, in das Meer springt und den vom Minos in
die Salzflut geworfenen Ring aus dem im tiefen Meeresgrund befindlichen
Hause der Amphitrite zurückbringt. Durch seine Form beansprucht unsere
besondere Aufmerksamkeit das 18. Gedicht Otjasvg. Dasselbe ist ein Zwie-
gespräch in vier Strophen, so angeordnet, dass auf Frage und Antwort
immer je eine Strophe kommt. Der eine der Sprechenden ist der König
Aigeus, der von dem Nahen des siegreichen Theseus bereits Nachricht er^
halten hatte, der andere ein Bürger Athens (nach Kenyons Vermutung
Medea), der bestürzt fragt, was das Signal der ehernen Trompete bedeute
und was man von dem nahenden Fremdling zu erwarten habe. Jedermann
sieht, dass wir hier das lange vermisste Beispiel eines lyrischen Dramas
vor uns haben, und dass die Reden der beiden Sprechenden, mögen wir
uns dieselben nun als Führer zweier Halbchöre oder als zwei einzelstehende
Personen denken, uns den Uebergang des Dithyrambus zur Tragödie vor
Augen führen. — Unser Papyrus umfasste, auch als er noch unversehrt
B. Lyrik. 6. Ghoriaohe Lyriker. (§ 123.)
167
war, nicht den ganzen Bakchylides, da er von mehreren oben aufgezählten
Qattongen der Poesie unseres Dichters gar kein Exemplar aufweist. Jeden-
faUs also gehörte zu der neu aufgefundenen Rolle noch eine zweite, wenn
nicht noch eine dritte und vierte. Selbst das ist zweifelhaft, ob von den
vertretenen Gattungen alle Gedichte erhalten sind. Von den Epinikien
zwar möchte man das glauben, und steht auch nichts, so viel ich sehe,
dieser Annahme entgegen; aber bezüglich der Oden des zweiten Teils
wird man im Ungewissen bleiben, so lange es nicht gelingt, einen gemein-
samen Gattungsnamen filr dieselben aufzustellen.
Bakchylides reicht weder an Originalität noch an Grossartigkeit der
Diktion oder Tiefe der Gedanken an Pindar heran. Manchmal sogar hat es
den Anschein, dass der jüngere Dichter den älteren kopiert habe, und zwar
nicht bloss im Gebrauch von Epitheton, sondern auch in der Wiederholung
ganzer Sätze, wie z. B. die Worte t(og vvv xal ifioi fivQia TrcfvT^ xäXevd'oq
i^xtgav ä^eiav vfiveTv xvavonXoxdfiov ixa%i Nfxag (Bacch. 5, 31, ge-
dichtet 476) auffallig anklingen an Pindar Isthm. 4, 1 (gedichtet 478)
ian /lof ^smv i'xaTt fivgfa ndvrif xäXevd'Og, (o Mshtra, evfiaxaviav
fOQ lifavctq 'la^fuoig vfi€T6Qag agsrag vfAV((i dmxeiv. Auffällig besonders ist
die Naivität, mit der Bakchylides auch nach der derben Abfertigung von
Seiten Pindars O. 2, 96 fortfährt die Pfade seines Rivalen zu wandeln. Die
ganze Art seiner Mythenerzählung hat etwas Konventionelles, so dass sich
manchmal bei ihnen, ähnlich wie bei den eingelegten Ghorliedern (i(iß6X^ia)
der jüngeren Dramatiker, schwer ermitteln lässt, wie sie mit dem gewonnenen
Sieg oder dem Sieger und dessen Yolksstamm zusammenhängen. Aber eine
edle, von Liebe zur Tugend erfüllte Seele spricht aus seinen Versen, und die
leichtverständliche Sprache macht uns die Lektüre seiner Gedichte zum Ge-
nies; die Einfachheit der Metra und die Weisheit der Sentenzen erinnern
vielfach an Euripides und sind ebenso frei von dem Bombast des Aischylos,
wie der Dunkelheit pindarischer Wendungen, haben freilich aber auch
nichts von dem Gedankenflug und dem Bilderreichtum der Meister des
erhabenen Stiles. Gefeiert ist mit Recht der begeisterte Hymnus auf den
Frieden (fr. 13 Be.), aber auch den Vergleich des Dichters mit dem
Vogel des Zeus hat Bakchylides in dem Siegeslied auf Hieron (5, 16 ff.)
mit grosserer Kunst als selbst Pindar durchgeführt. 0 Die schönen Sen-
tenzen und die ausgleichende Seelenruhe haben wohl auch zumeist den
Dichter der Lebensweisheit, Horaz, angezogen, der nach dem Zeugnis
der Scholien in der Ode I 15 mit der Mahnrede des Meergreises Nereus
an den flatterhaften Paris ein Gedicht des Bakchylides nachgebildet
hat') und auch in dem berühmten Ausspruch Epist. I 4,13 omnem crede
dim tibi düuxisse supremum einen Gedanken des Bakchylides 3, 80 wieder-
gibt Noch in später römischer Eaiserzeit haben jene Vorzüge unserem
keischen Dichter einen Freund auf dem Throne erworben in dem Kaiser Julian,
von dem uns der Historiker Ammianus Marcellinus XXV 4 berichtet : recolebcU
') Besser anch ist dem Bakchylides 9, Ib. 2, 41 f.
41 f. die Hennziehimg des Nil und Ther- ') Eine ähnliche Moralrede wird in
noditt tnr Bezeichnung der weiten Ver- einem ans erhaltenen Gedichte 15, 50—68
Mtaag des Rahmes des Herkales gelangen dem Menelaos in den Mond gelegt.
^ dem Pindar an der verzwickten SteUe
168
Qriechische Littaratargesohiohte. I. Klaasisohe Periode.
saepe dictum lyrici Bacchylidis, quem legebat iucunde id adserentem quod ut
egregius pictor vuUum spedosum effingit, ita pudicüia celsius consurgetUem
vüam exornat,
Nbub, BacchylidiB Cei fragmenta, Berlin 1822. — Ebnyok, The poems of Baocl^lides
from a papyros in the British Museum, London 1897; dazu Christ Sitzb. d. b. Ak. 1898 S. 3 ff.
1:24. Timokreon aus lalysos in Rhodos ist durch seine Beziehungen
zu Simonides bekannt geworden. Der letztere war mit Themistokles, dem
grossen Feldherrn und Staatsmann Athens, gut befreundet; der erstere er-
ging sich in bitteren Schmähungen über denselben, weil er ihn, der wegen
des Verdachtes medischer Gesinnung aus seinem Vaterland verjagt worden
war, nicht wieder in seine Heimat zurückgeführt hatte, i) Dafür strafte
ihn Simonides mit dem sarkastischem Epigramm:*)
UoXXd Ttiwv xai noXkd tpaydv xal noXXd xdx elTiciv
dvx^Qainovg xeT/jiai Ti/jioxgäwv ""PoSiog.
Die Stärke des Timokreon war das Trinklied, das er ganz entgegen dem
Charakter der dorischen Lyrik zum Spottgedicht umwandelte; Suidas nennt
ihn geradezu einen Dichter der alten Komödie.
Einzelne Fragmente sind uns noch erhalten von Pratinas, Diagoras,
Eydias und den unten zu besprechenden attischen Dithyrambikern.
7. Pindar (522-442).
126. Leben. Von dem grössten und gefeiertesten Lyriker der
Griechen sind wir so glücklich noch eine grosse Anzahl von Oden, an 50, zu
besitzen, so dass wir uns aus seinen Werken selbst ein Bild von seiner Kunst
und seinem Schaffen bilden können. Auch an direkten Nachrichten über seine
Abstammung und sein Leben fehlt es uns nicht. Aber wie es bei einem
grossen Manne und der phantasiereichen Natur der Griechen begreiflich
ist, ward frühzeitig die nackte Wirklichkeit seines Lebens mit poetischen
Sagen umrankt. So erzählte man, dass eine Biene dem gottbeschirmten
Knaben, als er vor Müdigkeit auf dem Helikon eingeschlafen war, Honig
auf die Lippen geträufelt habe,^) dass dem göttlichen Sänger auf den
Triften der Waldflur der gehörnte Pan und die Mutter Demeter erschienen
seien, um ihn zum Verkünder ihres Preises zu weihen.*) Solche Sagen,
vermischt mit bestimmten Angaben über seine Abkunft und sein Leben,
erzählten bereits die ältesten Biographen des Dichters, Chamaileon und
Istros.<^) Aber deren Biographien sind ebenso, wie die seines Landsmannes
Plutarch^^) verloren gegangen: auf uns gekommen sind nur ausser einem
Artikel des Suidas ein alter in seinem Grundstock wahrscheinlich auf den
Grammatiker Didymos zurückgehender Lebensabriss') und eine zweite Bio-
graphie aus dem Kommentar des Eustathios, in welche ein älteres, aus
») Flut. Them. 21.
«) AntJb. VIT 348; Ath. 416a. Auch
Simon. £r. 57 ist gegen Timokreon gerichtet.
') Eine ähnliche Vorstellung bei Piaton
Ion. p. 534 a, Theokrit 7, 82, Horaz Od. 3, 4.
*) Etwas Aehnliches erzählt Pausanias IX
23, 3 von der Persephone. Man denke auch
an Hesiod Theog. 22 ff.
•) Lbutsch, Die QueUen für die Bio-
graphien des Pindar, in Phüol. XI 1 ff .
') Bezeugt von Ehistathios im Leben des
Dichters und von Photios Bibl. p 104b,
3 Bekk.
') Ehedem Vita YratislaTiensia genannt
nach dem Codex, aus dem sie zuerst ans
Licht gezogen wurde. Sämtliche Yitae Ter-
einigt in meiner Ausgabe Prol. C 8b.
B. Lyrik. 7. Pin dar. (§§124-126.) 169
dem 5. Jahrhundert n. Chr. stammendes Gedieht von Pindars Geschlecht
eingelegt ist.^) Aus den dürftigen Nachrichten der Alten und den Werken
des Dichters selbst haben in neuerer Zeit mehrere Gelehrte eine zusammen-
hlogende Darstellung vom Leben Pindars zu geben versucht, am aus-
fthiiichsten Leop. Schmidt, Pindars Leben und Dichtung, Bonn 1862.^)
In diesem Buche sucht der feinsinnige Verfasser, indem er der zeitlichen
Folge der erhaltenen Gedichte nachgeht, uns ein Bild der geistigen Ent-
wicklung des Dichters zu entwerfen. Sehr farbenreich ist dasselbe nicht
ausgefallen; von einem Vergleich mit ähnlichen Darstellungen des Geistes-
ganges der grossen Dichter unserer Nation kann ohnehin nicht die Rede
sein; dafür war einem antiken Dichter der Typus seiner Kunst zu fest
von vornherein vorgezeichnet und der Freiheit individueller Empfindung
ein zn kleiner Spielraum gestattet.^)
126. Pindar hatte das siebenthorige Theben zur Vaterstadt, wie er
selbst in einem Liede (fr. 198: ovtoi fie ^tvov ovS* ädaijfiova Moiaav
inaiiiwsav xlvrai &ijßai) bezeugte. Seine eigentliche Heimat aber war
das Dorf KynoskephsJai bei Theben, in dem sein Geschlecht seit Alters
begütert war. Aus der Stelle P. 5, 76 Alyetdai Sfioi naTäget; schliesst
man, dass seine Familie zu dem Geschlecht der Aigiden gehörte, von dem
ein Teil zur Zeit der dorischen Wanderung nach Lakedämon und später
nach Thera und Kyrene ausgewandert war.*) Von dem Musenquell Dirke
in der Nähe Thebens, den er wiederholt in seinen Liedern feiert,'^) erhielt
er den Namen des dirkeischen Schwanes. Sein Vater hiess nach den
einen Daiphantos, nach den andern Pagondas,<^) seine Mutter Eleodike.
Ein Bruder des Dichters war Eritimos (Erotion bei Suidas), der als guter
Jäger und Faustkämpfer bekannt war. Der Geburtstag Pindars fiel auf
dasFest des Gottes in Delphi,^) woraus wir entnehmen, dass er im dritten
Jahr einer Olympiade geboren war. Nach Suidas war dieses die 65. Ol. ;
das ist aber nicht wahrscheinlich, wenn anders er schon Ol. 69, 3 als
Dichter des 10. pythischen Siegesgesanges auftrat.^) Deshalb lassen ihn
') Der Kommentar selbst ist bis auf die 1 allerdings auch auf dieThebaner überhaupt ge-
Vitt Terloren gegangen; das eingelegte Fivoc \ deutet werden. Entgegen dem Sprachgebrauch
HiMqov in 31 Hexametern zeigt den Vers- Pindars deutet Studniczka, Kyrene S. 73 ff. das
Itta des Nonnos und seiner Schule; s. Lud- i/^oi natsQs^ auf die Vorfahren der Kyreneer.
WICH RL M. 34, 357 ff. — Eine Vita des - *) Isth. 6, 74: niao) aipe JiQxtt<; tiyvov
lliamas Magister aus dem byzantinischen
Mittelalter enthalt gleichfalls einige uns sonst
Bidit fiberkommene Nachrichten.
fioüvyac dvBxeiXav nttq' evreix^aiv Kdäfiov
nvXavg,
') Ausserdem behandelten neueidings , ') Daiphantos hiess der Sohn Pindars,
^ Leben unseres Dichters T. Mommsen,
Pindaioe, Kiel 1845; Lubbbert, Pindars Le-
W 1878 u. 1882; dazu Christ, Zur Chrono-
logie nndariacher Siegesgesftnge, Stzb. d. b.
AL 1889 S. 1—64.
*) Siehe Fb. Mbzgbb, Disput. Pindaricae,
Angab. Progr. 1873.
*) In Anaphe, einem Annex von Thera,
Sndet sich Öfters inschriftlich der Name
P^adan»; siehe Luebbbrt, In Findari locum
woraus vielleicht Daiphantos als Grossvater
bloss vermutet ist.
') Vit. A zitiert dafür eine Stelle Pin-
dars fr. 193: TievjaetijQig iogra ßovnofinog,
iy if TiQüijoy evytiadfjy äyanaros vtjo OTtag-
yayoic.
8) Uebrigens darf ich nicht verschweigen,
dass der Ansatz von P. 10 auf Ol. 69, 3 Be-
denken unterliegt, da einerseits in jener
Pvthiade der gefeierte Knabe auch im Sta-
^ Aegidis et sacris Cameis, Bonn 1883. ' dion siegte, dessen Pindar in jener Ode nicht
Dagegen Eiowftnde von BoaKBMAinr, PhiloL i gedenkt, und anderseits die nftchsten Siegee-
^^t "9 ff. Das Aiyitdfu ifiol naiigeg kann | öden Pindars P. 6 u. 12 erst 8 Jahre nach
170 Grieohiftche Lüteraturgesohiolita. I. KlmssLiohe Periode.
die Neueren schon Ol. 64, 3 = 522 geboren sein, also nahezu in derselben
Zeit, in welcher sein grosser Geistesverwandter, der Tragiker Aischylos,
das Licht der Welt erblickte.
Das Wort poeta nascUur gilt nur zum Teil von einem Lyriker der
Griechen; der chorische Lyriker dichtete zugleich die Melodie und übte
den tanzenden Chor ein; Musik und Tanz aber wollen gelernt sein. So
hatte auch Pindar seine Lehrmeister in den verschiedenen Zweigen seiner
Kunst. Das Flötenspiel lehrte ihn in früher Jugend sein Oheim Skopelinos;
tiefer führten ihn in die Kunst der Aufstellung kyklischer Chöre die Athener
Agathokles und ApoUodoros ein. Auch Lasos von Hermione wird als sein
Lehrer genannt,^) aber wahrscheinlich nur weil die Grammatiker es liebten,
bedeutende Zeitgenossen zu einander in Beziehung zu setzen. In der
Dichtkunst hatte er an der älteren Dichterin seiner böotischen Heimat
Myrtis ein Vorbild. Zu Korinna stund er mehr auf dem gespannten Fuss
eines Rivalen; Pausanias IX 22, 3 sah im Gymnasium von Tanagra ein
Bild der mit der Siegesbinde geschmückten Dichterin und deutete dies^
auf einen Sieg, den dieselbe im Wettkampf über Pindar davongetragen
habe. •) Und als Pindar einst einen Hymnus auf Theben mit den Versen begann
7<r/*i;idv rj x^i;<raAaxaTOV MeXiav^
fj KaSfioVy Tj anaQX(ov tegov ysvog &vdQSvj
7] xdv xvavdfinvxa Otjßav^
f- t6 ndvrokfxov ad'svog ^HqaxXBog^
rj rdv Jimvvcfov noXvyax^äa xifidv^
^ ydiiov Xevxatlävov Ugfiovfag vfivrjffofiev ; *)
soll ihn Korinna witzig mit der Bemerkung zurechtgewiesen haben rg
X«^i iSTiei^Biv fiTjd' oXrp rrp x^vXaxt,^)
Schon früh ist Pindar sich seiner hohen Sendung bewusst geworden
und als Dichter selbst aufgetreten. Wir können das zunächst nur an
seinen Siegesliedem nachweisen. Das älteste derselben, P. 10 auf einen
siegreichen Knaben aus dem Geschlechte der Aleuaden fällt nach der An-
gabe der Scholien in Ol. 69, 3 oder in das 20. Lebensjahr des Dichters.
Schon im frühen Lebensalter ist er auch, wie dieses die 5. nemeische und
6. isthmische Ode bezeugen, mit der Insel Aigina, zu der ihn die Stammes-
verwandtschaft **) und die Gleichheit des aristokratischen Regimentes hin-
zog, in Verbindung getreten. 6) Sein Mannesalter fiel in die grossartige Zeit,
Ol. 69, 3 = .502 V. Chr. fallen. Wilamowitz, tikerwitz. Gleich f&nfmal iSsat Pindar vim
Aristot. u. Athenen 302 bleibt bd 518 als ! Korinna besiegt werden Aelian V. H. XIH
'^ ''''""'' ' " ' -- ' • 25 und Snidas u. KoQiyya,
') Dieselbe Ueberschwenglichkeit findet
sich Isth. YII in. and N. X in.
*) Plut. de glor. Athen, c. 4 p. 347 f.
^) Das ist Is. 8, 16 dadurch ausge^i&ckt,
dass Theba und Aigina als die Eeasgeliebten
Töchter des Asopos bezeichnet werden. Auch
in dem Preis des WaffenbOndnisses zwischen
Telamon aas Aegina and Herakles ans Hieben
(N. 4, 25, Is. 6, 31) gibt sich das gleiche Be-
streben kund.
Geburtsjahr des Dichters stehen. Uebrigens
scheint der Streit, ob Ol. 65 oder 64, mit
dem verschiedenen Ansatz des Beginns der
Pythiaden zusammenzuhängen.
M Nur von Eustathios, aber weder in
dem metrischen TeVo? noch in der Vit. A.
*) Die Deutung wird dadurch zweifel-
haft;, dass Korinna fr. 21 die Myrtis tadelt,
weil sie, ein Weib, mit Pindar in einen
Wettkampf sich eingelassen habe. Auch der
Grund, dass die Preisrichter sich durch den
heimischen Dialekt der Lieder der Korinna i ^) Zu den ältesten Epinikien Piodan
bestimmen Hessen, schmeckt nach Gramma- | gehören ausserdem P. 6 auf Xenokrates
B.Lyrik. 7. Pindar. (§127.) 171
in der Hellas unter schweren und harten Kämpfen die nationale Läuterungs-
probe bestand und die Überlegenheit des freien Geistes über barbarische
Despotie flir immer begründete. Auf Pindars Geist wirkten die helden-
mäfa'gen Kämpfe der Perserkriege nicht so gewaltig wie auf Aischylos und
Smonides ein. Das hängt mit der Politik seiner Vaterstadt zusammen,
die mit kurzsichtiger Engherzigkeit in einem Kampf, in dem es sich um
die Ehre und den Bestand der Nation handelte, neutral bleiben wollte,
dafOr aber auch nach der Schlacht von Platää schwer die Sünden treu-
losen Yaterlandsverrats büssen musste. Polybios IV 31, der unparteiische
Historiker, der sonst so schlecht auf die Anmassungen athenischer Hege-
monie zu sprechen ist, macht es doch dem Pindar zum bitteren Vorwurf,
dass er jener Politik der Neutralität und Ruhe das Wort geredet habe
mit den Versen:
TO xoivov tig dat(or iv evdi^ ti&eig
SQ€V%'aad%ia ixsyaXdvoqoq "^Havxiaq ro (faidgov (pdog.
h der Stunde der Gefahr vermochte eben Pindar ebensowenig wie seine
Landsleute die kleinen Rücksichten des Partikularismus zu überwinden.
Später nach den glänzenden Siegen der Athener über die Perser hat
auch er, ausgesöhnt mit der Vergangenheit, die hohen Verdienste Athens
am die Freiheit von Hellas voll anerkannt, ^) so dass er in einem Dithy-
rambus der Stadt den niewelkenden Ruhmeskranz flocht:
(o Tal hnaQai xai loattifavoi xai doidifioi
^EXXddoq igeitTfia, xkBivai 'Ad'ävai.
Die Athener ehrten ihn dafür mit der Proxenie und einer Ehrengabe von
10,000 Drachmen,') welche Spätere als eine Entschädigung für eine an-
geblich von Theben über ihn verhängte Strafe ansahen, s)
127. Inzwischen war auch der Ruhm des Dichters weit über die
Grenzen der Heimat und der benachbarten Gebiete gedrungen, so dass er
in gleicher Weise wie Simonides das Ansehen eines hellenischen National-
dichters erlangte. Viel trugen dazu die Verbindungen bei, welche ihm die
grossen Nationalspiele der Hellenen verschafften. Durch sie trat er in Be-
ziehung zu den vornehmen Geschlechtem von Rhodos^ Tenedos, Korinth,
zu Arkesilas von Kyrene, *) zu König Alexander von Makedonien, ^) und
vor allem zu den fürstlichen Höfen des Theron von Akragas und Hieron
von Syrakus. Pindar liebte es, regelmässig den Spielen in Olympia, Delphi
und anderen Orten beizuwohnen, und ging öfters auch mit den heim-
kehrenden Siegern, wie mit Diagoras aus Rhodos, in ihre Heimat, um
selbst die Aufführung des Festzuges zu leiten.«) Sikilien und die Könige
aoB Agiigent, P. 12 auf Midas aus Agrigeot,
0. 10 auf Ageaidamos ans Lokris.
^) Anaser in dem gleich za erwähnenden
IKdiyraiiiboa fr. 76, besonders noch in P. 1,
73n.N.4,19.
') Isoer. de antid. 166: Uivdagoy fihv
*) Aeschines ep. 4. Nach Paus. I 8, 4
haben ihn die Athener auch mit einem Stand-
bild geehrt; vergl. Böckh zu fr. 46.
*) Des Arkesilas Sieg im J. 466 feiert
P. 4 u. 5.
^) Fr. 120 stammt aus einem Enkomion
^•r aoiijt^r ol ngo tj^mv yeyoyoreg vjiig auf Alexander.
i^ fioror ^/uaroc, ori iijy noXiy igew^a [ «) Dass Pindar selbst mit Diagoras nach
»p 'BJkXados loyofLttOBP, ovTtog itlfivjaay^ Rhodos ging, lÄsst das Wort xttxißuy 0. 7, 13
•Tf Ktti Tigo^eyoy notijcaa^ai xai iftogeay ' yeimnten. Auch nach Kyrene war er zur
M«e««f avrt^ dovyat dgaxfiäg. , zweiten Siegesfeier des Arkesilas gekommen,
172
Oriechiaohe littoratiirgeBohiohta. I. Klftssiaohe Periode.
Theron und Hieron besuchte er um 474, *) um dieselbe^ Zeit wie Aischy-
los, mit dem er in der Beschreibung des Ausbruchs des Ätna wetteiferte.*)
Während aber andere, wie Simonides und Bakchylides, auf längere Zeit
ihren Sitz an den Fürstenhöfen aufschlugen, kehrte Pindar bald wieder
nach Hellas und Theben zurück; er wollte eben, wie er zu sagen liebte,
lieber sich als andern leben.')
In andere Beziehungen brachte Pindar seine Stellung als Dichter
religiöser Festgesänge. In jener Zeit des allgemeinen Aufschwungs wurden
auch die Feste der Götter allwärts mit erhöhtem Glänze gefeiert, und
Pindar war der verehrte Dichter, den die Priesterschaften von nah und
fern um eine poetische Spende für die Gottheit angingen. So dichtete er
nicht bloss für Chöre der Götterfeste Thebens und der nächsten Um-
gegend heilige Lieder, sondern sandte selbst den Priestern des Zeus
Ammon einen Hymnus, den auch noch die späteren Generationen so in
Ehren hielten, dass ihn Ptolemäus Lagi auf eine dreieckige Säule neben
dem Altar des Gottes eingraben liess.^) Besonders nahe aber stand er
den Priestern in Delphi, deren Weisheit er in den Eemsprüchen seiner
Gedichte verkündigte und von Seiten deren er sich mannigfacher Auf-
merksamkeiten erfreute. Noch in später Zeit war es Brauch, dass bei
den Theoxenien in Delphi der Herold in dankbarer Erinnerung an die
ehemalige Beteiligung des Dichters an dem Feste ausrief: nivdaqog inl
Den Tod fand Pindar in hohem Alter, wahrscheinlich im Jahre 442.^)
Sein letztes datierbares Gedicht ist P. 8, gedichtet 450 (nach Berges
Berechnung 446),'') aus dem wohl eine schwermütige Stimmung heraus-
klingt, ^) das aber nichts von geistigem Siechtum verrät. Er verschied
fern von der Heimat in Argos, wie die Sage erzählt im Theater, in dem
Schosse seines Lieblings Theoxenos. In Theben, wohin seine Töchter
wie die Worte aeßlCo/Asy KvQccvag dyaxTi-
fjiiyav noXiv (V. 80) bezeugen.
') Die 1. olymp. Ode anf den Sieg des
Hieron mit einem Rennpferd (xiXrixi), er-
rungen 472 (n. a. 476) v. Chr., trug er selbst
in Sjrakus vor, wie man aus V. 17 u. 106
sieht. Wahrscheinlich leitete er auch die
Aufführung von P. 1 anf den Sieg von 474
(n. a. 470) in der neugegrOndeten sikilischen
Stadt Aetna.
2) Zur Zeit des Ausbruchs (478 oder 475)
des Aetna war er noch nicht in Sikilien, wie
die Worte P. 1, 27 (gedichtet 474 nach
65ckh, 470 nach Bergk) ^avua d^ xal ntiQ^
Idovttoy {TiaQtoyTOjy vel Ttageoyrayy codd., em.
Gebet) bezeugen. Der Ausbruch ist besungen
von Pindar P. 1, 21 fF. u. Aischylos im Prom.
379 ff. Die Palme trägt dabei entschieden
Pindar davon, wiewohl in einem Punkte, in dem
Bilde von den FeuerstrOmen {notafiol nvgog)
Aischylos glflcklicher als Pindar war. Ge-
naueres darüber habe ich ermittelt in dem
Aufsatz, Der Aetna in der griechischen Poesie,
Stzb. d. b. Ak. 1888 S. 359 ff.
^) Apophth. Pind. und Eust. vit. Pind. :
nlydagog igtarrj^eig, ffui xi lifuoyitftjg f^
TiQog Tovg tvQayyovg {IneifijfÄrjaey eig Z&xsXiavj
avToe ffe ovx i&^Xetf etpijf dtor» povXofiM
ifiavtfü C^y ovx aXXt^.
*) Paus. IX 16, 1. AehnUch ward nach
den Schollen die 7. ol. Ode auf Diagoras
mit goldenen Buchstaben in dem Tempel der
lindischen Athene aufgeschrieben.
^) Vergl. den Heroldsruf fAeta Aäcßioy
(pdoy zu Ehren des Terpander § 89. Nach
Paus. X 24, 4 stand zu Delphi nahe bei dem
Opferherd der ^goyog üiydagov, auf den
fr. 90 anzuspielen scheint.
'j Das Todesjahr steht nicht ganz fest
Nach dem rtyog starb er 80 Jahre alt, wae
aber vielleicht eine abgerundete Zahl ist;
Eustathius Iftsst ihn 80 oder 66 Jahre alt
werden und setzt seinen Tod unter den
Archen Bi(oy (korrupt). Die Lebensdaaer
von ye Jahren bei Suidas ist offenbar verderbt
^) So nach der Ueberlieferang, die icii
gegen die Zweifel neuerer Gelehrten gestützt
habe Stzb d. b. Ak. 1889 S. 1 ff.
«) P. Vni 9b: inafAegoi ' ti &e r^, W
<r ov ng : axiag oyag aydgotTtog.
B.Lyrik. 7. Pindar. (§128.)
178
Protomache und Eumetis die Aschenume brachten, stand noch zur Zeit
des Pansanias (IX 23, 2) sein Grabdenkmal. Der Perieget (IX 25, 3) sah
auch noch jenseits der Quelle Dirke die Trümmer seines Hauses und da-
neben ein Heiligtum der Göttermutter Dindymene, in das der fromme
Dichter ein Götterbild gestiftet hatte. ^) Von dem Hause erzählte man
sich bekannthch, dass es Alexander allein von der Stadt Theben verschont
habe, indem er darauf schreiben Hess : lIirSdQov rov fiovaanotov Tr;i' atäyr^v
fir^ xatitej) Er hinterliess neben den zwei genannten Töchtern einen
Sohn Daiphantos, den er selbst noch als Reigenführer eines apollinischen
Mädchenchors in die musische Kunst eingeführt hatte.
128. Die Werke Pindars lagen den Grammatikern und Biographen
in einer Gesammtausgabe von 17 Büchern vor. Die Ausgabe war wahr-
scheinlich von Aristophanes von Byzanz angefertigt worden, auf den
wenigstens Dionysios de comp. c. 22 die herkömmliche Verseinteilung zurück-
fuhrt*) Nach der Vita waren in derselben enthalten: vfivoi, naiäveg
iiitvQafißoi in 2 B., ngoifodia in 2 B., nagO-tna in 3 B., vnoqxw^^^ ^^
2 B., eyKüifua, x^QTJvot, inivixoi in 4 B. Das 3. Buch der Parthenien hatte
den speziellen Titel td xexooQifXfieva tmv TtagO^evitov, woraus man zu
scUiessen berechtigt ist, dass die Parthenien ursprünglich den Schluss
der Sammlung bildeten, und dass in das letzte Buch ausser dem Rest der
Parthenien allerlei Gedichte, welche unter den andern Titeln nicht wohl
untergebracht werden konnten, zusammengefasst waren.^) Suidas fügt zu
den erwähnten Gedichtarten noch hinzu r*^) ivd^QoviafjLof, ßaxxixd, daipvij-
90^xa, axoXia^ ÖQdfxata Tgayixd, iniyqd^fiaxa^ naQaivstXsig. Aber diese
Titel stammen wahrscheinlich nicht aus einer anderen älteren Ausgabe,
wie Böckh und Bergk vermutet hatten (dagegen spricht schon die
gleiche Zahl von 17 Büchern bei beiden Gewährsmännern), sondern aus
der Aufzeichnung {drayQaifr/} der Werke Pindars von Seiten eines Litterar-
historikers des 4. oder 5. Jahrhunderts n. Chr., der neben die alten Namen
der einzelnen Dichtungsarten auch die neuen, in seiner Zeit gebräuch-
licheren, wie S^d^aia tgay^xd neben dtä^vQafißoi,^) sv&Qovurfioi neben
*) Schol. zu P. 3, 137 erzählt, dass
Pindar ein iiyaX^a ^tjiQos ^etov xal Uavog
üben seinem Hanse gegründet hatte.
') Von Alexander erzählen dieses Plinins
H. N. VII 29, 109 mid Arrian, Anab. I 9 und
tons Smdas, yon Pansanias, dem König
Jer Lakedimonier, die Vita A and Enst., von
Men die Vita des Thomas Magister.
') Aosserdem berichtet Thomas Mag. in
^«rVit Find, von der Ode 0. 1: ngoifiaxtat
M« J^tnoqayovf lov avyia^ayTog Tti Uiy^
^^'v. Tünaioe scheint nnsere Ausgabe
*odi nicht gekannt zu haben, da er sonst
tckwerlich ein nemeisches Siegeslied mit
^Bcm olympischen verwechselt hätte, wie
^M von den Scholien zu Nem. 1 inscr.
«•gt ist; vgl. auch schol. zu P. 2 inscr.
M So stehen auch in unseren Hand-
*>^en am Schlüsse der Nemeonikai Oden
^"^ Suiz verschiedenartige Sieger, wozu der
Scholiast p. 491 Bö. gleichfalls bemerkt: dio
xsx*oQiafi6yat fpe^ovtat.
^) EustathioB folgt in der Aufzählung
der Vit. Vrat., fttgt aber noch die sticho-
metrische Angabe hinzu: xaia xrjv <jrt/o-
fieiQLay tuaei rergax^axiXia.
®) Dass die dgafiata xqayixtt, welche so
viel Staub aufgewirbelt haben, nur ein an-
derer Name für cfd'^v^cc^^o» sind, zeigt be-
sonders Himerios or. XI 4 rjv Jiovvaia xai
10 ffettiQoy fi/e fietd ri^s Xvgag Uiv6(tQ0£,
Nichts zu geben ist auf die subtile Unter-
scheidung Lübbert's, De Pindari carmi-
nibus dramaticis tragicisque, Bonn 1885.
Ueber die Dichtungsarten («i'cfi?) mit beson-
derer Berücksichtigung der Tonarten hatte
der Grammatiker ApoUonios gehandelt, der
davon den Beinamen sidoyQ(iq>og hatte; s.
Et M. 295, 51 u. Schol. zu P. 2 inscr. Ausser
den in den aufgeführten Titeln vorkommenden
174
Oriechiaohe Litteratargeaohiohta. t. Klasaiaolie Periode.
TiQoaoiia setzte, und in seiner Vorlage bereits Unechtes (wie iniyQäfifjLcna
und prosaische nagaivtanq oder änotfx^^tyiiaxa) dem Echten beigemischt
fand.^) Jedenfalls hat sich Pindars Muse ausschliesslich in der Gattung
der chorischen Lyrik bewegt, innerhalb derselben aber die verschiedensten
Arten kultiviert: Pindar weihte seinen Sang dem Preise der Götter
(Hymnen, Päane, Dithyramben, Prosodien, Parthenien) wie dem Lobe der
Heroen und Menschen (Epinikien, Enkomien, Threnen) ; er bestimmte sein
Lied zum weihevollen Vortrag beim Einzug in die Tempelhallen (Pro-
sodien, Enthronismen) wie zum jubelnden Chorgesang bei gottbegeistertem
Tanze (Hyporchemen) ; *) er verherrlichte den Herrscher des All, Vater
Zeus, wie den Heilbringer Apoll (Päane) und den Spender des Weines
Dionysos; er gab der Freude Ausdruck bei dem Siegeseinzug (Epinikien)
und dem Festmahl (Skolien) wie der wehmüthigen Trauer bei der Toten-
feier (Threnoi).^) Erhalten sind uns von seinen Werken, mit Ausnahme
der Siegeslieder, leider nur Bruchstücke, darunter aber doch einige
grössere, so namentlich von einem schwärmerischen, ftir das dionysische
Frühlingsfest in Athen gedichteten Dithyrambus, von einem Tanzlied
(vnoqxw^) ^^^ ^^^ Sonnenfinsternis des Jahres 463, von zwei liebreizenden
Trinkliedern (cxoXia) auf die Hierodulen von Eorinth und den schönen
Knaben Theoxenos, endlich von einigen tiefernsten Klageliedern {x>QtjvQi\
in denen die pythagorische und orphische Lehre von der Unsterblichkeit
und dem Leben nach dem Tod in erhabenster Sprache vorgetragen ist.
Die Bruchstücke verdienen umsomehr Beachtung, als sie weit mehr als
die durch äussere Umstände veranlassten Siegesgesänge aus wahrer Be-
geisterung und warmer Empfindung heraus gedichtet sind.
129. Die Siegeslieder. Vollständig auf uns gekommen sind nur
die vier Bücher Siegeslieder, und selbst von diesen ist das letzte am
Schluss verstünmielt.^) Geordnet sind die vier Bücher nach dem Rang«
den die verschiedenen Nationalspiele bei den Hellenen einnahmen: voran
stehen die Epinikien auf Siege in den olympischen Spielen, es folgen die
pjrthischen, nemeischen, isthmischen. '^) Auch innerhalb der einzelnen
Bücher war bei der Anordnung, ähnlich wie bei Simonides und Bakchylides
das Ansehen der Wettkämpfe massgebend ; es folgen sich also die Lieder auf
Sieger mit dem Viergespann (ä(}juLati)^ dem Gespann von Maultieren («^»fvjj),
dem Renner (xtkr^Ti)^ im Pankration, im Lauf, im Flötenspiel. Doch ist diese
Arten werden noch erwähnt naQoiyia (d. i.
üxoXia) von Bidymos zu N. 1 inscr., nnd ^vüia-
TijQia von Timaios zu P. 2 inscr.
*) Ich folge dabei Hillbr, Die Verzeich-
nisse der pindarischen Gedichte, Herrn. 21,
357 flF.; dazu Immisch Rh. M. 44, 553 ff.
'') Da Clemens Alex, ström. I p. 133 den
Pindar als Erfinder der rnoQxtjaiq preist, so
muss er in dieser Gattung der Lyrik eine
besondere Berühmtheit erlangt haben.
*) Horaz Od. IV 2 in der berühmten
Ode auf Pindar greift nur die bekanntesten
Arten, Dithyramben, Enkomien, Epinikien,
Threnen heraus.
^) Auf Grund sehr unzuverlässiger junger
Zeugnisse nimmt Bergk PLG^ p. 21 f. an, daas
auch in dem Anfang der IsUimien 1 Ode
und ebenso 1 unter den Nemeen ausge-
fallen sei.
^) Da den nemeischen Oden am Schlosse
mehrere fremdartige Oden auf nichtnemeische
Siege angehängt sind, so vermutete O. Mül-
ler, Gr. Litt. I 398, dass ehedem in der
attischen Ausgabe die Nemeen zuletst stun-
den. Auch Piaton, Lysis p. 205 c setzt »/«/^
nach *la^fAot, Hingegen Bakchyl. 8, 2 iVc>
(jLiav vor 'la&^oy. Die Familie des Psaumis
in Sikilien hatte den Ordnern neben dem
echten Siegeslied, 0. 4, auch eines von ehi«n
Lokaldichter, 0. 5 übergeben.
B.Lyrik. 7.Pi]id«r.
129-100.)
175
Ordnung nicht genau eingehalten, und steht z. B. die Ode auf den Sieg
dee Hieron mit dem Renner Pherenikos der ganzen Sammlung voran,
weil in derselben der Ursprung der olympischen Spiele besungen ist.
Weniger zu entschuldigen sind andere Verstösse, wie dass unter den
Pythioniken an 2. Stelle ein Lied steht, das sich gar nicht auf einen Sieg
an den Pythien bezieht, ^) und dass den Schluss der Nemeonikai ein Lied
bildet, welches nicht zu Ehren eines Sieges, sondern zur Installation eines
Batsherm in Tenedos gedichtet war. Diese Mängel der Redaktion zeigen
ZOT Genüge, dass dieselbe nicht auf den Dichter selbst, sondern auf
einen spateren, sei es attischen, sei es alexandrinischen Herausgeber zu-
rückzufahren ist.
130. Bestimmt waren die Epinikien wie alle Gedichte Pindars zum
Vortrag durch Chöre, welche Vortragsweise sich in jener Zeit wegen
ihres äusseren Glanzes einer weit grösseren Beliebtheit als der Vortrag
durch einzelne Sänger erfreute.*) Die Chöre {xoQoi oder xwfioi)^) waren
ans Altersgenossen und Freunden des Siegers zusammengesetzt^) und
wurden durch den Dichter selbst oder einen eigenen Chormeister ein-
geöbt.^) Dabei ist aber auffallend, dass die Gedanken ganz aus der
Person des Dichters gesprochen sind, und zwar zuweilen so, dass sie per-
sönliche Beziehungen berühren, die sich im Munde anderer schlecht ausnehmen,
wie wenn der Dichter Is. 7, 41 des eigenen Alters gedenkt, mit dem doch
das der Choreuten nicht übereinzustimmen brauchte, oder 0. 1, 17 sein
ganz persönliches Verhältnis zum König Hieron berührt. <^) Daraus sieht
man, dass der Chor in der Lyrik früher als in dem Drama seine ursprüng-
liche Bedeutung verloren hatte und schon zur Zeit Pindars ähnlich wie
bei uns zur Rolle einer den Dichter vertretenden Sängerschar herab-
gesunken war.'') Damit stimmt es auch, dass Strophe und Antistrophe
^) Dieser Fehler scheint auf Apollonlns
den Eidographen zarackzagehen, da dieser
nach deo Schollen die Ode zu den pythischen
rtellte, während sie Kallimachos mit nicht
?iel mehr Recht den nemeischen zugesellte.
*) In den auf die Vita A folgenden
Jno<f$eyfi€€ja TIiy&ttQov wird dieser Vortrag
der Gedichte Pindars durch Chöre mit einem
UD?erm8gen des Dichters in Verbindung ge-
wicht: igtottjOeig ndXiy vno xivo^^ &uc ri
f^ii yQtifpmy ^de^y ovx iniararaiy siney xai
Y*p ol yavTftjyol yitjdnXia XfCTaaxevciCoyreg
xrßegray ovx iniatayTM, wozu die Scholien
m 0. 6, 148 stimmen: /o^ocficfaaxn'X^ o
nirdoQOf dca t6 avioy ürx^oqxoyoy etyai xai
fij iiyof^tt^ ir ffljj dfjfAonito 6C iavtov xara-
Uyfir T«< z^^^^' i^*8 w*^ 'Wohl alles nur
Gnnunatikerwitz.
') /opoV bedeutete ursprflnglich den
ClMr, insofern er tanzt, xtSfiog, insofern er
KB Gelage liegt oder einen heiteren Umzug
^t Der letztere Ausdruck und das davon
■geleitete Verbum xiofiaCeiy ist dem Pindar
in geliofigsten. Auch durch noXv^fntoc vfiyoq
*t 0. 1, 8, N. 7, 81 das von einem Chor
gesungene Lied bezeichnet.
*) In Nem. 3, 4 werden sie mit rtx-
toye^ xaifAojy yettyiai, Nem. 2, 24 mit noXhat
angeredet.
*) Als Chormeister ist 0. 6, 88 ein ge-
wisser Aineias genannt.
•) Vgl. Nem. 1, 19 u. 6, 64; auch die
vertrauten Anreden und besonders die mah-
nenden Zurechtweisungen gegenüber Königen
mussten im Munde von Choreuten sich schlecht
ausnehmen. Von Pindars Poesien überhaupt
gilt daher, was Piaton Rep. III p. 394c
speziell vom Dithyrambus aussagt: i^ ^i
(sc. noiijais) cfi' dnayyeXlttg avrov tov notf}toVy
evQOig (T avtrjy fAtiXiard nov iv dif^tfQdfÄßoi<:.
^) Ausdrücklich spricht dieses der Dichter
P. 10, 15 aus, wo er vom Chor sagt: 'FstpvQaitüv
on^ dfiifi Jltjye'ioy yXvxetay nQü^^oyttay i/udy.
Aus dem Schluss von N. 2 dSvfAeXd 6'
i^dQx^re q>tay^ könnte man vermuten, dass
das vorausgegangene Lied nur die Einleitung
(ngoolfiioy) bildete, dem das eigentliche, vom
Chor gesungene Festlied erst nachfolgte.
Aber gegen diese Annahme sprechen die
zahlreichen Stellen anderer Epinikien, die
176
Grieohiache Litteratargesohlolite. I. Slassisohe Periode.
sich bei Pindar durch den Sinn weit weniger von einander abheben als
bei den attischen Dramatikern, dass also auch hier die Teilung des Chors
in Halbchöre ihre tiefere Bedeutung eingebüsst hatte. — Das Siegeslied
wurde natürlich bestellt, von dem Sieger oder dessen Freunden. Der
Dichter erhielt dafür ein Honorar und erlaubte sich ohne Ziererei bezüg-
lich der Höhe desselben an die Freigebigkeit des Bestellers zu appellieren.^)
Man scheint darin nichts gefunden zu haben, was gegen die Dichterwürde
Verstösse : Pindar vergleicht sein Preislied der Ehrenstatue (N. 5, X. 6, 81)
und findet es daher selbstverständlich, dass er auch in der Entlohnung
seiner Kunst hinter dem Bildhauer nicht zurückstehe.*) Wir, die wir,
Gott sei Dank, noch durch unsers Dichters Worte „das Lied, das aus der
Kehle dringt, ist Lohn, der reichlich lohnef" verwöhnt sind, nehmen an
jenen Äusserungen der Gewinnsucht mehr wie billig Anstoss.
Gelegenheit zum Festgesang bot zunächst der Jubel, mit dem auf
dem Festplatz selbst die Freunde den Sieg ihres Genossen aufnahmen.
Aber so rasch war das Lied nicht zur Hand ; daher beschränkt man sich
bei der ersten Begrüssung in der Regel auf den alten archilochischen
Zuruf Tf]i€XXa xaXXiuxf,^) unter dem man den Sieger im festlichen Zuge
zum Altar des Gottes geleitete.*) Das eigentliche, speziell für den be-
treffenden Sieg gedichtete Preislied ward erst bei dem feierlichen Einzug
in die Heimatstadt gesungen. Denn der Sieg eines Mitbürgers, namentlich
bei den grossen, sogenannten heiligen Spielen ^) galt als eine Ehre für die
ganze Stadt, an deren Feier sich daher auch die ganze Bürgerschaft be-
teiligte^) und bei der es auch der Sieger nicht an gastlicher Bewirtung
und freigebigen Spenden fehlen Hess. 7) Man holte teils den Sieger im
festlichen Zuge ab und geleitete ihn wie im Triumphe «) zur heiligen
nur vom Hauptlied gelten können. Eher ist '
mir glaublich, dass einzelne, besonders per- 1
BÖnlich gehaltene Strophen, wie P. 1, 81 - 100
und Is. 2, 43—48, nur dem Sieger vom Dichter
überreicht, nicht auch vom Chor gesungen
wurden. Einige Oden haben sogar die Form
von Briefen, wie P. 2, Is. 2, sind aber gleich-
wohl nach des Dichters eigener Angabe zum
Vortrag durch Chorgesang bestimmt.
') P. 1,90; Is. 2, 6ff.
^) Von einem Honorar von 3000 Drach-
men erzählt der Scholiast zu N. 5, 1.
») Vgl. 0. 9, 1 und Erklärer z. St.
*) Eine Ausnahme macht 0. 8, wel-
ches Lied für einen Aufzug in Olympia be-
stimmt war, da damals die kriegerischen Zu-
stände von Aegina einen festlichen Einzug
in der Heimat nicht gestatteten. Das Gleiche
gilt für P. 6; auch für 0. 4 hat es Böckh
angenommen.
*) Heilige Spiele waren: 1) in Olympia
zu Ehren des Zeus, seit Ol. 1 alle 4 Jahre
im August { 1 1. — 16. Metageitnion) im 1. Olym-
piadenjahr, 2) in Delphi zu Ehren des Apoll
im August alle 4 Jahre seit Ol. 48, 3 (nach
Bergk seit Ol. 49, 3) im 3. Olympiadenjahr,
3) in Nemea zu Ehren des nemeischen Zeus
seit Ol. 51, 2 alle 2 Jahre im Juli des 2.
und 4. Olympiadenjahres (s. ünobr, Phil. 34,
50 ff. und 37, 524 ff.; dagegen Dboysek,
Herm. 14, 1 ff.), 4) auf dem Isthmus zu Ehren
des Poseidon alle 2 Jahre im April des 2.
und 4. Olympiadenjahres (s. üsobr, PhiL
37, 1 ff. und Cbrist, Stzb. d. b. Ak. 1889,
S. 24 ff.^. Ausserdem gab es eine Masse
von Lokalspielen, an denen sich aber auch
Nichteingeborene beteiligen durften, wie die
Panathenäen in Athen, die Herakleia oder
lolaia in Theben, die Aiakeia in Aegina etc.
Eine Zusammenstellung sämtlicher Spiele
habe ich in den Proleg. meiner Ausübe
p. LXXXVI SS. gegeben.
*) Dies bezeugt schon Xenophanes, der
in der Elegie bei Ath. 413 gegen diese
Auszeichnung der körperlichen Ueberlegen*
heit eifert.
'') Der gastlichen Bewirtung der Sfinger
mit Speise und Trank ist gedacht in den
Siegesliedem zu Ehren des syrakusanischen
Feldherm Chromios N. 1, 22 u. 9, 51.
^) Nicht bloss klingt das lateinische
triumphus = Sgiafifiog an den dreifachen
Kallinikos in Olympia an, sondern gleicht
auch die Weise, wie z. B. Chromios aas
Syrakus zu Wagen seinen Einzug h< (N.
9, 4), ganz einem rOmischen Triumphza^.
B. Lyrik. 7, Pindar. (§181.) 177
e, wo er den Siegeskranz am Altare der Gottheit niederlegte, teils
zog man am Abend zum Hause des Siegers und brachte ihm ein Ständ-
chen, i) teils endlich feierte man denselben beim Festmahle im königlichen
Palaste. Bei einer dieser Gelegenheiten also ward das Siegeslied ge-
sungen, unter Begleitung musikalischer Instrumente, bald der Lyra oder
Flöte allein, bald der Ljrra und Flöte zusammen.*) Auch der dritte im
Bond fehlte nicht, der Tanz oder Aufzug. Den letzteren nennt Pindar
P. 1, 2 den Anfang der Festfeier (ßdaig dyXatag aQxd), weil der Chor in der
Kegel zuerst schweigend in gemessenem Schritt in den Saal einzog und
erst angesichts des gefeierten Siegers zu den Klängen der Phorminx den
Gesang anhob. Der Tanz und Schritt fiel selbstverständlich weg, wenn
kein Aufzug stattfand und der Chor nur ein einfaches Ständchen dar-
brachte oder beim Gelage den Gesang anstinmite.^)
131. Metrische Form. Für jedes Lied dichtete Pindar, offenbar
nach stehendem Brauch, eine neue Melodie und somit auch neue metrische
Formen. Davon gibt es nur eine Ausnahme, indem die 3. und 4. isth-
mische Ode das gleiche Versmass gemein haben; aber das hat seinen
Grund in den besonderen Verhältnissen jener beiden Gedichte, indem
Pindar das erste, wenn es überhaupt von ihm herrührt, als Ergänzung
nachträglich hinzufügte, nachdem der Gefeierte inzwischen zu dem isth-
mischen Sieg auch noch einen nemeischen errungen hatte. Im übrigen
sind die Unterschiede in Versmass und Ton zwischen den einzelnen Epi-
nikien sehr gross. Das hängt zumeist mit der Verschiedenheit der Tonart
zusammen, in welcher die Melodien der einzelnen Oden gesetzt waren.
Leider können wir über diese musikalische Seite der pindarischen Muse,
die zu ihrer Beliebtheit am meisten beitrug,*) nicht mehr klar urteilen,
da uns mit den blossen Andeutungen des dorischen Fusses (0. 3, 5), der
äolifichen Saiten (0. 1, 102, P. 2, 69), der lydischen Weise (0. 5, 19. 14,
17, N. 4, 45. 8, 15) nicht viel geholfen ist, und die wenigen Melodienreste
zu P. 1, welche im 17. Jahrhundert der Jesuit Kircher aus einem angeb-
lichen Codex der St. Salvatorbibliothek Messina's publiziert hat, unecht
sind.*) — Wichtiger und sicherer erkennbar sind die in der metrischen
Form ausgeprägten Anzeichen des Charakters der einzelnen Oden. Danach
') Is. 8, 3 : TsXeaaQxov nagd nqo-
9v^ kir drtysi^ätto xdi/Aoy. Vgl. Bacchyl.
6, 14.
*) Ljra erwähnt P. 1, 1, Flöte 0. 5, 19,
Ijn and Flöt« 0. 3, 8; 11, 93, N. 3, 12
tt. 79; 9, 8; vergl. Böckh, Pindar I 2, 258
imd Graf, De Graecorom vetenun re musica,
Mtfb. 1889.
') Das Stehen ist ausdrücklich henror-
^dioben P. 4, 1: adfASQoy fiiy XQV ^^ ^^Q*
ertfpc fpiha atdfASy, so dass man hier ge-
ndeza an einen rhapsodischen Vortrag denken
adehie, zndem das Gedicht schier den Um-
&Bg einer homerischen Rhapsodie hat. In
Beioer Ausgabe habe ich im einzelnen nach-
ntweisen gesacht, ob ein Lied beim Marsch
<^er im Stehen gesungen worden sei. Zum
Marsch eigneten sich am besten diejenigen
Lieder, welche aus lauter gleichen Strophen,
ohne Epode bestehen, wie P. 12, N. 2. 4. 9,
0. 14, k 8.
*) Sehr günstig urteilt über Pindars
Melodien Aristoxenos bei Plut. de mus. 20
und 31.
^) üeber die Frage der Echtheit näheres
bei Wbstphal, Metr. d. Gr. il» 622 ff.
Wenn ich mich entschieden gegen die Echt-
heit ausspreche, so stütze ich mich dabei
auf die Wahrnehmung meines ehemaligen
Schülers Röckl, dass die Melodienschlüsse
mit der falschen Versteilung der Ueber-
lieferung, nicht mit den echten, von Böckh
wieder hergestellten Versen in Einklang
stehen.
flaadbneh der kla«. AltortanMwlaMDMban. YJl, 8. Aufl. 12
178
Griechiflch« LitteratnrgMohicht«. I. SImsIbcIi« Periode.
liebte Pindar zumeist die von Stesichoros ausgebildete, der Würde des
Chorgesangs bestens entsprechende Form der Daktylo-Epitriten, jedoch
so, dass er bei besonders festlichen Gelegenheiten, wie bei der pytÜschen
Siegesfeier des Königs Hieron P. 1, durch neue Variationen und wechsel-
reichere Formen mehr Klang in die alte Form brachte. Die Daktylo-
Epitriten bilden insbesondere das herrschende Yersmass in den Oden von er-
zählendem Charakter und in den flir dorische Staaten bestimmten Sieges-
liedern. Eine zweite Art der metrischen Komposition ist die päonische, die
Pindar am schönsten in dem herrlichen Siegeslied auf Theron 0. 2 zum Aus-
druck brachte, aber auch mehreren andern Epinikien, wie 0. 10, P. 5 zu gründe
legte. Die Päonen stammten aus den in Kreta ausgebildeten Gesängen
an den Heilgott Apoll, wie denn auch der 5. pythische Siegesgesang zum
Vortrag an einem Apollofest bestimmt war, und eigneten sich durch den
Charakter der Rhythmen, der Päonen und Choriamben, am meisten für
einen tanzenden Chor. Die übrigen Gedichte Pindars sind im äolischen
Yersmass mit logaödischem oder glykoneischem Grundton gedichtet. Aber
auch hier begnügte sich der thebanische Dichter nicht damit, die Weisen
seiner Vorgänger einfach zu kopieren, sondern schuf durch mannigfache
Kombinationen dipodischer, tetrapodischer, tripodischer Grundelemente
und durch Verbindung einfacher Verse mit langen aus drei und mehr
Gliedern bestehenden Perioden einen ausserordentlichen Reichtum von
Vers- und Strophenformen, deren Rückführung auf gleiche Takte uns frei-
lich nur zu viele, schwer zu lösende Rätsel aufgibt. Die äolischen Lieder
entbehrten von Hause aus der Epode, und sie fehlt in mehreren äolischen
Gesängen, wie P. 6, N. 2. 4, I. 8, 0. 14. Aber auch in einigen daktylo-
epitritischen Gedichten, nämlich P. 12 und N. 9, hat Pindar die Epode
fallen gelassen, weshalb für alle diese Gedichte der Grund der epoden-
losen Form in dem gleichen Charakter des Einzugsliedes zu suchen
ist, da sich in demselben die Gegensätze der Strophe, Antistrophe und
Epode doch nicht zum Ausdruck bringen liessen. Dagegen hat sich Pindar
bemüht in den epodischen Gesängen, namentlich in denen seiner späteren
Lebenszeit, Strophe, Antistrophe und Epode zu einer abgeschlossenen £in-
heit des Inhalts zusammenzufassen.^)
132. Anlage des Siegesliedes. ^) Bezüglich der Anlage der Siegen-
lieder hat in unserer Zeit Westphal, Proleg. zu Aeschylos S. 69 die These
aufgestellt, dass Pindar genau der Gliederung des terpandrischen Nomos
gefolgt sei, und hat mit diesem Gedanken bei vielen Erklärern Anklang
gefunden. 3) Die Teile des terpandrischen Nomos aber waren oqx^j
fA€raQX(Xy xaraTQOTidy ixetaxcczaxQond, dfAffaXog^ Cffqayig^ iniXoyog. Diese
*) So besonders in 0. 7. 8. 13, N. 10. 11.
') A. Cboisbt, La po^sie de Pindare et
les lois du lyrisme grec, Paris 1881, ed.
nouv. 1886.
*) M. Schmidt, Pindars olymp. Sieges-
gesänge, Jena 1869; Mezgeb, Pindars Sieges-
lieder, Leipzig 1880; Lübbebt, De priscae
cuiusdam epiniciorom formae apud Pindamm
vestigiis (1885), De poesis Pindaricae in archa
et sphragide componendis arte (1885/6), De
Pindari stadüs Terpandreis (1886), De Pindari
carminum compositione et nomonim historia
illustranda (1887). Dagegen sprachen sich
aus BuLLB in der gehaltvollen Rezension
von Mezger's Buch in Phil. Rundschau 1881
n. 1, HiLLBB im Herrn. 21, 857 ff. Weii«%
Litteratur in Jahresher. d. Alt XIII 1, 59 iL,
Cbusius, Ueber die Nomosfrage, YhdL d'
39. Vers. d. Phü. 258—276.
B.Ljrik. rPindar. (§132.)
179
lassen sich bei Pindar in der bezeichneten Reihenfolge sicher nicht wieder-
finden, man muss zum mindesten iievaxaxaxQond nach ofitpaXog umstellen.
Aber auch für die Scheidung des smXoyog von der (ffpQayig findet sich
kaum ein sicheres Beispiel, und nur in wenigen Fällen, wie 0. 13, P.
8, N. 4, ist der Eingang in 2 Teile {o^qx^ oder nQoxmfitov und (AsraQxä)
dentlich gegliedert. Endlich, und das ist von ausschlaggebender Be-
deutung, fallen die versuchten Siebenteilungen nicht, wie man doch er-
warten sollte, mit dem Schluss der Strophen .zusammen.^) Demnach kann
von einer strikten Befolgung der Ordnung des terpandrischen Nomos durch
Pindar nicht die Kede sein ; man kann höchstens sagen, dass sich derselbe
Ton der Gliederung der älteren Nomenpoesie beeinflussen liess und dass
er es liebte einer bestimmten, ihm schon von seinen Vorgängern vor-
gezeichneten Satzung zu folgen.^) Diese aber bestand wesentlich darin,
dass den Nabel des Siegesliedes ein Mythus einnahm, dass das Lied durch
den Hinweis auf den Anlass, den gewonnenen Sieg, eingeleitet wurde,
und dass dasselbe in seinem Schluss wieder auf die errungenen Ehren des
Siegers und seines Geschlechtes zurückkam. Von selbst ergab sich dann
die weitere Notwendigkeit, durch irgend einen Übergang in den Mythus
einzulenken {xaxaTQond) und am Schlüsse desselben wieder auf den Sieger
zurückzaleiten [fieraxaTargona). Das ist die regelrechte Anlage eines
Siegesgesaugs, die Pindar in den älteren, und auch noch in einzelnen
späteren Gedichten, wie 0. 8, befolgte, an die er sich aber als echter
Dichter nicht sklavisch gebunden hielt, über die er sich vielmehr gerade
in den grossartigsten Siegesgesängen, wie 0. 2, P. 1 und 2, mit genialer
Freiheit wegsetzte, b) Eine Hauptsache beim Siegeslied also war der
Mythus, der den Omphalos desselben zu bilden bestimmt war.^) Denselben
enbiahni der Dichter in den meisten Fällen der Heroengeschichte des
Landes, so dass von den zahlreichen Oden auf äginetische Sieger keine
des Preises der Aeakiden entbehrt. Er schmeichelte damit dem Lokal-
patriotismas der Griechen und ihrem Stolz auf die Ruhmesthaten der Ver-
gangenheit, der um so grösser war, je unerfreulicher und ruhmloser sich
bei den meisten derselben die Gegenwart gestaltet hatte; er knüpfte damit
aber auch an die Festgelegenheit an, da die Epinikien gewöhnlich an
einem Feiertag, sei es der Patronin der Stadt, sei es des Stammheros,
aufgeführt zu werden pflegten. In anderen Liedern ging der Dichter auf
den Ursprung der Spiele, oder die Art des Wettkampfes zurück, wie er in
0. 1. 3. 10 die Gründung der olympischen Spiele durch Herakles und ihr
') Eine einzige Ausnahme macht viel-
leicht 0. 13, wo «p/a 3, fzsraQxä 3,
tmai^ona and ofztpaXos 6, fieraxarargond
and hiXoyog 3 Strophen umfassen können.
•) Von einem xB^fiog spricht Pindar N.
i33, Ib. 6, 19. Ab Vorgänger erwfihnt
VBser Dichter, von Archilochos (0. 9, 1) ab-
stehen, die Aegineten Timokritos (N. 4, 13)
md Eaphanes (N. 4, 89).
') An dem fttr Theron gedichteten Trost-
E^ttng 0. 2 kann man zumeist erkennen,
^ Pindar, aach wenn er sich von dem
SevohnUchen Schema entfernte, die höhere
L
Aufgabe der Komposition zu wahren ver-
stand. Denn die verschiedenen Mythen der
Ode werden zusammengehalten durch den
einen Grundgedanken, dass den Guten bei
allem Schicksalswandel doch schliesslich ihr
Lohn wird, sei es hienieden, sei es jenseits
im Elysium.
^) Beachtenswert ist, dass das unechte
Siegeslied auf Psaumis, 0. 5, eines Mythus
entbehrt; derselbe fehlt aber auch in den
kleinen Siegesliedem 0. 11 u. 12 u. a. An
den Schluss des Liedes ist der Mythus ge-
legt in N. 1 u. 10.
12*
180 Griechische Litteraturgeschichte. L KlassiBche Periode.
Vorspiel unter Pelops besingt und in P. 12 die Erfindung des Flöten-
spieles durch Athene verherrlicht. Wieder in anderen Oden wird der Mythus
den persönlichen Beziehungen des Siegers entnommen, oder ersetzt durch
den Preis geschichtlicher Ruhmesthaten. Das letzte ist besonders da der
Fall, wo, wie bei Hieron, Theron, Ghromios, das Land oder das Geschlecht
des Siegers des mythologischen Hintergrundes entbehrte und die Persön-
lichkeit des Siegers selbst Stoff genug zu würdiger Siegesfeier bot. Dabei
zeigte Pindar überall eine ausserordentliche Vertrautheit mit den alten
Überlieferungen des Landes, ^) zugleich aber auch einen wunderbar feinen
Takt in der Verknüpfung des Mythus mit der Person des Siegers, den
wieder herauszufinden die Erklärer mit Recht als eine ihrer Hauptaufgaben
betrachten.^) Der Mythus und der erzählende Teil bilden in der Regel auch
den Glanzpunkt der pindarischen Siegeslieder ; doch gelingt es dem Dichter
nur da den Leser durch anziehende Schilderung zu fesseln, wo er sich in
der breiten Vorführung eines Mythus ruhig gehen lässt, wie einzig in der
liebeswarmen Erzählung von dem schweren Geschick der schönen Eoronis
(P. 3) und der Liebe Apollos zur kühnen Jägerin Kyrene (P. 9), oder
in der mit epischer Breite erzählten Sage vom Argonautenzug (P. 4).
Vielfach aber bleibt derselbe bei einem Mythus nicht stehen, sondern geht,
um den ganzen Glanz der mythischen Vergangenheit einer Stadt zu ent-
falten, von einem Mythus auf den andern über, ohne uns irgendwo warm
werden zu lassen. In Liedern der Art, wie z. B. in dem Siegeslied auf
den Korinther Xenophon 0. 13, hat er offenbar der Eitelkeit der be-
treffenden Stadt zu lieb den Forderungen der dichterischen Kunst etwas
vergeben, noch mehr aber in denjenigen Partien einzelner Oden, in denen
er alle Siege des Gefeierten und oft nicht bloss diese allein, sondern auch
die seines Turnlehrers und seiner Geschlechtsgenossen aufzählt. Der Dichter
ist damit offenbar nur den Zudringlichkeiten seiner Auftraggeber nach-
gekommen; uns aber, denen derartige persönliche Beziehungen ferne liegen,
lassen die langen Aufzählungen der 18 Siege des Rhodiers Diagoras (O. 7,
80 — 90) und die Siegesehren dreier Generationen des äginetischen Siegers
Alkimidas (N. 6, 9—28. 65—75) äusserst kalt.
133. Gedankenrichtung. Mehr als durch die Kunst der Anordnung
und die Wahl des Stoffes verdient Pindar unsere Bewunderung durch die
Tiefe der Gedanken, die Hoheit der Sprache und die Majestät der Rhyth-
men. Alles ist bei ihm gross und erhaben; selbst wo er, wie in der
14. olympischen Ode, die Huld der Charitinnen preist, verschmäht er kleine
tändelnde Weisen. Von stolzem Selbstgefühl auf sein angeborenes Genie
durchdrungen, vergleicht er sich dem hochfliegenden Aar, der geringschätzig
von seiner Höhe auf die mühsam erlernte Kunst kreischender Raben
herabschaut. 5) Den Garten der Musen pflegte er nicht bloss mit aus-
^) Aristidea or. Aegypt. p. 860 Jebb: | ') Böckh and seine Ankänger haben in
Jllvdtt^og jnäXici^ dXfi&eiag aVr^/fa^ftt ^oubI der Aufspürong eines Zusammenhangs manch-
jtßv noirjtüiy ne^l rtig iojoQiag, Die Kenntnis mal des Guten zu viel gethan, wogegen sich
der Mythen schöpfte er hauptsächlich aus energisch erklärt Drachxann, Moderne Pin-
Hesiod und den Kyklikem, wozu die Nach-
weise bei LüBBBBT, De Pindari studüs He-
siodeis et Homerids, Bonn 1882.
dar fortolkning, Kopenhagen 1891.
») N. 3, 80; vgl. 0. 2, 96, N. 5, 21, und
besonders den Schluss von 0. 1 : etfj fie zwr^
B. Lyrik. 7. Pindar. (§§138-134.)
181
nehmender Kunst, er weiss auch ihre Gaben, die allein der Tugend Un-
sterblichkeit verleihen, in allen Tonarten zu preisen ;i) wie Homer betrachtet
er sich als den Diener der Musen und nennt sich daher Fr. 90 Uiegtimv
nQoq^drav, Geradeaus in seinen Anschauungen wagt er auch den Hohen
der Erde gegenüber ein freies, mahnendes Wort,*) und weit entfernt von
kraftloser Gutmütigkeit tritt er mit energischem Zorn seinen Feinden ent-
gegen.*) Ein heiliger Sänger voll tiefer Religiosität hat er herrlich wie
kein zweiter die Hoheit des Zeus und die Macht der lichten Gottheiten
gegenüber den Dämonen der Finsternis besungen.^) Mit frommem Sinn
hielt er fest an dem Glauben der Väter, erlaubte sich aber doch auch
Mythen, die gegen seine Anschauung von dem hehren Wesen der Götter
verstiessen, in seiner Weise umzudeuten und umzugestalten. Wenn z. B.
die Überlieferung bei Hesiod erzählte, ein Rabe habe dem Apoll Kunde
von der Untreue seiner geliebten Koronis gebracht, so sträubte sich gegen
die Niedrigkeit dieses Zwischenträgers sein reineres Gottesbewusstsein, und
liess er deshalb den Apoll selbst mit seinem allessehenden Geiste die treu-
lose That erspähen.^) Freilich litt unter diesen Umgestaltungen die klare
Sinnlichkeit der althellenischen Götterwelt, was auch darin hervortritt, dass
Pindar zu den alten, lebensvollen Göttern schon abstrakte Gestalten, wie
Theia, Ghronos, Hesychia, Alatheia, in den Oljrmp einführt. Darin zeigt
sich eben der Einfluss, welchen die Lehren der Weisen, namentlich der
Pythagoreer und Orphiker auf die Anschauungen unseres Dichters geübt
hatten; ein Freund der Geheimlehre der Mysterien preist er Fr. 137 den
glücklich, der in sie eingeweiht unter die Erde geht, denn der kennt des
Lebens Ende und den von Gott gesetzten Anfang. Er war eben durch
und durch ein ethischer, religiöser Dichter, der vor allem den sittlichen
Gehalt des alten Mythus betonte und denselben mit der jüngeren Lehre
von der Unsterblichkeit der Seele und der Belohnung der Guten nach dem
Tode vermählte.^) Die eigentlichen Perlen seiner Dichtkunst sind daher
auch seine sittlichen und politischen Kemsprüche, wie die berühmten
voiAog 6 navtünv ßccaiXsvq, ßdd-QOV noXicov aatpaXhq J/xa, %d naqd dixav
yXvxv mxQOTccTa fie'vei rekevra, avv d' äväyxtf nccv xaXoVy dq^d fjLsyäXag
aQerSig dXd&eia^ eg ndvxa vofxov ei&vyXoaaüog dvr^q TtQOifäqsi,.
134. Sprache Pindars. Mit dem Ernst und der Tiefe der Ge-
danken harmoniert bei Pindar der sprachliche Ausdruck. Im Reichtum
und in der Grossartigkeit der Bilder sucht er seinesgleichen, aber er
ad^B vtxatpoQoig ofiiXety nQOfpaytov aoq>i€^
xtt&* "EXkayaf iovra navx^. Die Scholiasten
deuteten die Raben auf Simonides und Bak-
divlides, die Hauptariyalen Pindars. Mit Be-
scheidenheit rfllimt sich dagegen Bakchylides
fr. 14 nur der yon andern gelernten Knnst.
Pindars Ueberhebnng fand selbst bei seinem
Bewunderer Plutarch Mor. 539 c Tadel.
*) O. 9, 27 : i^aigsToy Xaglttov vBfAOfxai
xanoy. P. 3, 114: « <r a^std xXsivaTg aoi-
dttTg xe^'^i» teX^^ei. Vgl. 0. 10, 95, N. 4, 6,
Ib. 3, 58.
>) Seinen ev&vyXatcaos dvrji^ nennt er sich
selbst P. 2, 86; sein Freimut zeigt sich be-
sonders gegen Hieron in P. 2 und gegen
Arkesilaos in P. 4, 263 ff.
») P. 2, 84: notl ^ ^/,9^oV «t' ix^'^QOi
iiov Xvxoio dixay vno&evao/uai. Vgl. Is. 3, 66.
^) Einzig schön im Eingang yon P. 1
und in P. 2, 49 ff. u. 89 ff.
^) P. 3, 27; ähnlich ist der Tantalos-
mythus umgestaltet 0. 1, 31 ff., und die Sage
von der Erbauung des Mauerkranzes von
Troja in 0. 8.
0) 0. 2, 62 ff. und die Fragmente aus
den Threnoi; merkwürdig ist der Satz fr. 108
yon der Seele: Cf»>6y hi Xdn$xat akSrog
et&üfXoy,
182
Qrieohiaohe LitteratnrgeBohichte. I. KlasBiaohe Periode.
deutet den Vergleich nur an, verweilt nicht wie der ionische Epiker be-
haglich in der Ausmalung des Bildes. Nicht gewohnt, ausgetretene Wege
zu gehen, bereichert er die Sprache mit neuen, kühnen Metaphern und
Bildern. Die Vergleiche der Schöpfungen der Poesie mit den Werken
der bildenden Kunst hat er in die Litteratur eingeführt,^) und wahrlich
grossartig ist die Zusammenstellung des Proömi^ims mit dem Säulenportal
des Saales (0. 6, 1) oder die Entgegensetzung der auf derselben Basis
beharrenden Statue und des gleich einem Schiff in die weite Welt hinaus-
dringenden Liedes (N. 5, 1). Wie in dem Strome Welle auf Welle sich
drängt, so erzeugte in seinem reichen Geiste ein Gedanke den andern,')
ohne dass er sich immer die Mühe nahm, den einen sorgfältig zum anderen
hinüberzuleiten. ^) Dadurch entstanden die unvermittelten Übergänge, be-
kannt unter dem Namen der lyrischen Sprünge,^) und die rauhen Fugen,
welche das Verständnis des oft rätselhaften Ausdrucks erschweren^) und'
dem späteren, an Glätte und Weichheit gewöhnten Publikum die Lektüre
des Dichters verleideten.^) Auch im Metrum strebte Pindar das Er-
habene und Grossartige an; das tritt besonders in dem wuchtigen Bau
seiner gravitätisch sich auftürmenden Daktylo-Epitriten hervor, ist aber
erst in unserer Zeit, nachdem Böckh die langen Verse wieder hergestellt
hat, in vollem Umfange erkannt worden. Die Eleganz und das Ebenmass
der Verse und Kola ist freilich dabei zu kurz gekommen, ist wenig-
stens aus unseren heutigen Texten nicht mehr erkenntlich. '') In der Er-
habenheit der Gedanken und der Grandezza des Ausdrucks repräsentiert
Pindar zusammen mit Aischylos die ältere Generation der gestrengen An-
hänger der alten Sitte und die altertümliche Richtung des getragenen, an
^) Ueber die Beziehungen Pindars zu den
Kunstwerken seiner Zeit handelt Jebb, Jour-
nal of hellenic studies III (1882) 174 ff.
*) Daher der schOne Vergleich mit dem
Strome bei Horaz Od. IV 2, 5 : monte decur-
rens velut amnis, imhrea quem super notas
aluere ripaSf fervet immensusque ruit pro-
fundo Pindarua ore. Vortrefflich sind auch
die wenigen Striche bei Quintilian X 1, 61 :
Pindarua princeps spiritus magnificentiaj
sentetUiis, figurUt, beatiasima verum ver-
horumque copia et velut quodam eloquentiae
flumine.
') An welch schwachem Faden oft der
Dichter einen Gedanken zum andern hinüber-
leitet, dafQr liefert ein belehrendes Beispiel
die Stelle P. 4, 262, wo der Preis der Klug-
heit der Battiaden og^ßovXoy fjLtjxiv i(psv-
QOftivtjv genügt, um denselben ein Rätsel
aufzugeben: yptodi. vvv xtiy Oldino&a aotplav,
^) Mancher dieser Sprünge verdient frei-
lich kein Lob, indem eine Sentenz oder eine
mythologiBche Bemerkung halb mit den
Haaren herangezogen ist P. 4, 45; N. 1, 53;
3,75; 10,78; 1,63.
^) Pmdar selbst deutet diese dunkle
Weisheit an 0. 2, 93: ßiXrj Moy iyji (pa-
QixQag (ptovdevra cvystoiüiy, ig Sk to nay
*) Ath. p. 3a: td JJiyddgov 6 xtofnodio-
noios EvnoXig g>tjaiy rjdri xaraaeaiyttfiäva
vno r^g tuiy noXXioy dtpiJioxaXlag, Dionys.
de comp. 22 p. 308 Seh. von einem pindaji-
schen Dithyrambus: rav&^ oxi fjify iarty
iax^9^ ^^'^ oxißaQa xal d(i(ofiaxixd xal noXv
x6 ttvaxijQoy ix^i T^a/vV« xs dXvTKog, xal
nixQaivu xdq dxodg fxexQitag, dyttßfßXrjxai xe
xoTg XQoyoig xai diaßißrjxsv ini xo noXv xaTg
aQfjLoyiaig xal ovxe &€axQixdy dij xovxo xal
yXagfVQoy inideixyvxat xdXXog, dXXa x6 ao-
Xa'Cxoy ixetyo xal x6 avaxriQoVy anayxeg ay
oid* oxi fÄaQXVQijaetay. Indessen hat der
Zeitgenosse des Dionysios, der Dichter Ho-
ratius, noch fleissig seinen Pindar gelesen
und sich insbesondere in der Anlage des
Preisliedes auf August^ I 12 an 0. 2, und
in dem Vergleich der politischen Gregner des
Kaisers mit den unholden Titanen in'4 an
P. 8 angelehnt.
') Versuche, eine grössere Harmonie und
Symmetrie in unseren Strophenschemen her-
zustellen, machten besonders H. Schmidt, Die
Eurhythmie in den Ghorgesängen der Grie-
chen, Bd. I, M. Schmidt in seiner Ausgabe
der olympischen Siegesgesftnge (1869), und
üeber den Bau der pindarischen Strophen,
Leipz. 1882. Das Rechte ist noch nicht
gefrmden.
B. Lyrik. 7. Pindar. (§134.)
183
das Herbe anstreifenden Stils. Von einem intimeren Verkehr der beiden
geistesverwandten Dichter ist uns nichts überliefert; aber aus ihren Dich-
tungen lassen sich noch manche wechselseitige Beziehungen herauslesen.
Nicht bloss wetteiferten sie miteinander, wie bereits oben angedeutet, in
der Schilderung des Ausbruchs des Ätna, es klingt auch die Schilderung
von der grausen That der Elytamestra in der 11. pythischen Ode merk-
würdig an Stellen des Agamemnon an.
Auch der Dialekt Pindars steht mit dem grossartigen Charakter seiner
Poesie in Einklang. Im Gegensatz zu seiner Rivalin Eorinna hat er es
verschmäht, die lokale Mundart Böotiens zu reden ; als universeller Dichter
Griechenlands wählte er, zumal er zumeist im Auftrage dorischer Sieger
und Priester dichtete, den Eunstdialekt der chorischen Lyrik. Die dem
dorischen und äolischon Dialekt gemeinsamen Formen, namentlich das
lange a gegenüber ionisch-attischem 17, und die Pronominalformen rv, vfiiie^
vjnfiiv, cfAfuv führte er strenge durch; bei Diskrepanzen beider Dialekte
gab er dem äolischen den Vorzug, wie namentlich bei den durch Ersatz-
dehnung entstandenen Formen MoTaa, (pevyoiaa^ xaXtoiai, scheute sich aber
auch nicht, jenem äolisch-dorischen Grundton epische und selbst attische
Formen, wie Genetive auf 010^ Acc. pl. auf ovg, beizumischen^) und die
Partikeln xsv und äv nebeneinander zu gebrauchen. In den Texten unserer
Handschriften wechseln dorische und äolische Formen, und man hat daher
die Vermutung aufgestellt, dass Pindar selbst je nach Tonart und Heimat
des Bestellers kleine Variationen im Dialekt angebracht habe.^) Aber
wahrscheinlich rührt dieser Wechsel nur von der Unbeständigkeit der
attischen Herausgeber, nicht vom Dichter selbst her, da sich z. B. in
demselben Gedicht agiom und vaioiai (Is. 6, 64 u. 66),') fxsTd und Tteid
(P. 5, 47 u. 94), JsnscBg und ifjLTisTeg (P. 8, 21 u. 81) nebeneinander finden.
Überall aber klingt voll und tief wie feierlicher Ghoralgesang der Laut
der pindarischen Rede.
^) So mttssen wir wenigstens nach der
handschrifÜichen Ueberliefemng urteilen, wo-
bei aber nicht zu flbersehen ist, dass Pindar,
der noch nicht das ionisch-neoattische Al-
phabet gebrauchte, im acc. pl. sec. deol. 0£
schrieb, was ebensogut in ovs wie tog auf-
gelöst werden konnte; Übrigens endet der
acc. pl. auf ovg auch in den Versen des
Böotiers in Aristoi Ach. 874, 875, 876, 880.
Die Annahme, dass Pindar auch acc. pl. auf
OK nach böotischer Art gebrauchte (Is. 1, 24,
3, 17, N. 7, 51), steht nicht ganz fest,
wohl aber scheint er dem Vers zulieb solche
auf 0^ (0. 2, 78, N. 3, 29; 10, 62) sich ge-
stattet zu haben. Im allgemeinen urteilten
richtig die alten Grammatiker, deren Mei-
nung Eustathios in der Vita Pind. wieder-
gibt: aioXiCei d^ rd noXXäy ei xal f4ij dxQißrj
dietüiv JioUSa, *ai xard JmQicts ^^ (p^C^h
ei xai Jtjq axXfj^oHqag JtoQi^of anexetai.
Vgl. Meistbb, Griech. Dial. I 22 und Peteb,
De dialecto Pindari, Halle Diss. 1866. —
FüHBEB, Der bOotische Dialekt Pindars,
Philol. 44, 49 ff. sucht in der Weise seines
Lehrers Fick nachzuweisen, dass Pindar den
epichorischen Dialekt seiner Heimat sprach
und dass die angeblichen Dorismen Pindars
vielmehr Eigentümlichkeiten des Böotischen
seien.
') G. Hebmann, De dialecto Pind., Opusc.
I 245 ff. — In der Syntax, besonders im
Gebrauch der Modi folgt Pindar öfter noch
den Epikern im Gegensatz zu den Attikem;
s. Bbbyeb, Analecta Pindarica, Bresl. Diss.
1880; Gildbbsleeyb, Studios on Pindaric
Syntax, in American Journal of philol. t. III
und IV ; Chbist, Beiträge z. Dialekt Pindars,
Stzb. d. b. Ak. 1891 S. 25-86.
') Wahrscheinlich gebrauchte Pindar in
der 3. pers. pl. nur vor Vokalen die Endung
-oiaiy der lesbischen Dichter, sonst immer
-oj/w nach der Sprachweise der Dorier, Lokrer
und Böotier, welch letztere nur -om zu oy&i
verkehrten.
184 Grieohisohe LitieratnrgMohiohte. L Klavsische Periode.
Textesflberliefenmg and Schollen: Der in alter Schrift geschriebene Text Pindars
wurde von Attika aus im neuen ionischen Alphabet verbreitet (s. Christ, Phil. 25, 607 ff.).
In Alexandria veranstaltete, im Anschluss an den Eidographen ApoUonios, Aristophanes
eine Gesamtausgabe in 17. B. (s. oben § 128), in der die Verse oder Kola, nicht ohne grobe
Fehler, abgeteilt waren (Christ, Die metrische Ueberlieferung Pindars, Abhdl. d. b. Ak. VI
129 ff.). Aristarch konstituierte den Text, nicht immer mit Verständnis und Geschick,
und versah ihn mit kritischen Zeichen (Feine, De Aristarcho Pindari interprete, Jena 1883 ;
HoBN, De Aristarchi stud. Pind., Greifsw. 1883); ausserdem haben die Grammatiker Ealli-
stratos, Ammonios, Aristodemos, Asklepiades, Aristonikos und Chrysippos
(ob der Stoiker?) sich mit dem Dichter beschäftigt fs. BGckh, Pindar II 1 praef. IX sqq.).
Unsere alten Schollen, die eine fortlaufende Paraphrase, durchzogen von dazugehörigen Er-
klärungen enthalten (Lehrs, Die Pindarscholien, Leipzig 1873), gehen auf Di dy mos zur&ck,
der Öfters namentlich angeführt ist (vgl. Ammonios de diff. p. 70 u. M. Schmidt, Didymi fr.
p. 214 ff.); ihre Redaktion setzt Wilamowitz, Eur. Herakl. 1 185 in das 2. Jahrh. n. Chr.,
indem er den zu 0. 3, 52 erwähnten Amyntianos mit dem zur Zeit des Antoninus Pins
lebenden Historiker Amyntianos identifiziert und unter o 'AXixaQvaaaevg sc. Jtoyvatog zu
N. 9, 2 nicht den Rhetor, sondern den Verfasser der Musikgeschichte versteht; vielleicht
ist der Redaktor jener Grammatiker Palamedes, der unter den Tischgenossen des Athenaios
vorkommt und von dem Suidas ein vrtofuvrjjna eig UiydaQoy roy noirjttjv anf&hrt. — üeber
die Metra hatte Drakon von Stratonikea gehandelt; unsere metrischen Schollen, die in
Prosa und die in Versen (von Tzetzbs in Cramer An. Par. t. I), sind von geringem Wert
und beruhen auf falscher Versteilung. — Aus dem Mittelalter stammen die Schollen von
Thomas Magister, Moschopulos (bloss zu den Olympien) und Triklinios; zur letzten
Klasse gehören auch die jflngst publizierten ^/oAfa naifuiaxd (ed. Sehitblos, Athen. 1875).
Der Kommentar des Eustathios ist bis auf die Vita verloren gegangen. Die Schollen sind
den grösseren Ausgaben, wie der von Böckh, beigefügt. Neue Ausgabe von Abel, wovon
vol. 11 zu Nem. u. Isthm. erschienen, Berol. 1884, durch den Tod des Herausgebers unter-
brochen. Eine neue Bearbeitung steht von Dbachmann in Aussicht.
Handschriften: Pindar ist durch eine einzige Handschrift auf uns gekommen, da alle
erhaltenen in gleicher Weise am Schluss verstämmelt sind und mehrere Fehler miteinander
gemeinsam haben (s. Proleg. meiner Ausg.). Die erhaltenen Codd. zerfallen in alte und
interpolierte; von den alten sind die besten: A = Ambros. s. XII (davon ist der Vratislav.
eine Abschrift), der nur die Olympien enthält, mit den Schol. Ambros.; B = Vatic. sive
liber ürsini s. XI (, alle Epinikien mit den Schol. Vatic. enthaltend. Das Verhältnis der
Codd. ist klargelegt von T. Mommsen in der grossen kritischen Ausg., Berol. 1864; Nach-
träge von Abel, Zur Handschriftenkunde Pindars, Wiener Stud. IV 224 — 62; Schrordkb,
Zur Genealogie der Handschriften Pindars, Philol. 56 (1897) 78 ff.
Ausgaben und Hilfsmittel: ed. princ. ap. Aldum 1513 — ed. Eb. Sohmid, Wittenberg
1616, mit vielen guten Emendationen — ed. Hbtnb mit lat. üebersetzung und Konunentar.
Gott. 1773, neu bearbeitet von G. Hbbmann 1797. — Hauptausg. von Böckh, Berol. 1811
bis 21, 3 tomi in 4<^ mit Schollen, metrischer Erläuterung und erklärendem Kommentar
(letzterer teilweise von Dissen). — Kleinere Ausg. mit lat. Kommentar von Disskn and
ScHNEiDBwiN, Goth. (1830) 1847, 2 Bde. — Pindari carmina Prolegomenis et Commentariis
instructa ed. Chbist, Lips. 1896. — Die Konjekturalkritik glänzend gefördert, nicht ohne fiber-
triebene Kühnheit von Beeok im PLG namentlich ed. FV; eine 5. Aufl. bearbeitet von Sghborder
steht bevor. - Teztausg. von Chbist in Bibl. Teabn. 2. Aufl. 1896. — Pindars Siegealieder
erklärt von Mbzoeb, Leipz. 1880. — Pindars olymp. Siegesgesänge, griech. u. deutsch von
M. Schmidt, Jena 1869. — Pindar olymp. and pytii. Od. by. Gildersleeve 1890. — Pindars
sicilische Oden von Ed. Böhmes, Bonn 1891. — Rümpel, Lezicon Pindaricum, Lips. 1883.
— üebersetzung mit guten Einleitungen von Fb. Thiebsoh, Leipz. 1820, 2 Bde. — Le odi
di Findaro dicMarate e tradotte da Frascaroli, Verona 1894.
8. Die attischen Lyriker.
135. Die Richtung verständiger Reflexion, politischer Einsicht und
prosaischer Redegewandtheit vertrug sich zu allen Zeiten schlecht mit der
lyrischen Poesie, die am besten gedeiht in der Springflut der Leidenschaft
und im gärenden Drange widerstrebender Elemente. Von Attika und
der Zeit nach Perikles waren daher von vornherein keine Blüten der Poesie
des Herzens zu erwarten. Es nimmt sogar Wunder, dass zur Zeit der
Perserkriege überhaupt noch solche Talente wie Simonides und Pindar sich
B. Lyrik. 8. Die atÜBohen Lyriker. (§ 135.)
185
entfalten konnten. In Athen warf man sich um diese Zeit mit aller Kraft
auf die neue Gattung der tragischen Poesie; die Klänge der Lyrik hätten
wohl vollständig in Athen dem dramatischen Spiel im Theater Platz ge-
macht, wenn nicht die Liebe zur Musik sich erhalten und in ihrem Gefolge
auch der Dichtung von Texten zu den musikalischen Aufführungen Raum
gegeben hätte. Zu dieser dienenden Stellung verstand sich aber am ehesten
der Dithyrambus und Nomos. Denn in dem letzteren hatte von jeher die
Melodie und Musik die hervorragende, der Text die untergeordnete Stelle
eingenommen, und auch in dem Dithyrambus trat, wie die Siegesinschriften
bezeugen, frühzeitig der Dichter oder Didaskalos hinter dem Flötenbläser
zurück.^) Dazu kam, dass in dem Dithyrambus die den Attikern besonders
zusagende Kunst der Mimetik ein Hauptelement bildete.») Dithyramben
und Nomen waren demnach fast die einzigen Arten der lyrischen Poesie,
welche in Attika gediehen. Dieselben haben aber auch auf dem attischen
Boden vielfach eine neue Gestalt angenommen. Die Flöte beherrschte in
Athen wie schon vordem in Korinth die Aufführung von Dithyramben;
im Gegensatz dazu wurde jetzt die Kithara immer mehr das Hauptinstru-
ment der Nomen und hören wir aus unserer Zeit fast nur von kitharo-
dischen Nomendichtern. 8) Ein Chor, und zwar ein grosser Chor von fünfzig
Mann gehörte seit alters zu der Dithyrambenaufführung ;^) auf seine Aus-
stattung ward jetzt ein besonderes Gewicht gelegt, aber den Gesängen
des Gesamtchors mischte Philoxenos auch Sologesänge (f^fl^) bei, zunächst
wohl für den Chorführer. 5) Umgekehrt waren die kitharodischen Nomen
im Anfang ausschliesslich für den Einzelvortrag bestimmt, und zwar in
der einfachen Art, dass der Sänger sich selbst mit dem Saitenspiel be-
gleitete; nunmehr brachte Timotheos die Neuerung auf, dass auch bei
den Nomen ein Chor mitwirkte, und dass durch mimetisches Spiel grösseres
Leben in die musikalische Aufführung gebracht wurde. ^) Den Nomen
') Gewaltig eifert gegen diese Verkeh-
rang der natürlichen Yerhftltmsae Pratinas
in dem durch Ath. 617 b erhaltenen Hypor-
ehern: tay aotday xatiüxncB UuqU ßnai-
lumv xxX. Damit verbinde die Angabe des Fiat,
de mos. 30, dass bis auf Melanippides die
Fl^nspieler vom Dichter den Lobn em-
pfingen, nachher umgekehrt, weshalb auch
m Sdaskjdischen Urkunden der Flötist vor
dem Ghorodidaskalos genannt ist. Lukian
de aalt 2 erwähnt die Aufführung von Dithy-
ranben geradezu unter dem Namen xvxXiKuiv
nhfiioy.
*) Piaton und Aristoteles, die natürlich
xamäst in der Poesie ihrer Zeit lebten,
lumen anf diese Weise dazu, das Wesen
lOer Poede in die fjiifArjcig zu verlegen.
Üeber das Spiel der Nachahmung im Dithy-
nunbus s. Arist. Poet. 26, p. 1461^ 33 und
iwÄHideis Ps. Arist probl. 19, 15 p. 918^ 18:
^ Tud oi difhvQafJißoi, inBißtj fiifjirjttxoi iyi-
»•rro, orxiti bxowhv aviiotQotpov^, ngoxegoy
^iiZoy. Demnach ist wohl von dem älteren
I^iütjrambiis, wie etwa des Pindar, die Stelle
des Piaton de rep. lU p. 394 <^ zu verstehen
i5 fÄ^y dtd fÄifÄijoBiog oXrj iariy . . Tgaywdla re
xttl xiafjii^&iay 17 ^k di* dnavysXiaq avxov tov
noitjrov {evQoiq &* dy avxrjy fidXiaxd nov
iy diSvQdf^ßoig), ifj 4* av di* dfJKpoxiQtay ty xe
xß Xüiy inwy notijaeiy noXXaxov d^ xai nXXoSi.
') Die aulodischen Nomen traten also
zur&ck; die reinen Flötenkonzerte hingegen
erhielten sich fort. In dem Agon der Pana-
thenäen CIA II 2, 965 sind für die Eitha-
roden 5, die Auloden 2, die Eitharisten 3, die
Flötisten 2 (wenn nichts weggefallen) Preise
ausgeworfen; vergl. Bergk, 6r. Lit. II 500 f.
^) Ein Chor von 50 Mann ist zum ersten-
mal bezeugt für Ol. 75, 4 (476) durch Si-
monides fr. 147.
*) Plut. de mus. 30: ^^M^eyog ek tot^s
xvxXiovg ;jfo^oi»ff /jieXtj elaijyeyxaxo.
^) dem. Alex, ström. I p. 133: vofiovg
TtQüixog jjaey iy X^Q^ *"^ xi&dQtf Ttfio^eog.
lieber die mimetischen Bewegungen des
Flötenspielers belehren Theophrast bei Ath.
22 c, Paus. IX 12, 5, Ludan. Harm. 1, Dion
or. 78.
186
Ghieohiflohe LJtteratnrgeBohiohte. L Klasaiflohe Periode.
war von Hause aus die strophische Komposition fremd; bei den Attikem
wurden allmählich auch die Dithyramben durchkomponiert, was Aristoteles,
Probl. XIX 15 mit dem nachahmenden Charakter des jüngeren Dithyrambus
in Verbindung bringt.^) umgekehrt näherte sich in der metrischen Form
der Nomos allmählich dem Dithyrambus, indem der Nomendichter Timotheos
die alte Weise wiederkehrender Hexameter {Inrj) aufgab und auch in den
Nomos die freiere Form wechselnder Versmasse einführte.*) So ver-
mischten sich also, von der Verschiedenheit der begleitenden Instrumente
abgesehen, die beiden Dichtungsarten immer mehr und ging schliesslich
der Nomos, speziell der Vocalnomos in der dithyrambischen Poesie auf.
136. Der Dithyrambus Athens ^) lässt sich am meisten dem Melodram
oder der Operette unserer Zeit vergleichen. Bei ihm wie bei unserer Oper
lag der Schwerpunkt nicht in dem Text, sondern in der Melodie und Musik,
wenn auch im Altertum die Musik immer noch mehr wie bei uns an die
rhythmische und metrische Form des Textes gebunden blieb. Wie sodann
bei uns in den grösseren Städten neben dem Theater ein Opernhaus exi-
stiert, so baute Perikles in Athen neben dem älteren Theater des Dionysos
für die lyrisch -musikalischen Produktionen einen eigenen überwölbten
Rundbau, das fi)d€iov. Freilich dürfen wir deshalb noch nicht unter einem
attischen Dithyrambus eine glänzende Oper der Neuzeit uns vorstellen.
Dafür war vor allem die Musik im Altertum zu wenig entwickelt. Der
Gesang war auch im Dithyrambus einstimmig, und statt eines grossen
Orchesters fiel die Begleitung nur einem Auleten mit der Doppelflöte oder
im besten Fall einigen wenigen Flötisten zu.^) Ausserdem verblieb dem
Dithyrambus auch in Athen stets der Charakter einer Choraufführung, in-
dem er anfanglich nur aus Chorgesängen bestand und auch seit Philoxenos
Einzelgesänge, fiei^rj oder Arien nur in beschränktem Masse in das ursprüng-
liche Gefüge aufnahm. Aber gleichwohl erfreuten sich in Athen die musi-
kalischen Produktionen der Dithyramben einer grossen Beliebtheit. Eyklische
Chöre spielten nicht bloss an den grossen Dionysien, sondern auch an den
Thargelien, Prometheen, Hephästien und Panathenäen;^) bei den grossen
Dionysien aber ward der Sieger im Dithyrambus sogar mit einem höheren
Preis als der Sieger im Drama geehrt, indem ihm ein mit grossem Prunk auf-
zustellender Dreifuss {tgtriovc)^) gegeben wurde. Im übrigen können wir
^) Auf diese neue Richtung geht dei*
Spott des Aristophanes Nab. 338: xvxXmv
de Xo^v (fCfittxoxdfLtnjas a^dgag juereoDQO-
(peyaxag.
') Plut. de mus. 4 von Timotheos: tovg
71 Qwtovg vofjLOvg iy hteai dia/uiyvvtoy dif^v-
Qttjuißixtjv (^drjy fjdeyy ontag fÄij ev^^g fpfiv^
naQayofjKoy eig rtjv aQ^aiav fjiovffixijy.
^) M. SoHMiDT, Diatribe in dithyrambum,
Berlin 1845; E. Scheibe, De dithyrambomm
graec. argumentis, Lips. 1862.
**) BoDEMSTEiNER, Uober choregische Weih-
inschriften in Comm. philol. Monac. 1891
p. 44 fif. Mehrere Flötisten sind jedenfalls
bei der von Plut. de mus. 29 angeführten
polyphonen Begleitung anzunehmen.
^) DlTTBlTBEBGBB, Sjll. U. 420.
') Von den DenkmUem, wo diese Preise
aufgestellt waren, hatle die Tripodenstraase
ihren Namen. Von Dithyrambenweitkämpfen
und dabei gewonnenen Siegen geben mehror«
zum grossen Teü erst neu entdeckte In-
schriften Kenntnis; s. CIG 221. 223, CIA I
n. 336. 337, II n. 1234—1299, Dittenbbbgsb,
Syll. 411 — 424; vgl. Reisoh, De mnsicis Gnie>
corum certaminibus p. 32 ff. Ueber den Preis
der alten Zeit berichtet Schol. Plat. rep.
p. 394c: T<üy dk noiijxtoy Tip fiky TrQwx^
ßovg ena&Xoy i;j/, t^ d^ devrsgip «fnpoQCv^^
r(p de tgitui xQ(iyog, 6V tQvyl xe;|f^«r/EirVo»'
anfjyoy Ähnlich Schol. Find. 0. 13, 25.
B. Lyrik. 8. Die attischen Lyriker.
136-137.)
187
uns von keinem Teil der alten Poesie weniger eine klare Vorstellung
macbeo als von dem attischen Dithyrambus. Es sind uns eben aus dem
Altertum überhaupt so gut wie gar keine Melodienreste erhalten; da aber
bei dem Dithyrambus der Text keine selbständige Bedeutung beanspruchte
und nur als Unterlage der Musik einen Wert hatte, so sind mit den
Melodien auch die Texte der Dithyramben untergegangen. Nach diesen
grossen Verlusten aber können uns die paar allgemeinen Notizen und die
spärlichen Fragmente ebensowenig wie die inschriftlichen Zeugnisse zu
einer klaren Vorstellung verhelfen. Wir dürfen uns deshalb mit einer
sQmmarischen Aufzählung der Dichter begnügen.
137. La SOS von Hermione in Argolis lebte am Hofe des Hipparch
(Herod. VII 6) und ward, wenn auch irrtümlich, als Lehrer Pindars aus-
gegeben. Nach Suidas hat er zuerst ein theoretisches Buch über Musik
geschrieben und den Dithyrambus in die athenischen Wettkämpfe ein-
geführt Die parische Chronik setzt die erste Aufführung eines Männer-
cbors Ol. 68, 1 (508), wobei aber nicht Lasos, sondern Hypodikos aus
Chalkis siegte. Auf einen Wettstreit des Lasos mit Simonides und die
Niederlage des ersteren spielt Aristophanes Vesp. 1410 an. In der Musik
begründete er die neue dithyrambische Weise, indem er in Rhythmus und
Melodie die altertümUche Einfachheit und Strenge der terpandrischen Hymnen-
poesie verliess und im Einklang mit dem grösseren Tönereichtum der Flöte
mannigfaltigere und in weiter auseinanderliegenden Tönen sich bewegende
Perioden einführte, i) Von einigen ward er nach Schol. Arist. Av. 1403
geradezu Erfinder des Dithyrambus genannt. Von seiner dichterischen
Begabung gibt uns sein gekünstelter Versuch, ein Lied ohne a zu dichten,
keinen hohen Begriff. Es scheint eben gleich dem ersten attischen Dithy-
rambendichter die Frostigkeit, welche die attische Lyrik kennzeichnete,
eigen gewesen zu sein. Von Titeln seiner Gedichte werden genannt ein
Hymnus auf die Demeter von Hermione und ein Dithyrambus KevravQoi.
Lamprokles aus Athen; von ihm rühmt Aristophanes in den Wolken
967 einen Dithyrambus in daktylischem Versmass und dorischer Tonart
als Kemlied der guten alten Zeit.
Pratinas aus Phlius erwarb sich hauptsächlich durch seine Satyr-
spiele einen Namen; er trat aber auch als Dithyrambendichter in Athen
und Sparta auf. Von seinen Hyporchemen ist ein grösseres Bruchstück,
worin er gegen das Überhandnehmen des Flötenspiels in kampflustigen
Rhythmen eifert, auf uns gekommen.^)
Diagor as^) aus Melos, jüngerer Zeitgenosse des Pindar und Bak-
chyüdes, ist in weiteren Kreisen durch den Volksbeschluss der Athener,
der ihn als Gottesleugner aus der Stadt verjagte, bekannt geworden. Der
von Philodemos ncgl aasßsiaq uns erhaltene Vers x^sog &€6g nqo
*) Flut, de mns. 29: sk frjv di^ga/i-
ptanir mytoyi^y ftsxaaiijaas tovg ^vSfiovg xal
Tj rtiy avXmv noXviptayitf xaraxoXovdfjaag
«letW re tpB'oyyotq nal diCQQififjiiyoig XQV'
(fnt. r3iaf;|ro9<raf') ^yciye fiotnnxijy.
^) Der Name des Flötenspielers erscheint
in dem 4. Jahrh. neben dem des Dichters
auf den Siegesinschriften; Reiscb, De mus.
cert. 28 f. Vgl. Sittl, Progr. des Wagner-
schen Instituts, Würzbnrg 1893 8. 29.
>) Suidas unt. Jtay6Qag; Ps. Lysias c.
Andoc. 7; Arist. Ran. 320.
L
188
Orieohisohe LittMratargMohiohte. I. KlaMisohe Pmriod«.
navTo^ igyov ßqoteCov vcofi^ (fqäv vnsqxaxav will zu dieser Anklage nicht
stimmen.
Melanippides gab es nach Suidas zwei;^) der ältere aus Melos hat
die neue Richtung des Dithyrambus mit den langen Introduktionen {avaßoXai)
und fremdartigen Stoffen inauguriert (Plut. de mus. 30). Der jüngere,
ein Tochtersohn des älteren, galt nach Xenophon Mem. I 4, 3 als der
berühmteste Meister seines Faches. Er ward an den Hof des Königs
Perdikkas II berufen, wo er um 412 starb. Von nur wenigen seiner
Dithyramben, wie Javatdsc^ lleQfrsipovr^, MaQCvag haben sich Titel und
Bruchstücke erhalten. In einem Fragment des Marsyas wirft die Göttin
Athene die Flöte weg, weil sie die Schönheit des Körpers entstelle, >) in
der Persephone verabscheuen die Menschen das Wasser, nachdem sie die
Gottesgabe des Weines kennen gelernt.
K ine Sias gehörte schon ganz der neuen Richtung der Musik an;
er war die Zielscheibe des Spottes der Komiker wegen seiner dürren Ge-
stalt und seiner neumodischen Kadenzen.')
Antigenes ist uns als Dithyrambendichter bekannt durch das Epi-
gramm Anth. Xm 28, das er zum Andenken eines von ihm errungenen
Sieges auf den der Gottheit geweihten Dreifuss setzte.^) Da in der versi-
fizierten Didaskalie neben dem Dichter-Didaskalos auch noch der Flöten-
spieler Ariston aus Argos genannt ist, so kann er kaum vor Mitte des
4. Jahrhunderts gelebt haben.
Philoxenos aus Kythera (435—380 nach Marm. Par.) kam nach
Einnahme seiner Heimatinsel als Kriegsgefangener nach Athen, wo er
durch sein Talent die Aufmerksamkeit des Melanippides auf sich lenkte.
Dann lebte er längere Zeit an dem Hofe des älteren Dionysios in Syrakus,
den er durch sein freimütiges Urteil über dessen schlechte Gedichte reizte
(Diodor XV 6). Von seinen vierundzwanzig Dithyramben war am be-
rühmtesten der Kvxlcoifj, in welchem der Kyklope ein schmachtendes
Liebeslied auf die schöne Galatea sang und der Dichter selbst als Führer
des zweiten Chors den Odysseus vorstellte. Grössere Fragmente haben
wir von einem zweiten, von einigen nach Ath. 146 f. dem Philoxenos aus
Leukas zugeschriebenen Gedicht JsTnvov^ das aber kein Dithyrambus,
sondern ein Nomos ist und für die Erkenntnis der rhythmischen Formen
des jüngeren Nomos^) und der raffinierten Genusssucht jener Zeit gleich
interessant ist. Die Dithyramben des Philoxenos standen in hohen Ehren^)
und wurden noch zur Zeit des Polybios (IV 20) zusammen mit denen des
Timotheos alljährlich von den Arkadem im Theater aufgeführt.
Timotheos aus Milet,^) der bewundertste Musiker und Nomendichter
seiner Zeit, war in der Musik ein Schüler des Phrynis,®) worauf sich
^) Eineii Irrtum des Suidas nimmt Rohde
Rh. M. 33, 213 an.
^) Die gleiche Anschauung in dem Weih-
geschenk der Akropolis, wo Athene den
Marsyas schlägt, hei Paus. I 24, 1.
') Aristoph. Av. 1372, Pac. 832. Ein
hartes Urteil fällt Uher ihn Piaton, Gorg.
p. 501e.
*) Vgl. WiLAMowiTz Herrn. 20, 62 ff.
^) Das Metrum ist dakinrlo-epitritisch.
") Antiphanes hei Ath. 463 d. Aber ver-
spottet wird Philoxenos von dem Feind der
neuen Musik, von Aristoph. Plut 290; aber
die Freiheit des Rhythmenwechsels T«gl.
Dionysius De comp. verb. p. 264 Seh.
') Suidas unt. Tifi6»eoi.
^) Plut. de mus. 6; nach Schol. m Aiist.
Nub. 967 siegte er an den Panathenäen unter
B, Lyrik. 8. Die attiaohen Lyriker. (§ 137.)
189
Aristoteles Metaph. p. 993 b 15 bezieht, wenn er von dem berühmteren
Schüler des berahmten Meisters sagt: €i fxh' ydq Tlfio^eog firj iyävsxoy
milfiY av fisXonoitav ovx cixofiev ei ii fit] ^qvvk;, Tifiod-eog ovx av iye'vsro.
Der Schauplatz seiner Thätigkeit war vor allem Athen, aber auch am
Hofe des makedonischen Königs Archelaos, in Ephesos und Sparta trat
er mit seinen Produktionen auf. In letzter Stadt wollte man von seinen
Neuerungen nichts wissen, so dass ihm die Ephoren die vier neuen Saiten
seiner llsaitigen Zither abschnitten. i) Hochbetagt starb er im Jahre 357.
Ein Urteil über den gefeierten Musiker ist uns heute nicht mehr möglich ;
denn sein Schwerpunkt lag in den Melodien, die mit all den antiken Denk-
malen dieser reizendsten und flüchtigsten aller Künste zu gründe gegangen
sind.*) Das Altertum hatte von ihm di' inrnv vo^oi fAovaixoi\^) TiQooifAia,
iymiua^ di&vqafißoi^^) vfivoiy naiaveg u. a. ; auf uns sind nur ganz dürftige
Reste gekommen, die uns aber einen grossen Reichtum rhythmischer
Formen erkennen lassen. Gepriesen war seine Schilderung der Geburts-
wehen der kreisenden Semele in dem für Flötenmusik komponierten Melo-
dram (ü3lg SsfiäXiqg und sein Dithyrambencyklus Odysseia in mindestens
4 B., zu dem auch die von Aristoteles, Poet. 26, erwähnte Skylla gehörte,
in der in halb burlesker Weise die Choreuten den Koryphaios zupften, um
das Wegschnappen der Gefährten durch die Skylla zu veranschauKchen.^)
Von sonstigen Dithyrambikern des 4. Jahrhunderts werden noch ge-
nannt Telestes aus Selinunt, der sich nach Dionysios, De comp. verb. 19
im Wechsel der Rhythmen und Tonarten gefiel, was die erhaltenen Frag-
mente bestätigen, Ariphron aus Sikyon, der in einer didaskalischen Ur-
kande des 4. Jahrhunderts CIA II n. 280 erwähnt ist<^) und von dem
uns Athenaios p. 702 einen berühmten Päan auf die Hygieia erhalten hat,
Pol y ei dos der Sophist, ein Mann von vielseitigem Talent, der sich auch in
derTragödie und Malerei versuchte, 7) Likymnios aus Chios, der nach Arist.
Rhet m 12 Dithyramben zum Lesen dichtete,®) Lykophronides, von
dem uns ein paar Fragmente erhalten sind, Kleomenes aus Rhegion,
Xikokles aus Tarent,^) Argas,^") Eukles, Philophron, Lysiadesaus
Athen, Hellanikos aus Argos, Charilaos aus Lokris, Eraton aus Ar-
kadien, ^i)
dem Archon fijiUias. Qm und seinen Schüler
TlmodieoB nalun zur Zielscheibe des Spottes
Pbereknites im Gheiron.
') Paus, ni 12, 10; Boetins de mos. p. 182
PrieÄ
^) Üeber die Neuerangen des Timotheos
r f 13.5.
') Das waren Nomen in daktylischen
Hexametern, welchen Timotheos nach Plnt.
de mia. 4 nur an einzelnen Stellen freiere
Itoft beimischte.
^] Einen Dithyrambus Elpenor von Ti-
noäieos bezeugt die Inschrift CIA II 1246.
*) JSn S^yog tov *Qdvöaio)g (vgl. Arist.
C15) des Timotheos wird angeführt in
isthetischen Papyrus des Erzherzog
T, publiziert und erlftutert von Gohpebz,
ins Papyrus Rainer I 84 — 8.
Andere Titel waren IsfAiXrj, Aae^rr^g, 'EXnrj-
ytOQj NavnXio^y 4^i,y€idai.
') In der Urkunde indes heisst es bloss
^AQicpQOiv ohne den Zusatz Itxvtavioq. Auch
der Päan ist uns inschriftlich auf einem jetzt
in Kassel befindlichen Stein erhalten.
0 Diodor XIV 46, 6.
^) Ein Fragment von ihm n. 4 enthält
Verse aus dem Päan des Ariphron.
*) Ein Verzeichnis seiner Siege gegen
das Ende des 4 Jahrhunderts erläutert von
KöHLKB Rh. Mus. 39, 298.
*®) Argas wird als schlechter Nomen -
dichter verspottet bei Ath. 131 *> u. 638;*;
sein Name steckt wahrscheinlich auch in
Aristot. Poet. 2, p. 1448'* 15.
^^) Die letzten Namen und andere dazu
sind inschriftlich bezeugt.
190 Orieohisohe Littoraiargeflohichte. L SltMisohe Periode.
C. Drama. 1)
1. Anfang und äussere Verhältnisse des Dramas.
138. Das Drama ist eine originelle Schöpfung des griechischen Geistes:
kein Volk des Altertums hat etwas Ähnliches hervorgebracht, und was in
späterer Zeit in Rom und von modernen Völkern auf dem Gebiete der
dramatischen Kunst geleistet wurde, geht auf die Anregung der Griechen
zurück.') Bei ihnen selbst hat sich das Drama aus den beiden älteren
Gattungen der Poesie naturgemäss entwickelt; es ist dasselbe auch erst
zur Ausbildung gekommen, nachdem die erzählende Dichtung fast ganz
verklungen war und die Gedankenpoesie der subjektiven Empfindung ihren
Zenith bereits überschritten hatte. Die beiden Elemente, aus denen das
Drama entsprungen ist, haben auch äusserlich bei den Griechen in dem
Gegensatz der gesprochenen und gesungenen Partien ihren Ausdruck ge-
funden. Die Chorgesänge und Monodien bezeugen ihren Zusammenhang
mit der Lyrik, speziell der chorischen Lyrik, nicht bloss im Inhalt und
gesangmässigen Vortrag, sondern auch in dem Versbau und der Sprache.
Fast alle Metra der Gantica lassen sich bei den älteren Lyrikern nach-
weisen, die melodischen Logaöden und Choriamben sowohl, wie die gravi-
tätischen Daktylo-Epitriten und anapästischen Systeme ; nur die Dochmien
scheinen erst in der Tragödie zur eigentlichen Entfaltung gekommen zu
sein. Auch die Sprache der Chorgesänge weist deutlich auf die dorische
Chorlyrik zurück und hat aus ihr die Formen des dorischen Dialektes,
namentlich das volltönende ä statt des ionischen ^ herüber genommen.
Weniger tritt im Dialog der Zusanunenhang mit dem Epos hervor, da f&r
diesen die Dichter ein anderes Metrum wählten, nicht den gravitätischen
Hexameter, sondern den beweglichen, der Umgangssprache sich nähernden
iambischen Trimeter.') Aber wenn auch die Form geändert wurde, so
blieb doch die Übereinstimmung des Inhaltes: der Dialog ist der Träger
der Handlung und des Mythus, Fundgrube des Mythus aber waren die
epischen Gedichte, was Aichylos schön ausgediückt hat, indem er seine
Dramen Brosamen vom Tische Homers nannte. Der grosse Fortschritt
bestand nur darin, dass jetzt nicht mehr die Handlung in ihrem Fortgang
erzählt, sondern in täuschender Nachbildung den Augen und Ohren der
Zuschauer vorgeführt wurde, so dass dieselben das Geschehene gleichsam
■) Quellen ans dem Altertum: Aristo- des griech. Schauspiels, Tflb. 1862. — Sam-
teies neQt noirjTixijgy woni die Reste seiner melansg.: Poetae scenici Graeconim, ree.
JtdacxttXitti bei Ross, Aristot psend. LYI a. Botbb, Ups. 1825—58, 10 Bde.; Poetae sc^il
552 ff.; Horatius ars poet nach dem grie- gr., ed. Güil. Dikdorf ed. IV, ups. 1869.
chischen Werk des Neoptolemos Parianos; ') Nicht der Rede wert sind die dnuna-
Tietzes (12. Jahrh.> ne^l rgayixi^g noiijaetoc tischen Ansfttae der Chinesen. Für die Inda
(bei Wkstphal, Proleg. zn Aeschyl. p. VIII weist den Einflnss der Griechen nach Wih-
sqq.) nnd xr«^ xwufadia^ (ed Gramer, An. disch. Der griechische Einflnss im indischen
Ox. I 19 ff.). Sparlos' verschwunden sind des Drama, Berlin 1882. Bezeichnend ist, dass
Grammatikers Telephos (unter Hadrian) auch in dem indischen Drama 2 Dialekte,
biot TQaytxiay xai xutjaipdtoy. — Neuere Sanskrit und Prakrit, angewendet sind.
Werke : W. v. Schlegel. Vorlesungen über ') Arist« Rhet HI 8 sagt vom Hexameter:
dramaHsche Kunst und Litteratur, Heidelb. csfdrog xtd Xexruc^g a^ftorlas deo/ieytK,
1809. 2 Bde = S&mmtl. Werke Bd 5 n. 6; Poet. 4 vom Jambus: fiaXtöta lextixor r»»
Klein, Gesch. des Dramas, Leipzig 1S65 i.hier ,uf r^4»r rd iofißetöy icrir,
einachligig die 2 eisten Bde); rIpp, Gesch. .
C.ürama. 1. Anfänge und äussere Verhältnisse. (§g iSd— l<^d.) 191
selbst mitzuerleben vermochten. Deutlicher aber zeigt sich der Zusammen-
hang des Dialogs mit dem Epos in der Sprache: das Attische, das die
Personen der Bühne sprachen, war ein Zweig des Ionischen, ionisch aber
war der Dialekt des erzählenden Epos wie des iambischen Spottgedichtes.
Insbesondere bewahrte in der Tragödie der Dialog viele lonismen des
Homer nnd des Herodot, sei es nun dass dieselbe in ihrer gehobenen
Weise sich mehr als die Komödie von dem Vulgärdialekt des attischen
Volkes zu entfernen wagte, sei es dass sie als die ältere Gattung des
dramatischen Spieles auch die ältere, dem Ionischen noch näher stehende
Gestalt des attischen Dialektes bewahrte.^)
139. Hat so das Epos so gut wie die Lyrik Bausteine für die neue
Gattung der dramatischen Poesie geliefert, so ist dieselbe doch speziell
aus der Lyrik und der religiösen Festfeier des Dionysos hervorgegangen.
Darauf weist schon der Name. Jgäfia^ d. i. Handlung, hiess das neue
Festspiel,*) iQcifieva hiessen aber auch die Zeremonien, mit denen man
an den Oötterfesten, namentlich bei den Mysterien den Mythus des Gottes,
seine Geburt, seine Wanderungen und Leiden den andachtsvollen Gläubigen
Tor Augen führte.') Zu solchen mimischen Darstellungen boten wohl auch
die Mythen anderer Götter Stoff, wie die von dem Kampfe Apollos mit
dem Drachen Python*) und von der Bewachung des jungen Zeus durch
die Daktylen und Korybanten; aber zur Zeit, als die Geburt des Dramas
nahte, war an den meisten Orten Griechenlands der Kult der alten Götter
hinter dem des lakchos und der Demeter zurückgetreten. Namentlich
aber war es der erstere, der mit Mummenschanz und heiterem Spiel ver-
banden war und durch den Charakter enthusiastischer Begeisterung die
Gemüter der Festgenossen für die neue Art von Poesie empfänglich machte.
Die ausgelassene Weinlaune und der Schwärm der bockfüssigen Satyren
mosste von selbst die Griechen, die mit ihren Göttern auf vertraulichem
Fnas zu stehen liebten, zu nachahmendem Spiele reizen. Dazu löste der
Gott, der von der Freiheit die Zunamen 'EXevd^egevg und ^vaTog führte,
den Menschen an seinem Feste die Zungen, so dass die Festgenossen teils
vom Wagen herab die Vorübergehenden neckten, teils selbst mit ihren
drolligen Aufzügen unter Yorantragung eines grossen Phallos das Lachen
nnd den Scherz der Zuschauer wachriefen.^) Aber auch wer zum Ernst
^) Die letztere Meinimg vertritt Rttthbb- > die Athener nparieiy sagten.
ntn, Zur Gesdiichte des Atticismos, Aber- , ') Daher der Gegensatz bei Paus. II 37,
wtit Ton Punck in Jhrb f. Phil. Sappl. XIH i 2 (vgl. III 22, 2): t« keyofieva ini xoti rfpai-
3S&~S99. Zum ihatsSchlichen Verhältnis
bemerke ich, dass in dem Dialog der Tra-
giker, selten der Komiker, sich finden Dative
^ taf (HCl, auftj ecai, die ablaüven Genetive
ifUSty, ei^er, die lonismen yorvatog^ dovQi,
Wr«f, ixQvtpBfy (Eur. Hipp. 1247), Uiuv
(&ir. Phoen. 1246), die nichtattischon WOrter
*«T^ statt nat^Uy deigat statt aiQto, «onfo^,
h^i l^fon^noff xttciyyrjTo^y xixXijaxto^ xoi-
*) Nach Azist. Poet. 3 suchte man aus
faem Namen den dorischen Ursprung des
I^naaa za beweisen, weil die Dorier d^y,
fiivoig. Vgl. Bergk, Gr. Litt. III 4; Lobeck,
Aglaoph. 1285 ff. Ueber die dgtjSfiBya bei
den Dionysos-Mysterien berichtet der Kirchen-
vater Clemens Alex, protrept. Ü 12.
*) Dass derselbe auch wirklich mit nach-
ahmender Kunst dargestellt wurde, darüber
siehe oben § 90.
^) Noch in spftter Zeit bestand die Ge-
wohnheit, an gewissen Götterfesten dem Spott
freien Lauf zu lassen, wie im 2. .Jahrhundert
n. Chr. zu Smyma an dem Fest des Dio-
nysos; s. Aristides negi lov fiij Ssiy xoi-
fiiadecv p. 509.
192
Gri«ohi8che litteratargesohiohte. I. Klassische Periode.
und zur Reflexion angelegt war, fand an den Dionysosfesten Gelegenheit
zur erbaulichen Vorstellung. Dafür hatten die Mysterienpriester gesorgt,
die den Gott des Weines zum Repräsentanten der zeugenden Naturkraft
erhoben, das Einschlafen der Natur im Herbste und ihr frohes Wieder-
erwachen im beginnenden Lenze mit dem Wandel seines Wesens in Ver-
bindung brachten und demselben frühzeitig auch allerlei ernste, mit der
Verbreitung seines Kultes zusammenhängende M}rthen andichteten. Diese
Vorstellungen und Mythen hatten dem feierlichen Dithyrambus Nahrung
gegeben, und aus diesem ist die ernste Art des dramatischen Spiels her-
ausgewachsen. Der Ursprung aber beider Arten des Dramas, der ernsten
und der ausgelassenen aus dem Mummenschanz der alten Dionysosfeste zeigte
sich auch später noch darin, dass die Schauspieler und Choreuten in der Ko-
mödie wie in der Tragödie verkleidet auftraten und das Gesicht entweder
mit Hefe verschmierten oder mit einer Maske {jtQoawnov^ persona) bedeckten.
140. Arten des Dramas.^) Allen Dramen war es gemeinsam,
dass sie ihren Gegenstand durch Handelnde zur Darstellung brachten.
Der Gegenstand selbst musste demnach eine Handlung {TTQä^ig) sein ; aber
nicht jede beliebige Handlung genügte, es musste die Handlung eine ge-
wisse Grösse haben und in sich abgeschlossen sein, d. h. Anfang, Mitte
und Ende haben. Eine solche grössere Handlung mit verwickeltem Ver-
lauf bot Stoff zur Erzählung und hiess davon fiVK^og, fabula; sie ward auch
argumentum genannt, wenn sie erdichtet, nicht überliefert war. Innerhalb
dieses gemeinsamen Rahmens entwickelten sich bei den Griechen drei
Arten des Dramas, die Tragödie, die Komödie und das Satyrspiel. Die
Tragödie {TQayfiiSia), die speziell aus dem Dithyrambus hervorgegangen
ist,*) muss als rgaycov fpät] gedeutet werden, hat also den Namen nicht
von dem Bock, der als Preis dem Sieger zugefallen sein soU,^) sondern
von den Böcken, in welche die Sänger, eben weil sie das Gefolge des
Gottes darstellten, ursprünglich verkleidet waren. Von vornherein ern-
steren Charakters hat sie sich allmählich zu jener ergreifenden und reini-
genden Darstellung einer ernsten Handlung entwickelt, welche Aristoteles
Poet. 6 mit den berühmten Worten definiert: iari tqay<i^dia iiiiir^mg n^-
^€(üq cnovSafag xal tekeiag fiäye^og ixovarfi^ rjdvCfjiävfp Xoyff %fOQlg kxaßxif
twv sldfov iv Totg (lOQioig, iqwvxtov xal ov 6i anayyekiag^ ii' iläov xal
(poßov 7i€qaivovüa rrjv tiov toiovToov Tra&rjfAatcov xdd-aqaiVy^) d. i. die Tra-
>) Diomed. p. 487-492 K.
*) Arist. Poet. 4: ij fi^y rgayifj^ia and
T(üv iiaQxoyrtjy loy öid-vqafAßov xarn fincQoy
•) Hör. *a. p. 220: carmtne qui tragico
vilem certavit ob hircum; ein jQayog als
Preis angefahrt Mann. Par. 43, ebenso von
Eusebios zu Ol. 48, 1. Es liegt hier wahr-
scheinlich eine Anlehnung an den Dithy-
rambus 7or, für den der Preis in einem Ochs
bestand. Die richtige Etymologie im Et. M.
764, 6: TQaya}dlttf ort rrt noXXa ol ;jf0^oe ix
IctxvQüii' avviaxttvio^ ovg ixfiXovy igdyovg.
Zu ihrer Bestätigimg dient der Vers in des
Aischylos TlQofifjbBvg nvqxaf.vq fr. 219
Herrn., wo Prometheus den Satyrchor an-
redet: J^ayog yirBiov aqa riBf^tjaetg <rv ye;
MüLLBB, Gr. Litt. I 487 denkt an den Gesang
um das brennende Opfer eines Bockes.
^) Unter den zahlreichen Erlftotemnga-
schriften verdienen besondere Beachtung
ausser Lbssings Dramaturgie, J. BESNAts,
Gmndzüge der verlorenen Abhandlung des
Aristoteles über Wirkung der Tragödie 1857,
Zwei Abhdl. über die aristot. Theorie des
Dramas, Berlin 1880; L. Spkmgbl, Ueberdie
xdf^ttQaig Twy nadrjfidxiavy Abhdl. d. b. Akad.
IX. Bd. (1859); Mbisbb, Beitrag zur LOsong
der Katharsisfrage, Blfttter für bayer. Gvmn.
1887 S. 211 ff. Eine andere, dem Theophrast
C. Drama. L Anfänge nnd äussere Verhältnisse. (§ 140.)
193
gödie ist die Nachahmung einer ernsten und geschlossenen Handlung von
einiger Länge, in verschönerter Sprache, die in den einzelnen Teilen
des Stücks verschiedene Arten von Verschönerung anwendet (in den
Dialogpartien andere als in den Gesangspartien), durch Handelnde und
nicht durch Erzählung, welche durch Mitleid und Furcht die Reinigung
derartiger Affekte bewirkt. Furcht und Mitleid erregt die Handlung
der Tragödie durch grosses Leid, welches über die Handelnden nicht
infolge eigener Schuld, sondern durch die Macht des Schicksals herein-
bricht,^) so dass auch uns, die Zuschauer, ausser dem Mitleid die Furcht
vor einem gleichen Lose ergreift. Diese Affekte aber werden gereinigt
und zur Ruhe gebracht dadurch, dass die Handlung nicht mit dem Höhe-
punkt des hereingebrochenen Unglückes abbricht, sondern in der Weise
weitergeführt wird, dass durch den dem Unglücklichen erwiesenen Bei-
stand, die Bestattung der Leiche, die Thränen und Klagegesänge der Ver-
wandten, auch in unserem Inneren die herzerschütternde Erregung einer
wehmutsvolleren Stimmung Platz macht. Den Stoff nahm die Tragödie,
ihrem Charakter entsprechend, hauptsächlich aus dem Mythus oder der
Heroengeschichte, deren Gestalten nach den Vorstellungen des Volkes über
die Menschen der Gegenwart emporragten und so dem ganzen Spiel einen
idealen Charakter gaben.
Die Komödie {xmiio^dia) ist hervorgegangen aus den Gesängen der
phänischen Prozessionen,*) welche sich auch später noch neben den Dithy-
ramben und der ausgebildeten Komödie erhalten haben. Nach Aristoteles
Poet. 3 haben einige, wohl durch die ländlichen Dionysien verfuhrt, das Wort
von «w/ir^, Dorf, abgeleitet, womit die Dorier dasselbe wie die Attiker mit
^\Hoq bezeichnet haben sollen. Aber die Komödie hat mit dem Dorfspiel
nichts zu thun; das erste Element des zusammengesetzten Wortes ist
viehnehr xwfiog^ lustiger Schwärm, wovon auch xcofiäf^eiv und das lat.
comismri gebildet ist.*) Neben dem Namen Komödie kommt bei Aristo-
phanes der scherzhaft gebildete Name TQvyo^dia vor, der entweder von
W»/ .Weinlese" oder tqv^ „Hefe" herkommt.*) Mit den Phallosliedern
war der Komödie von vornherein Scherz und Lustbarkeit als Angebinde
nutgegeben, aber erst mit der Zeit erhob sie sich zur erheiternden und
verspottenden Darstellung einer lächerlichen Handlung, s) Den Stoff nahm
&igeachriel>ene Definition steht bei Diomedes
487, 12 K.: jQayt(nfia iariy iJQtoixijg ^*'/'7ff
*) Aristot. Poet. 13 verlangt, dass der
HeJd der Tragödie nicht ganz unschuldig
sei, weil sonst sein ünglflck einen indignie-
reoden Eindruck auf uns ftbe: ov ydg fpoßegdv
^V? iliiroy lovio dXXit fjuagöy iari. Das
ist richtig, aber damit verlangt der Philosoph
keine dem üngl&ck adäquate Schuld; siehe
kiember P. Richte b, Die Tragödien des
Aescfavlus nach Inhalt u. Wirkung beleuchtet,
BreaL*1891, Progr. n. 172.
^) Aiist. Poet. 4: 17 (fi xwf^ütdiu dno
tiip Tc <faXXixd i^agxoyttayf ä hi xai rvv
^ noXXatc Xüiy noXitov diafjieyei yofiiCnf^sya.
*) Diomedes p. 488, 5 E. : comoedia dicta
dno x<ov x<ofi(oy ... vel dno rov xiäfAov, id
est comeascUione.
*) Schol. Arist. Ach. 498; Ath. 40 ^ Et.
M. 764, 12; Anon. de com. III; davon Horaz
a. p. 277: qui canerent agerentque peruncti
faecihus ora.
*) Arist. Poet. 5 : rj xiofjua&la iarl f^lfitj'
aig KpavXoxtQtüy f4€y, ov fjiivtoi xaxd ndatty
xaxiav^ dXXd tov ainj^gov, ov iaxl x6 ytXoioy
fAOQiov Die Definition im Traktat nagt
xtofjuoStccq des Cod. Coislin. 120 ist eine un-
geschickte Nachbildung der aristotelischen
Definition der Tragödie. Durch den Charakter
der neuen Komödie ist beeinflusst die De-
finition des Theophrast bei Diomedes p. 488,
4 K: xa}fi(i}dia icxt.y iditojixtjy ngayfxdxtoy
dxiydvyog nsgio)[ij.
Buidbaeh der klMB. Altertumswiaseiuchaft. vn. 8. Aufl.
13
194
Qrieohisohe Litteratiirgesohiohte. I. Klaasisohe Periode.
die Komödie aus dem Leben der Gegenwart, ihre Personen gehörten der
Wirklichkeit, in der älteren Zeit den politischen Kreisen an.
Das Satyrspiel (ot adrvQot) hat seinen Namen davon, dass in ihm
der Chor aus verkleideten Satyrn gebildet wurde. Der Zusammensetzung
und dem Charakter des Chors entsprechend, wählte es aus den Heroen-
mythen diejenigen aus, welche einen lustigen Anstrich hatten. Das Satyr-
drama hat auf solche Weise am getreuesten den ursprünglichen Cha-
rakter des Dionysosspieles festgehalten und kann, da auch bei der Tra-
gödie ehedem der Chor aus Böcken bestand, als Vorstufe der letzteren
bezeichnet werden. Als die Tragödie ernste und femabUegende Mjrthen
in ihren Kreis zu ziehen und die Komödie das Leben der Gegenwart statt
die Überlieferungen der Vergangenheit zur Zielscheibe ihres Witzes und
Spottes zu nehmen begonnen hatte, wurde das Satyrspiel zwar nicht ganz
zur Seite geschoben, aber an letzter Stelle nach den Tragödien zur Auf-
führung gebracht.!)
Die unterschiede der drei Arten von Dramen waren auch äusserlich
in der Kostümierung des Chors und der Schauspieler ausgeprägt; ins-
besondere war für die Tragödie bezeichnend die stelzenartige Fussbeklei-
dung (xo&oQvog) und der hohe Haaraufsatz {py^og), welche die Heroen
über das Mass der gewöhnlichen Menschen erhöhten. Umgekehrt trugen
die Personen der Komödie einen niederen Schuh (soccus) und banden sich
als Diener des befruchtenden Gottes der Zeugung einen grossen PhaUos
um. Die Choreuten des Satyrdramas trugen einen Schurz aus Ziegenfell,
hatten vorn einen Phallos, hinten ein Satyrschwänzchen.
141. Athens Bedeutung für das Drama. Nach Aristoteles Poet. 3
erhoben die Dorier den Anspruch das Drama erfunden zu haben, die Megarer
die Komödie, andere Peloponnesier die Tragödie.*) Das war gewiss nicht
ganz unbegründet, da thatsächlich durch Pratinas das Satyrspiel von
Phlius nach Athen verpflanzt wurde und die in dorischem Dialekt ge-
schriebenen und zur Auffuhrung in einer dorischen Stadt bestimmten
Stücke des Komikers Epicharmos sicher nicht von Athen aus ihre An-
regung empfangen haben. Aber zur Entwicklung und glänzenden Ent-
faltung kam das dramatische Spiel erst in Attika. Hier hatte schon früh
auf dem Lande, namentlich in dem rebenreichen Dorfe Ikaria, der fröh-
liche Dionysosdienst Boden gefasst. Vom Land verpflanzte dann im
6. Jahrhundert der kunstliebende Tyrann Peisistratos den volkstümlichen
Kult in die Stadt, indem er demselben ©inen neuen Sitz an dem Süd-
abhang des Burgfelses schuft) und in denselben das Schnitzbild {^oavov)
*) Casaubonüs, De satyrica Graecoram
poesi et Romanorain satura, der Ausgabe des
Persius angehängt (1605). Dort ist zuerst
der Unterschied des griechischen Satyr-
dramas und der römischen Satyre (alt Satnraj
festgestellt. Aber wenn auch die litterarische
Satire der Römer von dem dgaf^a caxvQixöv
der Griechen verschieden war, so scheint sie
doch gleicher Wurzel entsprossen zu sein;
8. Ribbeck, Gesch. d. röm. Dichtung 19.—
Einziger Repräsentant ist für uns der Kyklops
des Euripides. Vieles lässt sich aus Dar-
stellungen auf Vasenbildem hinzugewinnen,
worüber Wibsklbr, Das Satyrspiel, Gott.
1848; O.Jahn, Satyre auf Vasenbildem und
das Satyrdrama, Philol. 27. 1-27.
'j Damit in Zusammenhang steht es,
wenn Arion bei Suidas heisst rgayixov tq6~
nOV BVQ6X1JC.
') Ueber diesen Temenos Jiovvaov 'EXcv-
^ege'tjs siehe jetzt Dörpfeld, Das griech.
Theat. tab. I. Das ältere Heiligtum des
Dionysos, in welchem das älteste, ionisch-
attische Dionysosfest, die Anthesterien ge-
C. Drama. 1 Anfänge nnd Anasere yerhältniase. (§§ 141—142.)
195
des Gottes aus dem Dorfe Eleutherai verbringen liess. Nahe diesem neuen
Tempel trat im Jahre 534 1) zum ersten Mal Thespis mit einem Drama
auf, infolgedessen das Dionysosspiel in die Reihe der städtischen Agone
aufgenommen wurde. Athen begann damals zum Gipfel seiner Macht und
Grosse emporzusteigen und in den Kranz seines Ruhmes auch das edle
Reis dichterischen Glanzes zu flechten. In der Blütezeit des Epos hatte
Attika keine Rolle in der Litteratur gespielt; aber während die stamm-
verwandten lonier der fruchtbaren kleinasiatischen Küste früh in Üppigkeit
und Sklaverei versanken, erhielt sich auf dem sterilen Boden Attikas un-
geschwächt die Vollkraft des tüchtigen, im Kampfe mit dem Leben gestählten
Volksstammes. Allmählich erst wuchsen und entfalteten sich hier am Baume
der Bildung die Zweige und Fruchtknoten, die dort rasch und üppig empor-
geschossen waren. Erst im 6. Jahrhundert brachte Athen den weisen Selon
hervor und zogen die Peisistratiden Dichter und Gelehrte an ihren Hof. Der
grosse Aufschwung, den die Volksherrschaft nach Vertreibung der Tyrannen
und der Reichtum der Stadt nach den Siegen der Perserkriege nahm, kam
der Entwicklung der dramatischen Poesie wesentlich zu statten. Die Pracht
der Feste stellte an die Freigebigkeit und das Vermögen der Choregen
ungewöhnlich hohe Anforderungen, und die Freiheit der Rede im Theater
hatte die Freiheit des Wortes im öffentlichen Leben zur Voraussetzung. Wie
das Epos im ruhigen Sonnenglanze der kleinasiatischen Fürstenhöfe erblüht
war, die Lyrik im Drange der Kämpfe, welche dem Sturze der patriarchah-
schen Könige folgten, geboren wurde, so war das Drama ein Kind der
Volksherröchaft und desjenigen Staates, der als das Bollwerk der Demo-
kratie in ganz Hellas angesehen wurde.*) Auch der Charakter des atheni-
schen Volkes war der Entwicklung des Dramas günstig: seiner Beweg-
lichkeit sagte das farbenreiche Spiel auf den Brettern zu, seine Neigung
zur dialektischen Diskussion fand in dem Wortstreit des dramatischen
Dialoges willkommene Nahrung, sein heftiges und tiefgehender Erregung
zugängliches Naturell liess sich gern durch mimisches Spiel in Leidenschaft
versetzen. 8)
142. Bühnenaltertümer. Ehe wir uns zu den Dichtern und zur
geschichtlichen Entwicklung der dramatischen Poesie wenden, müssen wir
uns zuvor über die Hauptpunkte der scenischen Altertümer,*) das Theater,
feiert wurden, lag iv Xlfxvaig; auch dieses
glaabt Dörpfeld wieder gefunden zu haben in
der Thalmnlde am Westabhang der Akro-
polis südlich vom Areshügel.
») Ol. 61 = 536/32 V. Chr. führte nach
Smdas Thespis ein Drama auf {ididfft^s) ; das
Datom gibt genauer mit Angabe des Jahres
der Olympiade das Marmor-Parium n. 58,
HUT dass hier die Buchstaben nicht alle fest-
stehen.
*) Wie die Macht Athens wesentlich auf
dem geistigen Vorrang beruhte, drückte
Perikles (Thuc. 11 41) mit den berühmten
Worten ans: ^vyeXwv Xtyto irjy noXiv Trjq
"EUacfoc 7t€€iffevaiy stvai. Ueber die Vorzüge
des atiischen Dialektes, seine xoiyöirjg xtd
fiit^ioTtj^ spricht hübsch Isokrates 15, 295.
') Wie wenig Geschick für mimische
Darstellung hingegen zur Zeit des in Attika
schon erblühenden Dramas der thebanische
Dichter Pindar hatte, habe ich oben § 130
dargethan.
*) A. Müller, Lehrbuch der griechischen
Bühnenaltertümer, Freiburg 1886; Haupt-
buch, wodurch zurückgedrängt Schneider,
Das attische Theaterwesen, Weimar 1835,
Gkppkrt, Altgriechische Bühne, Leipz. 1843,
kSoMHERBRODT, Scaoulca, Berl. 1876. — In
dem Handbuch der klass. Altertumswissen-
schaft gibt von den scenischen Altertümern
eine spezielle Darstellung Gehmichen. Ein
gutes englisches Handbuch ist Haigh, The
Attic theatre, Oxford 1889.
13*
196
Qrieohisohe Litteratargesohiohte. I. Klaasisohe Periode.
die Spieltage, die Aufführungen, sowie über die Ökonomie des Dramas
orientieren.
Das Theater,!) ^äargov, bedeutet der Etymologie nach Ort zum
Schauen; gibt es aber etwas zum Schauen, so stellen sich die Zuschauer
im Kreis (corona) um den Künstler; kreisrund war auch in der älteren
Zeit der Markt (ayopa),») der das natürliche Lokal für solche Produktionen
abgab, und im Kreise stellte sich seit Arion der dithyrambische Chor
(xvxhog x^Q^^) ^^f, der inmitten der Corona, ursprünglich um einen Altar
(d-vfiakr/) seine Reigen und Gesänge aufführte. Nachdem aber die Corona
gewachsen war, musste man dafür sorgen, dass auch die Hinteren, die
nicht immer die Grösseren waren, etwas zu sehen bekamen; das führte
naturgemäss zum Aufschlagen von Gerüsten (^x^m), so dass sich die Zu-
schauerbänke terrassenförmig, die einen über den andern erhoben. Bei
grossem Zudrang aber konnte leicht ein solches Gerüste zusammenbrechen,
wie uns von einem darartigen Unfall in Athen zur Zeit der 70. Olympiade
(500/497) Suidas berichtet.') Man schaute sich also nach einem festeren
Gebäude um. Dafür gleich ein freistehendes Theater aus Stein zu er-
richten, wäre zu kostspielig gewesen; man verfiel daher auf den Gedanken,
zum Zuschauerplatz die natürliche Abböschung des Hügels der Akropolis
zu benützen. In der Einbuchtung {xoTkov) des Hügels Hessen sich leicht
Sitze in den Stein hauen und durch geringe Nachhilfe bis über den um-
fang eines Halbkreises hinausführen. So entstand das Theater des Dio-
nysos in Athen, das allen anderen Theatern des Altertums zum Vorbild
diente und das in unserer Zeit durch die gemeinsamen Bemühungen deut-
scher und griechischer Archäologen wieder blossgelegt wurde. Ein so
grosser Bau mit den Räumlichkeiten für die Bühne und die Bühnenrequisite
ist nicht auf einmal entstanden und nicht unverändert im Laufe der Zeiten
geblieben. Nach Suidas hat man gleich nach dem Unfall der 70. Olympiade
mit dem Bau eines festen Theaters begonnen ; eingeweiht wurde dasselbe
im Jahre 472.^) Zum Abschluss und zur Ausschmückung mit den Statuen
der grossen Meister Aischylos, Sophokles und Euripides gelangte der Bau
erst unter der Finanzverwaltung des Lykurg (338—326).*)
^) Dieses Datam ist aas der neogefan*
denen Urkunde, über die Theatersiege CIA II
971, durch scharfsinnige Kombinationen er-
iviesen von Okhhichbn, Anfänge der drama-
tischen Wettkftmpfe in Athen, Sitzb. d. b. Ak.
1889, II 142 ff. Vergleiche indes S. 215 AT>Tn 4.
^i Nach den Untersuchungen DöTpfelda
hat Lykurg nicht bloss das llieater ausge-
baut (^^eiQyttaaio wie es in der üeber-
lieferung heisst), sondern Überhaupt erst in
Stein erbaut, während vor ihm f^ die Zu-
schauer nur eine notdflrftige Erdaufechflttung
vorgenommen und für die Spielenden jedes
Jahr aus Holz eine provisorische Bahne her-
gerichtet worden sei. Es schüesst dieses
der erfahrene Architekt aus der Gleichheit
des Materials und der Bauweise in allen
Teilen, die von dem ältesten Steinbaa des
Theaters auf uns gekommen sind. l)ie
heutigen Reste des Theaters zeigen neben
^) Döbpfbld-Reisch, Das griechische
Theater, Athen 1896, grundlegendes Haupt-
werk. Daneben aber noch zu gebrauchen
WiESELBR, Theatergebäude und Denkmäler
des Bühnenwesens bei den Griechen und
B^mem, Göttingen 1851 mit Nachträgen.
Den Aufstellungen Dörpfelds tritt vielfach
entgegen Bethe, Prolegomena zur Geschichte
des Theaters im Altertum, Leipz. 1896.
2) II. ^ 304, wo die Richter auf Steinen
sitzen Uqm iA xvxXm. Rund war auch der
durch Schliemann blossgelegte Markt von
Mykene. Die alte, am Markt gelegene Or-
chestra zu Athen diente fOr kyklische, nicht
dramatische Chdre.
•) Suidas unt. TlgaTivag und Jh^vkog.
Da Pratinas nur einmal, Aischylos erst 485
den ersten Sieg erlangte, so ist bei Suidas
vielleicht die Zahl 0 (10) aus o€ (75) ver-
derbt.
C. Drama. 1. Anftnge and Äussere Verhältnisse. (§ 143.)
197
143. Teile des Theaters. Von einem griechischen Theater sind
SHauptteile zu unterscheiden: 1) der Zuschauerraum (&batQov oder xoXXov^
cavta), der aus allmählich ansteigenden, über den Halbkreis hinausgezogenen
Sitzreihen für die Zuschauer {roTq &€(o^bvoig) bestand, 2) der kreisrunde
Tanzplatz {oqx^^^Q^)j der auf der ebenen Erde für den Chor, aber nicht
bloss zur AuflRihrung von Dramen, sondern auch von Dithyramben und
lyrischen Tanzspielen hergerichtet war, 3) das Spielhaus {axrp^i]^ scaena),
das zunächst das Zelt, in dem sich die Schauspieler an- und umkleideten,
dann im weiteren Sinn den Platz auf dem die Schauspieler spielten {sm
cxrp^rjg) bedeutete. Zu diesen 8 Hauptteilen kommen noch die seitlichen
Zugänge {nagodoi), welche zwischen den vorderen Stützmauern der Cavea
nnd den Seitenwänden der Bühne lagen und durch die nicht bloss der Chor,
sondern in der klassischen Zeit auch die von aussen kommenden Schau-
spieler eintraten (rechts, vom Zuschauer gerechnet, vom Hafen, links vom
Land). Der Zuschauerplatz war durch Umgänge (rfiafw/tara) und radien-
förmig angelegte Treppen in mehrere Abteilungen {xegxfSeg, Keile) ge-
gliedert; der Keile gab es in Athen 13, ^) in Epidauros 12, in Thorikos
nur 3, im Piräus 13 im unteren, 26 im oberen Stockwerk. Die Orchestra
hatte in der Mitte einen Altar (ßwfiog), um den die kyklischen Chöre ihre
Reigen aufführten; vor dem Altar befand sich ein Tritt, auf dem der
Flötenspieler sass; derselbe hiess x^vfiäXtj, weil er mit dem Opferaltar in
Verbindung stand.*) In der Orchestra, und zwar auf jenem Tritt des
Altars mochte anfangs auch der Schauspieler seinen Platz gehabt haben,
wenn auch die Angaben der Alten von dem Fleischtisch {iksog)^ von dem
herab der Schauspieler vor Thespis mit dem Chor agiert haben soll, auf
dem Missverständniss einer Komikerstelle beruhen. 3) Noch des Aischylos
älteste Stücke, die Schutzflehenden, die Perser und vielleicht auch noch
die Sieben scheinen in der Orchestra gespielt zu habend) Das Spielhaus
(<rxr;i'i^'), das, wie angedeutet, ursprünglich aus einer rückwärts von der
Peripherie des Orchestrakreises aufgeschlagenen, für die Theaterrequisiten
bestimmten Bretterbude bestand, erweiterte sich noch unter Aischylos zu
dem vor jener Bude sich ausbreitenden Spielplatz, auf dem die Dramen
(nicht die Dithyramben) aufgeführt wurden. Derselbe war bedielt und
von Seitenwänden {naQaaxrjvia) begrenzt. Zutritt zu ihm hatten die
Schauspieler entweder durch eine der Thüren der Rückwand, oder
eioer älteren, etwas weiter südlich gelegenen
Orchestn noch die Anzeichen zweier Um-
Vanten, welche das Theater in hellenistiBcher
(2. oder 1. Jahrh. y. Chr.) und in römischer
Zeit (durch Nero und durch Phaidros im
3. Jahih. n. Chr.) erfahren hat
V) Die Zahl der 13 xBQxldeg stimmt
voU nur durch Zufall mit der Zahl der
FhyleD unter Hadrian fiherein.
') Ueher das schwer entwirrhare Ver-
IriUb Ton OQZV^^Q^ zu ^vfi^Xtjj tther das
die TeiBchiedensten Hypothesen aufgestellt
vnden, s. MOli.br 8. 129 ff.; Döbpfkld-
Das griech. Theat. 277 ff.
') Die HanpiBtelle über jenen iXsog bei
Pollux ly 123. Ein Missverständnis einer
Eomikerstelle nimmt Hiller Rh. M. 39, 329
an. Beachtenswert ist die von Reiobel,
üeber yorhellem'sche Götterkulte, Wien 1897,
entwickelte Theorie, wouach der Altar {ßutf^og)
aus dem GOtterthron {&Q6yos) entstanden ist;
dann ist jener Tritt (^vfÄ^Xrj) auf den Thron-
schemel zurückzufahren, auf den ursprüng-
lich die Opfergaben gelegt wurden.
*) WiLAMowiTZ, Die Bühne des Aischylos,
Herm. 21, 598 ff. Nach ihm fand der Bau
einer Rückwand erst um 460 vor Aufführung
der aischylischen Orestie statt Einwen-
dungen von ToDT, Philol. 48, 505 ff.
198
Qrieohisohe Litteratargesohiohie. L KlaMwohe Periode.
wenn sie aus der Fremde kamen, durch eine der grossen unteren Seiten-
eingänge {at xdvco naQoioi). Erst in der römischen Zeit brachte man auch
an den Paraskenien Thüren an, so dass durch diese die vom Hafen oder
dem Marktplatz oder dem Lande kommenden Schauspieler auftreten
konnten. Bei dem regen Verkehr, der zwischen den Schauspielern und dem
Chor im klassischen Drama stattfand, ist es nicht zu bezweifeln, dass zur
Zeit des Aischylos, Sophokles und Euripides Chor und Schauspieler auf
demselben Platze sich befanden und auf demselben Niveau sich bewegten,
wenn auch in der Regel die Schauspieler näher bei der Skenenwand, der
Chor näher der Orchestra zu standen. Aber eine in der letzten Zeit
sehr lebhaft erörterte Streitfrage ist es, ob dieser Spielplatz erhöht war
und eine eigentliche Bühne bildete oder nicht, i) Zur Entscheidung der
Frage beweisen die erhaltenen Theaterreste nichts, da keines derselben
in das 5. Jahrhundert oder in die Zeit der drei grossen Tragiker hinauf-
reicht; nichts auch die Bauvorschriften des Vitruv, De archit. VI 6, da
sich diese auf das hellenistische Theater und das Theater seiner Zeit be-
ziehen. Beweiskräftig sind allein neben den allgemeinen Gesetzen der
Optik die in den Dramen der Klassiker uns erhaltenen Anzeichen.^) Diese
aber, namentlich der Gebrauch von dvaßaiveiv und xataßaiveiv in Aristoph.
Ritt. 149, Wesp. 1342, 1514, Ach. 732, Eccl. 1152, Vög. 175, die Erwäh-
nung des buckeligen Anstieges (ci^oV) in Arist. Lys. 288 und zwei andern
in den Scholien angeführten Komödien, die Klagen der Greise über die
Mühen des ansteigenden Weges in Eur. El. 489, Ion 727 u. 738 ff. Herc.
120, Aristoph. Vög. 20 ff. u. 49 ff., zwingen zu der Annahme, dass der
Spielplatz erhöht war. Wie hoch, lässt sich nicht so leicht ausmachen,
da hiefür bestimmte Anzeichen mangeln und die Höhe der hellenistisehen
Bühne (3—4 m) für die klassische Zeit nicht massgebend ist. Allgemeine
optische Erwägungen lassen mich eine Höhe von ca. 5 Fuss und einen
Aufstieg entweder durch Stufen oder auf einer schiefen Bretterebene ver-
muten. — Zu diesen Hauptteilen des griechischen Theaters kamen nun
noch allerlei Ausrüstungsstücke, wie die drehbaren Prismen an den Seiten-
wänden {TieQtaxtoi, versnrae), die mit je drei Tafelbildern bedeckt waren
und durch deren Drehung eine Veränderung der Scene angedeutet werden
konnte;*) zahlreiche Maschinen, unter denen besonders nennenswert die Roll-
maschine {exxvxXrjfia)^ durch welche Personen aus dem Innern des Bühnen-
*) Dass der Spielplatz erhöht war, ist
die hergebrachte Meinung, für die neuer-
dings Weisshann, Die scenischen Auffüh-
rungen der griech. Dramen, München 1893,
mehrere beachtenswerte Beweise beibrachte,
darunter die Stelle aus der Parodos des Hera-
kles 120 ff., auf die ich zuerst hinwies, um
zu beweisen, dass auch der Chor beim Ein-
zug in die Höhe steigen musste. Für die Zeit
nach 427 nimmt auch Bethe, Prolegomena
zur Geschichte des Theaters im Altertum,
Leipz. 1896, eine erhöhte Bühne an. Die
entgegengesetzte Meinung, dass das ganze
Drama zu ebener Erde auf dem Boden der
Orchestra gespielt habe, hat im Gegensatz
zur Ueberlieferung des Altertums (Vitniv
V 6) zuerst Dörpfeld aufgestellt.
*) lieber sie handeln mit Bezug auf
unsere Frage Capps, The stage in the greek
theatre according to the extant dramas,
New Haven 1893, Bodenstbimbr, Scenische
Fragen über den Ort des Auftretens und
Abgehens von Schauspielern und Chor im
griech. Drama, gekrönte Münchener Preis-
schrift, publiziert in Jahrb. f. kl. Phil. Suppl.
XIX und Reisch in Dörpfeld-Rbisch, Das
griech. Theater IV. Abschn.
') Nachweisen lässt sich der Gebranch
dieser Periakten in keinem der uns erhaltenen
Stücke.
C. Drama. 1. Anfänge und Äussere Verhältnisse. (§ 144.)
199
haoses auf die offene Bühne herausgerollt wurden, die Schwebemaschine, eine
Art Erahnen an dem linken Paraskenion, womit Personen in der Schwebe
{mi fir^x'^vrj^) vorgeführt werden konnten, die Qötterbühne (^eoXoyetov, im
Gegensatz zum gewöhnlichen XoyeTov), welche Götter auf einem höheren,
durch das Dach der Spielbude gebildeten Standplatz erscheinen liess.
144. Spieltage und Agone. Der Ursprung des Dramas aus dem
Kulte des Dionysos gab sich bei den Athenern bis in die spätesten Zeiten
darin knnd, dass Dramen nicht alltäglich und nicht zu beliebigen Zeiten,
sondern nur an den Festen des Gottes Dionysos zur Aufführung kamen.
Den Ehrenplatz hatte deshalb im Dionysostheater zu Athen in der Mitte
der ersten Reihe der Priester des Dionysos Eleuthereus.^) Das Drama trat
80 in den Kreis der musischen Wettkämpfe {äywveg fiovaixoi) ein, indem
zur Feier der Götterfeste durch poetische und musikalisch-orchestische
Prodnktionen vom Staat ein Preisbewerben eingerichtet wurde.') Die
Haaptfeste, an denen Dramen zur Aufführung kamen, >) waren die grossen
oder städtischen Dionysien,^) gefeiert zur Zeit der wiedererwachenden
Natur im Monat Elaphebolion (März /April), und die Lenäen oder das
Kelterfest, begangen im Monat Gamelion (Januar/Februar).^) Die Dionysien
flberstrahlten seit den Perserkriegen, namentlich seitdem sie nach Er-
richtung des steinernen Theaters im Jahre 472 scenisch geworden waren, ^)
an Glanz und Dauer alle anderen Feste : Athen zeigte sich dabei im Fest-
gewand gegenüber ganz Hellas, insbesondere auch gegenüber den Bundes-
genossen, deren Abgesandte um jene Zeit die Tribute nach Athen brachten
und dem Festspiel im Theater beiwohnten. Die Leitung der Festfeier
übernahm daher auch der erste Beamte des Staates, nach dem das Jahr
benannt wurde, der agx^^' i7i<avvfiog. Tragödien, und zwar nur neue,
kamen mindestens an drei Tagen hintereinander zur Aufführung, 7) und
zwar regelmässig je drei Tragödien und ein Satyrdrama. Die würdevolle
Tragödie bildete eben den Glanzpunkt des Festes. Dass immer drei Stücke
^) Sein Sessel mit der bezüglichen In-
sduift ward ans den Ruinen hervorgezogen;
die Abbildnng bei MGlleb a O. 94. Ange-
spielt ist auf den Platz bei Arist. Equ. 536.
') Das altere musische Fest Athens, die
Panathenften, blieb auch nach Einführung der
neaen Bionjsosfeste noch bestehen, diente
aber nach wie vor den Alteren Agonen der
KbspBoden, Auleten, Eitharisten.
•) UnverUssig Diog. IV 56: SQdfjutaiv
Jjtywi^oyjo Jioyvaioigy Aijyaioig, Uaya&tj-
racoK {9eoiyioif em. Böckh), XvTQotg {XviQoi
InesB der 3. Tag des ältesten Dionysosfestes,
der Anthesterien, gefeiert am 13. des Monates
Anthestoion, Februar/März); richtiger Schol.
Arist Ach. 503; vgl. MCllbb, S 309 f.
*) Genannt rä iv aarst Jtoyvcui, im
Gegensatz zu den Dionysien auf dem Land
oder denen in der Vorstadt. Der Bezirk
^ Ufittttig lag nSmüch nach Thukyd. II 15
iMMrhalb der Mauer. Die Superiorität der
ponen Dionysien zeigte sich auch darin,
dan an ihnen nur ein Bürger, an den Le-
nAen auch ein Metöke (s. Schol. Aiist. Plut.
953) die Ghoregie leisten durfte.
') Das Fest genannt nach dem Kelter-
platz, daher der Ausdinick ovni Arjyaii^
(iyaiy bei Arist. Ach. 503; vgl. Hesych. inl
Arjyai^ u. Bekker An. gr. 278. Maass, Ind.
lect. Gryph. 1891 leitet Afjyatoy nicht von
Xi]y6g dor. Xayog ,Kelter* sondern von Xtjyfj
3Acchantin' ab.
') Musisch waren sie wohl schon zuvor,
aber der musische Teü wird vor 472 (l|
ov TiQtaxoy xvi/noi rjactv) nur in Dithyramben
bestanden haben; dass in noch Älterer Zeit
das Fest apollinisch war, schliesst A. Mokmsbn,
Heortologie 59 hauptsAchüch daraus, dass
auch spAter noch der Preis in einem Drei-
fnss bestand.
') 4 Tage zur Zeit des Schauspielers
Polos bei Plut. an seni 3; 4 Eonkurrenten
hatte Aristophanes im Plutos (i. J. 888; s. arg.
IV); ebenso gross war die Zahl in den Jahren
354—3 nach GIG 231; s. üsenbb, Gom. phil.
Bonn. p. 583 ff., Rohdb Rh. M. 39, 161.
200
Grieohisohe Litteratargesehiohte. I. Klasswohe Periode.
auf einmal zur Aufführung kamen, scheint auf die ältere Zeit, wo das
Festgedicht in einem dreigliedrigen Dithyrambus oder Nomos bestand, zu-
rückzugehen. Die drei Tragödien zusammen hatten den Namen Trilogie,
wobei Logos soviel als dialogisches Festspiel bedeutete, i) Neben Tragö-
dien wurden schon zu Aischylos Lebzeiten,*) wahrscheinlich schon seit 472,
auch Komödien gegeben;^) über die Stelle, welche dieselben einnahmen,
widersprechen sich die Zeugnisse. Aus den Versen der Vögel des Ari-
stophanes 789 flf., wo den Zuschauern Flügel gewünscht werden, um
während der langweiligen Tragödie hinauszufliegen und nach gutem
Gabelfrühstück zur lustigen Komödie wieder zurückzukommen, möchte man
schliessen, dass damals auch an den Dionysien die Komödie am selben
Tage wie die Tragödien, und zwar an letzter Stelle nach den Tragödien
gegeben wurde.^) Nach dem Gesetze des Euegoros hingegen ^) und nach
den Didaskalien im CIA II 971 folgten in umgekehrter Reihenfolge ly-
rische, komische, tragische Aufführungen aufeinander, ^) wahrscheinlich so,
dass am 6. und 7. Elaphebolion die lyrischen Wettkämpfe der Knaben
und Männer stattfanden, am 10. die Komödien und am 11. — 13. die Tra-
gödien zur Aufführung kamen.') An dem älteren, vom a^x^r ßaml^vq
geleiteten Feste der Lenäen war umgekehrt die ausgelassene Komödie
das Hauptfestspiel, wenigstens in der Zeit nach 472, nachdem für die
Tragödie ein glänzenderer Platz an den grossen Dionysien geschaffen war.
Die Athener waren da, wie Aristophanes Ach. 503 sagt, unter sich allein
und konnten sich so ungescheuter über ihre politischen Verkehrtheiten
lustig machen. Übrigens wurden auch Tragödien an den Lenäen gegeben;
das war sicher in der Zeit vor 472 der Fall, wo eben die Lenäen das
einzige scenische Fest in Athen waren, aber auch aus späterer Zeit er-
fahren wir von einem Sieg des Tragikers Agathen an den Lenäen.®) —
^) üeber den Gebranch von %6yog =
SwXoyoq vergl. Aristot. Polit. VII 17 p. 1336*^
14, Antiphanes fr. 190, 2 nnd die Bezeich-
nung Xoyoi ZiüXQaxixoi für Bokratische Ge-
spräche. Später hat man auch Reden des
Antiphon und Dialoge des Piaton zu Tetra-
logien verbunden.
') Dieses steht fest durch das Sieger-
verzeichnis CIA II 971, wo ein Sieg des
Komikers Magnes neben einem des Ajschj-
los verzeichnet ist.
'J In der älteren Zeit versah wohl das
Satyrspiel allein die Stelle des heiteren Festes;
nach der Aufnahme von Komödien wurde das
Satyrspiel an seiner Stelle belassen, der Ko-
mödie aber ein neuer Tag eingeräumt.
^) Davon geht aus H. Sauppb, Ber. d.
Bachs. Ges. d. W. 1855 8. 19 ff.
') Das Gesetz des Euegoros, erhalten
in Demosthenes Midiana 10 lautet: Evrjyoqog
einey, öray ij nofjinrj ^ rto Jtoyvff(p iy /!«-
Qaiet xai ol xtauw&oi xai ol jQaytadol, xcci
ij inl Atjyalfü nofjmfj xai ol xqayi^ioi xai ol
xiautp&oif xai jotg iy aarei Jioyvcloiq rj nofjinrj
xai ol natdeg xai 6 xiofÄog xai ol xiofjLi^doi
xai ol T^ayffidol, xa&6 9a^tjXl(ay tj nofin^
xai t(p dytjyi, (Atj i^etyai fjktjjs iyej^t>Qaffat
(JLTJTB Xafißdyeiy iiBQoy äregov xzX.
^) Caesar, Quaestiones duae ad Arist.
Aves spectantes, Marb. Ind. lect 1881 hilft
sich nut der bedenklichen Annahme einer
Aenderung nach der Zeit der V5gel (414).
Vielleicht hat der Dichter einen auf die
Lenäen passenden Witz auf die dramatischen
Agone überhaupt übertragen. Auch das
tjgiatevtai d* i^agxovyKog in Arist. Ran. 317
spricht gegen die Aufführung der Komödie
nach der Tragödie.
') Die verschiedene Folge der dramati-
schen Spiele an den Dionvsien und Lenäen
scheint mit der Neuorganisation des Festes
im Jahre 472, zufolge welcher drei Arten
von Spielen, rqayi^diai, adtvgot, xmfÄ^diat,
gegeben wurden, zusammenzuhängen.
') Der Sieg des Agathen an den Lenäen
ist bezeugt durch Ath. 217 a; dass Aischylos
an den Lenäen wie an den Dionysien Siege
errang, steht aus den Verzeichnissen der
dionysischen und lenäischen Siege CIA il 972
fest, wenn auch der Name des Dichters nur
zum Teil erhalten ist Ob sich die littorari-
sehen Angaben über die Zahl der Siege des
G. Drama. 1. Anf&nge und äussere VerhAltnisse. (§ 145.)
201
Neben diesen zwei städtischen Festen waren durch theatralische Vorstel-
lungen die ländlichen Dionysien bekannt, an denen aber in der Regel nur
Stücke zur Auflföhrung kamen, welche in der Stadt bereit« die Probe be-
standen hatten. Besucht waren besonders die Dionysien im Piräus;
Theater gab es ausserdem in Thorikos, Munichia, Eleusis, Aixone, Sala-
mis. ^ Ausserdem wurden in der älteren Zeit und dann wieder seit
Lykurg auch an den Chythroi, dem dritten Festtage der Anthesterien,
Komödien in der Stadt aufgeführt.
145. Aufführung und Preise. Wollte ein Dichter ein Stück
zur Anfiöhrung bringen, so musste er bei dem Leiter des Festes, bei dem
Archon eponymos an den Dionysien, bei dem Archen basileus an den
Lenäen, um einen Chor nachsuchen (xoqov ahetv). Gab der Archon einen
Chor, so ward dem Dichter ein Chorleiter {xogrjyog) zugewiesen, *) der aus
Sängern, zunächst seiner Phyle einen Chor zusammensetzen und für dessen
Einübung {itSaaxakfa) durch den als Chormeister {SiSdaxaXog) fungieren-
. den Dichter zu sorgen hatte. Die Bestellung und Ausstattung der Schau-
spieler {vnoxgirai) ging denselben nichts an, da diese eigens vom Archon
den Dichtem zugelost*) und vom Staate honoriert wurden. Der Schau-
spieler gab es anfangs nur 1, unter Aischylos wurde die Zahl auf 2, unter
Sophokles auf 3 erhöht.*) Erst Sophokles erwirkte, dass der Dichter nicht
mehr verbunden war, eine Schauspielerrolle selbst zu übernehmen. In der
Regel fielen einem Schauspieler mehrere Rollen zu; aber auch so waren
dem griechischen Dichter durch die geringe Zahl der Schauspieler starke
Beschränkungen auferlegt. — Der Chor bestand in der Komödie aus 24,
in der Tragödie aus 12, später seit Sophokles aus 15 Mann ; ^) ausserdem
waren demselben ein Flötenspieler zur Direktion der Marschbewegungen
nnd Chorgesänge beigegeben, vielleicht auch ein Kitharist flir die Mono-
dien.^) Das ganze Personal war aus Männern zusammengesetzt; die
Sophokles, Enripides u. a. bloss auf das Hanpir
ii^Qdieiifest, die Dionysien, beziehen, ist
imgewiss; ebenso ob die Divergenzen bezüg-
lich der Zahl der Siege darauf znrQckznfnhren
aind, dass die lenäischen Siege teils einge-
rechnet wurden, teils nicht.
*) Ueber die Spiele in Salamis siehe
jetzt Aiistot. Ath. pol. 54. Das kleine Thea-
ter von Thorikos ist jetzt ausgegraben; sein
Phm bei Ddrpfeld S. HO.
') Die liturgische Leistung der Choregie
datiert nach Mann. Par. von 509/8; seit dem
Archontat des Kallias 406/5 traten zwei zur
Leiatong derselben zusammen (SchoL ad Arist.
Bau 406, CIA U 1280); an die SteUe der
Choregen traten in der Zeit nach Alexander
die Agonotheten; s. Köhler, Ath. Mitt. III
229 fL; MüLLBR, Bflhnenalt. 339 f. Die
Kosten einer tragischen Choregie betrugen
nadi Lysias 19, 14 an 3000, einer komischen
u 1600 Dracliinen. — A. Brinck, Inscr. gr.
ad cboregiam pertinentes (Diss. phil. Hai. VII)
lä86; BoDSHSTBiNER, Chorogische Inschriften,
IB Comment. phflol. Monac. 1891.
*) Phot. Hes. Suid. unt. vsfuqcBii vno-
XQiTüSv ol noifjtttl iXäf4ßayoy rget^ ino'
xQirdg xXiJQu» vefxri&ivxcig vnoxQtyovfÄsrovg
td dQdf4ara, iv 6 vixrjaag ek tovntoy dxgt-
rog naQsXafÄßäyexo. Trotz der Regel des
Loses wussten die grossen Dichter, wahr-
scheinlich durch Verständigung mit ihren
Mitbewerbern, bestimmte Schauspieler sich
ständig zu gewinnen.
*) üeber die Zeit der Vermehrung unten
bei Aischylos und Sophokles.
*) Wahrscheinlich ist man dabei von
den 50 Mann des älteren dithyrambischen
Chors ausgegangen, und hat von den 48
Mann, die man för eine viereckige Auf-
stellung allein brauchen konnte, die Hälfte
(24) dem minder angesehenen Spiel der
EomOdie, die ganze in vier Partien geteilte
Zahl (4 X 12) den vier Abteilungen (Tetra-
logie) des Spiels der Tragödie zugewiesen.
Eine andere Erklärung wird aufgestellt von
ZiBLiNSKi, Gliederung der altatt. EomOdie
S. 273 f.
") Neben der Flöte ist auch die Lyra
angewendet im Wettstreit des Aischylos und
Euripides in Arist. Ran. 1304. Bloss Auleten
202
GriechiBohe Idtteratnrgesohiohte. I. KlMsüche Periode.
strenge Sitte verbot den Frauen Anteilnahme am öffentlichen Spiel. Auf-
gestellt war beim Einzug der Chor im Viereck (TftrßJywio^ X^Q^^)i ^ücbt
im Kreis {xvxXiog x^Q-) wie beim Dithyrambus. Mit der viereckigen Auf-
stellung war die Gliederung des Chors in mehrere Lang- und Querreihen
{(XToixoi^ Cvycc) verbunden. Während des Spiels trat derselbe, um den
Blick auf die Bühne nicht zu hindern, in zwei sich gegenüberstehende
(avTiTrQoaioTioi) Abteilungen auseinander, welche Stellung auch die Regel
bei den in Strophen und Antistrophen gegliederten Stehliedern {avdaifJLa)
bildete. 1)
War alles für das Festspiel vorbereitet und bei der Generalprobe im
Odeon als richtig befunden worden, *) so fand an den Dionysosfesten selbst
im Theater, zu dem jeder Bürger, anfangs unbedingt, ispäter gegen ein
massiges Eintrittsgeld, ') Zutritt hatte, die Aufführung statt. Die Auffüh-
rung war zugleich eine Preisbewerbung (aydv) ; die Entscheidung lag in
dem Urteil von besonderen Preisrichtern, fünf an der Zahl*) Preise
wurden drei verteilt, so dass, da in der Regel auch drei Dichter oder
Choregen konkurrierten, jeder derselben einen Preis erhielt und nur ein
Unterschied im Grad des Preises stattfand, jedoch so, dass nur der erste
Preis als Sieg galt. Höher standen im Ansehen die Siege bei den grossen
Dionysien {äatixai vTxai) als die bei den Lenäen {Arjvaixai i'ixa«); von
Siegen und Preisen bei den ländlichen Festen hören wir ohnehin nichts.
Der Preis galt nominell dem Choregen, der die Kosten getragen hatte;
dass derselbe in einem Dreifuss (xqiTtovg) wie bei den lyrischen Siegen
bestanden habe, ist unerwiesen.^) Der Dichter erhielt als Chormeister
einen Ehrenlohn ((xiad^vq)^ «) dessen Höhe in den verschiedenen Lagen des
Staates verschieden war; auch den Schauspielern oder richtiger den Pro-
erwähnt Demosth. 21, 13; 8. Graf, Philo!.
46, 68.
^) Ueber die Gliederung des Chors han-
delte znerst 0. Müllbr im Anhang seiner
für die scenischen Altertümer epochemachen-
den Ausg. von Aesch. Eumeniden. Neueres
bei Christ, Teilung des Chors, in Abhdl. d.
b. Ak. XIV 198 ff. und A. Müller, Bühnen-
alt. 202 f. Für die Aufstellung beim Vortrag
ist das Hauptzeugnis bei Hephaest. p. 73 W. :
xaXeltai 6k na^aßacig, ineidtj eiaeX&oyjeg
eig t6 &iarQoy x«t ayrinQoaion o i aXXij'
Xoig aräyreg ol xogevral nageßaiyoy etc.,
wonach die Choreuten bei den Stasima sich
gegenüber standen.
*) Dieser Proagon fand wenige Tage
vor den Dionysien statt nach Schol. Aesch.
in Ctes. 67. Den Proagon sucht als blosse
Ankündigung des Stückes zu erweisen Rohdb
Rh. M. 38, 251 ff. Mit der Annahme von drei
Arten von Proagonen sucht sich zu helfen
Oebmichen a. 0. S. 103 ff.
•) Das Eintrittsgeld ((^etagixoy) betrug
für einen Spieltag 2 Obolen, daher Dem. de
cor. 28 : iy toty dvoTy oßoXoTy i&eüioovy.
Seit Perikles wurde dasselbe aus der Staats-
kasse den Bürgern wieder vergütet.
*) Sprichwörtlich iy nivte xgiTtay yov-
yaai xsltai. Die 7 Richter bei Luc. Harm.
2 und Vitruv 1. Vfl prooem. scheinen auf
spfttere Zeiten, wo die Zahl der Phyl^
vermehrt war, zu gehen. Die Reduzierung
von zehn urteilenden Richtern auf fünf
stimmende hat Saufpb, Ueber die Richter bei
scenischen Spielen, in Abhdl. d. sftchs. Ges.
d W. Bd. VII aufgeklärt; vgl. Müller a.
0. 369 ff.
^) Bei Plutarch Them. 5 heiast es nur
(iyä9f]xe niyaxa trjg ytxrjg * das berühmte
choregische Denkmal des L^sikrates, be-
kannt unter dem Namen Diogeneslateme,
verherrlicht einen Dithyrambensieg. Der
Dreifuss als Preis snezieU für einen diti&y-
rambischen Männerchor bezeugt von Lys. 21,
2, wird für die dramatischen Agone in Ab-
rede gestellt von Bergk und Lipains bei
Müller S. 418.
^) Arist. Ran. 367; wie gross der Lohn
war, können wir nach den bei den Pana-
thenäen ausgeteilten bemessen; bei diesen
erhielt nach CIA U 965 der erste Kitharode
einen goldenen Olivenkranz von 1000 Drach-
men und 500 Dr. Silber, der zweite 1200 Dr.,
der dritte 600, der vierte 400, der fünfte 300.
C. Drama, 1. Anf&nge and änsBere Verhältnisse. (§ 146.)
203
tagonisten worden seit 456 Preise zuerkannt. Über ^ die Preisverteilung
wurde eine Urkunde (SiSaaxaXia) aufgenommen, von denen uns noch
mehrere inschriftlich, andere durch Vermittlung der Schrift des Aristoteles
nffi Maaxakiiav durch Notizen der Grammatiker erhalten sind.^)
146. Chorgesänge. Die Anlage und Gliederung des Dramas«) har-
monierte mit den Teilen des Theaters und der Zusammensetzung des
Theaterpersonals. Schon im Dithyrambus traten die Verse des Vortänzers
den Gesängen und Tänzen des Chors gegenüber; ausgeprägter wurde
dieser Unterschied im Drama, wo sich bestimmter die Gesänge des Chors
(ra %0Qixa\ die Reden der Schauspieler (didXoyog^ diverbium oder deverbium)
und die Wechselreden des Chors und der Schauspieler schieden. Die
eigentliche Handlung ruhte in den Reden und Aktionen der Schauspieler;
der Chor nahm zwar, seltener in der Tragödie, öfter in der Komödie, am
Fortgang der Handlung teil, repräsentierte aber mehr den zuschauenden,
beobachtenden Teil, in der Tragödie speziell das die verschiedenen Phasen
der Handlung mit seinen Sympathien begleitende Volk. In der älteren Zeit
hatte der Chor, entsprechend dem Ursprung des Dramas, den Vorrang.
Damals also eröffnete^) und schloss der Chor das Spiel; aus seiner Stel-
lung in jener Zeit erklärt es sich, dass auch später noch beim Beginn
des Spiels der Herold den Dichter oder Choregen aufforderte, den Chor
hereinzuführen.^) Das Lied, mit dem der Chor von dem Seitenzugang
(naqoioq) in die Orchestra einzog, hiess Parodos,^) das, mit dem er die
Bühne am Schlüsse verliess, Exodos; zog er während des Stückes nach
zeitweiliger Entfernung zum zweitenmal in die Orchestra ein, wie im Aias,
so hiess dieser zweite Einzug sowie das begleitende Lied Epiparodos.
Die Marschbewegung erheischte ein entsprechendes Metrum ; dazu eignete
sich in der feierlichen Tragödie zumeist der Anapäst, in der lustigen
Komödie der Trochäus oder lambus. Bei der grösseren Raschheit des
') Schol. Arist Ran. 367, Eccles. 102.
tlW diese Didaskalien die erste Haupt-
eriiDtenuig von Böckh CIG I p. 350 ff.;
aeit der Zeit hat sich das Material durch
mae Fände in der Nfthe des Dionysos-
theitere bedeutend vermehrt (CIA II 971,
^7V8o dass Bbrok Rh M. 34, 292 ff. die
fuze Frage von neuem behandelte. Die
Ma aofg^indenen Inschriftenplatten ent-
halten ädaskalien der grossen Dionjsien
Mch Jahren geftihrt (n. 971), und Dichter-
^cneichnisse mit Angabe ihrer vlxai daiixal
Uld vufu XrjyaXxai (n. 977).
.») Arist Poet 12; PoUux IV 53; Eu-
Ueida bei Tzetzes nsQi jQayt^iiag^ dazu
Wktphal, Proleg. z. Aesch. Tragödien,
I^ipz- 1869; Aschebson, umrisse und Glie-
WL^ des gr. Dramas, in Jahrb. f. Phil.
SippL IV 419 ff.; OsHMiOHBir, De compo-
Btiooe episodionun trag, graecae externa,
frhoig. 1881 ; ZiBUirsKi, Gliederung der alt-
i^^iBC^ Komödie, Leipzig 1885.
') So noch in Aesch. Suppl. Pers. und
tt den Bonkoloi des Kratinos, die mit einem
viftyrambus anfingen.
*) Arist. Ach. 10: 0 <r avBLUBv ' suray*
(o Seoyyiy roy /o^V. Freier gebraucht ist
TiQoeicdyeiy vom Schauspieler bei Aristot
poüt Vn 17 p. 1336 »> 29.
*) Aristoteles definiert: jj^o^txoi; riagotfog
fxkv Yj TiQtüttj Xä^ig oXij {oXov cod.) j|f o^ov.
Aus der falachen Lesart oXov entwickelte sich
die falsche schon bei Plutarch, an seni p.
785 a vertretene Meinung, dass in Soph.
Oed. Col. das Loblied auf Athen (668—719),
das erste welches der Gesamtchor singt,
als die Parados angesehen werden müsse.
Im übrigen stimme ich ganz L. Schmidt,
Rh. M. 28, 286—91 u. Ind. Marb. 1889 bei,
der den vorwitzigen Fragen neuerer Ge-
lehrten, welche Verse in den einzelnen Dra-
men nach des Aristoteles Definition sei es
der Parodos, sei es den Stasima zuzuweisen
seien, den Satz entgegenhält, dass die Fragen
der tragischen Technik das klassische, die
der Terminologie das nachklassische Zeit-
alter angehen, und dass leicht Aristoteles
mit dem ersten Versuch einer Feststellung
der Terminologie nicht alle Fälle der Praxis
getroffen habe.
L
204
Qrieohisohe LitteratargeBohiohte. I. Klaasisohe Periode.
Aufbruchs erschien -auch für die Tragödie in der Exodos der trochaische
Tetrameter nicht unpassend. Diese Rhythmen eigneten sich mehr zum
recitierenden Vortrag {naQaxaraXoyO als zum vollen Gesang, weshalb auch
die Parodos von Aristoteles als A«?/$, nicht als fiäXog bezeichnet wird.
Aber bei blossen Einzugsversen blieb es nicht ; es reihten sich daran noch
andere Oesänge, welche der Chor, nachdem er bereits seinen Standplatz
eingenommen hatte, vortrug. Es kam später auch der Fall vor, dass der
Chor stumm während der Reden der Schauspieler in die Orchestra einzog
oder dass der Gesang sich zu einem Wechselgesang zwischen dem Chor
und den Personen der Bühne gestaltete. Aber immer verblieb dem ganzen
ersten, beziehungsweise dem ganzen letzten Gesang der Name Parodos
oder Exodos.^) Bei der Exodos nahmen sogar mit der Zeit die Schau-
spielerpartien einen solchen umfang an, dass Aristoteles die Exodos unter
den scenischen, nicht den chorischen Partien aufführt. — Die mittieren
Chorlieder, welche die Dialogpartien unterbrachen und in der Regel bei
leerer Bühne vorgetragen wurden, Wessen in der Tragödie Stasima,
d. i. Stehlieder, im Gegensatz zu den Marschanapästen.*) Solche Steh-
lieder zwischen dem Abtreten und Wiederauftreten der Schauspieler sind
auch der Komödie nicht ganz fremd, doch haben sie hier keine gleich
ausgebildete, regelmässige Stellung gehabt.^) Eine besondere Klasse dieser
Zwischen gesänge bilden die Hyporchemata,*) bei denen der Chor in
jubelnder Stimmung den Fuss zum Tanze erhob, wie in Soph. Aias 693 ff.
und Arist. Lysistr. 1247 flf. Welche Ausdehnung dieser Tanz hatte und
inwieweit auch mit dem Vortrag der übrigen Chorgesänge eine Bewegung
verbunden war, ist schwer zu sagen. ^) Unterschieden wurden drei Arten
dramatischen Tanzes, die feierliche Emmeleia der Tragödie, der lascive
Kordax der Komödie und die hüpfende Sikinnis des Satyrdramas.«) — Ausser
den genannten Chorliedern, welche allen Arten des Dramas gemeinsam
sind, hat die Tragödie und Komödie noch einige spezielle. In der Ko-
mödie, in welcher der Chor auch durch Zwischenlieder weit öfter in den
Gang der Handlung eingriff, war ein Hauptchorgesang die Parabase,
eigentlich ein ganzes Zwischenspiel, das der Chor den Zuschauem zu-
*) Daher Arist Poet. 12: ndgo&og fAhv
17 TtQtojt] Xe^ig 0A97. So hat in Aesch. Agam.
die Parodos 3 Teüe: anapJlstisches Einzngs-
lied (40—103), dak^lische Perikope aas
Strophe Antistrophe Epode (104—169), tro-
chäische Strophenpaare (170 — 269).
*) Daher Arist. a. 0.: axdaifxov Sk fie-
Xog jlfo^or x6 ävev dyancdajov xai rgo^alov.
Der Ausdruck axaatfAov scheint mit dem
technischen Ausdruck fabula stataria im
Gegensatz zu fabula motoria zusammenzu-
hängen, indem auch die Stasima dem Drama
einen ruhigen, die Hyporchemata einen be-
wegten Charakter gaben. Hingegen deutet
Herkann, Epit. doctr. metr. § 665 das Wort
de choro tenente stationes suas, weil nach
früherer Annahme der Chor bei allen Ge-
sängen Tanzbewegungen machte.
') ZiBLiNSKi a. 0. nimmt, zumal Ari-
stoteles jene Teile speziell bei der Tragödie
aufziQilt, eine schärfere Scheidung von Tra-
gödie und Komödie an, indem er jener die
episodische, dieser die epirrhematische Kom-
position zuweist.
^) Eukleides bei Tzetzes de trag. 115.
Aristoteles hat das vnoQxvjfJia offenbar wegen
seines selteneren Vorkommens ganz aber-
gangen. Die getanzten Chorgesänge gingen
aus der älteren Form der Tragödie honror,
in welcher nach Arist. Poet. c. 4 and A&
p. 22 a der Tanz eine grössere Rolle spielte.
*) Das Verbum /opcvsfc»' gebraucht auch
vom Stasimon Soph. OR. 894, 1095.
«) Bbkkeb, An. gr. p. 101; Poll. IV 99.
Vgl. H. Buchholz, Die Tanzkunst des Ea-
ripides, Leipzig. 1871; Chr. Kibchroff, Die
orchestische Eurythmie der Griechen, Altona
1873.
C. Drama. 1 Anf&nge and äussere Verhältnisse. ($ 147.)
205
gekehrt aufführte und das, wenn die Parabase vollständig war, sich in 7,
teils gesungene, teils gesprochene Teile {xofifiariov , nagaßaaiq rj dva-
natatoij iiaxQov iq nvTyogy (pit]y imQQrjfia^ ävTtpii^y ävreniQQr^^a) gliederte.^)
— Der Tragödie speziell eigen waren die Klagegesänge, xoinfioi ge-
nannt, weil sich die Klagenden dabei ehedem in lebhafter Erregung die
Bmgt zerschlugen;*) sie wurden nicht vom Gesamtchor, sondern von
einzeben Choreuten oder einzelnen Abteilungen des Chors und einer oder
der anderen Person der Bühne abwechselnd gesungen {fJLtXr] dfzoißaia).^)
Überhaupt aber war der Chor durchaus nicht immer als geschlossenes
Ganze thätig; vielmehr entwickelte er ein lebhaftes, wechselreiches Leben
dadurch, dass er bald in seiner Gesamtheit als militärisch geordnete Rotte
(ioxog) auftrat, bald sich in Einzelchoreuten auflöste {(tTtoQddr^v), bald in
zwei Reihen sich gegenüberstellte (dvtiTTQoacjnoi), bald reihenweise sang,
bald durch seinen Führer {xogvfpatog oder r]y€fi6v€g zdv r^fiixoQi'cov) sich
vertreten Hess.*)
147. Schauspielerpartien. Die scenischen Partien, die Gespräche
der Bühne oder der Schauspieler, sind der Prolog und die Epeisodia. Der
Prolog, oder diejenige Partie, welche dem ersten Auftreten des Chors
voranging, fehlte, wie bereits bemerkt, in den ältesten Stücken ganz,
spater hat er bei den verschiedenen Dichtern verschiedene Gestalt an-
genommen. Der Name Epeisodion bezeichnete zur Zeit, als es noch
keinen Prolog gab, das erste Zwiegespräch der Schauspieler, indem dabei
zu dem Chor, der zuvor schon eingezogen war, nun auch die Schauspieler
in das Theater eintraten {eTisiaf^iaw);^) des weiteren hiessen so dann
anch die übrigen Dialogpartien zwischen den einzelnen Stehliedern, in
denen die Schauspieler, welche in der Regel während des Chorgesangs ab-
wesend waren, von neuem auf die Bühne traten. Man ersieht leicht, wie
sich daraus die später bei den Römern und bei uns übliche Einteilung in
Akte (aäus) entwickeln konnte;«) dieselbe verdrängte die alte Gliederung
des Dramas in Prolog, Parodos, Epeisodia, Stasima, Exodos, nachdem der
Chor und damit auch die alten Chorlieder in Wegfall gekommen waren.
Prolog und Epeisodien wurden einfach gesprochen, wozu das herrschende
Versmass des Dialoges, der iambische Trimeter, trefflich passte.') Aber
lediglich auf Kombinationen angewiesen, in
denen sich besonders G. Hermann in seinen
Ausgaben versuchte.
*) Vgl. Soph. OC. 780 rrjg ifi^s inei-
aoSov.
•) Westphal, Prolegomena zu Aischylos
S. 188 ff.
'') Dem iambischen Trimeter ging zur
Zeit, als das Drama noch mehr den Charakter
einer Tanzaufführung hatte, der trochJüsche
Tetrameter voraus; s. Arist. Poet. 4: x6
fXBXQOv ix TeiQ(efA£TQov lafißeToy iyiysxo ' to
fiky yuQ 7iQ<oToy TetQafietQio ixQfoyro did t6
aceivQiXTJy xal oQXfloxixiaxiQay eiyai Tijy
noiTjaty. Mehrere Gelehrte, namentlich West-
phal, nehmen gestützt auf Plut. de mus. 28
teilweises Recitativ der Trimeter bis in die
Zeit des peloponnesischen Krieges an.
*) KoLSTSB, De parabasi 1829; Agthe,
Die Parabase, Altena 1866; Christ, Metrik^
§734 ff.
') Aesch. Cboeph. 422 exoipa xofÄfia
•) Ärist Poet 12: xofAfAog Sk ^gijvog
M(ro( /o^ot' xai an 6 axrjyrjg. Indes gibt es
loch äagegesfinge, welche bloss von Cho-
i^en oder bloss von Bflhnenpersonen ge-
lingen wurden; aber der Wechselgesang
vtf die Regel, weshalb bei Tzetzes neQi
ip«y. ffocf/Vr. 119 bei Aufeälilung der Teile
^r Tragödie 17 i^ afiotßijg wdij an die Stelle
^xoufioi geiareten ist. Poll. IV 53 gebraucht
^fiaiixä f&r xofJtfAoi,
*) Leider sind diese Unterabteilungen
^ Chors in unseren Handschriften und
SckoÜen selten angemerkt und sind wir fast
206
Orieohisohe Lüteratnrgesohiohte. t. Klaasisohe Periode.
auch das Recitativ der Vorsänger des Dithyrambus lebte teilweise im Drama
wieder auf. Dasselbe hatte zunächst seine Stelle in der Exodos und den
Kommoi, welche abwechselnd von den Schauspielern und dem Chorführer
vorgetragen wurden; dasselbe erhielt sich aber auch in den Tetrametem,
welche, häufig namentlich bei Aristophanes, auf Strophe und Antistrophe
folgen und durch ihren symmetrischen Bau sich über die Stufe der einfach
gesprochenen Trimeter erheben. i) Endlich fehlte auf der Bühne auch
nicht der förmliche Oesang; er machte sich in den Einzelgesängen
(/lOT'fjr) J/at) «) und Duetten der Schauspieler {tcc ano axijvfjg scü. fisXtj)
breit, welche in der jüngeren Tragödie in demselben Qrade zunahmen,
in dem die schlichte Weise des alten Chorgesangs in den Hintergrund
gedrängt ward, so dass sie schliesslich bei Plautus und in dem römi-
schen Drama den einzigen Rest des Gesangs im Theater (Cki^ntica) aus-
machten.
2. Die Tragödie.')
a. Die Anfänge der Tragödie bis auf Aischylos.^)
148. Nach Aristoteles Poet. 4 ist die Tragödie von den Yorsängem
des Dithyrambus {ano t(ov k^aQxovToov %6v di&vQafißov) ausgegangen und
zuerst im Peloponnes aufgekommen.^) Beide Angaben hängen zusammen«
Denn in Korinth hatte Arion, den Suidas den Erfinder des tragischen
Stils {TQayixov TQOTtov) nennt und Tzetzes geradezu in den Anfang der
Reihe der Tragiker stellt,«) den ersten dithyrambischen Chor aufgestellt,
^) Sehr weit gehen in der Annahme
symmetrischen Baues der Dialogpartien, aach
der iambischen Trimeter Prien und Oeri,
denen gegenüber ich meine beschränkenden
Thesen in der Philologenversammlung zu
Wiesbaden im J. 1877 (Vrhdl. S. 141-161)
aufstellte.
*) Die Monodien haben sich aus den
Elagegesängen entwickelt; daher Phot. lex.
fiovioifetv • &Qr]y€Tyf und Philostr. vit. soph.
109, 23 fioytpdlav xal ^Qtjvov.
") Im Altertum schrieben :Asklepiad es
Tragilensis, ein Schüler des Isokrates, Tp«-
yatdovfjera d. i. von den Mythen der Tragödie
(fragm. coli. Werfer in Acta phil. Mon. II 4;
Müller FHG IÜ 301 ff.); Duris der Histo-
riker und Istros ausEallatis riegi tgayt^ölug
(s. Ad.Trbndelbnbüro, Grammaticorum graec.
de arte trag, iudicia, Bonn 1867); Hera-
kleides Pont. neQi itHy tquov rgaytado-
nomv (Diog. V 88). Der letztere und' der
Peripatetiker Dikäarch handelten auch von
dem Inhalt (xeqrtr'A«*«) der Tragödien, speziell
des Sophokles und Euripides (Ath. 134 ^ und
Sext. £mp. 3, 3), worauf die vnodiaeig (argu-
menta) des Aristophanes von Byzanz basier-
ten, von denen uns noch Reste in den Scho-
lien erhalten sind (s. Schneidewin, De hypo-
thesibus trag. gr. Aristophani Byzantio vindi-
candis, Abhdl. d. Gott. Ges. VI 3—37). -
Neuere Werke: Welckbb, Die griecb. Tra-
gödien mit Rücksicht auf den epischen
Gyklus geordnet, Bonn 1839, 3 Bde, Haupt-
werk; BoBCKH, De tragoediae graecae prin-
cipibus, Heidelb. 1808; W. E. Kayser, Historia
critica tragicorum graecorum, Gott 1845;
Patin, Etudes sur les tragiques grecs, 6. ed.
Paris 1884, ästhetische Analysen mit geist-
reichen Seitenblicken auf das moderne
Drama. — Fragmentensammlungen: Poetae
tragici gr. von Fr. W. Wagnbb, Breal. 1844
bis 52, 3 Bde, Tragicorum graecorum firagm.
(TGF) von Nauck, Lips. (1856) 1889, H&apU
werk; dazu Tragicae dictionis index., Petrop.
1892, von Nauck und seinen msaiscben
SchiQem.
^) Bentlet, De origine tragoediae, in
Opusc. 276 ff.; Hilleb Rh. M. 39, 321 £F.;
Nietzsche, Die Geburt der Tragödie aus dem
Geiste der Musik, Leipz. 1872.
*) XoQoöi&itaxaXog war der gemein-
same Name für den choreinübenden Dicditer
im Dithyrambus und in der Tragödie.
*). Tzetzes Proleg. in Lycophr.; vgl. Diog.
m 56: To naXaiov iv if, TQttyt^dltf TtQoreQo^
fjL€v fxoyog 6 /o^df öiedQWfjiaTiCey^ rare^^f
Ö€ ^sanig iya vnoxguijy i^svQBy. Ath. 630c:
avyfarrjxs <f^ xal aatvQtxij ndca noitjtrtg to
rtttkaioy ix jjro^oJ»' tag xal rj tots r^a^cucfta.
BöcKH, Staatsh. d. Athener 11^ 861 ff.,' hui
C. Drama. 2. Die Tragödie, a) Antenge. (^ 148— 14d.)
207
und in Sikyon wurden nach der bekannten Nachricht des Herodot schon vor
dem Tyrannen Kleisthenes tragische Chöre aufgeführt, welche anfangs
die Leiden des Gottes Dionysos, später auch die tragischen Geschicke des
Helden Adrastos zum Gegenstand hatten.^) Sikyon war auch die Heimat
des halbmythischen Dichters Epigenes, der in seinen Dichtungen den
engen Kreis der Dionysosmythen überschritten und dadurch das Sprich-
wort ovdiv TtQog Jiowaov hervorgerufen haben soll.*) Dass auch in Phlius
derartige chorische Aufführungen bestanden, dafür zeugt der Dichter
Pratinas aus Phlius, der von seiner Heimat das Satyrdrama nach Athen
brachte. Von den Führern der Dithyrambenchöre aber leitet Aristoteles
an der angegebenen Stelle die Tragödie ab, weil ihm die Dialogpartien
als die Hauptsache des Dramas erschienen, die Rollen der Schauspieler
aber aas denen der Chorführer gleichsam herausgewachsen waren. In
der Natur der Sache lag es, dass die Worte dieser Chorführer in ein
anderes, dem Einzelvortrag besser angepasstes Metrum gekleidet waren ^)
und auch inhaltlich im Gegensatz zum Gesang des Gesamtchors standen.
Denn dem Führer kam es zu, den Chor zum Gesang oder Tanz aufzu-
fordern und demselben in erzählender Bede den Anlass zur Klage oder
Ekstase darzulegen. Stellte nun der Chor irgend eine Handlung, wie im
Mythus des Pentheus die Verwunderung über das Erscheinen des Gottes,
die Verfolgung des Gegners, die Klage über den Tod des Gefallenen mit
mimischem Gesang und Tanz dar, so bedurfte es nur noch der Anreden
des Koryphaios und des Gegenübertretens zweier Halbchöre mit ihren
Führern, und das dramatische Spiel war da.
149. Jene unbedeutenden Vorspiele im Peloponnes wurden bald in
Schatten gestellt durch die entwickelteren Formen, welche die neue Kunst
in Attika annahm. Hier war es das rebenreiche Dorf Ikaria, in dem zu-
erst mit dem Dienste des Weingottes zugleich auch das dramatische Spiel,
das der Komödie wie der Tragödie, erblühte.^) Aus Ikaria stammte
Thespis, der mit Umgehung des oben genannten Epigenes als der eigent-
liche Erfinder der Tragödie bezeichnet wurde. ^) Von dort wurde unter
dem kunstsinnigen Regiment der Peisistratiden die Tragödie nach der
djffans die yielberafene lyrische Tragödie
gemacht, welche AiiBchaaiing seinerseits G.
Hinusv, De tragoedia comoediaqne lyrica,
1836 (= Oposc. VII 211-240) als leeres
Phantom bekftmpfte. Den Gedanken Böckh's
uhm in unseren Tagen wieder auf Lübbert,
De Rndari carminibns dramaticis, Bonn. Ind.
1884 /*5, wo mit freier Phantasie definiert
wird: d^fiaia r^ayixd earmina sunt argu-
9teiUi heroiei, in quihus Bacchi loeo heroes
fndibant, qui pro genere humano propug-
namtes fartunae tela et ictus intrepido pectore
eteiperent. Em Duett haben wir jetzt in
«Dem neu aufgefundenen Gedicht des Bak-
%]ides n. 18; s. oben S. 166.
') Her. V 67 : ol Zixvfoyioi irifAuiy xov
I^^ifsj^v xal dtj TiQÖg TU -na^sn aviov rpa-
7»«>«« /opoofi iysQMQoy. Von Arion be-
^icktei Snidas: atttvQovg iveyxsiv %fjifiBTQa
'Uynrtag.
«) Zenob. V 4; Snidas u. Phot. z. W. Das
Sprichwort wird indes weder von Strabon
p. 381 noch von Plut. Symp. I 1 speziell auf
Epigenes gedeutet; umgekehrt deutet es der
letztere auf die Neuerungen des Phrynichos
und Aischylos. Von Epigenes datiert Suidas
u. Bianiq den Beginn der Tragödie. Die
Sikyonier nennt Erfinder der Tragödie The-
mistios or. XXVII p. 406 Dind.
') Zuerst trochäische Tetrameter, dann
iambische Trimeter nach Arist. Poet. 4,
Rhet. IUI.
*) Ath. 40 b: dno f4e97jg xal ij rrjg xio-
fjKodlag xai i^ rrjg tQaytodltfg evQsaig iv Ixa-
Qi(f zfjg ^Jjtixrjg.
^) Plato Min. 321a; Dioscorides Anth.
VII 410 u. 411; Horaz a. p. 275, deren An-
sicht Bbntlbt a. 0. verfocht. Dagegen nennt
Snidas den Thespis den 16. oder 2. Tragiker
nach Epigenes.
208
Örieohiische Litteratargesohichie. t. KlaSBiBohe Periode.
Stadt verpflanzt; im Jahre 534 führte daselbst Thespis die erste Tragödie
auf; für das Jahr 508, nach Verjagung der Tyrannen, ist uns die Über-
nahme der Chorleistung durch BQrger bezeugt.^) Wie die Tragödie in
jener ältesten Zeit beschaffen war und worin sich die altattische von der
peloponnesischen unterschied, darüber lässt sich nichts Bestimmtes aufstellen,
und davon hatte selbst Aristoteles keine klare Vorstellung mehr. Es werden
uns zwar von Suidas mehrere Titel von Tragödien des Thespis überliefert:
^Ax/^ka Uekiov r} d^oQßag, 'IsQeigy ^Hi&eoi, IJsv&svg, aber dass Thespis schrifk-
lich abgefasste Tragödien hinterlassen habe, ist sehr fraglich; wahrschein-
lich waren jene Stücke junge Fälschungen, welche Herakleides Pontikos
dem Ahnherrn der Tragödie untergeschoben hatte.*) Eher darf man aus
den Angaben des Diogenes') abnehmen, dass bei Thespis schon der
Schauspieler aus der Rolle eines blossen Chorführers zur selbständigen
Stellung einer ausserhalb des Chors stehenden Person herausgetreten sei
und davon, dass er auf die Fragen des Chorführers antwortete (vTiex^ivsto),
den Namen v/voxQiTrjg erhalten habe.*) Aber was Horaz a. p. 276 von
dem Wagen fabelt, auf dem Thespis seine Tragödien herumgefahren habe,
beruht auf Verwechselung der Tragödie mit den Spottreden der vom
Wagen herab die Leute neckenden Festschwärme {axiofifiata i^ dfid^rfi),
und was der späte Rhetor Themistios or. XXVI p. 382 Dind. von der
Erfindung des nqHoyog und der ^^aig durch Thespis berichtet, ist mit
freier Phantasie aus den Andeutungen des Aristoteles Poet. 4 heraus-
gelesen.
160. Ausser Thespis werden noch als älteste Tragödiendichter und
Vorgänger des Aischylos genannt Choirilos, Pratinas, Phrynichos, Von
diesen hat Pratinas, der aus Phlius im Peloponnes stammte, das Satyr-
spiel in Athen eingebürgert. Suidas legt ihm fünfzig Dramen, darunter
zweiunddreissig Satyrspiele bei; ausserdem hat sich von ihm ein hübsches
Hyporchem erhalten, dessen rasche und wechselnde Rhythmen uns die
lustigen Bockssprünge seiner Satyrn erraten lassen. — In des Vaters
Fusstapfen trat sein Sohn Aristias; eines von dessen Satyrdramen hatte
den Titel Kvxhaip , behandelte also den gleichen Stoflf wie das einzige uns
erhaltene Satyrdrama des Euripides.
Der bedeutendste unter den älteren Tragikern scheint Phrynichos,
der Sohn des Polyphradmon, gewesen zu sein; er hat nach Suidas zuerst
weibliche Personen auf die Bühne gebracht und mit Vorliebe trochäische
*) Marm. Par. 58 (nach sicherer Ver-
besBerung) und 61.
*) Diog. V 92: (prial cf' ^jQiajo^evog 6
fAovaixög xttl igaymöiag 'HgaxXeiirjv Uopxixdv
rtotsTy xul Siamiog iuiygäfpeiv. Bentlby
a. 0. 287 bezieht darauf die citierten Titel
und erhaltenen Fragmente. Daub, De Suidae
biogr., Jahrb. f. Phil. Suppl. XII, 412 zeigt,
dass jene untergeschobenen Stücke nicht in
den Katalogen der Alexandriner standen.
*) Diog. III 56: eV t^ rgaytfjdUc tiqo-
i€Qoy ^fi/ f^oyog 6 /o^V dte^Qa/uanXet', i'a-
iSQoy cfe Sianig i'ya vnoxQiTtjy e^evoty.
Vgl. Pollux IV 123.
*) So deutete eben Pollux IV 123 da«
Wort vTtoxQitijg^ und so gebraucht das Ver-
bum vTioxQiyofitti, synonym mit dnoxQlyofim,
Homer 11 407, M 228, o 170. Vgl. Apoll. Soph.
lex. Hom. p. 160 B., Hesychius u. vnoxQivoix^
und G. CüRTius, Ber. d. sftchs. Ges. d. W.
1866, S. 148 u. Rh. M. 23, 255 ff. Ob diese
Deutung des Wortes richtig sei und ob nicht
vnoxQutjg vielmehr denjenigen, der die Worte
eines anderen, des Dichters, wiedergab, be-
deutete, ist freilich eine strittige Frage,
worüber Sommbrbrodt Rh. M. 22, 513 ff.
u. 30, 456 ff.
C. Drama. 2. Die Tragödie, b) Aieohyloe.
150-151.)
209
Tetrameter in seinen Tragödien gebraucht, i) womit wohl die vielen Tanz-
fignren zusammenhängen, die er nach den Vögeln des Aristophanes V. 749
auf die Bühne gebracht haben soll. Teils durch Suidas, teils durch andere
keimen wir noch zehn oder elf Tragödientitel, AlyvnTioi^ Uxtaicov, "Jk-
xTfitig, 'AvraTog f/ Aißveg^ Jixaioi [rj Jlt'Qaai ^ ^vv.^wxot],*) Javaideg, MiXrjTov
alwfig, nievQciviaiy Tdvralog, (^oiviaaai. ») Am berühmtesten davon waren
die (Pwviaffat, welche Themistokles im Jahre 476 mit besonderem Glänze
inScene setzte^) und bald nachher Aischylos in seinen Persern nachahmte.
Politischen Inhalts war auch das Stück Mth'jTov äkaxng, berühmt geworden
durch die Nachricht des Herodot, dass die Athener, welche durch das
Drama an eine dunkle Partie ihrer Politik erinnert wurden, den Dichter
mit einer Oeldbusse bestraften und für die Zukunft derartige politische
Tragödien sich verbaten.*) Auch Phrynichos hinterliess wie aÜ die grossen
Tragiker einen Sohn, Polyphradmon, als Erben seiner Kunst;«) der-
selbe trat mit einer Trilogie Lykurgeia gegen die Sieben des Aischylos in
Wettstreit.
Choirilos hat auf die Aufstellung und die Bewegungen des Chors
der alteren Zeit wesentlichen Einfluss geübt, so dass Sophokles gegen ihn
und Thespis seine Streitschrift über den Chor richtete. Auch die Erfin-
dung der Masken und prachtvollen Oewänder legten nach Suidas einige
dem Choirilos bei. Aber Bedenken erregt die Angabe des Lexikographen
von 160 Dramen und 13 Siegen.^)
b) Aischylos (525— 456). »)
151. Leben. Aischylos, Sohn des Euphorien, entstammte einem
edlen Qeschlechte des Oaues Eleusis, worauf Aristophanes in den
^) Die Angabe des Suidas evgertjg tov
ttj^fiHQov iyersTo ist insofern schief, als
oicii Aiist Poet. 4 der Tetrameter das alte
Melnm des tragisclien Spieles aberhaapt war.
*) JlxaLo^ scheint aus Ja&lxat,, dem
Kamen eines persisclien Yolksstammes, ver-
deibtza sein; femer scheinen 2vy&(oxot oder
lli^tti and £vy&toxoi Doppeltitel der i^oiyidr-
ff« gewesen za sein.
') Soidaa erwähnt noch einen zweiten
Tnffker Phrynichos, den Sohn des Melan-
thaa, dem er eine iindromeda und Erigone
lieflegt; beide identifiziert Welckbr, Gr. Tr.
I 19 unter Missbranch des interpolierten
Scholion zu Arist. Yesp. 1481.
*) Plnt Them. 5: iyixijas &e xal x*>9V'
yiip TQayi^oif, fuyäXijy fj^i] tote anovdijy
Mt tftXotifiiay tov aywyo^ sx^ytog xal nl-
poxu tijg yixij€ ayi&rixe toiavifjy iniyQa<pijy
iimrta ' SB/titiftoxXrjg ^geccQQiog ixoQijyet^
^^i/of ididaaxey, 'JSeifdaytog fjQX^^- I^^r
Ktme de« Stftckes ist nicht genannt; dass
C8 die Phoinissai waren, ist eine wahrschein-
He^ Yermatiuig von Bentley.
*) Herod. 6, 21: 'Adt^yaioi tf^Xoy inoitj-
«er rnt^ax^eitSiyte^ tfi MiXrjtov aXtSaei tfi
Tc cUg noXXaxfit xal irj xal noirjcaytt 4*QV-
n'/ip d^fta M^Xtjtov aXiaciy xal Md^aytt
"urthüph der Ums. AltertimiswiaBenflchaft. YII.
ig ddxQvn te enecs to (fiatgoy xal i^f^filwady
fdiy log dyttfxvrjaayta olxrjta xaxd jj^tA/^jai
dQaxf*ßoi xal i/tsta^ay fxtjdiya X9^^^^^
tovxta t(o Sqdfxatv, Es verschwand so all-
mählich die Politik aus der Tragödie, um
später in der EomOdie wieder aufzutanchen.
^) Diese Vererbung der Kunst hing z. T.
damit zusammen, dass der Sohn rechtlich
Erbe der Stücke des Vaters wurde.
^) Auf seine Berühmtheit im Satyrspiel
geht der Vers *Hylxa fihy ßaa^Xetig rjy XotQiXog
iy IttzvQoig, lieber einen Wettstreit des
Choirilos mit Pratinas und Aischylos und
dem dabei erfolgten Zusammensturz des
Brettergerüstes in der 70. Olympiade be-
richtet Suidas unt. llQatlyag,
^) Erhalten ist uns aus dem Altertum
ein zum Teil auf Chamaileons Schrift nsQi
JiaxvXov zurückgehender Biog JiaxvXov imd
ein Artikel des Suidas, zusammengestellt mit
den anderen Zeugnissen des Altertums von
Fr. »Scholl in der Ausg. der Sieben von
Ritschi 1878. Neuere Bearbeitungen der
Vita Aeschyli von Stanley in der Ausgabe
des Dichters (1663); Ghb. Pbtbrsen, De
Aesch. vita et fabulis, Eopenh. 1814; Dahms,
De Aesch. vita, Berl. 1860; Tkuppkl-Wbck-
lbin in Ausg. der Perser 1886.
8. Aufl. 14
210 Griechische Litteratnrgeechichie. I. Xlaasisohe Periode.
Fröschen 886 den Dichter selbst mit den Worten anspielen lässt Ji^fii]t€Q
ij ■9'Qeipafra zrjv ifiijv ipQbva, Geboren wurde derselbe nach der parischen
Chronik Ol. 63, 4= 525/4. i) Die Jahre seines heranreifenden Mannesidters
fielen in die grosse Zeit der Perserkriege, die nicht bloss mit hohen
Gedanken seine Brust schwellten, sondern an denen er auch selbst mit
seinen Brüdern in den Schlachten von Marathon, Salamis und Plataä
heldenmütigen Anteil nahm. Rühmend ist seiner Tapferkeit bei Marathon
in der Aufschrift seines Grabdenkmals gedacht: *)
ÄlaxvXov Ev(foq((ovoq *A&r)vaTov rode x€Vx^ei
fivrjfjia xatafpä'(fJi€VOV nvQO^OQOio FäXag,
aXxijV ä'evioxijiAOv Magadioviov ixhfoq av Binoi
xai ßad'VXCciTtjeig Mijdog imaxdiiBvoq»
Sein Bruder Kynegeiros war jener Held, der bei Mai*athon mit der Hand
ein persisches Schiff zurückhielt und dabei seinen Mut mit dem Tod besiegelte
(Herod. VI 114). Auch den Ameinias, der sich in der Schlacht von
Salamis hervorthat, geben mehrere für einen Bruder des Dichters aus;*)
da aber dieser nach Herodot YHI 84 aus Pallene stammte, so können
wir darin nur eine unhistorische Ausschmückung der Dichterlegende er-
blicken.*) Über die Erziehung des Dichters und seine Lehrer fehlen uns
nähere Nachrichten. Im eigenen poetischen Schaffen versuchte er sich
frühe, und zwar wandte er sich mit fast ausschliesslicher Vorliebe dei>
jenigen Dichtungsgattung zu, die seinem fürs Hohe und Erhabene ange-
legten Geiste am besten entsprach und die damals in Athen am meisten
Pflege und Anklang fand. Die Dichtersage Hess den Gott Dionysos selbst
dem jungen Aischylos, als er die Trauben hütete, erscheinen und zum
Dichten von Tragödien anfeuern. Schon vor seinem 30. Lebensjahre trat
er Ol. 70 = 500/497 als Mitbewerber um den tragischen Kranz mit Pra^
tinas und Ghoirilos in die Schranken.^) Den ersten Sieg indes errang er
erst im Jahre 484, als er bereits über 40 Jahre alt war.
In das Leben des Dichters, das bisher nur dem Vaterland und der
Muse geweiht war, brachten Abwechselung seine Reisen nach Sikilien.
Zum erstenmal ging er nach Sikilien in den siebziger Jahren, bald nach
dem Ausbruch des Ätna,^) indem er einer Einladung des kunstliebenden
Königs Hieron folgte, der um dieselbe Zeit auch die Dichter Simonides
und Pindar an seinen Hof nach Sjrrakus zog. Damals blühte bereits in
Sikilien die dramatische Kunst des Epicharm, und auch Aeschylos dichtete
für die syrakusische Bühne ein Lokalstück, die Mtvaim, das ähnlich wie
) Mit der Chronik stimmt nach leichter | <^) Suidas u. Ugazlyas. Ob aber damals
Verbesserung Suidas: rjyiovi^exo avxog iv xj
0 {9 cod.) oXvfATtidifi ixiov <oy xe; die ab-
weichenden Angaben der Vita sind unver-
lässig und nicht untereinander in Einklang.
») Ath. 627c; Paus. I 14; Vit. Aesch.
Nach Eustratios zu Arist. Eth. Nie. III 2
ward er verwundet von dem Schlachtfeld
weggetragen.
») Diodor XI 27; Aelian V. H. V 19;
Aristodem I 8; Suidas und die Vita.
*) G. Hermanh Op. II 166 hat zuerst
den Irrtum aufgedeckt.
schon ein regelmässiger Agon bestand, wird
bestritten.
^) Der Ausbruch des Aetna fand 478
nach Marm. Par., 475 nach dem Zeugms des
Thuc. m 116 statt. Vit. Aesch.: Ü9wp f^
lixeUay 'Ugtoyog toxs ttjy Atxyijy xti^oyiof
incdei^ttxo rag Aiiyaiaiy oimyiCofteyoi fiw^
aya&oy xoTg avyoixi^ovm rijy jtoXiy. Unklar
ist, warum Pausanias I 2, 3 den Aischylos
mit Simonides, nicht auch mit Pindar ba
Hieron weilen lässt.
C. Drama. 2. Die Tragödie, b) Aisohyloa. (§ 151.)
211
die erste pythische Ode Pindars (aufgeführt 474) der YerherrlichuDg der
TOD Hieron neugegründeten Stadt Ätna diente, i) Den Orund des Weg-
gangs des Dichters nach Sikilien sucht das Epigramm Anth. YII 40 in
einer Misstiramung über die Feindseligkeit der Bürger. Die Verstimmung
selbst erkürten die einen aus der Niederlage, die er in dem Wettstreit
mit Simonides um die schönste Elegie auf die Gefallenen von Marathon
erlitt (489), die anderen aus dem Siege, den Sophokles im dramatischen
Wettkampf des Jahres 468 über ihn errang,^) die dritten aus dem Prozess, den
ibm die Athener wegen Profanierung der Mysterien angehängt hatten. Die
beiden ersten Gründe sind aus leicht ersichtlichen, chronologischen Anständen
UDzolässig; sie sind von Leuten erdacht, welche die Grössen der Ver-
gangenheit nach ihrer eigenen kleinlichen Gesinnung bemassen. Denn wie
anders der selbstbewusste Aischylos über solche Niederlagen dachte, zeigt
die von Athenaios überlieferte Anekdote, wonach er, als ihm einmal die
Theaterrichter den Preis aberkannten, ruhig sagte, er vertraue der Zeit,
die werde schon seinen Tragödien die gebührende Ehre bringen. 8) Einen
besseren Boden hat der dritte Grund, da schon ein alter, unverdächtiger
Zeuge, Aristoteles, in der Nikomachischen Ethik in 2 von jenem Prozess
spricht,^) und der Kommentator des Aristoteles, Eustratios, zu der Stelle
ans Herakleides Pontikos des weiteren berichtet, der Dichter habe sich
bei dem im Theater entstandenen Tumult zum Altare des Dionysos flüchten
müssen und sei, vor Gericht gestellt, nur dadurch, dass er seine Unkennt-
nis der Mysterienlehre vorschützte, freigesprochen worden.*) Aber wenn
es auch seine Richtigkeit mit jenem Prozess wegen Entweihung der My-
sterien hat, so ist es doch noch sehr zweifelhaft, ob gerade dieser ihn
2iun Weggang nach Sikilien bestimmte. Übrigens war jener erste Aufent-
haK unseres Dichters am Hofe des Hieron nicht von langer Dauer, denn
in den Jahren 472 und 468 treffen wir ihn wieder in Athen, indem er
in dem ersteren Jahr die Perser aufführen Hess, in dem zweiten im Wett-
kampf mit dem jungen Sophokles unterlag. Später, nachdem er im Jahre
458 mit seiner Orestie wieder einen glänzenden Sieg errungen hatte, ging
er nochmals nach Sikilien, dieses Mal wohl infolge politischer Verstimmung
über die Beschneidung der Gewalt des Areopag, zu dessen Verherrlichung
er selbst das letzte Stück jener Trilogie bestimmt hatte. Es war eben
*) Dass AiBchylos damals bereits, bei
ersten Aufenthalt in Sikilien die
Pnver zur erneaten AnffOhrong brachte, ist
mtkt umnehmen, da dieselben znm ersten-
Dul 472 in Athen zur Auff&hrong gelangten,
Aiflchylos aber yor 472 zam erstenmal nach
iSkiUen gekommen zu sein scheint.
*) Aosser der Vita Plut Cim. 8.
') AtL 347 e: tjurj^elg ddixatg nots, tug
^i«tfi^aaiog fj XafiatXäwy iy ttp tmbqI ^Sovrjg
^nt, iidtig öji xo/ÄieiTM xrjy ngoaijxovaay
*) Ausser Aristoteles s. Aelian V. H. Y
19; dem. Alex, ström. 11 p. 166 und Eustratios
aAiifliotelee. Schon Aiistophanes Ran. 807
sagt Otts yc(Q ^A&rjvaioiai, avyißncy* AiaxvXog,
^) Ueber das Stück oder die Tetralogie,
welche einen solchen Tumult erregte, waren
schon die Alten auf das Raten angewiesen.
Eustratios nennt, auf seinen Gewährsmann
Herakleides Pontikos gestützt, unter anderen
die Toxotides und Hiereiai. Spätere, der Ver-
fasser der Vita und Apsines in Rhet. gr. I
340, 11 Sp., fabeln von den Eumeniden, die,
wie wir uns selbst überzeugen, nichts von
Mysterienentweihung enthalten; vgl. G. Hbr-
MANN Opusc. II 163 ff. Bedenken erregt in
der Erzählung auch der Altar des Dionysos,
da ein solcher während der Aufführung von
Dramen sich schwerlich in der Orchestra
oder dem Theater überhaupt befand.
14*
212
Qrieohiflche Litteratnrgesolüohte. I. Elasaiflohe Periode.
der strenge Aristokrat und Anhänger der alten Ordnung ungehalten Qber
das Umsichgreifen der Demokratie und der sophistischen Aufklärung, die
ihm die grollende Klage Qber die neuen ÖOtter und Tyrannen im Prome-
theus und in den Eumeniden entlockten.
Bei dem zweiten Aufenthalt in Sikilien fand er den Tod in der N&he
der Stadt Qela Ol. 81, 1 = 456/5. Der Mythus hat auch diesen in ein dich-
terisches Gewand gehüllt: ein Adler, der eine Schildkröte in den Erallen
trug, Hess diese auf das kahle Haupt des Dichters fallen und zerschmetterte
so seinen Schädel.^) Die Sage hat man auf ein Qrabrelief zurückzuführen
versucht, auf dem ein Adler mit einer Schildkröte als Symbol der Dicht-
kunst über dem Haupte des vergötterten Dichters geschwebt habe;')
wahrscheinlich aber ist damit nur eine alte, schon dem Demokrit bekannte^)
Fabel auf unseren Dichter übertragen worden, wozu den Komikern dessen
Eahlköpfigkeit die Handhabe bieten mochte.^) Hinterlassen hatte er zwei
Söhne Euphorien und Bion (v. 1. Euaion) und einen Neffen Philokles, die
zugleich Erben und Fortpflanzer seiner Kunst wurden. Mit seinen Stücken
durften nämlich auch noch nach seinem Tode die Überarbeiter derselben
in den Wettkampf eintreten, und viele sollen nach Quintilian X 1, 66
mit denselben Siege errungen haben. ^) Auch sonst ward in Athen das
Andenken des grossen Dichters in Ehren gehalten: zur Zeit des pelo-
ponnesischen Krieges galt er dem Aristophanes und den Leuten seiner
Richtung als unübertroffenes Ideal, später wurde auf Antrag des Redners
Lykurg sein Standbild neben denen des Sophokles und Euripides in dem
Dionysostheater aufgestellt. ^)
152. Dichtungen. Aischylos hat wie alle grossen Dichter des
klassischen Altertums seine Thätigkeit um eine Dichtungsgattung kon-
zentriert: er hat zwar auch Elegien gedichtet, wie eine auf die Gefallenen
von Marathon im Wettstreit mit Simonides, und ist zur Dichtung eines
Päan von den Priestern in Delphi aufgefordert worden ; ^) aber seinen
Ruhm suchte er doch lediglich in der Dichtung von Tragödien. Die Ein-
richtung der attischen Bühne, welche an den Dionysien nur neue Stücke
zuliess und jedesmal drei Tragödien und ein Satyrspiel verlangte, stellte
an die Fruchtbarkeit der Dichter ausserordentliche Anforderungen. Ihnen
wurde, wie von den anderen grossen Tragikern so auch von Aischylos
entsprochen. Suidas gibt die runde Zahl von 90 Tragödien (richtiger
^) Sotades bei Stobaios 98, 9; Yal. Max.
9, 12; Plin. N. H 10, 3; Aelian H. A. 7, 16;
Vita und Suidas.
*) GöTTLiNO, Opusc. 230 ff.; Wblckeb,
Alt. Denkm. II 237 ff. Danach wird der
kapitolinische Kopf, den die Tafel 4 gibt,
auf Aischylos gedeutet, wofOr sich auch
Kbokbb, Berl. Phil. Wochenschrift 1885
S. 897 ff. ausspricht.
») Eudemos fr. 22 Sp.
*) RoHDB Jahrb. f. Phü. 121 (1880) 22 ff.,
0. Cbusius Rh. M. 38 (1882) 308 ff. Kellbb,
Tiere des klass. Alteriiums S. 258 bringt die
Erfindung mit dem Adlerflug des Aischylos
in recht zweifelhafte Verbindung.
») Vgl. Schol. Arist Ach. 10, Ran. 868-
Philostr. Vit. Apoll. VI 11; s. Rohdb Rh. »•
38, 289 ff. Schön sagt Aisch. bei Arist.
Ran. 868: ort 17 Tioirjen ovx'i ffryTS^yrixi fin^
*) Ps. PluL Vit. X orat. 7 : eio^reyxi vo-
fiovg . . (OS ;|raAxa; eixoyag dya^Bivai xmf
71 oifjTtay ^^jjfvAov £o(poxXiovf Evg^mäop xai
tag TQaytpdiag avteSy iy xoty^ y^a^afiivovg
tpvXdtxBty xal xov irjg noXeiog y^afAfiax4a
71 aQuyayiyaiaxeiy totg tmoxQiyofjiiyoig, V^.
Diog. II 43; Paus. I 21; Ath. 19e; s. Wbl-
CKBR, Alt. Denkm. II 465 ff.
^) So berichtet Porphyrios de abstin.
n 18.
C. Drama. 2. Die Tragödie, b) Aisohylo«. (§§152—153.) 213
Dramen) an, dazu stimmte wahrscheinlich ehedem auch das alte Ver-
zeiclmis der Dramen im cod. Laur., das jetzt in 4 Kolumnen (die 5. fehlt)
72 Titel enthat; die Vita spricht von 70 Tragödien und beiläufig fönf
Satyrspielen; bekannt sind die Titel von 79 Stücken. Siege errang er
nach der Vita 13, nach Suidas 28; in der letzteren Zahl scheinen eben
auch diejenigen inbegriffen zu sein, welche mit Stücken des Dichters nach
deasen Tod gewonnen wurden, i) Jedenfalls hat Aischylos mit mehr als
der flälfte seiner Tragödien den ersten Preis errungen, wiewohl ihm erst
im Jahre 484 das erste Mal ein voller Sieg zu teil wurde.*) Auf uns
gekommen sind nur sieben Tragödien in folgender Ordnung:») näqaai^
*Ä/afUfiv(0Vy XtnjtpoQOi^ ÜQOfirjd'evg, Evfievideg, ^Entd im Orjßag, ^Ixäriieg.
Von diesen sieben sind wiederum nur drei, Prometheus, Septem, Persae,
häufig in der byzantinischen Zeit gelesen und kommentiert worden. Die
Erhaltung gerade dieser sieben Stück scheint nicht auf Zufall zu beruhen,
sondern dem ästhetischen UrteU eines Grammatikers aus der letzten Zeit
des Altertums verdankt zu werden. Wir sind der Auswahl umsomehr
dankbar, als sie uns nicht bloss eine vollständige Trilqgie erhalten hat,
sondern uns auch den Entwicklungsgang des Dichters, mehr als man bei
einer so geringen Anzahl von Stücken erwarten sollte, erkennen lässt.
Denn bei Aischylos treten deutlicher als bei Pindar und Sophokles die
^fen der allmählichen Ausbildung seiner Kunst hervor; er half eben
selbst an der Schaffung der Tragödie mit und verschmähte es zugleich
nicht, aas den Fortschritten, welche jüngere Genossen einführten, seiner-
seits Nntzen zu ziehen. In der Besprechung der einzelnen Stücke ver-
lassen wir die verwirrte Folge der Handschriften und halten uns an die
zeitliche Ordnung, die sich aus didaskalischen Angaben und inneren An-
zeichen mit ziemlicher Sicherheit feststellen lässt. Da aber von den Tra-
gödien unseres Dichters keine ein abgeschlossenes Ganze für sich bildete,
sondern mit zwei andern zu einem grösseren, in Inhalt und Anlage zu-
sammenhängenden Ganzen (Trilogie) verknüpft war, so wird es auch
nnsere Aufgabe sein, mit der Besprechung der nur vereinzelt erhaltenen
Tragödien (Suppl., Pers., Sept., Prom.) zugleich die der damit zusammen-
hingenden Stücke zu verbinden.
153. Die ^IxsTideg haben ihren Namen von dem Chor der Töchter
des Danaos, welche vor den Verfolgungen der Söhne des Aigyptos in Argos
Schntz suchen und finden. Die Tragödie, die bei dem Überwiegen des
lyrischen Elementes mehr einer Kantate als einem Drama gleicht, zeigt in
der schlichten Einfachheit ihrer Anlage sichere Spuren hohen Alters: sie
teilt mit den Persem die Eigentümlichkeit, dass sie eines Prologes entbehrt
ond gleich mit dem Einzüge des Chors beginnt; sie hat die geringste An-
zahl von Personen, nämlich nur drei (Danaos, König von Argos, Herold
der Ägypter), die so nacheinander auftreten, dass sie mit Leichtigkeit
') Ee kann die Differenz aber auch da- 1 gehören.
W kommen, dass einmal bloss die dionyai- { ') Bezeugt dorch Marm. Par.
«W das andere Mal die dionysischen und ■ *) Die Ordnung ist die des Cod. Mediceus;
loiadien Siege gerechnet waren. Zu be- 1 andere Hdschr. beginnen mit Prometheus,
aditea ist, dass zu einen Sieg immer 4 Stücke |
214
GrieohiBohe Litteratiirgeschichte. I. Elasaische Periode.
voD zwei Schauspielern gespielt werden konnten; sie verlangt endlich noch
keinen besonderen scenischen Hintergrund, sondern spielt in der Orchestra
um den grossen gemeinsamen Götteraltar {xoivoßtofxia)^ der vielleicht an
die Stelle des Dionysosaltars in der Mitte der Orchestra getreten war.*)
Der spannenden Entwicklung und des aus dem Kontrast der Handelnden
entspringenden Konfliktes entbehren die Schutzflehenden gänzlich ; gleich-
wohl haben sie in den reich gegliederten Chorliedern und namentlich in den
weihevollen Segensgesängen des Schlusses grosse Schönheiten, deren 6e-
nuss nur durch die schweren und zahlreichen Verderbnisse des Textes ge-
stört wird. — Verbunden waren die Schutzflehenden zu einer Trilogie
mit den GaXaiionoioi oder Äiyvmioi^^) welche die Hochzeit der Söhne des
Aigyptos und der Töchter des Danaos zum Gegenstand hatten, und den
Javäi'dtq^ *) in denen die Hypermestra, welche allein vor dem Frevel,
ihren neuvermählten Gatten Lynkeus in der Brautnacht zu ermorden, zu-
rückgeschreckt war, vor Gericht gestellt, aber durch Vermittlung der
Aphrodite freigesprochen wurde. Die Trilogie und insbesondere das uns
erhaltene erste Stück tragen eine grosse Zuneigung zu Argos und zu den
Einrichtungen jenes Landes zur Schau; aber gleichwohl verbietet die
Altertümlichkeit der Tragödie an Anspielungen auf das erst in Jahre 461
abgeschlossene Bündnis zwischen Argos und Athen zu denken.^) Den Stoff
zu den drei Tragödien scheint Aischylos, wie auch Bakchylides in der 19. Ode
dem alten Epos Danais entlehnt zu haben.
154. Die UhQaai bildeten nach der uns erhaltenen Didaskalie das
Mittelstück einer Trilogie und wurden im Jahre 472 aufgeführt. Sie sind
ein historisches Drama und haben die Feier des Sieges der Hellenen bei
Salamis zum Gegenstand; da aber die Tragödie nicht Jubel, sondern Klage
und Jammer fordert, so hat der Dichter die Scene nach der persischen
Hauptstadt Susa verlegt, wohin der König Xerxes nach seiner schmäh-
lichen, durch die eigene Überhebung verschuldeten Niederlage in zerlump-
tem Qewande zurückkekrt. Der Stoff unserer Tragödie ist also nicht dem
Mythus, sondern der Geschichte entnommen, worin Aischylos dem Phry-
nichos gefolgt ist, dessen vier Jahre zuvor aufgeführten <S>oiviaaai nach
dem Zeugnis des alten Grammatikers Glaukos dem Aischylos zum Vorbild
dienten.^) Auch die Perser erfordern wie die Schutzflehenden nur ziprei
^) Rbiscb (Dörpfeld), Das griech. Theat.
195 hält es indes aus beachtenswerten prak-
tischen Erw&gongen fOr wahrscheinlicher,
dass der Altar der Schutzgötter an der
Tangente des Orchestrakreises angebracht war.
*) Die von PoUux 7, 122 citierten, aber
in dem Verzeichnis des Lanr. nicht aufge-
fahrten SaXa/Ltonoioi hat Hebmann, Verh. d.
Bachs. Ges. d Wiss. IV 123 f. und Ausg. I 329
mit den AiyvTiTioi identifiziert. Welckbr zog
anfangs die SaXttfÄOjioiol zur Iphigeniatrilogie,
stimmte aber später Rh. M. 13, 189 ff. Her-
mann bei. Westphal, Proleg. 4 stellt die
Jiyvnrioi als ein von den SaXa/nonoiol ver-
scbiedenes Stück zu Mtfiywv u. V^v^oaraaLa.
•) Hbrmann, De Aeschyli Danaidibns,
Opusc. II 319 ff.
^) 0. Müller in Ausg. d. EmDeniden
p. 123 u. Gr. Litt. I 546 hat im Anschloss
an Böckh unsere Schutzflehenden an den
Schluss von Ol. 79 setzen wollen. Auf das
J. 460.59 will BücHELER Rh. M. 40 (1885) 628
auch den Vers 152 (Anspielung auf den
Parthenonbau) deuten. Richtig urteilt da-
gegen WiLAMOwiTz Herm. 21, 608 Aum. Dass
unser Stack vor dem Prometheus gedichtet
war, davon gleich nachher.
^) Argum. Pers.: rXavxog iy rty tm^qI
JiayvXov fjtv&tav ix ttov i^oiyurata»^ ^^vWjrotr
xal Tijy oiQxV^ ^ov dgafiarog zavwtjyz
TacT iatl JleQCtoy xäiv näXat /Se^i^aroYtt»»».
nXijy ixsT cvvov^og itniv dyyiXXtar iw^ «pVn
Xfjv Siq^ov tfixar cxogvvq xb 9^vovc r«»^ccc
C. Drama. 2. Die Tragödie, b) Aisohyloa. (§ 154.)
215
Schauspieler und entbehren wie diese des iambischen Prologs und des
scenischen Hintergrundes; aber die Darstellung zeigt weit mehr künstle-
rischen Aufbau, indem uns zuerst die unheilahnende Stimmung des Chors
and die schweren Träume der Königin Atossa in die dumpfe Atmosphäre
vor dem Herannahen des Gewitters versetzen, bis dann mit der ünglücks-
nachricht des Boten und der Rückkehr des niedergeschmetterten Königs
das Gewitter sich mit all seinen Schrecken entlädt.^) Kunstvoll ist auch
die Weise, wie durch Beschwörung des Geistes des Königs Dareios ein
Gegensatz von heute und ehedem geschaffen und der Blick der Zuschauer
über die Seeschlacht bei Salamis hinaus auf die Zukunft und die Nieder-
lage bei Platää gelenkt wird. Aber sicher noch weit mehr wirkte im
Theater zu Athen der nationale Hintergrund, den der Dichter noch durch
die Erkundigungen der Königin über die Zustände Athens zu steigern
verstand; lauter Beifall lohnte sicher den Dichter bei den Versen 241 f.
AT, %iq ih noifAavwQ MneCTi x^Tnisano^si atqax^;
XO. ovTivog dovXoi xäxkrjVTai fptoTvg ovd' vnrjxooi.
Die vollständige Tetralogie bestand aus den Tragödien (Piveig^ näqaai^
Duuixoq Havv&evg^) und dem Satyrdrama nQOfiti&evg itvgxaevg.^) Im ersten
Stück, das von dem alten Thrakerkönig der Argonautensage benannt war,
war wahrscheinlich der Durchzug des Perserheeres durch Thrakien, im
Giaakos, der von dem Dorfe Potniä auf dem Wege von Platää nach Theben
seinen Beinamen hatte, die Schlacht von Platää und der gleichzeitige See-
sieg der Griechen Sikiliens über die Karthager bei Himera berührt. Es
sind also auch hier die Stücke der Trilogie in einem inneren Zusammen-
hang gestanden, wenn sie auch nicht Teile einer und derselben Handlung
bildeten. — Die Tetralogie der Perser mit ihrem grossartigen nationalen
Inhalt kam auch bei einer besonders feierlichen Gelegenheit zur Auffüh-
rung. Mit ihr wurde nämlich, wie Öhmichen aus der neuaufgefundenen
Theaterurkunde CIA H 971 schloss,^) im Jahre 472 das neuerbaute Dio-
nysostheater zu Athen eingeweiht; die Ausstattung der Bühne hatte Perikles
übernommen, dessen Stern eben damals aufzugehen begann und der sich
mit dem Dichter in den Ruhm des Tages teilte. Später wurde die Tetra-
logie nochmalfi in Syrakus aufgeführt.^)
*) Lflckenhaftigkeit des Schlosses der
Perser nAhm an und ergänzte denselben
dvdi eigene Nachdichhing Eöchly, Yhdl.
i Pbil in lunsbrnck y. J. 1875; doch da-
gegen erhob die Kritik allseitigen Widersprach.
') Der Zusatz Jlotyuv^ fehlt in der alten
Hediceeriiandschrift, rtthrt aber trotzdem
äeher ans alter Tradition her; er sollte
BBsem Glaukos von dem Safyrdrama Glaukos,
»«über Servinß ad Verg. Aen. V 828,
voteracheiden. Wblckbb, Aeschyl. Tril. 47
«.BLM. a. F. 5, 236 dachte an den Meer-
gott Glaukos Pontios und nach Fr. 35 und
PQid. P. I 75 an eine Verherrlichung des
Vit der Schlacht von Salamis gleichzeitigen
^Kgee ftber die Karthager bei Himera.
') Der Zusatz Ttvgxaevs steht nicht in
der Didaskalie, woraus Sittl, Gr. Litt III
255 schliesst, dass die Prometheustrilogie
erst nach den Persem aufgeführt sei Der
Zusatz wird, wie die ähnlichen anderer Stücke
(z. B. Oed. Tyr.), erst von den Grammatikern
zugefügt sein.
^) Der betreffende Passus lautet: XQayt^-
6<ay ' negtxkijg XoXaQyBvg ixoQtjyei AUfxvXog
ididacxe. Die scharfsinnigen Kombinationen
von Obhmiohbn, Stzb. d. b. Ak. 1889 II 142
bleiben indes Kombinationen und werden
nicht allseitig anerkannt.
^) Diese zweite Aufführung in Syrakus
wird ausser durch die Vita auch noch durch
Eratosthenes und Herodikos in den Schollen
zu Aristoph. Ran. 1028 bezeugt; vgl. SohO-
uAvv Rh. M. 42, 467 ff.
216
Orieohiflohe Litteratnrgesohiohtd. I. KlasBisohe Periode.
165. Die ^Etctcc inl Oijßag wurden als drittes Stück zusammen mit
Laios, Oedipus und dem Satyrspiel Sphinx im Jahre 467 aufgeführt.
Aischylos siegte mit dieser Tetralogie über Aristeas und Polyphradmon,
die Söhne seiner alten Nebenbuhler Pratinas und Phrynichos. Wir be-
greifen leicht an dem einen uns erhaltenen Drama das Urteil der atheni-
schen Richter. Dasselbe ist nicht bloss ein dgäf^a *'AQ€<og fAsatov, wie es
Aristophanes in den Fröschen 1021 nennt, sondern lässt auch weit mehr
wie die vorgenannten Stücke den Dialog zur Geltung kommen, ohne dass
deshalb die melischen Partien des von banger Furcht geschüttelten Frauen-
chors an wirkungsvoller Schönheit etwas eingebüsst hätten. Einen Glanz-
punkt der Tragödie bildet die Schilderung der sieben feindlichen Heer-
führer und der sieben Thebaner, welche an jedem der sieben Thore der
Stadt einander entgegenstanden, wobei mit fein berechnender Kunst der
mit besonderer Liebe nach dem Muster des tugendhaften Aristides^) ge-
zeichnete Amphiaraos und das unselige Brüderpaar Polyneikes und Eteokles,
deren Zweikampf den Höhepunkt des Dramas bildet, an den Schluss ge-
stellt sind. Indes die volle Herrschaft über den Dialog hat doch auch
hier der Dichter noch nicht gefunden, indem in jener langen Partie die
Handlung nicht vom Fleck rückt und wir mehr nur einen Zyklus von
lebenden Bildern zu schauen vermeinen. Auch bedarf bezeichnender Weise
d^s Stück noch nicht eines dritten Schauspielers, sondern nur eines weiteren
Sängers für das Klageduett der Antigene und Ismene. Auffällig ist, dass
der Schluss des Stückes (996 — 1070) einen durch den Verlauf der Hand-
lung nicht begründeten Hinweis auf das Verbot der Bestattung des Poly-
neikes und die heroische Weigerung der Antigene, dem Verbot Folge zu
leisten, enthält. Derselbe hat die Gelehrten, bevor Franz im Jahre 1848
die Didaskalie im Cod. Laurentianus entdeckte, zu allerlei, jetzt abgethanen
Vermutungen über das den Sieben nachfolgende Stücke verleitet.') Denn
durch die Didaskalie wissen wir jetzt, dass die Sieben das letzte Stück
der Trilogie waren, in ihrem Schluss also nicht die Zuschauer auf ein
folgendes Stück vorbereitet werden konnten. Aber jene Partie, in der
wir auch ganz und gar die Kühnheit der äschylischen Diktion vermissen,
scheint erst später bei wiederholter Aufführung der Tragödie zugefügt zu
sein.')
Von den mit den Sieben verbundenen Stücken Laios, Oedipus, Sphinx
sind uns leider nur ganz dürftige Überbleibsel erhalten.*) Aber so viel
lernen wir auch aus der erhaltenen Tragödie kennen, dass der Dichter
mit grossem Geschick die tragischen Momente des alten Mythus theils bei-
behalten, teils durch wirksamste Um- und Zudichtung verstärkt hat: die
*) Den Vers 579 ov ydg &oxely agtaro^,
aXX* clyai ^iXei bezog das llieater unter lau-
tem Beifall auf Aristides nach Plut. Arist. 3.
2) Vgl. MüLLBB, Gr. Litt. I 540; das
Richtige erkannte schon vor Aufdeckung der
DidaskaUe Nake Rh. M. 27, 194 ff.
•) Oberdioe, De exitu fabulae Aeschyli
quae Septem adversus Thebas inscribitur,
Arnsberg 1877.
4) Vermutlich bildete in den 8 Stücken
ein Öffentliches Unglück den Hintergrund der
Handlung : in den Sieben die Belagenmg der
Stadt, in dem Oedipus ähnlich wie im Oed.
Tyr. des Sophokles eine verheerende Pest,
im Laios das Unheil der Sphinx. Die rätsel-
gebende Sphinx war dann selbst in burlesker
Weise in dem zugehörigen Satyrspiel yor-
geführt — Zu dem thebanischen Sagenkrös
gehörten auch die 3 Stücke ^Agy^oi, '£l(v-
üivioiy *Eniyoyoi,
C. Drama. 2. Die Tragödie, b) Aisohyloa.
155-156.)
217
Selbstblendung des Oedipus, von der die alte Sage bei Homer in der
Nekyia (Od. X 271) ganz schweigt/) liess Aischylos in wirksamster Weise
auf die Erkenntnis der blutschänderischen Verbindung mit der eigenen
Matter folgen (Sept. 763 flf.); die vier Kinder, Eteokles Polyneikes Antigene
Ismene, welche nach dem alten Epos Oedipus mit seiner zweiten Gemahlin,
Euryganeia, erzeugt hatte,*) machte er durch schaudererregende Modifi-
kation der Überlieferung zu unseligen Sprossen der gottlosen Ehe des
Sohnes mit der Mutter.^) Im übrigen passte der grause Fluch, den nach
dem alten Epos der Vater über seine lieblosen Söhne ausstiess, dem
Tragiker trefflich in seinen Plan, und diente der trilogischen Verknüpfung
einzig die zwiefache Schicksalsfügung, dass der Sohn den Vater, welcher
die Mahnung des Orakels in den Wind geschlagen hatte, ohne Vorwissen
tötet, und dass an den Söhnen hinwieder der Fluch, den der gereizte
Vater im Zorne ausgestossen hatte, in schrecklicher Weise sich vollzieht.
156. Der UQOfArj^evg rffCjttcJinjg, benannt von dem Hauptträger
der Handlung, ist der berühmte Repräsentant einer Göttertragödie. Zu
einer Trilogie verbunden war derselbe mit dem UQofxrjS^evg Xvofisvog und
dem IlQOfirj^svg nvQifoqog, Der erstere folgte unmittelbar auf den ge-
fesselten Prometheus, wie aus einer Angabe des Scholiasten zu Vers 527
feststeht, und enthielt nach einem alten, bereits bei Hesiod. Theog.
525 ff. vorkommenden Mythus die Erlösung des gefesselten Prometheus
dnrch Herakles, der den Adler, welcher dem Halbgott die Leber abfrass,
mit seinem Bogen wegschoss.^) Den nQoinf^&svg nvgifOQog hat man ehe-
dem allgemein das erste Stück der Trilogie bilden lassen, in der Voraus-
setzung, dass in ihm der menschenfreundliche Heros unter den von
Piaton im Protagoras c. 11 geschilderten Umständen den göttlichen Feuer-
funken den hilflosen Menschen gebracht habe. 5) Die Voraussetzung wird
wohl richtig sein und die darauf gegründete Rekonstruktion der Trilogie
ihre Giltigkeit behaupten. Da aber Prometheus nach den Scholien zu
Vers 94 in jenem Stücke sagte, dass er 30000 Jahre gefesselt gewesen
sei, so hat Westphal, Proleg. zu Aesch. S. 207 flf. die Vermutung gewagt,
') Die Oidipodeia des Uiebanlschen Epos
kaaitte die Blendling, wenn anders das ScJio-
Üoo n Enr. Phon. 1760 em Excerpt der
Oedipodie enthfilt (so Bbtbs, Thebanische
Heldenlieder), aber unklar bleibt, ob sie die-
selbe an derselben Stelle wie die Tragödie
«folgen liess.
*} So sicher der Dichter der Oidipodeia
uch dem Zeognis des Pansanias IX 5, 11;
vabracbeinlich aber dachte sich so anch
a. 0. das Sachverhältnis. Nach Pau-
hat anch noch der Maler Onasias,
«in Zeitgenosse des Polygnot, anf einem Ge-
nSUe dargestellt xfttrjqyfj xtjp Ev^t^ytiveiay
i^l Iß fittZB ''^^ naidfoy.
») Sept. 739, 913, 1023.
^) Nach den zahlreichen Fragmenten des
Snechiachen Originals und der lateinischen
fitttheitang des Accius hat Schövann,
Grafsw. 1844 eine poetische Rekonstruktion
des gelösten Prometheus yersucht, wobei er
freilich gleich im Anfang bedenklich von dem
Original abwich, da dieses nach Prokop Hist.
Goth. IV 6 mit dem Chor der Titanen anhub.
— Die schöne Mythe wurde auch durch die
bildende Kunst verherrlicht, wie auf dem
kapitolinischen Prometheussarkophag, einem
pompeianischen Wandgemälde (Heibig n.
1128), einem Gemälde der ViUa Pamfili (O.
Jahk, Abb. d. b. Ak. VIII 2), einer neuerdings
aufgefundenen, von Milchhöfbb, Befreiung
des Prometheus, 42. Winckelmann's Pro-
gramm (1882), richtig gedeuteten Marmor-
gruppe von Pergamon.
^} Welcker, Die äschyl. Trilogie Pro-
metheus und die Kabirenweihe zu Lemnos,
nebst Winken über die Trilogie des Aesch.
überhaupt, Darmstadt 1824, mit Nachtrag,
Frankfurt 1826.
[
218 Griechisohe litteratnrgeaohlohte. I. ElasBisohe Periode.
dass vielmehr der feuertragende (nicht feuerbringende) Prometheus den
SchluBs der Trilogie gebildet habe und ähnlich wie die Eumeniden zur
Verherrlichung eines attischen Festes, der Prometheia, bestimmt gewesen
sei.^) Die hohe Bedeutung des uns erhaltenen Stückes liegt nicht in dem
Aufbau der Handlung, die vielmehr sehr geradlinig verläuft und durch die
locker eingelegte Episode der gleichfalls durch Zeus ins Unglück gestürzten
und auf ihren Irrfahrten bis zum Kaukasus kommenden lo ^) mehr gedehnt
als verwickelt wird; sie liegt vielmehr in der grossartigen Zeichnung des
Titanen, der als gemarterter Dulder für die dem Menschengeschlecht ei^
wiesenen Wohlthaten an die hehre Gestalt des christlichen Menschener-
lösers erinnert, 3) in dem gewaltigen Trotz aber, mit dem er die Aussöh-
nungsversuche der neuen Qötter von sich weist, die heroische, selbstherrische
Natur des Dichters selbst widerspiegelt. Von überwältigender Wirkung
ist namentlich der Schluss der Tragödie, wo der Fels, an den der Heros
geschmiedet ist, unter Donner und Blitz versinkt.*) Der Triumph des
Unterliegens ist niemals grossartiger dargestellt worden; schwächer sind
die mittleren Partien infolge der Magerkeit des Stoffes. Im übrigen gehört
das Drama zu der Klasse der TQaYfpdiai tsqaxo^Seiq^ da schon die äusseren
Erscheinungen des an den Fels geschmiedeten Prometheus, der durch eine
Maschine niedergelassenen Okeaniden, des auf einem Wundervogel herbei-
gekommenen Okeanos und der in eine Kuh verwandelten lo Staunen bei
den Zuschauern hervorrufen mussten, aber auch ganz ausserordentliche
Anforderungen an den Maschinisten stellten.^) Mit den fabelhaften Ge-
stalten der Scene harmoniert auch der geographische Hintergrund, der
uns in dem erhaltenen Stück in die ferne, nebelhafte Oegend des Kaukasus
versetzt, und in dem nachfolgenden Stück einen Blick nach dem äussersten
Westen, als dem Schauplatz der Thaten des Herkules eröffnete. Der sprach-
liche Ausdruck und das Metrum unseres Prometheus bieten eine merk-
würdige Mischung alten und neuen Stils: einerseits klingt der Wechsel-
gesang der Parodos mit seinen weichen ionischen Versen an jüngere Formen
des Dramas an; andererseits gibt sich in dem Bau des Dialogs und na-
mentlich in den Reden des Chorführers, der regelmässig vier iambische
Trimeter spricht,«) eine auffällige Steifheit der Symmetrie kund. Aber
^) Fflr die Deutang von nvQ^poQos spricht
Pollnx 8, 116: nvQCpÖQO^ ' nah fivQ im rovg
ßuifjLovg imxi&eig^ was indes auch auf die
Komödie UvQffoQog des Diphilos bezogen
werden kann. Wahrscheinlich indes hat der
Scholiast sich in seinem Gitat irrtümlich auf
den JlQOfÄ. Tivgq^oQog statt auf den Jlgofi.
XvofjiBvog bezogen. Wenigstens erzählte nach
dem Citat des Philodemos de pietate p. 39
ed. Gomperz ^Aia/vXog iv rw Xvojuey<o JIqo-
fxrj^Bi . . . vno Jiog dedia&ai (vgl. Nauck
TGF* p. 69) Prometheus auch in dem ge-
lösten Prometheus von seiner Fesselung durch
Zeus. Ueberdies ist es weder Westphal
noch einem seiner Anhänger gelungen, für
das von ihnen angenommene dritte Stück
der Trilogie einen ausreichenden Stoff zu ge-
winnen. Die auch von uns jetzt gebilligte
Meinung, dass der JlQOfj,. nv^qmgos das ei-ste
Stück der Trilogie gebildet habe, wird gut
verteidigt von Bussleb Jhrb. f. cl. Phil. 1893
S. 276 ff.
^) Näher ward einigermassen die lo dem
Prometheus dadurch gerückt, dass der 13.
Nachkomme derselben, Herakles, dem Pro-
metheus Erlösung bringen sollte; s. Prom.
897 ff.
3) Lasaulx, Prometheus, die Sa^e und
ihr Sinn, Würzb. 1844.
*) Merkwürdig ist, dass im Anfang dee
folgenden Stückes Prometheus wieder an den
Felsen gekettet erschien.
^) Auch die Parodie in Aristopfaanes
Vögel 1494-1551 hat den Charakter des
Wunderbaren.
«) Prom. 196—9,245—8, 262—5, 474- 7,
C. Drama. 2. Die Tragödie, b) Aisohylo«. (§ 157.)
219
wenn auch Metrum, Scenerie und Anlage unseres Stückes vieles Auffallige
haben und somit den Oedanken der Überarbeitung eines alten äschylischen
Stackes für die Bühne einer jüngeren Zeit nahelegen,^) so wage ich doch
nicht diesem Gedanken Raum zu geben, so lange es nicht gelingt, die
angeblich alten und jungen Partien derart zu scheiden, dass darüber nicht
der ganze Bau zusammenbricht. — Über die Zeit der Aufführung fehlen
nns didaskalische Zeugnisse. Der Hinweis auf die Sikiliens Fluren ver-
wQstenden Feuerströme des Typhon (V. 383 if.) zeigt, dass das Stück nach
dem Ausbruch des Aetna,*) und dem Aufenthalt des Dichters am Hofe
des Hieron gedichtet wurde. Ebenso lehrt die Vergleichung von Prom.
876 und 888 mit Suppl. 45 und 230, dass unser Prometheus nach den
Schotzfiehenden anzusetzen ist.^) Weiter herab, auf die Zeit nach 468
führt der Prolog des Dramas; nicht bloss beginnen noch die 472 gegebenen
Perser nach altertümlicher Weise direkt mit dem Einzug des Chors ohne
jeden Prolog, es konnte auch unser Prolog kaum anders als mit drei
Schauspielern (Hephaistos, Kratos, Prometheus) gespielt werden.^) Nahe
an die Enmeniden rücken den Pometheus auch die beiden Tragödien ge-
meinsamen Klagen über die neuen Götter und die neuen übermütigen
Machthaber, aus denen der Unmut des alten Optimaten über die frei-
geisterischen und demokratischen Grundsätze der perikleischen Staats-
verwaltung deutlich herausklingt. 0) Hat, wie ich vermute, Pindar P. IV 291
mit liffe 3^ Zevg a^&itoq Tixävaq^ iv di XQÖvo^ (istaßoXal Xij^avtoc otQov
iOTteov auf unsere Trilogie angespielt, so ist auch ein Terminus ante quem
gegeben, da jene Ode des thebanischen Sängers auf einen pythischen Sieg
im August des Jahres 466 geht.^)
167. 'AyafiBfAvmv, XoTjipoQoi und Ev/ievtäeg bilden zusammen die
sogenannte Orestie,^) welche 458 zur Aufführung kam und den ersten
509-12, 630—3, 780-3, 817—20, 1035-8.
^le Ihnliche Starrheit der Symmetrie zeigt
eich im Wechsel von je 1 und 2 Versen
39- 81 IL 381—6.
') Die Annahme einer Ueberarheitang
schon aufgestellt von Röhlbks, Septem ad-
Tersos Thebas et Prometheum vinctum esse
€a1mlj8 post Aeschylom coirectas, Berlin 1882,
wird neoerdings mit Bezug auf die Theater-
iedmik verfochten von Bbthe, Prolegomena
mr Geschichte des Theaters Kap. 9, wo-
nacli insbesondere der kflhne Gebrauch der
Fhigmaschine in unserem Stfick auf eine
Ueberarbeitang nach dem Pegasus des Euri-
pides hinweist Dagegen Robbbt Herrn. 31
(1896) 561 ff., indem er auch in diesem
StBck seine Grube anwendet und in der Mitte
der Orchestra den Felsen, an dem Prometheus
aogefesselt wird, aufgebaut denkt.
') Die gUnzende Schilderung Pindars
F. 1 15 — 28 scheint das Vorbild für die matten
Verse Pnmt. 367 — 388 gewesen zu sein. Dass
AisAjlos gerade in diesem Stfick von Pin-
ht beeinflnsst war, zeigt besonders die Ver-
gleidnmg von Find. Is. VIII 32 mit Prom.
786 £
•) Wenn die Irrfahrten der lo in Prom.
819 ff. etwas abweichend von Suppl. 556 ff.
erz&hlt sind, so hängt dieses mit der dem
Prometheus eigentümlichen Neigung zum
Wunderbaren zusammen.
^) Ausser diesen 3 Schauspielern be-
durfte es noch der stummen Person der Bia.
Mit 2 Schauspielern und 1 stummen Person
käme man nur aus, wenn man den Kratos
V. 84 verschwinden und rasch, vor V. 88,
in die den Prometheus vorstellende Puppe
schliefen Hesse, was schon wegen der tech-
nischen Schwierigkeit unwahrscheinlich ist.
Bezüglich der Vorausschickung eines Pro-
loges bemerke man indes, dass schon 476
Phrynichos seine PhOnissai mit Versen des
Schauspielers beginnen liess.
^) Namentlich spiegeln sich in der Er-
zählung des Prometheus 199 ff. von der Ent-
zweiung der Götter, bei der die List obsiegt
imd gute Dienste mit Undank belohnt wer-
den, die Parteiverhältnisse Athens jener
Zeit.
«) Vgl. Westphal, Proleg. zu Aesch. 14 ff.
^) Nach Aristoph. Ran. 1127 war Ore-
steia ein anderer Name für das MittelstUck,
220 Griechisohe Litteratnrgeschichte. I. Klasaischa Periode.
Preis erhielt.^) Das Satyrspiel dazu war der Proteus, auf den schon im
Agamemnon V. 834 hingewiesen wird') und der mit den drei Tragödien
insofern zusammenhing, als der Meergott Proteus bei Homer Od. (f 511 ff.
dem Menelaos das schauerliche Geschick des Agamemnon weissagt. Die
uns erhaltenen drei Tragödien waren wahrscheinlich die letzten, welche
Aischylos in Athen zur Aufführung brachte, da er bald darauf nach Sikilien
auswanderte und dort den Tod fand. Jedenfalls sind sie die vollendetsten
unter den uns erhaltenen, und ist namentlich der Agamemnon das er-
habendste und ergreifendste, was überhaupt ein Diener der Melpomene
geschaffen hat. Den Stoff zur Trilogie, deren drei Teile, Mord des heim-
kehrenden Königs, Bache des Orestes an der unnatürlichen Mutter und ihrem
Buhlen Aigisthos, Sühnung des von den Furien verfolgten Muttermörders,
ein grosses in sich geschlossenes Ganze ausmachen, entnahm der Dichter
in der Hauptsache dem Homer. Dieser kannte bereits die Ermordung
des heimkehrenden Agamemnon und die Rache des Orestes an den Mördern
seines Vaters. Anderes, wie die treue alte Amme, die den kleinen Orestes
vom Verderben rettet, hatte der Lyriker Stesichoros in seiner Oresteia
hinzugefügt.^) Pindar, der in dem Siegesgesang Pyth. XI nach den Spuren
des Stesichoros die Rückkehr des Orestes und die Ermordung der Klytai-
mestra und des Aigisthos erzählt, hatte auch bereits den Versuch gemacht,
die grausame That der Klytaimestra aus der berechtigten Eifersucht der
Königin gegen die neue Nebenbuhlerin Kassandra und aus dem alten Groll
der Mutter über die Schlachtung ihrer Tochter Iphigeneia zu erklären.^)
Aischylos fand also bereits einen bis in die Einzelheiten gut vorbereiteten
Stoff vor; aber bewunderungswert bleibt doch die einzige Kunst, mit der
er teils überlieferte Züge der Sage für seine Zwecke verwertete, teils
neue Motive hinzu erfand, damit der Mythus einerseits zu drei Stücken
ausreichte, anderseits zu Athen und den Athenern in nähere Beziehung
trat. Im Homer Od. 4, 524 las bereits Aischylos, dass der schlaue
Aigisthos einen Späher aufgestellt hatte, damit ihn nicht Agamemnon durch
plötzliche Ankunft überrasche ; diesen Späher griff er auf; um die Trilogie
mit dem wirkungsvollen Prolog des auf dem Dache sitzenden Wächters
einzuleiten (1—39) und daran im weiteren Verlauf die anziehende Schilde-
rung von dem griechischen Telegraphen vermittelst Feuersignale zu reihen
(241—316). In der Odyssee 9, 422 war auch schon angegeben, dass
Kassandra als Kriegsgefangene dem Oberführer der Griechen zugefallen,
dann aber von Klytaimestra ermordet in das Schattenreich hinabgegangen
war. Aischylos griff auch diese Überlieferung auf, damit Kassandra einer-
die Choephoren; erst von den Neueren wurde gleichen Mythus behandelt hatten, vg).
der Name auf die ganze Trilogie übertragen. Raoul-Roohbttb, Orestöide, in Montun. inM.
*) Arg. Agam.: ididd^fkrj t6 if^afia ijil 1833.
aQxoyxoq 4'tXoxXeovg 6X, n eiev ß' . -ngmiog ^) Die Ode ist gedichtet auf einen py-
JiaxvXog ^Ayttfx^fxvoyi^ XotjtfoQoig, Ev/ueyicf-, thischen Sieg des Jahres 478, also ror der
TjQtjTsTacitvQixtajixoQfjyetSByoxXrjg'Afpidyevg. Orestie des Aischylos. um die Prioritili
') Dieses ist fein bemerkt von Böckh, ! unseres Tragikers zu retten, hatte ich firOher,
De trag. gr. princ. p. 268. 1 Stzb. d. b. Ak. 1889 S. 13 ff. eine andere Da-
') Hom. Od. ;^ 262— 314 u. X 405-434. ' tiemng des pindarischen Siegesgesangs ver-
*) üeber die Lyriker Xanthos und Stesi- ! sucht, habe dieselbe aber jetzt selbst in
choros, die schon in ihren Orestien den i meiner Pindarausg. p. 223 aufgegeben.
I
C.Drama. 2. Die Tragödie, b) AiechyloB. (§157.) 221
seits die Eifersucht der Elytaimestra errege und somit deren Schuld min-
dere, anderseits mit ihrem Seherblick die grauenhaften Vorbereitungen
zur entsetzlichen Mordthat schaue und in ergreifenden Versen den Zu-
schauem voraus verkünde (Agam. 1072—1320). Ganz neu von Aischylos
hinzugedichtet ist der wesentliche Inhalt des dritten Stückes, die Frei-
sprechung des Orestes auf dem Areopag durch den Stiohentscheid der
Göttin Athene (calculus Minervae) ^) und die Versöhnung der Erinyen, die
aus bluttriefenden Furien in segenspendende Huldgöttinnen sich wandeln.
Der Dichter hat diesen Teil speziell für Athen und die Verherrlichung
des gerade damals von der demokratischen Partei hart angegriffenen Gerichts-
hofes auf dem Areopag gedichtet.^) In dem Mittelstück, das von den die
Todesspende zum Grabhügel des Agamemnon tragenden Chorjungfrauen
den Namen Xorjifogoi erhielt, rührt die Art der Wiedererkennung des
Geschwisterpaares von der Erfindung des Dichters her. Diese letzte Partie,
wo Elektra den Bruder an der dem Toten geweihten Haarlocke und an
der Grösse der Fusstapfen erkennt, ist freilich unserem Dichter wenig ge-
glückt, namentlich wenn man die Feinheit der sophokleischen Elektra da-
neben hält.') Um so wirkungsvoller aber waren die aus Stesichoros her-
übergenommenen und für die Bühne weiter entwickelten Motive der treuen
alten Amme und des unglück-ahnenden Traumes der Königin.
Mehr indes als alle diese Vorzüge der Erfindung bedeutet der grosse
Fortschritt, den die Kunst des Dichters in der ganzen Anlage dieser seiner
letzten Trilogie zeigt. Er hat nicht bloss von dem dritten Schauspieler
vollen Gebrauch gemacht, er hat denselben auch meisterhaft verwertet,
Qm eine spannendere Entwicklung in die Handlung zu bringen und die
Charaktere durch gegenseitige Hervorhebung schärfer hervortreten zu
lassen. Dabei bewährte er zugleich die alte Grossartigkeit seiner Natur
in der grandiosen Zeichnung der rachebrütenden, nach dem Blute des ge-
hassten Gemahls lechzenden Klytaimestra,^) in der grausigen Scene des
die Mutter zur Mordstätte zerrenden Orestes (Choeph. 880—930), in der
wirkungsvollen Gegenüberstellung der alten und neuen Weltordnung in
den Eumeniden. In den Ghorliedern aber hat er anfangs durch Rückblicke
in die Vergangenheit, den Auszug der Achäer, die Opferung der Iphigeneia,
*) Diese Abstiiiiinimg der Minerva ist ' Poet. 16 tadelnd bemerkt; über aie witzelt
dargestellt auf dem beriämten corsinischen I selbst Aristophanes Nub. 536. lieber das
Silberbeciier, Baumeister, Denkm. d. kl. Alt. | Verhältnis der Choephoren mid der Elektra
0.1316. ist unendlich viel geschrieben; ich begnüge
') Die Einsetzang des Areopag wird mich zu verweisen auf A. W. Schlegel,
fderlich von Athene verkündet Eum. 684 i Vorles. üb. dram. Kunst 1 222 245; Fleisch-
bis 713; diese Bede will indes Wbcklein, mann, Kritische Studien über die Kunst der
Stzb. d. b. Ak. 1887, S. 64, hauptsächlich l Charakteristik bei Aesch. u. Soph., Nürnberg
wegen der lokalen Schwierigkeit, welche das ' 1875 u. Jahrb. f. Phü. 115, 513 flf.
*) Das Mass überschreitet Aisch., wenn
er Agam. 1388 den Blutstrahl des hinge-
schlachteten Königs mit dem segenbringen-
den Regen vergleicht. Den Anstoss, den
unser Gefühl an der Unthat der Gattin und
des Sohnes nimmt, hat mein Freund Siegert
in seiner Tragödie Klytämnestra durch voll-
ständige Umdichtung zu beseitigen gewagt.
Pronomen o^e in nuyov ^Aquov xoyde (688
B. 691) bietet, für eine junge Interpolation
losgehen. — üeber die Verbindung des Areo-
pag mit dem Kulte der SsfAval, die an der
Eiischlucht des Areshügels einen altehr-
vfirdigen Gottesdienst genossen, s. Töpffer,
Attische Genealogie 170 ff.
*) Die Wiedererkennungsscene beruht
Inf klügelnder Schlossfolgerung, was Aiist.
i
222 Grieohisohe Litteratnrgesohiohie. I, KUsBiaohe Periode.
den Raub der Helena, die Züchtigung der Troer, die Gewitterwolken sich
allmählich auftürmen lassen, dann aber nach vollbrachter Blutthat das
Walten der höheren Mächte und die hehre Notwendigkeit unerbittlicher
Bestrafung begangenen Frevels in erhabenster Sprache verkündet. Wenn
irgendwo, so sieht man aus den Eumeniden, dass Aischylos nicht bloss
den Zuhörern einen Genuss durch Entfaltung seiner dichterischen Kunst
bereiten, sondern auch Lehrer seines Volkes und Verkünder der höchsten
Sittengesetze sein wollte. Einen gewaltigen Eindruck hat namentlich zu
allen Zeiten auf jeden empfindenden Leser die grandiose, tiefsittliche
Auffassung der Rachegeister gemacht; wiedergegeben hat denselben nie-
mand besser als Schiller in den Kranichen des Ibykus.
Wenn etwas in unserer Tragödie wie in den Dramen des Aischylos
überhaupt uns nicht befriedigt, so ist es die Auffassung des Schicksais
und die Stellung der Religion zur Sittlichkeit. Wir lassen es uns noch
gefallen, wenn Apollo selbst dem Orest befiehlt, den Tod des Vaters an
der frevelhaften Mutter zu rächen. Denn Schuld verdient Sühne und fest
stand auch den Griechen wie allen Naturvölkern die Vorstellung von der
sittlichen Berechtigung der Blutrache. Aber warum, so werden wir doch
fragen, muss denn Orestes so schwer unter dem leiden, wozu ihn ein
Gott selbst angetrieben hatte? Eine befriedigende Antwort darauf i^rd
nicht möglich sein. Noch weniger aber befriedigt die Behandlung des Mythus
von der Schlachtung der Iphigeneia durch ihren eigenen Vater. Wir be-
greifen es, wenn die Mutter dem unnatürlichen Vater die unmenschliche That
nicht verzeiht. Hingegen empört es uns, wenn der Dichter den Heerführer
von der Schuld freispricht, da er sich nur der Macht des Schicksals und dem
Spruche des göttlichen Sehers Kalchas gefügt habe. Denn wie konnte die reine
Göttin Artemis in ihrem Groll ein so fluchwürdiges Opfer verlangen ? und
warum lehnte sich nicht das Vaterherz des Agamemnon gegen den Aus^
Spruch des Priesters auf? Eine Entschuldigung für eine derartige Dar-
stellung liegt nur in dem Ansehen der Überlieferung und in dem Glauben
des Volkes an die Wahrheit der Überlieferung. Aber damit wird nur
der Dichter entschuldigt, der sich die Volksanschauungen zu Nutzen
machte, nicht aber unser Sittlichkeitsgefühl versöhnt und nicht Aischylos
als Mensch und Vertreter reiner Gotteslehre gerechtfertigt, i) Doch das
sind Punkte, welche über die Würdigung des Dichters Aischylos hinaus-
reichen und die Stellung betreffen, welche der Volksglauben der Hellenen
selbst zu dem Ideal reiner Religiosität einnimmt.
168. Verlorene Dramen. Aischylos hat seine Dramen '^^fidxr^
Twv t>iiir^Qov ^sydltüv Seinvwv genannt.*) Das hat, wenn wir, wie billig,
auf den Inhalt schauen, nur zum Teil seine Richtigkeit, und überhaupt
nur, wenn wir bei dem Namen Homer an den Dichter des gesamten
epischen Kyklos denken. Aus dem troischen Sagenkreis nämlich entlehnte
er den Stoff zur Trilogie von Hektors Tod und Lösung, oder zu den Tra-
*) Aehnliche Gedanken entwickelt Plöss, I ') Ath. 347 e; beachtenswert ist, da
Die Tragödie Agamemnon und das Tragische, | keiner der Titel des Phiynichos auf Homer
Progr. Basel 1896. hinweist
C. Drama. 2. Die Tragödie, b) AiaohyloB. (§$ 158—159.) 223
gödien MvQfjuiovsg^ NrjQetieg^ ^Qvytq r^ "Exxoqog Xvxqu (nach Ilias / — ß),i)
ferner zu den KaQsg (von Sarpedons Tod),*) MäfAvcov und ^ixoa%aa(a
(Wägung der Todeslose, nämlich des Memnon und Achill, nach der
Aithiopis unter Anschluss an II. X 209 fif.), zu "Onhav x^iag, O^f^caai (von
Aias Tod) und 2aXafi(viai (nach der kleinen Ilias), zu (DiloxTr;trjg^) und
Ar^fivm (ebenfalls nach der kleinen Dias), zu 'ig^iyt-veia, Ti^Xtifog und
UalaiiT^irfi (nach den Kyprien), zu ^Pvxaywyoiy nrjveloTrrj^ KtQxrj aaxvQixi]
(nach Telegonie). Dem Dionysosmythus, der alten Quelle der tragischen
Kunst, war entnommen die Tetralogie AvxovQyeia^ zu welcher die'Hdwvoi
ßoaaä^i^ Neaviaxoij Avxovqyog aaivqixog gehörten,^) femer die Stücke
Biv&ftg^ BdvTQiai, StfAeltj rj vdQotpoQoi^ Jiovwfov tqo^oi\ welche gleich-
Ms zusammen eine Tetralogie gebildet zu haben scheinen. Der Argo-
nautensage gehörten an 'Ad'dfiag^ ^YipmvXrj, 'AQyw, KdßeiQoi^^) vielleicht
aach 0€iaQoi rj 'i<f&fnaatai\ Näfiea, Auf verschiedene andere Sagenkreise
bezogen sich die ^AQyeToiy 'EXsvmnoi, ^Eniyovoi (Adrastossage), (t^oQxtSeg^
ßolvisxtrjg (Perseussage), 'Alxfiijvrj, ^HQaxXeidm (Heraklessage),«) ''HXiddsg
(Tod des Phaethon), To^&näeg (Untergang des Aktaion), Ntoßrj, 7) "ATaXdvTr;,
7f«'«i', neQQaßßideg, 2iav(pog. Nimmt man noch hinzu, dass Aischylos auch
die Göttermyihe auf die Bühne gebracht, das Wagnis einer politischen
Tragödie versucht, in den AhvaTai die Lokalsage dramatisiert, gelegent-
lich auch Elegien und Epigramme gedichtet hat, so bekommt man eine
Ahnung von der Vielseitigkeit und der Originalität des Begründers der
Tragödie.
169. Die Kunst des Aischylos. Die eigentlichen Verdienste des
Aischylos um die dramatische Kunst liegen nur zum kleineren Teil in dem
Reichtum des Stoffes, sie sind vorzüglich in der Gestaltung des Mythus
Dnd in der Ausbildung der dramatischen Darstellungsmittel zu suchen.
Die letzteren fasst Aristoteles, Poet. 4 in die Worte zusammen: ro te
fiv vTToxQiTfov TtXfjx^og ۤ ivog alg dvo n^wTog AiaxvXog rjyaye xai zd tov
to^v riXditfocs xai lov Xoyov nQcoraytoviaTijv nuQeaxsvaas,^) Wir sahen
oben, dass in diesen Punkten sich der Dichter allmählich vervollkommnete:
') Wbcklbix, üeber eine TrUogie des I 423 hervorgezogen von Wilamowitz, De
Aeschylos, Sizb. d. b. Ak. 1891 S. 327 ff.
') Von den KuQeg (im Sinne von Avxioi)
wurde ein Fragment, in welchem Europe, des
Svpedon Maitor, mn ihren Sohn bangt, ans
«nein Papyrus ans Licht gezogen von Weil,
NoQveaaz fragments d' Enripide et d' autres
Rhesi scholüs, Ind. lect., Greifsw. 1877.
') In der Niobe sass nach der Vita die
Heldin stamm in den Mantel gehüllt aaf
dem Grabe der Kinder; ähnlich verhüllt soss
Achill da in Hektors Lösung, was den Spott
der Komiker, wie des Aristoph. Ran. 912
poHcs, Paris 1879; Blass Rh. M. 35, 74 ff., herausforderte.
jetzt aach bei Naück TGF« 33. ' ^) Vgl. Diog. III 56; auch die Erfindung
') üeber die Abweichang des Aschylischen
PUIoktet vom sophokleischen s. Dio Chrys.
or. LH Der Chor bestand aus Lemniem.
^) Eine Lykargeia hatte auch Polyphrad-
Boo im Wettstreit mit Aischylos Sieben
aofigefthrt
') AafgefBhrt worden dieselben nach
den FeldzOgen am Strymon um 466, nach
WiuÄowiiz Herrn. 21, 612.
*) Von den Herakliden wurde ein neues
^n^neni ans Schol. Aristidis des Cod. Marc.
des 3. Schauspielers wird ihm zugeschrieben
von Themist. or. XXVI p. 382 D (das Zeugnis
wegemendiert von Usener Rh. M. 25, 579),
und von einigen in der Vita; mit welchem
Recht, haben wir oben bei den Sieben, Pro-
metheus und Orestie gesehen. Sogar noch
einen vierten Schauspieler, der aber nm-
weniges zu sagen brauchte {naQaxoQtjytjfÄtt),
fühi-te er in dem Memnon ein; s. Pollux,
4, HO.
224
Ghriechische Litteratnrgeschiohte. I. Klaasisohe Periode.
in seinen älteren Tragödien, wie besonders in den Schutzflehenden, nehmen
die Chorlieder noch einen übermässigen Raum ein und ermüden nicht
selten durch die Wiederholung gleicher Gedanken; erst nach und nach
erweiterte er die Dialogpartien, fügte den Prolog hinzu ^) und nahm von
Sophokles auch den 3. Schauspieler an. Sehr richtig antwortete deshalb
der Verteidiger des Aischylos den Bewunderem des Sophokles, weit
schwieriger sei es nach Thespis und Phrynichos die Tragödie auf solche
Höhe zu bringen, als sie nach Aischylos zur Vollendung des Sophokles zu
erheben.^) Auch auf die Erhöhung des Glanzes der äusseren Darstellungs-
mittel verwandte er grosse Sorgfalt : er heisst bei Horaz a. p. 278 personae
pallaeque repertor honestae;^) auch die Erfindung mannigfacher Maschinen
und Dekorationen wird ihm beigelegt,*) und man braucht nur den Pro-
metheus und die Eumeniden zu lesen, um sich eine Vorstellung zu machen,
welche ausserordentliche technische Mittel zu ihrer Aufführung nötig
waren. Dabei war Aischylos selbst Chormeister und ersann ausser dem
Text auch noch die Melodien und Tänze. An der Darstellung der Bollen
nahm er noch selbst als Schauspieler teil; zu Genossen hatt« er dabei
die berühmten Schauspieler Kleandros und Myniskos.^)
160. Das hervorstechendste Merkmal der äschylischen Poesie, das
Grossartige und Titanenhafte, zeigt sich in den Gedanken, dem Versbau
und der Sprache. Den sprachlichen Ausdruck zeichnet Kühnheit der Meta-
phern, Pracht der Bilder, Grossartigkeit des Periodenbaues aus ; doch fehlt
auch nicht die Härte im Satzgefüge, der Bombast, die Eintönigkeit des
Pathos, die Liebe zum Grotesken und Wunderbaren.^) LiebUngsausdrücke,
wie oTaxa vtofAon', ov SixoQQoncog u. a. kehren zu oft wieder; das Mass ist
überschritten, wenn mit schwülstiger Überschwenglichkeit im Agam. 887 flF.
der heimkehrende König gleich in sechs Bildern hintereinander gepriesen
wird. 7) Die späteren, welche durch Sophokles und Euripides an einfache
Schönheit und ruhiges Ebenmass gewöhnt wareti, nahmen an dieser Seite
der äschyUschen Dramen Anstoss ; ^) den nüchternen Alltagsmenschen
^) Ein Prolog fehlt in Suppl. u. Pers., mit
der ZufÜgung desselben war Phrynichos in
den Phönissen vorangegangen. Auch ein
Epilog findet sich im Agamemnon, der aber
keine weitere Aufnahme fand.
^) Vita § 14.
») Vgl. Vita 13 u. Scholl p. 29 ff.
^) Gramer, An. Par. I 19: ei fi^y ^rj
navTa Tt<r AiaxvXt^ ßovXetai xd tibqi xrjv
cxtjyijv evQtjfiata ngoavifjLBiy, ixxvxXijjuata
xai TXBQidxtovg xai fifj^avag, i^tuaxQay te
xtti TfQoaxtjyiftf xai diareyiag xai xegaryo-
axoneca xai ßgoyteTa xai ^eoXoyeia xai ye-
gdyovg xai nov xai ^vctidag xai ßatga^idag
xai ngoatana xai xoSogyovg xai xavxi xd
noixlXa, ivg/iaxd x€ xai xaXvnxgay xai x6X-
TKüfia xai Tiagdnr^/v xai dgyrjydy xai ino-
xQtxrjy ini xto devxegtp xoy xgixoy. Vitniv
praef. 1. VII: namque primum Agaiharchus
Athenis Äeschylo docente tragoediae scenam
fecü et de ea cotnmentarium reliquit. Dazu
SoMXBRBRODT, Scaeuica, Berl. 1876. Ueber
die Bühne Wilahowitz, Herrn. 21, 598 ff.
^) Aus späterer Zeit erwähnt Aristopli.
Vesp. 579 den Oiagros.
^) Das Wunderbare iritt namentlicdi
auch in der phantastischen Schilderung von
fernen Ländern hervor, was schon der
Scholiast tadelt (zu Prom. 371 u. 738) nnd
die Komiker parodierten, s. Meinekk, Hiat.
com. gr.
7) Aehnlich Choeph. 995 ff. u. Sept. 559 ff. ;
in unerträglicher Weise sind die Epitheta
gehäuft Suppl. 802 ff.
^) Das urteil der Späteren gibt gat
wieder Quintil. X 1, 66; Aeschylus subiitnis
et gravis et grandiloquus saepe %i8que ad
Vitium, sed rudis in plerisque et incotn^
positus. Vita Aesch. 5: ^riXol xd ßdgo^ na^c-
xi&e'yai xoTg ngoffainoig, dgx^^or eiytu xgt^^^
tovxo xd fisgog fjLByaXongenig xb xai i^Qmtxöw,
xd 6k nayovqyoy xofAtf/ongeneg r« xai
C. Drama. 2. Die Tragödie, b) AieobyloB. (§ 160.) 225
schien er gar seine Dramen im Rausch gedichtet zu haben, i) Wenn indes
Pindar Erhabenheit der Sprache mit anmutsvoller Orazie besser als
Aischylos vereinigt hat, so darf man den Einfluss der Masken und Stelzen
and des ganzen dionysischen Spiels nicht ausser acht lassen.^) — Unbe-
dingtes Lob verdient die melodische Schönheit und symmetrische Strenge
der Rhythmen des Aischylos: zu gewaltigen Perioden, der Grösse und
Tiefe der Gedanken entsprechend, bauen sich bei ihm die Verse auf; ^) die
synkopierten Trochäen, die er mit Vorliebe verwendet, malen mit ihren
langangehaltenen Längen vortrefflich den Ernst der Lage und die Tiefe
der Empfindung/) Auch der Dialog ist streng gebaut, so dass Verteilung
eines Verses unter mehrere Personen noch nicht vorkömmt; ein Streben
nach symmetrischer Anlage ist unverkennbar, wenn auch neuere Forscher,
wie Ritschi, ^) mit der gewaltsamen Herstellung gleicher Reden in den
Sieben über das Ziel geschossen haben. — Die Gravität der Gedanken
wurzelt bei Aischylos in der Strenge der alten Sitte und in den Weisheits-
lehren der Priester und Mysterien. Daher galten seine Tragödien auch
später noch den Anhängern der alten Zucht und Ordnung, wie dem
Aristophanes, als das Ideal kerniger Poesie. In dem Glauben an das
Walten einer höheren Macht ^) ist insbesondere die Idee des Schicksals
begründet, die den Hintergrund aller seiner Tragödien bildet und sich mit
der frommen Anschauung des Dichters von der Hinfälligkeit und Ohn-
macht alles Sterblichen paart. Dass dabei der Held des Stückes, um
Mitleid zu erregen, nicht von jeglicher Schuld frei sein dürfe, hat er be-
sonders in dem Agamemnon, der aus ehrgeiziger Schwäche seine eigene
Tochter geopfert hatte, trefflich zum Ausdruck gebracht. Am gewaltigsten
aber wirkt in seinen Tragödien die Idee von der Verkettung der mensch-
lichen Geschicke und von dem auf Kind und Kindeskinder sich fort-
erbenden Fluch der bösen That. Mit einziger Kunst hat er zur Durch-
fuhrung dieser Idee den alten Brauch, mit drei Tragödien und einem
Satyrdrama den Festtag auszufüllen, benutzt: aus drei nur äusserlich
nebeneinander gestellten Tragödien entstand unter seinen genialen Händen
der grossartige Bau einer zusammenhängenden, nicht bloss aus demselben
Mythenkreis genommenen, sondern auch durch Einheit der Handlung und
der leitenden Grundidee zusammengehaltenen Trilogie.^) Auch die Kunst
Vgl. Arisi Nub. 1370: iyto yag Aiaxv>.oy
vofAi^oB Tt^ioy ir noitjtaiSt ^ocpov n'kiwv,
»iv^ienoy, ai6fAq>axa, xqrifivonoioy ; vgl. Lkch-
mKR, De arte Aeschyli rhetorica, Hof 1867.
») Ath. 22a u. 428c.
^\ Ueber das VerhftliziiB von Aischylos
und Pindar siehe oben § 134.
') Diese langen Verse und Perioden
treten freilich in der schlechten Versteilung
(xwlojticr^'cr) der Handschriften nicht zu
Tage; am besten sind die ursprünglichen
Venformen auf Grund der Untersuchungen
der neaeren Metrik von Dindorf in der Aus-
gabe der Poetae scen. gr. hergestellt.
^) Das Urteil der Alten drückt Aristoph.
HajL 1254 aas: av^gi t^ tioAv nXeicia <fij xai
xd'AXiaTcc fieXrj nonjattyri xuiv en vvvi,
*) RiTSOHL, Parallelismus der 7 Rede-
paare in den Sieben des Aeschylus, Opusc.
I 300 ff.; Weil, De la composition symm^>
trique du dialogue dans les trag^dies
d' Ächyle, Paris 1860.
') Gegen die Gottesleugner und die-
jenigen, welche, wie später Epikur, die Götter
sich um die Sterblichen nicht kümmern
Hessen, ist besonders Agam. 381 ff. gerichtet.
') Wenigstens gelang dem Dichter in
der Orestie meisterhaft diese ideale und
stoffliche Zusammenfassung der 3 Stücke zu
einem Ganzen. In den meisten anderen
Trilogien sind die Stücke durch ein viel
lockreres, meistens nur äusseres Band zu-
sanunengehalten.
Baodbocb der klMi. Altertuiniiwiasenflcban, VII. 3. Aufl. 15
226 Oriechisohe Litteratargesohiohte. I. Klassisohe Periode.
der Motivierung der Handlung und der Retardierung wie Steigerung der
Affekte war ihm nicht fremd; wenn er darin und in der Individualität
der Charakterzeichnung hinter Sophokles und Euripides zuriickblieb, so lag
dieses in der Richtung seiner Zeit, die im Leben wie in der Poesie und
Kunst das Grosse und Erhabene liebte und in der Verleugnung gefalliger
Anmut bis zum Harten und Eckigen ging. — Was schliesslich mehr als
alles Einzelne bedeutet, das ist die geniale Begabung unseres Dichters,
die überall durchschlägt und seine Poesie zum Ausfluss unbewusster dio-
nysischer Begeisterung macht. Sophokles hatte einst von ihm gesagt
(Ath. 22«), er thue das Rechte, aber ohne es zu wissen. Das sollte ein
Tadel sein in dem Munde des jüngeren, reflektierenden Dichters, ist
aber in der That das höchste Lob; ja, Aischylos dichtet wie berauscht in
gottbegeistertem Wahne; seine Dichtungen sind nicht Schöpfungen der
Kunst, sondern Oaben des göttlichen Genius ; bei ihm ist keine Rede von
klügelnder Künstelei, keine Spur von kühler Reflexion, kein Schein von
fremder, aus anderer Mund entlehnter Weisheit: aus dem unerschöpflichen
Born seiner eigenen göttlichen Natur quellen in nie versiegendem Strome
Gedanken wie Worte.
Handschriftliche Überlieferung: Die Tragödien des Aisch., Soph., Eur. wurden auf
Lykurgs Antrag (s. Müller, Bllhnenalt. 359 An. 1 ; 0. Korn, De pubUco Aesch. Soph. Eur.
fabularum ezemplari Lycurgo auctore confecto, Bonn 1863) in einem Staatsexemplar auf-
geschrieben, das später nach Alexandria gebracht wurde. Der Hauptcodez der 7 erhaltenen
Stücke des Aisch., den Burgess, Cobet, Dindorf (Phil. 18, 55 ff.), Wecklein für den Arche-
typus aller Godd. halten, ist ein Mediceus sive Laurentianus XXXII 9 s. XI (von Anrispa
i. J. 1423 aus Griechenland gebracht und von Gosmo Medici der Bibliothek einverleibt),
der zugleich den Sophokles und die Argonautika des ApoUonios enthält; ein fakaimllierter
Abdruck dieses God. von R. Merkel, Aeschyli quae supersunt e cod. Laur. descripta, Ozon.
1871 fol., in Lichtdruck, Florenz 1896; die zuverlässigste Vergleichung mit Unteracheidang
der verschiedenen Hände von Yitblli in Weckleins Ausg., Berlin 1885. Von den jetzt
fehlenden Blättern des Agam. bietet die beste Abschrift der Florent X^XT 8 s. XIY. FOr
die 3 in Byzanz zumeist gelesenen Stücke Prom. Pens. Sept. müssen jedenfalls ausser dem
Laur. (Sept. 195 fehlt in Laur.) Handschriften der 2. Klasse herangezogen werden.
Der Grundstock der Scholien, der ebenso viele feine Bemerkungen über die Kunst
des Dichters enthält als für die Wortkritik wichtig ist (s. Hbimsöto, Die indirekte Ueber-
lieferung des äschylischen Textes, Bonn 1862). aber früh durch die Albernheit jüngerer
Erklärer zurückgecb-ängt wiu-de (s. Römer, Stud. zur handschr. Ueberl. des Aesch jlos nnd
zu den alten Erklärem desselben, in Stz. d. b. Ak. 1888 U 231), geht auf den Grammatiker
Didymos zurück und stimmt vielfach mit Glossen des Hesychios überein (s. Frey, De Aesch.
scholiis Mediceis, Bonn 1857). Diese alten Scholien sind samt ßiog, vno&^iF$i^, Interlinear-
glossen und kritischen Zeichen aus dem Laur. am besten herausgegeben von VitelU-Wei^k-
lein. Davon sind zu scheiden jüngere Scholien (besonders ausführlich zu Prom. Sept. Peis.)
von Tzetzes, Thomas Magister und Triklinios in codd. Paris. 2785. 2787 und Leidenses Is.
Vossii (s. Franken, De ant. Aesch. interpret. aucturitate, Utrecht 1845), herausgegeben Yon
W. DiNDORP im 3. Bde. der Gxforder Aischylosausgabe 1851.
Ausgaben: ed. princ. Aldina 1518, worin Agamemnon und Ghoephoren (am Anftmg
verstümmelt) noch nicht getrennt sind. — Ausgezeichnete Emendationen des stark kormpten
Textes lieferten Türnebus (t 1565) und Aüratüs (t 1588), der letztere würd von Hbritann
ad Agam. 1396 omnium qui Aeschylum attigerunt princeps genannt. — Ausgaben mit ge-
lehrtem Kommentar von Stanley, London 1663; ed. Schötz III 1809 — 22 in 5 vol. Die
lang ersehnte Ausgabe von G. Hermann ward nach dessen Tod besorgt von Haupt, Lipa.
1852, 2 vol. Neueste kritische Gesamtausg. von Wbcklbin-Vitblli, Berol. 1885; mit
griech. Kommentar von Wecklein-Zomaridbs, Athen 1891 — 97. — Textesausg. von EIibgb-
Hopp, Berl. 1880, mit den Varianten des Medic; Weil bei Teubner 1885; von Weil eine
grössere kritische Ausgabe, Gissae 1858—67, 2 vol. — Spezialausgaben der Sieben von
RiTscHL ed. U. Lips. 1875; des Prometheus von Schömann, Griech. u. deutsch, Ghreifsw. 1844*
der Orestie von Franz, griech. u. deutsch, Leipz. 1846, von To. Hbyse, Halle 1884, von
0. Mabbach mit deutscher Nachdichtung Leipz. 1874, von Wecklbik, Leipz. 1888- von
C. Drama. 2. Die Tragödie, o) BopholdeB. (g 161.)
227
WiiAMOwiTz Texi, üebersetzimg, Erläntemng, Agam. 1885, Ghoephoren 1896; des Aga-
memDoo von Enobb-Gilbbbt, Leipz. 1874, Sohneidewin-Hensb, Berl. 1883, Ebck, 6r. u.
dentuh mit Einl. u. Komment., Leipz. 1863; der Eumeniden von 0. Müller (wichtig für
BOhnenalteri), Qött 1833. — Scholansgaben mit erklärenden Anmerkungen der Perser von
Tkuffkl-Weckleir, Leipz.; des Prometi^ens von Wboklbin, Leipz.
ErlSatemngsschriften: Glossarium von Blomfield in dessen Ausg. des Agam., Cambr.
1818, Lipe. 1822; Lex. Aeschyleum comp. Wellaueb 2 vol., Lips. 1830; Lex. Aesch. ed.
W. DisDOBP, Lips. 1873, mit Supplement von L. Schmidt, Greifenberg 1875. — Westphal,
Prol«gomena zu Aeschylus Tragödien, Leipz. 1869 über Metrik u. Komposition. — R. Aknold,
Der Chor im Agamemnon scenisch erläutert, Halle 1881. — P. Richtbb, Die Dramaturgie
des Aeschylus, Leipzig 1892.
c. Sophokles (496-406).!)
161. Leben. Sophokles stammte aus dem nahe bei Athen in
reizender Lage gelegenen Demos Kolonos Hippies. Sein Vater hiess So-
phillos and hatte eine Waffenfabrik, welche der Familie reiche Einkünfte
und eine angesehene Stellung verschaffte.^) Das Jahr seiner Geburt war
nach der alten Vita 495 '4, nach der verlässigeren Angabe der parischen
Mannorchronik 497/6.*) In der Jugend erhielt er sorgfaltigen Unterricht
in der Gymnastik und Musik, so dass er in beiden Künsten wiederholt
bekränzt wurde und bei der Siegesfeier der Schlacht von Salamis die
ehrenvolle Aufgabe erhielt, dem Chor der Knaben, der tanzend und
singend den Päan vortrug, mit der Leier voranzuziehen.*) Die harmonische
Vereinigung von körperlichen und geistigen Kräften kam ihm auch später
im Leben zu statten, indem er bei der Aufführung seiner Nausikaa durch
die Grazie im Ballspiel entzückte,*) und vom Maler Polygnot als zither-
spielender Thamyris in der bunten Halle dargestellt wurde. Zum Lehrer
in der Musik hatte er den von Aristoxenos hochgepriesenen Lampros;
sein Unterricht befähigte ihn, die Melodien zu den Chorgesängen selbst
zu komponieren, während sich Euripides dabei fremder Beihilfe bedienen
mnsste. In der Tragödie, heisst es in der Lebensbeschreibung, ging er
bei Aischylos in die Schule, was wahrscheinlich nur in dem Sinne zu
nehmen ist, dass er dem älteren Meister im Theater seine Kunst absah.
Zorn erstenmal trat er als Dramatiker auf und zum erstenmal siegte er
zugleich im Jahre 468 mit dem Triptolemos.^) Der Mythus von dem ein-
') Ans dem Altertam ist uns erhalten
ein ans Angaben des Aristoxenos, Satyros,
Istros zosammengeseteter £oq)oxXiovg ßiog,
mit Snidas nnd den anderweitigen Zengnissen
ZDSunmengesteUt von Jahn in Ausg. der
Mektra. Nach Soidas hatte Philochoros ein
Werk in 5 B. negi twy 2otpöxX4ovg fxvStoy
geschrieben. — Ans neuerer Zeit Lessino,
Leben des Sophokles, Teil eines geplanten
grosseren Werkes über Sophokles; Febd.
Schultz, De .vita Sophoclea, Berl. 1835; Ad.
Scholl, Sophokles, sein Leben und Wirken,
fnnikf, 1842, hypothesenreich ; Dindorf in
S. Oxforder Ausg., und Bbrgk in Ausg. von
1858.
*) Der Vater war fjiaxaiQonoiog; bei
PBirius N. H. 37, 40 heisst Sophokles: prin-
cipe loco genUus Atkenis.
») Die Vita geht wie Diodor 13, 108
^Ton ans, dass Soph. rund 90 Jahre alt
geworden sei; das Marm. Par. gibt ihm 91
Jahre, ebenso Ps. Lucian, Macrob. c. 24 nach
der Emendation von Schultz. Vergl. Mendels-
sohn Act. soc. Lips. II 171 f.
*) Die Freunde der Synchronismen heben
hervor, dass zugleich Aischylos hei Salamis
mitkftmpffce, Sophokles den Siegesreigen
führte, Euripides in Salamis das Licht der
Welt erblickte; siehe dagegen § 176.
*) Vita und Ath. 20f.: xai i6v SdfjivQiv
di&(iax(t}y avTog ixi^dqiaey, axQwg d^ iatpal-
Qicey, 0T6 Ttjy Navaixday xa^ijxe.
«) Chron. Par. Dass es der Triptolemos
war, mit dem Soph. siegte, schloss Lessing
aus Plinius N. H. XVIII 65 : ante mortem eins
(Alexandri) annis fere CXLV Sophocies poeta
in fabula Triptolemo frumentum Italicum
ante cuncta laudavit. Vgl. Welckbb Gr. Tr.
I 310.
15*
228 Orieohische Litteratnrgeflehiehte. I. KUssisohe Periode.
heimischen Heros, den die hehre Göttin Demeter von ihrem Heiligtum in
Eleusis auf schlangenbeflügeltem Wagen hatte ausziehen lassen, um die
Pflege des Ackerbaues und die damit verbundenen Lehren milder Gesittung
in die Ferne zu tragen, war so glücklich gewählt und so fesselnd durch-
geführt, dass im Theater eine ungewöhnliche Aufregung zwischen den An-
hängern des Altmeisters Aischylos und den Bewunderem des neu auf-
gehenden Gestirns unseres Sophokles entstand und der Archen, der die
Spiele leitete, in ausserordentlicher Weise dem siegreich heimkehrenden
Kimon und seinem Mitstrategen die Entscheidung überliess. Die Ent-
scheidung fiel gegen Aischylos zu Gunsten des Sophokles aus, der also
schon im 28. Lebensjahre der Ehre des ersten Preises teilhaftig wurde, i)
In den folgenden zehn Jahren beherrschten die beiden grossen Tragöden
mit abwechselndem Erfolg die attische Bühne, indem es Aischylos nicht
verschmähte, auch von dem jüngeren Genossen zu lernen,^) Sophokles
aber bei aller Verehrung gegen den älteren Meister sich doch sorgsam
vor den Verirrungen desselben hütete.') Von einem Wettstreit mit Euri-
pides hören wir zum erstenmal im Jahre 438, wo Sophokles den ersten
Platz, Euripides mit der Alkestis den zweiten erhielt. Auch im J. 431,
wo Euripides seine Medea aufführte, behauptete Sophokles den Vor-
rang. Im übrigen liess derselbe in späteren Jahren sich auch von dem
jüngeren Rivalen beeinflussen. Das zeigt besonders der Dens ex machina
im Philoktet (aus dem Jahre 409) und die Art des Prologs in den Tra-
chinierinnen.^) Ausserdem trat er auch mit Choirilos, Aristias, Euphorion,
Philokles und mit seinem eigenen Sohne lophon in die Schranken;^)
Euphorion, der Sohn des Aischylos, gewann ihm im Jahre 431 den ersten
Preis ab.«)
k6*i. Als' guter Bürger beteiligte sich Sophokles auch an dem öffent-
lichen Leben und ward von seinen Mitbürgern mit mannigfachen Ehren
ausgezeichnet. Bekannt ist seine Ernennung zum Strategen im samischen
Kriege (441 — 439) infolge des Beifalls, den seine Antigene gefunden hatte.')
Perikles, sein mächtiger Gönner und Kollege im Amt, ^) scheint indes nicht
1) Plut. Cim. 8. Ebenda und in Vit.
Aesch. ist weiter erzählt, dass infolge der
Niederlage Aischylos Athen verlassen habe und
nach Sikilien gegangen sei; das letztere ist
jedenfalls Fiktion; s. § 151.
^) Gleich 467 siegte wieder Aisch. mit
den Sieben, 458 mit der Orestie; beidemal
machte Aisch. vom 8. Schauspieler Gebrauch.
•) Von der Verehrung des Soph. gegen-
über dem älteren Meister, den er, als er selbst
zum Hades hinabkam, küsste und durch
Handschlag begrüsste, s. Aristoph. Kan. 788 ff.
u. 1516 ff. Auf der anderen Seite lesen wir
bei Ath. 22*: (jiB^vtav de inoiei ras rga-
ytodiag Aia^vkog, ais (prjat Xa/uaiX^toy ' loq>o-
xXfjg yovp aiyeldiCey «vrw, ort, e£ xai xd
dioyxa noieT, dXX* ovx eidaig ye. Auch den
oyxos AiüxvXov tadelte er nach Plut. de
prof . virt. 7.
^) Auch liess Sophokles nach Euripides
Vorgang im Hipponus den Chor seine per-
sönliche Sache führen; s. PoUux IV 111.
») Vita Soph.
^) Argum. Eur. Med.
') Argum. Antig.: q>itai dk xov £iHfo-
xXia ij^uiaSixi tijg 4y £dfJtto atQatfjyia^ «t»-
doxifArjaayttt iy tff didaaxaXitf tijg *Ayxty6rfjq.
Vita Soph.: x«t *A&fjyalot, 4* avxoy vi (|**
codd., yB stimmt zu der Elegie an Herodot)
iiioy oyxa axQaxr^yoy eVXoyxo n^ö rtJr BeXo-
noyyrjinaxüiy eieciy C (corrige 9') iy i^
tiQos Uyaiovs noX(f^ia. Suidas u. MiXuooog:
vnig Ja/ultüy üxgaxriyfjaag iyavfidxtfae xt^g
£o<foxXijy xoy xqayixoy 6X. nS' {ni coni. Bern-
hardy). Wahrscheinlich war Sophokles im
J. 440 Stratege, wurde aber die Antigone
nicht unmittelbar zuvor 441, sondern 442
aufgeführt; so auch Wilamowitz Aristot. u.
Athen U 298. Vgl. noch Strab. p. 688; Flut
Nie. 15, Pericl. 26, adv. Col. 82; Justin 111
6, 12.
^) Das Verzeichnis sämtlicher 10 Starm-
C. Drama. 2. Die Trag&die. o) Sophokles. (§ 162.)
229
viel von dem Feldhermtalent des Dichters gehalten zu haben ; man legte
ihm den Scherz in den Mund: zu dichten verstehe Sophokles, nicht aber
das Heer zu führen, i) Er verwendete ihn daher mehr zu diplomatischen
Sendangen an die Bundesgenossen. In Chios kam Sophokles bei dieser
Gelegenheit mit dem Tragiker Ion zusammen, der uns bei Athenaios p. 603 e
die nette Anekdote erzählt, wie der lebenslustige Dichterfeldherr beim
Wein einem schönen Knaben einen Euss abgewinnt und dieses dann als
dajsjenige Strategem erklärt, auf das er sich verstehe.^) Um diese Zeit
ist er auch zu Herodot, wahrscheinlich durch Vermittlung des Perikles,
des gemeinsamen Gönners beider, in nähere Beziehung getreten ; denn nach
Plutarch, an seni 3, hat er 55 Jahre alt eine Elegie an Herodot gerichtet,
deren Anfang lautete: fpirjv ^HQodotff rsv^ev 2og>oxkrjg Mwv wv nävx' inl
TraTi^xoiTa.s) Ausser dem Strategenamt im samischen Krieg bekleidete er
Ol. 84, 2 = 448 '2 die Würde eines Hellenotamias oder Schatzmeisters der
Bandesgenossenkasse. ^) Eine zweite Strategie des Dichters erwähnt Plu-
tarch, Nie. 15, wobei er, von Nikias aufgefordert als ältester seine Meinung
zuerst zu sagen, in liebenswürdiger Bescheidenheit erwiderte : iyto nakaio^
ta%6g sljuu, üv 3i nQsaßvTozoq.^) Im hohen Alter ward er nochmals in
die Politik hineingezogen, indem er, wenn anders die Nachricht bei Ari-
stoteles Rhet. m 18 auf unseren Tragiker bezogen werden darf,^) im
Jahre 411 in das oligarchische Kollegium der zehn Probulen gewählt
wurde. Deshalb nach dem Sturz der Oligarchen vor Gericht gestellt und
der Mitschuld der Einsetzung des Rats der Vierhundert beschuldigt, ver-
teidigte er sich nach Aristoteles mit der Verlegenheitsausrede, dass er
keine bessere Wahl gehabt habe. Auch ein geistliches Amt, das Priester-
tnm des Heilgottes Amynos,^) verwaltete er und bezeugte seinen frommen
Sinn durch Stiftung einer Kapelle des ^HQaxXijg firjvinr^g «) und durch Dich-
ri p. 4
gfazang von Wilamowitz, De Rhesi acholiiSi
Greifew. 1877.
') So Sophokles selbst bei Ath. 603 d:
BeguUri^ notseiv fiB lyiy, ifjQartjyiety (T ovx
hinaa9ai. Aehnlich mteilt sein Zeitgenosse
Ion fiber ihn bei Athen. Xlil 604 D: tä fiiytot
»o^rixn ovTf cofpoq ovxe ^sxtijqios rj¥y äXV
•f ür nq Big Tviv j^^artüy */4^r^ym(ov.
*) Weiter ansgeschniflckt ist der VorfaU
▼OQ Cicero de off. I 144: bene Pericles, cum
haberel roUegam in praetura Sophoclem poe-
fom üque de communi officio eonvenissent
et CMN formosus puer praeteriret dixissetque
Sophocles „o puerum pulehrum, Pericle" „at
tnim praetorem, Sophocle, decet non solum
manu$, $ed etiam oculos abstinetites habere"
*) Vgl. ZiTBBOBO Herrn. X 206 ff., Classen
m Veih. d. Kieler Philol. Vers. 114 ff. Von
^sm Stodimn, das Sophokles dem Herodot
zuwandte, zeugt die Anlehnnng von Oed.
CoL 337—41 an Herod. H 85, von Electr.
417—23 an Horod. 1 108; hingegen wird der
Aikkng von Ant. 905—14 an Herod. IH 119
asf spiiere Interpolation zarackzofOhren sein,
md kann ebensogut Oed. R. 261 f. dem Herod.
y 59 nachgeschrieben sem als umgekehrt.
«) Bezeugt durch CIA I 237.
<^) Im Schol. zu Aristoph. Pac. 696 wird
dem alternden Sophokles der Vorwurf der
Gewinnsucht gemacht mit der Bemerkung
Xeyeiai di ort ix xtjg ai^atrjyLas tijg bv Sttfjit^
rjgyvQiaato. Hier ist die zweite Strategie
mit der ersten verwechselt; vielleicht ist
dasselbe oben S. 228 Anm. 7 mit der doppelten
Zeitangabe der Fall, und war Sophokles im 55.
und im 69. Lebensjahr oder 441 und 427
Stratege.
•) Bestritten wird dieses von Dindorp,
Vit. Soph. p. XX, sq. Gegen die Herrschaft
der grossen Menge spricht sich unser Dichter
aus OG. 1584.
0 So korrigiert Körte Ath. Mitteil. 1896,
287 ff. nach den Inschriftenfunden den über-
lieferten Namen ^AXko}yog der Vita, wofOr
Meineke *'AXxa>vog korrigiert hatte.
*) Cic. de div. 1, 54: Sophocles, cum ex
aede Herctdis 4>atera aurea gravis surrepta
esset, in somnis vidit ipsum deum dicentem
qui id fecissety quod semel Hie iterumque
neglexit. übt idem saepius, aseendit in
Ariopagum, detulit rem, Äriopagitae com-
L
230
Orieohisohe Litteratnrgesohiehte. I. KUssisohe Periode.
tung eines Päan auf Asklepios, ^) von dem neuerdings Bruchstücke in
einem Asklepiosheiligtum am Südabhang der Burg gefunden wurden.*)
Übrigens ward es ihm noch zu besonderer Ehre angerechnet, dass er
nicht, wie Aischylos, Euripides und andere verlockenden Einladungen an
Fürstenhöfe folgte, sondern als dvt}Q (fiXad^t^vaiog ähnlich wie Sokrates
stets in Athen geblieben ist.')
163. Im Privatleben gewann Sophokles durch Liebenswürdigkeit und
Anmut die Herzen aller und wusste durch heiteren Witz und Humor die
Unterhaltung zu würzen. Den süssen Gaben der Aphrodite war er keines-
wegs abhold; auch von der Verirrung des griechischen Altertums, von
der Liebe zu schönen Knaben, scheint er sich nicht frei gehalten zu
haben.*) Verheiratet war er mit Nikostrate; Sprosse dieser Ehe war
lophon, der, wie sein Vater, die Laufbahn eines tragischen Dichters ein-
schlug. Die Dichterlegende weiss ausserdem von der Liebe des greisen
Dichters zur Sikyonerin Theorie und dem Ariston als Frucht dieser Ver-
bindung zu erzählen.^) Enkel des Dichters war Sophokles, der nach dem
Tode des Dichters den Oedipus auf Kolonos zur Aufführung brachte.^)
Übrigens scheint es in dem Hause des alternden Sophokles nicht an
Zwistigkeiten zwischen Vater und Sohn gefehlt zu haben; nach einer viel-
fach bezeugten Überlieferung klagte lophon seinen Vater bei den Ge-
schlechtsverwandten {(fqatoQiq) wegen Qeisteszerrüttung {nagavoiag) an,
worauf dieser zum Beweise seiner Geisteshelle das herrliche Preislied auf
Attika im Oedipus Col. vortrug und damit die Richter zu solchem En-
thusiasmus fortriss, dass sie mit Entrüstung die Klage des Sohnes ab-
wiesen. 7) Die Sage ging in dieser ausgeschmückten Form auf irgend
eine Komödie zurück, welche den Handel des lophon auf die Bühne ge-
bracht hatte. ^) Aber an der Sache wird doch etwas Wahres gewesen
sein, da auch Aristoteles Rhet. UI 15 von einem Prozess des Sophokles
prehendi hibent eum, qui a Sophocle erat
naminattM; is quaestione adhibita confessus
est pateratnque rettulU, quo facto fanum
illud Indicis Herculia notninatum est. Die
Vita fQgt hinzu, dass Soph. für die Anzeige
eine Prfimie von 1 Talent erhalten habe.
0 Et. M. 256, 6, Phiiostratos iun. Imag.
13 und andere (s. Jahn zur Vita Z. 88) er-
zählen von der Bewirtung des Asklepios durch
den Dichter und von der Asklepioskapelle
des Sophokles an der Burg.
*) KuMANUDES, *Abrivaiov 5, 340 u. Buche-
ler Rh. M. 32, 318 u. Eaibkl 34, 207.
') Seine eigene Gesinnung bekennt er
fr. 711: oanff yaQ oSg ivQayyoy ijunogevEtaii
xeivov 'an 6ovXog xäv iXev&CQog fJLoXji.
^) Bei Ath. 603 e heisst Sophokles tpiXo-
fietga^f wie Euripides (piXoyvytjg, Ausser dem
schönen Knaben von Chios, von dem uns Ion
bei Ath. 603 e erzflhlt, nennt Ath. 592 b noch
einen Knaben Smikiines.
^) Hermesianax bei Ath. 598 c. Welcker,
Gr. Trag. I 304 sucht geistreich den Ursprung
der Legende in dem missrerstandenen Halb-
vers g>lXtj ya^ ij (^€(a^g. Suidas erwfthnt
noch als weitere Kinder des Sophokles den
Leosthenes, Stephanos, Menekleides. Von
Ath. 592 wird nach der trüben Quelle des
Anekdotenschreibers Hegesander noch eine
zweite Geliebte des Dichters genannt, die
Hetäre Archippe, die er zur Erbin eingesetzt
habe. Scholl, Leben d. Soph. 365 ff. ver-
wirft alles dieses als Missverst&ndnis, ent-
standen aus den b&sen Nachreden der Ko-
miker, indem er sich auf die Darstellung des
Piaton de rep. I p. 329 b (Anmiianus Marcell.
XXV 4) berief, wo Sophokles sich rühmt, im
Alter des bösen Tyrannen der Liebesleiden-
schaft losgeworden zu sein.
*) Arg. OG. Es gab einen Sophokles des
Ariston (Vita 57) imd einen des lophon,
wovon die Inschrift CIA II 672, 37.
^) Satyros in Vita 13; de. de sen. 7, 22
und de fin. V 1, 3; Plut. an sen. 3; Apol.
apol. 37; Ps. Lucian Macrob. 24.
') Vita 13: xai note ip d^ufiaii eiaijyaye
'lofftüyxa. Vermutet wird Axistophanes, der
eine Komödie Jgäfutta schrieb, oder Lenkon,
von dem ein Stück ^^crrc^e^ betitelt war.
C. Drama. 2. Die Tragödie, c) Sophokles. (§ 163.)
231
meldet, in dem derselbe sein Zittern mit der Last der 80 Jahre entschul-
digte. Auffällig ist nur, dass Aristophanes in den Fröschen Y. 73 nichts
von einem Streit des lophon mit seinem Vater weiss, sondern nur ab-
warten will, ob derselbe auch nun, wo er nicht mehr des Vaters Beihilfe
habe, etwas zu leisten im stände sei. Oestorben ist Sophokles als hoch-
betagter äreis von 91 Jahren unter dem Archen Kallias, im Herbste 406.^)
Sein Tod war ruhig und sanft; spätere dichteten, dass er bei dem Ver-
schlucken einer unreifen Traube, die ihm der Schauspieler Eallipides vom
Lande geschickt hatte, den Erstickungstod gestorben sei.^) Kurz zuvor
hatte er noch um den Tod seines Kollegen Euripides Trauerkleider an-
geleg^^) An den Lenäen des folgenden Jahres (405) beklagten schon die
beiden grossen Komödiendichter Aristophanes in den Fröschen und Phry-
nichos in den Musen den Hingang der zwei Meister des tragischen Kothurn.
Das Grabdenkmal in seinem Heimatsort an der Strasse nach Dekeleia
war mit einer Sirene als Symbol der Totenklage geziert.*) Wie einem
Heros wurden ihm dort alljährlich nach einem Volksbeschluss Opfer dar-
gebracht.^) Die Sage, dass der spartanische Feldherr Lysander erst nach-
dem er gehört, dass Sophokles gestorben sei, den Trauerzug aus der
Stadt herausgelassen habe,^) lässt sich mit der geschichtlichen Wahrheit
nicht vereinigen, da die Einschliessung Athens erst im folgenden Jahre
begann. Das Bfld von der Oestalt und dem Oesichtsausdruck des grossen
Toten können wir uns noch durch die Marmorstatue des lateranischen
Museums vergegenwärtigen, ^) die wohl eine Kopie des auf Antrag des
Redners Lykurg dem Dichter im Theater errichteten Standbildes ist : eine
hohe Gestalt von kräftigen Formen mit vollem Bart- und Haarwuchs,
den Kopf nur wenig nach oben gerichtet, voll Klarheit und milden Ernstes.
In den Epitheton, welche ihm die Zeitgenossen gaben (svxokov nennt ihn
Aristoph. Ran. 82, naiSiMÖrj naq* oivov xai de^iov Ion bei Ath. 603 f.),
und in dem Beiwort Biene {fiäXiTra), welches ihm die Grammatiker und
*) Mann. Par. «p/ orro^ U&ijyijct KaXXiov^
ebenso Diodor 13, 103. Die Zeitangabe der
Vita ;r(^ tovg Xoas ist weder mit der £r-
düümig von der Tranbe noch mit der Aof-
fftfanmg von Aristophanes Fröschen an den
Leiden (Jan^/Febr.) vereinbar, ausser man
denkt an die l&ndlichen Dionysien, die aller-
din^ einmal zur Zeit des Demosthenes (or.
18, 160 und 262) in Eolytos zur Zeit der
Weinlese gefeiert wurden.
*) Vit Soph.; Anth. VII 20; Sotades bei
Stob. 98, 9; Fb. Ludan Macr. 24. Die An-
gabe des Satyros in der Yita, dass er beim
Vorlesen der Antigene erstickt sei, war viel-
ieitbt nrsprOnglich ein Spott auf die lange,
ptosenloee Monodie der Antigone in Oed.
Col 243—53. Von diesen Todesursachen
▼ein noch nichts Phrynichos, der in seinen
Mwoat (Argum. Oed. Col.) umgekehrt von
Soph. sagte: xaXoSg J* iieXevzrja^ ov^iy vno-
fuiMK xoaroV. Das Todesjahr und die Fabeln
Über den Tod des Dichters sind neuerdings
besprochen von Mbvdblssohn, Acta phil.
Lips, II 161 flF.
•) Vita Eur.: Xeyovai, dd xal loqtoxXea
dxovaavttt ort irskevrijasy, avroy (jikv Ifia-
rifp (pai<ü ngosX&eiy, xov dd xoQov xal xovg
vnoxQitag dax6q>ttv(üXovg eiaayaysTy iy r^
TiQoayüjyi.
*) Die Grabschrift soll nach dem wenig
verlässigen Lobon (anders bei Yal. Max. 8, 7)
gelautet haben:
XQvnxia xt^de xd^tf) £og:oxXij riQCDxeTcc Xaßoyrce
Tfl XQayix^ ''^X^d ^XV^^ '^ OBfJiyoxaxov.
Andere sicher fingierte Grabepigramme AP.
VU 21, 22, 36, 87.
6) Vita und Et. M. 256, 6.
«) Vita; Plinius N. H. VÜ 109; Paus. I
21, 1. Bergk deutet die üeberlieferung auf
das Todesopfer, welches die Angehörigen im
nächsten Jahr am Sterbetag dem Toten dar-
brachten.
7) Siehe Tafel; ttber die Statue
Welckbb, Denkm. d. alt Kunst 1 457 ff.
232
Oriechiflche litteratargesohiohte. I. KlasBisohe Periode.
Epigrammatiker mit Vorliebe beilegten, i) drückt sich noch mehr als in
den Zügen seines Porträts die gewinnende Anmut seiner Umgangsformen
und die bezaubernde Grazie seiner Rede aus. Der Vorwurf des Geizes,
den ihm Aristophanes im Frieden V. 696 macht, dass er nämlich, alt ge-
worden, wie Simonides nur dem Gewinne lebe, stimmt schlecht zu seinem
sonstigen Wesen.*) Ein schöner Zug von Geselligkeit liegt in der von
ihm veranlassten Gründung eines Musenvereins von Gebildeten oder Theater-
künstlern.»)
164. Litterarischer Nachlass. Gedichtet hat Sophokles nach der
Angabe des Grammatikers Aristophanes ausser wenigen Elegien und
Päanen 123 Dramen.*) Frfolge erzielte er im dramatischen Wettkampf
mehr als Aischylos und Euripides, indem er 18 bis 20 Siege errang, ^) oft
den 2. Preis davontrug, niemals auf die 3. Stelle herabgedrückt wurde.
Erhalten haben sich von ihm nur sieben Tragödien in folgender Ordnung:
Äiac^ ^HXexTQa^ Oldinovq tVQavvoq^ ^Avuyovrj, T^axhiai^ <PeAoacTijTJjg, OiSt-
Tiovg inl KoXwvcp.^) Wahrscheinlich waren diese die besten Stücke nach
dem Urteil des Grammatikers, der gegen Ende des Altertums die Aus-
wahl traf.') Der Ordnung lag vielleicht, wie Schneidewin vermutete,*)
») Dio Chrys. or. LH p. 273; Cbameb,
An. Par. I 19; Suidas; Schol. zu Ai. 1199,
Oed. Col. 17; Anth. VII 22 u. 36. Aus-
gegangen sind die Späteren von den Versen
des Aristophanes: o (T av £o(poxXiovg rov
fisXtii x6XQf'<ffieyov | maneg xadlaxov negie-
Xeixe ro aiofxa. Herein spielte offenbar der
Anklang von ^eh an fislri. Vergleiche über-
dies Ath. 20 e: TiQog rt^ xaXog yeyeyijo&M
Tfjy wgav rjy xal ©(»/lyar/xjyi' dedidayfityog xai
fAovaixijy, Vita: rov tjf^ovg loaavtij ye'yoye
X^Qf'ii ftJCTß Ttayrn xal ngog nnnytfay avioy
at^gyeaf^ai.
«) Welcker, Gr. IVag. I 268 u. Bergk,
Vita Soph. p. XVIII vermuten, dass sich der
Vorwurf auf die häufigere Dichtung von
Dramen während des peloponnesischen Krie-
ges bezogen habe, was bei der Höhe des
Dichterhonorars (s. § 145 eztr.) als Gewinn-
sucht gelten konnte.
') Istros in der Vita: laTg 6^ Movattiq
&Luaoy ix taiy nenatdevfA^yvay ovyayayety.
Vgl. Saufpb, De coUegio artificum scaen.
Ind. Gott. 1876 p. 4 f. Die avyoifog jaSy tisqI
Jtoyvaoy rex^f^rtoy will davon getrennt
wissen Köhler Rh. M. 39, 293.
*) Diese Zahl gibt Suidas an, und damit
stimmt auch die Zahl der echten StOcke der
Vita, wenn wir mit Bergk lesen: 6/fA di
ÖQttficctn^ üig (pfjaiy 'jQiarOfptiyriq gX, rovrioy
&} yeyof^Bviai C {iC codd.). Die Zahl kann
nicht ganz richtig sein, da sie nicht mit 4
in Tetralogien zerlegbar ist.
^) 20 Siege gab Antigonos Karystios
nach der Vita an, 24 Suidas, 18 Diodor
XIII 103; 18 Siege an den Dionysien gibt
auch die didaskalische Urkunde CIA H 977;
vielleicht hat er die 2 andern an den Lenäen
gewonnen.
*) Es haben sich also ebenso viele Stacke
von Sophokles wie von Aischylos erhalten;
ebenso wurden von Sophokles in der byzan-
tinischen Zeit, wie man aus den Schollen
sieht, nur 3 Stücke (Aias, £1., Oed. R.) hftu-
figer gelesen; vgl. § 152 u. 179.
^) Von Antigene u. Elektra heisst es bei
Dioskorides Antih. VII 37 n^^orfpcr» ya^
äxQoy^ von Oed. R. in der 2. Hypothesis
^f6/£fc naaijg rijg lofpoxXeovg noifjaeatg und
ähnlich bei Ps. Longin 33 u. StatUinB Anth.
XI 98, von Oed. Col. ro dQnfin rviy ^fxt^-
(jLttatiöv, Philoktet erhielt den 1. Preis und
wird von Dio Chrys. or. 52 bewundert. Nur
von den Trachinierinnen fehlt ein ausdrück-
liches anerkennendes Zeugnis.
«) ScHNEiDRwiN, Abhdl. d Gott Ges, VI
264. Vgl. das Referat von Wecklbin, Jabr-
ber. d. Alt. XIV 1, 242. Einwendungen erbebt
Bbrok, Vit. Soph. p. XL hauptsächlicb des-
halb, weil in der Ordnung der StQcke der
übrigen Tragiker auf die Chronologie keine
Rücksicht genommen sei. Aber dass es eine
Ordnung nach der Zeit gab, macht die An-
gabe der aristophanischen Hypothesis der
Antigene, dass ^eselbe an 32. Stelle stund,
wahrscheinlich. (Eine ähnliche Angabe findet
sich in Argum. Eur. Ale. und Aristoph. Aves
und in Bekker an. gr. zu Aristoph. i"^^«c;
s. BGcKH, Ausg. der Antig. S. 120 An.) Der
Annahme einer chronologischen Ordnung fügt
sich gut die 2. Reihe Ant., Trach., Phil., Oed^
Col.; mit dieser steht ausser chronologiscfaein
Zusammenhang die 1. Reihe Ai., El., OR.,
welche ans den in Byzanz am meisten ge-
lesenen Stücken gebildet ist Ob inneriialb
dieser 1. Reihe das Alphabet oder die Zeit
G. 1>rama. 2. Die Tragödie, c) Sophokles.
164—165.)
233
ein chronologisches Prinzip zu gründe, das nur ein wenig durch die Vor-
ansteUang der drei im Mittelalter am meisten gelesenen Stücke (Aias,
Elekira, Oed. R.)*) gestört wurde. Ehe wir aber auf die erhaltenen Tra-
gödien im einzelnen eingehen, wollen wir zuvor von den Verdiensten des
Sophokles um die attische Bühne im allgemeinen handeln.
165. Neuerungen in der dramatischen Kunst. Unter den
Neuerungen, welche Sophokles in der äusseren Oestalt des dramatischen
Bühnenspiels vornahm, war die augenfälligste die Vermehrung der Schau-
spieler von 2 auf 3.*) Dieselbe muss von ihm gleich bei seinem ersten
Auftreten (468) oder doch bald nachher durchgesetzt worden sein, da alle
seine erhaltenen Tragödien mindestens drei Schauspieler zur Aufführung
fordern und auch Aischylos schon in der Orestie (458), wahrscheinlich auch
schon im Prometheus und in den Sieben (467) von drei Schauspielern
Gebrauch machte. Denn es ist ja selbstverständlich, dass die Gewährung
von drei Schauspielern zu gleicher Zeit allen Dichtern zu statten kam.
Zur Einführung eines 3. Schauspielers fügte Sophokles die Neuerung, dass
er sich wegen seiner schwachen Stimme von der Verpflichtung entheben
Hess, selbst die Rolle eines Schauspielers bei Aufführung seiner Dramen
ZQ spielen.') Das geschah wahrscheinlich im Jahre 456, da von diesem
Jahre an in den Siegerverzeichnissen neben dem siegenden Dichter auch
der siegende Schauspieler erwähnt ist.*) An die Einführung des 3. Schau-
spielers knüpft mit Recht Diogenes die Vollendung der griechischen Tra-
gödie; denn über sie gingen die Alten nicht hinaus^) und sie erst hat
massgebend war, ist nngewiss, doch ist das
entere wahrscheinlicher. Von Bedeutung
ftr die Erkenntnis der chronologischen Folge
ist namentlich der Versbau, f&r die mir mein
ehemaliger Schüler Probst folgende TabeUe
znrYerftgnng gestellt hat: Auflösungen im
Tiimcter hat EL 3, 16, Ant. 4, 05, Oed. C. 5,
06, Tiach. 5, 9, Oed. R. 5, 93, Phü. 11,00 auf
100 Verse. Versteilung durch Personen-
wechsel Ant. 0, Ai. 4, Trach. 4, Oed. R. 12,
KL 27, Phil. 32, Oed. C. 48, mehr wie ein-
maligen Personenwechsel El. 1, Oed. C. 1,
Oed. R. 2, Phil. 4. Dazu kommen aber noch
EigentOmlichkeiteii der lyrischen Versmasse,
woran unten bei den einzelnen Stocken.
*) 3 Stocke von Sophokles wie 3 von
Aischylos analysierte um 500 Eugenios (s.
f 427). Triklinios gegen Ende des Mittel-
alters erweiterte den Kreis auf 4, indem er
n den 3 ersten Stocken auch noch die
AotigoDe kommentierte. Etwas Aehnliches
werden wir bei Aristophanes sehen.
*) Arisi. Poet. 4; Diog. 111 56: aione^ to
fr« rnfntgnijr i^svgey im^Q rov ayanavea^ai
'» Zo^y, xai devtegoy ^Ar/r'Ao^, roV cf^
J^Toy StHfonXfjf^ xat avyenXijgiaae xrjy rga-
rv^t'y. Vgl. Dikftarch in Vit Aesch. 13,
Mas und Vita Soph.
'} Vita: xai noAXd iMwyovgyfjasy iy toT^
aytJai, nqoitoy fxky xttxaXvaag t^y vnoxQiaiy
Tov noiTjiov Std Tijy idiay fÄtxgotpmyiay
TtäXai ydg xal 6 noitjxrjg VTiexQiyero aviog,
^) Dieses Jahr ist aus der grossen di-
daskalischen Inschrift CIA II 971 ermittelt
von Oehhichbn, Stzb. d. b. Ak. 1889 II 145.
Dass die ZufOgung des siegenden Schau-
spielers auf den Siegerlisten mit der Neue-
rung des Sophokles oder mit der Abschaffung
des alten Brauches, nach welchem der
Dichterdidaskalos zugleich die erste Schau-
spielerrolle spielte, zusammenhing, ist meine
eigene Vermutung, die sich leicht auch einem
anderen aufgedrftngt haben wird. Wenn des
weiteren nun in dem Leben des Sophokles
fiberliefert wird, dass der Dichter selbst in
der Rolle der ballspielenden Nausikaa und
des die Laute spielenden Thamyris excelliert
habe, so müssen wir nach obigem annehmen,
dass beide Stücke, die Nausikaa und der
Thamyris, in die Zeit vor 456 oder zwischen
468 und 456 zu setzen sind. Bei der Nau-
sikaa spricht für einen so frühen Ansatz auch
der Mangel einer Scene, wie Robert GOtt.
Anz. 1897 S. 29 bemerkt.
^) Zweifelhaft ist es indes, ob man in
Oed. Col. mit 3 Schauspielern auskommen
kann und ob es nicht hier eines 4. Schau-
spielers oder doch eines Statisten für die
Ismene an den Stellen 1097, 1255, 1542 be-
durfte.
234
Grieohisohe LitteratnrgeBohichte. I. Elassisohe Periode.
dem Sophokles die kunstvolle Durchführung einer verschlungenen Handlung
und die wirksame Gegenüberstellung verschiedener Charaktere, wie der
Antigone und Ismene, der Elektra und Chrysothemis , ermöglicht. —
Ebenso wie die Zahl der Schauspieler vermehrte er die der Choreuten,
und zwar von 12 auf 15. i) Diese Neuerung ist später wie die zuvor be-
sprochene eingeführt worden, da wir sie noch nicht im Agamemnon des
Aischylos und selbst noch nicht im Aias unseres Dichters treffen. Wie-
wohl von minder hoher Bedeutung, hat sie doch eine ebenmässigere Auf-
stellung des Chors (7 + 7 + Koryphaios) ermöglicht und ausserdem
dem Koryphaios eine selbständigere Stelle verschafft, zumal wenn der
Chor in zwei gegenüberstehende Reihen {ärtiTtQoawnoi) auseinander-
trat. Darin beruht aber auch der Zusammenhang der beiden Neuerungen,
indem nunmehr der Chorführer in den Wechselgesprächen gleichsam als
4. Schauspieler den drei Schauspielern der Bühne gegenübertrat. ^) Der
Lexikograph Suidas erwähnt auch eine eigene, in Prosa geschriebene
Schrift des Sophokles n€Qi xov xoqov^ worin derselbe gegenüber Thespis
und Choirilos, den ersten Ordnern des Chors, die Vorteile seiner Neuerung
auseinandersetzte. — Seine weittragendste Neuerung bestand in der Los-
lösung der einzelnen Dramen von ihrem tetralogischen oder trilogischen
Zusammenhang, was Suidas mit den unklaren Worten ausdrückt: r^Q^e
Tov igäfia TiQoq dQU^ia dywviX^ax^ai^ aXXd /ULt; texQuloyetax^ai (v. 1. tstqu-
Xoyiav), Die Erklärung der Worte geben uns die Tragödien des Sophokles
selbst an die Hand, wenn wir es auch schwer empfinden, dass uns gerade
von ihm keine einzige vollständige Didaskalie und keine Angabe über die
mit den einzelnen sieben Tragödien zugleich gegebenen Stücke erhalten
ist. Vor wie nach aber traten die Tragiker an den grossen Dionysien mit
vier, nicht etwa mit einem Drama in den Wettkampf; vor wie nach auch
erhielten die einzelnen Clioregen und Dichter nur einen Preis auf Grund
ihrer Gesamtleistung in den vier Stücken.*) Ob seit Sophokles Neuerung
die drei Stücke einer Trilogie auf drei Tage verteilt und das Gesamturteil
erst aus dem Urteil über die einzelnen Stücke gewissermassen zusammen-
gerechnet wurde, darüber lassen sich nur Vermutungen aufstellen.^) Aber
*) Vita: tovg di x^gevtdg noiijaas tiyfl
iß' i^, ebenso Suidas.
') Darauf ist besonders aufinerksam ge-
macht von Hensb, Der Cbor des Sophokles,
Berl. 1877; vgl. auch meine Metrik, 2. Aufl.,
S. 670. Beachtenswert ist auch, dass gegen-
über den vielen nach dem Chor benannten
Stücken des Aischylos fast alle Stücke des
Sophokles nach der Hauptperson den Namen
haben.
'j Die zahlreichen Belege für die beiden
Sätze sind zusammengestellt von Bbrok, Gr.
Lit. lU 231. lieber eine Tetralogie des So-
phokles, bestehend aus Aiyevg (?) Wvaaevg
^IßflQH TTJXetpog, welche nach dem 4. Jahrh.
V. Chr. in Rhodos aufgeführt wurde, siehe
Kaibel Henn. 23, 273.
*) Ueber diese Vermutungen s. Bebok,
Vita Soph, p. XXIX. Dindobp, Vita Soph.
p. XXXV bezweifelt die Echtheit der üeber-
lieferung und will den Absatz in der Fassung
TOV fjLtj d^afAa . . dem Artikel 4»Qityixog zu-
weisen. Ad. Soböll, Gründlicher Unterricht
über die Tetralogien des alten Theaters,
Leipzig 1859, polemisiert ohne Glück gegen
die im Texte gegebene, wesentlich auf
Welcker zurückgehende Deutung und er-
klärt S. 37 den Satz des Suidas für eine
falsche Vorstellung der Späteren. SchöU's
Anschauung von einem inneren Zusammen-
hang der Oedipusstücke sucht geistreich,
aber ohne Erfolg Vischeb, Allg. Zeit. BeiL
1861 Nr. 186-9 zu verteidigen. Die Sache
ist endgültig zum Austrag gebracht von
L. Schmidt, Bilden die 3 thebanischen Tra-
gödien eine Trilogie? in Comm. phil. Bonn.
219 — 259. Die Annahme einer Verteilung
der 3 Stücke auf 3 Tage rät allerdings der
C. Drama. S. Die Tragödie, c) Sophokles. (§ 166.)
235
was wir aus den erhaltenen Tragödien sehen, ist, dass Sophokles jede
einzelne Tragödie in sich abrundete, so dass sie auch ohne die beiden
andern verstanden und gewürdigt werden konnte. Er entschlug sich
also der beengenden Notwendigkeit aus einem kleinen Mythus, wie es
z. B. der des liykurgos war, drei Tragödien herauszuschlagen und brachte
zugleich in die einzelnen Dramen mehr Leben und Handlung, indem er
aus dem Gesamtmythus den Punkt herausgriff, der sich zur lebens-
vollen dramatischen Handlung am meisten eignete. So sind also die drei
Tragödien Oed. Rex, Oed. Gol., Antig., welche dem Inhalt nach zur
trilogischen Zusammenfassung wie geschaffen scheinen, jede für sich ge-
dichtet und jede zu einer andern Zeit aufgeführt worden. — Bezüglich
anderer unbedeutender und bestrittener Neuerungen des Sophokles hören
wir, dass er den Erummstab der Greise und die weissen Schuhe der Schau-
spieler und Choreuten erfunden, i) die Scenenmalerei vervollkommnet,*)
die phrygische Tonart und dithyrambische Weise in die Theatermusik ^)
eingeführt hat.
166. Eunstcharakter. Die Neuerungen in der Form des drama-
tischen Spiels waren gute, zum Teil ausgezeichnete Griffe unseres Meisters;
aber höher steht doch der geistige Gehalt, den er den Schöpfungen seines
dichterischen Genius einzuhauchen verstand.*) Lob verdient da zuerst die
Charakterzeichnung sowohl in Bezug auf Naturwahrheit, als auf Idealität
der Auffassung. Seine Personen sind unserem Herzen und unserer Em-
pfindung näher gerückt als die des Aischylos; nicht übermenschliche,
gigantische Eräfte lässt er spielen, die zarten Regungen der Liebe, die
staatsmännische Weisheit des Herrschers, die Gegensätze des Geschechtes
and Alters kommen zum klar umrissenen Ausdruck. Aber es fallen des-
halb nicht, wenn wir von den nebensächlichen, mit Humor nach dem
Leben gezeichneten Boten- und Wächterrollen absehen, die Personen
aus der erhabenen Höhe der Heroenzeit in die platte Trivialität der ge-
meinen Gegenwart herab. Sophokles selbst war sich dieser seiner Vorzüge
in der Charakterzeichnung klar bewusst ; sagte er doch in einem berühmten
Ausspruch, er stelle die Menschen dar wie sie sein sollten, Euripides wie
Wortlaat der Suidasstelle an and wird neuer-
dings verteidigt von Fbeericks, Eine Neue-
nmg des Sophokles, in Comm. Ribbeckianae
1888 8. 205 15. Wecklbin, üeber eine Tri-
logie des Aeschylos und über die Trilogie
fiberbanpt, Stzb. d. b. Ak. 1891 S. 368 ff. ver-
langt^ dass die Worte des Suidas dahin ge-
deutet werden, dass Sophokles die Zulassung
auch eines einzelnen Stückes statt einer Tri-
logie zum Agon durchgesetzt habe.
*) Vita: £atvQos ffe <pTj<Fiy ozv xai xrjy
»afjinvXfjp ßaxxri^iap aviog knevotjaBv ' (prjai
di xai *lar^og rag Xevxdg XQt^Tifas avroy
iHvQtjxiwtti, äs vnodovvxai oV re VTJoxQiral
xai ol ^[ogeifTat, xai TtQog tag <pva€ig avrtoy
yQa^at td dgafiaja.
*) Arist. Poet. 4: TQeig d^ vnoxQi.Tfrg xai
axtjyoyQaKplay loKpoxXrjg na^eaxevaaey. Aber
schon für Aischylos hat Agatharchos nach
Vitruv VII praef. Dekorationen gemalt.
Wahrscheinlich ist der Zwiespalt der Zeug-
nisse damit in Verbindung zu bringen, dass
das Theater in den älteren Stücken des
Aischylos überhaupt noch keine axrjyij oder
Rückwand hatte.
*) Vita: q>r]al d^ 'AQMxo^syog tug ngüärog
twy 'J&i]ytj9ey Ttoirjrtoy xrjy ^Qvylay fueXo-
nouay Big xd t&ia ^afiaxa TiaQsXaße xai tov
dt&vQa/ußixov TQonov xard^i^ey. Die dithy-
rambische Weise scheint sich auf die Frei-
heit des häufigen Rythmenwechsels in den
Gesangspartien zu beziehen.
^) 0. Ribbeck, Sophokles und seine
Tragödien, in Sammlung wiss. Vorträge,
83. Heft.
236 Orieohisehe LitteratargeBchichte. I. Klasaisohe Periode.
sie wirklich seien. ^) Dabei verstand er es durch scharf markierte Gegen-
satze in den Charakteren, wie der heroischen Antigene und der zartbe-
saiteten Ismene, des schlauen Odysseus und des offenherzigen Neoptolemos,
des starrsinnigen Aias und der hingebenden Tekmessa, Konflikte geistiger
Mächte in die Tragödie zu bringen. Mit Geschick hat er endlich in der
Charakterzeichnung auf die Natur und Fähigkeiten seiner Schauspieler,
von denen uns Tlepolemos, Eleidemides und Eallipides genannt werden, >)
Rücksicht genommen, wie denn ganz unverkennbar Antigene und Elektra,
Ismene und Chrysothemis denselben Schauspielern, wie man sagt, auf den
Leib geschrieben sind.^) -— Im Aufbau des Dramas hält er immer den
Blick fest auf die eine Handlung und die in ihr verkörperte Idee gerich-
tet; alles Beiwerk, was den Blick zerstreuen und die Aufmerksamkeit von
dem einen Ziele ablenken könnte, wird sorgsam vermieden. Mit bewusster
Oeistesklarheit, nicht nach den Eingebungen eines dunklen Gefühles hat
er sich den Plan seiner Stücke bis ins einzelne entworfen und ihn in
strenger Gesetzmässigkeit so durchgeführt, dass kein Glied aus der Reihe
fallt. Insbesondere zeigt sich das in den Chorgesängen, die stets bei der
Sache bleiben und den Gefühlen, welche die Handlung auf der Bühne in
jeder fühlenden Brust erregen musste, entsprechenden Ausdruck leihen.
Auch diese Seite der Kunst des Sophokles hat gerechte Würdigung bereits
bei Aristoteles gefunden, der Poet. 18 die Weise, wie er den Chor be-
handelte, als Muster hinstellt: xai tov x^Q^^' ^^ ^'vcc ist vnoXaßciv %wv
vrtoxQiTwv xai ftiogiov €ivai tov okov xal awayom^ead^m^ jinlj oiansQ Ev^&TrtS^
aXV waTieg 2o(foxXsT, Aber nicht die Stelle eines beliebigen Schauspielers
nimmt der Chor des Sophokles ein; er vertritt das in der Stimme des
Volkes zum Ausdruck kommende sittliche Bewusstsein ; er steht mit seiner
ruhigen Klarheit über dem Kampf der Leidenschaften und bildet so recht
das ideale Element in der sophokleischen Tragödie.^) — Die Hauptaufgabe
der Tragödie, die Erregung und Reinigung von Furcht und Mitleid, läset
sich, wie Sophokles richtig erkannte, nicht lösen, ohne den erschütternden
Umschwung [nsQiTibTeia) des Geschickes der Hauptpersonen. Unglück,
Tod und Jammerklage bildeten von jeher die Sphäre der Tragödie; aber
den Umschwung von der sonnigen Höhe des Glückes zum finsteren Todes-
grauen den Zuschauern vorzuführen, sie in banger Spannung um ihre
Helden zittern zu lassen, das verstand Sophokles meisterlich. Dazu diente
ihm der glückliche Griff in der Wahl des Stoffes und das rechte Geschick
in der Bearbeitung desselben. Einfache Handlungen {änXai TQayfiydiegi^
wie sie Aischylos liebte, taugten ihm nicht; selbst im Aias und Oedipus
Col. wusste er die geradlinige einfache Bewegung durch Zwischenfalle zu
unterbrechen und zu beleben. Verwickelte Mythen {nsTiXsy^svai TQayfpdfctiy
also mit grossartiger Peripetie suchte er aus und half durch geschickt«
Zudichtungen, wie von der unglücklichen Liebe des Haimon oder dem
') Arist. Poet. 25: lotpoxXrjs lq>rj avi6<;
fjL^v oXovg dei noiBiv, Evginldrjy d^ oloi elaiv.
») SchoL Arist Nub. 1266, Ran. 803;
vgl. Vita 6.
') So weit aber ging Sophokles nicht,
wie Shakespeare, der im Hamlet die Königin
mit iA f€U and scant of breath den 8cbaiz>
Spieler, nicht den dargestellten Hamlet kenni-
zeichnen lässt.
^) Auf den sophokleischen Chor paast
Horaz a. p. 193 ff. n. Aristot. ProbL Xrf 48~
C. Drama. 2. Die Tragödie, o) Sophokles. (§ 167.)
237
Missgeschick des Orestes bei den pythischen Spielen, der Dürftigkeit des
überlieferten Mythus nach, ohne, wie Euripides, den Pfad der Überliefe-
rang gänzlich zu verlassen und sich ins Romanhafte zu verlieren. Die
Lösung des Knotens (i^vaig) führte er durch geschickte Schürzung des-
selben {nloxij) und den in dem Charakter der Personen und der ganzen
Anlage des Stückes begründeten Fortgang der Handlung herbei. Nur
einmal, in dem Philoktet, nahm er zu dem bequemen Ausweg der Götter-
mascliine seine Zuflucht. Indem er aber so dem sittlichen Willen des
Einzelnen erhöhten Einfluss auch auf sein Geschick zumass, milderte er
die Herbheit der alten Vorstellung von einem blindwaltenden Verhängnis.
Es ist nicht bloss allegorisches Spiel, wenn er im Oed. Col. 1381 dem
Zeus, dem Lenker der Welt, die Dike zur Beisitzerin gibt. In diesem
Glauben an eine sittliche Weltordnung und in der ehrfurchtsvollen Scheu
vor den ewigen Gesetzen edler Menschlichkeit, offenbart sich zugleich auch
die tiefe Religiosität, welche die Alten an ihm rühmten und welche ihn
mit demutsvollem Glauben selbst an Seher- und Orakelsprüche erfüllte, i) —
Auch auf die kleineren Hilfsmittel der Spannung und Gemütserregung ver-
stand er sich einzig. Die Wiedererkennungsscene in der Elektra steht
an ergreifender Wirkung keiner euripideischen nach. Mit besonderem
Geschick aber handhabt er die Kunst der tragischen Ironie in einzelnen
Ausdrücken wie in ganzen Scenen.') Wie musste nicht der Zuschauer,
der schon den Verlauf und Ausgang der Verwicklung voraus wusste, tief
?on der Nichtigkeit alles menschlichen Witzes durchdrungen werden,
wenn er den Oedipus die Worte sprechen hörte akk' ovnov' eifiu %oXg (pvrev"
aaatv Y ofiov (V. 1007), während er thatsächlich schon längst in unseliger
Nahe mit seiner eigenen Mutter zusammenlebte.
167. Sprache und Metrik. Edel und erhaben wie die Gharakter-
zeichnung ist auch die Sprache des Sophokles. Auch hier hielt er, seinem
grossen Zeitgenossen Pheidias vergleichbar, das schöne Mass, die rechte
Mitte zwischen den Extremen; den Schwulst des Aischylos hat er abge-
streift, von dem Marktgezänke des Euripides hielt er sich fern.») In der
Anmut der Sprache, nicht bloss in dem Anschluss an die Mythen des
epischen Kyklos erkannten die Alten den homerischen Zug in der sopho-
kleischen Poesie.*) Von dem Honigseim, den Aristophanes in seiner Rede
fand, war bereits oben die Rede; doch vom Süsslichen ist seine Sprech-
und Denkweise weit entfernt, umgekehrt sind für unser Gefühl die Ge-
danken und Worte der Antigene und Elektra oft zu herb und verstandes-
iDa8sig.5) In dem Versbau und den Rhythmen entfernte er sich ein wenig
von der Strenge und Gesetzmässigkeit des Aischylos. Insbesondere er-
lebte er sich im Trimeter des Dialoges häufiger Auflösung der Längen
and Zerschneidung des Verses durch Personenwechsel, ja selbst einigemal
') SchoL ad £1. 831: tsX^fof «(jLrixaveX
') Thirlwall, Od the irony of Sophocles,
MMo8. n483 ff. = Philol. 6, 81 ff.
*) Plut de profecfca virt. 7.
*) Polemon bei Suidas: eXtysy ovy "Ofdrj-
Qoy jLiiy SocpoxXea imxoy, SoffoxXin dyOfÄr}(}oy
xgayvxoy. Vgl. Vita 93; Dionys. de comp. 24;
Dio Chrys. or. 52 p. 272.
*) Diog. IV 20 von Polemon: ijy &k xal
q>Uoao(poxXijg xal ficcXiata iy ixeiyocg . .
ey^a ^y xaxd loV ^Qvyixoy ov yXv^tg ovd'
VTio/rroc ttXXtc IlQttfÄUog.
I
L
238
Oriechiflohe Litieratnrgeschlohte. 1. Slassisohe Periode.
den Apostroph am Yersschluss.^) Die freien Masse seiner Chorgesänge
und Monodien haben weder die Mannigfaltigkeit noch den einfach durch-
sichtigen Bau des Aischylos; doch schliessen sich die Rhythmen gut der
jedesmaligen Stimmung an, und wenn manche Strophen schwerer zu re-
zitieren sind und uns nicht so leicht ins Oehör gehen, so ist daran der
Verlust der Melodien schuld. Jedenfalss steht der rhythmische Formen-
reichtum des Sophokles weit über dem Leierkasten des Euripides und
bilden gerade die Chorgesänge wegen der Tiefe und Hoheit der Gedanken
und der schmiegsamen Schönheit des sprachlichen Ausdrucks die schönsten
Perlen im Ruhmeskranz unseres Dichters.^) Fassen wir alles zusammen,
so begreifen wir die Verehrung, welche selbst die Komiker dem Sophokles
entgegentrugen, und welche die Künstler durch die Tänie, die sie ihm
ins Haar flochten, zum Ausdruck brachten.^) Das urteil der Zeitgenossen
gibt Xenophon wieder, wenn er Mem. I 4 im Epos dem Homer, im Dithy-
rambus dem Melanippides, in der Tragödie unserem Sophokles die Palme
reicht*)
168. ATag f^iacriyotfiqoq ist 80 zubenannt im Gegensatz zu dem ver-
lorenen jßaq AoxQog von der Geissei, welche Aias über dem Widder, dem
vermeinten Odysseus, schwingt (V. 110).^) Der Stoff, schon von Aischylos
in den &gf^(r(fai behandelt, war der kleinen Dias des Lesches entnommen,*)
hatte aber für Athen ein spezielles lokales Interesse, da der Salaminier
Aias zu den Stammesheroen Attikas gehörte, ^j Im Anschluss an das Epos
stellt Sophokles im Eingang den Aias dar, wie er rasend über die Tiere
der gemeinsamen Beute herfällt in dem Wahne, dass diese seine Feinde,
die Atriden und Odysseus, seien. Die unheimliche Gestalt der feindseligen
Göttin Athene, die dem Odysseus das schreckliche Bild des rasenden Aias
zeigt, ist neu, wie der Verfasser der Hypothesis bemerkt; sie ist hinzu-
gefügt, teils um die Macht der Gottheit über die in ihrem Stolze sieh
überhebenden Menschen klar vor Augen zu führen (V. 118 — 133), teils
um den Zuschauern den unmittelbaren Anblick der grausen Mordseene zu
ersparen. In der altertümlich gebauten, durch anapästische Systeme ein-
geleiteten Parodos bejammert sodann der Chor der salaminischen SchiflFs-
mannen die durch der Götter furchtbaren Zorn herbeigeführte Sinnesver-
') Ath. 543 e. Vgl. meine Metrik, 2. Aufl.,
S. 804; man nannte diese Nachlässigkeit
nach SchoL Heph. p. 143 W. oxrjf^« ^o-
<p6xX€ioy.
») Schol. ad Oed. C. 668: 2:o(poxX^g im
To tifioy ttnayret /«(»axnypKrrtxoV, ro yXa-
(pvQov xtti io&ixov fifXog. Dazu Dio Chrys.
or. LH fin.: r« de fisXtj ovx l/e* tioXv to
yvüDfAixoy ov&c trjv ngog (rQBxrjy TiagccxXrjaiyy
aianSQ rri Evginiifov, ijdoyrjy d"^ d^avfAaGTrjy
xai fAEynXo-nQiTtBiay^ diare fjiTJ eixfj roinvra
ncQi avTov toV 'AQiaTotpdvr} siQfjxiyai '
6 <f* UV lofpoxXiovg rov fisXiri xBXQiafÄfvov
wancQ xadlaxov negieXei)^e ro axofjia.
») Welcker, Denkm. d. alt. Kunst I
470 ff.
^) Aehnlich der Grammatiker der Vita
Aesch., der die Tragödie unter Sophokles
ihren Höhepunkt [tBXBtoirjg) erreichen IftssL
') Nach der Hypothesis betitelte Dik&-
arch unser Stück Autyxog »dyarog and hatte ee
in der Didaskalie einfach die AufBchrift ^mv^.
«) Proklos ehrest, p. 238 W.: «7 »«^
ÖTtXcjy xQiaig yiyejM xal 'Odvaaer^ juerti
ßovXrjaiy 'Adijydg Xttftßdyeiy Jtag da ifdfdgtp^^
ysyofjLevog Ttjy re Xeiay rtay 'Ax^^^y Äf^m-
yftai xttl iavToy dyaiQst. Dass auch die
Gestalt der Athene dem Epos entlehnt ^vrar,
macht aus einem alten Vasenbild, wo Athene
zuschaut, wie Aias den Widder fortzerrt,
wahrscheinlich Robbrt im 50. (1890) Win-
ckelmannsprogramm S. 31.
^j Passend hat deshalb Sophokles den
Chor aus Salaminiem, nicht wie Aischylos
aus gefangenen Thrakerinnen, bestehen
lassen.
C. Drama. 2. Die Tragödie, o) Sophoklee. (§ 168.)
239
blendnng des geliebten Führers. Bald darauf, nachdem das Thor geöffnet
ist, sehen wir den Helden selbst in dumpfer Verzweiflung dasitzen. Er-
weicht durch die rührenden Zureden der Tekmessa und den Anblick seines
einzigen Kindes Eurysakes, scheint er nochmals von Todesgedanken ab-
ZQstehen und sich unterwürfig der Notwendigkeit zu fügen, so dass de
Chor in einem Tanzlied an Pan (693—718) seiner Freude über die Um-
stimmung des Führers Ausdruck gibt. Aber die Umstimmung war Täu-
schung; schon am Schlüsse des nächsten Epeisodion erblicken wir, nach-
dem wir durch Ealchas Warnungen auf das nahende Geschick vorbereitet
worden, den Aias in einsamer Waldesgegend vor dem scharfgeschliffenen
Schwert, in das er sich nach dem berühmten Monolog (815 — 865) an den
bitteren Todesbringer stürzt. Mit dem Tode des Helden endigt aber nicht
die Tragödie; der zweite, über fünfhundert Verse füllende Teil dreht sich
um die Bestattung des Leichnams, den die Atriden den Hunden vorwerfen
woDen, den aber doch nach langem Streit der treue Halbbruder Teukros
dem Mutterschoss der Erde übergibt. Dieser zweite Teil missfällt uns,
da wir nach der Katastrophe nicht noch ein so langes Nachspiel erwarten,
and er wurde daher von verschiedenen Seiten auf eine spätere Überarbeitung
des Stückes zurückgeführt.^) Aber der Dichter hat ihn deutlich in dem
Monologe des Aias V. 827 f. angekündigt, und die alten Zuschauer werden
ihn bei dem religiösen Gewicht, das sie auf die Totenbestattung legten,
günstiger beurteilt haben. Der lange Streit, zumal des Teukros mit dem
übermQtigen Agamemnon und dem Menelaos, dem Repräsentanten des
rohen Spartanertums, war überdies Sirenenmusik für die Athener, die
gewiss mit lautem Beifall den Vers 1102 InccQtrjg avdaawv riXO^eq ovx
rn»Y xQax&v aufnahmen. Versöhnend ist auch die Wendung, dass schliess-
lich Odysseus selbst, der Todfeind des Aias, mit dem toten Helden Mitleid
hat nnd die Bestattung des Leichnams herbeiführt. Vielleicht rechtfertigte
öberdies der trilogische Zusammenhang die lange Ausdehnung des Schluss-
teiles; denn bei dem hohen Alter unseres Stückes ist es erlaubt anzunehmen,
dass dasselbe noch nach Art der äschylischen Tragödien mit dem Teukros
und Eurysakes*) zu einem Ganzen verbunden war. Dass aber der Aias
aus der älteren Periode des Sophokles stamme, dafür spricht ausser dem
fcchyüschen Bau der dreigliederigen Parodos und der steifen Gestalt der
grinsenden Athene auch der Umstand, dass die wahrscheinliche Verteilung
der Epiparodos 866— 878, namentlich von 866— 871, unter Einzelchoreuten
anf einen Chor von 12 (2 mal 6), noch nicht von 15 Mann führt.»)
') BiBOK. Gr. Litt. III 378 ff. ; 0. Rib-
Bici, Sophokles 19; van Lbeüwen, De au-
^entia et integritate Aiacis Sophoclei, Ut-
foelit 1881. Anch die häufigen Auflösungen
in Trimeter scheinen die Annahme eines
^ttteren Ursprungs oder einer späteren Um-
*'l>eit(uig zu begünstigen. Dass schon die
Alten ungflnstig über diesen zweiten Teil
<k8 Aias dachten, lehren die Schollen zu
V. 1128 u. 1126. - Eine lateinische Ueber-
^f*Bnig des Aiax lorarius lieferte Jos.
SCAIIOBK.
^ Ueber den Inhalt des Eurysakes, den
Accius übersetzte, s. Welckbr, Gr. Trag. II
197 ff. und Ribbeck, Rom. Trag. 419 ff.
») So G. WoLPF in der Ausgabe, dem
Muff, Chorische Technik des Sophokles, bei-
stimmt. Wen DT in seiner Uebersetznng S. 12
macht mit Recht für die frühe Abfassung
auch den Charakter der Versmasse und den
Umstand geltend, dass nur an 2 vS teilen, im
Prolog und kurz vor Schluss 8 Schauspieler
gleichzeitig an der Handlung teilnehmen,
etwas was auf die Zeit hinweist, in der man
den Vorteil des 8. Schauspielers erst all-
mählich auszunützen begann. Auch der Chor
l
240
Qrieohiflche Litteratargeschiohie. I. XlaBsische Periode.
169. Die 'AvTiyov}], das gefeierteste Drama der griechischen Litte-
ratur, das dem Dichter die Ernennung zum Strategen im samischen Krieg
eintrug, wurde nach der wahrscheinlichsten Berechnung 442 aufgeführt.^)
Der Mythus ist der alten Thebais entnommen, in welcher der Kampf und
Tod der feindlichen Brüder Eteokles und Polyneikes und die Übernahme
der Herrschaft durch Kreon erzählt war. Ob das alte Epos auch schon
das Verbot der Beerdigung des Vaterlandsverräters Polyneikes und die
heimliche Bestattung desselben durch seine heldenmütige Schwester An-
tigene *) kannte, bleibt ungewiss, da Pindar 0. 6, 15 und Nem. 9, 24 von
sieben Leichenhügeln bei jenem Kampfe spricht.') Selbst ob Aischylos
in diesein Teile des Mythus dem Sophokles vorangegangen sei, ist zweifel-
haft, da die Echtheit des Schlusses der Sieben, der das Verbot des Kreon
und den Entschluss der Antigene enthält, starken Zweifeln unterliegt.^)
Jedenfalls ist ganz neu von Sophokles hinzugedichtet die Bestrafung der
Antigene durch Einsperrung in ein unterirdisches Grabverlies, wozu dem
Dichter die Sage der Danae und die alten unterirdischen Grabkammern
im Lande der Argiver und Minyer die Handhabe boten,^) und ebenso das
Liebesverhältnis der Antigene und des Haimon, von dem das alte Epos
so wenig etwas wusste, dass in ihm vielmehr Haimon ein Raub der Sphinx
geworden war.^) In diesen beiden Zudichtungen offenbart sich das geniale
Erfindungsvermögen des Sophokles: der zarte Liebesbund der Antigone
und des Haimon lässt einesteils in das Todesgrauen wilder Rachsucht den
milden Lichtstrahl süsser Empfindungen fallen und reisst anderseits den
kaltblütigen Tyrannen Kreon durch den Tod seines Sohnes und seiner
Gattin mit in den Abgrund des Verderbens. Die unterirdische Grabkam-
mer aber war schon an und für sich dazu angethan, wie die Heldin selbst,
so auch die Zuschauer mit Grauen zu erfüllen, ward aber vollends zur
Stätte grausigster That, als Haimon, der den Leichnam der erhängten
Geliebten umklammert hielt, beim Eintritt des Kreon das Schwert erst
gegen den eigenen Vater zückte und dann sich selbst in die Brust stiess.
Aber so bewunderungswürdig auch diese beiden Zudichtungen sind, so
spielt in dem Stück noch eine übergrosse
Rolle. — Die politischen Anspielungen auf
die Feindschaft mit Sparta (1102), die Grün-
dung von Salamis (1019), die Bedeutung von
Delos (704) führen auf die Zeit von 460—450.
•) Vgl. oben § 162; das Jahr sucht fest-
zustellen BöcKH im ersten Exkurs seiner
Ausg. Es dreht sich um 442 oder 441; da
aber 441 der erste Sieg des Euripides fällt,
so wollte Bbrgk, Gr. Litt. III 415, um die
Antigone doch 441 setzen zu können, in der
Hypothesis des Stückes schreiben: dediöaxtai
di t6 dga/Lia rorio x^iaxoaxov. öevreQog ijy
statt TQiaxoaroy devtßQoy. Eher kann man
an den Ausweg eines Sieges an den Lenäen
denken, da die Verschiedenheit der Angaben
über die Zahl der Siege des Sophokles (s.
§ 164) möglicherweise so zu deuten ist, dass
er 18 Siege an den Dionysien und 2 an den
Lenäen davontrug. — Aus den Zeitverhält-
nissen, der Gründung von Thnrii, erkllrt
sich der Hinweis auf Italien V. 1118.
^) Die Vorstellung einer starken, geg^n
Herrschergebot ankämpfenden Jungfrau giog
offenbar von der Etymologie des Nameos
\4yjiy6yrj aus. Eine Anspielung darauf ent-
hält V. 62.
') Wahrscheinlich indes gehören die
^77 Ter nvQtti der Lokalsage an (s. Böcke zo
Pindar 0. 6, 24) und beziehen sich auf die
Kämpfe an den 7 Thoren, so dass aus ihnen
über Polyneikes Bestattung nichts Sicheres
geschlossen werden kann.
*) Vgl. §155.
^) Vermutlich wurden dieselben damala
(vgl. Pind. N. 10,56) noch für Grabkammern
und noch nicht, wie bei Paosanias, fOr Schatz-
häuser ausgegeben.
«j Schol. zu Eur. Phoen. 1760.
C. Drama. 2. Die Tragddie. o) Sophokles. (§ 169.) 241
hat doch noch mit mehr Glück der Dichter die Personen und Züge der
alten Sage selbst benutzt, um in Antigene, welche an die ungeschriebenen,
ewigen Gesetze der Natur appellierend die Bestattung des geliebten Bruders
fordert, und in Kreon, der als Vertreter der Staatsweisheit den Leich-
nam des Verräters den Tieren und Vögeln zum Frasse hingeworfen haben
will, zwei sittliche Anschauungen, von denen keiner die Berechtigung
ganz abgesprochen werden kann, in verhängnisvollen Konflikt zu bringen
und 80 eine neue, höhere Gattung tragischer Verwicklung zu schaffen.^)
Dabei wägt er die beiden sittlichen Mächte der religiösen Pflicht und der
staatlichen Ordnung so gegeneinander ab, dass wohl die Wagschale des
Kreon sinkt, weil Menschensatzung gegen die Heiligkeit der Naturgesetze
zurQcktreten muss,*) dass aber auch Antigene nicht von jeder Schuld frei
bleibt, da sie in hochfahrendem Tone die Beihilfe ihrer Schwester
Ismene zurückweist und in heftiger Überhebung das Mass der Besonnen-
heit und Gesetzesschranke überschreitet. Mit besonderer Geschicklichkeit
bat auch zum erstenmal der Dichter in unserem Stück die wirksame Form
der verspäteten Peripetie angewandt, indem Kreon, erschreckt durch die
furchtbaren Weissagungen des Sehers Teiresias, das Verbot der Bestattung
des Polyneikes rückgängig macht, aber nicht mehr das schreckliche Ge-
schick von seinem Haupte abzuwenden vermag. Auf diese Weise ist ein
zweifaches Unheil über das Haus der Labdakiden hereingebrochen, zuerst
über die Königstochter und dann über Kreon und seinen Sohn. Den Vor-
zogen der Anlage des Stückes gesellen sich andere der Gharakterzeichnung
und des Stiles zu. Wirkungsvoll sind die Gegensätze der heroischen, die
Grenze der Weiblichkeit überschreitenden Antigene und der weichen, in
jungfräulicher Schüchternheit vor einem Konflikt mit der Staatsgewalt zu-
rfickBchreckenden Ismene, und trefflich hat der Dichter in dem einzigen
Vers ov %oi avvhxd-eiv aXld <xvf.i(fiXetv itfvv (V. 523) den ganzen Charakter
der Heldin und zugleich das geheimste Wesen des weiblichen Herzens
enthüllt.^) Auch die herzlose Staatsklugkeit und der trotzige Starrsinn
des Kreon, der nur auf dem Gipfel des Unglücks und da zu spät gebrochen
wird (V. 1095 ff.), ist in guten Gegensatz gestellt zur zai*ten, fast weib-
lichen Liebesempfindung des Haimon. Die Chorlieder aber sind aufs
engste mit der Handlung verknüpft und begleiten mit der Tiefe des Ge-
dankens und der Wärme der Empfindung die Wechsel der Scenen von
dem ersten Sonnenstrahl des Sieges nach langer Kampfesnot bis zur ernsten
Schlussmahnung des abziehenden Chors. Zugleich ist durch symmetrische
Anlage der Chorlieder und Epeisodien eine durchsichtige Klarheit in den
6ang des Stückes gebracht, die wir in dem Aias noch sehr vermissen
nnd in gleicher Vollendung auch in keinem der späteren Stücke wieder
') Nebenbei, in dem Stasimon V. 594 ff., | den 3 Stücken, Ant, Oed. R. tind Oed. Col.
▼mchmlht Sophokles auch nicht die Wir- durchzuführen sich bemüht.
^BBg des düsteren Hintergrundes eines im
ImakidenhauB sich forterbenden Fluches.
*) Ph. Matbb, Studien zu Homer und
^okles, Gera 1874, hat in dem schönen
Aaftttz, üeber den Charakter des Kreon,
die gleiche Charakterzeichnung des Kreon in
HtDdbQch der klMB. Altertumiwlueoiichaft. YII. 3. Aufl. 16
*) Daher das Urteil der alten Kunst-
richter in der Vita: ot6e da xaiQoy av^tus-
TQtjaai xai ngayfAaxay aiaz* ix fAixgov rjfAi-
ati>xiov rj Xi^eufg fnas oXoy ij&onoi€ty nqo-
atonov.
l
242
Grieohiflche Litteratargesohichie. I. Klassiaohe Periode.
finden.^) — Nach einer Notiz bei Gramer, An. Ox. IV 315, gaben einige
die Antigene für ein Werk des lophon aus, was sich auf eine nochmalige
Auffährung und Umarbeitung durch lophon beziehen wird.*) Euripides
hat sich an dem gleichen Stoff versucht, mit der unglücklichen Abände-
rung, dass er Haimon und Antigene zusammenführte und eine Frucht
ihrer heimlichen Liebe erdichtete, s) Accius hat das sophokleische Stück
für die römische Bühne bearbeitet.^) In unserer Zeit wetteifern die hu-
manistischen Gymnasien aller Länder in Aufführung des griehischen Textes
der Antigene und hat Böckhs Übersetzung und die Komposition der Chöre
von Mendelssohn das antike Werk auch in unseren Theatern und Konzert-
sälen populär gemacht.
170. Die 'Hkaxrga lasse ich hier folgen wegen der Verwandtschaft
der Anlage. Die Verwandtschaft beruht in der Ähnlichkeit des Gegen-
satzes zwischen der heroischen, vor Rachedurst jede Regung kindlicher
Liebe verleugnenden Elektra und der schüchternen, aus weiblicher Schwäche
auch gegen die unnatürliche Mutter innerhalb der Schranken kindlicher
Ergebenheit verharrenden Chrysothemis. Es hat allen Anschein, dass
Sophokles, durch den glänzenden Erfolg seiner Antigene bestimmt, sich
nach einem ähnlichen Stoff in dem Heroenmythus und nach ähnlichen
Rollen für seine erprobten Schauspieler umsah. ^) Den Stoff und die Rolle
der ersten Heldin fand er in den Choephoren des Aischylos. Die Schwester
gab ihm der Vers des Homer / 145 «) an die Hand. Da aber bei Aischylos
die Choephoren das Mittelstück einer Trilogie gewesen waren, so musste
er, um seinem Drama eine selbständige Stellung zu geben, die letzte
Partie der Choephoren, welche das Herannahen der Rachegeister ankündigt,
wegschneiden.^) Sodann galt es ebenso wie in der Antigene die weibliche
Rolle in den Vordergrund zu rücken. Das gelang ihm, indem er den
Orestes in die zweite Stelle schob und die Elektra nicht bloss selbständig
den Plan der Ermordung des Buhlen Aigisthos fassen, sondern auch dem
Bruder, als er den tödlichen Streich gegen die Mutter fährte, in wildem
*) Die 5 Chorgesänge und Epeisodien
sind von fast gleichem Umfang; 6mal wird
in gleicher Weise das Auftreten neuer Per-
sonen [inelaoifoi) durch ein anapästisches
System des Chorführers eingeleitet (155 — 164;
376 83; 526 - 30; 801-05; 1250-60); 2mal
tritt in der Schicksalsnot zuerst der Antigene
(806), dann des Kreon (1261) an die Stelle
der gesprochenen Verse der ergreifende Ge-
sang des Klageliedes.
') Stelle dazu die Angabe des Satyros
in der Vita von einer Vorlesung der Anti-
gene durch den sterbenden Dichter. Schwer-
lich aber stammen aus der zweiten Bear-
beitung die auf Herodot III 119 bezflglichen
Verse 904—15, die, wenn echt, eher der Be-
gegnung des Sophokles und Herodot zur Zeit
der ersten Aufführung entstammen.
•) Vergl. Argum. Soph. Ant.; Wecklbik,
Sitzb. d. b. Ak. 1878 II 186-98; über eine
Antigone des Astydamas s. Nauck TGF*
777; Hbtdekaitn, Nacheuriittdeische Anti-
gone, 1868.
*) RiBBBCK, Rom. Trag. S. 483, wo an-
geschickte Abweichungen von dem Original
nachgewiesen sind.
B) Der gleiche Gedanke ist aus Ani
463 f. in £1. 1485 f. herübergenommea, wenig
glücklich, aber es fragt sich, da der Lau-
rentianus von erster Hand die beiden Verse
auslässt, ob das ein Verschulden des Dichteis
oder des Interpolators ist.
') Auf ihn ist angespielt £1. 157: oüc
Xgvao^efiis ^oiei xal 'l(pidyaa(ra. Ein Unter-
schied besteht darin, daas die Tragiker die
Atto6Ufj Homers 'HXixtgay wie die 'Enurätfri;
Homers 'loxtiarrjf entweder nach einer alten
Textesvariante oder nach einer anderen
Sagenquelle, nannten. Bei Aischylos fehlt
die zweite Schwester ganz.
') £ine leise Andeutung liegt in dem
Verse 1425.
G. ürmma« 2. Die Tragödie, o) Sophoklea. (§ 170.)
243
Rachedurst zurufen läset naT<fov el ad-iveiq dinX^v (V. 1415)^) Mit gutem
Becht konnte er daher auch das neue Drama, wie ehedem die Antigene,
nach der weiblichen Hauptrolle benennen.*) Von dem, was er sonst gegen-
über Aischylos neuerte, ist das wirkungsvollste die Wiedererkennungs-
8cene, wobei er sich die anachronistische Fiktion, dass Orestes bei den
erst viel später eingeführten pythischen Spielen gefallen sei, erlaubte.
In solchen Dingen hatte man seit Aischylos viel gelernt, aber etwas Er-
greifenderes als die Scene, wo Elektra zuerst die Urne mit der vermeint-
lichen Äsche des Bruders von Orestes in die Hände nimmt und dann in
dem Überreicher der Urne ihren leibhaftigen Bruder erkennt, hat das
athenische Theater nicht gesehen.^) Über die Abfassungszeit der Elektra
gehen die Meinungen der Gelehrten stark auseinander, so dass sie z. B.
Bihbeck f&r die älteste, Qruppe und Wilamowitz für eine der jüngsten
Tragödien unseres Meisters erklärten.^) In Ermangelung bestimmter Zeug-
nisse hängt die Entscheidung von dem Kunstcharakter des Stückes, na-
mentlich seiner metrischen Form und seinem Verhältnis zu verwandten
StQcken ab.^) Die kommatische Form der Parodos, die kurze, aus nur
einem System bestehende Exodos, die häufige Verteilung eines Verses
auf mehrere Personen, endlich das Zurücktreten der Chorgesänge gegen-
über den Wechselgesängen führen uns in die jüngere Entwicklungsstufe
unseres Dichters,«) in der er, dem Anstoss des Euripides folgend, die
Heftigkeit der Affekte und die Spannung der Peripetie und Wiederer-
kemiung in den Vordergrund rückte und diesen Zielen selbst die C!hor-
partien dienstbar machte. Die Elektra des Euripides ist zwar mehr gegen
Aischylos als Sophokles gerichtet,^) aber nicht bloss geht der Vorwurf des
leichtgläubigen Vertrauens auf eine blosse Haarlocke (Eur. El. 530) auf
beide, sondern kehrt sich auch der Hinweis auf die Fiktion der pythischen
Spiele (V. 883) speziell gegen Sophokles.») Also vor 412 und nach 442
müssen wir unsere Tragödie setzen; zweifelhaft ist es, ob sich daraus,
dass in den Handschriften die Elektra vor dem König Oedipus steht,
') Deshalb Ifisst Sophokles auch ent- I
gegen Aischylos zuerst die Elytaimestra er- j
mordet werden mid führt dann erst am
Schlnss den Aigisthos znr ächlachtbank ab. i
^) Beachte, dass die aeschylische Tra- {
gj^e aoch den Namen '0Q4ci$ia hatte. An
die Antigene erinnert anch noch das Grrab-
▼criieas, in das wie vordem Antigene so jetzt
Elektra V. 381 eingesperrt werden sollte.
') Dabei yerschmfthte es aber Sophokles,
liefai wie Eor. El. 530, über seinen Yorgftnger
bütig zu machen; umgekehrt lässt er im
Asachlnss an Aischylos den Orestes eine
Locke am Grabe des Agamenmon nieder-
legen (900) und Chrjsothemis daraus auf
die Rückkehr des Bruders schliessen.
*) Flessa, Prioritfttsfrage der soph. und
eor. Elektra, Bamb. Progr. 1882; Kraus,
Utnim Sophoclis an Euripidis Electra aetate
pior Bit, Progr. Passau 1890; Tgl. Ribbeok
». 0. 13; Wilamowitz Herm. 18, 214 ff.;
Kaibu in der Emleitung seiner Ausgabe.
^) Mit dem Gebrauch des Zweigespanns
(702 und 721 f.) ist für die Zeitbestimmung
nichts anzufangen, da dasselbe thats&chlich
erst nach dem Tode des 8ophokles in Delphi
eingeführt wurde, der homerliebende Dichter
aber hier einfach den homerischen Leichen-
spielen des Patroklos gefolgt zu sein scheint.
^) Dieselben Erscheinungen treffen wir
namentlich in den zwei jüngsten Dramen
des Sophokles, Phil, und OC., weniger in den
Trachinierinnen. Sprachlich hat man beob-
achtet, dass das Verbum xBxda»ai sich nur
in unserer Elektra V. 265 u. 1326 und in
Phil. 283 u. OC. 1618 findet.
') In Bezug auf die Art der Wiedererken-
nnng; im übrigen s. Stbigbr, Warum schrieb
Euripides seine Elektra? Philol. 56 ( 1897) 561 ff.
^) Erkannt von 0. Ribbeck, Leipz. Stud.
Viri 382—6; Vahlen, Zu Sophokles u. Euri-
pides Elektra, Herm. 26 (1891), 351 ff. Auch
die Iphigenia Taur. kann zur Zeit unseres
Stückes noch nicht gedichtet gewesen sein,
da unser Dichter El. 531 der älteren Sage
folgt
16*
l
244
Qrieohiflche LitteratnrgeBohichta. I. ElaBUBche Periode.
schliessen lässt, dass die erstere vor der letzteren gedichtet sei; auch das
lasse ich dahingestellt, ob Euripides im Hippolytos (428) mit der glänzen-
den Schilderung von den scheu gewordenen Pferden des unglücklichen
Jünglings (Hipp. 1230—48) die Erzählung des Sophokles vom Wagenunfall
des Orestes (El. 743—56) überbieten wollte oder für Sophokles das nicht
ganz erreichte Vorbild war.^)
171. Der Oldinovg rvQavvog^^) die erschütternde Schicksalstragödie,
wurde vermutlich zur Zeit oder nicht lange nach der Pest im Anfang des
peloponnesischen Krieges gedichtet.^) Der alte thebanische Mythus von
Oedipus, der ohne Wissen seinen Vater erschlug, seine Mutter heiratete,
und als er nach langen Jahren von seinen Verirrungen Kenntnis erhielt,
sich in Verzweiflung die Augen ausstach, war zur tragischen Darstellung
wie geschaffen.*) Die drei grossen Tragiker haben ihn wetteifernd be-
arbeitet;^) Sophokles hat die zwei äschylischen Stücke Laios und Oedipus
geschickt in der Art zu einem zusammengezogen, dass er die früheren
Geschicke des Oedipus in der Form episodischer Erzählungen den Zuhörern
vorführte.«) Die unerreichte Kunst des Sophokles aber besteht darin, dass
er erst nach und nach den Schleier von der unseligen Vergangenheit des
Königs wegzieht und mit glücklichster Anwendung der tragischen Ironie
den König selbst das Geheimnis enthüllen lässt: Oedipus sendet seinen
Schwager Kreon zum delphischen Orakel ab, um von Apoll ein Mittel zur
Abwendung der Pest zu erfahren: das Orakel befiehlt, die Mörder des
Laios aufzusuchen und zu bestrafen. Oedipus lässt den Seher Teiresias
kommen, um von ihm eine Spur des unbekannten Mörders zu erfahren:
der Seher bezeichnet in dunklen^ den Zuschauern aber wohl verständlichen
Worten ihn selbst als den Mörder. Durch den lauten Streit zwischen
Oedipus und Kreon herbeigerufen, kommt lokaste aus dem Palaste und
^) Eine Wecbselbeziehiiiig zwischen r/u97-
ttSy IfjLdvxiov Hipp. 1245 und xfÄtitoU l/uaai
£1. 747 ist schwer abzuweisen, ebenso wie
zwischen xa&aQtijs /«^okö; Vesp. 1043 und
xa&a^iiig ^(Ofiarog El. 70. Ausserdem scheint
die Bemerkung des Aristoph. Equ. 558 von
den Unfällen bei den Wagenrennen, und
Nub. 534 von der Locke des Bruders mit
unserm Stücke zusammenzuhängen.
') Das Beiwort ist erst später zugesetzt
worden, so dass er von andern nach der
Hjpothesis Oid. ngorcgos genannt werden
konnte. In späterer Zeit deutete man nach
der Hypothesis das Beiwort auf den Vorzug
des Stückes: /«^/^»tcüc di tvgavyoy annyxeg
avtoy iin-yQÜcpovoiy (Jf i^e/oyta nnarjg xrjg
£o(poxX4ovq 7toiija€wg^ xaincQ tjtttj&eyxa vno
4'irkoxX6ovg, fSg (prjai JixaiaQ^og. Ebenso der
Rhetor Aristides vriig nuy terirtgtoy p. 334.
*) Auf diese Zeit weist die Schilderung
der- Pest im Eingang der Tragödie und die
grosse Rolle, welche dabei die Seher und
Orakel spielten (vgl. Thuc. II 54). Ob Peri-
kles, der im Herbst 429 starb, noch am
Leben war, steht nicht fest; nach ihm scheint
die flerrschermacht und der freigeisterische
Sinn des Oedipus gezeichnet zu sein. Ath.
276 a überliefert, dass Euripides in der Medea
(431) und Sophokles in unserem Oedipus die
grammatische Tragödie des Kallias in der
Disposition des Chors nachgeahmt habe,
woraus man jedenfalls so viel entnehmen
darf, dass das Stück des Sophokles nach dem
des EaUias zur Aufführung kam; aber das
letztere ist chronologisch nicht fassbar.
*) Arist. Poet. 14 : dei yaq xai äyev rov
OQay ovtw avyecTttyai roV fjtv&oy, maiB roy
ttxovoyza ja TtQayfiaza yiyyofieya xai (pQij'
leiy xai iXsety ix xtüy avfißaiyoyxtoy, aneg
äy nd^oi xig dxovtoy xoy xov Oidinodos fiv^oy.
^) Aischylos schrieb einen Laios und
Oedipus, Euripides einen Oedipus, worin er
wie in Antigene, Elektra, Philoktet die Sage
stark umgestaltete, so dass Oedipus sich
nicht selber blendet, sondern von den Eriegs-
genossen des Laios geblendet wird.
') Besonders zu rühmen ist, dass im
Gegensatz zur Manier des Euripides der
Uauptheld nicht in einem Prolog, sondern
erst im 2. Epeisodion V. 771-833 seine
früheren Geschicke erzählt
G. Drama. 2. Die Tragödie, o) Sophokles. (§ 171.)
245
erzählt, um den aufgeregten Gatten zu beruhigen, die Aussetzung des
jungen Oedipus und die Ermordung des Königs Laios am Dreiweg in
Phokis : die Erzählung lässt im Geiste des Oedipus die schreckliche Ahnung,
dass er selbst der Mörder des Laios sei, aufdämmern. Die Hoffnung, dass
ihm doch wenigstens das vom Orakel angedrohte Los, seinen eigenen Vater
zu erschlagen, erspart bleibe, scheint durch die Meldung vom Tode des
Polybos, des angeblichen Vaters des Oedipus, zur Gewissheit zu werden :
da verkündet der Bote, dass Polybos und Merope nur die Nähreltem des
Oedipus waren. Vor lokastes Auge zerfliessen bereits die Nebel, Oedipus
klammert sich noch an einen Hoffnungshalm und verlangt stürmisch, den
Diener zu sehen, der den kleinen Knaben dem Hirten des Königs Polybos
übergeben habe: er kommt und löst, von Oedipus selber befragt, die letzten
Zweifel, so dass nun die ganze schauerliche Wahrheit enthüllt vor den
Augen des unglücklichen Königs liegt. ^) So ist spannend und erschütternd
die Handlung dargestellt, wie es trefflicher kaum geschehen konnte. Frag-
lich ist nur, ob auch das versöhnende Element, die Katharsis, vom Dichter
nach Gebühr berücksichtigt und die höhere Auffassung vom Schicksal und
der sittlichen Weltordnung zur Geltung gebracht worden sei. Und da
wird man zugeben müssen, dass Sophokles gleichsam im Banne des Stoffes
die alte Idee von dem blinden Walten des Verhängnisses mehr als sonst
zur Erregung von Furcht und Mitleid verwendet hat. Aber er hat doch
auch auf der anderen Seite den furchtbaren Eindruck der dämonischen
Schicksalsgewalt gemildert, einmal durch den versöhnenden Ausgang, indem
der schwergekränkte Kreon, von Mitleid gerührt, dem geblendeten König
seine beiden geliebten Töchter zum Tröste schickt, dann durch die Zeich*
nung des Oedipus selbst, der, über die Massen herrschsüchtig und jäh-
zornig und selbst der Götter Spruch missachtend ^) nicht ganz ohne eigene
Schuld dem schweren Geschicke verfallt. Die Tragödie fand bei ihrer
ersten Aufführung in Athen nicht die verdiente Anerkennung; Sophokles
musste gegen Philokles zurückstehen, vielleicht weil die Athener nicht
durch die Schilderung der Pest auf dem Theater an dem Feste des Dio-
nysos an das Unglück der Wirklichkeit gemahnt werden wollten. Aber
Aristoteles fuhrt in der Poetik kein Drama so oft als Muster an wie den
Oedipus, und die Späteren, wie der Verfasser der Hypothesis und Aristides,
skandalisierten sich über den schlechten Geschmack der Athener, welche
einen Philokles dem Sophokles vorziehen konnten.»)
*) Noch mehr Bewundemng verdient die
unvergleichliche Ennst unseres Dichters,
wenn wir erfahren, dass die ganze Art der
Wiedererkennung Sophokles seihst erfunden
hat. Nach der Sage in den Scholien zu Eur.
Phon. 1760 ward nämlich Oedipus als Mörder
des Laios von lokaste an dem GOrtel er-
kannt, den derselbe dem erschlagenen König
abgenommen hatte, und nach einer andern
durch Hygin fah. 66 (vgl. schol. Eur. Phoen. 26)
fiberlieferten Version ward der kleine Oedi-
pus in das Meer geworfen und an den Strand
von Sikyon getrieben, wo ihn beim Waschen
die Königin Periboea findet Vgl. Betbb,
Thebanische Heldenlieder 67 ff.
*) Gegen die freigeisterische Missach-
tung der Orakel richtet mit Bitterkeit Kreon
den Vers 1445 xal yuQ ar pvv zäy r^J 9€(o
niaxiv {peQoig.
') Aus der modernen Litteratur gleicht
kein Stflck dem Oedipus mehr wie Shake-
speare's König Lear, nur hat der grosse
Brite nicht bloss den Inhalt der beiden
Oedipus, Blendung und Tod des Königs, in
ein Stfick zusammengezogen, sondern auch
die Handlung noch durch Hereinziehung
eines fthnlichen Geschicks des Hauses Glo-
cester verwickelter und krasser gestaltet.
246
Griechische Litteraturgeechichte. L ElaBsiflohe Periode.
172. Die Tgaxiviai haben ihren Namen von dem Chor, der aus
Jungfrauen von Trachis gebildet ist. Der Chor selbt spielt aber nur eine
sehr untergeordnete Bolle; nach ihm ist das Stück nur deshalb benannt,
weil keine der handelnden Personen das Ganze beherrscht und der Tra-
gödie den Stempel gibt. Denn das Interesse der Leser verteilt sich einer-
seits auf die edle Deianeira, die, wiewohl erregt durch die Ankunft ihrer
neuen Nebenbuhlerin, der schönen lole, doch nur in bester Absicht dem
Herakles das Nessusgewand schickt und, als sie von Hyllos das ange-
richtete Unheil erfährt, schweigend weggeht, um durch freiwilligen Tod
ihre Schuld zu büssen, anderseits auf den Heros Herakles, dessen fürchter-
liche Qualen, als das Gift des lodernden Gewandes ihm Mark und Bein
verzehrt, den Schlussteil des Dramas bilden.^) Durch den Prolog, in
welchem Deianeira ihr Missgeschick von der Zeit an, wo Herakles und
der Plussgott um ihre Hand warben, bis zur Gegenwart, wo sie schon
15 Monate den abwesenden Gatten missen muss, in epischer Breite er-
zählt, und durch den Epilog, in dem Herakles, über die Zeit der Hand-
lung hinausgreifend, dem Sohne Hyllos die kriegsgefangene lole zu hei-
raten befiehlt,*) erinnert das Stück stark an euripideische Manier. Ein
grosser politischer Hintergrund und ein von sittlichen Ideen getragenes,
in die Zeitverhältnisse hineingreifendes Hauptmotiv fehlt unserer Tragödie;
dadurch steht sie namentlich der Antigene und den beiden Oedipus nach.
Der Dichter hat sich hier einfach darauf beschränkt, den Mythus in seiner
überkommenen, uns jetzt auch durch Bakchylides n. 16 erkennbaren
Gestalt beizubehalten und aus den gegebenen Motiven eine ergreifende
Tragödie unglücklicher Gattenliebe zu schaffen, die nur dadurch, dass
sie in der Heroenzeit spielte, von der modernen Art des Familien-
dramas abweicht. Was indes dem Stück an Grossartigkeit abgeht,
wird durch die Zartheit der Empfindung und die Feinheit psycho-
logischer Zeichnung glücklich ersetzt. Nur werden wir gegenüber den zwei
Hauptpersonen nicht in eine gleich günstige Stimmung versetzt: der Dichter
versteht es wohl, unsere Teilnahme für die unglückliche, durch den frei-
willigen Tod die Schuld der Eifersucht über und über büssenden Deianeira
zu gewinnen, lässt uns aber kalt gegen Herakles, der kein Wort des Mit-
leids für seine in den Tod getriebene edle Gattin hat und dadurch, dass
er seinem Sohn die lole, welche den Tod der Mutter herbeigeführt hatte,
zu heiraten befiehlt, unser sittliches Gefühl verletzt. Es hängt aber dieser
Mangel der Dichtung mit der ungerechten Sitte des Altertums zusammen,
die in geschlechtlichen Dingen die Schuld von Mann und Frau nicht mit
dem gleichen Massstabe mass. — Über die Zeit der Abfassung fehlen uns
^) Grosse Aehnlichkeit hatten hierin die
Trachinierinnen mit dem O&vaaevg äxay^o-
nXiji: unseres Dichters, da anch in diesem
Stücke die fürchterlichen Qualen des ver-
wundeten Helden den Hauptgegenstand des
letzten Teiles der Tragödie bildeten.
«) Die Schiusapartie 1216--1278 erklÄrt
för unecht Bbrok, Gr. lat. JU 894 f.; Wekdt
in üebers. S. 7 mOchte eher vermuten, dass
der Schluss der Tragödie verloren gegangen
sei, zumal dieselbe weniger Verse als alle
anderen zähle. In dem ganzen Stdck wollte
Schlegel eine Bearbeitung durch lophon fin-
den; mit der Annahme doppelter Rezension
fand sich Hermann in seiner Ausgabe ab.
Gregen jene Hypothese wendet sich in über-
triebener Bewunderung des Stückes R. Schbbi-
NBB, Zur Würdigung der Trachiniai des Soph.
1885, Progr. von Znaim; auch Wboklbin,
Bay. Gymn. BL XXil (1886), 399 steUt die
G. I>ra]na. 2. Die Tragödie, o) Bophoklee. (§§ 172-173.)
247
bestimmte Angaben. Die auffltllige Übereinstimmung von Trach. 1101 — 4
und Eur. Herc. für. 1353—7, sowie von Trach. 416 und Eur. Suppl. 567 1)
lässt vermuten, dass unser sophokleisches Stück in derselben Zeit, wie jene
euripideischen, also um 420 gedichtet ist, für welche Zeit auch die bereits
oben berührte Nachahmung euripideischer Manier im Anfang und Schluss
spricht. Jedoch will ich nicht unerwähnt lassen, dass die grosse Einfach-
heit in der Anlage, die Altertümlichkeit der daktylo-epitritischen Parodos
und die unleugbaren Mängel des Stückes andere, wie Bergk Gr. Lit. in
398 bestimmt haben, das Stück einer älteren Entwicklungsperiode unseres
Dichters zuzuweisen.*) Unter den Römern hat Seneca im Hercules Oetaeus
den Stoff frei behandelt oder vielmehr misshandelt.
173. Der ^iXoxtrJTrjg^ nach der didaskalischen Überlieferung 409
aufgeführt und mit dem 1. Preis ausgezeichnet, s) behandelt denselben Stoff,
wie die gleichnamigen Stücke des Aischylos und Euripides. Der Rhetor
Die Chrysostomos, dem noch die 3 Dramen vorlagen, vergleicht dieselben
und gibt dem Sophokles den Vorzug.*) Euripides, dessen Philoktet 431
zusammen mit der Medea auf die Bühne kam,<^) hatte sich noch enger
an Aischylos angeschlossen und wie jener den Chor aus einheimischen
Lemniern bestehen lassen; Sophokles, welcher auch noch einen zweiten,
früh, wie es scheint, verloren gegangenen Philoktet schrieb,«) nahm stärkere
Veränderungen vor, um einesteils dadurch, dass er die Insel unbewohnt
sein liess, das Elend des Philoktet zu erhöhen, andemteils durch den Kon-
trast der handelnden Personen ein verflochtenes Drama {'t^Qocy- 7tenl€y(iä\'rD
mit glücklichem Ausgang zu schaffen. Quelle der Fabel waren die ky-
klischen Epen der Eyprien und der kleinen Ilias, worin die Zurücklassung
des von einer Schlange gebissenen Philoktetes auf der öden Insel Lemnos
und die Abholung desselben nach Troia im letzten Jahre des Krieges
erzählt war. Nach dem Auszug des Proklos und dem Gemälde des Polygnot
in der Pinakothek ') war es Diomedes, der den Helden, von dessen Bogen
die Einnahme der Priamosveste abhing, von Lemnos zurückholte. Aischy-
los setzte an dessen Stelle nach einer anderen Version der Sage^) oder
Trach. höher als selbst die Elektro. Auf-
fällig sind die zahlreichen ana^ BiqrifAiva
unseres Stfickes.
^) Darauf macht Wilahowitz, Herrn.
Xym 244 aufmerksam; auf wessen Seite
das Original, auf wessen die NachbUdung
atdie, Iftsst sich nicht mit Sicherheit ent-
scheiden. Aus den Nachahmungen schliesst
auf 420 — 415 Schrobdbs, De iterotis ap. larag.
gr., in Diss. Argent. p. 118. Wilamowitz,
Eur. Herakl. I, 843 : Die Trachinierinnen des
Sophokles enthalten nicht nur deutliche An-
klinge an den Herakles, sondern sind ge-
radezu durch ihn angeregt; vgl. I, 382 f.
'i Neuerdings Zibluvski, Excm'se zu den
Trachinierinnen, Philo! 55 (1896) 682: Die
Trachinierinnen sind vielleicht das älteste
der uns eriialtenen Stücke des Sophokles,
sicher nicht viel jflnger als die Antigone.
*) Axgum: iMdx^ htl rXavxvnnov,
nq»t9q tjy loipoxXfjs,
*) Dio Chrys. or. LH p. 272: o lotpth-
xXfjs fieaog ^oixey a^npoty €iyaif ovze to av-
&a&^S xai ttJiXovy tS tov AtaxvXov i/toy
ovTS to dxQiß^s xai &^ifiv xai noXi-tixoy xov
EvQi7ti&ov, asfiyijy &€ riya xai fAsyaXojiQsn^
noitjaiy xqayixtaiara xai sveniaxaxa txovcay,
üeber den Philocteta des Accius s. Ribbbck
Rom. Trag. 876 ff.
') Auf ihn ist Bezug genommen von
Aristoph. Ach. 424.
*) Dieser zweite *^iXoxxijxt]s spielte in
Troia, wie der erhaltene in Lemnos; eine
klare Idee über ihn sich zu bilden, ist bei
der Spärlichkeit der Fragmente schwer; s.
Welckbr, Gr. Trag. 1 188 f.
^) Paus. I 22, 6.
•) Pind. Pyth. I 58 spricht, vielleicht
nach Stesichoros, von mehreren Abgesandten.
Möglicherweise wich auch in diesem Punkte
Arktmos von Lesches ab. Vgl § 57.
248 Grieoliiaehe Lifeteratnrg— ehiohte. L Klamdsehe Periode.
nach eigener Erfindung den schlauen Odysseus, der sich für die AnsfQh-
rung eines auf Täuschung berechneten Unternehmens ungleich besser eig-
nete. Euripides vereinigte, da er über 3, nicht wie Aischylos über nur
2 Schauspieler verfügte, die Darstellung des Lesches mit der des Aischylos,
indem er dem Diomedes den Odysseus beigeseUte.^) Sophokles warf den
steifen Diomedes ganz weg und gab dem Odysseus den jungen Sohn des
Achill, den Neoptolemos, an die Seite, offenbar nach eigener Erfindung.
In dieser Veränderung, mit der auch die Zusammensetzung des Chors aus
Schiffsleuten des Neoptolemos zusammenhängt, wurzelt die Starke der
neuen Tragödie des fast neunzigjährigen Oreises, in deren lebensvoller
Frische wir nichts von der schwächenden Einwirkung des Alters wahr-
nehmen. Die ganze Verwicklung entspringt wie von selbst dem Charakter-
gegensatz des klugen Odysseus, der in seiner Schlauheit ohne jeden Ge-
wissensskrupel Lüge und Hinterlist anwendet, wenn es sich um die Durch-
führung eines im Interesse des Gemeinwohles geplanten Unternehmens
handelt, und des offenherzigen, edlen Neoptolemos, der sich von vornherein
nur widerstrebend dazu hergibt, sich durch falsche Vorspiegelung in das
Vertrauen des Philoktet zu stehlen, und dann, als der unglückliche, von
einem neuen Krankheitsanfall erfasste Einsiedler ihm treuherzig den Bogen
übergibt, Vertrauen mit Vertrauen erwiedert und das künstliche Gewebe
der Täuschung dadurch zerreisst, dass er offen die Wahrheit eingesteht
und zuerst durch bittendes Zureden den tief gekränkten Helden mit den
Achäern zu versöhnen sucht und dann, als dieses nicht gelingt, den Bogen
trotz der entschiedenen Einrede des Odysseus zurückzugeben sich ent-
schliesst. Damit geriet aber der ganze Anschlag, dessen Fäden Odysseas
aus der Ferne gelenkt hatte, so in Verwirrung, dass menschliche Kunst
den Knoten zu lösen nicht mehr im stände gewesen wäre und nach euri-
pideischer Art ein deus ex machina, Herakles, dazwischen treten musste.*)
In diesem Ausgang erkennt man den Einfluss der euripideischen Kunst.')
Im übrigen zeigt sich auch sonst, in der metrischen Form und in der Be-
handlung des Chors, die Wandlung, welche die Tragödie in der letzten
Lebenszeit des Dichters erfahren hatte. In keinem anderen Stück des
Sophokles ist so häufig die Länge des lambus in 2 Kürzen aufgelöst und
so unbedenklich ein Trimeter unter mehrere Personen verteilt worden.*) In
den lyrischen Partien herrscht wie in den jüngeren Stücken des Euripides fast
ausschliesslich der vielgestaltige Glyconeus. Die Wechselgesänge haben so sehr
den Chorgesang zurückgedrängt, dass nicht bloss die Parodos kommaüsch ist,
sondern auch das ganze Stück nur ein einziges eigentliche Chorlied (676 bis
729) enthält. Der Chor selbst hat seine ideale Stellung ganz verloren und
*) Auf den Diomedes ist noch hinge-
wiesen in Soph. Phfl. 570.
') Doch ist der Gott bei Sophokles keine
Drahl^upe, nnr gemacht, um dem Stücke
kann ihn dem daifioi/ioy des Sokrates
gleichen.
*) Mein Freond Römer macht mich
daraaf aufnierksam, wie wir auch in der Zeich>
einen Schlnss zu geben; er repräsentiert | nung der Hanptcharaktere, namentlich in
vielmehr die göttliche Stimme der Liebe und 1 der des schlauen Odysseus, die neuere Rieh-
Versöhnung in der Menschenbrust, welche { tung der realistischer gewordenen Schaa-
den Starrsinn und den Eigenwillen der spielerkunst zu erkennen haben.
Leidenschaft (rov &vfio€iifovg) bricht; man | ^) Yergl. oben § 164 Anm.
C. Drama. 2. Die Tragödie, o) Sophokles. (§ 174.) 249
spielt nur die Rolle eines dienenden Begleiters des Neoptolemos. Auch
die Epeisodien haben ihre ursprüngliche, im Namen ausgedrückte Bedeu*
tung insofern aufgegeben, als ihr Anfang nur selten mehr durch das Auf-
treten einer neuen Person bezeichnet wird.^)
174. Der Oldinovq inl KoXwvt^ ist in alten Erzählungen, wie wir
oben sahen, mit dem Greisenalter des Dichters in Verbindung gebracht und
nach einer didaskalischen Notiz ^) erst nach des Meisters Tod im J. 401
von dessen Enkel auf die Bühne gebracht worden. Aber strittig ist es,
ob dieses die erste Aufführung war, und ob nicht vielmehr schon früher
einmal, in den ersten Jahren des peloponnesischen Krieges*) und vor den
Phönissen des Euripides, deren Schluss auf die Bestattung des Oedipus
im Gau Eolonos hinweist, unser Stück zur Aufführung gelangt war. Die
äussere Form, die häufige Verteilung eines Verses auf 2 Personen, das
Vorherrschen des glykonejschen Vermasses in den Chorgesängen, der kom-
matische Bau der Parodos, auch der wehmütige Ton des Liedes auf die
Leiden des Greisenalters (1211 — 48) sprechen für die erstere Meinung.
Aber der politische Hintergrund der Tragödie scheint mehr in die erste
Zeit des peloponnesischen Krieges hinzuweisen, als eben erst aus kleinem
Anlass der Krieg begonnen hatte (V. 620) und die Macht Athens noch
migebrochen war (V. 702—6). Aber dieses ist doch nur Schein; thatsäch-
lich passen, wie mein junger Freund Alb. Mayr nachgewiesen hat,^) die
politischen Seitenblicke und insbesondere die Verse 92 f., 411, 621 f.,
604—6, welche einen Sieg der Athener beim Grab des Oedipus prophe-
zeien, einzig gut auf das Jahr 407, in dem nach Diodor XIII 72 die
athenische Reiterei einen ruhmvollen Erfolg über die thebanische in der
Nähe der Akademie erfochten hatte. Es fäUt also unser Oedipus lange nach
dem König Oedipus^) und es hat der Dichter auf das schönste mit dem Abend-
glanz seiner Kunst Athens Vergangenheit und seinen Heimatort Kolonos
verklärt, indem er den geblendeten König im Haine der Eumeniden bei
Kolonos Ruhe und Erlösung von seiner Mühsal finden lässt.^) Der Gegen-
stand lud von selbst zu einer ruhigeren, mehr die Seele ergreifenden
(ethischen) als die Leidenschaft erregenden (pathetischen) Behandlung ein;
dieser Ton ist dem Dichter trefflich geglückt, so dass heutzutage noch
') Keine neue Person tritt mit dem An-
fang eines nenen Epeisodion anfV. 219, 519,
780, 865; umgekehrt tritt 542 u. 974 mitten
im Epeisodion eine neue Person anf.
') Aig. 11: SoffoxXfjg 6 vUdovg idi&tt^ev
*l»i tSy 'jQiattoyog inl a^/oi^ro; Mixtayogt
of ini jhagrog ano KaXXiov, i(p' ov ipatfiy
9l :iUiovg tov loipoxXia reXevrrjifat.
^ Dss Letztere nehmen an Lachmann
Bh. M. I 313 «f. nnd Ad. Scholl Phüol.
XXVI 383 ff. Anf die nächste Zeit nach
^em Frieden des Nikias geht herab Böckh,
KL Sehr. IV 228 ff. Andere wollen mit Ans-
Khadimg von 919—923 als jfingerer Inter-
Eolonos, in Gomment. phüol. Monacenses
1891 S. 160 ff. Nur muss dann angenommen
werden, dass der Schluss der Phönissen, wo
y. 1705 f. ausdrücklich Eolonos als die Grab-
stätte des Oedipus bezeichnet wird, aus spä-
terer Ueberarbeitung des euripideischen
Stuckes hervorgegangen ist
*) Arg. Oed. tyr. : eiai di xai ol ngo-
tSQoyj ov Tvgavyoy htiyQd^ovTeg did tovg
/goyovg raiy dt&aaxaXtwy xai dt« j« ngay-
juata.
*) Das Lokal ist wohl Erfindung des
Sophokles ; die alte üeberlieferung Hess nach
den Schollen zu V. 91 den Oedipus in Theben
ff^ition helfen. i sterben und in dem böotiachen Dorfe Eeos,
*) Alb. Math, Über Tendenz und Ab- I später Eteonos, begraben werden.
des sophokleiBchen Oedipus auf |
250 Orieehiselie litUratargMehiohta. L KlaMisolie Pariode.
das Stück mit seiner Majestät des Todes selbst auf unser verwöhntes
Theaterpablikum den tiefsten Eindruck zu machen pflegt.^) Aber es be-
mühte sich überdies auch der Dichter, mehr Verwicklung in die an und
für sich übereinfache Handlung zu bringen, indem er zuerst Ismene dem
blinden König Kunde von dem neuen Zwist in Theben bringen lässt und
dann nacheinander Kreon und Polyneikes in die Handlung hineinzieht, von
denen der erste mit Gewalt, aber ohne Erfolg dem unglückUchen Vater
seine beiden Wegführerinnen zu entreissen sucht, der andere aber, nach-
dem er in der Hofhung, Beistand für sein unternehmen zu finden, ge-
kommen war, mit dem schrecklichen Fluch des Vaters beladen von dannen
ziehen muss. Die Hereinziehung des Kreon gab zugleich dem Stück, ähn-
lich wie den Herakliden, den Schutzflehenden und dem rasenden Herakles
des Euripides, eine glanzvolle politische Staffage; denn wie dort, so er-
scheinen auch hier Athen und sein Herrscher Theseus als grossmütige
Beschützer der Fremden, die auf dem gastlichen Boden Attikas Schutz
vor ihren Bedrängern suchen. Aber der schönste Schmuck der sophokle-
ischen Tragödie sind doch die ergreifenden Chorgesänge und vor allem
die Krone derselben, der herrliche Hymnus auf Attika (668—719),*) wel-
cher das euripideische Seitenstück in der Medea V. 824—845 weit hinter
sich lässt. — Die drei Stücke, König Oedipus, Antigene und Oedipus auf
Kolonos, bilden die drei Phasen einer Handlung, könnten also dem Inhalt
nach recht wohl die drei Teile einer Trilogie bilden. Sie waren aber keine
Trilogie, da sie zu ganz verschiedenen Zeiten gedichtet und nie zusammen
auf die Bühne gebracht wurden. Wohl aber sind sie zu einander in Be-
ziehung gesetzt, indem nicht bloss die Charaktere der handelnden Personen
in allen drei Stücken gleich gezeichnet sind, sondern auch die späteren
Stücke an die früheren anknüpfen und sogar die früheren Hinweise auf
die späteren enthalten.«)
175. Fragmente. Von den nicht erhaltenen Dramen des Sophokles
sind nur sehr spärliche Reste auf uns gekommen, die uns in vielen Fällen
nicht einmal eine sichere Vermutung über ihren Inhalt erlauben.*) Zu
einem grossen Teile derselben hatte er als Homerfreund den Stoff aus
Homer und dem epischen Kyklos entnommen;^) so bezogen sich auf den
troianischen Sagenkreis 'AXä^arSgog, 'Elsvrfi ydiiog (Satyrdrama), JSxvquu,
'Odvaaeiq fxairofxevog, ^lifiyäveia (Opferung in Aulis), 'Axaio}v avlXoyog ij Svr^
Ssmvoi (Satyrdrama),«) Mvaoi ij Tj^Xeg^og,'') lIoifAeveg (ProteBilsLOBTodj/ElävTfi
drvaiTrjmgy Tgcotlog, UaXct^ridrfi^ ^Qvyeg, At&to7t€g fj Ms/avcdv, 0oTv$^j <l^fAox-
^) Wie günstig die Alten urteilten, sagt | *) Welokbb, Griech. Trag, im 1. Band
uns das Argomentnm : to ^i dgafia twy \ und im Nachtrag des dritten.
&avfiaat<oy. ') Ath. 297 d: lj)fa*^e (f o £o<poxX^g r^»
^) Fälschlich wird dieses herrliche Chor- inixw xvxXtp, vis xcr« oXa dgafiaia nwijcat
lied von Plutarch. an seui p. 785 A als Parodos
hezeichnet. Der Chor war schon V. 117 ver-
einzelt {anoQtidijy) eingezogen.
*) Das letztere ^t insbesondere von
axoXovduiy xß iy tovzia fÄv9onoii4f.
•) Die Ivpdeinyoi spielte noch Q. Cieero,
der Bruder des Redners M. Cicero, nach Cic
ep. ad Quint. fr. 11 15.
OR. 1455—8, wenn anders diese auf den . ') Dieses Stock wurde als Satyrdrama
OC. vorbereitenden Verse echt sind. Auch ' mit einer Trilogie von Tragödien in Bhodoa
die Verse OR. 1455—7 scheinen aus OC. I aufgefOhrt, worüber Eaibel Herrn. 23, 27S«
1651 und 1663 genommen zu sein. |
C. Drama. 2. Die Tragödie, o) Sophokles. (§ 175.)
251
Tifnjg h TQoif, Aaxatvm (Raub des Palladiums), Aaoxooov^ Stvcov, ügtafiog,
Mxfictldtideg^ üoAvJ^rij, Ai^g AoxQog^ 'AvtrjvoQidai (Abzug der Söhne des
Antenor nach der venetischen Hadria), NavnXioq nvqxasvq (Schiffbruch an
den kaphereischen Felsen), Tevxqoq^ EvQvaäxrjg, Navaixda ij nXvvxqicci (neu
entworfen von Goethe), ^aiaxsg^ ^Odvaaeig axttvd^onXiq^ (Tod des Odysseus
durch den Bochenstachel seines Sohnes Telegenes; danach Pacuvius' Nip-
tra), EvqvaXog (Sohn des Odysseus und der epirotischen Königstochter
Eiu'ppe, vom Vater ohne Wissen getötet). Die nächstgrösste Aufmerksam-
keit wandte Sophokles der einheimischen attischen Sage zu; ausser dem
Triptolemos und Oedipus Col. waren aus derselben genommen die Stücke
Tij^iJj, 'ÜQhiö'Via^ KQäovaa (im Stoff verwandt mit Eur. Ion), UQoxQigy Aiysvg^
(Paiiqa (denselben Stoff wie Eur. Hippel, behandelnd). Endlich finden wir
in den Fragmenten des Sophokles neben den altberühmten Sagen des Hauses
der Tantaliden und Labdakiden i) auch die Argonautenfahrt (A&cfxag, KoX-
XiSfg^ Ixvlf^ai^ ^Pf^oTOfioi)^ den Heraklesmythus und die Sagen des Thamyris,
Minos und Daidalos, Mele^ger, Bellerophon (Yo/?arij^), der Niobe, Danae,
Tyro, Andromeda vertreten. Gänzlich verschmäht hat er Stoffe aus
dem Göttermythus und der Zeitgeschichte. Ausserdem hinterliess Sopho-
kles nach Suidas noch Elegien, Päane und eine Prosaschrift über
den Chor, worin er seine Neuerung gegenüber den alten Chormeistern
Thespis und Choirilos rechtfertigte. Von der letzten Schrift ist uns nichts
erhalten, von den Elegien (eine an Herodot) kümmerliche Reste.
Codices; Das Verhältnis ist das gleiche wie bei Aischylos : Hauptcod. ist Laui'entianiis
XXXlI. 9 B. XI (L)y nachträglich mit Scholien versehen und von verschiedenen Händen
komgiert and ergänzt, so dass z. B. Oed. R. 800 von später Hand s. XÜI zugefügt ist;
in phototypischem Druck die ganze Handschrift herausgegeben von Thohpson-Jebb, Fac-
amile of the Laur. man., London 1885. Zunächst steht Paris. 2712 s. XIII (P, bei früheren
A, mit kurzen Scholien), der nicht aus dem Laurent abgeschrieben ist, sondern von einem
gemeiiisamen Archetypus abstanmit, da er die Verse OR. 800. OG. 1105, £1. 1485, die in
L von erster Hand fehlen, sowie das dort fehlende yeyos 2oq>oxXiovg enthält. Vergl.
A. SsTiTEBT, Quaest crit. de Soph., Halis 1864; M eifert, De Soph. codicibus, Diss. Hai.
1891. Beachtenswert noch wegen einiger guten Lesarten ist Laurent. 125 (Fj. Unbrauchbar
sind die jüngeren, aus der Rezension des Triklinios stammenden Codd.
Scholien : die alten, aber stark gekürzten gehen auf Didjmos zurück, der zu Ant. 45,
OC. 237 u. a. mit Namen angeführt ist; dazu eine Vita (fehlt in L) und vno&eaeig in pro-
saischer und metrischer Form, welche auf Aristophanes (genannt zu Ant. u. OR.) und
Siiiistius (genannt zu Ant. u. OC.) zurückzuleiten sind. Jüngere wertlose Scholien von
Thomas Magister u. Moschopulos zu den im Mittelalter zumeist gelesenen 3 Stücken Aias,
HL, OB., von Demetrios Triklinios zu Aias, El., OR., Ant.; Ausgabe der Scholien von Elmslby-
IhxDOBF, Oxon« 1825 — 52, 2 Bde; neue Ausg. der alten Scholien vou Papagboroios in
BibL Teubn. Ueber die Quellen der Scholien und ihre Bedeutung für die Kritik G. Wolff,
De Soph. scholiis Laurentianis, Lips. 1843; über ihr Verhältnis zu Suidas P. Jahn, Quae-
stioaes de scholiis Laurentianis, BerL 1884.
Ausgaben: ed. princ. bei Aldus, Yen. 1502. Mit den Scholien von H. Stefhanus,
Paris 1568, welche Ausg. mit ihrem triklinianischem Text bis in unser Jahrh. die Yulgata
blieb. Fortschritt in der Verstellung der Cantica von Ganteb, Antw. 1579. — Eindringende
Radien wurden dem Soph. später als dem Eur. zu teil; grundlegend die kritisch-exege-
tische Bearbeitung von Brunck (benützte Par. 2712), Argent. 1786; fruchtbringend die
wiederholten Neuauflagen der Ausgaben von Ehfurdt durch G. Hermann, Lips. 1817—48;
Wdeutend f&r die Kritik durch Zurückgehen auf den Cod. Laur. mit genauem Apparat die
Ausg. von Divdobp, Oxon. 1860. In der von Jakobs u. Rost geleiteten Biblioth. graec. mit
') Aus letzterem waren ausser den oben
Weite genannten (Oedipus etc.) auch noch
fie 'Eniyoyoi (oder Enphyle) genommen,
welche der römische Tragiker Äccius nach-
bildete, und der sich daran anschliessende
'AXxf4äo)y.
i
252
Grieohisehe Lütexmtargesohiohte. I. KUsaisohe Periode.
lat. Aninerk. gab den Sophokles Wukdbb heraus ; die 5. Neabearbeii;iiiig besorgte Wbckleht.
— Ausgaben mit erklftrenden Anmerkimgen von Schnbidkwin-Nauck bei Weidmann ; von
Wolff-Brllebmann bei Teubner; von Wbckleik bei Lindauer in Manchen; von Muff bei
Velhagen-Klasing ; von Sbkitblob, Athen 1887. — Ejitisch-berichtigte Textausgaben von
Na UCK bei Weidmann; von Dhydorf-Mekler in Bibl. Teubn.; von Schubert in BibL
Schenkl. — Einzelausgaloen ; Aiax cum scholüs et commentario perpetuo ed. Lobbck, ed. 11
Ups. 1885. — Antigene griech. deutsch mit Exkursen von Bobckh, Berl. 1843; cum scholüs
et virorum doctorum curis ed. Wbx, Lips. 1831, 2 vol. — Electra in usum scholarom ed.
0. Jahn, mit Vita und kritischem Apparat, ed. III cur. Micbablis, Bonnae 1882 (dazn
Michaelis, Arch. Zeit. 38, 75 ff.); Ausgabe der El. mit Kommentar von Eaibel, Leipz.
1896. — OedipusRex cum annot. ed. tertium Elkslbt, Lips. 1821; adnot. van Hbrwbri>b5,
Trai. 1867. — Oedipus Gol. cum schol. et suis comment ed. Rkisio, Jenae 1820.
Lexicon Sophocleum von Ellbndt, ed. II cur. Gbnthb, Berl. 1882. — Bbambach,
Metr. Studien zu Sophokles; Sophokleische Gesänge, Leipz. 1869 u. 1870. - Qlbditbcb,
Die Cantica der sophokl. Tragödien, 2. Aufl. Wien 1888. — Chr. Muff, Die chorische
Technik des Soph., Halle 1877. — 0. Hensr, Der Chor des Soph., Berl. 1877 u. Rh. M.
32, 485 ff. — Genthe. Index comment. Soph. 1874; die neuere Litteratur besprochen von
Weck lein in Bursian-Mttller*8 Jahrber. d. Alt. — Lat. Uebersetzung des Aias lorarius von
Soat-igek; erste deutsche Uebersetzung der Antigene von Opitz— Lbchneb, Sophokles auf der
modernen Bühne, in Verh. d. Philol.-Vers. 1891.
d) Euripides (um 480- 406).^
176. Leben. Euripides, der jüngere Zeitgenosse des Sophokles,
trat schon durch seine Abkunft in Gegensatz zu seinen grossen Mit-
bewerbern um den tragischen Kranz: entstammten Aischylos und Sophokles
vornehmen und reichen Geschlechtern Attikas, so dass sie schon durch
die Geburt zu ansehnlicher Stellung unter ihren Mitbürgern berufen
schienen, so war hingegen Euripides, dessen Eltern, Mnesarchides und
Kleito, eine Zeit lang in der Verbannung in Böotien gelebt hatten und
nach ihrer Rückkehr Krämersleute in dem Dorfe Phlya*) waren, in
bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen.^) Sein Geburtsjahr fiel nach
der einen Version^) mit der Seeschlacht von Salamis zusanunen, was dann
die litterarische Sage so ausschmückte, dass sie den Dichter an dem Tage
der Schlacht und auf der Insel Salamis^) geboren sein Hess; nach anderen
*) Aus dem Altertum ein Feyog EvQtr-
nidov xal ßiog. Dazu ein Artikel des Suidas
und ein Kapitel bei Gellius XV 20. Die
5 Briefe des Eur. sind, weil unecht, ohne
Wert. — Sämtliche Quellen zusammengestellt
und verwertet von Naück, De Eur. vita
poesi ingenio, in seiner Ausg. Das Lehen
des Dichters mit seinen Werken dargestellt
von Hartuno, Euripides restitutus, Hamb.
1843, 2 Bde. — 0. Ribbbck, Euripides und
seine Zeit, Progr. Bern 1860. — Wilamowitz,
Das Leben des Euripides, in Eur. Herakles
I 1—42.
^) Suidas und Harpokration unt. ^Xvela.
») Vita Eur.; Arist. Ach. 457. 478, Equ.
19, Thesm. 456, Ran. 840. 947. Anders
Philochoros bei Suidas: EvqitjI&ijs Afytjaagxov
rj Mt^rjaaQxi^ov xai Kkeiiorg^ oV ffsvyov-
Tfff eig Boitoxiav ftertoxrjaav. Biza iv r/j
'Jrrixfi (ähnlich Stob. Flor. 44, 41) " ovx dXrj-
^ig di lug XaxacyoTKoXig rjy ij Ufjrrjg avrov '
xal yag xtav atpodqa BvyBviüv BtvyxnvBVy tag
dnoödxrvai 4>iX6xoQog. Die Witze der Ko-
miker, welche die Mutter des Dichters zu
einem Hökerweib machten, mögen nicht viel
Glauben verdienen, aber mit dem hohen
Adel, den Philochoros seinem Eoripides
nachrQhmt, wird es auch m'cht weit her
gewesen sein; das naig dgovQuiag 9eov des
Arist. Ran. 840 muss seine Richtigkeit haben.
Daraus, dass nach der Vita und GeUliis
Euripides in Salamis eine Grotte mit Aus-
blick auf die See hatte, will man auf er-
erbten Grundbesitz auf jener Insel schliessen.
*) Vita; Diog. H 45; Plut Symp. VIII
1, 1. Die Angabe des Eratosthenes in der
Vita, der den Dichter 75 Jahre alt werden
Iftsst, fahrt auf 481/80. Die pansche Chronik
setzt die Geburt Ol. 83, 4 = 485/4, was
Mrndblssohv , Acta Lips. II 161 ff. ver-
teidigt.
B) Vita; in dG 6052 heisst Eur. £nXa'
fjilviog, Gellius XV 20: Phüocharwf rcfert
in insula Salamine speluncam esse Utetratn
et horridam, in qua scfiptitarit Euriyides,
G. Drama. 2. Die Tragödie, d) Enripidea. (§§ 176—177.)
253
war er ein oder ein paar Jahre früher geboren. In der Jugend erhielt
er eine sorgfältige Erziehung, so dass er an den Oötterfesten der Heimat
ftk Tänzer und Fackelträger des Apoll mitwirkte^) und im Ring- und
Faustkampf sich auszeichnete. Der Tumkunst sagte er bald wieder
Valet*) Auch der Malerei, der er sich in seiner Jugend widmete, scheint
er nicht lange obgelegen zu haben, obwohl er stets für das Malerische
in der Poesie ein grosses Talent an den Tag legte. ») Es war die Tra-
gödie, in der er das eigentliche Feld seines Schaffens fand. Im Jahre
455^) erhielt er zum erstenmal mit seinen Peliades einen Chor, musste
aber bei diesem ersten Debüt mit dem dritten, d. i. letzten Preis vorlieb
nehmen. Der Bühne blieb er bis zu seinem Ende treu, wiewohl er erst
spät mit der Richtung seiner Poesie durchschlug ^) und auch dann noch
manchen Wandel in der Gunst des Publikums zu erfahren hatte.
177. Fand Euripides in dem tragischen Spiel sein Lebenselement,
so zeigte er doch auch für andere Geistesrichtungen und insbesondere für
die Philosophie ein lebhaftes Interesse. Er besass eine auserlesene Biblio-
thek«) und war Hörer der Philosophen Anaxagoras, Protagoras und Pro-
dikos. ^ Dem Sokrates war er befreundet und erfreute sich dessen wohl-
wollenden Beifalls; Aelian V. H. 11 13 erzählt, Sokrates habe nur selten
das Theater besucht und nur dann, wann neue Stücke des Euripides zur
Aoff&hrung kamen. ^) Dabei ist aber nicht daran zu denken, dass Euripides
in ein förmliches Schülerverhältnis zu jenen Philosophen getreten sei; er
suchte nur im freien Verkehr mit ihnen und im Lesen ihrer Bücher über
die höchsten Probleme, die damals die Geister bewegten, Aufschluss zu
erhalten. Und indem er selbst ein eifriger Anhänger des Rationalismus
und ein Verächter des alten Götterglaubens wurde, trug er durch seine
Tragödien mehr als jene Philosophen selbst zur Verbreitung der philo-
sophischen Aufklärung bei.*) Nicht unverdient war der Ehrentitel eines
Phflosophen der Bühne. i<^) Hingegen hielt er sich von dem thatkräftigen poUti-
*) Ath. 424e und Vita, vennatlich nach
Phflochoros, der damit den Vorwurf niederer
Abkunft wiederlegen wollte.
') Hart ist sein späteres Urteil über die
Athleten fr. 284 : ovdiy xäxioy iaiiy af^Xrjuoy
') Nach der Vita zeigte man von ihm
BQder {mytixue) in Megara. Die Kunst in
der Beschreibung von Bildern tritt in Ion
190-218 glänzend hervor; vergl. Hec. 807
»f yQa^tvg i' dnoata^Big idov fjte xayd-
^^or, Hec. 570, Androm. fr. 125, Hyp-
apyle fr. 764.
«) Irrtümlich Iflsst Gellius XY 20 den
IHciiter schon im 18. Lebensjahr Tragödien
Bcfaretben.
^) Eist 441 siegte er nach Mann. Par.
BUD erstenmal.
*) Ath. 3a; Suidas setzt dafür den jün*
9erai Euripides, über den unten § 188.
^ Vita: uMovctrjg yByofxtyog *Jya^ay6Qov
>*i Ugo^lxov xai JlQiotayoQOV xai Iwxgärovg
if«>of. Cicero Tusc. 111 14: fuerat auditor
^T^iagorae. In Versen des Alexander Aetolns
bei Gellius XV 20 heisst er ^Aya^ayoQov
rQog^ifiog^ auf Anaxagoras scheint zu gehen
Eur. Ale. 903—10. Auch nut Heraklits
Lehre wurde Eur. bekannt: s. Diog. II 22
u. Eur. fr. 639. 830; Arist. Ran. 1082.
^) Sokrates Lehre, dass Tugend auf
Wissen beruhe, ist wiedergegeben in Herc.
347.
•) Von Beweisen sind die Stücke des
Eur. voll.; besonders sprechend sind Hec. 799,
Ion 436—51, Iph, Taur. 385—91, Troad.
884—8 (nach Diogenes von Apolloniai, Belle-
rophon fr. 288 u. 294, Chrysippos fr. 836,
Theseus fr. 392, Peir. fr. 596, fr. ine, 904.
Dass Eur. die Lehren des Anaxagoras auf
die Bühne gebracht, deutet Platon Apol. 26 d
an. Vgl. Lucian lup. trag. c. 41. Bei einem
Prozess bezichtete ihn nach Arist. Rhet. lU
15 p. 1416 a 29 sein Gegner der Asebie.
Die Litteratur bei Uebekwbo, Grundriss d.
Gesch. d. PhiL V 81, wozu Wilamowitz,
Eur. Herakl. I 22-30.
**) Zxrjyixog <;p&^oao<f o; heisst er bei Ath.
158 e u. 561a, Vitniv VIU praef., Sext.
I
254
Qrieohiflobe Litteratnrgesohiohte. I. Klassisohe Periode.
sehen Leben fern ; ^) er verriet auch darin im Gegensatz zu Aischylos und
Sophokles den Dichter der Neuzeit. Nur in seinen Dichtungen nahm er
lebhaft an den politischen Tagesfragen teil, indem er namentlich in den
Tendenztragödien aus der ersten Hälfte des peloponnesischen Krieges jede
Gelegenheit ergriff, um seine Vaterstadt zu Ehren zu bringen und gegen
deren Feinde zu Feld zu ziehen.*)
178. Eine grosse Rolle spielten in dem Leben und in der Beurteilung
des Euripides seine häuslichen Verhältnisse. Verheiratet war er zweimal;
die erste Frau hiess Melito, die zweite Choirine (v. 1. Choirile) ; *) aber mit
beiden scheint er schlechte Erfahrungen gemacht zu haben. Die Skandal-
geschichte wusste namentlich von einem Famulus des Dichters, Kephisophon
mit Namen, zu erzählen, mit dem die Frau in ehebrecherischem Umgang
lebte.*) Die Alten führten auf diese ehelichen Misshelligkeiten den Weiber-
hass zurück, den Euripides in seinen Tragödien zur Schau trägt und der
die Frauen in den Thesmophoriazusen zur Verschwörung gegen den Dichter
bewegt. Aber mit diesem Weiberhass muss es so weit nicht her gewesen
sein. Witzig entgegnete Sophokles, als einer ihm von dem Weiberhasser
Euripides sprach: €v ys raig TQayrpdiaig, errei iv ys rfj xXivrj ipiXoyvvrfi,
Söhne hatte er drei : Mnesarchides, Mnesilochos, Euripides, von denen der
letzte hinterlassene Stücke des Vaters nach dessen Tod zur Aufführung
brachte. Die letzte Zeit seines Lebens brachte er an dem Hofe des musen-
liebenden Königs Archelaos von Makedonien zu, ^) der damals die erwähl-
testen Geister Griechenlands an seine neue Residenz in Pella zu ziehen
suchte und ausser Euripides auch den Tragiker Agathen zur Übersiedelung
von Athen nach Makedonien veranlasst hatte. ^) Vielleicht auf dem Wege
Empir. I 288, Clem. Alex, ström. V p. 248.
Vgl. Plat. de rep. VIII p.^568a: rj re xQa-
ytj&ia ok(og ao^op doxeT eiyai xal 6 Evqi'
Tiidrjg dia<f^Qü)y iy «vt^,
>) Von Aristoteles Rhet. II 6 p. 1384 b
16 wird eine EvgiTiidov dnoxQwiq tjqos Ivqu-
xoaiovg erwähnt, was der Scholiast auf eine
sonst nicht bekannte Gesandtschaft bezieht.
Von einer Klage, die dem Dichter ein ge-
wisser Hygieinon durch das Anerbieten des
Vermögenstansches anlftssig einer zu leisten-
den Liturgie anhängte, meldet Anst. Rhet.
III 15.
^) So pries er Athen, indem er zum
Teil die alten Mythen ummodelte, als Schir-
merin der Verfolgten in Med. Heracl. Herc.
Suppl. Phoen. Im Menelaos der Andromache
(s. Schol. z. Andr. 445) und des Orestes
brandmarkte er die treulose Härte und Geld-
gier der Lakedämonier. Durch die Herakliden
wird das Bündnis mit Argos empfohlen.
Gegen die Demagogen und Volksschmeichler
sind gerichtet Hec. 254 ff., Suppl. 232 ff.
Wegen der im Kresphontes repräsentierten
Vaterlandsliebe preist den Dichter Lycurg
adv. Leoer. 100.
') Vita: yvyalxa d^ yrjfxtti ngüiitjy Ms-
A*r(ü, dcvregay di XoiQLytjy. Das Verhältnis
umgekehrt bei Suidas, zu einer Bigamie ge-
staltet bei Gellius XV 20. Die Heirat mit
der Choirile erklärt fttr eine Fabel Wila-
MowiTz, Anal. Eur. 149 u. Eur. Herakl. I 7,
vielleicht mit Recht.
^) Dieser Kephisophon geh5rt mit som
Haushalt des Euripides in AristRan. 1408 and
1452. Vers 944 derselben Komödie wird in
den Schollen so gedeutet» ab ob Kephisophon
dem Euripides geholfen habe, namentlich
in den Liedern. Von dem Umgang desselben
mit der Frau des Dichters erzählt die Vita,
wohl auch nach Witzen der Komödie. Eben-
daher wird die Anekdote von dem Verhältnis
des Dichters zur Schaffnerin im Hanse des
Königs Archelaos stammen; s. Hermesianax
bei Ath. 598 d.
'i Vita; Philodemos de vitiis 10; So-
linus IX 16; Lucian de paras. 35; Paaa. I
2, 2; Syncellus p. 500, 7. Von einem gol-
denen Becher, den der König beim Mafal
dem verehrten Dichter schenkte, enfthlt
Plut. Mor. p. 53 Id.
®) Von einer Liebkosung des jünger^i
liebenswürdigen Dichters Agathon durch Ehi-
ripides erzählen Plut Mor. 770 c und Aelian
V. H. Xni 4, wahrscheinlich nach einer
Schrift des Peripatetikers Praziphanes. Von
einem Zerwürfnis des Dichters mit einem
Höfling, der den Dichter wegen des übel-
G. Drama. 2. Die Tragödie, d) Earipides.
178 -179.)
255
dahin wurde er in Magnesia eine Zeitlang festgehalten und durch öffent-
liche Auszeichnungen gefeiert. 1) Wie Aischylos für Sikilien ein Lokalstück,
die Aitnaiai, gedichtet hatte, so dichtete auch er zu Ehren seines könig-
lichen Gönners den Archelaos, in welchem er den regierenden König unter
der Gestalt des Ahnherrn der makedonischen Dynastie verherrlichte.*)
Seine Heimat sah Euripides nicht mehr wieder. In Arethusa bei Amphipolis
starb er im Frühjahr 406, noch vor dem Feste der grossen Dionysien;
die Sage erzählte, dass Hunde des Königs den Dichter zerrissen hätten.»)
Bei Amphipolis, an dem Zusammenfluss zweier Bäche, befand sich auch
sein Grab, das noch in später Zeit ein Wanderziel der Verehrer des Dichters
war.*) In Athen riss sein Tod eine grosse Lücke, ß) die auch sein bitterer
Feind Aristophanes bereitwillig anerkannte. Seine Mitbürger ehrten ihn
durch ein Kenotaph, für welches Thukydides oder Timotheos die Aufschrift
dichtete.*) Später fügten dieselben auf Antrag des Lykurg die Ehre eines
ehernen Standbildes im Theater des Dionysos hinzu. Die erhaltenen
Porträte des Dichters^) zeigen uns den Tragiker in älteren Jahren mit
spärlichem Haar über der Stirne und mageren Backen ; die ganze Physio-
gnomie verrät mehr den herben Ernst eines grübelnden Moralisten als die
leichte Schaffenslust eines gottbegnadeten Dichters.
119. Werke des Euripides. Verfasst wurden von Euripides ausser
einem Epinikion auf einen Wagensieg des Alkibiades und einer Elegie
auf die bei Syrakus gefallenen Bürger 92 Dramen oder 23 Tetralogien.®)
Davon hatten sich in die Zeit der gelehrten Grammatiker 78 Stücke ge-
liedieiideii Atems verspottet hatte, erzählen
Ariatot Poüt V 10, p. 1311^ 33 und Sto-
)am FloriL 41, 6.
^) Yita: /deziarij ^i iy Mayyijalif xal
n^ü^friif iii/ÄijSt] xal aisXelif; welches Ma-
Sneaia gemeint sei, ist leider nicht ange-
g^iL Aach an dem Tyrannen Dionysios
roo ^rakns hatte er einen enthusiastischen
Bemmderer, der ans seinem Nachlass um
kohea Geld Leier, Griffel und Schreibtafel
erstand; s. Hermippos in der Vita. Damit
Tttgleiche Plnt Nie. 29: eyioi xai dt' Evqi-
^iiijr (ctaihjony, fiaXicta yag tos soixe rviy
ixii^ 'EXkfjyiay inoSr^ay avtov riqy fAovaay
^ »ept £ix€Xiay,
*) Damit steht nicht in absolutem Wider-
aprach Diomedes p. 488, 20 K: Euripides
ptUmti Archeiao rege, ut de se tragoediam
9cnberet, abnuü ac preeaius est, ne accideret
Arckelao aliquid tragoediae proprium, osten-
^eng nihil aliud esse tragoediam quam mi-
9rriarum comprehensionem. Ueber den histo-
liaehen Hintergrund der Sage, durch welche
das makedonische Eönigsgeschlecht auf den
dorischen Ahnherrn Temenos zurückgefOhrt
vinde, siehe Outschmid, Die makedonische
Anagraphe, in Comm. phü. Bonn. p. 118 ff.
') Aelteste Zeugen fOr diese Sage sind
«iades bei Stob. 98, 9 und Diodor 13, 103;
gegen die Richtigkeit derselben spricht dass
Aristophanes von ihr nichts weiss. Nach
einer anderen bei Suidas und Anth. 7, 51
erwähnten Fassung waren es Weiber, nicht
Hunde, die den Dichter zerrissen.
*) Ammianus Marceil. XXVII 4, 8: pro-
xima Arethusa convallis et statio, in qua
visitur Euripidis sepulcrum, Vergl. Vitruv
X 3; Plinius N. H. 31, 19; Paus. I 2, 2.
') Nach Athen kam nach der Yita die
Nachricht vor dem Proagon der Dionysien.
«) Vit. Eur. und Ath. 187 d.
^) S. die angefQgte Tafel. Erhalten sind
uns von dem meistgefeierten und meist-
gelesenen Dichter mehrere Hermen und
Statuen; s. Visconti, Iconogr. gr. 15, 8;
G. Krüger, Arch. Ztg. 1870 Taf. 26 u. 1871
Taf. 1; Jahrb d. arch. Inst. 1889, S. 98. Als
Ergänzung diene die Charakterisierung der
Vita: üxv^QCJTiof d^ x€tl avyyovg xai avartj-
Qog i<fttiyeTO xai fjiiaoyiXtaq xai fjLiaoyvyrjg . . .
iXiyero cW xal ßaßvy ntoywya ^giipai xal
inl Tijff oipetos (paxovg iaxfjx^yai. Von seinem
übelriechenden Atem spricht die Vita und
Aristot. Polit. V 10.
*) Die Zahl schwankt in der Vita und
Suidas zwischen 92 und 98 infolge der Ver-
wechselung der Zahlzeichen ß und 97; die
nicht geretteten kannten die Grammatiker
wahrscheinlich nur aus den Didaskalien.
i
256 Grieohische latteratargeBchiehte. L Klaasisehe Periode.
rettet, 1) darunter 8 Satyrspiele;*) für unecht galten unter diesen ein Satyr-
drama und die 3 Tragödien Tt'vrr^g^ ^Paidfiav&vg^ Uei^i&oog, Auf uns ge-
kommen sind 19 Dramen, darunter 1 Satyrspiel KvxXto^f und 1 Tragödie
von zweifelhafter Echtheit "^Pr^aog. Von diesen 19 Stücken wurden im
byzantinischen Mittelalter am meisten gelesen und allein kommentiert
die 3 Tragödien !Exa/Jij, 'OQeatr^g, 0o{riaaai. Unter den erhaltenen Dramen
befinden sich mehrere, wie Mrjdsia^ ^oinaffai^ "^InnoXviog, Bdxxcci^ l^tytreta
iv TavQoig, die sich schon im Altertum eines hohen Ansehens erfreuten;
aber viele andere sind geringwertig und wurden von den Grammatikern
in zweite Linie gestellt.') Dieses scheint damit zusammenzuhängen, dass
die 19 Dramen, ähnlich wie die Reden des Lysias, aus zwei Sammlungen
stammen, von denen die eine eine Auswahl der besten Stücke enthielt
(Hec, Orest, Phoen., Hipp., Med., Ale, Andrem., Rhes., Troad., Bacch.),*)
die andere ehedem sämtliche Stücke in alphabetischer Ordnung umfasste.^)
Anklang fand Euripides mit seinen Tragödien bei dem athenischen Pu-
blikum weniger als Aischylos und Sophokles: nach der parischen Marmor-
chronik errang er erst im 39. Lebensjahre unter dem Archen Diphilos
(441) den ersten Sieg, und im ganzen genommen erhielt er nur fünfmal
den ersten Preis. ^) In das rechte Fahrwasser scheint er erst im Beginne
des peloponnesischen Kriegs gekommen zu sein, wo der alternde Sopho-
kles allmählich in den Hintergrund trat und er selbst durch Anspielungen
auf politische Zeitverhältnisse und durch Einflechtung sophistischer Weis-
heit der bewunderte Liebling der jüngeren Generation ward.^) Aber um
so heftiger befehdeten ihn dann als den Stimmführer des neuen Zeit-
geistes die Dichter der Komödie, von denen namentlich Aristophanes ihn
erbarmungslos bei jeder Gelegenheit, insbesondere in den Achamem, den
Fröschen, den Thesmophoriazusen verspottete.®) Aber die Rhetorik und
philosophische Aufklärung, sowie die Vorliebe für das Pathetische gewann
in dem Geistesleben der Griechen immer mehr die Oberhand und so fand
^) Varro bei GelÜus XYII 4 spricht I diese Auswahl ein unechtes St&ck, der Bhe-
von 75 Stücken; die Abweichung kommt I sus» und ein sonst wenig gesch&tztes, die
wahrscheinlich daher, dass die einen die
3 unechten Tragödien einrechneten, die an-
deren dieselben ganz ausser Betracht Hessen.
Auf der Rückseite der sitzenden Statue des
Euripides im Louvre ist ein alphabetisches
Verzeichnis von 37 Stücken bis 'O^cVriyc
geschrieben; s. Welckbb, Gr. Trag. 444 f.
£in anderes gleichfalls verstümmeltes Ver-
zeichnis in teilweise alphabetischer Ordnung
findet sich auf einem Stein des Pirftus, bei
WiLAHOwiTZ, Anal. £ur. p. 139.
^) Wenn £uripides 23 Tetralogien und
doch nur 8 Satyrdramen dichtete, so erklftrt
sich dieses daraus, dass, wie das Beispiel
der Alkestis zeigt, für ein Satyrspiel auch
eine Tragödie mit glücklichem Ausgang ein-
treten konnte.
'*) Von der Andromache lesen wir in
der Hypothesis t6 d^äfia ttov dsviigtov, da-
gegen von dem Hippolytos ro dga/ixa jcjy
TIQÜJXCjy,
^) Dabei ist allerdings auffällig, dass in
Andromache, Aufnahme fanden.
') Alphabetische Ordnung gewahrt
in der Reihenfolge des Lanr. 32, 2: 'Ekä^ij^
'HXexjga, 'HgnxXi^^'f 'HQaxXstdat, lioy, 'IxBTidsCy
*I<fiy^ysia; darüber Wilamowitz, An&l. £unp.
136 ff., der die ähnlich mangelhafte Ordimiig
auf dem Stein des Piräus vergleicht.
•] Gellius XVII 4: Euripiäem quo^me
M. Varro ait, cum quinque et septuagitUa
tragoedias scripserit, in quinque solis tficisse,
cum eum saepe vineerent aliquot poetae
ignavissimi.
7) aoq)(6xaxov nennt den Euripides der
Vertreter der Jugend Pheidippidee in Ari>
stoph. Nub. 1370.
^) Heimgezahlt hat Euripides den Ko-
mikern ihren Spott durch die bitteren Verse
in der zweiten Melanippe fr. 495 :
(KvdQtJy d^ noXXoi rov yeXwros ovyexa
aaxovai /re^ira; x$gt6fiov^, iyti di jwt»^
fiiaaß yeXoiovgy oltiveg üo^y ns^
ax^Xiy^ e^ovai aiofiata xfX,
C. Drama. 2. Die Tragödie, d) Bnripidea. (§ 180.) 257
aach Euripides nach seinem Tod bei Aristoteles gerechte Anerkennung i)
und bei den Dichtern der neuen Komödie, wie Menander und Philemon,
geradezu abgöttische Bewunderung.*) Von den Griechen der späteren
Zeit ging dann die Bewunderung desselben auf die Römer über, so dass
Ennius, Pacnvius, Accius, Seneca sich hauptsächlich ihn zum Vorbild
nahmen. Auch bei den Philosophen, namentlich dem Stoiker Chrysippos
und dem Akademiker Erantor stand er in hohen Ehren, und auf die
Kunst hat er wie kein zweiter Dichter des Altertums befruchtend ein-
gewirkt*) Sein Ansehen erhielt sich im Mittelalter;*) auch in der
neaeren Zeit ward die Aufmerksamkeit der Gelehrten und Schöngeister,
die erst durch den römischen Tragiker Seneca die griechischen Meister
kennen lernten, zuerst auf Euripides gelenkt, so dass derselbe vor
Aischylos und Sophokles Eingang in die moderne Litteratur fand.^)
180. Chronologie der Dramen. Bestimmte, aus den Didaskalien
geschöpfte Angaben über die Zeit der Aufführung haben wir nur von
wenigen Tragödien unseres Dichters; nach ihnen wurden aufgeführt die
Peliades bei dem ersten Auftreten des Dichters im J. 455,^) Alke st is 7)
zusammen mit Kressai, Alkmeon aus Psophis und Telephos 438, Medea
mit Philoktetes, Diktys und Theristai 481, Hippolytos stephanephoros
428, Troades mit Alexandres, Palamedes und Sisyphos 415, Helena und
Andromeda 412,^) Orestes 408,^) Iphigenia in Aulis, Bakchen und
Alkmeon in Eorinth nach des Dichters Tod.^^) Im übrigen sind wir zur
Bestimmung der Abfassungszeit auf Kombinationen, hauptsächlich aus der
metrischen Form, den politischen Anspielungen und den Parodien bei
Aristophanes angewiesen. In erster Beziehung ist von Hauptgewicht die
Beobachtung Hermanns, ^i) dass Euripides in. seiner letzten Periode von
Ol. 90 an (um 418) den trochäischen Tetrameter neben dem iambischen
Trimeter in die Dialogpartien wieder einführte und in der Auflösung der
Langen, sowie im Gebrauch des vielgestaltigen (polyschematischen) Gly-
coneuB eine grössere Freiheit walten liess. Auch in der Wahl der Stoffe
zeigen sich bemerkenswerte Unterschiede in den verschiedenen Lebens-
altem des Dichters. Während er anfangs (etwa 45l> — 431) vorzugsweise
durch neue Stoffe (Bhesos, Alkestis, Alkmeon, Medea) Interesse zu ge-
*) Amt. Poet 13: o Evgmi&fjg ei xal
TS aiXtt fii] 6v oixoyofABif aXXa tgayixattatos
y% refr tioeiTroK (palrexM,
*) Fhilemon liess nach der Vita Eorip.
in einem Lustspiel einen Freund des Enr.
Bigen; ei xais aXrj^siatifiy ol ts&yfjxdtsg
täg$rjai9 iixoy , ay^Qsg (Jg (paaly uyss,
•'V^«/ti^ äy, £ct* idsiy EvQini&rjy. Qnintil.
X 1, 69: Ewripidem admiratus maxime est,
^ mepe testatur, et secutus .Menander.
") JuL. VooEL, Scenen euripideischer
^^^igSdien in griechischen Yasengemälden,
l«p«. 1886; HuDDUiSTON, Greek art in Eon-
Pidea, Bisa. Mfinchen 1898.
*) Ans Gentonen euripideischer Verse
M das mittelalterliche Drama XQiaxog näa-
V nsammengesetzt, was am ansführlich-
■^ Ton Brambs in der neuen Ausgabe des
Stuckes, Lips. 1884 nachgewiesen ist.
^) Viele Leser fanden insbesondere die
lateinischen Uebersetzungen der Hecnba und
der anlischen Iphigenia von Erasmüs ( 1506)
und die Excerpta tragicorum et comicarum
von Hugo Grotius (1626).
•) Nach der Vita; die folgenden Zeng-
nisse stehen in den Hypotheseis der betref*
fenden Stacke.
7) Es war die Alkestis das 17. Stack,
was sich wahrscheinlich auf eine chrono-
logische, schwerlich auf eine alphabetische
Anordnung der Stücke bezieht; vgL oben
S. 232 Anm. 8.
») Schol. ad. Aristoph.Thesm. 1021u. 1069.
») Schol. ad. Orest. 371.
lö) Schol. ad. Aristoph. Ran. 67.
^^) G. Hermann, Elem. doctr. metr. p. 88 f.
l
Baadbocfa der Man. AltertnmcwteeDscluift. Vn. 3. Aufl. 17
258
Qrieohisehe Litt^ratnrgMohiohte. I. KUuMisohe Periode.
winnen trachtete, versuchte er in der ersten Hälfte des peloponnesischen
Krieges sein Glück mit nationalen Tragödien, welche zu Anspielungen auf
die politischen Zeitverh<nisse Gelegenheit boten (Heraclidae, Andromache,
Hercules, Supplices, Ion), und kehrte er in der dritten Periode seines
Schaffens, als das Interesse am Krieg und an der Politik zu erkalten be-
gonnen hatte, wieder zu den alten Mythen zurück, aber in der Art, dass
er in der Behandlung derselben teils in Einzelheiten von seinen Vor-
gängern, nicht ohne polemische Seitenhiebe ^) abwich (Elektra, Phoe-
nissae, Orestes), teils eine ganz neue, in fremde Länder schweifende Ro-
mantik in dieselben brachte (Helena, Andromeda, Iphigenia Taurica).
Nach diesen und ähnlichen Gesichtspunkten^) haben die Gelehrten die
Chronologie der euripideischen Stücke zu fixieren gesucht;') aber die
gewonnenen Resultate sind doch nicht so sicher, dass ich dieselbe der
Ordnung der Dramen zu Grunde zu legen wagte. Auf der anderen Seite ist die
Zahl der erhaltenen Tragödien so gross und ihr Gehalt so verschieden,
dass ich mich begnügen werde, einige hervorragende Stücke herauszuheben
und die anderen in alphabetischer Ordnung summarisch aufzuzählen.
181. Die Mrjdsia wurde nach der Hypothesis 481 zusammen mit
Philoktetes, Diktys und dem Satyrspiel Theristai^) aufgeführt. Die Tra-
gödie ist benannt nach der Hauptheldin, der unheimlichen Zauberin aus
dem Kolcherland. Aus ihrem Mythus hatte Euripides schon zu seiner
ersten Tragödie, den Peliaden, den Stoff genommen. Aber während er dort
ebenso wie Sophokles in den "^Pt^oTo/ioi einfach der Sage folgen konnte,
musste er hier erst die alte Überlieferung umformen, um den Boden für
eine Tragödie zu gewinnen. Schon in der alten Sagengeschichte Eo-
rinths spielte der Medeamythus eine Rolle, insofern als Aetes, der Vater
der Medea, von Korinth aus nach Kolchis gewandert war (Schol. Pind. O.
XIII 74); sodann hatte bereits der korinthische Epiker Eumelos nach
Paus. II 3, 8 von der Herrschaft lasons in Korinth und seiner EIni-
zweiung mit Medea erzählt; dem hatte Kreophylos^) die Sage von der
Ermordung des Königs Kreon durch Gift und von der Flucht der Medea
zugefügt (Schol. ad Med. 278). Auch des unglücklichen Loses der Kinder
war schon in den alten Erzählungen gedacht worden. Aber erst bei den
Tragikern ermordet die Mutter ihre eigenen Kinder, um sich an dem treu-
') Seitenhiebe gegeo Aiech. in Phoen.
751, gegen Aisch. und Soph. £1. 530 u. 872,
Antig. fr. 165.
^) Ein wichtiges Anzeichen sind die
Wiederholungen, worüber Schboedeb, De
iteratis apud tragicos graec, 1882 in Diss.
phil. Argent. tom. VI.
') ZiRNDOBFKR, Do chrouologia fabularum
Eur., Marburg 1839; Fix, Chron. fab, Eur.,
vor der didotischen Ausg., und besonders
WiLAMowiTZ, Analecta Eur., p. 172 ff. Die
wahrscheinliche Folge ist: Alcestis 1(438),
Medea (431), Hippolytus (428), Hecuba,
Cyclops, Andromache, Heraclidae, Herc. für.,
Supplices, Troades (415), Iph. Taur., Ion,
Electra, Helena (412), Phoenissae, Orestes
(408), Bacchae u. Iph. Aul.
^) Euripides erhielt den 8. Preis: erster
war Euphonon, zweiter Sophokles. Der Phi-
loktet war ein bewundertes Stück, aber dessen
Anlage wir durch den Rhetor Dio Chiysoal
or. 52 u. 59 Aufschluss erhalten; vgl. § 178.
Dass auch der Diktys, der in die Perseus-
sage eingriff, viel gelesen wurde, zeigen die
zahlreichen Fragmente. Die Bi^urrai waren
nach der Didaskalie schon zur Zeit des
Grammatikers Aristophanes verloren.
') Schwerlich der alte Homeride, eher
der von Ath. 361c erwfthnte Verfasser von
'Fkpiaioi ^Qoi, s. Wilamowitz, Herrn. XV,
485 ff.; vgl. Max Grosobr, De Ai^nanü-
carum fabularum historia, Diss. Vratisl. 1889.
p. 22 ff.
C. Drama. 2. Die Tragödie, d) Boripidea.
181-182.)
259
losen Gemahl, welcher der reichen Königstochter zulieb die unglückliche
Gattin Verstössen hatte, in furchtbarer Weise zu rächen. Diese entsetz-
liche, von Eifersucht und Rachedurst eingegebene That, die mit den
Kindern zugleich die von den Geschenken der Nebenbuhlerin bethörte
jnnge Frau des lasen mit ins Verderben zog, hat Euripides zum Mittel-
punkt der Tragödie gemacht. Den Ausgang der erschütternden Hand-
hng, die Flucht der Medea, nahm er wieder aus dem alten Mythus; er
erfand nur die spezielle Richtung der Flucht nach Athen und Hess zur
Vorbereitung derselben schon in der Mitte des Stückes (663—758) den
König Aigeus auf dem Heimweg von Delphi mit Medea zusammen-
kommen. *) Damit verband er zugleich den Zweck, das ehrliche und
bandesfreundliche Verfahren der alten Athener gegen Eorinth heraus-
zustreichen (723—730) und in stillschweigenden Gegensatz zur Feind-
seligkeit der Eorinther beim Ausbruch des peloponnesischen Krieges zu
stellen. — Die uns erhaltene Medea ist die Umarbeitung einer älteren,
von der mehrere, ehemals als Parallelen an den Rand geschriebene Verse
in den Text unseres Stückes gekommen sind.^) Ausserdem hatten die
alten Grammatiker Kenntnis von der Medea eines sonst wenig bekannten
Tragikers Neophron, ^) aus der uns drei längere Fragmente erhalten sind,
nnd die Dikäarch und der Verfasser der dem Aristoteles zugeschriebenen
Hypomnemata für das Vorbild des euripideischen Stückes ausgaben.^)
Dass aber Euripides, der erfindungsreiche Kopf, einem obskuren Neophron
die herrliche Fabel abgestohlen habe, hat gar keine Wahrscheinlichkeit.
Anch hätte schwerlich Aristoteles in der Poetik so oft unserer Medea mit
besonderer Auszeichnung gedacht, wenn er sie für ein blosses Plagiat an-
gesehen hätte. Eher haben alte Gelehrte irrtümlich die erste Bearbeitung
der euripideischen Tragödie dem Neophron zugeschrieben, oder hat
Euripides selbst das erste Mal das Stück unter fremdem Namen auf die
Bahne gebracht.^)
182. Der ^InnoXvTog, speziell ^InnoXvtog axstpavqfpoQog genannt, hat
grosse Verwandtschaft mit der Medea und wurde bald nach ihr im Jahre
428 mit durchschlagendem Erfolg aufgeführt.^) Wie dort die grausige
fiachsucht eines gekränkten Weibes, so bildet hier die verzehrende Glut
^) ünentachieden ist es, ob der Tadel
dn Aiktoielee Poet. 25: oq^ di inuLfit^üig
xmi akoyiff xai (AOX^rjQiff. otav fxrj dvdyxijg
cf€tic fifj^iv xav^fV^^*^ ''^ aXoyif), dianeg Ev-
gnii^ r^ JiysT, auf unsere Stelle oder auf
die Tragödie Aigeus ging.
*) Der ersten Medea gehörten wohl auch
die Verse in Schol. Arist Ach. 119 und
fimioB Med. bei Gic. ep. ad fam. 7, 6 an. Die
Dittognphien unseres Textes sind Y. 723.
724. 729. 730 = 735—8; 798—810 = 819—
823; 1231 f. = 1233—5. Wilamowitz Herrn.
U, 488 S. will diese Dittographien auf den
Zvie^alt der Textesüberlieferung zurttck-
fikben.
•) Soidas u. Ne6<p^(oy; Diog. II 137.
*) Aigum«: rd dgäfta doxsl vnoßaXsa^ai
'«f« y^oifQoyog {navaiotpQoyof codd.) dta-
axeväaai, oiV JixalaQx^S ne^l tov xrjg 'EX"
Xddog ßiov xai 'AQMfOiiXtjg iy vnofiyijfiaaty,
B) Die Fragmente des sogenannten Neo-
phron haben ganz den Versbau der Dittogra-
phien des älteren Euripides. Vgl. 0. Ribbeck,
Leipz. Stud. 8, 386 ff. Wbcklein schlägt in
der Einleitung s'^iner Ausgabe einen Mittel-
weg ein und setzt die Medea des Neophron
zwischen die erste und zweite Bearbeitung
des Euripides. — Eine Scene der Medea &vi
einem Wandgemälde von Pompeji s. Ba.ü-
MBiSTBR n. 1948. Von anderen Medeavor-
stellungen haben wir Spuren auf Vasen, wor-
über Bbtbe, Proleg. z. Gesch. d. gr. Theat.
147 ff.
•) Argum. iMdx^ int 'Enafisiyoyog
a^;|rovro( oXvfAniädi nl^ btbi 6\ nQ(Oto( Ev-
Qimdi^gy devxe^og 'lo^ay, XQliog 1(oy,
17*
260 Griechisehe LitUratorgeftohioht«. L KlMsisöhe Pariode.
unreiner Liebe den Angelpunkt der Tragödie. Der Sto£F ist der attischen
Sage entnommen unter Anknüpfung an den lokalen Kult eines gleich-
namigen Halbgottes in Trözen.^) Der Mythus von der verbrecherischen
Liebe der Phaidra, der Gemahlin des Theseus, zu ihrem StieCBohn Hippo-
lytos und von dem tragischen Ende des von seinem Vater verfluchten
Sohnes hatte auch Sophokles angezogen*) und war von Euripides selbst
schon einmal vor 428 behandelt worden.^) Der Titel Phaidra, den
Sophokles seiner Tragödie gab und den mit Recht wieder aus Seneca der
grosse französische Tragiker Racine aufgriff, zeigt, dass derselbe den Stoff
am rechten Zipfel gefasst hatte. Denn dadurch, dass Phaidra, als sie,
dem Weibe Putiphars vergleichbar, ihre Liebe von dem keuschen jQng-
ling verschmäht sah, den unschuldigen Sohn bei dem Vater der Ver-
führung anklagt, wird sie die treibende Kraft der ganzen Handlung und
bQsst in echt tragischer Weise mit ihrem freiwilligen Tod die Schuld
unseliger Liebe und falscher Scham. Euripides hat sein Drama Hippo-
lytos getauft und in Einklang damit auf die edle Gtestalt des unschuldigen
Jünglings und dessen grauses Ende durch den Fluch des eigenen Vaters
die Hauptaufmerksamkeit der Zuschauer gelenkt. Damit wird aber, ent-
gegen einem Hauptgesetz der tragischen Kunst, ^) ein unschuldiger zum
Helden der Tragödie. Denn die Weise, mit der Euripides dem Hippolytos
eine Schuld beimisst, weil er nämlich den Kultus der Aphrodite vernach-
lässigt habe (87—105), genügt an und für sich nicht und zieht obendrein
die Menschen auf die Stufe willenloser Drahtpuppen in der Gewalt wider-
streitender Dämone herab. Aber auch sich selbst hat Euripides korrigiert
und gleichfalls nicht zum Besseren. In dem ersten Hippolytos, dem im
wesentlichen Seneca und Ovid, Heroid. 4, gefolgt zu sein scheinen,^) hatte
Phaidra selbst dem schönen Amazonensohn ihre Liebe bekannt und dieser
sich aus Scham über den sittenlosen Antrag der Stie&nutter das Haupt
verhüllt, wovon das Stück den Zunamen ^InnoXvzog xakvmoiuvoq erhielt.*)
Diese Schamlosigkeit der Phaidra hatte nach der Hypothesis unseres
Stückes bei dem Publikum Anstoss erregt, und der Dichter hat deshalb
in dem zweiten Hippolytos, der von dem Kranz, den Hippolytos der
jungfräulichen Göttin Artemis weiht (V. 73 ff.), den Beinamen (Tze^^ccvr^-^
(foQog oder aT6g>aviag erhielt, das Stück so umgearbeitet, dass Phaidra selbst
ihre von Aphrodite ihr eingegebene Liebe aus züchtiger Scham in sich zu
verschliessen sucht, und somit statt ihrer die Amme, halb gegen den Willen
der Herrin, das Geheimnis dem Jüngling verrät. Aber während so Phaidra
in diesem Punkt entschuldbarer und bemitleidenswerter erscheint, wird die
*) Nähere Nachweise bei Wkcklbdi in ' i^ evtvxlag fk dvctvxlay — ov ya^ fpoßeqo^
der Einleifcong seiner Anagabe und Wila- ovdk iXeeivov rovto, dXXd fiia^y &wt9^
KOWITZ Ansg. 23 ff. ovie jovs (AOX^tiQovg i| atvxins ^k svTvjfiaar,
*) Ob die Phaidra des Sophokles ftlter Dagegen Hipp. 1890: td S* cvyeyeg 9c rt^r
sei, daf&r haben wir keine Zeugnisse; Wila- fpgeytiiy iinwXe<f€y,
MOWiTZ, Herrn. 18, 239 u. Hippol. 57 nimmt *) Hillbr, De Soph. Phaedra et de £ur.
geradezu das Gegenteil an. Hipp, priore, in Liber miscell. philol. Bonn.
') Der erste Hippolytos wurde zugleich p. 34 ff.; Kixkmahh, De HippolytiB Eu^pidis
mit Aigeus und Theseus gegeben; s. Wila- quaest novae 1882.
MowiTZ, Herrn. 15, 483 und Ausgabe 42 ff. *) Der Kommentar dazu liegt in dem
^) Arist. Poet 13: d^Xoy ou ovre roi'^ Y. 243: x^^ffoy x^tpaXijy ' ai^avfi^&wi ^«f^ ^«^
inieix€tg äy&^tts ^61 fAeiaßaXXoyiag ipaiyfifSM UX^fieya (toi.
C. Drama. 2. Die Tragödie, d) Euripidea. (§ 183.)
261
schwarze That, mit der sie aus falscher Scham in dem zurückgelassenen
Briefe den unschuldigen Stiefsohn verleumdet und ins Verderben stürzt,
nm so unentschuldbarer. Wenn wir aber auch so in der Ökonomie der
Tragödie keinen Fortschritt des Euripides gegenüber Sophokles, und des
jfingeren Euripides gegenüber dem älteren anerkennen können, so begreifen
wir doch, dass das erhaltene Stück den ersten Preis erhielt und von den
alten Eunstrichtem zu den besten Werken des Dichters gerechnet wurde. ^)
Denn mit feinster psychologischer Kunst ist die verzehrende Glut der im
Liebesgram hinsiechenden Fürstin dargestellt, und tiefergreifend ist die
Schilderung von dem grausen Geschick des unglücklichen Jünglings, den
die durch ein Meerungeheuer scheu gewordenen Rosse durch die Felsen
schleifen. Gut wirkten gewiss auch bei den alten Athenern, die das Un-
glück des Krieges und der Pest zur Frömmigkeit und Einkehr in sich
zor&ckgef&hrt hatte, die Deklamationen gegen die Rechtsverdrehungen und
Prahlereien der Rhetoren und Tugendlehrer. ^) Selbst die Chorlieder
onseres Stückes, wie namentlich die auf die Allgewalt des Eros (525 — 42)
and die Sehnsucht nach fernen Ländern (732 — 75), erheben uns in die
höheren Regionen schwärmerischer Lyrik. Nachgebildet wurde die Tra-
gödie von Seneca und Racine;^) aus dem letzteren übersetzte Schiller
einige Partien.
188. Die 'Ig>iY€V€ia iv TavQoirg, so benannt im Gegensatz zu der
in Aulis, wird durch den Versbau (die trochäischen Tetrameter und die
häufigen Auflösungen) in die Zeit nach. Ol. 90 verwiesen.*) Der Dichter,
onermüdlich in der Aufspürung und Verwendung lokaler Sagen und reli-
giöser Gebräuche, ging auch in unserem Stück von attischen Tempelsagen
aas. An der Ostküste Attikas war der Kultus der Artemis-Hekate seit
alter Zeit heimisch.^) In Halai befand sich ein Tempel der Artemis Tauro-
polog;«) in Brauron zeigte man das Grab der Tempelwärterin IphigeniaO
und ward die Göttin selbst unter dem Zunamen 'I^iysveia verehrt;^) hier
anch wurden an dem Feste Bgav^via junge Mädchen der Göttin als
Bärinnen {aQx%oi) geweiht, was darauf hindeutet, dass hier wie anderwärts
der halborientalischen Göttin ehedem Menschen geopfert wurden.^) Nun
bekamen die Griechen Kunde, dass noch zu ihrer Zeit im taurischen Gher-
*) Aigmn. : xo da d^/aa x6Sy nqtSimv,
') Besonders V. 436 ff. (daza steht in
Gegensatz die nngeschminkte Wahrheitsliebe
des HippolytoB 984 ff.) 921 f. Manche der
Sprüche sind heatzatag noch gang und
gftbe, wie Y. 436 al MtsQui nvtg fp^oyrldes
*) W. ScHUMBL, Comparaison enire la
Ph^dre de Racine et celle d' Enripide,
Paris 1807; neuere Liiteratar bei Patin,
Enripide I 42 ff. nnd Wboklbin in seiner
Aug. S. 21.
*) iäner beetimmten didaskalischen An-
pbe entbehren wir. Der Verfolgung des
Onskee durch die Fnrien bis nach dem
TVmreriand wird weder in Electra noch in
Oictfces gedacht Qleichwohl führt der Um-
stand, dass die Helena einer schlechten Neu-
auflage der Iphigenia gleichsieht, auf die
nächste Zeit vor der Aufitthrung der Helena
oder vor 412.
ö) Paus. 123, 7; 33,1; lUlG, 7.
•) Strab. p. 399; Eur. Iph. Taur. 1457;
Hesychius: TavQonoha^ ä sig io^rijy ayovciv
7) Iph. T. 1464; Euphorien in Schol.
Arist Lvs. 645.
») Paus, n 85, 2; I 43, 1; VH 26, 3.
Vgl. WiLAXowiTz, Herm. 18, 256 ff.; Robbbt,
Archäologische Märchen 144 ff.
») Iph. T. 1458 ff, Arist Lys. 646 und
dazu die Scholien; Hui»ocr. unt dsHtetevHy.
Vgl. ScHöiTB in der Ausg. Einl. XVEI sqq.
262
QriechiBohe litteratiirgesohiohte. L Klaasiadte Periode.
sones von den Barbaren einer jungfräulichen Göttin, die sie ihrer Artemis
verglichen, Menschenopfer dargebracht wurden. Daraus wob Euripides
die Mythe, dass die in Aulis der Artemis dargebrachte, von der Göttin selbst
aber nach Tauri versetzte Königstochter Iphigenia^) später mit Hilfe
ihres in jenes Barbarenland verschlagenen Bruders Orestes das heilige
Götterbild nach Attika gebracht habe. Zu diesem Behufe dichtete er die
den Athenern geradezu heilig gewordene Darstellung des Aischylos teil-
weise um: ein Teil der Erinyen steht nach dem freisprechenden Urteil
der Pallas Athene von weiterer Verfolgung des Muttermörders ab, ein
anderer aber setzt dieselbe bis zur vollständigen Entsühnung des Orestes
fort. Um aber dem Zusammenhang der Iphigeniasage mit dem attischen
Kult der Artemis die göttliche Weihe zu geben, lässt der Dichter gegen
Schluss die Göttin Athene selbst auf der Göttermaschine erscheinen und
feierlich die religiöse Feier Attikas einsetzen. Der meisterhaft erfundene
Mythus ist mit nicht minderer Meisterschaft durchgeführt. Wahre Muster
anschaulicher, fesselnder Erzählung sind die beiden langen Botenreden von
der Gefangennahme des Orestes und Pylades (260 — 389) und von den
Wechselfilllen ihrer Entweichung (1327 — 1419); voll von Leben und Geist
sind die wiederholten Stichomythien, in deren Anwendung sich Euripides
in dieser Tragödie besonders gefällt; geradezu einzig gelungen sind die
beiden Wiedererkennungsscenen, von denen namentlich die erste, wo
Iphigenia dem Pylades den für den Bruder bestimmten Brief vorliest und
so unwillkürlich das Geheimnis ihrer Herkunft enthüllt (755—797), das
volle Lob des Aristoteles Poet. 14 fand. Selbst die Chorlieder erheben
sich über das gewöhnliche Niveau euripideischer Melik; namentlich in dem
2. Stasimon (1089 — 1152) ist mit rührender Zartheit die Sehnsucht der
ins Barbarenland verkauften Jungfrauen nach dem Boden und den Götteiv
festen der geliebten Heimat ausgedrückt. >) Für uns Deutsche hat die
Tragödie noch einen besonderen Wert, weil sie unseren Goethe zu einer
seiner schönsten Dichtungen angeregt hat. Derselbe hat bekanntlich an
der Lüge, mit der Iphigenia den König Thoas hintergeht, Anstoss ge-
nommen und deshalb eine andere, truglose Lösung des Konfliktes er-
dichtet, ausgehend von dem Satze: alle menschlichen Gebrechen sühnet
reine Menschlichkeit. Den Griechen, denen Barbaren gegenüber auch
List und Betrug erlaubt schien, lag jener Anstoss fern; umgekehrt wird
bei ihnen die erfinderische Klugheit, mit der Iphigenia den Argwohn des
Thoas einzuschläfern versteht (1153—1233), rauschenden Beifall geerntet
haben. 3) — Im Altertum selbst hat an die euripideische Form der Iphi-
*) Procl. arg. Cypr.: *'AqxBfAtq ^k avxiqv
i^aqndcaaa slg TavQovg fi€taxof4iCsi xal
d&dvaxov noiBi, Danach scheint schon der
Dichter der Eyprien die Iphigenie nach Tanii
yersetzt zu haben. Doch ist auf die Inhalts-
angabe des Proklos, wie wir oben sidien,
kein sicherer Yerbiss.
>) In der nädbsten Zeit nach Euripides
haben der Sophist Polyeidos (Arist. Poet 16
Q. 17) und der Tragiker Timesitheos (s. Sni-
das) den gleichen Stoff bearbeitet. Dass
unter den Römern Pacnvius in seinem Dalo-
restes die Handlung der Iph. Tanr. behandelt
habe, bezweifelt Ribbbck, Römische Tragödie
S. 239 ff. Auch die Kunst hat sich der dank-
baren Motive unserer Tragödie mit Vorliebe
bemächtigt, wovon zahlreiche Vasen, Wand-
gemälde, Sarkophage zeugen.
') Geistreidie Parallde von Ph. Matbb,
Die Iphigenien des Euripides, Racine und
Goethe, in dessen Studien, Gera 1874; O.
Jahn, Pop. Aufsätee 358 ff.
C. Drama. 2. Die Tragödie, d) Enripidea. (§ 184.)
263
genia&bel Sophokles in seinem Chryses angeknüpft, indem er Orestes mit
Iphigenia vom König Thoas verfolgt nach Sminthe in der troischen Land-
schaft za ihrem Halbbruder, dem Priester Chryses, gelangen liess.
184. Die 0oiviaaai, benannt nach dem aus Phönikierinnen zusammen-
gesetzten Chor, gehören gleichfalls der letzten Periode des Dichters an
und worden zusammen mit dem Oinomaos und Chrysippos aufgeführt.^)
Eoripides erhielt mit diesen Stücken den 2. Preis, aber die Grammatiker
erkannten die Phönissen als eine der vollendetsten Schöpfungen des Dichters
an,') und dieses mit Recht, wenn auch mehr einzelne Scenen als das Ganze
Lob verdienen. In sieben Dramen behandelte Euripides die altberühmten
Sagen desLabdakidenhauses: in den beiden 'AlxfAscoveg, im XQvamnog und
inden7xmdcg gewann er dem alten Mythus neue Dramenstoffe ab; in dem
Oedipns, der Antigene') und in unseren Phönissen suchte er durch Neu-
gestaltungen das Interesse des Publikums für den alten Stoff zu beleben.
Die Phönissen haben im allgemeinen denselben Inhalt, wie die Sieben des
Aischylos, aber wie Euripides im Oedipus die Mythen des Oedipus und
der Sphinx in eins zusammenzog, so hat er auch in den Phönissen nach
allen Seiten über den engen Rahmen des äschylischen Stückes hinaus-
gegriffen und damit dem neuen Drama eine ausserordentliche Mannig-
faltigkeit und Ausdehnung (von 1766 Versen) gegeben. Mehr aber noch
luit er in der Ökonomie des Dramas geneuert: in den Sieben bestand der
Chor aus thebanischen Jungfrauen, die angstvoll zu den Altären der
Gdtter flüchteten; Euripides setzte an ihre Stelle phönikische Mädchen,
die, vom König Agenor als Beuteteil nach Delphi geschickt, auf ihrem
Wege Theben berührten. Das war keine gute Neuerung, zumal der See-
weg, den sie kamen (Y. 210), nicht über Theben nach Delphi führte, hatte
aber für Euripides den Vorteil, dass nun die Chorlieder über Kadmos
(638—689) und die Sphinx (1019—1066), die er nach seiner Art einlegte,
wenn nicht zur Handlung, so doch zur Person des Chors einige Be-
ziehungen gewannen. Aischylos hatte femer in eintöniger und breit-
gesponnener Weise die zweimal sieben Führer nach einander aufmarschieren
lassen; das missfiel dem Euripides, und mit Recht ;^) er erreichte das
Gleiche wirkungsvoller teils durch die Teichoskopie, in welcher der Pä-
dagoge der Antigone ähnlich wie in der Ilias die Helena dem Phamos die
einzebien Helden zeigt (88 — 201), teils durch die effektvollen Schlachten-
berichte des Boten (1090—1199, 1217—1269). Bei Aischylos sodann
blieben lokaste und Oedipus ganz ausser dem Spiel; Euripides lässt sie
entgegen der Darstellung des Sophokles beide noch in Theben am Leben
sein und versteht es nun, ihre Anwesenheit zu ergreifenden Scenen zu
verwerten. Denn die ganze Tiefe der Mutterliebe thut sich in dem genial
erfimdenen Versuche der Aussöhnung der feindlichen Brüder auf (855 bis
637), und die Simmie des Jammers zeigt sich am Schluss, wo der blinde
*) Nacii dem Aigamentnm unter dem
aooBt nicht bekannten Archen Naosikrstes
HD 409. SchoL Arist Ran. 58 läast das Stttck
km Yor den FrOochen gegeben sein; vgl.
S^oL Ariat Av. 848.
*) Argom. und SchoL Aiist Ran. 53.
*) Auf die Antigone und ihren Ausgang,
die Yennfthlung des Haimon und der Anti-
gene, bezieht sich Phoen. 1637 und 1672 ff.
^) Phoen. 751: ovofia (T ixaatov d^a-
tgißij noXXij Xiyeiv ix^QHiP M avtotg r8ix9~
L
264
GrieohiBohe LitieratargeBehiehte. I. KlasBisohe Periode.
Greis durch die Weherufe der Antigene aus dem Haus gezogen (1539 ff.)
und von dem herzlosen Kreon aus dem Land gestossen wird (1589 ff.).
Ganz neu hinzugekommen ist der heldenmütige Opfertod des Menoikeus,
des Sohnes des Kreon, von dem nach der Weissagung des Teiresias Euri-
pides den Sieg abhängen lässt (834—1018).^) Versäumt hat es auch
Euripides nicht, Stellen zur Verherrlichung Athens einzulegen (852—857
und 1705—7), wenn auch dazu, wie namentlich an der ersten Stelle, die
Gelegenheit mit den Haaren herbeigezogen werden musste. Man wird
zugeben, dass der Dichter mit diesen Neuerungen und zugleich durch die
Kunst der sprachlichen Darstellung >) das Stück reicher, erschütternder
und zugleich unserem Geschmack entsprechender gestaltet hat. Wir be-
greifen, dass dasselbe den gelehrten Kenner des Euripides, Valckenaer,
zur gelehrten Bearbeitung (1754) und Hugo Grotius und Schiller zur Über-
setzung reizte. Freilich von einer gewissen Breite und zerstreuenden
Überfülle ist das Stück nicht frei zu sprechen ; *) besonders leidet der
Schluss unter dem Streben, alles Mögliche in denselben hereinzuziehen,
die Heirat des Haimon und der Antigene, die Bestattung des Polyneikes
durch Antigene, die Begleitung des verbannten Oedipus durch Antigene.^)
185. Die übrigen Dramen sind in alphabetischer Ordnung folgende:
^jiXxriaTig wurde 438 an vierter Stelle, also anstatt eines Satyrdramas
aufgeführt. Zu dieser Stellung stimmt die burleske, an Shakespeare er-
innernde Erzählung des Dieners von der üngeniertheit und Gefrässigkeit
des Herakles (747 ff.) und der glückliche Ausgang der Handlung, indem
Alkestis, die junge Gattin des Admet, die allein für ihren Mann zu sterben
bereit war, von Herakles den Armen des Thanatos wieder abgerungen
wird.ö) Von den Dramen des Euripides war die Alkestis nach der Didas-
kalie das 16. (oder 17.) Stück. ^) Bei der Einfachheit der Handlung hatte
in ihr der dritte Schauspieler noch eine sehr untergeordnete Bolle, so dass
sogar Alb. Müller den indes wenig glücklichen Versuch machte, den Dichter
mit zwei Schauspielern und einem Nebensänger auskommen zu lassen.^)
Das Drama gehört nicht zu den besten des Euripides; auch durch seine
Stellung am Schlüsse der Tetralogie werden nicht alle Schwächen des-
selben, weder der Mangel an Einheit noch die jämmerliche Zeichnung des
Admet entschuldigt. Aber wie wenig trotzdem es ein moderner Dichter
und selbst ein Wieland mit seinem Gegenstück Alceste dem antiken Tra-
^) Die Gestalt des freiwillig den lodern-
den Altar besteigenden Menoikeus findet'
sich auf Glaspasten, s. Oberbeok, Her. Gal.
S. 183. Vom Schlnss der Tragödie eine Dar-
stellung auf einem Becher des britischen
Museums bei RobxrTi 50. Winckehnanns-
Programm (1890) 59.
') Besonderes Lob verdienen die Monodie
der im Schmerze rasenden Antigene (1485 ff.)
und der Chorgesang auf den Eriegsgott Ares,
den Stifter des Elends (784 ff.).
') Manche Verse kamen aber durch
Interpolation hinein, worttber Zippebbr, De
Eur. Fhoen. veraibus suspectis et interpolatis,
Wirceb. 1875.
^) Man hat deshalb in der Ezodos starke
Interpolationen angenommen; Böokh, De
trag. gr. princ. c. 21, und ihm folgend Kiukbl
in seiner Ausg. haben den ganzen Schluss
von 1746 an verurteilt; aber damit wird die
andere Schwierigkeit, wie Antigene zugleich
den Vater nach Attika begleiten und den
Bruder in Theben beerdigen soll, nicht ge-
hoben, üeber die Bedenken gegen V. 1705 ff.
s.§174,
'^) Alfr. Schöne, üeber die Alkestis des
Euripides, Eiel 1895, Iftsst unser Stttck eine
Parodie der Alkestis des Phrynlchos sein.
•) Vgl. S. 257 Anm. 7.
^) A. Müller, Scenische Fragen zur Al-
kestis des Euripides, Progr. Hannover 1860.
Derselbe, Bfihnenalt. 178, An. 3.
C. Drama. 2. Die Tragödie, d) Enripidea. (§ 185.)
265
giker gleich thun konnte, hat mit jugendlichem Übermut Goethe in seiner
geistreichen Farce ,, Götter, Helden und Wieland *" dargethan.^)
^AvdQOfiäxTj ist ein politisches Intriguenstück, dessen Hauptpersonen,
Menelaos und Hermione, die Treulosigkeit und Ränkesucht der Spartaner
repräsentieren und damit uns in die erste Zeit des peloponnesischen Krieges
versetzen. Andromache, die dem Sohne des Achill als Beuteanteil zu-
gefallen war, hatte die Eifersucht der Hermione, der rechtmässigen Gattin
des Neoptolemos, erregt, weshalb diese in Verbindung mit Menelaos wäh-
rend der Abwesenheit des Gatten die Fremde zu ermorden beschliesst,
an der Ausführung des scheusslichen Planes schliesslich aber doch durch
die Zwischenkunft des alten Polens gehindert wird. Eingewoben ist die
Ennordung des Neoptolemos im Tempel zu Delphi durch die Leute des
Orestes, indem Euripides schon in diesem Stücke, einem seiner frühesten,
sich erlaubte, die sJte Sage zu seinen Zwecken umzugestalten.^) Schon
von den Alten wurde die Andromache zu den Dramen zweiten Ranges
gestellt; der Hauptfehler des Stückes besteht in dem Mangel an Einheit,
indem es in zwei ganz lose verbundene Teile auseinanderfällt. ^)
Die Bäxxoci wurden erst nach dem Tode des Dichters durch dessen
Sohn zur Auffährung gebracht.^) Sie behandeln einen echt dionysischen
StofT,^) die Feindseligkeit des Königs Pentheus gegen den Dionysoskultus
und dessen furchtbare Bestrafung durch den Gott, auf dessen Anstiften
der König durch seine eigene, in bacchantische Raserei versetzte Mutter
Agave in Stücke zerrissen wird. Die Tragödie ward von Accius ins La-
teinische übersetzt; die erschütternde Botenrede von der Raserei der
Agave ward sogar am parthischen Hofe aufgeführt.') Manche Mängel,
namentlich gegen Schluss, rühren wohl daher, dass der jüngere Euripides
vor der Auffährung noch manche Ergänzungen vornahm. 7)
^ExäßT] heisst nach der Hauptperson die von Ennius den Römern
nahegebrachte und auch in Byzanz neben den Phönissen mit Vorliebe ge-
lesene Tragödie. Dieselbe entbehrt zwar der Einheit der Handlung, in-
dem im ersten Teil der Tod der unglücklichen, den Manen des Achill
geopferten Königstochter Polyxena, in dem zweiten die furchtbare Rache,
welche Hekuba an dem Thrakerkönig Polymestor, .dem Verräter ihres
Sohnes Polydor, nimmt, den Mittelpunkt der Tragödie bildet ; sie war aber doch
wohlgeeignet, durch das ergreifende Pathos der unglücklichen Königin und
*) Geschrieben 1774 bei einer Flasche
gaten Burganders in einer Sitzong, auf-
genommen in Ges. Werke, Bd. 33; vgl.
STBiKBBBeEB, Goctbe nnd die Alkestisfrage,
Bayr. Gymn. Bl. XXV 24 ff.
') Die alte Sage, die von einer Betei-
ligmig des Orestes an der Ermordung des
Neoptolemos noch nichts weiss, steht bei
Pindar N. 7, 41; die euripideische Fassung
liegt dem Vasenbild Ann. d' Instit. 1868 Tay.
d'agg. £ za gründe.
•) Nach den Scholien zu V. 445 wurde
das Stflck nicht in Athen, sondern auswärts
aniQgelahrty imd zwar unter fremdem Namen
(Demokmtes, woffir Bergk Menekrates ver-
mutet). Die politischen Anspielungen, na-
mentlich V. 733, bestimmten Böckh, De
trag. gr. princ. 189 f., das Stttck in d. J. 418
zu setzen ; Zirndobfeb und Berok, Herrn. 18,
490 treten für Ol. 89, 2 = 423 ein; das zu
V. 445 angefahrte Scholion verlegt mit Recht
das Stflck in den Anfang des Krieges.
<) Schol. Arist. Ran. 67.
^) Derselbe war schon von Aischylos im
Pentheus und von Xenokles in den Btix^tti
behandelt worden.
«) Flui Grass. 33. Eine Partie aus dem
Schluss flbersetzte Gobthe, Ges. W. 46, 58 ff.
') BoBOXB, De trag. gr. princ. c. 24.
266 GrieohiBche LittaraturgeMhiolite. I. EUuMisolia Periode.
des geblendeten Verräters Polymestor einen grossen Erfolg auf den
Brettern zu erzielen.^) In der philologischen Litteratur spielt das Drama
eine Rolle durch die für Erkenntnis der Metrik der Tragiker epoche-
machenden Ausgaben von Person und Hermann.
^EXävrj ist neben Ion das Muster eines romantischen IntriguenstQckes
und wurde zugleich mit der verwandten Andromeda 412 aufgefßhrt.') In
der Fabel lehnte sich Euripides an Stesichoros' Helena an, ') erlaubte sich
aber eine ganz freie ümdichtung der Überlieferung.^) Helena, von der
Paris nur ein Schattenbild nach Troia entführt hatte, wird in Ägypten
von dem Eönigssohn Theoklymenos, der um die Hand der schönen Grie-
chin wirbt, bedrängt und sucht an dem Grabe des Proteus Schutz. Von
der Bedrängnis wird sie durch die Ankunft des Menelaos befreit, mit dem
sie gemeinsam Flucht und Täuschung des Barbarenkönigs plant und aus-
fahrt. Nur Menelaos und Helena sind alte Namen des Mythus, Theo-
klymenos und seine Schwester Theonoe sind von Euripides fingiert, so
dass von dem Stück die Bemerkung des Aristoteles Poet. 9 gilt, dass in
einigen Tragödien nur einige Namen altüberliefert, die andern neuerdichtet
sind. Das Drama, das in seinem Schluss ganz der taurischen Iphigenia
ähnelt, fand viele Leser im Altertum und hat daher viele Interpolationen
erfahren; Horaz Od. IH 3, 17 ff. scheint die Verse 878 ff. vor Augen gehabt
zu haben.
'HiexTQa zeigt uns am besten die Manier des Euripides, alte Stoffe
neu zu gestalten und die Erhabenheit der Heroenwelt in die Niedrigkeit
des Alltagslebens herabzuziehen: Elektra, des Königs Agamemnon Tochter,
ist an einen gemeinen Bauer verheiratet; Klytämestra, durch List auf
das Land gelockt, muss sich, bevor sie den Todesstreich empföngt, noch
ihr ganzes Sündenregister von ihrer Tochter vorhalten lassen (1004 bis
1131); aber einzig schön ist die Botenrede (774—858) von der Abschlach-
tung des Buhlen, wobei der Dichter mit raffinierter Erfindungsgabe den
Ägisthus selbst dem Orestes das Messer in die Hand geben lässt. Ver-
fasst ist das Drama 413 kurz vor der Helena, die Y. 1280 angekündigt
ist; auf diese Zeit führt auch der Hinweis auf die sikilische Expedition
und den Verrat des Alkibiades am Schlüsse der Tragödie.^)
'HQanXetdai, ein einfaches, mattes Drama ohne spannende Verwick-
lung, das nur durch die erhabene Scene von dem heldenmütigen Entschluss
der Makaria, sich dem freiwilligen Opfertod fiir der Brüder Rettung za
weihen, einigermassen gehoben wird. Die politischen Nebenabsichten
treten zwar nicht so grell wie in der Andromache hervor, sind aber un-
verkennbar. Der Dichter will vor allem Athen verherrlichen, dessen
») Die Parodien in den Wolken (1165 =
Hec. 172; 718 = Hec. 141) weisen auf die Zeit
vor Ol. 89, 1, etwa 425 hin, so dass die durch
das Pathos entfesselter Weiberleidenschaft
ausgezeichneten Tragödien Medea, Hippoljtus,
Hecuba auch zeitlich nahe aneinander liegen.
>) Nach Schol. Aiist. Thesm. 1012 und
1060. ZiELivsKi, Gliederung der altatt. Kom.
97 ff. findet in Arist. £q. 80 ff. eine Parodie , Elektra des Soph. s. § 170.
von Eur. Hei. 835 ff. und setzt demnaidi
Helena u. Elektra ins Jahr 425.
») Dazu vgl. Od. <f 227 u. Herod. H 112.
^) Aristoph. Thesm. 850 nennt sie xtu-
Pfjy 'EX^yrjy.
'^) Als erwiesen kann gelten die Parodie
in Arist. Ran. 1317 f., nicht die in Av. 414
oder Nuh. 423. üeber das Veriiiltnis zur
C. Drama. 2. Die Tragödie, d) Euripides. (§ 185.)
267
König Demophon den nach Attika geflüchteten Kindern des Herakles
Schütz bietet und um ihretwillen den Kampf nicht scheut: i) er will aber
zugleich den Undank von Argos und Sparta (Y. 742) brandmarken, welche
in der Gegenwart die den Herakliden ehedem erwiesenen Wohlthaten
mit feindlichem Einfall vergalten. Böckh, De trag, princ. 190, hat die
Tragödie auf 417 ansetzen wollen, als die Argiver nach dem Bruche des
Bündnisses mit den Läkedämoniem Frieden machten. Aber die Einfach-
heit der Handlung und Strenge des Rhythmus, sowie die Voraussagung
des Einfalls der Spartaner (Y. 1027) weisen auf die ersten Jahre des
peloponnesischen Krieges. >)
'Hgaxkrjg^) erinnert durch das erschütternde Pathos und den Mangel
der Einheit an die Hekabe. Der erste Teil endet glücklich, indem die
dem Herakles angetraute thebanische Königstochter Megara mit ihren
Kindern im Augenblick der Todesgefahr durch die unerwartete Bückkunft
des Herakles gerettet wird. Auch der Schrecken des zweiten Teiles, in
welchem der in Raserei versetzte Yater seine eigenen Kiuder mordet,
eihüt einen versöhnenden Abschluss durch die edle Freundesliebe des
Theseus und die religiöse Sühnung, welche der dankbare Freund seinem
onglückUchen Genossen auf attischem Boden in Aussicht stellt. Die Tra-
gödie enthalt Stellen grossartiger Tragik, aber daneben auch abschweifende
Deklamationen, wie 188—203, uhd alberne Reflexionen, wie 655—672. Der
Stoff ist nach der Andeutung des PausaniasIX 11, 2 aus Stesichoros oder Pan-
jasis (fr. 22) genommen. Für die Geschichte des attischen Bühnenwesens ist
Yon besonderer Wichtigkeit die Parodos des Stückes, da darin die Greise, aus
denen der Chor besteht, über den beschwerlichen Anstieg klagen, zum Zeichen,
dass auch der Chor, und nicht bloss die Schauspieler auf einer erhöhten Bühne,
ZQ der Stufen oder eine schiefe Bretterebene führten, seinen Standpunkt hatte.
Die politischen Anspielungen führen auf die Zeit nach der Schlacht von
Delion (424) ; der Hinweis auf das Alter, das den Dichter nicht hindere, dem
Musengesang zu huldigen (678), weist in die späteren Lebensjahre des Dich-
ters.^) Das griechische Original hat Seneca in seinem Hercules frei bearbeitet.
Die ^IxäTirSeg werden in der Hypothesis passend ein syxoifiiov Ud^rjvcSv
genannt; sie sind von dem gleichen Gefühl des Hasses gegen Theben wie
der Herakles beseelt und scheinen auch um dieselbe Zeit, nur etwas später,
421 oder 420, gedichtet zu sein.^) Das Drama griff die bereits von Aischylos
in den Eleusinioi behandelte (Plut. Thes. 29) und von Herodot IX 27 berührte
Sage auf, wonach Theseus die Bestattung der vor Theben gefallenen argivischen
^) Damit brOsten sich die Athener be*
KttB bei Herodot IX 27.
*) Die auB einer didaskalischen Angabe
genommene Stelle des Ammianns Marcellmus
IXym 4, 27 seigt, dass die Herakliden zu-
momen mit Kresphontes und Temenos auf-
gefBbtt wnrden; s. Wilamowitz, Herrn. 11,
3Ö2 u. 17, 337 ff.
') üisprOnglich einfach H^axX^s betitelt,
velebenlitel noch Seneca yorfand; der Zu-
■tz (iau^fA€voi, lat. Hercules furens stammt
ioi da Aldina.
*) WiLAMowiTz, Eur. Hei-akl. I* 344
u. 880 setzt demnach den Herakles in das
vorletzte Jahrzehnt des 5. Jahrhunderts, zwi-
schen die Hiketiden (421) und die Troades
(415). lieber das Verhältnis zu Soph. Trach.
8. § 172.
^) Anspielung auf das argivische Bünd-
nis in V. 1190 ff.; auf die Weigerung der
Thebaner nach der Schlacht von Delion die
Toten herauszugeben (Thuc. 4, 97 ff.) bezieht
sich die ganze Fabel der Tragödie; dieselbe
kannte Pindar 0. 6, 15. N. 9, 28 noch nicht.
i
268 OrieehiMhe LittarfttiirgMoliiohte. L KlftMisohe Periode.
Heerführer den hartherzigen Thebanem zum Trotz gewährte. Seinen Namen
hat dasselbe von dem Chor der Schutzflehenden oder den Müttern der Ge-
fallenen.^) Die rührenden, eng an die Handlung sich anschliessenden Ghor-
lieder und die effektvolle Scene der in den Scheiterhaufen ihres Gtomahls
Kapaneus sich stürzenden Euadne werden dem Werke bei der Aufführung
grossen Erfolg verschafft haben trotz der unpassenden Digressionen V.
840—917 und der leeren, an den Herakles V. 655 erinnernden Reflexionen
des Iphis V. 1080 ff.
^Iffiyäveia yj iv AvliSt geht dem Mythus nach der taurischen Iphi-
genia voraus, fällt aber der Abfassungszeit nach in die letzte Lebenszeit
des Dichters. Euripides hinterliess dieselbe unvollendet; davon zeugen die
unverkennbaren Spuren späterer Zusätze in unserem Text, namentlich am
Schlüsse und in der Parodos. Einzelne Verse stammen aus noch späterer
Zeit, aber diese können die Annahme einer vollständigen Überarbeitung
in römischer oder gar byzantinischer Zeit nicht beweisen. >) Den gleichen
Gegenstand hatte vor Euripides bereits Aischylos und Sophokles behan-
delt; zu gründe lag die Erzählung der Eyprien.
"/cov, eine verschlungene Tragödie mit glücklichem Ausgang, durch
spannende Disposition und zarte Empfindung ausgezeichnet. Die Fabel ist
von Euripides unter Verwertung alter Überlieferungen zur Verherrlichung
des reinen Geblütes des attischen Stammhauses erfunden. Das Drama spielt
in Delphi, wo wir den unschuldigen Knaben Ion, den einst Apoll mit
Kreusa, der Tochter des Erechtheus, gezeugt hatte, im Tempeldienst des
Gottes treffen, und wohin Ereusa und ihr Gemahl Xuthos gekommen waren,
um wegen ihrer Kinderlosigkeit das Orakel zu befragen. Die Enthüllung
der dunklen Abkunft des Ion und die Wiedererkennung von Mutter und
Sohn spielen sich auf so verschlungenen Wegen ab, dass ein zweimaliges
Eingreifen des Dens ex machina, am Schlüsse und im Anfang, nötig war.
Über die Abfassungszeit des Stückes fehlen zuverlässige Anzeichen; doch
ist dasselbe jedenfalls nach dem Erechtheus (421) gedichtet worden.') Eine
freie Nachbildung hat in unserer Zeit A. W. Schlegel gedichtet^)
KvxXfoip^ das einzige uns erhaltene Satyrdrama, das nicht geeignet
ist, uns von dieser Dichtungsgattung einen sehr hohen Begriff zu geben,
^) üeber die Zufiammensetzung des Chors
aus fünf Müttern und zehn Dienerinnen, s.
Aknoldt, Die chorische Technik des Eur. 72 ff.
*) A. Hennio, De Iph. Aul. forma ac
condicione, Berol. 1870, unterscheidet Inter-
beschriebenen Gem&lde der Tempelluille die-
selben seien, welche Athen infolge des See-
sieges bei Rhion (429) gelobt hatte (Paus.
XII 5 und Ion 1592); aber neuere Ausgra-
bungen haben gezeigt, dass jene Halle apftr
polationen aus drei verschiedenen Zeiten. Aus testens in der 1. Hälfte des 5. Jahrh. gebaut
einer andern, mit einem deus ex machina
schliessenden Ergänzung stammen die Verse
bei Aelian V. H. VH 39, deren Gewicht A.
SwoBODA, Beiträge zur Beurteilung des un-
echten Schlusses von Eurip. Iph. Aul., Progr.
Karlsbad 1893, dadurch erhöht, dass er sie
auf den alten Grammatiker Aristophanes von
Byzanz zurückfahrt. •— Alte DarsteUungen
von Scenen des Stückes auf einem Becher bei
RoBBBT, 50. Winckelmanns Progr. (1890) 51 ff.
worden ist; s. Eöhlbb Rh. M. 46, 1 ff. £i«^
BovBN, De lone fabula Euripidea, Bonn 1880
setzt das Stück 412 auf Grand der häufigen
Auflösungen im Trimeter und der Besng-
nahme auf die Grotte des Pan in Ärist Lys.
911, ähnlich Ebxatinobr, Die attische Antocii-
thonensage, Berlin 1897 S. 139, auf 416 bis
412. Auch die starke Neigung für Scshil-
dernng von Kunstwerken hat der Ion mit
der um 412 gedichteten Elektra gemein.
') BöCKH, De gr. trag, princ. 191 macht \ ^) Der Ion war auch eine Quelle fDr
die feine Kombination, dass die V. 190 ff. | Wielands Agathen.
C. Drama. 2. Die Tragödie, d) Ünripidea. (§ 185.)
269
das aber doch in neuer Bearbeitung auch heutzutage noch im Wiener Burg-
theater ausserordentlichen Beifall finden soll. Der Stoff ist der Erzählung
des neunten Gesangs der Odyssee vom Abenteuer des Odysseus bei dem
Unholden Kyklops entnommen. Neu hinzugekommen sind die Figur des
skurrilen Alten, des zottigen Silen, und der Chor der hüpfenden Satyren,
welche dem Stück den Charakter eines echten Satyrspieles gaben.
*OQ€atrjg, nach den Scholien zu V. 371 im Jahre 408 aufgeführt,
zeigt den Verfall der euripideischen Kunst. Die Fabel, die zur Zeit der
RQckkehr des Menelaos spielt und sich um die Rache dreht, welche der
zum Tode verurteilte Muttermörder Orestes mit Elektra und Pylades an
Menelaos und seinem Hause nehmen, ist ganz willkürlich vom Dichter zu-
sammengebraut. Alle Personen sind ins Gemeine herabgezogen: Menelaos
ist ein herzloser, feiger Egoist, Elektra ein ränkespinnendes Weib, Orestes
gleicht dem nächtlichen Raufbold und Dieb ^OQsaxtfi fia^rofisvog der
Komödie.^) Schon Aristoteles Poet. 15 verurteilt den Menelaos unseres
Dramas als naQaSeiyfAa novrjQiag ij&ovg fir- dvayxmttg, gleichwohl machte
dasselbe wegen seiner blendenden Scenerie und des musikalischen Bravour-
stückes V. 1369—1502 grossen Effekt.«)
Die Tqmadeg wurden nach der erhaltenen Didaskalie 415 zusammen
mit Alexandres, Palamedes und dem Satyrdrama Sisyphos aufgeführt und
mit dem 2. Preise bedacht. Die 3 Tragödien waren durch den zusammen-
hängenden Inhalt zu einer sogenannten Thementrilogie verbunden. Dem
erhaltenen Stück — und bei den beiden andern wird es nicht viel anders
gewesen sein — ist der Charakter der epischen Darstellung trotz der
Dramatisierung des Stoffes geblieben: es sind mehr einzelne, locker an-
emander gereihte Episoden aus der Einnahme der Stadt als Teile einer
einzigen, straff zusammengefassten Handlung. Die Person der Hekabe
bildet fast allein das Band, welches die verschiedenen Akte, die Unglücks-
botschaft des Talthybios, die Opferung der Polyxena, die Auslieferung der
Kasandra und der Andromache, die Tötung des kleinen Astyanax, die
Wegf&hrung der Hekabe selbst, einigermassen zusammenhält. Da hat
es der gleichzeitige Toreute Mys, auf dessen Iliupersis der berühmte Silber-
becfaer des Münchener Antiquariums zurückgeht, besser verstanden, aus
den gleichen Scenen eine höhere Einheit zu schaffen. Aber gleichwohl
müssen wir es unserem Euripides lassen, dass er seinen Athenern, die an
den regelrechten Tragödien der alten Schule genug hatten, mit diesem
neuen Versuch einer Tragödie in Bildern eine anziehende Ohren- und
Augenweide geboten hat.
*P^<rog ist nichts anderes als ein Iliadis carmen didudum in actus,
nachgebildet von dem römischen Tragiker Accius in der Nyctegersia. Die
Echtheit der Tragödie ward nach der Hypothesis schon in dem Altertum
angezweifelt,*) indem die alexandrinischen Eunstrichter in ihr mehr den
fiophokleiscben Charakter finden wollten. Das kann sich nun kaum auf
etwas anders als den Mangel an euripideischem Pathos beziehen; denn von
*) VgL \)Qicr^g fituyousyog in Arist.
AdL 1166 a. Av. 1487.
*) Argnm.: to dga/Aa ttiy ini axrjyijs
6vdoxif4ovynoy.
') Dazu ein Scholion zu Y. 41 : x^ /, or«
ov'x eany EvQiniöov 6 atlxos.
i
270
OriochlBohe LitteratnrgMohiolite. L KUMisohe Periode.
der eigentlichen Kunst des Sophokles lässt sich noch weniger etwas in
der Tragödie finden. Aber dieselbe weicht so sehr von der Art der Medea,
der Troades und aller erhaltenen Tragödien des Euripides ab, dass sie
entweder aus einer ganz anderen Kunstperiode unseres Dichters stammt
oder überhaupt fälschlich demselben zugeschrieben wurde. Für die Un-
echtheit sprachen sich Valckenaer, Diatribe in Eurip. p. 88 ff., und G. Her-
mann, Opusc. in 262 ff. aus; aber dass Ghorlieder von so kunstvollem und
reichem Versbau, wie die des Rhesos sind, in der Zeit der alexandrinischen
Pleias, an welche Hermann dachte, noch gedichtet worden seien, hat
durchaus keine Wahrscheinlichkeit. Wenig glaubwürdig ist auch die An-
sicht der alten Grammatiker Krates, Dionysodoros und Parmeniskos, denen
sich in unserer Zeit Vater in seiner Ausgabe (Berl. 1837) und Härtung,
Eurip. restit. I 38 angeschlossen haben, dass der Rhesos ein Jugendstück
des Euripides sei.^) In der That hatte Euripides nach den DidaskaÜen,
wie in der Hypothesis des Stückes bezeugt ist, einen Rhesos geschrieben,*)
der vielleicht mit der Gründung von Amphipolis am Strymon (um 453)
zusammenhing; aber in dem uns erhaltenen Drama weisen die häufige
Verteilung eines Verses auf mehrere Personen, der Gebrauch des Dens
ex machina am Schlüsse des Stückes und die Verwendung von 4 Schau-
spielern entschieden auf spätere Zeit hin.^) Lob verdient in dem Stück
der melodische Charakter der Gesänge, die leicht und gefallig, wie in
keiner anderen Tragödie des Altertums, an das Ohr klingen; hübsch ins-
besondere ist das Klagelied der Muse 895—903 und 906—914.
Ausser den 19 vollständigen Dramen sind noch zahlreiche Fragmente
des vielgelesenen und wegen seiner schönen Sentenzen vielcitierten Dichters
auf uns gekommen. Zahlreich sind namentlich die Bruchstücke der beliebten
Tragödien Antiope,*) Alkmeon, Andromeda,^) Bellerophontes,«) Stheneboia,
Erechtheus, Kresphontes, Melanippe (tJcto^t; xmdijdsafAWTig), Palamedes, Phi-
loktetes, Protesilaos,') Telephos. Die umfangreichsten haben wir vom Phae-
thon,«) die unseren Goethe zur Wiederherstellung der Umrisse der ganzen Fabel
^) Astronomische Irrtümer des Stückes
erklärte daraus Erates nach den SchoUen
zu V. 529 (vergl. zu V. 5, 499, 528, 541).
Sonderbarerweise haben die alexandrinischen
Grammatiker nicht zur Entscheidung der
Frage das athenische Staatsexemplar der drei
Tragiker eingesehen. — Wilamowitz, De
Rhesi Bcholiis, Greifsw. 1877, lässt den
Rhesos im 4. Jahrh., in der Zeit des zweiten
Seebundes gedichtet sein. Die ganze Ge-
schichte der Rhesosfrage diskutieit von Rolfe
in Haward class. stud. 1893 p. 61 ff.
*) Wenn nicht von zwei Tragödien
Rhesos, so doch von zwei oder vielmehr drei
Prologen eines Rhesos, dem erhaltenen in
Anapästen und zweien in iambischen Tri-
metem, haben wir durch das Argumentum
Kenntnis. Aehnlich haben wir in der Iphig.
Aul. Spuren von zwei Prologen, einem ana-
pästischen und einem iambischen; ebenso
gab es zwei Ausgänge derselben Iphigenia
und des Archelaos; s. Wblckbr, Gr. Trag.
700 f.
') WujkXowiTZ, Anal. Eur. 147 f. und
Eur. Herakl. 141 An. 81.
*) Davon grössere Fragmente gefunden
in Flmders Petrie papyri, herausgegeben Ton
M AH ÄFFT in Gunringham Memoirs n. 8,
Dublin 1891.
') Von der grossartigen Wirkung, welche
die Andromeda noch zu Neros Zeit machte,
erzählt uns Eunapios p. 54 D und Lukiaa,
Quomodo bist, conscr. 2; vgl. Aristaph.
Ran. 53.
^) Bellerophon aufgeführt vor 425, da
auf ihn angespielt in Aristoph. Acham.
426 ff.
^) Mayrk, Herm. 20, 101 ff.
s) BLASS, De Phaeth. Eur. fragm. Cla-
romontanis, Kiel 1885. Restitutionsversache
von Wilamowitz in Herm. 18, 896 ff.
C. Drama. 2. Die Tragödie, d) Boripides. (§ 186.)
271
reizten.^) Im Codex Palat. 287 findet sich am Schluss auch noch der An-
fang der Danae, der aber nicht von Euripides, sondern von irgend einem
Fälscher des Mittelalters oder der Renaissance herrührt.
186. Eunstcharakter des Euripides. Euripides fand bei seinem
Auftreten die Tragödie bereits vollständig ausgebildet vor. In ihrer äusseren
Form verdankt sie daher seinem Eingreifen keine wesentlichen Fortschritte.
Was hier von ihm neu eingeführt und weiter entwickelt wurde, der Pro-
log und der Dens ex machina war nicht wesentlich und sicher kein
Fortschritt. In fast allen Stücken orientiert uns Euripides im Eingang
darch den von einer handelnden Person oder einem Gott gesprochenen Prolog
über den Mythus und die auftretenden Personen. Diese Art von Vorrede,
die öfters auch schon den ganzen Gang der Tragödie vorausverkündet,
mosste die Spannung der Zuhörer schwächen, hatte aber ihren Grund und
ihre Entschuldigung in der selbständigen, aus dem trilogischen Zusammen-
hang losgelösten Stellung der Dramen und in der dem Euripides eigen-
tümlichen Freiheit der Umgestaltung des überlieferten Mythus, die eine
vorausgehende Aufklärung des Publikums fast zur Notwendigkeit machte.
Aber Euripides gebrauchte dieses Mittel in einförmiger, handwerksmässiger
Weise, so dass mit Recht dasselbe von Aristophanes verspottet und von
den Grammatikern getadelt wurde.*) — Ein Pendant zum Prolog bildete
der Deus ex machina, mit dem Euripides die Mehrzahl seiner Stücke
schliessen lässt,^) den er aber auch nicht selten mitten im Stücke zur An-
wendung bringt. Götter hatte schon Aischylos mittelst der Maschine er-
scheinen lassen, aber Euripides benützte dieses Mittel in bequemer und
einförmiger Weise, um den Knoten durch das Dazwischentreten der Gott-
hät ztt lösen, zum Teil auch, um den Blick der Zuhörer über die Grenzen
der Handlung hinaus zu leiten. Manchmal wird so ein Kultusbrauch, wie
in Iph. Taur. 1450 flf.. Med. 1381 fif., Rhes. 962 flf., oder eine politische Ein-
richtung, wie in Ion 1571 flf. u. Andrem. 1244, vorausverkündet und ge-
wiasennassen sanktioniert. In solchen Fällen wird der Deus ex machina
seine Wirkung geübt haben und namentlich bei seinem ersten Gebrauch
der gespannten Aufinerksamkeit sicher gewesen sein; aber meistens ver-
hüllte er nur schlecht die Eilfertigkeit des Dichters und die Mängel der
') Goethe, Ges. Werke 46, 33 flf. — Die
icntrenten Fragmente zu sammeln nnd zor
Rekoostraktion der Dramen za verwerten,
bildete überbanpi eine die Gelehrtenwelt viel
beschiftigende Aufgabe. Hanptleistnngen von
VALCKtsAKB, Diatribe in Euripidis perditorum
ÄMMtom relL LB. 1767; Härtung, Emi-
Nes restitutns, Hamb. 1843; Wclcker,
Griech. Trag, 2. Bd.; Wbcklein, Drei ver-
lo*«Be Tragödien des Euripides (Antiope,
Anügose, Telephos), Stzb. d. b. Ak. 1878;
Ueber den Eresphontes des Eur. 1880 in der
P^stseltrift ftlr Ürliclis; Ueber fragmentarisch
«laiteDe Tn&gOdien des Eur. (Andromeda,
Beilerophon etc.), Stzb. d. b. Ak. 1888. Neue
Broehstflcke ans den Temeniden (nach Weck-
^ ans Diktjs) aus Pariser Papyri publiziert
von Weil, Nouveaux fragments d* Eur., Par.
1879; BLASS Rh. M. 35, 74 ff.; Wecklbin
Philol. 39, 406 ff.
2) Arist. Ean.^ 946 u. 1198 ff. Vgl. Vit.
Eur.: xal iy rotg ngoXoyoig de o/Aiypof.
üebrigens haben namentlich die Prologe viele
Interpolationen erfahren, worüber E^inken-
BEBO, De Euripideorum prologorum arte et
interpolatione, Bonn 1881.
«) WiLAMowiTZ, An^. Eur. 180. Ueber
die Einrichtung der Schwebemaschine für den
Deus ex machina s. Reisch in Dörpfbld-
Rbisoh, Das griech. Theater 230 ff.; über die
Einführung derselben in den 20er Jahren des
5. Jahrb. s. Christ, Jahrb. f. Phü. 1894
8. 151 ff.; Betbb, Proleg. z. Gesch. d. Theat.
1896 S. 180 ff.
L
272
Grieohisohe LitteratnrgeBohiohto. L XlaMiBohe Periode.
Anlage, weshalb mit gutem Takt Seneca denselben in der Nachahmung
der Medea und des Hippolytus wieder weggelassen hat.
Wesentlicher und bedeutsamer ist was Euripides in der tragischen
Kunst innerhalb ihrer alten Formen geneuert und teils gebessert, teils ver-
schlechtert hat. Beginnen wir mit dem Stoff, so war es natürlich, dass
das athenische Publikum die wiederholte Vorführung von Personen der
alten berühmten Sagenkreise mit der Zeit satt bekam. Euripides trug
dem Rechnung, und da er den von Aischylos angezeigten Weg des histo-
rischen Dramas verschmähte und politische Stoffe bereits durch die Ko-
miker vorweg genommen fand, so suchte er mit erfinderischem Sinne teils
neue und entlegene Lokalsagen auf,^) teils gestaltete er, namentlich in
seinem späteren Leben, alte Mythen um, teils endlich flocht er, in dieser
Beziehung nahe an die neue Komödie streifend, aus kleinen Anhaltspunkten
ganz neue romanhafte Erzählungen zusammen. Man muss ihm die An-
erkennung lassen, dass er auf diese Weise neue tragische Figuren, wie
die Medea und Iphigenia, für die Ewigkeit geschaffen und der neuen Gat-
tung selbsterfundener Dramen in seiner Helena und Andromeda die Wege
gebahnt hat. — Aber der Stoff an und für sich bedeutet noch wenig; er
erhält erst Bedeutung durch den dramatischen Funken, der ihm entlockt
wird: auf die Leidenschaften (Tra^ry), die auch die Zuschauer mit fort-
reissen, verstand sich Euripides wie kein zweiter. Ps. Longin rühmt ihm
nach, dass er die Liebe und Raserei auf die Bühne gebracht habe;') als
echter Kenner der menschlichen Natur hat er die dämonische Gewalt dieser
Leidenschaften zumeist in Frauen, wie in der Medea und Hekabe, zum
Ausdruck gebracht. Indes auch die zarten Saiten des Herzens weiss er
anzuschlagen, und von Thränen der Rührung wird der Leser in mehr wie
einem Stücke übermannt. Diese letztere Wirkung erzielte er hauptsach-
lich durch einen weiteren Vorzug seiner Kunst, durch die Geschicklichkeit
in den Wiedererkennungsscenen. In ergreifender Weise hat er dieselben
in mehreren Stücken mit dem Höhepunkt der Peripetie in Verbindung
gebracht. Ausser dem Ion und der Iphigenia Taur. war in dieser Beziehung
besonders berühmt der Kresphontes, in welchem Drama Merope in fal-
schem Wahne bereits das Beil über dem schlafend daliegenden Jüngling
schwang, als der Alte in ihm den Sohn der Merope erkannte und die
Mutter von der unseligen That zurückzog. Durch die bezeichneten Vor-
züge ist Euripides der tragischste (TQaYixoiraTog) Dichter*) und der voll-
endetste Meister der verschlungenen Tragödie (Tgay. nsnlByiiärrj) geworden.
Daneben war es die Kunst anschaulicher Schilderung, auf die sich Euri-
^) Das ist wohl der Nebengedanke von
Aristoph. Ach. 398: 6 vovg fxky (sc. EvQinldov)
l|ö> ^vXXeyioy invXXi«.
*) Ps. Longin de sabl. 15: ean f^kv ovy
ipiXoTioytüTttios 6 EvQiTilSrjg dvo ravtl nddi],
fjittvlag t€ xal e^aiiaSj ixTQuytad^aai xdy
jovTois wV ovx oi(f' et Ttff it€Qog inirvxcaia-
tog. Vgl. Schol. Soph. Oed. R. 264: raTg
XiytjTixatg iyyoiatg TtXeoydCei EvQiTtidrjg.
') Diesen Ehrennamen gibt ihm Arist.
Poet. 13; vgl. Quintilian X 1, 67: Euripides
in iis quae in miaeratione constant faeüe
praecipuus, Aehnlich urteilt Frettao, Technik
des Dramas 239: Keiner seiner grossen Yoir-
gfinger versteht wie er die epischen Bilder
mit flammender, markzerfressender Leiden-
schaft zn füllen; keiner hat so viele wahre,
schön empfundene, individuelle Zflge in sie
hineingetragen, keiner so reiches Detaü, in
welchem die Zuschauer das gebildete Em-
pfinden ihrer Tage wiederfanden.
G. Drama. 2. Die Tragödie, d) Enripides. (§ 187.)
273
pidee ganz besonders verstand und in der er mit den grossen Künstlern
seines Jahrhunderts, Polygnot und Phidias glücklich wetteiferte. Schil-
derungen wie von dem entsetzlichen Tod des geschleiften Hippolytos wer-
den nie ihre ergreifende Wirkung verfehlen, aber auch anmutige Beschrei-
bungen, wie von den Metopen des Apollotempels in Delphi (Ion 184 ff.)
werden dem kunstsinnigen Pubhkum Athens angenehme Erinnerungen an
das, was sie in Delphi und in ihrer eigenen Stadt sahen, hervorgerufen
haben. ^) — Aber den Vorzügen stehen auch grosse Schattenseiten gegen-
über. Euripides entnahm zwar die Stoffe der Heroenzeit, aber er ent-
kleidete die Heroen ihrer erhabenen Grösse und legte ihnen Gedanken
und Handlungen der gemeinen Gegenwart unter.*) Die Vertreter der
grossen alten Zeit, wie Aristophanes, entrüsteten sich über den Telephos
in Lumpen und über den Dichter von Prozessreden,*) und auch wir wenden
uns mit Unmut von dem Bauemweib Elektra und dem Banditen Orestes
ab. Der ganze Versuch, die Politik in die Tragödie zu ziehen, war eine
Geschmacksverirrung, und auch die philosophischen Sprüche und rhetori-
schen Deklamationen passen nicht in den Mund der Heroen oder gar
Heroinnen, am wenigsten die Sophismen nach Art von tj yhaaa* ofjicifiox',
f Sk y^jjV aviOfivTog (Hipp. 612), oder t£ d' aiaxQov, ijv firj voiai XQOifAsvoiq
iox^ (fr. 19). Es hing aber diese Degradation der Tragödie mit dem
Sbreben des Euripides zusammen, sich nicht einzig dem Dienste der Musen
zu weihen, sondern durch die Muse auch für seine politischen und philo-
sophischen Ideen Propaganda zu machen. Vergessen aber wollen wir über
dem Tadel nicht, dass wir dieser spekulativen Richtung des Dichters auch
die vielen herrlichen Sentenzen {yvMfiai) verdanken, die wir noch heutzutag
60 gern in den Mund nehmen.
187. Die sprachliche Kunst des Euripides zwang selbst seinem
bitteren Feinde Aristophanes unumwundene Anerkennung ab.^) Indem
Euripides den Schwulst des Aischylos wegwarf und die Sprache des Lebens
durch hübsche Verbindungen veredelte,*^) schuf er eine mittlere Diktion,
die allen leicht verständlich war und sich doch über die Plattheiten des
Marktes erhob. ^) Zur Geltung kam selbstverständlich dieser Charakter
der euripideischen Sprache zumeist in den Dialogpartien, in den pointierten
Stichomythien und in den sorgfältig nach den Regeln der Symmetrie aus-
') In aolchen BescliTeibmigeii von Ennst-
verkoi, die bei Sophokles ganz fehlen und
bei AiacfayloB nur spftrlich vorkommen, ge-
fiel er ffl'ch besonders zur Zeit, als er den
Iwi(V. 190-218; 268-71; 1141—66; 1418
bis 24), die Elektra (V. 455—78; 1254—7),
Pbömasen (V. 1107—38) dichtete. ^
*) Axist. Poet. 25 : ZoqtoxX^q eg>ij avrog
fäy eSbvg dei nouiy, EvQinidijp Si oloi, eialv,
') Aristoph. Ach. 432: TrjXifpov ^axw^ata,
Ban. 850 eJ nttoxonoU xai ^axtoavQQanrdSij,
Psc 534 noitjtijy ^fiaxiotv SixttyixtSyf Ban.
M jfolox ifidovg ajtafAvXfÄtcrcDv äno ßtßXlaty
i^rfimv. Vgl. WoLD. Ribbeck, Die dramati-
^en Parodien bei den attischen Komikern,
im Anhang seiner Ausgabe der Achamer
S. 277-316.
*) Aristoph. fr. 397 D.: /^wf««« y«V f^vxov
xov ct6/4ttros r(o avQoyyvXt^f rov^ yovg &*
ayoQaiovg rjxxoy 17 xBiyoq noitu. Vgl. Schol.
Plat. VI p. 227 Herm.: 'A^iaxotpäytjg äxo)-
/4ti}SeTxo inl x(ü axttinxeiy f^ky EvQinidrjy,
fjtifxsTa&ai «f* ttvxoy.
*) Arist. Rhet. III 2: xXinxBxai cf eJ,
iäy xvq ix x^g eitJ&viag diaX^xxov ixXäyaty
avyxt&j, onsQ EvQirnidrjs noiet xal vnidsi^e
TtQwxog,
*) Dion. Hai., Vet. Script, cens. II 11;
Biog. IV 26; Alexander Aetolus bei Gellius
XV 20.
Budbueh d«r Ums. Altertumewissenachafl. VII. 8. Aufl.
18
l
274
Orieohisohe LitteratnrgMohiohte. I. Klaasisohe Periode.
gearbeiteten Monologen und Botenreden {^^(feig).^) In ihnen zeigte sich
zumeist die rhetorische Stärke des Dichters, welche seine Dramen auch
hauptsächlich zum Studium für angehende Redner empfahl.') Weit stehen
den Dialogpartien die Mele, namentlich die Chorlieder nach, die fast wie
ein unbequemes Vermächtnis aus älterer Zeit erscheinen. In den Vorder-
grund treten die Monodien und Wechselgesänge, was in der ganzen Rich-
tung der Musik, welche sich von der Pflege des Chorgesangs den Eraftr
proben der Solosänger in den Arien und Monodien zuwandte, seinen Grund
hatte. Das Band zwischen den Chorliedem und der Handlung wird zu-
nehmend lockerer; selbst in einer so vorzüglichen Tragödie, wie die Phö-
nissen, gleichen die meisten Chorgesänge eingelegten Musikstücken (ifAßo-
^M'^)j^) welche das umkleiden der Schauspieler erleichterten, im übrigen
aber, unbeschadet des Fortgangs der Handlung, ebensogut wegbleiben
konnten. Ausserdem löst sich bei Euripides die Strenge der metrischen
Form und die Gesetzmässigkeit des Rhythmus. Im Trimeter häufen sich
namentlich seit Ol. 90 die Auflösungen der Längen und die Verteilung
eines Verses unter mehrere Personen. In den lyrischen Partien überwiegen
in den Tragödien der letzten Periode bis zum Überdruss die frei gebauten
Glykoneen.*) In den Melodien glaubten die Theaterbesucher die Weisen
gemeiner Eneip- und Hurenlieder wiederzuhören. ^) Ein guter Teil der
gerügten Fehler scheint indes nicht dem Euripides zur Last zu fallen,
sondern dem Eephisophon und Timokrates, deren Beihilfe er sich in den
lyrischen Partien bediente.«) — Auch an der obersten Anforderung des
Stils, an der Gruppierung zu einem Ganzen, lässt es Euripides in den ge-
ringeren Stücken vielfach fehlen. Das Streben nach Reichtum und Mannig-
faltigkeit des Inhaltes, das dem Dichter wohl halb durch das Publikum
aufgenötigt war, that der strengen Durchführung einer Idee und einer
Handlung Eintrag; wollte eine Handlung nicht ausreichen, dann thaten es
zwei, wie in Hekabe und Herakles, oder es löste sich das Drama in eine
Reihe von Bildern, wie in den Troades, auf. Im übrigen dürfen wir bei
der Beurteilung des Euripides nicht vergessen, dass wir durch das blosse
Lesen seiner Tragödien nur eine mangelhafte Vorstellung von ihrer Wir-
kung im Dionysostheater bekommen. Denn Euripides lebte und schrieb
für die Bühne: ini axrjvrjg svdoxifieT^ oXog tov ^eargov iax(v urteilten die
^) HiRZBL, De Euripidis in componen-
dis diverbiis arte, Lips. 1862. Zu weit geht
in der Annahme des symmetrischen Banes
Oeri, mit dem ich über diesen Punkt dis-
putierte in Verhdl. d. Phil.Vers. in Wiesbaden
1877, S. 142—161. Vgl. unten S.276 Anm.4.
') Quint. X 1, 68: illud quidem nemo
non fateatur necesse est iiSj qui se ad agen-
dum comparantf utUiorem lange fore Euri-
pidem, namque is et aermone . . . nKigis
accedit oratorio generi et sententiis densus
etc. Ver^l. Dio Chrys or. XVIII p. 47:
TioXirixw av^Qi ndvv (aq>EXifjLog ' %xi di rj9rj
Kai nd&fj öeivog nXt^Qtocttt xai yvtofxag ngog
anavxa w(pBXlfiovg xarafiiyyvai xoTg noiij-
fAttCiV,
>) Tadel bei Arist. Poet. 18 nnd SchoL
Eur. Phoen. 1018. Besonders ansttesig ist
Hei. 1301 ff.
*) Das ist das dtodexafiijxayoy bei Axi-
stoph. Ran. 1327, wozu noch das Anhalten
einer Silbe durch mehrere Zeiten, das £unos&
slstsietXLaffBts (Aristoph. Ran. 1314) kommt^
^) Aristoph. Ran. 1301: ovroc cT airo
näyTfoy (xhy tpigei nogytditoy, ffxoXlaty MeXfjrotß^
KttQixtiSy avXtjfddrwy, ^gi^yoty, ;|ro^6iwy.
®) Vit. Eur.: t« fieXij avr«^ ^«ra» Kfjq>t^
aotpaSyra noieTy rj TifAoxgdtfjy *AgyBloy. Diin^
kel bleibt die Entlehnung der due^etn^ fieXm^
der Medea aus der granunatischen TragOdi^
des Eallias, die Aih. p. 453 e bezeugt
C. Drama. 2. Die Tragödie, d) Enripides. (§ 187.) 275
Alten von ihm, halb lobend und halb tadelnd. Für den Effekt auf der
BSliDe waren die Botenreden mit ihrer unübertroffenen Anschaulichkeit,
die Abschieds- und Erkennungsscenen mit ihrem ergreifenden Ethos, das
erschütternde Pathos des rasenden Herakles und des geblendeten Poly-
mestor, die Schlagwörter und geistreichen Sentenzen, kurz das Schönste
nod Beste in der Kunst des Euripides berechnet.^)
Codices: Die Dramen des Enr. sind in zwei Abteilnngen auf uns gekommen; die
erste, neun Stücke (Ale. Andrem. Hec. Hipp. Med. Orest. Rhes. Troad. Phoen. und wahrschein-
lich noch Bacch.) umfassende liegt uns in Handschriften des 12. Jahrhunderts vor, Yatic.
909, Marc. 471, Paris 2712, femer in Marc. 468, Paris 2713, Havn. 417; die zweite, sämt-
lidie 19 Stficke umfassende Sammlung findet sich nur in jungen Handschriften, nftmlich in
Laor. 32, 2, femer in Palat. 287 u. Laurent, ahh. Flor. 172, welche beide zusammengehören
und oisprOnglich eine Handschrift bildeten. Ein jetzt in Berlin befindlicher Papyrus aus
Fajjam, der Bippol. 242— 515 enthält, ist bekannt gemacht von Eibchhoff, Monatsber. der
Bei. Ak. 1881 S. 982 ff., ein anderer, der Rhes. 48—96 enthält, von Wilokbn, ebenda 1887,
8U und Wilamowitz, Eur. Herakl. I 214. — Ausgaben mit kritischem Apparat, in denen
dts bezeichnete Verhältnis festgestellt ist, von Eircbhoff (grössere Ausg. v. 1855), Pkinz
(Iris jetzt Med. Ale. Hec., vollständig von Wbokl^in zu erwarten). Barthold (bis jetzt
Hipp. Med.).
Melodie zur Parodos des Orest gibt in Wortumschreibung Dionys. Halic, De comp,
verb. 11; Reste von Melodien aus ägypt. Papyri von Wessbly, Mitteil, aus der Samml. der
Papyrus des Erzherzogs Rainer V 65 ff., wozu Crusius Philol. 52, 174 ff.
Sckolien haben wir nur zu den neun Tragödien der ersten Sammlung, die reich-
hltigBten zu Hec. Phoen. Orest. Die vnode'aeis gehen auf Aristophanes und Dikäarch
Birflek. In den Scholien sind uns Reste der kritischen Studien des Aristarch, Eallistratos,
Entes, Didymos erhalten, üeber die letzte Quelle der Scholien unterrichtet diie Subscriptio
n Orest: nagaysy^anrai, ix rov JiovvüLov vnofjivrj^atoq oXocxsQcig xal xaSy fAMxdvy und
ZB Med.: n^og diatpoga ayrlygagja JiovvgIov oXoax^Q^i xtel xiva xtav Jtdvfzov; s. Bart-
Boio, De scholiorum in Eur. veterum fontibus, Bonn 1864. Im Mittelalter kamen zu den
drei gelesensien Stöcken Hec. Or. Phoen. die breitgetretenen Scholien des Thomas Magister,
Moadboraloe und Triklinios hinzu. Die alten Scholien des Vat. B sind herausgegeben von
CoBST itinter den Phoenissen von Geel LB. 1846. Gesamtausgabe der Scholien von Gu.
DiVDoiF, Oz. 1863, 4 Bde, neue sorgfältigere Ausg. von Ed. Schwartz, Berol. 1887, un-
ToUendei
Ausgaben: dieselben wurden erst nach und nach vervollständigt; zuerst bloss vier
St&cke in ed. princ. Flor. 1496, besorgt von Laskaris; weitere in der Aldina 1503, besorgt
wn dem Kreter Musuros; die Elektra kam zuletzt hinzu durch Victorius 1545. — Ge-
«aintausgabe mit Scholien und Kommentar von Barnes, Gant. 1694; von Musgrave, Oz.
1778. — Epochemachend Valckenabr's Ausgabe der Phoenissae 1755, Hippolvtus 1758,
Diatribe in Enr. perd. dram. rell. 1767. — Einschneidende Kritik geübt von den Engländern
'Masklavd (Suppl. Iph. Aul. et Taur. 1771), Porson (Hec. Orest. Phoen. Med. 1797), Elmsley
(Ueä. 1818, ed. II I^ps. 1822), Monk (Hipp. Ale. mit guten Noten), neuerdings Badbam (Iph.
Tanr. Hei. 1851). -— Gesamtausgabe von Matthiae, Lips. 1813 — 1836, 10 vol.; fruchtbarer
die Separataoi^aben der meisten Stttcke von G. Hermann; für Kritik bahnbrechend durch
deo ersten kritischen Gesamtapparat die grosse Ausgabe von Kirchboff, Berol. 1855,
2 Bde, dazu edL minor 1867. — Teztausgabe von Naück in Bibl. Teubn.; Ausgabe mit
I^tteimBchen Noten in Bibl. Goth. (11 Stücke) von Pfluok und Klotz, neubesorgt von
WiCKigiK. — Spezialausgabe mit erklärenden Anm. von Weck lein (Bacch. Hipp. Iph. Taur.
MedL), Yon Wini. (GQpp. Hec. Iph. Taur. et Aul.); Phoen. von Geel LB. 1846, von Kinkel,
I*ipz. 1871 ; Iph. Taur. von Scböne-Köcbly 3. Aufl. Berl. 1872; Hippel, von Bartbold, Berl.
18S), von Badhaii 2. Aufl. London 1867, von Herwbrdek, Utr. 1875; Iphig. Aul. von Vitelli,
Ret. 1878; Herakles von Wilamowitz, 2 Bde. Berl. 1889, 2. Ausg. 1895, Hauptwerk mit
BBifassender, die ganze Litteraturgeschichte berührender Einleitung; von demselben Hip-
folytos grieck-deutsch, Beri. 1891.
Erlänterungsschriften: R. Arnoldt, Die chorische Technik des Eur., Halle 1878.
— H. BucHBOLTZ, Die Tanzkunst des Eur., Leipzig 1871. — Ein Glossar im 9. Bde der
^) unter den Schauspielern des Euripides
'^ durch die Witze der Komiker (Arist. Ran.
^. Sfaraitis fr. 1) Hegelochos berüchtigt
Scvorden, der den Vers des Orestes 279
ix xvfittXfov ynQ av&tg av ynXijv^ ogdS so
aussprach, dass man yaXrjv (Wiesel) statt
yaXrjvä (Windesstille) verstand.
18*
i
276 Orieohiaohe litteraturgMohiohte. I. KlAMUohe Periode.
Glasgower AuBg. 1821. - J. Yoobl, Sceneo eiuipideischer Tragödien in griech. Vasen*
gemäden, Leipz. 1886; Huddilbton, Greek art in Euripides Aischylos Sophokles, Dias.
Manchen 1898.
e) Die übrigren Trasriker.
188. Aischylos, Sophokles, Euripides waren die Meister der griechi-
schen Tragödie, aber nicht die einzigen Tragiker ihrer Zeit: um sie grup-
pierte sich eine ganze Schar verwandter Dichter, und ihre Kunst dauerte
über ihren Tod hinaus im 4. Jahrhundert fort. Neben ihnen haben zunächst
Achaios und Ion im Kanon der alexandrinischen Kunstrichter Platz ge-
funden; aber enger schliessen sich an sie ihre Verwandten und Anhänger
an, die gleichsam eigene Schulen bildeten.
Zu der Schule des Aischylos gehörte vor allem sein Sohn Euphorien.
Derselbe hat 4mal mit Stücken seines Vaters gesiegt, aber auch eigenes
gedichtet. Der Schwestersohn des Aischylos, Philokles, erscheint in
Aristophanes Thesmophoriazusen noch als lebend; nach Suidas hat er
100 Tragödien gedichtet, darunter eine Tetralogie Pandionis. Dass er
nicht ohne Talent war, zeigt sein Sieg über den König Oedipus des So-
phokles. Söhne des Philokles waren Morsimos, Tragödiendichter and
Augenarzt, und Melanthios, welche beide den bitteren Spott des Aristo-
phanes im Frieden V. 803 erfuhren.
Sohn des Sophokles war der Tragiker lophon,^) dem Suidas 50 Dramen
beilegt. Schon 428 erlangte er neben dem Hippolytos des Euripides den
2. Preis, aber man kannte sich, wie Aristophanes in den Fröschen V. 79
boshaft bemerkt, nicht recht aus, inwieweit derselbe auf eigenen Füssen
stand oder durch die Beihilfe seines Vaters in die Höhe kam. Ob auch
der uneheliche Sohn des Sophokles, Ariston, Tragödien gedichtet hat,
steht nicht fest, da Diogenes 7, 164 nur einen 'AQiatwv noir/urjg x^ayt^^iiaq
ohne Angabe des Vaters erwähnt. Der Enkel des grossen Tragikers,
Sophokles der Jüngere, Sohn des Ariston, trat wieder als Tragödien-
dichter auf. Wir sahen bereits oben, dass er den Oedipus auf Kolonos
nach dem Tode des Grossvaters auf die Bühne brachte; einen Sieg des-
selben im Jahre 896 erwähnt Diodor XIV 58. Im ganzen soll er nach
dem letzteren 12, nach Suidas aber nur 7 mal gesiegt haben.
Euripides der Jüngere, Neffe des berühmten Tragikers, >) brachte
dessen Iphigenia in Aulis auf die Bühne und dichtete auch drei eigene
Stücke, Orestes, Medea, Polyxene. Von einem Sieg desselben hören wir
nichts. — Älterer Zeitgenosse des Euripides war Aristarchos aus Tegea,^)
der unter andern zum Dank für seine Genesung einen Asklepios schrieb
(Aelian fr. 101) und nach Suidas die Tragödie auf ihren jetzigen Umfang
{elg %6 vvv avTiüv iirjxog) brachte,*) das ist von beiläufig 1000 Versen, wie
*) Osw. Wolf, De lophonte poeta tra- *) Nach Schol. ad Aiistoph. Ran. 67 u.
gico, Lips. Dias. 1884. Die sechs Titel bei , Vita Eurip. war er ein Sohn des groeaen
Suidas, UxMsvgn TijX6g>og, Uxiaitoy^ *lXiov
Ttigais, Jeiaf^eyog, BdxxM, kommen bei dem-
selben Suidas alle auch unter KXeogxöy 'J9t]-
yaiog TQayixog vor, woran Süsemihl, Jahres-
bericht d. Alt. XI 1, 18 die Vermutung knüpft,
dass jener Tragiker Kleophon auf eine Ver
Schreibung von lophon hinauslaufe. | unten S. 287 Anm. 2.
Tragikers, nach Suidas ein Neffe.
«) Eusebius zu Ol. 81, 2 = 454 v. Ch.:
Äristarchus tragoediographus agnoscitur; vgL
Wblckbr, Gr. Tr. 931 f.
^) Oeri, Die Symmetrie der Verssalileit
im griech. Drama, Vortrag Genf 1896. Vgl.
G. Drama 2. I>ie Tragödie, e) Die flbrigen Tragiker.
188-189.)
277
▼iel des Aischylos Perser und des Euripides Alkestis hatten. Sein
Achilleus ward von Ennius ins Lateinische übertragen.
1S9. Ion aus Ghios,^) Zeitgenosse der drei grossen Tragiker, kam in
frohen Jahren nach Athen, wo er in den Kreisen des Kimon verkehrte
nnd den Aischylos kennen lernte.*) Später, während des samischen Krie-
ges, traf er in seiner Heimat mit Sophokles zusammen. Der Tod traf
ihn vor dem Frieden des Aristophanes (421). Mit einer für jene Zeit
merkwürdigen Vielseitigkeit dichtete er ausser Tragödien noch Elegien,
Hymnen, Dithyramben und schrieb in Prosa Reisememoiren (^Emdrjfiiai
oier Tnofivrjfuxra) und ein Geschichtswerk über die Gründung von Chios.^)
Den Athenern machte er sich in artiger Freigebigkeit dadurch verbindlich,
dass er nach einem Siege jedem Bürger einen Krug Chierwein schickte.*)
Achaios^) aus Eretria,<^) jüngerer Zeitgenosse des Sophokles, den er
aber, wie man aus den Fröschen des Aristophanes schliessen muss, nicht
überlebte, brachte 44, nach andern nur 30 oder 24 Stücke zur Auffahrung
and erlangte 11 Siege; einen Namen hatte er im Satyrdrama. '^)
Neophron aus Sikyon gehört der gleichen Periode an, wenn wirk-
Kch seme Medea Vorbild ffir Euripides war oder Euripides seine Medea
unter Neophrons Namen aufführen Hess. Suidas, der im übrigen ihn mit
Nearchos, einem Tragiker aus der Zeit Alexanders, verwechselt, legt ihm
120 Tragödien bei und schreibt ihm die Neuerung zu, Pädagogen ®) und die
Folterung von Sklaven in die Tragödie eingeführt zu haben.
Xenokles trug im Jahre 415 mit der Tetralogie OiSinovg^ Avxdtov^
Baxxai^ *J&dfiag den Sieg über Euripides davon, worüber sich die Freunde
des Euripides skandalisierten, wohl mit Recht, da ihn und seine Sippe
Aristophanes, gewiss kein Freund des Euripides, als erbärmliche Dichter
verspottet.») Sein Vater, Karkinos, war Stratege im Jahre 431 und
trat zugleich als Tragödiendichter und Tänzer auf.^^) Sein Sohn, Karkinos,
gleichfalls Tragödiendichter, ii) stand am Hofe des jüngeren Dionysios in
Ehren.
Agathon,^^) Sohn des Tisamenos^') aus Athen, mehr bekannt durch
die witzige Charakteristik, welche Aristophanes in den Thesmophoriazusen
Ton ihm entwirft, und die Rolle, welche er in Piatons Gastmahl spielt,
als durch seine eigenen Werke, blühte in den letzten Dezennien des
*) Eine alte Monographie von Baton,
aagefUut yon AÜi. 486 b; ans neuerer Zeit
BmuT, Op. 494—510; Eöpkb, De lonis
Ctii Tita et fragmentis 1836. Fb. Scholl
Wl M. 32, 145 ff.
*) PSnt Cim. 9 n. 16; de prof. in virt. 8.
*) SchoL Arist Fac. 835; die Fragmente
iesanmelt von Müller FHG II 44—51.
Aüserdem ecfarieb er ein Buch Tg^yfioi,
^ ecnen t^loeophiechen Inhalt hatte.
*) Ath. 3 f.
^) Artikel des Suidas; Ublighs, Achaei
i^ctrienflie qnae sapersont collecta et illa-
at>ita,Bomi 1834.
*) Eretria hatte berOhmte Dionysosfeete
(BcEiun, Geogr. Gr. II 420); über das von
der Amerikanischen Schale ausgegrabene
Theater von Eretria Döbpfbld, Gr. Theater
112 ff.
») CIA 11977^, Diog. II133.
^) Ein Pftdagoge tritt in der Medea auf.
>) Arist. Tfaesm. 169 u. 441, Ran. 86;
vgl. Vesp. 1501, Nub. 1261.
^^) Kirchner, Beiträge zur Geschichte der
attischen Familien, Berlin 1897 S. 83 f.
^') Suidas erwfthnt von ihm 160 Dramen,
aber nur einen Sieg.
^') RiTsoHL, De Agathonis tragici aetate,
1829, jetzt in Opusc. I 411 ff.; Wblokbr,
Gr. Trag. 981 fl.
") Suid.; SchoL Arist. Ran. 88; Cbamer,
Anecd. Oxon. IV 269. Tisamenos wird auch
L
278
Grieohisohe latteratnrgMohichte. I. Klaasiaohe Periode.
5. Jahrhunderts; 416 gewann er den Sieg an den Lenäen,^) dessen Feier
Piaton Anlass zu dem erhaltenen Symposion bot. Durch seine feinen und
eleganten Manieren mehr wie jeder andere zum Hofmann geeignet, folgte
er um 407 mit seinem Liebling Pausanias einer Einladung des Königs
Ärchelaos nach Makedonien, wo er wieder mit seinem älteren Genossen
Euripides zusammentraf.*) Zur Zeit als dieser starb, weilte er noch in
Pella, was Aristoph. Ran. 85 mit den Worten oixetai iq fiaxaQwv svwxiav
andeutet. Nach Athen scheint er nicht mehr zurückgekehrt zu sein,
wie man aus den Worten des Scholiasten zu jener Stelle entnehmen muss.
Die Kunstrichtung des Agathen entsprach ganz seinem geschniegelten und
gebügelten Äussern; in der Sprache ahmte er die gesuchten Antithesen
des Qorgias nach;*) in der Musik liebte er die süsslichen Triller, so dass
die 'Ayd^tovog aidrjtng sprichwörtlich wurde;*) seine Chorgesänge sanken
zu einem blossen Ohrenschmaus herab und hatten nur noch die Bedeutung
von musikalischen Zwischenspielen {efißoXifia).^) Im Inhalt wagte er die
grosse Neuerung, zu seiner Tragödie 'Av&og die Fabel ganz frei zu erfin-
den, ß) Übrigens fand er mit seiner feinen, geistreichen Art vielen An-
klang; insbesondere hat Aristoteles für ihn fast nur Worte der Anerkennung.
190. Mit dem Tode des Euripides und Sophokles verödete die tra-
gische Bühne. Es lebten zwar noch im 4. Jahrhundert Dichter genug,
welche für die Bühne schrieben und die Aristoteles der Beachtung wert
hielt; aber die Trift der tragischen Muse war abgegrast, und da das Hin-
übergreifen auf historische und rein fingierte Stoffe keinen Anklang fand,
so bewegten sich die Tragödiendichter wesentlich in dem Geleise der alten
Fabeln und hatten ihre liebe Not, den vergriffenen Stoffen durch Änderung
in £[leinigkeiten, wie des Ortes oder der Erkennungsweise, irgend eine
neue Seite abzugewinnen;^) nur selten glückte es einem Dichter mit einer
ganz neuen Tragödie zu debütieren; er fand dann aber auch aussergewöhn-
lichen Beifall, wie Astydamas mit seinem Parthenopaios. Leichte und
elegante Handhabung der Sprache war damals eine sehr verbreitete Kunst
und die Tragiker verstanden sich auf dieselbe um so mehr, als sie meist
aus der Schule von Rhetoren hervorgegangen waren; aber die geschickte
Mache und die geistreichen Metaphern vermochten nicht den Mangel an
Naturwahrheit und warmer Empfindung zu ersetzen. Drei Dinge waren
es insbesondere, welche diese Periode der Nachblüte der tragischen Kunst
charakterisierten. Erstens wurde es üblich, auch an den grossen Dionysien
neben neuen Tragödien auch alte zuzulassen; die neu aufgefundenen Didas-
als Vater des Tragikers Akestor genannt; das
veranlasste Mülleb-Stbübiivg, Aristoph. und
die hist. Kritik 562 f. zu kühnen Hypothesen.
^) Ath. 271 a; dazn stimmen die langen
Nächte in Plat. Symp. 223 c.
^) Nette Anekdote von Euripides, der den
schönen, aber schon 40j&hrigen Agathen beim
Gelage kOssen will, bei Aelian V. H. XIII 4.
') Schol. ad Luc. rhet. praec. 11. Bei
Aelian V. H. XIV 13 sagt er witzig zu
einem, der die Antithesen ans seiner Rede
entfernen wollte: X^Xfj^ag aavroy roy ^Aya-
&ioya ix tov 'Ayd^toyot: äipayi^aty.
^) Suidas und Hesychius unter 'Jya^t^
yog avX. Nach Plut Symp. III 1 brachte er
die chromatische Musik in die Tragödie.
*) Arist. Poet. 18.
*) Arist. Poet 9. Ausserdem kennen
wir von ihm die Titel *jisg6nij, 'AlxfAima^^
SvectTfs, Mvaoi, Ti^Xetpog.
^) Arist. Poet. 13: ngatoy ol Troii^Tcrc
TowV ryxoyzas uv&ovg arnj^l^fiowj rvr ^^
nsQi oXiyas oUiag al zqaym&Lat <rv»^t>€rf a«.,
oloy nsol 'AXxfialtoya xai OiSinovy xai *0^ä^
atfiy xai MsXiaygoy xal Svi^Tfjy xat TijXBffom^^
C. Drama. 2. Die Tragödie, e) Die übrigen Tragiker. (§ 190.)
279
kaiien CIA n 973 zeigen uns, dass in den Jahren 341—839 regelmässig
eine alte Tragödie den neuen Tragödien vorausging. Zweitens begann
das Publikum Aufmerksamkeit und Beifall fast in höherem Grade der
SchauBpielerkunst als den Dichtern und den Texten zuzuwenden,^) so dass
der Schauspieler in den Didaskalien genannt und für die Schauspieler ein
besonderer Wettkampf eingerichtet wurde. ^) Drittens kam die Unnatur
von Dramen auf, die zum Lesen (avcrp'eocmxa), nicht zum Spiel auf den
Brettern {ayfonarixä) bestimmt waren ;^) speziell hat, wie wir aus Aristo-
teles Rhet in 12 erfahren, Ghairemon solche Lesetragödien, wie Likym-
nios derartige Dithyramben gedichtet. Weniger berQhrte die Kunst und
das Wesen des Dramas der äusserliche Umstand, dass seit dem 4. Jahr-
hundert Athen aufhörte, einzige Pflegestätte der dramatischen Kunst zu
sein, und dass auch in Syrakus, Korinth, Argos, Pherä, Megalopolis, Eretria
ond anderen Städten Tragödien aufgeführt wurden.^)
Von Dichtern werden aus der Wende des 5. Jahrhunderts genannt
Eritias und Theognis, die beide zu den 30 Tyrannen gehört hatten,
ferner Meletos, der als Ankläger des Sokrates eine traurige Berühmtheit
erlangt hat,*) und Kleophon, der ausser Tragödien einen Dialog Mandro-
bulos dichtete. <*) Nur zum Gespötte diente Dionysios der Ältere,
lyrann von Syrakus, der auch als Dichter glänzen wollte'') und sogar in
Athen kurz vor seinem Tod (367) mit einer Tragödie "ExTOQog kvxqa den
ersten Preis gewann.*) Dem 4. Jahrhundert gehörten ferner an: Asty-
damas, Sohn des Tragikers Morsimos, der anfangs den Rhetor Isokrates
hörte, sich aber dann zur Tragödie wandte. Ein ausserordentlich frucht-
barer Dichter (Suidas legt ihm 240 Tragödien bei) erfreute er sich zu-
gleich einer grossen Gunst des Publikums; er trug 15 Siege davon ^) und
erhielt ob seines Parthenopaios die Ehre einer Statue. ^^) Die Kunst des
Vaters vererbte sich auf seinen Sohn, den jüngeren Astydamas. Theo-
dektes aus Phaseiis in Lykien, Schüler des Piaton und Isokrates, war
gleich angesehen als Redner und Tragiker. Ein schöner und gewandter
Mann war er in den Kreisen der Platoniker, namentlich von Aristoteles,
') Arist Rhei III 1: ^tCor dvyayrat vvv
*) Plnt Vit. dec. orat 841 e, Alciphron
ep. Ifl 48; vergl. Müllbb, Gr. Bflhn. 329.
Bcrtbmte Sehaospieler waren damals Polos,
Hieodoros, Aristodemoa, Neoptolemos, -Ai-
«efcbeB. Vgl. Welckkb Gr. Tr. 911 ff.
') Schon in Anstoi^anea Fröschen V. 58
Inst DionyaoB wfthrend des Feldzngs anf
dem Kriegsschiff ftlr sich die Andromeda
des EuipideB.
«) M6LLKB, Gr. BOhn. 876 ff. In Syra-
bis, wo Epicharmos lebte nnd Aischylos
wiae Perser anff&hren liess, gab es gewiss
•du» froher ein Theater.
*) Meletos war Verfasser einer Oith-
'•^. Bei dem Scholiasten za Fiat Apol. 18b
tawt er tgaymdias ipavlof n»rjt^s; yergL
WiuaMB, Gr. Trag. 970 ff.
*j Aristot soph. eL l^, poet 2.
'} Nach Snidas hat er Tragödien nnd
Komödien gedichtet nnd demnach die For-
derung des Sokrates in Fiat. Symp. extr.
erfüllt; aber die Komödien werden bezweifelt,
s. Wblokbb 1229.
«) TzBTZBS Chil. y 180; nach demselben
Ghil. y 185 spottete er in einem Drama ttber
Flaton. Eine Darstellung aus der Tragödie
von Hektors Lösung findet sich auf einem
Wandgem&lde von Fompeji; s. Bauxbistbb,
n. 1949.
') Einen Sieg, vielleicht den ersten, er-
wfthnt die parische Chronik zu 872; vergl.
Wblckbb 1052 ff.; den Sieg mit dem Far-
thenopaios im Jahre 840 bezeugt CIA 11 978.
^^) Die Basis der Statue mit Inschrift
wurde jüngst am Dionysostheater aufge-
funden; s. KöHLBB Athen. Mitteil. III 116;
Döbpfbld-Rbisgh, Das griech. Theat. S. 38.
280
Grieohisohe Litteratnrgesohichte. I. Elassisohe Periode.
gern gesehen; auch am Hofe der Artemisia stand er in Ehren und ward
nach Halikamass berufen, um dem Mausollos die Leichenrede zu halten
(352).^) Gestorben ist er in Athen im Alter von 41 Jahren; an der hei-
ligen Strasse nach Eleusis stand sein grossartiges Orabdenkmal, auf dem
er sich rühmte, bei 13 Wettkämpfen 8 Siegeskränze davongetragen zu
haben.') Ausser Tragödien hatte er Reden und eine berühmte tsxvtj ^r^
TOQixT] geschrieben.') Mo schien, ein oft aufgezogener Oourmand,
griff zur poUtischen Tragödie zurück in seinem Themistokles und
seinen Pheräem,^) von welchen Dramen das erste den Tod des Themisto-
kles behandelte, das zweite sich auf den Untergang des Alexander von
Pherä bezogen zu haben scheint. Sonstige Tragiker unserer Periode waren
Chairemon, Verfasser von Lesetragödien und eines aus verschiedenen
Versen zusammengesetzten Gedichtes KävravQog,^) Polyeidos, der nach
Arist. Poet. 17 eine neue Lösung der Wiedererkennung der Iphigeneia ei^
sann, Dikaiogenes, Aphareus, Kleainetos, die Eyniker Diogenes
von Sinope, Krates, Antiphon, Python u. a.
3. Die Komödie.')
a) Die Anfängre der Komödie in Griechenland und Sikllien.
191. Die Komödie lässt Aristoteles, wie wir oben § 140 sahen, von
den Vorsängern der Phalloslieder {äno twv i^aqx6v%(av %d tpalXtxd)
ausgehen. Solche Aufzüge von Phallosträgem (q>akXo^6Qoi) ^ die mit
einem grossen Phallos, dem Symbol der Zeugungskraft des Naturgottes,
umherzogen, fanden an vielen Orten statt. Von ihrem Brauch an den
ländlichen Dionysien gibt uns Aristophanes in den Achamern 259 ff. ein
^) Gellins X 18, 7 spricht von einer
Tragödie Mansolus.
•) Steph. *aotjXUy und Paus. I 37, 3.
•) Daher von Cicero Or. 51 artifex ge-
nannt; aof dieses Handbuch scheinen auch
die SeodextBia des Aristoteles Bezug zu haben;
vgl. Spbnobl, Artinm scriptores p. 168.
*) Ribbeck Rh. Mus. 30, 147 ff.
6) Vgl. Aristot. Poet. 2 p. 1447^ 20,
Ath. 608 e.
^) Von den Alten handelte Aristoteles
im 2. Buch der Poetik von der Komödie,
woraus verzettelte Reste auf uns gekommen
sind, die J. Bbrnats, Zwei Abhandlungen
Ober die arist Theorie des Dramas 133 ff.
ins rechte Licht gestellt hat. Ausserdem
schrieb der Peripatetiker Ghamaileon negi
xwiniodiag in mindestens 6 B., und beschfldT-
tigten sich in Alexandria Lykophron, Era-
tosthenes, Eumelos, Aristophanes Byz., Ari-
storch mit der Komödie. DerKrateteer Hero-
dikos schrieb KtofjLta^ovfABva^ die den Tqa-
yto&ovfABvtt des Asklepiades entsjn^chen zu
haben scheinen. Erhalten sind uns aus rö-
mischer Zeit mehrere, den Aristophanes-
scholien vorausgeschickte Traktate, nftmlich
Platonios ^x tiSy nsgl ^tatpogäg xtafAwdnoy
(I) und neQi Siafpo^g /a^axri/pa»»' (U), femer
ein Anonymus negl xatfu^dlas (Dl) mit wert-
voller Charakteristik der Dichter (Neudruck
von Studemund in Philo). 46, 13), endlidi
Andronikos uegi roff ea»c noitjrwy (X). — Aus
dem Mittelalter stammen die Verse des
TzBTZBS negi xwfAadlas und dessen Pro-
legomena in Aristophanem (ed. Keil in
RiTscBL Opusc. II 97 ff.), womit das Scholinm
Plautinum, neu bearbeitet von Studemund,
Phil. 46, 1 — 26, zusammenhftngt — Neuere
Bearbeitungen: Bergk, Gommentationes de
reliquüs comoediae atticae antiquae, Lipsiae
1838; Aüo. Mbinbke, Historia critica comi-
corum graec, Berol. 1839, 5 vol., Hauptwerk;
der erste Band enthält die Littmtnrge-
schichte der Komödie, die Übrigen die Frag-
mente; ed. minor., Berol. 1847, 2 voL; Kock,
Comicorum atticorum fragm., lipe. 1880
bis 1888, 3 Bde. Kaiwbgibssbr, Die alte
kom. Bühne in Athen, Bresl. 1817, geistvoll
aber antiquiert; Dum^ril, Histoire de la
com^die ancienne, Par. 1869, wozu wichtig
ErgSnzungen von Naück, M61. gr.-rom. VI
Petersburg 1892; Blatdbs, Adversaria in
Comic, graec. fragmenta, Halis 1890 und
1896. KöRTB, Archäologische Studien zur
alten Komödie, Arch. Jahrb. YIII (1893) 61 €L
CDnina. 3, Die KomOdie. a) Die Anfftnge der Komödie« (§§ 191—192.) 281
anschaaliches Bild.^) In Lindos auf Rhodos zog nach Athen, p. 445 schon
ZOT Zeit der Sieben Weisen Antheas in bacchischem Anzug, gefolgt von
phaDoetragenden Genossen, in dem Land umher, den nachfolgenden Schwärm-
geeeUen lustige Verse vorsingend. Genauer beschreibt uns Semos bei
Athen, p. 622 aus späterer Zeit solche Aufzüge in Delos: die Phallophoren
ziehen zuerst im raschen, iambischen Takt in die Orchestra ein; dann laufen
ae auf die einzelnen zu und überschütten dieselben mit Spottversen.
Ahnlich war die von Herodot V 83 geschilderte, in Aegina heimische Feier
der Pruchtgöttinnen Damia und Auxesia, von der die Spottverse in Aristo-
phanes Fröschen 416 ff. ein Abbild geben.*) Verwandter Natur waren die
Spässe der Deikelisten in Sparta, die mit Geberden und Worten bald einen
fremden Quacksalber, bald einen Krautdieb nachahmten, 3) die Scherze der
vennnnunten Bauern und Hirten in Sparta und Sikilien,*) die komischen
Gesänge der Hilaroden und Magoden in Unteritalien. ^)
198. Aus diesen volkstümlichen Schwänken und Neckereien sind die
verschiedenen Arten der komischen Muse hervorgegangen. Die Komödie
knüpfte zunächst an die Phallika an; denn sie war und blieb mit dem
Kultus des Dionysos und seinen Festen aufs engste verknüpft. Ihre An-
finge sucht Aristoteles Poet. 3 bei den dorischen Megarern, den nisäischen
im griechischen Festland und den hybläischen in Sikilien.*) Im fest-
landischen Megara gab die Ochlokratie nach dem Sturze des Tyrannen
Theagenes (um 600) dem Spott der Phallophoren freien Lauf;"') zur kunst-
vollen Entwicklung ist aber der megarische Scherz (MeyaQixov (xxäfifxa)
nicht gekommen; man sprach in Athen von ihm nur im Sinne von grober
Posse und plumpem Einfall.^) Eine Hauptfigur desselben war der Maison,
worunter man sich die stehende Maske eines drolligen Koches zu denken
hat») — Nach Attika, und zwar nach dem Demos Ikaria, wo wir auch die
Wiege der Tragödie fanden, verpflanzte die Komödie Susarion. Es sind
nns von ihm noch 5 Verse, freilich von zweifelhafter Echtheit erhalten,
worin er sich als Sohn des Philinos aus Megara einführt und die grosse
Weisheit verkündet xal ydq %6 yiiiiai xai rd /i?j y^/*at xaxov. Die parische
Chronik lässt ihn zwischen 581 und 562 in Ikaria auftreten und als Sieger
einen Korb von Feigen und eine Amphora Wein davontragen. Aber die
Stegreifwitze {amoaxBSidafxata) dieses alten Lustspiels zogen nicht in
gleichem Grade wie die Anfänge der Tragödie die Aufmerksamkeit der Ge-
bildeten und der Stadt auf sich. So blieb, wie Aristoteles sagt,^^) die
') Entartet ist der von Schmeichelei
fibentrOmende Phallosgesang der Athener zu
Hiien des vergDiterten Demetrios bei Athen,
p. 253, doch so, dass man auch da noch im
BbjtJinraB und Ton die Sparen der alten
mtysiflchen Spottyerse erkennt.
') Von Phidlophoren in Sikyon, der alten
Heimat des Bocksgesangs, spncht Aih. 621.
»)AÜL621d.
*) Vgl. den Traktat nBQi trjg svQccewg
w»» ßotncoXixtoy vor den Theokritscholien.
*) Atii. 621; vgl Grtbab, De Dorien-
«na comoedia, Colon. 1828, mid unten § 377.
*) Aspasios zu Arist. Eth. Nie. IV 6
nennt die Megarer Erfinder der Komödie;
vgl. Anth. XI 32. Wilamowitz, Die mega-
rische Eom(>die, Herrn. 9, 319 ff. wollte die
megarische Komödie auf Witze attischer
Komödiendichter reduzieren.
^) Plut. Quaest. gr. p. 295d; Anth. XI 440.
*) Aristoph. Vesp. 57; Eupolis in den
Scholien dazu; Ekpnantides bei Aspasios
a. 0.
®) Aristophanes Byz. bei Ath. 659; Mbi-
NBKB I 55 f.
***) Arist. Poet. 5; ij <f.^ xai^u^Jt« dte? rS
i
282
Orieohisohe Litteratnrgeaohiohte. I. Elusisohe Periode«
Komödie unbemerkt, und dauerte es an 100 Jahre, bis in Athen von Staats-
wegen Wettspiele fQr Eomödiendichter eingerichtet wurden.
193. Inzwischen waren schon in Sikilien die Keime der dorischen
Komödie aufgegangen und hatte bereits Syrakus neben Phormis') den
grossen Dichter Epicharmos*) hervorgebracht. Derselbe stammte aus
Kos, war aber schon als Knabe nach Megara in Sikilien und später nach
Syrakus gekommen, wo die Tyrannen Gelon und Hieron den Glanz
ihrer Herrschaft durch lyrische und theatralische Festspiele zu er-
höhen suchten. Seine philosophische Bildung gab sich in vielen weisen
Sprüchen kund, so dass die Fythagoreer die Fabel aufbrachten, er habe
ehedem zu ihrem Bunde gehört und sei erst später zur Komödie über-
getreten.*) Suidas setzt ihn in das 6. Jahr vor den Persika, d.i. 486, was wohl
mit seiner Übersiedelung nach Syrakus zusammenhängt. Bei ungeschwächter
Geisteskraft erreichte er das hohe Alter von 90 Jahren.^) Das Andenken
des Dichters ehrten später die Syrakusaner durch ein ehernes Standbild,
wozu Theokrit ein Epigramm dichtete.^) Seine Komödien, deren Zahl
zwischen 36 und 52 schwankt, waren zum grösseren Teil mythologische
Travestien, die sich, wie schon die Titel Kvxloyip^ "A^vxog^ BovtnQig, nqo-
fia&€vg zeigen, am meisten dem attischen Satyrspiel näherten. Im Busiris
war eine Hauptperson Herakles, wie er sich in den Vorratskammern
des erschlagenen Unholdes gütlich that; in "Hßag yapLog bildete den
Mittelpunkt der Hochzeitsschmaus mit den leckeren Speisen von Fischen,
Austern, Vögeln, Kuchen; in dem "Hipaiatog war die Fesselung der
Hera auf dem Throne dargestellt, weil sie aus Eifersucht dem Herakles
Nachstellungen bereitet hatte. <^) Andere Stücke boten Bilder aus dem
gewöhnlichen Leben, wie der Bauer (AyQuaatlvog) und die Festbesncher
{ßsaqoi)^ oder witzige Wettkämpfe und philosophischen Wortstreit, wie
Aoyog xai Aoyiva und Aif^avofievog Xoyog.'^) Geschrieben waren seine Lust-
spiele im dorischen Dialekt der Syrakusaner; von Versen gebrauchte er
ausser dem iambischen Trimeter insbesondere den trochäischen und ana-
pästischen Tetrameter, den letzteren in zwei Komödien, den XoQhvoi^teg
XOQoy xfofA^^iav 6\^i nore 6 ägx^^ edtoxeyj
«AÄ* i&eXoyrai i^cav ' tj&ti &k arijfaard xiya
avxfjg ^x^^^V^ ^^ XByofxevoi avrrjg Ttoitjrai
fAyrifÄOV€vr*yxai, Suidas u. 'Enlj^aQi^os nennt
aus jener ftlteren Zeit die Namen Enetes,
Euxenides, Myllos; der letzte steht auch
bei Biomedes p. 488, 24 E.
^) Aristot. Poet. 5. Der von Epichannos
in Logos und Logina erwähnte Dichter Aristo-
xenos war wahrscheinlich kein Komiker,
sondern ein lambograph.
') lieber Epicharmos ein Artikel des
Suidas und Diog. 8, 78. Lorenz, Leben und
Schriffcen des Koers Epicharmos, Berl. 1864;
Leop. Schmidt, Quaestiones Epicharmeae,
Bonn 1846. Die Fragmente gesammelt von
Abbens, De gr. ling. dial. t. II im Anhang. Ein
neues Bruchsttlck aus dem 'Odvaatvg avzo-
fioXog gefunden von Gohpbbz, Mitteil, aus
der Sammlung der Papyrus des Erzhenogs
Rainer, Bd. Y; dazu v^. Blass, Jahrb. für
Phü. 139 (1889) S. 257 ff.
') Gedichte des Epicharmos mit pytha-
goreischer Weisheit hat Euripides benntzt»
nachgewiesen von Wilaxowitz, Eut. Herakl.
129 f.
«) Von 90 Jahren nach Diog. 8, 78; von
97 nach Luc. Macr. 25.
') Theoer. epigr. 17; ein anderes Epi-
gramm bei Diog. 8, 78.
^) Darauf ward ehedem das Vasenbild
bei WiESELBR, Theatergebäude Taf. 9, 14 be-
zogen, während Wieseler selbst die Dar-
stellung auf ein anderes St&ck bezieht.
') J. Bern ATS, Epichannos und der
Av^avofisvog Xoyog, Ges. Abh. 1 109 — 117.
Ueber die Verspottung des äschylischen Born*
bastes durch Epicluurm s. SchoL ad Aeseh.
Eum. 626.
ClhwiuL 8. Die Kom&die. a) Die Anf&nge der Kom5die« (§§193—194.) 283
und dem'Emvixiog^ durchweg;^) seine trochäischen Tetrameter hatten durch
die Mufigen Auflösungen der Längen einen ungleich bewegteren Charakter
als die entsprechenden Verse des attischen Dramas. Mit der Raschheit
des trochäischen und anapästischen Rhythmus paarte sich die Lebhaftig-
keit der Aktion, so dass seine Komödien zu den fabulae motoriae gerechnet
wurden, worauf sich der bekannte Vers des Horaz epist. II 1, 58 bezieht:
Plautus ad exemplar Siculi properare Epicharmi, Einen Hauptanziehungs-
punkt aber in den Qedichten unseres Epicharmos bildete die Fülle treffender
Sentenzen, >) weshalb Piaton Theaet. 152 e ihn auf eine Linie mit Homer
stellt Ennius hat sein philosophisches Lehrgedicht, weil es mit Sentenzen
des sikilischen Komikers angefüllt war, geradezu Epicharmus überschrieben.
Das Studium des Dichters erhielt sich noch lange bei Philosophen und
ßrammatikern, von denen Apollodor aus Athen eine Ausgabe mit Kom-
mentar in 10 B. veranstaltete;') auf uns gekommen sind leider nur Bruch-
stücke. — Schüler oder Sohn des Epicharmos war Deinomachos (Suid.).
194. In demselben Syrakus bildete sich im Anschluss an das volks-
tümliche Possenspiel der Mimus aus.*) Die ganze dramatische Dichtkunst
beruhte auf Nachachmung; Mimus aber hiess speziell die Nachahmung einer
bestimmten Situation oder Person. Er unterschied sich also von der Ko-
mödie dadurch, dass er des Chors entbehrte und keine Handlung zur Durch-
führung brachte. Der berühmteste Vertreter dieser Gattung war Sophron,
von dem Suidas folgendes überliefert: „Sophron aus Syrakus, Sohn des
Ägathokles und der Damnasyllis, lebte zur Zeit des Xerxes und Euripides
und schrieb f.iifiovg dvdQSiovg (wie ayyeXogy xß^vvvo&i^Qag, yäqovxsg^ äXmg)
und fUfiovg yvvaixsiovg (wie ax€<rtQiai, wiiffonorog^ nevx^tQci, 'iffxf-fAid^ovffai) ;
sie sind in Prosa, in dorischem Dialekt geschrieben; man sagt, dass der
Philosoph Piaton immer mit ihnen verkehrte, so dass er sogar zuweilen
auf ihnen schlief. * Dem Piaton warfen seine Neider sogar vor, dass er
in seinen Dialogen nur die Mimen des Sophron kopiert habe; in den Idyllen
des Theokrit sind uns noch einige Nachahmungen erhalten, welche uns für
den Verlust der Originale entschädigen müssen.*^) Neben Sophron wird
als Himendichter sein Sohn Xenarchos aus der Zeit des Tyrannen Dio-
nyaioß genannt.«)
Aus dem Mimus hat sich auch bereits im 4. Jahrhundert der
Pantomimus entwickelt, wie wir aus dem Gastmahl des Xenophon c. 9
ersehen. Dort nämlich führt zum Schluss des Mahls ein syrakusanischer
Tanzmeister mit seinem Personal den Pantomimus Ariadne und Dionysios
zum grossen Ergötzen der Zuschauer auf. Von dem gleichfalls aus dem
, Hephaestios c. 8. | den Gauklern und Jongleurs gibt Hbrm. Reich,
') yieicitiert ist der Vers, vdfpe xai \ Die ältesten berufsmässigen Darsteller des
griechisch-italischen Mimus, Progr. Königs-
berg 1897. Im Altertum schrieb Apollodor
einen Kommentar zu Sophron.
^) Der rhythmische Hymnus Gregors
von Nazianz in meiner Anth. christ. p. 29 wird
von alten Grammatikern missverständlich auf
das Vorbild Sophrons zurückgeführt.
•) Suidas u. ^yivovg, Arist. Poet. 1,
fiifirso' dnicxeiv ' agOga ravta tioy (pgevtSy.
■) Porphyiios in Vit Plotin. 24; wahr-
Kheinlich umfasste jedes Buch, oder rich-
tiger jeder Tomos eine Tetralogie.
*) Führ, De mimis Graecorum, Berlin
1S60. Haülsb, Der Mimus von Epicharm
^ Sophron, 1893 in Xenia Austriaca I 79
^ 136; eine lebensvolle Darstellnng der
»tikeD Mimen und ihrer Verwandtschi^ mit
i
284 Grieohisoha Littenttargasohioht«, I. Klamisohe Periode.
Mimus entstandenen Mimiambus werden wir erst weiter unten unter
Herondas handeln.
b) Die altattische Komödie.
195. Festen Boden und dauernde Heimstätte gewann die Komödie
in Attika, dem Lande demokratischer Freiheit und geistreichen Scherzes.
Doch kam dieselbe hier erst später zur Entfaltung und nahm, da das
ältere Satyrspiel einen Teil ilu-es Gebietes, die mythologische Posse,
bereits okkupiert hatte, eine etwas abweichende Richtung. Das Leben
der Gegenwart, das öffentliche und private, bildete fQr die attische Ko-
mödie in allen ihren Wandlungen den Hauptgegenstand des heiteren Spieles.
Ausser an die phallischen Aufzüge der Dionysien knüpfte sie hier an die
scherzhaften Neckereien der sogenannten Gephyrismen {y€ipvQi<Tfiof) an.
Es war nämlich bei den jährlichen Prozessionen zur Mysterienfeier in
Eleusis Sitte, dass an der Brücke {yt^vQo), welche über den Kephissos
führte, Witzbolde sich zu beiden Seiten aufpflanzten und in bald scherzenden,
bald beissenden Versen die Vorübergehenden neckten. i) Auch die Freiheit,
mit der man vom Wagen herab bei bacchischen Aufzügen auf die Leute
rechts und links seinen Spott ausgoss, und die Neigung zur Posse und
Nachahmung der menschlichen Schwächen in Tiergestalten gaben der
attischen Komödie Nahrung und zogen in ihr das Element des aus dem
Leben und der Gegenwart genommenen Scherzes und Spottes gross.*)
Zur Blüte kam in Attika die Komödie erst, nachdem dieselbe in die
öffentliche Feier der Dionysosfeste aufgenommen war, oder mit anderen
Worten, nachdem der Archen auch für sie einen Chor zu geben und einen
Wettkampf {dyaiv) konkurrierender Choregen und Dichter zu eröffnen be-
gonnen hatte. Das geschah später als bei der früher zu Ehren gekom-
menen Tragödie,') begreiflich, da ernste und haushälterische Bürger nur
zögernd sich dazu verstanden, das ausgelassene Spiel mit öffentlicher
Autorität zu umkleiden. Aus der späteren Aufnahne erklärt es sich auch,
dass nunmehr zwei Repräsentanten der heiteren Muse, das früher im Ge-
folge der Tragödie eingeführte Satyrdrama und die urwüchsige, erst
später aufgenommene Komödie nebeneinander zur Aufführung gelangten.
Indes wurden doch nach den neuerlich aufgefundenen didaskalischen Ur-
kunden CIA n 971 schon zu Aischylos Zeiten, wahrscheinlich schon seit
472, Komödien unter staatlicher Leitung aufgeftlhrt,*) wenn sie auch immer
nur einen kleinen Teil der Festfeier ausmachten. Die Anfange der Ko-
mödie fallen also mit der ungehinderten Freiheit {naggr^ia) der durch
Perikles grossgezogenen Demokratie zusammen. Das bestimmte ihren
Charakter :ö) öffentlich geworden, richtete sie auch ihren Witz und Spott
*) Fbitzsche in Aasg. von Arist. Ran. • eingerichtet worden sei; siehe dagegen oben
p* 197. ' § 144. Dass schon vor 472 an den Lenften
^) PoppBLRBUTBR, De comoodiae Atticae
primordiis, Berl. Diss. 1893.
«) Aristot. Poet. 5.
*) Nach Bbbgk Rh. M. 84, 305 fanden
die ersten Siege der Komiker an den Lenäen
statt, da an den Dionysien erst später, nm
rkl OA ^:_ l_ii • 4 A.* TT _•!
Preise fOr Komödien ausgesetzt wurden,
lässt sich zwar nicht beweisen, ist aber
wahrscheinlich; aber in dem ersten Teil des
Zeitraumes von 536-472 müssen nach dem
Zeugnis des Aristot. Poet. 5 nur Tragödien
prämiiert worden sein.
Ol. 84, ein regelmässiger Agon für Komiker | ^) Anon. de com. III: yeyovaa^ di fAera-
G. Drama. 8. Die Komödie, b) Die altattisohe Komödie. (§ 195.)
285
gegen die Gebrechen des öffentlichen Lebens und der leitenden Personen
des Staates. Bei einer Schrankenlosigkeit der Redefreiheit, wie sie kein
Zeitalter in gleichem Grade sah, brauchte sie sich nicht auf dem matten
Boden der Allgemeinheiten oder versteckten Anspielungen zu bewegen,
sondern durfte offenen Hauptes den Gegner, auch wenn er zu den An-
gesehensten und Höchstgestellten gehörte, angreifen. In der persönlichen
Persiflage knüpfte sie an die bitteren Spottverse des Archilochos und der
ionischen lambographen an; über sie ging sie aber dadurch hinaus, dass
sie statt Privatpersonen Männer des öffentlichen Lebens angriff und in
einer Zeit, wo es noch keine Presse und keine Flugblätter gab, das Zen-
sorenamt der öffentlichen Meinung übte. Wiederholt zwar ward das Ver-
bot erlassen, die Durchgehechelten, zumal wenn sie ein öffentliches Amt
bekleideten {vovg aQxovtccg)^ bei Namen zu nennen {6vofia<fTi xwfKpäsTv);^)
aber die Polizei war in Athen schwach, und die Lust an der politischen
Komödie gross, so dass immer wieder die zügellose Bedefreiheit durch-
brach, bis mit dem unglücklichen Ausgang des peloponnesischen Krieges
der Freiheit des Theaters feste und dauernde Fesseln angelegt wurden.
Fiir uns sind so die Stücke der alten Komödie ein Spiegelbild der Zeit,
wie denn schon Piaton dem Tyrannen Dionysios, um sich vom athenischen
Staat ein Bild zu machen, die Lektüre der Komödien des Aristophanes
empfohlen haben soll.^)
Aber bei aUem Ernst des persönlichen und politischen Spottes blieb
doch die attische Komödie ein mutwilliges Kind der heiteren Muse Thalia,
ein toUes Fastnachtspiel. Die Ausgelassenheit gab sich gleich äusserlich
in der Erscheinung der Spielenden kund; nicht bloss die Schauspieler trugen
bizarre Anzüge und groteske Masken, auch die Choreuten waren phanta-
stisch ausstaffiert, bald als Vögel, bald als Wespen, bald als Frösche und
ähnliches verkleidet. Der Chor spielte überhaupt in ihr eine viel aktivere
Rolle und blieb dadurch dem Charakter des lustigen Schwarmes getreu,
aus dem das ganze Spiel hervorgegangen war. Er sang also nicht bloss
Einzugs-, Auszugs-, Stehlieder; er griff auch beständig mit kleinen Ge-
sängen und durch Organisierung förmlicher Streitscenen in die Handlung
ein, so dass auch äusserlich das Spiel der Schauspieler und das des Chors
sich weniger scharf von einander schied. Inbesondere bewahrte der Chor
dk via, i} Sk fii<ftj • ol f*iy ovy tij^ uqx^W
xtofjuadiag noiriial ov^ vno&iaefa^ ttXt]9ovgy
aXXa naideias evtgtcnäXov yiyo/neyoi ^T^Xtotal
t€mg aywyag inoiovy ' xal (pegstat at'iuiy
ndyta xd dgäfiata xH avy xolq tlfevdent-
ygdg>oic,
*) Das erste Verbot wurde unter dem
Archon Morychides Ol. 85, 1 = 440/39 er-
lassen; dasselbe wurde 3 Jahre später unter
dem Archon Euthymenes (s. Schol. Arist.
Ach. 67) wieder aufgehoben; neue Beschrän-
kungen scheinen 428/7 durch Antimachos
ergangen zu sein (s. Schol. Arist. Ach. 1150)
und wurden durch ein Psephisma des Syra-
kosios 417/6 (s. Eupolis in den Poleis und
Schol. Arist. Av. 1297) erneut eingeschärft,
durch das insbesondere die namentliche Ver-
höhnung der Beamten untersagt wurde (s.
Phrynichos im Monotropos; vgl. Schol. Arist.
Nub. 31, Ran. 501; Xen. de rep. Ath. 2, 18).
Vgl. Meinekb I 40 ff. ; Berqk, Ueber die Be-
schränkungen der Freiheit der älteren Ko-
mödie zu Athen, El. Sehr. 444 ff.; Lübke,
Quaest. crit. in bist. vet. com., Berl. 1883.
') W. ViscHER, üeber die Benützung der
alten Komödie als geschichtliche Quelle,
Basel 1840, in Klein. Sehr. I 459 ff.; Müller-
Strübino, Aristophanes und die historische
Kritik, Leipzig 1873; Muhl, Zur Geschichte
der alten attischen Komödie zur Zeit des
peloponnesischen Kriegs, Augsb. Progr. 1881.
286 Ghriaohisohe Litteimtargesohiohte. L lOaesisohe Periode.
in der Parabase, in der er sich als Vertreter des Dichters an das Volk
wendete, eine lebensfrische Erinnerung an die alten Aufzüge des necken-
den Festschwarmes.i) Dem gegenüber blieb die Handlung etwas in der
Entwicklung zurück; sie erhob sich zwar über die megarische Posse und
die lose Aneinanderreihung burlesker Scenen, aber die kunstvolle Ver-
knüpfung und die Spannkraft der Peripetie und der Wiedererkennung
kamen erst in der neuen Komödie zur Geltung; in der alten überwogen
die trunkenen Orgien des ausgelassenen Weingottes, die in saftigen Zoten
und Spässen sich gefielen und in phantastischer Genialität über die be-
engenden Schranken des Anstandes und Philistertums sich wegsetzten; es
war ein Spiel, das vor allem die Zuschauer zum Lachen bringen und
durch derbe Witze und kecke Einfalle in launige Feststimmung versetzen
wollte. In diese Stimmung versetzt selbst uns die Lektöre der erhaltenen
Stücke, und doch fehlt uns dabei eine Hauptsache, der Anblick der phan-
tastischen Masken und der lasziven Sprünge des Kordaxtanzes.
Die Sprache der Komödie schloss sich selbstverständlich eng an die
Umgangssprache des Volkes an, so dass epische Formen aus dem Dialog
mehr als in der Tragödie ausgeschlossen waren und die hervorragendsten
Komiker, wie Pherekrates und Aristophanes, zugleich als die reinsten
Vertreter des Attikismos galten.*) Daneben aber verstanden es die
Dichter durch kühne Wortbildungen, eingelegte Fabeln, Parodien lyrischer
und tragischer Verse der Diktion Reiz und poetischen Anstrich zu geben.
Die Rhythmen, namentlich der gesungenen Stellen tragen entsprechend
der ausgelassenen Art des Spiels und Tanzes einen munteren und be-
wegten Typus; neben den anapästischen Tetrametern spielen die raschen
Trochäen und kräftigen Päonen eine Hauptrolle. Auch der Hauptvers des
Dialoges, der iambische Trimeter, wird durch die häufigen Auflösungen
und die Einmischung von Anapästen beschwingter zugleich und lässiger.
Im übrigen sind uns die Komödien auch dadurch leichter verständlich,
dass sie frei von verwickelten Versformen fast nur populäre, leicht ins
Gehör gehende Sangweisen enthalten.*)
196. Die ältesten Komödiendichter Athens nach den Perserkriegen
waren Chionides, Ekphantides, Magnes. Des Magnes gedenkt rühmend
Aristophanes in den Rittern 520 ff. ; nach dem Anonymus de com. III hatte
j) Ungenügend ist die Au&Ahlnng der { hema, Antipnigos, Sphragis zu geben.
fie^tj xiofKodlag im Anecd. Paris. VoUstän- *) Der strengere Attäismos der Komödie
diger ist das den Aristophanesscholien zu j zeigt sich besonders in dem Gebrauch von
gründe liegende System des Heliodor; vergl. rr statt cr<r, in den Pluralen Innrjg^ ^A/agy^g
oben § 146. Zielikski, Die Gliederung der statt inneig, ^^/«pve/'V, und in der Seltenheit
altatt. Komödie, stellt die Komposition und | von Formen und Wörtern des epischen und
Gliederung der Komödie in schiu-fen Gegen- ionischen Dialektes; s. Rutrbrfobd, Zur Gre-
satz zu der der Tragödie; ihm gebührt das
Verdienst, die Bedeutung des Agon als alten
Hauptelementes der Komödie zur Geltung
schichte des Atticismus, Jhrb. f. Phil. Suppl.
XIII 359—392, und oben § 138.
») Sehr viele Metra sind nach Dichtem
gebracht zuhaben; demselben sucht er auch i der alten Komödie benannt, wie Cratineum,
ähnlich wie der Parabase eine feste GUe- , Eupolideum, Pherecrateum, Aristophaneum,
derung in Ode, Katakeleusmos, £pirrhema, j Phrynicheum.
Pnigos, Antode, Antikeleusmos, Antepirr- {
C. Drama. 8. Die Komödie, b) Die altattiaohe Komödie. (§§ 196—197.) 287
er elf Siege davongetragen,^) hatte sich aber von ihm nichts erhalten.^)
Titel seiner Stücke waren BaQßmdrai^ Bdrqaxoi^ ''OQvid-sg, Av6o(^ ^ijr^c,
woraus man ersieht, dass er in der phantastischen Ausstattung des Chors
dem Aristophanes vorangegangen war.
197. Kratinos (gestorben zwischen 423 und 421), ») der neben
Eupolis und Aristophanes in den Kanon aufgenommen wurde, ^) war der
Begründer des archilochischen Tones der politischen Komödie und erhob
zugleich durch Einfuhrung des dritten Schauspielers die Komödie zu
gleichem Rang mit der Tragödie. Ein Anhänger des Kimon'^) und der
konservativen Partei verfolgte er heftig den Perikles, den er in den
Qq^tai den zwiebelköpfigen Zeus schalt und in den XetQwveg von der
Zwietracht und dem Kronos geboren sein liess.^) Im Privatleben war er
ein Freund Instiger Gelage und setzte mehr als gut der Weinflasche zu ;
von ihm rührt der hübsche Vers her:
vSfOQ S^ nivoav x^ijcttov oiShv av Täxoig.'^)
Als Eomödiendichter trat er nach Eusebios erst spät im Jahre 453 auf;
Siege errang er neun (sechs an den Lenäen, drei an den Dionysien), Ko-
mödien hinterliess er 21, welche von den alexandrinischen Grammatikern
fleissig gelesen und kommentiert wurden. Berühmt waren die ^AqxiXoxoi^
die Spotter, worin ein Wettstreit von Dichtem vorkam, die Qq^xzai und
Xii^veq, welche gegen Perikles gerichtet waren, die Evvetdm^ die man bei
dem Tode Alexanders d. Gr. unter dem Kopfkissen des Königs fand
(Phot. bibl. 151a 11), die '06v<rafjg, mit denen er die Reihe mythologischer
Travestien eröfi&iete, die Bovxokoi^ welche mit einem Dithyrambus der
Begleiter {ßovxoXoi) des Gottes Dionysos begannen, insbesondere aber die
nvTivr^. Als nämlich Aristophanes in den Rittern V. 524 über ihn als
morsche Ruine zu spotten gewagt hatte, trat er im nächsten Jahr (423)
mit jener Pytine auf, in welcher Frau Komödia sich beklagte, dass ihr
einst so getreuer Ehemann nun in wilder Ehe mit der Flasche lebe, und
mit ihren Künsten ihn wieder aus den Schlingen der bösen Buhlin be-
freite; die Athener stellten sich auf die Seite des gekränkten Dichters,
indem sie ihm den ersten Preis zuerkannten, Aristophanes selbst aber
ehrte den einstigen Rivalen in den Fröschen V. 357 durch den Preis der
stiergewaltigen Sprache des Kratinos.
Krates diente anfangs als Schauspieler dem Kratinos, trat dann
aber auch als selbständiger Dichter auf; zum erstenmal siegte er 449.
Nach Aristoteles Poet. 5 war er der erste, der von der Form des per-
') Ein Sieg gleichzeitig mit einem des
Aischylos ist urkundlich bezeugt CIA II 971;
die Siege desselben waren gewiss ebenso
vie die des Kratinos teils lenftische, teils
dionyEBSche. Vgl. Lio Rh. M. 33 (1878) 139 ff.,
ScgnuBL Ind. lect, Greifsw. 1895/6.
') Nach einer Notiz des cod. Salomonis
(publiziert von Uskheb Rh. M. 28, 418) hatten
& Stocke der filteren Komiker nicht mehr
«bdOO Verse.
') Tot war er zur Zeit der Aufführung
▼OS Arist Pac. 701, was Ziblüvski Rh. M.
^t 301 ff. wegzuklflgeln sucht.
*) Horaz Sat. I 4, 1; Velleius I 16, 3;
Quint. X 1, 66; Platonios de com., wonach
Kratinos der bittere {TiixgoTeQOi)^ Eupolis der
feinere (inixagtearegog) war, Aristophanes
sich in der Mitte hielt; vgl. Persius I 123.
Vom Anonym, de com. III wird Kratinos dem
Aischylos verglichen.
*j Plut. Cim. 10.
«) Plut. Pericl. 3 u. 24.
^) Nach Epigramm des Nikainetos bei
Ath. 39 c = AP XIII 29 ; vgl. Horaz Ep. 1 19, 1 ;
Meinekb bist. com. T 47.
I
k
288 OriechiMhe LitteimtiirgMeliiohte. L ma—inohn Periode.
sönlichen Spottgedichtes abgehend, eine allgemeine Fabel seinen StQcken
zu gründe legte. ^) In der Weise des Epicharmos liebte er den heiteren
und lustigen Ton; auch soll er zuerst Trunkene auf die Bühne gebracht
haben. ^) Suidas nimmt zwei Eomödiendichter Krates an') und schreibt
dem unseren sieben Komödien zu; wir haben im ganzen noch 15 TiteL
Von genialer ^Erfindung waren seine ^^a, die das goldene Zeitalter
schilderten, wo die wilden Tiere noch Sprache hatten und in allem dem
Menschen zu Diensten standen.
Pherekrates war ein erfinderischer Kopf, der, in Krates Fusstapfen
tretend, an die SteUe regeUosen Spottes fein erfundene Fabeln setzte.
Seine Wilden f^/^oi) wurden 420 an den Lenäen aufgeführt, den ersten
Sieg scheint er 437 errungen zu haben.^) Von seinen 16 Komödien, von
denen drei als unecht galten, ^) behandelte der Jovlodiddaxalog die Zncht-
losigkeit der Sklaven, die KoQiaww die Trunksucht der Hetären, die Mv^
fxr^xdvx^Qwnoi die Fabel von der Entstehung der Menschen aus Ameisen, der
XeiQwv die Misshandlungen der Frau Musica. Aus den Msrailf^g (Berg-
kobolden) hat uns Athenaios ein langes Fragment erhalten, in dem das
Schlaraffenleben des goldenen Zeitalters launig geschildert ist. Übrigens
verzichtete auch Pherekrates nicht ganz auf die politische Satire ; in einem
Stück (bei Ath. 535 b) verspottete er mit bitterem Hohn den Weiberhelden
Alkibiades.
Zur Zeit des Kratinos blühten noch mehrere andere Komödiendichter
gleicher Richtung, aber niederen Ranges, so Telekleides, der mit Heftig-
keit den Olympier Perikles verspottete und die Dichter seiner Zeit in den
^HaioSoi geisselte,^) Hermippos der Einäugige, der gleichfalls als Gegner
des Perikles auftrat und gegen die Aspasia eine Klage wegen Gottlosigkeit
einbrachte;^) eines seiner Stücke, die ^PoQfio^ogoi, enthielt viele Parodien
auf Homer. Andere Komiker waren Myrtilos, Alkimenes, Philo-
nides.^)
198. Eupolis, ausgezeichnet durch feinen Witz und anmutige Dar-
stellung, erhielt sich neben Aristophanes am längsten in der Gunst der
Leser.») Seine Blüte fallt in die Zeit des peloponnesischen Krieges; früh-
reif brachte er schon als junger Mensch von 17 Jahren Komödien auf die
Bühne. Den Tod erlitt er im HeUespont, wahrscheinlich 411, im Kampfe
für das Vaterland, infolge dessen die Athener den Dichtem Befreiung vom
M Arist Poet 5: K^trjg ngiüiog ^e^er machoe oder Piaton gedichtet haben; s. Aih.
«ififABvog xrjq ia/Aßixijg idiag »a^olov Ttoistr 364a, Mbikbkb I 75, Bkbok 290 ff.
Xoyovg xai fivdovg. *) Von flim 5 Siege verzeichnet CIA
*) Anon. de com. DI; Arist Equ. 537 ff. 11 977.
») Auch der rweite Krates wird von Sni- ') Plut Pericl. 32. üeber seinen Hyper-
das der «p/«(a xtafAtadia sagewiesen, aber bolos s. Aristoph. Nnb. 547; andere SÜLcke
die Titel seiner Stücke Stfaavgosy 'O^yi^eg, von ihm waren die U^tontaXids^y Ifor^ac,
♦iJU/^j'i'^oc weisen mehr anf die nene Ko- iT^atuatat.
mödie; vgl. Meinekb I 64. ®) Andere Namen, wie Xenophilos, Phi-
*) Das erste überliefert Ath. 218 d, woro lokles, Aristokrates, Kallistratos, Emmenides,
stelle Plato Protag. 327 d; das zweite beruht Sokrates, gibt mit Angabe der Sie^ die
anf der Emendation des Anon. de com. rtx^ Liste der Komiker CIA II 977,
ini detirgov [irti Gf odoi^ov em. Dobree). •) Vei^ Persins II 92; Lucian adv.
^) Den XBi^wy soll nach anderen ^iko- ind. 27.
G. Drama« 8. Die Komödie, b) Die altattisohe Komödie. (§ 198.)
289
Kriegsdienst gewährt haben sollen.^) Man kannte von ihm 14 oder 17
Stücke,') von denen sieben mit dem ersten Preis gekrönt wurden. ») Mit
Aristophanes war er anfangs infolge der gleichen Abneigung gegen die
zflgeUose Demokratie und die neumodische Bildung gutbefreundet; später
entwickelte sich zwischen beiden ein gespanntes Verhältnis, das in dem
gegenseitigen Vorwurf des Plagiates gipfelte.*) Die berühmtesten seiner
Komödien waren: die KiXaxe^ (421), in denen er den reichen Kallias, der
mit Schmarotzern, Sophisten und Litteraten sein Erbe verprasste, an den
Pranger stellte, der Maqixäq^ in dem er den Hyperbolos, den Nachfolger
des Kleon, unter falschem Namen verhöhnte, die Bämai oder Täufer,^)
die gegen Alkibiades und die von ihm begünstigten fremden Kulte ge-
richtet waren, die Jrjiioi, in denen die Geister der grossen Staatsmänner
der alten Zeit citiert wurden, um ihre Meinung über die verzweifelte Lage
des Staates abzugeben. Andere angesehene Stücke waren die Ziegen, die
Städte (der Bundesgenossen), das goldene Zeitalter,^) die Astrateutoi, die
Taziarchoi, der Autolykos, die Heloten.
Phrynichos, der 429 zuerst auftrat und in Sikilien umkam, wird
zwar von Aristophanes in den Fröschen V. 13 übel mitgenommen, 7) hatte
aber guten Witz und schneidigen Charakter. Von seinen zehn Komödien
waren besonders angesehen die Schmauser, der Einsiedler {MovoTQonoq)^
die Mysten, Ephialtes, die Musen; in den letzteren nahm er ähnlich wie
Aristophanes in den Fröschen, den Tod des Sophokles und Euripides zum
Ausgangspunkt.
Platon^) spielte von der Mitte des peloponnesischen Krieges an bis
über 390 hinaus eine hervorragende Rolle auf der komischen Bühne Athens.
Ton seinen 28 Stücken richtete sich nur ein Teil gegen die politischen
Umtriebe, wie der "^YntQßoXoq^ der Kkeotpwv (405), die Jvfifiaxia^ welch
letzteres Stück sich auf die Verbindung des Nikias, Alkibiades und Phaiax
znr Verbannung des Hyperbolos durch das Scherbengericht bezog; die
meisten, namentlich die aus der späteren Lebenszeit des Dichters, griffen
mich Art der mittleren Komödie in das Gebiet der Parodie, so die llon^xai,
Ä^urroi, ^ASwvig, EvQoiTir)^ Acuoq. Berühmt war besonders der (Paeov, in
dem der Titelheld mit seiner von Aphrodite ihm verliehenen Salbe allen
Weibern den Kopf verrückte.®)
Andere von Aristophanes und Eupolis verdunkelte Komödiendichter
dieser Zeit waren Kallias, der wahrscheinlich auch Verfasser der Buch-
^) Siiidiis 11. EvnoXi^, Das erinnert an
die raratio militiae bei Porphyrio zu Hör.
Epod. 1, 7. Die Fabel, dass AJJdbiades den
Meen Komiker ertränken Hess, widerlegte
sdwn Eratosthenes nach Gic. ad Att 6, 1.
Nach Fans. 2, 7 befand sich sein Grabdenk-
mal bei Sikyon.
^) Die 1. 2^ahl bei dem Anon. de com.,
^ 2. bei Soidas.
') 3 dionysische Siege bezeugt die Ur-
kunde CIA n 977.
*) Den Vorwurf erhebt Arist. Nub. 553;
^egen Eupolis bei Schol. Arist. . Eq. 528
und 1288.
») So Lkhbs, Popul. Aufs.« 396 f. Auf
das Stück spielt auch Juvenal 2, 91 an.
®) Das Stück handelte nicht vom Glück
des goldenen Zeitalters, sondern de statu
pessimo cum irriaione tamquam aureo.
^) Aus den Schollen z. St. ersieht man,
dass die Eunsturteile der alezandrinischen
Gelehrten über ihn geteilt waren.
B) Co^ip, Observationes crit. in Piatonis
comid rell., Amsterd. 1840.
•) Servius ad Verg. Aen. III 279.
Baodbach der kins. AltertumawiaBeiuichaft. VII. 3. Anfl.
19
L
290
Oiieohisohe Lüteimtnrgesohiohte. L XUssUiolie Periode.
stabentragödie war,^) Ameipsias, der sich an Äristophanes zu reiben
liebte, ^) aber auf der anderen Seite doch geradeso wie jener den Sokrates
in dem Eonnos, dem Lehrer des Philosophen in der Musik, verhöhnte,
Aristomenes, den die Grammatiker zu den Komikern zweiten Ranges
{B7tidevTe(foi) rechneten,*) femer Aristonymos, Archippos, Leukon,
Lysippos,^) Metagenes, Aristagoras.
Endlich sei, ehe wir uns zum Hauptvertreter der attischen Komödie,
zu Äristophanes, wenden, noch des Hegemon, mit dem Beinamen ^axijg^
aus Thasos gedacht, der eine Komödie Philine dichtete, mehr aber als Erfinder
der parodischen Dichtung berühmt war. Er blQhte während des pelopon-
nesischen Krieges und soll durch seine Titanomachie das leichte Völkchen
der Athener so zum Lachen gebracht haben, dass sie darüber die Nieder^
läge in Sikilien vergassen. Besonders war es Alkibiades, der ihm seinen
mächtigen Schutz lieh und einmal eine gegen den beliebten Dichter ge-
richtete Klage einfach mit dem nassen Schwamm ausgelöscht haben soll.^)
Erhalten ist uns von ihm durch Athenaios p. 698 ein Gedicht in parodi-
schen Hexametern, worin er den Spott böswilliger Landsleute, dass er aus
dem armen Thasos in die Fremde nach Athen gegangen, aber von dort
nicht, wie andere Rhapsoden, Haufen von Geld nach Hause gebracht habe,
witzig abwehrt.
c) Äristophanes (um 450 bis um 885).^)
199. Leben. Von den äusseren Lebensverhältnissen des Äristo-
phanes wissen wir und wussten bereits die Alten nur weniges. Von
Geburt war er ein Kydathenäer;^) Äginete hiess er, weil er ein Ackerlos
auf jener Insel erhalten hatte. ^) Das attische Geblüt der Mutter ward nie
angefochten,^) aber die Zweifel an der Herkunft des Vaters Philippos
zogen dem Dichter schon bald nach seinem ersten Auftreten ^ne Klage
wegen unbefugter Anmassung des Bürgerrechtes zu.^^j Daher stammen
die verschiedenen Vermutungen der Grammatiker, die ihn bald für einen
Rhodier aus Lindos oder Kameiros,^^) bald gar für einen Ägypter aus Nau-
») Ath. 453; vergl. Hense Rh. M. 31,
582 ff.
«) Vit. Aristoph.
•) Suidas u. A^iaxofAivtjg. Wahrschein-
lich gah es der Aristomenes zwei; s. Bbrqk,
Rh. M. 84, 307.
^) Ueber eine didaskalische Angabe der
Stücke des Lysippos CIG 225 u. 230 Petersen
Wien. Stud. VH 181.
^) Chamaileon bei Ath. 406.
") Ausser einem Artikel des Suidas, mit
dem das gute Scholion zu Piaton apol. 19 c
gleiche Quelle hat, ist erhalten ein Agiaro^
(payovg ßiog und ein Absatz im Anon. de com.
Von Neueren: C. Fr. Ranke, De vita Aristoph.,
m Ausg. von B. Thibrsch (1830) und ab-
gekürzt in Ausg. von Mbinekb (1860); Röt-
scBBR (mehr Hegelianer als Philolog), Äristo-
phanes und sein Zeitalter, Berl. 1827; Bbrgk
zu den Fragmenten im 2. Bd. von Meineke's
Fr. com. gr.; Mülle r-Strübino, Äristophanes
und die historische Kritik, Leipz. 1873; Couat,
Aristophane et la comödie attiqae, Paris
1889; Eaibbl in Wissowa.
^) Ein Ratsherr Ugiaxog>€ivi]s Kvda&ij^
yaievg CIA II 865.
«) Acham. 653.
*) Dieses geht daraus hervor, dass ^
sich bei dem Prozess auf den Vers der Odys-
see tt 215 ovttg ioy yovoy avxog da^^y^^
berief.
**) Vita: |fW«f ««'* avxov yga^p^ M&mro
KXetor. Der Streit beendet durch eineii Ana-
gleich nach Arist. Vesp. 1285.
") Auf Grund von Ach. 658 berichtet
das Schol. Plat: xaxexXij^aHse cf^ xccc twj^
Jtyiyay, tag Seoyeytjg tprjciy iv riß ne^l ^4»"-
yiy f^g. Wahrscheinlich erhielt dieses Acker*
los der Dichter erst nach der totalen Unter*
werfung der Insel im J. 431; b. Bkbox, Grr
Litt. IV 74.
G. Drama. 8. Die Komödie, o) Aristophanes. (§ 199.)
291
kratifi ausgaben.^) Aber mochte auch kein athenisches Vollblut in seinen
Adern roUen, nach Gesinnung und Bildung war er Athener wie kein zweiter.
Sein Geburtsjahr wird nicht angegeben ; da ihm aber sein Alter erst in den
Bittem (aufgeführt 424) einen Chor fQr sich zu verlangen erlaubte,^) so
muss er damals mindestens schon volljährig, wahrscheinlich aber bereits
25 bis 30 Jahre alt gewesen sein;*) bereits 421, als er den Frieden auf-
führte, war er ein Glatzkopf.^) Über seine Erziehung und Bildung sind
QDS keine besonderen Zeugnisse erhalten; aus seinen Werken sehen wir,
das8 er nicht bloss die ihm nächststehenden Dichter, die Komiker und
lambographen, gut kannte, dass er auch in den Tragödien des Aischylos
und den Gesängen des Stesichoros und Pindar wohl zu Hause war, kurz-
um, dass die Grazien und Musen seine Wiege umstanden und seinen
Lebenslauf begleitet hatten. Besonderen Einfluss auf den jungen Dichter
übte das politische Parteileben in den Klubs oder Hetärien aus. Mit der
ganzen Heftigkeit seines Wesens schloss er sich den Friedensfreunden
and der aristokratischen Partei an, denen die Herrschaft der bürgerlichen
Emporkömmlinge, wie Kleon und Hyperbolos, und die neue Richtung der
rhetorisch-sophistischen Bildung ein Dorn im Auge war.^) So gelang es ihm,
indem er Witz und Humor mit politischer Heissblütigkeit und sittlichem Ernste
verband, die Bretter der ausgelassenen Thalia zu einer Erziehungsstätte
des Volkes und zu einer politischen Macht ersten Banges zu erheben.
Über 40 Jahre lang (von 427 bis nach 388) beherrschte er die komische Bühne
Athens und machte innerhalb derselben auch die Wandlungen durch,
welche das Lustspiel infolge der geänderten Zeitverhältnisse und des ge-
änderten Geschmacks erlebte. Die aristokratische Partei des Dichters war
gegen Ende des peloponnesischen Krieges ans Ruder gekonmien, ohne es
wesentlich besser zu machen; der Bühnenfreiheit waren durch Gesetz und
mehr noch durch die Furcht vor den Machthabern beengende Schranken
gezogen worden;^) der Staat war durch den unglücklichen Ausgang des
langjährigen Krieges verarmt und hatte für Festspiele und Chorausstat-
tong wenig Geld übrig; der Dichter selbst wurde allgemach alt und
verlor die Schneidigkeit rücksichtslosen Angriffs. So trat seit dem Frieden
des Nikias die politische Parteileidenschaft in seinen Komödien zurück
und ward er schliesslich mit seinem Plutos, Aiolosikon und Kokalos Be-
*) Snidas: 'Agustotpavti^ 'Poifiog ^toi Alv-
A«f, o( dh Aiyvnttoy 6<paaay (vergl. Schol.
Nab. 271 Q. Ath. 229 e), ol di Kafjttqia, »e<iBi
•) Nub. 530: xayta nuQ&eyog ydg h*
7'r X9VX i^y nta fAOi texeiy, Hi9rixa, Gegen
^ Deatnng dieser Stelle auf das Alter er-
Uftrt adi RöMBR, Zur Kritik a. Exegese der
Wc^en des Aristophanes, Stzb. d. b. Ak.
1896 a 344 f.
•) Von der Altersgrenze, die zur Por-
^crong eines Chors berechtigte, wnssten
Mbon die alten Erklftrer nichts sicheres;
^ junge Scholion za Nub. 510 spricht von
30 Jahi«n. Kenntnislos ist die Angabe der
Sdiolien zu den Fröschen Y. 504, wo aus
^X^doy (iBiqaxiaxog ijdi] tjnjsjo xwv aytjymy
gar nichts zu schliessen ist.
*) Pac. 767: xal xoTg tpttXaxQotm Tiagak^
yovfisy avcnovSa^eiv n€Qi rrjg yixtjg. Vgl.
Bergk, Comment. p. 203. Auch die Bttsten
stellen den Dichter kahlköpfig dar. Dass er
der Flasche fleissig zugesprochen, bezeugt
Ath. 429 a: 'AXxaiog d^ 6 fdeXonoiog xal'jgi-
axotpavfig 6 xtofjLfüdionoiog fi69voyTeg Byqafpov
Ttt noirj fittxtt. Vgl. Vesp. 80.
') Dass wir in der Polemik des Aristo-
phanes nicht das objektive Urteil eines Hi-
storikers, sondern die subjektiv gefärbte An-
sicht eines politischen Parteimannes zu er-
kennen haben, betont besonders Müller-
Strübing.
•) Vgl. Pac. 739 ff., Vesp. 1023 ; vgl. § 195.
19*
i
292
Qrieohischa Lüteratnrgeschiclite. I. Klassisohe Periode.
gründer der neuen Komödie.^) Die letzten zwei StQcke gab er schon
nicht mehr unter seinem Namen, sondern unter dem seines Sohnes Araros,
um denselben empfehlend bei dem Publikum einzuführen.*) Den uns er-
haltenen Plutos dichtete er noch für die Dionysien von 388; bald nach-
her aber muss er gestorben sein; sicher war er Ol. 101, wo nach Suidas
sein Sohn Araros mit eigenen Stücken auftrat, schon tot; wahrscheinlich
enthält das 384 geschriebene Gastmahl des Piaton ein Qedenkblatt für den
kurz zuvor verstorbenen Dichter. Söhne hinterliess er drei oder vier,
von denen sich Philippos und Araros gleichfalls der komischen Bühne
widmeten.*)
200. Werke. Hinterlassen hat Aristophanes vierundvierzig Komödien,
von denen vier als unecht galten.^) Auf uns gekommen sind elf Stücke, die
anderen kennen wir nur nach Titeln und Bruchstücken.^) Die Zahl der
Dramen ist kleiner als die der grossen Tragiker, weil an den Dionysos-
festen immer nur eine Komödie gegenüber drei Tragödien zur AufiFÜhrung
kam. Die drei ersten Komödien brachte er unter fremdem Namen,
die JaiTaXr^g oder Schmauser durch Philonides (427), die BaßvXairwi (426)
und 'AxccQvrjg (425) durch Kallistratos auf die Bühne.«) Beide Männer
dienten ihm auch später noch als Schauspieler, und zwar soll Philonides
die Rollen von Männern in öffentlicher Stellung, Kallistratos die von Private-
personen gegeben haben, offenbar weil dieselben gerade in diesen Rollen
ihre Hauptkraft hatten. 7) In dem Frieden liess er nach der Hypothesis
die Hauptrolle durch den Schauspieler ApoUodor spielen. Übrigens ver-
schmähte er auch selbst nicht die Aufgabe eines Schauspielers; speziell
wissen wir, dass er in den Rittern den Kleon gab, angeblich weil keiner
der Schauspieler die ge&hrhche Rolle zu übernehmen wagte. ^) Nach dem
Tode des Dichters konnten sich natürlich seine Dramen nicht wie die-
jenigen der Tragiker auf der Bühne erhalten. Das verbot der Ton und
*) Vita Aristoph. : yprjfpiafAaioq ysvofiiyov
XOQtiyinov üoxb fif} oyofjittaxl xtofÄipdety rtv«
xal rtSv x^Q^ycSy ovx äyxexovnoy ngog to
XOQijyeiv . . . iyQa\pe KaixaXoy, iy ta Biadyei
g>SoQ(ty xal ay«yy(aQiafi6y xal laXXa ndyiaj
ä iCrjXioae Mäyay&gog. Vgl. Platonios Ttegi
diatpoQag xtofi.: roiovrog ovy iariy 6 x^g
fÄiatjg xfofÄtadiag rvnog, olog iarty 6 AioXo-
aixtoy 'AQtaxoq)ttyovg,
*) Vgl. Arg. Flut.; vielleicht auch) weil
Aristophanes zu alt war, um selbst noch als
Schauspieler die erste Rolle zu spielen.
') Nach Dikäarch hatte er noch einen
Sohn Philetairos; Apollodor nennt statt dessen
Nikostratos.
^) Die 4 zweifelhaften Stücke noitjaigy
Jioyvaog yavayog^ Ntjaoi^ Nioßog wurden von
andern dem Archippos zugeschrieben; über
die Gründe dieses Urteils gibt Vermutungen
Kaibel, Herm. 24 (1889) S. 42 ff.
*) Ein alphabetisches Verzeichnis von
42 Stücken im Cod. Ambros. L 89 (entdeckt
vonNovATi; vgl.WiLAMOwiTZ Herm. 14,461 ff.)
und in einem Vaticanus (entdeckt von Zübetti,
Anal. Arist. 1892, 104). Merkwürdigerwe
fehlt Aristophanes unter den Siegern an den
Dionysien; er errang unter eigenem Namen
nur an den Lenften Preise; s. Obhmicbkk
Stz. d. b. Ak. 1889, II 156.
") Den Kallistratos nennt auch f&r die
JatxaXijg der Anon. de com.; vergl. Schol.
Nub. 531. Uebrigens versteht Arist., w^enn
er, wie Ach. 644, vom Dichter jener St&cke
spricht, sicher sich selbst, nicht jene Staroh-
männer. Die Vita bemerkt weiter: i^xtunro^
ttvxoy U^iaxoiyv/jLog xe xal ^AfABi^iagy XBr^nSi
Xi^yxBg avxov ysyoyiyai xaxd xijy na^ot-ftiwc^
(6g äXXoig noyovyxa.
^) Vita: did fiiy 4»iX(oyL&ov xd dr^fiOTixä^
dui di KaXXiaxQaxov xd idiioxixd. I>aza
Schol. Nub. 531 ; Bkrok bei Mbiitskb n
916 ff.; Zachbb PhiloL 49, 313 ff.
®) Vita: ovdeyog xtoy axevonoituy toX/a^
aavxog xd ngoatanoy avxoii (sc. KXeo»yo^\
axsvdffai, dC iavxov ^Aqiaxot^vfjg vncjr^c^irro,
avxov x6 TtgofffOTJoy fJiiXx^ x^iaag, was ans
Arist. £q. 230 fl. geschlossen acheint.
C. Drama« 8. Die Komödie, o) ArietophaneB. (§§ 200->201.)
293
Inhalt der speziell für die jedesmaligen Zeitverhältnisse gedichteten Werke
der alten Komödie. Aber um so eifriger wurden sie von den alexandri-
nischen Grammatikern gelesen und kommentiert. Wiewohl daher unser
Dichter bei den zahmeren Geistern der Kaiserzeit, wie Dion Chrysostomos
and Plutarch,!) wegen seiner derben und unflätigen Spässe in Verruf kam
und dem feinen, wohlgezogenen Menander nachstehen musste, so haben
sich doch von ihm nicht weniger als elf Stücke, offenbar die berühmtesten
und charakteristischsten, erhalten und dazu gelehrte und scharfsinnige
Schollen, ohne deren Beihilfe wir vielfach bei der Erklärung und Zeitbe-
stimmung im Stiche gelassen würden. Diese elf Stücke wollen wir nun
ihrer chronologischen Folge nach einzeln betrachten.*)
201. ''AxaQv^q ist der Titel des ältesten der erhaltenen Stücke, auf-
geführt 425 an den Lenäen durch Kallistratos und mit dem ersten Preis
gekrönt*) Auf die Festzeit spielt der Dichter selbst V. 504 an: amoi
yaq iafisv ovnl Arjrcu(p %' äydv^ xovnto ^svoi ndqet^iSiv* Kleon hatte nämlich
gegen den Dichter Klage bei dem Senat erhoben, weil er im Jahre zuvor
an den grossen Dionysien in den BaßvXcinoi vor ganz Hellas den Staat
der Athener und die Beamten desselben lächerlich gemacht habe.^) Den
Namen hat unsere Komödie von dem Chor, der aus Kohlenträgem des
Dorfes Achamä, handfesten, vierschrötigen Kerlen, zusammengesetzt war,
zu deren sehniger Kraft trefflich der rasche und kräftige Rhythmus der
Kretiker und Trochäen stimmt. Ausgangspunkt für den Dichter bildete
der Gegensatz zwischen dem Friedensbedürfnis der Landleute, die der
Plackereien des Krieges überdrüssig waren, und den Umtrieben der De-
magogen und Eisenfresser nach dem Schlage des Kleon und Lamachos,
deren Weizen in den Unruhen des Krieges am üppigsten blühte. Reprä-
sentant der ersten Partei ist der Biedermann Dikaiopolis, der durch Am-
phitheos einen Separatfrieden von den Lakedämoniem erhandeln liess und
nun mit heiterer Lust, wie ehedem im Frieden, seine ländlichen Dionysien
begeht.^) Verwicklung bekommt die Handlung durch den Chor der Acharner,
die den Verräter, weil er einen Privatfrieden mit den Feinden der Stadt
zu schliessen gewagt, mit Steinen verfolgen und zur Verteidigung auf
dem Hackblock nötigen, mehr noch durch den effektvollen Kontrast des
') Dion or. 16, 6; Pkt. SvyxQUftg U^i-
9x«f4povi xtti Msyävd^ov, Der Arzt Galen
edineb ein Buch Ei XQV^^H-^*' dydyyioafAa
') In der HaupÜiandschrifi;, dem Ravennas,
stehen die Stücke in folgender Ordnung: Plnt.
Nnb^Ban. Eq. Ach. Vesp. Pac. Av. Thesm. Eccl.
L78. Massgebend war fttr diese Folge nicht
techweg die Abfassnngzeit der Stücke, viel-
mehr stehen Toran die 3 Stftcke, welche den
i|Ateren Gianunatikem die lesenswertesten
Mhienen, der Plntos als Vorbild der neuen
Komödie, die Wolken und Frösche wegen
ihrer Beziehimg zu Sokrates und Euripides;
ihneo seheinen andere noch als 4. Stück die
Bitter angereiht zu haben, da bei der fol-
Cenden Reihe, Ach. bis Av., die chronologische
Folge bewahrt ist (s. oben bei Sophokles
§ 164). Den Schluss bilden die 3 Weiber-
komödien.
') Nach dem Argumentum erhielt den
2. Preis Eratinos mit den Xfe^aCo/ucro», den
3. Eupolis mit den Nov^rjviai.
*) Schol. Ach. 502. Der Scholiast zu
Vesp. 1285 bezeichnet die Anklageform als
Blaaytayrj ei^ xrjy ßovXtjy. Diese Anklage
konnte indes nur gegen den nominellen Autor
erhoben werden; den Aiistophanes belangte
Eleon nach Schol. ad Ach. 377 mit einer
&ixfj ^Bvlag.
B) Mit einer aller Dlusion spottenden
Freiheit versetzt Arist. von V. 240 an die
Scene aus der Stadt aufs Land, worüber M.
Haupt, Opusc. II 458 ff.
294
Griechische Littenttorgeschichte. L Klassieohe Periode.
schlichten Landmanns und des Pascha mit drei Rossschweifen, des kriegs-
wütigen Lamachos, der zum Krieg gegen den Einfall der Böotier auszieht,
während jener zum Mahle sich laden lässt, und schwerverwundet auf die
Bühne zurückgetragen wird, während jener nach fröhlichem Mahle jubelt
und tanzt. Dieses alles ist belebt durch sprudelnden Witz und ergötz-
lichste Scenen, wie von den Gesandten der Perserkönige, dem Studier-
zimmer des Euripides, dem Ferkelverkauf der Megarer. Ober dem Ernst
des politischen Hintergrundes, der immer wieder und wieder durchbricht,
verleugnet sich eben doch nicht die Ausgelassenheit des Dionysosfestes,
das die gröbsten Zoten hervorrief und entschuldigte.^) Die Verteidigung
des Dichters und namentlich seiner politischen Stellungsnahme führt in
kräftiger Weise der Chor in der Parabase V. 626—718.
202. Die Ritter (iKTtrjg) wurden im Jahre 424 an den Lenäen vom
Dichter selbt siegreich auf die Bühne gebracht,^) aber bereits in den
Achamern Y. 300 in Aussicht gestellt. Anlage und Tendenz des Stückes
liegen schon im Titel: die Elite der athenischen Bürgerschaft, die Bitter
und Söhne der edlen Geschlechter hatten dem Aristophanes die Ehre an-
gethan, selbst den Chor zu bilden.^) Das hob das politische Selbstgefühl
des jetzt vor aller Welt von den Besten des Staates unterstützten Dichters,
der mit einer unserem Polizeiregiment schwerbegreiflichen Bedefreiheit
nicht bloss dem Mächtigsten des Staates, dem Eleon, rücksichtslos sein
Sündenregister vorhält, sondern auch dem suveränen Demos unverblümt
die bittersten Wahrheiten sagt. Auch durch die Sorgfalt der Disposition
und der streng durchgeführten Fabel erheben sich die Bitter über die
geniale Ungebundenheit der Acharner: der Demos, ein alter, jähzorniger,
dem Aberglauben nicht minder als der Schmeichelei zugängiger Herr, wird
ganz beherrscht von seinem neuen Diener Kleon, der auf jede Weise den
alten Herrn zu ködern weiss und erst allerjüngst den Feldherrn Nikias
und Demosthenes bei Sphakteria den besten Bissen abgejagt hatte. In
dem Prolog treten zwei andere Sklaven des Demos, welche die Gram-
matiker Demosthenes und Nikias getauft haben,^) auf, um sich über ihren
neuen Genossen, den Paphlagonier zu beklagen, der sie durch seine
Schmeicheleien ganz um die Gunst ihres Herrn bringe. Ein Orakelspruch,
wie sie damals zu Dutzenden bei öffentlichen Angelegenheiten in Umlauf
gebracht wurden, zeigt ihnen den Weg, den durchtriebenen Gesellen zu
stürzen; sie treiben einen vierten Sklaven, den Wursthändler Agorakritos,^)
0 Mülleb-Strübino S. 498 ff. nahm eine I 1023 die hohe Ehre an.
üeberarbeitnng des Stückes an, da Lamachos
bald als Stratege, bald als Lochage (1074)
erscheint. Die Hypothese nnterstiltzt Zie-
LivsKi, Gliederung 54 ff. durch den Nach-
weis, dass an Stelle der schalen Polterscene
598 ff. in der ersten Bearbeitung ein voll-
ständiger Agon gestanden habe.
^) Zweiter war nach der Hypothesis
Eratinos mit den lärvQoi, dritter Aristo-
menes mit den *YXo(p6Qoi, Von den Rittern
sagt dieselbe: j6 ifi d^dfia ttSy ayay xaXtug
nsnoiijin^yaiy.
>) Dankbar erkennt der Dichter Yesp.
^) Die Namen stehen jetzt in den Aus-
gaben und Handschriften, sind aber, wie die
Hypothesis lehrt, erst von den alexandrini-
Bchen Grammatikern eingesetzt worden.
') Name und Person dieses Rivalen sind
.aus der Phantasie des Dichters hervor-
gegangen; aber manche Striche zur Zeich-
nung mochte dem Dichter die Figur des
gleichgemeinen Demagogen Hyperbolos ge-
liefert haben. MüLLBB-STBf^BiNG S. 556 An.
will den Namen aus '.^^'d^aro; -f 9$6xQnog
herleiten.
C. Drama. 8. Die EomO^e. o) Aristophanes. (§§ 202—203.) 295
auf, der an Unverschämtheit noch den Gerber Eleon zu übertrumpfen ver-
steht. Die Gliederung des Stückes in Akte ist vermittelst Parabasen und
Scenenwechsel angedeutet: nach dem Prolog wird zuerst Kleon von dem
Wursthändler auf offener Strasse unter lautem Schreien und Toben, aber
mit dem Beistand der Ritter, der geschworenen Feinde des Demagogen,
verhaftet; sodann berichtet nach einer Parabase der Wursthändler in
einer langen parodischen Rede die Verhandlung vor dem Senat; darauf
folgt die weitläufige Hauptverhandlung vor dem Demos selbst, wobei zu-
letzt die beiden Nebenbuhler ihren Herrn in ergötzlichster Weise rega-
lieren. Nach einer zweiten Parabase hält der Sieger Agorakritos, nach-
dem ihm das Staatssiegel (iaxvvhov, V. 947) eingehändigt worden war,
als Repräsentant des neuen Regiments mit dem umgekochten Demos seinen
festlichen Einzug. Durchwoben ist die Handlung mit tausend pikanten
Einfällen und Witzen, zu denen das Demagogentum der Zeit Stoff in Fülle
bot. Prachtstücke sind ausserdem in Rhythmus und Inhalt die lustigen
Beiterlieder und die historischen Rückblicke auf die Vorgänger des Dich-
ters in der ersten Parabase (505—610). Aristophanes rühmt sich in den
Wolken V. 549 eines durchschlagenden Erfolges, aber der kühne Angriff
auf den mächtigen Lederhändler Eleon und seine Trabanten trug ihm
Verfolgung und eine Klage ein, wie ,er in den Wespen 1285 ff. andeutet, i)
Sein Beispiel indes regte andere, speziell den Eupolis und Hermippos, zu
ähnlichen Angriffen auf den Lampenfabrikanten Hyperbolos an.^)
208. Die Wolken {v€g>äXai) wurden zuerst für die Dionysien von 423
gedichtet und dann, da dieselben eine kühle Aufnahme gefunden hatten, s)
nochmals umgearbeitet. Diese zweite Bearbeitung, die aber nicht zum
Abschluss und noch weniger zur Aufführung kam,^) liegt uns allein vor.
Die alten Grammatiker waren im stände, auch noch die erste Bearbeitung
zum Vergleiche heranzuziehen,^) und bezeichnen insbesondere die Parabase,
in der sich der Dichter über die Unbill des Publikums beklagt (518 ff.),«)
den Streit zwischen dem Sixaiog und aSixog Xoyog (889 — 1104), und den
Schluss, wo das Haus des Sokrates in Brand gesteckt wird, als neue Zu-
thaten. Das Stück fand, wie erwähnt, bei den Athenern keinen rechten
Anklang, indem die Masse sich für die philosophischen Grübeleien nicht
interessierte und die Besseren an der ungerechten Verzerrung der Gestalt
des Sokrates Anstoss nahmen. Der Dichter selbst hingegen hielt dasselbe
} Auf die Klage des Kleon bezieht , mit dem Konnos.
Bkbgk, Kl. Sehr. II 467 die Stelle in Ps.-
Xenophon de rep. Athen. 2, 18. Ausser in
den Rittern hatte Aristophanes in den 'OXxä&es
an den LenAen d. J. 428 die Partei des Kleon
angegriffen.
>) Arifitoph. Nah. 553 ff. Schol. ad Nub.
554 fahrt ans den Bapten des Eupolis an:
xdxeiyovg rovg 'Inniag ^vysnoiijca t<^ (pa-
iaxp(tf TovTifi x(^6a>QricdfJLriyi was die Alten
auf die 2. Parabase 1288—1315 bezogen.
Eine Erklftning, wie dieses zu verstehen sei,
stellt KiKCHHOFF, Herrn. 13, 287 ff. auf.
*) Aristophanes erhielt den 3. Preis, den
1. Kratinos mit der Hviiyij, den 2. Ameipsias
*) Irrtümlich ist die Angabe in hyp. lY
al <f^ devtsQtti NetpiXai im 'A^eivlov äg-
Xovtog. Dagegen Eratosthenes zu V. 552;
s. Gröbl, Die ^testen Hypotheseis zu Aristo-
phanes, Progr. DilÜngen 1890.
^) Darüber die 6. Hypothesis und Era-
tosthenes in den Schollen zu V. 552. Vgl.
Tbüffbl in der Ausg. der Wolken; Diitdobf,
De Arist. fragm. 15^23; Ziblikski, S. 34 ff.
Heiohtjbs, Ueber die Wolken des Aristophanes,
Progr. Köln 1897 bestreitet eine weitgehende
Umarbeitung; nur die alte Parabase sei teil-
weise durch eine neue ersetzt worden.
•) Ebenso Vesp. 1044 ff.
296 (ahriaohisohe Litteratiirgesohiohte. I. KUssisohe Periode.
für sein feinstes Werk, und die Nachwelt hat ihm insofern Recht gegeben,
als keine andere Komödie in alter und neuer Zeit mehr gelesen und kom-
mentiert wurde. Aber das Interesse knüpft sich mehr an die welthisto-
rische Persönlichkeit des Sokrates als an die poetischen Schönheiten des
Stückes. Es können doch eben die vollständige Verzeichnung des Philo-
sophen ^) und die mangelhafte Zusammenarbeitung der einzelnen Teile nicht
als besondere Ehrentitel angesehen werden. Die Wolken also sind gegen
den Geist der Neuzeit und die neue Richtung der sophistisch-rhetorischen
Erziehung gerichtet.^) Als Repräsentanten dieser Richtung stellt Aristo-
phanes den Sokrates hin, lediglich deshalb, weil dieser schon in seiner
äusseren Erscheinung eine komische Figur bildete, und weil unter den
Philosophen seiner Zeit keiner bekannter und einflussreicher als er war.
Sokrates also erscheint, ganz entgegen den Lehren, die er zeitlebens ver-
trat, als ein grübelnder Naturphilosoph, auf einer Schwebemaschine nach
den Sternen lugend und die luftigen Gestalten der Wolken als die Götter
seines Himmels anrufend. Bei ihm sucht ein ungebildeter Landmann,
Strepsiades, den die Vornehmheit seiner adeligen Frau und die noblen
Passionen seines Sohnes Pheidippides in Schulden gestürzt haben, Hilfe in
der Hoffnung, mittelst der Kunstgriffe der neuen Weisheit sich der
Plackereien seiner Gläubiger zu entledigen. Zuerst tritt er also selbst in
das Studierzimmer ein ; als er aber von Sokrates wegen seiner üngelehrig-
keit und Vergesslichkeit davongeschickt wird, bewegt er seinen Sohn
Pheidippides sich dem Sokrates in die Lehre zu geben. Dieser zeigt sich
denn auch so gelehrig, dass der Alte schon über die langen Nasen seiner
Gläubiger jubelt; aber bald muss er zu seinem Schaden erfahren, dass die
Schlauheit der neuen Lehre an ihm ausgeht, indem der Junge ihn durch-
prügelt und ihm dann rite vordemonstriert, dass es ganz in der Ordnung
sei, wenn die Alten von den Kindern die Prügel der Jugendzeit zurück-
gezahlt bekommen. Mit einem grossen Feuerwerk, der Verbrennung des
Hauses der Gottesleugner Sokrates und Chairephon, schliesst das Stück.
— Piaton misst in der Apologie die Hauptschuld an dem irrigen Urteil,
das sich über Sokrates gebildet hatte, den Komikern bei und spielt dabei
c. 3 deutlich auf unsere Wolken an; später liess er denselben Aristophanee
mit Sokrates beim Symposion gemütlich zusammensitzen, zum Zeichen,
dass er tollen Fastnachtscherz von gemeiner Verleumdung zn trennen wusste.
204. Mit den Wespen (afpijxeg), aufgeführt an den Lenäen 422,»)
kehrte Aristophanes wieder zur politischen Komödie zurück, doch folgte
er in dem Aufbau des Stücks ganz der Anlage der Wolken, indem er nur
die Rollen umkehrte. Während dort der alte Strepsiades den jungen
Pheidippides in die neue Schule einführt, bemüht sich hier umgekehrt der
^) Dass indes doch einzelne ZOge der l ') Aig. Vesp.: idufax^fj ini a^;ro»nroc
Bokratischen Art richtig dargestellt sind, zeigt U/jieiyiov Sm ^iXtoyidov ei^ Afjvaia itr r^
BöKKR, Zar Kritik u. Exegese der Wolken -nd^ oXvfjmtadt * ösvts^os ^y, xai Mxa ti^.
des Arisioph., Stzb. d. b. Ak. 1896 S. 221 ff. jog ^xal ivixa n^eSrog * devregog ^y corr. Leo)
») SüvERN, üeber die Wolken des Ari- 4>iXa)yidrjg n^oaywyt, Asvxaty n^süßcirt r^iwog.
stophanes, Berl. 1826; F. V. Fbitzscbb, De Gegen die Prozesssucht waren gleich&Us
Socrate vetenun comiconun, in Qnaest. An- i gerichtet die Prospaltier des Eapolis.
stoph. p. 97 - 295. I * ^
C. Drama. 8. Die Komödie, e) Aristophanes. (§§ 204—205.) 297
junge Hassekleon, Bdelykleon, den alten Kleonfreund, Philokieon, von seiner
Proz688wut zu heilen. Er sperrt ihn also zuerst peinlich ab und weist die
Richterkollegen, die ihn früh morgens zum Gerichtshof abholen wollen,
mit Gewalt zurück. Dann lässt er ihm infolge eines Kompromisses zu
Hause ein Privatgericht herrichten, in welchem der Pi-ozess der 2 Hunde
verhandelt wird, der den Streit des Kleon und Laches ^) auf das witzigste
parodiert. In diesem Hauptteil des Stückes herrscht der Ernst der sitt-
lichen Entrüstung vor, der sich zunächst gegen ein Erb- und Erzübel
{rwfov aQxafav iv rrj noXn s\*x€Toxvtav V. 651) des athenischen Volkes, die
durch Erhöhung des Richtersoldes von 1 oder 2 auf 3 Obole masslos ge-
steigerte Prozesssucht, wendet, daneben aber auch die spitzigsten Pfeile
gegen Kleon und die anderen Volksschmeichler richtet, welche die Mara-
thonskämpfer mit dem armseligen Lohn des Richtersoldes abspeisten, um
desto schamloser den weit grösseren Teil der öffentlichen Einkünfte in
ihre Taschen zu schieben. Der Schluss des Stückes ist dann wieder für
die Freunde der Posse und der lustigen Kneipscenen hergerichtet: der
alte Philokieon wird von seinem Sohne, um gründlich kuriert zu werden,
in ein fröhliches Gelage eingeführt, wo er bald seinen mürrischen Gries-
gram so völlig auszieht, dass er die schöne Flötenspielerin zerrt, die Tisch-
genossen schlägt und zuletzt tanzend und jubelnd mit dem Chor zur Bühne
hinauszieht. Den Namen hat die Komödie von dem Chor der Richter, die
wegen ihrer grimmen Härte als Wespen mit spitzem Stachel dargestellt
waren. Begleitet waren dieselben, da sie schon vor Tagesgrauen zum
Bichtplatz aufbrachen, von 3 lampentragenden Knaben, 2) die am Schluss
als die tanzenden Söhne des Tragödiendichters Karkinos wiederkehren.
Das Stück gehört zu den vorzüglichsten des Dichters: es vereinigt den
sittlichen Ernst des unbestechlichen Politikers mit dem unverwüstlichen
Humor des erfindungsreichen Dichters. Nachgebildet wurde dasselbe von
Kacine in seinen Plaideurs.
205. Der Friede (elQ-qvrj) wurde an den Dionysien 421 kurz vor
Abschluss des Friedens des Nikias aufgeführt und mit dem 2. Preis be-
dacht^) Nach der 3. Hypothesis hatten die alten Grammatiker noch
Kenntnis von einer zweiten EtQTjvrj^ die in dem Jahre zuvor, noch zu Leb-
zeiten des Kleon gedichtet war. Auf diese hat man die Verse 45 ff. und
479 f., in denen Kleon noch als lebend gedacht ist, zurückzuführen ge-
sucht.*) Unsere Komödie ist gewissermassen eine Vorfeier des sicher
erwarteten und bald abgeschlossenen Friedens. Im Eingang lässt der Dichter
in gpasshafter Verkehrung des euripideischen, auf dem Pegasus durch die
Luft reitenden Bellerophon den Trygaios als Repräsentanten der fried-
liebenden Landleute auf dem Mistkäfer gen Himmel fahren, um von dort
die Opora und Theoria zum langersehnten Friedensfest abzuholen. Im
') BafiB Attxv^ unter dem Hnndsnamen ' ^) Stanoeb, Umarbeitimg einiger aristo-
Anfr^ steckt, vermutet Schol. Vesp. 882.
') lieber die Anordnung des Chors und
^9 breitenden Knaben s. Rich. Arnoldt,
Die CfaorpartieQ des Arist., Leipz. 1873, Kap. 1.
') Den 1. Preis erhielt Eupolis mit den
liXazBi, den 3. Leukon mit den ^^xoQsg. \ schieden gewesen sei.
phänischer Komödien, Leipz. 1870; Zielikskt,
Gliederung S. 63 ff.; dagegen Müller-StrO-
BiNo 169 f. Fritzschb, Quaest. Arist. 112
und Stanger glauben, dass die zweite Elqrjvtj
nur dem IMtel nach von den FeaiQyol ver-
298 GriechiBclia LitieratiirgMohiohte. I. Kluwiache Periode.
Himmel also oder auf der oberen Bühne, dem &€oXoy€Tov, spielt der erste
Teil des Stückes und das Gespräch des Trygaios mit dem Gotte Hermes.
Im zweiten Teile, der auf der Erde vor sich geht, werden dann die Vor-
bereitungen zum Festopfer getroffen und wird zum Schluss Trygaios mit
seiner Schönen vom Chor unter Hochzeitsgesang aufs Land geleitet. Das
Stück entbehrt der kunstvoll verschlungenen Handlung sowohl als des
lebhaften Streites ; im übrigen sind die Freuden des friedlichen Landlebens
reizend geschildert (1127 — 1190), und hat gewiss die grosse Parabase
(729 — 818) durch die gelungene Verteidigung des Dichters und die hübsche
Aufforderung an die Musen zum fröhlichen Tanzlied ihre Wirkung nicht
verfehlt.
206. Die Vögel (oQvi&eg), die geistreichste Schöpfung der aristo-
phanischen Phantasie, erhielt bei ihrer Aufführung an den Dionysien des
Jahres 414 auffälligerweise nur den 2. Preis. ^) Das Argument ist ge-
wissermassen der Welt der äsopischen Fabel entnommen. Zwei Athener,
Euelpides, Hans Hoffegut, >) und Peithetairos, Beschwatzefreund, des Lebens
in der händelsüchtigen Vaterstadt müde, kommen auf Kreuz- und Quer-
wegen zum Wiedehopf, dem aus der Vorgeschichte Attikas berühmt ge-
wordenen Vogel, um sich von ihm einen schikanenfreien Ort, eine Seligen-
insel, anweisen zu lassen. Aber mit den vorgeschlagenen Orten wenig
einverstanden, entschliessen sie sich, bei den Vögeln selbst zu bleiben und
diesen die Gründung eines neuen Staates anzuraten. Die Vögel gehen auf
den phantastischen Vorschlag ein und gründen Wolkenkuckucksheim (Ac*
ipsXoxoxxvyia) in der Luft zwischen Himmel und Erde. Die Gründang der
Stadt und die bei solcher Gelegenheit herkömmlichen Zudringlichkeiten
von Poeten, Wahrsagern, Aufsehern, Sykophanten werden in ergötzlichster
Weise geschildert, ebenso die Verwirrung der Götter, die durch die neue
Vogelstadt sich der Ehren und Opfer der Menschen beraubt sehen, so
dass Zeus genötigt wird, eine Gesandtschaft an den Vogelstaat abzuordnen,
um einen Modus vivendi herzustellen. Der Pakt kommt unter der Be-
dingung zu stände, dass Zeus dem Peithetairos die Basileia, die Personi-
fikation der Weltherrschaft,') abtrete. Das leitet zum Schluss des Stuckes,
das in der Art der meisten Lustspiele des Aristophanes mit einem Triumph-
und Hochzeitszug der Hauptpersonen, des Peithetairos und der Basileia,
endet. Dass wir hier ein Meisterwerk des Witzes und der Phantasie voll
duftiger Natur- und Waldpoesie vor uns haben, ward zu aller Zeit an-
erkannt,^) nicht minder dass in der utopischen Zauberumhüllung eine Reihe
') Nach der Hypothesis erhielt den 1. nialen Nachhildong des Eiogangs der Vögel,
Preis Ameipsias mit den Ktofiaüxai, den Ges. Werke Bd. 14.
dritten Phiynichos mit dem MoyoxQonoq. In ') MüLLBR-STBCBiifG, Jahrb. f&r Pbil.
dem gleichen Jahr Hess Arist. nach dem ' 121, 104, schliesst aus Y. 1738 im Zusammen-
2. Arg. den Amphiaraos durch Philonides hang mit Aesch. Eum. 827, dass onier der
aufführen. Nach demselben Argumentum BaciXBia die Stadtgöttin Athene gemeint sei.
waren die Vögel das 35. Stück, wie das Dagegen Gasab, Ind. lect Marb. 1881.
T^Qa^ das 9. nach Bekker an. gr. 430, 15. *) Arg. I: to d^dfia xovto xtSy ayar
Das Verzeichnis {icyay(>a(fTJ)f aus dem diese dwaxtos nsnoiijfAeyioy. Eine ähnliche Idee
Zahlen stammen, scheint die Stücke eher in , hatte indes schon Pherekrates in seiiien
alphabetischer als chronologischer Ordnung , ^Aygioi durchgeführt. Später dichtete nach
enthalten su haben. > dem Muster der Vögel Archippoe ein fthn-
^) So übersetzt von Goethe in der ge- j liebes Stück 'ix^ves.
Q. Drama. 8. Die KomOdie. o) Aristophanes.
I 206-208.)
299
kräftiger Seitenhiebe auf stadtbekannte Persönlichkeiten, wie den Fresser
und Feigling Kleonymos (V. 289 f.), den von Schmeichlern und W,eibem
ausgebeuteten Kallias (285 ff.)t ^^^^ Geometer und Kalenderverbesserer
Meton (992 flf.), den Dithyrambendichter Kinesias (1373 ff.) u. a. abfallen.
Aber über die Tendenz der Gesamtkomödie hat man viel gestritten. Süvern *)
wollte in ihr eine bis ins Einzelnste durchgeführte Allegorie auf die Be-
gebenheiten der Zeitgeschichte finden; umgekehrt leugnete Droysen in
seiner Übersetzung des Aristophanes jede tiefere Tendenz und sah in dem
Stück nur ein harmloses Spiel der Phantasie nach Art des Sommemachts-
traames. Die Wahrheit liegt in der Mitte und ist trefflich entwickelt von
Bursian,') der dem poetischen Spiel sein volles Recht lässt und in den
Haaptträgem der Handlung keine Verspottung bestimmter Individuen an-
nimmt, aber doch dem Dichter die Absicht zuschreibt, dem athenischen
Volk in der tollen Projektenmacherei des Peithetairos und der raschen
Erwärmung der Vögelschar für abenteuerliche Pläne einen Spiegel der
eigenen Leichtgläubigkeit und maulaufsperrenden Gedankenlosigkeit vor-
zuhalten.
207. Die Av<si<STqd%ri^ aufgeführt an den Lenäen 411, 8) ist die
älteste der erhaltenen 3 Weiberkomödien unseres Dichters. Dieselbe ist
benannt nach der Hauptperson, welche in einer Versammlung von Frauen
aus allen Teilen Griechenlands den Vorschlag macht, die Männer dadurch
zum Frieden zu zwingen, dass sie ihnen den Beischlaf kündigen,^) infolge
dessen es dann auch wirklich nach allerlei obscönen Zwischenfallen zur
Versöhnung der Lakedämonier und Athener kommt. Eine Parabase fehlt;
der Chor ist wie in Schillers Braut von Messina in 2 feindliche Parteien
geteilt, die der Frauen und die der Greise, welche sich beide um den Be-
sitz der Burg streiten, indem die Greise durch Anlegung von Feuer die
Fraoen, welche bereits von der Burg Besitz ergriffen hatten, aus derselben
wieder zu vertreiben suchen, eine Schar von Frauen aber mit Wasser-
eimem ihren Kolleginnen zu Hilfe kommt. Die lüsternen Einfalle und
nnflätigen Witze des Stückes waren nur im Theater zu Athen denkbar,
wo die Männer unter sich waren und auch die Frauenrollen von Männern
gespielt wurden, unter diesen Voraussetzungen ist aber auch unerreicht
die Scene des stanzengeplagten Kinesias und der den Mann mit ergötz-
lichsten Ausflüchten hinhaltenden Myrrhine (845—979). Sehr hübsch sind
auch die Tanzlieder des Chors der Lakonierinnen und der Athenerinnen,
mit denen glanzvoll und heiter zugleich das geniale Stück abschliesst. Im
Hintergrund des Musenspieles steht die kurz zuvor erfolgte Verfassungs-
änderung Athens und die damit genährte Hoffnung auf endlichen Friedens-
schhiss.
208. Die 0€afio^oQid^ov(rai, aufgeführt an den Dionysien des-
selben Jahres,^) sind gegen Euripides gerichtet, dessen neumodische Manier
*) SOtbrn, Ueber Ariatophanes' Vögel,
AbhdL d. BerL Ak. 1827.
*) BuBSiAH, Ueber die Tendenz der
Vagel des Arist., in Stzb. d. b. Ak. 1875
S. 375 ff.
'J Arg. Lys.; eine Angabe des Preises
und der Mitbewerber fehlfc.
^) Aehnliche Situation von bnrgbesetzen-
den Frauen aus altfranzOsischen und mittel-
hochdeutschen Stoffen weist nach Jak. Qbimm
Kl. Sehr. V 408 ff.
*) Nach Schol. Thesm. 190, 804, 841.
L
300 Grieohisohe Littaratnrgesohiohte. I. ElMsisolie Periode.
schon in den Achamem die Zielscheibe des beissenden Spottes unseres
Dichters gebildet hatte. Das dreitägige Fest der Thesmophorien zu Ehren
der Demeter war ausschliesslich für Frauen bestimmt; zum Thesmophorion,
dem Ort der städtischen Feier am Abhang der Akropolis, hatte kein männ-
liches Wesen Zutritt. Gelegentlich dieses Festes also lässt Aristophanes
die Frauen den Plan fassen, den Euripides, den grossen Verleumder ihres
Geschlechtes, in die Acht zu thun. Euripides, der von der Sache Wind
bekommen, sucht zuerst den eleganten Liebling der Frauen, den Dichter
Agathen, und als dieser sich nicht dazu hergeben will, seinen Schwager
Mnesilochos^) zu bewegen, sich als Frau verkleidet in die Weiberversamm-
lung einzuschleichen und seine Verteidigung zu führen. Der Aufgabe ent-
ledigt sich Mnesilochos mit Witz und Geschick, vornehmlich durch den
Nachweis, dass die Frauen thatsächlich noch viel wollüstiger und schlechter
seien, als Euripides sie dargestellt hatte. Aber während so der Anschlag
trefflich abzulaufen beginnt, kommt plötzlich die Verlegenheit durch die
Anzeige des Eleisthenes, dass sicherem Vernehmen nach ein als Frau ver-
kleideter Mann sich eingeschlichen habe. Die Anwesenden werden unter
allerlei zotigen Witzen untersucht, und Mnesilochos nach vergeblichem
Sträuben als Mann erkannt. Der Bösewicht soll durch einen skythischen
Polizisten (ro^on;^) verhaftet und vor die Prytanen geführt werden; da
gelingt es noch den erfinderischen Listen des Euripides, sich mit den
Frauen abzufinden und den Mnesilochos seinem Wächter zu entreissen.
Der Schluss ist mager, indem zum notdürftigen Abschluss der Chor, ähn-
lich wie in der jüngeren euripideischen Tragödie, nur ein kurzes anapästi-
sches Exodion singt. Die Stärke unserer Komödie liegt in der Parodie
des Euripides und Agathen, wobei der geschniegelte und gebügelte Weiber-
poet Agathen mit seinen gedrechselten und verschnörkelten Versen noch
schlechter wegkommt als der erfindungsreiche Weiberfeind Euripides. EÄe
Ghorlieder sind, wie bei der Situation des Stückes erklärlich, ganz anderer
Art als in den sonstigen Komödien; sie enthalten herrliche Tanzlieder zu
Ehren der Götter, in denen aber gewiss auch die Parodie eine grosse, nur
uns bei der Dürftigkeit der Scholien wenig mehr erkennbare Rolle spielt.
Das Stück fand solchen Anklang, dass Aristophanes später noch ein zweites
Stück gleichen Namens folgen Hess. Dasselbe war keine Überarbeitung
unserer Komödie, sondern ein ganz neues Stück, das, wie man aus der
Sprecherin des Prologs, Kalligeneia, erkannt hat, am vierten oder letzten
Festtage spielte, während unsere Thesmophoriazusen auf den dritten Fest-
tag fallen. Mit Bezug darauf hat der Grammatiker Demetrios aus Trözen
nach Athen, p. 29 a die zweiten Thesmophoriazusen Qeafio^oQitiaaaat ge-
tauft.»)
Neuere, worunter Hanow, Exerc. crit. in ! ^) Der Name ist nicht genannt, indem
com. gr. 82 flF., Ritschl, Opusc. 1 429 plä-
dieren für 410; dagegen Wilamowitz, Arist
u. Athen 11 343. Eine Didaskalie zu dem,
wie es scheint, weniger gelesenen Stück
fehlt. Verwandten Titel hatten die 'Adtovid-
^ovoai des Philetairos. 79 ff.
die Person nur als xrjdeatijg Ev^nidov ein-
geführt wird; s. Hillbr, Herrn. 8, 449 f.
*) Das YerhAltnis klar gelegt von Fritz-
scHE in Ausg. (1838); vgl. A. Moicmsbk,
Heortologie S. 301 ff. Dagegen Zuu^irski
C. Drama. 8. Die Komödie, o) Ariatophanea. (§ 209.) 301
209. Die ^Exxkr^atd^ovaai^ nach dem peloponnesischen Krieg im
Jahre 389 (nach anderen 392) aufgeführt,^) sind ein loser Schwank, der
allerdings auch aus den politischen Zeitverhältnissen erwachsen ist, aber
ganz der ätzenden Schärfe persönlicher Persiflage entbehrt. Denn die An-
griffe auf die neuerungssüchtige Gesetzgebung (V. 813 ff.), den korrum-
pierenden Einfluss des Ekklesiastensoldes (308 ff.), das Demagogentum des
Agyrrios (102. 184) sind alle so zahm, dass sie selbst unsere Theaterzensur
passieren könnten. Der Schwank zerföllt in zwei locker verbundene Ab-
scbnitte. In dem ersten ziehen Frauen als Männer verkleidet mit Stiefeln
und Schnurrbärten in aller Frühe in die Volksversammlung {exxXtjaia)^ um
durch ihre Wortführerin Praxagora den Beschluss durchzusetzen, dass die
Angelegenheiten der Stadt, nachdem die Männer alles schlecht gemacht,
nunmehr den Frauen überlassen werden. Im zweiten Teil treten dann die
Frauen mit ihren weltverbessernden Ideen der Güter- und Weibergemein-
schaft heraus, machen aber gleich bei dem ersten Versuch der Durch-
führung ihrer Prinzipien glänzend Fiasko, teils infolge der Schlauheit ein-
zelner Bürger, die mit der Auslieferung ihres Vermögens an den Gesamt-
staat zurückhalten, teils und mehr noch infolge der Geilheit der alten
Weiber, welche von der Bestimmung der Männergemeinschaft zunächst
für sieh Vorteil zu ziehen suchen. — Die sozialistischen und kommunisti-
schen Ideen des aristophanischen Weiberstaates haben vieles mit der Re-
publik Piatons gemein; aber dass Aristophanes dieselben aus Piaton ent-
nommen und mit seiner Komödie eine Satire auf den Staat des Piaton
habe schreiben wollen, ist doch sehr fraglich.^) Nicht nur fehlt jede An-
züglichkeit auf Philosophen, wiewohl der Dichter, wenn derartige Lehren
von einem Philosophen bereits aufgestellt worden wären, sich schwerlich
die Gelegenheit der Philosophen Verspottung hätte entgehen lassen;^) auch
die Chronologie macht Schwierigkeit: die uns erhaltene Politeia des Piaton
in 10 Büchern ist zweifelsohne weit später ediert worden, und ob die an-
gebliche ältere Ausgabe in 2 Büchern in so frühe Zeit hinaufgerückt wer-
den dürfe, und ob dieselbe überhaupt etwas von der Weibergemeinschaft,
die in unserer Politeia erst im 5. Buche behandelt wird, enthalten habe,
ist m jeder Beziehung zweifelhaft.*) Das Wahre an der Sache wird also
sein, dass infolge der allgemeinen Verarmung der Bürger nach dem pelo-
ponnesischen Krieg kommunistische Ideen in den Köpfen der Bürger spuk-
ten,^) und dass dieselben zuerst der geniale Komiker zu einem drolligen
^) Auf das Jahr 392 führt die Angabe
^«8 Phflochoros zu V. 193. Götz, De tempo-
ribos Eccies. Aristoph. in Act. Lips. II 335 ff.
Tenrertet die geschichtlichen Verhältnisse für
du Jahr 389 nnd erklärt den Irrtum des Phi-
lochoros daraus, dass Demostratos, unter dem
nach der verlorenen Didaskalie das Stück
segeben worden sei, Ol. 97, 3 und 96, 4 Ar-
^n war. Vergl. Köhlbb, De Aristoph. Ec-
cleaias. tempore et choro, Dias. Jena 1889.
Die Winterzeit, in welche die Lenäen fallen,
ergilkt sich aus Y. 289.
*) Bbsok, Comment. p. 81: locupletis-
»iazusis ipsam hanc doctrinam, quam Plato
in Ulis libris proposuit, seile exagitat ipsum-
que etiam Platonem ohscurato quidem no-
mine {'jl^laivkkog für nkärtoy 6 A^laxiayog)
ohiurgat. Ebenso Mkineke, Eist. crit. com.
I 288. Dagegen Süsemihl, Plat. Phil. II 1,
296 ff.
') Der Ausdruck (pik6<To(pos (pQovtig
y. 571 beweist nichts dagegen.
*) Vgl. HiBMBB, Jhrb. f. cl. Phil. Suppl.
XXni (1897) 655—660.
*) Von der Weibergemeinschaft der
Agathyrsen erz&hlt bereits Herodot IV 104.
**ntw aueior Aristophanes, qui in Eccle- , Dass auch bei den Spartanern Umgang einer
302
GrieohiBohe Utteratargeaohiohte. L SUmmimohe Paridde.
Schwank benutzte und dann der tiefsinnige Philosoph in ein durchdachtes
System brachte.
210. Die Frösche {ßdrQaxot), an den Lenäen 405 aufgeführt, wurden
nicht bloss mit dem 1. Preis gekrönt, sondern auch mit einem so ausser-
ordentlichen Beifall aufgenommen, dass sie zu einer zweiten Aufführung
kamen ^) und der Dichter ihretwegen mit einem Zweig des heiligen Öl-
baums bekränzt wurde. ^) Stoff bot dem Aristophanes und in merkwürdiger
Übereinstimmung zugleich seinem Rivalen Phrynichos der kurz zuvor ein-
getretene Tod der beiden grossen Tragiker Sophokles und Euripides. Es
standen die grossen Dionysien bevor und jeder Theaterfreund fragte sich
besorgt, was wird jetzt aus dem dramatischen Agon werden, wo die grossen
Meister zu den Seligen gegangen sind und nirgends ein Ersatz sich zeigen
will. Da macht sich also der Gott Dionysos mit seinem Diener Xanthias
auf den Weg, um den Euripides wieder aus der Unterwelt heraufzuholen»;)
Bei Herakles, der dereinst den Kerberos aus dem Hades heraufgebracht hatte,
holen sie sich Rat und steigen dann bei dem melitischen Thor, wo Hera-
kles einen Tempel hatte und sich zugleich der Eingang zu einer Begräb-
nissstätte befand, in die Unterwelt hinab. Nach der Fahrt über den Styx
tritt plötzlich, ohne die moderne Hilfe eines Vorhanges oder einer Kulissen-
verschiebung, eine Änderung der Scene ein, indem uns der Dichter in den
unteren Teil des Spielraums und damit in die Unterwelt versetzt.^) Nach
allerlei Fährlichkeiten kommen die Beiden in der Behausung des Hades
gerade zu der Zeit an, wo zwischen Aischylos, der bisher den tragischen
Thron inne gehabt hatte, und dem neuangekommenen Euripides, der jetzt
auf denselben Anspruch erhob, sich ein Streit entsponnen hatte. Sofort
wird das Schiedsrichteramt dem Dionysos zugewiesen, der zugleich den
Sieger mit in die Oberwelt hinaufzunehmen verspricht. Der berühmte
Streit, von Aristophanes nach sorgfältiger Disposition und mit feinster
Komik durchgeführt,^) bildet für uns gewissermassen den Kanon des
ästhetischen Urteils über das Verhältnis der grossen Tragiker zu einander.
Aristophanes steht natürlich auf Seiten des Aischylos, des Vertreters der
alten, ehrbaren Zeit; aber so schonungslos er auch die Erniedrigung der
Frau mit mehreren M&miem sehr verbreitet
war, berichtet Xenophon de rep. Lac.^ I 7.
*j Arg. 1 : 10 di dgilfAu xtoy sv ndvv
xal (fiXoXoytjg nenoiTjfzeyfoy idM^Stj inl
KaXXiov rov fzerd 'Avxiyivrj did ^iXiandov
fiV Aijpttia ' TtgcSrog iqy, devrs^og *^t;V*/oj
Movaai^y IlXataty rgitog KXeoqxjiyrc . ovito de
iOavfA€€ü&i] xo dQttfjLa diu xrjy iy avx(^ nagd'
ßaüiy (dvd xrjy eig JVdov xttxdßuacy coni.
Weil), üiffx€ xai dyediddx^V-
*) Vit. Arist., wo die Auszeichnung spe-
ziell auf die Partie xdy Ugoy x^Q^^ dixaioy
noXXd /()i7<rra xg noXei av/unagaiyeiy xxX.
(V. 686) zurückgeführt wird. Spuren einer
Diorthose versuchen nachzuweisen Stakgeb
a. 0. 6 ff., ZiELTifsKi a. 0. 150 ff.
') In dieser Erfindung war dem Aristo-
phanes teilweise Eupolis vorausgegangen, der
in den J^fioi die grossen Staatsmänner wie-
der von den Toten hatte auferstehen lassen,
worüber Mbivbke, Eist. crit. com. 126 f.
*) Mit Vers 270 steigen Dionysos und
Xanthias angeblich aus dem Kahn, der nicht
sichtbar war, aus und treten durch eine
Seitentüre der Parodos aus dem Paraskenien-
räum in die Parodos ein, um sich dann
nicht nach links zum Logeion, sondern nach
rechts in die Orchestra und zum Sitz des
Dionysospriesters (297) zu wenden.
') In jenem Streit enth<, um das ge-
legentlich zu bemerken, das berühmte hj^
xv9toy dnwXeaey, womit die Elintönigkeit der
euripid eischen Verse verspottet wird, einen
Anklang an den Paroden Hegemon, von dem
es in Paroem. gr. I 406 heisst: Hyij/Ävr 6
Bdüiog, 0710X6 noQtpdüty dno^rjceiCf Ti^otfen^n*
xai x6 niQdixog axelog.
C. Drama. 8. Die Komödie, o) Ariatophanes. (§§ 210—211.) 303
tragischen Kunst durch Euripides geisselt, so lässt er doch auch dem
Sophisten unter den Dichtem Gerechtigkeit widerfahren, indem er schliess-
lich sein Urteil üher die Verdienste beider in den schönen Vers (1413)
zusammenfasst: jov fi^v ydq rjyovfiai aotpov, rr^ 3' rjSofiai, In noch ehren-
derer Weise drückt er sich über den edlen, milden Charakter des Sopho-
kles aus, der in seiner Bescheidenheit gar keinen Anspruch auf den Thron
erhoben hatte, von Aischylos aber beim Weggehen zu seinem Vikar ein-
gesetzt wurde. Jener Wettstreit der Tragiker bildet den Mittelpunkt und
für uns den hauptsächlichsten Anziehungspunkt des Dramas; aber dem
Umfang nach nimmt er kaum die Hälfte der Dichtung ein. Aristophanes
trug eben auch in unserer Komödie dem Geschmack des gewöhnlichen
Publikums Rechnung, wie gleich in der Eingangsscene, wo der als Hera-
kles mit Keule und Löwenfell bekleidete Weibergott Dionysos und sein
auf dem Esel reitender und das Gepäck gleichwohl auf dem Rücken
tragender Diener Xanthias Prachtfiguren bilden, i) ferner beim Eingang in
die Unterwelt, wo die Köchinnen ein Zetergeschrei über den vermeint-
Kchen Vielfrass Herakles erheben und der finstere ünterweltswächter
Aiakos den Dionysos und seinen Begleiter Spiessruten laufen lässt, end-
lich am Schlüsse, wo, um den Ernst des Streites zu verwischen, Pluton
den Theatergott und Theaterdichter zum Abschied bewirtet. Aber auch
der politische Charakter der alten Komödie ist nicht ganz ausser acht ge-
blieben; er drückt sich in zahlreichen derben Anspielungen aus, besonders
aber in der auf die Aussöhnung der Parteien bezüglichen Parabase (675
bis 737), die bei dem athenischen Theaterpublikum ganz besonders Gefallen
fand. Den Namen hat indes unsere Komödie nicht von dem Chor der
Eingeweihten (/ivaTa/), welcher diese Parabase vorträgt, sondern von dem
lustigen Nebenchor der Frösche, welche mit ihrem ßQfxsxsx^^ xod^ xod^
die Überfahrt des Gottes über den See der Unterwelt begleiten.^)
211. Der nXovTog ist in der uns erhaltenen zweiten Fassung 388
aafgef&krt worden, nachdem der erste Plutos bereits 408 über die Bretter
gegangen war.') Im Geiste der mittleren Komödie ist hier an die Stelle
der persönlichen Persiflage eine allegorische Fabel vom Gott des Reichtums
getreten. Der Chor ist so gut wie ganz verschwunden; einen schwachen
Nachklang bildet die nach Motiven des Dithyrambus eingelegte Neckscene
zwischen der herbeigerufenen Schar der Armen und dem Sklaven Karion
(V. 288 — 321).*) Auch der Versbau bewegt sich in dem Geleise der ge-
wöhnlichen Metra, des iambischen Trimeters und des anapästischen und
iambischen Tetrameters. Von der Politik hält sich der Dichter ganz fern
und fahrt nur einmal (V. 176) ganz nebenbei einen Seitenhieb auf den
M Den XanÜiiaa mit dem geteilten Ge-
P^cksack steUt eine realistiBche Terrakotta
des Mfinchener Antiquariams n. 113 vor.
*) Dem Inhalt nach berührten sich die
I^rSeche zomeiat mit dem gleichfalls nach
dem Tode des Euripides gedichteten FfjQV'
*) Der erste Plutos wurde anfgef&hrt Ol.
^, 4 nach Schol ad Plut. 178; Qher die Zeit
des zweiten belehrt Arg. IV, wonach Mit-
bewerber waren Nixoxagijg Adxcjaiy, *Aqi-
axofjiiyrjg ""^cf^iyrü), Nixoq^wv '^dwVttft, 'JX-
xaiog naaiq>aii. Der erste Plutos war wahr-
scheinlich ganz verschieden ; s. Kock zu den
Fragmenten desselben.
*) Pauseausfallende MusikstQcke müssen i
eingelegt gewesen sein Y. 627 u. 958. I
i
304 Ghrieohisohe Litteratorgesohiohte. I. Klassische Periode.
Demagogen Agyrrios, der damals das grosse Wort in den Volksversamm-
lungen fulii*te. Hingegen gaben auch im Plutos, wie in den kurz zuvor
aufgeführten Ekklesiazusen, die sozialen Zustände dem Dichter den Stoff
an die Hand. Ein verarmter, biederer Bauer, Chremylos, der sich auf des
Orakels Rat dem Gefolge des blinden Plutos angeschlossen hatte, heilt mit
seinem verschmitzten Sklaven Earion den Gott von der Blindheit, indem
er ihn im Asklepiostempel durch den köstlich verspotteten Humbug des
Traumschlafes kurieren lässt. Nun, nachdem der Gott sieht, an wen er
seine Gaben verteilt, kehrt sich die ganze Welt um: die Gerechten
schwimmen in Überfluss, die Sykophanten und alten Huren kommen in
Not, die Götter und ihre Priester sind um die fetten Opfergaben gebracht.
Zum Schluss wird der vergötterte Plutos auf der Burg in dem Opisthodom
der Göttin Athene aufgestellt, zum guten Augurium für die Stadt, damit
es dem dort aufbewahrten Staatsschatz nie an Gold und Geld fehle. Das
alles ist recht hübsch und mit feinem Verständnis der sozialen Verhält-
nisse^) dargestellt, aber ohne die jugendliche Keckheit ausgelassenen
Witzes. Wegen seines zahmen Charakters und der geschickt durchge-
führten Allegorie wurde das Stück im byzantinischen Mittelalter besonders
fleissig gelesen, sodass uns zu ihm die umfangreichsten Scholien erhal-
ten sind.
213. Von den verlorenen Komödien seien hier noch erwähnt: die
Nijaoi, in denen das Glück des Friedens gepriesen war und von denen
eine Stelle (fr. 1) Horaz in der hübschen 2. Epode auf die Freuden des
Landlebens nachgeahmt hat; der 'AfiKfiaQaog, eine Komödie der Wunder-
kuren, welche in dem gleichen Jahr wie die Vögel (414), als durch das
Gesetz des Syrakosios die Freiheit der politischen Komödie eingeengt war,
über die Bretter ging; die t)AxaJ«$, in denen Aristophanes gegen die Tra-
banten des Kleon zu Feld zog; die jQcc/naTa ?; KsvravQog und jQdfiarcc i;
Nioßog, in welchen der Handel des lophon mit seinem Vater Sophokles
vorgekommen zu sein scheint; 2) die Tayr^viatai und der Tqtq^dXr^g^ in
welchen Stücken Alkibiades und seine lustige Gesellschaft die Kosten des
Spieles tragen mussten; das Alter (r?;^a$), worin die Greise nach Art der
Schlangen die alte Haut abgeworfen hatten und sich wie mutwillige Jungen
geberdeten; der FrjQvidötjg, der sich im Inhalt mit den Fröschen berührte;
endlich die Hören, die Störche, die Danaiden, die Phönissen, der Dai-
dalos u. a.
213. Kunstcharakter. Zum Schluss noch einige Bemerkungen
über den Kunstcharakter und den Stil des Aristophanes. Die Kunst, die
ein Komödiendichter in erster Linie haben muss, die Kunst, seine Zuhörer
und Leser zum Lachen zu bringen, besass unser Dichter in eminentem
Masse. Über das ganze Repertoire von Scherzen, Bummelwitzen {ßiojita^
M Sehr hübsch setzt die Penia V. 507 bis serv. crit. in com. graec. 1870 S. 11 ff. be-
609 auseinander, wie nicht der Reichtum, 1 zieht hierauf das Scholion zu Veap. 60: im0^
sondern sie, die Armut, die treibende Macht I roTg ngo tovtou dsdidnyfASyoig dffdfAaoiB? f£^
im Staate sei, ohne die alles in träges Schla- l rijy 'HgaxXeovg anlfjürlay noXXfi TtQoel^tirasr^
raffenleben verfallen würde, ' wonach die jQnfiaxa vor den Wespea odex-
*) Siehe oben § 163. Wilamowitz, Ob- vor 422 aufgeführt worden seien.
C. Drama. 8« Die Komödie, o) Ariatophanee.
f 212—213.)
305
loxia), Zoten, Verhöhnungen, unerwarteten Ausgängen {naQa ngoaSoxiav)^
Parodien, Anspielungen verfügte er mit souveräner Herrschaft. Die
Schwächen der menschlichen Natur, insbesondere die Nacktheiten des Ge-
schlechtstriebes bei Männern und Frauen, hat er nicht minder wie die
lächerlichen Auswüchse des gesellschaftlichen und staatlichen Lebens, die
Aufgeblasenheit der Emporkömmlinge, die noblen Passionen der adeligen
Jünglinge, die Durchtriebenheit der Sklaven, den Humbug und Eigennutz
der Wahrsager für seine Stücke verwertet. In Erfindung lustiger und
burlesker Seenen zeigt er eine geradezu unerschöpfliche Originalität;^) auch
da, wo der Ernst der Situation und die Subtilität des Themas die Heiter-
keit fröhlicher Scenen auszuschliessen schien, hat er wenigstens zum Schluss
durch irgend einen Aufzug oder einen lustigen Schmaus dafür gesorgt,
dass die Zuschauer nicht mit sauertöpfischer Miene nach Hause gingen.
Aber so hoch auch die witzige Ader und die derbe Natürlichkeit unseres
Aristophanes anzuschlagen sind, die Hauptsache waren sie bei ihm nicht.
Eine höhere sittliche Tendenz zieht sich durch alle seine Komödien: er
wollte das Gemeine und Verkehrte dadurch austreiben, dass er es lächer-
lich machte; das horazische ridentem dicere verum stand ihm überall oben-
an;*) ja er ging selbst hie und da über die Grenze des poetischen Spieles
hinaas und stellte mit sittlicher Entrüstung direkt ohne die Beihilfe des
Lächerlichen die Gemeinheit von Sykophanten und politischen Gaunern an
den Pranger. Die Grundsätze, die er auf solche Weise durch seine Ko-
mödien zur Geltung zu bringen suchte, betrafen teils die Politik, teils die
Poesie und Erziehung; die Kunst und die Künstler liess er unberührt, wie
sich auch umgekehrt die Kunst um seine Komödien wenig gekümmert hat.
In der Politik neigte er, wie Kratinos und die meisten Dichter der atti-
schen Komödie, zur Friedens- und Ordnungspartei und vertrat den Stand-
punkt der ehrenfesten Aristokratie. Nikias, Theramenes, Kritias blieben
80 gut wie ganz verschont,*) die Ochlokratie und das damit verbundene
Demagogentum des Kleon, Hyperbolos, Agyrrios haben an ihm den gallig-
sten Gegner gefunden.*) In dieser Stellungnahme berührte er sich mit
dem aristokratischen Philosophen Piaton, der, wie man sich erzählte, dem
Tyrannen Dionysios, als er die Staatsverfassung der Athener kennen lernen
wollte, die Dichtungen des Aristophanes übersandte.*) In der Poesie zeigte
er sich gleichfalls als einen Freund der alten Zeit: Aischylos war sein
überschwenglich gepriesenes Ideal, ^) die ganze Lauge seines Spottes ergoss
er über die neumodische Richtung des Euripides;') von ihm, dem beliebten
*) EocK, Aristophanes als Dichter und
Politiker, Rh. M. 39, 118-140. Arist. selbst
Nub. 747: dkX* aei xmvdg idiag Bic<piQiav
*) Ach. 500: to yd^ dixaioy oide xai
") Alkibiades blieb nicht auf gleiche
Weise TOBchoni. Zwar wandte er auf ihn
in den Frdscben 1432 den berflhmten Aus-
^nch des Aischylos an: ov XQV ^oyxog
^(tror ir noXei tQiq>uv, rjv d* ixTgatpfj
iK, jcig j^nais vriij^exsiy, aber herhalten
musste er in dem Triphaies und den Ta-
genistai.
*) Vesp. 1043 preist er sich selbst als
dXe^ixttxoy rijg x^9^^ trjods xad-ttQjrjy.
^) Vit. Aristoph.: g>affl dk xai nXdxtovu
Jioyvaitfi r(^ TVQdyyto ßovXrjS^^yTi fia&eiy ttjy
'A&i]yaiü)y noXueiay 7iifA\ptti xrjy *AQiaxO'
fpdyov^ Tioirjffiy.
^) Hennio, Aristophanis de Aeschyli
poesi iudicia, Lips. 1878.
^) W. Ribbeck, Die dramatischen Paro-
dien, in der Ausgabe der A chamer; van de
BiDdbiwh der kliM. AltertunmwlBBeiuehAft. Vn. 3. Aufl.
20
306
Grleohisohe LitUratnrgesohishte. L KUsslMhe Periode.
Dichter der Jugend, fürchtete er zumeist einen schlimmen Einfluss auf das
Volk, ihn verfolgte er daher über das Grab hinaus mit erbarmungslosem
Spott. Mehr nur nebenbei werden die Schnörkel des weichlichen Agathon
und die ätherischen Tiraden des Dithyrambendichters Kinesias verhöhnt.
Seine Feindseligkeit gegen Euripides hing mit seiner Abneigung gegen die
ganze Richtung der modernen Erziehung zusammen: die alte Thatkraft,
Schlichtheit, Frömmigkeit wollte er genährt sehen, wenn er auch selbst
als Spassmacher sich gelegentlich über die Oöttermythen lustig machte;
von den Wortverdrehungen der Rhetorik, den Spekulationen und den Trug-
sätzen der Sophistik befürchtete er den Ruin seines Vaterlandes. In seinem
eigenen Felde, der komischen Poesie, war er, im Bewusstsein seiner Über-
legenheit, gegen seine Rivalen nichts weniger als rücksichtsvoll; dafür hat
Kratinos ihm den Spott über die ausfallenden Saiten seiner Leier (Eq. 531
bis 6) in dem nächsten Jahre mit seiner „Flasche'' gut heimgezahlt, und
Eupolis ihm den Vorwurf des litt^rarischen Diebstahls (Nub. 554) in seinen
Banxai mit Bitterkeit zurückgegeben. *)
214. In dem Aufbau und der Ökonomie seiner Komödien erhob sich
wohl Aristophanes, wenn wir seiner eigenen Darlegung im Frieden V. 748 ff.
glauben dürfen, hoch über die Possenreissereien der älteren Schule; aber
die Kunst spannender Anlage und geschickter Verschlingung war erst den
Dichtem der neuen Komödie vorbehalten. Der ganze Charakter des aus-
gelassenen Karnevalspieles vertrug sich nicht mit der Feinheit einer regel-
rechten Disposition. Nur wo musikalische Rücksichten mit in Frage kamen,
finden wir bei ihm eine merkwürdige Strenge des symmetrischen Baues,
und zwar nicht bloss in lyrischen Gesängen, sondern auch in parakata-
logisch vorgetragenen, aus anapästischen, trochäischen, iambischen Tetra-
metern bestehenden Partien. 2) Von den beiden Bestandteilen des antiken
Dramas weiss man nicht, welchen man bei Aristophanes höher stellen soll,
ob den leichtfliessenden, spannenden Dialog, oder die melodischen, wechsel-
reichen, tiefste Empfindung und schwungvollste Kraft atmenden Chorge-
sänge. In der Regel preist man die letzteren mehr, weil man so etwas,
wie die aristophanische Parabase in anderen Litter aturen nicht hat.^)
Aber auch abgesehen von den Parabasen entwickelt Aristophanes in den
Chorpartien eine ausserordentliche Kunst: weit inniger wie bei den Tragi-
kern bleibt der Chor mit der Handlung und dem Spiel auf der Bühne in
Kontakt, weit grösseres Leben entfaltet er in sich selbst dadurch, dass
er sich bald in Halbchöre und Reihen auflöst, bald alle einzelnen Choreuten
hintereinander zu Wort kommen lässt.*) Dem Dialog wie den Chorpartien
aber giebt einen besonderen Reiz die korrekte Schönheit des sprachlichen
Savdb Bakhuysen, De parodia in comoediis
Arisiophaneis, Utr. 1877 lieber nichtattische
Ausdrücke in den Parodien s. Ruthebford,
Znr Gesch. d. Atticismus in Jahrb. f. Phil.
Suppl. XIII 884-99.
M Clemens Alex, ström. VI 267: nXd-
TW*' 0 xtofdixog xttl U^iaTofpdytjg iy rtfi Jai-
daXti) rd dXXijXtüy vcpaiQovyiai.
*) Vieles der Art ist erst in unserer
Zeit erkannt worden, worüber meine Metrik
2. Aufl., S. 602 ff.
') Nur in unserer Zeit nacbgeahmt Tt>n
Platen in der Verhfingnis vollen Gabel und
dem Romantischen Oedipus und im en^^eren
Anschluss an Aristophanes von Richter in
den *Ines, Koxxvyscj XeXidoyes.
*) R. Arnoldt, Die Chorpartien bei An-
siophanes scenisch erlftutert, LeipsE. 1873.
0. Dranuu 8. Die Komödie, o) Ariatophanes. (§ 214.) 307
Ausdrucks und der leichte Fluss des Verses. In der Sprache eignete sich
Ariatophanes von Euripides den gerundeten Ton der gebildeten Umgangs-
sprache an.i) Bei den Grammatikern galt er als Muster des reinen Atti-
kismus, welchen er auch bei dem grosseren Reichtum seiner in den ver-
schiedensten Lebenssphären sich bewegenden Sprache vollständiger als die
Tragiker und Sokratiker zum Ausdruck brachte. Im Versbau steigt er
einerseits durch den freien Bau des Trimeter zur Lässigkeit der Umgangs-
^rache herab und erhebt er sich anderseits durch die befiederten Anapästen
und energischen Kretiker zu kühnem Fluge.*) Die Kola der lyrischen
Gesänge aber gehen alle leicht ins Gehör, so dass wir auch nach dem
Verluste der Melodien ihre melodische Schönheit leicht herausfühlen. Die
Natur der altattischen Komödie bringt es mit sich, dass die Jugend an
unseren humanistischen Gymnasien nicht mit der aristophanischen muse
vertraut gemacht werden kann; aber Griechenland und Athen kennt nicht,
wer nicht diesen ungezogenen Liebling der Grazien gelesen hat.')
Die Scholien, zu Flut. Nub. Ran. Pac. Av. reichhaltig, zu Lys. Tfaesm. Eccl. ganz
ipAriich, bestehen in ^o^iaug, vnofxyrjfxaxa und metrischen Analysen. Die ersten, in ver-
icliiedenen Fassungen anf uns gekommen, gehen auf Aristophanes Byz. und Dikäarch
iortck. Gböbl, Die ältesten Hypotheseis zn Aristophanes, Progr. Dillingen 1890. — Die metri-
sehen Analysen rühren von dem Metriker Heliodor her. Thiexann, Heliodori colometria Ari-
stophanea, Halle 1869. — An der Exegese nnd Kritik beteiligten sich ausser Eratosthenes
b^nders Aristophanes Byz. and dessen Schüler Eallistratos, femer Aristarch,
Didymos and die Pergamener Herodikos und Asklepiades. Die Redaktion der alten
Sehouen erfolgte durch Phaeinos und Sym machos nach der Subscriptio zu Nub. u. Pac;
vcn diesen lebte Symmachos um 100 n. Chr. (siehe Wilamowitz, Eur. Heracl. P 179 f.),
Flueinos, ein elender Skribent, jedenfaUs später, vielleicht erst im Begimie des Mittel-
alters, y^. O. ScHKEiDBR, De veterum in Aristoph. scholiorum fontibus, Stralsund 1838;
SnicKBR, De Lycophrone Euphronio Eratosthene comicorum interpretibus, Greifsw. 1884;
GcsT. Stein, Schol. in Aristoph. Lysistr., Gott. 1891 mit Quellenuntersuchung in Prol. I
bis IXE; Mjkinbbs, De Aristoph. scholüs historicis, Diss. Hai. XI (1890) 219 ff.; Güliok, De
schoL Aristoph. quaesl mythologicae, Harvard Stud. Y (1894) 83 ff. — Manche der alten Scholien
aind besser Im Suidas erhalten, worüber 0. Buenoeb, De Arist. apud. Suidam rell., in Diss.
Aigeni I 149 ff. — Aus dem Mittelalter ist der Kommentar des Eustathios verloren ge-
nügen; die Prolegomena in Aristoph. von Tzetzes, welcher Flut. Nub. Ran. Av. kommen-
tierte, publizierten aus Cod. Ambros. 222 Eua Rh. M. 6, 108 ff., Ritsghl Op. 1 197 ff., Naück
Lez.ymd.233 ff. Ausserdem haben wir verwässerte Scholien von Thomas Magister
und TriklinioB. — Gesamtausgabe der Scholien von W. Dindobf, Ox. 1838, 3 vol., und
DcBSKB, Par. 1842. Martin, Les scolies du manuscrit d'Aristophane k Ravenne, Paris
1882 (wozu erg&nzende Berichtigungen von R. Scholl, Sitzb. d. bayer. Ak. 1889, H 39 — 46),
von IUtthbrfobb, London 1896.
Codices: Ravennas 180 s. XI mit Scholien; Yenetus 474 s. XII ohne Ach. Eccl.
Thesm. Lys., mit Scholien, welche die Lücken des Ravennas ergänzen. Zur geringeren
Hawe gehören Paris. 2712 s. XIII {A); Lam\ 31, 15 s. XIV (F), wozu die Ergänzung der
Leidenais 9 bildet; Vatico-Ürbinas 141 s. XIV (ü); Ambros. L 39 s. XIV {M). Ein paar
Ptpymsblfitier aus dem Altertum, Verse der Vögel enthaltend, sind publiziert von Weil,
Rev. de phil. VI 179. — Kritischer Apparat in den Sonderausgaben von Blaydes und Aj>.
7. Telsen (von letzterem nur erschienen Eccl. Eq. Plut. Ran. Thesm., neubesorgt von
Zacher), üeber die Klassifikation der Scholienhandschriften Komb. Zacher Jahrb. für Phil.
Snppl. XVI (1888) und Jahrb. über Fortech. d. Alt. 1892 S. 1-128.
Ausgaben: ed. princ. Aid. 1498 ohne Lys. Thesm., besorgt von Musurus; die elf
Stacke vereint Bas. 1532. — Ausg. mit Kommentar von Küster, Amstel. 1710 (mit Emen-
dationen Behtlbts); von Brümck, Argent. 1781; von Invbrnizzi, fortgesetzt von Beck und
*) VgL § 187. I dem Distichon des Philosophen Piaton :^ al
*) Nach Aristophanes ist von den Metri- I Xiigusg rd^eydg ri Xaßeip, öneg ovxl neasirat,
Cijtovffai ^vxrjy tjvqov 'AQtaroqxiyovg. Bergk
nennt irgendwo die ftltere attische Komödie
den Höhepunkt der griechischen Poesie.
20*
kern der anapSstische Tetrameter benannt.
') So nennt Goethe unsem Aristophanes
im Epüog der Vögel, Ges. W. 14, 116, nach
L
308
Grieohisohe Litteratargeaohiohte. I. KlftMisohe Periode.
DiNDORF, Lips. 1794—1884, 18 vol. — Textaasgabe von Mbinkke, Lipe. 1860; von Blatdbs,
Hai. 1886, 2 vol. mit ConspectuB codicum et praecipnarum editionnm. — Ansgewfililte Ko-
mödien (Wolken, Ritter, Friteche, Vögel) mit erklärendem Kommentar von Kock, bei Weid-
mann. — Acfaam. ed. Elmblby, 2. Aiä., Lips. 1880; von Alb. MOllbr, Hann. 1863; von
Blaydbs, Halle 1887; von W. Ribbbok, gnech. u. deutsch, Leipz. 1864. — Bitter von W.
RiBBBCK, griech. n. deutsch, Berlin 1867. - Wolken von F. A. Wolp mit metrischer üeber-
setzung, Berlin 1812; von G. Hermank, Lips. 1830; von Tbuffbl-KIhlbb, Leipz. (1867)
1888. — Frieden recogn. et adnot. Hbrwbbdbn, Lngd. Bat. 1897. — Ran. emend. et commentl
Fritzscre, Turici 1845. — Wespen und Frieden von Jül. Riorteb, Berl. 1858. 1860; Wespen
von Blaydbs, Halle 1898.
Erläuterungsschriften: Bbbr, üeber die Zahl der Schauspieler bei Arist., L^pz.
1844; Droysbn, Quaestiones de Aristoph. re scenica, Bonn 1868; Niejahr, Quaest. Aristo-
phaneae scaenicae, Greifswalde 1877 ; Chr. Muff, Vortrag der chorischen Partien bei Arist.,
Halle 1872; besser R. Arnold, Die Chorpartien bei Aiist., Leipz. 1878. — Ueberselzung mit
Erläuterungen von J. G. Droysen, Bert. 1885 (1869), wohlfeilere Ausgabe 1871. — Als
Lexikon hilft vorerst Jacob, Comicae dictionis index, in Meineke Fragm. com. i V.
d) Mittlere und neue Komödie.^)
215. Der alten Komödie wurde nach dem peloponnesischen Krieg
in doppelter Weise der Boden unter den Füssen entzogen. Die eine deutet
Horaz an, wenn er in der Ars poet. 284 von dem Chor der Komödie sagt:
turpiter obticuit sublato iure nocendi.*) Das Recht des Spottes Hess sich
zwar so rasch die Komödie nicht nehmen; sie rieb sich an den Dichtem
und Musikern, nachdem sie die Archonten und Beamten aus dem Spiel
lassen musste; aber die Feinheit ästhetischer Ausstellungen konnte doch
nicht den gleichen Widerhall finden, wie die kecken Angriffe auf die lei-
tenden Staatsmänner. Die zweite Schädigung ging von der finanziellen
Lage des Staates und der Beschränkung der Ausgaben für den Chor aus.
Um für drei Schauspieler an zwei Festen des Jahres, den Lenäen und
Dionysien, zu sorgen, dazu reichten immer noch die Mittel des Staates
leicht aus; aber um an einzelne Bürger wiederholt die Zumutung der
Choregie zu stellen, dazu waren die Vermögens Verhältnisse der athenischen
Bürgerschaft zu sehr zurückgegangen. Da die für die Existenz des Staates
notwendigsten Leistungen, wie die Trierarchie, nur mit Mühe aufgebracht
werden konnten, so musste man sich in den Luxusausgaben, wie eine die
Choregie war, notwendigerweise Beschränkungen auferlegen. Dithyramben
konnten nun einmal nicht ohne Chöre aufgeführt werden; aber in der
Tragödie und mehr noch in der Komödie hatte sich der den Schauspielern
zufallende Teil so sehr entwickelt, dass man sich mit einem geringeren
Chorapparat begnügen, ja des Chors zur Not ganz entraten konnte.') In
^) Graubbt, De mediae Graecorum co-
moediae natura, Rh. M. a. F. II 50 ff.;
0. Ribbeck, lieber die mittlere und neue
Komödie, Leipzig 1857. In den Kanon auf-
genommen waren von den Dichtem der mitt
leren Komödie Antiphanes u. Stephanos (nach
Cod. Bodl.: Antiphanes u. Alexis), von denen
der neuen Philemon, Menander, Diphilos,
Philippides, Poseidippos, Apollodoros.
^) Den Unwillen über die Ausschreitun-
gen der politischen Redefreiheit der Komiker
spricht Isokrates de pace 14 und ad Nicocl.
2, 44 aus, den über die persönlichen Verun-
glimpfungen Piaton in der Apologie.
') Schol. Arist. Nub. 404: XQ^'^V ^ or
noXX(p vüTe^oy xai xa^ana^ neQieTXe Kirtjciug
raff XOQfjyiag, Traktat de com. V 4 /o^k
iatBQtjxai, 071 6Q rtjg yetateQas vnrjgj^B xi»^a>*
(fcccff, ebenso Platonios de diff. com., Horas
a. p. 234. Nach der Vita Aristoph. fand
sich auch in den Stücken der neuen Ko-
mödie, des Philemon und Menander, Gftera
die Ueberschrift Xoqov, wie es scheint zur
Bezeichnung der Stelle, wo entweder ein be-
liebiges Gesangstück oder ein Zwischenspiel des
Flötenbläsers, wie in Plautns Psendulns 573, ein-
zulegen war. Noch ein Chor bei den Iftndlichen
Dionysien erwähnt von Aeschin. in Tinu 157.
C. Drama. 8. Die Komödie, d) Mittlere und neue Komödie.
.215-216.) 309
dem Chor aber und der Parabase lag der Schwerpunkt der alten Komödie ;
mit ihrem Wegfall musste die Komödie entweder ganz verstummen oder
eine andere Richtung nehmen. Sie that das letztere. Die Feinheit des
attischen Witzes war noch lange nicht erschöpft ; die Komödie war darin
besser daran als die Tragödie, dass, während jene sich immer in den
alten Mythenkreisen bewegen musste, diese in den veränderten sozialen
Zustanden neue Nahrung fand.^) Sie bequemte sich daher nicht bloss
den veränderten Verhältnissen an, sondern hat sich auch noch über die
Zeit des Untergangs der hellenischen Freiheit hinaus auf ihrer Höhe er-
halten. Auch in der Aufführung der Stücke traten mit den geänderten
Verhältnissen starke Veränderungen ein. Statt eines Choregen übernahm
ein vom Staate aufgestellter Agonothet die Kosten und Leitung der Auf-
fühning; an die Stelle des grossen, für Schauspieler und Chor ausreichen-
den Spielplatzes trat eine erhöhte und schmale Bühne, die lediglich nur
for wenige Schauspieler bestimmt war und strenger den kleinen,^ für die
scenischen Spiele bestimmten Teil des Theaters {(rxrivrj) von dem grossen,
für die dithjrrambischen und musikalischen Aufführungen bestimmten
Räume (»pz^^^«) schied.*)
216. Kunst und Poesie entwickeln und verändern sich allmählich;
^ lässt sich nicht mit Messerschneide eine Periode von der andern ab-
sondern. So hat sich auch die neue Richtung der Komödie, welche in der
Beiseitesetzung der persönlichen Verhöhnung und in der Ausbildung der
Fabel beruhte, erst allmählich Bahn gebrochen. Während daher die älte-
ren unter den griechischen Grammatikern nur einfach alte (aQxaia) und
neue {väa oder xainj) Komödie unterschieden,*) nahmen spätere eine
Übergangsstufe, die mittlere (/iffVi?) Komödie, an und bemerkten von meh-
reren Stücken der alten Komiker, wie von dem Plutos des Aristophanes
und den Odysses des Kratinos, dass sie im Stil der mittleren oder neuen
Komödie gedichtet seien.^) Als spezielle Eigentümlichkeit der mittleren
') RiBBBCK Rh. M. 30, 145 ff. Die Lage
ier Komödie gegenüber der Tragödie vom
umgekehrten Standpunkt ans witzig ge-
schildert Yon Antiphanes fr. 191.
') Nach Vitruv V 7, 2 war die griechi-
gehe Bohne, d. L die spätere, damals allein
bekannte hellenistische BOhne 10-— 12 ' hoch
und hüdete ein lang gestrecktes Rechteck,
deasen Tiefe und L&nge im Verhältnis von
1 : 12 standen. Diesen Eonstmktionsangaben
enispredien genau die Verhältnisse des
neuodings aufgegrabenen Theaters des Poly-
Uet in Epidaums (Gabbadias, Fouilles d'
Epidanre, Athen 1891), das die Musterform
f&r die Bohnen der hellenistischen Zeit ge-
hfldei hat und fftr das chorlose Drama nach
Alexander, insbesondere ffir die neue Eo-
mSdie bestimmt war. Das habe ich nach-
gewiesen in der Abhandlung, Das Theater
des Poljklet in Epidauros in seiner litterar-
vnd kunsäüstonschen Bedeutung, Sitzb. d. b.
AL 1894, und damit den Beifall von Bbthb,
Prolegomena zur Gesch. d. Theaters (1896)
Kap. XII, Das hellenistische Theater, ge-
funden. Dagegen hält Capps, The chorus in
the later greek drama, Amer. joum. of arch.
1895 p. 287 ff. an der Ansicht Dörpfelds fest,
dass auch das spätere Drama nicht auf,
sondern vor dem Proskenion auf ebener Erde
gespielt worden sei.
') Fi BLITZ, De Atticorum comoedia bi-
partita, Bonn 1866. Die Unterscheidung
von a^/ffi« und xai.yij xtafii^dia findet sich
schon bei Aristoteles Eth. Nie. FV 14. Der
Name f^eorj lässt sich erst bei Schriftstellem
nach Hadrian nachweisen, geht aber doch
wohl in frühere Zeit zurllck; die Zweiteilung
weist den Pergamenem, die Dreiteilung den
Alexandrinern zu Eaibel, Zur att. Eom.,
Herm. 24 (1889) 56 ff.
*) Platonios de diff. com.: xoiovtos iariy
6 Tfjg u^ffijg xcDUwdla^ Ttmog, olog iatiy 6
MoXwrixcDv 'AQWtotpdvovg xal ol 'Odvuarjg
KQotLvov xai nXetcra rtoy naXmtoy dqafjiaxoiy^
ovre x^Q^xd ovre naQußdffeig Ijjfoiro.
310
Ghrieobisohe Idtteratargesohlohte. I. Klwisisohe Perlode.
Komödie bezeichneten sie die versteckte Anspielung und die Vorliebe fUr
Parodie und Verspottung der Dichter und Mythen, während die neuere
in die feine Zeichnung der Charaktere und die Erfindung kunstvoll ver-
schlungener Handlungen ihre Hauptkraft gesetzt habe.^) Beiden gemein-
sam war der Mangel von Chorgesängen und die Einfachheit der metrischen
Form. Der fast zur ausschliesslichen Herrschaft gelangte Vers war der
iambische Trimeter; daneben trat an gehobenen Stellen der trochäische
Tetrameter ein; ausserdem fanden anapästische Dimeter oder Systeme in
den Gesangspartien, namentlich der mittleren Komödie, ihre Stelle.') Auch
in der Prosodie und dem Sprachgebrauch merkten die Grammatiker manche
Abweichungen von den strengeren Regeln der alten Komödie an.') Der
Zeit nach setzte man die mittlere Komödie zwischen den peloponnesischen
Krieg und den Regierungsantritt Alexanders (400 — 336), die neue unter
Alexander und die Diadochen (336—250).
217. Zur alten Komödie zählten die Grammatiker noch mehrere
Dichter, welche nach ihrer Lebenszeit und der Richtung ihrer Poesie der
mittleren näher standen. Es waren dies Strattis, Theopompos, Alkaios,
Nikochares. Von Strattis zählt Suidas sechzehn Stücke auf; mehrere
derselben, wie Mt^Seia, TQmXog, ^otviaaat^ Xqvainnog waren offenbar
parodischer Natur; sein Kivrjcfag war gegen die bekannte {[lappergestalt
des Dithyrambendichters Kinesias gerichtet; den MaxsSovsg rj Davcaviag
lag der Aufenthalt des Agathen und seines Freundes Pausanias an dem
Hofe des makedonischen Königs Archelaos zu gründe. — Theopompos
schrieb nach Suidas vierundzwanzig, nach dem Anon. de com. siebenzehn
Komödien ; eine derselben, Eiqrivrj^ scheint, nach dem gleichnamigen Stück
des Aristophanes zu urteilen, politischer Natur gewesen zu sein, ebenso
wie seine Stratiotides an die Ekklesiazusen des Aristophanes erinnern.
Aus dem "^HdvxccQr^g ist uns eine Anspielung auf den Phaidon des Piaton
erhalten.
Die mittlere Komödie zählte nach dem Anon. de com. 75 Dichter
und 617 Dramen;^) ich bespreche kurz die namhaftesten. Antiphanes
von fremder Herkunft^) trat Ol. 98 in Athen als Komödiendichter auf.
*) Die Erfindung einer solchen Hand-
lung gehört zum n'AdüfAa, daher Anon. de
com. III: o nXovio^ vetoiegl^ei xard ro
nXdafia " tijy re ydg rno&Bffiy ovx dXrj9^
Xiysi . . . Die Lateiner nannten eine solche
erfundene Handlung argumentum im Gegen-
satz zu fctbula,
') Die Gantica bestehen aus Monodien
und Duetten. Flut. Symp. VII 5, 4 stellt die
/liXt] des Menander neben die des Euripides;
ausser Trochften und Anapfisten kommen
noch vor Eretiker bei Eubul. Nutr. 2, Anaz.
Girce 9. Eupolidei versus, die dem Diphilos
und Menander der lateinische Metriker
MariuB Victorinus p. 104, 5 und 110, 21 E.
zuschreibt) sind nachgewiesen von Mjbinbke
I 800 u. 442 f. Ithyphallici gebrauchte Me-
nander in dem StQck ^^da/m nach Gaesius
p. 255, 10. Noch mannigfaltiger
müssen die Metra, nach der lateinischen Be-
arbeitung des Plautäs zu schüeesen, im Sti-
chus des Menander gewesen sein.
>) Mbinbkb I 294 ff.
^) Noch mehr St&cke (Aber 800) nimmt
Ath. 386 d an. 39 Dichtemamen sind er-
halten und aufgezfthlt von Mbinskb 1 303.
Nene Namen von Dichtem lehren ans die
neuaufgefnndenen didaskalischen Yerzeich-
nisse GIA II 971—7 kennen. Im Altertum
schrieb Antiochos aus Alexandria ne^ rmv
iy xj fÄetfn xtOfÄif}^^ xfOfjupdovfAiytay nwtjiwr.
B. Ath. 482 c.
^) Nach Stephanos Bvz. aus Beiga in
Pisidien, was aber vielleicht auf Verwechse-
lung mit dem Paradozographen Anüphanea
beruhte
C. Drama. 8. Die Komödie, d) Mittlere and neae KomMte. (§ 217.) 311
Ein überaas fruchtbarer Dichter schrieb er 260 . nach andern sogar
365 Komödien, mit denen er aber nur dreizehn Siege davontrug.
Wir haben Fragmente von mehr als zweihundert Stücken, die sich be-
sonders in der Schilderung von Gastereien ergehen, aber auch viele hübsche
Sentenzen enthalten. Die Kunst vererbte sich in seinem Geschlecht. —
Anaxandrides aus Kameiros in Rhodos errang nach der parischen
Chronik im Jahre 376 einen Sieg in Athen und beteiligte sich im Jahre
348 an den Festspielen, welche König Philipp nach der Einnahme Olynths
veranstaltete.^) Eine hübsche Schilderung seiner Persönlichkeit hat uns
aus dem Werke des Ghamaüeon tvcqI x(ofi(i}6iag Athenaios p. 374 aufbe-
wahrt. Danach war er ein schöner, grosser Mann, der die natürliche
Schönheit seiner Figur noch durch langes Haar und purpurnes, mit gol-
denen Franzen besetztes Gewand zu heben wusste ; dabei war er aber so
heftigen und hochfahrenden Sinnes, dass, wenn er mit einer Komödie
durchfiel, er dieselbe nicht umarbeitete, sondern als Makulatur zum Ein-
wickeln verkaufte. Indes kann er nicht immer so gegen sich und das
Publikum gewütet haben, denn er siegte nur zehnmal, hinterliess aber
doch fünfundzechzig Stücke. Aus seinen üoleig haben wir ein hübsches
Fragment über die Verschiedenheit der griechischen und ägyptischen Sitte,
wobei auch das Schweinefleisch, das der Ägypter nicht isst, dem Griechen
aber als Leckerbissen gilt, eine Rolle spielt. In einem Ganticum des Pro-
tesilaos verspottet er mit feiner Ironie die kolossalen Zurüstungen bei
der Hochzeitsfeier des athenischen Feldherrn Iphikrates mit der Tochter
des Thrakerkönigs Kotys. Neben Komödien dichtete er auch Dithyramben.*)
Alexis (Ol. 97—123) stanunte aus Thurii in Unteritalien; vermutlich war
aber schon sein Vater infolge der Einnahme der griechischen Kolonie durch
die Lukaner (390) nach dem attischen Demos Oion, den Stephanos Byz.
als Heimat unseres Dichters angiebt, übergesiedelt. Viele seiner Komödien,
wie ÄiamTioq^ ^AqxiXoxog^ '^Ekävrj^ ^Emd im Qfjßag, ^Hffiovr], ATvog, ^Odvaasvg^
*0ß«rTij5») tragen den Charakter der mittleren Komödie an der Stime ge-
schrieben ; aber dem Lebensalter nach ragte er tief in die Zeit der neuen
Komödie hinein. Denn in dem Hypobolimaios berührte er die Verbindung
des Ptolemaios Philadelphos mit seiner Schwester Arsinoe.*) Es hatte
sich eben unser Dichter durch heiteren Witz gesund und lebensfrisch er-
halten, so dass er ein Alter von 106 Jahren erreichte und in seinem
Element, auf der Bühne, starb. ^) Komödien hinterliess er nach Suidas
245, von denen einige nach Gellius II 23 auch in das Lateinische über-
tragen wurden. Ausser der Parodie und Philosophenverspottung spielten
') Mit seiner Beliebtheit am makedo- i seiner Ausg. der Capt. p. XVI sq.
•) Vielleicht bezieht sich auf das StQck
Orestes Aristoteles poet 13 p. 1453 '' 37.
*) Bbrok, Gr. Litt. IV 151 lässt die
betreffenden Verse von zweiter Hand zage-
f> sein.
*) Flut, an seni p. 785 b: ^iXijfioya xo^
x<ofÄix6y xal "jXe^ir inl xrjg axtjyijg ayiovir-
Cofiiyovg xal <n8<payovfiiiyovs 6 dvtyaxo^
xatiXaßey,
mschen Hofe fiftngt vielleicht auch seine
liinfige Berfiekaichtigiing bei Aristoteles (Rhet
ni 10. 11. 12; Eth. Nie. VH 11; Eth. Eud.
YI 10) zusanunen.
') Nach Vermatang von Mubet und
LuwwiG sind die Gaptivi des Plautns nach
«Km 8tfteke des Anaxandrides gedichtet
wegen der Aehnlichkeit von Gapt. IH 4, 103 f.
mü Anazuidrides bei Ath. 688 b. Die Ver-
nratimg wird bezweifelt von Fb. Scholl in
L
312
Ghriechisohe LitteratnrgMohiohte. I. KUsaieohe Periode.
Liebesabenteuer und Parasitenwitze eine Hauptrolle in seinen Dichtungen;
die ersteren hatte schon Anaxandrides eingeführt, die Parasitenrolle galt
als spezielle Erfindung des Alexis, i) Kulturhistorisch interessant ist ein
längeres Fragment aus dem ^laocrdaiov von den Mitteln der Kosmetik
und Phelloplastik, mit denen die Hetären den Mängeln der Natur nach-
zuhelfen wussten. — Andere Dichter der mittleren Komödie waren Eu-
bulos, der nach Suidas in der Mitte zwischen der alten und mittleren
Komödie stand, Archippos, der mit seinen Fischen und dem Plutos in
dem Fahrwasser des Aristophanes sich bewegte*) und dessen ^A(iifi%Qviav
vielleicht das Vorbild fQr den Amphitruo des Plautus abgab, femer Ara-
ros, Amphis, Anaxilas, Ephippos, Heniochos, Nikostratos, Ste-
phanos, Timokles, Philetairos u. a.*) — Die beste Vorstellung von
der mittleren Komödie macht man sich aus Plautus Amphitruo, jenem
köstlichen Lustspiel mit den neckischen Verwechselungen des wahren und
falschen Gemahls der Alkmena und ihrer beiden Diener. Denn die mytho-
logische Travestie und die ausgelassene Leichtfertigkeit, mit der hier mit den
alten Göttern umgegangen wird, passt trefflich zum Charakter der mitt-
leren Komödie und der frivolen Athener jener Zeit. Aber auch die sceni-
schen Verhältnisse des Stückes, welche der römische Überarbeiter nicht
verwischen wollte oder konnte, führen uns ins 4. Jahrhundert oder in die
Zeit vor der neuen Komödie; denn der Amphitruo hat noch am Schluss einen
Dens ex machina nach euripideischer Manier, und lässt, wie die Phönissen,
den Mercurius auf das Dach des Bühnengebäudes steigen (V. 1008). Dabei
führt er, was bedonders zu beachten ist, die Personen noch von vorn durch
die grossen Parodoi der Orchestra ein, noch nicht durch die Seitenzu-
gänge der erhöhten Bühne.^)
218. Die neue Komödie geht der Zeit nach über die Grenzen des
ersten Teiles unserer Litteraturgeschichte hinaus, hängt aber so sehr mit
der Poesie vor Alexander zusammen, dass sie von derselben nicht wohl
losgerissen werden darf. Ihre Blüte fällt zusammen mit der Zeit der po-
litischen Ohnmacht Griechenlands und des Niedergangs nicht bloss der
öffentlichen Freiheit, sondern auch der häuslichen Sitte. An Stelle des
strengen Familienlebens war der Umgang mit feingebildeten Hetären ge-
treten, an Stelle patriotischer Freiheitskämpfer die Grosssprecherei vater-
landsloser Söldnerführer, an Stelle frommen Glaubens teils beschränkte
Gespensterfurcht (SeiaiSaifiovia), teils flacher Atheismus. Das ist der
Hintergrund, von dem sich das Bild der neuen Komödie abhebt. Von
kühnem Eingreifen in das öffentliche Leben war daher bei ihr noch weniger
1) AÜi. 285 e; Poll. VI 85. Dass dieses
jedoch mit Einschrftnkimg anzunehmen ist,
zeigt Meinrke I 377.
^) Dass die Fische den Vögeln des Ari-
stophanes nachgebildet waren, ist gut er-
wiesen von Kaibel, Zar attischen Komödie,
Herrn. 24 (1889) S. 49 ff.
*) Einige weitere Namen sind urkund-
lich bezeugt in den Siegerlisten der komischen
Dichter CIA II 971—7.
*) Auch in den Captivi erkennt man
noch die Anzeichen der älteren einfacheren
Bohne, insbesondere darin, dass während
sonst bei Plautus und Terenz die Rflckwand
einen ganzen Strassenteil mit zwei oder drei
Häusern vorstellt, in den Captivi wie im
Amphitruo nur ein Haus dargestellt war,
geradeso wie regelmässig in der Tragödie
des 5. Jahrhunderts und teilweise auch noch
bei Aristophanes.
G. Drftmä. 3. Die EomOdie. d) Mittlere und neue EomOdie. (§ 218.)
313
als bei der mittleren Komödie die Rede. Zwar führte gelegentlich noch
einmal Philippides einen kräftigen Hieb gegen Stratokies, den elenden
Schmeichler des Demetrios Poliorketes/) und stellte Archedikos den ma-
kedonischen Gewalthabern zu liebe die Lüderlichkeit des Demochares an
den Pranger,^) aber das geschah nur selten und nur nebenher. Auch die
Verspottung der litterarischen Ausartungen in Musik und Poesie, welche
der mittleren Komödie noch einigen Stachel gegeben hatte, trat jetzt zu-
r6ck, begreiflich, da damals in der Tragödie Neues so gut wie nichts mehr
geleistet wurde. Nur die Anmassung und die finstere Morosität der Philo-
sophen boten noch den Komikern einige Gelegenheit zu Spott und Hohn.»)
Im fibrigen suchte die neue Komödie in ganz anderen Dingen ihre Stärke,
in der künstlichen Schürzung und Lösung des Knotens und in der Fein-
heit der Charakterzeichnung. In erster Beziehung war den Komödien-
dichtem Euripides Vorbild, den sie auch in der Einfachheit und Klarheit
des sprachlichen Ausdrucks und in der Einlage ethischer Sentenzen {yraifiM)
nachahmten. Die Tragödie hatte eben früher als die Komödie die Kunst
spannender Fabelanlage ausgebildet; es liess sich aber leicht die packende
Wirkung von Wieder erkennungsscenen, in denen Euripides sich als un-
übertroffener Meister bewährt hatte, auf die bürgerlichen Verhältnisse der
Komödie übertragen. Dazu traten in dem Lustspiel die Motive der Ver-
wechselung von Doppelgängern und die kunstvoll eingefädelte Intrigue.
Zar Erfindung verwickelter, unerwartet sich lösender Handlungen bot aber
das Leben jener Zeit, wo statt des Juppiter optimus maximus Frau Fortuna
herrschte und verschmitzte Sklaven mit verliebten Jünglingen gegen die
alten Herrn ihre Minen spielen Hessen, überreichen Stoff. Für die Cha-
rakterzeichnung hatte, von Epicharmos und Sophron abgesehen, bereits
Alexis die Figur des Parasiten, Timokles die des eisenfressenden Kraft-
menschen ausgebildet; zu ihnen kamen der abgefeimte Sklave, der
tölpelhafte Bauer, der geizige Alte, der leichtsinnige Sohn, die kokettie-
rende Hetäre, der rohe Hurenwirt, der ahnenstolze Aristokrat, der an-
massende Parvenü.*) Li der zutreffenden Zeichnung und in der Würzung
des Dialogs mit geistreichen Pointen und feinen Witzen suchten die Dichter
das äotftor und xofjupov, was als Hauptvorzug der neuen Komödie galt
mid was auch in den gleichzeitigen Werken der Plastik und Malerei das
Genremässige und Niedliche vor dem Grossartigen und Erhabenen hervor-
treten liess. Auch aus der neuen Komödie ist kein vollständiges Original-
werk auf uns gekommen, so sehr auch bis tief in die römische Kaiserzeit
hinein Menander sich in der Gunst des Publikums erhielt.*) Doch sind
') Plnt^ Dem. 12; der harpalische Handel
ist auf die Bfthne gebracht von Tiniokles
bei Ath. 341 f.; weitere Beispiele gibt Mei-
RU I 436 fr.
') Poljb. XÜ 13 und Meihbke I 459.
*) PbJlemon schrieb ein Stfick ^iXo^otpoi.
*) l^^penzeichnnngen nach der Komödie
sind inta in Theophrasts Charakteren er-
kalten. Die einzelnen Figuren geistreich
eiitworfen von 0. Ribbbck, Gesch. der rOm.
IHclitimg I 63 ff., und in den ethologischen
Studien über Kolax, Alazon, Agroikos. In
der Theatergarderobe, wie sie uns der Lexi-
kograph Pollux IV 183 ff. beschreibt, hatten
dieselben einen stehenden Platz, so dass in
den Scenendberschriften plautinischer Stücke
teils neben, teils statt der Eigennamen der
Charakter der auftretenden Personen (senex,
parasitus, sertnis) verzeichnet ist.
') Erdichtet wohl ist die Angabe des De-
metrios Chalkondylas bei Mbihekb, Menandri
relL p. XXIX, dass die byzantinischen Kaiser
au
Orieehische litteratnrgesohichte. I. KUuMischo Periode.
wir immerhin bei ihr etwas besser daran als bei der mittleren, indem
uns in den Fabulae palliatae des Plautus und Terenz mehr oder minder
getreue Kopien der griechischen Originale überkommen sind. Griechische
Originaldichter der neuen Komödie werden vierundsechsig gezählt, also
weniger als von der mittleren, dafür aber mehrere ersten Ranges.
219. Menandros (342 — 291)^) aus Athen war ein Glückskind, dem
schon mit der Geburt ein leichtes Lebenslos in den Schoss gefallen war.
Er war der Sohn vornehmer Eltern: seine Mutter hiess Hegesistrate, sein
Vater war Diopeithes aus Kephisia,') sein Oheim Alexis, der gefeierte
Dichter der mittleren Komödie. Ein Mann von schönem Wuchs hatte er
nur den Makel eines schielenden Auges.') Mit Glücksgütem reichlich
gesegnet, verbrachte er die meiste Zeit auf seiner Villa im Piräus im
genussreichen Verkehr mit seiner geliebten Glykera.'*) Einen glänzenden
Ruf an den Hof des Königs Ptolemaios Soter schlug er aus Liebe für
Athen und die Unabhängigkeit seiner dortigen Stellung aus.^) Durch
seinen Oheim in die Kunst des Lustspiels eingeführt und im Umgang mit
Theophrast und seinem Altersgenossen Epikur^) philosophisch gebildet,
errang er schon im Ephebenalter (321 v. Chr.) einen dramatischen Sieg.
Im übrigen ward ihm bei der Nachwelt grössere Anerkennung als von
seinen Zeitgenossen zu teil;^) denn nur achtmal siegte er, indem sein
Rivale Philemon mit aUerlei Mitteln besser die Gunst des Publikums auf
sich zu ziehen verstand; 8) auch warf man ihm ein gröbliches Plagiat vor,
da er nach Caecilius bei Euseb. praep. ev. X 3 13 seinen Js^f^dtufii^v
von Anfang bis zu Ende dem OicoviaTijg des Antiphanes entnommen haben
soll. Aber nach seinem Tode wurde er der LieblingsschriftsteUer der
den Geistlichen die Verbrennung der Gredichte
des Menander und Philemon gestatteten.
^) Artikel des Suidas. ApoUodor bei
GelliuB XYII 4 und die als unecht ange-
zweifelte Inschrift CIG 6084 geben dem Me-
nander 52 Lebensjahre, indem sie Geburts-
und Todesjahr einrechneten.
') Verwechselt wurde derselbe frfiher
mit dem aus Demosthenes bekannten Feld-
heim Diopeithes aus Sunion.
') Suidas sagt von ihm mit witziger Anti-
these ct^aßog ras oipeti^ o^vs &k xdy vovv.
Eine Statue von ihm fertigten Eephisodotos
und Timarchos. Früher wurde die von uns
Taf. 9 reproduzierte sitzende Statue des Va-
tikan für Menander ausgegeben. Die wahre
Statue ist nach Studniczka in den vielen
Kopien eines schönen, bewegten, nervös geist-
vollen Kopfes lysippischen Charakters er-
halten, wovon die schönste bei Jacobson
Glrpt. n. 1082 und in einem lateranischen
Relief bei Benndorf-Schöne n. 245.
*) Alciphron erzählt im Brief II 4, 5, wie
Gljkera voll Spannung in den Kulissen auf
den Erfolg ihres geliebten Menander ge-
wartet und dann ihm wie neubelebt um den
Hals gefallen sei. Ich setze die schöne
Stelle gleich griechisch her: tl yaQ 'J^yai
rXvxßQag; iJfrK avjw xal tu n^wnsTa d^tar^
xsvttC(ti xal Tcrc ic&tjrag iydvtü xay rot^
naQacxrjvioig ictrjxa tovg &axTvXovg iftavT^
nii^ovaa xai rgiftovottt iiüi av xqoxaXLa^ to
^iaxqoy ' tors yrj Jtjy "J^zs/Aiy dya^pvx^ xat
I neQißttXXottcä ae jijy leQay ixelytjy »BtpnXijr
iyayxaXlCofiai.
^) Alciphron ep. II 3. Vgl. Plinins n. h.
VII 111: magnum et Menandro in eotnieo
80CC0 testimonium regum Äegypti et Mace-
donuie cantigit eUuse et per ügatos petito,
maius ex ipso regiae fortunae praeiata lit"
terarum conacientia.
•) Strab. p. 638: ^EnixovQto av^^ifptjßo^
MiyaySgoy. Ganz als Epikureer scbildeit
den Menander Phaedrus V 1, 12: ungtgento
delihutu8, vestitu adfiuens eeniebat gressu
delieato et languido.
0 Quint X 1, 69; Dio Chrys. or. XVIII
7; Flut. comp. Men. et Aristoph. p. 85S:
Anth. VII 72. 370. IX 187; Append. 185. 286,
377. Genannt wird er 6 xaXo^ bei Ath.
248d u. 364d, 6 z9vcovf bei ThemiBiios or
XX p. 236.
') Gellius XVn4,2: PkUemanem cum
forte kabuisset obpiam, quaeso, inguUy Phi-
lemOf bona venia die mihi, cum tne rsiaei»,
non erubeseis?
C. Drama. 3. Die Eom5die. d) Mittlere und neue Eom5die. (§ 219.)
315
gebildeten Welt, so dass unendlich oft bis in die christliche Ära hinein
von griechischen und römischen Autoren auf seine Verse angespielt wurde.
Hinterlassen hat er nach ApoUodor 105, nach andern 108 Komödien.^) Die
Briefe an den König Ptolemaios und die andern von Suidas erwähnten
Scliriften in Prosa werden wohl spätere Fälschungen gewesen sein.') Im
Lateinischen nachgebildet wurden Evvovxog und Kola^, ^ASskg^of, ^Eavtov
uitmootifisvog^ DeQiv&ia und ^AvÖQia von Terenz, dem dimidiatus Menander,
vielleicbt auch der Jig i^ctnatmv (Bacchides), KagxrjSonog (Poenulus),») und
die (lHlai€Xgio& (Stichus) von Plautus.*) Ausserdem hören wir, dass von
lateinischen Dichtern Caecilius Statins die Stücke Navxh]Qog^ "^YnoßuhfiaTog^
nUxiw, XakxeTa^ Luscius Lavinius das (Paafxa^ Turpilius den Jrj^iovQyoq^
Atflins den Miaoyvvrjg unseres Menander übertragen haben. ^) In der
Originalsprache sind zahlreiche Fragmente auf uns gekommen, die noch
in unserer Zeit durch ein von Tischendorf gefundenes, losgerissenes Blatt
einer Handschrift des 4. Jahrhunderts und zwei Papyrusblätter aus der
Bauer-Eomödie vermehrt wurden.«) Ausserdem hat man in späterer Zeit
ans seinen Komödien ähnlich wie aus den Mimen des Publiiius Syrus eine
Btetenlese von Sentenzen ausgezogen, die, mit fremden Zusätzen stark
Termischt, als Mevardgov yrwfAai fiovoanxot (850 Verse) auf uns gekommen
sind-O Sonderbarer Weise fehlen aber in dieser Sammlung gerade die
schönsten, durch sonstige Gitate sicher als menandrisches Gut bezeugten
Sprache, wie xoiva xd voiv (pfl(av (fr. 9), rd xaxwq xQbffovra X(OQi' dvdQcfovg noisX
(fr. 63), x6 xijg xvx^g Y^Q ^fVßa fisxaniTivsi xaxv (fr. 94), ov ol d'sol (piXoSaiv
ino^tjcxn väog (fr. 125), ffd^eiqovciv ij^rj XQV^^' of^iikfut xaxai (fr. 218).
Mbinekb, Menandri et Philemonis rell., Berl. 1823. — Die neuen Fragmente mit den
alten bei Eock Com. att. fr. III; dazu unten Anm. 6. — Zur Spruchsammlung des Menander neue
BeitrSge von W. Mbybb, Die urbinatische Samml. von Spruchversen des Menander, Euripides
V. a., in Abh. d. bayer. Ak. XV 397 ff.; Derselbe, Nachlese zu den Spmchversen des Menander
u. »., Siteb. d«r bayer. Ak. 1890, II 355 ff.; Stbrnbach in Abh. der Krak. Ak. XV (1891)
310 ff. — MeraydQov xai ^iXiatitoyog cvyxQicvq, neu bearbeitet von Studbmund, Bresl. Ind.
leci 1887. — Ana dem Syrischen sind zwei Florilegien von Sprachen Menanders auf uns
gekiHBmen, Übersetzt und erl&utert von Baumstabk, De fragmentis Menandri Syriacis, Jahrb.
*) Gelliofi XVII 4 und Suidas. Die An-
gabe des Leo Allatius bei Fabricius Bibl. gr.
1 69, dass im 16. Jahrhundert noch 23 von
Pselloe kommentierte Stücke des Menander
in Eonstanünopel existierten, geht auf die
▼on R. FüBSTEK, De antiquitatibns et libris
BttQBcrintis Gonstantinopolitanis, Rostock
1877, publizierten Kataloge aus dem Jahre
1565/75 p. 20 u. 29 zurück.
') In Alezandria wird auf ihn haupt-
aidiHdli der Grammatiker Aiistophanes auf-
OMzkBam gemacht haben, der nach dem Epi-
pmm (36 6083 ihn zunächst nach Homer
^ Die Fragmente des Ka^x^^^^^^^ BÜm-
Mi indes nicht zum Poenulua. Wahrschein-
Üch hingegen ist auch die Cistellaria des
Bantns dem Menander nachgebildet.
^) Die Mofltellaria des Plautns führt
Mimu, Hist com. I 487 auf ein Stück
^ TheognetoB ^anfut tj ^ildqyv^o^ zurück,
^^beiid Luflcina dais ^aofnx Menanders be-
arbeitet habe. Uebrigens schrieb auch Phi-
lemon ein ^äofitty und dieses wird wohl das
Vorbild des Plautns gewesen sein.
*) Den Mtcoyvyi]g erklärte Menander
selbst für sein gelungenstes Stück nach
Phrynich. epit 417.
') Die neuen Fragmente publiziert von
GoBET in Mnem. FV 285, vervollständigt von
Jbbnbtsdt; vgl. Wilamowitz im Herm. XI
498 ff. An den alten hat glänzenden Scharf-
sinn geübt Bentlby, Emendationes in Me-
nandrum et Philemonem (1710), neu abge-
druckt in Mbinekes Men. et Phil. rell.
p. 485 ff. — Zwei Papvrusblätter aus der
Eomüdie TBtoqyog veröffentlicht Nicolb, Le
labourateur de M^nandre, fragm. in^dits,
Gen^ve 1896; dazu Gbusius Beil. d. Allg.
Zeitg. 1897 Nr. 294.
^) HoBKBL, Die Lebensweisheit des Ko-
mikers Menander, in dessen Reden u. Ab-
handl. (1857) 323 ff.
316 OrieohiMho LHtorataTgMehiehte. L KlMmadio Poriode.
f. Pbil. Sappl. XXI p. 473—90; sie sind ron den griecbisehen total veracliieden, so dasB
ihre Zogehörigkeit za Menander in Frage steht. — Ueber eine serbische Ceberaetzimg ans
dem 13. Jahrb. Jaoiö, Die Menandersentenzen in der altkirchenslavischen üebersetzong,
Sitzb. d. Wiener Ak. 1892.
220. Philemon, Sohn des Dämon (361— 263),^) ward des zweiten
Platzes unter den Dichtem der neuen Komödie gewürdigt.*) Als seine
Heimat bezeichnen Suidas und der Anonymus de com. S]rrakus in Sikilien,')
während ihn Strabon p. 671 den berQhmten Männern von Soli beizählt.
Seinen Ruhm erntete er in Athen, wo er sogar den Menander in der Gunst
des Theaterpublikums ausstach. Doch muss er auch auf Neider und Gtegner
gestossen sein, da er bei Stobaios Flor. 40, 8 vom Leben in der Verbannung
spricht. Nach Alciphron ep. 11 3, 17 lebte er eine Zeitlang an dem Hofe
des Königs Ptolemaios in Ägypten. Bei der ägyptischen Reise soll ihm
das Unglück begegnet sein, durch einen Sturm nach Kyrene verschlagen
zu werden und in die Gewalt des Tyrannen Magas, den er fi^her durch
Spöttereien gereizt hatte, zu kommen.'*) Den Tod fand er in hohem Alter
mitten im fröhlichen Schaffen.^) Hinterlassen hat er 97 Komödien, von
denen viele schon dem Namen nach sich mit Stücken des Menander be-
rühren. Zwei, den ^'E^noqoq und Or^aavQogy kennen wir aus den lateinischen
Bearbeitungen des Plaütus, Mercator und Trinummus; wahrscheinlich geht
auch die Mostellaria des Plautus auf ein Stück des Philemon, Phasma,
zurück.
221. Diphilos aus Sinope, ein lebens- und wanderlustiger ^) Dichter,
der sich nicht scheute, die eigenen Liebeshändel mit der witzigen Gnathaina
auf die Bühne zu bringen, dichtete nach dem Anon. de com. 100 Komödien.
In den Stücken, welche nach ihm Plautus bearbeitete, in Gasina (Klrj^ov-
fisvoi), Rudens und Yidularia (JSxeSfay) zeigt er sich als Meister des Jn-
triguenspiels. Von seiner Kunst in geistreicher Verwicklung der Hand-
lung zeugt auch die Asinaria des Plautus, wenn anders dieses eng an das
griechische Original sich anschliessende Stück des witzigen Sarsinaten nach
unserem Diphilos, und nicht nach Demophilos, einem obskuren Dichter der
mittleren Komödie, gedichtet ist.*) In anderen Dramen, wie in der Sappho,
in der er mit kühnen Anachronismen den Archilochos und Hipponax als
Geliebte der Dichterin einführte, schloss er sich mehr dem Geiste der mitt-
M Diodor 23, 7 nach Apollodor. an seni p. 785b; Apol. Flor. 16.
*) Quint X 1, 72: Phüemon consensu <) Gedichtet und gespielt (Ath. 583 f.)
omnium meruit credi seamdus. Eine Ver- hat er zumeist in Athen, gestorben ist er in
gleichung desselben mit Menander gibt Apn- ' Smyma.
leins Flor. 16; darauf st&tzten Riganlt und ^) Die dem Rudens und der Yidularia
Meineke die durch das Zeugnis des Ghoiikios, t des Plautus zu gründe liegenden Stficke des
Apologia mimorum 18, 2 unterstützte Ver- Diphilos waren Parallelkomödien, worUber
mutnng, dass in den ryw/dai MsydydQov xtti STUDKifüKD, üeber 2 Parallelkomödien des Di-
4HJUfffiwyos (neuestens herausgegeben von i philos, Yhdl. d. 36. Vers. d. Philol. 1883, S. 33
Studsmund, Index Bresl. 1887) der Name bis 42.
^tXicriioyoi an die Stelle des ursprünglichen
4»iXtifAovog getreten sei; vgl. Kock, Com. gr.
fragm. t. III praef. IV sq.
*) Ein Stack von ihm hiess StxBX^x6g.
*) Plut. de ira p. 4o8a und 449e
^) Im Prologus des Stückes heisst es
n&mlich huic nomen graece Onago ^ fn-
bulae, Demophüus seripHt, Maecus wrtit
barbare. Dieses Demophilus scripsU korri-
gierte aber Ritschi, Par. Plaut 272 in eam^
^) Verschiedene Variationen über seinen Diphüus scripsU, wogegen Eänwftnde erhebt
Tod bei Ps. Lucian Macrob. 25; Val. Max. ; Flbckeissn Jhrb. f. Phil. 97 (1868) 214.
IX 12; Aelian bei Suidas u. Philemon; Plut.
1 Anfange der Prosa. (§§ 220—222.)
317
leren Komödie an. Die derbe Prügelscene mit dem Kuppler Sannio in
Terenz Brüder 11 1 ist aus den Ivvunod-vr^fSxovreg des Diphilos entnommen.
Andere Dichter der neuen Komödie < waren Apollodoros aus Ka-
rystos,*) dem Terenz im Phormio ^Emiixa^oiisvog) und der Schwieger-
mutter (ExvQfz) folgte; Philippides, der bei dem König Lysimachos in
hohen Ehren stand und noch mit altattischem Freimut die Schmeichler
des Demetrios Poliorketes und die Geldmänner unter den Metöken anzu-
greifen wagte;') Poseidippos aus Kassandreia in Makedonien, der nach
Henanders Tod die attische Bühne beherrschte und dessen Stücke auch
die Lateiner nachahmten;^) Baten, Zeitgenosse des Kleanthes, der sich
in der Verspottung der Philosophen gefiel; Epinikos, welcher in seinem
Hnesiptolemos die Geziertheit des gleichnamigen Geschichtsschreibers, der
bei König Antiochus d. Gr. in grosser Gunst stand, mit feinem Witz ver-
spottete; Sosipater und Euphron, aus deren Komödien Athenaios p. 377
n. 379 ganze Lehrsätze der Kochkunst ausgezogen hat, die lebhaft an die
Weisheit des Catius in Horaz Episteln II 4 erinnern; ferner Anaxippos,
Archedikos, Damoxenos, Eudoxos, Hegesippos, Hipparchos, Lyn-
keas, Phoinikides, Sosikrates, Theognetos.
Die grosse Zahl der Dichter der neuen Komödie und ihre Frucht-
barkeit gegenüber den alten Komikern hängt damit zusammen, dass, wie
man aus den Inschriften über die Feier der Soterien (Inscript. de Delphes
n. 3—6) ersieht, nicht mehr 1 Komödie 3 Tragödien gegenüberstand, son-
dern im Durchschnitt die gleiche Zahl von Komödien und Tragödien zur
Aufführung kam. Im allgemeinen blieb die neue Komödie, wenn auch
einzehe Vertreter derselben, wie Machon, ihre Stücke auswärts und
namenthch in Alexandria zur Aufführung brachten, eine echte Pflanze des
attischen Bodens; dieselbe hat zumeist den Ruf attischen Geistes und
attischer Feinheit begründet und zusammen mit der Philosophie Athen bis
in die römische Zeit hinein zur Heimstätte höherer Bildung gemacht.
IL Prosa.
1. Anfänge der Prosa.
222. Es entspricht dem naturgemässen Gang der griechischen Lit-
teratur, dass die Prosa, für welche der Ausdruck Xoyog sich im alten Homer
noch gar nicht findet,*) erst nach der Poesie hervorgetreten ist. Denn
I) Damit jedeofallß identisch 'JnnoXXo^
fm^of Jjhii^ttiof. Kaibel bei Wisaowa I 2852
itotifiziert damit auch den Apollodoros aus
6e]% der nach Suidas Zeitgenosse des Me-
laiider war.
*) Plat Dem. 12 a. 26. Die Athener
obrien ihn durch einen im Dionysostheater
jekt wieder anfgefondenen Volksbeschlnas
CIA U 314, worflber Zikk in Eos I 24 ff.
'J Gell. II 53: comoedias leetitamus
^^rorum poeUtrutn sumpt€u ac veraas de
^rweUf Menandro aut Posidippo aut Apol-
i^ioro Qut Älexide, Die Menftchmen oder
die Komödie der Irrongen des Plantos ftthrt
auf die 'O^otoi des Poseidippos zurück Ladb-
wiG, Phil. I 275 ff.; vergl. Ribbeok, Rom.
Dicht. I 125, der auch die Aulularia auf
Poseidippos zurückführt. Die sitzende Statue
des Poseidippos neben der des angeblichen
Menander ward aus den Thermen des Dio-
kletian (jetzt im Vatikan) hervorgezogen;
s. Tafel im Anhang.
*) Für Rede gebraucht Homer die Aus-
drücke fivSog und In 17, das Wort Xoyog steht
nur in einer interpolierten Stelle der Ilias
0 393 und in der jungen Telemachie a 56»
L
318 Oriaohiseh« LittoratiirgMoliieht«. I. KlaMiselia Periode.
das Denkvermögen, an das sich vornehmlich die Prosa in ihren verschie-
denen Arten wendet, kommt später bei dem Menschen zur Entwicklung
als die in der Sinnenwelt wurzelnde Einbildungskraft, und während Lieder
sich leicht von Mund zu Mund fortpflanzen, haben Sätze der prosaischen
Rede ohne schriftliche Aufzeichnung keinen Bestand. Ihren Anfang hat
die Prosa in demselben Land genommen, in welchem auch die älteste
Gattung der Poesie, das Epos, seine BlQte gefunden hatte. Ihre frühesten
namhaften Denkmale waren daher auch in ionischem Dialekt abgefasst^)
Aber in der universelleren Natur der Prosa lag es, dass sie, die nicht für
lokale Feste und enge Kreise bestimmt war, ein allgemeineres Yerstän-
digungsmittel anstrebte. Daher kamen in der Prosa nicht in gleicher
Weise wie in der Poesie die einzelnen Dialekte nach- oder nebeneinander
zur Geltung; vielmehr gebrauchten gleich anfangs auch Nichtionier, wenn
sie in Prosa schreiben wollten, den ionischen Dialekt, und kam bald nach-
her der verwandte attische Dialekt, dessen Klangfarbe sich zum präzisen
und energischen Ausdruck der Gedanken am meisten eignete^) und der
zugleich die Sprache der tonangebenden Vormacht Griechenlands war, zur
allgemeinen, fast ausschliesslichen Herrschaft. In den Inschriften zwar
bedienten sich die einzelnen Staaten bis über die Zeit Alexanders hinaus
ihrer lokalen Dialekte, aber in der Litteratur spielte die Aeolis gar keine
Rolle und war die Doris auf die paar Werke pythagoreischer Philosophen
und des Mathematikers Archimedes beschränkt.')
223. Inschriften. Zur Anwendung kam die Prosa zuerst bei den
Aufzeichnungen in Stein oder Erz. Bei diesen Aufzeichnungen, bei denen
es vor allem auf exakte Bestimmtheit ankam, wäre der poetische Rede-
schmuck und der rhythmische Satzschluss dem nächsten Zweck nur hinder-
lich gewesen. Hier waren ausserdem der Natur der Sache nach ganz be-
sonders häufig Eigennamen und Zahlwörter anzubringen, die sich nicht so
leicht ohne willkürliche Umgestaltungen der metrischen Form anpassen
liessen.^) In den inschriftlichen Aufzeichnungen also war, von den Weih-
an welch letzterer Stelle obendrein Nauck | (jl^qo^ rtQoq xrj¥ xiSv Xoyütv naideiay. De-
InBoai statt Xoyoiai vermutet; häufiger findet ' metriuB de eloc. 177: ij 'Axttxrj yXwaaa cvre-
sich das Wort schon bei Hesiod. i ax^af*/Aiyoy xi l/£« xai drjfioxixor xai xat^
^) lieber den lünfluss des homerischen - xoittvxaig etXQaneXla^^ n^enov.
Epos auf den ersten Prosastil s. Eo. Zarncke,
Die Entstehung der griechischen Literatur-
sprachen, Leipz. 1890, S. 12 ff.
') Voraus hatte der attische Dialekt vor
dem ionischen den Dual und die bestimmtere
Scheidung der Relativ- und Demonstrativ-
pronomina. In der bündigen Kürze des Aus-
drucks kam dem attischen Dialekt auch die
strengere Durchführung der Kontraktion zu
statten. Dass die Breitmauligkeit des dori-
schen ä sich weniger als das dünne rj für
die Schärfe der Dialektik und Schneidigkeit
der Rede empfahl, bedarf keiner weiteren
Ausführung. Vgl. Isokrates 15, 296, wo er
von den Vorzügen der Athener spricht: tt^oV
^k xovxotg xai fifk irjg (pwytjg xoiyoxtjxa xai
/lexQioxrjxa xai xijy äXXrjy evxganeXiay xai
(piXoXoyiay ov /iixgoy iqyovvxai avfAßaXiadai
*) Dass im Volke die Dialekte noch bis
in die Kaiserzeit hinein gesprochen wurden,
bezeugt Strabon p. 333; ja, dasa sich die-
selben bis ins Miä;elalter vererbten, machen
die Dialektreste im heutigen Griechenland,
namentlich im S^konischen, wahrscheinlich.
*) Im Gegensatz zu den gewöhnlichen,
sozusagen prosaischen Eigennamen sind die-
jenigen der Gotter, wie 'A^fgodittj, nocet'-
dditiVf 'j4n6XXü>t', 'ÜXvfjinog dem daktylischoi
Rhythmus angepasst; vgl. § 16. Auch in
den Bildungen der ZahlwOrter xgixaxt^ und
iß^o/dttxfj statt xgixij und ißd6f*ij, 8ira$rH
statt 4yyBäsxeg, XBCoa^ixoyxa neben nerttj"
xovxa wird man den Einfluss des dakty-
lischen Versmasses zu erkennen haben. Aber
was sich ein göttlicher Sänger, wie Homer,
erlauben durfte, stand nicht einem beliebigen
1. Anfftnge der ProM. (§§223—224.) 319
inschriften abgesehen, von vornherein die Yerslosigkeit die Regel. In
diesen hat man daher auch die Anfänge der Prosa zu suchen, und die
bscriptiones graecae antiquissimae von Bohl enthalten zugleich die ältesten
Denkmale griechischer Prosa. Aber die kleinen, weder durch einen höheren
Plan, noch eine sorgsamere Form hervorragenden Inschriften kommen für
die Litteraturgeschichte wenig in Betracht. Am ehesten erheischen hier
die Aufzeichnungen von historischen Listen und von Gesetzesvorschriften
eine spezielle Besprechung.
Sammlangen von InBchriften: CIG = Corpus inscriptionum graecanun von BobckHi
Berl. 1828 — 1877. Neue Bearbeitung jenes Corpus in Teilen: CIA = Corpus inscriptionum
Atticamm von Kibchhoff-EChlbb ; CI6S — Corpus inscriptionum Graeciae septentrionalis
von Dittehberoer; CISI = Corpus inscriptionum Siciliae et Italiae von Kaibel; CUA =
Cvjm inscriptionum insularum maris Aegaei von Gabtbivobn; IGA = Inscriptiones graecae
antiquissimae Yon Röhl, Berl. 1882. ~ Auswahl der wichtigsten Inschriften von Ditten-
BBRGER, Sjüoge inscriptionum graecanun, Ups. 1883.
224. Listen und Chroniken. Listen (ävayQagiai) wurden am
frühesten von den Siegern an den grossen Nationalspielen abgefasst. Am
berühmtesten waren die der Sieger in Olympia, über die wir die Haupt-
knnde der 'OXv/iniddoov ävayQaifrj des Julius Africanus und dem Gymnasti-
kos des Philostratos verdanken. Dieselben begannen mit der 1. Olympiade
oder 776 und enthielten zu den 13 ersten Olympiaden nur die Sieger im
Lauf, von da an auch die in den übrigen, nach und nach eingeführten
Arten von Wettkämpfen. ^) — Daneben existierten ähnliche, vielleicht
Dach assyrischen Mustern,*) angefertigte Listen von Beamten, wie der
Ephoren von Sparta (von 755 an) und der eponymen Archonten Attikas
(von 682 an). Ihnen reihten sich Aufzeichnungen von den Königs-
geschlechtem einzelner Staaten und den Successionen der Priester und
Priesterinnen berühmter Heiligtümer an. Dieselben gingen bis in die
mythischen Zeiten zurück, beruhten aber in ihrem älteren Teil meistens
auf Ergänzungen, welche Schriftgelehrte des 6. oder 5. Jahrhunderts auf
Grund zweifelhafter Kombinationen veranstalteten. Am ältesten waren die
Listen der Priesterinnen der Hera in Arges, wahrscheinlich mit An-
gabe der Zeit, wie lange die einzelnen Priesterinnen dem Tempel der Hera
vorstanden. Nach diesen hat man, wie uns Thukydides H 2 mitteilt, in
Arges, ebenso wie in Athen nach Archonten, gerechnet. 5) Im CIG 2655 ist
ans ein ähnliches Verzeichnis von Priestern des isthmischen Poseidon von
Halikarnass inschriftlich erhalten. Reichhaltiger war die lakonische
Chronik {Aaxwvixal mayqaifaC), die sicher bis in die Zeit des Agesilaos
fortgeführt war^) und ausser den Namen der Könige auch die der Sieger
Steinhaaer za, und was bei fingierten Namen ' im Ringkampf gelassen war, woran s man
poeüsdie Weihe gab, das hätte bei bflrger- i auf nachträgliche Aufzeichnung schliessen
liehen Namen Verwirrung gebracht. ' möchte.
') Nach der ausdrücklichen Angabe des > ') Vgl. Ed. Mbyir Gesch. d. Alt. I
P<^yliioe VI 2 und Euseb. I 194 Seh. be- § 127.
gapaea erst mit der 1. Olympiade die Auf- . ') Nach Dionys. Arch. I 22 ging die
Kidmimgen; es ist daher poetische Aus- | Aufzeichnung bis auf die Zeit vor den Troika
ttlimitekang, wenn Pindar Ol. X schon bei , hinauf, d. h. so weit wurde sie von Hella-
Grtudiuig der Spiele dnrch Herakles Namen | nikos vermittels fingierter Namen hinauf-
Yim Si^oB im Bingkampf, Faustkampf und i gerechnet.
^leigespami anfifthrt. Auffälliger ist es, < *) Plut. Ages. 19 erwähnt aus dieser
^ ZQ Ol. 18 ein Zweifel fiber den Sieger Zeit die Angabe über Frauen und Töchter
V
320
Grieohisohe LÜteratorgesohiolite. I. KUuMiaohe Periode.
an dem nationalen Fest der Earneen, vielleicht auch die der Ephoren ent-
hielt, i) Wichtiger noch war die sikyonische Tafel (>; 2ixvm'i dvaxsi-
f.uvr^ ävaYQayrj). Dieselbe enthielt nach Plut. de mus. 3 die Priesterinnen
von Argos, die alten Dichter und Musiker, die Könige von fast 1000 Jah-
ren,*) ward aber wahrscheinlich erst um 590 unter dem Einfluss des
Tyrannen Klisthenes unter Benutzung älterer Verzeichnisse angelegt.')
225. Verträge und Gesetze. Nebst Verzeichnissen waren es Ver-
träge und Gesetze, welche frühzeitig auf festes Material geschrieben wurden.
Die Etymologie des Wortes Qr^tga, d. i. Spruch, zeigt zwar, dass auch die
Gesetze, namentlich die Qr^rgm der Lakedämonier, anfangs mundlich fort-
gepflanzt wurden; aber das Wort nahm bald die allgemeine Bedeutung
von Gesetz oder Vertrag an, und so heisst pQavqa auch der schriftlich
abgefasste Bundesvertrag der Eleer und Euväer (GIG 11), den Böckh
in die 50. Olympiade, neuere Gelehrte erhebUch später setzen.*) — Bis
in den Anfang der Olympiaden hinauf reicht der zwischen Lykurg und
Iphitos vereinbarte Gottesfrieden {ixe%€iQia)^ den Pausanias V 20, 1 auf
einem Diskus in Olympia eingegraben fand. Sodann hat bereits in der
23. Olympiade Onomastos aus Smyrna nach Philostratos Gymn. p. 267,
27 K. Regeln über den Faustkampf (rojttovg nvxxixovg) niedergeschrieben. —
Die ältesten staatordnenden Gesetze, von denen wir Kenntnis haben, waren
die des lokrischen Gesetzgebers Zaleukos (662). Von denselben ist aber
nichts auf uns gekommen, da das bei Stobaios Flor. 44, 20 erhaltene Vor-
wort eine plumpe Fälschung ist, die sogar zu Zweifeln an der Existenz
des Zaleukos selbst geführt hat.^) Bestimmteres wissen wir von der
athenischen Gesetzgebung des Drakon (621) und Selon (594). Die letztere
war in furchenförmiger Schrift auf viereckige Holztafeln {a^or^eg oder
xvQßng) geschrieben und auf der Burg zur allgemeinen Einsich tsnahme
aufgestellt. Doch auch von dieser sind nur wenige Bruchstücke, darunter
inschriftlich ein Absatz eines drakonischen Gesetzes (CIA I 61), auf uns
gekommen.^) Dagegen sind uns vollständig auf Stein mehrere Volksbe-
schlüsse 7) erhalten und die aus dem Ende des 4. Jahrhunderts stammenden
Gesetzestafeln von Heraklea (GIG 5774 — 5). — Allerneuestens wurde
durch Halbherr und Fabricius ein grosser Abschnitt des Rechtes von
Gortyn ans Tageslicht gezogen. Dasselbe war auf 12 Tafeln eines runden
Gerichtssaales (Tholos) geschrieben und bildete eine äusserst interessante
Novelle des Personen- und Erbrechtes der kretischen Stadt Gortyn in
dorischer Sprache. Die Rechtsbestimmungen desselben zeugen von einem
des Agesilaos. Im Irrtum ist Joseph, c. Ap.
I 4, wenn er das Vorhandensein ^iechischer
Städtechroniken leugnet.
^) Ueber die Benutzung dieser lakoni-
schen äya/gatfal durch Timaios s. Gilbert,
Studien zur altspartanischen Geschichte S. 10 ff.
*) Die Liste der 26 Könige in teilweise
abweichender Fassung erhalten durch Pau-
sanias II 5, 5—6 u. 7 und Eusebios p. 11—
56 Seh.
») Frick, Jahrb. f. Phil 1873, S. 707ff.;
LüBBERT, De Pindaro Clisthenis censore,
Bonn 1884.
^) EiRCHHOFF, Stud. z. Gesch. d. griech.
Alph.3 p^ 150 geht auf Ol. 70 herab.
') Von dem Vorwort spricht bereüs
Diodor 12, 20 ; vgl. Strab. p. 260. Die Exi-
stenz des Zaleukos leugnete Timftus xuich
Cic. de leg. II 6, 15.
^) R. Scholl, Ueber attische G^setasge-
bung, Stzb. d. b. Ak. 1886 S. 87—139,
^) Vgl. Hinbighs-Labfbld, G^riech. Epi-
graphik im Handb. d. klass. Altertumswissen-
schaft P 430 ff.
1. Anf&nge der Prosa. (§ 226.) 321
weit höheren Stand der Kultur als das römische Zwölftafelgesetz, indem
sie den Übergang aus dem ins talionis des barbarischen Faustrechtes zur
Humanität der Sühnesatzungen repräsentieren, i) Auch der Satzbau ist
wider Erwarten korrekt und entwickelt, so dass wir es mit einem littera-
rischen Denkmal nicht aus den Anfängen des Prosastils, sondern aus den
nächsten Jahrzehnten nach den Perserkriegen zu thun haben.
Leggi antiche della citta di Gortyna in Greta ed. Halbher r-Fabricius, Florenz 1885.
— Das Recht von Gortyn, von Bücbelbr-Zitelmann, Suppl. d. Rh. M., Frankfurt 1885, mit
Kommentar; mit Nachtrag Rh. M. 41 (1886) 118 ff. — Die Inschrift von Gortyn, von Jon. u.
Tkbod. Baunack, mit Erlänterongen, besonders sprachlichen, Leipz. 1885; Th. Bacjnack, Neue
Brnclistttcke gortynischer Gesetze, Philol. 55 (1896) 474—490.
226. Älteste Bücher. Eine prosaische Litteratur im eigentlichen
Sinne datiert erst aus der Zeit, in der man förmliche Bücher in Prosa
schrieb. Ihr Aufblühen hängt mit der Beschaffung eines leichteren Schreib-
materials zusammen; das ergab sich, nachdem König Psammetich (663
bis 610) Ägypten dem Handel der lonier geöffnet hatte und infolgedessen
auch die Ausfuhr der Papyrusstaude {ßvßlog) oder ihrer bastartigen Häute
(Mtoi) gestattete. Dieselben verdrängten rasch das teuere und schwer zu
bereitende Material von gegerbten Ziegen- und Schafhäuten {ßKf^bqai)^
anf das die Griechen vor Einführung der Papyrusrollen zu schreiben
pflegten.*) — Die ersten Schriftsteller in Prosa blühten in der Mitte des
6. Jahrhunderts ; 3) als solche werden Kadmos von Milet und Phere-
kydes von Syros genannt.*) Beide stammten aus lonien und schrieben
daher auch in dem gleichen Dialekt wie die epischen Dichter, nur nicht
in der alten, sondern in der jüngeren las. Pherekydes von Syros wird
den philosophischen Theologen beigezählt; sein Ruhm, der erste Prosaiker
gewesen zu sein, gründete sich auf seine kosmogonische Schrift über die
Natur und Götter. Dieselbe verband im Geiste der Orphiker mythologische
Namen mit naturphilosophischer Spekulation; sie hiess TTfr^av^o? von den
ftnf elementaren ürprinzipien, Äther, Feuer, Luft, Wasser, Erde, die zur
Schöpfang des Kosmos aus den Winkeln hervorgeholt werden mussten. Von
dem anmutigen Erzählerton der Schrift gibt das unlängst in einem ägyptischen
Papyrus gefundene Fragment von dem leQdg yd^og des Zag und der
Xi^Qvir^ einen guten Begriff, ^j — An Kadmos den Logographen schloss
sich eine ganze Reihe ähnlicher historischer Schriften an, so dass man in
den Anfang der griechischen Prosa die Geschichtsschreibung setzt.
Pherecydis fragm. ed. Sturz, Lips. 1824; Müller FHG I 70—99; beide vermischten
den Pherekydes von Syroe mit dem von Leros. — 0. Kern, De Orphei Epimenidis Phere-
CTdis theogoniis, Berl. 1888. — Speliotopulos, IIbqI *fpfxrcfor, Athen 1891. — Das neue
Fragment in New classical fragments by Grenfell p. 22; dazu Diels, Zur Pentemychos des
*) £in SQlingeld (noivrj) fttr einen Tot- { xlfxtjaBv ' sir« ixBiyrjy fjLifxovfABvoi XvaavTBg
sdihig kommt schon bei Homer 2 488 vor. i to /uerQoy, tuXXa ef^ (pvXä^ayteg r« noitjnxu
*) Herod. Y 58, wonach auch die ältesten
B&cher Sifp^i'gai hiessen.
') Diog. I 121 setzt den Pherekydes
OL 59, Eusebios Ol. 60, Suidaa Ol. 45. Man
sing davon ans, dass Pherekydes etwas vor
Pythagoras lebte.
*) Strab. p. 18: nQionara ij nocrjTixtj
it^fMMxtvrj na^X&sy Bis to /jiiaoy xtu bv^o-
avyByga^pay ol tibqI Kddf4oy xai tpBQSxvdTj
xal 'ExttTttLoy. Vgl. Suidas u. ^BQßxvdTjg.
') Suidas u. ^BQBxv&rjg Bdßvog Ivqiog •
ItTTt ^h änayja ä cvyeyQaips ravra ' inxd-
uv^og (nBytifjivxog corr. Preller nach Ende-
mos p. 170 Sp.) rjxoi &BoxQaala. ij &BoyovLa,
Jsaxt di &EoXoyitc iy ßtßXioig C (?) bxovg«
^Btuy yiyBOiy xai diadoxdg.
Bndlnusfa der kUn. AltertnmawlaBeDBchaft. VU. 8. Aufl. 21
322
Oriechisohe Litteratorgeschichte. I. KlasBiBche Periode.
Pherekydes, Sitzb. d. Berl. Ak. 1897 p. 144 ff. — Ueber die Eosmogonie des Pherekydes
und ihre orientalischeii Elemente noch vor Auffindung jenes neuen Fragmentes Gokpbrz,
Griech. Denker I 70 ff.
2. Die Geschichtsschreibung.^)
a) Die Logographen. 2)
227. Die ältesten Geschichtsschreiber hat man sich seit Creuzer ge-
wöhnt mit dem Namen Logographen {XoyoYQaifoi) zu bezeichnen. Die
Bezeichnung ist nicht ganz zutreffend, da der Name speziell mit der Ge-
schichtsschreibung nichts zu thun hat und mehr den Rednern, welche, wie
Lysias, für Andere Reden schrieben, zukam. ») Aber wir bleiben, um Ver-
wirrung zu vermeiden, bei dem herkömmlichen Namen, zumal denselben
schon Thukydides I 21 auch von den Vorläufern der Historiographie ge-
braucht hat und loyoi schon bei Herodot der geläufige Name für Geschichts-
bücher war.*)
Die Geschichtsschreibung der Logographen ging von den loniem
Vorderasiens und der Inseln aus. Dort war durch das Epos die Kunst
des Erzählens genährt und der Sinn für Beobachtung der Aussenwelt ge-
weckt worden; dort strömten auch am reichhaltigsten die Nachrichten über
die fernen Gegenden des Westens und die weiten Reiche des Ostens zu-
sammen. Das war in der Natur des Landes begründet, dessen gute Häfen
zur Schiffahrt einluden und in das die grossen Strassen des Perserreiches
ausliefen. Die Logographen knüpften, wie das schon Strabon p. 18 her-
vorhob, in ihrer ganzen Darstellungsweise an Homer und das Epos an.
Darin wurzelte aber zugleich die Anschauung der Alten von der Inferiorität
der Geschichte, die Aristoteles Poet. 9 mit den vielbesprochenen Worten
ausspricht: ifiXoaoffdTeqov xal anovdaioTsqov Ttoirjai^ iarogiag iaxiv.^) Indem
also die Logographen an die epische Poesie anknüpften, gebrauchten sie
nicht bloss den ionischen Dialekt und zahlreiche Wendungen der epischen
Sprache, sondern betrachteten auch hauptsächlich die äusseren Erschei-
nungen, ohne, trotz eines Anfluges von Rationalismus, tiefer den Zusammen-
hang der Dinge und Ereignisse zu ergründen. Vorzüglich beschäftigten
sie sich mit den Gründungen der Städte, den Genealogien der herrschenden
Geschlechter, den merkwürdigen Naturerscheinungen, den Gebräuchen und
^) G. J. Yossius, De historicis graecis libri
(1623), auctiores et emendatiores ed. Westbr-
MANN, Lips. 1838; Creuzer, Die historische
Kunst der Griechen (1803), 2. Aufl., Leipzig
1845 ; Ulrici, Charakteristik der griech. Hi-
storiographie, Berl. 1833, mit philosophischem
Geiste erfasst; Wachs müth, Einleitung in
das Studium der Alten Geschichte, Leipzig
1895, Hauptwerk; Sohafer-Nissen, Abriss d.
Quellenkunde der griech. und röm. Gesch.
(1867), 4. Aufl. der griech. Gesch. 1889;
BüDiNOER, Die Universalhistorie im Altertum,
Wien 1895. — Hbrm. Haupt, Jahresberichte
in der B«yue historique. — In den Kanon
wurden aufgenommen : Herodot, Thukydides,
Xenophon, Philistos, Theopomp, Ephoros,
Anaximenes, Kallisthenes, und dann nach-
träglich noch Hellanikos, Polybios. — Samm-
lung der Fragmente von C. MOlleb FHG =
Fragmenta historicorum graecorum, Paris
1841—70, 5 voll.
*) I. Lipsius, Quaest. logographicae,
Ind. Lips. 1886.
*) G. Cürtius, Ueber zwei Kunstaus-
drücke der alten Litteratnrgeschichte, in Kl.
Sehr. II 239 ff.
«) Herodot II 143. Y 36. 125 nennt den
Hekataios Xoyonoioq) Pindar P. I 94. N. VI
39 gebraucht Id^^f Oft u. Xoyoi, im Gegensatz
zu uoi&oi u. doidal.
^) Ulbici, Charakteristik 294 f.
2. Die GesohiohtasJDhreibang. a) Di« Logographen. (§§ 227—228.) 323
Einrichtungen der einzelnen Völker, der griechischen wie der fremden, i)
Geschichte und Mythus flössen bei ihnen noch ineinander, zumal sie mit
Vorliebe von der Geschichte der Gegenwart absahen und in die graue
Vergangenheit zurttckgriflfen. Ihre Bücher wurden früh durch die kunst-
volleren und kritischeren Werke der attischen und alexandrinischen Schrift-
steUer in den Hintergrund gedrängt, so dass nichts von denselben auf uns
gekommen ist. Ich begnüge mich daher mit einer kurzen Aufzählung^
indem ich nach Dionysios de Thuc. 5 zwei Klassen, die älteren und die
jüngeren Logographen, unterscheide.
228. Kadmos aus Milet war der älteste der Logographen und ge-
hörte noch dem Schluss des 6. Jahrhunderts an. Sein Geschichtswerk
hatte nach seinem Inhalt den Titel Die Gründung von Milet, Ktiffig
MiXiJTov, nach Suidas Kriaig MiItjtov xai Tjjg oXrfi *Iwriag in 4 B.; erhalten
hat sich von demselben nichts.')
Hekataios, Sohn des Hegesander von Milet, der bedeutendste der
Logographen, lebte in der Zeit der Perserkriege und nahm eine hervor-
ragende Stellung in seiner Vaterstadt ein. Vor dem Ausbruch der Feind-
seligkeiten mahnte er in der Bundesversammlung der lonier vom Krieg
mit dem mächtigen Perserreich ab;^) später (494) ging er als Abgeord-
neter der lonier zum persischen Statthalter Artaphernes und erwirkte, dass
dieser den ionischen Städten ihre Verfassung zurückgab. Von ihm existierten
2 Werke: revaaXoyiai in mindestens 4 B. und Usglodog yr^q in 2 B. Von
dem letzteren Werke, in dem der Verfasser die reife Frucht seiner aus-
gedehnten Reisen niederlegte und insbesondere vom Westen Europas ge-
naue Nachricht gab, sind uns ziemlich zahlreiche Fragmente erhalten.^)
Von einzelnen Abschnitten desselben, wie von denen über Asien und
Ägypten, wurde die Echtheit aus nichtigen Gründen bestritten.^) Der
Beschreibung in Worten war eine Karte (mva^) beigegeben, wie schon
vor ihm der Philosoph Anaximander eine solche entworfen hatte. ^)
Zu den älteren Logographen gehörten ausserdem Akusilaos von
Argos in Böotien, der reveaXoyfai im Anschluss an Hesiod verfasste;^)
') Eine gute Charakteristik der Logo- | della periegesis, Estratto degli Atti della
graphen oder der TtaXatoi avyygagislg gibt I acad. Pelormitana 1896/97.
Dionysios de Thuc. 5. 6. 23. | '^) Eallimachos bei Ath. 70 b u. 410 e,
*) Nach Clem. Alex, ström. VI p. 267 ' und Arrian V 6; vergl. Eratosthenes bei
machte der Prokonnesier Bion davon einen
Auszng. Dionysios de Thncyd. 23 bezweifelt die
Echtheit des nnter E^admos Namen umlaufen-
den Werkes, Neuere gehen noch weiter und
glauben, dass die Vorstellung, der Phöni-
kier Kadmos sei der Erfinder der Buch-
staben gewesen, Anlass gegeben habe, einem
Kadmos das ftlteste Prosawerk zuzuschreiben ;
dagegen besonnene Einwürfe von Rühl,
Jahrb. f. Phil. 137 (1888) 8. 116 ff.
») Herodot V 36; vgl. VI 137.
*) Fragmente bei Müllbb FHG I 1-31;
rV 623. 627; Atekstädt, De Hecataei Mi-
lesii fragmentis quae ad Hispaniam et Gal-
liam pertinent, Leipzig. Stud. XIV, 1891;
Tbofba, Ecateo da Mileto ed i frammenti
Strab. 7 roy (jikv ow (sc. ^Aya^ifjLavSgov)
ixöovpm Ti^Toy yetoyqaffixoy niyaxa, xov
de *ExaT«roi/ xaTaXtnety yQufÄfÄce niazovfieyov
ixeiyov eivm ix trjg aXXrjq avrov ygatptjg
Die Bedenken widerlegt Diels, Herm. 22,
411 ff.
^) Eratosthenes bei Strabo p. 7; Aga-
themeros in Müller, Geogr. gr. min. U 471,
und Schol. Dionys. ebenda II 428.
^) Clemens Alex, ström. VI p. 267 r«
'Haiodov fAStfjXXaSay eis TieCoy Xoyoy xai oig
idia i^ijyeyxay EvfxrjXog tc xai ^JxovaiXaog
ol UtToQtoyQd(poi. Suidas u. 'Exaratog : nQcStog
loTOQlay neC<0€ i^ijyeyxSy avyygu^ptjy dk ^e-
^exvdrjg. r« ynq 'AxovaiXdov yo&everai. Da-
gegen tritt I. Lipsius a. 0. für die Echtheit
21*
324
QrieohiMbo UttoniiirgeMhiehto. L XUMdseh« Periode.
Charon von Lampsakos, dem von den vielen Werken, die ihm Suidas
beilegt, mit Sicherheit nur die U&QCtxa in 2 B. und die ^QQot Aafiipaxrjvwv
in 4 B. angehören ;i) Eugeon von Samos, Verfasser von'i2^ Safuaxoi;^)
Dionysios von Milet, der Uegctxd in ionischem Dialekt verfasste;*) ferner
Deiochos von Prokonnesos, Eudemos von Faros, Demokies und
Amelesagoras. — Hieher lässt sich auch stellen Theagenes, der erste
Grammatiker, der zur Zeit des Kambyses über Homer und seine Ab-
stammung schrieb.
229. Als jüngere Logographen, die kurz vor dem peloponnesischen
Krieg blühten und bis auf Thukydides herabreichten, werden von Dionysios
namentlich angeführt: Hellanikos, Damastes, Xenomedes, Xanthos.
Xanthos der Lydier, der nach Suidas zur Zeit der Einnahme von
Sardes (499) lebte, sicher aber erst unter Artaxerxes I (465—425) schrieb,*)
war Verfasser von Lydiaka in 4 B. Ephoros bei Ath. 515 e lässt durch
diese dem Herodot Anregung und Stoflf [äq^ogfiaf) zu seinem Geschichtswerk
gegeben sein. Dabei ist aber merkwürdig, dass nach Dionysios, Arch. I 28,
bei Xanthos von der durch Herodot I 94 berichteten Gründung des Staates
der Tyrrhener durch die Lydier nichts zu finden war. Für die Autorität
des Xanthos nimmt die Überlieferung bei Nikolaus Damascenus fr. 49 ein,
wonach derselbe auch einheimische Quellen der Lydier benutzte. Nach
Diogenes VI 103 brachte ein gewisser Menippos das Werk des Xanthos
in einen Auszug, und hielt der pergamenische Grammatiker Artemon den
Eyklographen Dionysios für den wirklichen Verfasser der unter Xanthos
Namen umlaufenden Lydiaka.^) Benutzt und ausgeschrieben wurde Xan-
thos vielfach von dem Historiker Nikolaus Damascenus in der Zeit des
Augustus.
Pherekydes, der Genealoge von Athen, ist verschieden von dem
Philosophen Pherekydes von Syros, aber wahrscheinlich eine Person mit
dem Pherekydes aus Leros, von dem ihn Suidas in einem konfusen Artikel
unterscheidet. Er scheint eben in Leros geboren und Athener nur deshalb
genannt worden zu sein, weil er den grösseren Teil seines Lebens in Athen
zubrachte und dort sein Hauptwerk schrieb.«) Seine Blüte wird von Eu-
sebios auf Ol. 81, 3 = 454/3 gesetzt; nach Ps. Lukian Macr. 22 erreichte
ein. Die Ansicht des Akusilaos vom Chaos
führt schon Platon Svmp. 178 h an. Com-
mentare zu seinem Werk vexfasste in Ha-
drians Zeit Sahinus. Fragmente hei Müller
FHG I 100—104. IV 624. üeher seine üeher-
einstimmungen mit seinem Landsmanne und
Zeitgenossen i^indar s. Christ zu Find. O.
VII 24. N. X 80.
^} Neuhann, De Charone Lampsaceno,
Bresl. 1880.
2) MüLLKR FHG II 16 u. IV 653.
') Suidas konfundiert denselhon mit dem
jüngeren, um 100 v. Chr. lohenden Dionysios.
*) Das letzte geht aus dem Fragment
hei Strahon p. 49 hervor; damit lässt sich
die Angahe des Suidas yeyoviag ini xrjg
aXüiastüg £dQdewy nur vereinharen, wenn
man yeyoyais mit natus est deutet, oder an-
nimmt, dass er in seinem Werke die Ein-
nahme Yon Sardes se puero erwfthnt habe.
») Ath. 515 e; Müller FHG I p XXII
nimmt eine ümmodelong der Lydiaka des
Xanthos durch Dionysios an. Vgl. Lipsius»
Quaest. log. p. 12 ff. — Fragmente des Xan-
thos hei MüLLBR FHG I 34 — 44; erg&nzt und
erläutert von Gutschmid Kl. Sehr. IV 307 ff.;
vgl. Waohsmdth Einl. 463 ff.
*) Lipsius, Quaest. logogr. p. 18 unter-
scheidet wieder heide und nimmt neben dem
älteren Pherekydes aus Athen einen jQngeren
Pherekydes aus Leros an, der nach der
Stelle im Lehen des Hippokrates p. 449, 4 W.
fit^T]fioy€vei di rrjg yeyeaXoyiag avtov "E^-
Toaäiyfjg xal *^€Q€xvdrjg xai 'JnoXXödt^ag
zwischen Eratosthenes und Apollodor gelebt
habe.
8. Die GesohiohtsBohreibung. a) Die Logographen. (§ 229.)
325
er ein Alter von 85 Jahren. Sein Hauptwerk, das bald Vcrro^/ae, bald
nvsalayfai oder AvTox^oveg betitelt wird, enthielt in 10 B. die Abstam-
mungen der Götter und edlen Geschlechter und war in ionischem Dialekt
geschrieben. Das 1. Buch handelte von der Theogonie und dem Giganten-
kampf, das 2. von Prometheus, das 3. von Herakles, das 4. von den
argivischen und kretischen Sagen, das 6., 7., 8. von den äolischen Sagen
und dem Argonautenzug, das 9. und 10. von den arkadischen, lakonischen,
attischen Stammessagen. Dionysios Arch. I 13 nennt unseren Logographen
Pherekydes den ersten unter den Genealogen ; wie leicht es aber derselbe
in seinen Genealogien mit der Wahrheit nahm, ersieht man aus der Unzahl
fingierter Namen. So nahm er, und Hellanikos nach ihm, eine Abstam-
mung des Homer von Orpheus an und dachte sich beide durch einen Zeit-
raum von 10 Geschlechtem von einander geschieden; flugs erdichtete er
dazu 10 Ahnen des Homer Evxkrjg^ (PUoräQnrjg, XaQtSrjfxog etc., denen man
die Fiktion ebenso wie den von der Schiffahrt benannten Ahnen des
Phäakenkönigs Alkinoos bei Homer Od. 7, 62 an der Stime geschrieben
sieht. Fragmente bei Müller FHG I 70—99 und IV 637—9; Luetke,
Pherecydea, Gott. Diss. 1893.
Hellanikos von Mytilene^) war Zeitgenosse des Herodot und Thu-
kydides und muss, wenn die Angabe des Scholiasten zu Aristoph. Ran.
706 und 732 richtig ist, das Jahr 406 überlebt haben.«) Ein Mann von
lebhafter Wissbegierde hat er Griechenland nach allen Seiten durchreist
ond überall Erkundigungen eingezogen. Auch am Hofe der Könige von
Makedonien weilte er eine Zeitlang;^) den Tod fand er in hohem Alter
bei Perperene gegenüber der Insel Lesbos. Seine zahlreichen Schriften
waren teils chronologischen Inhaltes im Anschluss an die alten Tempel-
chroniken, wie die 7^pfia* at ev "Agyst in 3 B. und die KaQveovtxai,^) teils
behandelten sie die Geschichte einzehier Landschaften, wie vor allem die
'Ax^^ig in 4 B.,*) die erste der attischen Spezialgeschichten (Az^iSeg)^ ferner
die 0aQwvig (Geschichte von Argos), 'Aacomg (Geschichte von Böotien),
AsvxaXtiovcta, 'Aqxadixä^ Aiohxd, Asaßixd^ ^Arkarrfg, teils endlich hatten sie
denkwürdige Unternehmungen zum Mittelpunkt, wie die TQwixa und
neQaixd,«) Den ionischen Dialekt, die anreihende Satzform und die kritik-
lose Leichtgläubigkeit teilte er mit den anderen Logographen; seine ün-
genauigkeit in chronologischen Dingen tadelt kurz Thukydides I 97, härter
') Pkblleb, De Hellanico Lesbio histo-
rieo (1840) in Ansgew. Aufs. 23 ff.
■) BiELs Bh. M. 31, 53 setzt nach
Pamphila bei Gellius XIV 23 n. Ps. Lncian
Macrob. 22, d. i. nach Apollodor unsern
Hekatans auf 496—411. Dagegen läset
WiLAMowiTz, Herrn. 11, 292 denselben um
454 geboren sein.
') Nacb Suidas weilte Hellanikos am
Hofe des Amjmtas und überlebte die Re-
gKrongszeit des Perdikkas.
*) Nach Ath. 635 f. waren dieselben in
Profia und Vers geschrieben, womit Suidas
xal noit]nx(üg. Einen Nachahmer fand darin
Hellanikos an dem Römer Accius, der Di-
dascalica in gebundener Rede schrieb.
') Dass Herodot die Atthis des Hella-
nikos noch nicht kannte, zeigt Her. IX 73.
Gegenseitige Unabhängigkeit des Hellanikos
und Herodot beweist Bass, Wien. Stud. I
161 ff. Thukydides erwähnt 197 abfällig
die 'AzTixt] SvyyQttg)tj.
*) Von bestrittener Echtheit waren die
BaQßaQixd yofUfia und die Atytmxiaxa, welche
einen Teil jenes Werkes bildeten und von
Müller I p. XXX dem jüngeren Hellanikus
Aegyptius beigelegt werden.
326
Grieohisohe Litteratnrgesohiohie. I. Elaasisohe Periode.
Ephoros bei Photioe p. 43b, 29, losephos c. Ap. I 3, Strabon p. 366, 426,
451, 602. Fragmente bei Müller FHG I 45—69 u. IV 629—637.
Andere Logographen der jüngeren Klasse waren Stesimbrotos
von Thasos, Zeitgenosse des Kimon und Gegner des Perikles, der eine
litterarische Schrift über Homer und eia politisches Pamphlet über The-
mistokles Thukydides Perikles verfasste;^) Hippys aus Rhegion zur
Zeit der Perserkriege, von dem Suidas unter andern eine Kuaig ^hah'aq,
Xqonxd und ^xshxa in 5 B. anführt (Müller FHG H 12—15); Glaukos
von Rhegion, dessen Schrift nsQi ztav aQxaiwv Tioirjtcov xat fiovcixäv noch
von Harpokration *) und Plutarch ticqI fiovaixfjg benutzt wurde.') — Im
weiteren Sinn können femer hierher gestellt werden: Damastes aus
dem troischen Sigeum, Schüler des Hellanikos,^) der über die Ahnen der
griechischen Führer vor Troja, über Völker und Städte, über Dichter und
Sophisten schrieb und ausserdem einen, wesentlich auf Hekataios fussenden
Periplus verfasste:*^) Herodoros aus Heraklea, Vater des Sophisten
Bryson, der mit kritischem urteil über Herakles und die Argonauten
schrieb (Müller FHG H 27 — 41); der Sophist Hippias aus Elis, dem neben
verschiedenen Deklamationen auch eine 'OXvfimovixwv ävayQag^rj beigelegt
ward (Müller FHG H 59—61); endlich Phileas, den der archaisierende
Dichter Avien ora marit. 5 neben den bekannten Logographen als seine
Quelle aufführt.
b) Herodotos (um 484 bis um 425).^)
230. Leben. Herodot wird von Cicero de leg. I 1 Vater der Ge-
schichte genannt, weil er zuerst sich für einen Geschichtsforscher {ItrroQixog)
ausgab 7) und zuerst über genealogische Verzeichnisse hinausgehend, ein
grosses welthistorisches Ereignis darzustellen unternahm. Über die Person
des Verfassers sind wir nur mangelhaft unterrichtet; selbst einer Vita, ab-
gesehen von dem Artikel des Suidas, entbehren wir. Die Zeit desselben
bestimmt unsere älteste Quelle Dionysios Halic de Thucyd. 5 mit den paar
Worten: , Herodot aus Halikamass war kurz vor den Perserkriegen ge-
^) Die Echtheit jenes Pamphletes (Mül-
LRB FHG n 52—8), das eine Hauptquelle
des Plutarch war, wird verteidigt von Wila-
Mowiz Herrn. 12, 361 ff. und Ad. Schmidt,
Das perikleische Zeitalter I 183 ff.
^) Harpokration u. MovaaToq.
') HiLLBR, Die Fragmente des Glaukos
von Rhegion, in Rh. M. 41, 398—436. Ob
der Homeriker Glaukos und der rkavxog
nsQi Jüfxv^ov fjiv&mv in Argum. Aisch. Pers,
n. Schol. Eur. Hec. 41 eine Person ist, bleibt
dahingestellt.
*) Suidas setzt ihn mit yeyoviog ngo
Teiv UeXoTtoyytjciaxtiSy zu frOh; schon sds
Schüler des Hellanikos muss er an das Ende
des 5. Jahrhundert gerttckt werden; er folgte
ausserdem dem Gorgias in der Zurückfdhrung
des Geschlechtes des Homer auf Musaios.
Seine Verlässigkeit perhorresziert der kri-
tische Strabon p. 47. Dagegen war sein
nsglnXovg oder KatäXoyog i^yaiy xai 7t6Xe*»r
einem Antiquar wie Avien eine erwünschte
Quelle.
*) Mülle» FHG H 64-67; vgl. Aga-
themeros in Mdlleb, Geogr. gr. min. II 471.
^) Quellen sind ein Artikel des Suidas,
und Plutarch, De Herodoti malignitate.
Neuere Bearbeitungen: Dahlhann, Herodot,
Altena 1824, in Forschungen H 1 ff.; Blas,
De vita et scriptis Herodoti, im 4. Bde. seiner
Ausg.; Ad. Baues, Herodots Biographie, in
Sitzb. der Wien. Ak. 89, 301—420; Vi»c.
Costa Nzi, Ricerche su alcuni punti contro-
versi intomo alla vita e all' opera storica di
Erodoto, Mem. del Istituto Lombardo 1891.
'} Der Ausdruck Urrogiij d. i. Erforsdmng
findet sich zuerst bei Herodot, und zwmr
gleich im Eingang ^Hqo^otov 'aU*. Uio^ijg
2. Die Oesohiohtsschreibang. b) Herodotos. (§ 230.)
327
boren und lebte bis in den peloponnesischen Krieg hinein.' Bestimmter,
aber ohne sichere Gewähr setzte Pamphila, die gelehrte Schriftstellerin
aas der Zeit des Nero, das Geburtsjahr unseres Autors auf 484 an.^) Dass
er den Anfang des peloponnesischen Krieges und die Einfälle der Lake-
damonier in Attika noch erlebte, geht aus seinem Werke selbst, nament-
lich aus IX 73 hervor; ebenso aus VII 170, dass er zur Zeit der grossen
Expedition der Athener nach Sikilien nicht mehr unter den Lebenden
weilte. Wahrscheinlich starb er kurz vor oder bald nach dem Hingang
des Perserkönigs Artaxerxes I (425).*) Seine Heimat war die dorische
Kolonie Halikarnass in Kleinasien, die damals zum Vasallenstaat der durch
unseren Historiker berühmt gewordenen Königin Artemisia gehörte. Die
Eltern des Herodot, Lyxes und Dryo (v. 1. Rhoio), gehörten zu den ange-
sehensten Familien der Stadt; sein Bruder hiess Theodoros. Einer seiner
femerstehenden Verwandten, Oheim von mütterlicher Seite, war Panyassis,
der bekannte Epiker. Beide wurden in die Freiheitskämpfe ihrer Vater-
stadt gegen die Gewalthaber Kariens, die Nachfolger der Artemisia, ver-
wickelt Panyassis kam bei diesen Kämpfen um; Herodot, der anfangs
zur Auswanderung nach der ionischen Insel Samos sich genötigt sah,^)
soll später nach seiner Rückkehr zur Verjagung des Tyrannen Lygdamis
mitgewirkt haben.*) Aber bald nachher verliess er, wie es in der Grab-
schrift heist, wegen der Missgunst der Bürger, seine Vaterstadt für immer.
Im Jahre 445 treffen wir ihn in Athen, wo er, wahrscheinlich in dem neu-
erbauten Odeon, eine Partie seiner Geschichte vorlas und mit einer glän-
zenden Staatsbelohnung von 10 Talenten ausgezeichnet wurde.^) Antrag-
steller des Ehrendekretes war Anytos, der eigentliche Urheber aber Peri-
kles, der weitsehende Staatsmann, der in dem Unternehmen des Herodot
einen Hebel für die Hebung der Macht Athens sah und vielleicht auch
als gemeinsamer Gönner die Freundschaft des Herodot und Sophokles ver-
*) Gellius XV 23; wahrscheinlich ging
Pamidiila oder ihr vermutlicher Gewdirs-
mann Apollodor davon ans, dass 444 die
ex/iij unseres Herodot war. Ad. Scholl,
Ueber Herodots Lebenszeit, im Phil. 9, 193 ff.
geht, geetfltzt auf Ensebios zu Ol. 78, 1 mit
dem Geburtsjahr auf 489 hinauf.
') Darius, Xerxes, Artaxerxes sind allein
als PerserkGnige erwähnt VI 98 und ange-
deutet VII 106. Auf die Zeit yon 424 weist
auch der Umstand, dass er VII 235 die Oc-
capaüon der Insel Eythera durch Nikias
nicht kennt. Ohne Nötigung wurde früher
die Nachricht 1 130 von dem Abfall der Meder
auf die Ereignisse von 408 bezogen.
') üeber die Verhältnisse von Halikar-
nass zur Zeit des Lygdamis klttrt auf die
Inschrift IGA 500. Bauer a. 0. hält die
Angabe von einer Auswanderung nach Samos
flbr erfanden, um den ionischen Dialekt
seines Geschichtswerkes zu erkl&ren; beides
bringt allerdings Suidas in Zusammenhang.
Dass man aber auch in Halikarnass damfds
ionisch schrieb, zeigen die Inschriften, na-
mentlich das unter der Oberhoheit des Lyg-
damis zu Stande gekommene Gesetz der Ge-
meinden Halikarnass und Salmakis, in dem
auch ein Panyatis vorkommt
*) Das muss vor 454 stattgefunden
haben, da nach der Inschrift IGA 500 da-
mals schon Halikarnass dem athenischen
Seehund beigetreten war.
') Die Hauptnachricht darüber bei Plu-
tarch de Her. mal. 26, geschöpft aus Diyllos,
einem Historiker der Diadochenzeit; als Jahr ist
Ol. 83, 3 oder 83, 4 von Eusebios angegeben.
Die Staatsbelohnung lässt vermuten, dass der
vorgelesene Abschnitt auf den Ruhm Athens
Bezug hatte. Dem entsprechen am besten
die 3 letzten Bücher von den Perserkriegen ;
hdchstens könnte man noch an den Ab-
schnitt von Eroisos und Selon I 26—92 mit
dem Exkurs über Attika und Peisistratos
denken. Die Sache selbst wurde später ins
Fabelhafte ausgeschmückt: Lukian Herod. I
und Suidas u. Sovxvd. machten aus einer
Vorlesung in Athen eine solche in Olympia ;
Suidas, Marcellinus c. 54 u. Phoüos p. 60 \),
19 lassen den Knaben Thnkydides unter
den Zuhörern sein; alles schon widerlegt
328
GrieohiBohe litteratnrgesohiohte. L Klassiache Periode.
mittelte.i) Später schloss sich unser Historiker der im Jahre 444 von
Athen neugegrQndeten Kolonie Thurii in Unteritalien an,*) die ihm zur
zweiten Heimat wurde, so dass ihn schon Aristoteles, Rhet. HI 9 als
Thurier bezeichnete.*) Von dort besuchte er Italien und Sikilien; von dort
muss er aber auch nochmals nach Athen zurückgekehrt sein; denn die
Stelle V 77 weist auf die Zeit nach Vollendung der Akropolis oder nach
432 hin.*) In den ersten Jahren des peloponnesischen Krieges starb er,
ungewiss ob in Athen oder in Thurii.*) Sein Bild, zugleich mit dem des
Thukydides auf einer Doppelherme erhalten, •) ist wohl nur ein Idealporträt
aus späterer Zeit.
231. Reisen Herodots. Eine der wichtigsten Fragen in der Be-
urteilung eines Geschichtsschreibers ist die nach seinen Quellen. Diese
Frage stellt sich bei Herodot anders als bei Historikern unserer Zeit
Heutzutage sammelt ein Geschichtsschreiber, wenn er nicht Selbsterlebtes
erzählt, sein Material aus den Archiven und Bibliotheken. Herodot konnte
aus den Schriften seiner Vorgänger nicht viel lernen; er hat zwar bei der
Geschichte fremder Völker die Logographen Hekataios und Xanthos be-
nutzt, ja teilweise ausgeschrieben;^) er hat auch, wie sich das bei einem
gebildeten Griechen von selbst verstand, die alten Dichter, vor aUen Homer
und die kyklischen Epiker fleissig gelesen und über die litterarische Stel-
lung derselben bei den Grammatikern seiner Zeit Erkundigung eingezogen.^)
von Dahbnami a. 0. 30 ff. Von weiteren -
Vorlesungen in Theben und EonnUi melden
Plutarch de Her. mal. 31, Ps. Die Chiys. '
or. XXXYII p. 103 R. Eine tadelnde An- I
spielang anf diese Yorlesongen findet Ed.
Meyer in Thukyd. I 22 xzijfia ^g äel fiäXXoy
rj aytüvicfjia ig to naQaxQVf*^ nxovBiv.
») 8. § 162.
') Ob gleich im Jahr der Gründung, be-
zweifelt mit Recht Böckr zu Soph. Ant.
S. 144, weil Herodot noch 441/40 mit So-
phokles in Verkehr stand; s. oben § 162.
Auch der Redner Lysias war nicht gleich
in dem ersten Jahre nach Thurii ge-
gangen.
») Vergl. Strab. p. 656, Duris bei
Suidas u. Uayvaaaig, Steph. Byz. u. Sovgtoif
Julian ep. 22, Plinius n. h. Xu 4, 18. Das
Citat des Aristoteles Rhet. HI 9 'Hgo^oiov
SovqLov ^(T larogitjg anoöehg geht wohl auf
ein italisches Exemplar des Herodot zu-
rück, wie auch die Werke Piatons zuerst in
Sikilien in den Buchhandel kamen.
*) Die Worte des Textes V 77 to ^k
agtarsQtjg ;jf«pof ioiTjxe ngoitoy iaiovzi ig
t€t TtgoTtvXaia t« iv rtj axgonoXBi machen
freilich der Exegese Schwierigkeit, aber die
muss mit Wachsmuth Jahrb. für Philol.
119, 18 und Stadt Athen I 150 durch die
Aenderung i^ioyji rd TtQonvkata gehoben
werden.
') In Thurii auf dem Markt war er nach
Suidas begraben; das Eplgranmi lautete nach
Stephan. Byz. u. 9ovqioi:
'Hgodotoy Av^eto XQvn tei xoyig ctcfe ^utKorrcr,
'ladog aQxaifJS iäiogirjg ngvtayiy,
Jiogi^og ix TMaxgtjg ßXaaroyr*, aaitoy yag
axXrjtoy
(juufAoy vnexTiQOifvytoy Sovgioy hsx^ nargfjr.
Andere bei Suidas lassen ihn in Pella sterben.
welche Variante ursprünglich zu Hekatftiis
gehört zu haben scheint. Nach Marcellinus
c. 17 befand sich ein Grabdenkmal des
Herodot neben dem des Thukydides in den
kimonischen Gräbern zu Athen.
*) Siehe beigegebene Tafel. In der Bi-
bL'othek von Pergamon war eine Bfiste des
Herodot aufgestellt, worüber Conzb, Sitzb.
d. Berl. Ak. 1884, S. 1261.
^) Porphyrios bei Eusebios praep. ev. X 3
bemerkt auf Grund der speziellen Nachweise
des Grammatikers Polio, dass Herodot im
2. Buch vieles wörtlich aus Hekataios herüber-
genommen habe; dieses begründet den Zwei-
feln der Neueren gegenüber Dirls im Herrn.
22, 44 ff. Herodot selbst II 143 u. VI 187
verweist auf den Hekataios. Die Benutzung
des Xanthos, welche Ephoros bei Ath. 615 e
andeutet, lässt sich nicht in gleicher Weise
nachprüfen; siehe Hbil, Logographia num Horo-
dotus usus esse videatur, Marburg, Diss. 1884.
^) üeber das Zeitalter Homers U 53,
über den nichthomerischen Ursprung d^
Eyprien U 1 17, über die tbebanischen Helden-
ges&nge IV 32, über die Rhapsoden in Sikyon
V 67; über die ältesten Dithyramben I 23.
— Ueber die Quellen Herodots im allge-
meinen siehe den Index fontium Herodoti in
GüTscHiiiD Kl. Seh. IV 145 ff.
2. Die GesGhiohtMohreibang. b) Herodotos. (§ 231.) 329
Aber die Dichtwerke und die Schriften der Logographen konnten ihn doch
in seiner Aufgabe nicht viel f5rdem; wesentlich war er doch auf persön-
liche Erkundigungen bei den Leuten der älteren Generation und auf den
direkten Besuch der in Betracht gezogenen Länder angewiesen.^) Dazu be-
durfte es ausgedehnter Reisen^) und längeren Aufenthalts in den Haupt-
zentren der alten Welt. Zunächst führten ihn seine oben geschilderten Lebens-
Terhältnisse nach Eleinasien, Athen, ünteritalien und die verschiedenen
Städte des eigentlichen Hellas. Ausserdem unternahm er mehrere grössere
Reisen in entlegenere Länder, teils zu Land, teils zur See: zur See nach
dem schwarzen Meer bis zum kimmerischen Bosporus, sowie nach Eypem,
Ägypten, Kyrene, Tyrus; zu Land durch ganz Ägypten von Naukratis bis
nach Elephantine, und durch das weite persische Reich von der Küste bis
nach Snsa. Die letztgenannte Reise, die bedeutendste von allen, machte
er wahrscheinlich auf dem leichteren Weg von der syrischen Küste aus,')
nicht auf der grossen, von Sardes ausgehenden Königsstrasse, wiewohl er
von der letzteren gelegentlich V 52 und Vlll 98 eine genaue Beschreibung
gibt.*) Wann und in welcher Reihenfolge er diese Reisen unternahm,
iässt sich nur teilweise ermitteln. Nach Ägypten kam er sicher erst einige
Zeit nach der Niederwerfung des ägyptischen Aufstandes, wie aus HI 12
und n 30 und 99 erhellt, wahrscheinlich von Athen oder Thurii aus
zwischen 445 und 432.*) Schon zuvor war er in Assyrien und Persien
gewesen,^) und wohl noch fiiiher in Pontes und im Innern Kleinasiens,
vermutlich schon vor 454, als er noch ünterthan des Perserkönigs war.
Darch diese Reisen verschaffte er sich von den Ländern und ihren Sehens-
würdigkeiten, über die er berichtete, Kenntnis aus Autopsie und nahm
zugleich die Gelegenheit wahr, mit den einheimischen Gelehrten, wie
namentlich den Gelehrten (ioyioi) der Perser und den Priestern Ägyptens
in Verbindung zu treten. Die grösseren Reisen hingen indes wesentlich
mit dem ersten Teile seines Werkes zusammen; für den zweiten und haupt-
sächlichsten Teil war er vornehmlich auf Erkundigungen in den Städten
Griechenlands selbst und auf den intimeren Verkehr mit den hervorragenden
Staatsmännern angewiesen; und da kann kein Zweifel sein, dass Athen
und die Kreise des Perikles^) zumeist ihn fesselten und beeinflussten.®)
') Herod. 11 123: ^^o£ d^ nagd ndria ')MATZAT,Herodot8 Angaben über Asien,
Tor liyoy rnoxfcrai, o'ri td Xeyofieya t'Tii) ] im Henn. VI 392 -486.
hmnov axo^ ygdtf/w. VII 152 : fyto ös 6(felXto , *) W. Götz, Die vorderasiatische Reichs-
ifytip Tff ifyofisra^ nei^ea&ai y$ fiey ov poststrasse der persischen Grosskönige, in
larfdunoiv offtiXta xai fioi jovxo i6 Inog ■ Jahrb. d. geogr. Ges. München 1885, 8. 90 ff.
^/<T« i^ TtdKta loy Xoyoy, »j Nach Thnk. I 112 hielt sich im Jiüire
*) NiBBCBB, Die Geographie Herodots, 449 noch Amyrtaios in den Marschen des
mit einer Karte, El. Sehr. I 132—258; C. I NUdeltas, wfthrend Herodot III 15 dessen
Hacbc, De Herodoti itineribus et scriptis, ' Sohn Paosiris schon wieder mit seines Vaters
Gfittingen 1878; Fr. Hildbbband, De iti- i Herrschaft von den Persem belehnt sein Iftsst.
naibns Herodoti Europaeis, Lins. 1883; R. •) Dies bezeugt Herodot II 150.
MfuiB, Die geographische Tafel nach den ' ^) Ein Denkmdi hat Herodot YI 131 dem
^i^ben Herodots, 1881. Im Westen ist ' Perikles in der Erzählung gesetzt, dass seine
Herodot weit weniger als im Osten be- • Mutter Achariste in ihrer Schwangerschaft
vindert; so macht er II 33 und lY 49 getrftnmt habe, einen Löwen zu gebftren und
0r^ri; (die PyrenAen) zu einer Stadt und | dann nach wenigen Tagen den Perikles ge-
eist bei ihr im Land der Kelten den Ister i boren habe,
»tspiingen. , •) Nitzsch, lieber Herodots Quellen ftlr
L
330
Grieohisohe Litteratnrgeflohiohte. I. Klassisohe Periode.
232. Das Geschichtswerk Herodots. Seinen Namen hat Herodot
unsterblich gemacht durch sein Qeschichtswerk 'lavoQir^g dnodel^i^^ das von
den Grammatikern in 9, nach den Musen benannte Bücher eingeteilt wurde.^)
Mittelpunkt desselben bilden die Kämpfe der Hellenen und Barbaren unter
den Perserkönigen Darius und Xerxes. Diese Kämpfe werden schon im
ersten Buch c. 1 — 5 durch Zurückgehen auf die ersten Zusammenstösse
Asiens und Europas in der mythischen Vorzeit, den Raub der Helena auf
der einen, die Entführung der Europa und Medea auf der anderen Seite,
eingeleitet,^) werden aber erst vom 5. Buche an in fortlaufender Erzählung
vorgeführt. In den vorausgehenden Büchern greift der Autor zunächst
auf die Geschichte der Lydier, deren König Krösus den ersten Angriff auf
die Griechen Kleinasiens gemacht hatte, zurück ; Krösus führt ihn auf die
Perser, die Besieger der Lydier, diese wieder zu den Ägyptern, Babyloniern
und Skythen, welche der Reihe nach den Persern unterlegen waren. Es
ist also ein lockeres Band, welches die Teile, die ursprünglich eigene, für
sich bestehende Schriften (Xiyot neqaixoi^ Alyvjitioi, Aißvxot\ Aviixoi\ Sxv-
O^ixoi\ 2dnioi etc.) gebildet zu haben scheinen,^) zu einem Ganzen ver-
bindet. Dazu kommen noch innerhalb der einzelnen Teile zahlreiche
Digressionen (jiQoax^fjxai IV 30), durch das alles das erste historische Werk
der Griechen dem ersten Epos derselben sehr ähnlich wird.*) In dem Ge-
schichtswerk, wie es jetzt uns vorliegt, sind alle diese Teile zur geschlos-
senen Einheit, die sich in zahlreichen Rück- und Vorwärtscitaten, direkten
und indirekten Verweisen kundgibt, eng verbunden. Schwerlich waren sie
das von vornherein; das hängt mit der Frage über die Abfassungszeit der
einzelnen Teile und ihr Verhältnis zum Ganzen zusammen. Kirchhoff,
Über die Entstehungszeit des herodotischen Geschichtswerkes, lässt die
einzelnen Teile wesentlich in der Folge, wie sie uns in dem Gesamtwerk
heutzutage vorliegen, auch zeitlich nacheinander entstanden sein,^) und
nimmt demnach an, dass die Bücher I — HI 119 zwischen 445 und 443 in
Athen, 6) III 120— V 76 zwischen 443 und 432 in Thurii,') der Rest in
die Geschichte der Perserkriege, Rh. M. 27,
226 ff.
*) ^latogifjc anoSe^ig benennfc sein Werk
Herodot selbst in dem Proöminm. Die sehr
unsachgemässe Einteilung in 9 Bficher kennt
bereits Diodor 11, 37; nach den Musen fand
dieselben benannt Lukian, De bist. conscr..42.
Ebenso haben nach den Musen der üistoriker
Kephalion (Phot. 34 a 8), der Rhetor Bion
(Diog. IV 58), der Lateiner Opilius (Gell.
N. A. I 25) die Bücher ihrer Werke benannt.
*) Nach dem Vorbild Herodots hat Po-
lygnot in der bunten Halle die Schlacht von
Salamis mit dem Untergang Troias verbunden,
und ähnlich später Attalos in den Weih-
geschenken der Akropolis Amazonenkämpfe,
Marathonschlacht und Besiegung der Gallier.
') Ob man annehmen darf, dass diese
},6yoi auch getrennt publiziert worden waren,
hängt wesentlich von dem gleich nachher
zu besprechenden Citat der Aaavgioi koyoi
bei Aristoteles ab.
*) Nur ist es mehr die Odyssee als die
Ilias Homers, deren Anlage dem Gange des
Herodot entspricht.
'^) Gegen das Buch Kirchhoffii, 2. Aufl.,
Berlin 1878, wendet sich Ad. Baubb, Die
Entstehung des herodot. Geschichtswerkes,
Wien 1878, indem er viele spätere Ein-
fügungen infolge der zwischen 445 u. 432
gesetzten ägyptischen Reise annimmt, luidl
den Xerxeszug oder die letzten 3 B. frül^er,
vor 445 entworfen sein lässt. Vgl. Amkkr,
Herod. Hai. quo ordine libros suos conscrip>>
serit, Virceb. 1881, und üeber die Reihen^
folge und Zeit der Abfassung des herotl.
Geschichtswerkes, Straubmg Progr. 18S:ö ;
Costa KZI a. 0. 14 ff.
*) Der Endtermin ergibt sich daraui^
dass Sophokles Antig. 905 ff. an einer Stell«^
die freilich andere für eine spätere In^eti-.
polation ausgeben, auf Herod. Hl 119 Be^i^^
nimmt.
^) In Thurii ist sicher geschriebeix X"V
8. Die Gesoliiohtssohreibiing. b) Herodotos. (§ 232.) 331
Athen zwischen 431 und 428 enstanden sei.^) Damit lässt sich aber die
Nachricht von der Vorlesung des Geschichtswerkes in Athen schwer ver-
einigen, da diese uns eher vermuten lässt, dass Herodot zuerst den zweiten
Perserkrieg oder die 8 letzten Bücher geschrieben habe.^) Sodann fehlt
es nicht an Anzeichen, dass die engere Zusammenfügung der einzelnen
Teile erst das Werk einer späteren, auf die Vereinigung der ehedem selb-
ständigen Teile gerichteten Thätigkeit unseres Historikers war. Ich über-
gehe vorerst die 'A<favQ$oi Xoyoi, die überhaupt, wie es scheint, eine selb-
ständigere Stellung einnahmen und in das Gesamtwerk nicht aufgenommen
wurden; auch in dem uns vorliegenden Gesamtwerk sieht das 2. Buch über
Ägypten ganz wie eine ursprünglich für sich bestehende Schrift aus, und
schwerlich hätte sich Herodot zweimal, H 33 und IV 49, so ausführlich und
ohne jede Rückbeziehung über den Ursprung und den Lauf des Ister aus-
gesprochen, wenn das zweite Buch von vornherein bestimmt gewesen wäre,
mit dem vierten einen Teil desselben Werkes zu bilden.^) Noch auffalliger
ist die zweimalige Erwähnung der Lage von Pedasos und des langen
Bartes der Athenapriester in genannter Stadt 1 175 u. VHI 104.*) Über-
haupt aber sprechen der lange Zwischenraum zwischen den einzelnen Reisen
des Historikers und die Analogie der anderen grösseren Prosawerke des
Altertums, wie insbesondere der Politeia des Piaton und der Politika des
Aristoteles, für die Annahme, dass auch Herodots vielgliederiges Geschichts-
werk erst allmählich durch Zusanmienfügung von Büchern {loyoi) kleineren
ümfangs entstanden ist.
Eine zweite Kontroverse betrifft die Frage, ob Herodot selbst sein
Werk zum Abschluss gebracht habe. An zwei Stellen nämlich I 106 und
184 verspricht er später iv 'AaavQioKn Xoyoiai, etwas zu erzählen, was wir
nirgends in dem erhaltenen Werke zu lesen bekommen. Nun erwähnt
aber Aristoteles in der Tiergeschichte VHI 18 etwas aus Herodot, was
recht wohl in den UcatQioi Xvyoi gestanden haben kann.^) Das führt zur
Vermutung, dass Herodot, als er die Schlussredaktion des 1. Buches vor-
nahm, auch die gesondert herausgegebenen 'AaavQioi Xoyoi in vollem Um-
fiinge seinem Hauptwerk, etwa nach III 150, einzuverleiben beabsichtigte,^)
99, wo die Gestalt des kimmerischen Bos- ■ schlecht in den ZusammenhaDg einfügen,
poTOS an Attika nnd Japygien erläutert ist dass sie eher von einem späteren Inter-
*) Herod. V 77 erwähnt die im Jahre 432 ' polator als von Herodot selbst herzorOhren
(nach Diodor XII 32) erfolgte Yollendung i scheinen,
der Propyläen. *) Arist. Hist. an. VIH 18: ut fjkkv ovv
*) ¥fat die frühere Abfassung dieser yafA^wxa . . . anoTtt ndfJLniip iariy • «ÜÄ'
3 letzten Bücher spricht anch dies, dass er | 'H^oiorog (Hcioöog var. lect , 'Hq66(oqo? coni.
VII 39 und VII 114 noch nicht die ahn- i Bergk) rjyvoBi xovto • nenoirjxe yuQ toy rrjq
liehen, erst IV 84 nnd III 35 erzählten Fälle fjtayteiag n^oedQoy lietoy iy xfi ditjyijaei rp
gekannt m haben scheint.
') Anch in VI 60, wo eine Ergänzung
n II 167 über gemeinsame Sitten bei den
Lakedämoniem und Aernptem gegeben ist,
hitte auf II 167 zurückverwiesen werden
sollen; eine indireckte Bezugnahme auf II
68 ff. lic^ IV 44 vor, aber in einem leicht
tpiter erst zugesetzten Nebensatz.
*) üefarigens ist es bedenklich aus den
beiden letzten Stellen etwas zu sdhUesen, da
im 8. Buch sich die betreffenden Sätze so
nsgi rijy noXiogxiay itjy Niyov niyoyra. Die
Variante *Hüioioq^ an der viele festhalten,
hat in der Poesie des Hesiod keinen Anhalt.
Bergk Gr. Lit. IV 258 denkt an das unechte
Werk *OQyi&ofjtayjeLtt.
') Einwendungen gegen diese Schluss-
folgemngen erhebt E. Bachof, Die ^Jaavgioi
Ao>(» des Herodot, in Jahrb. f. Phil. 1877,
S. 577 ff., und Stbin, Jahrber. d. Alt. VI 1,
325 ff.
332
Orieohiflohe Idtteratiirgeflohiohte. L KUssiaohe Periode.
durch den Tod aber an der Ausführung des Planes verhindert wurde.
Wichtiger noch für unsere Frage ist die Stelle VII 213, wo er später {iv
ToTg oniat^er loyoig) von dem Tode des Verräters Ephialtes zu berichten
verspricht, während thatsächlich in den nachfolgenden Büchern davon
nichts zu lesen ist.^) Es scheint nämlich danach die Absicht Herodots
gewesen zu sein, sein Werk, das jetzt mit der Einnahme von Sestos
schliesst, noch über dieses Ereignis hinaus fortzuführen. Denn wenn man
auch zugeben muss, dass mit jener Expedition der Flotte nach dem Helles-
pont der Krieg einen teilweisen Abschluss fand und dass die Erzählung
von dem Zwiegespräch des Artembares und Kyrus mit dem Schlusssatz
a()XSiv eiXovTO Xv7tQt]v olxiovxeq fidlXov ^ nsiidia aneiQOVxsq dkXoiüi Sov-
Xsveiv sehr passend den betreffenden Abschnitt schliesst,*) so erwartet
man doch die Fortführung des Werkes bis zu einem entscheidenderen
Wendepunkt und überdies die Abrundung desselben durch ein förmliches
Schlusswort. ^) Im übrigen wird es kaum möglich sein, die Zeit zu be-
stimmen, in der Herodot die einzelnen Teile geschrieben, umgearbeitet and
dem Ganzen einverleibt hat. Wir begnügen uns daher bei Herodot und
Thukydides mit dem, was der Autor schliesslich gab, und verzichten
auf die undankbare Mühe, dem Schriftsteller ins Konzept schauen zu
wollen.*)
233. Dialekt und Stil. Geschrieben ist das Geschichtswerk Hero-
dots in ionischer Sprache, nicht, wie man erwarten könnte, in dorischer
oder attischer. Dazu ward der Autor zunächst wohl durch seine Vor-
gänger in der Geschichtsschreibung bestimmt, da diese alle in ionischer
Sprache geschrieben hatten. Aber ionisch brauchte er nicht erst, wie
Suidas meint, in Samos zu lernen; auch in der dorischen Kolonie Hali-
karnass sprach ein Bruchteil der Bevölkerung ionisch, und wurden Staats-
dokumente, wie die unlängst aufgefundene Urkunde von Halikamassos und
Salmakis,^) in ionischer Sprache abgefasst. • Attisch aber schrieb Herodot
schon deshalb nicht, weil erst nach ihm das Attische die Bedeutung einer
allgemeinen Vermittlungssprache erhielt, vielleicht aber auch, weil er schon,
ehe er nach Attika kam, sein Geschichtswerk begonnen hatte. Herodot
^) Gegen den daraus gezogenen Schluss
erhebt Einwendungen Ed. Meyer Rh. M. 42,
146 ff. In VIII 120 ist uns durch cod. B
eine kleine Lücke bezeugt; aber es wäre doch
ein sonderbarer Zufall, wenn die Erwfthnung
des Versprochenen gerade in der kleinen
Lacke von 20 Zeilen gestanden wäre. Auch
das Versprechen V 22 wird später VIII 137
nicht ganz erfüllt.
*) Dieser Gedanke ausgeführt von Gom-
PEBZ, Herodotische Studien, in Sitzb. d. Wien.
Akad. 103 (1883) 141 ff.; dagegen Ktrchhopp
in Sitzb. d. Berl. Ak., 1885 S. 301 ff. Dem
Inhalt nach vergleicht sich die Stelle des
Herodot mit Hippokrates negl ftegoiv v^iirtav
TOTKoy p. 565 K. : tino fi^y ^ov^lfj? x«t ^«f-
^vfiirjg ij deiXirj av^erai^ ano de xijg raXai-
TKOQiTjg xai X(äv novtav al ayd^eiai ' d/«
Tovto eial fiaxifioitB^oi, ol rrjy EvQionrjy
oixovyteg, xal dui rovc yofiovg, oti. ov ßu^tr-
Xevoyrat äansQ ol 'Jattjyot.
') Wenig Glauben verdient die Angabe
des unzuverlässigen Ptolemaios bei Phoiioe,
p. 148 b, 10: (og Ukijaiggoog 6 9eoaa2idc o
vfjiyoyga(pog i(mf*€yog ysyoytog 'fl^o<fo7or ar<«c
xXijQcyofiog ruiy aviof, ovrog noi^ei^ ro
nQoolfjtioy rrjg ngcartjg Ufxoqiag 'Hgodorov
'AXixaQyttcaitag * rrjy ydg xard <pwny fr»*««
TiJy 'HgodoTov tatogmy t^g^V^ y,nfgafm9^ of
Xoyioi*. Danach sucht die Ünechtheit deB
Proömium zu erweisen F. La-Rochb, Pbil.
14, 281 ff.
*) Bei der Ilias und Odyssee, wo die
Einheit des Verfassers zweifelhaft ist» lie^
die Sache doch ganz anders.
^) Die Inschrift bei R5hl IGA 500 bespro-
chen von Kirch HOFF, Stud. z. Gesch. d. griec^li.
Alph., 8. Aufl., S. 4 ff. und Rühl PhU. 41, 5^ ft.
8. Die GeBchiehiBBohreibung. b) Herodotos.
233-234.)
333
gilt uns 80 neben Hippokrates als Hauptvertreter der ionischen Mundart, i)
Mit der Weichheit und Flüssigkeit des Dialektes steht in schönstem Ein-
klang die Einfachheit des Stils und die Naivität der Erzählung. Aristo-
teles BheL m 9 bezeichnet unseren Herodot als Hauptrepräsentanten der
il^^urrj if?^, welche die Sätzchen einfach mit re und J*' aneinanderzu-
reilien, statt zu kunstvoll gebauten Perioden zu verknüpfen pflegt. 2) Selbst
uns werden manchmal der te zu viel; noch weniger war die schlichte
Kunstlosigkeit dieses Stiles im Geschmack der rhetorisch gebildeten Leser
der nächsten Jahrhunderte nach Herodot. Erst in der römischen Kaiser-
zeit scheint man wieder mehr, wie das Urteil des Dionysios von Halikar-
nass') und die Nachahmungen des Arrian und Lukian zeigen, die hübsche
Harmonie dieses einfachen Stils mit dem naiven Ton des ionischen Er-
zählers gewürdigt zu haben.
234. Inhalt und historische Treue. Der Hauptwert des herodotischen
Werkes beruht in seinem Inhalt. Gilt dieser Satz der Natur der Sache
nach von allen historischen Werken, so doch in erhöhtem Grade von
Herodot; er hat einerseits die glänzendste Partie der alten Geschichte, den
heldenmütigen Kampf des kleinen Griechenvolkes gegen die persische Über-
macht, den Sieg des freien Geistes über knechtische Unterwürfigkeit*) zum
Mittelpunkt seiner Darstellung erkoren, und er hat anderseits sein Werk
80 eingerichtet, dass er in dasselbe die reichsten Notizen über Sitten und
Einrichtungen von Hellenen wie Barbaren einflechten konnte. Die Welt
war damals noch nicht uniformiert, und Herodot verband mit der Wiss-
hegierde des loniers das offene Auge eines unbefangenen Beobachters. So
bietet er uns eine unerschöpfliche Fülle ethnographischer Mitteilungen über
die Ägypter, Skythen, Thraker, Perser, fast alle Völker der damals be-
kannten Erde, und entwirft uns anziehendste Schilderungen bald von den
Pyramiden Ägyptens und den Bauten der Assyrier, bald von den Rosen-
garten Makedoniens (VH! 138) und den Kornfeldern der Gelonen (IV 108).
Und indem er neben örtlichen Schilderungen auch anmutige Erzählungen
aller Art in sein Qeschichtswerk einzuflechten wusste, wie die vom Traume
\) Dass indes Herodots Sprache kein
reiaer Lokaldialekt war, sondern viele poe-
Bsche Elemente namentlich aus Homer auf-
genommen hatte, bemerkten bereits die Alten;
LHermogenes in Rhet gr. ed. Sp. IT 421, der
«ffl Herodot im Gegensatz zu Hekataios
OM i«(f« 7f oixiXr]y zuschreibt. Dem Dionysios
™ic. ep. ad Pomp. 3 ist 'Hgo^oro^ r ^f 'Idd^oi
WTo< xttvmy. Vgl. BsBDOw, Quaest. critic.
« üalecto Herodotea libri IV, Lips. 1846;
MnzDosF, Qnaest. gramm. de dial. Herodoti
»Ccwnjs Stad. VIII 125 ff. u. IX 199 ff.;
«55 in der Ed. mai. praef. XLIV, sqq.
O.HoppMAiw, Die griech. Dialekte III 186-193.
l-iwere Handschriften schwanken vielfach,
"■» zwischen diXat u. i9eXo)y ixsTvoq n. xsTpog,
«^*«« n. e{>fxfr, und haben falsche Formen,
•J* fyfrfuTo, KQoiaeto u. a.
*) Cicero Orat. 12 vergleicht den Hero-
«t einem sedatus amnis; ähnlich Quintil.
IX 4, 18; Dio Chrys. or. 18 p. 479 R. u. or.
53 p. 278 R.; Athen. 78 e.
') Dion. Hai. ep. ad Pomp. 3, wo eine
sehr lesenswerte Vergleichung des Thuky-
dides und Herodot zu Gunsten des letzteren
gegeben wird ; ich hebe aus ihr nur den Satz
hervor: 1} fi^y 'H^odorov dutSeaig ^v annaiv
iniBixfjq xal roTg fjiky aya&oTg avyrjdofi^vi],
toig de xttxoTg ovvaXyovaa. Damit vgl. Dio
Chrys. or. 53 p. 278 R. Günstig urteilt auch
Hermogenes de ideis II 12 p. 421 Sp.: fiera
Tov xaf^agov xai evxQivotlg noXvg iati, xwg
ijdoyalg ' xai y«^ xalg Bvvoiftu fJLV^ixatq
a^edoy andamg xai rfi X^Set noirjxixfi xe^-
QTjTca dtoXov. Homerische Wendungen, aber
auch Anklänge an die Tragiker finden sich
zahlreich.
*) Wie sehr er von diesem Hochgefühl
erfüllt war, zeigen besonders die herrlichen
Worte der Spartaner VII 135.
334
Grieohisohe LitteratiirgeBohiohte. I. KlaaBisohe Periode.
der Königstochter Mandane und von den Geschicken des jungen Eyros
(I 107—119), die gleich für 3 Tragödien StoflF bot, hat er in der That
mit seinem Geschichtswerk erreicht, was er im Eingang verspricht, o^g
firT€ vd y€v6ii€va 6^ dv-d-Qdnwv Tfj|5 X^oi'ft» i^trrjka yivrpcai fiirjte iQya fiayaixt
T€ xai d'iov^aard rä fikv "Ekkr^tn tct dh ßaQßaQOiai dnodsx&ävxa oxAca
ytvTjrai. Dagegen gab er, indem er nach Art der epischen Dichter die
Thaten selbst reden Hess, der geschichtlichen Betrachtung nur wenig Raum.
Daher fehlen bei ihm auch die langen reflektierenden Reden. Nur einmal
m 80 ff. bei Erzählung der Vorgänge nach dem Tode des Magiers lässt
er in längeren Reden die drei Stammeshäupter der Perser die Vorzüge
und Nachteile der verschiedenen Staatsverfassungen, der Demokratie, Oli-
garchie und Monarchie nacheinander entwickeln. Aber diese Reden fallen
auch ganz aus dem Ton des Werkes heraus: es sind keine historischen
Dokumente, sie sind auch nicht einmal der Situation angepasst, sie sind Reden,
wie man sie in Athen, nicht in Persien, aus dem Munde der Rhetoren
und Sophisten zu hören bekam.
Hatte aber auch Herodot die notwendigste Eigenschaft eines Histo-
rikers, die Fähigkeit und den Willen, das Wahre zu ermitteln und zu
sagen? An Eifer, durch ausgedehnte Reisen überall direkte Erkundigungen
einzuziehen und mit eigenen Augen die Dinge zu schauen, hat es ihm
sicher nicht gefehlt. Bei zwiespältiger Überlieferung hat er gewissenhaft
beide Parteien zu Wort kommen lassen, oft dem Leser selbst die Ent-
scheidung überlassend. Die Perser, Ägypter und Thraker benennt er zwar
mit dem landläufigen Namen Barbaren, aber keiner seiner Landsleute hat
je gegen die Barbaren einen gleichen Gerechtigkeitssinn gezeigt. Absicht-
lich hat er nie täuschen wollen, und viele seiner fabelhaften Angaben,
die den Alten ungeheuerlich erschienen, haben in unserer Zeit durch die
Entzifferung der Hieroglyphen und Keilschriften ihre Bestätigung gefunden.
Aber er kannte als echter Grieche keine fremden Sprachen, er sah sich
den Fremden gegenüber auf die zweifelhafte Vermittelung von Dolmet-
schern angewiesen und huldigte dazu der bösen Sitte, fremde Verhältnisse
und Götter mit griechischen Namen zu benennen. Er hielt sich ausser-
dem-mit Vorliebe bei seinen Erkundigungen in Hellas wie in Ägypten
und Assyrien an die Priester und ward so unwillkürlich in deren aber-
gläubische oder auf Täuschung berechnete Auffassungen hineingezogen.
Irrtümer konnten unter solchen Umständen nicht ausbleiben, wie wenn er
I 131 durch die Endung verleitet den iranischen Sonnengott Mithra für
eine Göttin ausgiebt, oder HI 31 im Widerspruch mit den heiligen Schriften
der Iranier die Heirat mit einer Schwester als unerlaubt bei den Persern
bezeichnet. 1) Auch in den griechischen Angelegenheiten beging er Irr-
^) Die neuen, durch die grossartigen
Fortschritte der orientalischen Philologie be-
dingten Anschauungen gegenüber Herodot
vertritt nicht ohne viele zweifelhafte Auf-
stellungen Sayob, The ancient empires of
the east and Herodots books I - III, Lond.
1883; gewiss geht er zu weit, wenn er be-
hauptet, Herodot sei an den Punkten, die er
gesehen zu haben behauptet, wie in der Statdt
(statt Insel) Elephantine gar nicht ge^iresen.
Sehr ungünstig urteilte unter den Alten sein
Zeitgenosse, der Arzt Ktesias, bei Pbotioa
p. 35 b, 41: Krtjaiag iy artaaty <trrurec/uey«c
HQodoKO IcTOQuiy, tiXXtc xai ^psvczfjy crt.*roy
tineX^yX^^ ^'^ ^oXXoTc xai Xoyonotot^^
xaXaiy, Yergl. Diodor H 15. Aehnlicli
2. Die Gesohiohtssohreibang. b) Herodotos.
i)
335
tfimer, indem er teils der nötigen technischen Kenntnisse entbehrte, wie
bei Schilderung der Brücken über den Helle spont (VIII 33flf.)/) teils in
seiner Freiheitsliebe den Anekdoten über die Grausamkeiten der Tyrannen
Periander und Polykrates zu leicht Glauben schenkte, teils endlich die
Grösse der Perserkriege*) und den Ruhm Athens*) zu sehr aufbauschte.
Durch eine gewisse Voreingenommenheit für Athen und die Kreise des Perikles
liessersich zuweilen auch zu harten und ungerechten Urteilen gegen andere,
insbesondere gegen Korinth, Theben und Themistokles verleiten. Wir
baben darüber eine freilich selbst wieder von thebanischem Lokalpatrio-
tismus diktierte Anklageschrift von Plutarch ns^l rfjg ^HqoSozov xaxorjü^fiacj
und erfahren aus Suidas, dass Aelius Harpokration ein ganzes Buch nsQi
tov xaxiilfevad^ai tijv 'Hqodoxov laroqiav geschrieben hatte.*) — Weit mehr
aber als diese doch immerhin nur massige Parteinahme für Athen hielt
das Urteil Herodots seine religiöse Anschauung und seine ethische Rich-
tung befangen. Herodot war nicht bloss Historiker, er war auch Theo-
loge; er teilte mit der Mehrzahl seiner Zeitgenossen den Glauben an Vor-
zeichen und Wunder, er hatte sich eine eigene Vorstellung von dem Neide
der Götter gebildet*) und wollte insbesondere in der Geschichte überall
das Walten der Gottheit, speziell in den Perserkriegen das Strafgericht
der Götter über menschlichen Frevel und Übermut erkennen. Infolge-
dessen merkte er nicht, dass die ihm vorgelegten Orakel zum grossen
Teil nur vaticinia ex eventu waren, und liess sich selbst, um Zusammen-
hang in die Naturerscheinungen und menschlichen Ereignisse zu bringen,
zur Verrückung chronologischer Daten verleiten,«) wie das alles sehr gut
Wecklein, über die Tradition der Perserkriege, dargethan hat. Aristoteles
De gen. an. m 5 hat unseren Herodot einen iivd^oXoyog genannt, und wir
werden zugeben müssen, dass derselbe, wenn er auch nicht geradezu
kritiklos schrieb, doch noch weit von einem kritischen Geschichtsforscher
teiit Manetho über die ftgyptisclieii Partien
ieinee GreechichiBwerkes bei Josephus c. Ap.
l 14: noXkd xoy 'H^doroy iXeyxsi taty Ai-
jrvHTutxtir vn* ayyoiag hpBvafjLiyov. Sogar
Besiechlichkeit wird ihm vorgeworfen von
Fi. Dio Chrysost or. 37, p. 108 R. und Mar-
c«IliBii8 Vit Thncyd. c. 26. Ed. Schwabz, Die
Bemokimtie von Athen, Leipz. 1889 I S. 22 f.
0. 661 ff. macht gar in seinem Eifer gegen die
Grtesen des Altertums den Herodot, weil er
von Athen eine Belohnung von 10 Talenten
«hielt, zum offiziösen Historiographen und
sein Werk za einer Subventionsarbeit.
') Ebenso hatte er von dem Alter der
Schrift keine richtige Vorstellung, so dass
er och Y 58 Inschriften des Amphitryon auf-
binden Hess. Irrtömer in der Beschreibun«;
ies Phönix finden sich II 73.
'/ Delbrück, Die Perserkriege und die
Burgmiderkriege, 1887, hat sehr passend
hervorgehoben, dass von Herodot ganz fthn-
fidi die Perserkriege, wie im Mittelalter die
IVeflieitBkAmpfe der Burgunder über ihre
wizklidbe Bedeutung hinaus erhoben wurden.
Tgi Ed. Meybb, Forschungen zur Gesch.
1892, I 151 ff.
') Dem Ruhme Athens gilt namentlich
die schöne Stelle VII 189: vvv dk '^»ijyaLovg
av xi^ Xeytoy aioi^^ag t^g 'EXXadog ovx ay
dfJittQXttyoL dXrj9ios.
*) Vgl. Strab. p. 819. Gegen Herodot
schrieb auch Manetho, worüber Joseph, c. Ap.
I 14; Eustath. zu Hom. A 480; Et. M. u.
A€oyxox6f4og.
*) Diese Vorstellung vom Neide der
Götter Stack aber den Griechen überhaupt
in den Gliedern und wurde insbesondere auch
von dem etwas älteren Dichter Pindar geteilt
•) So ist VII 87 die Sonnenfinsternis von
478 in die Zeit des Xerxeszuges gesetzt; s.
Weckleis, Ueber die Tradition der Perser-
kriege in Sitzb. d. b. Ak. 1876, S. 253. — Die
Fabel des Pindar Isth. VllI 17 ff. von den
Töchtern des Flusses Asopos legt Herodot
V 80 einem unbekannten Thebaner in den
Mund. Auch die Hilfe, welche ApoUo dem
Kroisos auf dem Scheiterhaufen bringt bei
Herodot I 87 erweist sich jetzt als Legende
des Dichters Bacchylides III 35 ff.
L
336 Grieohisohe Litteratargesohiohte. I. Klassische Periode.
entfernt war. Aber auf der anderen Seite bekundet Herodot in allen lit-
terarischen Fragen ein feines, von Vorurteilen freies Urteil,*) und berührt
uns sympathisch der warme Ton, welcher sein Werk durchzieht und der
nur von einem Manne ausgehen konnte, der selbst von Vaterlandsliebe
und sittlichem Adel getragen, auch in der Geschichte der Völker das
Walten höherer sittlicher Mächte fand.
Codd.: Zwei Familien, von denen die älteie vertreten ist durch A (Flor. 73, 5 s. XI)
B C (A u. B mit stichometrischen Angaben), die jüngere, von Cobet und Gomperz höher
geschätzte durch R (Vatic. 123) P (Paris. 1633), Vindob., Sancroftianus. Kritischer Apparat
am besten in den Ausgaben von Gaisford und von Stein.
Hypomnemata schrieben nach Suidas die Rhetoren Heron aus Athen, Salustius
und Tiberius. ICritische Studien stellte in Hadrians Zeit der Grammatiker Alexander
von Eotyaion an. rXtSaaat *Hqo66%ov von Apollonios erwähnt Et. M. p. 500. Auf uns
gekommen sind kaum nennenswerte Scholien und dürftige 'Hgodorov Xe^ei.^, abgedruckt im
Anhang von Steins Ausgabe; vgl. Kopp, Beiträge zur griech. Exzerptenlitt 72 ff.
Ausgaben: cum annot. Galei, Fr. Gronovii, Valckenaril, ed. Wbsseling, AmsteL 17ß3
— cum annot. Wesselingii et Yalckenarii aliorumque ed. Sohwbiohauseb Argent. 1816,
6 Bde. — ed. Gaisford, ed. Ifl Oxon. 1849 — ed. Bahr mit Kommentar, ed. 11 Lips. 1856,
4 Bde. — ed. Stbiw, Berol. 1869, 2 Bde mit erlesenem kritischen Apparat, ed. min. 1884.
— Textausgabe mit kurzem Apparat von Holder in Bibl. Schenkl. — Erklärende Schul-
ausgabe von Stein bei Weidmann; von Abicht bei Teubner; von Hintnbb in Wien. —
Herodotos 1. f— 111 with notes introduction and appendices von Sayce, Lond. 1883, worin
die neueren Forschungen der Orientalisten verwertet sind. — Herodots zweites Buch mit
sachlichen Erläuterungen von Alfr. Wibdemann, Berl. 1890. — Nordafrika nach Herodot
von RiCH. Neumann, Leipz. 1892. — Englische Uebersetzung mit reichen sachlichen Kom-
mentaren von Rawlinson, ed. 11 Lond. 1876, 4 Bde. — Klassische Uebersetzung von Lakob,
2. Aufl., Berl. 1824. — Lexicon Herodoteum von Schweighauseb, Strassb. 1824. — lieber
den Dialekt Herodots s. oben § 233.
Eine Epitome des Herodot in 2 B. schrieb Theopomp. — Den Namen des Herodot
trägt fälschlich ein in ionischem Dialekt geschriebener Bios 'Ofirj^ovy worüber oben § 22.
c) Thukydides (um 455 bis um 400).^)
235. Leben. Thukydides, Sohn des Oloros aus dem attischen Demos
Halimus *) war der erste kritische Historiker und zugleich der erste nam-
hafte Prosaiker Athens. Durch den Vaternamen ward er von dem Staats-
mann Thukydides, dem Sohne des Melesias und politischen Gegner des
Perikles, unterschieden. Die Herkunft des Historikers ging auf den thra-
kischen König Oloros zurück, dessen Tochter Hegesipyle der Marathon-
sieger Miltiades, der Vater des Kimon, geheiratet hatte.^) Dass derselbe
auch mit den Peisistratiden verwandt war, berichtet der Litterarhistoriker
Hermippos.^) Zu dieser genealogischen Angabe wird zunächst der Ebckurs
^) Vergleiche besonders den hübschen ' Wilamowitz, Die • Thukydideslegende, im
Nachweis des anhomerischen Ursprungs dei i Herm. 12, 326 ff., mit Entgegnungen von R.
Kyprien II 117. ' Scholl, Herm. 13, 438 ff., und ünqbr. Jahrb.
^) Ausser dem Artikel des Suidas haben | f. Phil. 1886, S. 173 ff.
wir eine ausführliche Vita von Marcellinus i ^) Sovxvtfidr^^ ^OXoqov 'AXifiOMfio^ stand
^x jüiy eig 9ovx. a^oXltoy negl tov ßiov \ auf seiner Grabstele in der kimonischen
avxov Govxvdldov xai itjg rov Xöyov idiag^
wahrscheinlich demselben Rhetor, von dem
wir auch Scholien zu Hermogenes (Walz,
Rhet. gr. IV 39 ff.) haben. — Neuere Dar-
stellungen: Krüoeb, Untersuchungen über
das Leben des Thukydides, Berl. 1832, mit
Nachtrag 1839 ; Röscher (der berühmte
Nationalökonom), Leben, Werk und Zeit-
alter des Thukydides, Göttingen 1842; Euo.
Petersen, De vita Thucydidea, Dorpat 1873;
Grabstätte (s. MarceU. 16 ^
^) Vermutungen über den Stammbsam
von TöPFFEA, Attische Genealogie 282 ff. u.
E. Kirchner, Beiträge zur Geschichte atti*
scher Familien, Friedr.-Wilhelms-Gymii. Ber-
ün 1897 S. 85.
6) MarceU. 18 u. Schol. zu I 20. Die Ver-
mutung des Hermippos sucht Mül.ler-Stbu>
BING, Aristoph. 534 ff. zu stützen.
2. Die Oesehichtsschreibiuig. c) Thnkydides. (§ 235.)
337
über die Peisistratiden VI 54 — 59, der ein näheres Interesse unseres Histo-
rikers für die Ehre jener vielverrufenen Tyrannen erkennen lässt, Anlass
gegeben haben; aber auch thatsächlich hatte Thukydides zu den Peisistra-
tiden insofern verwandtschaftliche Beziehungen, als ebensogut Peisistratos
wie Eimon^ in dessen Famüiengrabstätte unser Historiker beigesetzt war,
zu dem berühmten Geschlecht der Philaiden gehörte. Von seinen thra-
kischen Ahnen oder von seiner Frau, die aus der attischen Besitzung
Skaptehyle an der thrakischen Küste, stammte,^) hatte er die reichen
Bergwerke in Thrakien, nach denen er sich in der Verbannung zurückzog.
Aber auch in seiner Hinneigung zur Aristokratie und in seiner rücksichts-
losen, jeder Wortzier abholden Wahrheitsliebe dürfen wir den Einfluss
des adeligen Familienstolzes und der thrakischen Abkunft erblicken.^) —
Über sein Geburtsjahr und seine Erziehung scheinen die Alten selbst nichts
Sicheres gewusst zu haben; aber wahrscheinlich war er zwischen 460 und
454 geboren,') und übten auf seine Oeistesrichtung und seine Schreibweise
die aufgeklärten Lehren des Philosophen Anaxagoras und die strengen
Stilregeln des Redners Antiphon bestimmenden Einfluss.*) Was man sich
von dem Einfluss des Herodot erzählte, welcher, als er den jungen Thu-
kydides bei der Vorlesung seines Geschichtswerkes bis zu Thränen er-
griBeu sah, sich an den Vater mit den Worten wandte : w 'Okoge, oqy^
\ yvaig xov viov aov ngog fAUx^/^fiata, ist novellistische Erfindung späterer
Grammatiker.*) -- Im Beginne des peloponnesischen Krieges stand Thuky-
dides bereits im urteilsfähigen Alter, ^) so dass er die Grösse des Krieges
Foraussehen und den Plan zu seinem Geschichtswerk fassen konnte. Im
Jahre 430 oder 429 ward er von der Pest befallen;') 424 leitete er als
Stratege und Flottenbefehlshaber die Operationen an der thrakischen
Küste. Da er aber zum Ersätze der von Brasidas bedrängten Stadt Am-
*) Marcell. 19 rjyayBxo tfi yvvnlxa ano
iMoniriavX'fjg T^f SotfXfi^ nXovalav atpoSga
xei fUTaXXa xexxTj^uevtjy iy rß Bfu^xf^. Nach
Fht Cim. 4 hatte er die Bergwerke von
sehieB Üiiakischen Ahnen.
') Ein strenger, die fremde Ahknnft
nicht verleugnender Ausdruck liegt auch in
den GeaichtszQgen seiner von Oinobios ge-
fertigten (Paus. I 28, 9) Büste, wortlher
MICH4BI.I8, Die Bildnisse des lliukvdides,
Strassb. 1877, dazu Jahrb. d. arch. Inst. V
(1894), Kh. M. 84, 149.
') Zwei widersprechende Angaben haben
wir ans dem Altertum, die der Pamphila
bei Gellius XY 28, wonach er im Beginne
des peloponnesischen Krieges 40 Jahre alt
war, also ca. 470 geboren war, und die des
Marcellinns 34, wonach er im 50. Lebens-
jahre starb, also um 450 geboren war. Aus-
zagehen ist von der sicheren Thatsache, dass
Urakydides 424 das Strategenamt bekleidete,
also damals mindestens 80 Jahre zählte.
TgL DiBLs Rh. M. 81, 48.
*) Marcell. 22: tjxovcb de didaaxnXaty
^Jya^ttyoQov fiiy iy (piXoa6(p(ng, o&ey, (prjaiy
• "jyrvXXo^, xai ä^Bog rjQifjLtt iyofjilaSrj irjg
int9er SewQias if4(fOQTj^eis, 'AyiKpvjyiog dk
^ijro^og deivov rijy ^tjrogixijy aydQog, ov xai
fiffiyrjrai iy tj oydoff (VUI 68). Aus dieser
Lobreide auf Antiphon wurde wohl zunächst,
und zwar zuerst von Caecilius (Flut. p. 888 e)
geschlossen, dass derselbe sein Lehrer ge-
wesen sei. Vgl. A. NiBscHKB, De Thucydide
Antiphontis discipulo et Homeri imitatore,
Progr. Minden 1885.
6) Marcell. 54, Suidas und Phot. cod. 60.
Nach Marcell. 86 fand man im Stile des
Thukydides auch Spuren der Tttt^iatoastg und
dyrtf^iaetg des Leontiners Gorgias und der
ttXQißoXoyitt des Keers Prodikos; vgl. Blass,
Att. Bereds. P 218; Norden, Die antike
Eunstprosa S. 96 — 101. Einfluss des Aristo-
phanes und selbst des Findar auf Thuky-
dides sucht nachzuweisen Büdinger, Poesie
und Urkunde bei Thukydides, Denkschr. d.
Wien. Ak. 89. Im übrigen scheint Thuky-
dides sich selbst im Gegensatz zu Herodot
gezeichnet zu haben, wenn er 1 138 von
seinem Helden Themistokles sagt: ayiJQ
oixsiif ^vyiaei xai ovre TiQOfÄa&ojy ig avrijy
ovdiy ovt* inijLitt&wy xQdxifftog yyuifuoy.
«) Thuc. V 26.
») Thuc. II 48.
der klMB. AUertamswlnenschaft Vn. S. Aufl.
22
338 .Orieobisohe LitteratargeBohioht«. L KUssisohe Periode.
phipolis zu spät kam und die Einnahme derselben durch den kühnen und
geschickten Feldherm der Lakedämonier nicht zu verhindern vermochte,
ward er wegen Hochverrates zum Tode verurteilt, i) Der ungerechten Strafe
entzog er sich durch freiwillige Verbannung, in der er zwanzig Jahre
weilte, bis er 403 mit dem Ende des peloponnesischen Erieges, nach
Pausanias I 23 durch einen von Oinobios beantragten Volksbeschluss,')
die Erlaubnis zur freien Rückkehr in seine Vaterstadt erhielt. Die Muse
der Verbannung benutzte er, um an seinem Geschichtswerk zu arbeiten,
zunächst um Materialien zu demselben zu sammeln. Seine Besitzverhält^
nisse mussten ihn von selbst bestimmen, sich nach Thrakien zu wenden
und dort sein neues Domizil aufzuschlagen. Aber sicher wird er nicht
zwanzig Jahre lang in Thrakien festgesessen haben. Der Geschichts-
schreiber Timaios ^) lässt ihn nach Italien in die Verbannung gehen ; daran
wird so viel wahr sein, dass er Italien und Syrakus, den Schauplatz seiner
grossartigsten Darstellung, irgendwann einmal besucht hat. Ausserdem
lebte er eine Zeitlang in Makedonien bei dem Könige Archelaos, der
Dichter und Gelehrte an seinen Hof zog und durch Anlegung von Strassen
und Städten Makedonien auf die Bahn höherer Kultur lenkte. Thukydides
selbst schildert uns II 100 den Eindruck, den das erleuchtete Regiment
des tüchtigen Königs auf ihn machte.^) — unsicher ist, wie lange er die
Zeit seiner Zurückberufung überlebte und wo und wie er gestorben ist.
Nach Didymos bei Marcellinus c. 32 und Pausanias I 23, 9 ist er in
Athen unmittelbar nach seiner Rückkehr eines gewaltsamen Todes ge-
storben, während ihn Kratippos, der Fortsetzer seines Werkes, in der
Fremde, im Lande der Thraker sterben Hess.*) Dass er eines unvorher-
gesehenen Todes starb, lässt auch der unfertige Zustand seines Werkes
vermuten. Der Tod ereilte ihn wahrscheinlich vor dem Hingang des
Königs Archelaos (399), sicher vor 396, wo ein erneuter, von Thukydides
III 116 nicht gekannter Ausbruch des Aetna stattfand.^)
236. Das Geschichtswerk und seine Einteilung. Die Geschichte
des peloponnesischen Krieges ist das einzige Werk unseres Eüstorikers,
und dieses eine Werk ist obendrein ein Torso geblieben, da es mitten im
Krieg mit dem Jahre 411 abbricht. Denn den ganzen Krieg hatte er zu
») Thuc. IV 103—7 u. V 26.
') Zu Pausanias stimmt PliniuB N. H.
VIT, 111: Thucydidem imperatorem Athenien^
868 in exilium egere, verum conditorem re-
vocavere, eJoquentiam mirati cuiu8 virttäem
^) Marcell. 33. Nach Steplianoa Byz.
a. HaQTittQioy starb er bei Perperene, einem
ftolischen Stftdtchen gegenfiber Leabos, wo
Suidas mit mehr Wahrscheinlichkeit den ans
damnaverant. Wilamowitz a. 0. 344 ff. be- . jener Gegend stammenden Hellanikoe sterben
streitet die Richtigkeit der Angabe, da dem Iftsst. Wilamowitz findet in der Angabe des
Thukydides ohnehin durch die allgemeine Marcellinus 31 (vgl. 17) von einem Kenotaph
Amnestie von 404 die Rfickkehr freistand.
Dagegen R. Scholl, Herm. 13, 438 und ünger
a. 0. 138.
») Marcell. 25 u. 33.
*) Marcell. 29: awBXQovrioB iT, wf fptiol
JlQtt^Kpdvfjg iy t^ negl UtioQiag, n^nxtavv
Tu» xcjfjiixf^, *AydBbivi nß TQtcyixfOy Nixtj^ftTff}
des Thukydides in Athen ein grobes Miss-
Verständnis, das ünger mit kfihnen Hypo-
thesen zu zerstreuen sucht.
•j Diodor XIV 59. ünobb a. O. 164 ff.
Iftsst den Thukvdides erst zwischen Sp&t-
sonuner 395 und Sommer 393 sterben, weil
die Stelle IY 74 voraussetze, dass die 394
inonoif^ xttl XoiqUü) xai MeXaytunldij. xai in Megara aufgekommene Aristokratie SMi-
in$l^ fjiky eCfj U(>/ei(tof ddo^og ijy (6g im 1 dem wieder abgeschafft worden sei.
TiXstaioy, cJf ttviog IlQa^igxiytjg dtjXol^ vare- j
2. Die Gesohiohtssohreibiuig. o) Thokydidea. (§ 236.)
339
schreiben im Sinn, me er gleich im Anfang mit klaren Worten ausspricht
und noch bestimmter im Eingang des zweiten Teiles V 26 wiederholt.
Auch hatte er unzweifelhaft das Material zur Darstellung des ganzen
Krieges gesanmielt, mit welcher Arbeit er gleich im Anfang des Krieges
in Voraussicht seiner Bedeutung begann und welche er während desselben
ununterbrochen fortsetzte.^) Aber ein jäher Tod verhinderte ihn, die
Verarbeitung des Stoffes zum Schluss zu fuhren,^) so dass die Geschichte
der letzten Jahre ungeschrieben blieb ^) und auch das letzte Buch des
Abschlusses und der letzten Feile entbehrt. Denn von den acht Büchern,
in welche das Werk nach unserer Bucheinteilung zerfällt, hat das letzte
etwas skizzenhaftes und ermangelt der für Thukydides Darstellungsart
charakteristischen Reden in direkter Form.^) Dass indess auch dieses
Buch echt ist, daran ist nicht im mindesten zu zweifeln; wenn dasselbe
von einigen der Tochter des Thukydides zugeschrieben wurde,^) so war
das wohl nur eine missverständliche Deutung der guten Überlieferung,
dass nach dem Tode des Vaters seine Tochter die Herausgabe des Ge-
samtwerkes besorgte.^) — Die Einteilung des Werkes in acht Bücher
röhrt nicht von Thukydides selbst her, wie man schon daraus ersieht,
dass daneben eine solche in neun und dreizehn Büchern existierte.^)
Wohl aber hat der Autor selbst durch die neue Einleitung in V 26
r^jqaffs Sh xal ravta Govxvitirjg ^A^rjvmog klar angedeutet, dass das Oanze
aus zwei Teilen zusammengewachsen ist, dass mit andern Worten Thuky-
dides anfänglich nur den zehnjährigen, sogenannten archidamischen Krieg
darzustellen gedachte, und erst später, als der Friede des Nikias sich
ohne Bestand erwies und aus demselben neue Kämpfe hervorgingen, den
ursprünglichen Plan erweiterte und auf den archidamischen Krieg die Er-
zählung der sikilischen Expedition und dann die Geschichte des erneuten
Krieges in Hellas, des sogenannten dekeleischen Krieges folgen liess.
Man hat Anzeichen dieses Sachverhältnisses auch noch in unserem Texte
finden wollen, namentlich darin, dass in dem 1. Teil (I 1 — lY 48 oder
1 1 - V 24) noch das Wort o noXejuog, in dem Sinne ,archidamischer Krieg*
genommen sei.^) Diese Anzeichen sind aber bis auf kleine Spuren dadurch
') Thuc. I 1 u. V 26.
*) Ans dem Perfekt yiygatfB dk xal
taira Sovxvdidr^g (V 25) Bchliesst MOlleb-
SneBnrQ, Thiik. Forsch. 74, dass Tbak. den
guzen Krieg geschrieben hahe, dass aber
der Scfalussieil des Werkes durch Beraabung
imd Ennordong des Verfassers zu Verlust
gegugen seL
*) Nachgetragen wurde dieselbe durch
lenophon und Eratippos; fiber den ersteren
^eich nachher, den Kratippoe (Fragmente
Wi MfiUer FH6 U 75—8) setzt Marcell. 33
Uefa ZopjTOB, so dass derselbe der alexan-
drauBchen Zeit angehörte, wie Scholl im
Henn. 13, 466 richtig nachweist.
*'f Nach Dionysios de Thuc. 16 hatte
Kntippoa, der Fortsetzer des Werkes, die
Venmitong aufgestellt, Thukydides habe ab-
Befaäich im 8. B. die Reden weggelassen,
weil sie die Erzählung der Handlung stOrten
und den Lesern Ifiatig seien; s. Holzapfsl
Herrn. 28, 435 flf.
*) Marcell. 43: X^yovai de nye^ tiJv
oydoijy laxoQlav yo^evsa^at xnl firj elyai
GovxvdldoVf dXX' ol fisy (paaiy elrra xrjg
^vyatQog avrov, ol d^ Seyofftoyios.
") Den Xenophon, den Forisetzer des
Werkes, nennt auch als Herausgeber Diog.
II 57.
^) Marcell. 58: ri/jy nQayfiatBiay avtov
ol fjiky xatixBfioy Big rgetg xai dixa Unogiag^
äXXoi d^ äXXtog ' o/ntjg di tj nXelorrj xal rj
xotytj xexQaxrjxe i6 fiSXQi itay oxtü» difi-
QTJa^m xrjy nQnyfxaiBlay. Eine Einteilung
in 9 B. kennt Diodor 12, 37 u. 13, 42; s.
WiLAMOwiTz, Curae Thucyd. p. 6 f.
^) Thuc. I 16. Diese Ansicht wurde auf-
gestellt von Ulrich, Beiträge zur Erklärung
340
Grieohisohe Litteratargesohiohte. I. KUssiBche Periode.
verwischt, dass der Verfasser den ersten Teil nach Abschluss des Krieges
nochmals überarbeitete, *) mit der Neuredaktion des Ganzen aber nicht
über die ersten Bücher hinauskam, so dass Unebenheiten, wie die zwei-
malige Widerlegung der Erzählung von den Tyrannen mördem Harmodios
und Aristogeiton (I 20 und VI 54—57), stehen geblieben sind.«)
287. Inhalt und Anlage des Werkes. Von seinen Vorgängern
unterschied sich Thukydides schon durch die Wahl des Stoffes, indem er
nicht in die Vergangenheit zurückgriff, sondern das, was er selbst mitr
erlebt hatte, erzählte. Er betont mit Selbstgefühl wiederholt diesen um-
stand, *) weil er sich so über die leitenden Persönlichkeiten ein sicheres
Urteil bilden konnte und bezüglich der Thatsachen nicht wie Hellanikos
und die Logographen auf die fabelhaften Überlieferungen der Vergangen-
heit, sondern auf eigene gewissenhafte Erkundigungen angewiesen war.
Demgemäss bleibt er auch, im Gegensatz zu Herodot, streng bei der
Sache und erlaubt sich, abgesehen von orientierenden Einleitungen, wie
von der Vorgeschichte (Archäologie) Griechenlands (I 1 — 21), von der
Geschichte Athens seit den Perserkriegen (Pentekontaetie I 89 — 118),
von dem Reich der Odrysen in Thrakien (II 96 — 101), von der Lage
und älteren Geschichte Sikiliens (VI 1-— 5),*) fast gar keine Ab-
schweifungen. Nur einmal (VI 54—57) hat er, sehr zur Unzeit, ledig-
lich um ein eingefleischtes Vorurteil seiner Mitbürger zu zerstreuen, eine
aufklärende Digression über die Ermordung des Hipparch durch Harmo-
dios und Aristogeiton^) einzulegen sich gestattet.^) In dem eng um-
grenzten Thema seines Werkes galt ihm, wie er dieses auch in dem Titel
ausdrückte, die Darstellung des Krieges als seine eigentliche Aufgabe.
stehung des Thokydideischen Greschiclita-
Werkes, Jahrb. f. kl. Phü. 1897 S. 175 «F., xu-
sammenfassend S. 255 f.
•) Thuk. V 26 : incßlay dui Tiayro^ ovrov
ttio&ayofjieyog xe r/j fjXixlct xai nQwrix^r tiqv
yyiofufjyj ontag dxQißeg ri etaofiai. I Xi ro
yaQ TtQd ttvjiuy (sc. noX, IleXon,) xai %d «*
TtaXttioTeQa aatpaSg fjiky evQsTy duz j^^yov
nXrjSog d&vyaxa ijy. Vgl. VI 2. Abschätziges
ürteU über Hellanikos I 97 ; Terdeckter Vor-
wurf gegen Herodot I 22.
*) In diesen Abschnitten war denn aach
Thukydides auf ältere Quellenschiiftsteller
angewiesen, und zwar hat er in dem Ab-
schnitt Über Sikilien den Antiochos ausge-
beutet, wie durch feine sprachliche Be-
obachtungen WöLPPLiN, Antiochos von Sy-
rakus und Coelius Antipater, Leipz. 1872, zur
Gewissheit erhoben hat In dem 1. B. hat
er Herodot, Hellanikos und eine chronik-
ai*tige Aufzeichnung benützt, worüber Köhlkb,
lieber die Archäologie des Thuk., in Comm.
in honor. Momms. 270 — 7.
*) Genaueres gibt darüber jetzt Aristot
'A&fjynia}y noXirsia 18, wozu Wii.A]iowTiz,
Aristot. u. Athen I 108 ff.
^) Eine ähnliche kürzere Epiaode II 29
gilt der Tereussage und scheint durch das
Interesse an dem sophokleischen Stück her-
vorgerufen zu sein.
des Thukydides, Hamb. 1846; dagegen pole-
misiert Classbn in der Einleitung seiner
Ausgabe. Die Hypothese Ulrichs wurde teil-
weise modifiziert von Steup, Quaest. Thucyd.,
Bonn 1868, weiter verfolgt von Mülleb-
Strübino, lliukydideische Forschungen, Wien
1881, S. 42 ff.
^) Daraus stammt z. B. die Charakteristik
der Perikles II 65, wobei ein Blick auf die
ganze Folge des Krieges bis zu seinem Ende
geworfen ist. War der erste Teil wirklich
bald nach 420 nicht bloss geschrieben, son-
dern auch herausgegeben worden, so hatten
sich von dieser Sonderausgabe keine Exem-
plare in die spätere Zeit gerettet.
2) CwiKLiNSKi, De tempore quo Thuc.
priorem historiae suae partem composuerit,
ßerl. 1873, Entstehung der Thukydideischen
Geschichte, Herm. 12, 23—87, stellt folgende
Chronologie auf: 1. arcbidamischer £jieg I
1— V 24, nach 421 aber vor 404 geschrieben;
2. der sikilische Krieg, ebenfalls vor 404 ab-
gefasst; 3. Geschichte der Friedenszeit und
des ionisch-dekeleischen Krieges, Buch V von
c. 25 an, einzelne Partien von B. VI, endlich
B. Vn u. VIII, geschrieben nach 404; 4. Ein
reihung des sikilischen Krieges und voll-
ständige Umarbeitung des ganzen Werkes,
die nur bis zum Ende des 4. Buches gedieh.
Modifikationen von G. Fbiedrich, Die Ent-
2. Die GesohichtsBohreibang. e) Thnkydides.
I 237—238.)
341
Infolgedessen kümmerte er sich um Kunst und kulturgeschichtliche Ver-
hältnisse gar nicht und berührte auch die inneren Vorgänge Athens und
Spartas nur wenig, so dass er uns z. B. wohl sein Verhalten bei der Ein-
nahme von Amphipolis ausführlich erzählt, aber von seiner Verurteilung
und den dabei doch gewiss laut gewordenen Parteikämpfen auf der
Agora nichts sagt.^) Die Eriegsereignisse selbst erzählt er in annalis-
tischer Weise, indem er obendrein in jedem Jahr Sommer und Winter
scheidet. Diese kunstlose Einförmigkeit, die oft Zusammengehöriges aus-
einanderzureissen nötigte, missfiel nicht ohne Grund den späteren Rhetoren,^)
entsprach aber der Weise der Kriegsführung und der Gewohnheit der
alten Historiker. Gestritten hat man in unserer Zeit, ob Thukydides da-
bei vom natürlichen Jahr oder von dem Kalenderjahr ausgegangen sei.
Die Natur der Sache begünstigt die erstere Annahme, da man sich ja
auch in den Operationen nicht nach den Wirren des damaligen Kalenders,
sondern nach der Norm der Natur wird gerichtet haben.'')
288. Charakteristik. Thukydides gilt mit Recht als der grösste
Historiker des Altertums. Er brachte zur Geschichtsschreibung eine reife,
ans eigener praktischer Thätigkeit stammende Kenntnis der Staatsgeschäfte
und des Kriegswesens mit. Sein aufgeklärter Geist war frei von jeder
religiösen Befangenheit^) und erhaben über die engherzigen Partei verur-
teile der Politiker gewöhnlichen Schlages. Die mit prüfendem Blick er-
kannte und auf unparteiischer Erkundigung beruhende Wahrheit war das
höchste Ziel seiner Geschichtsschreibung, vor dem seine innere Empfin-
dung und seine Hinneigung zur aristokratischen Regierungsform*) zurück-
treten mussten. Wenn er trotzdem einigemal, z. B. in der Darstellung
der Staatsumwälzung von 411 nicht ganz das Richtige trifft, wie wir dieses
jetzt durch die von Aristoteles im Staat der Athener herangezogenen Ur-
kunden nachweisen können,*) so rührt dieses nicht von mangelnder Wahr-
heitsliebe her, sondern von der UnvoUständigkeit der ihm zugekommenen
^) Diese Schattenseite gut beleuchtet
▼OD Ed. Scbwabz, Die Demokratie I 421 ff.
*) Hart urteflt Dionys. de Thucyd. 9 u.
epiat ad Pomp. 3. Schon Thukydides selbst
sih sich am Schlnss des ersten Teiles seines
Gwciiiditswerkes V 20 zur Rechtfertigung
seines YerSahrens veranlasst, da andere —
und anter diesen wird gewiss Hellanikos
gewesen sein — eine Erzfthlung nach Ar-
cbonten wünschten.
'i Die zweite Meinung wird vertreten
dmch ÜKGBR, Das Eriegsjtdir des Thukyd.,
im Philo]. 43, 577 ff. und 44, 622 ff., die erste
unter andern durch Wilamowitz, Cnrae Thu-
n-dideae, GOtt 1885. üeber den natürlichen
Fiithlingsanfang ist aUerdings einigemal (11
103. in 116. IV 52. Vn 19) hinübergegriffen,
^>er das erklärt sich aus stilistischen Rück-
Bebten. Die chronologische Schwierigkeit
WOghch des Anfangs des Krieges und des
Anschlags auf Flatftft 11 2 kommt ohnehin
kier nidbt in Betracht, da hier das über-
lieferte <fvo fA^yas mit YOmel und Krüger
in «f fi^yas, d. i. teaaagag fiijyaq gebessert
werden muss.
*) Freigeistiges Urteil über die Orakel
IT 17, 54, über Sonnenfinsternis II 28. Ver-
gleiche die meisterhafte Schilderung von
GoMPERZ, Griechische Denker I 409—418.
^) Thuc. VIII 97. II 65.
•) Arist. 'JSrjyaiwy TtoXiisla 33 und Thuc.
VIII 95—97; vgl. Wilamowitz, Aristoteles
und Athen I 99 ff. Ueberdies hielt sich
unser Historiker nicht immer mit der heut-
zutage verlangten Akribie an den Wortlaut
seiner Urkunden. Der in Stein CIA IV
p. 14. 15. 46** teilweise uns erhaltene Bundes-
vertrag der Athener und Argiver weicht in
Kleinigkeiten von dem Texte des Thukydides
V 47 ab; s. Kirchhoff Herrn. 12,368 ff.;
Kirchhoff, Thukydides u. sein Urkunden-
material, ges. akad. Abh. (1880 S. 834 ff.,
1882 S. 909 ff., 1883 S. 829 ff., 1884 S. 399 ff.,
1890 S. 1091 ff.), Beri. 1895; Büdinger,
Poesie und Urkunde bei Thukydides, Denk-
schrift d. Wien. Ak. 1891, Bd. 39.
342 CMMhüehe littanttargMcbichto. L OMnaehe Periode.
Berichte. Die Schärfe seines kritischen Urteils zeigt sich aber nicht bloss
in der Erforschung der Zeitgeschichte. Auch wo er den Blick rQckwärts
auf Verhaltnisse einer weitentlegenen Vergangenheit wendet, wie auf den
Ursprung des Namens Hellas (I 1), auf die alten Gräber von Delos und
die daraus abgeleitete Hypothese von einer karischen Urbevölkerung der
kykladischen Inseln (I 8), auf die chalkidischen Kolonien Sikiliens und
Unteritaliens (VI 2), auf die Gründe der Vertreibung der Peisistratiden
(VI 54 — 7), bekundet er eine Sicherheit des Urteils, wie man sie bei den
gewiegtesten Quellenforschem unserer Zeit nicht entwickelter trifft In dem
Detail der kritischen Quellenforschung geht er aber nicht wie so mancher
Jünger der modernen Schule auf; dem grossen Ganzen blieb immer sein Haupir
augenmerk zugewandt —Der Grösse der Zeit und des Gegenstandes entsprach
auch die Grösse seiner Seele, die Hohes und Grosses auch mit dem ent-
sprechenden Massstab zu beurteilen verstand. Das zeigt sich namentlich
in der ebenso scharfen als grossartigen Charakteristik, die er, ohne seine
eigenen Anschauungen zur Schau zu tragen, von den handelnden Personen
entwirft. 1) Als Mittel dazu dienten ihm unter anderen die Reden, welche
er seinen Staatsmännern und Feldherm in den Mund legt und die man
mit Recht als die eigentlichen Glanzpunkte seines Werkes bezeichnet hat
Dieselben lassen uns zumeist die Reife des staatsmännischen Urteils unseres
Historikers erkennen, sind aber zu^eich von ihm mit einziger Kunst ver-
wendet, um uns in den Charakter der handelnden Personen und in die
Triebfedern ihrer Handlungen einen Einblick zu gewähren. Wie er die-
selben aufgefasst haben wollte, hat er selbst I 22 klar ausgesprochen:
o<fa fiiv Xoytp finov ^xaaim ^ ^hkXovtfq n^oiU/4i;(r««r ^ iv avt^ r^dr^ ov%sq^
XaXfTTor tr^i' catQißHov avxr^v rwr JU/^^'ifMr iiafurr^fiorevaat fjv d/AOi tb a»'
avTog ijxovaa xal roig aXkod^dv Jto^-fr ifioi aTwayyhXXovciv iog i'av iioxovr
efioi FxaifTOi nfgi rtov ati TiaQorrmY xa dhorrta ^äXuft* HnsTVy ixopiäviff an
iffvxara t^c ^vanacr^c yi'oiur^g nor alr^xhig Acj^ti'rwr, ovrfog ngr^ai. Dem-
nach haben wir in den eingelegten Reden nicht so sehr Proben der red-
nerischen Fertigkeit der sprechenden Personen, als des Thukydides selbst
zu erkennen. >) Mit den Reden steht auf gleicher Stufe das lange Zwie-
gespräch der athenischen Gesandten und der melischen Behörden (V 85
bis 111), das uns zugleich die hartherzigen Grundsätze, welche damals die
athenische Politik leiteten, ') erkennen lässt -- Die Ereignisse selbst schil-
dert Thukydides mit ruhiger Objektivität,*) zugleich aber mit einer An-
■) Ueber die Zmrl&cUiiltaiig waaaes Hi- dides s. Blasb, Att Bereds. I*, 208 ff. Seinem
storikers in der Kundgabe seiner eigenen Gnmdaatz entsprechend f&hrt Thukydides
Beorteflnng Ito Bbuks, Bas litteransche die Reden ein mit totaSe (nicht wie Hero-
Portrit der Griechen, Berlin 1896 S. S— 34. dot Tads) !//«•; vgl. Schvokb y. Cabolafsld,
') Entgegen den Worten des Thukydides üebo- die Reden hei SaUnst S. 1 ffl u. 75 ffL
seihst nimmt H. Welzhofbb, Thukydides und *) Wie wenig überhaupt die Homanitit
sein Geschichtswerk, Mfinchen 1876, genaue ■ und die Moral in der selbetsQchtigen Politik
Wiedergabe der gehaltenen Reden an. Be- jener Zeit zur Geltung kamen, Ifisst Thnky-
achtenswert ist, dass die zwei Wendungen, ! dides in der schönen Rede der Platfter an
welche Aristoteles Rhet p. 1366 a, 31 und | die Lakedimonier lU 53—59 durchblicken,
1411a, 1 aus dem Epitanhioe des Perikles ■ aber ohne eigene moralische Entrüsfamg.
anfuhrt, nicht in der berOhmten Leichenrede * *\ Die ObjektiTitit zeigt sich besondos
des Perikles bei Thuk. 11 35— 46 stehen, i darin, daas er den Empfindungen des Ge-
Ueber den Charakter der Reden des Thuky- fUüs Schweigen gebot und selbst mit dem
i
8. Die Geaohichtuohreibong. c) Thnkydides. (§ 239.)
343
schaulichkeit {ivagyeia)^ durch die wir die Dinge selbst mitzuerleben
glaubeD.^) In dieser Kunst lebensvoller Schilderung, die am glänzendsten
in der ergreifenden Darstellung des sikilischen Feldzugs hervortritt,^) er-
kennt man den Einfluss des attischen Theaters. Durch das Gefallen an
dramatischer Darstellung liess sich selbst unser Oeschichtsschreiber in
einigen Partien, wie in der Erzählung von den Kämpfen um Platää, über
die Linie streng kritischer Darstellung zur phantasievollen Ausmalung der
Dinge verführen.') Mehr aber noch als die Anschaulichkeit der Darstel-
lung tritt bei unserem Historiker das Streben nach gedrängter Kürze und
nach Präcision im Ausdruck hervor. Dieses Streben durchzieht sein ganzes
ßeechichtswerk, tritt aber besonders in der sogenannten Pentekontaetie oder
dem kurzen Überblick über die athenische Geschichte in den 50 Jahren
vor Beginn des peloponnesischen Krieges (I 89 — 118) hervor. Im Gegen-
Batz zu den vielsehreibenden Dichtern und Logographen jener Zeit hat er
seine Thätigkeit um eine grosse Aufgabe konzentriert und in dieser selbst
seinen Ruhm in gedrängtem Gedankenreichtum, nicht in voluminösem Um-
fang gesucht. Mit berechtigtem Selbstgefühl nennt er I 22 sein Werk ein
xtr^fia ig äel fiäkXov rj äyocvHffJta eg t6 TiaQaxQrjfxa dxovs^v,
239. Sprache und Überlieferung. Die sprachliche Darstellung
entspricht der Schärfe und Tiefe der Gedanken. Die Glätte und Rundung
des Ausdrucks verschmähte Thukydides, wäre ihm auch, selbst wenn er
sie gewoUt, schwerlich gelungen. Das Streben Jiach Kürze führte aber
nnr zu oft zur Dunkelheit und Schwei-verständlichkeit des Ausdrucks. Auch
wenn man sich in den thukydideischen Stil gut hineingelesen hat, wird
man oft einen Satz zwei- und drei Mal lesen müssen, bis man alles, was
der Autor in die Worte hineinlegen wollte, vollständig erfasst. Die häu-
figen Hyperbata, die Sinnkonstruktionen und Anakoluthien, die verschränkte
Wortstellung, die Häufung der Participien haben ihren Grund in einer ge-
wissen ünbeholfenheit, in Folge deren es dem Autor nicht immer gelingt,
die Fülle der zuströmenden Gedanken in passende Worte zu kleiden.
Manchmal glaubt man in dem schwerfälligen Satzbau das Werden des
Ansdnick lobender Anerkennimg äusserst
lurgte. Uns will die erbarmungslose Staats-
rison, welche er bei der grausamen Verge-
waltigang der Melier seinem Athener ohne
ein Wort der Missbilligung in den Mund legt
(V 105), zu objektiv und kalt erscheinen.
Audi von seiner eigenen Verbannung be-
richtet er (V 26) mit kalter Objektivität.
*) Flui de glor. Athen, p. 347a: 9ov
xrcfidiyf aii reJ Xoyt^ nQog xtcvttjv afjuXkatai
t^if irä^eiavt oloy ^eatfjy noiijaai toV
ax^OKtijv xal xa yBrofikva negi tovg oqmyjag
ixnXtpitucd xai JOQaxiixd nd&t] joTs dva-
ytpthxovaiy ireQydcacS'a^ Xixyevofievos.
*) Plnt Nie. 1: ini rtus dii^ceai (sc.
T»r iixeXtxmy) Bovxvdidfjs avtog avzov nBQt
Tffvra nadtfrixtaraioff iya^earazoc, noixi-
hitaiof YBvofAByog dfiifiijvfag i^eyijyox^. Ein
ilmlich gläDzendes Urtefl ttber die sikilische
Expedition, ,das Vollendetste, was die Ge-
schichtschreibung je geschaffen hat', fällte
Macauley, s. üebers. von Jowett II in.
*) Mülleb-Stbübiho, Die Glaubwürdig-
keit des Thukydides, geprüft an seiner Dar-
stellung der Belagerung von Platää, Jahrb.
f. Phil. 131, 289 ff. Ein starker geographi-
scher Irrtum bezüglich der Lage des Vorge-
birgs Maleia in Lesbos findet sich III 4.
Ungenau sind auch die Längeangaben der
Rhede von Sphakteria IV 8, die gewiss nicht
aus Terrainverändemngen seit jener Zeit er-
klärt werden dürfen. — Die schweren An-
griffe, die Müller - Strübing namentlich in
seinem Buche Aristophanes und die histo-
rische E[ritik, und in Thukydideischcoi For-
schungen gegen die ünvollständigkeit und
Parteüichkeit unseres Historikers vorgebracht
hat, prüfen und widerlegen Holzapfel Rh.
M. 37, 448 ff., Herbst Phüol. 42, 707 ff., Edm.
Lange Jahrb. f. Phil. 135 (1887) 721 ff.
L
344
Grieohiflohe Littoratarge«ohiohte. L KlaBsisohe Periode.
Werkes aus wiederholten Zusätzen und Selbstbesserungen zu erkennen.
Dionysios de Thuc. 24 bezeichnet unseren Autor als Hauptvertreter der
avfTtr^Qce xai axorentj ^x^gaaig, und schon dem Cicero erschienen seine
Reden schwerverständlich, i) Von den Neueren hat etwas derb Fr. A. Wolf
von einem Feldwebelstil unseres Historikers gesprochen. Aber man darf
nicht übersehen, dass er der erste namhafte attische Prosaiker war und
mehr wie die Späteren mit der Sprödigkeit des sprachlichen Stoffes zu
ringen hatte. ^) Auch fällt ins Gewicht, dass er den grössten Teil seines
Lebens ausserhalb Athens im Barbarenland verlebte und so die grosse
Stilentwicklung der attischen Dichter und Redner in den letzten Decennien
des 5. Jahrhunderts nicht mit durchmachte.*) Auf der anderen Seite muss
man ihm das Lob lassen, dass er überall, wo es galt scharfe Begriffsunter-
scheidungen auch in der Sprache zum bestimmten Ausdruck zu bringen,
sich einer ausserordentlichen Klarheit und Konsequenz befleissigte, so dass
insbesondere die im Griechischen so wunderbar entwickelte Syntax der Modi
und Zeiten, die scharfe Unterscheidung des Conjunctivs und Optativs, des
Imperfektums und Aorists hauptsächlich von Thukydides ausgegangen ist.^)
So hat Thukydides nach Verdienst nicht bloss durch seine Gedanken-
tiefe und politische Weisheit, sondern auch durch die Eigenart seines
Stiles und seiner Darstellung grosse Anerkennung auch bei den nach-
folgenden Generationen gefunden: Philistos, Sallust, Prokop eiferten ihm
nach;<^) Dionysios Halic. fand sich mit seiner abfälligen Kritik zahlreichen
Bewunderern gegenüber, welche den Thukydides für den grössten aller
Historiker hielten. '') In der römischen Kaiserzeit hat man auch sein Werk
zu kommentieren begonnen. Didymos schrieb eine Vita, die wahrschein-
lich den Eingang eines Kommentars bildete;^) Numenios verfasste Hypo-
theseis, Sabines und Heron unter Hadrian Hypomnemata, hauptsächlich
vom rhetorischen Standpunkt.^) Aus dem Studium der Kommentatoren
stammen die nicht seltenen Interpolationen, wie die moralisierenden Be-
trachtungen des Kapitels III 84, die aber schon von den alten Kritikern
durch den Obelos als unecht bezeichnet wurden, i®) In der modernen Zeit
ist namentlich von den Gelehrten derjenigen Nation, die zuerst zu einem
') NiRTZKi, De Thucvdideae elocutionis
proprietate, Progr. Königsberg 1887.
') Cic. Orat. 30: ipsae illae contiones
ita muHas habent obscuras abditasque sen-
tentiaSf vix ut intellegantur. Vgl. Bratns 83.
') Eine gewisse Ungelenkigkeit liegt auch
in der zahlreichen Anwendung und Neubil-
dung von Verbis denominadvis, in dem häu-
figen Gebrauch des genetiven Infinitivs zur
Bezeichnung des Grundes, in der Verbindung
des Artikels mit dem Neutrum eines Ad-
jektivs oder Partizipiums zur Bildung von
Abstrakten.
*) MüLLEB, Gr. Litt. II* 140.
') Dieser Punkt wird an einer einzelnen
Satzgattung gut nachgewiesen von meiner
Schülerin Miss. Warren, Studvof conjuncüonal
temporal clauses in Thucydides, Berlin 1897.
*) Aehnlich ausgerüstet von Natur war
auch der grosse Hämische Historiker Tacitas,
Aber dessen Verhältnis zu Thukydides s.
Lkhbs, Pop. Aufs.* 450 flf.
') Dionys. de Thuc. 2.
^) Meier, Opusc. 11 61 und M. Schmii>t,
Didymi fragm. p. 334.
*) DoBERBNTz, De scholüs in Thacydidein,
Halle 1876; E. Schwabs, Quaesfciones de
Thuc. scholiorum fontibus, Leipz. Stad. FV
67 ff. ; Altinoer, De rhetoricis in orationes
Thucyd. scholiis, München. Progr. 1885. Citiert
sind in den Scholien Antyllos, Asklepiades«
Phoibammon (4. Jahrb.)
'^) Sehr weit geht in der Anfetobemtig
von Interpolationen Müller-Strübiütg, Tkn-
kydideische Studien, Wien 1881, wonach
ganze Partien^ wie z. B. die von der £r>
mordung der Lesbier (lÜ 35 -50) erst später
von andern zugesetzt sein sollen.
2. Die Gesohichtsflchreibang. d) Xenophon. (§ 240.) 345
freien politischen Leben erwachte, von den Engländern Hobbes, Hudson,
Wasse das Verständnis und die Bewunderung des grossen Staatsmannes
unter den Historikern wieder geweckt worden.
Codd. bilden zwei Familien; die eine vertreten durch Laur. 69, 2 s. X (C) und Monac.
fliTe Angnstanns 430 (F), die andere dnrch Vatic. 126 s. XI (B), der aber selbst nicht durch-
weg der gleichen Rezension folgt. Dass Stephanos Byz. noch einen reineren Text hatte,
beweist Niese Herrn. 14, 423 ff. — Ein Papyrus IV 36 -41 enthaltend gefunden von Hunt 1857.
Scholien, über die gehandelt § 239, in der Ausgabe des Thuk. von F. Haase ed. II,
Paiis 1846. Neue Scholien aus einem Codex von Patmos herausgegeben von Sakkelion, Revue
de phflol. 1877 p. 182—8.
Ausgaben: cum diversorum comment. (Hudson, Wasse, Düker) ed Poppo, Lips. 1821 ff.
11 vol.; desselben Poppo edit. minor, neubesorgt von Stahl 1883, 4 vol.; comment. Gölleb,
ed. n, ups. 1836, 2 Bde. — Kritische Ausgabe von Imm. Bbkkbr, Berlin 1821, 3 vol.; edit.
min. gleichfalls mit kritischem Apparat 1868; von Haasb, Par. 1846 (1868); rec. Hüde, Lips.
1898; rec. et annot. Hbrwbrdbn, Lips. 1877, 5 Hefte; Thukyd. 1. 1 et II ed. A. Schöne, Berol.
1874 mit Scholien u. kritischem Apparat. — Ausgaben mit erklärenden Anmerkungen von
Kbccbb, 3. Aufl., Berl. 1861; von Classbn-Stbüp in Weidm. Samml.; von Böhmb-Widmank
bei Teubner.
Lexicon Thucyd. von B^tant, Genf 1843; Index Thucydideus von v. Essen, Berlin
1887. — Gute Uebersetzang mit inhaltreichen Anmerk. von Ueilmann, Lemgo 1833.
d) Xenophon (um 434 bis um 355). i)
240. Leben. Xenophon, den die Historiker wie die Philosophen zu den
Ihrigen zählten, war Sohn des Gryllos und der Diodora und entstammte
einer wohlhabenden Ritterfamilie des Demos Erchia. Sein Geburtsjahr
wird nicht angegeben; ausgehend von der Überlieferung, «) dass Sokrates
in der Schlacht von Delion (424) den vom Pferde gesunkenen Xenophon
gerettet habe, und dass Xenophon selbst 90 Jahre alt geworden sei») setzte
dasselbe Krüger auf 444 an. Aber da Xenophon in der Anabasis noch
als junger Mann erscheint,*) so verwarf Cobet Nov. lect. 534 flf. jene Über-
lieferung von der Errettung des Schülers durch den Lehrer als tendenziöse
Erfindung und liess im Einklang mit Athen, p. 216 d, wonach Xenophon
im Jahre 421 noch ein Knabe war, unseren Autor um 434 geboren sein.^)
In der Jugend schloss sich derselbe an Sokrates an; der hatte ihm einst
in einem Engweg die Frage vorgelegt, nov xaXoi xaya&ol yivovzai arx^Qw-
JTw; und ihm dann, als er um die Antwort verlegen war, zugerufen: inov
twYvv xai fidvx^ave,^) Aber so warm er auch seinem philosophischen
Lehrer anhing, so fühlte er sich doch mehr zum praktischen Leben hin-
gezogen und trat durch Vermittelung seines Freundes Proxenos in die
Dienst« des jüngeren Kyros.'') Als dieser in der Schlacht von Kunaxa
*) Biographie in Diog. 1149—59, neben , Xenophon tis vita, Königsberg, Diss. 1884, wozu
weleW der Artikel des Suidas nichts Neues
ntfatit Diogenes geht anf Demetrios Magnes
nrfiek, der sein Hanptmaterial ans Dinarchs
Bede filr Aischylos, einen Freigelassenen des
J&Bgeren Xenophon, schöpfte; s. Wilamowitz,
m. ünt. IV 330—5. Die Briefe der Sokra-
tiker 18—22 sind eine mit Vorsicht zu be-
Boteende Qnelle. — Ebüoeb, De Xenophontis
▼Ha, in dessen Histor.-philol. Stud. 11 262 ff.;
F. Ravkb, De Xenophontis vita et scriptis,
ßeri. 1851; A. Cboisbt, Xenophon son carac-
t^ et son talent» Par. 1878; Roqurtte, De
Stahl im Philol. Anz. 1886; Ed. Schwabtz
Rh. M. 44, 163 ff.; Habtmank, Analecta Xeno-
phontea, Leyden 1887.
«) Strab. p. 403; Diog. II 22.
*) Ps. Lucian, Macrob. 21.
*) Vgl. besonders Anab. III 1, 14 25;
VI 4, 25.
^) Hartmank, Anal. Xenoph. geht mit
dem Geburtsjahr auf 425 herab.
«) Diog. II 48.
') Anab. ül 1, 4 ff. Nach Phüostr. Vit.
soph. I 12 hatte er den Proxenos, der dort
346
Grieohisohe Litteraiargesohiohte. I. KlaMisohe Periode.
(401) gefallen und die hellenischen Führer von den Persem hinterlistig
ermordet worden waren, leitete er selbst mit staunenswerter Klugheit und
Unerschrockenheit den Rückzug der 10,000 mitten durch Feindes Land.
An dem Hellespont angekommen, liess er nicht bloss die Geretteten in das
Heer der Spartaner, die bereits die Befreiung der kleinasiatischen Griechen
vom Joche der Perser begonnen hatten, eintreten, sondern liess sich auch
selbst im weiteren Verlauf der Dinge bestimmen, mit Agesilaos nach
Griechenland gegen die Feinde der Spartaner zu ziehen. An der Schlacht
von Koronea (394) gegen die mit Athen verbundenen Thebaner nahm er,
wenn auch nicht als Kämpfender, teil. Infolge dieser seiner Verbindung
mit den Feinden des Vaterlandes wurde er wegen Hochverrats von den
Athenern verurteilt.^) Die Lakedämonier hingegen entschädigten ihn, der
mit der Verbannung jedenfaUs auch seine Güter in Attika verloren hatte,
durch Verleihung eines Landgutes in Elis bei dem Städtchen Skillus.')
Dort lebte er mit seiner Frau Philesia und seinen zwei Söhnen Gryllos
und Diodoros in friedlicher Zurückgezogenheit, litterarischen Arbeiten und
den Freuden des Landlebens hingegeben, bis die Kämpfe der Thebaner
und Lakedämonier ihn aus dieser Ruhe wieder aufscheuchten. Nach der
Schlacht von Leuktra aus Skillus verjagt (370), rettete er sich mit Mühe
nach Korinth. Von hier aus trat er wieder in gute Beziehungen zu seiner
Vaterstadt, die sich damals mit den Lakedämoniern gegen Theben ver-
bunden hatte. Der Verbannungsbeschluss wurde förmlich aufgehoben;')
er selbst zwar nahm an den Kämpfen keinen Anteil mehr, aber er Hess
seine beiden Söhne in die athenische Reiterei eintreten. Von diesen starb
Gryllos bei Mantinea den Heldentod (362).*) Den Tod des Sohnes über-
lebte der Vater noch um einige Jahre; sicher starb er erst nach 359, in
welches Jahr die Hell. VI 4, 36 gemeldete Ermordung des Tyrannen Ale-
xander von Pherä fallt, 0) wahrscheinlich erst nach 355, wenn anders die
Schrift noQoi mit Recht ihm beigelegt wird. Nach Diogenes H 56 starb
er in Korinth; danach scheint er also trotz der Aufhebung des Verban-
nungsbeschlusses nicht mehr nach Athen zurückgekehrt zu sein.
^evos aQxtitoe heisst, in Böotien als Kriegs-
gefangener gehört, was ein Pendant zu der
Anekdote von der Schlacht bei Delion zu
sein scheint.
^) Das Jahr der Verbannung steht nicht
fest. Nach Paus. V 6, 3, Dio Chrys. or. VIII
in., Diogen.. II 51 wurde er infolge seiner
Beteiligung am Zuge des Ejros als eines
Feindes der Athener verbannt; wahrschein-
lich war auch hierauf in dem Verbannungs-
beschluss, den nach Istros bei Diog. 11 59
Eubulos beantragte, Bezug genommen. Sicher
erfolgte aber die Verbannung weder wfthrend
des Zuges noch unmittelbar danach; das er-
hellt aus Anab. V 3, 6 f. u. VII 7, 57.
') £ine Schilderung desselben Anab. V
3, 7 ff; vgl. Paus. V 6, 5 f.
*j Nach Istros bei Diog. II 59 durch den-
selben Eubulos. Die Sache selbst, nicht bloss
die Person des Antragstellers wird bezweifelt
von CoBXT Nov. lect 757 f.
*) Diog. II 54 erzfthlt die schöne Anek-
dote, wie Xenophon, dem beim Opfern die
Nachricht vom Tode seines Sohnes Überbradtt
wurde, anfangs den Kranz vom Haapte nahm,
dann aber, als er vernommen, daas sein Sohn
erst nach tapferer Gegenwehr gefallen sei,
denselben wieder aufsetzte. Auf den Helden-
tod des einen der Dioskuren worden Tau-
sende von Enkomien abgefasst nach Aristo-
teles bei Diog. II 55. — Die Söhne des Xe-
nophon wollte man nach Paus. I 22, 4 in den
beiden Reitern am Aufgang zu den Pro-
pyl&en wiedererkennen, von denen Repliken
jetzt zu Rom auf dem Monte Cavallo vor
dem königlichen Palaste stehen.
^) Diodor XVI 14 berichtet dieselbe znm
Jahr 357 ; s. aber Sohafrb, Demoetii. I ISS
Anm. 2.
2. Die Geschichtsschreibung, d) Xenophon. (§ 241.)
347
241. Charakter, Schriftstellerei. Xenophon wird von seinem
Biographen Diogenes 11 48 ein dvrJQ svdaf/jioDv t€ xal sveidtaraTog sig insq-
ßoltjv genannt; er kann als Repräsentant der von den Griechen zuoberst
in der Reihe der Tugenden gestellten xaloxccya^ia gelten, indem er körper-
liche Schönheit und geistige Begabung auf das schönste in seiner Person
vereinigte. Von praktischem Thatendrang erfüllt, verschmähte er die
blosse Stubengelehrsamkeit und dürre Spekulation; auf der anderen Seite
aber entbehrte er der schöpferischen Originalität, um im Denken und
Handeln sich zu hohen Idealen zu erheben. Ein schwarzer Fleck in seinem
Leben bleibt der Mangel an Vaterlandsliebe. Die Abneigung gegen die
athenische Demokratie und die Vorliebe zum aristokratischen Lakedämon
teilte er mit Piaton und anderen Sokratikern; aber keiner von diesen war
80 weit wie er gegangen, dass er in den Reihen der Feinde seinen Lands-
leuten gegenubertrat. Mit Entrüstung hat ihn deshalb ein deutscher
Patriot, Niebuhr,^) den ausgeartetsten Sohn genannt, den jemals ein Staat
ausgestossen habe. In religiösen Dingen ging seine Anhänglichkeit an das
Alte bis zur Beschränktheit; namentlich huldigte er in dem Glauben an
die Macht der Opfer und den Seherblick der Wahrsager ganz den aber-
gläabischen Meinungen der Menge. Gerade dieses hat aber später in der
römischen Kaiserzeit, als wieder ein mystischer Zug die Geister zu be-
herrschen anfing, viel zur Erhöhung seines Ansehens beigetragen; das
Hauptansehen indes verdankte er der bezaubernden Schönheit seiner
Sprache, die für die Blüte des Attikismus galt,*) wenn sie auch im ein-
zelnen, namentlich im Wortschatz, vielfach von dem Gebrauch der anderen
Attiker abwich.') Er hiess die attische Biene*) und auf seinen Lippen
soll die Göttin Peitho gesessen haben. 0) Am meisten Lob verdient die
Bondung und Durchsichtigkeit seines Satzbaues, in dem sich die ganze
Klarheit und einfache Bestimmtheit seines Geistes widerspiegelt;^) sie ver-
liehen ihm jene iucunditas inaffectata, die Quintilian X 1, 82 mit Recht
an seinem Stil hervorhebt.'') Hinterlassen hat er nach Diogenes 11 56 an
40 Bücher (nicht Schriften);®) alle dann von Diogenes namentlich aufge-
zählten Schriften sind auch unversehrt auf uns gekommen,^) darunter
manches unechte. Dieselben gehören zum grösseren Teile dem Gebiete
der Geschichte an, andere der philosophischen Litteratur, Nationalökonomie
') NiKBüBB Kl. Sehr. I 467.
*) Nach SnidaB hatten über seinen Stil
gehaiMielt Harpokration negl ttöy nagd Se-
roffiSrxi ovytaieoty, femer Heron, ZenSn,
Metrophanes, Theon, Tiberios. Auch Ps.
Longtn de sabl. 8 spricbt von einer Schrift,
die er fiber Xenophon geschrieben habe.
') Abweichungen von dem strengen At-
tflusrauB bemerkten schon die Alten, s. Hel-
ladios bei Photios bibl. p. 533 \ 25 der den
Mtc. pL rofAfig statt yofjiiag tadelt; anderes
weist nach Ruthebford, The new Phry-
mchus p. 161 f.
*) Buidas u. 8€yo(pwy.
*) Cic. Orat 32 u. 62; Diog. II 57; Tac.
««1.3].
•) Vgl. Dionys. ep. ad Pomp. 4: Seyo-
gxoy ^Hgoddrov CrjX(OTfjg iyiysTo xtet^ «fi(po-
xigovg tovg /cr^nxr^^ff; toV ts TJQayfiartxoy
xal Toy Xsxtixoy.
^) Dass er aber auch die Mittel der
Rheterik nicht verschmähte, zeigt H. Schacht,
De Xenopbontis studiis rhetericis, Diss. Berl.
1890.
^) Die erhaltenen Schriften machen zu-
sammen 37 B. aus, wenn man aber die Ein-
teilung der Hellenika in 9 B. zu Grunde legt,
39; von der letzteren Zahl lässt daher Wachs-
HUTH Rh. M. 34, 334 den Diogenes ausgehen.
") Nicht erhalten ist uns die von Stobaios
Flor. 88, 14 erwähnte Schrift rtegi Seoyycdog,
deren Echtheit neuerdings Imkisch, Xenophon
über Theognis, in Comment. Ribbeck. 71 — 98
zu erweisen sucht.
348 Grieehisohe LittoratarsMohiohte. L gl«— ische Periode.
und Taktik. Wir werden bei der Besprechung, da wir Xenophon in
dem Abschnitte von der Geschichtsschreibung behandeln, mit den histo-
rischen Schriften beginnen, wiewohl es sich aus anderen GrQnden em-
pfohlen hätte, von den philosophischen auszugehen.
242. KvQov ärdßaffig in7B.^) hat den Namen von dem kleineren
ersten Teil (I 1—6), in welchem der Zug des Kyros vom Meere zu dem
höher gelegenen Asien beschrieben ist.*) Den Hauptgegenstand aber bildet
die von Xenophon geleitete Heimkehr der 10,000 Griechen nach der Schlacht
von Kunaxa. Die Kühnheit und die geschickte Ausfuhrung dieses Unter-
nehmens, dem man den Rückzug des Generals Moreau durch die Pässe
des Schwarzwaldes im Jahre 1796 zur Seite gestellt hat, üben die vor-
züglichste Anziehungskraft des Werkes. Unter den historischen Aufzeich-
nungen des Altertums dürften unserer Anabasis nur die Kommentare
Cäsars über den gallischen Krieg den Rang streitig machen. Die Dar-
stellung gibt Xenophon wie später auch Cäsar so, dass er von sich immer
in der dritten Person redet,') offenbar um so der Erzählung den Schein
grösserer Objektivität zu verleihen; so wird einigemal (I 8, 18; V 4, 34)*)
auch eine Ansicht mit Xäyovai tivsq eingeführt, wo es sich nur um Beobach-
tungen des Verfassers selbst handelt. Daraus geht hervor, dass Xenophon
die Schrift ohne Nennung seines Namens in die Welt schickte. Aufßllig
aber ist, dass er Hell. III 1, 2 sogar einen anderen, Themistogenes aus
Syrakus, als Verfasser derselben bezeichnet. Danach hat er dieses sein
schönstes und anziehendstes Werk nicht bloss anonym, sondern sogar
Pseudonym erscheinen lassen. Denn dass von diesem Zug ausser von
Xenophon und dem Stymphalier Sophainetos, dessen Anabasis der Geo-
graph Stephanos von Byzanz 4 mal citiert,^) auch noch Themistogenes eine
eigene Darstellung gegeben habe, ist wenig glaubwürdig.^) Sicher hat
das Altertum, wie man aus Plutarch, De glor. Ath. 1 und Tzetzes Chil. VII
930 sieht, nur an Pseudonymität gedacht.*^) Verfasst wurde die Anabasis
von Xenophon wohl erst, nachdem er durch den Besitz von Skillus Müsse
zu litterarischen Arbeiten gefunden hatte, wie auch die Schilderung dieses
^) Die Einteilung in Bflcher rührt von
8|)ftter Hand her, von derselben auch die
über den Inhalt orientierenden Einleitungen
zu Anfang jedes Buches; vgl. Birt, Ant.
Buch. 464 ff. Anian las jene einleitenden
Interpolationen noch nicht in seinem Exem-
plar, da er die Bflcher seiner Anabasis ohne
jede Einleitung beginnt.
^) Nur locker ist das erste Buch mit
den folgenden Bfichem verbunden, so dass
an eine ehemalige selbständige Stellung des-
selben denkt Osbergbr Progr. Speier 1896.
') Nur in dem unechten Schlusskapitel
VII 8, 25 steht die erste Person cTiijX.^tofiey.
*) Die Echtheit der beiden ersten Stellen
wird von Cobet und andern Kritikern be-
zweifelt, vielleicht mit Recht; das Xf'ysTM
von 11 2, 6 hat nichts Auffälliges. schrieben hat
*) Steph. unter KagSovx^^* T««/«»*» *wrxm^
XttQfniydrj. Benutzt scheint diesen und viel-
leicht auch den Etesias Diodor XIV 19 — 31
durch Veimittlung des Ephoros an denjenigen
Plurtien zu haben, die von Xenophon ab-
weichen.
^) Die entgegengesetzte Meinung ver-
tritt Schenk L, Xenophontische Studien, Stzb.
d. Wien. Ak. 1868 S. 685 ff. Suidas erw&hnt
von diesem Themistogenes ausser der Ana-
basis noch äkXa Tiyti ne^ ri/^ iavrov nar^i-
cfoc ZweifeUos erweist der Stil, dass die
uns erhaltene Anabasis von Xenophon seibat
verfasst ist.
^) Dunkel bleibt das äXXj^ yfygtgfnm
Anab. II 6, 4 von einer Sache, wovon Xeno-
phon nirgends in seinen Schriften etwas gie-
d. Die GesohichtBflehreibang. d) Xenophon. (§§ 242—243.) 349
Landsitzes Anab. V 3, 9 wahrscheinlich macht. 1) Ein neuerer Forscher *)
glaubte sogar aus den Imperfekten in der Schilderung der religiösen
Volksfeste in Skillus, wie inoisi, x^vaiav^ insTtXxov Ttjg ioQvrjg, folgern zu
müssen, dass Xenophon zur Zeit der Abfassung Skillus schon wieder ver-
lassen habe. Aber ein solcher Schluss ist nicht geboten, und die an-
gegebene Stelle der Hellenika zeigt, wofür auch die jugendliche Frische
der Darstellung spricht, dass die Anabasis zu den frühesten Schriften
unseres Autors gehört.
243. KvQov Tiaideia in 8 B. ist eine Art historischen Tendenz-
romanes, indem darin der ältere Kyros als Muster eines rechten Herrschers
aufgestellt wird. Die Abweichung von der historischen Treue geht bis
zur Fälschung allbekannter Thatsachen.*) Während Kyros, wie jedermann
aus Herodot I 214 wissen konnte, eines gewaltsamen Todes in dem Kampfe
gegen die Massageten gestorben war, lässt ihn Xenophon Gyr. YIII 7
sanft hinüberschlummem, nachdem er noch zuvor den Oöttern geopfert
und in langer Rede von seinen Kindern und Freunden rührenden Abschied
genommen hatte. ^) In einem Romane kann die Frau und die Liebe nicht
fehlen; auch diese flicht Xenophon seiner Darstellung ein in der edlen
Gestalt der Pantheia, die auch als Kriegsgefangene die Treue ihrem Ge-
mahl Abradates wahrt, rührend von ihm, als er in den Kampf zieht, Ab-
schied nimmt (VI 4) und schliesslich mit ihm den Tod teilt (VII 3). Dem
Titel nach sollte man bloss eine Darstellung der Erziehung des Kyros
erwarten, das Buch gibt aber eine Geschichte des ganzen Lebens jenes
Herrschers. Der Titel will eben von vornherein die Tendenz des Buches
andeuten, dass nämlich die Erfolge des Königs und seine guten Regierungs-
maxime in der richtigen Erziehung ihre Wurzel gehabt haben.*) Das
Ganze ist so eine Verherrlichung der absoluten Monarchie, basiert auf der
Tüchtigkeit des Herrschers, aber ohne freie Anteilnahme der Glieder
des Staates, die doch wesentlich zum Ideal eines Staates im Sinne des
freien Griechentums gehörte. Der Gedanke gerade in Kyros das Ideal
eines rechten Herrschers zu zeichnen ist vielleicht nicht zuerst in
dem Kopfe unseres Xenophon entstanden. Wir erfahren wenigstens aus
Diogenes VI 16, dass auch dÄ- Sokratiker Antisthenes einen Dialog KvQoq
\ niQi ßaailsiag geschrieben hat; freilich ob vor oder nach Xenophon,
lasst sich nicht so leicht entscheiden, zumal die Abfassungszeit der Kyro-
padie selbst nicht ausgemacht ist. Von dem Epilog VIII 8, worin die
') Ganz verlfissig ist dieser Schluss des- j Kyros dem persischen Reiche einverleibt
Ittlb nicht, weil möglicherweise, wie Berok, | werden Iftsst.
6r Litt IV 313 annimmt, jener Passus über ' *) Schon Cicero epist. ad Quint. I 1, 8
SkiUas Bhnlich wie der Epilog der E3rropädie bemerkt: Cyrus ille a Xenophonte non ad
«st sp&ter bei einer Neuausgabe des Buches i historiae fidem scripttis, sed ad effigiem iusti
agefftgt wurde. Von Bedeutung ist auch, | imptrii. Vgl. Dionys. ep. ad Pomp. 4 : ICv-
^«88 Xenophon I 8, 26 auf die persische Ge- qov Tttetifeiay, eUova ßaaikstog aya(fov xal
sebicbte des Ktesias, die sicher erst nach 398
enchien, Rfickaicht nimmt.
') SCHENKL a. 0.
') Auch ohne ersichtlichen Zweck ver-
kebt Xenophon den Thatbestand, indem er
I. B. II, 4 und VIII 7, 20 Aegypten, welches
erst Kambyses unterwarf, bereits durch
evdaiitioyog.
*) Cyr. I 1, 6: noiif rm nai&eitf nai-
devS^eig joaovjov diijt'eyxey eis to ctpjjfctv «V-
dQfünojy. Von Einfluss für die Benennung
war aber hier, wie ähnlich bei der Anabasis,
zumeist, dass die Darstellung mit der nai-
deitt KvQov begann. Vgl. Nikolaos Dam. § 467.
350 Grieolüsohe Lüteratargeschiohte. I. Kimwische Periode.
Entartung der damaligen Perser und ihr Abfall von der alten Sitte (TTcuin'a)
dargethan wird, steht allerdings fest, dass er nicht vor 364 geschrieben
sein kann;^) aber derselbe wird von namhaften Kritikern für unecht er-
klärt und scheint jedenfalls erst nachträglich, sei es nun von Xenophon
selbst oder einem anderen zugefügt zu sein.') Die Überlieferung des
Gellius XIV 3, dass Xenophon mit seiner Kyropädie ein Gegenstuck zu
einem grösseren zuerst publizierten Teile der platonischen Politeia habe
liefern wollen, setzt voraus, dass das xenophontische Werk vor der Ver-
öffentlichung der ganzen uns erhaltenen Politeia des Piaton verfasst wurde.
244. Die 'EXkr^vixä in 7 B.*) enthalten die griechische Geschichte
von 411 bis 362 oder von dem Zeitpunkt, wo das VTerk des Thukydides
endigte, bis zur Schlacht von Mantinea. Das VTerk fangt ganz abrupt
mit fjietd öi tavra an, will also sicher in seinem ersten Teil nur eine
Fortsetzung oder Ergänzung des unvollendeten VTerkes des Thukydides
bieten.*) Aber auch der fade Schluss dfioi fAiv St] fus'xQi tovtov yga^ecx^ia,
%d dt fi€%d tavia latog akXo} iith^aet, sieht nicht so aus, als ob der Ver-
fasser selbst sein Werk zum Abschluss gebracht habe. Doch es fehlt
nicht bloss ein kunstvoller Eingang und Schluss, das ganze Werk ist
trotz einiger gelungenen Partien weit entfernt von der feinen Durch-
arbeitung der Anabasis und Kyropädie. Da nun Xenophon an demselben,
wie wir aus einer gelegentlichen Bemerkung zu VI 4, 36 sehen, noch
über das Jahr 359 hinaus arbeitete, so wird die Vermutung nahe gelegt,
dass er dasselbe nicht zur Herausgabe als Ganzes abgerundet, nicht die letzte
Feile an dasselbe angelegt hat.^) Auf solche Weise sind in demselben
auch die Spuren geblieben, welche auf Abfassung der einzelnen Teile zu
verschiedenen Zeiten hinführen. Niebuhr ^) hat zuerst darauf aufmerksam
gemacht, dass, wenn es am Schluss des zweiten Buches von den unter
sich ausgesöhnten Parteien Athens heisst in xai vvv ofiov %b nokirsvovxcu
xal totg oQxoiQ iinfibvfi o iijfiog, Xenophon unmöglich zur Zeit der Schlacht
von Mantinea, nachdem jene Aussöhnung längst vergessen und ganz andere
Verhältnisse eingetreten waren, noch so habe schreiben können. Er
nahm deshalb an, dass Xenophon zuerst nur die zwei ersten Bücher als
0 In die letzten Regienmgsjahre des | 721 ff.^; 95, 737 ff.; 105, 723 ff. sacht die
Ärtaxerxes II (gestorben 362) setzt Diodor XV ' Hellenika als einen spftteren Auszog za er
92 die in jenem Epilog erwfthnte Rohheit des
Rheomitres.
') FOr unecht erklärten den Epilog
Valckbkabb und F. A. Wolf; s. Schbnkl,
Jahrb. der Phil. 1861, S. 540 ff. Beckbaus,
Ztschr. f&r Gymn. XXVI 226 ff. schreibt dem
jungen Xenophon den Epilog zu; ähnlich
weisen, worauf insbesondere auch dha aiÜLji
yeyQantat der Anab. II 6, 4 hinzuweisen
scheine, da er dort etwas verspricht, was in
unseren Hellenicis nicht steht. Zuvor scbcm
hatte Eyprianos, TteQi rtay 'EUfjyixwr rov
Seyofftjrtog, Athen 1859, den Gedanken
einer Epitome ausgesprochen. Dem tritt mit
Bebqk, Gr. Litt. IV 812. Beachtenswert ist I gesundem Urteil Vollbbecht, De Xenophon-
der ähnliche Schluss der Aaxedai/jioyiioy
noXiTBifty wovon unten § 248.
') Daneben existierte eine Ausgabe in
9 B., wie aus den Citaten des Harpokration
ScHAFBB, Jahrb. für Phil. 1870, S. 527 nach-
gewiesen hat.
^) Fbiedbich Jahrb. für PhiloL 1896
S. 289 nimmt an, dass dieser Anschluss erst
später durch den Redaktor erfolgt sei.
*) Geosseb, Jahrb. fttr Phü, 93 (1866),
tis Hellenicis in epitomen non coactis» Hann.
1874 entgegen. Dass die den Ageailaos be*
treffenden Abschnitte uns nicht im Auszug
erhalten sind, dafür haben wir eine Garantie
an der Lobrede auf Ageailaos.
') NiEBUHB, üeber Xenophons Hellenika,
Kl. Sehr. I 464 ff. Dagegen Ed. Schwabtz
Rh. M. 44 (1889) 182 ff., wonach die Hei-
lenica in einem Zug und mit der gleichen
Tendenz 357 abgefaast sein sollen.
2. Die GeachichtsBohreibniig. d) Xenophon. (§§ 244—245.)
351
Fortsetzung des Thukydides geschrieben habe. Weiter gingen Neuere,
indem sie auf den stärkeren Einschnitt nach Y 1 und die stilistische
Yerschiedenheit der einzelnen Teile hinwiesen, i) Die ersten zwei Bücher
oder genauer I 1 — 11 3, 10 führen in annalistischer Form und trockenem
Tod sine ira et studio die Geschichte des peloponnesischen Krieges zu
Ende; sie waren ursprünglich bestimmt, mit dem Werke des Thukydides
als Supplement desselben herausgegeben zu werden. Daran schliesst sich
in freierer und lebhafterer Darstellung und mit entschiedener Parteinahme
fiir Sparta die Erzählung der Ereignisse bis 387 oder bis zum Frieden
des Äntalkidas (II 3, 11— V 1, 36). Dieser Abschnitt ist gewissermassen
eine Verherrlichung der Politik des Agesilaos und scheint von Xenophon
um 384 in dankbarer Anerkennung der von Agesilaos erhaltenen Wohl-
thaten abgefasst zu sein.') Der im ersten Teil eingehaltene Gesichtspunkt
aQes genau in annalistischer Weise mit Unterscheidung der Jahreszeiten
zu erzählen, ist so wenig eingehalten, dass so wichtige Ereignisse wie die
Schlacht von Knidos keine direkte Erwähnung gefunden haben. Mit V 4
wird zur Darstellung des Missbrauchs, den die Spartaner Theben gegen-
über von ihrer Macht machten, mit einem neuen Proömium derart über-
gegangen, als ob hier ehedem ein neues Buch begonnen habe. Auch kommt
liier noch mehr als in dem zweiten Teil über der politischen und moralischen
Reflexion die nächste Aufgabe des Historikers, die erschöpfende Darstellung
der Ereignisse, zu kurz; nur erhält sich die gleiche spartanerfreundliche
Tendenz. Dass die Schlussredaktion oder die Zusammenordnung der zu
verschiedenen Zeiten geschriebenen und wahrscheinlich auch herausge-
gebenen Teile von Xenophon selbst herrührte, wird schwer zu erweisen
sein. Sicher von späterer Hand sind noch zur Ergänzung und chrono-
logischen Fixierung Glosseme in nicht geringer Zahl hinzugekommen 3.)
245. Der ^Ayriaikaog, eine Lobrede auf den verstorbenen König
Agesilaos, hängt mit den Hellenicis eng zusammen; waren doch diese in
ihrem Hauptteile der Verherrlichung der politischen Ziele und der krie-
gerischen Tüchtigkeit des ausgezeichneten Mannes gewidmet. Nachdem
derselbe im Winter 361/60 auf der Heimkehr von dem ägyptischen Feld-
zug gestorben war, regnete es förmlich Enkomien auf ihn.*) Zu diesen
gehört auch die uns erhaltene, von Cicero, epist. ad. fam. V 12, 7 über-
schwenglich gepriesene Schrift, in welche aus Xenophons Hellenicis
ganze Abschnitte fast wörtlich herübergenommen sind.^) Dass Xenophon
') NiTBCBE, üeber die Abfassimg von
len. Hellenika, Progr. des Berliner Sophien-
^jmsk, 1871; vgl. Roqubtte, S. 61, der mit
I)iTTESBBB«KB, Herm. XVI 330 auch Eigen-
ttmliehkeiten des Sprachgebrauchs (nament-
Üdi ?on ni^y) für die Scheidnng verwertet;
▼gl HABTMAiiN, Anal. Xenoph. p. 85 ff.
') HelL IV 3, 16 wird die Schlacht von
Konmea genannt oVa ovx äXXr^ jtöy y* i^p*
^fuir, was nach der Schlacht von Lenktra
udit mehr recht zu passen scheint; indes
^bt derselbe Ausdruck wieder im Age-
■ÖW8 2, 9, der sicher nach der Schlacht von
^^iiktia abgefasst ist. Die Ansicht von
Leutsch Phil. 33, 97, dass Xenophon die
ersten vier Bücher unter dem Pseudonym
Erafcippos veröffentlicht habe, widerlegt RÜhl
Jahrb. f. Phil. 1883, S. 738 f. Auf Hell. V
1, 36 nimmt Isokrates Paneg. § 189 Bezug.
•) Ungeb, Die historischen Glosseme in
Xen. Hellenika, Sitzb. d. b. Ak. 1882; Belooh
Phil. 43, 261 ff.
*) Isokr. epist. 9, 1.
*) Die kleinen Abweichungen sind be-
achtenswert; sie zeigen, dass inzwischen der
Einfluss des Isokrates Fortschritt« gemacht
hatte, indem der Hiatus zwar nicht ganz,
aber mit grösserer Sorgfalt als früher ver-
352
Qriechiaohe Litteraturgeaohiohte. I. EUMisohe Periode.
Verfasser der Lobrede sei, ist ohne genügenden Grund bezweifelt
worden. 1)
7*^0)1', eine kleine Schrift von verwandtem Charakter, referiert ein
Gespräch des Dichters Simonides mit dem älteren Hieron über den Vor-
zug des Lebens eines Privatmannes vor dem eines Tyrannen und über
die Mittel, mit denen ein Herrscher sein Land glücklich machen kann.
Die Schrift hängt wohl mit Beziehungen zusammen, welche Xenophon zu
dem Hofe des Dionysios, an dessen Tafel ihn Athenaios p. 427 f. sitzen
lässt, unterhielt; aber unsicher ist es, ob man dabei an den Aufzug der
Gesandten des älteren Dionysios bei den olympischen Spielen des Jahres
384 oder an die Thronbesteigung des jüngeren Dionysios im Jahre 367
zu denken hat.»)
246. Die ^Ano/uvtjfxovev/xaTa 2a)xQdT0vg (Memorabüia Socratis) in
4 B. haben dem Xenophon den Ruhm eines Philosophen eingetragen, sind
aber in der That nur allgemein verständliche Denkwürdigkeiten aus dem
Leben des Sokrates ohne tieferen philosophischen Gehalt. Veranlasst
waren dieselben durch die Verunglimpfungen des Sophisten Polykrates,
der um 394 eine Anklagerede gegen Sokrates geschrieben hatte.*) Gleich
im Eingang führen sie sich als eine Verteidigungsschrift gegen die un-
gerechten Beschuldigungen der Ankläger, nicht sowohl des Anytos und
Meletos, als eben jenes Sophisten ein. Sie stehen also auf einer Stufe
mit Piatons Apologie ; aber während Piaton die Form einer Verteidigungs-
rede des angeklagten Sokrates wählte, spricht Xenophon in eigener Person,
indem er an die Anklagepunkte anknüpfend ein allgemeines Lebensbild
des weisen Lehrers entwirft. Die Treue des Bildes brachte es mit sich,
dass die Darstellung fast ganz in Gesprächen sich bewegt,^) da ja Sokrates
im Gegensatz zu den Sophisten gerade auf diese Weise seine Gedanken
mitzuteilen liebte. Gewiss waren auch damals schon manche sokratische
Gespräche ans Licht getreten und wollte Xenophon zum Teil aus eigener
Erinnerung, zum Teil nach Mitteilung Anderer weitere Beiträge zum
ehrenden Andenken des einzigen Mannes liefern. Wenn dabei öfters in
den Gesprächen über dieselbe Sache andere Personen bei ihm als bei
Bbckhaus, Ztschr. f. Gymn. 26, 225 flf. Nach
einem Citat bei Atii. 138 e erkannte Polemoa,
der berühmte Antiquar, die Schrift als xeno-
phontisch an. Vgl. Nitschb Jahrber. d. Ali.
V 1, 81 ff.
^) NiTSCHE Jahrber. d. Alt, V 1 25 ff. «--
klärt sich für die zweite Annahme und wider-
legt Sitzler, der die Echtheit auch dieser
Schrift bezweifeln wollte.
*) Ueber jene Schrift s, Isokrates Bus. 5
und Schol. Aristidis III 480 D. Das Ver-
hältnis der Memorabilien zu derselben ward
aufgedeckt von Cobet, Nov. lect 661 ffl und
gegen Bbeitbnbachs Einwände (Jahrb. für
Phil. 99, 301 ff. u. 115, 455 ff.) verteidigt von
Schenk L, Xenoph. Stud. H 1 ff .
*) Ein wichtiges Kapitel III 9 Aber die
Identität von Tugend und Wissen ist refe-
rierend gehalten.
mieden ist. Befremdend ist es auf der anderen
Seite, dass sich im Agesilaos Formen der
älteren Sprechweise wie enea&ai, afÄ(pi c.
acc, f46iü}y finden, wo in den Hellenicis, dem
jüngeren Attikismus entsprechend, dxoXov^eiy,
nsQi c. acc. iXdtrwy steht. Da müssen ent-
weder die Hellenika später umredigiert worden
sein, oder Xenophon sich bei der Heraus-
gabe des Agesilaos an das ältere Manuskript,
die erste Niederschrift, gehalten haben. Das
erstere ist das natürlichere und auch ange-
nommen von Rosenstiel, De Xen. historiae
parte bisedita, 1882; das letztere angenommen
von Fbiedrioh, Zu Xen. Hellenika und Age-
silaos, Jahrb. f. Phil. 1896 S. 298.
M Anstoss erregt die Angabe I 6, dass
Agesilaos als junger Mann (Irt yeog oiV) den
Thron bestiegen habe, während er thatsäch-
lich damals bereits 40 Jahre alt war. An
den Enkel des Xenophon denkt auch hier
2. Die Gdsohiohtsflchrdibiing. d) Xenophon.
f 246—247.)
353
PlatoD erscheinen, so hat das an und für sich nichts Auffälliges, da ja
Sokrates über die Vorbildung des Staatsmannes, über das Schöne, über
die Gottesfurcht u. a. mit vielen wird gesprochen haben. Eher können
die Ideen von der Zweckmässigkeit der Weltschöpfung, von der göttlichen
Vorsehung und der Gottähnlichkeit der Menschenseele in • I 4 und IV 3
befremden, da dieselben der Entwicklung der griechischen Philosophie
gewissermassen vorauszueilen scheinen. Im allgemeinen aber machen die
Denkwürdigkeiten unseres Xenophon den Eindruck grösserer Objektivität
und treuerer Wiedergabe der Wirklichkeit als die Dialoge Piatons. Es
liegt dieses schon darin, das Xenophon kein philosophischer Kopf war
nnd deshalb weniger in die Versuchung kam, eigene spekulative Ideen
den Gesprächen des Sokrates unterzulegen. Freilich hinderte ihn auf der
anderen Seite jener Mangel an philosophischer Anlage vielfach, nament-
lich in religiösen Dingen, den Kern der sokratischen Lehre zu erfassen,
80 dass er vielmehr seine eigenen beschränkten Ansichten in den Lehren
ies Sokrates wiederzufinden vermeinte. Den Mangel logischer Schulung
des Autors zeigt sich auch in der lockeren, planlosen Aneinanderreihung
der Gespräche, die neuere Gelehrten vergeblich durch Annahme von
Interpolationen zu verbessern suchten.^) Der Abfassungszeit nach gehören
die Denkwürdigkeiten zu den frühesten Schriften Xenophons. Nach dem
22. Briefe der Sokratiker wurden sie zu Megara geschrieben, womit aus-
gesprochen scheint, dass ihre Abfassung vor die Belehnung des Xenophon
mit Skillus fiel;^) jedenfalls sind sie vor dem Gastmahl, also vor 384 ab-
247. Der OUoi'Ojuixog ist eine Ergänzung zu den Denkwürdig-
keiten des Sokrates, wie der Verfasser selbst gleich im Eingang andeutet.
Die kleine, anziehende Schrift enthält ein Gespräch des Sokrates mit
Kritobulos und Ischomachos über die beste Führung des Hauswesens,
besonders in Bezug auf die Agrikultur, die er die Mutter und Nährerin aller
Künste nennt.') Cicero hat dieselbe ins Lateinische übersetzt.^) Der abrupte
Kngang r^xovaa id note, der an dem ähnlichen des Symposion sein Ana-
') Zellbb, Gesch. d. Phil. 11^ 1, 236 ff.
Sehr weit geht in der Ausscheidung von an-
geblich unechtem Kbohn, Sokrates und Xeno-
phon, 1875. EL LiRCKB, Sokrates und Xeno-
phon, in Jahrb. fOr kl. Phil. 1896 S. 749 be-
lekimet die Memorabiüen in der überlieferten
Fonn als ein Lehr- und Lesebuch gemein-
Bfttzigen Wissens, zusammengestellt von
einem litteraten, der viel unsokratisches und
HBxenophontisches neben wenigen echten Mit-
teilimgen des Xenophon aufgenommen habe.
Nicht so weit gehen F. Dümmleh, Academica,
1889; JoEL, Xenophons Verhältnis zur echten
Sokratik, 1890; Der echte und der xeno-
phootiache Sokrates 1893. Gilbest in seiner
Ausgabe nimmt 1 4 Zusätze eines Stoikers
«fi. Den Kotbehelf zweier Ausgaben —
iodere nehmen noch mehr solcher an —
▼erteidigt A. Croiset, Hist. de la litt. gr. IV
367 f. Das 4. Buch erweist als einen später
TOB Xenophon zugefügten Anhang Birt, De
Xenophontis commentariorum Socraticorum
compositione.
^) Die Glaubwürdigkeit des Briefes wird
abgewiesen von Bentlby, Epist. Phaler., in
Opusc. 54. In der Bemerkung aber die Be-
rechtigung der Mantik, Mem. I 1, 8 ovrs t<a
atQtttTfyixt^ dfjXoy ei avfifpegst argaxfjyBitf
kOhnte man eine RUckbeziehung auf die be-
kannte Erzählung in Anab. III I, 5 er-
blicken. Ed. Schwartz Rh. M. 44, 190 lässt
auch die Memorabilien und den Oikonomikos
in Korinth nach 369 verfasst sein.
') Zergliederung der Schrift von Vookl,
Die Oekonomik des Xenophon, Erlangen 1895,
Diss.
*) Vgl. Cic. de off. II 24, 87; Macrobius
III 20, 4. Sonderbarerweise soll die Ueber-
setzung Ciceros nach Servius zu Verg. Georg.
I 48 drei Bücher umfasst haben; s. Scbenkl,
Xen. Stud. III 5.
Hudbaeh der kla». AltertnniBwlaseuBchaft. VU. 3. Aufl.
23
354
Grieohiiiohe Litterfttiirgeaohiohte. . I. Kiasaiflohe Periode.
logon hat, veranlasste einige schon im Altertum, das Schriftchen als 5. Buch
der Denkwürdigkeiten auszugeben.^) Aber die Person des Sokrates ist
hier viel freier gezeichnet, indem Xenophon, ähnlich wie das Piaton in
seinen Dialogen zu thun liebte, seine eigenen Oedanken dem Sokrates
unterlegt.^) Erhebend ist der humanitäre Geist, der das Ganze durchzieht
und der sich namentlich in der humanen Sorge für die Enterbten der
alten Gesellschaft, die Diener und Sklaven, kundgibt.
Die ^AnoXoyia ^faxqccTovq TTQog Tovg Sixatrrdg enthält eine weitere
Ausführung des Schlusskapitels der Denkwürdigkeiten, wird aber so ein-
geleitet, als ob sie eine Ergänzung der Memorabilien bilden solle. Da sie
auch hinter der Kunst der übrigen Schriften Xenophons zurücksteht, so
halten sie namhafte Kritiker für untergeschoben.^)
Das 2vfjLn6<Tiov bildet gewissermassen ein Kehrblatt zu den Denk-
würdigkeiten, indem damit Xenophon den Sokrates nun auch in der hei-
teren Geselligkeit eines Mahles vorführen wollte.^) Das Mahl war von
dem reichen Kallias zu Ehren seines Lieblings Autolykos, der an den
Panathenäen einen Sieg im Pankration errungen hatte (422), gegeben
worden ; Sokrates, Antisthenes und einige andere waren als Gäste geladen.
Das Mahl wird so geschildert, wie derartige Gelage in reichen Häusern
gewesen sein mögen: neben dem philosophischen Tischgespräch und der
Rede des Sokrates über die Liebe nehmen der Spassmacher, die Tänze-
rinnen und die Lautenspielerinnen einen übermässig breiten Raum ein.
Nirgends zeigt sich der Abstand des Piaton und Xenophon stärker als bei
der Yergleichung der beiden Symposien : dort geniale Phantasie und Tiefe
der Spekulation, hier nüchterne Prosa und platte Alltäglichkeit. Dass wir
in ihnen Gegenstücke von Rivalen vor uns haben, ist unzweifelhaft; aber
ob zuerst Xenophon oder zuerst Piaton mit seinem Gastmahl hervorgetreten
sei, darüber sind die Meinungen der gewiegtesten Kenner geteilt. Aller--
dings scheint sich Xenophon, Conviv. 8, 32 mit etgrixe üavaaviaq auf
Piaton, Symp. 178 c zurückzubeziehen,^) und mit der Ablehnung eines tie-
feren Bedeutungsunterschiedes zwischen den Beinamen ovqavia und tvut^
Srjfiog "Afpqodixri Kritik an der Stelle des Piaton p. 180 D zu üben. Aber
auf der anderen Seite hätte sich doch Xenophon einer kaum glaublichen
Selbsttäuschung hingegeben, wenn er gemeint hätte, dem platomscben
Gastmahl mit dem seinigen Konkurrenz machen zu können.^)
Halle, Diss. 1873; Schabz in Ausgabe der plat.
Apologie 8. 85, der entschieden f&r die fküii^
heit eintritt. Vgl. Hog im Anhang zu Köchlt'b
Reden 1 430 ff. A. Croiset Hist de la litt. gr.
rV 365 nimmt seine Znflncht zur Hypotheaei
dass die Apologie ehedem auf eine vennatete
erste Ausgabe der Memorabilien folgt«.
*) Conviv. I 1: aXk* ifiol doxci rmtr
xaXwy xayadtSy «yßQcSv igya ov fiöt^o»^ ra
f46rd anovdfjs TtQatxofAeva «^Ico^Ki^^oVevr«
eipai €iXktt xal tä iv lais natdiatg,
*) Viel Gewicht lege ich nicht auf den
Irrtum, dass die angezogenen Worte bei
Piaton nicht Pausanias, wie Xenophon saft,
sondern Phaidros spricht.
*) Die Priorität des Xenophon behauptet
^) Galen, Comm. in Hippocr. de artic.
1 1: Ott t6 ßißXioy rovro Kay StjxgaTixtdy
diiofjiyfifioysvfiarwy iaxl lo la^axoy. Ebenso
Stob. Flor. 55, 19.
^) C. LiNCKB dachte deshalb an starke
Interpolationen durch den jüngeren Xeno-
phon, den Sohn des Gryllos, der nach Photios
oibL 260 Schüler des Isokrates war.
") Verworfen von Valckenaer zu Mem.
I 1, dem Enkel zugeschrieben von Beckhaus
a. 0., in das 2. Jahrb. v. Chr. verwiesen von
ScHENKL, Xen. Stud. II 146 f. Dass umge-
kehrt der Schluss der MemorabiUen aus der
Apologie genommen sei, suchen nachzuweisen
Geel, De Xcn. apologia, Leiden 1836, und
R. Lange, De Xen. quae dicitur apologia,
2. Die Oesohichtssohreibnng. d) Zenophon. (§ 248.)
248. Von den übrigen kleineren Schriften Xenophons gehören mehrere
dem Zwischengebiet von Geschichte und Politik an:
Die Aaxsdai^iorimv nokiteta ist im Geiste der Kyropädie und zur
Empfehlung des spartanischen Königtums geschrieben. Sie sucht den Grund
der Macht und des Ansehens des kleinen Staates in der Verfassung des
Lykurg, gibt aber zugleich im Epilog (c. 14—15) zu, dass die Gesetze des
Lykurg nicht mehr in voller Kraft bestehen, und dass nur die Stellung
der Könige die gleiche geblieben sei. Auf die Abfassungszeit im Beginn
des neuen athenischen Seebundes (378) führt die Bemerkung 14, 6, dass
früher die Hellenen Spartas Führerschaft sich erbeten hätten, jetzt aber
zu einander Gesandtschaften schickten, uro eine neue Herrschaft Spartas
zu verhindern.!) Nach Diogenes H 57 hat Demetrios Magnes diese und
die folgende Schrift für unecht erklärt; diese Bemerkung scheint sich aber
in der Vorlage des Diogenes lediglich auf den Staat der Athener bezogen
zu haben. Nur das letzte Kapitel von den Königen Spartas sieht wie ein
ursprünglich nicht zur Sache gehöriges Anhängsel aus. Polybios aber,
wenn er VI 45 den Xenophon von der Verwandtschaft der kretischen Ver-
fassung mit der spartanischen reden lässt, scheint keinen vollständigeren
Text unserer Schrift vor Augen gehabt, sondern nur ungenau referiert zu
haben.*) Die Schrift in ihrer heutigen Gestalt war eine Hauptquelle Flu-
tarchs im Leben Lykurgs und in den Lakedämonischen Einrichtungen.
Die ^Ax^rjvaiojv nokiTsia ist ein Seitenstück zum Staat der Lake-
dämonier, ist aber viel älter, wahrscheinlich das älteste Denkmal attischer
Prosa, und von einem ganz anderen Geiste durchweht. Die Abfassung
derselben wird von Kirchhoflf*) mit Wahrscheinlichkeit in das Jahr 424
gesetzt, fiel sicher vor 413 oder vor die Auflösung der athenischen See-
herrschaft. Ihr Verfasser ist im Grunde des Herzens ein Feind der Demo-
kratie, zeigt aber vom Standpunkt eines Realpolitikers, wie der Staat der
Athener, nachdem nun einmal die Demokratie zu Recht bestehe, regiert
werden müsse und in der Hauptsache auch wirklich regiert werde. Im
Ton und in einzelnen Wendungen erinnert die Schrift stark an die sokra-
tischen Gespräche, weshalb Cobet geradezu annahm, dass sie ursprünglich
von BöcKH, De simnltate qnae inter Platonem
et Xenophontem intercessisse ferior, Berl.
1811 = Kl. Sehr. IV, 5 ff., und von Hug,
Phüol. 7, 638 ff. und in Ausg. von Plat. Sym-
p08.; die umgekehrte Meinung vertreten von
K. Fb. Hermann, Num Plato an Xenophon
convivium suom prius scripserit, 1835 u. 1841,
neuerdings mit sprachlichen Gründen von
ScBANz, Herrn. 21, 458. Vgl. Schenkl, Xen.
Stud. II 46; HiKZEL, Der Dialog I 156.
M Diese Ahfassongszeit ist auf den Epüog
beschrftnkt und das flbrige in 387 — 5 gesetzt
von Naumann, De Xenophontis libro qui
Aax(daifioyi(ay noXtteia inscribitnr, Berlin
1876.
'^) Auf einen Auszug schUesst aus jener
Stelle CoBST, Nov. lect. 707. Aristot. Polit.
VII 14, p. 1333 b, 18 nennt unter denjenigen,
welche über den Staat der Lakedämonier
geschrieben haben, nur den Thimbron mit
Namen, vielleicht aber hat er polit. IV 1,
p. 1288 b 41 unsere Schrift im Auge gehabt.
Neuerdings verteidigte die von Heyne, Leh-
mann u. a. bezweifelte Echtheit Naumann a.
0. und Erler, Quaestiones de Xenophontis
Ubro de rep. Lacedaem., Lipsiae 1874«
») EiRCHHOFF, lieber die Schrift vom
Staat der Athener, Abhdl. d. Berl. Ak. 1878.
M. Schmidt, Memoire eines Oligarchen in
Athen über die Staatsmazimen des Demos,
Jena 1876, setzt die Schrift in 430/29,
Müller-Stkübino, Die attische Schrift vom
Staat der Athener, Philol. Suppl. IV 1 ff. in
417—414, und so im wesentlichen auch
Bbkgk, Gr. Litt. IV 238 Anm. 7. Es handelt
sich bei der Kontroverse wesentlich darum,
ob II 5 auf den Zug des Brasidas nach Thra-
kien Rücksicht genommen ist.
23*
356
Qrieobiflohe Litteratargeschiohte. I. EUsaisohe Periode.
die Form eines Dialoges gehabt habe.^) Leider ist dieselbe in sehr zer-
rüttetem Zustand auf uns gekommen.^) Der eigentliche Verfasser ist schwer
mehr zu eruieren ; Böckh ^) hat an den Aristokraten Kritias, Müller-Strübing
an Phrynichos gedacht.
Jl(0oi 7] Ttegi nqoaodoüv ist der Titel einer interessanten Schrift,
der wir mannigfache Belehrung über das athenische Finanzwesen, insbe-
sondere über die Einkünfte aus den Silberbergwerken von Laurion ver-
danken; sie ist eine Oelegenheitsschrift, in der Xenophon Mittel angibt,
wie den schlechten Finanzen der Stadt aufgeholfen werden könne^ Die
Zeitverhältnisse, aus denen die Vorschläge erwachsen sind, führen nach
Cobets Auffassung (Nov. lect. 756 flf.) auf das Jahr 355, oder die Zeit un-
mittelbar nach Beilegung des Bundesgenossenkrieges. Andere^) gehen,
anknüpfend an 5, 9, wo von der versuchten Verdrängung der Phoker aus
der Vorstandschaft des delphischen Orakels die Rede ist, bis auf 346
herab. Wäre die letztere Meinung richtig, was aber Friedrich Jahrb. f.
Phil. 1896 S. 695 flf. mit guten Gründen bestreitet, dann wäre nicht Xeno-
phon, der damals bereits tot war, der Verfasser der Schrift, sondern irgend
ein Parteigänger der Friedenspolitik des Eubulos.^)
349. Aus den speziellen Liebhabereien des Xenophon sind noch
einige andere kleinere Schriften hervorgegangen:
Der ^Innaqxixog seil, i^oyog^ geschrieben für einen Reiterführer,
gibt fromme und sachgemässe Anweisungen zur Verbesserung der atheni-
schen Reiterei. Der Hinweis auf die mit den Athenern verbundenen Lake-
dämonier (9, 4) und auf den drohenden Einfall der Böotier (7, 3) führt
auf die Zeit kurz vor der Schlacht bei Mantinea.
IIsqI Innix^g ist nach dem Hipparchikos, der am Schluss (12, 14)
citiert wird, geschrieben. Wie jene Schrift für einen Reiterobersten be-
stimmt war, so diese für einen gemeinen Kavalleristen {ISicittj tnnet); sie
gibt praktische Ratschläge für Ankauf und Schulung des Pferdes, sowie
für Ausrüstung des Reiters. Aus 1, 3 und 11, 6 ersehen wir, dass schon
vor Xenophon ein gewisser Simon über denselben Gegenstand geschrieben
hatte; aus des letzteren Schrift wird das in den Geoponika 19, 5 unter
dem falschen Namen des Xenophon angeführte Kapitel stammen.
*) Die Hypothese von Cobet ist aufge-
nommen von Wachsmuth, De Xenophontis
qui fertur libello 'A^'frjt'. noXir., GOttingen
1874. — Belehrend ist zum Vergleich die
politische Diskussion^ welche Thukydides 5,
ö5 — 113 zwischen den Meliern und den Ab-
gesandten der Athener geführt werden Iftsst.
*) Rettig, Ueber die Schrift vom Staate
der Athener, Zeitsch. für Osterr. Gymn. 1877
8.241 ff.; L. Lange, De pristina libelli de
rep. Atheniensium forma restitnenda, Leipz.
1882, u. Leipz. Stud. V 395 ff.; Kalinka, Pro-
legomena zu einer neuen Ausgabe der pseudo-
xenophontischen 'JBrjyaiojy Ttohieia, Wiener
Studien XVIII 27—83.
*) BöcKB, Staatshaushaltung der Athener
r^ 432, indem er sich auf ein Citat des
Kritias bei Poll. VIII 25 = Rep. Ath. 3, 6
stützt. Für Kritias tiitt wieder ein Conr.
Müller, Zittau 1891, Progr. Ueber die ganze
Schrift in ihrer Stellung zur Zeit handelt R.
Scholl, Ueber die Anfftnge einer politischen
Litteratur bei den Griechen, akad. Rede,
München 1890 S. 14 ff.
*) Haobn, Eos II (1866) 149; Holzapf£i^
Philol. 40ll882)242ff.
') Onken, Isokrates und Athen S. 96
hat die Schrift für unecht erklärt. Die
Echtheit verteidigt der verdiente Heraaa-
geber der Schrift Zurbobg, De Xenophoniia
Ubello qui Ilo^oi inscribitnr, Berlin 1874;
ebenso Madvio, Adv. crit. I 364, der das chro>
nologisch anstössige ineiguiyTo 5, 9 in ftei'^
q<ayio bessert.
2. Die Gesohiohtuohreibang. e) OMohiohtswerke. (§§ 249—250.)
357
Der Kvvr]y€Tix6g enthält das Lob der Jägerei und viele praktische
Anweisungen für die Abrichtung der Jagdhunde. Sehr hübsch wird gegen
Schluss das Waidwerk als Vorschule des Kriegsdienstes gepriesen und der
Wortklauberei der Sophistik entgegengesetzt. Das Werk wird von dem
Grammatiker Tryphon bei Athen. 400 a als xenophontisch anerkannt,
weicht aber im Stil und hyperbolischen Ausdruck stark von der Schlicht-
heit des Xenophon ab, so dass man es wohl, da es auch für den jungen
Xenophon nicht passen will, zu den untergeschobenen Schriften zählen
muss.^)
Angehängt endlich sind den Werken des Xenophon 7 Briefe, deren
ünechtheit schon Bentley, Opusc. 54, erwiesen hat.
Scholien sind zn Xen. so gut wie keine erbalten, da die von Dindorf veröffentlichten
das wegwerfende Urteil von Cobet Nov. lect. 546 verdienen.
Die handschriftliche Ueberlieferung ist zu den einzelnen Büchern verschieden, durch-
weg aber haben wir nur verh<nismftssig junge Codd.; die besten sind: zur Anabasis und
Kyropädie Paris. 1640 (C) vom Jahre 1320, der aber auf einen Cod. s. IX zurückgeht (Huo,
De Xen. anab. cod. C, Turici 1878); zur Kyropftdie Marc. 511 s. XII, Paris. 1685 (A); zu
Hellen. Paris. 1738 (B), Ambros. A 4 v. J. 1844 (M), Paris. 1642 (D); zu Memorab. Paris.
1302 s. Xni (enthftlt nur Buch I u. II) u. 1740. Kritischer Apparat in den Oxforder Aus-
gaben DiNDOBFS 1858. 1857. 1862; bereichert in der Ausgabe von Schknkl, Berl., dazu Mit-
teilungen aber die benutzten Codd. in Xen. Stud., 3 Hefte.
Gesamtausgabe von J. G. Schvbider, Lips. 1790 — 1815, 6 vol. (einzelne Bände neu
bearbeitet von Bobhemann); rec. et comment. insi^. EChner, Brbiteivbacb, Gotha 1828, 4 vol.;
ed. G. Saüppb, lips. 1867 — 1870, 5 vol. — Kritische Einzelausgaben auf Grund von
handschr. Apparat: Expeditio C^ und Institutio C^ rec. Hug, Lips. 1878 mit Facsimile
des cod. Paris. 1640; Xenophontis Hellenica rec. 0. Ejblleb ed. mai. Lips. 1890; Gommentaril
Socratis rec. Gilbert ed. mai. Lips. 1888; De reditibus libellus, rec. Zurbobg, Berl. 1876;
Xenophontis qui fertur libellus de republica Atheniensium, rec. Kircbhoff, Berl. 1874; Oeco-
nomicus ed. Holden, London 1895. — Textkritische Ausgaben auf grund der Spi-achgesetze von
Cobbt Anabas. LB. (1859) 1881, Hellen. Amst. (1862) 1880. — Einzelausgaben mit erklärenden
Anmerkungen: Anabasis von Krüger, 6. Aufl. 1871; von Yollbrecht bei Teubner, von
Rehdahtz-Garnuth bei Weidmann; Kyropaedie von Breitenbach bei Teubner, von Hertlein-
NiTSCHE bei Weidmann; Hellenika von Breitenba oh bei Weidmann, von BGchbensobCtz
bei Teubner, von Zurbobg und Gbosser bei Perthes, von E. Kurz, München 1874 (dazu
Progr. des Ludw.Gymn. 1875); Memor. mit Anm. von Kühner bei Teubner, von Brbiten-
bach bei Weidmann. — Lexicon Xenophonteum von Stubz 1801 — 4; Lexilogus Xenophonteus
von G. Sauppb, Lips. 1868.
e) Die kleineren und verlorenen Geschichtswerke.
260. Antiochos von Syrakus, den man noch den Logographen zu-
zählen könnte, war Verfasser einer lixehonig avyyQagrtj in ionischem Dia-
lekt, welche mit dem König Eokalos begann und bis auf das Jahr 424
oder den Frieden von Gela herabgefiihrt war. Dieselbe, noch von Thuky-
dides benutzt,*) ward später durch die berühmteren Werke des Philistos
und Timaios in Schatten gestellt und war schon zu Strabons Zeit ver-
schollen. Länger erhielt sich sein Buch 'IraXiag olxKTfiog, von dem uns
durch Dionysios von Halikamass, Strabon und Stephanos von Byzanz noch
manche Angaben erhalten sind.')
') Ffir eine Jugendschrift sprachen sich
aus Cobet, Nov. lect. 774, und Roquette
a. 0. AufßOiig ist der dem Xenophon sonst
fremde Gebrauch des Lifinitiv absolutus in
dem Sinn eines Imperativs. Sittl, 6r. Litt.
II 462 findet Anzeichen späteren Ursprungs
auch in der Form der Aeneassage 1 15. Die
ünechtheit fiberzeugend begrfindet von Rader-
MAGHER, üeber den Cynegeticus des Xylophon.
Rh. M. LI 596—629. LH 13—41; Lwcke,
Xenophons Eynegetikos, in Jahrb. f. klass,
Phil. 1896 S. 209—217. Bas Prooemium als
Produkt der zweiten Sophistik ausgegeben
von Norden, Die ant. Kunstprosa 432.
«) S. oben § 237.
») Fragmente in Müller FHG I 181-4.
358
Qrieohiflche Idtteratargesohiohte. I. KlMsisol^e Periode.
251. Etesias von Enidos aus dem Geschlecht der dortigen Asklepiaden
war um 415 in die Kriegsgefangenschaft der Perser geraten und ver-
brachte, von den Königen wegen seiner ärztlichen Kunst hoch geehrt,
17 Jahre in Persien. 0 In der Schlacht von Kunaxa befand er sich im
Gefolge des Artaxerxes und heilte den König von der ihm durch Kyros
beigebrachten Wunde. ^) Später ward er vom König zu diplomatischen
Sendungen an Euagoras und Konon verwendet, wobei er um 398 wieder
nach seiner Heimat kam, um nicht mehr nach Persien zurückzukehren.')
Die reichen Kenntnisse, die er sich vom Orient an Ort und Stelle durch
den Verkehr mit dem persischen Hof und durch das Studium der ein-
heimischen Geschichtsbücher*) erworben hatte, legte er in seinen n^qa^xa^
einem umfangreichen, in ionischem Dialekt geschriebenen Werk von 23 B.
nieder. Dem Patriarchen Photios Cod. 72 verdanken wir einen Auszug
aus demselben.^) Danach behandelten die 6 ersten Bücher die assyrische
und medische Geschichte, und gingen die folgenden Bücher bis auf das
Jahr 398 herab. In der Erzählung hofmeisterte Ktesias mit Vorliebe den
Herodot, indem er denselben nicht bloss vielfach berichtigte, sondern ge-
radezu als Lügner hinstellte, aber er selbst gab sich oft nur den Schein,
besseres Wissen aus einheimischen alten Pergamenten geschöpft za
haben, um mit diesem Mäntelchen seine eigenen Aufschneidereien zu
verkleiden.«) Ein zweites Werk 'IrSixd gab im 1 Buch die ersten Nach-
richten von dem Wunderland Indien, besonders von seiner Tier- und
Pflanzenwelt. Auch von ihm hat uns Photios a. 0. einen Auszug er-
halten. Ausserdem wird von Ktesias ein geographisches Werk IIbqitwXqv^
oder neqiodoq erwähnt.^)
252. Aineias, der Taktiker, lebte zu gleicher Zeit mit Xenophon
und berührte sich mit ihm durch die gleiche Vorliebe für die praktische
Beschäftigung eines Kriegsmannes. Derselbe ist vielleicht, wie bereits
Casaubonus vermutete, identisch mit dem von Xenophon Hell. VH 3, 1 er-
wähnten Stymphalier Aineias.^) Die von ihm erhaltene Schrift TaTtrixiv
vTtofivtjfia nsQl zov n(ag XQV ^ohoQxovfisvovg avzäxHv ist nur ein AbschDitt
WöLFFLiN, Antiochos von Syrakus und Goe-
lins Antipater 1872.
M Diodor U 32.
') Xenoph. Anab. I 8, 26.
>) Photios Bibl. p. 44b nach Ktesiafl
selbst.
4) Das waren die ßaatXixal ^Kp&agai des
Diodor II 32.
'^j Pamphila unter Nero verfasste nach
Suidas eine Epitome in 3 B. Ausser durch
Photios, der auf seine Gesandtschaffcsreise
nach Persien den Etesias als ReiselektOre
mitzunehmen besonderen Anlass hatte, ist
durch die ersten Bücher des Diodor und
Plutarchs Leben des Artaxerxes manches
von Ktesias auf die Nachwelt gekommen.
*) Vielfach geben dem Herodot die Mo-
numente recht; s. Hauo, Die Quellen Plu-
tarchs S. 88 f. Scharfer Tadel des Ktesias
schon bei den Alten, wie Plut. vit. Artax. 6.
Die Schwindeleien des Ktesias in der ftlteren
Geschichte weist nach J. Mab<)uart, die As-
syriaka des Ktesias, Philol. Suppl. VI 501
bis 658.
^) Fragmente gesammelt von C. M&ixb&
im Anhang der Didot^schen Herodotaua^be
1858. Dazu kommen aber die Stellen, in
denen Ktesias bloss benutzt, nicht citiert
ist, wie namentlich in Diodor IT 1— 34 mad
in Plutarchs Leben des Artaxerxes, worfiber
Waghsmutb Einl. 367 f. — Sfir. Lakbrob
'laro^ixä (jisXexrjfJLaja p. 61 — 68 teilt drei
neue BmchstQcke der Indika des Ktesias
mit. — Krumbholz, Zu den Assjriaka des
Ktesias, Rh. M. 52 (1897) 237—285.
^) lieber diese neuerdings lebhaft be-
handelte Kontroverse s. A. C. Lange, De
Aeneae commentario poliorcetico, Berlin 1879
und Gassei Progr. 1883; SoBsinu., Jahrber
d. Alt. Xn 1, 261 ff.
2. Die GMohiohtssohreibiing. e) Oesohiohtswerke. (§§ 251—253.) 359
eines grösseren, vod Polybios X 44 unter dem Titel Td ttsqI twv atga-
trjr^fittxixmv vT^oftirt^fiaTa aufgeführten Werkes. Die Regeln der Taktik,
die eine noch sehr niedere Stufe des erst unter den Diadochen ausgebil-
deten Geniewesens erkennen lassen, werden durch zahlreiche Beispiele
erläutert, und diese geben dem Buche den Hauptwert. Nach ihnen lässt
sich auch die Abfassungszeit desselben dahin bestimmen, dass es in den
nfichsten Jahren nach 360 entstanden ist.^) Der Stil ist hart und dunkel,
welche Fehler indes teilweise der schlechten Überlieferung des Textes zu
Last fallen mögen. Später machte Kineas, der Feldherr des Königs
P^rrhos, von dem Werke einen Auszug, dessen Arrian, Takt. I 2 Erwäh-
nung thut.
Die üeberlieferong beruht auf Cod. Laurent. 55, 4. Ausgabe mit Polybios von Ca-
8AUBOHU8, Par. 1609; neuere kritische Bearbeitung von Herghbb, Berlin. 1870; von Hüo,
Ups. 1874.
853. Philistos aus Syrakus,*) der berühmte sikilische Historiker,
war schon herangewachsen, als der spartanische Feldherr Gylippos die Ver-
teidigung von Syrakus gegen die Athener leitete;') später spielte er als
Parteiganger und Feldherr der beiden Dionysii eine hervorragende Rolle
in seiner Heimat. In den Kämpfen des Dion gegen den jüngeren Dionysios
kam er 356 um, sei es dass er sich nach seiner Niederlage zur See selber
entleibte, wie Ephoros und Diodor lY 16 erzählen, sei es dass er gefangen
genommen und von den wütenden Gegnern unter schmählichen Insulten
oms Leben gebracht wurde, wie ein Augenzeuge bei Plutarch im Leben
des Dion c. 35 berichtet. Sein Geschichtswerk, Sixekixd betitelt, begann
er in der Müsse der Verbannung, als er von dem älteren Dionysios infolge
von Zerwürfnissen aus Syrakus verwiesen worden war (386). Der erste
Teil {ffvvTa^tg) in 7 B. behandelte die ältere Geschichte Sikiliens bis zur
Thronbesteigung des ersten Dionysios (406); im zweiten Teil gab er zu-
nächst in 4 B. eine Geschichte des älteren Dionysios; dieser liess er dann
später noch die Geschichte des jüngeren Dionysios von 367 — 363 in 2 B.
nachfolgen.*) Cicero^) nennt den Philistos pusülum Thucydidem ;^) mit
seinem grossen Vorbild teilte er die gedrungene, jede Digression vermei-
dende Darstellung, die aus eigener Erfahrung entsprungene Sachkenntnis
and die Belebung der Erzählung durch eingelegte Beden; aber er stand
ibm weit nach an mannhaftem Freiheitssinn; Dionysios in dem Brief an
Pompejus c. 5 wirft ihm die niedrige Gesinnung eines Tyrannenschmeich-
lerH vor. Im Stil und in der rhetorischen Technik hatte er sich an seinem
Lehrer Euenos aus Faros gebildet. Als Quellen benutzte er für die ältere
'j Ho«, AeneaB von StymphaloSi Zflrich
1877 nmunt d. J. 359 — 8, Gütschmid, Lii
Ceoinlblatt 1880 N. 18 d. J. 357—5 an.
E Saüpps» Alisgew. Schrift p. 631: nicht
for 360 und bald nach 346.
') Zwei konfuBe Artikel des Snidas;
Kl^sBSB, De Philisto rerom Sicolanun scrip-
tore. Bresl. 1874; ROhl, Jahrb. f. Phil. 1886
^ 128 f.
•) Phit Nie. 19.
*) Diodor 13, 108 n. 15, 89; Dionys. ep.
ad Pomp. 5. Snidaa Iftsst das Werk aas 11 B.
bestehen, indem er die spätere Fortsetzung
nicht berflcksichtigt.
») ac. ad Quint. fr. II 11, 4; vergl.
Brut. 17, 66; de or. 11 13, 57; Quint. X
1, 74.
") Aehnlich Dionysius, Gens. vet. Script.
3, 2. In der Kunst durch passende Ver-
bindung auch gewöhnlichen Wörtern Glanz
zu geben vergleicht Longin de subl. 40 den
PhüistoB mit Aristophanes und Euripides.
360
Orieohische LitteratnrgMohiohte. I. SlaMisohe Periode.
Zeit auch karthagische Nachrichten. 0 Die Fragmente gesammelt bei
MüUer FHG I 185-192; IV 369 f.
Eine Fortsetzung des Philistos lieferte Athanas (v. 1. Athanis, ob
aus AO^avTjqV)^ der die Geschichte des jüngeren Dionysios zu Ende fährte
und daran die des Dion und Timoleon (362 — 337) reihte.
254. Die grossen Historiker der älteren Zeit hatten sich durch
praktische Thätigkeit im Staats- und Kriegsdienst ihre Berechtigung
zur Geschichtsschreibung erworben. Gegen Ende unserer Periode begann
die Übung in der Redekunst für eine bessere Vorschule gehalten zu werden
als die Teilnahme am öffentlichen Leben: statt Staatsmänner treten nun-
mehr Rhetoren als Geschichtsschreiber auf. Das hat die griechische Historie
in falsche Bahnen geleitet. Die ganze Rhetorik hatte es nicht auf Wahr-
heit, sondern auf blendenden Schein abgesehen, und so konnte es nicht
fehlen, dass auch in der Geschichtsschreibung unter dem Streben nach
schönen Phrasen und geistreichen Wendungen die Sorgfalt in der Er-
forschung der Thatsachen und die Unbestechlichkeit des Urteils litten. Die
beiden Hauptvertreter dieser rhetorisierenden Geschichtsschreibung waren
Ephoros und Theopompos.*)
255. Ephoros aus Kyme^) im äolischen Kleinasien war nicht bloss
aus der Schule des Isokrates, in der er den Curs zweimal durchmachte,*)
hervorgegangen, sondern hatte auch von seinem Lehrer in der Beredsam-
keit das Thema zu seinem Geschichtswerk erhalten.*) Denn in der eigent-
lichen Redekunst scheint er es nicht sehr weit gebracht zu haben; auch
wird von ihm nur eine einzige rhetorische Schrift, nsQl ke^ttog^ und diese
nur gelegentlich einmal vom Rhetor Theon (Rhet. gr. II 71 Sp.) angeführt.
Sein historisches Werk in 30 B. war die erste Universalgeschichte der
Griechen (iatogia xonwv nQd^ewv);^) sie begann mit der Rückkehr der
Herakliden als dem ersten beglaubigten Ereignis und ging herab bis auf
die Belagerung von Perinth (340). Dass gerade hiemit das Werk schloss,
daran scheint der Tod des Autors schuld gewesen zu sein. Denn jenes
Ereignis bezeichnet keinen einschneidenden Abschnitt in der Geschichte,
und Ephoros selbst hatte die ganze Regierung des Philipp und auch noch
den Zug des Alexander gegen das Perserreich miterlebt. Auch besorgte
nicht er, sondern sein Sohn Demophilos die Herausgabe des Gesamt-
werkes, indem er zugleich im letzten Buch die Erzählung des heiligen
Krieges zu Ende führte. 7) Das vielgerühmte«) Werk war so angelegt.
*) Meltzkb, Gesch. der Earthftger I
125, 134; GuTSOHMiD Kl. Sehr. II 89 ff.
«) Cicero de orat. 11 18. 57 u. III 9.
86: ex clarissima rhetaris Isocratis officina
duo praestantes ingenio, Theopompus et
EphomSf ab Isoer ate magistro impulsi se
ad historiam eofttulerunt; dicehat hocraies
se calearibus in Ephoro, contra autem in
Theopompo frenis uti solere. Suidas u.
''FApoQog: 'laoxQatijs rov (ä^v etpti /aAti'ot;
*) Artikel bei Suidas. Marx, Ephori
Gnmaei fragm., Karlsruhe 1815; Klügmann,
De Ephoro hiatorico graeco, Gott. 1860;
Wachsmuth, Einl. 498 ff.; Bödingbr, die
Universalhistorie im Altertom 82 ff.
^) Deshalb scherzweise ditpogo^ genannt
von Ps. Plut. vit dec. orat p. 837 e.
*) Ps. Plut. a. 0.: x«i xtj¥ vnö^e^n»'
rijff j^QBtag avTog vnB9rjxaio.
") Dieses rühmend anerkannt von Polyb.
V 83 : "EfpoQoy toy ngtÜroy xal fioyoy äntße-
ßXijfds'yoy Tii xa&oXov yQ€iq>€iy.
^) Diodor XVI 14; vgl. Atii. 232 d.
8) Polyb. VI 45; XII 28. loBeph. c. Ap.
I 12.
2. Die Gesohichtflflchreibimg. e) Oeschichtswerke.
I 254-256.)
361
das8 jedes Buch mit einem eigenen Prodmium anfing und einen in sich
abgerundeten Stoff behandelte.^) Neben den geschichtlichen Ereignissen
war der Geographie, zum Teil in Verbindung mit den Städtegründungen
eine besondere Aufmerksamkeit zugewandt;*) das 4. Buch hatte von seinem
geographischen Inhalt den Titel Eigcinrj; Pseudoskymnos bekennt, seine
DarsteDung von Hellas dem Ephoros entlehnt zu haben. In der Sammlung
des Stoffes war Ephoros, da der weitaus grösste Teil seines Werkes jen-
seits seiner eigenen Beobachtungen und Erinnerungen lag, auf die Benutzung
der älteren Geschichtswerke angewiesen. Aus Herodot namentlich hat er
ganze Partien, wie man aus Diodor entnehmen kann, fast wörtlich her-
übergenommen. >) In der Benutzung seiner Quellen, ist ihm Urteil und
Wahrheitsliebe nicht ganz abzusprechen ; zu rühmen ist es besonders, dass
er die genealogischen Fiktionen des Hellanikos scharf zurückwies^) und
die ganze mythische Zeit aus dem Bereiche der Geschichte ausschloss.
Aber die guten Vorsätze haben nicht immer vorgehalten, indem er z. B.,
wie Strabon p. 422 tadelnd hervorhebt, die Mythen über den Kampf des
delphischen Apoll mit dem Drachen wie historische Thatsachen gläubig
nacherzählte und nur anders zu deuten suchte. Ausserdem mangelten
ihm die praktischen Kenntnisse eines Militärs, um die kriegerischen Opera-
tionen richtig darzustellen; ein guter Kenner, Polybios XII 25, bezeichnet
seine Darstellung der Schlachten von Leuktra und Mantinea als geradezu
lächerlich, während er ihm die Anerkennung einer sachkundigeren Be-
schreibung der Seeschlachten lässt. Der Stil unseres Autors trug etwas
von der Mattigkeit der Schulrhetorik an sich;^) gleichwohl ward er gern
und viel gelesen: an sein Werk knüpften die Historiker der Diadochenzeit
an, Diodor nahm es sich zum Muster und plünderte es nach seiner Art,
andere machten Auszüge aus demselben. Zu den letzteren scheinen die
nnter seinem Namen von Suidas aufgezählten Bücher IJsqI dya&wv xal
jtmuav und naQadiß^on' tmv ixaacaxov ßißXia it zu gehören. Ob die zwei
Bücher Erfindungen {evQrnidxoyv ßißXia ß) auch aus den Historien aus-
gezogen waren oder ein selbständiges Werk für sich bildeten, lässt sich
schwerer entscheiden. Fragmente bei Müller FHG I 234-277; IV 641 f.
256. Theopomp,«) Sohn des Damasistratos aus Chios, geboren um
380, kam, aus seiner Heimat vertrieben, mit seinem Vater nach dem gast-
Kchen Athen, von wo er erst im 45. Lebensjahre durch Vermittlung Ale-
xanders nach Chios zurückkehren durfte. Nach Alexanders Tod von neuem
in die Fremde gestossen, ist er viel herumgereist und kam unter anderem
») Diodor V 1 u. XVI 76; es sind da-
W auch gewiss einzelne Bflcher längst vor
Abedünss des Gesamtwerkes herausgegeben
worden.
*) Daher besonders geschätzt von dem
Geographen Strabon VH p. 302, VI 11 p. 822,
IX p. 422.
') Bauer, Benützung Herodots durch
I^oroe bei Diodor, Jahrb. f. Phil. Suppl. X
279~.342. Lysimachos^ hatte nach Enseb.
fnep. ev. X 8 ne^i *Eg>6^ov xXonrjg ge-
Bchnd^en.
^) los. c. Ap. I 8: "EfpoQog 'EAAaV/xoy
iy roh nXsiajoig ^evdofAsyoy im^slxivaty.
*j Dio Chrys. or. 18 p. 479 R; Suidas
u. ^EtpOQog xttl ßeon 0/471 og' rijy Si ^Qfifjyeiay
irjg laroQiag vnriog xai ytof^gog xai firjSefJiidy
e/tar in ix na ly,
•) Artikel des Suidas; Phot. cod. 176;
Pflugk, De Theopompi Chii vita et scriptis,
Berl. 1827, wozu berichtigend Meibr, Opusc.
II 284 ff. ; Dblltos, zur Kritik des Geschichts-
schreibers Theopomp, Jen. Diss. 1880; Hirzbl
Rh. M. 47 (1892), 359 ff.
362
Orieohisohe LitteraturgeBohichte. I. Elaasuiche Periode.
auch nach Ägypten zum König Ptolemaios. Wahrscheinlich ist er in der
Fremde auch gestorben. In jüngeren Jahren verfolgte er die Richtung
seines Lehrers Isokrates und trat in verschiedenen Städten mit Erfolg als
epideiktischer Redner auf. Insbesondere erhielt er in einem Panegyricus
auf den König Mausollos von Karien den Siegespreis. ^) Seine beiden grossen
historischen Werke waren die Hellenika in 12 B., welche, an Thukydides
anknüpfend, die Geschichte von 410—394 oder bis zur Schlacht von Knidos
behandelten, und die Philippika in 58 B., welche die Regierung des Königs
Philippos von Makedonien zum Mittelpunkt hatten, aber in zahlreichen
und ausgedehnten Digressionen die ganze Zeitgeschichte umfassten; so
enthielten dieselben 3 Bücher sikilische Geschichte (Diod. 16, 71), eine
Musterung der Demagogen Athens, einen Abschnitt wunderbarer Geschichten
(im 10. B.), einen Exkurs über die aus Delphi geraubten Schätze. Die
Philippika wurden später vom König Philippos III unter Weglassung des
Fremdartigen in einen Auszug von 16 B. gebracht. Ausserdem verfasste
Theopomp oder ein anderer unter seinem Namen ^) eine Epitome des Herodot
in 2 B. Die 3 Werke scheinen dann später, ähnlich wie die Annalen und
Historien des Tacitus, zu einem Gesamtwerk von 72 B. vereinigt worden
zu sein.') Untergeschoben aus Bosheit wurde unserem Historiker von dem
Rhetor Anaximenes die Schmähschrift TQixccQavog^ worin alles Unheil
Griechenlands auf die Häupter der 3 Städte Athen, Sparta, Theben geladen
war.*^) Uns sind nur Fragmente und Auszüge erhalten; von der lateini-
schen Bearbeitung der Historiae Philippicae durch Trogus Pompeius ist
selbst hinwiederum nur die Epitome des Justinus auf uns gekommen. Wir
sind daher auch in der Charakterisierung des Theopomp wesentlich auf die
Urteile der Alten angewiesen. Die gehen aber stark auseinander: Dio-
nysios im Brief an Pompeius c. 6 rühmt an ihm die reine Diktion und
markige, an Demosthenes anstreifende Kraft der Darstellung, besonders
aber das Eindringen in die geheimen Motive der Handelnden. Polybios
hingegen findet an ihm viel zu tadeln, namentlich seine von Schmähsucht
getriebene Parteilichkeit in der Schilderung des Königs Philipp und seiner
Genossen und den Mangel an militärischen Kenntnissen in seinen Schlachten-
berichten. ^) Die damit in Verbindung stehenden langen Reden mitten in
den Schlachten veranlassten Plutarch, reip. ger. praec. 6, auf ihn den Vers
des Euripides anzuwenden, ovSeig aiSi^Qov Tavza fjtcjQaivei näXaq. Mochte
übrigens auch Theopomp den Namen maledicentissimus scriptor «) verdienen
und in seinen Darstellungen mehr den gewandten Rhetor als den erfahrenen
Politiker verraten, einer der bedeutendsten Historiker Griechenlands war
er jedenfalls doch. Davon zeugt schon der Umstand, dass er eifrigst von
den Späteren gelesen und benutzt wurde; eine Hauptquelle war er nament-
M Gellius X 18.
*) Voss, De hist. gr. 60 f.
^) So erkl&rt sich die Angabe des Suidas
^iXiTinixa if ßißXioig oß\ wie Müller FGH
I p. LXIX nachgewiesen hat.
*) los. c. Ap. I 24: Lucian Pseadol. 29;
Paus. IV 18, 5; Aristid. Romae encom. p. 211
Jebb. Nach dem griechischen Vorbild dich-
tete der Römer Terentius Yarro die Satire
TQixäiMvog auf Pompeins, Cäsar und Crassos;
s. RiBSB, Var. sat. Men. p. 232.
») Polyb. Vin 11—13, Xn 25.
*) Corn. Nepos, Alcib. 11. Dass er
trotzdem selbst sich nicht frei von litterari-
schem Diebstahl hielt, weist Porphyrios bei
Eusebios praep. ev. X 3, 3 nach.
2. Die GeschichiBBchreibung. e) Oesohiohts werke. (§ 257.)
363
lieh fQr die Paradoxographen und den Freund der chronique scandaleuBe,
Athenaios, durch den uns auch die meisten Fragmente erhalten sind.
Theopompi fragm. coli. Wiohers, LB. 1829; Müller FHG I 278—333. IV 643-5;
BOnoER, Tneopompea, Argent. 1874, der besonders dem Sprachgebrauch Theopomps
nachgeht.
257. Unbedeutender waren andere Historiker der gleichen rhetori-
schen Richtung, die wir kurz aufzählen: Kephisodoros von Theben,
Verfasser einer Geschichte des heiligen Kriegs; Deinen von Kolophon,
Verfasser umfangreicher Persika, die bis auf die Eroberung Ägyptens
durch Ärtaxerxes III (340) herabgingen; Theokritos aus Chios, Gegner
des Theopomp, von dem Suidas eine Geschichte Libyens und Wunderbriefe
anfuhrt (Müller FHG II 86 f.); Anaximenes aus Lampsakos, Schüler des
Zoilos und Diogenes, dem Victorius und Spengel die unter dem Namen
des Aristoteles laufende rex^rj ^rjroQixtj nqoq Ukb^avSQov zugeschrieben
haben, und der an geschichtlichen Werken 'EXXtjVixd von der Götter Ge-
burt bis zur Schlacht von Mantinea in 12 B., <PiXinmxa in 8 B. und ein
Epos auf Alexander schrieb;^) Eallisthenes aus Olynth, Schüler und
Schwestersohn des Aristoteles, der Hellenika,^) Persika und ein Buch von
den Thaten Alexanders verfasste, aber durch ein freies Wort sich den
grausamen Zorn Alexanders zuzog. ^) Ausser den Genannten stellten die
Geschichte Alexanders dar:^) Kleitarchos, Sohn des Deinen, von dem
nach Quintilian X 1, 74 mehr das Talent der Darstellung als die historische
Treue gelobt wurde; Ptolemaios Lagu^) und Aristobulos, die Arrian
in der Einleitung seiner Anabasis als die zuverlässigsten Autoren über das
Leben Alexanders preist; Marsyas von Pella, Verfasser von Makedonika;^)
Chares aus Mytilene, der als Zeremonienmeister viel von dem Privatleben
des Königs zu erzählen wusste; Eumenes und Diodotos, Verfasser von
Tagebüchern {s^fi^fiCQt'dic) des Königs. — Die Atthidenschreiber, die zum
Teil schon unserer Periode angehören, werden wir unten in Zusammen-
hang mit ähnlichen Werken der alexandrinischen Periode besprechen. —
Insofern Geschichte und Mythos nach der Auffassung der Alten unter eine
Kategorie fallen, kann hier noch weiter angeführt werden : Asklepiades
von Tragilos, Schüler des Isokrates, der in den 6 Büchern TqayifSov^eva
die von den Tragikern auf die Bühne gebrachten Mythen zusammenstellte
^) Diodor 15, 89; ein längeres Fragment
der Philippika bei Stob. Flor. 36, 20. Ueber
den dem Theopomp f&lschlich zugeschriebenen
Trikaranos s. § 256. Als schlechter Poet ist
er mit GhoirUos anfgefOhrt in einer herka-
lanischen RoUe, s. Useneb Rh. M. 43, 150.
^) Nach Diodor 14, 117 reichten die-
selben von 387 oder dem Frieden des An-
talkidas bis zun phokischen Krieg 357.
') Untergeschoben wnrde ihm eine ro-
manhafte Alezandergeschichte (^AXe^dv&qov
n^^e&g), auf die "wir nnten zurttckkommen
werden.
*) St. Cboix, Examen critiqae des an-
ciens historiens d' Alexandre le Grand, 2.
edit., Par. 1804; Müller, Scriptores remm
Alexandri M., Paris 1877; Geier, Alexandri
Magni historiarom scriptores, Lips. 1844;
FrXnkel, Die Quellen der Alexander-
historiker, Bresl. 1883; ScbXfbb, Quellenk.
P 71 ff.
^) Ein Fragment bei Synesios in der
Lobrede auf die Eahlköpfigkeit c. 16 nach-
gewiesen von RoBDB Rh. M. 38, 301.
*) Es gab zwei Marsyas, einen aus Pella,
einen anderen aus Philippi, die beide Maxe&o-
rixd und manches andere (s. Suidas) schrie-
ben; über ihre Unterscheidung s. Ritschl,
De Marsyis rerum scriptoribuB, in Opusc. I
449—70.
364
GrieohiBohe Litteratnrgeaohiohte. I. Slassisohe Periode.
(Fragmente gesammelt von Werfer, Acta phil. Monac. II 491—557, und
Müller FHG in 301—6).
258. Geographie. ^) Die Geographie und Ethnographie bildeten in
der klassischen Zeit noch nicht selbständige Wissenschaften fär sieb; sie
waren der Geschichte nicht bloss verschwistert, sondern machten geradezu
integrierende Teile derselben aus. Bei Hekataios, Herodot, Ephoros waren
gelegentlich interessante Mitteilungen über fremde Länder, Stadtegrön-
dungen, Sitten und Bräuche fremder Völker eingestreut. Wichtig für die
Ethnographie waren auch die Schriften der Ärzte; namentlich teilt uns
der berühmte Arzt Hippokrates (geb. 460) in dem letzten Teile seines
Buches 71€qI ahgwv vödtojv ronmv äusserst interessante Beobachtungen über
die von Luft und Boden abhängigen physischen und geistigen Eigenschaften
der Bewohner Europas und Asiens mit. Die Beobachtungen sind uns
doppelt interessant, da der Verfasser mit dem erfahrenen Blick des Arztes
zugleich den hohen Sinn des für Freiheit begeisterten Hellenen verband;
insbesondere erhalten wir durch ihn in Verbindung mit dem 4. Buch des
Herodot die ersten genaueren Nachrichten über die Anwohner des schwarzen
Meeres, die Skythen und Sauromaten.') Leider ist durch eine grosse Lücke
der von Ägypten und Lybien handelnde Abschnitt verloren gegangen.^) —
Auch die Anfönge chartographischer Darstellung finden wir bereits in der
Zeit vor den Perserkriegen. Nach Strabon I p. 7 hat zuerst der Philosoph
Anaximander eine geographische Charte (ysoayQatpmiv n(vaxa) hergestellt.
Bei Herodot V 49 kommt Aristagoras, Tyrann von Milet, mit einer
ehernen Tafel, auf der der ganze Erdkreis eingraviert war, zum König
Eleomenes der Spartaner, um ihn durch Vorzeigung der Länder des per-
sischen Reiches zum Krieg gegen den Perserkönig zu bewegen. Die
richtige Vorstellung von der Erde als Kugel, nicht Fläche, kam durch die
Pythagoreer Italiens im 5. Jahrhundert auf.
Erst gegen Ende unserer Periode, als unter Alexander grossartige
Unternehmungen zur See ausgeführt wurden, entwickelte sich die selb-
ständige Litteratur der Seefahrtsberichte (nsqinXoi, oder naQdnXo$\ So
schrieb Nearchos, der Admiral der indischen Flotte, einen Bericht über
seine Fahrt längs der persischen und indischen Küste (rd ifi^i xt^i TxctQa-^
nhii)^ den noch Strabon und Arrian fleissig benutzten. Neben ihm ver-
öffentlichte sein Obersteuermann Onesikritos von Astypalaia fabelhafte
Mitteilungen über die durch Alexander erschlossenen Länder Asiens. Eün
anderer Admiral Alexanders, Androsthenes von Thasos, beschrieb in
seinem naqdnXovq Trjg 'Ivdixr^g die Küste Arabiens. Etwas später unter
M Hugo Bbrobr, Geschichte der wissen-
Bchaftlichen Erdkunde der Griechen, Leipz.
1887—93. — Sammlung der Fragmente und
kleinen Geographen: Hudson, Geographiae
veteris scriptores graeci minores, Oxoniae
1712; C. MfJLLBB, Geographi graeci minores
Paris 1855.
*) Ueber die Pfahlbauem am Phasis s.
p. 551 K.: rj TB diftira roig ay^gtonoig iv
xolg iXeaiv iffriy xd tb oixij/4ara ^vXiya xal
xttXdfjiiva iy vdaat. fABfAtixavtifJtdvtt , damit
vergleiche man Herodot 5, 16 über die Pfahl-
bauten der Päonier und die ShnUch zu deu-
tenden *AxBXoiiSBg nägoixoi ^Q^xiiat^ iyt€Kx*Xt9»f
in Aisch. Pers. 872.
') Zu dem beiühmten Buche des Hippo-
krates hatte Galen einen Kommentar ge-
schrieben, der durch eine lateinische Ueber-
setzung auf uns gekommen ist; leider Iftast
sich auch aus diesem nichts zur AusfUliuiiK
jener Lücke gewinnen; s. Ilbbro in Comiu.
Ribbeck. p. 348 Anm.
8. Die BeredBamkeit. a) AnflUige der Beredsamkeit.
1 258-259.) 365
Seleukos Nikator gab Patrokles, der als Befehlshaber von Babylon (seit
312) den Osten aus eigener Anschauung kennen zu lernen Gelegenheit
hatte und die Aufzeichnungen des Xenokles, des Schatzmeisters Alexanders,
benutzte,^) eine Beschreibung der Länder am kaspischen Meer. Aber alle
diese Seeberichte sind verloren gegangen. Auf uns gekommen ist eine
Küstenbeschreibung unter dem Namen des Skylax. Der echte Skylax
stammte aus Earyanda in Karien und hatte im Auftrag des Darius
Hystaspes die Küsten des arabischen Meerbusens uinfahren.^) Der erhal-
tene UiQinXovq tf^g x^aldaarjg T^g olxovfxtvrjg EvQcinrjg xai *Aatag xai Aißvrjg
ist eine allgemeine Eüstenbeschreibung und rührt aus viel späterer Zeit
her. Nach den in demselben enthaltenen Anzeichen setzt ihn Unger,
Phil. 33, 29 fif. in das Jahr 356.») Ausgabe in Müllers GGM I 15—96.
3. Die Beredsamkeit^)
a) Anfängre der Beredsamkeit.
259. Das natürliche Oeschick zum Reden war den Griechen von der
Natur als schönes Angebinde in die Wiege mitgegeben worden. Schon
Homer in der Presbeia erfreut uns durch wirkungsvolle, dem Charakter
der Redenden best angepasste R^den, und an Nestor und Adrastos priesen
die alten Sänger den honigsüssen Mund. Auf die Kraft der überzeugenden,
hinreissenden Rede stützten dann in der Zeit des aufstrebenden Athen
Themistokles und Perikles^) vornehmlich ihre politische Macht. Aber die
Geschichte der Beredsamkeit beginnt erst mit dem Zeitpunkt, wo die
Rhetorik als Kunst (^«x^'^/) gelehrt zu werden begann und die gehaltenen
Reden auch herausgegeben und durch Abschreiber vervielfältigt wurden.
') Streb, p. 69.
*) Herod. IV 44.
*j C. Th. Fischer, Griech. Studien, H.
Lipshifl dargebracht, Leipzig 1894 sacht im
Skykz Stficke auB Phileas (5. Jahrhundert)
in einer Ueberarbeitung aus dem Ende des
4. Jahrhunderts nachzuweisen.
*) Von den alexandrinischen Gelehrten
vnrden die Redner wenig beachtet; erst die
Pcrgamener und dann in Rom Dionysios
ood Cäciliua brachten das Stadium der
Redner in die H5fae. Erhalten nnd uns
«laaer den Schriften des Dionysios die Bioi,
Twr ^4xn ^fjTÖQwy des Ps. Plutarch, die
auf Dionysios und Caecilius zurückgehen.
Mit diesen stimmen im wesentlichen die
betreffenden Abschnitte des Photios Cod.
259-268; über ihr Verhältnis A. Schöne,
Die Biographien der zehn att. Redner, in
Jahrb. f. Phil. 1871 S. 761 ff., und dagegen
ZccKBB, Qoae ratio inter vitas Lysiae Dio-
nyRiacam PseudoplutarcheamPhotianaminter-
cedat, Erlangen 1877. — Neuere Werke:
BcHSKBV, Hist. critLca oratorum graecorum,
in d^ Ausg. des Rutilius Lupus 1768 =
OpQsc. I 310 S.; Westbrmank, Gesch. der
Beredsamkeit in Griechenland und Rom,
Leipzig 1883, 2 Bde; Blass, die attische
Beredsamkeit, Leipzig 1868—80, 4 Bde, in
2. Aufl. der 1. u. 2. Bd. 1887 ; Pbbrot, L'ölo-
quence politique et judiciaire ä Äthanes,
Par. 1873; Gieard, Etudes sur Föloquence
atiique, Par. 1874, ed. II (unveränd. Abdr.), Par.
1884 ; Jebb, The Attic orators from Antiphon
to Isaeos London 1876, 2. Aufl. 1880, 2 vol. ;
VoLKMANN, Die Rhetorik der Griechen und
Römer, 2. Aufl., Leipz. 1885. — Sammel-
ausgaben: Oratorum graeconim quae super-
sunt monumenta ingenii ed. Rbiskb, Lips.
1770 — 5, 12 vol.; Oratores attici ex rec.
Imm. Bekkeri, Berol. 1823—1824, 5 voL;
Oratores attici rec. J. G. Baiterüs et Hrrm.
Sauppius 1838—50, 9 fasc. mit Fragmenten,
Schollen und Onomastiken, Hauptausgabe. —
Indices graecitatis oratorum atticorum auf
Grund von Reiske's Sonderindices von Mit-
chell, Ox. 1828, 2 vol.
*) Eupolis von Perikles in den Jrj/4oi
fr. 94:
Jlei^ü} xig inextt^^iCey inl roTg /etAcaiy •
ovtaig ixfjXei xai fjLoyog Jtav ^tjtdgwy
TO xeviQov iyxat^Xine roig «xQotofAivoig^
danach Cic. Brut. 9, 38 u. 11, 44.
366
Grieohisohe LüteraturgeBchidite. I. lUaMisohe Periode.
Diese Kunst ging nach dem Zeugnis des Aristoteles,^) der zuerst eine Zu-
sammenstellung der rhetorischen Theorien unternahm, von Sikilien und
Syrakus aus, wo nach dem Sturze der Tyrannenherrschaft (465) die vielen
Privatprozesse der gerichtlichen Beredsamkeit reiche Nahrung gaben. Der
erste Lehrer der Beredsamkeit war Korax, der die Rhetorik als eine
väx^rj nsid'ovg SrjiniovQyog fasste und vermittelst der Sätze der Wahrschein-
lichkeit*) auf die Richter zu wirken suchte. Sein nächster Nachfolger war
Teisias oder Tisias, der die Regeln seines Lehrers zu einer i^t'xvrj ^r/ro^xi;
zusammenfasste und bereits, wie man aus Piatons Phaidros sieht, direkten
Einfiluss auf das Studium der Rhetorik in Attika ausübte. Bekannt und
für den rabulistischen Charakter jener Anfänge der Rhetorik bezeichnend
ist die Anekdote, die man sich von dem Verhältnis dieses Teisias zu seinem
Lehrer Korax erzählte : ^) Teisias machte sich verbindlich, dem Korax ein
ausbedungenes Honorar (fiixrd'og) zu bezahlen, wenn er den ersten Prozess
gewonnen habe; als Teisias die Kunst erlernt hatte, aber mit der Über-
nahme eines Prozesses zögerte, kam es darüber zum Streit zwischen Lehrer
und Schüler: Teisias behauptete, in keinem Falle etwas bezahlen zu müssen,
weder wenn er im Streite siege, noch wenn er unterliege ; wenn er siege
nicht, eben weil er Sieger sei ; wenn er unterliege, ebensowenig, weil das
Übereinkommen ihn verpflichte, nur dann zu zahlen, wenn er gesiegt habe.
Die Richter aber warfen nach kurzem Besinnen beide aus dem Gerichts-
saal hinaus, indem sie riefen: ix xaxov xoQaxoq xaxov ((wv,
260. Von Sikilien wurde die Rhetorik nach Athen verpflanzt, wo sie
bei der Prozesssucht der Bürger und der sophistischen Richtung der Zeit
einen besonders günstigen Boden fand. Vermittler war der Rhetor und
Sophist Gorgias von Leontini,*) der 427 als Abgesandter seiner Vaterstadt
nach Athen kam und dort so sehr sich gefiel, dass er in Hellas zu bleiben
sich entschloss und in Athen und anderen Städten, namentlich Thessaliens
teils als Redner, teils als Lehrer der Beredsamkeit auftrat. Gleichzeitig
mit ihm hielt Thrasymachos aus Ghalkedon, den wir aus Piatons Re-
publik kennen, und den schon Aristophanes in den Daitales (im Jahre 427)
fr. 211 erwähnte, Vorträge über gerichtliche Beredsamkeit in Athen. Wie
gross ihr Einfluss, namentlich der des ersteren, war, erhellt vorzüglich
aus Piaton, der seine Polemik gegen das Scheinwissen der Rhetoren an
die Person des Gorgias in dem nach ihm benannten Dialoge anknüpfte.
Ausgebildet hat Gorgias vornehmlich die Prunkrede oder das yävog im-
SsixTixor. Am berühmtesten waren unter seinen Reden der Uv&txög (sc.
^^yog), gehalten in Delphi an der Stelle, wo er nachher in Erz aufgestellt
wurde, ^) der 'Okv^nixoq^ in dem der später zum Überdruss oft wiederholte
Gedanke, die Hellenen sollten ihre inneren Händel lassen und ihre ver-
1) Bei Cicero, Brut. 46.
«) Arist. Rhet. II 23 p. 1402 a, 17.
') Sext. Emp. adv. math. II 96 ohne
Nennung des Tisias; vollständiger in Walz,
Rhet. gr. IV 13.
*) Philostr. Vit. soph. I 9; Foss, De
Gorgia Leontino, Halle 1828. Gorgias er-
reichte nach Apollodor ein Alter von 105 oder
109 Jahren; sein Lehen setzt demnach Foss
496-388, Frei 488—375; vergL Blass I*,
47 f. ; GoKPERZ, Griech. Denker I 475. Ueber
die späteren Anhänger des Gorgias siehe den
Brief des Philostratos, epist. 72 an die Kai-
serin Julia.
*) Phüostr. a. 0.; Ath. 505 d.
8. Die Beredsamkeit, a) Anf&nge der Beredsamkeit. (§§ 260-261.) 367
einten Erftfte gegen die Barbaren wenden, zum erstenmal glanzvoll durch-
geführt war,^) der Epitaphios auf die gefallenen Athener, der für die
später 80 häufigen Grabreden auf die Vaterlandsverteidiger Vorbild wurde.
Leider haben wir von diesen berühmten Reden des Gorgias nur Inhalts-
angaben (bei Philostratos) und spärliche Fragmente; hingegen sind unter
seinem Namen zwei sophistische Reden, ^EXävrjg iyxoyfnov und naXai^u;6tjc,
auf uns gekommen, über deren Echtheit die Meinungen der Kenner geteilt
sind.*) In seinen Werken ») hat Gorgias vorzüglich den durch den Schmuck
von Figuren und Metaphern gehobenen, halbpoetischen StiH) ausgebildet;
nnter seinen Figuren werden hauptsächlich die Antithesen, die Parisa und
Paromoia von Cicero Or. 175 hervorgehoben; für die Verbreitung des
attischen, durch lonismen seiner Heimat (nQaaaeiv statt tvqottsiv^ ijv statt
fov) gemilderten Dialektes hat er, der von allen Griechen gesuchte Redner,
vorzüglich beigetragen.^)
261. Ihre weitere Entwicklung nahm die Beredsamkeit in Athen^;
hier vereinigte sich alles, um die neue Kunst zur Blüte zu bringen. Vor
allem war es die Redefreiheit (naggr^aia), die ein Grundpfeiler des attischen
Staatswesens zugleich und ein Lebenselement der Beredsamkeit war. Dazu
kamen die Öffentlichkeit der Verhandlungen, die Macht der Volksversamm-
lungen, die Häufigkeit der Prozesse, das Wohlgefallen an schönen Reden,
das bei den Schützlingen der Athene nicht minder entwickelt war als
anderwärts das für Musik Theater und Fechterspiele. So kamen denn in
Athen zwischen der Zeit des peloponnesischen Krieges und der Herrschaft
Alexanders alle 3 Gattungen von Reden zur Blüte, die Reden vor Gericht
(jTHog dixanxov), die bei den Beratungen im Senat und in den Volksver-
sanunlungen {yävog avfißovlevnxov oder SrjfiriyoQixov), endlich die in den
Festversammlungen {yevog snidsixrixov oder ytvoq navrjvQixov), Anfangs
scheuten sich noch die grossen Staatsmänner, ihre Reden herauszugeben;«)
bald aber, gegen Ende des peloponnesischen Krieges, wurde auch diese
Scheu überwunden und betrachteten die Politiker geradezu die Veröffent-
lichung ihrer Reden als ein Hauptmittel zur Stärkung ihres poUtischen
Einflusses. Theorie und Praxis ist in dieser ganzen Periode insofern
nebeneinander hergegangen, als die Lehrer der Beredsamkeit zugleich
Redner waren, nur dass bei den einen die Thätigkeit des Lehrens, bei
den andern der Glanz des öffentlichen Auftretens in den Vordergrund trat. 7)
*) Aach in Olympia wurde ihm spftter
eine Statae gesetzt, wovon die Inschrift jetzt
gefunden ist; s. Arch. Zeit. 35, 43; Eaibel
epigr. gr. 875 a. lieber eine übersehene
Stelle des Olympikos siehe J. Bbbkats,
Ges. Abh. I 121.
*) Namenilich handelt es sich dabei
ibnim, ob derjenige, gegen den Isokrates
seine Helena schrieb, Gorgias oder ein an-
derer war; sind die Reden nicht von Gor-
gitt, so ahmen sie doch glücklich die Eigen-
t&mlichkeiten seines Stiles nach. Für die
EchÜieit bringt nene Gründe vor Maass,
Herrn. 22, 566—81.
') Nach Dionjs. de Thnc. 23 hatte man
von ihm auch Sfttze einer rhetorischen
Techne.
*) Arist. Rhet. III 1: noirjjixrj n^toirj
iyevBxo Af^t?, oloy »} Togylov.
*) WiLAMOwiTz, Entstehung der griech.
Schriftsprachen, in Verh. der Vers. d. Phil,
in Wiesbaden, und Phil. ünt. VII 312 f.;
vgl. Ed. Zarnckb, Die Entstehung der gr.
Literaturspr. S. 18 f. u. 49 f ; Norden, Die
antike Kunstprosa, Leipz. 1898, speziell über
Gorgias 15 ff.
•) Plat. Phaedr. 257 d.
^) Von den Rednern Athens gut nament-
lich der sprichwörtliche Ausdruck Piatons,
Legg. 1 p. 642, dass, wenn die Athener wo
368
Orieohisohe Litteratargesohiohte. I. Klassische Periode.
Von den Grammatikern, und zwar wahrscheinlich von den Pergamenem
um 125 V. Chr. wurde ein Kanon von 10 attischen Rednern aufgestellt;^)
dieselben sind: Antiphon, Andokides, Lysias, Isokrates, Isaios, Aischines,
Demosthenes, Hypereides, Lykurgos, Deinarchos. In ihre Besprechung
werden wir zugleich die anderen, nicht in den Kanon aufgenommenen
Redner miteinflechten.
b) Antiphon und Andokides.
262. Antiphon,^) des Sophilos Sohn aus dem Demos Rhamnus, fand
bei den politischen Wirren gegen Ende des peloponnesischen Krieges den
Tod. Ein eifriger Anhänger der Oligarchen und Mitbegründer des Rates
der 400 ward er nach dem Misslingen der Staatsumwälzung von seinen
Gegnern des Landesverrates angeklagt und zum Tod verurteilt (411).
Das veranlasste den Thukydides, den Spätere zu einem Schüler des Anti-
phon machten, das Andenken des gesinnungstüchtigen Mannes durch eine
ehrende Charakteristik zu feiern. 8) Antiphon war als Redner in der Volks-
versammlung nicht aufgetreten, auch seine Thätigkeit als Lehrer der Be-
redsamkeit*) trat bald hinter den Erfolgen jüngerer Rhetoren, wie Lysias
und Thrasybulos, zurück; sein eigentliches Feld fand er in der Gerichts-
rede, indem er seine Freunde, wenn sie angeklagt waren, mit seinem Rate,
wie Thukydides sagt, unterstützte, d. i. ihnen Verteidigungsreden schrieb.
Es war nämlich in Athen Gesetz, dass die Streitenden vor Gericht selbst
ihre Sachen führen mussten, damit die Richter nicht durch die Kniffe der
Advokaten überlistet würden ; aber die heilsame Absicht des Gesetzgebers
wurde dadurch vereitelt, dass Ankläger und Verteidiger vor der Gerichts-
verhandlung die kundige Hilfe ihrer Freunde in Anspruch nahmen und
sich von denselben geradezu förmliche Reden ausarbeiten liessen, die sie
dann selbst vor Gericht auswendig vortrugen. Indes war Antiphon auch
in eigener Sache, wenigstens einmal, nämlich bei jenem Hochverratsprozesse
tüchtig sind, sie dieses in hervorragendem
Masse sind: rd t>7rd noXXwy Xeyofieyoy, a>c
oaoi *J&i]yai<oy etaly ayaSoi, ^latpeQÖyTtag
ciai xoiovxoi, ^oxei aXt^Seaiata Xdyeadai,
*) Ueber das Verzeichnis Meier, Opusc.
I 120 ff. und besonders Stüdbmünd, Herrn.
II 434 ff., wo die abweichenden Angaben
über die Zahl der Reden bei Ps. Plutarch-
Photios und einem anonymen, in mehreren
Handschriften erhaltenen Verzeichnis der 10
Redner und ihrer Werke erörtert sind. Die
erste bestimmte Kunde von dem Kanon haben
wir bei Cäcilius (in der Zeit des Augustus),
der eine Schrift negl jov j^aQaxrtjgo^ xtüy
dexa ^rjtoQwy schrieb. Dass aber derselbe
von den Pergamenem ausging, beweist in
musterhafter Diskussion Bbzoska, De canone
decem oratonun atticorum, Bresl. Diss. 1883.
Dagegen lassen R. Weise, Quaestiones Cae-
cilianae, Berl. 1888 und P. Habtmann, De
canone decem oratorum, Gott. 1891 den Ka-
non erst von Oaecilius ausgehen.
*) Ausser Plutarch-Photios, Philostr. vit.
soph. I 15 und Suidas dient als Quelle ein
wesentlich auf Plutarch zurückgehendes riro^
*Jyxt<pwvxog unserer Handschriften. Ruhr-
KBN, Disputatio de Antiphonte oratore, in
Opusc. I 142 - 182, eine scharfsinnige und
gelehrte Untersuchung des IBj&hrigen Ge-
lehrten. — Gleichzeitig mit dem Redner
Antiphon lebte der Sophist Antiphon, über
den H. Sauppe, De Antiphonte sophista,
Ausgew. Schrift. 508 ff.
») Thuc.VIII68:'^>'Ttya»V ^1/ aytj^ Adti^
yalojy rcay xa^ iavroy (fQBtß re ovd^yog
vatcQog xal XQditaxog iy^v/tiTj&^yai yeyofiBroc
xal a €€y yyoirj BinsTv, xal ig fAiy ^ijßioy or
TiaQicjy ovcf' ig €^Xkoy aytäya ixov<n^og ov-
dfyn^ ttXX* vnonxtag xt^ nXijSsi di4r do^ay
deiyoxtjxog dtaxei^syog, xovg fiiyroi oymyi-
^ofÄcyovg xal iy dixaffxtjQitp xal iy dijfjttp
TtXeuJxa elg dyiJQ oöxig ^v/4ßovXevaaix6 r*
dvyafieyog wffeXety.
*) Plat. Menex. 236a. Von einer dem
Antiphon untergeschobenen ^tjxogixtj xi^y^
Stellen bei Spbnoel, Art script p. 115—8.
8. Die Beredsamkeit, b) Antiphon und Andokidee. (§ 262.)
369
aufgetreten; die Alten hatten noch die betreffende Rede ntQi [netaaTdaewg
oder über die Staatsveränderung. ^)
unter dem Namen des Antiphon waren 60 Reden in Umlauf, von
denen CScilius 25 für unecht erklärte. Auf uns gekommen sind nur 15,
und zwar sind dieselben alle Reden in Kriminalprozessen {dfxai g^ovixm);
man bat also den Antiphon als eine Hauptautorität im Kriminalrecht, wie
später den Isaios in Erbschaftssachen, angesehen. Von jenen 15 Reden
sind 12 blosse Skizzen in 3 fingierten Rechtsfallen (unerwiesener Mord
yoi'o? inaQMTjpLoq^ unfreiwilliger Todschlag qtovog äxovaiog, endlich Körper-
verletzung mit nachgefolgtem Tod), so angelegt, dass immer je 4 (An-
klage, Verteidigung, Replik, Gegenreplik) zu einer Tetralogie zusammen-
gehören.*) Die 3 grösseren Reden sind: xatr^yoQta (fagfiaxeiag xard tf^g
Hf^TQViag (1), nsQi xou '^HqwSov (fovov (5), TttQi tov xoq^vtov (6). Die vor-
zOglichste und als solche schon von den Alten anerkannte ist zweifellos
die zweite, mit der sich ein gewisser Euxitheos >) gegen die Anschuldigung
verteidigt, den auf einer Fahrt von Mytilene nach Ainos spurlos ver-
schwundenen Kleruchen Herodes ermordet zu haben.^) Interessant ist auch
der erste Rechtsfall, in dem ein unehlicher Sohn gegen seine Stiefmutter
wegen eines ihrem Manne gereichten Liebestrankes klagend auftritt; aber
die Stellung der Erzählung {ity,yrflig) mitten zwischen den Beweisen und
der Mangel einer eigentlichen Peroratio haben Anstoss erregt und Zweifel
an der Echtheit der Rede hervorgerufen. 0) Auch die Rede tisqI tuv ^o-
QtviQv gehört zu den Kriminalreden, da darin ein Ghorege gegen den Vor-
wurf, an dem Tode eines Knaben seines Chors schuld zu sein, verteidigt
wird. Der Stil des Antiphon zeigt noch ganz die Strenge und schlichte
Einfachheit der alten Zeit; nur im ebenmässigen Satzbau, der seine Reden
denen des Thukydides gegenüber auszeichnet, und in der häufigen Wieder-
kehr von Gemeinplätzen und Sentenzen erkennt man den Einfluss der
rhetorischen Schule des Gorgias. Eine Eigentümlichkeit seiner Reden, die
Br. Keil*) gut mit dem Gesetze firj orofiaazl xwjLioySeTv in Verbindung ge-
bracht hat, besteht darin, dass die Namen der in dem Prozesse irgendwie
kompromittierten Personen in der Regel nicht angegeben werden.
Der Text des Antiphon und der kleinen attischen Redner überhaupt beruht auf Cod.
(^ppeisnuB des britischen Museums (A) s. XIII und Oxoniensis (N) s. XI V, die zwei selbst-
Btiadige Abieiter eines nicht mehr erhaltenen Archetypus sind. — Ausg. mit Eonunentar
foa MiTZVBB, Berol. 1838; von Jbrnstedt, Petersb. 1880; von Blass in Bibl. Teubn. —
IftiATius, De Antiphontis Rhamn. elocutione, Berlin 1882; Gucubl, Essai sur la langue et
') Arist Eth. Eud. III 5 p. 1232 b 6.
*) Die Tetralogien haben als Skizzen
auch ihre Eigent^nlichkeiien im sprach-
lichen Aasdmck, namentlich wie L. Spbnoel
Bk IL 17, 167 hervorhob, häufiges rc . . . re.
Davon ist man bis zur Verwerfung ihrer
Echtheit gegangen; anstössig ist der öfter
▼orkommende Aorist aneXoyijSijy. Yergl.
BaficKNKB, De tetralogüs Antiphonti Rham-
wao adscriptis. Bautzen 1887. Ditten-
BBBOKE Herm. 31. 32.
') Euxitheos genannt von Sopatres bei
Walz, Rhet. g. IV 316, wie Mbuss, De
inaymy^i ratione apud Atiienienses, Breslau
1884 p. 27 und Boblmann, Antiphontis de
caede Herodis oratio (1886) nach einer An-
deutung im Antiphonkommentar von Mätz-
NEB p. 205 ermittelten.
*) Gehalten ist dieselbe geraume Zeit
nach der Einnahme von Mytilene (427), als
die Seemacht der Athener noch nicht er-
schüttert war, um 417; s. Blass I- 178.
^) Gegen die Ausstellungen von Mfttzner
und Blass wird die Rede in Schutz genom-
men von WiLAMowiTz Herm. 22, 194 ff. und
Bb. Keil Jahrb. f. Phü. 135 (1887) S. 89 ff.
•) Jahrb. f. Phil. 135 (1887) S. 101.
Dandlni^ der Um«. AltertnmswIneQachaft. VII. 8. Aufl,
24
370 Grieohisohe Lüterfttnrgesohiohte. I. ElaMisohe Periode.
le Btvle d'Antiplion, Paris 1885. Neuere litterafcur besprochen yon HGttnbb Jahresb. d.
Alt. XIV 1, H-23.
263. Andokides,^) Sohn des Leogoras aus Kydathen, Sprosse eines
alten, mit dem Amte eines heiligen Heroldes {xiJQv^) bekleideten (Ge-
schlechtes,^) ist der geringste der in den Kanon aufgenommenen Redner,
da er weder als Lehrer der Beredsamkeit auftrat, noch als Logograph eine
ausgedehnte Sachwalterpraxis entfaltete, sondern nur einige wenige, in
eigener Sache gehaltene Keden hinterliess. Geboren war derselbe nicht
viel vor 440;^) sein unstetes Leben datierte von der Zeit des Hermoko-
pidenprozesses (415), wo er in der Hoffnung auf eigene Straflosigkeit sich
zur Denunziation seiner Genossen herbeiliess, hintendrein aber doch von
Markt und Opfer ausgeschlossen ward.^) Er verliess daher seine Vater-
stadt und kehrte erst 402 unter dem Schutze der allgemeinen Amnestie
unbehelligt nach Athen zurück, nachdem er inzwischen zweimal (411 und
407) fruchtlos die Aufhebung der gegen ihn verfügten Acht zu erwirken
versucht hatte. Aber auch jetzt noch wurden ihm Chikanen bereitet, in-
dem ihn im Jahre 399 der Demagoge Kephisios wegen unbefugter Teil-
nahme an den Mysterien auf die Anklagebank brachte. Aber diesesmal
sprach ihn der aus Mysten zusammengesetzte Gerichtshof frei, und wurde
er sogar bald nachher im korinthischen Krieg mit der Mission betraut,
den Frieden mit Sparta zu unterhandeln. Aber die Unterhandlungen ver-
liefen resultatlos, ^) so dass er selbst infolgedessen von neuem ins £xil
wandern musste. Während seiner wiederholten Abwesenheit von Athen
war es ihm indes gelungen, durch gute Handelsgeschäfte grosse Reich-
tümer zu erwerben, so dass er durch glänzende Ausstattung eines kyk-
lischen Chores die Augen auf sich zu ziehen vermochte.^)
Unter dem Namen des Andokides sind 4 Reden auf uns gekommen,
und schon die Alten scheinen nicht viel mehr gehabt zu haben. Von diesen
4 Reden, negl t£v fAvavrjQfwv (gehalten 399), negi vrjg iavTov xa&cSov (ge-
halten 407), negl xf^g ngog AaxsSaifjioviovg eiQr'jvrjg (gehalten 391), xard
UXxißidSoVj sind nur die zwei ersten unzweifelhaft echt. Die Veran-
lassungen, bei denen sie gehalten wurden, sind bereits im Lebensabriss
des Redners erwähnt ; sie sind für Kenntnis des Mysterienwesens und der
Parteiverhältnisse in der letzten Zeit des peloponnesischen Krieges äusserst
wichtig; der ersteren sind auch die einschlägigen Urkunden beigegeben. 7)
Das Interesse an dem Rechtsfall, welches der 1. Rede zu gründe liegt,
*) Aus dem Altertom nur ein Kapitel j 51 identisch sei: s. Meieb, Opusc. 1 96 ff
in Ps. Plutarch, vit. X orat. und Artikel des | ^) Thuc. VI 60; Andoc. 1 25 ff.; LvbI
Suidas. Von Neueren Vatbb, Rerum An- ' adv. Andoc. 21 ff.
docidearum capita IV, Berol. 1840— 5; M. H. ; ») Philochoros im Argumentum der 3.
E. Mbier, De Andocidis quae vulgo fertur Rede.
oratione contra Alcibiadem dissert. VI, Halle
1837—42. Opusc. I 94 ff.; Lipsids in der
Ausgabe des Redners.
*) Darüber Töppfbb, Attische Genealogie
•) Ps. Plutarch p. 835 b stQtxt aich bei
dieser Angabe auf die Inschrift eines Drei-
fusses; bezeugt ist die Liturgie durch die
Inschrift in CIA II 553.
83 ff. 7) Die Echtheit derselben verteidig von
>) Lysias adv. Andoc. 46; Ps. Plutarch Joh. Drotsjbn, De Demophanti Palrodidis
p. 835 a lässt ihn viel älter sein, von der i Tisamenis populiscitis quae inserta sunt An-
falschen Voraussetzung ausgehend, dass er | docidis orationi ne^i fjiwntjifit^y, Dias. BerL
mit dem Strategen Andokides bei Thuc. I j 1873.
8. Die Beredsamkeit, c) Lysiaa nnd iBaios.
1 263—264.)
371
wird noch dadurch erhöht, dass uns auch die Anklagerede gegen Ando-
kidee unter den Reden des Lysias erhalten ist. Die 4. Rede ist ein
sophistisches Machwerk und dem Andokides fälschlich untergeschoben. i)
Ihr liegt die Voraussetzung zu grund, dass die Strafe des Ostrakismus
einen von den dreien, Nikias, Alkibiades oder den Sprecher (Phaiax)
treffen sollte, und dass nun der Sprecher die drohende Verbannung von
sich auf den Alkibiades abzuwälzen suchte. Auch die dritte Rede erregt
Anstoss,») namentlich wegen der argen historischen Verstösse, an denen
die Darstellung der früheren Friedensschlüsse (§ 3—9) leidet. Aber ge-
rade diese Paragraphen sind wörtlich von Aischines in seine Gesandt-
schaflsrede {§ 172 — 5) herübergenommen, und ihre historischen Irrtümer
mfissten bei einem späteren Fälscher noch mehr als bei einem ungelehrten
Praktiker des 5. Jahrhunderts befremden. Einen entwickelten Kunst-
charakter zeigen die Reden des Andokides nicht; sie entbehren besonders
der Kunst berechneter Ökonomie sowie des Figurenschmuckes und leiden
an ermüdender Weitschweifigkeit; am meisten Lob verdient die Frische
nnd Anschaulichkeit der Erzählung.
Die Textesaberliefemng ist die gleiche wie bei Antiphon. — Sonderansgaben von
C. ScHiLLKR, Lips. 1835; von J. H. Lipsius Lips. 1888. Textaasgabe der Bibl. Teubn. von
Blase. — Nabeb, Mnem. IIl 66 ff. will sftmtlicne Reden des Andokides der Schale des Iso-
kntes zaweisen.
c) Lysias und Isaios.
264. Lysias und Isaios stelle ich in diesem Abschnitt als die Haupt-
vertreter der gerichtlichen Redeschreibekunst zusammen. Beide waren
Fremde und konnten schon so nicht als Staatsredner eine Rolle in Athen
spielen oder auch nur vor Gericht in eigener Sache eine bedeutende Thä-
tigkeit entfalten. Aber beide waren die berühmtesten Sachwalter ihrer
Zeit und beide haben, wenn sie auch nicht in Athen geboren waren, den
Ton der attischen Rede in mustergültiger Weise getroffen.
Lysias') war der Sohn des Kephalos, den Perikles bewogen hatte,
von Syrakus nach Athen überzusiedeln, wo er als Metöke wohnte und
mehrere Häuser und eine bedeutende Schildfabrik besass. In dem Hause,
das er im Piräus hatte, spielt die Republik Piatons, welchem Gespräch
Piaton auch den Lysias, aber als stumme Person beiwohnen lässt, sei es
dass er ihn damit als einen noch ganz jungen Menschen, oder als einen
unphilosophischen, der aktiven Beteiligung an einem philosophischen Ge-
sprach unfähigen Kopf hinstellen wollte. Das Geburtsjahr unseres Lysias
liest sich nicht mit Bestimmtheit angeben. Die Alten lassen ihn 459/8
unter dem Archen Philokles geboren sein; aber diese scheinbar so be-
') Die ünechtiieit ward zaerst erkannt
Ttti Taylor, Lectiones Lysiacae c. 6; gegen-
ftber inzwiachen erhobenen Zweifeln ist die-
lelbe streng bewiesen von Meier, Oposc. I
74 ff. Andokides war damals (418) als Po-
litiker noch unbekannt; derselbe schrieb
ftberhaiipt nicht Reden für andere. Nach
Ath. 408 c wurde die Rede von andern dem
Lysias zogeschrieben.
*) Gegen die Echtheit erklärte sich schon
I Dionysios in der Hypothesis der Rede; für
die Echtheit tritt mit überzeugenden Gründen
ein BLASS, Att. Ber. I « 329 ff.
') Aus dem Altertum haben wir neben
den allgemeinen Quellen die spezielle Ab-
handlung des Dionysios Halic. über Lysias.
Aus neuerer Zeit Taylor in Reiske's Orat.
gr. VI 100 ff.; BLASS, Att. Ber. I^ 339 ff.;
Pretsch, De vitae Lysiae temporibus defi-
niendis, Halle Dias. 1881.
24»
372 Qrieehiflohe LitteraturgMohichte. I. KlasBisohe Periode.
stimmte Angabe beruht nur auf unsicherer Schlussfolge. Dionysios wusste
nämlich, wahrscheinlich aus einer Rede des Lysias selbst, dass er 15 Jahre
alt mit einem seiner Brüder nach Thurii ausgewandert war ; indem er nun
voraussetzte, dass diese Auswanderung gleich bei Oründung der Kolonie
stattgefunden habe, kam er auf 444 -{-- 15 = 459. Aber diese Voraussetzung
steht nicht auf festen Füssen, da Lysias auch später erst nach Thurii ge-
gangen sein konnte. Sicher aber falsch ist die weitere Angabe des Ps.
Plutarch, dass Lysias erst nach dem Tode seines Vaters Kephalos Athen
verlassen habe; denn dieser war noch zur Zeit der platonischen Republik
am Leben. ^) Auf der anderen Seite ersehen wir aus Piatons Phaidros
p. 278 e, dass Lysias erheblich älter als Isokrates war, dass also sein Ge-
burtsjahr geraume Zeit vor 436, in welchem Jahre Isokrates geboren
wurde, anzusetzen ist. Nehmen wir hinzu, dass Kephalos nach dem Zeug-
nis des Lysias selbst (or. in Erat. 4) 30 Jahre in Athen lebte, 2) so kommen
wir zu dem wahrscheinlichen Schluss, dass Lysias um 450, und zwar in
Syrakus geboren ward,') um 440 mit seinem Vater nach Athen über-
siedelte, später aber, um 435, mit einem seiner Brüder wieder nach Westen,
und zwar nach Thurii, der von Perikles gegründeten und begünstigten
Kolonie, zurückkehrte. Einen Teil seiner Jugend verlebte er demnach in
Unteritalien, wo er den Unterricht des Teisias in der Rhetorik genoss.*^)
Als aber nach dem unglücklichen Ausgang des sikilischen Feldzugs die
antiathenische Partei in Thurii die Oberhand erhielt, kehrte er wieder
nach Athen zurück (412).^) Hier sehen wir ihn erst in der nächsten Zeit
nach dem peloponnesischen Krieg eine Rolle spielen. Das grosse Vor-*
mögen seines Hauses hatte die Hab- und Blutgier der 30 Tyrannen ge-
reizt; so ward, wie er anschaulich und ergreifend in der Rede gegen
Eratosthenes erzählt, sein Bruder Polemarchos von den Schergen der Ge-
walthaber ermordet, und entkam er selbst nur mit knapper Not und mit
dem Verluste des grössten Teiles seines Vermögens nach Megara. Von
hier setzte er sich mit Thrasybul in Verbindung und wirkte für die Rück-
kehr des Demos. Zur dankbaren Anerkennung seiner Verdienste bean-
tragte Thrasybul die Aufnahme des Metöken unter die athenischen Bürger;
aber das Dekret ward von Archinos, einem Rivalen des Thrasybul, als
gesetzwidrig angefochten und annulliert.
Lysias musste also auf die Ehre, dem athenischen Gemeinwesen als
Bürger anzugehören verzichten, und sich mit der bevorzugten Stellung eines
gleichsteuernden {taotekrc) Metöken begnügen.^) Diese erlaubte ihm bald
M Dieses Gespräch f&llt wahrscheinlich i mir das Urteil des Timaeos, des guten Ken-
410, worüber indes gerade infolge der An- ners der sikilischen Yerhältnisse, von dem
gaben über Lysias die Meinungen geteilt ] Cicero an derselben Stelle berichtet: ^uam-
sind ; siehe g 307 und Blass, Att. Ber. I "^
339 ff.
^) Pbetsch a. 0. ist so kühn, die Schwie-
rigkeiten der Chronologie durch Aenderung
quam Titnaeus eum quMt lAeinia et Mueia
lege repetit Syrctcusaa.
*) Ps. Plutarch p. 835 d: xaxu (sciL
von iQuixoyra in Tteyrtjxoyra heben zu wollen. ■ Ti^itf xal Ntxiif lot^ IvQaxoturloi^ xiijoätAe»^^
•) Kein Gewicht lege ich auf Cicero, i' oixiay xai xXijgov Aor/oiV iTtohrcvcaio ft»^
Brut. 16, 63: est enim AtticuSf quoniam 1 KXeoxgixov (413/2).
certe Alhenis est et natus et mot^uus et ' ') Ps. Plutarch a. 0. nach Dionysios.
functiis omni civium munere. Mehr wiegt | *) Darüber weiteres ans einer verloren
3. Die Beredsamkeit, o) Lysias and Isaios. (§ 264.)
373
nach seiner Rückkehr (403) gegen Eratosthenes, den Mörder seines Bru-
ders, vor Gericht als Ankläger aufzutreten. Die Rede ist uns noch er-
halten, sie ist die einzige, die nach einer alten Beischrift Lysias selbst vor
Gericht gesprochen hat, und sie verdient wie keine andere gelesen und
studiert zu werden. Aber schon zuvor hatte er der Beredsamkeit in an-
derer Weise seine Dienste gewidmet. In Piatons Phaidros, dessen Scenerie
um 404 zu setzen ist, begegnet uns Lysias als angesehener Lehrer der
Beredsamkeit. Die Rede über die Liebe (Xoyog SgwTixog), die er als Muster
seinen Schülern zum Auswendiglernen diktiert hatte, behandelt freilich ein
so schlöpfriges Thema und entbehrt so jeder Wärme, ^) dass man begreift,
wie Lysias mit sophistischen Machwerken der Art die Konkurrenz des
Theodoros und Isokrates nicht zu bestehen vermochte. Er wandte sich
also einer anderen Seite rhetorischer Thätigkeit zu;*) das war die eines
Logographen, der anderen Reden schrieb, die diese dann selbst vor Gericht
vortragen.') Hier kam es darauf an, den Klienten, schlichten einfachen
Bfirgem, die durch rabulistische Sykophanten vor Gericht gezogen waren
oder ihr Eigentum und ihr Hausrecht gegen böswillige Angriffe zu schützen
hatten, solche Reden in den Mund zu legen, wie sie sich für einfache
Leute, die von ihrem Recht ergriffen waren, geziemten; es galt ohne ge-
suchtes Pathos, ohne spinöse Rechtsdeduktionen, ohne Weitschweifigkeit,
klar und einfach den Thatbestand darzulegen und den Mann aus dem Volke
die Sprache der sicheren Überzeugung und des gekränkten Rechtsgefühles
sprechen zu lassen. Lysias brachte dieses fertig in unerreichter Meister-
schaft mit den Mitteln einfacher Beweisführung und anschaulicher Erzäh-
lung. Das Schlichte (rd d^sXe'g), das Einfache (rd xad^agov), das Klare
(ivoQYiM ij (fa<fr]V€ia) waren es, worin schon die Alten die Charakterzüge
der lydanischen Rede fanden.^) Er bedurfte, um zu wirken und die Richter
zu einem günstigen Entscheid zu bewegen, keiner langen Reden, die sich
auch schlecht in dem Munde einfacher Bürger ausgenommen hätten und
schon durch die Wasseruhr (xXsipvdQo) ausgeschlossen waren: eine kurze
bündige Darlegung des Thatbestandes und der Rechtsgründe genügte, so
dass die Reden des Lysias in der Regel nicht mehr als ^/s bis 1 Stunde
zum Vortrag bedurften. Eine besondere Kunst aber, ohne als Kunst zu
erscheinen, entwickelte derselbe in der Erzählung. Man kann kaum etwas
^Bgangenen Bede des Lysias itBQi rwy iSltov
t9tgy$cuiy bei Pb. Plutarch. üeber die Pri-
▼•treriiiLltnisse des Lysias, namentlich seinen
Umgang mit der Hetftre Metaneira erfahren
vir olheres ans der pe. demosthenischen
Bede gegen Neftra 21 f.
') Ueber den Streit, ob der Xoyos igtoTi-
»V TOD Lysias selbst herrOhre oder boshafter
Weise Ton Piaton dem Ljsiaa mitergeschoben
Mi, 8. BLASS, Att Ber.I * 424 ff. L. Schmidt,
^eber die lysianiflche Rede im plat. Phae-
im», Vhdi. d. 18. Vers. d. Phil. S. 98-100
crreist den Erotikos als ein wirkliches Er-
iBQgnis des Lysias ans einer früheren Lebens-
epodie.
*) Cieero Brat 12, 48 nach Aristoteles:
Lysiam primo profiteri aoiitum artem di-
cendif deinde quod Theodorus esset in arte
subtilior, in orcUionibus ieiunior, oratumes
eum acribere aliia coepisse, artem renumsse,
>) Die Privatreden, die ans erhalten
sind, fallen nach 404; nur die fOr Polystratos
(20) ist zwischen 411 u. 407 gehalten; aber
dieser Umstand erhobt nnr noch das Gewicht
der Verdachtgrttnde gegen die Echiheit dieser
Rede.
*) Aristoteles scheint diese Vorzflge we-
nig gewürdigt zn haben; er berücksichtigt
den Lysias fast gar nicht in seiner Rhetorik ;
hingegen sagt Dionysios Lys. 2 von ihm:
xtt^aQOi ian rtjy iQ/jiijyelay nayv xal rijf
'Jmjnjg yXtSrTtjg ägunog xaytoy.
374
OrieohiBohe LiUeratnrgeBohichte. L KlasBisohe Periode.
Hübscheres, Anschaulicheres lesen, als die Erzählung von den schurken-
haften Gewaltthaten des Eratosthenes und seiner Spiessgesellen in dem
Xoyog xat' ^Eqatoij^hvovq^ oder von der raffinierten Überlistung des Ehe-
mannes und seiner gerechten Notwehr in der änoXoyia ne^l xov ^Egccto-
(X^tTovg ^ovov. Die Sachlichkeit der lysianischen Rede zeigt sich auch in
dem Mangel wiederkehrender Gemeinplätze ; schon Dionysios in seinem Auf-
satz über unseren Redner c. 17 macht die, wenn auch nicht ganz richtige
Bemerkung, dass, wiewohl Lysias so viele Reden geschrieben habe, doch
alle Proömien ihr Eigentümliches haben, i) Treffend aber bemerkt Favo-
rinus bei Gellius II 5 über das Verhältnis der Redeweise des Piaton zu
der des Lysias: si ex Piatonis oratione verbum cUiquod demas mutewe atque
id commodatissime facicts, de degantia tarnen detraxeris, si ex Lysia, de sen-
tentia. Kein Wunder also, dass Lysias mit diesen Vorzügen auch glän-
zende Erfolge bei den Richtern erzielte, dass er ein vielgesuchter Rechts-
anwalt wurde und mit seiner Redeschreiberei sich wiederum ein anständiges
Vermögen erwarb. So begegnen uns denn in den nächsten zwei Dezennien
nach 404 zahlreiche, in einzelnen Jahren sich häufende Reden; die letzte
chronologisch fixierbare Rede, die für Pherenikos, fällt um 380, und viel
länger wird er wohl auch nicht gelebt haben.*)
266. In Umlauf waren im Altertum von Lysias 425 Reden; von
diesen haben die alten Kritiker 233 als echt anerkannt. 3) Auf uns ge-
kommen sind 34 Reden und diese nicht alle vollständig und nicht alle von
unzweifelhafter Echtheit,*) überdies einige Briefe in gefälligem Ton, aber
von unbedeutendem Inhalt. Die Reden gehören zum grössten Teil der
Klasse der Gerichtsreden an; doch fehlen auch nicht ganz die loyoi avii-
ßovXevxixoi und smisixTixoi. Eine Demegorie, wenn auch vielleicht keine
wirklich gehaltene, war die Rede neQi tov firj xaxakiaai %f;v natQ&ov
noXiTsiav Ud^Tjvrjm, von der uns Dionysios ein Bruchstück erhalten hat; sie
ist in die Zeit unmittelbar nach Vertreibung der Dreissig (403) gesetzt
und tritt mit Nachdruck für die Wiederherstellung der vollen unbeschränkten
0 Das Lob rnoss eingeschrftnkt werden,
wie Mbibb, OpuBC. 315 nachweist, da er z.
B. or. 19 das Prodmitun aus Andokides 1
entlehnt hat. — Aach der politische Stand-
punkt ist nicht immer der gleiche, indem
Ljsias auch hier sich dem Charakter und
den Anschauungen seiner Klienten anbe-
quemte, wie besonders die Vergleichung der
21. und 25. Rede lehrt.
*) In noch spätere Zeit fallen zwei dem
Lysias zugeschriebene Reden fOr Iphikrates,
deren eine dem Jahre 371, die andere dem
Jahr 354 angehört; aber Dionysios verwarf
beide; s. Blass, Att. Ber. I* 344. Die An-
gaben über das Lebensalter des Lysias dif-
ferieren zwischen 76, 80, 83 JiJiren.
>) Die Zahl von 233 echten Reden wird
bei Plutarch auf Dionysios und Cäcilius zu-
rückgefOhrt; ausserdem soll nach Photios
p. 489a 35 ed. Bekk. und Suidas sich Paulus
von Germe aus Mysien mit der Kritik der
Echtheit beschäftigt haben.
^) Die 11. Rede ist eine blosse Epitome
der 10., die 15. der 14.; die 20. pro Poly-
Strato entbehrt des ProOmiums, ist auch
stark verderbt und lässt das Sachverhfiltnis
nicht klar erkennen; s. Pohl, De or. pro
Polystrato Lvsiaca, Argent. 1881, u. Blass
I * 508 ff.; WiLAMOwiTZ, Aristoi und Athen
II 357 ff.; NowAOK, Leipz. Stud. 72, 1—106
über die 14. und 15. Rede. Die Echiheit der
6. Rede gegen Andokides ebenso wie die der
9. vn^Q tov arparioirov war schon dem Har-
pokraÖon zweifelhaft; fOr die Echtheit der
9. Rede tritt Hans Kbllbr Progr. Nürnberg
1896 ein, doch ist die Rede jedenfalls un-
bedeutend und entbehrt der Ivsianischen
EQarheit in sachlidher und sprachlicher Be-
Ziehung. Die 8. Bede erregt wegen der
Sorgfalt in Vermeidung des Hiatna Verdacht;
s. Blass I 658 und ROhl, Ztschr. f. Gymn.»
Jahrber. 1881 S. 191 ff.
8. Die BeredMinkeit o) LysiM nnd ImIob. (§ 265.)
375
Demokratie ein. — Von den epideiktischen Reden bezieht sich der Epi-
taphios auf die Vaterlandsverteidiger im korinthischen Krieg; die Rede
greift aber in übermässiger Breite auf die früheren Zeiten bis auf die
Amazonenkämpfe zurück und spricht von dem korinthischen Krieg in so
allgemeinen Wendungen, dass man nicht einmal weiss, auf welches Jahr
man dieselbe ansetzen soll. Demnach haben wir in derselben keine wirk-
lich gehaltene Rede, sondern eine sophistische Schulübung zu erblicken,
die schwerlich mit Recht dem Lysias zugeschrieben wurde. ^) — Zur Klasse
der epideiktischen Reden gehört auch der '0Xv/utmax6g, gehalten 388, von
dem uns ein Fragment mit den bei solchen Festreden üblichen Phrasen
vom einträchtigen Zusammengehen der Griechen gegen ihre Zwingherm
erhalten ist Die Spitze der Rede war aber nicht gegen den Perserkönig,
sondern gegen Dionysios, den .Tyrannen von Syrakus, gerichtet und hatte
den Erfolg, dass die Festversammelten über die von Dionysios geschickten
Zelte herfielen und dieselben plünderten.*) — Eine sophistische Tendenz-
rede war die anoXoyia SwxQOTovg, die sicher nicht wirklich gehalten wurde,
sondern nur bestimmt war, um die mehrere Jahre nach dem Tode des
Sokrates geschriebene Anklagerede des Sophisten Polykrates zu wider-
legen.«)
Weitaus am wichtigsten für die Kenntnis der lysianischen Beredsam-
keit, sowie der politischen Verhältnisse Athens sind die gerichtlichen Reden.
Voran stehen unter diesen die schon oben berührte Rede gegen Eratos-
thenes (403) und die verwandte, ein paar Jahre später gehaltene Rede
gegen Agoratos, einen schandbaren Sklavensohn, der als Helfershelfer der
Oligarchen den Tod des Dionysodoros und anderer Häupter der Demokratie
herbeigeführt hatte. In ihr bewährt Lysias nicht bloss seine Meisterschaft
in lebensvoller Schilderung der Schreckensherrschaft, sondern zeigt auch
ein besonderes Geschick in der kunstvollen Anordnung, indem er den
schwächsten Teil, dass die Anklage erst viele Jahre nach dem Verbrechen
und vor dem unstatthaften Gerichtshof der Elfmänner angebracht worden
war, in die Mitte zwischen die packende Erzählung und die pathetische
Peroratio stellt. — Einen politischen Hintergrund haben auch die Anklage-
reden gegen Philon und Euandros und die Verteidigungsreden für Manti-
theos und einen andern wegen oligarchischer Gesinnung verfolgten unge-
nannten (25), die alle vier bei der Dokimasie oder der Prüfung, ob der
>) Ffir die Echtheit tritt ein Li Bbau,
Lyaias Epitaphios als echt erwiesen, Stattg.
1863. Dagegen Sauppe in der Rezension,
6ött Gel. Anz. 1864 S. 824 ff. = AuBgew.
Schrift 369 ff. Gegen die Echtheit spricht
sich aoch Blass, Att Ber. P 437 ff. ans,
glaabt aber, aosgehend von einer SteUe des
Theon, Rhet gr. II 68, dass die sophi-
stische Uebnngsrede in der Zeit des Ljsias
vor dem Panegyrikos des Isokrates entstan-
den seL Rbuss Rh. M. 88, 149 setzt sie
nach Isoer. Areop. oder nach 353. Zweifel-
haft ist, ob Aristot. Rhet IQ 10, wo er eine
Stelle unserer Rede mit iy n^ inita<pi(i>
citiert, wirklich unseren Epitaphios gemeint
habe, etwas was selbst wieder davon ab-
hftngt, ob dort das jedenfalls irrtfimliche
2aXa/jityi in Aafjiiff oder sonstwie geändert
werden dflrfe.
•) Diodor. XIV 109; Dionys. de Lys.
29; Ps. Plntarch im Leben des Lysias.
*) Ueber das Verhältnis zur Apologie des
Piaton siehe unten § 305. Dass die Reden
des Lysias und Polykrates noch von dem
Rhetor übanios in seiner Apologie benutzt
wurden, führt nach einer Andeutung Dindorfs
RüD. HiBZBL Rh. M. 42, 289 ff. aus.
376
Orieohisohe LitteratargeBohiohte. I. Klaseisöhe Pariode.
ausgeloste Senator oder Beamte auch die Würdigkeit zur Übernahme des
Amtes habe, gehalten wurden. — Auf die Reehenschaftsablage (sv&vvai)
nach Verwaltung des Amtes beziehen sich die Reden gegen Epikrates (27)
und Nikomachos (30); die erstere dieser Reden ist bloss ein kurzer Epi-
log, in der letzteren Rede handelt es sich um willkürliche Änderungen,
die sich der Angeklagte als ävaygaifsvc; bei der Aufzeichnung von Ge-
setzen, namentlich von Sakralgesetzen hatte zu schulden kommen lassen.^)
Interessanter noch sind die 2 Reden gegen Alkibiades (gehalten 395/4)
wegen Versäumung militärischer Pflichten {Xemova^iov),^) sowie die Rede
vTi^Q rcov ^AQifftoffcvovg xqrjiicxfav nqoq %6 drjfioaiov, und das vorzügliche
Bruchstück Tiegi tf>g drj^ievaeiag zdiv tov Nixiov adsXipov imXoyog^ in denen
sich der Streit um Güterkonfiskationen wegen Staatsverbrechen dreht.')
In die humane Fürsorge der Athener für erwerbsunföhige Mitbürger ge-
währt einen erfreulichen Einblick die kleine Rede vn^g äSwärov (24), mit
der ein Krüppel den Fortbezug der Pension, die Missgünstige ihm ent-
ziehen woUten, von dem Rate sich erbittet. Von der Engherzigkeit der
Athener in Sachen der Nationalökonomie und von ihrer spiessbürgerlichen
Abneigung gegen den Grosshandel zeugt die 22. Rede gegen die Getreide-
händler, welche das Gesetz, das ihnen auf einmal mehr als 20 Trachten
{(fOQfiovg) zu kaufen verbot, in den Wind geschlagen hatten. Ein be-
sonderes sakrales Interesse knüpft sich an die Rede vn^g tov arpcov^ in
welcher der Angeklagte sich gegen 'den Vorwurf verteidigt, dass er einen
auf seinem Grundstück befindlichen heiligen Ölbaum (fiogia) ausgerodet
und mitsamt der Umzäunung (crr/xog) habe verschwinden lassen. Im übrigen
drehen sich viele der Reden um Bagatellsachen, die nur durch die Art
der Behandlung einiges Interesse erregen; eine, die achte, hat nur private
Zänkereien zum Gegenstand und ist ein in die Form einer Rede gekleideter
Absagebrief. Von der am meisten gerühmten Privatrede xard JioyeiTovog
wegen schurkenhafter Vormundschaft {inixgonr^g) sind uns leider nur Bruch-
stücke durch Dionysios überkommen.
Die einzige Grundlage des Textes ist fOr die meisten Reden, wie zuerst H. Savpps,
Epist. crit ad God. Eermannum = Ausgew. Sehr. 80 ff. nachwies, der cod. Palatinus s. X in
Heidelberg; nur die Reden über Eratosthenes Mord und der Epitaphios sind auch noch
durch eine andere Quelle auf uns gekommen, die am besten durch Mardanus F vertreten
ist, worüber R. Scholl, Sitzb. d. b. Ak. 1889 II S. 26—38. Die übrigen 29 Reden gehen auf
zwei Sammlungen zurück, von denen die eine s&mtliche Reden nach den Prozessarten ge-
ordnet enthielt und von der die Reden tibqI tgavfjtaTOij naeßeia^, xaxoXoyitoy (3 — 11) auf
uns gekommen sind, die andere eine Auswahl der politisch interessantesten Reden umfasste
(12—31), unter denen die Reden gegen Eratosthenes (12.) voranstand.
Hauptausgabe von Reiske cum annot. Taylori, Marclandü, suis, Lipe. 1772, 2 voL
Kritische Textesausg. von Cobbt, Amstel. 1863; von Scheibe in Bibl. Teubn. Erklärende
Ausgabe ausgewählter Reden von Rauch ekstein-Fuhb bei Weidmann; von Fbohbebobb-
Gbbaueb bei Teubner mit überlangem kritischen Anhang.
^) 0. GüLDE, Quaestiones de Lysiae
oratione in Nicomachum. Berliner Disser-
tation 1882.
^) In Sachen des jüngeren Alkibiades
sprach auch Tsokrates, worüber unten § 268.
Auch in Sachen der zeugenlosen {df^dgTvgog)
Rede stand Isokrates auf Seiten der Gegen-
partei; vgl. Dbebup Jahrb. f. Phil. Suppl.
XXII 352 ff.
>) R. Scholl, Quaestiones fiscales im»
attici ex Lysiae orationibus iUostxatae, in
Gomment. m honorem Schömanni, Beri.
1873.
8. IHe Beredsamkeit, d) Isokrates.
t 266-267.)
377
266. Isaios,^) Sohn des Diagoras aus Chalkis in Euböa*) ward von
Hermippos unter den Schülern des Isokrates aufgezählt, wirkte aber so
ziemlich zu gleicher Zeit wie jener, um 390 bis 350. Da er Fremder war,
80 war ihm die Laufbahn eines Staatsredners versagt, er beschränkte sich
daher auf die Stellung eines Lehrers der Beredsamkeit und eines Logo-
graphen. Seine Spezialität waren Erbschaffcsangelegenheiten, bei deren
Behandlung er Rechtskenntnis mit geschickter Beweisführung und Anord-
nung verband. Es sind daher von den 64, oder, nach Ausscheidung der
unechten, 50 Reden, welche er hinterliess, nur die Xoyoi xXrjQixoi auf uns
gekonmien. Es waren deren 13, aber durch den Wegfall der Schluss-
blätter tles Cod. archetypus sind uns nur 10 und die Hälfte der 11. erhalten.
Ausserdem hat uns Dionysios ein grosses, in den Ausgaben an 12. Stelle
gedrucktes Bruchstück aus einem anderen Rechtsfall aufbewahrt, in dem
ein gewisser Euphiletos gegen die Gemeinde der Erchiäer wegen wieder-
rechtlicher Streichung aus der Bürgerliste Appellation ergreift. Die
11. Bede über die Verlassenschaft des Hagnias zu Gunsten des Theopompos
hat dadurch für uns ein besonderes Interesse, dass uns aus demselben
Erbschaftsprozess eine Rede des Demosthenes, die gegen Makartatos, den
Sohn des Theopomp, erhalten ist. Die Aufnahme in den Kanon verdankte
Isaios der Kunst der Beweisführung, durch die er zur sachlichen Schlicht-
heit des Lysias in Gegensatz trat. Das Verhältnis beider ist von dem
Biographen gut mit dem Satze bezeichnet, dass Lysias überzeugte, auch
wenn er für Ungerechte eintrat, Isaios Verdacht erregte, auch wenn er
iur Gute sprach. Der schlauen Gewandtheit in der Behandlung des Rechts-
falls entspricht auch das grössere Pathos und die gesuchte Weise der Rede.
Zq neun Reden ist einzige Quelle der Cod. Grippsianas A. — Ausgaben: recogn.
«bot crit. et comment. adi. Sghömann, Greifsw. 1881; rec. Bürmann, Berl. 1883, wozu text-
kritische Beitrftge in Herrn. 19, 825 ff. Textausg. in Bibl. Teubn. von Schbibe.
d) Isokrates und die sophistische Beredsamkeit.
267. Isokrates (436—338)») war der Sohn des Theodoros, eines
wohlhabenden Flötenfabrikanten aus dem Demos Erchia; geboren war er
nach seiner eigenen Angabe de antid. 9 im Jahre 436. Mit aller Sorgfalt
erzogen,*) hörte er in den Jünglingsjahren von Philosophen den Prodikos,
von Rednern den Gorgias und Theramenes. Auch mit den Kreisen des
Sokrates stand er in Verbindung; Piaton lässt am Schluss des Phaidros
den Sokrates glänzende Erwartungen von dem jungen Isokrates aussprechen,
ond der Peripatetiker Praxiphanes führte in dem Dialog über Dichter den
Isokrates als Gast des Piaton auf dem Lande ein.^) Aber die Hoffnungen
M AuBser den gewöhnlichen Quellen
ßHooYS., Ps. Plut, Suidas) ein yivog 'laaiov
^ WnTERMAKK, BiogT. p. 261 f. und ein
Artikel des Harpokration loalo^,
') Dieee Angabe geht nach Suidas auf
BemetrioB Magnes znrfick; wenn er nach
•Ddern (Hermippos?) Athener hiess (Dionysios,
Soidas, yiyoc fa.), so bezog sich dies wohl
nf die AdoptiTheimat.
') Quellen sind ausser Ps. Plutarch,
PhoÜM und Suidas die Spezialschrift des
Dionysios über Isokrates und eine anonyme
Vita, vielleicht von dem Rhetor Z o s i m o s ,
alles zusammengestellt bei Wbstermann,
Biogr. gr. 245—259. Wichtig ist überdies
Socraticorum epist. 30 aus den gegnerischen
Kreisen der Akademie. Zur Lebens- und
Quellenkunde Bruno Kbil, Analecta Isocra-
tea, Prag-Leipz. 1885.
*) Isocrat. 15, 161.
5) Diog. III 8.
378 Oriechische LitteratnrgeBohichte. I. KlasBisohe Periode.
des Sokrates und Piaton, den talentvollen jungen Mann ganz fQr die Phflo-
sophie zu gewinnen, scheiterten. Isokrates fühlte sich mehr zu der prakti-
schen Thätigkeit eines Redners hingezogen. Anfangs trat er, wie Lysias,
als Redenschreiber (XoYoyQa^pog) auf; aus dieser seiner Laufbahn sind uns
noch 6 Reden erhalten, welche in die Zeit von 402 bis 393 fallen.^) Aber
bald suchte er infolge von Unannehmlichkeiten, welche ihm diese Anwalts-
praxis zugezogen haben soll,^) ein anderes Feld rednerischer Thätigkeit.
Von der Beteiligung an den öffentlichen Kämpfen auf dem Markt und in
der Ratsversammlung hielt ihn eine angeborene Schüchternheit und die
Schwäche seiner Stimme ab; aber zu einem Lehrer der Beredsamkeit
glaubte er das Zeug in sich zu haben, um 390 also eröffnete er eine
förmliche Schule, nach der Angabe des Ps. Plutarch p. 837 b zuerst in
Chios {im Xiov). Aber dass ein Athener statt in seiner Heimat, dem
Sitze der Beredsamkeit, in dem fernen Chios eine rhetorische Schule ge-
gründet haben soll, ist wenig glaublich ; wahrscheinlich steckt in jenem
im X(ov ein altes Verderbnis, und war in der Vorlage des Ps. Plutarch
vielmehr das Lokal in Athen angegeben, in dem der gefeierte Rhetor zu
lehren begann. Das Programm, mit dem er seine Schule eröffiiete, liegt
uns in der Rede gegen die Sophisten vor. Er versprach darin, seine
Schüler nicht bloss zu Rednern zu bilden, sondern überhaupt in die Bil-
dung und praktische Lebensweisheit einzuführen. Damit trat er als Kon-
kurrent der Sophisten und Philosophen auf, und wenn auch der Ausfall
gegen die Wortspaltereien der Eristiker zunächst gegen Antisthenes ge-
richtet war, so verstimmte doch der ganze Tenor der Programmrede auch
den Piaton, der sich dafür in dem Dialog Euthydemos p. 304 d mit ge-
ringschätziger Bitterkeit, ohne gerade den Isokrates bei Namen zu nennen,
über die Anmassung der Halbwisser erging, welche das Zwischengebiet
zwischen Philosophie und Politik kultivierten, es aber in keinem von beiden
zu etwas Rechtem brächten, s) Aber die Feindseligkeit der Philosophen
that dem Aufblühen der rhetorischen Schule des Isokrates keinen Eintrag.
Das Programm übte von vornherein auf die praktischer angelegten Naturen
grosse Anziehungskraft, und der Leiter der Schule sorgte bei seinem her-
vorragenden Lehrgeschick für eine glückliche Lösung der Aufgabe. Von
allen Seiten strömten Schüler herbei ; nicht bloss künftige Redner, sondern
auch solche, welche sich der Staatsverwaltung widmen oder nur einen
höheren Grad von Büdung überhaupt sich erwerben wollten, drängten sich
in seine Schule. Cicero de erat. U 22, 94 ^) hat den berühmten Ausspruch
^) In die Zeit unmittelbar nach Herstel- | componendas transtulisse.
lung der Demokratie fällt die 21. Rede gegen | ') Dies Verhältnis überzeugend klai^
EuÜiynus; der Trapezitikos ist einige Jnübre I gelegt von L. Spenoel, Isokrates und Piaton,
nach Wiederaufrichtung der athenischen See- I Abhdl. d. b. Äk. VII (1855), mit einem Nach-
macht oder nach der Schlacht von Enidos
(395) gehalten (17, 36). Wie weit man
unter 393 herabgehen dttrfe, ist nicht aus-
gemacht.
*} Cicero Brut. 12, 48 nach Aristoteles:
cum ex eOy quia quasi commiiteret contra
legem quo quis iudicio circumveniretur,
saepe ipae in iudicium vocaretur^ orationes
aliis destitisse scribere totumque se ad artea
trag im PhUol. 19, 597. Vgl. Reinhardt,
De Isocratis aemulis, Bonn 1873. Nichts
bedeuten die Herumredereien von Nowak,
Piaton u. die Rhetorik, Jahrb. f. Phil. SuppL
XIU 537. Vgl. Epist. Socrai 30.
*) Vgl. Cic. Brut. 8, 32: Isocratis da-
mus cunctae Graeciae quasi ludus quidam
patuit atque officina dicendi.
8. Die Beredsamkeit, d) Isokraies.
t.)
379
gethan: Isocratis e ludo tamquam ex equo Troiano meri principes exierunt,
und der alexandrinische Orammatiker Hermippos schrieb ein eigenes Buch
TtiQi täv *laoxqaTovg fiad^rjrcovA) Staatsmänner, wie Timotheos und Leo-
damas, nannten sich seine Schüler; die Historiker Ephoros und Theopomp
und der Tragiker Theodektes hatten aus seiner Schule die Anregung er-
halten ; die grossen Redner der nächsten Zeit, Isaios, Lykurgos, Aischines,
Hypereides, waren durch ihn in die Redekunst eingeführt worden ; mit den
bedeutendsten und mächtigsten Persönlichkeiten seines Jahrhunderts, mit
den Königen Euagoras von Kypem, Archidamos von Sparta, Philippos von
Makedonien trat er durch seine Schule in Verbindung. Der Kurs in der-
selben dauerte gewöhnlich 3—4 Jahre,*) wofür er ein Honorar von 1000
Drachmen verlangte, was ihm bei der Masse der Schüler mit der Zeit ein
grosses Vermögen eintrug. Allmonatlich fand ein Certamen statt; der
Preis bestand in einem Kranz, s) Dem Unterricht lag eine entwickelte
Theorie (vt'x'^rj) zu grund, von der sich manches noch in spätere Zeiten
vererbt hat; die Hauptsache aber bildeten die zur Einübung bestimmten
Vorlagen von Musterbeispielen und die Anleitung zum Ausarbeiten von
Reden und Redeteilen. Sein eigentliches Ansehen verdankte aber doch
Isokrates nicht seiner Thätigkeit als Lehrer der Beredsamkeit; dieses
gründete sich vorzüglich auf seine epideiktischen und politischen Reden,
die er nicht wirklich hielt, die vielmehr Schulreden in dem Sinne waren,
dass sie zugleich den Schülern als Muster in der Redekunst dienen sollten.
Mit ihnen suchte er, wie mit politischen Broschüren, Einfluss auf den Gang
der Ereignisse zu gewinnen^) und vornehmlich sein politisches Ideal, die
Vereinigung aller Hellenen zum gemeinsamen Krieg gegen die Barbaren,
der Verwirklichung entgegenzuführen. Der unpraktische Doktrinär erreichte
sein Ziel nicht und starb, als er seine Hoffnungen durch die Kriegs-
erklärung des Königs Philipp zusammenbrechen sah, bald nach der Schlacht
von Chaeronea, indem er, wie man sagte, nach dem unglücklichen Ausgang
der Schlacht freiwillig durch Verweigerung von Nahrung seinem Leben
ein Ende machte.^) Er hinterliess einen Stiefsohn Aphareus, den ihm seine
Frau Plathane, die er in späten Jahren als Witwe heiratete, mit in die
Ehe gebracht hatte, und eine Tochtor, die er mit einer Hetäre, Lagiske
mit Namen, erzeugt hatte. Eine Statue, gefertigt von dem berühmten
Künstler Leochares, hatte ihm sein Schüler Timotheos, eine Büste auf
einer Säule sein Stiefsohn Aphareus gesetzt; das auf der angefügten Tafel
abgebildete Bildnis der Villa Albani zeigt die griesgrämigen Mienen eines
dem frischen Pulse des Lebens entfremdeten Schulmeisters.
268. Vom litterarischen Nachlass des Isokrates sind 21 Reden und
10 Briefe auf uns gekommen; die Alten hatten von echten Werken nur
den auswärtigen Grossen förmlich betteln
ging und dieselbe Rede mit kleinen Um-
arbeitungen mehreren antrug, wirft ihm das
Pamphlet des Speusippos vor ep. Socratic.
30, 13.
^) Dagegen spricht Isokrates im 3. (un-
echten) Brief an Philipp so, als ob er auch
noch nach der Schlacht an ein Zusammen-
gehen der Griechen und Philipp gehofipt habe.
^) Ath. 342 c u. 451 e; Dionys. de Isaeo 1;
Ps. Plntarch p. 837 c. Manche waren von
der Schule des Piaton in die des Isokrates
und umgekehrt flbergetreten, wie Lykurgos,
iLlearchos aus Heraklea, Isokrates von Apol-
lonia.
«) Iflocr. de antid. 87.
>) Menander in Rhet. gr. III 398 Sp.
*) Dass Isokrates mit seinen Reden bei
380
Orieohi«ehe LitteratiirgMohiohte. I. KlaMiBohe Periode.
wenig mehr: Cäcilius erkannte 28, Dionysios 25 unter den 60 zirka-
lierenden Reden als echt an.^) Auch ein Handbuch der Beredsamkeit, eine
räxvTj, war von ihm in Umlauf; Aristoteles soll desselben nach dem ano-
nymen Biographen in der fswaytayf^ Texvmv Erwähnung gethan haben,')
Quintilian II 15, 4 aber bezweifelt die Echtheit des damals vorhandenen
Abrisses. Wahrscheinlich waren es nur Regeln, welche die Jünger nach
Erinnerungen, vielleicht auch nach Diktaten aus der Schule des Meisters
nachträglich zusammengestellt hatten. Was sich von ihnen erhalten hat,
ist bei Spengel, 2vvay<oyT} «^rwr p. 154 — 172, zusammengetragen und er-
läutert. Die erhaltenen Reden stehen in unseren Ausgaben in der Reihen-
folge, die ihnen Hieronymus Wolf gegeben hat,^) voran die paränetischen
(3), dann die epideiktischen (12), zuletzt die gerichtlichen (6). — Zeitlich
am frühesten fallen die 6 gerichtlichen Reden {rteql tov fetiyoi»^, TQarts^i-
Tixog^ TtQvg KaXXifiaxov, Aiyivrjuxog, xard Xoxnov^ TtQog EvkP'Vvovv)^ welche,
wie schon bemerkt, zwischen 402 und 393 gehalten oder vielmehr von
unserem Redner für andere geschrieben worden sind.^) Von ihnen hat
die zweite den Namen TQane^mxvg^ weil es sich in ihr um ein Depot bei
einem Bankier {tQan€^hi]q) handelt; dieselbe gibt nebenbei über die
Handelsbeziehungen, welche in jener Zeit Athen mit dem Bosporanischen
Reiche unterhielt, höchst interessante Aufschlüsse. Die vierte Rede heisst
MyivrjTixog, weil sie vor einem äginetischen Gerichtshof gehalten worden
ist. Die letzte der Gerichtsreden, in ihrer heutigen Gestalt nur ein Bruch-
stück, ist der berühmte Xoyog dfAägrvQog^ so genannt, weil in der Sache
keine Zeugen beigebracht werden konnten.^) In dem bezüglichen Streit,
der um 402 kurz nach Vertreibung der Dreissig zum gerichtlichen Aus-
trag kam, stand Isokrates dem Lysias gegenüber und gaben die beider-
seitigen Reden dem Antisthenes Anlass zu einer gegen Isokrates gerich-
teten Streitschrift nsgi rwv dixoyqdipwv ij Avaiag xal ^laoxQdrrjc^ ^Qog töv
'laoxQOTovg äfiaQTVQov.^) Auch in der Rede nsQi tov C^vy^vg, in der es
sich um ein fremdes Gespann 7) handelt, mit dem der berühmte Alkibiadee,
der Vater des Angeklagten, in Olympia gesiegt hatte, trat Isokrates den
^) Bb. Keil, Anal. Isoer. c. 2 weist
nach, dass schon Hermogenes nicht mehr
als unsere 21 Reden, und zwar in der Ord-
nung unserer Hdschr. hatte.
') Angeführt wird dasselbe von Philo-
demos in Vol. Herc. XI 96: 'JaoxQaxtjv xal
r()[yag xaxaXtneiy.
*) Ueber ihre Folge in den verschie-
denen Erlassen der Handschriften s. D beruf
Rh. M. 51 (1896) 21 f.
*) Wie wir aus Dionysios de Isoer. 8
sehen, hat Aphareus nach dem Willen des
Vaters die Autorschaft dieser gerichtlichen
Reden später verleugoet. Die Echtheit des
Trapezitikos, wegen der sprachlichen Be-
sonderheiten und sachlichen Unklarheiten
angezweifelt von Benseier und Grosse, wird
mit Erfolg verteidigt von Dbkrüp, De Iso-
cratis orationibus iudiciaJibus, Jhrb. f. cl.
Phü. Suppl. XXII 355 ff., zugleich mit Auf-
hellung der verwickelten Rechtsverhältnisse
von Galle, Beiträge zur Erklärung des Tra-
pezitikos und zur Frage der Echtheit» Zittaa
1896, Progr. n. 568.
^) Die Rede ist läppisch in der Beweis-
fQhrung und schmeckt nach den Künsten
der Schule, aber schon das Zeugnis des Ari-
stoteles rhet. II 19 schätzt sie gegen die
Angriffe auf ihre Echtheit von Dremp a. O.
364 ff.
^) Diog. VI 15. Die Partetnahme des
Antisthenes fOr Lysias erkannt von üsbhbr,
Quaest. Anax. 7 ff., von demselben in weitere
Kombinationen gezogen Rh. M. 35, 135 ff.
') Auff&Uigerweise heisst der Eigim-
tOmer des Gespanns in unserer Rede Teisias,
bei Andokides 4, 26 aber, mit dem Diod«»'
13, 74 und Plutarch, Alcib. 12 stinunen,
Diomedes. Wahrscheinlich war, wie der
Herausgeber Frohberger annimmt, Teisias
der Sobn des Diomedes.
8. Die BeredBamkeit. d) IsokrateB. (§ 269.) 381
Kreisen des Lysias feindlich gegenüber, da dieser zu den Gegnern des
Alkibiades, des Freundes der Sokratiker, gehörte und einige Jahre nach
jenem Rechtshandel (395/4) die uns noch erhaltenen Reden gegen Alki-
biades hielt. Isokrates, damals noch mit Piaton und den Sokratikem be-
freundet, erlaubte sich bei der Publikation seiner Rede, i) die erst nach
jenem zweiten Rechtshandel erfolgte, die vor Gericht gefealtene Rede zu
erweitem und in dieselbe überschwengliche Lobpreisungen auf die Ver-
dienste des Alkibiades einzulegen.^) — Einen ganz anderen Charakter trägt
die erst in unserem Jahrhundert durch Mustoxydes aus dem Cod. Ambros.
415 vervollständigte Rede tisqI dvriioaswg. Dieselbe ist 353 ') von dem
Redner in eigener Sache im 82. Lebensjahre geschrieben worden, hat aber
nur die Form einer Gerichtsrede. Veranlasst war dieselbe durch eine
Chikane des Lysimachos, der ihm durch das Anerbieten des Vermögens-
fausches die Leistung einer kostspieligen Trierarchie zuschob. Es konnte
nämfich in Athen einer, dem eine Liturgie zugemutet wurde, einen anderen
Bürger, den er für reicher hielt, dadurch zur Übernahme der Leistung
zwingen, dass er ihm im Falle der Weigerung Vermögenstausch (ävuSotng)
anbot Nun stand Isokrates im Rufe, sich durch seine Lehrthätigkeit und
vornehmen Verbindungen ein enormes Vermögen erworben zu haben, und
es bot ihm daher jener Lysimachos zweimal Vermögenstausch an. Dar-
über kam es zur gerichtiichen Verhandlung, und bei dem zweiten Mal
musete sich wirklich Isokrates, wollte er nichts Schlimmeres über sich
ergehen lassen, zur Übernahme der Trierarchie verstehen. Hintendrein
schrieb er dann unsere Rede, die längste und langweiligste von allen, in
welcher er sich gegen die Missgunst seiner Mitbürger zu verteidigen und
seine Verdienste in helles Licht zu setzen suchte. Der Anklang der Rede
an die Apologie des Piaton im ganzen und in Einzelheiten ist schon von
dem Angsburger Humanisten Hieronymus Wolf bemerkt worden.
269. Sophistische und paränetische Reden. Den eigentlichen
Qeschichtsreden stehen der Zeit nach zunächst die schon erwähnte Pro-
granunrede xard twv aoifiCTwv und die 2 sophistischen Schulreden BovaiQig
and 'EUvrfi iyxwfiiov^*) mit denen er den Sophisten*) zeigen wollte, wie
^) Die Rede des Isokrates setzt Blass Isocratis nsgl tov C^vyovg oratione, in Comm.
11205 auf das Jahr 397; sie fäUt nach §40 i Ribbeck. 461—74 eine nachträgliche Um-
jedenfaJls vor den Wiederaufbau der Mauern. arbeitung der Rede des Isokrates ange-
nommen.
>) Das Jahr gibt Isokrates selbst § 9.
*) Bergk, Fünf Abhandl. S. 34 rückt
') Wo Bbcvs, Das Utterarische Portrftt
8. 495 ff. erweist, dass die Rede des Iso-
krates und die Hauptrede des Lysias gegen
Alkibiades (or. 14 § 24—29) so wie sie uns i diese Rede, weil in ihr Antisthenes als ge
vorliegen 7or Gericht nicht gehalten sein altert bezeichnet werde, in spätere Zeit
koonteD, sondern lediglich Utterarische Pro- i herab; ebenso setzt sie Bb. Keil, Anal.
Miktionen sind. Im Anschluss daran nimmt I Isoer. p. 6 um d. J. 366. Blass I ^ 74 f.
geht wieder auf das J. 393 als vermutliche
Abfassungszeit zurück. Jüdeioh , Klein-
asiatische Studien, Marburg 1892 S. 156 tritt
für 385 ein.
^) Wer die Bekämpften seien, ob Gor-
gias mit seiner Helena, oder Anaximenes und
Polykrates, darüber waren schon die Alten
nach den Argumenten uneins.
^enelbe, um die wechselseitige Bezugnahme
^ Isokratee XVI 10. 11. 12. 13 auf Ly-
nas nnd des Lysias XIV 32, 37 auf Iso-
kntes zu erklären, an, dass einerseits Iso-
krates, als er seine Rede verOffentiichte, auf
^ lysianische Plaidoyer Bezug nahm, ander-
*^tB dem Lysias, als er die 14. Rede heraus-
pb, die isokraÜache Publikation bereits vor-
lag. Aehnlich hatte schon Fb. Nowack, De
382
Oriechisohe Lüteratnrgeschiohte. I. Slassisohe Periode.
man ein solches Thema anfassen müsse. — Paränetische Reden sind uns
3 überliefert, der Fürstenspiegel {nQog NtxoxXho)^ gerichtet an Nikokles,
den Sohn des Euagoras, der um 374 seinem Vater in der Herrschaft von
Eypern gefolgt war; die Mahnrede an die ünterthanen des Nikokles,
NixoxXffi betitelt, weil sie dem Nikokles selbst in den Mund gelegt ist;
die Spruchrede an Demonikos, den Sohn eines dem Redner befreundeten
Mannes. Alle 3 Reden enthalten eine Fülle schöner, ohne erkennbares
Band aneinandergereihten Sentenzen ; aber die letzte wird von Harpokration
unter snamog oQxog als Werk des Isokrates von Apollonia citiert und ent-
hält auffallige Abweichungen vom Sprachgebrauch unseres Redners.^) —
Mit den Ermahnungen an Nikokles hängt die Lobrede auf Euagoras zu-
sammen. Sie war die erste dieser Gattung, da man zuvor das Gebiet der
cyxoifiua auf Zeitgenossen ganz den Dichtern überlassen hatte;*) geschrieben
ist sie nach dem Tod des Euagoras (374) und nach der Mahnrede an
Nikokles (s. 9, 78), um 370.
270. Epideiktische Reden. Den Glanzpunkt der isokratischen
Beredsamkeit bilden die epideiktischen Reden: üavrjyvQixog, Preisrede auf
Athen, geschrieben im Sinne einer vor dem versammelten Hellenenvolk
(navijyvQtg) gehaltenen Festrede im Jahre 380 kurz vor Stiftung des zweiten
Seebundes'), nkataixtg^ den Platäem in den Mund gelegt, die, von den
Thebanern aus Haus und Hof vertrieben, den Schutz der Athener anflehten
(373); ^ÄQxdaiiog^ angeblich von Archidamos in der spartanischen Volks-
versammlung gehalten,^) um die Bürger zur Ausdauer in dem Kampf gegen
Messenien zu bewegen (365);*) Svfifiaxixdg rj negi stgi^vr^g, Flugschrift aus
dem Jahre 357 oder 355, worin Isokrates der Kriegspartei des Ghares
entgegentritt und ein gerechtes Entgegenkommen gegen die Bundes-
genossen befürwortet; 'AqsonayiTixog, wahrscheinlich nach dem Bundes-
genossenkrieg um 354 geschrieben zu Gunsten des Areopag, indem Iso-
krates einen Ausweg aus den zerfahrenen Zuständen nur in der Rückkehr
zur alten Verfassung und in der Wiederherstellung des Areopags sah;
(PikinTiog, Sendschreiben an den König Philipp nach Abschluss des philo-
krateischen Friedens (346), in welchem der altersschwache Greis den sieg-
reichen König auffordert, die Städte der Hellenen unter einander zu ver-
*) Die Echtheit ward znerst verworfen von
Benseier; die Untersnchong fortgeführt von
W. Jahr, Qnaest. Isocrateae, Halle 1881;
Albbecht, Philol. 43, 244 ff. u. Zeitschr. f.
Gymn., 1885 S. 95 f. Von ihrer Beliebtheit
zeugt die syrische Uebersetzung, publiziert
von Laoardb, Anal. Syr., Lips. 1858.
') Dieses hebt mit Stolz auf diese neue
Erfindung seiner Weisheit der Redner § 8
hervor. Auch ein iyxaifiioy auf Gryllos, den
Sohn des Xenophon, soll er geschrieben
haben, nach Diog. II 55: dXXd xai "EQfjiinnoq
iy Tfti TtSQt BBOtpQnaiov xal £(üx^(irij ('/<Jo-
xQUTf] em. Meier, Opusc. II 287) (ftjai
rgvXX(it iyxüifiiOBf yeygafpevai. Auch bei dem
Wettstreit der Lobredner auf MausoUos soll
er beteiligt gewesen sein; s. GeUius X 18,
6 und Meier a. O.
>) Das Jahr geht hervor aus § 126; Aber
die sich daraus ergebende politische Tendenx
der Rede s. Dbebüf, Philol. 54 (1896) 6S6
ff. Dagegen hilft sich G. Fribdrich Jahrb.
f. cl. Phil. 1893 S. 21 f. u. 1897 S. 175 f.
aus den Bedenken, welche die Widerapr&che
aber die Zeit des Feldzugs des TeiribaKoa
erwecken (paneg. 134 und Diodor XIY 110)
mit der Annahme, dass der Panegyxikos
zuerst 385, dann in einer zweiten Aosgftbe
380 veröffentlicht worden sei.
^) Natürlich war die Bede nicht wirkUch
von Archidamos gehalten worden; dieselbe
wurde von den Alten wegen ihres ethischen
Gehaltes besonders hoch geschfttit; s. Dionys.
de Isoer. 9 u. Philostr. Vit soph. I 17.
^) Gerichtet war die Rede gegen AUd-
damas; s. § 272.
8. Die Beredsamkeit, d) Isokrates. (§§ 270—271.) 383
söhnen und die FübrerroUe im Krieg gegen die Perser zu übernehmen;
Uava^Tjrcuxog^ geschrieben 342—389, eine schlechte Neuauflage des Pane-
gyrikos,!) in welcher mit dem Lobe Athens die Verherrlichung der eigenen
Knnstrichtung in ermüdender Breite verbunden ist.
Den Reden sind 10 Briefe angefügt, über deren Echtheit das Urteil
der Kenner schwankt, die aber jedenfalls ganz im Geiste und im Stil des
Isokrates geschrieben sind.^) Dieselben sind gerichtet an Dionysios, den
Tyrannen von Syrakus, an König Philipp,*) den jungen Alexander, an
Antipater, Timotheos (Tyrannen von Heraklea), Archidamos, die Kinder des
Jason, die Archonten von Mytilene. In dem 3. Brief an Philipp, der nach
der Schlacht von Ghäronea geschrieben ist, geht der Schreiber in seiner
Einf<igkeit so weit, auch noch nach der Niederwerfung der Athener von
einer Führerrolle des Königs in einem Perserkrieg zu träumen. — Endlich
bewahrte man in den Rhetorenschulen das Andenken an die vielen hüb-
schen Aussprüche {äno(fd'hY^axa) des Lehrers, darunter den schönen r^g
Ttaiisfag trjv fUv ^i^ccv slvai nixgav tov i^ xagniv yXvxtv.^)
271. Charakteristik. Die Bedeutung des Isokrates liegt in der
Ausbildung des Stils ßt^ig, elocutio) ; ^) seine Perioden sind von vollendeter
Rundung; die annähernde Gleichheit der entsprechenden Glieder {nd^iaa)
geben seiner Rede jenes Ebenmass, das die Griechen in der Sprache nicht
weniger als in der Baukunst anstrebten;«) der Hiatus oder der Zusammen-
8to88 zweier Vokale ist mit Sorgfalt vermieden;') auch die Aufeinander-
folge gleicher Konsonanten im Auslaut des vorangehenden und Anlaut des
nachfolgenden Wortes ist ferne gehalten; ein wohlklingender Rhythmus
schlägt an das Ohr des Lesenden, ohne dass doch ein bestimmtes Metrum
herauszufinden wäre; insbesondere ist am Schlüsse der Perioden ein be-
stünmter Tonfall {numerus) eingehalten ; die Bedeutung der lumina oratio-
nis, der Metaphern und Figuren, ist wohl gewürdigt, doch mit Mass, ohne
den Fehler gesuchter Künstelei zur Anwendung gebracht. Aber so hoch
man auch diese formalen Vorzüge der Reden des Isokrates anschlagen
mag, 80 merkt man denselben doch zu sehr die darauf verwendete Mühe
an. Auf die Ausarbeitung des Panathenaikos hat er nach seinem eigenen
Geständnis 3 Jahre verwendet, und für sein schönstes Werk, den Pane-
gyrikos, soll er gar 10 Jahre gebraucht haben, wozu Cäcilius in dem Buche
vom Erhabenen 4, 2 witzig bemerkt,^) dass Alexander in weniger Jahren
Asien erobert, als Isokrates den Panegyrikos geschrieben habe. Infolge
dessen fehlt seinen Reden die anregende Frische und die natürliche Kraft;
') Der Titel kommt daher, weü den 1 att. 11 227.
H&nptteü der Rede das Lob Athens bildet, I ^) Rehdantz, GCtt. Gel. Anz. 1872 S.
md weil daza das nahende Fest der Pan-
aäieideii (§ 17) Anlass bot.
') WiLAHOWiTZ, Aristoteles n. Athen II
^I iL erkJArt sich fttr die Echtheit von 1.
2. 5. 7. 8.
*) Von einem bissigen Feind des Redners
■tunmt der BO. Brief der Sokratiker, in dem
^eaäell das Verhfiltnis des Isokrates zu Phi-
% begeifert wird.
*) Zusammengestellt von Sauppb, Orai
1169 ff.; Norden, Die antike Konstprosa 113 ff.
®) Nach dieser Seite trat Isokrates in
die Fusstapfen des Gorgias, als dessen
Schüler ihn Cicero Orat. 176 und Quintilian
II I 1, 13, letzterer unter Bemfong auf Ari-
stoteles bezeichnen.
^) Bbnseler, De hiatu in oratoribus
atticis et historicis graecis, Freiburg 1841;
BLASS, Gesch. d. Bereds. II 130 ff.
*) Vgl. Plut. de glor. Athen. 8.
384 Orieohisohe LitteratnrgeBohiohte. I. KlaMiaehe Periode.
ihre Schönheit ist zu sehr gemachte Zier, ihre FQlle zu wenig dem inneren
Gedankenreichtum entwachsen. 0 Hübsch verglichen deshalb die Alten*)
den Isohrates mit dem zum festlichen Agon gerüsteten Athleten, den
Demosthenes mit dem zur Schlacht gewappneten Hopliten. Aber immerhin
bleibt doch noch das Beste an Isokrates die formale Vollendung; der Jn-
halt seiner Reden dreht sich um wenige Gemeinplätze der Politik, ver-
mischt mit abgeschmackten Tiraden auf die Grösse seiner Kunst. Das
Lob der Bildung, die Ermahnung der Hellenen zum einträchtigen Zu-
sammenstehen, die Vorschriften der Humanität, Gerechtigkeit, Mässigung
vernimmt man gern aus seinem beredten Munde; aber das sind Gedanken,
die jeder in den Mund nehmen konnte, die schon Gorgias seinen Zeit-
genossen gepredigt hatte, deren stete Wiederholung zuletzt langweilig
werden musste. Der Panathenaikos ist zur Hälfte aus Phrasen älterer
Reden zusammengesetzt, und in die Rede über den Vermögenstausch hat
Isokrates zum Belege seiner patriotischen Gesinnung ganze Stellen aus
seinen früheren Reden eingelegt. Das zeugt von starker Geistesarmut
Dabei war aber unser Rhetor so eitel, seine Redekunst für das Höchste
zu halten und dieselbe als die eigentliche Weisheit auszugeben. Wie er
mit dieser hohlen Einbildung den gerechten Spott des Piaton herausforderte,
werden wir weiter unten sehen. Bei aller Sorgfalt in der Glättung der
Rede hing doch dem Isokrates gegenüber der Energie des Demosthenes
die Mattigkeit eines Schulmeisters, gegenüber dem Tiefsinn des Piaton die
Oberflächlichkeit eines Dilettanten an.
Die Codices bilden zwei Familien; die ältere und bessere bildet der Urbinas CXI
der Yaticana (F) s. X, in welchem aber die 18. und 21. Rede fehlen (beschrieben ist der
Cod. von Mabtin, Le mannsc. d' Isocr. ürbin., Paris 1881; dazu Drbrup, Zar Textgeschichfce
des Isokrates, Philol. 55, 654 ff.); die zweite Familie ist vertreten durcii Vat 65 vom Jahr
1063 (A) u. Laurent. 87, 14 s. XIII {9). Beide Familien sucht auf einen gemeinsamen Arche-
typus zurückzufahren Dberup, De codicum Isocrateorum auctoritate, Leipz. Stud. 1894. Reste
stichometrischer Angaben in r weist nach Führ Rh. M. 37, 468 ff. Die zweite Rede (§ 1
bis 30) ist auch in einem Papjrrus erhalten, worüber A. Schöne, De Isocratis papyro Mas-
siliensi, M^langes Graux p. 481-504, Par. 1884; Blass Jahrb. f. Phil. 129, 417 ff. und Bb.
Keil Herm. 19, 596 ff. Ein Stück der Rede 7t€Qi si^yrjq steht in einem Londoner Papjnis*
worüber Kenyon, Class. texts p. 63—79. Von der Rede an Demonikos existiert auch eine
syrische Uebersetzung, worüber Baumstark, Lucubrationes Syro-Graecae, Jahrb. f. kl. PhiL
Suppl. XXI 438 ff. - Dürftige Schollen und Inhaltsangaben bei Baitbr-Sauppb p. 3—11.
Ausgaben : Die Vulgata bildete bis in unser Jahrhundert die Ausgabe von Htbrontmus
Wolf, Basel 1551; rec. Bensbler- Blass, Ups. 1882. — Ausgewählte Reden mit Anmerkungen
für die Schule von Rauch enstein-Reinhardt bei Weidmann, von Schkeider bei Tenbner.
— Antidosis von Havbt, Paris 1862.
272. Nebenbuhler des Isokrates und Vertreter der sophistischen Be-
redsamkeit waren Antisthenes, Alkidamas, Thrasymachos, Polos, Lykophron,
Polykrates und des letztgenannten Schüler Zoilos. Von den beiden ersten
sind ein paar Deklamationen auf uns gekommen. Auf Antisthenes, den
Sokratiker, von dem eine theoretische Schrift neql lä^saog fj rifgi j^a^axii^^v
angeführt wird, und von dem uns die 2 kurzen Schulreden ATag und
'Odvacevg erhalten sind,») werden wir unten bei den Philosophen nochmals
M W. HoBss, De ubertate sermonis Iso- | urteilte der Peripatetiker Hieronymus bei
kratis, Freiburg 1892, Diss. | Dionys. de Isoer. 13 und Philodemos Rhet
«) König Philipp nach Ps. Plut. p. 845 c, , col. 17.
Kleochares bei Phot. p. 121b, 9. Aehnlich | ') Im Katalog der Schriften des Anti-
8. Die Beredsamkeit, e) Demoethenes.
1 272—273.)
385
zurQckkommen. Alkidamas aus dem äolischen Eläa war Schüler des
Qorgias und lehrte in Athen gleichzeitig mit Isokrates. Gegen diesen
seinen Zeitgenossen und Rivalen ist die erhaltene Rede nsgl aoffiatcov rj
negi xm tovg yqanxovg Xoyovg ygaq^ovTtav i) gerichtet, indem darin der Ver-
fasser als ein Haupterfordernis des Redners die Fähigkeit bezeichnet, so-
fort über jeden Gegenstand frei reden zu können. Auch der verlorene
Messenikos stand zu des Isokrates Archidamos in Gegensatz, indem darin
Alkidamas den Lakedämoniem die Freilassung der Messenier empfahl; in
ihm kam bereits der denkwürdige, den Anschauungen der Zeit voraus-
eilende Satz vor: iXevi^ägovg ä^i]X€ navxaq x^eog, ovdtva Sovlov ij (f^vaig
nt7i(H\x€r. Einen weiteren Gesichtskreis hatte des Alkidamas Schrift
MwcHov, in der unter anderm die Erzählung von dem Tode des Hesiod
vorkam; es lag dem Museion der durch Beispiele beleuchtete Satz zu
gronde, dass die Dichter Kinder der Musen sind und unter dem Schutze
der Götter stehen;^) viele Anekdoten der älteren Litteraturgeschichte gehen
auf dieses Buch des sophistischen Rhetors zurück.
e) Demosthenes (888—822).
273. Wir kommen zur glänzendsten Stufe der Beredsamkeit, zur
Redegewalt der athenischen Staatsredner. Wie wir oben sahen, hatten
schon im 5. Jahrhundert die grossen Staatsmänner Athens im Gegensatz
zu denen der Spartaner durch überzeugende Darlegung ihrer Politik und
feuerigen Appell an den Patriotismus des Volkes ihren Einfluss begründet.
Themistokles und Perikles waren nicht bloss weitsehende, thatkräftige
Staatsmänner, sie arbeiteten auch unablässig im Verkehr mit Dichtern
and Philosophen an ihrer geistigen Bildung und trugen mit der Gewalt
der Rede ilu'e erleuchteten Ideen in die Massen. Aber in jener Zeit der
Tbat, wo es noch keinen Buchhandel gab und kaum ein Werk in attischer
Prosa existierte, lebten die Reden der grossen Staatsmänner nur in dem
Gedächtnis der Zuhörer und Zeitgenossen fort, so dass wir z. B. von der
berühmten Leichenrede des Perikles nur durch den Historiker Thukydides
Kemitnis erhalten. Die Dinge waren inzwischen anders geworden: rasch
batte sich seit dem Anfang des peloponnesischen Krieges ein blühender
Baehhandel in Athen entwickelt,^) der für VervielMtigung und Verbreitung
der Schriften sorgte ; die Bürger, auch die schUchten und armen, verstanden
sich nicht bloss auf die Handhabung der Waffen, sondern auch auf
Lesen und Schreiben; die Lesesucht war so gross geworden, dass selbst
>di6oe8 bei Diog. VI 15 werden ausserdem
angef&fart: 'Og^arov anoXo-yluy negi ttuy cfitxo-
Ttfüf^mv ^ Awsiag xai 'laoxQärrjgj ngog xov
^) Die Rede steht im 5. Bande von
BttOB'g Oral Attici p. 673—9. — Ein Bruch-
atOck einer anderen Rede gegen Isokrates
vaid aus den Papyms Erzherz. Rainer ans
liefat gezogen.
') VAnLKK, Der Rhetor Alkidamas, Stzb.
i Wien. Ak. 1861 S. 491-528. — Ein
finiclutflck, das dem dyiav 'Ojuijgov xai
'Haiodov zu gründe lag, worde aus einem
alten Papyrus ans Licht gebracht von Ma-
HAFFT, Cunningham Memoirs 1891 tab. XXV.
') Mit Athen konkurrierte zumeist 8i-
kilien, wo die Werke des Herodot (daher
*HQodojov 9ovqIov\ des Theognis (daher zum
Sikiüer gemacht), des Epicharm (daher bei
Aristot. Poet. 3 fttr älter als die attischen
Komiker ausgegeben), des Philolaos (von
Piaton in Siküien gekauft), Piaton u. a. er-
schienen.
HuidbBcli der klMS. AltertumawiBMDachalt. VII. 8. Anfl.
25
386 Grieohisohe Litteratnrgeschiohte. LKUasisohe Periode.
Tragödien und Dithyramben zum Lesen gedichtet wurden, i) Was Wunder,
wenn nun auch die Staatsmänner mit geschriebenen Reden sich an das
Volk wandten, um auf solche Weise in nachhaltigerer Weise auf dasselbe
zu wirken und in weiteren Kreisen für ihre politischen Ideen Propaganda
zu machen. Von diesem Standpunkt aus sind die publizistischen Werke
des Xenophon über den Staat der Lakedämonier, über die Staatseinkünfte,
über Agesilaos, zu beurteilen, von diesem auch die in die Form der Rede
gekleideten Mahnschriften des Isokrates; sie repräsentieren die Anfange
der Publizistik und Flugblätterlitteratur. Aber man war doch damals noch
nicht zum papierenen Zeitalter der Zeitungen und Tageblätter herabge-
sunken ; der Staatsmann, der wirklich etwas leisten und durchsetzen wollte,
durfte sich nicht auf das Schreiben von Broschüren und Artikeln be-
schränken, er musste auch selbst vor das Volk im Ratsaal und auf dem
Markte treten und mit hinreissender Beredsamkeit die Stimmen für seine
Politik gewinnen. Von den alten Staatsmännern unterschied er sich nur
dadurch, dass er auf doppelte Weise, durch die gehaltene und durch die
geschriebene Rede auf das Volk einwirkte. Gelegenheit aber zu solchem
doppelten Redekampf boten zumeist die Parteiungen und politischen Stürme,
welche in der Zeit des Philipp dem Untergang der hellenischen Freiheit
vorangingen. In den Reden aus jener Zeit fesselt uns nicht bloss die
rhetorische Kunst, sondern noch mehr der Widerhall der gewaltigen Kämpfe
um die höchsten Güter der Nation. Der redegewaltigste von allen war
Demosthenes, aber neben ihm hat die Zeit noch eine ganze Reihe be-
deutender Redner hervorgebracht.
274. Leben des Demosthenes. >) Die Herkunft des Demosthenes
drückt sich in dem Formelvers aus Jr^fioc^ävr^g Jr^fioaO^ärovg Uatavisvg
%dd* tinev. Der Vater des Redners war Besitzer einer Waffenfabrik
(fiaxmQonoiog)^ in der 30 Sklaven arbeiteten,*) und hatte ausserdem noch
durch Pfändung eine Stuhlfabrik mit 20 Arbeitern erhalten. Das Geschlecht
der Mutter stammte aus dem Skythenland. ^) Als Geburtsjahr lässt sich
^) Sie heissen bei Aristoteles, Rhet. 11 1 ' DemosÜienes und seine Zeit, 3 Bde., Leipz.
12 p. Uldb, 13 Lesedramen (nyttyywFuxa), 1856, 2. Anfl. 1889 nach dem Tod des Yer-
') Die Quellen, gedmckt bei Westbr- fassers; Blass, Gesch. der attischen Bereds.
MAHN Biogr. gr. p. 281—312 nnd Qaaest. De- im 3. Bde; Köchlt, PopnlSre VortrSge Ober
mosth. IV, sind: Ps. Plntarch im Leben Demosthenes, in Cies. Keden; Hcg, Demo-
der 10 Redner, mit dem im wesentlichen sthenes als politischer Denker, in Stadien
Photios cod. 265 stimmt; Plntarch, Vita aas dem klass. Alt, Freibnrg 1881; Maur.
Demosth. (Gbbharo, De Plntarchi in vita Cboisbt, Los id^es morales dans T^loquenee
Dem. fontibns, München 1880; SruRif, De polit. de Demosth., Montoell. 1874; Brboif,
fontibushistoriaeDemosthenicae, Halle 1881); L^^loqaence politiqne en ur^e, D^mosth^e,
Dionysios ad Ammaeom c.4a. 10 (wichtig Par. 1879; Bougot, Rivalit^ d^Eschine et
für Chronologie der Reden) und nt^i dstro- D^mosth^ne, Paris 1891.
7r;roc Jfjuoa^f'yovg ; Ps. Lncian, Dem. *) Auf die Abkunft von einem Schmied
encom.; Libanios, Vita ethypothesesDem.; spielt an Juvenal X 130: quem pater ar-
Z o 8 i m o s , Vita Dem.; anonyme Vita ; 8 ui d a s , dentis massae fuligine Uppue a earbone . . .
3 Artikel. Die uns erhaltenen Biographien ad rhetora misU.
gehen auf die Reden des Demosthenes und *) Dinarch adv. Dem. 15 schilt ihn dee-
seiner Cregner und die biographischen Nach- halb einen Skythen. Curtius, Gr. Gr«ach.
richten des Demetrios aus Phaleron (siehe IM 549: «Die ausserordentliche Spannkraft
Dionys. de Dem. 53)« Hermippos und Sat3rroe seines Geistes mag damit zusammenhftngent
surQck. — Neuere Bearbeitungen: Schafer, dass etwas von dem Blute der nordnchen
3. Die Beredsamkeit, e) DemoBthenes. (§ 274.)
387
au6 den eigenen Angaben des Redners das Jahr 383 berechnen.^) Der
junge Demosthenes hatte noch nicht das 8. Lebensjahr erreicht, als sein
Vater starb und durch Testament 3 Vormünder seiner Kinder, eines Sohnes
und einer Tochter, bestellte. Aber die Vormünder rechtfertigten nicht das
in sie gesetzte Vertrauen, sie brachten das Vermögen von 15 Talenten,
statt es durch gute Verwaltung zu verdoppeln, fast ganz durch, so dass
es die erste Handlung des volljährig gewordenen Demosthenes war, seine Vor-
münder, zunächst den Aphobos, vor Gericht zu ziehen (364). Die nötigen
Rechtskenntnisse und rhetorischen Kunstgriffe hatte er sich bei Isaios er-
worben, als dessen Schüler ihn Hermippos bei Dionysius de Isaeo 1 be-
zeichnet Die beiden Reden, die Anklagerede gegen Aphobos und die
Replik auf dessen Verteidigung, sind uns noch erhalten, und so über-
zeugend wirkte die Darstellung des 20jährigen Jünglings auf die Gemüter
der Kichter, dass sie den Aphobos zum Schadenersatz von 10 Talenten
verurteilten. Es reihte sich aber an diesen Prozess ein anderer gegen
Onetor, den Schwager des Aphobos, der, als es zur Pfändung kam, ein
Grundstück des Aphobos als Unterpfand für die nicht zurückbezahlte Mit-
gift seiner von Aphobos geschiedenen Schwester in Anspruch nahm. Auch
die Rede gegen Onetor ist uns erhalten, der Ausgang des Prozesses aber
unbekannt; wahrscheinlich kam es schliesslich zu einem Vergleich, bei dem
Demosthenes weniges aus dem Schiffbruch seines Vermögens rettete.*) So
ward denn auch er, ähnlich wie vordem Lysias, durch äussere Verhält-
nisse, durch die Nötigung, an einen Ersatz des verlorenen Vermögens zu
denken, auf die Bahn eines XoyoyQdtfog oder Sachwalters gedrängt. Auf
diesem Wege fand er aber zugleich Gelegenheit, sich in der Bered-
samkeit praktisch zu üben und die Aufmerksamkeit des Volkes auf sich
zu lenken, wie später auch Cicero durch die Thätigkeit vor Gericht sich
den Weg zur politischen Laufbahn ebnete. Freilich konnte, infolge der
athenischen Verhältnisse, Demosthenes nicht, wie Cicero, sich selbst dem
Volke zeigen und zum geschickten Entwurf der Rede auch noch die
packende Gewalt des Vortrages fügen. Er schrieb eben bloss die Reden,
damit der Angeklagte oder Kläger sie vor Gericht vortrage; nur in der
Bede für Phormion gegen ApoUodoros scheint er selbst in der Eigenschaft
eines Fürsprechers (awriyoqoq) vor den Richtern aufgetreten zu sein.*) Im
übrigen muss er grossen Anklang und Erfolg mit seiner Advokatenpraxis
gehabt haben. Zahlreiche Reden in Privatangelegenheiten, die bis zum
Jahre 345 herabreichen,*) sind dessen Zeuge, und doch hat er gewiss nur
einen ganz kleinen Teil seiner gerichtlichen Reden der Veröffentlichung
'^ert gehalten. Wenn ihm der Vorwurf der Zweideutigkeit und des Ver-
') Dass der avytjyoQog nicht Demosthe-
nes, sondern ein anderer war, nimmt Blass
111 80 an.
*) Die Privatrede TiQog ^aivinnov ftUt
erst 380, ist aber unecht. Demosthenes be-
merkt selbst 32, 82: ifjtol avfißsßrjxey (i<p'
ov Tiegi icSy xotvtßv Xiyeiy i^Q^dfÄijy, fxrjif^
TiQos iy UQäyfjLtt Xdtoy riQoaektjXv^eyai. Vgl.
jedoch Blass [II 80.
25*
Völker in seinen Adern floss. Aach der
geistesTerwandte Thnkydides stammte müt-
ierlicheneits Ton einem nordischen Bar-
WeiiTolk.*
') In Betracht kommt besonders 80, 17
^21, 154; 8. Blass 111 7 ff. Schafer III
2, 38 ff.
*) Darauf fahrt Aischines in Ctes. 173:
^ 'P«i!?P«p/ow Xoyoyqatpoq dyetfäytj, r« na-
^(ff9 xarayeXtxatojg n^oifjisyog.
388
Grieohiaohe litteratnrgeaohiohte. L KUsaisohe Pariode.
rates der Sache seines Klienten an die Gegenpartei gemacht wurde/) so
beruht dieses wohl nur darauf, dass er für und gegen ApoUodor, den
reichen Bankpächter, auftrat (Rede 36 für Phormion, Rede 45 gegen
Stephanos). Dieses that er aber bei verschiedenen Prozessen, nicht bei
demselben Rechtshandel ; auch kommt entschuldigend f&r ihn in Betracht,
dass inzwischen Apollodor durch sein kräftiges Eintreten f&r die Politik
des Redners ein Anrecht auf dessen Gefälligkeit gewonnen hatte. Dass
daneben Demosthenes auch als Lehrer der Beredsamkeit wirkte, erfahren
wir nur aus Aischines I 117 und 175, hat aber bei der in Athen her-
kömmlichen Verbindung der beiden Thätigkeiten eines Redners und eines
Heranbildners von Rednern durchaus nichts unwahrscheinliches.
275. Die Thätigkeit als Sachwalter bildete die Stufenleiter, auf der
Demosthenes zur höheren Stellung eines leitenden Staatsmannes emporstieg.
Das Aufsteigen war ein allmähliches; bevor er in der Volksversammlung
sich direkt an das souveräne Volk wandte, trat er vor Gericht und im
Senat in Streitfällen auf, welche die öffentlichen Angelegenheiten berührten.
Die erste Rede derart war die über den trierarchischen Kranz {negi tov
a%€ifdvov TTjg xQiriQaqxiag)^ die er 359 nach der Niederlage der Athener im
Seetreffen bei Peparethos zu Gunsten eines Unbekannten') hielt, der von
dem Senate nach dem Gesetze den Kranz verlangte, weil er zuerst seine
Triere fertig gestellt hatte. Schon im folgenden Jahr (358) soll er nach
Aischines ni 52 gegen den Feldherrn Kephisodotos als Ankläger wegen
Hochverrates aufgetreten sein; doch hat er die bei dieser (Gelegenheit
gehaltene Rede nicht zur Veröffentlichung bestimmt. Aber in die nächste
Zeit fallen die 4 grossen staatlichen Geriebtsreden, die er veröffentlichte
und in denen er zu den öffentlichen Angelegenheiten durch Klagen wegen
gesetzwidriger Anträge {yquifal na(}av6fi(ov) bestimmte Stellung nahm.
Zuerst schrieb er 355 für Diodoros eine solche Anklagerede gegen Androtion,
weil dieser eine Bekränzung des Rates der Fünfhundert beantragte, wiewohl
derselbe während seines Amtsjahres nichts für die Flotte gethan hatte.')
Daran schloss sich die Rede gegen Timokrates, einen Genossen des Andro-
tion, der zu Gunsten der Staatsgläubiger Ausstand für die Rückzahlung
der dem Staate schuldigen Gelder beantragt hatte. Zum erstenmal trat
Demosthenes persönlich in der Eigenschaft eines Synegoros an der Seite
des Ktesippos, eines Sohnes des Chabrias, in einer öffentlichen Prozess-
sache mit der Rede gegen Leptines auf (355/4). Dieser hatte, um der
finanziellen Bedrängnis des Staates abzuhelfen, die Abschaffung der Steuer-
befi*eiung {arilcia) für alle mit Ausnahme der Nachkommen der Tyrannen-
mörder Harmodios und Aristogeiton beantragt. Demosthenes, der bei aller
Sorge für die Hebung der Finanzen doch kein Knauser zu unrechter Stunde
war, befürwortete in einer glänzenden, wohldurchdachten Rede das Recht,
ja die Pflicht des Staates, hervorragende Verdienste einzelner Männer zu
») Aisch. II 165; Plut. Dem. 15.
*^) Nach Libanios war es Apollodor, was
man daraus vermutet zu haben scheint, dass
die Rede mitten unter solchen steht, welche
für Apollodor gehalten wurden. Ueber die
Rede, deren Echtheit bestritten wird, siehe
EiBOBBOFF, Rede vom iiierarchiBchen Kranz.
Abhdl. d. Berl. Ak. 1865 S. 65—108.
') Dionys. ad Amm. 4 nennt sie die
erste öffentliche Rede, indem er die Bede
wegen des trierarchischen Kranzes
Betracht lässt.
8. Die Beredsamkeit, e) Demoathenee.
i 275—276.)
389
belohnen und auf solche Weise die andern zum Wetteifer in Erfüllung der
BOrgerpflichten anzuspornen.^) In die auswärtige Politik griff die 4. öffent-
liche Rede xard UQiaroxQarovg ein (352), in der er, gegenüber dem Aristo-
krates, der besondere Vergünstigungen für den Odryserkönig Kersobleptes
und dessen Schwager Charidemos beantragt hatte, den Satz verfocht, dass
Athen am besten seine Besitzungen im Chersones behaupten könne, wenn
68 den Zwiespalt und die Eifersucht der angrenzenden thrakischen Fürsten
möglichst nähre. Diesen Reden schliesst sich die Rede gegen Meidias von
der Ohrfeige {TteQi tov xovdvlov) an, mit der Demosthenes 348') den
Heidias, der ihn als Ghoregen beschimpft und damit das Fest gestört hatte,
zu belangen gedachte. Die Rede wurde indes nicht gehalten, da es Demo-
sthenes noch in letzter Stunde vorzog, einen Vergleich einzugehen und die
Klage fallen zu lassen.^)
276. Inzwischen hatte Demosthenes auch direkt als Volksredner in
die Politik einzugreifen begonnen, und wir kommen somit zu seiner bedeut-
samsten Thätigkeit als leitender Staatsmann und Verfasser von Volks-
reden (irjfjtrjYOQiai).^) Zur Zeit seines ersten Auftretens waren die Ver-
hältnisse Athens überaus traurig und zerfahren. In den Kämpfen mit den
Thebanem und Thessaliern war die Grenzstadt Oropos an die Thebaner
verloren gegangen (366), und konnte es der Tyrann Alexander von Pherä
oach der Niederlage des athenischen Admirals Leosthenes bei Peparethos
wagen, mit seiner Flotte in den Hafen des Piräus einzulaufen (361). So-
dann war Athen durch den unglücklichen Ausgang des Bundesgenossen-
krieges (357 — 5) fast all seiner auswärtigen Besitzungen beraubt und auf
den dürftigen Besitz von Lemnos, Imbros, Skyros und der Südküste des
thrakischen Meeres beschränkt worden. Im Innern war auf die kräftige
Leitung des Staates durch Kallistratos, der 361 in die Verbannung gehen
mnsste, eine Periode der allgemeinen Erschlaffung und spiessbürgerlichen
Friedens- und Handelspolitik gefolgt. Ihr Träger war Eubulos, der, hoch-
fahrenden Plänen abhold, lieber die verringerten Kräfte des Staates der
Pflege gemächlichen Lebens als dem Ruhme der Hegemonie zuwenden
wollte. Demosthenes ganze Natur widerstrebte von vornherein einer so
mattherzigen Politik ; doch ist die volle Energie seines Wollens erst durch
das Vorgehen des Königs Philipp geweckt worden, und selbst diesem
gegenüber war sein Verhalten anfangs noch zaudernd und zurückhaltend,
bis erst allmählich die helle Flamme des Hasses gegen die Vertreter der
Friedenspolitik, die Vaterlandsverräter, wie er sie schalt, emporschlug.
Bis zum ersten Auftreten gegen Philipp in der 1. philippischen Rede (351)
war überhaupt sein poUtisches Auftreten mehr ein gelegentliches, aus dem
noch nicht die feste Richtung auf ein bestimmtes Ziel hervortrat.
') Die Rede -ward mit der Gregenrede
^ Rhetors Aristides herausgegeben und
edlotnt TOQ F. A. Wolf, Halle 1790.
^') Nach § 154 war er cfvo xai xQiäxoy-
'« f^V »It, was Schafer in xiccaQa x, xq.
Utrte; s. Böcxh, Zeitverhftliniase der dem.
Bede gegen Meidias, Ges. Sehr. V 153—205.
^ Slartttig ist ea, ob Demosthenes die
Bede heraoBgegeben hat, oder ob dieselbe
erst nach seinem Tod aus seinen Papieren
herausgegeben wurde; ttber diese Kontroverse
s. HOttneb, Jahresb. d. klass. Alt 1887 S.
218 f.
*) L. Spbnobl, Die Demegorien des De-
mosthenes. Abhandl. d. b. Ak. IX (1860);
Hartel, Demosthenische Studien, Stzb. der
Wien. Ak. 1877-8.
390 ChrieehiBohe LitteratargeBohiohte. I. EUssiBohe Periode.
Die Volksreden, die er in jenem vorbereitenden Stadium seiner politi-
schen Thätigkeit hielt, waren nachfolgende: In der trefflich disponierten
Rede negl avfÄfioQton' (über die Steuerverbände) suchte er 354, als ein Krieg
mit dem Perserkönig auszubrechen drohte, das überstürzte Kriegsfieber der
Athener zu dämpfen, indem er vor allem auf bessere Ausrüstung der Flotte
durch Vermehrung der zur Trierenleistung verpflichteten Bürger und durch
Erhöhung der Zahl der Schiffe auf 300 drang. Im folgenden Jahr (353),
als Gesandte der Spartaner und der von denselben hartbedrängten Stadt
Megalopolis in Athen erschienen waren, warnte er in der Rede vtii-q Mfyalo-
nohxwv vor einem unbedingten Eintreten für die Megalopoliter und empfahl
eine blosse Aufforderung zum billigen Ausgleich an die streitenden Par-
teien. Ähnlich wie in der Aristokratea verfocht er auch hier den Satz,
dass es dem Staate fromme, wenn die Lakedämonier wie die Thebaner
schwach seien. In der Rede vnhQ xijq '^Podicov noXitefag (351) tritt er
schon für eine aktivere Politik ein, indem er den alten Gedanken, dass
die Athener sich als ein Bollwerk der Demokratie hinstellen müssten, auf-
nahm und der Unterstützung der Demokraten von Rhodos gegen die von
Mausollos begünstigten Oligarchen trotz der im Bundesgenossenkrieg be-
wiesenen Undankbarkeit der Rhodier das Wort redete.
277. Von da an konzentrierte sich die ganze politische Thätigkeit
unseres Redners um die Abwendung der grössten Gefahr, die Athen und
ganz Hellas von Norden, von dem König der Makedonier, drohte. Demo-
sthenes erkannte gleich im Anfang die Gefahr und setzte dann mit immer
steigender Energie aU seine Beredsamkeit und all seinen Einfluss ein, um
die Athener aus ihrem Schlafe aufzurütteln und die Gegenpartei des Eu-
bulos, Aischines, Philokrates, Demades niederzudonnern. Die erste Rede,
die er in dieser. Richtung hielt, ist die 1. philippische Rede, gehalten
351 bald nach dem Zuge gegen Pylä, auf den § 17 angespielt ist. Mit
Einsicht und Kraft, ohne Rücksicht auf den Beifall der genusssücbtigen
Menge mahnte er zur Rüstung, namentlich zur eigenen Beteiligung der
Bürger, die wenigstens V* des Heeres stellen sollten. Ernst in der Kriegs-
führung that in der That äusserst not, da Philipp nicht bloss Pydna,
MethonO; Potidäa bereits weggenommen hatte, sondern auch schon die
alten Besitzungen der Athener auf Imbros und Lemnos bedrohte. Auf-
fäUigerweise nahm Dionysius ad Amm. 4 an, dass mit § 30 unserer Rede
eine neue Rede beginne, wahrscheinlich verleitet durch die Überschrift
IJoQov änodsi^iq, die aber nicht eine neue Rede einleiten sollte, sondern der
eingelegten Urkunde galt.^) In die nächste Zeit fallen die 3 olynthi-
schen Reden, von denen die letzte im Jahre 349/8 gehalten wurde.
Philipp begann schon 351 Olynth, die mächtigste Stadt der Ghalkidike,
zu bedrängen, und die Athener, wohl einsehend, dass es sich dort um ihre
vitalsten Interessen handle, sandten im ganzen 3 Hilfskorps zum Entsatz
der bedrängten Stadt ab; aber die Situation bei der 1. und 2. Rede ist
im wesentlichen die gleiche,') und nur zwischen die dritte und die beiden
^) Baran, Die einheitliche Eompositioii 1 ') Schon 1, 2 a. 17 ist, wie Habtrjl,
der 1. phil. Rede, Wien. Stud. VI 173—205. | Dem. Stud. I 15 hervorhebt» aller Nachdruck
8. Die Beredsamkeit, e) Demoathenee. (§§ 277—278.)
391
ersten Reden fiel ein kleiner Erfolg der athenischen Hilfstruppen.^) De-
mosthenes trat mit aller Kraft für eine entschiedene Hilfeleistung ein,
and die markige Wucht der Sprache stempelt die 3 kurzen Reden für
Olynth zu den vorzüglichsten Erzeugnissen der demosthenischen Bered-
samkeit. Aber die Anstrengungen des Redners blieben ohne Erfolg; er
selbst wagte es nicht, einen förmlichen Antrag auf Verwendung der Theater-
gelder f&r Kriegszwecke zu stellen,') und ehe sich Athen zu einer that-
kräftigen Hilfeleistung mit einem Bürgerheer aufraffte, fiel die Stadt durch
den Verrat der beiden Reiterfiihrer Lasthenes und Euthykrates in die Ge-
walt des Makedonerkönigs.
278. Schon in das 10. Jahr ging der Krieg mit Philipp ; die Kräfte
Athens waren erschöpft, ein Staat, der wie Athen so ganz auf den Handel
ond den Export von Artikeln der Kunst-Industrie angewiesen war, konnte
nicht auf die Dauer die Unsicherheit der Meere und den alles gefährdenden
Kriegszustand ertragen. Auch an seinen Verbündeten hatte Athen keine
Freude erlebt : der schändliche Tempelraub der Phokier musste die frommen
Seelen unter den Athenern mit Abscheu erfüllen; die Jahre lang fortdauernde
Verwüstung griechischen Landes durch die gegenseitigen Raubzüge der
Phokier und Thebaner war gewiss nicht bloss einem unpraktischen Friedens-
freund wie Isokrates, sondern auch vielen anderen Athenern ein Greuel.
Auf der anderen Seite litten auch die Küsten des makedonischen Reiches
schwer unter dem langjährigen Krieg mit einem zur See überlegenen Feinde,
so dass sich auch Philipp zum Frieden, namentlich zu einem Separatfrieden
mit Athen geneigt zeigte, unter solchen umständen beschloss Athen auf
den Antrag des Philokrates hin eine Gesandtschaft von 10 Männern an
den Philipp zur Einleitung von Friedensverhandlungen abzuordnen, und
nachdem diese über die zu erwartenden Friedensbedingungen günstigen
Bericht erstattet hatten, durch dieselben Gesandten den Frieden zu rati-
fizieren und den Philipp zu vereidigen. So kam 346 der Friede des Philo-
krates zu stand. An seinem Zustandekommen hatte Demosthenes mit-
gewirkt; denn er war beidemal zugleich mit Aischines Mitglied der Ge-
sandtschaft, und wenn er auch mit seinen Kollegen in Bezug auf die Lang-
Bamkeit der Reise und die Schönfärberei der Berichterstattung nicht ein-
verstanden war, so hatte er sich doch auch nicht entschieden von ihnen
getrennt und seine Mitwirkung offen versagt. Er war wohl gleich den
andern von der Notwendigkeit des Friedensschlusses überzeugt und sah
^vsttf gelegt, daas die Btkrger selbst in das
Feld aäen aollen; es war also wahrschein-
Üch damals schon die Absendimg von Söldner-
tnpfpen yonrasgegangen.
') Dem. 3, 35. Dionys. ad Amm. hatte,
wohl durch Philochoros ifachrichten von den
vendiiedenen Hilfszfigen verleitet, einen
SrSneren Zwischenraam zwischen der 1. u.
2. Bede angenommen und die 2. vor die 1.
pf^tt Ihm pflichtete m neuester Zeit
^>«n, Zeitfolge der 4 ersten demosthen.
B«ieD gegen Phüinp (Stzb. d. b. Ak. 1880
S. 273 ff,} insofern bei, als er die 1. Olynth.
Rede im J. 3^2 vor der 1. philippischen ge-
halten sein Hess; dagegen Baban, Zur Chro-
nologie des euböischen Krieges und der
olynthischen Reden des Dem., Wien. Stud.
Vn 190—231.
^) Bloss eine Anregung enthält Olynth.
3, 10; einen förmlichen Antrag hatte im
fVühjahr 349 bei der Expedition nach Euböa
und Olynth ApoUodor gestellt, derselbe war
aber infolge der Anklage des Stephanos wegen
gesetzwidirigen Antrags nicht durchgedrungen
(in Neaer. 3 f.).
392 Grioohiaohe LitieratnrgeBohiohte. I. Klamisohe Periode.
sich ausser stand, den Philipp zur schleunigeren Eidesleistung und zur
Einbeziehung der Phokier in den Frieden zu zwingen. Aber wenn er
nicht mit gleich guter Hoffiiung an dem Friedenswerk mitarbeitete, so
zeigte sich bald, wie sehr seine Besorgnisse begründet waren. Der schlaue
Philipp hatte sich nicht bloss durch sein Säumen vor der Eidesleistung
in den Besitz mehrerer wichtigen Punkte der thrakischen Küste gesetzt,
er warf auch nach dem Abschluss des Separatfriedens offen bezüglich der
Phokier die Maske ab, setzte sich mit seinen nun freigewordenen Regi-
mentern sofort gegen Thessalien in Bewegung und nahm in Ausführung
eines Amphiktionenbeschlusses an den Phokiern, den vormaligen Bundes-
genossen der Athener, blutige Rache für ihre Frevel. Über eine solche
Treulosigkeit, die so gar nicht den verlockenden Vorspiegelungen der Ge-
sandten entsprach, geriet man in Athen ausser sich, war aber ihr gegen-
über vollständig ohnmächtig, da man keine Macht hatte, dem Philipp ent-
gegenzutreten, und da obendrein die formellen Friedensbedingungen von
demselben nicht verletzt worden waren. Aber um so mehr wütete man
im Innern gegen die Verräter, die durch das Geld des Philipp bestochen,
den ungünstigen Frieden herbeigeführt hätten. Zuerst fiel der Hauptan-
stifter Philokrates; bald kam auch Aischines an die R^ihe, gegen den
Timarchos und mit ihm Demosthenes eine Klage wegen Truggesandt-
schaft {naQanqsaßeiaq) einbrachte. Die Klage kam nicht sogleich zum
Austrag, da ihr Aischines mit einer Klage gegen Timarchos in den Weg
trat, indem er diesen schändlicher Hurerei beschuldigte, wodurch er als
arifiog das Recht öffentlicher Klage verscherzt habe. So kam der Prozess
gegen Aischines erst 343 zur Verhandlung; die Anklagerede des Demo-
sthenes wie die Verteidigungsrede des Aischines sind uns erhalten, doch
muss Demosthenes seine Rede erst hintendrein sorgfältig ausgearbeitet
und zum Teil auch umgearbeitet haben. Denn wie man aus Aischines H 86
sieht, kamen in der wirklich gesprochenen Rede des Demosthenes Dinge
vor, die in der geschriebenen und uns erhaltenen nicht stehen, i) Die lange
Anklagerede nimmt gegen Aischines ein, genügt aber nicht, um uns von
der Schuld desselben, dass er sich nämlich nicht bloss durch den schlauen
König überlisten Hess, sondern auch um Geld die Interessen seines
Vaterlandes verraten habe, vollauf zu überzeugen. Auch die Geschworenen
Athens traten nur zum Teil auf die Seite des Demosthenes: mit einer
Mehrheit von 30 Stimmen wurde Aischines freigesprochen.*)
279. Nun folgte eine Periode der Priedenslockerung, indem die Athener
die Feinde Philipps unterstützten und allmählich einen latenten Krieg zu
führen begannen, ehe es zum förmlichen Bruch kam. Demosthenes trat
anfangs noch für Aufrechthaltung des Friedens ein; das that er 346 mit
der Rede ticq! eiQijvrjg, in welcher er von der Opposition gegen die Auf-
nahme PhUipps in den Amphiktionenbund abriet. Nach und nach aber
*) üeber die neuere Litterator hieiüber
8. HüTTNBB, Jahresb. d. klass. Alt. 1887,
217 f.
') So ein Gewährsmann des Plutarch
Dem 15; Plut. selbst nnd vielleicht auch
Dionys. ad Amm. 11 nahmen an, dass der
Prozess gar nicht znr Entscheidang Jcak»»
Aber Demosthenes selbst, de cor. 142, Sprint
gegen diese Annahme; s. Blabs III 308 f.
8. Die Beredsamkeit, e) Demosthenes. (§ 279.)
393
stellte er sich immer entschiedener an die Spitze der antimakedonischen
Partei, indem er die Umtriebe Philipps aufdeckte und ihm die Schuld des
Friedensbruches zuzuschieben suchte. Die in diesem Sinne von Demosthenes
gehaltenen und zur Verbreitung seiner Gedanken auch durch Abschriften
veröffentlichten Beden sind: die 2. philippische Rede (342), die Rede über
die Angelegenheiten im Chersones (341), die 3. philippische Rede
(341). Von diesen ist weitaus die schönste und kraftvollste die 3. philippische
Bede, von der uns zwei, schwerlich beide auf Demosthenes selbst zurück-
gekende Rezensionen, eine kürzere und eine erweiterte überliefert sind.^)
Ausserdem haben wir aus jener Zeit noch 4 Reden, deren Echtheit zweifel-
haft ist: erstens die über Halonnesos, ein Inselchen, das Philipp den
Seeräubern entrissen hatte, und das die Athener als alten Besitz von ihm
Zurückforderten.') Demosthenes hatte in der Sache wirklich gesprochen,
aber die erhaltene Rede rührt nicht von ihm her, sondern von einem
radikaleren und derberen Vertreter der Kriegspartei,*) wahrscheinlich von
Hegesippos, dem sie nach der Hypothesis des Libanios*) von einem Teil
der alten Gelehrten zugesprochen wurde. Die zweite verdächtige Rede
ist die 4. philippische, in die ganze Paragraphen aus der Rede ns^i ttav
ir Xsgaovrjifip übertragen sind, in der aber auch mehreres, sonst nicht
bekanntes, wie über Abführung des Fürsten Hermeias von Atarneus nach
Innerasien vorkommt. In der erhaltenen Qestalt ist die Rede niemals
gehalten, in ihr auch schwerlich von Demosthenes selbst veröffentlicht
worden; wahrscheinlich rührt sie von einem Rhetor her, der eine Ausgabe
der philippischen Reden ohne die Rede über die Angelegenheit des Cher-
sones besorgte und dabei Papiere des Demosthenes über konzipierte, aber
nicht veröffentlichte Reden mitbenutzte. Unecht ist drittens auch die Rede
JTfog ti]v €7na%oXi]v %r]v (Pik/nnov, in die gleichfalls mehrere Paragraphen
aus anderen Reden eingelegt sind,'^) auf die Sache selbst aber, die Zurück-
weisung der von Philipp in dem Brief erhobenen Beschwerden, wenig ein-
gegangen ist. Dieser Brief selbst ist mit der Rede erhalten ; schwankend
aber ist das Urteil über seine Echtheit. Aus der Rede des Demosthenes
ist er sicher nicht von einem späteren Rhetor zusammengestellt; hat ihn
ein Rhetor fingiert, so hat derselbe dazu jedenfalls die zeitgenössischen
Geschichtswerke des Theopomp und Hieronymos von Kardia benutzt.^)
') Die ktizzere liegt uns im cod. 2 vor,
ueh dem die Rede von Westennann in
seiner Ausgabe abgedruckt ist. Die kürzere
FttBong liegt auch den stichometrischen
Angaben der Attikasansgabe zu Grmnde;
a. Cbbist, Die Attikusausg. des Dem. 55 fif.
Üeber die 2 Redaktionen handelt Dbäsekb,
reberliefenmg der 3. pbil. Rede des Dem.,
in Jahrb. f. Phil. Suppl. VII. Neuerdings
weist auch A. Spbngel, Stzb. d. b. Ak. 1887
6. 272 ff. nach, dass die Iftngere Redaktion
liclit TOD Dem., sondern von unverständigen
loterpolataren herrtthrt
*) Üeber die Rechthaberei des Redners,
^ dem Volke riet die angebotene Insel
ucfat anzonehmen, wenn Philippus dieselbe
I ihnen geben {&td6vai\ nicht zurückgeben
(ttTiodidoyai) wolle, machte sich selbst auf
der Bühne der Komiker Antiphanes bei
Athen. 223 e lustig.
') Dem. spricht nicht so derb wie der
Verf. der Rede § 45: einsg vfietg rov iy-
xetpaXoy iv xolc; xQOTiitpoig xal fitj iy taTg
-njiqvttig xaxanenttxTjfjLSvov (pOQehe,
*) Ebenso von Harpokration u. 'Hytjoin'
7J0C und von Photios bibl. p. 491a, 11.
'^) Darunter, was für die Echtheitsfrage
von Belang ist, § 18 eine Stelle aus dem
missverstandenen Paragraph 17 der Rede
über Halonnes.
^) Bohnere, Demosthenes, Lykurg, Hy-
perides S. 482—607 verteidigt die Echtheit
394
Griechische LitteratnrgeBohiohte. I« ElaBsisohe Periode.
Endlich ist eine allgemein gehaltene und daher chronologisch gar nicht
fest datierbare Deklamation nsQi <Tt;vra$£(0^ auf uns gekommen, in der für
Aufhebung der Theorikenkasse plädiert wird.
280. Zur offenen Kriegserklärung kam es auf Betrieb des Demosthenes
340, als Philipp die den Athenern verbündeten Städte Perinth und Byzanz
am Bosporus angriff. Anfangs waren die Athener glücklich; der Bered-
samkeit und diplomatischen Geschicklichkeit des Demosthenes gelang es
sogar, eine Aussöhnung und ein Bündnis der Athener und Thebaner zu
stand zu bringen, aber die entscheidende Niederlage bei Ghäronea (338)
machte allen Berechnungen und Hoffnungen ein Ende. Demosthenes, der
persönlich an der Schlacht teilgenommen hatte, legte auch nach der ver-
hängnisvollen Niederlage die Hände nicht in den Schoss; er hielt nicht
bloss die Leichenrede auf die Opfer der Vaterlands Verteidigung, ^ er be-
antragte auch die Ausbesserung der Mauern und trat selbst in die be-
treffende Kommission ein, wobei er zu den vom Staate ausgeworfenen
Mitteln noch Geld aus seiner eigenen Tasche zuschoss.*) Wegen dieser
Verdienste beantragte Ktesiphon im Jahre 336 kurz vor Philipps Tod ')
eine öffentliche Bekränzung des Demosthenes und zwar, um die Demon-
stration der Patrioten und Makedonierfeinde desto glänzender zu gestalten,
im Theater, an den Dionysien, vor den versammelten Bundesgenossen.
Sofort erhob Aischines gegen den Antrag Einsprache und verhinderte
dessen Ausführung, indem er den Ktesiphon mit einer Klage wegen Ge-
setzwidrigkeit belangte. Der Prozess verschleppte sich, man weiss nicht
warum, 6 volle Jahre und kam erst im Jahre 330 zur Verhandlung. Die
Klage war äusserlich gegen Ktesiphon gerichtet, sie galt in der That aber
dem Demosthenes und der von ihm vertretenen Politik; sie hängte sich
an Nebenpunkte, weil die Bekränzung beantragt war, ehe Demosthenes
Rechenschaft abgelegt hatte, und weil die Gesetze eine Bekränzung im
Theater verboten; sie sollte in Wahrheit aber die Handlungsweise des
Demosthenes treffen, der weit • entfernt eine solche Auszeichnung zu ver-
dienen, an allem Unglück der Griechen schuld sei. Der Prozess war so
von vornherein ein hochpolitischer; er erhielt noch mehr den Charakter
einer grossen Staatsaktion, in der ein Verdikt über die beiden sich gegen-
überstehenden Parteien, der käuflichen Friedensfreunde und der unge-
beugten Verteidiger der Ehre des Vaterlandes, gefällt werden sollte, durch
von Rede und Brief. Schon Philochoros
kannte den Brief nach Dionva. ad Amm. 11.
Vgl. W. NiTSCHB, Progr. d. Sophiengymn.
in Berlin, 1876.
^) Dem. de cor. 285. Der erhaltene
in IT ä<piog indes ist unecht, ist ein klägliches
Machwerk eines unbekannten Rhetors mit
Benutzung des platonischen Menexenos und
des Hypereides; s. Schäfeb 111 33.
"^j Die Angaben Über den von Demo-
sthenes geleisteten Zuschuss weichen von
einander ab. Nach Aesch. in Ctes. 17 be-
trug er 100 Minen, nach dem Ehrendekret
für Demosthenes bei Ps. Plutarch p. 851
drei Talente und eine weitere Summe fttr
die Grftben im Piräus. Wahrscheinlich gab
Demosthenes selbst an, er habe drei Talente
im ganzen aus seiner Tasche hinzugegeben,
speziell 100 Minen fOr den freiwillig über-
nommenen Weiterbau {JsQyoy i^uQytNffuyogt
Aesch. Ctes. 17) der Grftben. An der
Hauptstelle, de cor. 118 heisst es in J^ ratf^'
Xoifjiiva idtaxitf in B sachlich richtiger lärij^
X(ofĀya inedijjxa. So stellt die Sache dar
Rbioh, in Abhdl. zu Ehren Christ S. 286->-9I.
8) Aesch. 8, 219; f&lschlich lassen Q-
cero de opt. gen. erat und Plnt. Dem. 24.
die Klage schon vor der Schlacht von Ch&>
ronea angebracht sein; s. Böhkxkb, For«
schungen 587 ß, und Scbafkr III 78.
d. Die Beredaamkeit. e) Demosthenea.
I 280-281.)
395
die Kunst der beiden Redner, die sich einander im entscheidenden Rede-
kampf massen, des Anklägers Aischines und des Verteidigers Demosthenes.
Cicero sagt in der seiner Übersetzung der demosthenischen Rede voraus-
geschickten Einleitung: ad quod iudicium concursus dicitur e tota Graecia
faäus esse; quid enim tarn aut visendnm aut audiendum fuit quam summorum
oratorum in gravissima causa accurata et inimicitiis incensa contentio ? Beide
Beden sind uns erhalten; die demosthenische, die Rede voraKranz (tisqX
cff^ävov, nicht vti^q crr^y.), ist ein unübertroffenes Meisterstück, in welcher
der Redner durch geschickte Anordnung die schwachen Punkte verkleidet^)
und mit der Verteidigung seines Klienten die Verherrlichung seiner Ver-
dienste und die moralische Zermalmung seines Gegners verbunden hat;
sie ist ein glänzendes Denkmal des Patriotismus und zugleich der Bered-
samkeit des Mannes, der durch seine flammende Vaterlandsliebe und hin-
reiBsende Redegewalt selbst diese Zeit des Niedergangs der hellenischen
Freiheit verklärt hat.*) So urteilten auch bereits die Geschworenen Athens,
die so zahlreich für die Politik des Demosthenes eintraten, dass Aischines
nicht einmal ein Fünftel der Stimmen erhielt.
281. Die grossen Siege Alexanders in Asien überstrahlten mit ihrem
Glänze so sehr die Streitigkeiten der Griechen untereinander und die ohn-
mächtigen Versuche einer Auflehnung gegen die makedonische Oberherr-
schaft, dass auch ein Politiker von dem Scharfblick und der Redegewalt
des Demosthenes nichts auszurichten vermochte. Es fallt zwar in jene
Zeit') die unter seinem Namen umlaufende Rede nsgi to)v ngog 'AXh^aiÖQov
ffvvx^rixwr, die eine Aufforderung zum Aufstand gegen die Makedonier
wegen Bruchs der Verträge enthält ; aber dieselbe ist, wie bereits die Alten
sahen,*) weit entfernt vom demosthenischen Charakter. Auch kam die
Leitung der beiden Parteien Athens allmählich in andere Hände, in die
des Hypereides auf der einen und die des Demades auf der anderen Seite.
Eine neue Bewegung, in die leider auch unser Redner verwickelt werden
sollte, brachte die Angelegenheit des Harpalos. Dieser war mit Schätzen
des Königs Alexander durchgegangen und begehrte Einlass in Athen.
Demosthenes erklärte sich gegen die Aufnahme und riet, nachdem Harpalos
doch Einlass gefunden hatte, zur Deponierung der Gelder auf der Akropolis.
Als hintendrein, nachdem Harpalos nach Kreta geflohen war, das Depot
M Den schwachen Punkt bilden die
Rektlidien Seiten der Frage; diese sind in
die Mitte genommen, so dass Demosthenes
durch Darlegung seiner Politik der Ehre
und des Patriotismus im ersten Teil die
^dbter f&r sich einnimmt und im dritten
diejenigen, welche durch die schwache Recht-
fertigung der Rechtspunkte wankend gewor-
den waren, wieder ftlr sich gewinnt und
durch das Pathos des £pilogos zur bedenken-
losen Parteinahme fortreisst.
') L. Spbngel, Demosthenes' Verteidigung
de« Ktemhon, Abhdl. d. b. Ak. X (1863);
KncH, Beweisfnhmng des Aeschines in
Mmer Rede gegen Etesiphon, 2 Ptogr. von
NSraberg 1884 — 5; Fox, Die Kranzrede des
Dem., Leipz. 1880. Ueber die Redaktion der
Rede Kirchhoff, Die Redaktion der demo-
sthenischen Kranzrede, Abhdl. d. pr. Ak.
1875; Alb. Rabe, Die Redaktion der demo-
sthenischen Kranzrede, Diss. Gott. 1892.
') BöHNEKB, Forschungen 1 628, ebenso
ßpengel, Blass setzen die Rede vor Thebens
Zerstörung im Sommer 8.35 ; hingegen SchX-
FKR III 191 in 330, ebenso Windel, De ora-
tione Demosthenis decima septima, Gott.
1881, und KoRViTZBR, Ztschr. f. östr. Gymn.
1882 S. 249—70.
*) Nach Libanios in der Hvpothesis
fanden einige in ihr den Charakter des
Hypereides.
396 Grieohisohe LitteimtorgMoliioht«. I. KlusiMlie Periode.
untersucht wurde, fand sich ein bedeutendes Defizit, und entstand der Ver-
dacht, dass die fehlende Summe zur Bestechung der Redner verwendet
worden war. Der Areopag nahm selbst die Voruntersuchung der faulen
Sache in die Hand und veröffentlichte eine Liste derjenigen, welche Geld
von Harpalos empfangen hätten {t(ov dfoQodoxrfidvtfav). Auf dieser stand
auch Demosthenes mit 25 Talenten.^) Die Sache kam darauf vor Gericht
und da Demosthenes nicht leugnen konnte, Geld empfangen zu haben, und
nur behauptete, dasselbe nicht f&r sich, sondern fär die öffentlichen Be-
dürfnisse der Stadt erhalten zu haben, so verurteilten die Richter, ohne die
Sache näher zu untersuchen,^) den Redner zu einer Geldbusse von 50 Ta-
lenten (324). Da er die Summe nicht bezahlen konnte, so entfloh er nach
Aegina und weiter nach Trözen. Seine Rechtfertigung und Bitte um Röck-
berufung, die den Inhalt des zweiten an das Volk und den Rat der Athener
gerichteten Briefes bilden, fruchteten nichts; eine Wendung trat erst ein,
als nach dem Tode Alexanders (323) Athen, Argos und Eorinth sich gegen
die makedonische Zwingherrschaft erhoben. Demosthenes schloss sich noch
als Verbannter den athenischen Gesandten, welche den Krieg gegen die
Makedonier predigten, an und ward bald feierlich auf Demon's Antrag
zurückberufen. Aber der Traum der wiedererstandenen Freiheit sollte
nicht lange währen; die Niederlage bei Krannon vernichtete vollständig
die Hoffnung der Patrioten. Athen wurde eingenommen und mit einer
Besatzung belegt. Demosthenes und Hypereides, auf Antrag des Demades
zum Tode verurteilt, ergriffen die Flucht. Demosthenes gelang es, nach
Kalaureia in den Poseidontempel zu entfliehen ; aber die Schergen des An-
tipater rissen ihn vom Altar. Glücklicherweise hatte er Gift in einem
Siegelring oder Schreibrohr bei sich, so dass er sich durch freiwilligen Tod
den Insulten seiner Feinde entziehen konnte.') So starb Athens grösster
Redner im Oktober 322, nachdem er in seinen letzten Jahren ein ähn-
liches Geschick, wie später der grösste Redner Roms zu erleiden gehabt
hatte.
282. Kunst des Demosthenes. Die Sache hat es mit sich ge-
bracht, dass wir in die Darstellung des Lebens unseres Redners auch
schon die Aufzählung seiner Reden und Bemerkungen über seine red-
nerische Begabung einflochten. Daher kann ich mich hier über diese
beiden Punkte kurz fassen. Um mit dem letzteren zu beginnen, so war
Demosthenes bei Isaios in die Schule gegangen,^) aber in seinem ganzen
Auftreten merkte man ihm wenig von der Schule an, bildete er vielmehr
eine Persönlichkeit für sich. Diese seine eigentümliche Stellung hatte ihre
Wurzel in dem sittlichen Ernst seiner Politik, in der mannhaften Ent-
*j Flut Dem. 25 enihlt nach feind- 9«yzV^ cüjyy^m rvxtttg tor ^r^fiayt^yo^,
seliger Quelle die Anekdote von dem gol- *) Wir haben ans dem Proiees noch
denen Becher, der bei der Musterung dem die von Inyektiven überfliessende Rede des
Dem. in die Augen gestochen sei, und den Dinarch und Teile der Rede des Hypeiidea.
ihm Harpalos dann gef&llt mit 20 Talenten Ueber mangelhafte üniersnchung beschwert
zugeschickt habe; ebenso den schlechten sich Dem. im 2. Brief.
Witz, den einige ober Dem. machten, als •) JfjuoeSer^ inifitiftuK ist dargeetellt
er mit verbundenem Halse auf den Markt auf einem in England befindlichen Te
kam und nicht sprechen xu können erklirte: kottarelief; s. Baumbistbk, Denkm. 42o.
or/ rno «rwy/i;c fff^Zor, «ii' vrt' tt^yT- *) Dionys. de Isaeo 1; ScbIfkb I 254 it
8. Die Beredsamkeit, e) Demoaihenea. (§ 282.) 397
schiedenheit, mit der er in einer Zeit der Verweichlichung und des Klein-
mutes für die Ehre und Freiheit seines Vaterlandes eintrat, in dem Feuer,
mit dem er seine Ideale ergriff und seine Zuhörer fortzureissen verstand.
Dionysios, der feine Kenner der Redner, hat mit dem Worte deirövifjg die
charakteristische Eigenschaft unseres Redners bezeichnet. Er hat dieselbe
zunächst in der sprachlichen Kunst seiner Reden nachgewiesen; weit er-
giebigeren Stoff noch hätte ihm der Inhalt, die in den Reden vertretene
Politik und die schlagfertige Gewalt der Argumentation, geliefert. Aber
wenn auch seine Reden ganz aus dem Leben und aus den Kämpfen einer
bewegten Zeit hervorgegangen sind und dadurch einen ganz anderen Ein-
druck auf uns machen als die in dem Schatten der Schule gezeitigten De-
klamationen, so war er doch nicht ein einfaches Naturgenie, sondern hatte
sich erst mit Mühe und Sorgfalt zu dem grossen Redner herangebildet.
Dass er alle Kunstgriffe der Rhetorik kannte, dass er ganz nach den
Regeln der Schule die schwachen Teile durch die Kunst der Anordnung
{tt^ig) zu verstecken und durch das Pathos und die Zuversicht der Rede
die Schwäche der Beweisgründe zu übertönen suchte, das hat uns be-
sonders Spengel, der gründliche Kenner der alten Rhetorik, einzusehen
gelehrt. Ist durch dessen Nachweise der Glaube an die Unparteilichkeit
des Demosthenes und an die Wahrheit seiner Anklagen in nicht wenigen
Fällen herabgemindert worden, so ist die Bewunderung seiner Kunst nur
um 80 höher gestiegen.
Die Regeln der Kunst und die Gewandtheit im sprachlichen Ausdruck
hat Demosthenes zunächst in den Rhetorenschulen und in dem Studium
geistesverwandter Autoren, wie Thukydides, gelernt, i) Geweckt wurde
dann sein Entschluss, dereinst als Redner seine Kräfte dem Staate zu
weihen, durch das Vorbild des grossen Staatsmannes Kallistratos; nach
alter Überlieferung*) war es dessen Rede über Oropos (gehalten 366),
welche zündend auf den jungen Demosthenes wirkte und seine Lebens-
riehtung bestimmte. Natürlich liess es derselbe aber auch nicht an der
Übung fehlen, die für ihn um so notwendiger war, als er verschiedene
Hindemisse der Natur zu überwinden hatte, um sich das anstössige
Heben der einen Achsel abzugewöhnen, stellte er sich während des Dekla-
mierens unter ein von der Zimmerdecke herabhängendes Schwert ; um das
a, den ersten Buchstaben seiner Kunst, anstandslos aussprechen zu lernen,
nahm er Steinchen bei den Übungen in den Mund ; um durch das Lärmen
der Volksversammlung nicht ausser Fassung gebracht zu werden, dekla-
mierte er häufig am Meeresgestade bei brandender See.') Ganz besondere
Aofmerksamkeit wandte er der von den früheren Rednern wenig beach-
^) In dem 5. Brief p. 1490 preist Dem. | geschrieben haben soll; s. Lucian adv. ind. 4;
die UnterweiBitng des Piaton (ti;^ nXanavog \ aber anch daffir bieten seine Reden keinen
AcTfi^r), und danach sagt Cicero Brut. | greifbaren Anhalt. Nachahmungen des Ly-
Bl, 121: leetitavisse Platanem studiose,
(tuäinsu etiam Demogthenes dicitur. Aber
die Reden des Dem. verraten dnrchans keinen
finflnss Platons; die praktische Nator des
Dem. war yon romherein der philosophischen
Spekulation abgekehrt; s. Schafes 1 280 ff.
Melir glaablich ist sein Stadium des geistes-
verwandten Thukydides, den er 8mal ab-
kurgos u. Isaios wies der Rhetor Theon in
Rhet. gr. il 63, 27 Sp. nach; vgl. M. H. E.
Mkier, Opusc. n 317 ff.
«) Plut. Dem. 5; vgl. SchIper I 275 ff.
') Demetrios Phalereiosbei Plut. Dem. 11 ;
femer Ps. Plut p. 844 d; Zosim. vit. Dem.
p. 299 West; Cic. de fin. V 2, 5; Quint X
8, 30; Val. Max, VIO 7.
398
Grieohisohe Litteratargeschiohte. I. KlMMisohe Periode.
teten ^) Kunst des Vortrags {vnoxQtatg) zu. Gefragt, was beim Reden das
erste sei, soll er der Kunst des Vortrags die erste, zweite und dritte
Stelle zugewiesen haben.') Er ging deshalb auch bei den Schauspielern
in die Lehre und Hess sich insbesondere von dem berühmten Schauspieler
Satyros öfters einzelne Stellen vorsagen.^) Mit der Zeit brachte er es
aber auch selbst im Vortrag und Gebärdenspiel zu grosser Virtuosität.
Beobachteten die Früheren eine steifleinene Haltung, indem sie die Rechte
unverrückt im Gewände behielten, so sprach er zuerst degagiert, frei und
lebhaft die Hand bewegend.^) Der Geist, der ihn beseelte, trat dann in
seine Augen und gab seinem Gesicht jenen energischen, zornglühenden
Ausdruck, den wir an seiner Büste bewundern.^) Ausserdem verwandte
er den grössten Fleiss auf die Ausarbeitung und Peilung der Rede. Deine
Reden riechen nach der Öllampe, warf ihm Pytheas vor;*) andere schalten
ihn einen Wassertrinker, der sich vor lauter Studieren nicht die Zeit zu
lustigen Gelagen nehme. Jedenfalls hat er die Reden, bevor er sie ver-
öffentlichte, sorgfaltig durchgearbeitet, vielleicht auch bei zweiter Heraus-
gabe nochmals revidiert. Wir haben dieses bereits oben bei der Rede von
der Truggesandtschaft angedeutet; bei der Rede vom Kranz scheint er
auch auf die inzwischen veröffentlichte Gegenrede des Aischines Rücksicht
genommen zu haben.'') Vorzüglich aber wird sich die Peilung vor der
Veröffentlichung auf die Peinheiten des sprachlichen Ausdrucks und den
Rhythmus der Rede erstreckt haben. Demosthenes trat hier insofern in
die Pussstapfen des grossen Stilmeisters Isokrates, als er den Hiatus durch
Wahl der Wörter und Änderung der vulgären Wortstellung, wenn auch
nicht peinlich, so doch sorgsam zu vermeiden suchte. Eigentümlich ist
ihm selbst die Abneigung gegen gehäufte Aufeinanderfolge von kurzen
Silben; eine solche schien ihm die Kraft des Ausdrucks zu brechen.«)
Wirkungsvoll ist aber bei ihm namentlich die rhetorische Kunst der Wort-
stellung und der nicht überhäufige, aber doch gern gesuchte Schmuck der
Rede durch Figuren, von denen er einige, wie die Leiter (xilfia^), zuerst
in den Stil einführte.®) Auf diese Weise vereinigen die Reden des Demo-
sthenes auf das schönste das Feuer und die Kraft, welche die Hitze des
Redekampfes auf dem Markte erzeugte, und die Sauberkeit und Sorgfalt
des Stiles, welche die nachträgliche Feilung im Studierzimmer dem ersten
Ergüsse der Rede hinzufügte, i^)
*) Vgl. Arist Riet, m 1 p. 1403 b, 21.
«) Philod. Rhet. 4, 16 p. 196, 3 Sudh.;
Cic. de orat. III 56, 213, Brut. 38, 142 u.
a.; B. Schafer I 298 f.
») Plut. Dem. 6.
^) Darauf spielt an Aisch. I 25 und
Dem. de fals. leg. 255; vgl. Philodem de
rhet. 4, 16 und das Bild des Redners.
'^j Siehe Abbildung auf der angefügten
Tafel und die Bftste der Münchener Glypto-
thek n. 149. Vgl. H. Schröder, Abbild, d.
Demosthenes, Braunschweig 1852; Michaelis
in Schäfers Demosthenes 1887 t. III 165.
•) Libanios vit. Dem. Z. 79: Ilv&^ag
axtunttoy e(prj toüV Xoyovg rov JrjfÄoaS^yovs
Xt'xytuy dno^eiy, ähnlich Plut. Dem. 8.
7) SoHAFER 111 68 ff.; Reich a. O.
s) Das wichtige Gesetz wurde «:st in
unserer Zeit von Blass III 100 erkannt.
Aus ihm erklärt es sich unt^ anderem auch,
dass er or. 41, 6 diedcio oQovg dTnattjani
den Plural ö^oi*; statt oQoy anwandte, wie-
wohl es sich dort nur um 1 Pfand handelte.
-• Rhythmische Analysen aus der 1. I^iilip-
pischen Rede gibt Norden, Die antike Kunst-
prosa 911 ff., indem er die Eola, nach den
Anzeichen des Sinns, vielfach aber auch
nach sehr subjektivem Ermessen abteilt.
*) Straub, De tropis et fignris quae
inveniuntur in orationibus Demosthenia et
Ciceronis, Progr. Aschaffenbuig 1888.
*o) Quintil. X 1, 76: oratorum langt
8. Die BeredBamkeit. e) ÜemoBihenes. ($ 283.)
399
Um das Gesagte an Bespielen zu erläutern, greife ich aufs Geratewohl ein paar
Steilen aus der 8. philippischen Rede heraus: § 13 lesen wir eti* otea^' avroy, o« inoirjaay
fä» ov^cr ay xaxoy, fiij naS^Biy «T iq)vXa^{tyi* av tatag, xoxhovg fxky i^fcnaräy al^etad'tti,
fiaUoy 17 Ti^oXdyoyta ßiä^ec^ai, vfjtly (f ix n^oQQijaetag noXefiijosiyf xai ravd^* euts ay
ixoVrc; i^ttfiaräirde ; Wir haben hier ein konditionales Sachverhältnis, aber das bringt der
Redner nicht in der langweiligen Form der Logik mit Vorder- und Nachsatz vor (wenn . . .
80), sondern in kraftvoller Nebeneinanderstellnng der Gegensätze und statt in der einfachen
Fonn der Behauptung mit wirksamstem Appell an das eigene Urteil der Zuhörer {oXec^
uvfor . . . noXsfiijasty;), Gestellt sind die Worte so, dass nicht ein nichtssagendes Pro-
nomen dem Relativsatz vorangeht, sondern das Relativum oV mit dem Demonstrativum
fov'rovc wirkungsvoll aufgenommen wird, dass femer die entgegengesetzten Pronomina
Torrovf und vfiTy an die Spitze der Sätze treten, und dass die Gegegensätze i^anaidy und
ßtäCfcdtti die nebensächlichen Worte nlgetaSM — rtQoXiyoyia in die Mitte nehmen. Um
ferner dem Zweifel, ob die Duodezstaaten sich überhaupt zur Wehr setzen würden, kräftigeren
Aiudnick zu geben, ist von der gewöhnlichen Stellung tatag ay itpvXd^ayio Umgang ge-
nommen und das zweifelnde tatog mit Nachdruck an den Schluss gesetzt. Um endlich den
utttfiBsigen Hiatus al^etcdai tj ngoXiyoyta zu vermeiden, erlaubt sich der Redner, ein über-
flfiasiges oder doch nicht notwendiges fxdXkoy zwischen die klaffenden Vokale zu schieben.
— Ein ähnliches Sachverhältms liegt in § 17 vor: 6 ydg olg «*' iyw Xr3(p9eiijy, lavxa
nqttxiay xui xaiaaxeva(6fÄsyos^ oviog ifxoi noXBfiei xdy fArjnta ßäXXn /^rj&e io|€v^. Auch
bier wird zweimal das Demonstrativum xavxa und ovros dem Relativsatz kraftvoll nach-
S^steüt, im übrigen aber ist zum Ausdruck der logischen Verhältnisse eine andere Form
gewählt; die gleiche Form, wenn auch noch so gut, hätte bei öfterer Wiederholung Über-
dnue erzeugt; aber auch so kein mattes Wenn, sondern ein direktes Hinweisen auf den
ille Vorbereitungen zur Überlistung der Stadt treffenden Feind (o . . ovtog . . i,uoi), dann
•ber auch nichts mehr von einem blossen Glauben, sondern bestimmte kategorische Be-
laoptong {noXefÄSt), Beachtenswert ist sodann in unserer Periode der Unterschied in den Satz-
achlüBsen ovtog ifjioi noXefiBl xmd /*tj&i ro^evn: im ersten vermeidet Demosthenes, in dessen
Bede schon die Alten, vorzüglich der Rhetor Dionysios, einen gewissen Rhythmus fanden,
selbst nicht die Ähnlichkeit mit der ersten Hälfte des Hexameters, in dem zweiten führt
er dorch die Schwere der gehäuften Längen den Athenern eindringlichst die Grösse der
6e&hr zu Gemüt und schliesst zugleich, ähnlich wie im Eingang der Kranzrede n^xoy
fih « uySqBg *A&ijyaiM roTg ^soTg svxofjiai näai- xal ndcai,g, mit wuchtigem Rhythmus die
Periode. — Von besonderem Interesse sind die ziemlich zahlreichen Stellen, an denen uns
die Rede in zwei Becensionen, einer demosthenischen und einer nachdemosthenischen, erhalten
ist; denn an ihnen kann man zumeist den grossen Unterschied zwischen dem gedrungenen,
wuchtigen Stil des echten Demosthenes imd der matten Breite seiner Nachtreter kennen
leraen. Gerne würde ich auf die Stelle § 46 eingehen, wo der spätere Herausgeber, weil
er die konzise Sprache des alten Redners nicht verstand, eine lange breite Sauce über die
ahe gedrängte Argumentation geschüttet hat. Aber das würde einer zu langen Auseinander-
seftnmg bedürfen; ich erwähne daher nur einen einfachen kurzen Fall. In § 25 hatte De-
Bunthenes auf die Ankündigung ndy^ oa* i^ijf^dQttjxai Aaxedaifioyioig iXdxxoy*
^liry M uyif^fg *A&ijyaioi, wy 4>iXinnog iy xgial xai öäx* ovx oXoig exBC^y, olg ininoXa^BV,
i^itTfXB xovg "EXXtjyagj fiaXXoy <f ovd^ Tttfinioy /nBQog xovxcoy ixBiva sofort das Sünden-
f<98ter des Philipp mit ^OXx^y^oy fiky &ij xal MB&aiyijy xal 'j47toXX(ayiay xtX. folgen lassen.
Wia tbut der Nachtreter und was würden wir Epigonen in ähnlichem Falle thun? er er-
setit das individuelle ne'finioy mit dem verwaschenen noXXoaxoy und schiebt zwischen die
imz abgebrochene Propositio und die Schlag auf Schlag erfolgende Argumentatio den lang-
weiligen Satz ein xal lolio ix ß^ax^og Xoyov ^<f&ioy dsT^ai. Ich könnte noch viele Stellen
US derselben Rede zur Beleuchtung der markigen Kunst des Demosthenes anführen, aber
^Kse paar Beispiele mögen genügen.
283. Charakter des Demosthenes. In der Hoheit der Gesinnung
und der rhetorischen Kunst besteht der hohe Wert, den die Kenner zu
frnteepi Demosthenes ac paene lex orandi
(•it: tanta vis in eo, tarn densa omnia, ita
Tdbutdam nervis intenta sunt, tarn nihil
ofioeumy is dicendi modus, ut nee guod de-
Sit in eo nee quod redundet invenias. Ver-
gleich mit Cicero bei Ps. Longin de sublim.
12,4.
400
Grieohisohe Litteratiirgesoliiohte. I. EUsaiBohe Periode.
allen Zeiten den Reden des Demosthenes beigemessen haben. Diese Vor-
züge würden bleiben, auch wenn er selbst im Leben weichlich und feige
gewesen wäre. Aber die Vorwürfe, die in dieser Beziehung gegen ihn
erhoben wurden, *) sind gewiss nur aus dem Hass und Neid seiner poli-
tischen Gegner hervorgegangen. Hätte er wirklich, wie ihm Aischines
III 152 vorwirft und Plutarch, Dem. 20, gläubig nacherzählt, in der Schlacht
von Chäronea in feiger Flucht den Schild weggeworfen, so hätten ihn
sicherlich nicht seine Mitbürger der Ehre gewürdigt, den Gefallenen die
Grabrede zu halten.^) Und dass er kein Wüstling war, der durch Aus-
schweifungen die Sehnen seiner Kraft brach, beweist die nachhaltige
Energie, mit der er für seine politischen Ideale zeitlebens eintrat. Der
Spitzname Btkaloq^ der ihm möglicherweise nur wegen einer äusserlichen
Kleinigkeit (Stotterns oder weichlichen Ganges) in der Jugend gegeben
wurde, kann dagegen nichts beweisen.^) Dass er sieben Tage nach dem
Tode seiner einzigen Tochter^) auf die Nachricht vom Tode Philipps hin
Festkleider anlegte, darf nicht mit Aischines '^) als rohe Gefühllosigkeit
gedeutet werden, sondern war ein Ausfluss jener hochentwickelten Vater-
landsliebe, vor der bei den Alten alle Rücksichten des Privatlebens zu-
rücktreten mussten. Für seine Unbestechlichkeit aber spricht schon das
Zeugnis seines Erzfeindes Philipp, der, als einst seine Ratgeber in losen
Schimpfireden über den attischen Redner sich ergingen, dieselben mit den
Worten zurechtwies: Demosthenes darf schon ein freies Wort sprechen,
denn von ihm allein findet sich der Name nicht in meinen Ausgabebüchern. ^)
Und so haben denn auch seine Mitbürger 42 Jahre nach seinem Tod, als
ein ruhiges Urteil an die Stelle erregter Partöileidenschaft getreten war,
in dankbarer Anerkennung seiner patriotischen Gesinnung und der gemein-
nützigen Opferwilligkeit, die er durch freiwillig übernommene Staats-
leistungen, Loskauf von Kriegsgefangenen, Unterstützung bedürftiger
Bürger bethätigt hatte, ihm ein Standbild gesetzt 7) mit der vielsagenden
Inschrift:
einsq iffrjv ^oifirjv yvcifirj^ Jrjfiiif&evegy «X^s,
ov 7V0V* av 'EXlrjviov r]Q^€v "AQtjg Maxeddv,
284. Werke des Demosthenes. Unter dem Namen des Demo-
sthenes sind auf uns gekommen 61 Reden oder richtiger, nach Ausschei-
dung des Briefes des Philipp, 60, ferner eine Sammlung von Einleitungen
{nQooifiia) und 6 Briefe, welch letztere alle mit Ausnahme des 5. von
Demosthenes aus dem Exil an den Rat und das Volk der Athener gerichtet
^) Auch auf die Bühne wurde deshalb
Demosthenes gezogen von Timokles fr. 4 u.
12 Kock.
^) Das hat schon richtig Reiske geltend
gemacht. Dass frtLher seine Gegner eine
Klage keinota^lov gegen ihn planten, bemerkt
er selbst (Mid. 103) mit Entrüstung.
') Ueber die unbewiesenen Nachreden
vom Umgang mit Het&ren bei Ath. 592 f.,
Diog. 6, 34 u. andern s. Schäfer lli 360.
*) Ausserdem hatte er noch zwei Söhne
von derselben Mutter, die den Vater über-
lebten; 8. Ps. Plut. 847 c.
») Aesch. llI 77.
*) Lucian. Dem. enc. 83: dlxaiog 6 Jtjfio^
a&eyfjg naQQtj<riag ivyxfiyBiv * fioyog ye t«v
inl xrjg 'EXXddos dijfiayotyüiy ovtfafAov äno^
XoyMffjLolg iyyiyqanjtti ita» ifAtSvayaXiofÄaTmB^^
^) Plut. Dem. 30; Zosim. vit. Dem. p. 302,
Das Dekret im Wortlaut bei Ps. Plut p. 850.
Auf jenes Standbild gehen vermutlich znrtkc^k
die lebensgroBse Marmorstatue des Yattkan,
dieBronzebüste von Herkulanum und der
Marmorkopf der Münchener Glyptothek.
8. Die BeredBamkeit. e) Demosthenes. (§ 284.)
401
sind. Die Echtheit der Briefe wird bezweifelt; ob von allen mit Recht,
ist noch nicht ausgemacht, i) Unter den Proömien decken sich mehrere
niit den Eingängen wirklicher Reden, andere sind Schulvariationen, welche
schwerlich den Demosthenes selbst, eher seine Schüler und Anhänger
zu Verfassern haben. ^) Von den Reden ist so ziemlich alles erhalten,
was die Alten als demosthenisch anerkannten. Ps. Plutarch gibt die
Zahl der echten Reden auf 65 an,^) es fehlen demnach nur 4, die wahr-
scheinlich von den späteren Kritikern noch ausgeschieden wurden, da-
runter die sicher unechte 71€qI tov jujy ixdovvai "^ÄqnaXov^) Aber auch
viele von den erhaltenen Reden sind mit teils grösserer, teils geringerer
Wahrscheinlichkeit von der modernen Kritik und teilweise schon von alten
Kritikern verworfen worden.
Eingeteilt werden die Reden in Xoyoi irj/.i6aioi (27) und iäi(a%ixo( (34),
neben der die Einteilung in dixanxoi, avfißovlsvtixoi und inideixtixoi ein-
hergeht. Die zwei epideiktischen Reden, der imxdifioq^) und sQfazixoq^
smd zweifellos unecht; von der letzten, einer Lobrede auf einen schönen
Knaben Epikrates, ist es schwer zu begreifen, wie sie sich überhaupt
anter die Reden eines Demosthenes verirren konnte. Von den öffentlichen
Reden, den in der Volksversammlung {ßr^txr;yoQ(ai) und den vor Gericht
gehaltenen, ist bereits im Lebensabriss unseres Redners gehandelt worden.
Unter denselben stehen auch zwei gegen Aristogeiton (25. und 26.)«
die ziemlich allgemein als unecht gelten.^) Dieselben geben sich für
Denterologien (Reden an zweiter Stelle) aus, gehalten bei der Klage,
welche unter Alexanders Regierung Lykurg gegen jenen der Atimie ver-
fallenen Demagogen erhoben hatte. Dionysios de Dem. 57 hatte bereits
mit gesundem Urteil die Unechtheit der beiden Reden erkannt; wenn
bezüglich der ersten andere, wie Plinius ep. IX 26, Ps. Longin 27, Photios
p. 491 a 29, für die Echtheit eintraten, so Uessen sie sich durch die aller-
dings schönen Gemeinplätze, wie namentlich über den Wert der Gesetze,
täuschen. Ein geringeres Interesse bieten selbstverständlich die Privat-
reden, von denen die gegen Konon (54.) und für Phormion (36.) am meisten
gelesen zu werden verdienen. — Die unechte Rede gegen Neaira, eine durch-
triebene Hetäre, hat ein besonderes kulturhistorisches Interesse. Dieselbe
M Gegen eine Ünechterklämng in Bausch
and Bogen erkl&rt sich Blabs III 388 ff. a.
JTalirb. f. Phil. 115, 541 ff., indem er namentr
lieh die beiden nmf angreichen Briefe 2. u. 3.
dem Demosthenes znweist; gegen die Echt-
heit Alb. Nbupbbt, De Demosthenicaiiim
^oae fernntor epistularom fide et anctori-
Ute, lips. Diss. 1885. Yergl. Susbmihl AI.
lit II 581 f. QuinUlian X 1, 107 gibt die
fiiiefe imbedenklich fär echt ans.
') SwoBODA, De Dem. quae ferontnr
prooemüs, Yindob. 1887 spricht sie insgesamt
dem Demosthenes ab, Iftsst sie aber bald
Uefa seinem Tod entstanden sein. Vgl. P.
l^HLB, De prooemiomm collectionis qnae De-
BOfithenis nomine fertm- origine.
'} Das Yon Studbmund, Herm. II 43
▼er&ffentlichte Yeizeichnis gibt 71 Reden.
^) Unsicher ist es, ob die Rede vnkQ
xuiy ^rjioQtjy, gegen die Auslieferung der
Redner, wirklich existierte; s. Blabs III 59.
lieber nicht erhaltene Privatreden s. Sohäfbr
III 2, 316.
^) Rede auf die Gefallenen von Chä-
ronea, s. § 280.
') Die GrQnde der Unechtheit der ersten
Rede, meist sachlicher Natur, sucht abzu-
schwächen und wegzuemendieren Weil, Re-
vue de phil. 1882 p. 1—21 und in M^langes
Renier p. 17 ff.; dagegen J. H. Ltpsius,
Ueber die Unechtheit der ersten Rede gegen
Aristogeiton, Leipz. Stud. VI 317—31; R.
Wagner, De priore quae Demosthenis .fertur
adversus Aristogitonem oratione, Rost. Diss.
1883.
Bandbacfa der kla». AUertamswImcnschaft. YII. 8. Aufl,
26
402
Orieohisohe Litioratnrgesohiohte. I. KUasisohe Periode.
gehört zu den aus dem Familienarchiv des Apollodor stammenden Beden
und richtet sich gegen Stephanos, einen Gegner des Hauses des Apollodor,
der jene abgefeimte Hetäre ins Haus genommen und die mit ihr gezeugten
Kinder als rechtmässige Kinder und athenische Bürger ausgegeben hatte. —
Schwierig ist bei den Privatreden die Echtheitsfrage, da zur Veröffentr
lichung derselben Demosthenes selbst weniger Grund hatte, so dass die-
selben alle, abgesehen von den fünf Vormundschaftsreden (loyoi imioo-
mxoi'),!) vermutlich erst nach dem Tode des Redners von den Heraus-
gebern seiner Werke aus den Papieren derjenigen, für die sie geschrieben
waren, gesammelt und herausgegeben wurden. Dabei konnte es aber
leicht vorkommen, dass die Inhaber der Reden, wie namentlich die Fa-
milie des Apollodor,*) auch manche Reden hergaben, die sie sich von andern
hatten aufsetzen lassen. Einige der Privatreden (52. 53. 49.) können
schon deshalb nicht von Demosthenes geschrieben sein, weil sie in eine
Zeit fallen, in der derselbe noch zu jung war, oder umgekehrt sich scbon
ganz den Staatsgeschäften gewidmet hatte (48. 56. 58. 59.). In einer,
der Anzeige gegen Theokrines, die indes für die Parteistellung des De-
mosthenes sehr wichtig ist, wird gegen Demosthenes selbst wacker los-
gezogen (58, 42). Wieder andere sind aus sprachlichen oder stilistischen
Gründen der ünechtheit verdächtig,') so dass schliesslich Blass ausser
den Vormundschaftsreden (27. — 31.) nur noch zehn Privatreden (36.-39.
41. 45. 51. 54. 55. 57.) als echt anerkennt und andere noch unter diese
Zahl herabgehen.^)
286. Studien zu Demosthenes. Der Ruhm und der Eänfluss des
Demosthenes überdauerten sein Leben. Nachdem der Alp der makedoni-
schen Herrschaft von Athen abgewälzt war, wurde ihm im Jahre 280
auf Antrag seines Schwestersohnes Demochares das oben schon erwähnte
Ehrendenkmal gesetzt und seinen Verdiensten in einem Ehrendekret öffent-
liche Anerkennung ausgesprochen.^) um dieselbe Zeit muss in Athen
eine in seinem Qeist und seinem Stil sich versuchende rhetorische Schule
geblüht haben, durch deren Bemühungen die Reden des Meisters gesammelt
*) Es sind derselben 5 (27.-31.), die
wahrscheinlich, weil in eigener Sache ge-
halten, von Dem. selbst herausgegeben
wurden; von der 8. wird indes die Echtheit
bezweifelt; siehe dagegen Reichbnbbroek,
Demosthenis tertiam contra Aphobum ora-
tionem esse genuinam, WOrzb. 1881.
^) Es sind der fQr Apollodor geschrie-
benen Reden acht (45. 46. 47. 49. 50. 52. 53. 59.),
von denen Blass nur die 45. gegen Stephanos
als echt anerkennt; s. Sigo, Der Verfasser
der neun angeblich von Demosthenes für
Apollodor geschriebenen Reden, Jahrb. für
Phil. Suppl. Vi 397 fF. Die Echtheit der
ersten Rede gegen Stephanos wird mit guten
Gründen aufrecht erhalten von Hüttnbb,
Demosthenis oratio in Stephanum prior num
Vera sit inquiiitur, Progr. Ansbach 1895.
') In der Rede gegen Euergos (47) steht
nur iya^ nie oTitag in Absichtssätzen; ttber
andere sprachliche Anzeichen s. Sittl, Gr.
Litt II 223. Vergl. Paul Uhlb, QuaestioneB
de orationum Demostheni falso addieUnun
scriptoribus, 2 part., Ups. 1883 u. 1886.
Einige unter den unechten Piivaireden ojbA
unter sich durch den Stil verwandt, wie die
gegen Apaturios, Phoimion, Dionysodoros,
femer die gegen Makartatos, Olymj^odoros,
Lakritos. — Gegen die EchÜieit der Rede
gegen Nymphodor (48) s]»iclit auch der Um-
stand, dass sie nach der uns erhaltenen
Stichometrie in einem abweichenden, bedeu-
tend kleineren Format geschrieben war.
^) Ein chronologisdies Verzeichnis der
echten und unechten Reden bei Schafbb
III 2, 316.
^) Die Verhandlungen ttber jenes Ehrai-
dekret bei Ps. Plutarch p. 850; über das
Bild des Redners, in dem er mit Himatioii
und Schwert dargestellt war, siehe eboida
p. 847.
8. Die Beredsamkeit, e) DemosiheneB. (§ 285.)
403
und verbreitet wurden, und aus der auch die meisten untergeschobenen
Reden und vielleicht auch die Erweiterungen der echten hervorgegangen
sind.^) In Alexandria fanden zwar die Werke des Demosthenes Aufnahme
in die Bibliothek und wurden von Kallimachos katalogisiert,^) aber ein
besonderes Studium scheint ihnen dort ebensowenig wie den übrigen
Prosawerken zugewendet worden zu sein. Die eingehenderen Studien
datieren aus dem Beginn der römischen Kaiserzeit und gehen auf die
beiden Khetoren Dionysios von Halikamass und Cäcilius von Ealakte zu-
rück. Von dem ersteren sind uns die für die ästhetische Kritik und die
Chronologie der Reden wichtigen Schriften jvegl deivmrjTog JrjfiotTxß'evovg
und imaxoXq ngog ^AfA^iaTov erhalten. Hypomnemata des Didymos zu
Demosthenes werden erwähnt von dem Lexikographen Harpokration p. 73,
5 Bekk. In den nächsten zwei Jahrhunderten, wo Demosthenes der Redner
schlechthin hiess, entstanden die nicht zum kleinsten Teil auf Demosthenes
fassenden lexikalischen Verzeichnisse der Attikisten, die Spezialschriften
Aber den Stil des Demosthenes, wie die erhaltene Monographie des Tiberius
JTf^t xwv nagd Jrjfxoo&bvei axrjfidrtav (Rhet. gr. II 59—82 Sp.), endlich die
Inhaltsangaben (tmov^äasig) zu den einzelnen Reden. In dieser Zeit kamen
die Erklärer auch auf den Gedanken, zu den gelesensten Reden, von dem
Kranz, von der Truggesandtschaft, gegen Midias, gegen Timokrates, Ur-
kunden, die im Text nur durch Überschrift angedeutet waren, zu fabri-
zieren und in die Reden selbst einzulegen, s) Sie mochten zu diesen Fäl-
schungen dadurch veranlasst werden, dass sie in einigen Privatreden, wie
gegen Neaira,*) Lakritos, Pantainetos, Stephanos, Makartatos (Erbschafts-
reden) schon seit Alters Urkunden in den Text eingelegt fanden. Denn
dass die Urkunden jener öffentlichen Reden, welche so lange die Forscher
in die Irre führten, zum grösseren Teil erst nachträglich von den Gram-
matikern fabriziert wurden, steht durch die glänzenden Nachweise von
Droysen fest,*) so dass es sich nur noch um die Hilfsmittel handelt, welche
^) Hier ist wohl auch die alte von
Bionys. ad Amm. c. 4. nnd 10 benutzte Bio-
gnphie entstanden, in der die anf die Zeit-
folge der Reden bezüglichen Daten nach
Azdionten unter Benutzung der Atthides ge-
geben waren.
') Darfiber Rbhdantz bei Sobafbb III 2,
317 ff.
') Fn meiner Schrift, die Attikusansgabe
^ee Dem. 40 ff. habe ich bewiesen, dass die
Urkonden zn den bezeichneten Reden noch
iBtht in der Attikusansgabe standen und die
ZOT Midiana selbst den Scholiasten noch
nicht vorlagen, so dass dieselben kaum vor
^en S. Jahrhundert entstanden sein kOnnen.
Kkinaaiatischen Ursprung weist aus der
Form der Urkunden nach Wortmann, De
^ocretis in Dennosthenis Aeschinea, Marburg
1877.
'i Die Urkunden zur Rede gegen Neftra,
tmtwtne auch zur Aristokratea und Timo-
^(ea, standen schon in dem Archetypus
r Handschriften, wie aus den Angaben
der Zeilenzahlen hervorgeht. Ueber die in-
nere Glaubwürdigkeit derselben Riebemann,
De litis instrumentis in Demosthenis quae
fertur oratione adv. Neaeram, Leipz. Diss.
1886. Aus inneren Gründen erweist auch
die Echtheit der Erbschaftsgesetze der Ma-
cartea Bubrmann Rh. M. 32, 358 ff. gegen
Seblioer Rh. M. 31, 176 ff. Die weitere
Litteratur in dieser Frage zusammengestellt
und geprüft von Drbbüp, Ueber die bei den
attischen Rednern eingelegten Urkunden,
Jahrb. f. cl. Phil. Suppl. 24 (1898 1 223—365.
*) Drotsev, Die Urkunden in Demo-
sthenes Rede vom Kranz, Ztschr. f. Alt. 1839
N. 68 ff. mit Nachtrag 1842 N. 2—4 (= Kl.
Sehr. I 95 ff.); Weste rm ahn, Untersuchungen
über die in die attischen Redner eingelegten
Urkunden, Abb. d. sÄchs. Ges. 1 1 ff. (1850);
Cbbist, Die Attikusausg. des Dem. in Abb.
d. b. Ak. XVI (1882); R Scholl, Ueber
attische Gesetzgebung, Sitzb. d. b. Ak. 1886
S. 87—139. Schon vor Droysen hatten die
Urkunden der Kranzrede und namentlich die
26*
404
Grieohisohe Litteratiirgesohichte. I. KUMisohe Periode.
dieselben bei ihren Fälschungen benutzten. Auf uns gekommen sind ausser
jenen Urkunden von Erläuterungsschriften aus dem Altertum die Hypo-
theseis des Rhetors Libanios und die Scholien des Zosimos aus Askalon
und des Grammatikers Ulpian, welche auf die älteren Scholien des Menander
und Zenon zurückgehen.^)
Die Codd. des Dem. beruhen, wie die Subscriptio zur Rede ad ep. Phil, in H und F
di-uig^tJTtti- ix dvo 'AiiixtavuHy wahrscheinlich macht, auf einer Ausgabe, die in der römi-
schen Buchhandlung des Attikus erschienen war; auf diese scheinen auch die stichometiischen
Angaben ia lY B F zurückzugehen, worüber Christ, Die Attikusausgabe d. Demosth., in
Abhdl. d. b. Ak. 1882, mit berichtigenden Nachträgen von Bübm ann Herm. XXI 34 und Bubobb
Herrn. XXII 650, und Stichometrische Untersuchungen zu Demosthenes und Herodot, Dias.
Erlangen 1892. Infolge der Interpolationen der Eaiserzeit und der Umschrift aus Papjms-
rollen in Pergamenthandschriften entstanden zwei Familien von Codd., die sich besonders
in Phil. III durch kürzere und längere Fassung des Textes unterscheiden. Der Hanpt-
codex der älteren Ueberlieferung ist I — Par. 2934 membr. s. X (in phototypiacher Re-
produktion, Paris 1893); zur anderen Familie gehören F -- Marcian. 416 membr. s. XI und
der davon abgeschriebene B = Monac. (Bavaricus) 85 bomb. s. XIII; A = Monac. (Angu-
stanus) 485 membr. s. XII. Ueber das Verhältnis der Handschriftenfamilien Usbvbb Nachr.
der Gott. Ges. 1892 S. 188 ff.; Lipsius, Zur Textkritik des Demosthenes, Ber. d. Sachs. Ges.
d. Wiss. 1893, wo auch von den neuerdings gefundenen Papyri gehandelt ist; Bbtbb, De-
mosthenis scriptorum corpus nbi et qua aetate coUectum editumque sit, Ind. lect. Rostock
1897. — Ein Papyrus der TfQooifjtia, gefunden auf dem Boden des alten Oxyrynchos tob
Grenfell-Hunt 1896/7.
Scholien zu 18 Reden von Ulpian und Zosimos, meistens rhetorischer Art, am
besten bei Baiteb-Sauppe, Or. att. II, 49—126. £[ritische Zeichen insbesondere zur Midiana
von mir nachgewiesen in Attikusausg. 25 ff. und aus £ von Weil, M^L Graux p. 13 — 20.
In meiner Schrift S. 11 f. gab ich auch aus den Codices Nachwelse von Eolenteilong durch
die Rhetoren Lachares und Ps. Eastor; s. Walz, Rhet gr. UI 721 f. und Stuobmuhd, Fa.
Castoris excerpta rhet., Breslau 1888, p. 23. — Neue Scholien aus einem Cod. von Pa^nos
publiziert von Sakkklion in Bull, de corr. hell. 1877 p. 1—16. Bruchstücke eines gelelurten
Speziallexikons zur Aristokratea aus den Papyri von Fajjum, veröffentlicht von Blass Herrn.
17, 148 ff. Glossen aus Cod. Marc. 433 gibt Rabe Rh. M. 49 (1894) 625 ff. Alte aber wert-
lose Scholien zur Midiana enthält derselbe Papyrus, in dem des Aristot \49f}valiav noXir. steht.
Ausgaben: ed. princ. ap. Aldum 1504. — Grundlegende Ausg. mit Uebers. und Noten
von Hieb. Wolf, BasU. 1549, öfters wiederholt — cum comment Wolfii Taylori Marklandi
suis ed. Reiskb in Orat. graeci, Lips. 1770; in verbesserter Aufl. von Scbafsb, Lips. 1821,
5 vol. — ex rec. G. Dindobfu mit Noten der Früheren und Scholien, Oxon. 1846-51, 9 toI,
— Ausg. mit kritischem Apparat von Bbkker (1824) und Sauppe (1843) in Orat attid —
Dem. rec. Dindorf ed. IV cur. Blass in Bibl. Teubn. — Spezialausg.: Dem. adv. Lept c. comm.
perp. ed. F. A. Wolf, Hai. 1790; in Midiam ed. Buttmaniy, ed. Y Berol. 1862. — Dem. coii>
tiones, de Corona et de fals. leg. ed. VOmel, Lips. 1856 u. 1862. — Les harangues und les
plaidoyers politiques ed. Weil mit krit und exegetischen Noten, Paris ed. II 1881 u. 1883.
Dem. de cor. explic. Dissen, Gott. 1837; ed. Lipsius mit krit. Apparat u. Scholien, Lips. 1876.
— Ausgewählte Reden mit erklärenden Anmerkungen von Westermank-MOllbr-Rosbhbbsg
bei Weidmann ; von Rbhdantz-Blass bei Teubner (in letzterer Ausgabe auch treffliche riie-
torische Indices); von Sörgel bei Perthes. — Demosthenes Staatsreden nebst der Rede vom
Kranz übersetzt mit Einl. u. Anm. von Jacobs, 2. Aufl., Leipz. 1883; die erste Auflage 1805
veröffentlicht, um den von Napoleons Gewaltherrschaft bedrohten Deutschen ein Mahnbild
ans alten Zeiten vorzuhalten. — Index Demosthenicus compos. Preuss, Lips. 1892. — B.
Kaiser, Quaestiones de elocutione Demosthenica, Diss. philol. Hall. vol. XIII 1896.
f) Die Zeitgrenossen des Demosthenes.
286. Lykurgos,^) Sohn des Lykophron aus dem alten Geschlecht
der Butaden, erwarb sich seine grössten Verdienste als Staatsmann durcli
archontes pseudeponymi derselben Anstoss
erregt und verschiedene Lösungsversuche
hervorgerufen, worüber einen geschichtlichen
Ueberblick gibt Drerup a. 0.
*) Ueber die Quellen der Scholien Dik-
PORF im 7. Bande der Oxforder Ausgabe;
ScHUNK, De scholiomm in Demosthenis
orationibns fontibus, Eoburger Progr, 1879;
Em. Wanorik, Quaestiones de acholionua
Demosthenicornm fontibus, Halle Diss. 1^83.
*) Quellen: Ps. Plutarch und Soidas.
8. Die Beredaamkeit. f) Demosthenes' Zeitgenossen.
( 286 -287.) 405
die ehrliche und besonnene Politik, die er in jenen schweren Zeiten der
Bedrohung Athens durch Makedonien vertrat, insbesondere aber durch die
geschickte Finanzverwaltung, die er 12 Jahre lang (838—326), anfangs in
eigener Verantwortlichkeit als Pinanzminister (o ini ttj itotxyjasi), später
unter dem Namen vorgeschobener Freunde zum Heile der Stadt leitete.
Lange scheint er das letzte Jahr jener Verwaltung (326) nicht überlebt zu
haben, da noch Demosthenes sich für seine Kinder, die man nach dem
Tode des Vaters wegen angeblicher Kassendefekte in den Kerker warf,
in treuer Anhänglichkeit für seinen ehemaligen Parteigenossen verwandte.
Erst lange Zeit nach seinem Tode im Jahre 307 erstatteten ihm seine
Mitbürger den Tribut des Dankes durch ein Ehrendekret, das uns durch
litterarische (Ps. Plutarch p. 852) und inschriftliche Überlieferung (CIA II
1, 240) überkommen ist.^) Lykurg war also in erster Linie Staats- und
Finanzmann. Ein Staatsmann konnte aber in jener Zeit in Athen, wo
alles öffentlich verhandelt wurde, nicht bestehen ohne die Fertigkeit der
Rede; bezeichnete man ja den Staatsmann mit keinem anderen Namen als
dem eines Redners (^rjrfoif). Lykurg bedurfte überdies in besonderem Grade
der Fertigkeit im Reden, da er es sich zur speziellen Aufgabe stellte, alle
Defraudanten und Vaterlandsverräter rücksichtslos vor Gericht zu ziehen.
Die Alten hatten von ihm 15 Reden, von denen er 2 in eigener Sache
zur Rechtfertigung seiner Verwaltungsgrundsätze gehalten hatte. Auf uns
gekommen ist die einzige Rede gegen Leokrates, der nach dem Unglück
von Chäronea feige die Stadt verlassen hatte und den Lykurg, als er 331
wieder zurückzukehren wagte, mit einer Hochverratsklage («foayyf A/a) be-
langte. Der Hauptvorzug der Rede liegt in der sittlichen Entrüstung, die
ans ihr spricht; der Angeklagte entrann mit knapper Not der Todesstrafe,
indem die Stimmen der Richter zu gleichen Teilen auseinandergingen und
for diesen Fall die Bestimmung galt, dass das mildere Urteil obsiegen
sollte. In die Rede flocht der Dichter mehrere dichterische Gitate und
den berühmten, aber gemischten Eid der Hellenen vor der Schlacht bei
Plataä (§ 78) ein.') Ausser in den Reden zeigte Lykurg seinen politischen
Scharfblick und seine Redaktionsgewandtheit in den zahlreichen Gesetzen,
die er beantragte und von denen nach dem Ehrendekret eine Gesamtab-
fichrift auf der Akropolis aufgestellt wurde, von der uns mehrere Reste
(CIAn 162. 168. 173. 176. 180. 202) erhalten sind.
Die handschriftliche Ueberlieferung ist die gleiche wie bei Andokides. Spezialaas-
pbea mit Kommentar von Pinzgbr, Leipz. 1834; von Rbhdaktz, Leipz. 1876. Kritische
Beari)eitang von Thalhum, Berl. 1880.
287. Aischines (389—314)«) war der Sohn ehrbarer, aber in kleinen
*) Eine Eizstatne des Lykurg erwähnt
Paus. I 8, 2; Aber die Basis eines Denk-
■ttb ans römischer Zeit mit AvxovQyog ö
i^tmQ 8. CIA lil 944.
*) Dass der Eid, der bei Diodor XI 39
wiederkehrt, geftlscht sei, behauptete bereits
Theopomp bei Theon in Rhet. gr. II 67,
218p.
*) Ausser Ps. Plut. de X orat., einem
Kapitel des Phüoetr. i 18 und 2 Artikeln
kn Suidas haben wir noch die Yitae eines
gewissen Apollonios und eines Anonymus.
Die Lebensyerhftltnisse sind entstellt durch
die Persiflage des Dem. de cor. 129 ff., deren
Glaubwürdigkeit schon dadurch yeningert
wird, dass von den meisten Vorwürfen in
der Rede de fals. leg. noch keine Spur sich
findet. — Eine Büste des Aischines im Va-
tikan mit Namensinschrift; eine Statue aus
Herkulanum in Neapel, die wir auf der an-
gehängten Tafel wiedergeben.
406
Oriechisohe litteratnrgesohiohte. I. Klassisohe Periode.
Verhältnissen lebender Eltern, des Schulmeisters Atrometos, dessen Name
die Schniähsucht seiner Gegner in Tromes (Zag statt Unverzagt) ver-
wandelte,^) und der Olaukothea, die als Priesterin von Mysterien sich Oeld
verdiente. Der Lebenszeit nach war er ein wenig älter als sein grosser
Rivale Demosthenes. Da er nach seiner eigenen Angabe I 49 zur Zeit
des Prozesses wegen der Truggesandtschaft 45 Jahre alt war, so muss er
389 geboren sein.«) Der Vater wusste aus allen seinen 3 Söhnen etwas
zu machen: der eine, Philochares, wurde Vasenmaler, der andere, Apho-
betos, Stadtschreiber ;^) auch Aischines fing mit dem Schreiberdienst an,
wandte sich aber dann zum Schauspiel, wo er es indes nicht über den
Tritagonisten brachte. Vom Theater wandte er sich der öflfentlichen Thätig-
keit als Redner und Staatsmann zu, nachdem er schon zuvor als Soldat
für das Vaterland mit Ehren gekämpft hatte. Zum erstenmal trat er 348
nach dem Fall von Olynth auf, um den Zusammentritt eines hellenischen
Kongresses zu empfehlen,^) aber bald ging er ganz in das Lager der
Friedenspartei über, die unter Eubulos' Fahne um jeden Preis einen Aus-
gang aus den kriegerischen Verwicklungen suchte. Wie wir schon bei
Demosthenes erzählt haben, wirkte er als Gesandter in hervorragender
Weise zum Abschluss des philokrateischen Friedens mit (346) und musste
sich dann gegen die Anklage der Truggesandtschaft vor den Gerichten
verantworten, wobei er zuerst den Hauptankläger Timarchos durch die
Oegenanklage ehrenrühriger Schamlosigkeit glücklich bei Seite schob, dann
aber dem Demosthenes gegenüber nur mit knapper Not und durch den
Einfluss seiner Fürsprecher Eubulos, Phokion und Nausikles der Verur^
teilung entging (343). Im Jahre 339 war er Vertreter Athens (nvlayo^g)
bei dem Amphiktionenbund und spielte in seiner Eurzsichtigkeit dadurch,
dass er die Ächtung der Amphissäer bewirkte, dem Philipp die Entschei-
dung griechischer Angelegenheiten in die Hände. Nach der Schlacht von
Ghäronea (338) sank selbstverständlich das Ansehen seiner Partei, und kam
er selbst in immer weiteren Kreisen in den Verdacht, von Philipp (Seid
zum Verrate seines Vaterlandes genommen zu haben. Die Ungunst seiner
Mitbürger erfuhr er 330 in dem gegen Ktesiphon wegen gesetzwidrigen
Antrags erhobenen Prozess, bei dem er trotz des Aufgebotes aller Mittel
der Beredsamkeit gegen Demosthenes nicht aufzukommen vermochte und
mit seiner Anklage nicht einmal das Fünftel der Stimmen erhielt. Da er
so der Atimie verfallen war und das Recht, vor dem Volke aufzutreten,
verlor, so verliess er Athen und wandte sich nach Ephesos, später nach
Rhodos und Samos; in Rhodos soll er eine Rednerschule eröffnet haben.^)
Hier fand er so festen Boden, dass er auch nach dem lamischen Krieg
nicht nach Athen zurückkehrte, sondern 75 Jahre alt in der Fremde starb. <)
1) Dem. de cor. 129.
') Das8 er etwas ftlter als Demosthenes
war, ist angedeutet Aesch. III 2.
<) Nach Dem. 19, 249 waren die Brader
anfangs ünterschreiber (vnoygtxfifÄatevoyres),
brachten es aber dann beide zum Staats-
schreiber (yQa/4fjiaxevg t^ ^Vf^f?)-
*) Dem. 19, 10 u. 303.
^) Ps. Plut. p. 840 d, Philostr. nnd Snidas ;
Eum Elementarlehrer Iftsst ihn der tmver-
Iftssige Anonymus herabsinken.
') Die 75 Jahre gibt A^Uonios an,
verbindet aber diese Angabe mit dem Miss-
yerstftndnis einer Ermordung dureh Anti-
pater, wodurch freilich auch jene Angabe
zweifelhaft wird.
8. Die Beredsamkeit, f) Demosthenee' Zeitgenossen.
8.)
407
Aischines verdankt seinen Ruhm bei der Nachwelt dem Konflikt,
in den er mit seinem berühmten Gegner Demosthenes geriet. Denn auf
UDS gekommen sind von ihm nur die 8 Reden, welche in denjenigen Pro-
zessen, in denen Demosthenes ihm gegenüberstand, gehalten wurden. Sie
sind ans erhalten infolge der Aufmerksamkeit, welche zu allen Zeiten den
Entgegnungen auf die demosthenischen Reden ncQi naqanqsaßeiaq und
mqi fsxsipavov zugewendet wurde. Dieses Verhältnis gibt denselben auch
heutzutage noch ihre hervorragende Bedeutung. Diese 3 Reden also sind:
itnä TifiaQxov (1.), n€Ql naqanqea ßeiag (2.), xaxd KTrjin(pMvtog (3.). tJber
die Veranlassung derselben ist bereits oben, im Leben des Demosthenes,
gesprochen worden; die erste macht uns schon durch den Gegenstand
einen widerlichen Eindruck, muss aber im Altertum viel gelesen worden
sein, da die Grammatiker in sie Urkunden, natürlich gefälschte, einlegten;
in der dritten Rede, gegen Etesiphon, halt Aischines trotz aller Kraft-
ausdrQcke doch keinen Vergleich mit der hinreissenden Gewalt demo-
sthenischer Beredsamkeit aus;^) am meisten Lob verdient die zweite Rede,
die auch ein englischer Praktiker in der Beredsamkeit, Lord Brougham,
iur Aischines' bestes Werk erklärt hat. Die Alten kannten unter seinem
Namen noch eine deUsche Rede, hielten dieselbe aber für unecht,*) zumal
der Rat des Areshügels die Wahl des Aischines zum Vertreter Athens in
Delos annulliert und dem Hypereides die Führung der Sache der Athener
aofgetragen hatte. Die 12 uns erhaltenen Briefe sind unbedeutend und
machen den Eindruck von Schulübungen. ^)
Die Godd. des Aiech., die auf einen schon stark interpolierten Archetypus znrück-
Sehen, scheiden sich in zwei Blassen, denen sich eine dritte kontaminierte zugesellt. Ein
Stemma derselben steUt Ortnbr, Krit. Unters, zu Aisch. Reden, Mflnchen 1886, S. 23 auf.
Sb Fragment II 1 178 — 186 enthält ein Papyrus aus Fajjjum, woraber Hartbl, Griech. Papyri,
Wien 1886 S. 45. — Scheuen haben sich verhältnismässig viele und gute erhalten; am
bestes sind dieselben herausgegeben in der Ausgabe von Febd. Schultz; den Grundstock
tnlden die Kommentare von Aspasios und Apollonios; s. Febd. Schultz, Jahrb. f. Phil.
93 (1866) 289—815. Fretbr, De scholiorum Aeschineorum fontibus, in Leipz. Stud. V 239
bis 392, erweist als Hauptquelle die Attikisten Ailios Dionysios und Pausanias. — Ausgabe
TOD RtisKB, Ups. 1771, mit den Noten von Hier. Wolf, Taylor, Markland; mit erklärenden
Aomerkungeii von Bremi, 2 voll Turici 1828; mit Kommentar von Ferd. Schultz, 3. Aufl.,
ups. 1865; Krit Ausg. von Weioiter Berol. 1872. Erklärende Ausg. der Gtesiphontea von
WnDiEE bei Weidmann, Berl. 1878.
288. Hypereides,*) Sohn des ölaukippos aus dem attischen Demos
Kollytos, war neben Demosthenes ein Hauptvertreter der antimakedonischen
Partei, zugleich aber ein leichtlebiger Freund von Hetären und Tafel-
genüssen, so dass er fast eine stehende Figur der neuen Komödie wurde. ^)
In die Beredsamkeit durch Isokrates eingeführt,^) wagte er sich bereits
') Die Rede des Aisch. ist so wenig
ms dnem Goss wie die des Dem.; sie
sehebt zum Teil schon zur Zeit der Elage-
Bi«Iiimg, als Dem. noch nicht Rechenschaft
ftber sein Amt abgelegt hatte, verfasst zu
Min; 8. BLASS III 2, 183 ff. Selbst Weidner,
^ ao sehr fOr die Politik seines Aischines
eintritt, meint, man werde bei dem Lesen
<ier beiden Reden an den Kampf des Riesen
Bit dem Zwerge erinnert.
«) Phüoatr. vit soph. 1 18, 4.
*) Phot 490a 34 u. 20a 8 kennt nur neun
! Briefe; Philostratos a. 0. gibt keine Zahl an.
*) Die Vita des Ps. Plut. und der Artikel
des Suidas bei Westsrmann, Biog^r. gr.
312—6.
*) Ath. 341 e, wo er als tx^voniaXrjg,
der jeden Morgen den Fischmarkt besucht,
aufgezogen wird; die vier Hetären, die er
an verschiedenen Orten hatte, zählt Ath.
590 c auf.
*) Daneben wird er von Ps. Plut. p.
848 b ein Hörer des Lyknrgos und Piaton
genannt.
408 OrieohiBobe Litteratargesohichte. I. ElMSMobe Periode.
zur Zeit des Bundesgenossenkrieges mit einer Klage an den damals all-
mächtigen Staatsmann Aristophon.^ Feste Stellung zur Politik nahm er
in der Hochverratsklage gegen Philokrates, dessen Verurteilung er hei^
heifdhrte. Von nun an kämpfte er als unerschrockener und uneigen-
nütziger Patriot an der Seite des Demosthenes gegen die feilen Vater-
landsverräter, bis er sich von diesem in der Sache des Harpalos trennte
und sogar als sein Ankläger auftrat. Nach dessen Verbannung ward er
der ausgesprochene Führer der Partei, musste aber nach dem unglück-
lichen Ausgang des lamischen Krieges seinen Patriotismus mit dem Tode
büssen. Von dem Volke geächtet, floh er nach Aegina, wurde aber dort
von dem Schauspieler Archias ergriffen und vor Antipater geführt, der
ihm die Zunge ausschneiden und ihn grausam hinmorden Hess (322);^) sein
Leichnam wurde unbeerdigt hingeworfen und erst später nach Athen ge-
bracht und im Erbbegräbnis vor dem Reiterthor beigesetzt.
Als Redner wurde Hypereides sehr hoch geschätzt; man rühmte an
ihm die Anmut (x^Qic), wie an Demosthenes die Kraft {SenoTrjg). Der
Verfasser der Schrift vom Erhabenen c. 34 vergleicht ihn einem Pentathlen,
weil er alle fünf Vorzüge zusammen besitze {x^Qig, iiiye&oc, acxfiaitoc,
olxovojiua, TtarovQyia); einige haben ihn sogar über Demosthenes gesteUt.*)
Einer seiner römischen Bewunderer, der Redner Messala Corvinus, über-
setzte seine Rede für die schöne Phryne ins Lateinische, wie das gleiche
Cicero mit der Kranzrede des Demosthenes gethan hatte. Die geistvolle
Freiheit, mit der er die Sache seiner oft recht zweifelhaften Klienten und
Klientinnen führte, spricht sich in der Anekdote von der Phryne aus : wie
andere im Epilog, um das Mitleid der Richter zu erregen, die weinenden
Kinder des Angeklagten vorführten, so entblösste er am Schlüsse seiner
Rede die Brust seiner Klientin, um durch den Anblick der Schönheit die
Richter zur Milde zu stimmmen.^) Reden hatte das Altertum von ihm 77,
von denen 52 die Probe der Kritik bestanden. Noch zur Zeit des Matthias
Corvinus soll in Ofen eine Handschrift derselben existiert haben, aber die-
selbe ist, wenn nicht überhaupt ein Irrtum vorliegt, verschollen, und so
war man lange einzig auf die Berichte der Alten angewiesen, bis in
unserem Jahrhundert aus Gräbern von Theben in Oberägypten 6 Reden
{xard Jrff.ioa H'svovg vuIq tmv UQTtaXsfwVy vtt^q Avxo^pqovoq anoXnyia^ virtq
Ev^svinnov anoXoyia ngog UoXvsvxtov, inn;dq:ioQ^ xard l4&rjvoyt'rovc, xara
(PiXiTtTTfiov) ans Tageslicht gezogen wurden. Am vollständigsten erhalten
sind die im Altertum hochgeschätzte*) Anklagerede gegen den Salben-
händler Athenogenes wegen betrügerischer Manipulationen in einem Kauf-
vertrag, und die Verteidigungsrede für Euxenippos. In die letztere Rede,
welche als Deuterologie in einem zwischen 330 und 324 wegen Verteilung
der Ländereien von Oropos ausgebrochenen Prozess gehalten wurde, sind
^) Hjper. pro Eux. 38. (Ath. 591 e), der den Prozess der Phryne «of
«) Nach andern (Ps. Plut. p. 849 b) ward
er gefoltert und hat sich dabei selbst, um
nicht gegen seine Freunde zeugen zu müssen,
die Zunge abgebissen.
») Ps. Plut. p. 849 d.
*) Ath. 590 e; der Komiker Poseidippos
die Bühne brachte, wusste von jenem Knnsi-
griff des Redners noch nichts.
^) Ps. Longin de sublim. 34. Die er-
haltene Rede ist die erste von den zwei in
dem Prozess gehaltenen Reden.
8. Die Beredaamkeit. f) Demosthenes' ZeitgenoMen. (§ 289.) 409
interessante Mitteilungen über frühere Rechtsfflie eingeflochten. Höheres
iDteresse hat der Epitaphios, den Hypereides zu Ehren der im lamischen
Krieg (Gefallenen, besonders des Führers Leosthenes hielt, und in der mit
Änklftngen an Piaton die Gefallenen selig gepriesen werden wegen ihres
ruhmvoDen Loses und des ehrenden Empfanges drunten im Hades. ^)
Der Papyrus mit den drei ersten Reden publiziert von Harris und Arden; daza
kamen spftter 1856 der Epitaphios im Stobartschen Papyrus in London und neuerdings die
von Rbyilloct in der Reyue 4gyptologique t. VI (1891) veröffentlichte Rede gegen Atheno-
genes. Zuletzt bekannt wurde die Rede gegen Philippides, herausgegeben von Eenyon
ClasB. tezts, London 1891 p. 42—55. Der Name des Verfassers fehlt; dem Hyperides wird
die Bede zugeschrieben, weil wir aus Athen. 552 D wissen, dass derselbe in dem Prozesse
gesprochen hatte. Nicht dem Hyperides, sondern dem Demochares oder einem andern
schreibt die Rede zu Ribbbck Jahrb. f. Phil. 1892 S. 44 ff. — Gesamtausgabe von Blass in
BSbl Tenbn.
289. Deinarchos,*) Sohn des Sostratos aus Eorinth, war um 342
als junger Mann nach Athen gekommen und hier als Fremder, wie Lysias
and Isaios, zunSrChst auf die Thätigkeit eines Redenschreibers angewiesen.
Einflussreiche Stellung gewann er überhaupt erst nach dem Hingang der
grossen Redner unter der Regierung des Demetrios von Phaleron. Wegen
der unter dessen Ägide entfalteten Thätigkeit ward er 307, als nach dem
Einzug des Demetrios Poliorketes die demokratische Partei wieder Ober-
wasser bekam, zum Tode verurteilt. Er zog sich nach Chalkis in Euböa
znrQck, wo er 15 Jahre lang lebte, bis er 292 durch Verwendung seines
Lehrers Theophrast wieder die Erlaubnis zur straffreien Rückkehr erhielt.
In die Zeit unmittelbar nach seiner Rückkehr fiel der Prozess gegen seinen
ehemaligen Freund Proxenos, den er in einer dem Dionysios noch vor-
Kegenden Rede wegen Unterschlagung seiner Habe belangte. Er war da-
mals schon ein Greis ; wie lange er diesen Gerichtshandel überlebte, wissen
wir nicht. Als Redner bildete er keinen bestimmten Charakter aus und
ward deshalb von Dionysios nicht der Aufnahme in den Kanon gewürdigt.
Wiewohl er der entgegengesetzten Parteirichtung als Demosthenes ange-
hörte, so suchte er doch die Kraft (d€iv6tr;g) der demosthenischen Reden
nachzuahmen, freilich ohne sie zu erreichen, wovon er den Beinamen
MiK^irog Jrj/ioot^ävr^g erhielt. ») Über die Zahl seiner Reden und die Echt-
heit derselben schwanken die Angaben. Ps. Plutarch und Photios geben
64, das ambrosianische Verzeichnis 400 (viell. 60 oder f), Demetrios Mag-
nes^) und Suidas 160, Dionysios 59 echte und 27 unechte an. Leser
&nden nur diejenigen Reden, welche zu Demosthenes in Beziehung stan-
den, und so sind auch nur 3, welche auf die harpalische Sache Bezug
haben, auf uns gekommen.^) Die erste ist die für Beurteilung des Demo-
sthenes und der Parteiverhältnisse Athens äusserst wichtige Rede xatd
^ruocx^ävovg; sie ward nach der eigentlichen Anklagerede des Hauptan-
M Ps. Longin 34 sagt lobend von ihm:
»V htiiufpioy inideixtixtuf (Jg ovx old* et
Tff ifUoc öt^&ero.
*) Ausser den allgemeinen Quellen die
viclitige SpeiialBchrift des Dionysios über
Dioarch.
') Hermog. p. 418 Sp.; daher der la-
Auadnick hordearius rhetor bei
Snet. rhet 2.
*) Bei Dionys. de Din. 1.
^) Dionysios will ihm auch die anter
Demosthenes Namen laufende Rede gegen
Theokrines zuweisen, welcher Annahme aber
chronologische Bedenken entgegenstehen ;
vgl. § 284.
410 Qriechifliche Litteratnrgesohiohte. I. KlMsisohe Periode.
klägers Stratokies gehalten ; um so mehr schweifte Dinarch von der Sache
ab, um sich in der Verurteilung der Politik des Demosthenes und in Ver-
unglimpfung seiner Person mit schauspielerischem Pathos zu ergehen.
Erklärende Spezialausgabe von MItzner, Berol. 1842; kritiscbe Ausgabe von Thal-
heim, Berl. 1887.
21'<\ Von sonstigen Rednern jener Zeit hatte einen Namen Demades,
ein witziger Lebemann und feiler Parteigänger der Makedonier, der aber
in jener Zeit des sittlichen Verfalls als genialer Redner und Erzähler sich
eines ganz ausserordentlichen Rufes bei seinen Landsleuten erfreute. Von
ihm haben sich geistreiche Aussprüche, Jr^ädeta^ erhalten,^) und ihm
wurden in der Sophistenzeit 14 Reden untergeschoben,') von denen eine,
vTTtQ Tt]g iü}d€xa€Tiag, uns noch in Exzerpten bekannt ist.*) Ferner seien
erwähnt Hegesippos mit dem Spitznamen Krobylos, dem wahrscheinlich
die Rede negl jikorvrjaov angehört;^) Stratokies, Hauptankläger des
Demosthenes in dem harpalischen Prozess und Verfasser des Ehrendekrets
für Lykurg; Pytheas, der anfangs auf Seiten der Patrioten stand und
sich der Vergötterung Alexanders widersetzte, später aber seit dem har-
palischen Prozess in den Sold der makedonischen Herrscher trat; Chari-
sios, den Cicero Brut. 83, 286 einen Nachahmer des Lysias nennt; De-
mochares, Schwestersohn des Demosthenes, der 280 das Ehrendekret f&r
Demosthenes beantragte und 306 in einer Rede vn^Q So^oxhlovg nqog <P{'
Xma den Antrag des Sophokles auf Beschränkung der Lehrfreiheit der
Philosophen als geschworener Feinde der Demokratie unterstützte.^) Ausser-
dem haben wir aus ägyptischen Papyri ein Bruchstück einer Rede, in der
ein Feldherr angegriffen wird (wahrscheinlich Chabrias von Tioodamas),
weil er nach einem Seesieg die Toten zu bestatten und die noch Lebenden
zu retten versäumt habe.
4. Die Philosophen.')
a) Anfängre der Philosophie.
291. Die Forschungen über den Urgrund des Seins und die Gesetze
des Denkens fallen ausserhalb des Bereiches der aUgemeinen Litteratur.
) Diese JrjfÄdöeia sind aus einer Wiener ' zusammengestellt von Dibls, Berl. 1879. —
Hdschr. nicht unerheblich vermehrt von
DiELs Rh. M. 29, 107 ff.
^; Cic. Brut. 36 sagt noch: cuius nulla
extant scripta und ähnlich Quintil. XII
10, 49.
^) Die Exzerpte aus einem Palat. 129
mitgeteilt von H. Haupt in Herm. 13, 489 ff.
*) Siehe oben § 279.
^) Ueber jene Polizeimassregeln Wila-
MowiTZ, Antigonos von Karystos 189 ff. De-
mochares hatte auch Historien über Zeit-
geschichte in mindestens 21 Büchern ge-
schrieben; Fragmente bei Möllbr FHG II
Fragmentensammlungen: Philos. graec. vet.
rell. coli. Karsten, Brux. 1832—8; Fragio.
philos. graec. ed- Mullach, Paris 1875—81,
3 vol. nicht vollendet und nnverlAssig; BLatona
philos. graec. et rom. ex fontium lods contoxta
cur. RiTTBR et Prbllbr, ed VI (1878j cur.
Tbichmülleb, ed. YII (1886) cur. ScauLTsaa.
— Geschichte der Philosophie: Jofsius, De
scriptoribus historiae philosophicae, Francof.
1659, ex rec. Dornii 1716; Tbknbmaitk,
Gesch. d. Philos. (1798), 5. Aufl. von Wkhdt,
Leipz. 1829; Brandis, Handbuch d. GesclL.
d. griechisch-römischen Philos. in 3 Teller
445- 9. I bis Aristoteles incl., Berl. 1835-66; Brak-
') Haupt-Quellen: Diogenes Laerti US dis, Gesch. der £nt¥ricklungen der grieclu
Tt^Qi ßitof xai 6oyfjLdxtov xtav iv (piXoao(piff \ Phüos. und ihre Nachwirkungen im rftni.
BvdoxifArjadyKoy, 10 B.; Reste von des Por- i Reich, 2 Bde., Berl. 1862—4; Zbllbb, Philo-
phyrios T^tAoa 09 o( f!0ro^('(( ; Doxographigraeci, \ Sophie der Griechen in 3 Teilen, 5. Aofl
4. Die Philosophen, a) Die Anfänge der Philosophie. (§§290—292.) 411
Es wird daher die Philosophie der Griechen in der Regel als Gegenstand
eioer speziellen Disziplin betrachtet, in der dann auf den Inhalt der philo-
sophischen Werke und auf die allmählichen Fortschritte in der Erkenntnis
der obersten Gründe der Hauptnachdruck gelegt wird. Aber auch in einer
Geschichte der Litteratur verlangt die Philosophie einen Platz ; sie darf am
wenigsten in einer griechischen Litteraturgeschichte beiseite gelassen wer-
den, weil sie einerseits eine der grossartigsten und originellsten Schöpfungen
des griechischen Forschergeistes ist, anderseits bei den Griechen noch einen
allgemeineren Charakter trug und mit Seiten der schönen Litteratur, wie
fibetorik und Poetik, sich vielfach berührte. Aber wesentlich nur die
Philosophen, deren Schriften uns erhalten sind, werden wir eingehender
behandeln, diejenigen hingegen, von deren philosophischen Gedanken wir
nur durch andere Kenntnis haben, entweder ganz ausser Betracht lassen
oder nur kurz streifen.
Eine Vorstufe der griechischen Philosophie bildeten die Speku-
lationen der alten Theologen, welche, von dem geistigen Kern der über-
lieferten Religion ausgehend, ein System der Weltentstehung (Kosmogonie)
konstruierten.^) Von ihnen, insbesondere von Hesiod und Pherekydes,
ist schon oben in anderem Zusammenhang gehandelt worden. Auch
die sogenannten Sieben Weisen, die ihrer politischen Klugheit und prak-
tischen Lebensweisheit ihre Berühmtheit verdankten, haben bereits bei
anderer Gelegenheit Erwähnung gefunden.
292. Die ersten, welche den Namen Philosophen verdienen und mit
Entdeckung naturwissenschaftlicher Gesetze das Nachdenken über die
Gründe des Seins anregten, waren die ionischen Physiologen. Ihre
Blüte fallt in dieselbe Zeit, wie die der Sieben Weisen, in das 6. Jahr-
hundert V. Chr. In der Litteratur sind auch sie wenig hervorgetreten. Der
älteste von ihnen, Thaies von Milet, dessen Zeit sich durch die von
ihm vorausgesagte Sonnenfinsternis von 585 bestimmt, hat überhaupt nichts
schriftlich hinterlassen.*) Der erste, von dem ein Buch erwähnt wird, war
Anaximander von Milet, dem zugleich die erste Anfertigung einer ehernen
Erdtafel {yewyQaq^ixog niva^) nachgerühmt wird.«) Ihm folgte Anaxi-
menes von Milet, der gleichfalls eine Schrift ns^l (pvmog in ionischer
Mundart verfasste. Alle drei suchten den Urgrund der Dinge in etwas
im Ebeheinen, Hauptwerk; Zbllsb, Grand*
litt der Gesch. der alten PhiloB., 2. Aufl.
LapoL 1886; ÜMBBBWRe, Grondriss d. Gesch.
der Philoeoidile, 1. Teil das Altertnm be*
bodelnd, 8. Aufl. besorgt von Hrinzb,
Bert. 1894; Pbavtl, Uebersicntder griecbisch-
rtm. Philosophie» 2. Aufl. Stattg. 1868; Pbamtl,
Gesch. der Logik im Abendlande, Leipz. 1855,
I. Band die griecL-rOm. Philos. umfassend;
^^CBWBOLBB, Gesch. der griech. Phil., 8. Aufl.
besorgt TOD KOSTUH, Freib. 1883; Windbl-
SABn, Gesch. d. alt. Philos., in diesem Hand-
Wh im 11. HcJbband, 2. Aufl.; Gompebz,
Griechiscfae Denker, Leipz. 1. Bd. 1896, worin
<he PhiloBophie im Zusanunenhang mit den
Wissenschaften behandelt ist. - - Archiv für
Gesch. der Philos., herausgegeben von Stein,
Berl. seit 1887.
*) Aristot. Met. 13: eiai di riyec oi xal
toitg TittfinaXttiovg xal noXv ngo rijg yvy
y$yice<og xai ngioTOvg ^BoXoyijcayrag oirtatg
otoyxai TieQi -irjg (pvasiog vnoXaßety. Met. l\ 4:
ol 7t€Ql 'Haiodoy xai rtayreg o<roi &6oX6yoi,
') Daher sagt vorsichtig Aristoteles Met
I 3 p. 984 a, 2: SaXijg Xiysrai ovrtog ano-
tpijyaa^tti.
») Strab. p. 7: Agathem. geogr. I 1, vgl.
Bbbgeb, Erdkunde der Griechen 17. — Nach
Diog. n 2 stand er Ol. 58, 2 im Alter von
64 Jahren.
412
Ghrieohische Litteratargesohiohte. I. KlasaiBohe Periode.
Materiellem, indem der erste aus dem Wasser/) der zweite aus der unend-
lichen ürmaterie (arteiQov), der dritte aus der Luft die Dinge entstanden
sein liess.
Über diese schwachen Anfänge der Naturerklärung ging der Ausläufer
der ionischen Physiologen, der grosse Denker Herakleitos aus Ephesos
(um 535 bis um 475) weit hinaus. Sein Buch, das wegen der Dunkelheit
der Sprache verrufen war,«) hat bis in die Zeit der Neuplatoniker hinein
Leser gefunden, so dass uns von demselben nicht wenige Fragmente er-
halten sind.^) Seine philosophische Orundanschauung, die sich gegen die
Einheits- und Stillstandslehre der Eleaten kehrte,^) wurzelte in dem Satze
von dem ewigen Fluss der Dinge {ndvxa ^sX) und von dem Krieg als dem
Vater der Dinge (noXsfiog nävTwv nattjo). Als UrstoflF nahm er das Feuer,
das feinste und geistigste der Elemente, an und liess die Dinge von diesem
aus und zu diesem zurück einen doppelten Weg gehen tijv avt» odov und
Ti]v xdtco oiov. Die Ordnung der Bewegung wird ihm aufrecht erhalten
durch die ewigen, feststehenden Naturgesetze, die er nach seiner symbo-
lischen Sprechweise unter dem Namen Etfiagfurrj zusammenfasste. Unter
den vielen Sentenzen des kernhaften, aristokratisch gesinnten Philosophen
findet sich auch der goldene Spruch noXvfAad^rjtr^ vöov ov Stddaxei. Die 9
unter seinem Namen uns erhaltenen Briefe rühren von einem hellenisti-
schen Juden aus der Zeit der Eleopatra her.^)
293. Auch der Vater der zweiten Richtung philosophischen Den-
kens, Pythagoras aus Samos, der um 530 sich in Kroton in ünteritalien
ansiedelte und Stifter des philosophisch-politischen Bundes der Pythagoreer
wurde, scheint selbst nichts geschrieben zu haben; schon das berühmte
avTog Mffa weist darauf hin, dass sich die Anhänger unseres Philosophen
auf mündliche Aussprüche, nicht auf irgend welche Schriften des Meisters
berufen konnten.^) Der erste Pythagoreer, der die Hauptsätze der Lehre
in einem Buche zusammenfasste, war Philolaos, ein älterer Zeitgenosse
des Sokrates, der nach Zersprengung der pythagoreischen Vereine in
^) Statt des Wassere setzte als üretoff das
Nasse {vyQov) Hippon der Atheist, dessen
Zeit sich aus der Erwähnung in den Panoptai
des Eratinos bestimmt.
') Heraklit selbst erhielt dayon den Bei-
namen der Dunkle (o anoiBivo^), Speziell rügt
Aristoteles Rhet. III 5: rcc 'HQaxXsitov öta-
ngoaxeirai, r^ varegoy ij rcJ TiQorsQoy, Diese
Schwierigkeit begegnet uns ausser in dem
▼on Aristoteles selbst angeführten Satze rov
Xoyov T0v6* ioytos ael d^vyeroi ol ny>anoi
ylyyovfai besondere in dem locus concla-
matns iy ro aoq>6y fAovyov Xiyea^ai, ovx
i&äXei xal i&dXei Zrjyog ovyofna,
•) Heracliti Ephesii rell. rec. I. Bywa-
TBB, Oxon. 1877. — Lasalle, Die Philosophie
Heraklits des Dunkeln, Berlin 1858; J. Bbr-
NATs, Heraclitea, in Ges. Abhandl. I 1 ff.;
SoHüsTBB, Heraklit von Ephesus, Acta soc.
philol. Lips. t. III, Pflbidbrbr, Die Philo-
sophie des Heraklit von Ephesus im Lichte
der Mysterienidee, Berlin 1886; Patik, He-
raklits Einheitslehre, Progr. des Ludw. Gynui.
München 1885; Herakütische Beispiele Progr.
Neuburg a. D. 1892 u. 1893. — üeber ein
neues Fragment hervorgezogen aas den
XQfjCfjLol xiav 'Wikrjyixtay &€<äy Nbctkaitv,
Herrn. 13, 605 f. üeber neuere Leistungen
auf dem übeireichen Grebiet der Heraklit-
litteratur Cbon PhiloL N. F. Bd. I H. 2—3,
*) Wenn es auch wahrscheinlich IsL
dass Heraklit sein Buch vor dem Erscheinen
des philosophischen Lehrgedichts dee Par-
menides schrieb, so konnte er sich docii
jedenfalls schon gegen Xenophanes wenden.
^) J. Bbrnats, Die pseudoheraklitiw^en
Briefe, ein Beitrag zur philos. u. religions'
geschichtlichen litteratur, Berl. 1869 ; Pfijei>
DBBBR, Die ps.-heraklitischen Briefe und ihre
Verfasser, Rh. M. 42, 153 ff.
^) üeber die untergeschobenen Schriften
der Neupythagoreer siehe unten § 503.
4. Die Philosophen, a) Die Anfänge der Philosophie.
1 293-294.) 413
Italien nach Theben gekommen war. Von ihm haben wir noch umfang-
reiche Fragmente in dorischem Dialekt, für deren Echtheit Böckh einge-
treten ist.^) Einige mathematische und physikalische Bruchstücke sind
QD8 auch von Archytas aus Taren t, einem Freunde Piatons, erhalten.*)
Zweifellos untergeschoben ist die aus dem platonischen Dialog ausgezogene
Schrift des angeblichen Pythagoreers Timaios negl ipvx&q xai ipvaioq, —
Die Lehre des Pythagoras von der Seelenwanderung und die in seiner
Schule sich forterbende Liebe zur Mathematik und Harmonik scheinen
auf den Einfiuss der ägyptischen Priester, welche Pythagoras in seinen
jungen Jahren gehört haben soll, zurückzugehen.^) Die mathematischen
Studien brachten ihn auf den Gedanken, die Zahl und die Zahlenverhält-
flisse, auf denen nicht bloss die Harmonie der Töne, sondern das Wesen
(iatfia) aUer Dinge beruhe, zum Prinzip zu erheben. Es bedeutete dieses
einen grossen Fortschritt in der philosophischen Erkenntnis, da damit
etwas Geistiges anstatt eines Materiellen in den Anfang trat. Aber die
Darchf&hrung jenes an sich richtigen Prinzips artete bei den Schülern
des Meisters in einen phantastischen, spielenden Mystizismus aus.^)
Fruchtbar für den wissenschaftlichen Fortschritt war auch die Anschauung
von der Kugelgestalt der Erde, welche von den Pythagoreern ausging
und auch schon in Athen zur Zeit Piatons die ältere Vorstellung von der
Erde als Scheibe zu verdrängen begann.^)
294. Die Eleaten Xenophanes und Parmenides haben, indem sie
an Hesiod und die alten Theologen anknüpften, ihre philosophischen Ge-
danken in Versen niedergelegt; von ihnen ist daher bereits oben beim
Lehrgedicht § 83 gehandelt worden. Der Begründer der eleatischen
Schule, Xenophanes aus Kolophon im ionischen Kleinasien, ging in seiner
philosophischen Lehre von einer höheren Auffassung Gottes aus und be-
kämpfte, indem er nur einen Gott annahm und diesen Einen sich ewig
gleichbleibend dachte, den Polytheismus und die anthropomorphen Vor-
stellungen der Volksreligion. ^) Parmenides aus Elea in ünteritalien, er-
') Böckh, Philolaos des Pythagoreers
Iiekre nebst den Bnichstficken seines Werkes,
Beriin 1819. F. Bbckmanv, De Pythagoreo-
nim reliqoÜB, Berlin 1844, 1850. Neuere
Utteratnr bei ÜBBBBWEe S. 54 u. 62.
*) Blass, De Arcbytae Tarentini fragm.
nuÜL, in Mal. Graux Paris 1884 p. 573 bis
B4. Habtensteih, De Arcbytae Tar. frag-
meniis philoaopbicis, Lips. 1833. Die An-
fiüurmigen ans philosopbischen Scbriften, wie
»<^ nayiog, negi a^/ov, tjcqI twv Sfxu x«-
t^^imr, nfQi yofiov xai dixaioavf^g sind
entschieden unecht und nacbaristoteliscb.
') Die Reise des Pythagoras nach Aegyp-
ten berichtet als ftltester Zeuge Isokrates,
Bus. 11 ; die späteren Zeugnisse bei Zeller I^
277 ff. Auch die Lehre des Zoroaster soll er
gekannt haben ; ebenda S. 275 f. Dass auch
indische Weisheit auf irgend welchem Wege
20 Pjrthagoraa gedrungen, zeigt SchbOdbb,
Pythagoras und die Inder, Leipz. 1884. Im
übrigen darf ietzt als ausgemacht gelten,
dass die Angaben der Späteren Über Pytha-
goras Reisen zu den Magiern, Indem, Juden
nicht aus geschichtlicher Erinnerung stam-
men, sondern in der pythagoreischen Legende
und der Verlogenheit des Synkretismus ihre
Quelle haben.
*) üeber die Fortdauer der pythagorei-
schen Sekte in der alexandrinischen Zeit und
ihr Neuaufleben bei den Neupythagoreem
s. § 503 und Zbllbb, Philos. d. Gr. IIP 2,
79 flf.
^) Aristot. de coelo II 13; Plat. Phaedon
p. 97 d in Zusammenhalt mit p. 61 d. Die
damit verbundene Einteilung der Erde in 5
Zonen wird auf Parmenides zurückgeführt;
s. Strabo II p. 94.
^) Den Kern der Lehre enthalten die
Verse slg ^$og ay t€ Ceolat xai nv^QiänoMi
fiiyictog, ov ri dcfAag ^yijto?aiv ofioüog
yÖYifxa, Vergl. Ps. Aristot. De Xeno-
414 Qrieohisohe Litteratnrgeaohichte. t. Klassische Pariode.
wies in dem ersten Teile seines philosophischen Lehrgedichtes jenes Eins
als das allein wahrhaft Seiende, das ewig und unveränderlich, denkend
und gedacht zugleich sei, behandelte aber dann doch im zweiten Teile auch
das Werden und Vergehen oder die Welt der trügerischen Meinung
(do^a im Gegensatz zu aXtj^eia), indem er dieselbe auf zwei, durch den
Eros zusammengeführte Prinzipien, Licht und Finsternis {^dog xal cxovoq
xai Tcc (fvatoixctj dgaiov axXr^Qov etc.), zurückführte.^) Die Lehren des
tiefsinnigen Meisters wurden später von seinen Schülern Zenon und
Meli SS OS auch in prosaischer Rede dargelegt und weitergeführt.
Mit Parmenides teilt sein Zeitgenosse Empedokles aus Akragas in
Sikilien die Form der poetischen Darstellung; auch von ihm ist daher
bereits oben § 83 die Rede gewesen. Die Philosophie verdankt ihm die
Unterscheidung von Stoff und Kraft. Den Stoff bilden ihm die 4 Elemente
(xkaaaqa twv ndvzwv ^i^cSfiara), die er zuerst unterschied, aber noch alle-
gorisch mit Namen von Göttern {Zevg, "Hqa^ 'Äiiwvsvg^ Nrjaiig) bezeichnete.
Die Kraft tritt ihm in zwiefacher Gestalt auf, als Liebe ((Piiorryg), welche
alles in die eine Kugel zusammenführt, und als Streit (jY«xog), welcher
das Vereinigte wieder scheidet, bis von neuem wieder die Liebe ihr Werk
beginnt.
295. Eine neue Bahn, die von bedeutendstem Einfluss auf attische
Geistesrichtung und Litteratur war, schlug unter den älteren Philosophen
Anaxagoras aus Klazomenä ein (geb. um 500). Derselbe ist, indem er
den vovg als Prinzip in die Philosophie einführte, nach einem bekannten
Ausspruch des Aristoteles Met. I 3 wie ein Nüchterner unter Betrunkenen
erschienen.*) Im übrigen lehnte er sich in seinen Anschauungen stark
an Empedokles an, an den namentlich sein ofiov nävta, aus dem er alles
Seiende entstanden sein Hess, erinnerte. Der rationalistische Zug seiner
Philosophie bestand hauptsächlich darin, dass er mit Ausschluss aller
Symbolik seine Prinzipien mit sachlichen, nicht von den Göttern berge*
nommenen Namen bezeichnete. Während seines langen Aufenthaltes in
Athen, wo er anfangs an Themistokles, später an Perikles mächtige Grönner
hatte, trug er zur Verbreitung religiöser Aufklärung wesentlich bei, bis
er 432/1 infolge einer Anklage wegen Gottlosigkeit {daäßeta) die Stadt ver-
lassen musste. Sein Einfluss überdauerte sein Leben; das verdankte er
dem Fortleben seines Werkes nsqi ifvatog^ das noch zur Zeit des Sokrates
und Piaton viel in Athen gelesen wurde.*)
Bereits eine ausgedehnte litterarische Thätigkeit entfaltete der viel-
gereiste,*) von seinen Zeitgenossen wegen des Umfangs seines Wissens
phane Zenone Gorgia c. 3 und Freuden- ' Ueber den platonischen Dialog Parmenides &
THAL, Die Theologie des Xenophanes, Breslau | § 307
1886, wonach bei Xenophanes doch noch
von keinem reinen, streng durchgeführten
Monotheismus die Rede sein kann:
') Zum zweiten Teil geht Parmenides
über mit den Versen
iv rtü aoi navato nurtoy Xoyov rjd^ y6ij/4«
a/Lt(ptg aXrj&sLag • So^ag d* and rovöe ßQoxeiac
fittv&ttye, xofffioy ifAtüy iniiov änttttjXoy dxovioy.
') Aehnlich ist der Aussprach des PlatoD
Phaed. 97 c.
^) Plat Apol. 26 d; yon seinem Einftojas
auf Euripides s. § 177.
*) Er selbst bezeugt bei Clemens, ström.
1 p. 131 seinen Aufenthalt in Aegypten und
andern Ländern.
4. Die Philosophen, a) Die Anf&nge der Plüloeophie. (§ 295.)
415
angestaunte Philosoph Demokritos von Abdera (geboren um 460),^) der
mit seinem älteren Genossen Leukippos die materialistische Atomenlehre
aufbrachte und wegen seiner auf heitere Seelenruhe abzielenden Ethik bei
den Späteren den Beinamen des lachenden Philosophen {yeXdaivoc) erhielt.^)
Unter seinen zahlreichen, meist naturwissenschaftlichen Schriften in ioni-
schem Dialekt, welche später Thrasylos in 15 Tetralogien ordnete,*) waren
der fiiyag diaxocfioq^) und fiixQog didxoaiiog und das Buch negii svOvuhfi
am berühmtesten ;fi) wir haben aus ihnen nur wenige wörtliche Anführungen,
die meisten bei Sextus Empiricus adv. mäth. VII 135. Auch sprachliche
und litterarische Themen behandelte er in den Schriften nsQi ^Ofi/jQov, tisqX
oQÖoinfir^g xal yXwaahwv^ nsQi ^t^ucciwv^ dvofiaatixov. Zu den echten
Werken kamen später viele Fälschungen, die grösstenteils von dem
Schwindler Bolos aus Mendes in Ägypten herrührten, über den Columella
VII 5 bemerkt: Bolus Mendesius, cuius commenta, quae appellantur graece
vjiofivrjfiaja, sub nomine Democriti falso produntur,^) Zu den Fälschungen
gehören die auf uns gekonunenen zwei Briefe, die Bücher negi aviinaO-e^iav
wri avTt7iat^€id)v, <i>vaixä xal Mvtmxd^ recoQyixd^ XeiQOXfitjva,'') — Aus
einer Sentenzensammlung haben sich viele Kernsprüche unseres Philosophen
bis auf unsere Zeit erhalten.»)
Eine vermittelnde Stellung zwischen der Lehre des Anaxagoras vom
torg und der des Anaximenes von der Luft nahm Diogenes aus Apollo-
ma in Kreta ein, der zur Zeit des Perikles nach Athen kam und für uns
deshalb von grösserer Bedeutung ist, weil sich von seinem Briefe über
die Natur {tkcqI ipvaiog) zahlreiche und längere Bruchstücke erhalten
haben. Der Komiker Aristophanes scheint die Vorstellung von der
Herrschaft der Luft {"Atiq) und von den beseelten Wolkenwesen (Nub. 264 flf.)
aus unserem ApoUoniaten Diogenes auf Sokrates übertragen zu haben.
In engem Zusammenhang mit den Bestrebungen der Naturphilosophen
steht die Entwicklung der ersten Spezialwissenschaft, der Heilkunde oder
Medizin. Sie hat bereits im 5. Jahrhundert einen hervorragenden Ver-
treter, den Arzt Hippokrates aus Kos hervorgebracht, von dem auch
eine grosse Anzahl von Schriften in ionischem Dialekte auf uns gekom-
men ist. Wir sparen uns aber die Besprechung des bedeutenden Mannes
^) Sein Leben reichte nach Seneca
QoMBt nat. 7, 16 über 373 herab; s. Diels
Rb. M. 42, 1 ff.; Zbllbb, Philos. d. Gr. I*
761 fL
•) Aelian V. H. IV 20; Suidas u. Jti-
gw^fof; Anth. VII 56; Hör. ep. II 1, 194;
Seoeea de tranqn. an. 15, de ira II 10, 5;
Udan Vit auct. 18; Jnvenal X 28 ff. Offen-
b«r ist der Name des lachenden Philosophen
Aos dem Charakter der ihm beigelegten,
>Riter allein gelesenen Sentenzen entstanden.
') l>i<^. IX 45. Auch Schüler hinter-
«« Demokrit, darunter den Anaxarchoe,
"Ol Gefihrten Alexanders; siehe Gomperz,
Amxireh nnd Kallisthenes, in Comm. in hon.
Moiams. 471—86.
*) Der lAiynq duixoefAog wurde von 'Fheo-
pbwt dem Lenkippos beigelegt; s. Diog. IX 46.
*) Aus der Schrift nsQi Bv&vfiirjs schöpfte
Seneca, De tranquillitate animi, wor&ber
HiRZEL, Herm. 14, 354 ff. Die schönsten
Sentenzen aus Demokrit sind zusammen-
gestellt von Ritte R-pR£LLER, Eist. phil.
n. 158.
•) SüSEMiHL, AI. Lit. I 482 ff., berich-
tiget von Oder Rh. M. 48, 1 f. Suidas unter-
scheidet BaiXog JtjfÄOxgireiog ffi'Aoaotpog und
BoiXoe Meydijaiog lIt>9tty6QCiog. Erhalten ist
uns von jenem zur Zeit des Eallimachos le-
benden Bolos eine Wundergeschichte des
Kreters Epimenides bei dem Paradoxographen
Apollonios in Rer. nat. Script, ed. Kelle
p. 43 f.
») Vgl. Mbyer, Gesch. d. Botanik I 277
8) Vgl. unten § 640.
416
Grieehisohe Litteratiirgesohiolite. I. KlaMische Periode.
für den Anhang auf, wo seine Schriften im Zusammenhang mit denen der
übrigen Ärzte des Altertums eine bessere Beleuchtung finden werden.
b) Die attische Periode der Philosophie.
296. Wie nach den Perserkriegen Athen nicht bloss die politische
Vormacht Griechenlands, sondern auch, und in noch höherem Grade, der
Mittelpunkt des geistigen Lebens der Nation überhaupt wurde, so be-
gannen im 5. Jahrhundert auch die philosophischen Regungen sich all-
mählich von der Peripherie Griechenlands nach dem neuen geistigen Zentrum
zusammenzuziehen. Um dieselbe Zeit, in der die neue Gattung der dra-
matischen Poesie in Athen zur Entfaltung und Blüte kam, ward der Boden
Attikas auch zur Aufnahme der verwandten Gattung der prosaischen Lit-
teratur vorbereitet und tragf&hig gemacht. Pythagoreer hatten nach Auf-
lösung ihres Bundes Schutz und Stellung in dem hellenischen Festland
gefunden; Parmenides war als Greis nach Athen gekommen, um in der
Eephissosstadt seine Lehre vom Eins und wahrhaft Seienden zu verkünden ;
Anaxagoras hatte geradezu den bedeutendsten Teil seines Lebens in Athen,
im Verkehr mit den einflussreichsten Männern der Stadt zugebracht. Aber
eigentlich eingebürgert wurde die Philosophie in Athen erst durch die
Sophisten während der Zeit des peloponnesischen Krieges.
Die Sophisten 1) bereiteten eine neue Richtung des Denkens und der
Lebensauffassung vor, indem sie die unfruchtbaren Spekulationen über den
Urgrund der Dinge und das Werden der Welt beiseite lassend, die näher-
liegenden Fragen der Ethik, der Politik und des Erkennens mit subjektiver
Denkfreiheit erfassten und in geschmückten, mehr auf den Schein als die
Wahrheit berechneten Vorträgen (imSef^eig) verbreiteten. Der Hauptver-
treter dieser neuen Weisheit war Protagoras aus Abdera (geb. um 485),*)
der wie die meisten Sophisten ein Wanderleben führte, Athen aber zum
Hauptsitz seiner prunkenden Thätigkeit wählte,*) bis er um 411 der
Gottlosigkeit angeklagt, aus Athen fliehen musste und auf der Flucht nach
Sikilien im Meere den Tod fand.*^) Nächst ihm war am einflussreichsten
Gorgias aus Leontini, der 427 als Gesandter seiner Vaterstadt nach Athen
kam und über den Tod des Sokrates (399) hinaus als Lehrer und Fest-
redner den Samen der Rhetorik und Sophistik in Hellas ausstreute.'^) Diesen
beiden Hauptträgern der Sophistik reihten sich Hippias aus Elis und
Prodikos aus Keos an, die neben jenen gefeierten Lehrern in Athen und
anderen Städten Griechenlands das neue Evangelium der Aufklärung und
subjektiven Lebensauffassung predigten.
*) Gbote, Hist. of Greece Vm 474- 544;
ScHAi^z, Beiträge zur vorsokratischen Philo-
sophie, Gott. 1867.
') Frei^ Quaestiones Protagoreae, Bonn
1845.
') In Athen verkehrte er im Anfang des
peloponnesischen Krieges mit Perikles; dann
verliess er Athen, um, als Kallias Herr seines
Vermögens geworden war, wieder dorthin
zurückzukehren.
^) Vor 411 oder vor die Zeit des Rates
der Vierhundert setzt die Anklage _ ^ _
Protagoras Müller-Stbübino, Jahrb. f. PinL
121, 84. Einen der Vierhundert, P^thodoros,
nennt als Ankläger Aristoteles bei Diog. IX
54. Ueber seine Hauptschrift KarnßaXXa^wfg
i>AeT*jiynXoyixu oder Jktj&eia s. J. Bkkkats.
Ges. Abh. I 117—121.
^) Vgl. oben § 260. Seine phüosoplu>
sehen Anschauungen lernen wir aus Ps,
Aristoteles De Xenophane Zenone Grorgia.
4. Die Philosophen, b) Die attische Periode der Philosophie. (§ 296.) 417
Der Einfluss dieser Männer auf den Geist der Zeit, auf die Loslösung
vom Glauben an das Überlieferte, auf die gänzliche Umgestaltung der Er-
ziehung und des Unterrichtes i) war ein enormer, dem der Enzyklopädisten
im vorigen Jahrhundert vergleichbar; aber ihre Stellung in der Litteratur
und im positiven Fortschritt des Wissens ist gering. Das liegt zum grossen
Teil darin, dass sie ihre Anschauungen weniger durch Schriften als durch
Vorträge und hochbezahlte Lehrkurse*) verbreiteten. Von dem vielseitigen
flippias werden mehr geschichtliche und rhetorische {ccvayga(fjj 'OAe;/x-
nmixiov und TQio'ixog loyog) als philosophische Schriften angeführt. Gor-
gias hatte ohnehin seine Stärke in den Reden, neben denen seine dialek-
tische, an die Lehre der Eleaten anknüpfende Schrift negi xov fit} ovtog
rj ftfQi ^v(r€<og^) zurücktrat. Von Prodikos wird nur das Buch ^QQai ge-
rühmt, in dem der schöne Mythus von Herakles am Scheideweg stand.
Protagoras war nicht bloss der philosophischste Kopf unter den Sophisten,
er hat auch am meisten von ihnen geschrieben;*) von zweien seiner
Schriften kennen wir die Anfänge, in denen zugleich die Hauptsätze seiner
Lehre enthalten sind: ndvtcav XQrniattav fittgov av&gwTiog, rwv fji^v ovtodv
«$ (,da8s', nicht ,wie*) «ctt*, tciv i^ fit] ovtwv (og oix saxiv und nsQi jx^v
x^mv ovx ^x^ elShvai ov^* wg eiaiv^ ov&* (og ovx slaiv. Aus der Schrift nsQl
%ov Qvxog, in der er gegen die Eleaten polemisierte, soll selbst Piaton viel
herQbergenommen haben. ^) Auch für die Entwicklung der grammatischen
Terminologie waren seine Schriften, wie die nsQl igO^osTietag, von Wichtig-
keit; er unterschied zuerst die vier Aussageformen {xqtnoi^ modi) eifXfoXrj
(Optativ), igcizr^aig, anoxQiaig, evrokij (Imperativ), und die drei Geschlechter:
c^va, O^ijlea, axevrj. In der philosophischen Theorie ging er von dem
heraklitischen Satz vom' ewigen Fluss der Dinge aus, indem er damit
den weiteren verband, dass unser Wissen lediglich auf sinnlichen Wahr-
nehmungen beruhe.^) Dadurch gelangte er zu einem ausgeprägten sen-
soalistischen Skeptizismus, wonach es nichts Festes und Bleibendes, weder
in den Dingen noch im Wissen gibt, und wonach wir nur sagen können.
*) Bebok, Gr. Lifcfc. IV 330: Bisher hatte
odk der Unterricht auf Musik, Gymilastik
und die Elemente des Lesens, Schreibens und
Bedmens beschränkt; alles was darüber
junanaging, sachte sich der einzebie selbst
im öffenüichen Leben anzueignen. Jetzt
Bftkmen die Sophisten den wissenschaftlichen
Unterricht der Jugend in die Hand; die Ju-
gend, die seit alters in den Gymnasien und
ffingsefaulen den Leibesübungen oblag, sollte
jetzt in der Palfistra der Sopbisük geschult
Verden, welche zu ihren Yortrfigen gerade
jene Gymnasien mit Vorliebe wühlte.
*) Protagoras und Gorgias haben für
deo Kots einen Lohn von 100 Minen ge-
Bommen; s. Diog. IX 52; Diodor XII 53;
Snidaa unt Gorgias. Prodikos gab in der
Gmnmatik (negi oQdoxrjio^ ovofAnttov) einen
Knrs ftr 50 und einen kürzeren für eine
Bnchme.
*) Der Inhalt dieser Schrift steht bei
Sext. Empir. adv. math. VIT 55 ff. und Ps.
Aristot. de Melisse; er gipfelt in den S&tzen:
TiQtaToy Ott ovSev eatty, dsvtSQoy Ön ei xal
eatiVy axataXtjTttov apdgiSntp, rgiroy öxi bI
xai XttTttXtjnroy, aXXti toi y* ayi^ourtoy xal
äyeQfitjyevroy tto neXag,
*) In ioniscnem Dialekt ist das längere
Fragment bei Plutarch, Consol. ad Apoll. 33
geschrieben. — £in unter den bippokratischen
Schriften erhaltener Xoyog rixyfjg wird von
GoMPERz, Die Apologie der Heilkunst, Stzb.
d. Wien. Ak. 1890 und Griech. Denker I
374 f., dem Protagoras beigelegt; sicher
stammte derselbe aus den Eüreisen der So-
phisten.
^) Dieses wies nach Porphyrios bei Euseb.
praep. ev. X 3, 25.
*) Diog. IX 51: eXeye firjif^y bIvhi naga
tag aiffSijaecg. Die Erkenntnistheorie des
Protagoras lernen wir am besten aus dem
platonischen Dinlog Theätet kennen.
Bandtmcb der Ums. AlterttuDiwinenachaft. VU. 8. Aufl.
27
418 Giieohisohe Lüteratnrgesohiohte. L Klassisohe Periode.
wie die Dinge uns jedesmal zu sein scheinen, nicht was sie immer und
was sie an sich sind. Da er auf solche Weise eine objektive Wesenheit
der Dinge leugnete, so ward ihm der Mensch zum Mass der Dinge in
seinen positiven wie negativen Aussagen. Der rhetorische Charakter seiner
Philosophie drückte sich in dem verrufenen Satze aus, er verstehe die
Kunst, die geringere Sache zur besseren zu machen {tov tJtto) Xoyor
xQ€iTi(o nouiv), natürlich vermittelst der Verdrehungen der Rhetorik und
der Winkelzüge sophistischer Dialektik.
Neben den längeren Vorträgen wurde von den Sophisten auch die
bereits von Zenon und den Eleaten gepflegte Kunst des Disputierens {Sia-
Xextixtj) betrieben, die bei ihnen meist in Rechthaberei (eQiauxtj) ausartete.
Von solchen Disputationen wurden mit der Zeit auch Aufzeichnungen ge-
macht; eine derselben, JiaXt^Hg rO^ixat betitelt, in dorischem Dialekt aus
der Zeit nach Athens FalU) ist uns zufällig erhalten. Als Verfasser der-
selben ist Mystas (v. 1. Mymas) genannt, unter welchem, wahrscheinlich
verderbten Namen, die einen den Pythagoreer Simmias, die anderen den
Schuster und Sokratiker Simon erkennen wollen.^)
Mit den grossen Sophisten des 5. Jahrhunderts starb die Sophistik
nicht aus, sie lebte noch im 4. Jahrhundert neben Piaton und teilweise
selbst neben Aristoteles fort; aber sie brachte keine namhaften Männer
mehr hervor. Zu den Vertretern der jüngeren Sophistik gehören Thra-
symachos von Chalkedon, jüngerer Zeitgenosse des Sokrates, bekannt als
rhetorischer Rechtsverdreher aus Piatons Republik; Polykrates, der um
393 eine Anklageschrift gegen Sokrates schrieb; die erisüschen Klopf-
fechter Euthydemos und Dionysodoros, die Piaton mit unübertroffener
Ironie im Dialog Euthydemos verspottet hat; Bryson von Heraklea,
aus dessen dialektischen Dialogen Piaton vieles entnommen haben soll
(Ath. p. 508 d).
297. Sokrates (um 469—399), Sohn des Bildhauers Sophroniskos
und der Hebamme Phainarete, aus dem Demos Alopeke bei Athen, war
der erste grosse Denker Athens, der originellste und weiseste Mann des
ganzen Altertums. Wie alle grossen Männer der alten Zeit, stand er
mitten im Volke und versäumte über philosophischem Nachdenken nicht
seine Pflichten als Bürger und Mensch. Er hatte von seinem Vater die
Bildhauerkunst erlernt, und am Eingang zur Akropolis zeigte man später
noch die von ihm gefertigten drei Chariten.') Im peloponnesischen K>ieg
trug er für sein Vaterland die Waffen und focht tapfer bei Potidaa,
Delion und Amphipolis; im Jahre 406 trat er als Prytane*) mutvoll, wenn
*) WiLAMowiTz, Ind. Gott. 1889 p* 9 | Simon von Teichmüllrr, Lüterar. Fehden
weist nach, dass die Schrift um 400 von des 4. Jahrh. II 97, wo auch der Text der
einem Byzantier oder Rhodier verfasst sei. I Schrift mit Uehersetznng gegeben ist. Ueber
Es heisst deutlich p. 210, 17 vixa iy ^ , die Codd. und die £mendation der Schrift
iyixtjy {ol Aaxe^aifxoyioi) ^Af^vjvaltüg xal ttog
avfAfAfixois. Auf Kypros als Heimat des Ver-
fassers schloss Bergk aus p. 224, 29.
*) Simmias ward vermutet von Bebok,
Fünf Abhdl. z. gr. Philos. (1883) S. 119-38,
und von Blass Jahrb. f. Phii. 1881 S. 739,
s. Schanz, Herm. 19, 369 ff. Eine Nea>
bearbeitung von £. Webss in Philol.-hi£Rkor.
Beitrftge zu Ehren Wachsmuths, LeiimK
1897. *^^
») Paus. I 22, 8; IX 35, 7.
*) Wahrscheinlich aber nicht als
4. Die Philosophen, b) Die attische Periode der Philosophie. (§ 297.) 419
auch ohne Erfolg, für die mit dem Todesurteil bedrohten Feldherrn der
Schlacht bei den Arginusen ein. Verheiratet hatte er sich, auch darin
den Bürgerpflichten nachkommend, mit einer Athenerin Xanthippe. Philo-
soph von Profession war er so wenig, dass er nichts schrieb, nie um
Geld lehrte, in seinem ganzen Auftreten die Regeln der Schulweisheit
verleugnete. Noch weniger kann bei ihm von dem Anschluss an eine
bestimmte Schule die Rede sein; er hatte wohl den Protagoras, Archelaos
und rtrmenides gehört und war in den Schriften der älteren Philosophen
nicht unbewandert,^) aber seine Denkweise war ebenso originell, wie seine
Lehrweise. Mit den Sophisten teilte er die gleiche Richtung des philoso-
phischen Denkens: von ihm konnte man ebenso wie von den Sophisten
rühmen quod philosophiam devocavit e caelo et in urbibus coUocavit;^) von
ihm gilt geradeso wie von den Sophisten, dass er jede Beschränkung der
Denkfreiheit durch die Schranken dogmatischer Überlieferung von sich
wies und in den richtig entwickelten Denkgesetzen allein die Quelle rich-
tigen Wissens erblickte. Es war daher nicht ganz zu verwundern, wenn
er von fernerstehenden, unphilosophischen Köpfen mit den Sophisten in
einen Topf geworfen und für das von jenen angerichtete Unheil verant-
wortlich gemacht vnirde. Wer aber tiefer blickte, sah den grossen, ge-
waltigen Unterschied: Sokrates lehrte nicht um Lohn, sondern folgte in
seinem Verkehr mit der Jugend nur dem inneren Drang seines Geistes;^)
er war in der Einfachheit seines Wesens hoch erhaben über jeder An-
wandlung des Hochmutes und der Eitelkeit; er verschmähte die Prunk-
reden der Sophisten und suchte statt dessen mit der Hebammenkunst
(nauvuxt^) seiner Mutter, durch schlichte Fragen die Wahrheit aus den
Jünglingen herauszulocken; in seinem Bekenntnis des Nichtwissens barg
sich zwar ein Stück der gerühmten sokratischen Ironie, aber es war ihm
doch heiliger Ernst mit dem Satze, dass durch Erkenntnis der früheren
Selbfittäaschung sich jeder erst den Weg zu besserem Wissen bahnen
müsse. Den Boden des subjektiven Erkennens hatte er mit den Sophisten
gemein, aber aus einzelnen Vorstellungen sollte durch richtige Deduktion
das Wissen höherer Wahrheiten gewonnen und so von der io^a zur
imerrjfirj fortgeschritten werden. Als den grossen Fortschritt der sokra-
tischen Philosophie bezeichnet daher richtig Aristoteles*) die induktive
Erkenntnismethode und die Entwicklung allgemein gültiger Definitionen.
Diese betrafen aber zunächst nur das Gebiet der Sittenlehre, in der er
von der Anschauung ausging, dass die Tugend auf Wissen oder der rich-
tigen Einsicht in das, was tapfer, gerecht, besonnen etc. sei, beruhe.^)
Uniher Prytane, sondern als Vorsteher {int-
^«r^f), wie Eh. Mülleb, Progr. Zittau 1894
lachweist.
») Xen. Memor. 1 1, 14; IV 7, 6.
») Cic. Tusc. disp. V 4, 10; Acad. post.
I 4, 15. Völlige Unkenntnis der Nator der
Bobatiscben Denkweise war es, dass Äri-
iftofiiaiies in den Wolken ihn zum Stem-
gocker machte; s. § 208.
•) Diog. n 65: 'jQiarinnog itifAipag
sinovTog IwxQarovg t6 dttifAovioy «rrw fAilj
iniTQ67iety.
*) Arist. Met. XIII 4: dvo ydg iariy
a Tt^ ay nnodoltj ItoxQajei dtxnitog xovg t'
inaxTixovg koyovg xal t6 OQL^so^cti xaSoXoti^
vgl. ibid. I 6 und De part. anim. I 1.
*) Xen. Mem. III 9, 4: aotpiay xal aa-
(pQOüvyrjy ov ^mgi^sy . . Itpr} di xal rijy dixai-
oavytjy xal Ttjy aXXrjy naaay aQBxrjy aotplav
eiyat, - - Vgl. Doerino, Die Lehre des Sokrates,
ein soziales Reformsystem, Mfinchen 1896.
27*
420
Grieohisohe Litteratnrgesobiohte. I. Klaasisohe Periode.
Bei seinen Jüngern erzeugte das Zusammenarbeiten in der Herausschälung
richtiger Erkenntnisse enthusiastischen Weisheitseifer und schwärmerische
Zuneigung zu dem geliebten Lehrer. Aber die bornierten Anhänger des
Alten und die Vertreter verletzter Eitelkeit, Meletos, Anji^os und Lykon,
benutzten die verkehrte Meinung, welche die Komiker von der Richtung
der sokratischen Philosophie unter der Menge verbreitet hatten, und die
Missstimmung, welche nach der Rückkehr des Demos gegen Alkibiades und
Eritias, die Schüler und Freunde des Sokrates, herrschte, um den einzigen
Mann in seinem 70. Lebensjahre mit einer Klage wegen Verführung der
Jugend und Einführung neuer Götter zu belangen. Zum Tode mit schwacher
Majorität verurteilt, trank er im Kerker den Giftbecher im Mai 399. Der
Tod des Unschuldigen, wie er uns von Piaton im Phaidon mit ergreifender
Wahrhaftigkeit geschildert ist, hat das Ansehen des edlen Weisen nur
erhöht und die Gemeinde seiner Schüler und Verehrer nur zu engerem
Anschluss an den geliebten Meister zusammengeführt. Sokrates wirkte
durch die schlichte Wahrheit seiner Lehre und die mit dem Tod besiegelte
Lauterkeit der Gesinnung wie ein gottgesendeter Religionsstifter. Er legte
den Gedanken an eine solche Sendung seinen Jüngern nahe durch die Berufung
auf das Daimonion, das er als die in seinem Innern vernehmbare Stimme
der Gottheit befrage, so oft er etwas Wichtiges zu thun im Begriffe stehe ;
er bewährte sich aber zugleich dadurch, dass er jeden Schein wunder-
wirkender Kraft von sich ferne hielt, als echten Sohn Athens.
298. Sokrates hat selbst nichts geschrieben,^) aber er hat einen
reichen Samen ausgestreut, der in seinen Jüngern aufgegangen ist und
reiche litterarische Früchte trug. Es haben insbesondere seine Schüler
die Gespräche, die er mit den verschiedensten Leuten und über die ver-
schiedensten Gegenstände hielt, aufgezeichnet und der Nachwelt überliefert.
So reihen sich an Sokrates die Sokratiker und die 2a>xQatixol Xoyoi an.
Dem grössten der Sokratiker, Piaton, widmen wir einen eigenen Abschnitt,
von dem sokratischen Historiker Xenophon ist bereits oben gehandelt
worden; hier stellen wir das Hauptsächlichste über die übrigen Sokratiker
und ihre Schulen kurz zusammen.^)
Aischines aus Sphettos schrieb sokratische Dialoge, die mit beson-
derer Treue die Manier des Sokrates wiedergaben. Unter der grösseren
Anzahl der unter seinem Namen in Umlauf befindlichen Dialoge wurden
nur 7 (Mikxiadt^q^ KalXiag, ^A^ioxog, 'Affnaffta, ^Ahtißiddrfi^ T/jkavy^jg, l^'rco»)
für echt befunden (Diog. II 61); erhalten hat sich von ihnen keiner.
Eukleides aus Megara, der die sokratische Lehre vom Guten mit
der eleatischen vom Sein und Eins verband und zuerst den Namen eTdrj
(Ideen) in die Philosophie einführte,') pflegte den Dialog als Werkzeug der
M Ich sehe von den äsopischen Fabeln
ab, die er im Kerker in Verse gebracht
haben soll. Ausser Betracht bleiben ohnehin
die unechten Briefe des Sokrates und der
Sokratiker.
■•*) Diog. 11 64: ndyjtov fieytoi noy
Zvjx^anxüiy diaXoywy Tlayalriog aXrj&et^g eiyui
doxet rov; IlXdttüyog, 3eyo<pwyTo^f *Jyn~
a^e'yovSy Aiaxiyov ' diora^ei d^ ne^i t«k
^«idfüvoq xal EvxXeidoVf lovg cT aXXovf ayai^et,
*j Gegen Eukleides scheint n&mlich ge-
richtet zu sein Plat. Soph. p. 246 b: ol n^og
ttviovf dfA(ficßr]xovytes fdtiXa evXaßms nytüBcy
i^ ttOQaxov no^iy df^vyoytaif yofjiii ntra xni
4. Die Philosophen, b) Die attische Perlode der Philosophie. (§ 298.) 421
Dialektik. Wir haben nichts von ihm; das Altertum, das 6 Dialoge von
ihm besass, war über die Echtheit derselben in Zweifel (Diog. II 64).
— Unter den späteren Häuptern der megarischen Schule gelangte Stilpon
(um 380 — 300), der sich den ethischen Ansichten der Eyniker zuneigte,
seine Stärke aber im Disputieren hatte, zu besonderem Ansehen; auch von
ihm zirkulierten 9 Dialoge, die aber Diog. II 120 als spitzfindig und frostig
(ipvxQoQ bezeichnet.
Phaidon aus Elis, nach dem der gleichnamige Dialog des Piaton
benannt ist, schrieb gleichfalls Dialoge ; die 2 als echt anerkannten hiessen
ZüinvQog und IffKov (Diog. II 105).^) Die von ihm in Elis gegründete
Schule wurde von Menedemos im Anfang des 3. Jahrhunderts nach
Eretria verpflanzt.
Antisthenes aus Athen, Hörer des Gorgias, dann des Sokrates, war
Gründer der kynischen Schule, welche von dem Gymnasium Kynosarges,
wo ihr Stifter lehrte, ihren Namen hatte. In der Lehre und in den zahl-
reichen Schriften trat er, der Vertreter der Eristik und Dürftigkeitsmoral,
vielfach in Feindschaft zu Piaton, dessen Ideenlehre er ins Lächerliche zog,
und den er in dem Dialoge 2dd^(ov^) auch persönlich verspottete. Auf
der anderen Seite Hess es auch Piaton nicht an Ausfallen fehlen; im
Euthydemos verhöhnte er unter. fremden Namen die unfruchtbaren Haar-
spaltereien der antisthenischen Eristik. Die Alten hatten von ihm zahl-
reiche Schriften, geordnet nach sachlichen Gesichtspunkten in 10 Bänden.')
Auf uns gekommen sind unter seinem Namen zwei der Unechtheit verdächtige
Deklamationen Afag und 'OSvtrffsvg.^) Von dem Dialoge ^Aqx^^ccog rj ncQi
ßaatXsiag gibt den Hauptinhalt, dass nicht Geld und Macht, sondern nur sitt-
liche Tüchtigkeit den Menschen wahrhaft glücklich mache, ein Rhetor der
Kaiserzeit, Dion Chrysostomos in der 13. Rede wieder. 0) — Schüler des
Antisthenes war Diogenes von Sinope (gestorben 323, an demselben Tag
wie Alexander d. Gr.), eine originelle Bettelmönchsfigur, zu welcher schrift-
stellerische Thätigkeit nicht gut passte. Die ihm beigelegten Schriften
wurden bereits von Sosikrates und Satyros für unecht erklärt (Diog. VI 80).
dciüfittta eiSf] ßiaCofAsyoi xrjv aXrj&ivrjy ovaiay
tlytti. Vgl. Zellbb, Geech. d. gr. Phil.'* II
1, 252 ff.
^) Andeatongen über den nach dem
Schuster Simon benannten Dialog ZlfAtoy
geben der 12. und 13. Brief der Sokratiker,
worüber Wilamowitz, Herm. 14, 187 ff. u.
476 f.
«) Vgl. Ath. 220 d u. 507 a; gegen die
Lehre des Antisthenes sind gerichtet aosser
dem Euthydem die Stellen in Theftt. 155 e
u. Soph. 251 b, vielleicht auch der Spott auf
den Schweinestaat in Polit. II p. 372 d. Ueber
seinen Dialog Kvqo^ rj nsgi ßaaiXelagf mit
dem er den Anstoss znr Eyropftdie des Xeno-
phon gab, siehe oben § 243.
*) Das Verzeichnis steht bei Diogenes
VI 15; YgL DüMMLBB, Antisthenica, Halle
1882; SüsxMiHL, Jahrb. f. PhU. 135 (1887)
S. 207—14.
*) Ihre Echtheit verteidigt gegen mannig-
fache Anfechtungen Blass, Att. Bereds. II
311 ff. Radbbmaohbb Rh. M. 47, 569 ff.
behauptet nicht bloss die Unechtheit, sondern
weist auch, einem Winke Blass' folgend,
nach, dass die beiden Deklamationen nach
den ^netg eines Dramas, vielleicht des Theo-
dektes, gemacht sind, und dass daher die
vielen teils geradezu vorliegenden, teils durch
kleine Aenderungen leicht herzustellenden
Trimeter der beiden Reden stanmien.
') Dieses hat scharfsinnig erschlossen
üsener bei Dümmler p. 10 aus der Ver-
gleichung des Verzeichnisses der Werke
des Antisthenes und Dion p. 424 u. 431 R.
Auf den Dialog bezieht sich auch Aristoteles
polit III 13 p. 1284» 15 Xiyoiey yuQ ay
Utrwff äneg 'Jyria^^yrjt ^qyrj rot^s Moytag dfj-
(AfjyoQwyxioy ttüy dacvnodmy xal to tffoy
d^iovyjioy ndvxttg exeiy.
422
Grieohisohe Litieratargesohicbte. I. Klassische Periode.
Aristippos aus Eyrene war Antipode des Antisthenes und Vater
der kyrenäischen Lehre von dem vemunftgemässen Lebensgenuss. Beide
stimmten darin überein, dass sie die Philosophie auf die Untersuchung
über die Tugend und das beste Leben beschränkten, die Fragen nach dem
Wissen als überflüssig oder doch gleichgültig ablehnten, i) Wenn Aristo-
teles Met. p. 996a 32 den Aristippos einen Sophisten nennt, so hängt
diese respektwidrige Benennung wohl damit zusammen, dass derselbe
einerseits nach Sophistenart um Geld lehrte,^) anderseits mit der Annahme,
dass einzig die Eindrücke {nd&rj) der Dinge auf uns massgebend seien,
sich zum Sensualismus des Protagoras bekannte. Mit Piaton, dessen Phi-
lebos hauptsächlich gegen ihn, ohne dass sein Name genannt sei, ge-
richtet ist, 3) kam er in Sikilien an dem Hofe des Dionysios zusanunen.
Seine teils in attischem, teils in dorischem Dialekt abgefassten Dialoge
werden von Diog. II 84 aufgezählt.^) — Die Lustlehre des Aristipp schlug
in einem jüngeren Vertreter der kyrenäischen Schule, in Hegesias mit
dem Beinamen 6 neicix^ävarog, der zur Zeit des Ptolemaios Lagu lebte,
in vollständigen Pessimismus um, indem derselbe, an der Erreichung der
Glückseligkeit (etdai/iovfa) verzweifelnd, die durch den Tod am sichersten
zu erreichende Empfindungslosigkeit für das Beste hielt. ^)
c) Piaton (427—847),«)
299. Abkunft, Jugend. Piaton, Sohn des Ariston und der Periktione
aus dem attischen Demos KoUytos,^) ward geboren im Jahre 427 am 7. Thar-
gelion (Mai), welcher Tag in seiner Schule auch später noch festlich be-
gangen wurde. ^) Seine Familie gehörte zu den altadeligen Geschlechtem des
») Sext. Emp. adv. math. VII 11:
^oxovai di xard tiyas xai oi dno Jtjg Kv-
Qtjvfjg fÄoyoy cit07i<iCsad-ttt x6 rj&i,x6v f4i^os,
nagan^f^neiy di ro tpvaixoy xai x6 Xoytxov
<os (irjdky TtQog t6 evdaifioyatg ßtovy avy^Q-
yovyjtt, Ariafcot. Met. B 2 p. 996» 32: xtüy
aotpiüTcSy ttyee oloy 'jQiaunnos nqoBntiXd'
xi^ov avxdq sc. tag f^a&ijfiaTixdg intartjfiag'
iy fiiy ydg zats dXXatg xix^^^i *«* ^«^^
ßayavootg, oloy iy xexxoyixj xai axvtixj,
didxi piXxioy ^ x^iQoy Xiyeadai ndyxa, xdq
dh fia^fÄaxixdg ovdiya noisTa&ai Xoyoy tisqI
dya^foy xai xaxwy, und ähnlich p. 104fSb 24.
*) Diog. 11 65: nguixog xdjy Itüxgaii-
xüiy fiur&ovg eiaenQu^axo.
') Gegen Aristipp ist auch nach Schleier-
machers Vermutong gerichtet Fiat. Theaet.
156 ff.
*) Den Namen unseres Aristipp trug
fälschlich ein in alexandrinischer Zeit ent-
standenes Buch *jQiax 17171 ov 7t6Qi 71 aXaidg
xQVfprjg^ das auch Diogenes aufführt; siehe
WiLAMOWiTz, Antigonos von Earystos 47
bis 53. — Die Statue des Aristippos im Anhang.
^) Cic. Tusc. I 34; Plut. de amore prolis
5; Diog. II 93.
•) Quellen: Diog. III; Olympiodor, Vita
und Prolegomena zu Alkibiades ; Apu-
leius, De dogmate Piatonis. Zurückgehen
diese Biographien auf Speusippos* iyacmfitor
nXdxti}yog, Philippos den Opuntaer, der nach
Suidas 71 €qI JlXaxotvog schrieb, ai^ die Pla-
toniker Xenokrates und Hennodoros, und
auf die Briefe unter Piatons Namen. —
Neuere Darstellungen: Abt, Platons Leben
und Schriften, Leips. 1816; E. Fb. Hsbmavn,
Geschichte und System der platonischen
Philosophie, Heidelberg 1839; Stkiithabt,
Platons Leben im 9. Band der Uebersetznng
von Mülles, Leipz. 1873; Gbotb, Plato and
the other companions of Socrates, London
1865, 3 vol.; H. v. Stein, Sieben Bficher x.
Gesch. d. Piatonismus, Gott. 1862—4, im-
vollendet Sonstige Litt bei üebbrwbg,
Gesch. d. Phil. I § 39, und unten § 302.
^) Da der Vater des Piaton ein Acker-
los in Aegina hatte, so liessen ihn einige
nach Diog. III 3 aus Aegma stammen.
*) Die Angaben der Alten gingen von
dem Todesjahr unter dem Archon TheopliiloQ
Ol. 108, 1 aus und kamen von da zu etwas
abweichenden Resultaten, je nachdem sie
den Philosophen 80 oder 81 oder 84 {UJ
= 84 wohl verlesen aus UA = 81) Jahre alt
gestorben sein liessen; s. Dibls Rh. M. 81,
41 f. u. Zbllbr, Gesch. d. gr. Phil. ^ II 1,
390 f. — Als sein Glück pries es Piaton bei
Plut Mar. 46 als Hellene und zur Zeit des
4. Die Philosophen, c) Platou. (§ 299.) 423
Landes; sein Vater rühmte sich, ein Eodride zu sein;^) seine Mutter war
eine Schwester des Charmides und Base des Eritias, der als vielseitiger
Schriftsteller und als einer der Dreissig eine hervorragende Bolle in der
Geschichte Athens spielte. An Geschwistern hatte er zwei leibliche Brüder,
Adeimantos und Glaukon, deren Andenken er in der Republik verewigte,
und eine Schwester Potone, ^) deren Sohn Speusippos später das Erbe des
Philosophen in der Akademie antrat. Einem Halbbruder Antiphon, Sohn des
Pyrilampes, begegnen wir im Eingang des Parmenides. Er selbst soll
anfangs den Namen seines Grossvaters Aristokles geführt und erst von
seinem Lehrer fn der Gymnastik wegen seines breitschulterigen Körperbaus
den Namen Piaton bekommen haben, s)
Als Sohn einer angesehenen Familie und als Verwandter hochgebil-
deter Männer erfreute er sich in seiner Jugend aller Vorteile edler atti-
scher Jugenderziehung. In der Musik, Gymnastik, Malerei erhielt er Unter-
richt; in der Gymnastik brachte er es so weit, dass er bei den isthmischen
Spielen im Ringen einen Sieg gewann.^) Auch in der Musik, die damals
zugleich die Poesie umfasste, ging er über das blosse Lernen hinaus und
dichtete selbst Dithyramben und Tragödien.^) Epicharmos und Sophron
bildeten auch später noch seine Lieblingslektüre; den ersteren soll er stets
onter seinem Kopfkissen gehabt haben. ^) Hohe poetische und mimetische
Begabung spricht auch aus der scenischen Einkleidung seiner Dialoge und
aas der Stellung des Mythus in seiner Philosophie. Aber indem er den
natürlichen Hang zum poetischen Spiel mit Gewalt zu Gunsten der Philo-
sophie in sich unterdrückte, eiferte er, gleichsam seiner ersten Liebe zum
Trotz, um so heftiger gegen den nachteiligen Einfluss, den die erdichtete
Leidenschaft der Tragiker auf die Seelen der Menschen übe, und verbannte
die Dichter mitsamt dem Homer aus seinem Idealstaat. ^) In der Philo-
sophie hörte er nach dem Zeugnis des Aristoteles Met. I 6 als junger
Mensch den Herakliteer Kratylos, zu dessen Andenken er später den Dialog
Kratylos schrieb.*) Vom 20. Lebensjahre an schloss er sich dem Sokrates
an,») dem er bis zu dessen Lebensende in innigster Verehrung ergeben
blieb. Seine eigene Philosophie wollte er nur als Ausfluss der sokratischen
Weisheit betrachtet wissen, weshalb er den Sokrates zum Träger des
Gesprächs in seinen Dialogen machte und dieselben geradezu ^ooxQazixol
Sokrates geboren worden zu sein; vgl. Lac- I *) Diog. III 5; Olympiodor 3; Aelian
tant Inst div. III 19. | Y. H. 11 30. Fabel ist es, wenn ihn Dio-
^) Diog. in 1; Apnl. 1; die Annahme | genes wegen der Dünne seiner Stinune der
tragischen Kunst entsagen lässt.
•) Diog. in 18; Olymp. 3; Valerius
Max. V 7.
») Mbisbr, Zu Piatos Phaedr. Protag.
Thefttet, München 1864; Rebeb, Piaton u.
die Poesie, München 1864. Wie sehr die
Liebe zur Poesie und zu Homer in seinem
Innern fortdauerte, zeigt sein eigenes Ge-
ständnis Rep. 607 c.
B) Piaton selbst bezeugt dieses im Phae-
don p. 96 a, freilich ohne den Namen Hera-
klit zu nennen.
B) Hermodoros bei Diog. III 6 lasst ihn
8 Jahre (407^399) mit Sokrates verkehren.
Abkunft von Solon bei Olympiodor
scheint sich auf Timaios p. 20 e zu stützen,
wo EriÜBs den Solon einen Freund seines
Ti^nannog Jgtonidtjf nennt.
') Nach einigen bei Diog. III 1 hiess
Potone auch die Mutter des Piaton.
») Diog. III 4. Anders deutete der Sil-
lognph Timon bei Ath. 505 e den Namen
Uldjuif, indem er ihn witzig mit nXärxto in
Verinndlimg brachte: o»; ayinXttrra nXaroiy 6
^tnlMfiiva »avfiata eidoSg. Wahrscheinlich
iit das alles eitel Faselei.
*) Diog. m 4 nach dem Zeugnis des
]>iklareh.
424
Qriechiflohe Litteratnrgesohiohte. I. Klassische Periode.
Xoyoi nannte.^) Erst in späteren Jahren trat er auf seinen sikilischen
Reisen in engere Beziehungen zu den Pythagoreern und gestattete diesen
bedeutenden Einfluss auf seine philosophischen Anschauungen; auf die
Eleaten war er schon früher während seines Aufenthaltes in Megara durch
den Dialektiker Eukleides hingewiesen worden.
Bei einem gesunden, kräftigen Mann, wie Piaton war, verstand sich
in den kriegerischen Zeiten, in welche sein beginnendes Mannesalter fiel,
die militärische Dienstleistung fttr das Vaterland von selbst. Aber in den
Angaben des Aristoxenos bei Diogenes m 8, dass er das erste Mal gegen
Tanagra, das zweite Mal gegen Eorinth (394), das dritte Mal bei Delion im
Felde gestanden sei,') ist Falsches mit Wahrem gemischt. Dass er als
Reiter gedient habe, macht die genaue Pferdekenntnis im Phaidros p. 253 d,
die weit über das Mass eines Laien hinausgeht, wahrscheinlich. Dem
politischen Leben hielt er sich fern. Familientraditionen und eigene Über-
zeugung hatten ihn zum entschiedenen Gegner der Demokratie gemacht ;
aber nachdem die Optimaten, denen er im Herzen zugethan war, zur Zeit
der Dreissig einen so schnöden Missbrauch von der Gewalt gemacht hatten,
zerfiel er überhaupt mit dem politischen Leben Athens.^)
300. Reisen. Von Athen entfernte sich Piaton zum erstenmal nach
dem tragischen Ende des Sokrates. Den letzten Stunden des teueren
Lehrers, die er später im Phaidon so ergreifend geschildert hat, konnte
er selbst infolge eigener Erkrankung nicht beiwohnen.*) Aber bald darauf
verliess er mit anderen Freunden aus Furcht vor weiteren Verfolgungen
die Stadt und begab sich nach Megara, wo sich um Eukleides ein Kreis
Gleichgesinnter sammelte.'^) Im Eingang des Theätet hat er später der
Liebenswürdigkeit, mit der sich jener der Sokratiker annahm, ein schönes
Denkmal gesetzt. Der Umgang mit Eukleides scheint auch die Keime der
Ideenlehre in ihm geweckt zu haben. Später, um 390, unternahm er seine
Reisen nach Kyrene und Ägypten. Nach Kyrene ward er durch den
Mathematiker Theodoros gezogen, den er zu Athen in den Kreisen des
Sokrates kennen gelernt hatte. ^) Von da besuchte er vielleicht auch das
alte Wunderland Ägypten, dessen alte Weisheit schon vor ihm den Solen
und Herodot angezogen hatte und von der er bereits im Phaidros nähere
Bekanntschaft zeigt.'')
^) Uebertrieben heissfc es im 2. Brief
p. 314 c: oit^iy nwnox^ iyvi nsQl tovhov
ysygafpa orcT iati avyygafAfia IlXaitoyog
ovdiy ovV eatai, xd ^h vvy XeyofABva £to-
xQarovs iüxl xaXov xal viov yeyoyorog. Der
Titel Zwxgarixoi Xoyoi bei Aristot. Poet. 1;
Rhet. ni 16; PoUt. n 6; Ps. Plato epist. 9
p. 363 a; Ath. 505c; Diog. II 64; III 18.
*) Aelian V. H. VII 14 spricht richtiger
nur von Tanagra and Eorinth. Die Herein-
ziehnng der Schlacht bei Delion beruht
wohl auf Yerwechselnng des Piaton mit
Sokrates. Von seinem Kriegsdienst spricht
Plato auch bei Diog. II[ 24.
•) Nach dem 7. Brief p. 325 c brach er
die Beziehungen zu den Oligarchen ab, nach-
dem Sokrates von den Dreissig aufgefordert,
einen Bürger zum Tode abzuholen, sich dem
ungerechten Befehle widersetzt hatte.
*) Plat. Phaed. p. 59 b.
') Diog. II 106: nQof EvxXeidijy <pt^ir
6 *EQfi6d<ogog dq>ixio9tti üXdxiayn xai rorc
Xoinovs (piXoaotpovg ^era Xfjy ZttxQtrxovg r«-
Xevxijy deiüayxag xijy tofiortjxa xtiy xvQtiyym^,
üeber Xenophon in Megara s. oben § 246.
üeber Piatons Aufenthalt in Megara vergl.
noch Diog. III 6 und den 7. Brief p. 329 a.
') Theodoros ist einer der HaupttrSger
des Dialogs im Thefttet.
^) Noch genauere Kenntnis von Aegyptens
4. Die Philosophen, o) Piaton. (§ 300.)
425
Eine grössere Bolle in seinen Lebensgeschicken spielen die Reisen
nach Sikilien, wo damals die Dionysioi ebenso wie ehedem Hieron Philo-
sophen und Dichter an ihren Hof zu ziehen suchten. Dreimal besuchte
er die dreieckige Insel und Italien, worüber wir den besten Aufschluss
durch den 7. Brief erhalten, i) Zum erstenmal kam er dorthin, als er
nahezu 40 Jahre alt war, also um 388, in den letzten Zeiten des korinthi-
schen Krieges. Den Anziehungspunkt bildete gleich bei der ersten Reise
der König Dionysios von Syrakus, dessen Schwager Dion ein glühender
Verehrer Piatons und der sokratischen Philosophie war. Aber Piaton fand
bei seinem Freimut wenig Eingang am Hof. Von Dionysios dem spar-
tanischen Gesandten übergeben, soll er sogar Gefahr gelaufen sein, in
Aegina als Sklave verkauft zu werden.^) Die zweite Reise unternahm er,
durch denselben Dion veranlasst, bald nach dem Tode des älteren Diony-
sios (368) in der Hoffnung, den jungen König für die Philosophie und
seine politischen Ideale zu gewinnen. Aber als sich der König mit Dion
aus eifersüchtigem Argwohn überwarf und denselben vom Hofe verbannte,
musste Piaton froh sein, sich der peinlichen Lage durch Rückkehr nach
Athen entziehen zu dürfen. Gleichwohl liess er sich nochmals verleiten,
der wiederholten Einladung des jüngeren Dionysios Folge zu leisten und
zum drittenmal die Fahrt nach der Charybdis zu wagen (361/0). Aber
dieses Mal richtete er noch weniger aus; eine Aussöhnung des Königs
mit Dion vermochte er nicht zu erwirken und bei dem König und seinen
Generalen verleumdet, kam er selbst in Lebensgefahr, welcher er nur durch
Vermittelung seiner Freunde in Tarent entkam. Die politischen Absichten
des Philosophen bei seinen Reisen nach Syrakus scheiterten auf solche
Weise gänzlich, aber von dauernder Bedeutung waren die Verbindungen,
die er in Italien mit den Pythagoreern, besonders mit Archytas, anknüpfte.^)
Dieselben steigerten in ihm die Neigung zu mathematischen und physi-
kalischen Studien ^) und beeinflussten seine philosophischen Anschauungen
Weisheit zeigt Piaton im Timäas u. Ejitias ;
s. meine Plat. Stod. S. 55 (507) ff. Zusammen
mit Simmias aas Theben lässt ihn auf Grund
guter Quelle Plutarch De genio Socratis p.
578 f nach Aegvpten kommen. Da im 7.
Brief von der Reise nach Aegypten keine
Erwähnung geschieht, so haben Neuere die
ganze Reise angezweifelt. Uebertriebene
Vorstellungen von ägyptischen Einflüssen
hegten frälich die Späteren, wie Clemens
Alex. Strom. I p. 131; auch Strabon schon
p. 806 berichtet Fabelhaftes von einem ge-
meinsamen, 13 Jahre dauernden Besuche
der Stadt Heliopolis durch Flaton und Eu-
dozos. Lactantius Inst. IV 2 lässt den
Piaton auch zu den Magiern und Persem
reisen, was zweifellos erdichtet ist und auch
schon von Diogenes 3, 7 in Abrede gestellt
wird.
») Ausserdem Diog. HI 18 ff.; Plut.
Dion 10 ff.; Cornelius Nepos, Diu 3.
«) Diodor XV 7 zu 386 ; Ath. p. 507 b ; Diog.
111 19; Plut. Dio 5 u. de tranqu. an. 12. Der
7. Brief schweigt von jener Gefahr, üeber
seine glänzende anfängliche Aufnahme Pli-
nius n. h. VII 110; Hatani sapientiae anti-
stiti Dionysius tyrannus alias saevitiae sw
perbiaeque natus vittatam navem misit oh-
viatn, ipse quadrigis albis egredientem in
litore excepit. Üeber die Zeit S. 426 Anm. 5.
') Ueber den Ankauf der Schrift des
Pythagoreers Philolaos berichtet Hermippos
bei Diog. VIII 85 und Timon bei Gellius
III 17. Auch Sophron's Mimen lässt Diog.
III 18 von Piaton aus Syrakus nach Athen
bringen. Einfluss siki lischer Gelehrten zeigt
sich in seinen Angaben Über Theognis, s.
§ 100 u. 273.
^) Ueber die wahrscheinlich erdichtete
Aufschrift seines Hörsaales ,ii»/tfe(? dyeto-
fAixQrjxog eiali(a^ berichten David, Schol. in
Arist cat. 26 a 10, Philop. de an. D. 6, Tzetzes
Chil. VIII 972. Die berühmte Stelle Rep.
VIII p. 546 über die geometrische Zahl gibt
heutzutage noch den Mathematikern Rätsel
auf; s. CuRTZE, Jahrb. d. Alt. XII 3, 13 ff.
426
Qrieohisohe Litteratargeschiohte. I. Elassisohe Periode.
derart, dass in seinen späteren Schriften die Einfachheit der sokratischen
Lehre immer mehr gegen die Subtilität der Eleaten und die mystische
Spekulation der Pythagoreer zurücktrat, i)
801. Schulgründung. Der Dichter verlangt nach Hörern, die sich
an seinen Schöpfungen erfreuen, der Philosoph nach Schülern, die ihm und
seiner Lehre anhängen. Zur Zeit Piatons war zwar mit der grösseren
Ausdehnung des Buchhandels auch schon die Möglichkeit gegeben, durch
Schriften Anhänger für philosophische Lehren zu werben;*) aber die Haupt-
sache blieb doch noch der mündliche Verkehr des Meisters mit seinen
Schülern. Sokrates hatte sich nach der ganzen Anlage seiner Natur mehr
auf zwanglose, halb gelegentliche Gespräche mit jungen Männern be-
schränkt; Piaton ging wohl auch vom freien Verkehr mit einzelnen aus,
errichtete aber bald eine förmliche Schule, in der die Jünger sich regel-
mässig um den Meister scharten. Dazu wählte er den etwa 20 Minuten
vor dem Thore Dipylon gelegenen, mit Oymnasium und Parkanlagen aus-
gestatteten Platz, der von dem Heros Akademos den Namen Akademie
hatte. Daneben erwarb er einen eigenen Garten,') in den er sich zu
stilleren Studien und zu geselligen Zusammenkünften mit dem engeren
Ereis seiner Schüler zurückzog.^) Die Gründung der Akademie wird von
Plutarch, de exilio 10 mit der Rückkehr des Philosophen von seiner ersten
sikilischen Reise in Verbindung gebracht und fällt vermutlich in die Zeit des
antalkidischen Friedens (um 386/5).^) Bald drängten sich um den verehrten
Lehrer edle Jünglinge aus allen Teilen Griechenlands, daneben der Sage
nach auch eine wissbegierige Frau Axiothea aus Arkadien in Männer^
gewand.ö) An Rivalitäten mit anderen Schulen und Schulleitern, wie mit
dem Sokratiker Antisthenes und dem Rhetor Isokrates, fehlte es auch
nicht, zumal Piaton bei aller Idealität seiner Anschauungen doch im Ver^
kehr mit andern nicht frei von Eifersucht und Selbstüberhebung war. 7) Neben
') Die Zahlenlehre der Pythagoreer muss '
nach Aristoteles, Metaph. I 6 und Aristoxe-
nos, Harmon. p. 30 Meih. in den Vorträgen
des Piaton in seinen späteren Lehensjahren
noch eine viel grössere Rolle gespielt haben
als in seinen späteren Schriften; vgl. Trbn-
DELEMBDRO, Platonls de ideis et numeris doc-
trina, 1837.
») Beiehrend ist Plat. Apol. p. 26 d über
die Bücher des Anaxagoras.
«) Diog. III 5 u. 20; Plut. de exilio
10; vgl. Hermann S. 121.
*) In die Akademie oder die Schule
Piatons stiftete später Mithridates eine von
Silanion gearbeitete Statue des Piaton, auf
die wohl die sitzende Statue des Philosophen
und seine Büste (s. Helbio, Jahrb. d. arch.
Instit. I (1886) 71 ff. und Abbildung im
Anhang) zurückgehen. In dem Garten be-
fand sich seit alters ein Altai* der Musen
und die Gruppe der Chariten, worauf sich
die Erzählung bei Plutarch Coniug. praec. 28
stützt, dass Piaton dem Xenokrates geraten
habe, den Chariten zu opfern. Von den Sym-
posien in der Akademie rühmte man, dass
man sich nach ihnen auch am nächsten Tage
wohl fühle; s. Ath. 419 c und PJutarch
Sympos. p. 686 b. Vergl. Usbnbb, Organi-
sation der wissenschaftlichen Arbeit, in
Preuss. Jahrb. 1884; Wilamowitz, Phil, ünt
IV 283 ff.
6) Eusebios zu Ol. 97. 4 — 389/8: JPiatö
philosophu» agnoaeitur, was sich aber eher
auf die 1. Reise Piatons nach Sikiüeii be-
ziehen wird. Auf das 13. Jahr nach dem
Tod des Sokrates, also 387 6, führt die Notis
bei Strabon p. 806. Schwerlich hat mit der
Schulgründung etwas zu thun die Nachricht
des Eusebios zu Ol 101, 3 = 374/3: I^ato et
Xenofon necnon et alii Socratici clari haben-
tuvy die sich auf die Stelle irgend eines
Historikers bezogen haben wird.
•) Diog. III 46. IV 2; Themist. or. XXII.
Unter den Schülern nennt Plut. adv. Col.
auch den Chabrias und Phokion. Vgl. 8. 462
Anm. 4.
'') Gegen Antisthenes ist gerichtet der
Euthjdem, besonders p. 301 a und der So-
phistes p. 251, gegen Isokrates der Schlius
4. Die Philosophen, c) Platon.
301—302.)
427
dem Lehrberuf war es die schriftstellerische Aufgabe, die Piatons Zeit in
Anspruch nahm. Doch sollten seine Schriften keine gesonderte Stellung
neben seiner mündlichen Lehre einnehmen, sondern gewissermassen nur
Erinnerungen an gehaltene Gespräche und Vorträge sein. Nach einer
langen, ehrenreichen Thätigkeit, die ihn trotz seiner stillen Zurückgezogen-
heit nicht bloss mit auswärtigen Herrschern, sondern auch mit hervor-
ragenden Staatsmännern Athens, wie Chabrias*) und Timotheos,«) in Be-
ziehung brachte, starb er hochbejahrt im 81. Lebensjahre Ol. 108, 1 = 348/7.
Im Testament setzte er zum Erben sein Söhnchen {jTaiSfov) Adeimantos,
zum Testamentsvollstrecker 3 Männer, darunter seinen Schwestersohn
Speusippos, ein.
302. Schriften Piatons, dialogische Form. Die Schriften Pia-
tons') bieten zwei Seiten der Betrachtung, von denen die eine den Inhalt
und das philosophische System, die andere die Form und das litterarische
Verhältnis betrifft. Die erste tritt in einer Litteraturgeschichte natürlich
zurQck, die zweite muss um so sorgsamer besprochen werden, als unser
Philosoph zugleich der vollendetste Stilist gewesen ist und seine Dialoge
die litterarischen Verhältnisse des 4. Jahrhunderts am klarsten wider-
spiegeln. Das höhere Leben Attikas, den geselligen und geistig angeregten
Verkehr in den Hallen und auf den Spaziergängen, die zwanglos heitere
und geistreiche Unterhaltung bei den Trinkgelagen, die durch geistiges
Band zusammengehaltene Freundschaft der Jünger und Lehrer, kurzweg
die Glanzseiten des attischen und griechischen Lebens lernen wir durch
keinen Schriftsteller besser als durch Platon kennen. Alle seine Schriften
sind mit einziger Ausnahme der Apologie in dialogische Form gekleidet.^)
Diese Form ist keine von aussen hineingetragene, sondern eine natürliche
Wiedergabe der Art, wie Sokrates mit seinen Schülern verkehrte, weshalb
nicht bloss Platon, sondern alle Sokratiker dieselbe anwendeten. Es war
de« Enthjdein; über das gespannte Ver-
hiltnja zu Xenophon s. § 247. Vgl. Dionysios
epiat ad Pompeiam: ^y fiiy rg Jlkärioyog
fprcH itoXXag aQexdg i/ova^ t6 g>iJi6iifAoy,
Heftige Vorwürfe erhebt gegen Piatons Cha-
nkter Theopomp bei Ath. 508 c, Aristoxenos
bei Diog. III 37 nnd 57, besonders Hege-
Buder bei Ath. 507 a. Bei seinen Vortrftgen
begegnete ihm dasselbe, wie so manchem
tkädemischen Lehrer unserer Tage, dass
Hun die Mehrzahl der Schüler nicht bis zum
Schlüsse aashielt; siehe Aristoxenos Harm.
nso.
») Plut. adv. Col. 32.
*) Diog. III 23; über Beziehungen zu
den makedonischen Königen Archelaos und
Pbflippos spricht ungenau Ath. 506 e, womit
der 5. Brief Piatons zu verbinden ist.
') Hierüber unterrichten ausser den im
^Saag genannten Schriften Schlei bbmachbr
vnd SruvHAST in ihren üebersetzuflgen Fla-
VHS, SocHKB, üeber Piatons Schriften 1820;
SrsniHL, Die genetische Entwicklung der
pliton. Philosophie, 1855, 2 Bde.; Süikow,
Die wissenschaftliche u. künstlerische Form
der plat. Schriften 1855; Uebbrweg, Unter-
suchungen über die Echtheit und Zeitfolge
plat. Schriften 1861 ; Schaarscumidt, Die
Sammlung der plat. Schriften 1866; Zblleb,
Platon. Studien 1889; Bokitz, Plat. Studien,
8. Aufl. 1886; Teighmülleb, ütteraiische
Fehden des 4. Jahrhunderts v. Chr., Bres-
lau 1881 ff.; Christ, Plat. Studien, Abb. d.
b. Ak. 1885; Siebeck, Untersuchungen zur
Philosophie der Griechen, 2. Aufl. Leipz. 1888 ;
Fbrd. Hörn, Platostudien, Wien 1898. Eine
zusammenfassende Untersuchung in Aussicht
gestellt von Lutoslawski, wozu ein gut
orientierender Vorläufer Memoire sur une
nouvelle mithode pour d^ter miner la Chro-
nologie de Platon j in Comptes rendus de
Vacad. frang. 1896. Das grössere Werk im
Erscheinen unter dem Titel Origin and
growth of Piatos logic, London.
*) ScHLOTTMAKN, Ars dislogorum com-
ponendorum quas vicissitudines apud Grae-
cos et Romanos subierit, Rostock 1889 ; Run.
HiRZEL, Der Dialog, Leipzig 1895 I 174—271,
428 Grieohiaohe Litteratargesohichte. I. Elassisohe Periode.
ihnen der Stempel dieses ihres Ursprungs geradezu aufgeprägt, indem sie
in der Überschrift den Titel StoxQanxol loyoi führten. Es ist aber auch
zugleich die dialogische Form in der Auffassung Piatons vom Wesen des
Wissens und in seiner ganzen Lehrmethode tiefinnerlich begründet. Das
Denken war ihm eine Zwiesprache der Seele mit sich selbst,^) und nur
auf ein mit Einsprache und Gegenverteidigung, d. i. mit dialektischer Kunst
erworbenes Wissen legte er Wert. Er ist mit dieser Form der echteste
Vertreter hellenischer Philosophie und attischen Geistes geworden; die Ab-
neigung der Griechen gegen einsame Abgeschlossenheit und der demo-
kratische Anspruch der Athener auf das sprichwörtliche ^iByx i^s'yxov ver-
schafften von vornherein einer Philosophie Eingang, in der die Sätze nicht
in langer, salbungsreicher Rede de tripode verkündet, sondern in dialek-
tischem Zwiegespräch entwickelt waren. Ob Piaton der erste war, der
philosophische Dialoge schrieb, ist zweifelhaft,^) aber jedenfalls hat er dem
Dialog durch anschauliche Schilderung der Scenerie,') feine Zeichnung der
Charaktere, scharfsinnige Entwicklung der Begriffe, lebensvolle Frische im
Fortgang des Gespräches jene Vollendung gegeben, die seitdem ebenso-
wenig wie die Erzählungskunst des Homer von irgend jemanden erreicht
worden ist.^) Neider haben ihm vorgeworfen, er habe in seinen Dialogen
die Mimen des Sophron kopiert ;^) aber dem gegenüber hat Zeller einfach
auf die Stelle des Aristoteles Poet. 1 verwiesen, wo die totale Verschieden-
heit jener beiden Arten von Dialogen ausgesprochen ist. Übrigens ver-
steht es sich von einem Manne, wie Piaton, der sich nicht von einem
krankhaften Streben nach Originalität leiten Hess, von selbst, dass er auch
von andern gelernt und nicht umsonst die Mimen des Sophron gelesen hat
In den 50 Jahren seiner philosophischen Lehrthätigkeit blieb sich
Piaton in der Art der dialogischen Form ebensowenig gleich, wie im In-
halt der Lehre und der Methode der Forschung. Mit zunehmendem AJter
und zunehmender Annäherung an die italische Philosophie büsste er auch
an Fertigkeit lebensvoller Darstellung ein. Im Parmenides, Sophistes,
Politikos entbehrt der Dialog des Zaubers individueller Zeichnung der
Sprechenden, und in dem Timaios und den Gesetzen überwiegt so sehr
*) Soph. 263e, Phaedr. 276 e.
2) Diog. III 47 und Proleg. in Plat. 5
nennen als Vorgänger die Eleaten Zenon
und Farmenides, wahrscheinlich irrtdmlich.
Derselbe Diogenes II 122 lässt den Sokra-
tiker Simon die ersten sokratischen Dialoge
geschrieben haben. Aristoteles hcqI -noirjxmv
bei Diog. III 48 u. Ath. 505 c bezeugt, dass
die Dialoge des Teiers Alexamenos (Hirzel,
Der Dialog I 100 f.) ebenso wie die Mimen
des Sophron vor die sokratischen fallen.
Schon in der um 425 geschriebenen Schrift
über den Staat der Atibener zeigt sich der
Einfluss, den die Uebung der Philosophen
und Sophisten, einen Gegenstand im Gespräch
nach zwei Seiten zu erörtern, gehabt hatte;
*) Tbikbsoh, üeber die dramatische Natar
der plat. Dialoge Abh. d. b. Ak. 1837. Die
genaue Zeichnung der Zeitverhältnisse hin-
derte ihn aber nicht, sich ttber die Zeit, in
der das Gespräch spielt, bei Nebenbemer-
kungen wegzusetzen. So ist im Protagorms,
der zu Perikles' Zeiten spielt, die Aufführnng
der Wilden des Pherekrates erwähnt p. 327 d\
wiewohl dieselben 9 Jahre nach Perikles*
Tod zur Auffnhrung kamen. Ueber die Zeit-
Yerst(Vs8e im Menexenos siehe unten; vgl.
Zbllbr, üeber die Anachronismen in den
plat. Gesprächen, Abhdl. d. Berl. Ak. 1873;
UiBZBL, Der Dialog I 181 ff.
*) Plut Cic. 24: noXXd cT avrov xcri
anofAyrjfAoyBvovaiy^ oioy mgl ttay flXatm^^of
vergleiche auch die Methode des Prota- ^laioytoy tog tov JiSg, ei Xoy^ /^>7^9ac ni-
goras bei Diog. 9, 51 und Thukydides 5, < fpvxsy, ovtio dtaXeyofiiyov,
85—113. ; 5) Diog. m 18.
4. Die Philosophen, c) PUton. (§ 302.) 429
bereits der Lehrton zusammenhängender Darstellung, dass die Beibehaltung
des Dialoges nur noch als eine lästige Fessel erscheint. Nach einer
anderen Seite ist Piaton in früheren Jahren von den einfachen, direkt be-
ginnenden Gesprächen mit 2 bis 3 Sprechenden zur verschlungeneren Ge-
staltung des Dialoges durch Heranziehung mehrerer Personen (6 im Phai-
don, 9 im Protagoras) ^) und Einschachtelung des Hauptgespräches in ein
einleitendes Gespräch übergegangen. Die letzte Form hatte etwas Kom-
pliziertes, ward aber von Piaton gewählt, um die Art zu veranschaulichen,
wie das Andenken an die Gespräche des weisen Sokrates in den Kreisen
der Sokratiker sich erhielt und Verbreitung fand ; sie gab ausserdem dem
Aator die Möglichkeit, über die das Gespräch begleitenden Umstände, wie
80 einzig schön im Phaidon, zu referieren. Aber in rein dialektischen
Gesprächen mussten die stets sich wiederholenden ^9);, r; d* og, 6 dsira
Überdruss bei den Lesern erwecken, weshalb sich Piaton später erlaubte,
auch wenn er erst nach einer scenischen Einleitung das Gespräch beginnen
liess, dasselbe gleichwohl in direkter Form vorzuführen. Zuerst that er
dieses im Theätet, in dessen Eingang p. 143 c er sich ausdrücklich dieses
Fortschrittes rühmt. Von weitertragender Bedeutung war der Versuch
nach Analogie der di*amatischen Trilogien und Tetralogien 3 und 4 Dia-
loge durch den Fortgang der Untersuchung zu einem grossen Ganzen zu
verbinden, wie er es in Theaitetos Sophistes Politikos,*) Politeia Timaios
Kritias gethan hat. Piaton ist auf diesen grossartigen Gedanken erst in
semen späteren Jahren gekommen, hat aber dann die trilogische Ver-
knüpfung auch äusserlich dadurch, dass er eine Kontinuation der Scene
des Gespräches in den Einleitungen herstellte, so deutlich zum Ausdruck
gebracht, dass dieselbe schon den alten Erklärern und Herausgebern nicht
entgehen konnte. Diese sind aber dadurch auf lächerliche Abwege ge-
raten, dass sie nun alle Dialoge Piatons zu Trilogien und Tetralogien zu
vereinigen suchten und selbst, damit die Rechnung glatt aufgehe, die
Briefe mit irgendwelchen Dialogen zu einer Trilogie oder Tetralogie zu-
sanunenkoppelten. >)
') \m Alter kehrte er in dialektischen I nftmlich: \) Ev&vq>Qtay, 'AnoXoyia, Kgiitavy
I^itlogen wieder zn einer kleineren Zahl von 1 *ffi<faiK, 2j ÄC^arrAoc, ©««ctj^io^, £o<fiüiiji,
sprechenden snrfick, wie za 3 im Philehos. | noXiTixos^ 3) JlaQfieyiätjg, ^iXrjßoq, £v/4n6~
aioyj 4'ai^Qog, 4) AXxißid6rjg a, 'jXxtßid^tjg
ß', "Innagxog, '^yzegaaraly 5) Seäytjg, Xuq-
fiidrjg, A"XV^> Avctg, 6) EvSvdrjfAog^ IlQiOTtt'
yoQag, Vogylag, Meywy, 7) 'Inniag fABi^iay^
'Inniag eXtirtuy, *'lü}y, M^yi^evog, 8) KXbi.xo-
(f(6y, UoXueltt, TifKuog, KQulag, 9) Mlytag^
Nofioh, 'Eniyofiigj ^Eniaio'kui, Die Zusammen-
fassung der kleineren Dialoge zu einer Gruppe
hatte wahrscheinlich im Buchhandel ihren
Ursprung, indem man z. B. Apologie, Eriton
und Euthyphron leicht in 1 Rolle zusam-
menschreiben konnte. Ueber die tetralo-
«ylw oder vielmehr sein vermutlicher Ge- gische Anordnung des Derkyllides haben wir
vilinmann Tynumion (so üsener Nachr. d. ' eine Andeutung bei Varro de ling. lat. VII
G^ Ges. 1892 8. 212) brachte alle Schrif- | 37. Näheres geben meine Platonischen Stu-
^1 zum Teil unter Anlehnung an alpha- | dien S. 5 ff.
^«ittcfae Reihenfolge, in Tetralogien unter, ,
') Zu diesen 3 Dialogen beabsichtigte
I'tstoii noch einen vierten ^iXoaotpog zu
flisen, kam aber nicht zur AusfQhrung des
Pünes. Ebenso sollte auf den Ejitias noch
ün Hermokrates folgen.
') Aristophanee von Byzanz stellte nach
l^og- III 61 folgende fOnf Trilogien auf:
Ij OoiUrefct, TifJMog, Kq^xlag, 2) £o<piattjg,
ffo^rratoV, KQtttvXog^ 3) Nofioi, Miytagy 'Etii-
'•^*V, 4) Ssaitrjtog, Ev&vipgay, 'AnoXoyla,
5) Xf(>»#', ^ttidwy, 'EriKTToXai. Die fibrigen
fbhrte er nur einzeln auf. Thra
430
Griechische Litteratnrgeaohichte. I. Klassische Periode.
Zahl und Chronologie der Schriften. Unter Piatons Namen
sind auf uns gekommen ausser poetischen Kleinigkeiten 42 Dialoge,
13 Briefe und eine Anzahl von Definitionen {oqoi). Es sind das fdle
Werke, welche das Altertum von Piaton kannte. Es zirkulierten aller-
dings daneben schon zu Aristoteles Zeit Begriffszergliederungen {diaiQiceiq)^
aber das waren Aufzeichnungen von Schultibungen, welche Piaton selbst
nicht zur Veröffentlichung bestimmt hatte. ^) Auch unter den Dialogen
und Briefen befinden sich nicht wenige, welche dem Piaton fälschlich
untergeschoben worden sind. Von den Dialogen wurden 7 schon von den
Alten als unecht (rd,>o/) bezeichnet;*) in unserer Zeit ist namentlich durch
deutsche Kritiker noch von vielen anderen Dialogen die Echtheit ange-
fochten worden, aber nur zum kleineren Teil mit durchschlagendem Erfolg.')
Bei der grossen Anzahl platonischer Dialoge schaut man sich selbst-
verständlich nach einem Prinzip der Anordnung um. Eine alphabetische
Ordnung wäre allerdings hier wie sonst die einfachste ; aber ihr schlecht-
hin zu folgen, hiesse auf die wichtigsten Seiten philologischen und philo-
sophischen Erkennens verzichten. Man wünscht zu wissen, zu welcher
Zeit die einzelnen Schriften entstanden sind, und hat bei einem Philo-
sophen noch die höhere Frage zu lösen, in welchem Verhältnis die ein-
zelnen Schriften zu einander stehen, und welche Stellung sie im Ganzen
des philosophischen Systems einnehmen. Hinsichtlich der Zeit gilt es vor
allem, die beiden Hauptgrenzen, Anfang und Schluss der litterarischen
Thätigkeit Piatons abzustecken. Bezüglich des ersteren Punktes beginnt
jetzt immer mehr die Ansicht des Engländers Grote durchzuschlagen, dass
keiner der Dialoge vor dem Tod des Sokrates (399) abgefasst sei. Es
war ja auch in der Rücksicht auf den verehrten Lehrer begründet, dass
der Schüler nicht zu Lebzeiten des Lehrers Gespräche, die dessen Eigen-
tum waren, veröffentlichte, oder gar Dialoge, in denen demselben fremde
Gedanken untergelegt waren, für sokratische Gespräche {loyoi SwxQauxoi)
ausgab. Aufzeichnungen, private, mochten sich immerhin schon zu Leb-
zeiten des Meisters einzelne Schüler machen, aber diese dürfen mit den
für die Öffentlichkeit bestimmten Dialogen nicht verwechselt werden. Indes
haben wir allerdings Überlieferungen aus dem Altertum, die auf ein früheres
^) Solche diaiQsaeig sind erhalten bei
Diog. III 80—109. Die Zergliederungen,
welche Piaton der Veröffentlichung wert hielt,
stehen im Sophistes und Politikos; s. meine
Plat. Stud. 30 ff. und Zeller IP 1, 437 ff.
*) Ausser den diaXoyov vo^evofABvov
{'JHoxo^, TtSQi dixttiov, negl aQBrfjg, Jfjjuo-
&oxog, £iavq)ogy 'Egv^iag^ 'JkxvtJy) wurden im
Altertum noch angezweifelt die 'JyTSQaatttl
von Thrasylos bei Diog. IX 37, die Epinomis
bei Diog III 37, der Hipparch bei Aelian
V. H. Vlll 2, der zweite Alkibiades bei
Ath. 506 c; s. Hebmaiw, Plat. Phil. 413 ff.
Noch weiter scheint in der Athetese Proklos
nach Olympiodor s Proleg. gegangen zu
sein, worüber Freudenthal, Hermes 16,
201 ff
•) Am weitesten ging in der Mam'e der
Unechtheitserklfimng Ast; am konservativ-
sten ist der Engländer Grote; eine Orien-
tierung über die Unechtheitsfrage gibt Schaar-
8C1IMIDT, Die Samml. der piaton. Schriften
S. 15-60; Zbllbr, Gesch. d. Phil. II», 388 ff.
Die unechten Dialoge mCLssen in der nächsten
Zeit nach Piaton von Nachahmern und pjtha-
goreisierenden Schülern ausgegangen sein.
Denn dem Aristophanes Byz. lagen bereits
unechte Dialoge, wie die Epinomis vor.
Wichtig ist die Nachricht von einem Handel
des Platonikers Hermodoros mit Dialogen
Piatons bei Zenobios V 6: Xoyoiaiv tl^f^o-
d(OQoq ifinoQSverai ' 6 ^E^fdodeogog axQOtetijg
ysyovB RXfixtovog xal xovg vn* «vtov avvte^
&B(,fjLiyovg Xoyovg {XoyiCfiovg codd.) xofilZuiy
eig IixeXlay inaiXet.
4. Die Philosophen, c) Piaton. (§ 303.)
431
Hervortreten Piatons hinweisen : so erzählt Diogenes III 35, Sokrates habe
sich, als er den Lysis unseres Piaton gelesen, verwundernd über die ihm
in den Mund gelegten Reden geäussert ;i) das ist aber wahrscheinlich nur
die Erfindung eines geistreichen Mannes, der auf solche Weise seiner
eigenen Verwunderung über die freie Zeichnung des Sokrates Ausdruck
gab. Wenn neuere Gelehrte noch weiter gegangen sind und selbst den
Phaidros und Protagoras vor 399 gesetzt haben,*) so beruht dieses auf
totaler Verkennung der allmählichen Entwicklung der Darstellungskunst
und der philosophischen Erkenntnis Piatons. Auf der anderen Seite hat
Piaton erst sterbend die Feder aus der Hand gelegt ; das sieht man daraus,
dass er die Gesetze und den Kritias unvollendet hinterliess und zur Ab-
fassung der geplanten Dialoge Philosophos und Hermokrates nicht mehr
gekommen ist. Bei den einzelnen Dialogen ist die Zeit, in welche das
Gespräch gesetzt ist, und die, in welcher dasselbe niedergeschrieben
wurde, wohl zu unterscheiden. Hier interessiert uns zunächst die letztere,
aber leider stehen uns zur Feststellung derselben nur sehr wenige An-
haltspunkte zu Gebot. Wenn wir sagen, dass Apologie, Kriton und Phai-
don nach dem Tode des Sokrates (399), Menon nach 395, Symposion
bald nach 385, Nomoi und Timaios nach der Politeia, Sophistes und Po-
litikos nach dem Theätet, Theätet nach 392, Euthydem nach dem Phai-
dros geschrieben sind, so ist das so ziemlich alles, was man mit Zuver-
sicht behaupten kann. Um so mehr hat man in unserer Zeit die anderen
Anhaltspunkte beachtet, welche der Nachweis eines allmählichen Ausbaus
des philosophischen Systems, 3) der Wechsel in der Gesprächsform,*) end-
lich die teils bewussten, teils unbewussten Wandelungen im Wortgebrauch
und Stil an die Hand geben. ^) Ist auch hier noch vieles problematisch
^) Eine ähnliche Geschichte enählt Ath.
505 e Yon einer AeuiSBerung des Rhetors Gor-
gias aber die ihm im gleichnamigen Dialog
zugewiesene Rolle, und ebenso von Phaidon
in gleicher Sache.
*) Ueber Protagoras Hebmann, Plat. Phil.
8. 452 u. Anm. 323, Qber Phaidros Usener
Rh. M. 35, 181 ff.; dagegen meine Piaton.
Stud. 49 f. Den Protagoras und Gorgias
I&sst vor Sokrates Tod auch Berok, Gr. Litt.
IV 489 geschrieben sein.
') Diesen Gesichtspunkt vertrat haupt-
sächlich Schleiermacher, wonach Piaton sein
alB Ganzes ihm vorschwebendes System all-
mählich in seinen einzelnen Schriften auf-
gerollt habe, so dass alle zusammen eine
zusammenhängende Reihe bildeten, in welcher
der Anfang des folgenden Dialoges an das
am £nde des vorausg^angenen festgestellte
Resultat anknüpfe. Diese grossartige, In sich
geschlossene Auffassung trägt der gelegent-
lichen SchriftsteUerei und der allmählichen
Geistesentwicklung Piatons zu wenig Rech-
nniig. Ihr gegenüber vertritt C. Fr. Hermann
den historisch-kritischen Standpunkt.
*) Vergl. oben § 302 und Munk, Die
natürliche Ordnung der plat Schriften 1857;
Schöne, Piatons Protagoras 1862; Teich-
mOllbr, Litterarische Fehden des 4. Jahrb.,
im 2. Bde.
^) Der Gebrauch einzelner Paitikeln ist
zum Ausgangspimkt genommen von Ditten-
bergbr, Die Cnronologie der plat. Dialoge, .
Herm. 16, 321—45; Schanz, Zur Entwick-
lung des piaton. Stils, Herm. 21, 439—459.
Schon vor beiden hatte den gleichen Weg
beschritten Campbell in Introduction seiner
Ausg. des Sophistes und Politikos (dazu
Ausg. der Politeia vol. II 46 ff.). Weiter
verfolgten die Frage Ritter, Untersuchungen
über Plato 1888; Siebeck, Zur Chronologie
der platonischen Dialoge, in Unters, zur
Phil. d. Griechen S. 107—151 u. 253—274;
GoMPERz, Plat. Aufs. Stzb. d. W. Ak. 1887 in
II 751 ff. und Ztschr. f. Phüos. 109, 161 bis
76; V. Arnim, De Piatonis dialogis quae-
stiones chronologicae, Progr. Rostock 1896/7.
Eine gute Orientierung gibt Lütoslawski,
Sur une nouvelle m^thode pour döterminer
la Chronologie des dialogues de Piaton, Paris
1896. Vieles ist in diesen statistischen
Untersuchungen unsicher und trügerisch ; be-
achtenswert ist namentlich das spätere
Hervortreten von ti fjn^y, ye fxrjv, xal (Arjv^
und der Gebrauch von ovxios im Philebos,
Politikos, Timaios, Nomoi, Sophistes, hin-
432 Grieohisohe Litteratargesobichte. I. Elassisohe Periode.
geblieben, so haben sich doch allmählich starke Umwälzungen in den An-
sichten der Gelehrten vollzogen, und braucht man jetzt nicht mehr ganz
an der Lösung des grossen Problems der Chronologie der platonischen
Dialoge zu verzweifeln.
304. Arten der Dialoge. Nach dem Charakter der Untersuchung
hat man bereits im Altertum die Dialoge in verschiedene Klassen ein-
geteilt. Schon Aristot. Met. III 2 macht, wahrscheinlich nach den Tradi-
tionen der Akademie, einen unterschied zwischen dem prüfenden {nsiga"
auxrj) und erkennenden (yrcö^/CT/xj;) Teil der Philosophie. Zu jenem ge-
hören die vorbereitenden und dialektischen Dialoge, in denen eine Be-
griffsbestimmung oder ein anderes philosophisches Problem nach allen
Seiten, meistens ohne positives Ergebnis erörtert wird. In späterer Zeit
hat man nach Diog. III 49 diese Dialoge ^tjxrjuxoi genannt, und innerhalb
derselben wieder didkoyoi yv^vaaxixoi und aywviatixoi unterschieden. Der
zweite, erkennende Teil der Philosophie gibt die positiven Resultate des
philosophischen Denkens und liebt mehr den lehrhaften, zusammenhängenden
Vortrag. Nach dem Inhalt wurde innerhalb der yvaxftixi} (piXotro^ia wieder
eine Teilung in physische, logische, ethische und politische Dialoge vor-
genommen. — Da man durch Prüfung zur Erkenntnis kommt, so dürfen
wir im allgemeinen die prüfenden Dialoge, wie Lysis, Laches, Menon, der
früheren Periode des Philosophen, die positiven, wie Politeia, Timaios,
Nomoi, der späteren Zeit gereiften Denkens zuschreiben. Aber ein Philo-
soph hört nie auf, den Prüfstein an seine Sätze zu legen, und so darf es
uns nicht wunder nehmen, wenn uns auch in späteren Werken Piatos, wie
im Sophistes und Politikos, dialektische Untersuchungen begegnen. Auf
der anderen Seite bricht auch schon bei der prüfenden Voruntersuchung
eine Ahnung des lichtumflossenen Glanzes der Schlussresultate durch, und
so thut sich uns auch bei Piaton schon im Phaidros, wiewohl derselbe zu
den Jugendwerken zählt, der ganze Himmel der Ideenwelt auf. Ausser-
dem entzog sich Piaton, ein so selbständiger Denker er auch war, doch
nicht ganz dem Einfluss, den andere Denker zu verschiedenen Zeiten auf
ihn ausübten; infolge dessen treten die Gegensätze sokratischer, megari-
scher, pythagoreischer Anschauung in seinen Schriften fast noch schärfer
hervor als die Unterschiede prüfender und erkennender Methode. Endlieh
gegen von rw o^ri in Apol., Enthyphro,
Gorg , Lach., Lya., Protag., Symp., Phaedo.
Mit dem Gebrauch der Partikeln steht in
Einklang, wie zuerst Blass beobachtet hat,
das seltene Vorkommen des Hiatus in
Nomoi, Pbilebos, Timaios, Eritias, Sophistes,
Politikos, während in der ersten Klasse
der Dialoge noch keine durchgreifende Ab-
neigung gegen den Hiatus erkenntlich ist. —
Die höheren Seiten des Stils bieten wem'ger
Ausbeute für die Chronologie der Dialoge;
in Betracht kommen besonders die Mythen
und Gleichnisse. Im allgemeinen liebte Pia-
ton Mythen vornehmlich in seinen späteren
und dogmatischeren Schriften. Der erste
246 ff.; der Mythus im Goi^iias p. 523 ist
klein und bewegt sich noch ganz in dem
überlieferten Volksglauben; der im Menon
p. 81 besteht nur in der Wiedergabe einer
pythagoreisch gefärbten Stelle Pindars; auch
der Mythus im Protagoras p. 320 von Pro-
metheus und Epimetheus schliesst sich noch
eng an den Volksglauben an und wird oben-
dfein, indem er dem Protagoras in den Mund
gelegt wird, als Manier dieses Sophisten
bezeichnet. Von den grossen Mythen in den
späteren Dialogen (Symp. 189 u. 203, Rep.
414 u. 614, Polit. 269, Tim. 21, Leg. 718.
Critias 110 ff.) ist besonders der im Poli-
tikos beachtenswert, da man einen solchen in
grössere Mythus findet sich im Phaidros p. | einem dialektischen Dialoge nicht erwartet.
4. Die PhiloBophon. c) Piaion. (§§ 304—305.) 433
war unser Philosoph als Dichter unter den Philosophen auch Gelegenheits-
schriftsteller, der nicht immerfort in der Weise eines Eathederphilosophen
an seinem System arbeitete, sondern auch über Dinge, die ihm gelegent-
lich in den Weg traten, seine Gedanken aussprach. Indem daher auch
wir nicht einseitig einem einzigen Gesichtspunkt folgen, zählen wir unter
Beachtung der Zeitfolge und des inneren Zusammenhanges in nachfolgender
Gruppierung seine Werke auf.
3()5. Kleinere Dialoge im sokratischen Geiste (vor den Reisen).
Ohne filr die zeitliche Folge innerhalb dieser Klasse einstehen zu wollen,
stelle ich die Dialoge und Schriften voran, die sich an das tragische Ge-
schick des Sokrates anschliessen :
^Anoloyia, Verteidigungsrede des Sokrates gegen die Anklage des
Anytos, Lykon und Meletos. Die Rede zerfällt in 3 Teile, nämlich:
1) eigentliche Verteidigungsrede vor den Richtern, 2) Rede über die Pro-
zessschätzung oder das Ausmass der Strafe, 3) Anrede an die Richter nach
der Abstimmung. Die Verteidigung ist ohne rednerisches Pathos, aber mit
unübertroffenem Ethos in jener schlichten Einfachheit durchgeführt, welche
der beste Beweis des reinen Gewissens ist. Der sokratische Charakter
zeigt sich zumeist in den eingeflochtenen Zwiegesprächen, in denen Sokrates
den Politikern, Dichtern und Gewerbsleuten beweist, dass sie sich wohl
einbilden etwas zu wissen, thatsächlich aber nichts wissen. Die Schrift,
die jedenfalls erst geraume Zeit nach dem Tode des Sokrates verfasst
wurde ^) und nur in freier Weise die Art, wie sich Sokrates vor seinen
Richtern verteidigte, wiedergeben wollte, steht mit der Litteratur, die sich
über die Berechtigung der Verurteilung des Sokrates einige Jahre nach
seinem Tode entwickelte, in Zusammenhang. In der Sache hatten sich
der Sophist Polykrates, der im Jahre 393 eine Rede gegen Sokrates
schrieb,^) und der Rhetor Lysias, der für Sokrates eintrat,^) später auch
Xenophon in seiner Apologie und in seinen Denkwürdigkeiten des Sokrates
hören lassen. Plato wollte wohl in seiner Apologie, wenn anders dieselbe nach
der Anklagerede des Polykrates geschrieben ist,^) den Redekünsteleien des
Lysias gegenüber zeigen, welche Art der Verteidigung dem Charakter des
edlen Meisters angemessen war ; dieselbe ist jedenfalls nicht lange vor 393
abgefasst worden.
Kgfroiv, Dialog des Sokrates mit seinem Freunde Kriton im Gefängnis
zur Rechtfertigung seiner leicht als Starrköpfigkeit zu deutenden Weigerung,
durch Flucht sein Leben zu retten ; herrlich ist die Figur der redend ein-
geführten Gesetze. Der Apologie wird p. 45 b ausdrücklich gedacht. Nach
Diogenes II 60 und III 36 war es nicht Kriton, sondern Aischines, der
*) Das geht aus p. 48 c hervor.
*) Diog. n 39 setzt die Rede des Poly-
krates 6 Jahre nach Sokrates Tod, da darin
der Wiederaufbau der Mauern Athens durch
Konon erwfthnt war. Die Rede des Polykra-
tes erwähnen ausserdem Isoer. Bus. 4;
Quint. n 17, 4; Aelian V. H. XI 10. Die-
selbe hat noch der Rhetor Libanios in seiner
«) Cic. de or. I 54, 231; Diog. II 40;
Quint. II 15, 30; Val. Max. VI 4. Irrtüm-
lich wird hier nach einer gemeinsamen
Quelle die Sache so dargestellt, als ob So-
krates selbst die Rede als unpassend zurück-
gewiesen habe; vergl § 265 u. 247.
*) Schanz in seiner Ausgabe S. 100
Ifisst folgen: Apologie des Plato, Apol. des Xe-
Apologie des Sokrates benutzt. l nophon, Rede des Polykrates, Rede des Lysias.
Handbneh der kla«. AUertnmawiMenschaft. vn. 3. Aufl. 28
434
OrieohiBohe LiiieratargeBohiohte. I. ElMwiBohe Periode.
dem Sokrates zur Flucht riet, wozu es auch stimmt, dass Piaton selbst
im Phaidon p. 115 d den Kriton Bürgschaft für das Verbleiben des Sokrates
leisten lässt. Mein Freund Meiser (Abhandlungen aus dem Gebiet d. kl.
Alt. zu Ehren Christ S. 5 ff.) wagt daraus den Schluss zu ziehen, dass
unser Dialog Kriton nicht von Piaton herrühre. Vergleiche dagegen
Hirzel, der Dialog I 192.
Evd^vipQüJv fällt, was die Abfassungszeit anbelangt, nach den beiden
zuerst genannten Schriften, der Scenerie nach vor dieselben. Die Scene
führt uns nämlich vor die Halle des Archen Basileus, wo Sokrates, im Be-
griffe sich vor dem Archen zu verteidigen, mit Euthyphron zusammentrifft,
der dort eine Klage gegen seinen eigenen Vater wegen Tötung eines Tag-
löhners anbringen will. Das führt zur Erörterung des Begriffes der Fröm-
migkeit {eiaäßeia)^ wobei Euthyphron der unklaren Vorstellung von dem,
was fromm und gottgefällig {taiov xai Bvaeßtq) ist, überführt wird. Der
Dialog endet ohne positives Resultat. Er ist von den Grammatikern an
die. Spitze der Tetralogie Euthyphron, Apologia, Kriton, Phaidon gestellt
worden, weil er das tragische Drama vom Tode des Sokrates eröffiiet
und weil der Erörterung des Göttlichen die erste Stelle zu gebühren schien.^)
Avaiq ist nach einer unverlässigen Überlieferung bei Diog. III 35
noch zu Sokrates Lebzeiten geschrieben. Der Dialog voll jugendlicher
Schönheit und mit reichem mimischen Beiwerk, spielt in einer Palästra
und handelt, an die Liebe des Hippothales zu dem schönen Lysis an-
knüpfend, von der Freundschaft {nsgii <fihaq), oder genauer von der Art,
wie man mit seinem Liebling {naidixd) umgehen soll, um seine Liebe zu
gewinnen und ihn zugleich sittlich zu veredeln. In echt sokratischer
Weise endet das Gespräch so, dass Lysis und Menexenos von ihren Päda-
gogen abgerufen werden, noch ehe der Begriff der ifiKa festgestellt ist.
Die Liebe war bei Sokrates und Piaton, die mit ihren Schülern durch das
Band inniger Freundschaft und Liebe sich verbunden fühlten, ein Lieb-
lingsthema, auf das Piaton nochmals im Phaidros und im Symposion zurück-
kam und das Sokrates auch bei Xenophon, Mem. II 6 mit Kritobulos be-
spricht.*)
XaQuiirjg, in der erotischen Einkleidung nahe mit Lysis verwandt,
behandelt das Thema der Sittsamkeit {a(a<fQoavvrj) und dient zugleich zur
persönlichen Erinnerung an den liebenswürdigen Charmides und den be-
redten Kritias, mütterliche Vorwandte des Piaton, die im Kampfe gegen
den zurückkehrenden Demos gefallen waren (403), sowie an den Leiter
des Gesprächs, Sokrates selbst. Denn der Dialog beginnt mit der be-
geisterten Aufnahme, welche der vom Feldzuge gegen Potidäa (422) heim-
kehrende Sokrates bei seinen Freunden, namentlich dem wie verrückt auf
ihn losspringenden Chairephon fand. Im eigentlichen Dialoge werden ver-
schiedene Definitionen der (rw^Qoavvyj aufgestellt und nacheinander zurück-
gewiesen; die letzte und oberste, dass das awtfgorsTv auf Wissen beruhe
und mit dem yrwd^ir aavxov zusammengehe, entspricht der von Xenophon
») Nach Xen. Mem. IV 6, 2: nQtaxoy
«) Nach Vol. Hercnl. VI 112 und 96
schrieb der Epikureer Eolotes n^g roy
JlXdtwyog Avüiv und n^oi roy Hläimyo^
Ev&vdi]fÄoy,
4. Die PhüoBophea. o) Plaion. (§ 306.) 435
Mem. III 4 aufgestellten Lehre des Sokrates, aber auch diese kommt nicht
zum Abschluss, so dass schliesslich Eritias nur dem Gharmides empfiehlt,
sich auch ferner ganz der Unterweisung des Sokrates hinzugeben.^)
Acix^i^; ij ^€Qi avdqeiac. Das Gespräch schliesst an die Schauauf-
führung eines Fechtmeisters an, zu der Lysimachos und Melesias die Feld-
herm Laches und Nikias eingeladen hatten, um ihren Rat darüber zu er-
holen, ob sie ihre Söhne Aristeides und Thukydides in dieser Kunst sollten
unterweisen lassen. In die Beratung zieht Laches den Sokrates herein, dessen
tapferer Beteiligung an der Schlacht von Delion (424) mit Ehren gedacht
wird. Wie in allen Xoyoi neiQaanxoi werden mehrere Definitionen der
arSQ€ia versucht; auch die von Laches aufgestellte, die Tapferkeit sei das
rechte Wissen vom Gefährlichen und Sicheren, führt zu keinem festen
Resultat, so dass zum Schluss Laches nur den Rat erteilt, die Söhne dem
Sokrates zur Unterweisung zu übergeben. — Die Jünglinge haben ihrem
Lehrer keine Ehre gemacht, indem insbesondere Aristeides später von
Piaton selbst (Theaetet 150®; vgl. Theag. 130**) als einer geschildert wird,
an dem die guten Lehren keine Früchte getragen haben.
^Inniaq iXdxTwv, der einfachste und unbedeutendste Dialog Piatons,
vielleicht auch der älteste. Seine Echtheit wird angezweifelt von Ast, ist
aber durch das Zeugnis des Aristoteles, Met. Y 29 geschützt. Das Ge-
spräch knüpft an einen Vortrag des Sophisten Hippias über Homer an,
indem Sokrates die Frage aufwirft, ob Achill oder Odysseus der tüchtigere
sei. Sokrates tritt für Odysseus ein, weil er mit Wissen lüge (ipsvöetai).
Der Dialog endigt ohne Einigung der Sprechenden, hebt aber die sokratische
Fragemethode im Gegensatz zur epideiktischen Prunkrede der Sophisten
hervor. Ein ähnliches Verhältnis zwischen dem Thun mit Wissen und
Thun ohne Wissen stellt Sokrates bei Xenophon Mem. IV 2, 20 auf.
"/wr von ähnlichem Kaliber wie der kleine Hippias, und gleich ihm
der ünechtheit verdächtigt, richtet sich gegen die eitle, im Ion repräsen-
tierte Zunft der Rhapsoden, die ihren Homer auswendig wissen und pathe-
tisch berdeklamieren, aber nichts von dem tieferen Inhalt desselben ver-
stehen. Indem aber auch von dem Dichter nachgewiesen wird, dass er
ohne eigentliches Wissen nur von göttlicher Begeisterung ergriffen, seine
Gesänge dichtet, arbeitet der Dialog der in dem Phaidros und der Republik
ausgeführten Anschauung Piatons von der Inferiorität der Dichtkunst vor.
Den gleichen Gedanken lässt Xenophon in seinem Gastmahl 8, 6 den An-
tisthenes mit den Worten aussprechen: ola&d ri ovv iO^rog i^kid-icitegov
306. Grössere Dialoge der Übergangsperiode (nach 892— ca. 380),
in denen Piaton, indem er über die einfache sokratische Gesprächsform
hinausgeht und unter der Maske des Sokrates eigene Gedanken zu ent-
wickeln beginnt, tiefere und kunstvoller durchgeführte Untersuchungen
anstellt. Von diesen kennzeichnen die einen (Protagoras, Gorgias, Euthydem,
Kratylos) die Stellung des Sokrates und Piaton gegenüber den Sophisten,
1) Die Echtheifc des Gharmides leugnet Schanz, Jahrber. d. Alt. VII 1, 286.
28*
436 Grieohisohe litteratnrgeBohiohte. I. Klassisohe Periode.
die anderen (Menon, Phaidros, Symposion, Phaidon, Theätet) enthalten die
Keime der neuen, über Sokrates hinausgehenden Spekulation.^)
Der ngmTayoQagy ein wahres Meisterwerk unseres Philosophen,
bildet gewissermassen den Schlussstein der kleinen Gespräche über die
einzelnen Tugenden der Tapferkeit, Freundschaft, Sittsamkeit, Frömmig-
keit, indem er das Wesen der Tugend im allgemeinen zum Gegenstand
hat. Aber nicht bloss durch den erweiterten Horizont geht der Prota-
goras über jene kleineren Gespräche hinaus, er übertrifft sie auch durch
den Glanz der Scenerie und die Feinheit der Ironie, mit der die Aufge-
blasenheit der Sophistik in ihrem angesehensten Vertreter, dem Tugend-
lehrer Protagoras, getroffen wird.*) Das Gespräch ist in die Zeit verlegt,
wo eben Protagoras, sei es nun zum ersten- oder zum zweitenmal, in
Athen angekonunen war und im Haus des reichen Eallias, des freigebigen
Protektors der Sophisten, sein Absteigequartier genommen hatte.») Im
Eingang erzählt Sokrates, wie Hippokrates, der Sohn des ApoUodor, ihn
in aller Frühe abholte und wie sie dann, im Hause des Kallias mit Mühe
aufgenommen, bereits dort den Protagoras mit seinen Verehrern gravi-
tätisch auf- und abgehend fanden. In dem darauffolgenden Hauptteil ist
es vorzüglich darauf abgesehen, den Vorzug der schlichten Art des So-
krates, durch Frage und Antwoi*t die Menschen zur höheren Stufe des
Erkennens zu führen, vor den pomphaften, langen Reden der Sophisten
darzuthun. Das geschieht an der Besprechung des Satzes von der Lehr-
barkeit der Tugend, welchen Protagoras und die Tugendlehrer seines
Schlages in ihren prahlerischen Ankündigungen als zugegeben voraus-
setzten, Sokrates aber als noch einer kritischen Prüfung bedürftig hin-
stellt, wobei er die Methode der Sophisten, philosophische Sätze in das
trügerische Gewand von Mythen zu kleiden oder durch Stellen von Dich-
tern zu stützen, teils als nichtsbeweisend ablehnt, teils für die gegen-
teilige Meinung verwertet. Die mit reicher Abwechselung und spannenden
Wendungen geführte Disputation kommt nicht zum endgültigen Abschluss, so
dass schliesslich die Beantwortung der aufgeworfenen Frage, ob die Tugend
lehrbar sei, von einer neuen, vertiefteren Untersuchung abhängig gemacht
wird. Dass damit auf den Menon hingewiesen werde, wie die meisten
Erklärer annehmen,*) ist wahrscheinlich, wenn auch nicht ganz ausge-
macht, da auch dort die Untersuchung nicht zum endgültigen Ziele führt. ^)
^) Bei einer systematischen Darlegung I wenn p. 327 d die 420 aufgefOhrten Wilden
kann man auch in der Aufzählung und Ana- des Pherekrates im Jahre zuvor BoUen ge-
lyse der Dialoge von dieser Zweiteilung aus- ' geben worden sein, so dass man um einen
gehen. Zeitlich scheinen Phaidros, Gorgias, I Anachronismus oder um eine Unklarheit in
Menon allein vor die Schulgründung i. J.
386 zu fallen; zwischen die Dialoge unserer
Gruppe fallen die Reisen.
*) Menardus, Wie ist Piatos Protagoras
aufzufassen? Oldenburg 1865.
') Perikles, dessen Söhne Paralos und
Xanthippos der Unterredung beiwohnen, ist
p. 319 e noch als lebend gedacht, weshalb
Chow in der Einleitung seiner Ausgabe das
(besprach vor den Ausbruch des Krieges in
das Jahr 432 setzt. Dazu stimmt aber nicht,
dem Zeitansatz nicht herumkommt, mag man
nun das Gespräch 432 oder 419 setzen. Eine
weitere Schwierigkeit macht der Umstand,
dass Eupolis in den 421 aufgeführten Schmeich-
lern fr. 10 bereits den Protagoras in dem
Hause des Eallias weilen lässt.
*) Hermann, Plat. Phü 483; Süsbmihl,
Entwickl. I 83.
^) Im positiven Sinne wird die Tugend-
lehre erst im 4. Buch der Republik behandelt
4. Die PhiloBoph«n. o) Piaion. (§ 306.)
437
Einen Anhaltspunkt zur Zeitbestimmung gewährt die rühmende Erwäh-
nung der Peltasten, welche mit der im Jahre 392 durchgeführten und
erprobten Heeresreforro des Iphikrates zusammenhängt.^)
Der Mäv(ov steht mit dem Oorgias und Protagoras in Zusammen-
hang, indem in demselben einerseits gleich im Eingang auf die einfiuss-
reiche Thätigkeit des Oorgias in Thessalien, woher Menon stammte, hin-
gewiesen, anderseits die im Protagoras nicht zum Austrag gekommene
Frage über die Lehrbarkeit der Tugend wieder aufgenommen wird. Die
Erwähnung der jüngsthin vorgekommenen Bereicherung des Thebaners
Ismenias durch das Gold der Perser^) führt uns in die Zeit nach 395. Im
EQntergrund spielt noch der E^rozess des Sokrates, indem Anytos, einer der
Ankläger und Mitsprechenden, so gezeichnet wird (p. 91 c), dass seine
Schuld mehr nur als Folge seiner geistigen Beschränktheit erscheint. Die
Untersuchung wird, dem Gegenstand und der Abfassungszeit entsprechend,
in einfacher Form geführt und dreht sich, wie gesagt, um die bei den
Sophisten viel verhandelte Frage, ob die Tugend lehrbar sei. Das führt
zur Frage nach dem Wesen der Tugend, und nachdem diese nach meh-
reren unglücklichen Definitionsversuchen in hypothetischer Form auf
Wissen zurückgeführt ist, zur Zwischenuntersuchung, wie man denn über-
haupt etwas wissen könne. Dabei wird mit einer über Sokrates hinaus-
gehenden Tiefe der Spekulation das Wissen als ein Wiedererkennen
(avdiivtjmg) aus früherer Existenz gefasst. Die Hauptfrage kommt in echt
sokratischer Weise nicht zum Austrag, sondern es wird zum Schluss eine
nochmalige Untersuchung über das, was Tugend ist, gefordert.
Der roqylaq ist gegen die Afterweisheit der Rhetorik gerichtet,
die hier durch den Leontiner Gorgias repräsentiert wird. Das Gespräch
zeigt noch die alte Einfachheit sokratischer Dialoge und bewegt sich auch
noch wesentlich im sokratischen Gedankenkreis: es ist in direkter Ge-
sprächsform gehalten, und es beteiligt sich an ihm ausser den beiden
Hauptsprechern, Sokrates und Gorgias, und deren Sekundanten, Polos und
Chairephon, nur noch der vornehme Eallikles, bei dem der gefeierte
Rhetor abgestiegen war. Auch im Inhalt entfernt sich der Dialog inso-
fern nicht von der Anschauung des Sokrates, als auch dieser der Schein-
weisheit der Rhetorik gram war und die Beschäftigung mit der Philo-
sophie als eine würdigere Lebensaufgabe ansah. Aber auf der anderen
Seite ist unser Dialog nicht bloss ungleich grösser als die der ersten
Periode, sondern zeigt auch in der dialektischen Entwicklung der Haupt-
sätze eine weit kunstvollere Anlage.^) In der Definition der Rhetorik als
einer xhxrt} drjfiiovQyog nev&ovq Jisiarixijg ov diöaaxahxrlg Titgi Sixaimv xai
ädfxar, und in der Gegenüberstellung der wahren Künste lazQixrl, yvfiva-
») Vgl. Prot. 350 a und Xen. Hell. IV
4, 16 ; die Sache ist beleuchtet von Erobchbl,
ZtBchr. f. Gymn. 11, .561 ff. u. Tbichnüllbr,
Litt Fehd. I 20 ff. Ich selbst bin in Plat.
Stad. 46, gestfitzt aaf die kunstvolle Anlage
des Dialoges und die Erwfihnnng der La-
konentOmelei in Prot 842 c, noch unter das
Jfthr 387 oder den Frieden des Antalkidas
herabgegangen. Dagegen wendet sich Zbllkb
II * 1, 529 f.
>) Meno p. 90a u. Xen. Hell. III 5, 1.
Ob Menon nach Gorgias oder umgekehrt
geschrieben sei, wage ich nicht bestimmt
KU entscheiden.
*) Üeber den Gedankengang s. Bokitz,
Plat. Stud. 1—46.
438
Griechische litteratnrgeschiohte. I. Elasaische Periode.
CTfxij, vofxod-Btixri^ ao<f(a neQi iixaiotfvvtjv^ und der falschen, den Schein
der Weisheit erheuchelnden Künste {xoXaxevuxai), oiponoHxij, xofififOTixtj^
aoifiarixi]^ ^rjtoQixr^ tritt uns nicht nur schon die dialektische Kunst Pia-
tons in ihrer vollen Feinheit entgegen, sondern haben wir auch bereits
den Kern der platonischen Lehre von den Gegensätzen des Meinens und
Wissens, des Scheines und des wahrhaften Seins. In den Dialog ist die
heftige Verurteilung der mit rednerischen Künsten das Volk berückenden
Demagogen eingefiochten (c. 58), und zittert noch mächtig die zornige
Entrüstung über die ungerechte Verurteilung des Sokrates und die Ver-
teidiger des Justizmordes nach. Das hat zur Vermutung gefuhrt, dass
der Dialog nicht allzulang nach Sokrates' Tod geschrieben sei.^) Doch
fällt derselbe nicht bloss nach 394, da in ihm p. 469 e die Wiederherstel-
lung der athenischen Seemacht vorausgesetzt wird, sondern es scheint
derselbe auch erst zur Zeit des ersten Auftretens des Isokrates als Lehrer
der Rhetorik geschrieben zu sein, da der Satz p. 463 a 'rfox« roivvv
iLioiy io FoQyfa^ elvai Ti in^mjSsvfia r€xvix6v pLhv otf, ipv%rjq dk atoxceatixrjg
xai ävigsfac xai (pvc€i Ssivrq TtgocofiiXeiv ToTg avd-^noiq den anprei-
senden Worte des Isokrates in der um 390 geschriebenen Rede xava twi»
Coyicrwr § 17 ^Tavta Sk nokXrjg ir^i/xslsfag deXad-a^ xai xpv%rjg avdqixr^g
xai io^aatix^g Igyov ehai zur Grundlage diente.*) Bei der grossen Be-
deutung der Redekunst im Altertum fand unser Dialog über die Rhetorik
grosse Beachtung, Bewunderung bei den einen und Anfeindung bei den
andern. Der Rhetor Aristides in der Zeit der Antoninen hat eine eigene
Schrift zur Widerlegung desselben geschrieben, in der es ausdrücklich
heisst, dass viele diesen Dialog allen anderen vorzogen.
Der 0aTiQog, das vielbewunderte Gespräch, voll von Lenzesduft und
poetischem Reiz, ist benannt von Phaidros, einem schwärmerischen Jünger
des Sokrates, dem wir auch im Symposion als Lobredner des Eros be-
gegnen, und den die Medisance zu einem Geliebten Piatons machte.')
Der Prolog führt die beiden einzigen ünterredner, Sokrates und Phaidros,
und uns mit ihnen zum Ilissosbach unter die hohe Platane. Das Gespräch
knüpft an eine Schulrede des Lysias über das frostige Thema, dass man
die Liebesgunst eher dem Nichtliebenden als dem Liebenden erweisen
soll, an, indem Sokrates an dem elenden rhetorischen Machwerk eine ver-
nichtende Kritik übt und dann demselben zwei eigene Reden entgegen-
stellt. Von diesen steht die erste noch auf dem Standpunkt eines rheto-
rischen Aufsatzes, die zweite aber enthüllt die ganze Tiefe philosophischer
Spekulation, indem sie den Eros als das Streben nach dem ürschönen
") Vergl. WiLAMOWiTz, PhUol. Unters.
I 213 ff. Natobp, Arch. f. Gesch. d. Phil.
II 394 ff, sucht zu erweisen, dass der Gor-
gias zwischen Protagoras, Laches, Charmides,
Menon auf der einen und Phädrus, Theätet
auf der anderen Seite zu setzen ist. Um-
gekehrt nennt Gompbbz. Plat. Aufs. = Stzb.
d. W. Ak. 1887, II 741 ff. den Menon wegen
seiner milderen Beurteilung der Staatsmänner
p. 93—94 eine Art Palinodie auf den Gorgias.
') Diese direkte Anspielung wurde be-
reits erkannt von Bake, Scholica hypom-
nemata II E 38; weiter verfolgt wurde sie
unlängst von Sudhaus, Zur Zeitbestimmung
plat. Schriften, Rh. M. 44 (1889) 52 ff., der
aes weitern nachweist, dass Isokrates in der
2. Rede an Nikokles (3, 2) auf die Vorwurfe
Piatons antwortete, weshalb er den Grorgias
bis auf 376 herabrttcken will.
«) Diog. ni 31; nach Lysias 19, 15
war Phaidros durch Gutmütigkeit in seinen
Vermögensverhältnissen herabgekommen.
4. Die Philosophen, o) Piaton. (§ 306.)
439
und der Welt der Ideen fasst. Damit ist die unmessbare Überlegenheit
der philosophischen Anschauung vor der Wortkünstelei und Gedankenleere
der Rhetorik gegeben, was dann noch in einer eingehenden Kritik der
Redeschreiberei näher ausgeführt wird. Der Dialog scheint anfangs von
den Grammatikern und Philosophen weniger geschätzt worden zu sein,
da ihn Aristophanes nicht in das Verzeichnis der Hauptdialoge aufnahm
und Dikäarch an ihm etwas Läppisches {(f.0QTix6v) zu tadeln fand.^) Um
so mehr gelesen und bewundert wurde er in der späteren Zeit, so dass
auf keinen der Dialoge öfter als auf ihn angespielt wird.^) — Bezüglich
seiner Abfassungszeit gehen die Meinungen stark auseinander; schon die
Alten s) fassten ihn als Jugendwerk Piatons, Schleiermacher stellte ihn
als Programmrede in den Anfang der Schriften, und Usener Rh. M. 85,
131 ff., wollte ihn gar zu Lebzeiten des Sokrates im Jahre 402 geschrieben
sein lassen. Dem gegenüber hat schon Hermann, Plat. Phil. 374, hervor-
gehoben, dass, wenn man auch in dem erhabenen Schwung einzelner
Stellen und in dem reichen Schmuck des Ausdrucks mit Recht Spuren der
jugendlichen Dichterversuche des Philosophen finde, doch in dem philoso-
phischen Inhalt vieles übrig bleibe, was einer ganz anderen als der sokra-
tischen Begriffssphäre angehört und uns, wenn nicht auf die Pythagoreer
Italiens, so doch auf den Megareer Eukleides, den Erfinder des eidog-
Begriffes, hinweist. Sicher ist, dass der Phaidros vor den Euthydemos
und vor die Rede des Isokrates gegen die Sophisten fällt ;^) vielleicht
ist derselbe auch vor dem Dialog Gorgias geschrieben, da er auf diesen
p. 260 f. Rücksicht zu nehmen scheint.*) Damit stimmt, dass zu jener
Zeit Lysias noch Unterricht in der Beredsamkeit gab. Da aber auf der
anderen Seite die Weisheit ägyptischer Priester in unserem Dialog (p. 274)
eine grosse Rolle spielt, so werden wir doch mit demselben bis auf die
Zeit der Rückkehr Piatons von seiner ägyptischen Reise, etwa 390, herab-
gehen müssen.^)
Der Eüd^vdfjfiog ist eine ergötzliche Satire auf die dialektische
SJopffechterei des Euthydemos und Dionysodoros, womit zugleich der
Rivale des Piaton, Anthisthenes, der jene fragwürdige Kunst der
Sopbistik fortsetzte, getroffen wird. Trefflich ist die Unwahrhaftigkeit
jener Eristiker gezeichnet, denen nichts an der Ermittelung der Wahr-
heit gelegen ist, sondern die nur mit ihren verfänglichen Fragen den
') Diog. III 36 : Xoyo^ ^i TiQiajoy ygail/ai
avfoy toy ^aidgay ' xal yag 1)[bi, fÄBiQU-
xtcücfeV T« x6 TtQoßXijfAaj Jixaiagxos dk xai
roV TQonoy jrjq yQa<ptjg okoy ini/4ffÄ<p€Ttti
tag {poQtixoy. Ueber <poQrix6y ^.geklliistelt''
B. Theophrast bei Dionys. Hai. de Lys. 14, de
Isoer. 13.
^) So von Lucian, Bis accus. 30, Pisc.
22, Rhet praec. 26.
») DioK. a. 0.
^) I^acngewiesen ist dieses von Spbngbl,
Isokrates und Plato, worüber § 238. Dass
das Original der übereinstimmenden Stellen
{Hat. p.269d u. 272, Isoer. 13, 14 f. 16 f.)
im Phaidros uid nicht in der Bede des Iso-
krates ZQ suchen sei, erweist neuerdings
SusBMiHL, De Piatonis Phaedro, Greifsw. 1887,
und Jahrb. f. Phil. 121, 10; dagegen Sibbeck,
Unters. 129 ff. Dittbnbbrgeb, Die Chronol.
der plat. Dial. hat, indem er sich von dem
Gebrauch der Partikel firjy leiten Hess, den
Phaidros später als Phaidon und Symposion
gesetzt.
^) Phaedr. 260 e u. f. führt auf Gorgias
463 b u. 453 a zurück Sibbeck, Unters, z. Phil,
d. Gr. 115 ff.
^) Neuerdings setzt Süsbmihl, Neue pla-
tonische Forschungen, Ind. lect. Greifswald
1898, S. 23--43 den Phaidros um 393.
440 GrieohiBohe litteratnrgMohlohte. L KUsaische Period«.
Beifall der Zuhörer erhaschen wollen, im Grunde genommen aber nicht
besser sind als die epideiktischen Sophisten mit ihren langen Reden. Die
Einkleidung des Dialoges ist ähnlich wie die des Protagoras und Sym-
posion, indem Sokrates dem Kriton die gestrige Disputation der flristiker
und des jungen Eleinias, welchen jene, mochte er das eine oder andere
sagen, in die Enge trieben, wieder erzählt. Der Schluss enthält einen
versteckten Seitenhieb auf den nicht mit Namen genannten, aber deutr
lieh gekennzeichneten Isokrates,*) der beim Weggehen sich verächtlich
nicht bloss über die Eristik, sondern über alle Dialektik äussert, in der
That aber hinter beiden, dem rechten Staatsmann und dem rechten Philo-
sophen zurücksteht. Auf solche Weise ward von Piaton in diesem
Dialoge der Beruf der Philosophie, die wahre Bildnerin des Menschen zu
sein, nach zwei Seiten hin verteidigt, auf der einen Seite gegen die Eri-
stik er, welche sich durch dialektische Haarspaltereien nur lächerlich
machten, auf der anderen Seite gegen die Bhetoren, welche sich den
Namen von Philosophen anmassten, aber über philosophische Allgemein-
heiten nicht hinauskamen. — Yerfasst ist unser Dialog nach dem Phaidros,
in welchem Piaton mit Isokrates noch auf bestem Fusse steht, und vor
dem Theätet, in welchem der Autor die besonders in dem Euthydem an-
stössige Form des referierten Gespräches verlässt.*)
<Pa{3(ov ^ 7r€Ql ipvxijg ward von Thrasylos mit Apologie, Kriton,
Euthyphron zu einer Tetralogie verbunden, weil er die Erzählung von den
letzten Stunden des Sokrates enthält; derselbe ist aber offenbar, wie die
kunstvolle Einkleidung und der Einfiuss pythagoreischer Philosophie zeigt,
erst in der Zeit nach der ersten sikilischen Reise geschrieben.') Die
Dramatik unseres Dialoges ist das Ergreifendste, was Piaton geschrieben
hat, und der Schluss desselben sollte auch von denen gelesen werden, die
der philosophischen Spekulation abgeneigt sind und die Beweiskraft der
vorgebrachten Unsterblichkeitsbeweise bestreiten. Das würdige Thema
des Gesprächs der letzten Stunden des sterbenden Sokrates bildet näm-
lich die Unsterblichkeit der Seele, deren Annahme mit der Ideenlehre
Piatons und mit der bereits im Menon ausgesprochenen Auffassung, dass
das Erkennen ein Rückerinnern an früheres Wissen oder Schauen {aväji-
V7^^(fig) sei, aufs engste zusammenhängt; ausserdem nimmt der Philosoph
in der Beweisführung auf die pythagoreische Lehre von der Seele als Har-
monie, die er auf seiner sikilischen Reise kennen zu lernen Gelegenheit ge-
habt hatte und in dem Dialog durch Simmias vertreten lässt, ausdrücklich
Bezug. Trotz der Abstraktheit der Beweise drang der herrliche Dialog
so sehr in weite Kreise, dass der Komiker Theopomp auf der Bühne in
seinem '^Hivxdqrjq eine Anspielung auf denselben machen konnte.^) Nach
^) Erwiesen von Spbngbl, siehe S. 378
Anin. 3.
*) Wegen einiger vermeintlicher Schwä-
chen des Dialoges zeigte neuerdings wieder
Cron (Zu Piatons EuÜiydem, in Stzb. d. b.
Akad. 1891) und Lüdecke Programm Celle
1897 sich geneigt, dieses geistreiche philo-
sophische Satyrdrama dem Piaton abzu-
sprechen und einem nachahmenden Schüler,
etwa dem Speusippos znzaeignen.
') Eine Kflckbedehung auf den Phaidoa
enthält die Republik p. 608 f., 611b u. 612 a,
worüber Siebbck, Jahrb. f. Phil. 131 (1885)
227 ; umgekehrt geht Phaid. 72 *" auf Menon
zurück, üeber das Verhältnis zu Eratyloe
siehe zu Kratylos.
«) Die Verse, erhalten bei Diog. III 26,
beziehen sich auf Phaid. p. 96 e.
4. Die Philosophen, o) Piaion. (§ 306.)
441
dem Epigramm des Eallimachos Anth. YII 471 weihte sich Eleombrotos
ao8 Ämbrakia mit dem Ausruf *'Hh€ x^'^Q^ dem Tod, nachdem er den
Dialog über die Seele gelesen hatte.
Der KgaTvkogy benannt nach dem Hauptsprecher, einem Schüler des
Heraklit, wendet ein Lieblingsthema der Sophisten über den Unterschied
von Natur und Satzung {(fvaig und v^ecig) auf die Sprache an. Kratylos
vertritt die Ansicht, dass die Sprache ein Naturprodukt sei^) und benutzt
diesen Satz nach Weise der Philosophen jener Zeit, um die Lehre seines
Meisters an der Hand sprachlicher Etymologien zu begründen. Das letzte
wird entschieden zurückgewiesen und zugleich angedeutet, wie die Lehre
vom ewigen Fluss der Dinge die Möglichkeit des Erkennens (yvcoatc), das
aaf das Ständige und Bleibende gerichtet sei, ausschliesse. Im übrigen
hat der Dialog für uns eine besondere Bedeutung, als der erste Versuch
einer Sprachphilosophie, freilich mit allen Schwächen eines ersten Ver-
suchs, die besonders in den haarsträubenden Etymologien, wie ^€6g and
Tov &siv^ r^i^oq^ dorisch aXiog äno rov dXiXeiv zutage treten.*) — Für die Be-
stimmung der Abfassungszeit fällt ins Gewicht, dass Piaton im Phaidon p. 80 d
Afir^g nach der gewöhnlichen Etymologie mit d€iif]g xonog »unsichtbarer
Kaum* erklärt, im Kratylos hingegen p. 404 b Ai'drfi äno toi nm^a fd xaXd
nisva [ATdTjg = d-siSijg) ableitet, unter ausdrücklicher Ablehnung der
Etymologie dno xov deiiovg. Danach scheint der Kratylos erst nach dem
Phaidon geschrieben zu sein. 9)
Das SvfATtoütov ist leicht das liebreizendste und kunstreichste Werk
Piatons, das schon bei den Alten von denjenigen, welche Piaton mehr
seiner Kunst als seiner philosophischen Lehre wegen lasen, vor allen an-
deren Werken bevorzugt wurde.*) Das Gastmahl, worüber Apollodoros,
der selbst wieder von Aristodemos Kunde erhalten hatte, seinen Freunden
Mitteilung macht, hatte der Tragiker Agathen zu Ehren seines ersten tragi-
schen Sieges im Jahre 416 gegeben. Eingeladen war dazu eine bunte Gesell-
schaft; ausser dem Sokrates, der noch den Aristodemos mitgebracht hatte,
Phaidros, Pausanias, der Arzt Eryximachos, der Dichter Aristophanes.
Als Thema der Tischreden wird auf Phaidros Vorschlag der Eros ge-
wählt Die Kunst des Piaton nun zeigt sich in der Art, wie er das Thema
von den einzelnen Tischgenossen entsprechend ihrem verschiedenen Cha-
rakter anfassen und nach und nach zu immer höheren Zielen führen lässt.
Am genialsten ist die Rede des Aristophanes, der in einem geistreich er-
fundenen Mythus die Liebe als das Suchen der einen Hälfte des ehemals
vereinten, aber von Gott auseinandergeschnittenen Urmenschen nach seiner
anderen Hälfte hinstellt. Aber tiefer ist die an den Schluss gestellte
Auseinandersetzung des Sokrates, der seiner Rede die Form einer Unter-
') Ala Urheber der Gegentheorie wird
Pemokrit genannt, dessen Argtumente Proklos
im Kommentar zam Kratylos p. 6 ed. Boiss.
infthrt Ntiieres Aber den Streit gibt 6om-
Kiz, Griech. Denker I 318 ff.
*) Dbuscbxb, Die platonische Sprach-
itakwpbie^ Marbnrg 1852; Steiitthal, Gesch.
l SprachwiBaenachüft S. 89—110; Bbnfey,
Aufgabe des plat Dial. Eratylns, Abhdl. d.
Gott. Ges. d. W. 1866; Rosenbtock, Piatos
Kratylos and die Sprachphilosophie der Nea
zeit, Progr. Strassburg in Wpr. 1893.
') So schliesst Uskner Nachr. d. Gott.
Ges. 1892 S. 46.
*) Zeugnisse in der Ausgabe von 0. Jahn.
442
Chrieohiflohe LitteratargMohioht«. I. ElMwisohe Periode.
redung mit der weisen Mantineerin Diotima gibt und in ihr die Liebe als
den Trieb nach Unsterblichkeit fasst, der den Leib der Frauen mit Einder-
samen und die Seele edler Jünglinge mit Weisheit und Tugend befruchtet.
Indes wenn auch der philosophische Qehalt des Werkes in den Beden
steckt, 80 liegt doch der eigentliche Reiz in dem mimischen Arrangement,
den Zwischenreden und Zwischenfallen, welche uns statt in einen lang-
weiligen Sprechsaal in ein lebensvolles, heiteres Gastmahl versetzen. Das
tritt besonders in dem letzten Teil des Dialogs, in der Scene, die Feuer-
bach zum Gegenstand seines grossartigen Gemäldes gemacht hat, hervor:
noch nicht war Sokrates mit der Diskussion, die sich an seine Rede
knüpfte, ganz zu Ende, da kommt Alkibiades halbberauscht herein und
hält, von den Tischgenossen aufgefordert, eine Lobrede auf Sokrates, die
von leidenschaftlicher Begeisterung für den verehrten Meister überströmt
und an einem konkreten Fall die ganze Reinheit des Verhältnisses des
edlen Lehrers zu seinen geliebten Jüngern nachweist. Auch der Schluss
dient noch dazu, uns den Sokrates in seiner herrlichen, unendlich über
dem pedantischen Schulmeister stehenden Gestalt zu zeigen: eine neue
Schar von Nachtschwärmern war eingedrungen; über dem wüsten Zechen
schlichen die einen davon, die andern nickten ein, unter ihnen der Er-
zähler des Dialoges Aristodemos; als der gegen Morgen erwacht, sieht er
den Sokrates noch ganz geistesfrisch mit den beiden Dichtem Agathen
und Aristophanes aus einem grossen Humpen zechen und über das Thema,
dass der rechte Dichter zugleich sich auf die Tragödie und die Komödie
verstehen müsse, eifrigst diskutieren. — Für die Abfassungszeit des Dia-
logs liegt ein Anzeichen in der Anspielung auf die Zerteilung der Stadt-
gemeinde von Mantinea in 4 Landgemeinden p. 193 a, wonach derselbe im
Jahre 385 oder bald nachher abgefasst wurde. ^) Wir haben das Sympo-
sion auf den Phaidon folgen lassen, indem wir die Stelle am Schlüsse
des Symposion rov avzoi ardQog slvat xiOfifpSiav xal tgayfpdiat* imcxatsd'in
nomv auf Piaton selbst deuten, der es verstanden hat, in Phaidon
ebenso eine ergreifende Tragödie wie in Symposion eine ergötzliche
Komödie zu schreiben.
307. Die konstruktiven Dialoge nehmen, da Piaton in ihnen
seine eigene philosophische Lehre in positiver Weise entwickelt und aus
den früheren Perioden seiner Schriftstellerei nur die Form des sokrati-
sehen Gespräches beibehält, die letzte Stelle ein. Das mimische Element
und die künstlerische Umrahmung treten hier allgemach zurück; hingegen
führt der Lehrton zu längeren Vorträgen, namentlich in den Schriften
über Politik und Physik. Die hieher gehörigen Dialoge gehören in das
Gebiet der Staatslehre (Politeia und Nomoi), Dialektik (Theätet, Sophistes,
Politikos, Parmenides), Ethik (Philebos), Physik (Timaios).
Die HokiTfia^) umfasst 10 B., welche Bucheinteilung aber, da die-
1) Vgl. Xenoph. Hell. V 2. Ueber das
Verhältnis zum zenophontischen SymposioD
§ 247. L. Sybel, Piaton Symposion, Marb.
1888, nennt das Symposion, das nach dem
ersten Jahresfeste der platonischen Hoch-
schule geschrieben war, das Programm der
Akademie.
*) üeber den Titel noXttsuu in
Polit. p. 1293 b, 1 und Themist or. II p. SS,
21 Dind.; s. Schnbidbr im Eingang seiner
Ausgabe.
4. Die Philosophen, e) Piaion. (§ 307.)
443
selbe vielfach verkehrt und geradezu sinnwidrig ist,^) nicht vom Autor selbst
herrfihrt. Das Werk hat die Form eines Gespräches, das im Hause des
greisen Eephalos gelegentlich eines im Piräus zu Ehren der Göttin Bendis
yeranstalteten Festes gehalten wurde.*) Anwesend waren ausser Kephaloö
and dessen Söhnen, Sokrates, die Brüder des Piaton Glaukon und Adei-
mantos, der Rhetor Thrasymachos und mehrere stumme Personen. Aber
die grosse Ausdehnung des Werkes passt schlecht in den Rahmen des Ge-
spiiches eines Tages, weshalb wohl die Anlage der Schrift ursprünglich
auf kleineren Umfang berechnet war und erst allmählich durch Erweiterung
zor Grösse von zehn Büchern angewachsen ist.^) Dafür spricht auch eine
Überlieferung des Altertums bei Gellius,^) wonach von der Republik zu-
erst nur ungefi.hr zwei Bücher in die Öffentlichkeit kamen. Ganz ver-
wischt sind auch in dem Werke selbst die Spuren der allmählichen Ent-
stehung nicht, indem z. B. das Hauptthema des 3. und 4. Buches noch-
mals im 10. Buche behandelt und dabei p. 607 b auf die inzwischen auf-
getauchte Polemik Rücksicht genommen ist.'^) Die Hauptteile, in welche
das umfangreiche Werk zerfällt, sind folgende: Buch I enthält die Ein-
leitung und die Untersuchung über das, was das Gerechte (rc dixaiov) ist,
*) Vgl. meine Plat Stud. 22. Von einer
äteren ^teflnng in 6 Bücher hat Sparen
in «nem aDÜsttikistischen Lexikon nach-
gewioen Hikmer Jhrb. f. Phil. Suppl. XXIII
(1897) 676 ff. 588—92.
') Das aber die8e8 Fest nnd den Fackel-
lauf im Eingang Bemerkte zeigt, dass sich
PktoD dag Gesprftch an einem bestimmten
l>atQm gehalten dachte. Auch ist die Schil-
deroDg des Festes und der Person des greisen
Kephaloe so lebensvoll, dass man glauben
mochte, Piaton habe selbst noch den Ee-
iriuloe in seiner H&oslichkeit gesehen. Aber
£e Zeit ist schwer festzustellen ; am meisten
Zostnmnung verdient Böckh Kl. Sehr. IV
437 ff., der ftür 409 eintritt. Für eine so
sptte Zeit spricht insbesondere, dass Sopho-
ÜeB p. 329 b als Greis gedacht ist, und dass
^ Binder Piatons, Glaukon u. Adeimantos,
sich nach p. 368 a bereits im Kriege ausge-
«idinet hatten. G. Fb. Hbbmann, Plat. Phil.
^ eitiArt sich ffir 430, weil für den Anfang
^es peloponnesischen Krieges am meisten
^e Lebensverhftltnisse des Lysias sprechen,
^ versteht daher unter Glaukon u. Adei-
Baiitoe die Oheime des Piaton. Vgl. Suse-
WHL, Entw. II 76 ff. und Ind. lect., Greifsw.
1^84 p. XTI und uns oben § 264.
'j Von selbst drftngt sich einem in dieser
^oehimg der Vergleich des bedeutendsten
Werkes der griechischen Prosa mit dem ge-
feiertesten der griechischen Poesie auf.
*) Gelliu« XrV 3: Xenophon inclito Uli
^pfi Plalonis, quod de optimo statu reipu-
Wfca« dvitatisque adtninistrandae scriptum
% leetis ex eo duobus fere libris quiprimi
w uUgus exierant, opposuii contra conscrip-
f'^ffu diversum regiae adtninistrationis ge-
nu8, quod nuidBias Kvqov inscriptum est.
Diese erste Auflage wird die jetzigen Bücher
I — IV oder 2*/« der alten Bucheinteilung
umfasst haben. Dass darin auch schon
die Weibergemeinschaft gepredigt war,
möchte man aus Aristoph. Eccl. (aufge-
fahrt 389) schliessen im ^usanmienhalt mit
p. 452 b: ov tpoßrjtiov rd xcHr /«ptcVröiy
axaiftfjtara. Aber von dieser handelt that-
sächlich Piaton erst im 5. Buch, und keine
Spur fuhrt auf die Abfassung irgend eines
Buches der Politeia vor 389. Auf die alte
Ueberliefemng, dass Piaton Jahre lang an
der Politeia gearbeitet und sie wieder und
wieder umgearbeitet habe, führt auch die
Anekdote bei Dion. Hai. de comp. verb. 25
nnd Diog. 3, 37, dass nach dem Tode des
Philosophen ein Blatt gefunden worden sei,
auf dem der Anfang der Republik wieder-
holt unuredigiert {noixiXtog fjtBxaxBifjiivrj) ge-
standen habe.
') Uebertrieben hat diese Verhältnisse
Krohn, Der platonische Staat (1876j, Die
platonische Frage (1878), der die Republik
als ein durch Aggregieren allmählich ent-
standenes Werk betrachtet; ähnlich Pflbi-
DERKB, Zur Lösung der platonischen Frage.
Freiburg 1888, der di-ei separate Teile
anninmit I— V 471 c und VIII— IX; X;
V — VII. Dagegen ist die Einheit gut er-
wiesen von Grimmelt, De reip. Plat. com-
positione et unitate, Berl. 1887 Diss., Wk-
STBBWicK, De rep. Plat., Münster 1887 Diss.,
Apblt Beri. Phil. Woch. 1895 n. 31, und
besonders von Hirmer, Entstehung und Kom-
position der platonischen Politeia, in Jahrb.
f. cl. Phil. Suppl. XXIII (1897) 583-678.
444 Griechisohe LitteratiirgMohiehte. I. KlassUohe Periode.
in ähnlicher Weise wie in den kleinen Dialogen (Laches, Gharmides, Lysis
Euthyphron) das Wesen der aviqeia^ ato^Qoavttjy ifih\ oaiotr^g untersncht
wird. Die Bücher 11 — IV umfassen die Gründung und Organisation des-
jenigen Staates, in welchem die Idee der Gerechtigkeit zur Verkörperung
kommt. Den Hauptgegenstand dieses Abschnittes bildet die Erziehung,
die geistige {fiovaixij) und körperliche {yvfivaarixrj) der Staatsange-
hörigen, woran sich im 4. Buch die Besprechung derjenigen Tugenden
schliesst, welche sich in einem wohlorganisierten Staat infolge jener
Erziehung der Staatsbürger finden müssen, die Weisheit {g^Q6%*fj<r&g oder
(fofpta), die Tapferkeit (ävigefa), die Selbstbeherrschung {traKpQoavvrj)
die ausgleichende Gerechtigkeit {dixaiwrwTj). Die Bücher V — Vn bilden
den 3. Teil. Im Eingang des 5. Buches schickt sich Sokrates an, im
Anschluss an das vorausgegangene Buch, die Abarten des richtig or-
ganisierten Staates zu besprechen; aber diese Diskussion wird infolge
der Einsprache des Polemarchos verschoben, so dass zuerst von der
Kinder- und Weibergemeinschaft und von der Erziehung der zu-
künftigen Herrscher des Staates gehandelt wird. In diesem 3. Teil
sind die tiefsten Gedanken der Philosophie niedergelegt, so dass mein ver-
ehrter Lehrer Leonh. Spengel in demselben den im Eingang des Sophistes
in Aussicht gestellten Dialog Philosophos erkennen wollte.^) Aber da-
gegen spricht schon ein chronologisches Bedenken, da aller Wahrschein-
lichkeit nach der Sophistes erst nach der Politeia abgefasst wurde. Jeden-
falls gehört jener dritte Teil wesentlich zur Lehre vom Staat, indem er die
Erziehung der Herrscher, welche im zweiten Teil ganz kurz abgethan
worden war, zum Gegenstand eingehender Erörterung macht. Ob er aber
vom Philosophen erst später bearbeitet und in die schon früher geachrie-
benen Bücher nachträglich eingeschoben wurde, oder ob wir in der schein-
baren Einschiebung nur einen stilistischen Kunstgriff des Schriftstellers
zu erblicken haben, lasse ich dahingestellt.^) Die Bücher VIH und IX
kehren zum Anfang des 5. Buches zurück und besprechen im Gegensatz
zur Staatsform des Philosophenkönigtums die Abarten der Timokratae,
Oligarchie, Demokratie, Tyrannis, wobei dem Autor bei der Schilderung
der Tyrannis der ältere Dionysios, bei der der Oligarchie Sparta Porträt
gestanden haben. Im Anschluss an die Unterscheidung dieser 5 Staats-
formen wird dann auf die Glückseligkeit {svdaifxovia) übergegangen, die
in vollkommenem Grade nur dem Gerechten zu teil werde. Damit ist
Plato wieder zum Ausgangspunkt des ersten Buches zurückgekehrt. Im
10. Buch, das gewissermassen einen Nachtrag und Anhang zu dem bereits
abgeschlossenen Werke bildet, kommt der Verfasser zuerst nochmals auf
die Poesie zurück, indem er an seinem früheren Urteil über die rechte
Erziehung festhält und wider eigene Neigung jede nachahmende Poesie,
>) L. Spengel, in Münchner Gel. Anz.
1846 S. 653 und Phüol. 19, 595, siehe da-
gegen meine Plat. Stud. S. 36 f.
^) Die erste Meinung vertritt namentlich
Pflbidbbbr, die zweite Hirmbr. Jedenfalls
ist die eingehendere und vertiefte Darstel-
lung des Idealstaates, wie sie in den BQchem
Y— VII gegeben ist» passend der Besprecfaon^
der Abarten, in denen statt der G«rechtig:-
keit die Ungerechtigkeit aEum Aasdruct
kommt, vorausgeschickt.
4. Die Philosophen, o) Piaton. (§ 807.)
445
die Tragödie und den Erzvater der Tragödie, den Homer, aus dem Ideal-
staat verbannt. Sodann zieht er zum Schluss die Lehre von der Un-
sterblichkeit der Seele heran, die dem Gerechten zum Glück der inneren
Befriedigung auch noch ewigen Lohn in Aussicht stellt. Und wie sonst,
wenn die dialektische Erkenntnis nicht mehr ausreicht, so greift auch
bier Piaton zum Mythus, indem er den von den Toten wiedererstandenen
Armenier Er von dem, was er im Hades von dem Leben der Seligen und
Verdammten gesehen und gehört hatte, erzählen lässt (eschatologischer
Teil).^) Die ganze Politeia setzt sich also, ähnlich wie wir dieses auch
von der Politik des Aristoteles nachweisen werden, aus mehreren Teilen
zusammen; aber deshalb ist sie doch kein Aggregat aus verschiedenartigen
Elementen, lässt vielmehr bei näherem Zusehen trotz einiger Fugen den
einheitlichen Aufbau eines echten Kunstwerkes erkennen. — Die Abfas-
songszeit kann natürlich nicht auf das Jahr festgesetzt werden, da Piaton
an diesem seinem grossartigsten Werk viele Jahre, wenn auch nicht ge-
rade 20, gearbeitet hat 2) und der erste Entwurf, was schon die referie-
rende Gesprächsart zeigt, noch in die 2. Periode seiner Schriftstellerei
Mt^) Anspielungen finden sich p. 577 a auf des Verfassers Aufenthalt
&m Hofe des älteren Dionysios, p. 471a auf die Grausamkeit der Thebaner
g%en Platää im Jahre 374, p. 498 d auf den Euagoras des Redners
Isokrates (verfasst bald nach 374).*) In weite Kreise war das Werk
wohl schon vor der 2. Reise des Piaton nach Sikilien gedrungen, da wir
schwerlich fehl gehen, wenn wir den Dion und seine Freunde ihre Hoflf-
nangen an die in der Republik niedergelegten Ideen knüpfen lassen.'')
Ü8 hat demnach Susemihl, Genetische Entwicklung der Platonischen Phi-
losophie II 296 unser Werk in die Jahre 380-370 gesetzt: jedenfalls fällt
die Schlnssredaktion desselben noch vor den Regierungsantritt des jüngeren
Konysios oder vor 367.
Der Dialog Tifiaiog ist nach der Fiktion des Proömiums am Tage
nach der Politeia gehalten worden, was aber nicht zur Annahme nötigt,
da«8 derselbe von Piaton unmittelbar nach jenem Werke verfasst worden
«t Es enthält der Timaios im wesentlichen dasjenige, was die Späteren
als ^vfftxTJ ffiXoaoifia bezeichneten, die Lehre von der Hervorbringung der
Welt durch den göttlichen Schöpfer {SriixiovQy6q\ von der dem All inne-
wohnenden Weltseele und dem zur Aufnahme (vnodox^]) der Formen oder
Ideen geeigneten unendlichen Raum, von der JBildung der Elemente und
der Schöpfung der diesseitigen Welt, von der Gestaltung des menschlichen
M Wieweit Flaton in seiner Politeia
nv eigene Ideen aussprach, Iftsst sich
«hwer bestiminen. Nach Aristoxenos bei
IH«^. tu 37 fanden sich die Hauptgedanken
^»eito in Protagoras' 'JvnXoyi,xd.
») KaoHK, Der plat. Staat, Halle 1876;
^ plat Frage 1878, wonach die gesamten
woge spftteren Ursprungs lüs der Staat
tön sollen. Dagegen Nüssbb, Piatons Poli-
«t, Amberg 1882. Sibbbck, Unters. 148.
2b Erobn kehrt teilweise wieder zurück
Pfibobreb a. O.
') Der erste Entwurf müsste, wenn auf
ihn wirklich Aristophanes in den Ekklesia-
zusen anspielte, bald nach dem Phaidros,
um 390 gesetzt werden.
^) Reinhahdt, De Isocratis aemulis p. 39
hat die Stelle p. 498 d weniger passend auf
den Areopagitikos bezogen, wodurch wir bis
auf 354 herabzugehen genötigt würden.
*) Nach p. 499 b weckte der jOng^e
Dionysios schon gute Erwartungen, war aber
noch nicht zur Regierung gekommen.
446
Grieohische LiiteratnrgMohieht«. L dasBiaoh« Periode.
Organismus und der Harmonie von Seele und Leib. Die Darlegung dieser
mehr sublimen und dunklen, als die Naturerkenntnis fördernden Lehre ^)
übernimmt der Pythagoreer Timaios, womit Piaton selbst die Quelle dieser
Theorien angedeutet hat.^) Von sokratischer Art ist in dem Dialog keine
Spur mehr, wenn auch Sokrates noch einer der Mitunterredenden ist; woU
aber zeigt die Hereinziehung der Ideen, auf die schauend Gott die Welt
schafft, dass Piaton die pythagoreische Lehre nicht einfach herübergenom-
men, sondern mit seinem eigenen Oeiste durchdrungen hat. Die durch
den Kommentator Proklos uns erhaltene und im Anhang des platonischen
Dialogs abgedruckte Schrift des Timaios nsQi ipvxäg xocßto xal qvaiag ist
nicht ein Originalwerk, sondern ein jenem Pythagoreer untergeschobener
Auszug der platonischen Schrift. Verfasst ist derselbe wohl in römischer
Zeit, als die Sekte der Neupythagoreer aufkam, die sich nicht scheuten,
wie dem Pythagoras selbst so auch seinen Schülern selbstgefertigte
Schriften unterzulegen.*)
Der KgiTi'ag sollte nach dem Eingang des Timaios p. 19b die 3.,
der Hermokrates die 4. Stelle in der mit Politeia und Timaios begin-
nenden Tetralogie einnehmen.^) Zur Abfassung des Hermokrates kam
Piaton gar nicht; der Eritias blieb Fragment, wie uns Plutarch, Solon 32
bezeugt. Dasselbe enthält die Schilderung eines gewaltigen Reichs in der
Atlantis, dessen Macht später an einem kleinen, nach platonischem Muster
eingerichteten Staate scheitern sollte. Die Kunde von jenem Reich in der
Atlantis will Eritias von seinem Ahnen Solon erhalten haben, der sie
selbst von den ägyptischen Priestern in Sais erhalten hatte. Die hiero-
glyphischen Urkunden, welche das Ereignis, auf das Piaton anspielt,
nämlich den Sieg der Ägypter unter Ramses über eine grosse, von Westen
her in Ägypten einfallende Yölkermasse schildern, sind in unserer Zeit
wieder ans Licht gezogen worden.^)
Der &€aiTrjTog ist ein dialektisches Gespräch zwischen Sokrates,
Theaitetos und Theodoros über das Wissen (inifStruiiD^ wieder erzählt in
direkter Redeform ^) von Eukleides, dem megarischen Sokratiker, gelegent-
lich des Rücktransportes des im korinthischen Eriege (392) erkrankten
Theätet.') Der Dialog von tiefem philosophischem Gehalt fuhrt unter
scharfsinniger Bekämpfung entgegenstehender Meinungen, namentlich des
Protagoras, die Frage nach dem Wesen des Wissens zwar nicht zum
^) Vom Standpunkte des heutigen Natur-
forschers hat die ganze Naturlehre Piatons
einer für den Philologen und Philosophen
sehr lesenswerten Betrachtung unterzogen
Rothlauf, Die Physik Piatos, Münch. Progr.
der Realsch. 1887 u. 1888.
^) Im 18. Brief scheint die Lehre unseres
Timaios unter dem Namen UvSayogna ver-
steckt zu sein; siehe meine Plat. Stud. 30 f.
') Verfasst ist der falsche Timaios vor
dem 2. Jahrh. n. Chr., da er bereits von
Nikomachos Harm. I 24 citiert wird. J. R.
Anton, De origine libelli negi tf/v^tig xoafÄto
xai (pvatogy Naumburg 1893.
*) Vgl. Grit. p. 108 a.
^) DüHiCHEN, Hist. Inschr. 1 1—5, von
mir nachgewiesen Plat. Stud. 55 f.
«) Vgl. § 802; die Aenderung der Ponn
scheint diurauf hinzuweisen, dass der Thefttet
nach Protagoras, Euthydem und Symposaoo
geschrieben ist.
^) An den Kampf um Eorinth des J. 368.
dachte Berok, Fünf Abh. zur griech. Phil.
S. 3. Dagegen Einwendungen in meincQ
Plat. Stud. 48 und Zbllieb, Ueber die zeit*
geschichtlichen Beziehungen des plat. Thellet,
Stzb. d. Berl. Ak. 1886 8. 631 ff. und 1887
S. 214, wo die Stelle über die Peliasten p.
165 d für die Zeit 392—390 geltend gemacfat
wird.
4. Die PhUoBophen. o) Piaion. (§ d07.)
447
letzten Abschloss, der nur im Zusammenhang mit der Ideenlehre gegeben
werden konnte, aber doch so weit, dass wir über die erste Stufe der
sinnlichen Wahrnehmung {cuai^r^Cig) und blossen Meinung (rfofa) zur rich-
tigen Meinung und weiter zur richtigen Meinung mit Rechenschaftsgabe
(alr^xkilg do^a fierd loyov) emporsteigen. Zugleich ist die Behandlung des
ganz abstrakten Themas durch herrliche Bilder und Gleichnisse belebt,
wie von der Hebammenkunst {fxaievtixrj) des Sokrates (p. 149— 151) i) und
7on der Seele als dem Taubenschlag der Ideen (p. 197).^) Der Dialog
erhält seine Fortsetzung in dem Sophistes und Politikos, deren Abfassung
aber geraume Zeit später zu fallen scheint. Über seine eigene Abfassungs-
zeit geben die Meinungen sehr auseinander; die einen, darunter Zeller,
setzen ihn bald nach der Zeit der Eingangsscene, um 392, andere nach dem
Euagoras des Isokrates oder nach 374,*) endlich Bergk nach den zweiten
kämpfen um Eorinth im Jahre 368 und nach dem Tode des Königs
Agesilaos 357.*)
2oipi>c%r;g und Ilokitixog, zwei eng zusammenhängende Dialoge,
sollten nach dem Eingang des ersteren den Theätet fortsetzen^) und in
einem nicht mehr geschriebenen 4. Dialoge, 0ik6(fo<pog, ihren Abschluss
finden. 6) Die in ihnen angewandte Methode ist die der Spaltung der Art
in ihre Spezies {SiaiQ^aig^ divisio), durch die schliesslich die richtige De-
finition des Sophisten und Politikers gewonnen werden soll. Die ganze
Methode, 7) deren öde Langweiligkeit dem Verfasser selbst nicht entging, «)
ist weit entfernt von der ethischen Wärme der sokratischen Gespräche
und wird von Piaton selbst als eine fremde dadurch bezeichnet, dass der
Fremde (?«ro$), den Theodoros mitbringt, und der junge Sokrates») Haupt-
träger des Gespräches sind. Schleiermacher nahm an, dass Piaton selbst
') Auf die Hebammenkunst des So-
Icnted ist, wie IK^mbb Sitzb. d. b. Ak. 1896
S. 228 nachweist, schon angespielt von dem
Komiker Arisiophanes in den Wolken 137.
*) Ffir uns Philologen ist auch die Paten-
nsde des Sokrates auf die Philologie p. 146 a
mteressant: o» ti novy to SeodtoQe, iyoS vno
voi^tat diaiAyBc9at xai q>ikovg re xal nQoarj-
T^^ovg öiaXiyeaSai.
') RoBDB, Abfassungszeit des piaton.
Th^itetoB, in Jahrb. f. Phil. 1881 S. 321 ff.
Wid Gm. Gel. Anz. 1884 S. 13 ff., hielt, wie
zn gleicher Zeit Bergk, die Stelle p. 175 a
tter die Lobreden auf Könige zusammen mit
laocr. Eoag. c. 8, wo sich der Rhetor rühmt,
& erste Lobrede auf einen berühmten Mann
^1" Gegenwart geschrieben zu haben. Da-
S^gen betonte Zeller, dass Piaton nicht von
S^scfariebenen Lobreden wie Isokrates rede,
nd bezieht die 25 Ahnen der piaton. Stelle
Bidit auf den König Agesilaos, sondern auf
^MMfD Kollegen Agesipolis (394—380), auf
^ besser die ZaU 25 passe. Replik von
Bahde im Philol. 49 (1890) 1 ff., und noch-
Bils ZeUer im Arch. f. Gesch. d. PhU. V 289 ff.
Ob mis nicht doch der Dialog in einer zwei-
ten Bearbeitung vorliegt, die aus der Zeit
stammt, in der Piaton zu dem Theätet den
Sophistes und Politikos fügte?
*) Aehnlich DOmmler, Chron. Beitr. z.
plat Dialogen 1890 S. 22 ff., der den Theätet
nach 364 setzt; auffällig ist allerdings die
fast wörtliche Uebereinstimmung von Plato
Theät. 172 c mit Isokr. or. 13 (gehalten
353), 30. — Neuerdings kommt Süsemihl,
Ind. lect. Greifs wald 1898 zu dem ScMuss
,nicht später als etwa 387*.
^) Dass die Anknüpfung an den Theätet,
ebenso wie die des Timäus an die Politeia
nur eine äusserliche ist, führt gut aus Brdns,
Das litterarische Porträt. 274 f.
«) L. Spbngel, Phil. XIX 595 stellte
die bestechende Vermutung auf, dass der
Philosophos in den Büchern V VII der
Republik enthalten sei; dagegen spricht, wie
oben schon bemerkt, die Verschiedenheit des
Tons und die Chronologie.
^) üeber diese Methode der diaiQeaig vgl.
Aristoteles Metaph. VI 12.
8) Vgl. 285 d.
') Ueber diesen jungen Sokrates vergl.
ep. XI und Aristoteles Metaph. p. 1036 b 25.
448
GiieohMolie LittentiirgMphichte. L XhuMisohe Periode.
p. 246 b auf die megarische Schule hingewiesen habe und dass wir also
in unseren Dialogen die von Aischines weitergebildete Kunst der eleati-
schen Dialektik vor uns haben. Dagegen weist Dümmler, Antisthenica
p. 51 ff. nach, dass die Spitze des Dialoges mehr gegen Antisthenes ge-
richtet ist.^ Die beiden Dialoge scheinen in dem 13. platonischen Brief
unter dem Titel SiaiQtasiq erwähnt zu sein, wonach ich in meinen Plato-
nischen Studien S. 52 ihre Abfassungszeit um 364 setzte; dazu stimmen
auch die von Schanz und Campbell aufgedeckten sprachlichen Indizien.
Diesen gegenüber kann die frühere, namentlich von Zeller und Susemihl
geteilte Meinung, dass die beiden Dialoge wegen ihres prüfenden Charak-
ters den Jugendschriften unseres Philosophen zuzuzählen seien, nicht mehr
länger bestehen. >)
Der UagfAsviStigy ein Qespräch') des jungen Sokrates mit dem
greisen Parmenides, wird bereits im Sophistes p. 217 c als loyog ndyxaXog
angekündigt.*) Das Gespräch wird von Antiphon, dem Halbbruder Piatons,
wiedergegeben, der seinerseits wieder dasselbe von Pythodoros gehört und
auswendig gelernt haben will. Im ersten Teile desselben bekämpft der
eleatische Philosoph die Ideenlehre, und weicht Sokrates so vor den Ein-
würfen des Gegners zurück, dass er selbst an der Möglichkeit einer dia-
lektischen Begründung jenes Grundpfeilers der platonischen Philosophie
zu verzweifeln scheint. Der zweite grössere Teil enthält eine äusserst
spinöse Erörterung über das Eine und Viele, die eine Probe der eleatischen
und megarischen, mit Antinomien operierenden Dialektik sein will. Wie
aber dieser zweite Teil mit dem ersten zusammenhängt, oder mit anderen
Worten, wie derselbe dazu dienen soll, die im ersten hiüb fallen gelassene
Ideenlehre wieder zu stützen, ist schwer zu sagen, ist sicher von Piaton
nicht klar gelegt.^) Aber deshalb darf man nicht an der Echtheit dieses
hervorragenden Werkes der Disputierkunst zweifeln;^) mir scheint es am
wahrscheinlichsten, dass Piaton im Sinne hatte, dem Parmenides noch
einen andern Dialog nachfolgen zu lassen, der die Lösung bringen sollte.^)
*) Darflber Apblt in der Note srar Stelle
p. 246 b. — Für die Echtheit der Dialoge,
trotzdem sie so sehr von dem Charakter der
IfOKQttjixol Xöyoi abweichen, spricht nament-
lich, dass Aristoteles polit. IV 2 p. 1289 ^ 6
sich auf eine Stelle des Politikos p. 303
bezieht.
') Dem alternden Plato werden die
Dialoge auch von Apklt in den Prolegomena
seiner Ausgabe des Sophistes p. 37 zuge-
wiesen. Dass der Politikos, der mehr von
praktischen Gesichtspunkten ausgeht, nach
der Politeia zu setzen ist, nicht umgekehrt,
wie man früher annahm, beweisst Nusskr,
Ueber das Verhältnis der platonischen Poli-
teia zum Politikos, in Philol. 53 (1894) 13
bis 37.
^) Ueber die Zeit des Gespräches siehe
§ 88; der Ton spitzfindiger Dialektik passt
schlecht zur Person des Sokrates.
*) Zeller und andere nehmen umgekehrt
an, dass Plato an jener Stelle des Sophistes
sich auf den kurz zuvor herausgegebenen
Parmenides beziehe; jedenfalls liegen jene
zwei Dialoge zeitlich nahe beieinander.
^) Zur älteren litteratur bei Subbkibi.
II 353 kommt noch Shobbt, De Platonis
idearum doctrina atque mentis homanae
rationibus, Monachü 1884. Ungenügend ist
der Ausweg Plotins VI 8, dass das er in
dreifachem Sinn genommen werden könne.
^) Für die Unechtheit Schaarbchmidt,
Plat Sehr. 164.
') Gegen diesen Ausweg der Verzweif-
lung erklärt sich Apblt, der schon frfüier
in seinen Untersuchungen über den Parme-
nides des Piaton (1879) unseren Dialog der
früheren Zeit platonischer Schriftstellerei zu-
geschrieben hatte, in der Rezension meiner
Abhandlung in Phil. Anz. 1887 S. 27. Jack-
son, Joum. of Philol. XI (1882) 287 ff. n.
X 253 ff. findet in Parmenides und Phüeboe
die spätere, dem Aristoteles vorschwebende
Form der platonischen Ideenlehre.
4. Die Philosophen, o) Piaton. (§ 307.)
449
Die Abfassungszeit des Parmenides kann von der des Sophistes nicht weit
Der 0ilrjß(jg teilt mit den dialektischen Dialogen der 3. Periode
den Mangel scenischer Einkleidung, so dass es selbst zweifelhaft bleibt,
ob wir uns unter Philebos eine wirkliche Persönlichkeit oder die abstrakte
Fiktion der Jugendliebe vorzustellen haben. Gegenstand des Dialoges ist
die ethische Frage nach der Glückseligkeit, die weder mit Aristippos in
der reinen Lust, noch mit den Megarikem in der blossen Einsicht, son-
dern in der Vereinigung beider zu suchen ist. Der Verlauf der Dis-
kussion führt zum Schlussstein der Ideenlehre, dem aitodya^ov^ und der
Herleitung alles Seins aus der Idee des Guten. ^)
Die Ncfioi in 12 B. bilden das letzte Werk Piatons und fallen in
die Zeit des jüngeren Dionysios.*) Der Standpunkt des Philosophen in
diesem Werk bedeutet einen Abfall von dem Idealstaat und ein Anbe-
quemen an die Wirklichkeit: aus einem Philosophenkönigtum wird eine
Aristokratie, in der aber auch auf den Reichtum Rücksicht genommen
wd; die Gütergemeinschaft wird als unausführbar aufgegeben (p. 739 d)
nnd durch Vorschriften über Ackerverteilung und Beschränkung der Be-
sitzfreiheit ersetzt; die Ehe wird ebenso wenig wie das Privateigentum
aufgehoben, aber sie wie alle anderen Grundlagen des Gemeinwesens, Er-
ziehung, Verteilung der öffentlichen Gewalten, kriegerische Ordnung und
Zucht werden durch eine allseitige, bis ins einzelnste gehende Gesetz-
gebung geregelt. Cicero hat das Verhältnis der beiden Werke nachge-
ahmt, indem er auf den Dialog de republica in späteren Jahren die Leges
folgen Hess. Piatons Gesetze spielen in Kreta, also nicht mehr in Athen;
in ihnen allein auch fehlt die Person des Sokrates ganz. Dass das Werk
anvollendet von dem Autor hinterlassen wurde und sein Schüler Philippos
aus Opus die Herausgabe desselben besorgte, bezeugt Diog. III 37. Der
onvollendete Zustand tritt uns in dem Texte vielfach entgegen, wie z. B.
darin, dass im 5. Buch, teilweise auch im 8., 11., 12., die Form des Dia-
loges völlig aufgegeben ist, und dass im 5. und 12. Buch heterogene Be-
standteile den Fortgang der Untersuchung stören. Die Verwirrung stammt
wahrscheinlich daher, dass der Redaktor zwei Vorlagen des Autors un-
geschickt naiteinander verschmolz.*) — Tür das richtige Verständnis dieser
ausgedehnten theoretischen Beschäftigung Piatons mit der Staats- und
Qesetzeslehre verdient die Überlieferung Beachtung, dass derselbe nicht
selbst von mehreren Staaten, wie Kyrene, Theben, Arkadien, um
') Der Dialog gehört jedenfalls zu den
spiteren Werken des sJtemden Piaton;
oenerdings hat Sieheck, Piaton als Kritiker
ttistotelischer Ansichten (Ztschr. für Philos.
107. Bd.), sogar die Meinung aufgestellt,
dtts Plato in der Polemik unseres Dialogs
oidit 80 wohl die alten Megariker, als das
jfingBt erschienene Buch Proireptikos seines
Schalers Aristoteles im Auge gehabt habe.
«) Vergl. p. 709 e; 710d und 658b mit
Ath. 541 d; dass die Nomoi nach der Repu-
blik geschrieben sind, bezeugt auch Arist.
Polit. II 6. Die Gesetze wnrden bald nach
Piatons Tod herausgegeben, da dieselben in
Isoer. Phil. 12 berücksichtigt sind.
•) Bruns, Piatos Gesetze vor und nach
ihrer Herausgabe durch Philippos von Opus,
1880; ähnlich Bbkgk, Fünf Abh. zur griech.
Philos. S. 188 flf. — Ueber die soziale Seite
der Lehre Piatos in der Republik und den
Nomoi siehe Pöhlm ann , Geschichte des
antiken Kommunismus und Sozialismus, Bd. I
S. 269—581, München 1896.
Baodbach der kl«n. Altertumswisnenachaft. VII. 3. Aufl.
29
450
Oriechisohe Littoratnrgeaohiohte. I. lOaMisolie Periode.
Entwerfnng von Gesetzen angegangen wurde, ^) sondern dass auch einige
seiner Schüler, wie Aristonymos, Phormion, Menedemos, als Gesetzesgeber
thätig waren.»)
308. Unechte und zweifelhafte Schriften. Dahin gehören
ausser den 7 kleinen, im Altertum schon als unecht erkannten Dialogen
'A^toxo^y^) TieQi iixaiov^ nsQl aQStrjg, Jr^fiodoxog, Siav^og, 'EQV^i'ag, ^AXxvtiv*)
noch mehrere andere, deren Echtheit erst die neuere Kritik angefochten hat
Der 0€dYfjc ist eine plumpe Nachbildung des Laches, worin das
Daimonion des Sokrates zum wahren Zerrbild geworden ist.^)
*AlxißidSrjq d knüpft an den Protagoras und die Liebe des Sokrates
zu Alkibiades an. Der Dialog stand als Fürstenspiegel in grossem An-
sehen bei den Späteren, so dass keine Schrift des Piaton öfter kommen-
tiert wurde. Gut und echt sokratisch ist die Weise, wie Sokrates dem
jungen Alkibiades zu Gemüte führt, dass er, bevor er als Berater des Volkes
auftreten dürfe, zuerst über das, was gerecht (dixaiov) und nützlich (cv/ii-
9>£^oi') ist, mit sich ins reine kommen müsse. Aber der Ton und die
Sprache lassen doch durchaus die Feinheit des Piaton vermissen.^) Ver-
fasst wurde der Dialog nach dem Frieden des Antalkidas (p. 105 c, 120a)
zur Zeit des Bündnisses von Athen und Sparta gegen Theben (p. 121a)
um 874, vielleicht im Anschluss an Xenophon, Mem. III 6, 1.
'AXxißidSrjg ß" empfiehlt den Brauch der Lakedämonier, Gott einfach
um das Gute zu bitten, in Übereinstinmiung mit Xenophon, Mem. I 3, 2;
eben diesem haben nach dem Zeugnis des Athen, p. 506 c einige geradezu
den Dialog zugeschrieben. 7)
^Inniag fAsi^cov schildert gleichsam als Ergänzung des Protagoras
mit vieler Feinheit und mit dankenswerter Sachkenntnis das aufgeblasene
Wesen der Sophisten. Ähnlich aber wie im ersten Alkibiades thut Sokrates
in diesem Dialoge dar, dass es nicht angehe, über schöne Einrichtungen
(rcr xaXd) viele Reden zu halten, wenn man nicht zuvor darüber mit sich
ins klare gekommen sei, was das Schöne ist. Ist der Dialog unecht,^)
so muss man jedenfalls zugeben, dass sein Verfasser sich gut in den Geist
und die Methode der platonischen Sokratik hineingearbeitet hat.
"innaQxog interessiert uns zumeist durch die Nachrichten über die
litterarische Thätigkeit des Peisistratiden Hipparchos. Der Hipparch unseres
Gesprächs wird von Sokrates über das Wesen des <ip»Aox€^d»;g examiniert,
wobei die griesgrämige Schulmeistermanier des Sokrates himmelweit von
der feinen Ironie des platonischen Sokrates abweicht.
M Aeüan V. H. II 42 u. XII 30; Diog.
in 23; Plut. Vit. Luc. 2, ad princ. inert. 1.
«) Plut. adv. Col. 32.
') Im Axiochos ist die Lehre Piatons
der epikureischen gegenübergestellt. Einen
Axiochos und Alkibiades schrieb auch
Aischines. — Analyse des Axiochos gibt
iMMiscH, Phü. Stud. zu Plato, 1. Heft, 1896.
*) 'AXxvmy steht unter Lukians Werken;
nach Athen. 506 c schrieben ihn andere dem
Akademiker Leon zu. Dass er zur Zeit der
Stoa im 2. Jahrb. v. Chr. entstanden, be-
weist Aug. Brinkmann, De dialogis Piatoni
falso addictis, Diss. Bonn 1891.
^) Zu vergleichen ist Xenoph. ConT.
8, 5 und Plutarch de genio Socratis.
") Schauerliche Hiaten, wie p. 105 a
xtti si ttv aot et nov 6 avrög. Maoyig, Ad-
vers, crit. I 402 Anm. verwirft den Dialog,
zugleich aber auch den Charmides, Lysis
und Laches.
') Abweichimgen vom Sprachgebrancb
des echten Piaton verzeichnet üsshbk, Nachr.
d. Gott. Ges. 1892 S. 48.
8j Die Echtheit verteidigt C. Fr. Hrat-
HANK, Plat. Phil. 487 ff.
4. Die Plülosophen. o) Flaton. (§ 308.)
451
Msvs^svog knüpft an die Beratung der Ratsversammlung über die
Wahl eines Redners zu Ehren der im Krieg Gefallenen an, wobei Sokrates
nach kurzem dialogischen Vorspiel, dem ein ebenso kurzes Nachspiel ent-
spricht, sich dazu hergibt, das Muster einer solchen Grabrede, welche er
Ton der Aspasia gehört haben will, zum Besten zu geben. Mit kecken
Anachronismen werden darin Dinge berührt, die längst nach Aspasias Tod
vorgefallen sind und der unmittelbaren Gegenwart angehören. Aus diesen
Anachronismen erhellt, dass die Rede nach dem korinthischen Krieg ^) ge-
schrieben ist. Aristoteles kennt dieselbe bereits und bezieht sich zweimal
auf sie (Rhet. I 9 und in 4), aber ohne den Verfasser zu nennen. Diony-
sios erkennt sie als echt an und stützt sich in der Schrift über die Rede-
gewalt des Demosthenes c. 24 — 32 hauptsächlich auf sie, um die Inferio-
rität des Piaton gegenüber Demosthenes darzuthun. Schwerlich aber hat
Piaton auch nur im Scherz es unternommen, dem Lysias und den Rhetoren
seiner Zeit ein Musterstück und dazu eines von so zweifelhaftem Werte
entgegenzustellen. >)
Die ^Eqaaiai haben den Namen von den Geliebten zweier Knaben,
mit denen Sokrates in der Schule des Grammatikers Dionysios das Thema,
dass Philosophie und Vielwissen zwei ganz verschiedene Dinge seien, mit
entlehnten Phrasen bespricht.^)
KXBiTo^pmv schliesst sich an die Politeia an, passt aber eher in den
Mund eines Gegners der platonischen Staatslehre als des Piaton selbst.^)
'EfnvofAig soll als Schlussstein der Gesetze die Erziehung zur Weis-
heit enthalten; aber der pythagoreische Zahlenmystizismus und die un-
platonische Sprache lassen über die Unechtheit keinen Zweifel. Einige
schrieben nach Suidas die Schrift dem Philippos, dem Herausgeber der
Gesetze, zu.^)
Mtvwg, ein geschmackloser, eher eines Grammatikers als eines Philo-
sophen würdiger Dialog, wurde von dem Grammatiker Aristophanes mit
Nomoi und Epinomis zu einer Trilogie zusammengefasst. Den Namen hat
er von Minos, der als Gesetzgeber in die fade Untersuchung über das
Wesen des Gesetzes hereingezogen wird. Entstanden ist der Dialog erst
nach dem Tode des Philosophen um 339.^)
Briefe sind uns unter Piatons Namen 18 erhalten, oder vielmehr 12,
da der erste nicht von Piaton, sondern von seinem Freunde Dion an den
König Dionysios gerichtet ist. Die Sammlung ist aus verschiedenen Be-
standteilen zusammengeflossen, wie man schon daraus sieht, dass der
13. Brief, wiewohl er an Dionysios gerichtet ist, nicht bei den übrigen
anf sikilische Verhältnisse bezüglichen Briefen (1—8) steht. Die meisten
*)Meii. 3456.
') Fttr die Echtheit spricht sich aus
Bu88, Att Bereds. U 431 ff., und Dibls,
I(m 3. Bach der anst Rhetorik 21 ff.; yon
anem flüchtig hingeworfenen Scherz Piatons
Bpricht Bbbok, Gr. litt IV 460. Einen Dia-
log ABpasia achrieb Aiachines.
*) In Plat Stad. 56 f. wies ich nach,
datB nach einer Stelle unseres Dialoges p.
135 e der Grammatiker Aristophanes von By-
zanz den Beinamen nevxa&Xoy erhielt.
^) EuKEBT, Quae inter Clitophontem et
Plat. Rempublicam intercedat ratio, Gryph.
1881.
») Zbllek, Phil. d. Griech. II» 891 ff.
^) BoECKH, Comm. in Platonis Minoero,
Halis 1806; üsenee, Organisation der wiss.
Arbeit, Preuss. Jahrb. 53, 20.
29*
452 aiieohuiehe LüteratnrgeMhiohte. L KlMsisohe Periode.
und längsten der Briefe betreffen die Beziehungen Piatons zu den Macht-
habem Sikiliens und dienten den Parteiinteressen der Anhänger Dions;
aber gerade diese sind trotz der vielen Detailangaben entschieden unecht
Die im 2. und 7. Brief (p. 312 d und 341 f) ausgesprochene Anschauung,
dass Piaton seine Lehren über die letzten Dinge nicht durch die Schrift
veröffentlicht, sondern für enge Kreise von Eingeweihten zur bloss münd-
lichen Darlegung vorbehalten habe, ist aus jener Geheimniskrämerei her-
vorgegangen, die erst nach Piatons Tod mit dessen Lehre getrieben wurde.
Die Stelle im 8. Brief p. 353 e von dem drohenden Untergang der helleni-
schen Zunge durch die Herrschaft der Punier und Opiker klingt wie ein
augurium ex eventu aus der Zeit nach dem Pyrrhuskriege (280). Aber
deshalb brauchen noch nicht alle Briefe unecht zu sein ; die Echtheit des
für Piatons Charakter und Lehre hochwichtigen 13. Briefes habe ich Plat.
Stud. 25 ff. nachzuweisen gesucht;^) doch scheinen auch in diesen unechte
Zusätze, wie über das Merkmal ernst gemeinter und konventioneller Briefe
(p. 363 b), eingeschoben zu sein.
3<)9. Der Gesamtcharakter und die Lehre Piatons.') Wenn
wir statt die Lehre Piatons im allgemeinen darzulegen, so lange bei den
einzelnen Schriften verweilten, so hat dieses seinen nächsten Grund in der
speziellen Aufgabe einer Litteraturgeschichte, die sich mit der einer
Geschichte der Philosophie nicht deckt. Aber auch zum Verständnis
des Wesens der platonischen Philosophie wird fast mehr ein ein-
gehendes, liebevolles Hineinleben in seine einzelnen Schriften, als eine
zusammenfassende Darlegung seines philosophischen Gesamtsystems ge-
fordert. Piaton lebte noch in der glücklichen Zeit der kleinen Bücher
und hatte, wenn er durch einen äusseren umstand veranlasst oder durch
momentane Schaffenslust getrieben, bald seinen teueren Lehrer gegen un-
gerechte Angriffe in Schutz nahm, bald die Waffen der Polemik gegen die
Aufgeblasenheit der Sophisten oder die Streitsucht der Eristiker kehrte,
bald herz- und geisterhebende Scenen eines athenischen Gastmahls vor-
führte, nicht immer zugleich den Plan eines grossen, nach und nach im
einzelnen auszubauenden philosophischen Systems vor Augen. Er war
ausserdem nicht gleich im Anfang seines schriftstellerischen Auftretens mit
seiner philosophischen Lebens- und Weltauffassung bereits fertig; er empfing
nicht bloss im Laufe der Zeit neue Anregungen von aussen, von den Me-
garikern, Eleaten, Pythagoreern, er stiess auch vielfach erst im Ausar-
beiten seines Systems auf Schwierigkeiten, die er nicht vorausgesehen
hatte, und die ihn zur Modifikation und Ergänzung seiner früheren Auf-
fassungen nötigten.') Sicher liegt der Glanzpunkt Piatons nicht in dem
M Dagegen erheben Einsprache Zbllbb, Tübingen 1896.
Gesch. d. gr. Phil. 11^ 1, 483 und Süskmihl, •) Tim. p. 48e: ra /liy ya^ dvo Ixavn
AL Lit. 11 582. rjy tni zoTg ifiTtgoa^sy X^j^dstcir, iy ftit^ wg
*) üeber das System Piaions handeln TtaQu^ely/aaiof ctdog vnoisSey, yoijror xai
TsTiNEMAHN, System der plat. Philosophie, nei xal xaid ratha oy, fii^tifAtt di na^a-
1792, 4 Bde. ; Heusde, Initia philosophiae | ^eiy/aarog, ^sviSQoy yiyicty i/oy xai ogatoy •
Platonicae, Utrecht 1827, 5 Bde. ; Ribbiuo, i rgitoy de tote fiiy ov dieiXo^ueSa yofn'cayiei
Genetische Darlegung der plat. Ideenlehre, ' »^« <^*'o ^■f«*»' Ixaywq, vvy di o Ao/oc eoixer
1>^63, 2 Bde.; Pkipkbs, Ontologia Platonica i eiaayayxäCeiy /«A«tioV xcu «r^vd^or eldos
18^3, 2Bde; Pflbidebeb, Sokrates und Plato, I i7iixei(>eiy Xoyois ifiipttylcm. Was hierPk-
4. Die Philosophen, o) Platon. (§ 809.) 453
Ganzen seines Systemes, das eben schon dem Aristoteles viele und be-
denkliche Angriffspunkte darbot,^) sondern in der Kunst seiner einzelnen
Dialoge. Aber selbstverständlich gehört zur vollen Würdigung Piatons auch
die Entwicklung seines Systems.
Platon also ist gleich im Anfang ausgegangen und immer wieder
Zurückgekehrt zum Unterschied der zwei Welten, der Welt der im ewigen
Fluss begriffenen, sinnlichen Erscheinungen und der Welt der ewig sich
gleich bleibenden, allein wahrhaft seienden Ideen (eiSrj oder tSeai). Der
Unterschied hat sich ihm aus der Methode seines Lehrers Sokrates und
aus erkenntnistheoretischen Untersuchungen ergeben: ein Wissen {imaxrj^rj)
gibt es nur von dem stets sich gleich Bleibenden, dem Wesenhaften der
Dinge; die Sinneswahrnehmungen oder die Eindrücke, welche die veränder-
liche Welt der Erscheinungen auf uns übt, führen nur zu einem Meinen
((fdjflf), keinem Wissen {smiXTrjfirj). Dass der Begriff {oqoc) eines Dinges
verschieden sei von den einzelnen Erscheinungen des Dinges, hatte bereits
Sokrates richtig erfasst, Platon ging aber darin über seinen Lehrer hinaus,
dass er diesen Begriffen oder Formen (eiSrj) der Dinge ein Sein für sich,
neben und über der sichtbaren Welt gab (Transcendenz).*) Ausgebildet
liegt dieses Zweiweltensystem bereits im Phaidros vor; hier wird auch
bereits das Verhältnis beider dahin bestimmt, dass die Dinge dieser Welt
nur Abbilder (sidtoXa) der Ideen sind, was leicht zu dem weiteren Satze
hinöberleitete, dass dieselben überhaupt nur insofern sind, als sie an der
Idee teilhaben. 3) Die Mängel dieser Lehre traten erst zu Tag, als Platon
dieselbe zu einem System zu erweitern und aus jenen Grundbegriffen die
ganze Welt zu konstruieren versuchte. Schon das Hinausgehen über die
Sphäre des Ethischen, in der zuerst solche allgemeine Begriffe gewonnen
worden waren, führte zu Schwierigkeiten und nötigte Platon das paradoxe
Zugeständnis ab, dass neben den einzelnen Menschen ein Idealmensch
(aiioav^Qwnog) und neben den einzelnen Tischen ein Idealtisch (avror^a-
TTffa) existiere. Weitere Schwierigkeiten machte der Begriff des Guten
und Einen, da doch eigentlich das avzodyaxhov und avxo i'v nur die Be-
deutung einer von vielen Ideen hatte, von Platon aber zur Geltung des
obersten Prinzips oder Gottes, an dem wieder alle Ideen teil hätten, er-
hoben wurde.*) Vollends bei der Weltschöpfung gerät unser Philosoph
ton von dem vorderen Teil des Dialogs sagt,
giH zugleich von der früheren Periode seines
Lebens.
») Namentlich in Met A 9 u. M, N.
Aristoteles geht in seiner Polemik allerdings I xai ov xmy aia^ijnSy • d^vvaxov ydq elvai,
^(Hi der spftteren, nicht schriftlich nieder- | tov xoivov öqov xmy aia9rjttSy riyog, del ys
ov^iv, iy fjLiyto^ rovroig ro xa&oXov ^fjrovyros
xai negi oqmfjuay iniajijaaytog nQiütov Ttjv
didyoiay, ixetyoy dnodc^dfieyog did ro loiovxoy
vneXaßey ug negl hegtoy rovio yi,yv6(j,BPoy
gelegten Lehre Piatons aus, aber viele der
Angriffe treffen auch die Gestalt der Ideen-
lehre, wie sie nns in den erhaltenen Dialogen
Tortiegtw
*) Arisi. Met A 6 : ^x yiov ffvyij&tjg ye-
nfiirog (sc. Jlkdrioy) TtQtSzoy Kgatvlt^ xai
"K 'HgaxXettsioig do^aig, tig dndvxtay ra>y
fi^dijTtoy aei ^Boytaty xai iniCTtjfÄtjg negi
«Ptmy ovx ovcijg, tavra fiiy xai vfftegoy
^wg vniXaßey ' ItoxQaxwg &k negl fiky td
i^ixd nqayfJtajBvofiiyov, iebqI di x^g qivcswg
f^etetßa'AXoyttoy . ovt ojg (ihy ovv td roiavta
rtoy oyxfay ideag nQocrjyoQSvce^ rd 6* aiaSrjrd
nagd ravta xai xaxd xavta Xiysa&a^ ndvxa,
•) Plat Phaed. p. 100c: (palyexai ydg
jUOt, st xi iaxiy dXXo xaXoy nXrjy avxo xo
xttXoy, ovdi dl* l^y aXXo xaXoy Biyai, rj dioxi
fjLBxixB^ ixBLvov xov xuXov. Dagegen Aristot
Met A9 p. 991* 9 ff.
*) Plat Phaed. p. 97 c: 'Jya^ayogov X^-
yoyxog <og dga yovg iaxiy 6 dtaxoc/juoy tb
xai ndyxtoy aXxiog, xavxjn dtj rp alxitf ijc^tjy i
3
454
OrieohiBche Liiieratiirgascliiohte. L KUMisohe Periode.
auf den doppelten Abweg, einmal den Schöpfer sich ganz in der Art der
anthropomorphen Religion des Altertums als einen nach einem Vorbild
schaffenden Menschen vorzustellen, und dann denselben, damit er über-
haupt aus dem unendlichen Raum, dem grossen Enetstoffe {ixfiayeiov),
etwas formen könne, mehr mit Zahlen und geometrischen Figuren als
mit begrifflichen Ideen operieren zu lassen.
Entschieden glucklicher war Piaton mit seiner Ideenlehre auf dem
Gebiet der Ethik und Politik; hier blieb er eben mit den Ideen in dem
Kreise, aus dem dieselben hervorgegangen waren. Wenn er die Unsterb-
lichkeit der menschlichen Seele begründet und in der aufleuchtenden Er-
kenntnis einer Wahrheit nur ein Rückerinnem an ein früheres Leben sieht,
wenn er den irdischen Leib {üoSfia) als ein Yerliess {c^fJia) fasst, in das
hienieden die unsterbliche Seele gebannt sei, wenn er die im Kopfe sitzende
Weisheit {Xoykttixov) als herrschende Macht den zwei anderen, mit dem
Körper enger verbundenen Teilen der Seele, dem &vfio€iiäg und im&vfAij"
%ix6v, gegenüberstellt, wenn er endlich den Weisen auch im Staate zur
Herrschaft über die Krämer und Bauern berufen erklärt, so stützt er sich
hier überall auf jene Grundanschauung von der alles Sinnliche über-
strahlenden Hoheit der Ideen. Manche werden freilich auch diese Sätze
nicht gelten lassen, und dass die rauhe WirkUchkeit den Praktiker nötige,
die Forderungen der reinen Idee herabzustimmen, hat ja Piaton selbst in
seinen Gesetzen zugegeben. Auch wird der strenge Denker ebenso in dem
die Ethik, wie in dem die Physik betreffenden Teile der Schriften Piatons
daran Anstoss nehmen, dass der Philosoph da, wo der dialektische Beweis
versagt, zu dem Mythus seine Zuflucht nimmt. ^) Aber immerhin bleibt
der Idealismus Piatons der leuchtende Stern in dem Streben und Hoffen
der Menschheit, und bleiben seine Werke die glänzendsten Erzeugnisse des
hellenischen Geistes, in denen Tiefe der Gedanken mit farbenreicher Schön-
heit der Sprache in glücklichster Weise gepaart ist. Schön ist dieses aus-
gedrückt in einem Grabepigramm der Anthologie VH 62, das den Adler
die Seele des Piaton zum Himmel tragen lässt.
Ausser der philosophischen Gesamtanschauung kommen bei Piaton
wie bei jedem Schriftsteller die sprachlich stilistische Kunst und der Um-
fang des realen Wissens in Betracht. Über die erstere habe ich mich be-
reits oben § 302 ausgesprochen : Plato ist nicht bloss der grösste Meister
TS xal idoS^ fioi T^noy uvd bv l/e/v to xov
vovv Eivai ndvtfüv aXx^ov^ xal ijyrjaäfitjyf ei
10V&* ovTOif l/€ft, ToV ye vovv xoafiovyxa
ndvxtt xoofjisTy xai ixacxov xi&iytu xavxjj
onjn dy ß^Xxiaxa exn xxX. Rep. VI p. 509 b:
ovx ovaittf oyxo^ lov dya&oVf aXX^ ixi ine-
XBiyt€ x^g ovaiag nQecßeitf xal dvydfASi vneQ-
^Xoyrog.
^) Solche Mythen sind der von Prome-
theus und Epimetheus (Protag. 320c ff.), von
der Beflügelung der Seele (Phaedr. 246 a ff.),
von der Teilung des Urmenschen in Mann
und Weib (Symp. 189 d ff.), von der Erzeu-
gung des Eros (Symp. 203 a ff.), von d«i Er-
lebnissen des Armeniers Er im Jenseits
(Rep. 614b ff.), von den wechselnden WeÜ-
perioden und dem goldenen Zeitalter (Politie.
269c ff., Leg. 713b ff.), von den Aüantiden
(Eritias 108 e ff.), von der SchOpfong der
lebenden Wesen (Tim. 41a ff.). Eäne ähn-
liche Bedeutmag hat die schOne Allegorie
von der Höhle, in welcher die Menscheii
nach rflckwärts gewandt sitzend nur die
Schattenbilder der Yorabergehenden sehen
(Rep. 514), oder der Veigleidi dee Gatoi nut
der Sonne, durch deren erleuchtende and
schaffende Kraft die Dinge zugleich eii:annt
und belebt werden (Rep. 509 b). Vgl. Hinan.,
Der Dialog I 259 ff.
4. Die Philosophen, o) Piaton. (§ 810.)
455
des Dialoges, er hat auch die Reinheit und Schönheit der attischen Sprache
in mustergiltiger Vollendung zum Ausdruck gebracht, so dass er den Atti-
kisten der römischen Kaiserzeit neben Demosthenes und dem Sokratiker
Aischines als Hauptvorbild galt. Das reale Wissen der Griechen stand
zur Zeit Piatons noch nicht auf sehr hoher Stufe; aber was auf dem Ge-
biet der Mathematik und Physik damals bereits erforscht war, hat er sich
eifrig angeeignet und f&r den Ausbau seines Systems in subtiler, wenn
auch wenig fruchtbarer Weise verwertet. *) Für die Geschichte und die
historische Kritik hatte unser Autor wie fast aUe Philosophen des Alter-
tums wenig Interesse; auffällig ist seine Kritiklosigkeit in litterarhistori-
schen Fragen: er bekannte sich nicht bloss in litterarischen Einzelfragen,
wie wir oben bei Tyrtaios und Theognis gesehen haben, zu irrigen Vor-
urteilen, er nahm auch aus Voreingenommenheit für die religiöse Poesie
die Fälschungen des Onomakritos als echte Schöpfungen des Orpheus
gläubig hin. In diesem Gebiet bezeichnet Piaton gegenüber Herodot einen
entschiedenen Rückschritt.
310. Die Akademie. Für die Fortpflanzung der Lehre und die
Erhaltung der Werke Piatons sorgte vor allem die von ihm gestiftete
Akademie, die sich unter verschiedenen Wandlungen bis zum Ende des
Altertums erhielt.*) Nächster Nachfolger Piatons war sein Neflfe Speu-
sippos (347 — 339), der die Ideenlehre seines Lehrers mit der Zahlenlehre
der Pythagoreer verquickte, indem er einerseits das Eins und die Zweiheit als
die Anfänge {ccQxccfj der Zahlen und damit alles Seienden hinstellte, anderseits
das Gute zum Ziel und Schlussstein (täXog) des Ganzen machte.^) — Ähnliche
Pfade wandelte dessen Nachfolger Xenokrates aus Chalkedon (339 — 314),
der zuerst die 3 Teile der Philosophie, Dialektik Physik Ethik, unter-
schieden haben soll und 3 Stufen des Seins, die Welt der Sinne {cdad-rjfcrj
Qva(a)^ die des Geistes (vorp:i^) und die des Himmels oder der Gestirne (rj
to^affrrj xai avv&cTog, 7] avxov xov ovgavov) aufstellte.^) — Die Reihe der
alten Akademiker beschliessen Polemon,^) Erates aus dem Demos Thria,
Krantor, die sich wieder mehr der praktischen Tugendlehre zuwandten
und von denen sich namentlich der letzte, Erantor, durch sein Erbauungs-
buch über den Schmerz {rts^l Tiäv&ovg), gerichtet an Hippokles zum Trost
über den Tod seiner Einder, einen grossen Namen machte.^)
In der Aikademie wurde auch das Studium und die Eommentierung
der Werke Piatons sorgfaltig gepflegt. Während aber die ältere Zeit sich
auf Schriften über sein Leben und seine Schriftstellerei beschränkte,') begann
') Siehe oben za TimaioB S. 446 Anin. 5.
') Man nnteiBchied die Altere, mittlere,
und neuere Akademie und die theologische
Biehtong der Nenplatoniker. Auch ward zur
Zeit des Wiederanflebens der platoniflchen
Stadien in der Renaissance gleich wieder
cnie nene Akademie zu Florenz unter der
Leitmig des berOhmten Uebersetzers Piatons,
Mttsiglio Iicino, gegründet.
') Erhalten sind von Speusippos Briefe,
^inmter einer an König Philipp unter den
£pisi So<7aticorum n. 30; ttber die Echtheit
harschen Zweifel; s. Susemihl AI. Lit. ü 586.
*) Sext. Empir. adv. math. VII 15 u. 147.
Die einzelnen Schriften sind aufgezählt bei
Diog. IV 11-14.
Bj Auf dessen Bekehrung von laderlichem
Leben zur Philosophie spielt an Horatius
Sat. I 3, 254.
') Das Buch ward später von Cicero in
der Schrift Gonsolatio und von Plutarch
in seiner Trostrede benutzt; vgl. Süsbhihl
AI. lit. I 120 Anm. 567.
^) üeber Speusippos Lobrede auf Pia-
456
Orieohlsohe Litteratnrgeaohiohte. I. Elassiache Periode.
mit der römischen Kaiserzeit die bücherreiche Periode der Kommentare. Zu-
nächst beschäftigte man sich mit der Erklärung einzelner dunkler Stellen
(kä^eig), deren es ja in Piatons Schriften, namentlich im Timaios, genug
gab; dann folgten Zusammenstellungen dunkler, später aus dem Sprach-
gebrauch verschwundener Wörter (y^wcrcrai), zusammenhängende Erläute-
rungen (vTioiivj naxa) und Einleitungen («Mraywya/), die sich namentlich
gegen Ende des Altertums in den Schulen der Neuplatoniker häuften.
Spezialwörterbttcher verfaflsten Harpokration, Zeitgenosse Cftsars, der nach Snidas
Ai^eiri nXdiwyoi in 2 B. schrieb; Didymos Areios unter Kaiser Angostas« aus dessen
Schrift Ttegl xtäy naqd nXaiatyi dnogovfieytoy Xe^etav Millbr, M^langes de litt, grecqne
p. 399—406 dürftige Exzerpte mitgeteilt hat; Boethos (2. Jahrh.), dessen £vyay»yij
Xe(€(ay nXartoyixtiy Photios Cod. 154 erwähnt nnd in seinem Lexikon fleissig benatzt hat;
Theon Smyrnäus aus der gleichen Zeit, dessen Schrift negi ti6y xard ro fiai^rjfitntxoy
XQrjalfjLtoy siq irjy Dkdrwyos dydyytamy Hillbr in Bibl. Teubn. herausgegeben hat; endlich
Timaios (3. Jahrb.), von dem uns ein kompendiarisches Glossar, n^qi taiy nagd nXdrtiyi
Xi^ewy xatd axoix^loy erhalten ist.
Kommentare, die uns nicht mehr erhalten sind, verf aasten Potamon (vor Aagustos,
nach Suidas) zur Politeia, Galvisius Taurus (2. Jahrh.) zu Gorgias (s. Gellius VII 14, 5),
Seyerus und Atticus (s. Müll ach FPG III 175—205), Plutarch negl rrjg iy Ttfiam
%l}vxoyoviag, und Galen zu Timaios. — Im 4. und 5. Jahrh- waren die Hauptkommentatoren:
Herme ias, Schüler des Sjrian, dessen weitschweifigen Kommentar zum Phaidros Ast,
Lips. 1810 herausgegeben hat; Proklos, von dem Kommentare zu Alkibiades, Kratylos,
Parmenides, Politeia (Gomment. in remp. ed. R. Scholl, Berl. 1886, eine neue Ausg. nach
Cod. Vatic. 2197 von Pitra, in Spicil. Solesm. t. V; dazu Supplementa ad Procli comment
in Plat. de rep. libr. von Ric. Reitzbnstbin, Bresl. phil. Abb. 4. Bd.)i Timaios; Olympio-
doros, der ausser einer Lebensbeschreibung Piatos Kommentare zu Alkibiades, Gorgias,
Phaidon, Philebos verfasste, welche uns zum Teil, aber in der rohen Gestalt von Kollegien-
nachschriften vorliegen; Albinos (irrig Alkinoos) dessen Eiaaytoyij und Aöyog dtdairxaXiMog
ttoy nXdi(oyog doyfAattoy auf uns gekommen sind. Ausserdem hören wir von Kommentaren
des Longinos zu Phaidon; des Porphyrios zum Sophistes; des Syrianos zu Phaidon,
Politeia, Nomoi; des Damaskios zu Alkibiades.
unsere Schollen, welche aus den Randbemerkungen der Platonhandschrilten allmfth-
lich von SiEBENKEEs, RuBNKEN, G AISFORD Zusammengetragen wurden und zu Gorgias nnd
Timaios am umfangreichsten sind, enthalten Exzerpte aus philosophischen Kommentaren,
grammatische Glossen aus Lexicis, darunter auch aus Diogenian, Erläuterungen aus Spridi-
w5rtersammlungen und geographischen Verzeichnissen; vgl. Mettauer, De Plat. scholiorom
fontibus, Zürich 1880; Naber, Proleg. in Phot. lex. I 54 ff. u. 113 ff.; Gohn, Unters, fiber
die Quellen der Platoscholien, in Jahrb. f. Phil. Suppl. 13 (1882) 771 -864. ~ Im Mittel-
alter ist bei den Griechen in Byzanz das Studium des Piaton bis auf Psellos (Krum-
BACHER, Byz. Litt.^ 436 u. 442) brach gelegen; im Abendland studierte man fleissig den Ti-
maus, aber nach der unvollständigen Uebersetzung und Erklärung des Chalcidius aus
dem 5. Jahrh. (ed. Wrobel, 1876). Bei den Arabern blühten am meisten im Mittelalter die
Piatonstudien neben denen des Aristoteles; aus ihnen sind zahlreiche Uebersetzungen und
Kommentare zu den Hauptdialogen hervorgegangen, wie zur Republik von Averroes.
Die Codices gehen auf eine Ausgabe der römischen Kaiserzeit zurück, in der die
Ordnung der Dialoge nach Thrasylos befolgt war; die besten sind: Clarkianus (B) ge-
schrieben 895, ehedem auf der Insel Patmos, jetzt in Bibl. Bodleiana; derselbe enthält nur
die sechs ersten Tetralogien (s. Schanz, Novae comment. 105 ff.); Parisinus 1807 {A) s. X,
enthält die zwei letzten Tetralogien; Venetns s. XII, Hauptvertreter der zweiten Familie
in den sechs ersten Teiaralogien. Die Beschränkung des kritischen Apparates auf diese drei
Codd. führte Sohanz auf Grund neuer Yergleichungen durch, während Bekkbb noch eine
zehnfach grössere Anzahl von Codd. herangezogen hatte, und auch jetzt noch andere Ge-
lehrte, wie Jobdan, Wohlbab, Kbal, die Heranziehung von mehreren Godd. zur Fest-
stellung der Textesaberlieferung fOr nötig halten, üeber einen alten Papyrus des Phaidon
Usbkbb, Nachr. d. Gott. Ges. 1892 S. 25 ff.
Ausgaben: ed. princ. ap. Aldum 1513; ed. Stephanus 1578 fol. mit Seitenabteüangen,
nach denen gewöhnlich citiert wird; mit kritischem Apparat von Ihm. Bbkkbk, London
ton, über Hermodoros Nachrichten vom
Leben und den Schriften seines Lehrers, so-
wie über die Ordnung der Werke Piatons
durch Aristophanes von Byzanz, siehe oben
§ 302 und übbebwbg V 178 ff.
4. Die Philosophen, d) Ariototeloa. (§ 31 1 .)
457
1826, 11 tom.; von Battbr-Obblli-Winokblhann, Turici 1842, 2 pari, in 4^; von Sohatiz,
Lipe. ed. maior et min., noch nicht vollendet mit grundlegendem krit. Apparat; mit latein.
Kommentar in Bihl. Goth. von Stallbaum, 10 vol., in neuer Bearbeitung von Wohlkab-
Apblt-Eboschbl; TextauBg. mit Scholien in Bibl. Teubn. von G. Fr. Hbrmann-Wohlbab. —
Dialog! sei. ed. Hbindorf-Bottkann, Berl. 1827. — Ausgewählte Dialoge mit deutschem
Eonmi. von Dbüschlb-Cron-Wohlrab bei Teubner; von Saüppb-Gbrckb (Gorgias u. Protagoras)
\L ScBHELZBR bei Weidmann; vonScBAirz (Euthyphro, Eriton, Apologie) bei Tauchnitz. — iSnzel-
snsgaben: De civitate rec. et annot. Chr. Schneider, Lips. 1833, 3 vol.; von Jowett-Cahp-
BKLL Oxford 1894, 3 vol. — Sympos. in usom schol. ed. 0. Jahn, ed. II cur. Usbnbr 1875
mit kritischem Apparat und Scholien; von Huo mit erklärenden Anmerkungen, 2. Aufl.,
Leipz. 1884; von Rbttio, Halis 1875. — Sophista u. Politicus von Campbell, Oxford 1867.
— Hartiv, ^des sur le Timöe, Par. 1841, 2 Bde; Abohbr-Hind, The Timaeus of Plato,
London 1887. — Phaedms cum scholiis Hermiae ed. Ast, Lips. 1810. — Phaedo explan.
Wyttbnbach, Lips. 1825. — Piatos Gesetze mit Eommentar von Konst. Ritter, Leipz. 1896.
Hflfsmittel ausser den oben § 299. 302. 303. 309 angeführten : Lat. Uebersetzung von
Fra»ü8, Flor. 1483. — üebers. mit epochemachenden E^eitungen von Schlbiebmachbr,
3. Aufl. 1861. — Uebers. von Hier. Müller, mit guten Einleitungen und mit dem Leben
Platons von Steinhart, Leipz. 1859. — Lex. Platonicum von Ast, Lips. 1838, 3 vol.; eine
Nenbearbeitong vorbereitet von der Hellenic Society. — Tbupfbl, Uebersicht der plat. Litt. 1874.
d) Aristoteles (884— 822). i)
311. Leben. Aristoteles ward 384 zu Stagira,*) einem Städtchen
der thrakischen Chalkidike, geboren. Sein Vater Nikomachos war Leib-
arzt des makedonischen Königs Amyntas II; von ihm hat der Sohn die
Liebe zur Naturforschung geerbt, ») durch ihn ward derselbe auch in Be-
ziehungen zum makedonischen Königshause gebracht. Seine Ausbildung
erhielt er in Athen, wo er im Umgang mit Piaton 20 Jahre bis zu dessen
Tod. weilte (367—347). Er hörte also den Piaton in der letzten Phase
seiner philosophischen Entwicklung, wo er den Timaios und die Nomoi
schrieb und bereits zur mystischen Zahlenlehre der Pythagoreer hinneigte.
Es ist das wichtig zur Deutung der uns vielfach befremdenden, von den
erhaltenen Schriften Platons abweichenden Darstellung der platonischen
Lehre durch Aristoteles, wichtig auch, um den geringen Grad der An-
ziehungskraft zu begreifen, den der alternde Piaton auf den jungen Ari-
stoteles übte. Der Gegensatz der beiden Naturen, des schwärmerischen
Idealismus des einen und des nüchternen Realismus des andern, trat später
anverhüllter hervor ; doch zeigte auch dann noch der Jünger eine gewisse
Scheu, gegen den Meister zu polemisieren, wie er das Eth. Nie. I 4 mit
den berühmten, auf einen platonischen Ausspruch (Resp. 595 c; cf. 607 c)
gestatzten Worten ausdrückt: afiffoiv (i. e. dkrjO^siag xai IlXaicovog)
ortotr ffiXoiv oaiov ngorifiav vtjv ähjd^eiavA) In jüngeren Jahren, wo er
*) Diog. V 1 — 35, der aus der Mono-
graphie des Hermippos und Ariston, Demetrios
Magnes Ttsgi ofjitavvfiwv, und Apollodors
Clironik schöpfte. Vita Menagiana (mit deren
ostem Teüe der Artikel des Snidas stimmt)
QB^ Vita Marciana, beide kritisch berichtigt
bd Placb. Hesych. Mü. p. 245—255; mit der
letzteren, die wahrscheinlich von Olympiodor
befrfihrt» stimmt wesentlich überein die Vita
Aristot. von Ps. Ammonios. Dionys. Halic. ep.
ad Amm. 15. — Neuere Darstellungen:
BüBLB, Vita Arist. per annos digesta, im
1. Band der Bipontiner Ausg.; Stahr, Ari-
stotelia, Halle 1830-2, 2 Bde; Lewbs,
Aiistotie, London 1864, ins Deutsche über-
setzt von Garus, Leipz. 1865; Grotr, Ari-
stotle (posthumes und unvollendetes Werk),
II ed. Lond. 1880; Wilamowitz, Aristoteles
u. Athen. I 311 ff.; Gercke bei Wissowa.
^) AeltereForm des Namens ist Stagiros.
•) Oncken, Staatslehre des Arist. I 3 ff.
*•) Spätere stellten in erdichteten Anek-
doten das Verhältnis schlimmer dar, wie
dass Piaton den Arist mit einem Füllen ver-
glichen habe, das gegen seine Mutter aus-
schlage (Diog. 7 2). Aristoteles selbst be-
zeichnet sich noch häufig in der Metaphysik
durch den Plural Uyofiev als Glied der
platonischen Familie. Uebrigens kann man
den Aristoteles nicht von dem Vorwurfe frei-
458
Qrieeliisohe UtieraiiirgMMhiebie. L ¥liBiri«<^h» Periode.
seinen Gefühlen noch freien Lauf in poetischen ErgQssen liess, hat er
seihst voll schwärmerischer Bewunderung in einer Elegie an Eudemos des
Mannes gedacht, den selbst zu loben den Schlechten nicht zukomme
(dvdQog ov ovi' aivfVv zoTai xaxoiai ^^/ui^).*) Übrigens war er nicht jene
20 Jahre hindurch nur Schüler und Hörer des Piaton; in der Akademie
arbeiteten die jüngeren Genossen neben dem Meister an freigew&hlten
Problemen und hielten neben dem Schulhaupt auch selbst in engeren
Kreisen von Schülern Vorlesungen. So scheint Aristoteles schon in jener
Zeit Vorträge,*) und zwar spezieU über Rhetorik gehalten zu halten. Zum
Schüler hatte er unter andern den jüngeren Theodektes, dessen Namen
seine erste Schrift über Rhetorik trug.^) Bei Errichtung dieses Kursus
über Rhetorik wird er wohl in Gegensatz zu Isokrates getreten sein; ob
er dabei auch den Vers gesprochen ahxQov <fi(anav, ^coxqcnrj S'iav A^«»*)
lassen wir dahingestellt sein. Schlecht stimmt dazu die Anerkennung, die
er dem Isokrates in seiner Rhetorik dadurch erweist, dass er mit ausge-
sprochener Vorliebe aus dessen Reden Beispiele wählt. ^) Übrigens behan-
delte er nicht bloss die Theorie der Beredsamkeit, sondern bildete sich
auch selbst zu einem Redner von überzeugender Kraft aus, wie Anti-
pater bei Plutarch, Alcib. et Coriol. comp. 3 bezeugt.
312. Nach dem Tode Piatons (347) verlebte Aristoteles zuerst emige
Jahre bei seinem Freunde Hermeias, Herrscher von Atameus und Assos
in Mysien, den er schon bei Piaton kennen gelernt hatte ^) und dem er
bis zu dessen gewaltsamen Tode in warmer Liebe anhing. Seinem An-
denken widmete er eine Statue in Delphi 7) und ein weihevolles Skolion,
das uns zum Teil noch erhalten ist. Auch nahm er dessen Nichte und
Adoptivtochter Pythias zur Frau. Im Jahre 342 folgte er, nachdem er
vielleicht inzwischen (344 — 2) noch einmal in Athen gewesen war,*) einer
Einladung des Königs Philippos nach Pella ») zur Übernahme der Erziehung
seines Sohnes Alexander, die er 3 Jahre lang leitete, gewiss nicht ohne
in seinem königlichen Zögling die hochstrebenden, durch die Lektüre
Homers genährten Gedanken zu wecken, welche derselbe dann später in
Thaten umsetzte. Auch für seine Heimat verwandte er seinen Einflußs
sprechen, über Stellen Piatons ungenau be-
richtet zu haben; so hat er Polit. IV 2
p. 1289 *> 5 die Worte Piatons PoUtik. p. 303
offenbar verdreht
^) Die Elegie wird angefahrt von Olym-
piodor zu Plat. Gorg. 166, und von ihm
ebenso wie vom Verfasser der Vita Marciana
auf Piaton bezogen, der freilich nicht ge-
nannt ist. Bernats, Ges. Abh. I 141 ff. denkt
an Sokrates.
*) Von Vorträgen des Aristoteles wäh-
rend der Abwesenheit Piatons in Sikilien
spricht Aristokles bei Euseb. Praep. ev. XV 2.
f) Arist. Rhet. III 9: «f d' ff>;^ot twv
nsQiodioy (T/€dbV iy roTg Geodexzsloig i^fjgid^-
(jttivxai. Vielleicht hatte Theodektes die Vor-
träge des Aristoteles veröffentlicht.
^) Diog. V 3; darin 'laox^äxrj gebessert
statt des überlieferten SeyoxQaifj nach Oic.
de or. m 35, 141 und Quint lü 1, 14.
») Gegen Isoer. de antid. 83 ist ge-
richtet Arist. Eth. Nie. X 10, p. 1181a, 15,
wie Spengel herausgefunden hat; umgekdut
scheint Isoer. Panath. 17 gegen Aiistoteles
zu polemisieren; s. Reihhabdt, De Isocratis
aemulis p. 40 ff. Bergk u. SoBemihl setzen
die rhetorischen Vorträge des Aristoteles in £e
Zeit seines zweiten Aufenthaltes in AAm
in den Jahren 344—2.
«) An Henneias ist der 6. Brief Platou
gerichtet.
') Die Inschrift der Statue bei Diog. V 5.
^) Dieser zweite Aufentludt, der nicht
bezeugt ist, wird angenommen von Bbmk
Rh. M. 37, 359 ff.
«) Der unechte EinladongiBbrief bei Gd-
lius N. A. IX 3 u. Plut. Alex, 7.
4. Die PhUoftophen. d) Aristoteles. (§§ 812—813.)
459
bei dem königlichen Zögling, indem er den Wiederaufbau der von Philipp
zerstörten Stadt Stagira erwirkte. Nach dem Regierungsantritt Alexanders
siedelte er 335 wieder nach Athen über, wo er durch Vorträge in den
schattigen Umgängen {ns^inaToi) des Gymnasiums Lykeion, das von der
Statue des *An6lXfov AvxBioq benannt war, eine eigene Schule, die der
Peripatetiker oder der wandelnden Jünger gründete. Nach Gellius XX 5
hielt er 2 Arten von Vorträgen, des Morgens für den engeren Zirkel der
vorgerückteren Schüler {axQoaficnixd)^ des Abends in populärer Form für
einen grösseren Kreis von Wissbegierigen (i^anteQixa),^) In den letzteren
scheint er auch wieder seine Unterweisungen in der Rhetorik aufgenommen
zu haben. Nach dem Tode Alexanders, mit dem ihn während des asiati-
schen Feldzugs die Misshandlung seines Neffen Kallisthenes zeitweilig ent-
fremdet hatte,*) ward er durch die antimakedonische Partei in einen Pro-
zess wegen Gottlosigkeit verwickelt,») dem er sich durch die Flucht nach
Chalkis entzog, um, wie er sagte, den Athenern die Möglichkeit zu be-
nehmen, sich zum zweitenmal an der Philosophie zu versündigen. Dort
in Chalkis starb er bald nachher, im Spätsommer 322, an einem Magen-
leiden.*) Sein Testament, zu dessen Vollstreckung er den Antipater be-
stinunte, steht bei Diog. Vll; er hinterliess eine Tochter, die er dem
Nikanor, dem Sohne seines ehemaligen Vormundes Proxenos bestimmte,
und einen Sohn Nikomachos, den er mit einer Concubine HerpylUs erzeugt
hatte. Die scharfen Züge des Denkers hat man ehedem in einer lebens-
grossen Statue des Palastes Spada (s. Taf. 18) erkennen wollen; aber diese
Annahme beruht auf falscher Voraussetzung.^)
313. Schriften des Aristoteles. Der staunenswerten Vielseitig-
keit und unermüdlichen Arbeitskraft des Aristoteles entspricht die Zahl
ond der Umfang seiner Schriften. Es ist von denselben vieles und speziell
von den systematischen Werken' nahezu alles auf uns gekommen; aber
die populären und vorbereitenden Schriften sind fast sämtlich verloren
gegangen. Über die Gesamtwerke geben uns zunächst die Kataloge Auf-
fichhiss;«) aber diese weichen von einander ab und hängen mit den Schick-
aalen der Schriften des Philosophen zusammen. Diogenes V 22— 27 gibt
ans ein Verzeichnis von 146 Werken in 445,270 Zeilen ') und ungfähr
1) Eine Andeutung dieses Unterschiedes
gibt Aijstoteles selbst Polit. p. 1278^ 32
Mi ywp iv xoiq i^toxeQixoic Xoyoic i^ogiCo-
ut^ ne^i ttvrtSy noXXaxi^.
*) SpAtere (Flut, vit Alex. 77, Aman 7,
27, Flin. nat. hist. 30, 16) massen dem Arist.
^ Schuld einer Yergiftnng Alexanders bei,
veabdb der -wahnwitzige Tyrann Caracalla
ttch C^Maras Dio 77, 7 die Werke des Arist.
Teriirannte. Von grossen ünterstützongen,
velche Alexander dem Arist. für seine nator-
^riasenscliaftlichen Bestrebungen zugehen
üeas, wissen Plinius N. H. VIII 16, Athen.
3Wc, Aelian V. H. IV 19 zu erzählen.
') Zum Verwand diente der Pftan auf
Hermdas, s. Ath. 398 e; Diog. V 5; Aelian
V. E IV 19; Plin. N. H. VIÜ 16, 44.
^) Censorinus de die nat. 14, 16; von
einer Selbstvergiftung fabeln Diog. V 6 u. Vit.
Menag.
^) Die Reste der Inschriften führen eher
auf JPIITinnog, Matz-Duhn, Antike Bild-
werke in Rom I n. 1174, Stüdniczka, Rom.
Mitt. V (1890) 12. Ausserdem gehört der
Kopf nicht zur Statue. Ueber das Aeussere
seiner Gestalt ein Vers der Vit. Menag.: ofnxQoq
(paXaxQog jQavXog 6 jTayeiQiitjg^ Xuyyog nQO-
ydaxoiQ naXXaxais avyfjfifAsyog. Vgl. Stahb
I 160 ff.
') Abgedruckt in der akad. Ausg. des
Arist. V p. 1463 ff.
^) Die Zeilenzahl gibt Diogenes oder
gab Hermippos auf Grund stichometrischer
Angaben, wie sie seit der alexandrinischen
Zeit üblich waren und zur Festsetzung des
Honorars der Abschreiber benutzt wurden,
460
Griechische Litteratiirgeschichte. I. KlaMieche Periode.
400 Büchern.*) Dieses Verzeichnis, dessen Titel erheblich von denen der
Handschriften abweichen,*) enthält vermutlich den Bestandteil der alexan-
drinischen Bibliothek auf Grund der Angaben des Litterarhistorikers Her-
mippos.') Ihm steht ein zweites Verzeichnis gegenüber, das weit mehr
Bücher (1000 statt 400) umfasst und auf den Peripatetiker Andronikos,
der zur Zeit Giceros auf Orund eines neuen Handschriftenfundes eine voll-
ständigere Ausgabe der Werke des Aristoteles besorgte,^) zurückzugehen
scheint. Von diesem zweiten Verzeichnis kennen wir aus griechischen
Quellen^) nur die Gesamtzahl der Bücher; die einzelnen Titel gibt
die arabische Übersetzung der Schrift eines gewissen Ptolemaios über
Aristoteles und seine Schriften.^) Mit dem neuen Handschriftenfund aber
hat es folgende Bewandtnis.^) Nach dem Tode des Theophrast war dessen
Bibliothek, welche natürlich auch die Werke des Aristoteles enthielt, in
den Besitz eines gewissen Neleus aus Skepsis übergegangen. Dessen Erben
verbargen die Handschriften aus Furcht vor der Bibliomanie der Attaliden
in einem Gewölbe, wo sie den Motten und dem Moder preisgegeben blieben.
Um 100 V. Chr. entdeckte sie dort ein reicher Bücherliebhaber, Apellikon
von Teos, und brachte sie nach Athen. Bei der Einnahme der Stadt
durch die Soldaten des Sulla kamen auch die Bücher in die Gewalt des
Siegers, der sie nach Rom verbringen liess (86 v. Chr.). Dort erkannte
der Grammatiker Tyrannion den Wert der Bibliothek und veranlasste den
Peripatetiker Andronikos einen Katalog derselben anzulegen. Mit diesem
Handschriftenfund nahm das Studium des Aristoteles, dessen Schriften nun
vollständig und in besserer Ordnung publiziert wurden,^) einen neuen Auf-
^) In der Vita Menagiana, die sonst mit
Diogenes stimmt, ist ein Nachtrag angehängt,
der aus einem anderen Katalog stammt und
ungeschickterweise mit dem ersten Verzeich-
nis verschmolzen ist, so dass nun viele
Werke doppelt, zum Teil mit verschiedener
Bucheinteilung, verzeichnet sind. Die übrigen
Abweichungen beruhen zum Teil auf Nach-
lässigkeiten der Abschreiber, wie wenn bei
Diogenes die Metaphysika ganz ausgefallen
sind.
*) Der Katalog hat UoXi^xixrj dxQocKn^,
wir UokiTixti, wir ^'vacxij axQoaaig, der Ka-
talog *w<Ttx«. Von der Schrift itegl ^vxvi
kennt der Katalog nur 1 B., von der r^x^V
^ijTOQixtj nur 2; das 4. Buch der Metaphysik
ffihrt er gesondert unter dem Titel negl rcJy
7r(MT«/(Jc Xeyofieywy an.
') Diese Annahme stdtzt sich darauf,
dass Hermippos ein Buch über Aristoteles
geschrieben hatte, und dass er in einem
Scholion am Schluss der Metaphysik des
Theophrast neben Andronikos als Verfasser
von Katalogen der Schriften des Theophrast
genannt wird.
^) Von Andronikos wird ein liber quin-
tus de indice librorum Aristotelis angeführt i
in dem arabischen Katalog imter No. 90.
Porphyr, vit. Plotini 24: ^Ap^qov^xo^ 6 ile^t-
naxrjTixog rn 'AQiaxoteXovg xal BeotpQdatov
Big ngayfitcteiag disiXey. — Fälschlich dem
AndronÜcos zugeschrieben ist die Angabe
'Af^Qovlxov Ttegi rd^etog nonjtwyy worüber
CoHN, Phil. Abb. zu Ehren von Hertz S. 130 ff.
^) Vita Marciana 9; David in Arist
categ. 24 a, 18.
") In der akademischen Ausgabe p. 1469
steht die von Steinschnbidbb angefertigte
Rückübersetzung. Jener Ptolemäos war nach
dem arabischen Berichte Philosoph in Rom, viel-
leicht eine Person mit dem Ptolemäos Ghennus.
Genauere Mitteilungen gibt Littig, Andro-
nikos von Rhodos, Progr. München 1890.
') Strab. p. 608 f.; Plut. Sulla 26. Ken-
fundiert sind die Dinge bei Athenaios, der
p. 3 den Ptolemaios Phüadelphos, p. 214
den Sulla die aristotelische Bibliothek des
Neleus erwerben Iftsst.
^) So kennt das neue Verzeichnia, wie
unsere Handschriften, 3 nicht 2 Büchca- der
Rhetorik, 3 nicht 1 B. de anima, 13 nicht
10 B. der Metaphysik, 2 nicht 1 B. der Poetik.
Die Einteilung der Werke in Bücher scheint
nicht von Aristoteles herzurühren: der Philo-
soph selbst würde nicht de an. 1. HI und
Polit. 1. VIII an der Stelle begonnen hahen,
wo sie in unseren Handschriften and Ana-
gaben beginnen. — Die VerOffentlichnng des
neuen Aristoteles geschah wahrscheinlich
durch den Grammatiker Tyrannion um 46 ▼.
4. Die PhüoBophen. d) Ariatotolos. (g dl4.)
461
Schwung;^) auf die neue Ausgabe geht im wesentlichen die Rezension
unserer Handschriften zurück.')
Die Schriften des Aristoteles zerfallen, wenn wir von den poetischen
Heinigkeiten und den Briefen absehen, in 3 Kategorien, in Dialoge, vor-
bereitende Sammlungen, systematische Werke. Sie wollen wir der Reihe
nach durchgehen, indem wir gleich im voraus bemerken, dass uns von den
beiden ersten Klassen nur dürftige Bruchstücke erhalten sind.
314. Die populären Schriften und die Dialoge.») Die uns er-
haltenen Schriften gehören alle der Kategorie der systematischen Werke
des gereiften Alters an. Diesen waren populäre Schriften, die sich in ge-
wählter Form an einen weiteren Kreis von Gebildeten wandten, und
Sammelschriften, welche das Material für die Theorie und das System be-
schafften, vorausgegangen. Die populären Bücher waren mit den exoteri-
schen («'^coTc^txol loyoi) verwandt. Aristoteles verweist selbst einigemal
auf dieselben*) und gebraucht für sie in der Poetik p. 1454b 18 den Aus-
druck €v ToTg ixdeiofievoiq loyoig. Da in diesen eine leichtverständliche
Beweisform angewendet war, so sprach man auch im weiteren Sinne von
einer exoterischen Untersuchungsweise {(rxtipig) und entwickelte sich daraus
die besonders von Andronikos ^) in Umlauf gebrachte Unterscheidung von
einer exoterischen, an das allgemeine Verständnis gerichteten Lehre und
einer streng wissenschaftlichen, nur für enge Kreise von Eingeweihten
bestimmten Theorie. Jene populären Schriften hatten grösstenteils die
Form der dialogischen Einkleidung, was auch in dem Worte ^oyoi i^tatt-
e*«« liegt, da man unter Xoyoi^ speziell Dialoge verstand ; doch fehlte den-
selben das mimetisch dramatische Element, und waren an die Stelle kurzer
Fragen und Antworten lange Vorträge getreten, in denen die Sache vom
entgegengesetzten Standpunkt, ähnlich wie es später Cicero that, be-
sprochen war.«) Zu ihnen gehörten der Eudemos über die Unsterblich-
keit der Seele, ^) die 3 Bücher ncgl ipiXoao<f(aq^ worin die Hauptsätze der
Chr.; a. Üsbukb, Ein altes Lehrgebäude der
Phflologie, Siteb. d. b. Ak. 1892 S. 582 ff.
') Daher heiBst es von den alexandri-
Bischen Katalogen bei Phüoponos in Categ.
39a^ 20: iv taig TtaXaiaTg ßißXiodijxnig.
*) Die Rezension unserer Handschriften
wd aber erst am Ende des Altertums an-
gefertigt and enthftlt einiges erst später hin-
zugekommene. Dahin gehören negi xoofjiov,
*) Aristot. fragmenta ed. Val. Rose im
^. Bande der akad. Ansg., Berl. 1870; Val.
Bmb, Aristoteles pseudepigraphus (weil die
Sciltiften maecht sein sollen), Lips. 1863 und
in der BibL Teubn. 1886; Hbitz, Die ver-
Isreoen Schriften des Arist, Leipz. 1865.
*) Die Stellen bei Bonitz, Index Arist.
p. 104 f.; wichtig besonders Metaph. p. 1076 a,
28: ii9QvXi]rai yag td noXXd xal vno xüjv
(^we^tJy Xoymy, Polit. p. 1823 a, 22: vofjtL-
9nneg oir Ixaywg noXXd X^ysff^ai xai iy
toi'g i^toreQixoig Xoyoig nsgl i^g dgicTrjg Cwiyf
Vgl. Stahr II 287 ff.; Bernays, Die Dialoge
des Aristoteles im Verhältnis zu seinen
übrigen Werken, Berlin 1868. Diels, Ueber
die exoterischen Schriften des Arist., Sitzb.
d. Berl. Ak. 1888 S. 477 ff.; vergl. Süsemihl
Jahrb. f. Ph. 128, 265 ff.
'^) Gellius XX 5, 10; durch Andronikos
ist beeinflttsst Cicero de fin. V 5, 12 ; ad Att.
IV 16, 2; Strabon p. 609; Galen de subst.
facult. IV 758 ; Alex. Aphrod. in Arist. Top.
261a, 25; Simplicius 386 b, 25. Jene Unter-
scheidung spukt schon in den Briefen Pia-
tons.
*) H. Schlottmann, Ars dialogorum com-
ponendorum, Rostochii 1889 p. 19-25; Hirzbl,
Der Dialog I 272—300.
^) Dem Andenken des Genossen ge-
widmet, der 353/2 im Feldzug des Dion gegen
Dionysios fiel; Beiträge zur Erklärung von
Bbbnays Ges. Abh. I 130-140.
462
Grieohiaoho LitteratiirgMchiohte. I. KUssisohe Periode.
n^wtrj (fiXoaotpia entwickelt und zugleich ein Überblick über die Geschichte
der Philosophie gegeben war,^) ein Buch neQi raya^ot, das sich mit dem
vorgenannten Dialog berührte und speziell die pythagoreisch gefärbte Lehre
Piatons von der Idee des Guten behandelte, 3 Bücher negi noir^rwv, femer
rgvllog*) rj ncQi QrjtoQixfjg^ Mevä^evog^^) Nr^Qiv&og,^) nsQi dixaioavvtfi,^)
7i€Qi €vy€V€iag,^) nsgl nmieiag^ negl ^iXiag, (fvfinociov u. a. In die gleiche
Klasse populär-philosophischer Bücher gehörten auch die beiden Send-
schreiben an Alexander nsQi ßacriXeiag ') und ticq! dnoixifov, sowie der an
Themison, König von Kypern, gerichtete Protreptikos, der eine Mahnung
zum Philosophieren enthielt und von Cicero in seinem Hortensius nach-
geahmt wurde.
315. Sammelschriften. Aristoteles hat seine Theorie in Philo-
sophie, Poetik, Politik auf Grund ausgedehnter Voruntersuchungen über
die geschichtlichen und thatsächlichen Verhältnisse aufgebaut; seinen
systematischen Werken {ngayfiaTetai) gingen daher historische und philo-
logische Vorstudien voraus. Schon in den Dialogen liebte er es, seine Sätze
durch Beispiele und historische Rückblicke zu beleuchten, wie uns dieses
namentlich die Schriften über die Dichter und die Philosophie zeigen.
Dazu kamen nun aber noch viele andere Bücher, die mehr Exzerpten*)
und KoUektaneen glichen, als zu stilistisch abgerundeten Werken verar-
beitet waren. Dieselben scheinen namentlich in den philologischen Kreisen
Alexandriens Verbreitung gefunden zu haben, während viele derselben,
nach dem Katalog des Ptolemaios zu urteilen, in der theophrastischen
Bibliothek des Neleus fehlten, sei es nun, weil sie zur Philosophie im
engeren Sinne nicht gehörten, sei es, weil sie in den Kreisen der Einge-
weihten nicht für aristotelisch galten.^) Einige dieser Materialiensanim-
lungen werden im Zusammenhang mit den erhaltenen systematischen
Schriften ihre Besprechung finden. Hier seien die grammatischen und
litterarhistorischen Schriften namhaft gemacht : ^ÄTioQrjfiava ^OfAr^Qixa^ Jida-
*) üeber üire dialogische Form Bernats
Ges. Abh. I 148 ff.; oene Beiiaräge von By-
WATBB Joum. of. Philol. VII 64 ff. Eine Stelle
daraus, die uns Aristoteles auch als Mann
der phantasievollen Darstellung kennen lehrt,
teilt Cicero de nat 11 37, 95 mit. A. Dybopp
Blätter f. bayer. Gymn. XXXII (1896) 18 ff.
sucht nachzuweisen, dass die Stellen, welche
Ghalcidius c. 128 u. 254 aus dem angeblichen
Philosophos des Piaton anführt, thatsächlich
aus unserem Buch des Aristoteles geflossen
sind.
^) Gryllos war der gefeierte Sohn des
Xenophon; die auf seinen Heldentod ge-
schriebenen Lobreden scheinen den Ausgangs-
punkt des Dialoges gebildet zu haben.
') Der Titel erinnert ebenso wie der
loffiaxrjg, üoXirixoq an Dialoge Piatons.
^) Nerinthos war ein Bauer aus Korinth,
der das Feld verliess, um Piaton zu hören.
^) Auf diese Schrift bezieht sich nach
der Vermutung Susemihls Jahresber. d. Alt.
X 1, 3 Piaton in den Gesetzen p. 860d.
<) Die Echtheit bestritten bei Plut An-
stid. 27, verteidigt von Immisoh, Comm. Rib*
beck. 78.
"*) Aus ihr leitet eine arabische Schrift
über Königtum ab Nissek Rh. M. 47, 150;
dagegen Zsllbb Archiv f. Gesch. d. PhiL VI.
^) Im Katalog des Ptolemaios Nr. 15
heisst es geradezu: in ^uo abbreviavU ser-
nwnetn Piatonis = Td ix r^g noXixua^ Hla-
xtoyog, Exzerpte werden femer gewesen sein
r« ix Tttiy vofjitay nXäztoyo^^ ix tcJf Tifudw
xal '^^/t>rot). Kritische Polemiken enthidten
die Bücher ngo^ rd Fagyiov, tt^o^ rd Mi-
Xiffcov, TtQog rd 'jXxfAaltayogy 7i§gl tmy 17»-
dayoQBiioy, nsgl fijs '^^/ore/ov ffUoaotfivfj
7T€^ JrifJLOXQltOV.
*) Alle diese KoUektaneen erklftrt mit-
samt den populfiren Schriften Val. Rosb,
Allst, pseudepigraphus, für unecht. Viele
mochten bloss unter der Leitong des Schol-
hauptes von seinen Schülern angefertigt f
4. Die PhÜOBopheii. d) AriBtotelM.
f S15-316.)
463
üxaXim, Uvd^iovtxai^ ^YnofAVT^fiata IfTTOQixä.^) Aus der Klasse solcher
historischer Schriften ist auf uns gekommen das Buch über Melissos Xeno-
phanes Zenon,^J welches aber im cod. Yat. R dem Theophrast beigelegt
ist') Dasselbe weicht so vielfach von den Angaben in den echten Schriften
unseres Philosophen ab, dass es nicht von Aristoteles herrühren kann.^)
Seinem Charakter nach gehörte hieher auch das oft citierte, verloren ge-
gangene Buch nänloq^ das von dem bunten Inhalt seinen Namen hatte;
auf dasselbe werden wir unten im Abschnitt von den Gedichten des Ari-
stoteles zurückkommen.
316. Die systematischen Werke. Die wichtigste Stellung nahmen
unter den Schriften unseres Philosophen diejenigen ein, in welchen er seine
Lehre im Zusammenhang und in streng wissenschaftlicher Weise vortrug ;
sie Messen äx^oaCHg, weil sie von Aristoteles seinen Vorträgen zu gründe
gelegt wurden,^) oder n^ayfiaxeTai^ weil sie die sachliche Darlegung der
einzelnen Wissensgebiete enthielten; in der Schule des Meisters wurden
ffle am meisten in Ehren gehalten, und dieser Hochachtung verdanken wir
ihre fast vollständige Erhaltung. Um ein richtiges Verständnis und einen
Enteilungsgrund für die Besprechung dieser Schriften zu gewinnen,«)
müssen wir uns zuvor im allgemeinen über den Charakter der aristoteli-
schen Schriftstellerei klar werden. Aristoteles bildete darin einen scharfen
Gegensatz zu Piaton, dass er sein Augenmerk lediglich auf die Sache ge-
richtet hielt und daneben der sprachlichen Form nur geringe Sorgfalt zu-
wandte.') Während Piaton stilistische Kunstwerke schuf und mit der
Form des Dialoges ein poetisches Element in die Philosophie einführte,
behielt Aristoteles nur in seinen Anfangsschriften und in den populär ge-
haltenen Werken die sokratische Form des Dialoges bei, wandte aber in
den Schriften des gereiften Alters und in allen uns erhaltenen die lehrende
Darstellung des Vortrages an. Mit diesem lehrhaften und systematischen
Charakter der Schriften hängt es zusammen, dass dieselben von äusseren
Einflüssen wenige oder gar keine Spuren an sich tragen, etwas was ihre
chronologische Festsetzung wesentlich erschwert. Da dieselben ausserdem
alle aus den Vorträgen des gereiften Alters hervorgegangen sind, so ist
in ihnen auch so gut wie nichts von einer allmählichen Entwicklung wahr-
zunehmen,*) so dass z. B. die philosophischen Kunstausdrücke xd ti r]v
«Vflri. ovoi'a^ dthafAig, ivTsXex^ia^ die Aristoteles nachweislich erst ge-
') Yon andern worden die historischen
Ennnenmgsblatier dem Theophrast, gewiss
mit mehr Recht, zugeschrieben.
') Üeberliefert ist der falsche Titel ncQi
AEro^ctrot^, Ttegi Zrjviavo^, tibqi rogylov.
*) Vgl. Zelleb I * 500, wo auch die um-
^Bgreiebe Utterator angegeben ist.
*) Zellbb, Phil. d. Gr. I* 463 ff.; Süse-
«HL AI. Lit. 1 157.; Dibls, Doxographi gr.
8. 108 ff, setzt die Schrift in die nächste
Zeit nach Theophrast.
') Daher tpvaixrj dxgoaaig und dxQoaaeig
Met p. 994 b, 82. Aus der Vortragsform
Btanunt die Anrede vftiüy rj jwv axQotafAivtav
io Soph. el. p. 184 b, 2—6, und die üeber-
gangsformel /uer« ravxa ort Met. p. 1069b,
35; 1070 a, 4; Anal. pr. init.
•) Die Einteilung der Alten gibt Am-
monios ad Porphyrii isagogen p. 11 ss. ed.
Busse. Vgl. Stahb, Aristotelia II 254 ff.;
TiTZB, De Aristotelis operum serie et di-
stinctione, Lips 1826.
^) Sein Standpunkt, dass die Sprache
nur zum Ausdruck der Gedanken da sei, ist
ausgesprochen tisqi eQfit]t'Blag 1.
*) Ueber die Reihenfolge siehe ausser
TiTZB besonders Bbandis, Gesch. der griech.-
röm. Phil. IIb 111 ff. Die Untersuchungen
stehen hier noch im Anfang.
464
GrieohiBohe Litieratorgesohichie. L KlaMisohe Periode.
schaffen hat, gleichwohl in allen Schriften gleichmässig und in vollständig
ausgeprägter Bedeutung vorkommen. Dazu kommt, dass die nicht seltenen
Verweisungen sich vielfach kreuzen, indem z. B. in der Rhetorik 6 mal
auf die Poetik, aber auch Imal in der Poetik auf die Rhetorik verwiesen
ist,^) und dass die Anspielungen auf geschichtliche Ereignisse weit aus-
einander liegende Zeiten berühren, wie in der Meteorologie III 2 der Ver-
fasser sich selbst einen fünfzigjährigen nennt, aber doch III 1 den um
mehr als 20 Jahre zurückliegenden Brand des Tempels der ephesischen
Diana als einen Vorfall der Gegenwart bezeichnet (vvv ixß^ewQovfiiv). Es
hängt aber dieses alles damit zusammen, dass Aristoteles selbst zu seinen
Lebzeiten von diesen systematischen Werken wenig oder nichts in die
Öffentlichkeit hinausgegeben hat, dass aber Eudemos, Nikomachos, Theo-
phrast, die nach seinem Tode die Veröffentlichung des litterarischen Nach-
lasses besorgten, Manuskripte vorfanden, denen die Spuren wiederholter
Revision und nachträglicher Erweiterung aufgedrückt waren, und die vor
der Herausgabe noch einer genaueren Zusammenordnung und nachhelfenden
Redaktion bedurften.^) Da wir so unter den erhaltenen Schriften kaum
eine haben, die in allen Teilen vom Autor zur Herausgabe abgeschlossen
war,«) so vermissen wir in ihnen auch den goldenen Fluss der Rede, welchen
Cicero und andere, die noch die vollständigen Werke des Aristoteles hatten
und die populären Schriften lieber als die systematischen lasen, an den
Werken unseres Philosophen rühmten.*) Dem Inhalte nach zerfallen die
erhaltenen Werke in 5 Klassen: 1) erkenntnistheoretische oder logische
Schriften, 2) naturwissenschaftliche Schriften, 3) Schriften von dem über-
natürlichen (transcendentalen) Sein, 4) Schriften, die sich auf das Gebiet des
menschlichen Handelns (/r^arrfn') beziehen, 5) Schriften, die es mit dem
menschlichen Schaffen {noutr) zu thun haben.
317. Die logischen Schriften verdienen unter den systematischen
Werken die erste Stelle, weil sie das Werkzeug der Dialektik und wissen-
M Rhefc. 1372a 1, 1404a 38, 1404b 7
und 28, 1405a 5, 1419b 5, Poet. 1456a 35.
Ganz wertlos sind deshalb die Citate zur
Bestimmung des Verhältnisses der Schriften
zu einander nicht; es kommt eben darauf
an, genau zu prüfen, ob dieselben leicht ent-
behrt werden können oder mit der Umgebung
eng verwachsen sind, mit anderen Worten,
ob sie von Aristot. selbst oder von den
späteren Herausgebern und Kommentatoren
herrühren.
'^) Ich habe in meinen Ausgaben aristo-
telischer Schriften die nachträglichen Zu-
sätze mit typographischen Mitteln von dem
ursprünglichen Entwurf zu scheiden versucht.
Zweckmässig ist dieses namentlich deshalb,
weil die Redaktoren oft die von Arist. am
Rand angemerkten Zusätze und Besserungen
an falscher Stelle einschoben. Eine totale
Verwerfung der Blätter und Hefte des Ori-
ginals sucht in überkühner Skepsis Essen,
Der Keller zu Skepsis, und Ein Beitrag zur
Lösung der aristot. Frage, 1866 u. 1883, zu
erweisen.
'j Freilich besteht in Bezug auf den
Grad der Ausarbeitung ein grosser Unter-
schied zwischen den einzelnen Schriften und
sogar zwischen den einzelnen Büchern der-
selben Schrift.
*) Cic. Acad. post. II 38. 119: flumen
orationis aureum fundens Aristoteles; vgl.
Top. I 8; de invent. II 2, 6; Quint. X 1, 83.
Nüchterner urteilt Dionysios, Cens. vet. Script.
4, 1 : nuQaXijnjioy de xai 'A^icxotiXtj siq
filfirjait^ jfjq re 7iC(}i xrjv BQfifjyeiay (fciro-
ir]Tog xul liJQ dcttfrjyeiag xni roi7 TJdeog xai
TioXvfjiadovg. Die Schönheit der exoterischen
Schriften hebt speziell hervor Themist. or.
XXVI p. 3H5D.; Philoponos in cat 36b, 28,
David in cat. 26b, 35. Blass Rh. M. 30,481 ff.
weist in den gefeilteren Schriften auch eine
grössere Sorgfalt in der Vermeidung des
Hiatus nach.
4. Die Philosophen, d) Aristoteles. (§ 317.J
465
schaffclichen Forschung bilden i) und deshalb auch von den späteren Peri-
patetikern ^) unter dem Namen Organen, d. i. Werkzeug, der ganzen Samm-
lung vorangestellt wurden. Erhalten haben sich von denselben die wich-
tigeren alle, und zwar in folgender Reihenfolge:
KaTTjyoQiai oder von den 10 Orundformen der Aussage vom Seienden
{q ovtrta, ro noaov^ to nQoq ti, to noiov^ to nov, to notä, %6 xeiad^ai rj
i%€iv^ To noisTv r} naax^iv).^) Die Schrift rührt schwerlich von Aristoteles
selbst her, sondern scheint erst nach Aristoteles unter dem Einfluss der
herrschenden Schulmethode im Anschluss an die Stelle der Topik p. 103b
20 entstanden zu sein.*) Der Unechtheit verdächtig ist namentlich der
Schluss mit den sogenannten Postpraedicamenta (c. 10 — 15).
lle^l €Q^rjv€iag, de interpretatione, oder vom Satz, den Teilen und
Formen desselben (ovoima^ ^^/^^^ ^oyog, xazdifuing^ änoipafng). Auch die
Echtheit dieser Schrift wurde schon im Altertum von Andronikos be-
stritten.*)
^AvakvTixd ngorsQa und vtrrega in je 2 B.,^) benannt nach der
Terminologie der Mathematiker, weil sie die Zergliederung oder Rück-
fährung der Wahrheiten auf die Elemente, aus denen sie gewonnen
werden, bezwecken. Die erste Analytik enthält die Lehre vom wissen-
schaftlichen Beweis {änodei^ig rj sTuatrjfiri anod^ixxixrj) vermittelst Satz,
Definition, Schluss {TtQOTaaig, ogog^ avXXoyKffjLog) ; die zweite handelt vom
Erkennen oder Wissen überhaupt {fiäd^rjctg diavoi^tixi/j), vom Wesen des
Wissens, das in der Erkenntnis des Grundes wurzelt, von der Möglichkeit
des Wissens unter der Voraussetzung gewisser unmittelbarer Wahrheiten,
von den Wegen des wissenschaftlichen Erkennens durch syllogistischen
Beweis, Induktion {inaywYij)^ Definition (oQKffiog), Zergliederung (diafgeaig).
Ton IX ä in 8 B., hervorgegangen aus der Dialektik oder der von den
Sophisten gepflegten Disputierkunst; sie enthalten die allgemeinen Sätze
(TdTroi),^) mit deren Hilfe es möglich ist, über jeden aufgestellten Satz so
zu disputieren, dass man, ohne einen streng wissenschaftlichen Beweis zu
1) Aiist. Met. p. 1005 b, 4 sagt selbst,
diftfis die Analytik der Physik und Meta-
physik vorangehen müsse. Die Analytik ist
vor der PhyEok verfasst nach p. 95 b, 11.
*) David in categ. p. 26 a, 11: ol dk
Xeyoyxeg, ort dei äno xrjs Xoyixtjc ap/ea^«*,
ifpaaxoy, oii oQyayoy i$ Xoyixij. Vgl. Diog.
y 28. Aehnlich spricht schon Arist. selbst
Top. p. 163 b, 11 von einem oQyayoy ngog
yywaiy. Den Ausdruck Organen fand bereits
Alexander Aphrod. als allgemein verbreitet
vor; 8. Pbantl, Gesch. der Log. I 582.
•) Der Sachtitel lautete tisqI rtJy yeytSy
tov oyjoq; s. Waitz in der Ausg. des Or-
ganon I 265.
*) Prahtl, Gesch. d. Log. I 207 flF. Nach
Simplicins in categ. fol. 8 u. Philop. in categ.
39 a, 20 gab es unter dem Namen des Ari-
stoteles noch ein anderes Buch Kategorien
{(pioBitti mal uXXo xtüy xaxijyoQitSy ßißXloy
ms AQtetoiiXovi), Den Schluss unserer Ea-
Handbuch der ktaat. AltertumswlsseDBchaft. VU.
tegorien c. 10 — 15, die sog. postpraedica-
menta (cifAtt und ngoisgoy, xiyBiy und ix^iy
etc.) gab schon Andronikos für unecht aus;
s. Trbndblbmbubg, De Arist. categoriis, Berl.
1833; Geschichte der Eategorienlehre, Berl.
1846.
'^) Die von Andronikos gegen die Echt-
heit der Schrift erhobenen Zweifel sind ab-
gelehnt von Alexander Aphrod. in Anal. I
p. 160 ed. Wallies.
^) Nach Philop. in cat. 39 a, 20 gab es
in den alten Bibliotheken eine Ausgabe in
fi (corr. T}) ßißX. In den Katalogen hat die
erste Analytik 9 B. Die ersten Analytika
werden von Arist. selbst p. 96 a, 1 mit iy
xolg ngaixoig citiert.
^) Diese xonoi sind als loci commune»
bekannter geworden in der Rhetorik, die ja
mit der Dialektik nahe verwandt ist. Die
rhetorische Topik bildet den Gegenstand der
zwei ersten Bücher nsgl ^rjxogixi^s.
3. Anfl. 30
466 OrieohiBohe IdtteratiirgMobiohte. I. KUssiBobe Periode.
erbringen, doch fQr seine Thesis die Wahrscheinlichkeit erweisen kann.^)
Da sie so den Weg oder die Methode des Disputierens angeben, so werden
sie auch in den alten Katalogen und von Aristoteles selbst, Rhet. I 2,
M€^oi$xa genannt. Die Topik, in der sich der Autor in breiter Ausf&h-
rung gehen lässt,^) steht hinter der Präzision der Anal3rtik weit zurQck
und gehört der älteren, noch der rhetorischen Schuldialektik näher stehen-
den Periode der aristotelischen Philosophie an. 3)
Soifiazixol ikeyxoi oder die Trugschlüsse der Sophisten gehören
zur Topik und bilden in der Ausgabe des Organen von Waitz geradezu
das 9. Buch der Topik ;^) ihre Sonderstellung hängt mit der Scheidung von
Dialektik und Eristik (rabulistische Disputierkunst) zusammen.
Von den verloren gegangenen Schriften gehörten in das Gebiet der
Logik die iiatQstxetg, ntQi €vavTia>%\ negi elimv xai yevwv^ i7x$x^^QT^ifJ^ct%a
Xoyixä. Aber alles Bedeutende ist erhalten und damit das Dauerndste, was
der zergliedernde Verstand des Aristoteles im Gebiet der Philosophie her-
vorgebracht hat. Denn legen wir auch heutzutag auf die formale Logik
nicht mehr den Nachdruck wie ehedem, so gebührt doch unserem Philo-
sophen das Verdienst, die Gesetze der menschlichen Denkoperationen, die
Wege des Erkennens und die Arten der Schlüsse für alle Zeiten festge-
stellt zu haben.
318. Naturwissenschaftliche Schriften. Dieselben beschäftigen
sich teils mit der philosophischen Begründung der Natur und ihrer £r^
scheinungen, teils gehören sie in das niederere Gebiet der Naturbeschrei-
bung. Zur ersten Gattung zählen:
(Pvaixij axQoaaig in 8 B. ; dieselbe handelt von den Prinzipien {aßx<«0
des in Bewegung befindlichen Seins und ist vor der Metaphysik, in der sie
wiederholt vorausgesetzt wird, abgefasst. Die Grundprinzipien der aristo-
telischen Lehre, vAr;, viroxsifisvor^ dvvafjiig auf der einen, eidog^ f*^^Q9^r^,
svxsXbXBia auf der andern Seite, ferner to avvokov^ ro reXog oder x6 ov
i'vsxa, ovaia und trvfißeßrjxota, t6 xivovv oder Ox^ev tj xivrjaig sind hier zum
klarsten Ausdruck gebracht. Die Physik des Aristoteles hat also mit dem,
was wir heutzutag Physik nennen, wenig zu thun; sie erläutert nur die
Begriffe, unter denen wir die Erscheinungen der Natur anschauen, enthält
nicht auch die Gesetze, nach denen die Dinge werden und zu einander in
Beziehung treten; sehr bezeichnend nannte sie Hegel eine Metaphysik der
Physik. Der 2. Teil derselben (V— VIII) handelt von der Bewegung und
den verschiedenen Arten der Bewegung: des Raumes (spo^o), der Be-
schaffenheit {^eraßoXrj oder dXXoicoaig), der Grösse («t'f ijcrig und g^&itng) ;
^) Top. II: ij fiiy ngo&eaig r^g ngay-
fiaxelag fisd^o^oy €VQ€iy, c<<jp' rjg ^vytjaoine&a
avXXoyiC^a&ai ti bqI nayrog xov nQoie&eyjog
TtQoßXfjfiarog i^ iyffo^toy.
*) Die Breite der Topika hftngt, wie am
Schlüsse p. 184 a 8 angedeutet ist, damit
zusammen, dass dieselben aus einem rhe-
torisch angelegten Lehrkurs hervorgegangen
sind.
*) Die Topik ist citieri in Analytik d
24b, 12. ^
*) Vgl. Waitz U 528; entscheidend ist
dass am Schluss der soph.'el. eine Rekapi«
tulation der ganzen Topik steht. Die Hand-
schriften indes sondern die beiden Werke,
der cod. Lanr. 89 teilt obendrein die sopli.
el. in zwei Bücher.
4. Die PhiloBophen. d) AriBtoteleB. (§§ 818—819.)
467
er hatte davon auch den speziellen Titel neQi xiri](f€0)g.^) Von dem 7. Buch
liegen die ersten 3 Kapitel in doppelter Redaktion vor.^) Zu dem ganzen
Werk haben wir aus dem Altertum einen ausgezeichneten Kommentar von
Simplicius.
Hegi ovgavov in 4 B.*) und negl yeväaewg xal ifd-ogag in 2 B.
schliessen sich eng an die Physik an und enthalten apriorische Spekula-
tionen über den Himmel und das Entstehen, und zwar handelt die erstere
Schrift von der ünvergänglichkeit des Weltalls {nqmxoq ovqavog) und von
der Gestalt und Bewegung der Gestirne mit Bezug auf die Elemente des
Leichten und Schweren,^) die letztere von dem schlechthinigen Entstehen
und Vergehen und dem Entstehen und Vergehen durch Mischung und
Änderung. Namentlich die letztere Schrift ist sorgfältig durchgearbeitet
und von grosser Bedeutung fQr die Erkenntnis der aristotelischen Lehre.
M€%€(OQoi,oyixd in 4 B. schliessen sich an die beiden letzten Schrif-
ten an und suchen die Dinge in der Höhe, Kometen Milchstrasse Winde,
daneben auch die Erscheinungen des Meeres und die Erdbeben zu erklären.
Das 4. Buch hat eine selbständige SteUung für sich und handelt von den
Gegensätzen des Warmen und Kalten, Trocknen und Feuchten, als den
Elementen der Körperwelt.^)
319. Dem Gebiet der Naturbeschreibung gehören an:
AI negi %d ^qja iatoQiai in 10 B.^) Mit diesen in Zusammenhang
stehen die Schriften: negl Cvwv fioQmv in 4 B., nsgl ^((wv ysräasiog in
5 B.,^) ntQl noQsiag l^tpcov in 1 B.^) Es gehen hier zwei Behandlungs-
0 Andronikos hat, nach Simplicius in
pkjB. p. 923 f. ed. Dibls, gesttttzt auf alte
^eogniase, den drei letzten Büchern den Titel
ntQi xirtjceati gegeben.
*) Nachgewiesen von Spbngbl, Ueber
daa 7. Buch der Physik des Aiist., Abhdl. d.
b. Ak. in 305 — 49, durchgeführt in der Ausg.
der Bibl. Tenbn. von Prabtl.
'; Met p. 1078 b, 5 iy äXXois igovfiey
wird von Schwegler auf die Schrift negi
fngarov bezogen, was schwerlich richtig ist,
da umgekehrt die Metaphysik später abge-
faßt ist, wofür auch das atat p. 1073 a, 32
spricht
*) Aristoteles schliesst sich hier an die
Sph&rentheorie des Astronomen Eallippos
tos Kyzikos, eines Schülers des Eudoxos, an,
wonach Bbbok, Gr. litt IV 486 das Werk Ol.
112 setzt
^) Der Kommentator Alexander Aigeus
sprach zuerst aus, dass das 4. Buch nicht
n dieser ngayfjiaieia gehöre, sondern eher
ni den Büchern nsgt yeretFemg xai tp&ogägj
».loBLSB, Meteor. 11847—49; Spbnoel, Reihen-
folge der naturwissenschaftl. Schriften des
Amt, Abh. d. b. Ak. V 10 ff.
*) In den Handschriften und Katalogen
sind es nur 9 B. Das 10. Buch, welches
uf die Begattung der Menschen und speziell
■uf die Gründe der Unfruchtbarkeit zurück-
kommt und im Katalog des Diogenes unter
dem Titel r?i^^ tov (nrj yBvvav angeführt
wird, ist eine im 14. oder 15. Jahrh gemachte
Bückübersetzung der latein. Uebersetzung
von Mörbecke, wie Spbkobl, De Aristotelis
libro decimo bist, anim., Heidelberg 1842
nachgewiesen hat Dass auch das 9. Buch,
welches nochmals die Gewohnheiten der
Tiere {id reSy C^^aiy ij»ri) behandelt, nicht Ton
Aristoteles herrührt, hat aus Sprache und In-
halt DiTTMBTBR, Blätter für bayer. Gymn.
XXra (1887) 16—162 überzeugend nachge-
wiesen. Joachim, De Theophrasti libris negi
^(ptoy, Bonn 1892 S. 11 ff. beobachtete, dass
in dasselbe Exzerpte aus Theophrasts Buch
negl C^oi»' ij9<oy 17 jtsgi i^Mojy (pgotnjaetog ge-
kommen sind. Auch das 7. Buch, welches
in den Hdschr. nach dem 9. steht und erst
von Theodoros Gazes an seine jetzige Stelle
gesetzt wurde, ist schwerlich echt. — Ex-
zerpte aus dem ganzen Werk von Aristo-
phanes und Konstantinos Porphyrogennetos,
publiziert von Spiridion Lambros, Suppl.
Aristot., Berol. 18>?5.
^) Eigentlich sind es nur vier Bücher,
denen ziemlich lose ein Buch negl na^ij'
fÄtirtoy ^üiwy angehängt ist.
®) pRANTL, De Aristot. librorum ad bist
animal. pertinentium ordine, Monachii 1849
p. 35 beweist, dass das Buch negi nogelac
seinen Platz zwischen dem 9. u. 10. Kapitel
I des 4. Baches de partibus anim. hatte.
30*
468 QrieohiBohe Litteratiirgeaohiohte. I. Elaasiflohe Periode.
arten der Zoologie nebeneinander her, etwas was noch deutlicher hervor-
tritt, wenn man die 10 Bücher der Tiergeschichte in ihre Teile zerlegt.
Es handelt nämlich dieselbe nach einem allgemeinen Überblick (I 1 — 6)^)
von den Teilen der Tiere (I 7— IV 7), von dem Entstehen der Tiere (V
bis VII), von der Lebensweise und Nahrung der Tiere (VIII). Es sind
also in den einzelnen Teilen der Tiergeschichte dieselben Gegenstände be-
handelt wie in den bezeichneten Spezialschriften. Aber die Betrachtungs-
weise ist verschieden: die Naturgeschichte hat es mit dem ore oder den
thatsächlichen Erscheinungen der Tierwelt zu thun, die Spezialschriften,
welche die Physiologie oder die Philosophie der Tierlehre bilden,*) sind
auf das öioti oder auf den Orund der Erscheinungen gerichtet, als welcher
in letzter Linie die Zweckmässigkeit oder das Oute in der Weltordnung
gefasst wird. Auch der Zeit nach liegen die beiden Arten von Schriften
weit auseinander. Die Tiergeschichte wird nicht bloss de part. animal. II
1 p. 646*^ 9 als abgeschlossen vorausgesetzt, sie verrät auch an sich eine
frühere Entwicklungsstufe im Geistesleben des Aristoteles, so dass sie nicht
bloss vor dem Buch über die Teile der Tiere, sondern auch vor der Phy-
sik 3) abgefasst zu sein scheint. Die ganze Methode der naturwissenschaft-
lichen Forschung, woraus zugleich Plan und Ordnung der diesbezüglichen
Schriften hervorgeht, ist in dem 1. Buch der Schrift von den Teilen der
Tiere dargestellt, weshalb Titze und Spengel^) jenes Buch als gesonderte
Schrift allen zoologischen Schriften vorausgeschickt wissen wollten; aber
es genügt, wenn dasselbe gemäss der Überlieferung den Eingang der
physiologischen Schriften bildet.
820. Naturgeschichtliche Werke von zweifelhafter Echtheit sind:
llegi (pvrtov in 2 B. Das auf uns gekommene Werk ist nach dem
phrasenreichen Vorwort eine Rückübersetzung aus dem Lateinischen und
des weiteren aus dem Arabischen. Aristoteles hatte ein Buch über die
Pflanzen im Plan^) und scheint nach der Stelle p. 539« 20 den Plan auch
ausgeführt zu haben. ^) Aber das Pflanzenbuch des Aristoteles war, wenn
er überhaupt ein solches geschrieben hat, sicher schon zur Zeit des Ale-
xander Aphrodisiensis verloren gegangen. '') Die uns erhaltene Schrift
wird von ihrem Herausgeber Meyer dem Nikolaos Damaskenos, der unter
Augustus eine Art Kompendium der aristotelischen Philosophie verfasste,
zugewiesen. ®)
Ilegl x6(rfiov, oder über das wohlgeordnete Ganze des Weltalls. Das
Buch ist mitsamt dem einleitenden Brief an Alexander^) fälschlich dem
^) Eist. anim. I p. 491a, 7: et^tjrai iv I ') Wahrscheinlich rührt das Citat €1^*7-
xvnt^ yevfÄfiTog /«^t»'. I t«* iy t^ &60}Qi(f rp negi rtay tfvtmv mit
') De longaey. p. 464 h, 33: öcoy im,- | seinem hedenklichen Eipi/ra» von einem Inter-
polator her; Spbngbl wollte Bt^ritni in «^(»»7-
aejtn Andern.
') Alexander zu p. 442 h, 28.
*) Vgl. SüSBMiHL AI. Lit II 317.
*) Bbrgk Rh. M. 37, 50 ff. und Bbrnats,
Ges. Ahh. II 279, denen Usrnbr und Momm-
SBN, Römisch. Gesch. Y 494 heistimmen, Tei>
stehen unter dem Alexander des Briefes
ßriXXeir rp (pvaixfj q>iXoao(pi(fj de part. anim.
p. 621a, 29: r^ hb^I <pvae(Oi 0€(o^nx<^.
Vgl. p. 653 a, 8.
'j Mit Einschluss des Werkes negl ov-
Qttyovy das p. 645 a, 5 citiert wird.
^) Spbnobl, Reihenfolge der naturwiss.
Schriften S. 19 ff.; Praktl a. 0.
*) p 244h, 23; 467h, 5; 656a, 3; 716a,
1; 783h, 10. \ nicht Alexander d. Gr., sondern den Pro-
4. Die PhUoBophen. d) AristoteleB. (§ 820.)
469
Aristoteles beigelegt worden. Schon die Erwähnung der britannischen
iDseln p. 393^ 17 führt über die Zeit des Aristoteles und Pytheas hinaus;
auch finden sich in demselben Einflüsse der stoischen Lehre i) und Ent-
lehnungen aus Poseidonios. Neuere Gelehrte haben dasselbe teils dem
Stoiker Chrysippos,*) teils, und dieses mit grösserem Recht, dem jüdischen
Peripatetiker Nikolaos ^) zuschreiben wollen ; in den Katalogen der aristo-
telischen Schriften kommt dasselbe noch nicht vor ; *) lateinisch bearbeitet
wurde die interessante und gut geschriebene Schrift von Apuleius, de
mundo, ins Syrische übersetzt von Sergius Resainensis (6. Jahrb.).
Il€Qi xivijaemg war der Spezialtitel des zweiten Teiles der Physik.
Das unter dem Titel Ttegl ^({ytav xivijfrewg auf uns gekommene unechte Buch
sollte nach den Schlussworten desselben der Schrift De generatione ani-
malium vorausgehen, während thatsächlich die letzte Schrift sich unmittel-
bar an das Werk De partibus animalium oder De incessu animalium
anreiht.
IJegi nveviAttxoq^ ein kleiner Schulaufsatz verwandten Inhalts mit
dem Buche neQi ävanvorjg, rührt von einem Schulmeister her, der sich im
Aufwerfen von Fragen zu ergehen liebte.
DsqI xQwiAdxiov^ oder über den Grund der Farben bei Pflanzen und
Tieren. Das unechte, von einigen dem Theophrast zugeschriebene Buch^)
steht nicht in den alten Katalogen ; ebensowenig das Buch nsgii äxovarwv,
welches durch die Partikel i^ eng mit dem vorausgegangenen verknüpft
ist und wahrscheinlich ebenso wie das vorausgehende auf den Peripatetiker
Straten zurückgeht.*)
Die 0v(rioyv(o^ovixa sind, wie schon das einleitende ozi lehrt, ein
Auszug, der indes viele interessante, auch für die Kunstanalyse wichtige
Beobachtungen über Eigenschaften von Menschen und Tieren enthält.
Dem Auszug liegen 2 in den Katalogen der aristotelischen Werke auf-
gezählte Originalschriften zu grund, die aus der Schule der Peripatetiker
hervorgegangen waren und den von Aristoteles selbst in der Analytik aus-
gesprochenen Gedanken '') weiter ausführten. Über die Zeit der Abfassung
knntor Jadftaa von 46--8 n. Chr. Büghblbb,
d«r den Anfisatz yon Bergk nach dessen Tod
Iwiaos^b, ennnert an Alexandros, den Sohn
des Antonius nnd der Eleopatra.
'} Spshgsl, De Aristotelis libro dedmo
lustoiue ammalinm et incerto anctore libri
jt^i xöcßiov, Heidelb. 1842. Zuerst kommt
in dem Bach die nifjmjri ovaia oder quinta
tuentia vor.
*) OsAiiiv, BeiMge zur griech. u. rOm.
ütteratorgeach. I 141 ff.
>} BsBCK Rh. M. 37, 50 ff. und 294 ff.
Dereelbe weist darauf hin, dass jener Niko-
laos aas Damaskos nach Simplicios zu Arist
de eaelo p. 3, 28 ed. Hbibbeg eine Schrift negl
ttvnarwoi geschrieben ha^ dagegen Usbnbb in
BuHATs Ges. Abh. II 281. Zbllbb m> 1, 681 ff.
WgBfigt sich, die Schrift der eklektischen
Biäitiuig des ersten vorchristlichen Jahr-
honderts nnd der Zeit nach Posidonios zu-
zuweisen. Vgl. SüSBMiHL Jahrber. d. Alt.
X 1, 33 ff. und AI. Litt. II 326 ff.
^) Im jüngeren Nachtrag des Ind. Menag.
steht der auf unser Buch schlecht passende
Titel ncQi xoafiov yByiaetag.
*) Fbantl in der Ausgabe der Schrift
S. 80 ff. weist die ünechtheit derselben
nach, will aber nicht gerade den Theo-
phrast als Autor anerkennen; es hatte auch
der Peripatetiker Straten über die Farben ge-
schrieben.
') So vermutet Bbandis üb 1201; da-
gegen Zeller II> 2, 915.
') Aa. pr. II 27 p. 70*> 6: ro <W tpvaio-
yytofioyeiy &vyat6y iany, et rtc dl&iociy
Sfia fiSxaßäXXeiy to avafia xul xtjy iffvxijy,
oca fpvaixä iari na&ijfiara.
470
Orieohisohe LüteraturgeBohiohte. I. Elasaisobe Periode.
scheint die Erwähnung des Sophisten Dionysios (c. 3 p. 808* 16), der in
der Zeit Hadrians lebte, einen Fingerzeig zu enthalten.^)
llegl x^aviiiaaiwv axova^dxwv ist die älteste Schrift in der Lit-
teratur der Wundergeschichten, rührt aber gleichwohl nicht von Aristoteles
her, da sie aus mehreren heterogenen Bestandteilen zusammengesetzt ist
und vieles enthält, was erst nach des Aristoteles Tod sich ereignet hat,
wie über Agathokles c. HO und Kleomenes c. 78. Die Zusammenstellung,
bei der aristotelische Schriften mit ausgezogen wurden, ist sicher erst
nach Poseidonios gemacht worden, da dessen Schriften c. 87 und 91 be-
nutzt sind,^) vielleicht erst nach Hadrian, da c. 51 das von diesem Kaiser
erbaute Pantheon in Athen erwähnt ist.')
Die UQoßXtjfAaza in 88 Titeln beziehen sich zum grössten Teil auf
naturwissenschaftliche Dinge, behandeln aber auch Fragen der Musik und
Poesie. Die Methode, Fragen aufzuwerfen und Lösungen derselben zu ver-
suchen, war dem Aristoteles eigen, und es gebraucht derselbe nicht bloss
häufig den Ausdruck nqoßhiiia^ sondern scheint auch einigemal^) auf
Schriften zu verweisen, in denen solche Probleme besprochen und gelöst
waren. Aber unsere Problemata sind ein Konglomerat verschiedener
Sammlungen und enthalten neben Aristotelischem auch manches Fremde
aus Hippokrates, Theophrast und Späteren.^)
Die Mrjxccvixd bilden eine spezielle Art von Problemen; das Buch
wird in den beiden Verzeichnissen der Schriften des Aristoteles aufgeführt.
*Avä/A(ov d-hasiq xai TiQoarjyoQiai (Windrose), ein Auszug aus der
Schrift negl ainfxeicov, welche die einen dem Aristoteles, die andern dem
Theophrast zuschrieben.
Von der Schrift nsgi trjg tov Netkov dvaßdasfog ist nur eine lateinische
Übersetzung aus dem Arabischen bekannt; die Abhandlung hat die Form
eines Problems, zu dessen Lösung Aristoteles die Beihilfe Alexanders des
Grossen in Anspruch genommen haben soll; sie rührt aber nicht von
Aristoteles her, auch nicht von Theophrast,^) sondern von einem erst
nach Eratosthenes lebenden Autor.
Von naturwissenschaftlichen Schriften des Aristoteles werden ausser-
dem genannt: negi vyuiag xai voaov, welches Buch aber bereits zur Zeit
^) B. Förster, De Aristotelis qaae fe-
rantnr physiognomonicoram indole ac con-
dicione, in Philol. Abb. zu Ebren von M.
Hertz S. 283 ff. ; Corpus scriptorum pbysio-
gnomicorum Bibl. Teubn. 1894. Unter die
Werke des Aristoteles ist die Scbrift da-
dnrcb gekommen, dass der erste Satz aus
der Tiergescbicbte des Aristoteles ge-
nommen ist.
*) Bbckmank in Ausg. (1791) p. XYir,
sqq.; Westrrmamn, Paradoxogr. XXV, sqq.;
ScBBADER Jabrb. f. Pbil. 97, 217 ff.
') Noch weiter gebt mit dem Nachtrag
c. 152—178 berab Gercke im Artikel Ari-
stoteles in Wissowas Realenc.
*) BoNiTz, Index Arist. u. nQoßXtjfiata,
') Prantl, Ueber die Probl. des Arist.,
Abbdl. d. bayer. Ak. VI 341 -77. E. Richter,
De Arist. probL, Bonn. Diss. 1885 sucht die
einzelnen Bestandteile auseinander zu scheiden.
Vgl. Heitz, Die verlorenen Schriften des Aiist.
103 ff.; SusBMiHL AI. Litt. I 160 ff. Speziell
von den musikalischen Problemen der 19.
Sektion erweist Stumpf, Die psendo-aristo-
telischen Probleme über Musik, Abb. d. pr.
Ak. 1897, dass sie viele Parallelprobleme
enthalten und deshalb aus zwei Teilen zu-
sammengesetzt sind. Wenn er dann aber
den Ursprung derselben in die Zeit des Plu-
tarch in das 1. oder 2. Jahrb. xl Chr. verlegt»
so macht dagegen bedenklich, dass damals
das Corpus der aristotelischen Werke bereits
abgeschlossen war.
') Rose, Arist psendepigr. p. 239; Dibijb,
Doxogr. 226 f.; das gleicJie Problem in
Westermanns Pai-adoxogr. 190.
4. ]>i6 PhUosophen. d) Aristoteles. (§§ 321—322.)
471
des Alexander Aphrodisiensis verloren war,^) nsgl t(ov dvaTOfidv,*) welches
Werk den Alexandrinern noch in 7 B. und in einem Auszug von 1 B. vor-
lag,*) ferner neQl TQOifrjg^ 'Onrixd und 'AtrtQokoyixd. — Von der unter dem
Namen des Aristoteles gehenden Schrift ^laxQixa Mevioveia^ so genannt
nach einem Schüler des Aristoteles, der auf Anregung des Meisters die
Schrift verfasste, haben wir unlängst durch einen Londoner ärztlichen
Papyrus nähere Kenntnis erhalten.^)
321. Werfen wir schliesslich einen Bückblick auf die Gesamtheit der
naturwissenschaftlichen Werke, so machen dieselben den grösseren Teil
der aristotelischen Schriften aus, und zeigt sich in ihnen die fruchtbarste
und erfolgreichste Seite der wissenschaftlichen Thätigkeit unseres Philo-
sophen. Wir interessieren uns ja als Philologen und Philosophen mehr
für die Poetik, Logik, Politik, aber in diesen Disziplinen wandelte Aristo-
teles alte Wege, wenn auch mit selbständigem Oeiste, aber in der Natur-
geschichte und Naturphilosophie hatte er nur unbedeutende Vorgänger,^)
so dass er in ihnen wesentlich neue Bahnen der Wissenschaft erschloss.
Mit einem bei einem Philosophen doppelt anerkennenswerten Forschungs-
sinn hatte er auch für das BJeinste in der Natur ein offenes Auge^) und
umfasste er mit seinem Wissen eine geradezu staunenswerte Fülle von
Thatsachen. Er ist Schöpfer der Naturlehre geworden und hat damit die
in spitzfindige Yerstandesoperationen sich verlierende Spekulation auf das
fruchtbare Gebiet des Thatsächlichen verwiesen. Er verzichtete freilich
nicht auf den Versuch eines philosophischen Begreifens der Natur und ist
damit zu Prinzipien gekommen, die heutzutage zum grössten Teil als ver-
altet angesehen werden müssen. Aber wenn wir auch über die 4 Ele-
mente und ihre begriffliche Deduktion hinausgekommen sind und selbst
gegen die teleologische Auffassung der Naturerscheinungen Zweifel und
Einwendungen erheben, so wird doch die aristotelische Unterscheidung der
Prinzipien der Form, der Materie, des Bewegenden und des Zweckes für
immer eine wichtige Etappe auf dem Wege zur Erkenntnis der Natur und
des Kosmos bilden.'')
322. Schriften der Psychologie und Metaphysik. Die psycho-
logischen Schriften stehen nach der Auffassung ihres Urhebers in engem
Zusammenhang mit den naturwissenschaftlichen, zunächst mit der Tierlehre,
indem darin die Seele als Entelechie des Leibes und somit als Sitz nicht bloss
des Denkvermögens, sondern auch der Wahrnehmung, der Ortsbewegung,
der Ernährung, des Lebens überhaupt gefasst ist.^) Thatsächlich aber
^) Alex, ad Arist de sensu p.436* 17. Arist.
selbst stellfc sie in Anssicfat p. 464 b, 32; vgl.
436a 17; 480b 23; 653a 8; s. S. 473.
*) Oefters von Arist selbst citiert; siehe
Ind. Arist p. 104.
') Ind. Diog. et Menag.
*•) Herausgegeben von Diels, Arist snppl.
mi.
^) Dass er jedoch viel den Schriften des
Hippokrates und der Aerzte entnahm, lehrfc
PoBOBVKBUEOBB, Die natorwissenschafÜichen
Schriften des Arisfc. in ihrem Verhältnis zn
den Büchern der hippokratischen Sammlung,
Bamberg Progr. 1887.
') Arist de part. animal. I 5, p. 645 a 15.
^) Die Einteilung in Bücher ist unge-
schickt durchgeführt; die Ordner hfttten das
2. B. bis zu III 3 erstrecken lassen sollen,
wie ich Plat Stud. 23 gezeigt habe.
^) Der Standpunkt ist klargelegt de part
an. I 1: toiovtov (ai; ^ xivovaa aQXV ^^^
tig To r^Xog) jov C^'o» ntoi ndaa y ^vxfj
rj fii{fog XI avtijg ' tSate xal ovjioi av XsKxioy
Die niederste Stufe der Seele, to SQBnuxoy,
kommt nach Aristot auch den Pflanzen zu.
472 Oriechisohe Litteimtiirgosehichie. I. SlaMiMhe Poriode.
schlagen die hier zu betrachtenden Schriften weit mehr in das Gebiet der
Metaphysik ein, indem sie den denkenden Oeist (rovg) des Menschen zam
Hauptgegenstand haben, dieser aber im Mikrokosmos des menschlichen
Seins eine ähnliche Stellung einnimmt, wie der göttliche Oeist im Makro-
kosmos der Welt. So sind denn auch in den psychologischen Schriften
die tiefsinnigsten Spekulationen enthalten,^) und gehören dieselben zu den-
jenigen Werken des Aristoteles, welche am schwersten verstandlich sind
und am meisten die volle Klarheit abschliessender Erkenntnis vermissen
lassen. Das hauptsachlichste Werk dieses Oebietes ist
n€Qi ipvjf^g in 3 B. Das 1. Buch enthält nach einleitenden Bemer-
kungen über die Bedeutung und Schwierigkeit des Gegenstandes Unter-
suchungen über das Wesen der Seele in der dem Aristoteles so sehr be-
liebten, auch die Ermittelung der Wahrheit so sehr fördernden Form von
Einwänden {anoQiat) gegen die herrschenden Annahmen; eingelegt ist in
dieselben ein historischer Rückblick auf die Lehre der Früheren. Das
2. Buch, welches die Untersuchung wieder von vom aufnimmt, gibt zuerst
eine Definition der Seele, nämlich die, dass sie die Form {eldoq) und das
Lebensprincip (o^xO eines zum Leben bestimmten d. i. organischen Körpers
sei, und handelt dann von den fünf Kräften (c^rra/ici^) der Seele oder von
der Kraft des Emährens (^Q€nii»6v\ Begehrens (o^acrfxoi), Wahmehmens
(a«r^i;iix('r), der örtlichen Bewegung {Mvr^-tixov xcnd tottov), des Denkens
{Starorjfrtxoi'). Eingehender wird von diesen fünf Funktionen die auf Er-
nährung und Wahrnehmung gerichtete Seelenthätigkeit behandelt, wobei
für jede der fünf Wahrnehmungen (ahä^r^csic) ein entsprechendes Organ
(ah&rjr^gtor) aufgestellt und auch den Tieren oder den niederen ^^a eine
Seele, aber nur eine mit Organen für die niederen Funktionen ausgerüstete
Seele beigelegt wird. Im 3. Buch schliesst der Philosoph die Lehre von
den Sinneswahmehmungen ab und leitet die Untersuchung auf die Be-
wegungs- und Denkseele über. Dieser letzte Teil berührt die obersten
Probleme der Philosophie und ist daher von grösster Wichtigkeit; leider
aber enthält derselbe nur zu viele dunkle und abgerissene Sätze, so dass
schon unter den alten Kommentatoren über den unterschied des voBg
jwotrjtxog und rovg nra^i^Tixoc, und über das, was an der Seele trennbar
(x^^ffTov) vom Leibe und demnach unsterblich sei, lebhafte Differenzen
entstanden. Auf den unfertigen Zustand des aristotelischen Manuskripts
weisen auch die Spuren einer doppelten Textesredaktion hin, welche die
neueren Herausgeber klar gelegt haben.')
Gewissennassen einen Anhang zu den drei Büchern über die Seele
bilden die sogenannten Parva naturalia, jedoch so, dass sie mehr die
niederen Seiten des animalischen Seelenlebens behandeln und eine Mittel-
stellung zwischen Psychologie und Zoologie einnehmen. Der Name Parva
naturalia, womit die acht kleineren Abhandlungen nc^ mfx^vjcfwg xal ceia^
x^t^wy^ Tif^ urrurc xoi araurratwgy rwf^ vTtrov auri iyQr^YO^fwg^ 7W€Qi ivv^
rwrimr xal rfg xax^' rmor /laiTiarr^, 7W(^ fi€ixooßwTr^wog jm ßQaxvßiovrjXog^
*) AiisL de «um. I 1: nfr :tt^ nf^ *) SMe dbrtber aoflser der Ausgabe von
i^/^( irr«p<ci' frXöymg ir ir .*f^'r«; ri> Tontnk Raub, Azist de an. L 11, BeiL ISB91.
4. Die PhiloBophen. d) AristoteleB. (§ 323.)
473
ne^ veoTr/fog xai yiJQoyg, nfQi ^tp^g xai &avdtov, negl ävaTivorjg zusammen-
gefasst werden, stammt aus dem lateinischen Mittelalter und wird zuerst
von Schalem des Thomas von Aquin gebraucht.^) Aristoteles selbst stellt
gleich in dem Eingang des kleinen Corpus psychologisch-physiologischer
Abhandlungen fünf Paare gemeinsamer Thätigkeiten des Körpers und der
Seele auf: Wachen imd Schlaf, Jugend und Alter, Einatmen und Ausatmen,
Leben und Tod, Gesundheit und Krankheit. Aber im nachfolgenden hat
er sich nicht genau an diese Disposition gehalten: es sind andere Ab-
handlungen eingeschoben, und von dem Abschnitt über Gesundheit und
Krankheit liegt nur ein Proömium vor, sei es dass die Ausführung im
Laufe der Zeiten verloren gegangen ist, sei es dass der Philosoph selbst
zur Ausführung der Sache nicht gekommen ist. Ist das erstere der Fall, so
muss die betreffende Schrift schon vor Alexander von Aphrodisias verloren ge-
gangen sein, da dieser im Kommentar zu jener Einleitung p. 486* 17 aus-
drücklich bezeugt, dass schon in seinem Aristoteles die Schrift über Ge-
sundheit und Krankheit fehlte. Das ganze Corpus wie es uns erhalten ist,
zerfällt in zwei Teile: Der erste Teil betrifft das Empfindungsvermögen der
Seele, wobei an die Besprechung von Wachen und Schlaf ein sehr inter-
essanter Abschnitt über das Seelenleben im Schlaf und die Möglichkeit
einer Erkenntnis aus Träumen angeschlossen ist. Der zweite Teil, der
schon in dem alten systematischen Verzeichnis der Werke des Aristoteles ^)
vom ersten durch andere zoologische Schriften getrennt war, behandelt die
Seele als Lebensprinzip und steht in engerer Verbindung mit den Büchern
über das Werden und die Teile der Lebewesen (?<]?«). Auffällig insbesondere
erscheint uns die dort und in den latrika Menonea vorgetragene Lehre
vom Atmen, indem die durch dasselbe zugeführte Luft nicht den Ver-
brennungsprozess erzeugen, sondern umgekehrt die innere Wärme abkühlen
und so das Leben erhalten soll. Erhöhtes Interesse erhalten die Schriften
des kleinen Corpus noch dadurch, dass Aristoteles die abweichenden Lehren
der Früheren, des Plato, Empedokles, Demokrit, Anaxagoras, Diogenes
eingehender Berücksichtigung würdigt, wodurch unter anderem zwei längere
Fragmente des Empedokles uns erhalten sind.
823. Die Metaphysika in 13 (14) B. nehmen dem Inhalte nach die
oberste Stelle unter den philosophischen Schriften ein. Denn sie bilden
die höchste Stufe der Philosophie, die nQoiTr] g^iloaofpta, und handeln von
den obersten Gründen alles Seienden, des beweglichen wie unbewegten. •)
Se decken sich zugleich mit Theologie, da der Volksglaube mit dem Namen
Gott die Vorstellung des obersten Grundes verbindet. Das Wort Mtza-
^vcixa findet sich bei Aristoteles selbst nicht und scheint diesem Komplex
von Büchern erst von den Peripatetikern gegeben worden zu sein, weil
sie denselben ihre Stelle nach den Physika anwiesen.*) Aristoteles nahm
I) FBKCi>KirTHAL Rh. M. 24 (1869) 81.
«) Ed. acad. B«rol. 1. V p. 1471; vergl.
Pl«e£atio ZOT Ausg. der Parva natnralia in
BibL Teabn. von Biehl p. V.
') Neben dem Beweglichen und ünbe-
vegten {rd xivovfdera o. axiyrjTa\ dem Yer-
gii^chen imd Ewigen {q>&aQTä u. at^ia)
nimmt Arist. noch die durch Absondemng
von der Materie gewonnenen mathematischen
Dinge (t« iy «(faiQBCu) an; s. de caelo III
1 p. 299» 16 und Bonitz zu Met. ^ 2 p.
982^27.
^) Im Verzeichnis des Diogenes fehlen
die Metaphysika ganz, vielleicht bloss infolge
474 ChrieohiMlie Liiterfttiirgosehiehte. L KUMioehe Periode.
mit ihnen im gereiften Alter den Gegenstand, den er bereits früher in dem
populären Werk TifQt iftlo<fo(fiag behandelt hatte, wieder auf, um ihn nach
den strengen Grundsätzen wissenschaftlicher Beweisführung und gestutzt
auf die inzwischen in der Physik und in den Büchern vom Hinmiel ent-
wickelten Sätze durchzuführen. Zur vollen Klarstellung seiner Gtodanken
und zur endgültigen Überwindung der dem menschlichen Geiste sich gerade
hier entgegentürmenden Schwierigkeiten hat er es indes nicht gebracht:
weder sachlich noch in der Form genügt seine Metaphysik. Das erstere
darzuthun ist Aufgabe der Geschichte der Philosophie; es genüge, darauf
hinzuweisen, dass die Defim'tion der TtQciTfj q^ilo<fog>ta als Wissen vom
Seienden als Seienden {rov ovtog vj ov) Definition geblieben, nicht Aus-
gangspunkt für die nachfolgenden Untersuchungen geworden ist,^) dass
der voiq oder die Gottheit als die den Sternenhimmel bewegende Kraft
höchstens die Bewegung der Sterne, aber nicht die Gebilde des Weltalls
und das Werden der Dinge erklärt, endlich dass die aus der Physik her-
übergenommenen vier Grundprinzipien, vir; eliog x6 xivovv %6 ov ivsxa^
mit dem vovg in keine rechte Verbindung gebracht, noch in ihrer Ctenesis
und wechselseitigen Einwirkung beleuchtet sind. Wo es so an der Ella-
rung und Beherrschung der Sache fehlte, konnte auch die formale Durch-
führung und die Zusammenwebung der Teile zu einem Ganzen nicht ge-
lingen.^) Gut hängen zusammen und sorgfältig durchgearbeitet sind nur
die 3 ersten Bücher ABT, welche den Weg zur Lösung durch Kritik
der Vorgänger und Besprechung der Aporien ebnen sollen, und von denen
namentlich das erste als kritische Rundschau über die früheren Philoso-
pheme mit Recht hochgeschätzt ist. Die eigentliche Ausführung enthalten
die Bücher E Z H & l A^ aber so, dass wir hier überall die feilende
Hand, ja mehr, das Ineinandergreifen und den Abschluss der einzelnen
Untersuchungen vermissen. Namentlich zeigen sich diese Mängel in dem
Buche A^ welches die Krone des Ganzen, die Lehre von dem voiq und
den Göttern, enthalten soll. Das Buch J behandelt die Vieldeutigkeit der
in der Philosophie zur Sprache kommenden Ausdrücke und bildet ein Buch für
sich, das nicht unpassend zwischen Tund E eingelegt, aber nicht mit den-
selben organisch verbunden ist. Das Buch K enthält im ersten Teil eine gute
Zusammenfassung der Bücher B r E, im zweiten einen weniger genügen-
den Abriss derjenigen Kapitel der Physik, welche für die Metaphysik von
Wert sind; dasselbe stellt in Verbindung mit A und A einen kürzeren
Kurs über Metaphysik dar, und scheint von einem Schüler aus den Werken
des Meisters ausgezogen und nur mit einigen eigenen Zusätzen versetzt
eines Ausfalls; der Ind. Menag. hat juera- i durch Streichung der Sfttze £1 p. 1026 a,
q)vaixtt X und fustafpvcixa t\ das arabische | 18 wäre — &€oXoyixij und xal rijy wituo^
Verzeichnis kennt unsere 13 B. Bei den
Alexandrinern ist das 4. B. unter einem
eigenen Titel negl tuüy noca^tog XeyofAivtüv
aufgeführt; wahrscheinlich hatten bei ihnen
auch noch die zwei letzten Bücher eine ge-
trennte Stellung.
*) Natorp, Thema und Disposition der
Metaphysik, in Philos. Monatshefte XXIY
37—65 sucht die Schwierigkeit zu mindern
jdxfjy — yiyoq Biym,
') Das Beste darüber gibt Bonitz, Atist.
met. II 3 — 35. Von Torausgehenden Arbeiten
hebe ich hervor Rayaissok, Essai sur ]&
M^taphysique d'Aristote, 1837. Meine eigenen
Ansichten habe ich teils in Studia crit. in
Arist. libros metaph. 1853, teils in meiner
Ausg. 1886 (1895) dargetiian.
4. Die PhUoBopbexi. d) AriBtoteles. (§ 824.)
475
zu sein.^) Die beiden letzten Bücher M N enthalten eine för sich be-
stehende Kritik der platonischen Ideenlehre, gehören also zum Gedanken-
kreis der Metaphysik, waren aber um so weniger bestimmt, mit den
anderen Büchern zu einem Werke vereinigt zu werden, als sie ganze
Kapitel mit dem Buche Ä (990»> 6—991 »> 9 = 1078* 32-1080* 11) bis
aufs Wort gemeinsam haben.
Nicht in die Metaphysik aufgenommen, aber zu ihr gehörig ist die
von Neueren dem Theophrast zugeschriebene Abhandlung naql arcjuair
YQUfifioiVy die mit der Kritik der platonischen Ideenlehre zusammenhängt
und eigentlich im Anhang der Metaphysik gedruckt werden sollte. Mehr
Qunst hat bei den alten Aristotelikern das Büchlein a gefunden, welches
nach Vorlesungen des Aristoteles von Pasikles, einem Neffen Eudems, heraus-
gegeben,') aber sehr unpassend zwischen A und B eingelegt wurde. Einen
vorzüglichen Kommentar zur Metaphysik haben wir aus dem Altertum von
Alexander aus Aphrodisias.
824. Schriften über Ethik und Politik. Der Betrachtung (^*a)-
i^v) der objektiven Welt stellt Aristoteles das subjektive Handeln gegen-
über, indem er hier selbst wieder zwischen dem vernunftgemässen Handeln
im engeren Sinn {rrgaTteiv) und dem künstlerischen Schaffen {noieiv),
zwischen Ethik und Ästhetik, unterscheidet.^) Der praktischen Philosophie
gehört zunächst die Sittenlehre {rj^ixt} (fiXoco^ta) an; öffentliche Gestal-
tung findet das vernünftige und sittliche Handeln im Staat, und so bildet
die Politik einen Anhang der Ethik.
'Hx^ixd Nixofjidxficc in 10 B., ^Hd-ixd EvSijfxeia in 7 B. und
'fl^ixa ^isydla in 2 B. enthalten alle in gleicher Weise die Grundsätze
der aristotelischen Sittenlehre; aber sicher hat Aristoteles nur in einem
Werk seine Lehre darlegen wollen, und dieses eine Werk ist die nach
seinem Sohne Nikomachos, vermutlich dem Herausgeber, benannte Ethik.
Die Eifdr.fisia sind eine an die Vorträge des Meisters und an die niko-
machische Ethik sich anschliessende Bearbeitung des gleichen Gegenstandes
dnrch seinen Schüler Eudemos von Rhodos,^) die einige Abschnitte mit
der nikomachischen Ethik ganz und gar geroein hat.^) in den meisten
hingegen eigene Zusätze und Änderungen enthält. Die 'H&ixd fjisydXa,
welche in sonderbarem Widerspruch zu dem Namen den kleinsten umfang
haben, sind ein jüngeres Werk der peripatetischen Schule, in welchem
die beiden älteren Ethiken zu einem kleineren, aber alle Punkte umfassen-
den Auszug zusammengearbeitet sind;«) wenn sein Verfasser gleichwohl sich
') Aach sprachliclie Grflnde ^
gegen die ürheberscliaft des Arist; vergl.
meme Ansg. p. 218 Note. Der Veranstalter
^ Ansrogs fand noch nicht Bach J ein-
gelegt.
') YgL Note des Cod. E in meiner Ausg.
P-35. Die Einf&gong geschah wohl in der
Zeit nach Andromkos, da keine Neuzählung
<ier 13 Bftcher des Eataloges vorgenommen,
Mmdem das neuhinzngetretene Buch mit a
f^ior bezeichnet wurde.
») Met Z 1.
^) Dieser Schüler des Arist, der den
Meister Aberlebte, ist verschieden von dem
älteren Mitschüler Eudemos, dem der Dialog
Eudemos gewidmet war. Das Altertum hatte
auch Ei*dijfÄOv ttvttXvTlxn und q^vaxa, die
noch Simplicius las. Eudemi fragm. ed. L.
Sp ENGEL, Berol. 1866, wo aber die Ethika
ganz ausser Betracht gelassen sind ; Eudemi
fragm. in Mullach FPG III 222—292.
») Nicom. V-Vn = Eud. IV- VI.
®) Dieses Verhältnis ist klar gestellt von
Spemgsl, lieber die unter dem Namen des
476 Orieohiflohe LitteimtitrgMobiehte. L KUsnaehe Pmode.
p. 1201b 25 (SaTTSQ ^^a^tv iv xotq maXvrixotq mit Aristoteles identifiziert,
so hat dieses sein Analogen daran, dass Aristoteles selbst in der Meta^
physik mit Xh'yoficr sich als Angehörigen des platonischen Kreises be-
zeichnet — Die Ethika sind im allgemeinen von unserem Philosophen weit
mehr zur Abnindung gebracht als die Metaphysika; gleichwohl erregt
ihre Komposition mehrfach Anstoss: ob die der nikomaehischen and ende-
mischen Ethik gemeinsamen Bücher dem ersten oder zweiten Werke ur-
sprünglich angehörten, ist eine schwer zu entscheidende Frage ;^) die Bücher
Vm und EK, welche von der Freundschaft handeln, sind locker angereiht
und bildeten ehedem eine eigene Schrift ns^ 9<^a^, wie eine derartige
noch in den alexandrinischen Katalogen aufgeführt ist; das gleiche scheint
mit dem 10. Buch, das von der Lust und Glückseligkeit {evSaifwiw)
handelt, der Fall zu sein, da auch hier die alexandrinischen Kataloge ein
eigenes Buch rwe^l rjiovr^g registrieren. In dem Inhalt der Lehre zeigt
sich insofern ein Abfall von Piaton, als die Untersuchung über die eine
Wurzel der Sittlichkeit sich in dem Detail der Einzeltugenden verliert')
Aber in der Schärfe der BegriflEBbestinmiung, der Klarheit der Auffassung
hat Aristoteles auch hier seine Meisterschaft bewährt. Er geht aus von
dem Begriffe des reinen Guten oder der Glückseligkeit (evimiiovta) ; diese
findet er nicht in der Lust, auch nicht im Reichtum und in äusseren
Gütern des Lebens, sondern in derjenigen denkenden und handelnden
Thätigkeit, durch die der Mensch die ihm als Menschen zukommenden
Aufgaben erfüllt.') Die Tugend ist ihm eine dauernde, auf Einsicht und
Übung beruhende Haltung der Seele (^^<^), welche die rechte Mitte zwi-
schen dem zu viel (vTis^ßolrj) und dem zu wenig (J^XXfi^i^) findet und auf
solche Weise die Leidenschaften und Affekte im Menschen beherrscht und
regelt.^) In Übereinstimmung mit der Begriffsbestimmung der Eudämonie
und ganz im Geiste des Piaton und des Altertums überhaupt unterscheidet
er des weiteren zwei Arten von Tugenden, die dianoetischen oder geistigen
und die praktischen oder ethischen im engeren Sinn. Die Ausfuhrung
und Charakterisierung der einzelnen Bethätigungen der Tugend des Geistes
und des praktischen Handelns nimmt sodann den grösseren Raum seines
Werkes ein. Der schwächste Punkt in der Ethik und der Seelenlehre
unseres Philosophen ist die Unklarheit über die Kraft des Willens und
Arist erhaltenen ethischen Schriften, Abh. ') Das tfaat aber Aristoteles mit Ab-
el. bajer.Ak. 1111841; daznSpBHQBL, Aristo- sieht, wie die Stelle in der Politik I 18
telische Studien I in Abh. d. b. Ak. X 1863. p. 1260 * 27 zeigt: noXv ydg afAj^ivov Xiyov^u^
Vgl. Ubbkrwbg, Gnmdriss V 195 f.; Zbllbs oi i^agi^fioi'yteg rag a^eiagy wane^ Fa^iagy
II' 2, 101 f. Ueber die Abschnitte der twr ovttog oQi^ofiermr.
Mondia magna, welche in den beiden andeni *) Eth. Nie. I 6; ygL IX 9 p. 1169 >> 29:
Ethiken nicht stehen, siehe Susbmihl in den ij «J<fai/uoW« iregysia tiV icwiy.
Proleg. seiner Ausgabe der ersten Schrift ^) Eth. Nie. 0 5: t; t«v är&^nov e£^
Bkbok, Gr. litt IV 494 wiU die grosse Ethik ' ay i^tg, dtp^ ^q dya^g ay&^mnog yi^cxat
dem Peripatetiker Phanias beilegen. Einflnss xat ägf^ ^g to iavtov i^yoy anodiu^ei
der Stoa weist nach Zeller II ' 2, 942. fi&soxtig ug d^a ^liy 17 a^ef «7, vroxa^rix^
M SüSBMiHL, Ueber die nikomachische ^^ ^S^„ ,or uscov. Die Definition hat groasen
Ethik des Anst in Vhdl. d. 80. Phdologen- Nachklang in der alten Utteratur gefunden.
Versammlung 1881 Ifast sie m der Haupt- [ g^ ^^ ^i Ho^az ep. I 18, 9: Hrtus est
mwae von Anstot stammen, aber aus der ^^^ium vitiorum et utrimque reductum.
endemischen Ethik ergänit sem. |
4. Die Philosophen d) AristoteloB. (§ 325.)
477
das Verhältnis des Willens zum natürlichen Begehren und zur geistigen
Einsicht.
Die unechte Schrift n€Ql dgetäv xat xaxKov enthalt dürre Definitionen
der einzelnen Tugenden und Laster, i)
326. Die IloXiTixd in 8 B. haben die Ethik zur Voraussetzung; am
Schlüsse der nikomachischen Ethik ist auf den Staat hingewiesen, durch
den die Menschen zur Sittlichkeit erzogen werden sollen; damit ist der
Zusammenhang der Ethik mit der Gesetzgebung und Politik klar ausge-
sprochen.*) Ein eigenes Kapitel Polit. III 3 ist der Frage gewidmet, ob
der sittlich gute Mensch {drr^Q äya^og) mit dem politisch tüchtigen Bürger
(mXiTtig (snoviaToq) sich decke. Die Politika selbst handeln einleitungs-
weise im ersten Buch von der Grundlage des Staates, dem Haus oder der
FamiHe, und im Anschluss daran, von der Hausverwaltung und dem Er-
werb (xQTjfiaxiaxixij), Als Teil des Haushaltes erscheinen auch die Sklaven,
da diesen die körperlichen Arbeiten des Hauses, welche der freie Grieche
als seiner unwürdig betrachtete,*) zuzufallen pflegten. — Im zweiten Buch
unterzieht sodann unser Autor nach der ihm beliebten Methode die An-
sichten der Früheren, der Theoretiker wie der Gesetzgeber, einer kriti-
schen Betrachtung, wobei er ausser Phaleas von Chalkedon und Hip-
podamos von Milet,*) besonders die einschlägigen Werke Piatons, den
Staat und die Gesetze, in den Kreis der Untersuchung zieht. — Die eigent-
liche Aufgabe löst er in den sechs nächsten Büchern, und zwar so, dass
er den Unterschied der drei guten Staatsformen, bei denen die Herrschen-
den das Wohl der Gesamtheit im Auge haben {ßatriXeia, dQiaioxQazia^
nokteia), und der drei Ausartungen, bei denen die Herrschenden von ihren
eigenen Interessen sich leiten lassen {tvQavvig^ ohyaqxia^ dr.fioxgatta),^)
zmn Ausgangspunkt nimmt. Als beste Staatsform gilt ihm diejenige, in
welcher die Besten oder die durch Tugend, nicht bloss durch Geburt und
Reichtum Hervorragenden die Herrschaft in den Händen haben, als aller-
beste die, in welcher ein einziger, der zugleich allen andern an Tugend
nnd Einsicht überlegen ist, die Herrschaft führt. ^) Von diesem besten
Staat ist in den Schlusskapiteln des 3. Buches (IH 14 — 18) und in den
^) Den Aufsatz hat Ps. Andronikos in
aein kompiliertes Bach negl naduiv aufge-
DommeD, das C. Schüohbardt, Andronici
Bhodii qni fertar libelli negi na&toy pars
•Itera de yirtatibus et vitiis, Darmst. 1883
vif Gnmd eines guten kritischen Apparates
oea ediert hat; frühere Ausgabe von Mul-
ucH PPG m 570—8.
*) Die Echtheit jenes Schiasses der
^&ak ist freilich von Amsdorf (s. S. 478
Aam. 1) angefochten worden.
») Arist Pol. ym 2 p. 1337 »» 6: q^a-
f^^r üxi tiay roiovnoy dei /äbt^x^*'*' ^^^ ''^^
Z^ifimy Tioiijaei tov /ier^jjfoi^ror firj ßäyav-
»ör. ßayawfoy d'igyoy siyai 6bZ rovxo yo-
fuUtp xai r^/i'jy*' Zttvxijy xai fid&ijctyy oaai
'p»V i«c /^i/ffcic xai ras ngd^eig ras rijs
ff^r^g axgijotoy dnsgyd^oyxai to ütS/da
jtSy iX€v&£Q(ay rj xrjy ^vj[ijy xxX. Vgl. p.
1277»^ 35.
*) Von Hippodamos, der von Hause aus
ein Baumeister war und um die Mitte des
5. Jahrhunderts blühte, hat uns Stobaios
einige pythagoreisierende Bruchstücke Tiegl
noXixeiag und nsQi ev&ttifxoylag erhalten; s.
C. Fr. Hebmann, De Hippodamo Milesio,
Marburg 1841.
^) Unseren Ausdruck Ochlokratie kennt
Aristoteles noch nicht; er lässt sich erst bei
Polybius nachweisen.
*) Ein unbedingter Lobpreiser der Mo-
narchie ist also Aristoteles nicht, noch we-
niger ein solcher der erblichen Monarchie,
bei der seine Voraussetzungen noch weniger
leicht eintreffen; s. insbesondere p. 1288*^ I.
478
Oriechische Litteratnrgesohithte. L Klassische Periode.
sich daran unmittelbar anschliessenden Büchern YII und VIII gehandelt.^)
Aber die Behandlung des Gegenstandes ist nicht zum Abschluss gekom-
men; besprochen sind nur die äusseren Grundbedingungen des besten
Staates und besonders im Hinblick auf Piaton die Erziehung und Bildung
der Staatsbürger. Und selbst dieser Teil ist unvollendet geblieben oder
doch unvollendet auf uns gekommen; behandelt sind nur die vier Gegenstände
des gewöhnlichen Unterrichtes, Grammatik, Gymnastik, Musik und Zeich-
nen;*) zu den höheren Unterrichtsgegenständen, Philosophie und Ästhetik,
ist der Autor nicht gekommen. — Die mittleren 3 Bücher IV — VI bilden eine
Untersuchung für sich; sie handeln unter dem Gesichtspunkt des Real-
politikers«) von den übrigen Staatsformen, von den Teilen des Staates
(Rat, Beamten, Gerichte) und deren Aufgaben, von dem was den Staat
erhält und ihn zu gründe richtet. Auch hier ist die Reihenfolge der
Bücher nicht in Ordnung. Nach der von Aristoteles selbst IV 2 gegebenen
Disposition und nach dem Eingang des 5. Buches sollte man erwarten,
dass das 5. Buch den Schluss bilde und demselben das in den Hand-
schriften an 6. Stelle stehende Buch vorangehe.*) Aber da in dem 6. Buch
wiederholt (p. 1316^ 34, 1317« 37, 1319 »> 37) auf das fünfte Bezug ge-
nommen ist,^) so hat es mir doch die grössere Wahrscheinlichkeit, dass
Aristoteles jenes 6. Buch, in welchem nochmals von der Demokratie und
Oligarchie und den durch Mischung entstandenen Schattierungen jener
beiden Staatsformen gehandelt ist, erst nachträglich verfasst und den be-
reits vollendeten Büchern IV— V als Ergänzung angehängt hat.«)
Die beste Einrichtung des Staates galt dem Aristoteles als eine der
würdigsten Aufgaben der Philosophie, wie auch seine Schule, mehr als
selbst die Stoa, sich mit politischen Fragen abgegeben hat. Aber zum
befriedigenden Abschluss hat Aristoteles sein Hauptwerk, unsere Politik,
nicht gebracht; es fehlt nicht bloss die planmässige Ordnung in der
^) Dass in den Handschriften die Bücher
YII u. VIII an falscher Stelle stehen und in
der angedeuteten Weise umgestellt werden
müssen» hat schon im 16. Jahrh. der Italiener
Segni erkannt, und ist von Conring in
der Einleitung der Uebersetzung des Gi-
phanins 1647, und L. Spbi^gbl, Ueber die
Politik des Aristoteles, Abh. d. bayer. Ak. V
1847, näher begründet worden. Die jetzige
falsche Ordnung ist vorausgesetzt in dem
Citat VII 4 p. 1325 b 34 ne^i rng aXXag Tto-
Xirelag ijfAiy te&etaQfjTai nQotCQoy und in
dem Schluss der Nikomachischen Ethik.
Eine besondere Beweiskraft liegt in dem
Ausdruck xai* aQeii^v xexoQtjyr^fASfijy IV 2
p. 1289« 28, womit auf VII 1 p. 1324" 1 zu-
rückgewiesen wird. Vgl. SüSBMiHL, Ueber
die Komposition der arist. Politik, in Verhdl.
der 30. Vers, der Phil. S. 17—29; Amsdorp,
Symbolae ad Arist. politicorum crisin spec-
tantes, Landshut Progr. 1894.
^) BiEHL, Die Erziehungslehre des Ari-
stoteles, Innsbruck 1875. Das Zeichnen war
nach Plinius N. H. 35, 76 um diese Zeit
durch den Makedonier Pamphilos, den Lehrer
des Apelles, unter die Untenichtsgegenstände
aufgenommen worden.
») Hauptstelle darüber p. 1288*» 85: ol
nXetatoi tuiy dnotpttivofAiytay ne(fi noXiieiaf
xal ei taXXa XeyotHri xaXw^j rtSy ye Z9V^
aifitoy dittfiaQtdyovciy ' ov yaQ fdoyoy rijy
ttQiarijy dei SetjQsTy dXXd xal rijy dvyaifjy.
^) Dieses Verhältnis ist aufgedeckt von
Bartb^lrmy DB St. Hilairb in seiner Ausg.
1837 und festgehalten von L. Spekobl a. O.
u. Arist. Stud. 11, Oncken, Staatelehre des
Arist. I 98 ff. Vgl. Brkdixrh in den Jahres-
berichten desPhilol.Xin264ff, XIV 332 ff.,
XVI 465 ff. und Susbmihl in der griech.-
deutech. Ausg. Einl. 4 f. u. 58 f.
^) Beachte indes, dass die Definition
der doppelten Art des tcoy im 5. B. p. 1301 ^
30 gegeben und im 6. B. p. 1317^ 4 als ge-
geben vorausgesetzt wird.
*) Wenn nicht, so müssen jene 3 Stellen
als nachträgliche Interpolationen angesehen
werden, wofür allerdings einige sprachliehe
Indicien zu sprechen scheinen.
4. Die Philosophen, d) Aristoteles. (§ 325.) 479
Reihenfolge der Bücher, *) es fehlt auch die Krönung des Gebäudes, indem
ohne jedweden Epilog das Werk zu Ende geht, mag man nun die über-
Ueferte Ordnung der Bücher beibehalten oder ein anderes Buch, das
5. oder 6., an den Schluss stellen. Auch sonst reisst gar oft der Faden
der Untersuchung und haben die Herausgeber ihre liebe Not, mit allen
möglichen Hausmitteln der Kritik einen einigermassen befriedigenden Text
herzustellen. Aber gleichwohl ist das Werk eines der bedeutendsten und
interessantesten, die uns das Altertum erhalten hat; namentlich machen
die zahlreichen Angaben über die Einrichtungen der buntgestalteten Staats-
wesen des Altertums das Buch zu einer Hauptquelle für den Historiker
und Altertumsforscher. Der Gegensatz zu Piaton tritt eben besonders hier
von seiner guten Seite uns entgegen, indem der Autor ideologische
Träumereien grundsätzlich ablehnt und immer auf das Thatsächliche und
Mögliche den Blick gerichtet hält. Freilich hinderte dieser Realismus ihn
auch, über die Beschränktheiten und Vorurteile des Altertums hinauszu-
kommen : er verteidigt nicht bloss die Sklaverei, er sucht sie auch physio-
logisch durch Annahme einer niederen Naturanlage dieser unglücklichen
Geschöpfe zu begründen;*) vor dem Handwerk und der Arbeit überhaupt
hat er keinen rechten Respekt, indem er den Körper und die Seele des
Freien von ihr nicht besudelt sehen möchte;») um dem Übel der Über-
völkerung vorzubeugen, hat er Worte der Entschuldigung für die Abtrei-
bung der Leibesfrucht und die Unnatur der kretischen Knabenliebe.*) Auf
der anderen Seite verkennt er doch wieder darin, dass er eine unum-
schränkte Gewalt nach Piatons Vorgang dem Guten (äya^og) zuweist, die
naturgemässe Berechtigung der einzelnen Bürger, an der Ordnung des
Gemeinwesens mit teil zu nehmen.^) — Für die Abfassungszeit des Werkes
gibt der Umstand einen Wink, dass die Ermordung des Königs Philipp (338)
erwähnt ist (p. 1311^ 1), die Einnahme Babylons aber durch Alexander und
die Invasion Kretas durch Agis H. (332) nicht in Betracht gezogen sind
(p. 1276" 28 und 1272" 22).«) Sicherlich ist der Staat des Aristoteles nicht
*) Ich vermute, dass Arist nur mehrere, | p. 1337*» 6 und p. 1255'' 35: ooois i^ovaia
ursprünglich für sich bestehende Traktate,
wie TteQi oixo^o/Äias (ß. Ij, tisqI aQiaroxQa-
Tta^ (VII 4 — VIII), ne^i xtüv vnaqx^^xf*^^
noXixBibiv (B. rV— V mit dem Nachtrag von
B. VI), und die Anfänge einer zusammen-
fassenden Darstellung (1 1; II; III; VII 1—3)
hinterlassen hat. Die Zusammenfassung der
Teile scheint Theopbrast besorgt zu haben,
da einige denselben geradezu für den Autor
des Werkes ausgaben; s. Hesychius Ind. libr.
Arist.: noAiTtxi;; texQOtttfBtJ^ [cJ^] ^ Seo-
') Pol 12; damit hängt die Ansicht von
der Gesetzmässigkeit des Krieges gegen
Barbaren zusammen, worüber I 8 p. 1256^
27: T^ noXsfiixfi dsl /^<r^«ri ngn^ xb rn
^Qia xtti T<oy nrSqtonoiVy oaoi nstfvxoxeg
ttQx^^f^oi fifj &eXovciy, oig <pv<rH dlxttioy
ovxa tovxoy rov n6X$fjioy.
') Vgl. die oben schon angeführte Stelle
fAij avxoig xttxoTia&eTy, inUgonoc Xafißayei
xijy X9V^^'*V^ ''i'f^V^i avtol da noXiisvoyXM
ij (piXoaog)ovai.
*) Vgl. p. 1335'' 25 u. 1272 » 24; leider
fehlt die an letzter Stelle versprochene Aus-
führung.
'^) Polit. III 17 p. 1288« 29: Xeinerat
fioyoy x6 Ttei&ea^ai t^ xoiovxif) xal xvgioy
elvai fjirj xaia fjtegog dXX^ anXuig. Nach Ari-
stoteles wäre die absolute Monarchie Louis
XIV die beste Staatsverfassung gewesen;
denn auch dieser hatte gesagt: nous devona
consid^rer le bien de nos sujets plus que le
notre propre und c'est la volonte de Dieu,
que quiconque ent n4 sujei obHsse sana dis-
certiement. Einmal jedoch Polit. III 10 er-
kennt Aristoteles das Unwürdige an, welches
in dem Ausschluss der Bürger von der Selbst-
verwaltung Uegt.
*) Der Eianzprozess des Demosthenes
480
Oriechisoho Litteratiirgesohioht«. L EUteisohe Periode.
nach dem Muster des Weltreiches Alexanders eingerichtet, schweben dem
Autor vielmehr durchweg, namentlich in dem Kapitel von der Grösse des
besten Staates (VII 4 u. 5), die Verhältnisse der kleinen Stadtgemeinden
der Griechen vor Augen.^) Den Begriff der Nation und des nationalen
Bundesstaates hat er überhaupt nicht erfasst.
326. Die Staatslehre hatte Aristoteles schon früher in dem populären
Dialog IloXuixiq behandelt, auf den sich Cicero de fin. V 4 und ad Quint.
fratr. 3, 5 bezieht. Es hatte aber derselbe ausserdem in einem grossartigen
Sammelwerk, nohxeTai betitelt, welches die Beschreibung von nicht weniger
als 158 Staatsverfassungen^) enthielt, sich das sachliche Substrat für seine
theoretischen Spekulationen verschafft. Jenes Sammelwerk, welches zur
reichhaltigsten Fundgrube für die Grammatiker und Historiker wurde,*)
ist leider nicht vollständig auf uns gekommen. In neuester Zeit indes ist
aus einem ägyptischen Papyrus ein wichtiger Teil ans Tageslicht gekommen
'Ad^r^vatoH' noXirsia^ fast vollständig;^) es fehlt nur ausser dem Anfang
und einzelnen Kapiteln der Staatsverwaltung die Verfassungsgeschichte seit
dem Ende des peloponnesischen Krieges. In schöner, durch eingelegte Verse
belebter Darstellung gibt das Buch einen vollen Einblick in die innere
Geschichte Athens. Nicht bloss die Staatsformen sind aufs genaueste in
historischer Entwicklung behandelt, auch was mit der Staatsverwaltung
zusammenhängt, Masse, Gewicht, Gerichtshöfe, Annenpflege, ist in Betracht
gezogen. Das Ganze zerfällt in 2 Teile, einen historischen und einen
systematischen. Der erstere (c. 1—41) enthält eine chronologische Dar-
stellung der 11 Staatsverfassungen Athens von der ältesten des Ion bis
zur gegenwärtigen, und schliesst mit einem zusammenfassenden Überblick.
Der zweite Teil (c. 42 — 63) bespricht die Staatsorgane der bestehenden
Verfassung {^yyQcctpr^ nolmav, ßovkrjj ccQX^h StxaaxriQta) und setzt deren
Wirkungskreis auseinander. Als Quelle benutzte der Verfasser ausser
den erhaltenen Historikern vorzüglich die Atthidenschreiber ; daneben er-
sparte er sich auch nicht die Mühe der direkten Einsichtnahme wichtiger
Staatsurkunden. Vielfach hat die neue Schrift unsere Kenntnis der atti-
und Aischines hatte ebenfalls noch nicht
stattgefanden, da es nach ihm nicht heissen
konnte p. 1299'^ 29: ov yuQ nia xQiaig yi-
yovbv d/^(piaßtjTovynoy 7t€Qi rov ovofAatog sc.
ttQXV^ x«( inifjieXelag.
M Vgl. p. 1327»» 31: ro EXXijytoy yiuog
iXev&CQoy re diareXei xal ßeXnoxa TioXirev-
ofisyoy Xtti dvyä/uByoy aQXSt-y ndyttay, mag
tvyxdyoy noXiteiag.
^) Nach dem Katalog des Andronikos
oder dem arabischen des Ptolemaios von
171 Staaten; 98 Politien weist Nissen Rh.
M. 47, 189 ff. nach, 9 weitere Holzinoer
Philol. N. F. 6, 115.
*) Plutarch, Non posse suav. c. 10 be-
zeichnet die Politeiai des Aristoteles neben
den Geschichtswerken des Herodot nnd
Xenophon und der Erdbeschreibung des
Eudozos als die anziehendste Lektüre. Von
den Auszügen des Herakleides wird später
die Rede sein.
^) Zuerst kamen zwei Blfttter, die sich
jetzt in Berlin befinden, zum Vorschein; s.
DiBLS, Ueber die Berliner Fragmente der
'A^tjyaiioy noXtrela, Abb. d. Berl. Ak. 1885;
der aristotelische Ursprung des Papynis-
fragments ward zuerst mit glänzendem Scharf-
sinn erkannt von Bbrgk Rh. M. 36, 87 ff.:
vgl. WiLCKBN Herm. 23 (1888) S. 446 ff. Später
kamen vier neue Rollen hinzu, welche auf
der Kehrseite Rechnungen aus der Zeit Ves-
pasians v. J. 78/79 enthalten; diese befind«!
sich in London und sind zuerst heraui^e-
geben worden von Ebnton 1891; manches
besser gelesen von Blass in der 2. Textesauag.
BT. 1895; Hauptwerk Wilamowitc, Aristo-
teles u. Athen, Berl. 1893, 2 Bde. Quellen-
untersuchung von Bukst, De Aristotelis
TioXitelag ^J9i]ytti<oy partis alterios fönte et
auctoritate, Diss. Dorpat 1897.
4. Die Philosophen, d) Ariitotele».
5—328.)
481
sehen Verhältnisse bereichert und berichtigt;^) aber auch Irrtümer und Wider-
spruche mit Angaben der Politika, wie namentlich bezüglich der Regierungs-
zeit der Pisistratiden, sind dem Verfasser untergelaufen, so dass einige
Kritiker sogar den aristotelischen Ursprung der Schrift angezweifelt
haben. ^) Abgefasst ist das Buch nach 329, da es c. 54 auf einen Volks-
besehlnss dieses Jahres Bezug nimmt, wahrscheinlich zwischen 824 u. 322,
da es einerseits die Vergötterung Alexanders voraussezt (c. 61), anderseits
die durch die makedonische Okkupation herbeigeführte Verfassungsände-
rung nicht kennt. ^)
Verwandter Natur mit den Politeiai waren die Nofiifia ßaQßaQtxä,
von denen mehrere Fragmente und neuerdings aus Flinders Petri's Papyri
einige weitere Bruchstücke auf uns gekommen sind.^)
327. Die Olxovo^txd in 3 B. sind unecht. Das zweite Buch ent-
hält eine Reihe von Beispielen, wie sich Staaten und Private aus Geld-
verlegenheiten halfen, und rührt sicher nicht von Aristoteles selbst, son-
dern von einem jüngeren Glied der peripatetischen Schule her. Aber auch
das erste Buch, von dem im griechischen Original nur Bruchstücke exi-
stieren, wird von Philodemos nsql xaxmv xal ägstayv col. 7 als Werk des
Theophrast citiert und ist nach Susemihl, dem neuesten Herausgeber der
Ökonomik, um 250 — 200 v. Chr. entstanden. Das 3. Buch, das den Spezial-
titel vofAOi ävdQcq xal yafi€%ffi hatte, ist nur in lateinischen Übersetzungen
erhalten.^) Die echte Lehre des Aristoteles über das Hauswesen enthält
das 1. Buch der Politik.
«t28. Die Schriften über Poetik und Rhetorik. Rhetorik und
Poetik spielten seit Piaton eine grosse Rolle in den Untersuchungen der
Philosophen ; die Rhetorik, weil sie in das Grenzgebiet der Philosophie fiel,
die Poetik, weil sie ebenso wie die Musik die Aufmerksamkeit des Gesetz-
gebers und Staatsmannes in Anspruch nahm.^) Die Stellung des Piaton
und Aristoteles zu diesen Künsten ist eine grundverschiedene: jener hat
sie verdammt und aus dem Idealstaat ausgeschlossen, dieser hat sie in
ihrem Wesen begriffen und an ihre richtige Stelle gewiesen.
Von der Poetik in 2 B. ist nur das erste Buch erhalten. Dasselbe
handelt von der Tragödie und dem Epos: das zweite Buch war der Komödie
gewidmet.^) Das kleine Büchlein, das nur durch Zufall als Anhang einer
Sammlung rhetorischer Schriften im Cod. Paris. 1741 uns erhalten ist, hat
in der neueren Zeit mehr Beachtung gefunden als irgend eine der philo-
^) Ad. Baues, Liierarische und histo-
nache Forschungen zu Arisioieles ^Adriyaltay
n9hieia, MOnchen 1892.
*) Bedenken gegen die Echtheit erhoben
Fbibdk. Gaubk, Hat Arietoteles die Schrift
Tom Staat der Athener geschrieben?, >tatt-
girt 1891 (dazu Verhandl. d. 41. Phüol.Vers.
1891 S. 221—7); Röhl, üeber die Schrift
vom Staat der Athener, Rh. M. 46, 426 ff.,
ÄA. f. Phü. Suppl. XVin 475 ff.
') Caubb a. 0. 5 ff. a. Nachtrag S. 76 f.
*) Flutoers Petri Papyri, Dublin 1891
tib.Iu.IX.
^) Spbkobl, Arist Stud. lü 65 ff. Auch
GöTTLiNG in seiner Ausg. verwirft die Echt-
heit des zweiten Buches.
«) Nach l'oHt. VIII 7 p. 1341 ^ 39 scheint
geradezu die Poetik zu dem von der Er-
ziehung der künftigen Bürger handelnden
Teile der Politik gehört zu haben; vergl.
p. 133fJ^ 25.
^) J. Bernays, Zwei Abhandlungen über
die arist. Theorie des Drama, Berl. 1880. Im
Katalog des Hesychios finden sich noch zwei
Bücher aufgefünrt : t6x»'f]i noiijtLxrjg /J',
ebenso in der einen Fassung des Ptolemäus-
Eatalogs.
TUiWlhnoh der klav. AltertomswlMeiiBehart. YU. S. Aufl.
31
482 Qrieohisoho Litteraturgeaohiohte. I. KlMsisolie Periode.
sophischen Schriften des Aristoteles. Es verdiente eine solche Wert-
schätzung, da Aristoteles hier mit bewunderungswürdigem Kunstverständ-
nis und gestützt auf ausgedehnteste Kenntnis der poetischen Litteratur in
kurzen Sätzen für alle Zeiten das Wesen der Poesie und die Hauptgesetze
der tragischen Kunst festgestellt hat.^) Ich erinnere an die berühmte
Definition der Tragödie im 6. Kapitel, >) an das nicht minder wichtige
12. Kapitel über die Teile der Tragödie, an die Lehre von der Einheit der
Handlung und von dem episodischen Charakter der homerischen Kompo-
sition (c. 23), an die Unterscheidung des Wesens der tragischen und epi-
schen Poesie (c. 26). Das Buch ist trotz der Fülle gelegentlicher Bemer-
kungen streng systematisch angelegt. Der Verfasser bespricht zuerst im
Eingang die charakteristischen Merkmale der 3 Arten der Poesie, der
Epopoiie, des Dramas (Tragödie und Komödie) und des Dithyrambus, und
knüpft daran eine kurze Darstellung des Ursprungs und der allmählichen
Entwicklung der Poesie, insbesondere des Dramas und seiner Arten. Im
ersten Hauptteil (c. 6—22) behandelt er die Tragödie, und zwar nach ihren
6 Teilen : Handlung {fivi^og), Charakter der Handelnden {ijO-rj), Gedanken-
inhalt (diävoia), sprachlicher Ausdruck (Atfftg), Qesang {fAslonoua), sceni-
sche Darstellung (oipig). Von diesen 6 Teilen thut er die scenische Dar-
stellung mit ein paar Worten ab, weil diese Sache des Regisseurs sei ; am
längsten verweilt er bei der Handlung und ihren Angelpunkten, der Peri-
petie und der Wiedererkennung {ävayvwQitng), Der zweite, kürzere Ab-
schnitt (c. 23 — 26) handelt vom Epos, wobei der Philosoph nicht bloss
das Verhältnis des Epos zum Drama scharf und einsichtsvoll darlegt, son-
dern auch die vorwitzige Frage aufwirft, welche von diesen beiden Dich-
tungsarten die höhere sei. Trotz dieser guten Anlage enthält das Buch
doch einige nicht streng in den gezeichneten Rahmen passende Kapitel
und viele nicht an passender Stelle eingelegte Zusätze, so dass sogar
Ritter in seiner Ausgabe die Echtheit desselben zu verdächtigen suchte
und viele Qelehrte in die Verwerfung ganzer Kapitel, wie auch des eben
gerühmten zwölften, einstimmten. 8) Abgefasst ist die Poetik nach der
Politik, da in dieser p. 1341^ 40 der Philosoph von der Katharsis später
in der Poetik genauer zu handeln verspricht. — Die historische Grundlage
für die Theorie der Poetik hatte sich Aristoteles durch eingehende litterar-
historische Studien erworben; von diesen war eine Frucht neben dem Dialog
über die Dichter das im Altertum vielbenutzte Buch über die Didaskalien.^)
329. Die Rhetorik [t^xvtj ^r^xoQixrj) umfasst 3 Bücher. Die beiden
ersten behandeln unter Anlehnung an die Dialektik ^) das Wesen des red-
*) Wenn Arist. das Wesen der Poesie I viele Gelehrte hinreissen, weil ihre Aristo-
und aller Künste in der Nachahmung {jaI~ \ telesstndien nicht üher dieses einzige B&ch-
fjLTjat^) findet, so haut er auch hie^ auf ' lein hinausgingen; wer in seinem Aristoteles
Piaton (de rep. III p. 277, Phaedr. p. 44)
weiter, hefiriedigt aher deshalb nicht voll-
ständig, weil er sich zu einseitig auf einzelne
bestimmte Künste und Arten der Poesie,
wie Malerei, Plastik, Drama, Dithyrambus
stützt
>) Siehe oben § 140.
') Zu dieser Hyperkritik Hessen sich
bewanderter ist, weiss, wie wenig von sehien
Werken Übrig bliebe, wenn mangelnder Zu-
sammenhang zur Athetese berechtigte.
^) Ueber Anlage und Geschicke der
Didaskalien s. Richter, Prol. ad Arist Vesp.
p. 18—29.
^) Gleich im Eingang der Rhetorik heisst
es: ij ^tjtOQixij icriy äyjlax^o<po^ tp diakcx-
4. Die Philosophen, d) Aristoteles. (§§ 329^330.) 488
nerischen Beweises {ivd-v^r^iid) und die Hauptsätze {ronoi) desselben ; das
dritte, weitaus interessanteste, das ursprünglich ein Buch Air sich bildete,^)
gilt der sprachlichen und stilistischen Seite der Rhetorik und berührt sich
vielfach mit den Schlusskapiteln der Poetik. Dasselbe hat für uns Philo-
logen und Grammatiker ein besonderes Interesse dadurch, dass wir aus
ihm die Anfänge der Grammatik und die ersten Termini technici derselben,
wie a^K^^Vj avviets^og^ neqiodoq^ xo^i^a kennen lernen. Bezüglich der
Abfassungszeit der Rhetorik herrschte schon im Altertum Streit, wahr-
scheinlich weil man wusste, dass Aristoteles schon bei seinem ersten oder
zweiten Aufenthalt in Athen über Rhetorik Vorträge gehalten hatte. Gegner
des Demosthenes wollten behaupten, dass der grosse Redner das Beste aus
Aristoteles gelernt habe; diesen gegenüber wies der Rhetor Dionysios im
Brief an Ammaios nach, dass Aristoteles erst nach den grossen Reden
des Demosthenes seine Rhetorik geschrieben habe. Die Sache hat ihre
Richtigkeit ;>) übrigens ist es auffällig, dass Aristoteles den Demosthenes
so wenig berücksichtigt, was wohl doch daher stammt, dass die Grund-
linien seiner Lehre aus früherer Zeit stammen, in der Isokrates noch ganz
das Feld der Beredsamkeit beherrschte.
Tbxt'Tfi TTJg '&€oisxrov ffwaycoyi] y als &€oiäxT€ia in Rhet. III 9
p. 1410^ 2 citiert, enthielt nach Valerius Maximus VIII 14 Vorträge des
Aristoteles aus früherer Zeit, welche derselbe dem Theodektes aus Pha-
selos, einem Isokrateer, zur Herausgabe überlassen hatte.')
83IK Unecht ist die Rhetorik an Alexander, der ähnlich wie dem
untergeschobenen Buche negi xoafiov ein unechter Brief an Alexander
vorausgeht. Das unmittelbar aus der Praxis der Redner hervorgegangene
Buch, das für Würdigung der Kunst der Redner namentlich an der Hand
der Spengelschen Ausgabe von einziger Wichtigkeit ist, weicht weit von
dem philosophischen Gehalt der echten Rhetorik des Aristoteles ab. Durch
Vergleichung des Buches mit der Angabe des Quintilian von den 2 Gat-
tungen und den 7 Arten der Rhetorik des Anaximenes*) hat schon Vic-
torius (im Kommentar zur Aristotelischen Rhetorik 1548) erkannt und
7»^. Daher wird sie I 2 definiert als
ivvafjLi^ negi ixdarov i^ew^^cM ro ivdexo-
^) Im Ind. Diog. wird aofgefCLbrt nsQi
^leoic ß' nnd texyfjs ^ijrogixrjg ß"; im Ver-
zeichnis des Ptolemaios ist bereits die Rhe-
torik mit 3 ß. aufgezählt. Der Eingang des
3. Buches p. 1403 ^ 6—15 rührt von der Ver-
einigung der beiden Teile her. Die von
Sauppi q. a. angezweifelte Echtheit des 3.
Baches verteidigt Dibls, Ueber das 3. Buch
der arist. Rhetorik, Abh. d. Berl. Ak. 1887.
l^as 8. Buch scheint nach der Poetik, auf
^e es wiederholt Rücksicht nimmt, ge-
schrieben zu sein, umgekehrt Poet. 19 p.
1456* 35 nach den zwei ersten Büchern der
Rhetorik; dann aber ist das Citat 1372 »* 1
iu8 Interpolation zu streichen.
, ') Hauptbeweisstelle U 24 p. 1401b, 33:
«« <f JrifjMdrjg rijy JtjfÄOO&eyovg noXiieiay
navxfap ttSy xaxtay aitlay.
') Quintil. II 15, 10: a quo non dissentit
Theodectes, sive ipaius id opus est, quod de
rhetorice nomine eius inscribitur, sive ut
credüum est Aristotelis; vergl. RosB, Arist.
pseud. 135 flP. Der Epikureer Philodemos er-
wfthnt und benutzte rag rexyag tag 'jQiato-
xeXovgy s. Usbner, Epicurea p. 401.
*) Quint. III 4, 9 : Änaximenes iudicialim
et contionalem generales partes esse voluit,
Septem autem species hortandi, dehortandi,
laudandiy vituperandi, accusandi, defendendi,
exquirendi ^ Rhet. ad Alex. II: (fi/o (rgla
codd., dvo aber Syrian ad Hermog. IV 60)
yiytl xtay noXirixuih etat, Xo/toy^ ro fi^y
drjfiTjyoQixoy, j6 dk dtxayixoy, eXdtj di rovrüfy
knxd, TtQoxQenxixoy, dnoTQSTixixoy, iyxtO'
f^iaaxixoy, x^exxixoy, xaxtjyoQixoy ^ dnoXo^
yrjxixoy, i^6X€tcrix6y.
81*
484 Chrieohisoho LitteratargMohiohte. I. KUMisehe Periode.
L. Spengel in seiner Ausgabe (1844) ^) erhärtet, dass dasselbe von Ana-
ximenes, dem vielseitigen Litteraten, herrührt, den wir bereits oben
§ 257 als Historiker und Epiker kennen gelernt haben.') Die Rhetorik
des Anaximenes, wie wir sie getrost nennen können, ist unabhängig von
der aristotelischen und wie die angeführten Beispiele wahrscheinlich
machen, vor derselben um 340 entstanden.
Spezialausgabe des Buches mit vorzüglichem Kommentar von L. Spbnoel, Turid
1841 = ups. 1847; Textesansg. in Rhet gr. ed. Spehgbl-Hammbr, BT. 1894. — Beitriige
von UsBKBB, Quaestiones Anaximeneae, Göttingen 1856; Ipfblkofeb, Die Rhetorik des
Anaximenes nnter den Werken des Aristoteles, Wttrzbnrg 1889.
331. Briefe und Gedichte. Von unserem Philosophen gab es
ausser den systematischen und philosophischen Werken auch eine Anzahl
von Briefen und Qedichten. Beide sind uns nicht vollständig und im Zu-
sammenhang erhalten, so dass die Reste derselben nur unter die Frag-
mente (fr. 594—629 ed. acad. Berol.) Aufnahme gefunden haben. Briefe
zirkulierten von Aristoteles an Philippos, Alexander, Antipater u. a. Die
erhaltenen Reste des Briefwechsels tragen viel mehr den Stempel der
Echtheit wie die ähnlichen Sammlungen von Piaton und den attischen
Rednern. 3) — Von den Gedichten sind uns erhalten eine Elegie an £u-
demos mit der berühmten Verherrlichung des Piaton drigog or ovd' airnr
total xaxoiai t>^r/i<c, ein Epigramm auf die in Delphi aufgestellte Statue
seines Freundes Hermeias, ein schwungvolles Skolion auf die Uqstu in
daktylo-epitritischen Versen.*) — Ausserdem trägt den Namen des
Aristoteles eine Sammlung von 48 Epitaphien^) auf die Helden vor
Troja. Dass Aristoteles selbst jene Grabepigramme gedichtet habe,
daran ist nicht zu denken, zumal sich unter denselben eines, n. 7, auf Aias
den Telamonier befindet, welches im dorischen Dialekt geschrieben ist und
in der Anthologie VII 145 dem Asklepiades beigelegt wird. Auch der
älteste Zeuge der Sammlung, Diodor V 79, führt zwar das Epitaphion auf
den Kreter Idomeneus wörtlich an, aber ohne den Aristoteles als Verfasser
zu bezeichnen. Wahrscheinlich kam Aristoteles dadurch zur Ehre als Ver-
fasser dieser Epigramme zu gelten, weil der wirkliche Verfasser sich in
seiner Dichtung an die historische Grundlage hielt, welche eine prosaische
Schrift des echten oder gefölschten Aristoteles unter dem Titel Peplos bot.^)
Von dieser Schrift heisst es in dem Bücherverzeichnis bei Hesychios
^) Seine These verteidigt Spengel Phil. \ Yerdächtigimg der Echtheit entschieden za
18, 604 ff. gegen Campb, der in Jahrh. für ' weit
Phil. 45, 59 ff. u. Philol. 9, 106 ff. das ßnch *) Wilamowitz, Aristot u. Athen 11
in die römische Kaiserzeit setzen wollte. I 403 ff.
Dasselbe hat nur einzelne Zusätze und Inter- ^) Die Sammlung des cod. Lau*. 56, 1
polationen aus späterer Zeit erhalten, wie
gleich im Eingang ro di inidetxjixoy und p.
53, 21 xctjd xd TiQoyvfjivdafKan. Gegen
Spengel erklärt sich neuerdings Susexihl
Jahresber. d. Alt. XIU 1, 1 f.
^) Ueber das Leben und die Schriften
des Anaximenes ein ausführlicher Artikel
von Brzoska in Pauly-Wissowas Realency-
klopädie.
»; Stahr II 167 ff, Ueber die angeb-
lichen Briefe des Aristoteles, geht in der
umfasst 48 Epigramme unter der Aufschrift
Ilov ixttcioq Twy 'EÄXtjyioy riOaTtra^ xal W
iniyiyQa-nxtti inl r^ xdq>m. Diese Samm-
lung ist aber nicht vollständig; 15 weitere
bietet Tzetzes, darunter auch auf nicht-
hellenische Heroen, wie Hektor, Aineias,
Sarpedon u. a.; eine grössere Sammlung hatte
auch Ausonius vor sich, der unter dem Titel
Epitaphia heroum eine Auswahl ins Latei-
nische übersetzte.
*} Th. Prbobr, Zum aristotelischen Pe-
4. Die PhUoBophen. d) Aristoteles. (§§ 331—332.)
485
avfifjuxzatv ^rjTYjiiaTMV oß*, (Sg (prjciv EvxaiQog 6 äxovffrrjg avTOV^ nänXov •
nsQtsxei dt aviiinxror iarogfav. Da konnte wohl auch von den Helden vor
Troja und den Orten die Rede sein, in welche dieselben nach der Ein-
nahme der Stadt verschlagen worden waren. Es enthielt aber das histo-
rische Miscellenbuch auch noch anderes, wie z. B. von der Gründung der
hellenischen Festspiele {aywveg, fr. 594). i)
Gesamtcharakter und Lehre des Aristoteles. Fassen wir
zum Schluss die Gesamtheit der Schriften des Aristoteles ins Auge, so
muss uns in ihnen vor allem die an Universalität grenzende Vielseitigkeit
des Mannes in Staunen setzen: in dem Reiche der Natur war er ebenso
zu Hause, wie in dem der Litteratur und des Geistes, und nicht bloss be-
trieb er die mannigfachsten Disziplinen, wie Rhetorik, Poetik, Mechanik,
Zoologie, Botanik, er verfügte auch in jeder derselben über eine erstaun-
liche Fülle von Einzelkenntnissen. Piaton nannte ihn den grossen Leser,
and wahrlich er muss unendlich viele Reden, Dramen, Geschichtswerke,
philosophische Schriften gelesen haben; aber daneben hatte er auch ein
offenes und geübtes Auge für die Schöpfungen der Natur, auch die kleinsten
und scheinbar unbedeutendsten. Während aber sonst durch solches Viel-
wissen das Licht des ordnenden und kombinierenden Verstandes verdunkelt
zu werden pflegt, verband Aristoteles mit der Fülle des Wissens eine sel-
tene Schärfe des Urteils und eine überaus glückliche Anlage zur konstruk-
tiven Spekulation. Ja es überwog bei ihm, wenn wir seine Leistungen
mit dem heutigen Massstab der Wissenschaft beurteilen, die von der Schule
des Piaton und der Sophisten auf ihn übergegangene Neigung zur speku-
lativen Betrachtung so, dass er, der der Begründer der Naturwissenschaften
war, gleichwohl im Mittelalter zum Vorbild dürrsten Wortkrams und leerer
Begriffsspalterei werden konnte. Was er aber nicht oder nur in geringem
Grade hatte, war das Vermögen der Abrundung und künstlerischen Gestal-
tung. Es trat das zunächst in der Sprache und dem Stil hervor : Aristo-
teles hatte zwar, wie das namentlich die Poetik und Rhetorik zeigt, ein
feines Verständnis für poetische Schönheit und rednerischen Schmuck, er
dichtete auch Elegien und Oden und schrieb überzeugende Reden und
anziehende Briefe, aber seine Rede hatte keine Anmut und keinen
Schwung, und seine Darlegungen entbehren des fesselnden Aufbaus und
des krönenden Abschlusses.^) Der letzte Mangel ist aber nicht bloss in
Fehlem des Stils zu suchen, er liegt tiefer, er liegt darin, dass Aristoteles
in seinem Denken bezüglich der obersten Begriffe nicht zur vollen Klar-
heit mit sich selbst gekommen war. Es ist gewiss die Unzulänglichkeit
ploB, in Abhdl. zu Ehren Christ, 1891 S. 53
bia 62; Wexding, De peplo Aristotelico,
Sinesb. 1891 S. 58 Ifiest die Epitaphia 250
bis 150 y. Chr. gedichtet sein. — Bei Diogenes
und in dem arabischen Verzeichnis fehlt das
BacL
*) Gnmdlegende Abhandlung Aber den
PeploB Ton ScHHHDKWiH PhfloL I (1846) 1 ff.
*) Freilich mögen manche Nachlässig-
keiten des Stils daher rOhren, dass Aristo-
teles die erhaltenen Werke nicht selbst znr
Herausgabe vorbereitet hat, da in einzelnen
gefeilteren Partien, wie Metaph. I der Hiatus
und die rasche Wiederkehr desselben Wortes
mehr gemieden sind; vgl. § 316. Ueber
seinen schlichten, metapherlosen Stil urteilt
gut Longin in Rhet gr. Sp. I 325.
486
Grioohisohe Litteraturgasohiohte. L KlaMisohe Periode.
unseres philologischen Vermögens nicht allein schuld, wenn wir über den
vovg noirjftixoq und vovq Tta&rp^ixog^ die xdd-agffig na&rjfidzwVy die zwei Arten
des Zweckes nicht völlig ins Reine kommen. Aber wenn nun auch Ari-
stoteles zu keinem befriedigenden Abschluss in der philosophischen Speku-
lation gekommen ist, der Weg, den er einschlug, die i^ä^oSog, war vor-
trefiflich : er geht erst zur Entwicklung seiner eigenen Gedanken, nachdem
er die Versuche der Früheren einer unbefangenen Kritik unterzogen hat;
wir verdanken diesem Verfahren die vielen Aufschlüsse über die älteren
Philosopheme. Er sucht sich überall den Weg zu ebnen durch Wegräu-
mung der entgegenstehenden Hindernisse, er beginnt daher ganz gewöhn-
lich seine Untersuchung mit Aufstellung von Aporien und deren Lösung.^)
Er steigt sodann in allem, und das hatte er von seinem Vater, dem natur-
wissenschaftlich gebildeten Arzte, gelernt, von dem Einzelnen und That-
sächlichen zum Allgemeinen und zur Idee auf, und verschmäht dabei, wie
er de partibus anim. I 5 so hübsch auseinandersetzt, auch das Unschein-
barste nicht, weil die Erkenntnis des Qrundes auch beim Kleinsten lauterste
Freude dem wahren Forscher bereite.
Bei dieser Richtung seiner Forschung ist es erklärlich, daas die Er-
folge derselben zumeist auf dem Gebiete der Einzelwissenschaften liegen.
Die Philosophie, die zuvor als Inbegriff aller spekulativen Thätigkeit galt
und die Keime der Naturkunde, Mathematik, Astronomie, Sprachlehre in
sich trug, verlor durch ihn jenen allgemeinen Charakter und trat in ver-
schiedene Disziplinen auseinander. Er schrieb nicht bloss eigene Bücher
über Logik, Psychologie, Ethik, er hat auch durch seine Rhetorik und
Tiergeschichte den Ausbau der von der gemeinsamen Mutter sich los-
lösenden SpezialWissenschaften inauguriert. In der eigentlichen Philosophie
bekämpfte er mit Erfolg die transcendentale Lehre Piatons, indem er mit
schlagenden Gründen nachwies, dass die Ideen nicht ein gesondertes Leben
für sich fuhren, sondern nur in den Dingen selbst als deren wesenhafber
Inhalt Existenz haben. Indem er sodann die von ihm neuerdachten Be-
griffe dvvanig (Anlage etwas sein zu können) und ivrslsxeia (Verwirk-
lichung der Anlage) *) zu Hilfe nahm, Hess er die Materie durch die Form
zur Verwirklichung des ihr vorgesetzten Seins {to %i rjv €iva&) kommen.
Damit traten bei ihm Stoff und Form, Materie und Geist in ein natüi^
liches, sich gegenseitig bedingendes Verhältnis. sDamit war auch zugleich
dem Guten seine passende Stellung in dem Ganzen der Welt gegeben.
Das Gute steht nämlich dem Aristoteles nicht wie den pythagoreisierenden
Akademikern als oberste Stufe des Seins ausserhalb der Dinge; das Gute
ist ihm vielmehr der Zweck (rd oi» i'vsxa)^ der sich dadurch verwirklicht,
dass die Anlage sich zu dem, was sie zu werden geschaffen ist, entwickelt
Dadurch erwuchs unserem Philosophen aber auch die schwierige Aufgabe,
das Gute oder Zweckmässige in der Welt nachzuweisen (Teleologie) ; er
*) Freüich haben wir in diesen Partien
seiner Werke, wie in Metaph. II u. III viel
sophistische Wortklauberei, die Aristoteles
aus der ungesunden Atmosphäre der Eristik
geerbt hatte. Auf der anderen Seite nimmt
Aristoteles manches als feststehend an, was
es nach unserem Wissen keineswegs ist»
wie die Ewigkeit der Sonne p. 1050^ 22.
>) Wörtlich bedeutet it^ekezcui ,Ziel-
erlangung' von iyteXex^g = t6 iygeXig I/ok.
4. Die Philosophen, d) Aristoteles. (§ 888.) 487
versuchte das in einzelnen Fällen, setzte aber im allgemeinen mehr das
Gute voraus, als dass er die These selbst und die damit zusammen-
hängende Frage nach dem Zufall einer unbefangenen Prüfung unterzogen
hätte.')
Die Unzulänglichkeit der platonischen Ideenlehre zur Erklärung der
empirischen Welt erkannte Aristoteles zumeist in dem Mangel einer be-
wegenden Kraft, da den Ideen selbst, namentlich wenn sie für sich be-
standen, eine solche Kraft nicht innewohnen könne. Den Mangel hat er
richtig erkannt, auch hat er im Einzelleben, wie in der Zeugung, die Be-
deutung jenes dritten Faktors gut nachgewiesen; aber sein oberster Be-
weger (t6 TTQwtov xirvovv, primus motor), der die Bewegung der Stemen-
welt bewirkende göttliche Nus, hat weder die Eigenschaften eines Gottes
noch eines denkenden Geistes. Wenn daher ein neuerer Philosoph den
Kernpunkt der aristotelischen Philosophie in dem Bestreben, die sokratisch-
platonische Begriffsphilosophie zu einer die Erscheinungen erklärenden
Theorie umzubilden, gefunden hat, so ist das richtig, nur darf man in
dem Streben nicht auch schon ein Erreichen des Zieles sehen. Gross war
Aristoteles in der Aufstellung und Scheidung von Begriffen, und viele der-
selben, wie Potenz und Aktualität, Materie und Form, Accidenz und Sub-
stanz leben noch in unserer Zeit fort, aber mit der Scheidung von Be-
griffen sind noch nicht die Grundelemente der Dinge und die Gesetze des
Werdens gefunden. Zutreffend sodann ist die Polemik des Aristoteles gegen
die transcendente Ideenlehre Piatons. Aber indem er so eine Seite der
platonischen Philosophie erfolgreich bekämpfte und wesentlich zur Er-
nüchterung der wissenschaftlichen Forschung beitrug, vergab er in der
Ethik und Staatslehre den Ideen ihr unveräusserliches Hoheitsrecht; be-
fangen in den Vorurteilen der realen Wirklichkeit (Realismus) hat er
selbst unnatürliche Verhältnisse, wie die Sklaverei, nicht bloss als that-
sächlich hingenommen, sondern sogar als Naturgesetz zu begründen ge-
sucht.
Fassen wir schliesslich unser Urteil über das Verhältnis der beiden
grössten Philosophen des Altertums zusammen, so hat Aristoteles mit
seinem Sinn für das Reale und Mögliche im einzelnen vieles richtiger er-
fasst, gewährt uns aber seine Philosophie als Ganzes bei dem ungenügen-
den Ausbau seiner obersten Prinzipien weniger Befriedigung als der har-
monisch ausgeführte, wenn auch auf einseitiger Grundlage errichtete Kunst-
bau des platonischen Idealismus.^)
333. Fortleben des Aristoteles. Ein grosser Denker und Forscher
wie Aristoteles konnte nicht verfehlen einen mächtigen Einfluss auf Mit-
und Nachwelt zu üben. Er sammelte einen grossen Kreis von Schülern
>) Daae Gott alles zum Guten erschaffen
Ittbe, war ein von Sokratee (Xen. Mem. I 4
V. IV 3) flberkommener Sats, der allen So-
bitikern wie ein Vemunftaziom feststand.
Aiiflloteles selbst tfaat den berOhmten Aus-
•praeh Parv. Nal p. 476» 18 fddtfjy ovd^y
9fmfuy noiovcay rtjy tfveiy.
') Das hat Goeths in seiner Farben- sucht
lebre S. 84 also ausgedrtlckt: Aristoteles
umzieht einen ungeheueren Grundkreis für
sein Gebäude, schafft Materialien von allen
Seiten her, ordnet sie, schichtet sie auf, und
steigt so in regelmftssiger Form pyraniiden-
artig in die Höhe, wenn Flato einem Obelisken,
ja einer spitzen Flamme gleich den Himmel
488
Ghrieohisohe LitteratnrgMohiohte. I. KUsBisehe Periode.
um sich und wurde Begründer einer eigenen Schule, welche sich von den
Spaziergängen {nsQfnaToi) des Lykeion, in denen wandelnd der Meister
seine Lehre vortrug, die peripatetische nannte. Sein nächster Nachfolger
war Theophrast aus Lesbos, den er sterbend vor Eudemos aus Rhodos
zur Nachfolge dadurch empfohlen haben soll, dass er von den Weinen,
die man ihm zur Stärkung reichte, den rhodischen für stark, den lesbi-
schen aber für süsser erklärte (Qellius XIII 5). Dieser ebenso wie Eu-
demos^) und sein Sohn Nikomachos besorgten nicht bloss die Herausgabe
seiner Werke, sondern schlössen sich auch in der Lehre und Methode eng
an ihren Meister an. Aber über seine Schule hinaus hat Aristoteles Jahr-
hunderte, ja Jahrtausende lang bestimmend auf das philosophische Denken
und die Entwicklung der Wissenschaft eingewirkt.
Das gelehrte Studium und die Kommentierung der aristotelischen
Werke begann mit der Auffindung und Veröffentlichung seiner Gesamt'-
Schriften durch den Peripatetiker Andronikos^) in der Zeit nach Sulla.
Die Beiträge zur Erklärung erreichten dann seit dem 3. Jahrhundert nach
und nach einen solchen umfang, dass Aristoteles selbst von ihnen förm-
lich verschüttet wurde und ein richtigeres Verständnis des Philosophen
erst dann wieder eintrat, als man die weitläufigen Kommentare zur Seite
zu werfen und zum Texte des Autors selbst zurückzukehren begann. Die
Erläuterung nahmen zunächst die griechischen Peripatetiker in die Hand.
Im 6. Jahrhundert n. Chr. verpflanzte dann Boethius die gelehrte Bearbei-
tung nach Italien und dem Abendland. Im Mittelalter beteiligten sich
byzantinische Griechen, Syrer, Araber und lateinschreibende Scholastiker
an der Arbeit. Schon im Altertum war durch die Lebensgeschichte Ale-
xanders von Ps. Kallisthenes der Philosoph Aristoteles mit seinem könig-
lichen Zögling Alexander in das Gewebe romanhafter Wundererzählungen
verwickelt worden. Im Mittelalter wurden diese Beziehungen infolge des
phantastischen Zuges der Zeit noch mehr ins Romanhafte und Wunder-
bare gezogen. In dieser Atmosphäre entstanden mehrere dem Aristoteles
untergeschobene, zum Teil aus dem Arabischen übersetzte lateinische Werke,
darunter die ehedem oft gedruckten Secreta secretorum, in denen
Aristoteles als der Erfinder aller möglichei; Geheimnisse der Heilkunst und
Lebensweisheit erscheint. Schon früher hatte man dem grossen Philo-
sophen den Physiologus angedichtet und zirkulierten von ihm mystische
Theologumena.») Beim Wiedererwachen der Wissenschaften wurde der
echte Aristoteles zur Bekämpfung des falschen der Scholastik eifrig heiv
') Die Fragmente des Eademos sind ge-
sammelt von L. Spbnobl, Eudemi Rhodii
fragmenta Berolini 1866; vgl. Zellbr II» 2.
869 ff. Gross war das Ansehen des Eudemos
als Physiker und Historiker der Astrologie
nnd Mathematik.
') Andronikos verfasste nebst einer
Schrift neQl lioy xijq tffvxrjf na&wv (ed.
Krbutthbb, Heidelberg 1894), einem Buch
über die Ordnung der Schriften des Aristot.
und emer in der üeberarbeitung des Boethius
uns erhaltenen Schrift hbqI ^lai^i^emy Kom-
mentare zur Ethik, Physik und zu den Ka-
tegorien. Ueber eine Paraphrase der niko-
machischen Ethik unter dem falschen Nam«i
des Andronikos s. Stahb, Aristot I 181 ff. u.
II 262. LiTTio, Andronikos von Rhodos,
Progr. München 1890, Erlangen 1894.
') Macrobius, Saturn. 1 18, 1: nam Ari^
stoteles qui theclogumena acripsU, wo andere
Arisiodes statt Aristoteles lesen; ygL § €20
extr.
4. Die Philosophen, d) Aristoteles. (§ 333.) 489
vorgeholt,*) so dass im 16. Jahrhundert seine Werke und die alten Kom-
mentare derselben wiederholt in rascher Folge hintereinander ediert wur-
den. Dann erkaltete das Studium des Philosophen, bis dasselbe in unserem
Jahrhundert durch Trendelenburg, Spengel u. a. von neuem belebt wurde.
Erlftuternde Schriften: Dieselben zerfallen in Anfzeichnungen der Schriften {dyayQa(pai,
indices), Kommentare {vnofjtvi^fAaTay commentarii), Sinnomschreibungen (nttQatpQtiaHt;). Von
den ersten, den Katalogen des Hermippos, Andronikos, Ptolemaios, ist oben
§ 313 f. gehandelt. Mit Sihaltsangaben verbunden war des Feripatetikers Nikolaos Da-
maskenos ^stoQta iiav 'AqmxoxiXovg^ von der ein Scholion zu Hieophraste Metaph. p. 323
ed.Brandis Kenntnis gibt.
Der bedeutendste Kommentator war Alexander Aphrodisiensis, der unter Sep-
tunios Severus lebte (s. Philoponos ad Anal. pr. fol. 33^) und nicht bloss treffliche Kom-
mentare zu Aristoteles, von denen uns die zu Analytika pr., Topika (ed. Wallies vol. II;
nneeht die zu Sophist, el.), Meteorologika, de sensu et sensibili (ed. Tbyrot in Not et extr.
XXV), Metaphysik (ed. Bonitz 1847, ed. Hayduck in Comm. Arist. vol. I) erhalten sind,
sondern auch nach Weise der älteren Peripatetiker selbständige Schriften nsgi ^vxtjg,
ne^i elfiaQfiäyij^, tfvütxtay xal i^i^ixuiy tinoQiiov xal kvaetoy ßtßX. y\ TtQoßXijfjiattt i^&ix« (Ale-
xandri Äphrod. scripta minora ed. Bbuns in Suppl. Aristot. II) verfasste. — Vorgänger Ale-
xanders von Aphrodisias waren Alexander von Aigai, Lehrer des Nero, der die Kate-
gorien und die Bücher de caelo kommentierte; Boethos, Schüler des Andronikos, der
Kommentare zu den Kategorien schrieb; Adrastos von Aphrodisias (Adrantos ver-
adirieben bei Ath. 673 e^, der negl t^g td^e<og xiuv *AQiaxoxiXovq av/ygafifÄctTtoy (s. Simpl.
ad categ. fol. 4) schrieb; Aspasios (um 110 n. Chr.), der die Ethik kommentierte (ed.
Heylbut in Comm. Arist. vol. XIX); Herminos, Lehrer des Alexander Aphrod. — Einen
neuen Aufschwung nahm die Exegese bei den Neuplatonikem des untergehenden Alter-
tums. Den Beigen eröffnete unter diesen Porphvrios (3. Jahrh.) mit der unendlich oft
abgeschriebenen, von Boethius auch ins Lateinische übersetzten Isagoge und dem Kom-
mentar zu den Kategorien (ed. Busse in Comm. Arist. IV). Ein neuer Strom kam mit Am-
monios Her mein aus Alexandria (5. Jahrb.), Schüler des Proklos, der eine Einleitung
zur Isagoge des Porphyrios und Kommentare zu De Interpret, schrieb (ed. Busse 1. 1.) und
die besten Kommentatoren des 6. Jahrhdts., Simplicius, Philoponos, David, Asklepios, zu
semen Schülern hatte. - Aus dieser letzten Zeit sind uns umfangreiche Kommentare auch
erhalten. Der hervorragendste Exeget war Simplicius, ein Schüler des Ammonios im
6. Jahrb.; seine durch Sachkenntnis und gelehrte Berücksichtigung der älteren, nun meisten-
teils verloren gegangenen Litteratur ausgezeichneten Kommentare zu Physik (ed. Diels
vol. IX. X), de caelo (ed. Heiberg. vol. VII), de anima (ed. Hayduck vol XI) sind erhalten.
— Der gleichen 2^it gehört an loannes Philoponos, gleichfalls Schüler des Ammonios,
ron dem wir Kommentare zu Analytik, Physik (unbedeutend, ed. Vitelli vol. XVI. XVII),
Meteorologie, de gen. anim. (ed. Vitelli vol. XIV 2), de gen. et corrupt., de anim. (ed.
Hayduck vol. XY), Metaphysik besitzen — Andere Kommentatoren des untergehenden
Altertums sind: Dexippos (4. Jahrhundert), von dem uns ^Anogim xal Xvaeig eig tag 'Aqi-
nnüovg xnttjyoQiag erhalten sind (ed. Busse vol. IV 2); Syrianos, Lehrer des Proklos
(kommentierte logische Schriften und von der Metaphysik 1. [I. XII. XIII i; Asklepios
anaTralles (6. Ji^rh.), der umschreibende Kommentare zur Metaphysik schrieb (ed. Hayduck
Tol. VI 2); Olympiodoros, S^itgenosse des Simplicius, David der Armenier (um 500
0. C9ir.), Stephan OS (um 610), der auch ein astronomisches Lehrbuch verfasste (siehe
Ü8BKBB, De Stephane Alexan^bino, Bonn 1880) und Kommentare zur Rhetorik schrieb
(ed. Rabe vol. XXI 2), wähi'end die andern sich wesentlich mit den logischen Schriften abgaben.
Die langweilige Litteratur der Paraphrasen wird eröffnet durch Themistios (um
400l, der Paraphrasen zu Anal. pr. (unecht ist die zu Anal, post.), Physik, de anima. Parva
Natoralia verfasste (herausgegeben von Speitgel, Themistii paraphrases, Lips. 1856, 2 vol.).
In seine Fosstapfen trat im Mittelalter Sophonias (Schluss des 18. und Anfang des 14.
Jahrh.), der im Eingang seiner Paraphrase der Analytik den Themistios und Psellos als
Kbe Vorgänger bezeichiiet. — £ustratios, Metropolit von Nikäa (ca. 1050 bis ca. 1120)
kommentierte unter Benutzung alter Kommentare die Nikomachische Ethik (ed. Heylbut
voLXX); um dieselbe Zeit schrieb Michael Ephesios, Schüler des Psellos, Kommentare
nr Nikomachischen Ethik (ed. Heylbut vol. XX) und zu den Parva NaturaUa. Unter dem
tischen Namen des Andronikos oder Heliodoros von Prusa (über die Fälschung siehe Gobn,
*) Luther wollte gründlicher aufräumen, indem er mit der Scholastik auch den Ur-
l^ber derselben über Bord warf.
490 Oiiechisohe Litteraturgesohiohte, I. Klmssiaoho Periode.
Berl. Phil. Woch. 1889 S. 1419) geht eine Paraphrase der nikomachischen Ethik. Siehe
im allgeineinen Pbantl, Gesch. d. Log. I 617 ff., Kbümbacher BL.' 480 ss.
Ausgabe der Scholia in Aristotelem (meist im Anszag) in dem 4. Band der Berliner
akad. Ausgabe von Bra^ndis. — E^e neue vollsÜLndige Ausgabe (nach den alten Sniel-
gaben bei Aldus) Commentaria in Aristotelem graeca, in 25 vol. von der preuss. Akad.
unter der Leitung von Torstrik und nach dessen Tod von Dibls vorbereitet, ist nnieff
Mitwirkung von Büssb, Haydück, Hbtlbut, Hbibbbo, Rabb, Vitblli, Wallibs noch im
Erscheinen. Von den lat. Kommentaren des Boethius ist erschienen: Comment. in Ubnun
Aristotelis hsqI iQfitjyeiag rec. Mustbb, in Bibl. Teubn. 2 vol.
Die Uebersetzungen ins Syrische, Arabische, Lateinische haben ihre EUmptbedeatong
darin, dass einige Schnften nur durch sie uns überkommen sind, wie die Bflcher i«^
tpvTijy durch eine arabische, die Kommentare des Themistios zu Metaph. A und de caelo
durch hebriüsche Uebersetzungen. Ueber die Th&tigkeit der Araber im Uebersetzen und
Kommentieren des Aristoteles s. Prabtl, Gesch. d. Log. II 807 ff , Klamroth ZDMG. 41, 439.
Anal, orientalia ad poeticam Aristoteleam ed. Mabooliohth 1887. ~ Die latein. Ueber-
setzungen beginnen mit dem 13. Jahrb.; einige von ihnen, wie die zur Rhetorik und Politik,
haben die Bedeutung von Handschiifien, namentlich wegen der wortgetreuen Wiedergabe
des griech. Originals. Der bedeutendste Uebereetzer war der Dominikanermönch Wilhelm
von Moerbecke (um 1260), der durch Thomas von Aquin die Anregung erhielt Die
Problemata sind übersetzt von Bartholomaeus Messanius, Rat des Königs Manfred
von Sikilien ( 1258 — 66). Näheres geben Joubdaik, Recherches sur Torigine des tradnctions
ktines d'Aristot., Par. 1819, ed. II 1848, flberaetzt von Stahb 1881; Prantl, Gesch. der
Log. ü 99 ff. u. III 8 ff.; v. Hebtlino, Zur Gesch. d. aristot Politik im Mittelalter, Rh. M.
39, 446—457.
Codices: ein kritischer Apparat wurde beschafft durch Imm. Bbkkeb in der von der
preuss. Akad. ins Leben gerufenen Gesamtausgabe d. Arist., Berol. 1881—70. ErgSnzt,
namentlich durch Ausbeutung der alten Kommentare, teilweise auch berichtigt wurde der-
selbe durch mehrere, unten anzufahrende Spezialausgaben und durch die in der Bibl. Teubn.
erscheinende Gesamtausg. Die massgebenden Godd. sind in den einzelnen Schriften ver-
schieden; ich nenne die besten: Paris. 1741 s. XI {A% einzige Textesquelle für die Poetik
(in Photolithographie von AU^gre mit pr^face de H. Omont, Paris 1891), hauptsAchlichste
ftlr die Rhetorik; Paris. 1853 s. XII {E), Hauptquelle fOr Physik, de caelo, de gen., de an.,
parv. nat, Metaphysik; Laurent. 87, 12 s. XII (A^), neben £ Hauptquelle fOr Metaphysik,
mit Resten stichometrischer Angaben (s. Chbist, Sitz. d. b. Ak. 1885 S. 405 ff.); Marc. 201
s. X (B) und Urbin. 85 (.4), wichtigste Godd. zu dem Organen. Ueber 12 Palimpsestblfitter
des Yatic. 1298 s. X zur Politik s. Hbtlbüt Rh. M. 42, 102 ff., über die Papyrasblfitter za
den Politien oben § 826.
Ausgaben: ed. princ. ap. Aldum 1495—8; ed. Bipont. besorgt von Buhlb, 1791 bis
1800, 5 vol. (blieb unvollendet); ed. acad. reg. boruss., Berol. 1881—70, 5 voL 4^ (nach ihr
wird citiert); die ersten 2 Bde, besorgt von Imm. Bbkkbb, enthalten den griech. Text, der
8. Bd. die lateinischen Uebersetzungen von Pacius, Argyropylus, Bessario etc., der
4. die Scholien, besorgt von Bbandis, der 5. die Fragmente naäi der Rezension von Val.
Rose und den Index Aristotelicus von Bonitz); dazu Supplementum Aristotelicom, wovon
bis jetzt t. I— lU — Edit. Didotiana, besorgt von DObnbb, Bussbmakbr, Hbitz, Paris 1848
bis 1874, 5 vol. — Textausg. der Bibl. Teubn. mit krit Apparat, besorgt von Apblt, Bibel,
Blass, Ghribt, Dittmeyeb, PiiANTL, RöMBR, RosB, SüSBMiHL, im Erscheinen. — Griech. und
Deutsch mit sacherklärenden Anmerkungen, Leipzig bei Engelmann, besorgt von Pbahtl
(Physik), SüSEMiHL (Politik, Poetik) u. a.
Hauptsi&chlichste Spezialausgaben: Organen rec. comm. Waitz, Lips. 1844—6, 2 vol.
— Meteorologica rec. et comm. Idelbr, 1884 — 6, 2 vol. — Aristot über die Farben erl. von
Pbantl, Münch. 1849 — de anim. histor. rec. comm. J. G. Schkbidbr, Lips. 1812, 4 vol.; Ti«^
geschichte von Aubbbt u. Wimmbb, Leipz. 1868 — de anima rec. comm. illustr. Trbkdelbh-
bübg, Jena 1883, ed. II cur. Bbloer 1877; rec. Tobstbik, Berol. 1862. — Metaphys. mit
Uebers. u. Kommentar von Schwbglbb, Tflb. 1847, 4 Bde; rec. et enarr. Bonitz, Bonn 1848,
2 vol., Hauptausg. — Ethica Nicomachea rec. comm. Ramsaubb, Ups. 1878; ed. BrwATEs
Oxford 1890 mit Contributions to the textual critic 1892. — Politica cum vetosta trans-
latione ed. Susemihl, Lips. 1872; mit sacherklftrenden Anm. von Susbmibl in Bibl. ICng^hn.
1879. — *A^rivamy noXiXBia von Wilamowitz, Aristoteles und Athen, Berl. 1898, 2 Bde.;
Oekonomica ed. Göttlino, Jena 1880 — de arte poet. ed. annot. Ttbwhitt, Oxon. 1794; ed.
comm. G. Hebmamn, Lips. 1802; rec. Vahlen ed. III, Lips. 1885; mit sacherklfirenden Anm.
von Susemihl, ed. II in Bibl. Engelm. — Rhetorica ed. comm. Yictokius, Flor. 1648 u. 1679;
ann. L. Spenobl, Lips. 1867, 2 vol.; ed. Gopb-Savdys, London 1877 in 8 Bdn.
Index Aristotelicus von Bonitz im 5. Bde der Berliner akad. Ausgabe. — EcccKir,
Pe Aristotelis dicendi ratione, Gotting. 1866. — Schwab, Bibliographie d' Aiistote, Paris 1896.
Zweite Abteilung.
Nachklassische Litteratur des Hellenismus.
A. Alexandrinisches Zeitalter.
I. Allgemeine Charakteristik.
334. Mit dem Untergang der Freiheit und Selbständigkeit der grie-
chischen Staaten war noch nicht das geistige Leben und die Litteratur
der Griechen zu Grabe getragen; aber dem freien, selbständigen Denken
und Dichten war seit der Schlacht von Chäronea die eigentliche Lebens-
ader unterbunden. 1) Was von da an die Griechen im Reiche des Geistes
noch schufen, hauchte nicht mehr jene frohe, ungebundene Schaffenslust,
welche den Werken der klassischen Zeit ihren unvergänglichen Reiz ver-
liehen hatte. Die geistige Kraft des Volkes, gelähmt und gebrochen, be-
gnügte sich im wesentlichen damit, die grossen Muster der Vergangen-
heit im kleinen nachzuahmen und den herrlichen Schatz der klassischen
Litteratur durch Sammeln und Erläutern dem allgemeinen Verständnis
näher zu bringen. Die Gelehrsamkeit, die mühsam erworbene, auf kleine
Kreise beschränkte, nicht auf das ganze Volk wirkende, trat an die Stelle
des von den freien Gemeinden getragenen, mit den Festen des Volkes und
der Öffentlichkeit des politischen Lebens verbundenen Schaffens und Dich-
tens. Der Baum der griechischen Litteratur, der einst so herrliche Schöss-
linge getrieben hatte, war alt und welk geworden, so dass es hohe Zeit
war, wenigstens die Früchte, welche er in früheren, glücklicheren Zeiten
gereift hatte, einzuheimsen. Wenn hie und da noch ein grünes Reis an
ihm emporschoss, wenn in der Philosophie, der Komödie, der bukolischen
Poesie die alte Triebkraft noch nicht völlig abgestorben war, so verrieten
doch diese späten Schösslinge nichts von der Urwüchsigkeit der alten
Sprossen und gediehen obendrein nur da, wo, wie in Athen und Syrakus,
der Boden seit alter Zeit vorbereitet war.
>) Bbrok El. Sehr. U 533 ff. lAsst unsere
Periode erst mit dem J. 300 oder mit der
BegrOndaiig der Diadochenreiche begimien;
Üodich SusEMiHL in seiner Litteratorge-
schichte der Alexandrinerzeit. Wir halten
mis nicht an ein bestimmtes Jahr, gehen
aber im allgemeinen von dem Tpde Ale-
xanders aus.
492 Chrieohisehe Litteratnrgesohiohte. ü. HaohklMsisohe Litteratnr.
Aber der Verlust der politischen Freiheit und die dadurch hervor-
gerufene Erlahmung der Schaffenskraft des alten Griechenlands bildeten
nur ein Moment in der Litteratur des alexandrinischen Zeitalters; ein
anderes, nicht minder wichtiges lag in der Ausdehnung der griechischen
Kultur über ihre alten natürlichen Grenzen, die mit Alexander begann und
in den hellenistischen Reichen, welche aus dem Weltreich des grossen
Makedoniers hervorgingen, immer weitere Kreise zog. Denn Alexander
hat nicht bloss die alten Reiche der Perser und Ägypter zertrümmert, er
hat auch, indem er die Fackel hellenischen Geistes vorantrug, die weiten
Länder der abgestorbenen Despotien zu neuem Leben im Glänze des llel-
lenentums erweckt. In Makedonien, Ägypten, Syrien, Kleinasien ent-
standen hellenistische Reiche, deren Könige und Generale Griechen oder
doch Halbgriechen waren, deren Kraft in der Überlegenheit der griechi-
schen Kultur ihre Wurzel hatte, in denen sich vom Hofe aus die grie-
chische Sprache über die breiten Massen des Volkes verbreitete. Das hatte
natürlich seinen grossen Einfluss nach verschiedenen Seiten. Einesteils
ward damit der geistige Horizont der Griechen bedeutend erweitert; in
Masse flössen den Naturforschern Berichte über seltene Erscheinungen der
Tier- und Pflanzenwelt zu; in neue Länder und Meere drangen wissbe-
gierige Reisende vor und überraschten ihre Landsleute mit den Beschrei-
bungen neuerschlossener Erdteile. Ward mit den zahlreichen Büchern
über Wunderdinge {nfQi S^avinaafwv) auch zunächst nur der Neugierde der
leichtgläubigen Menge gehuldigt, so entwickelte sich doch daneben auch
nach und nach der ernste Bau naturwissenschaftlicher, mathematischer
und geographischer Wissenschaft. An eigentlichen Geistesprodukten fanden
die Griechen in den Ländern der älteren Kultur nichts, was sich mit ihrer
eigenen Poesie, Mythologie und Geschichtsschreibung messen konnte; aber
nichts desto weniger drangen fremde Göttergestalten in den hellenischen
Olymp ein und mischten sich griechische Bräuche mit orientalischen. Die
starre Unterscheidung von Hellenen und Barbaren geriet ins Wanken,
noch ehe Eratosthenes förmlich erklärte, dass dieselbe auf einer kurzsich-
tigen Überhebung der Griechen beruhe, da viele der Hellenen schlecht seien
und es unter den sogenannten Barbaren Leute von feiner Bildung, wie die
Inder und Arianer, und von überlegener politischer Tüchtigkeit, wie die
Römer und Karthager, gebe.^) Ihren beredten Ausdruck fand jene erweiterte
kosmopolitische Auffassung der Verhältnisse in dem Historiker Polybios
und mehr noch in den Lehren der Stoa.
336. Hat so die Ausdehnung der hellenistischen Kultur zur Bereiche-
rung der Wissenschaft und Erweiterung des Gesichtskreises fördernd bei-
getragen, so litt auf der anderen Seite unter jenen fremden Einflüssen die
Reinheit des hellenischen Geistes und die Keuschheit der griechischen
Sprache. Die vielen, welche griechisch reden und schreiben mussten,
ohne dass sie die Kenntnis der griechischen Sprache mit der Muttermilch
eingesogen hatten, überschwemmten die Sprache mit Solökismen, und auch
die geborenen Griechen mischten, nachdem einmal die strenge Norm ge-
^) Eratosthenes bei Strabon p. 06.
A.Alexftiidxiiiisches Zeitalter. 1. AUgemeine Charakteristik. (§§835-836.) 493
fallen war und Athens massgebender Einfluss aufgehört hatte, aus der
laxen Umgangssprache Wortformen, Wörter und Konstruktionen ein, die
man bisher von der Schriftsprache ferne gehalten hatte. So machte in
der Prosa der Historiker, Philosophen und selbst der Grammatiker der
reine Attikismus der Nachlässigkeit des Gemeingriechischen {diaXextog xoivi^)
Platz. 1) In der Poesie ward strenger und länger auf Korrektheit und
Schönheit des Ausdrucks gesehen, begegnen uns sogar noch Gedichte in
dorischem, äolischem und ionischem Dialekt; aber das waren nur in sel-
tenen Fällen die Mundarten, welche die Dichter selbst redeten; meistens
handelte es sich dabei nur um affektierte Nachbildungen und dürre Früchte
der Schulweisheit, welche die Produkte der Poesie mit Glossen und dunk-
len Ausdrücken überluden. Kurz, in allen Gebieten trat auf der einen
Seite Fehlerhaftigkeit und Nachlässigkeit, auf der anderen Künstelei und
Spielerei an die Stelle natürlicher Grazie.
336. Eine weitere natürliche Folge der Errichtung hellenistischer
Reiche war es, dass der Schwerpunkt der griechischen Litteratur von den
politischen Zentren des alten Griechenlands in die neuen Hauptstädte der
halbgriechischen Staaten verlegt wurde. Zwar blühte im Anfang unserer
Periode noch in Syrakus Poesie und Geschichtsschreibung und behauptete
Athen zu allen Zeiten, dank seinen Philosophenschulen und den Nach-
wh'kungen alten Ruhms, eine angesehene Stelle im griechischen Geistes-
leben. Aber Sikilien ging mit dem Ende des 3. Jahrhunderts an die
Bömer verloren, und in Athen flössen die materiellen Mittel, deren auch
die Kunst und Litteratur nicht entraten kann, von Jahr zu Jahr dürftiger.
Hingegen erfreuten sich in Alexandria, Antiochia, Pella und Pergamon
die Dichter, Gelehrten und Künstler der freigebigsten Unterstützung ge-
bildeter und ruhmbegieriger Könige. Diese Unterstützungen förderten die
Wissenschaft und veredelten das Leben und dürfen von uns um so weniger
verkannt werden, als wir ihnen zumeist die Erhaltung der kostbaren
Schätze der alten Litteratur verdanken; aber die Wissenschaft und Lit-
teratur gerieten dadurch in ein persönliches Abhängigkeitsverhältnis, das
sich auch äusserlich darin kundgab, dass nunmehr die Bücher ganz ge-
wöhnlich einem vornehmen oder reichen Protektor gewidmet, meistens
auch durch eine Dedikationsepistel eingeleitet wurden.^) Durch diese Ab-
Ungigkeit wurde aber die Hoheit der Wissenschaft und Poesie um so
mehr beeinträchtigt, als es unter den Herrschern nicht an grausamen und
wollüstigen Despoten fehlte. Keine fürstliche Gunst aber vermochte die
Impulse zu ersetzen, welche in der alten Zeit der Beifall und die Preise
*} Von der Entartong der Vulgärsprache | ^'A^«ff«*', yf'yoyay^ iuignxec, oXeSgerw. All-
zei^jeii die allerdings meist der römischen
Kaiseneit angehörenden Inschriften and
iWatpapyii Aegyptens. Die alten Gram-
out&er, wie Eirenaios, handelten in eigenen
Sduiften von jener Vulgärsprache unter dem
T^tel Tte^ lijq rtoy 'AXB^ay&Qitov diaXsxrovy
indem sie vieles als speziell alexandrinisch
ttfthrten, wsjb der Vulgärsprache der hei-
gemeiner in Gebrauch kamen namentlich
die zweiten Aoriste auf «, wie insbesondere
6inu, einüfÄTjy und evQufirjy.
») An dem Philosophen Chrysippos fand
man es auffällig, dass er joaftvra ßißkla
ygd^ag ovdeyl TuJy ßuaiXimy nQocEfpuiyrjcey
(Diog. Laert. VIl 186). Gbäfenheim, De
more libros dedicandi apnd scriptores Graecos
lenistischen Länder überhaupt angehörte, wie | et Romanos, Marburg 1892
494
Grieohisohe Lüteraturgesohiohte. II. Naohklassisohe Litteraior.
eines freien, kunst- und redeliebenden Bürgertums auf Dichter und Redner
geübt hatten. Freilich wussten ja auch im freien Griechenland Aristo-
phanes und Demosthenes über die Qunstbuhlerei der Demagogen zu klagen,
aber wenn auch das Zugefallenreden (ro x<xQfX^<T^cci tf) irlfjifp) jener Zeiten
dem Gemeinwesen nicht weniger geschadet hatte, so entbehrte es doch der
erniedrigenden Hässlickeit persönlicher Schmeichelei und verleumderischen
Intrigantentums.
SS7. Alexandria. Hauptsitz und gewissermassen Vorort der hel-
lenischen Gelehrtenlitteratur war Alexandria, welche Stadt der ganzen
Periode den Namen gegeben hat. Von Alexander am Meere, an einem
Arme der Nilmündung angelegt, i) wies sie schon durch die Lage das neu-
gegründete Reich auf Griechenland hin. Die Ptolemäer, die Herrscher
des neuen Reiches, sahen alsbald ein, dass sie in einem Land von uralter
Kultur zum Schutze ihrer eigenen Herrschaft der erstarrten Weisheit ein-
heimischer Gelehrten die Pflege hellenischer Bildung entgegensetzen
mussten. Sie knüpften dabei an die alten Institutionen des Landes an,
in welchem seit unvordenklichen Zeiten die bevorzugte Klasse der Priester
einem beschaulich gelehrten Leben oblag.') Den Grund zu den neuen
wissenschaftlichen Instituten legte schon Ptolemaios I, Sohn des Lagos
(Satrap seit 323, König 304—285), der den gelehrten Peripatetiker De-
metrios von Phaleron nach Alexandria zog und nach dessen Ratschlägen
mit der Gründung grossartiger Büchersammlungen und stiller Musensitze
begann. In die Fusstapfen seines Vaters trat Ptolemaios H Philadelphos
(285—246), der, weniger durch kriegerische Verwicklungen in Anspruch
genommen, die reichen Hilfsmittel des Landes den friedlichen Bestrebungen
zuwenden konnte und als der eigentliche Vater der wissenschaftlichen
Schöpfungen des Museums und der beiden Bibliotheken galt.») Gleiche
Liebe für die Wissenschaft bethätigte sein Nachfolger Ptolemaios DI
Euergetes (246—221), indem er insbesondere den mathematischen und
geographischen Forschungen seine freigebige Unterstützung lieh. Nicht
gleiches Lob verdienten als Regenten die nachfolgenden Ptolemäer, Ptole-
maios IV Philopator (221—204), Ptolemaios V Epiphanes (205—180),
Ptolemaios VI Philometor (180—145), Ptolemaios VH Eupator, König auf
Kypern (146—5), Ptolemaios VIU Euergetes H (145—116), Ptolemaios IX
Neos Philopator, König auf Kypern (121—119), Ptolemaios Apion, König
von Kyrene (116—96), Ptolemaios X Soter II (116—108). Doch hielten
*) Kiepert, Zur Topographie des alten
Alexandria, Berl. 1872, mit einem Plan nach
den Ausgrabungen von Mahmud Bev. Lübbbbt,
Alexandria unter Ptolemaeus Philadelphus
und Euergetes, eine Rede, Kiel 1880.
*) Aristot. met. I 1: neQl Atyvnxoy a(
fxaSrjfiauxni TiQwToy xix^M avviaxrjcnv ' ixei
ydq ttfpBlBfj axoXa^eiy t6 ivjy Uqiiov e&yog.
*) Herondas I 27: oa' iazl xov xal ylv6i\
lax' iy AiyvnxiOj \ »iai^ (fiXoaotpoi, XQ^^^oy,
vetjylaxoij | »ecliy adeXg:u}y x^fieyog, 6 ßaaiXeve
/e^ffroV, I Movaioy. Ath. 203 e mit Bezug
auf Ptolemaios Philadelphos: ne^l dk ßißXLvoy
nXij&ovs xtti ßtßXio&tjxtoy xaxaaxev^g xal t^c
Big x6 Movaeioy avyayfoyijg xi dcl xtti XiyHV
näai xovxfoy oyxtoy xatd ftyijfiijy; Syncellus
p. 271: fiv^iddag ßißXitay C dni^BXo xaxa
xrjy ^AXBknySgBitty iy xaig vi* avxov cvcxa-
aaig ßißXtodrfxmg. Tzetzes gibt die Bfidiei^
zahl bei einer zwischen Ol. 123 und 125 vor-
genommenen Schätzung auf 42,800 in der
äusseren, und 490,000 in der inneren Biblio-
thek, zusammen 532,800 Rollen an; s.Rit8CHL,
Die alexandrinischen Bibliotheken, Oposc
18 ff.
A. AlexftndriiiiBoheB Zeitalter. I. Allgemeine Charakteristik. (§§ 337—339.) 495
auch diese an dem Vermächtnis ihrer Väter, der Pflege wissenschaftlicher
Bestrebungen, fest, und liebte es namentlich Ptolemaios Physkon, der im
übrigen ein grausames Regiment führte, sich mit seinem gelehrten Hof-
halt an der Besprechung kritischer und litterarischer Streitfragen zu be-
teiligen.
338. Bibliotheken wurden in Alexandria zwei gegründet, 1) eine
in Verbindung mit dem Museum beim königlichen Schloss {ev Bqovxsi'v),
und eine andere beim Serapistempel (Serapeum) im Quartier Rhakotis.
Ihrer Bereicherung, Ordnung, Katalogisierung galten vorzugsweise die Be-
mühungen der Könige und Gelehrten. Mit Ehrlichkeit und Treue nahm
man es dabei nicht allzu genau ; so entlieh Ptolemaios Euergetes von Athen
gegen ein Depositum von 15 Talenten das Staatsexemplar der 3 grossen
Tragiker, um davon Abschriften für die Bibliothek machen zu lassen, be-
hielt aber, nachdem er die Abschriften gemacht, das Original für sich und
schickte den Athenern nur eine Abschrift zurück.*) Die Herstellung von
Repertorien, in denen Autor, Titel, Zeilenzahl genau angegeben waren,
hildete eine Hauptaufgabe der Bibliothekare.'*) Natürlich galt es dabei
nicht einfach zu registrieren, sondern auch zu prüfen, zumal infolge der
hohen Angebote der Könige sich die Zahl der untergeschobenen Schriften
mehrte.*) Die Stelle eines Vorstandes der Bibliothek galt als die höchste
in der Gelehrtenhierarchie Alexandriens. Die gefeiertsten Gelehrten,
Zenodot, Kallimachos (?), Eratosthenes, Apollonios (?), Aristophanes, Ari-
starch versahen hintereinander das Amt eines Bibliothekars. '^)
339. Gelehrtenstudien. Der Verwertung der Schätze der Biblio-
thek durch Herstellung kritisch gesichteter Textesausgaben {ixioaetg, iioQ-
W«f«$) und Erläuterung schwieriger Stellen (vTrofirtlfxaza) waren vorzugs-
weise die Bemühungen der Gelehrten zugewendet. Daneben lebten die-
selben dem Unterricht und der Prinzenerziehung.«) Die Aufgabe des
ünterrichtens führte dann von selbst zur Abfassung grammatischer Lehr-
bücher und zur Auswahl lesenswerter klassischer Dichter in massgebenden
Verzeichnissen (xavoveg).'') Die alte Vorstellung, als ob die Grammatiker
'j RiTSOBL, Die alexandrimschen Biblio-
theken in Opusc. I 1—112; Pabthey, Das
«lexindriii. Museum, Beri. 1838; Klippel,
Heber das alexandrin. Museum, Gott. 1838;
Deutbiadbs, 'IctoQixoy doxlfAtoy xtSv 'JXs-
Eallimachos wirklich Bibliothekar war, ist
zweifelhaft, worüber unten unter Kallimachos.
^) Als Prinzenerzieher bezeichnet Suidas
speziell den Zenodot und Aristarch.
') Quintil. X 1, 54: Apollanius in ordinem
hrdQtiwy ßißXto&fjxtay, Leipz. 1871; CoUAT, | a grammaticis datum non venit, guia Art-
1« mns^ d* Alexandrie, Annales de Bor-
deiox, I (1879) 7—28.
«) Galen t. XVII p 607 K.
') Biet, Das antike Buchwesen S. 485 ff.
*) Galen in Hippocr. de nat. hom. I 42
t. XV p. 105 K.: Xttfißnysiy cf' ag^afisytoy
fit9$üy Twy xouiCoyrtoy avtoig avyygafifia
^ttktnov Tiyog ay&Qog, ovtta^ tj&tj noXXa \pev-
fef hityQtiffoyteg ixofiiCoy. Vgl. M. H. E.
MnER, Opusc. I 78 ff.
') Ueber die Zeit der Bibliothekare s.
^nscBL Op. I 72 f. und Seemaitn, De primis
>a bibliothecae Alezandrinae custodibus,
fiwen 1859; Süsbuibl, AI. Lit. 1 835 ff. - Ob
starchus atque Aristophanes neminem sui
temporis in numerum redegerunt; vgl. 1 4, 3.
Erhalten sind uns zwei nur zum Teil über-
einstimmende Verzeichnisse der besten Schrift-
steller der einzelnen Redegattungen, eins von
Montfaucon aus der Bibl. Goislin.
veröffentlicht (neubearbeitet von üsbneb,
Dionys. Halic. de imitat. rell. p. 129 ff.), und
ein anderes von Gramer, An. Par. IV 197
aus der Bibl. Bodleiana ans Licht gezogenes,
worüber Steffen, De canone qui dicitur
Aristophanis et Aristarchi, Leipzig 1876;
Kroehnert, Ganonesne poetarum scriptorum
artificum per antiquitatem fuemnt? Diss.
496
Grieohisohe litteratnrgMohiohte. n. NaohklMsisohe litteniiir.
Aristophanes und Aristarch in speziellen Werken einen solchen Kanon
aufgestellt und begründet hätten, haben zwar neuere Untersuchungen als
irrig erwiesen;^) insbesondere gilt jetzt als ausgemacht, dass die Aus-
wahl mustergiltiger Redner erst viel später, vielleicht erst von dem Rhetor
Cäcilius in der Zeit des Augustus getroffen wurde. Aber die ästhetische
Beurteilung (xQictg) «) und in Verbindung damit die Auswahl der empfehlens-
wertesten Dichter und Autoren ging doch von Alexandria und dem Gram-
matiker Aristophanes von Byzanz aus. — Nach anderer Richtung wurde
die Thätigkeit der Gelehrten für Übersetzung fremder Schriften ins Grie-
chische in Anspruch genommen. Teils verlangten die Griechen aus Wiss-
begierde die heiligen Bücher und Überlieferungen anderer Völker, nament-
lich der Ägypter, Juden, Babylonier kennen zu lernen, teils führte das
Zusammenströmen der verschiedenartigsten Menschen in der Weltstadt
Alexandria zum gegenseitigen Austausch der Sprachen.^) Eine besondere
Rolle spielten dabei die Juden, welche seit alters viel in Ägypten ver-
kehrten, und auf deren Anhänglichkeit die Ptolemäer wegen der unauf-
hörlichen Streitigkeiten mit Syrien grossen Wert legten.*) So entstand
unter Ptolemaios Philadelphos die Bibelübersetzung (zunächt das Pen-
tateuch) der sogenannten Siebenzig,^) und entwickelte sich, indem die
Juden Alexandriens griechisch zu reden und griechische Bildung in sich
Königsberg 1897, wo ausser jenen zwei alten
Verzeichnissen noch ein drittes {ixkoytj xal
avyxQiaig noirjTüiv ^rjrogtoy tpiXoffoquoy xed
^eoXoywy xard dfodexadag) aus cod. Monac.
256 abgedruckt ist. Ausserdem kommen in
Betracht die rhetorischen Schriften des Dio-
nysios Haue, das 10. Buch QuintiUans, Vel-
leiusl 16, Proklos' Chrestomathie undTzetzes'
Proleg. zu Lvkophrons Alexandra. — Der
ältere Teil des von Montfaucon veröffent-
lichten Kanon lautet: <inwy> noirjxal neyts'
"OfAijQog, 'Hifiodog, JlELüapdqog, Ilayvaaa^g,
'AvtifAaxog . 'lajußtxoi tQeig ' lifian/idt^g, 'Jq-
yiAo/'Off, Inntüya^ . Tgayaidon olol neris'
AiaxvXog, 2og)oxkijg, Evf^mlirjg, "Imy, '^xaiog.
K(üfnpdonoioi a^x^iag knta • 'Ertixa^ftog,
KQajivog^ EvnoXig, ^AQiaxofpttvfjg^ 4»€Q€XQattjg^
<KQdxrigy XlXdxwy ' jn^aijg xotfii^dlag dvo'
^JyxKpdyrjg, "^Afftf Öor'peof • yiag xü)fjnii&iag
Ti^yre • Me'yaydQog, ^iXinnldtjg, Ji<piXog, 4>i-
XijfAüty, AnoXXodtoQog ,lEX6y€i07toii]xai xsüffageg'
KaXXTyog, MifjiyeQftog, 4>iXi]tugy KaXXifAaxog,
AvQixoi iyria' 'AXxfidy, 'AXxaiog, üaTKptOy
IxrioLxoQog, nlvdaQog, BaxxvXidrjg, 'Ißvxog,
'Ayaxqitoy, lifutoyldrjg . *PfjiOQ€g dexa ' Jrjfio-
a&^yrjg, A vciag^ Yn s^€ldi]g*[aoxQdxrjg,A iüxlytjSj
Avxov^yog^ 'icaiog, 'AyxKpaiy, *Aydoxldfjgy
JslyaQXOS • 'IcroQixol dexa . Sovxvdidrjg^ 'Uqo-
doxog, Seyoffüjy^ 4*iXiaxog, 9€6nofÄnogy"E<poQogf
Uya^ifieyrjg, KnXXtcaeyrjg/EXXdyixog, JJoXvßiog.
*) Die übertriebenen Vorstellungen, von
denen Ruhnken, Hist. crit. oratonim grae-
corum ausging, wurden stark reduziert von
Bernhardt, Wissenschaftliche Syntax der
griech. Sprache S. 31, Gr. Litt. I» 185; Fbrd.
Ranke, De Aristophanis vita p. 104 ff.
*) Mit dem technischen Ausdrack xgicig
Tüiy noiijfidraty, womit die Alten einen Teil
der grammatischen Aufgaben bezeichneten,
hängen die Wörter iyx^iyeiy und ixxgiynr
(Suidas unter ^ciVit^jjfOf, Phot. cod. 61) zu-
sammen.
») Syncellns p. 271 von Ptolemaios
Philadelphos: ndvimy 'EXkriytüy xb xtd XecA-
daiiay Alyvnxloiy re xai 'Ptofiaitay rag ßißXovg
avXXe^dfieyog xat /letafpQdaag tag «Uo-
yXiji<r<rovg eig rrjy'EXXdda yXtiacay fsvgiddng
ßißXifoy h dni^BXo.
^) ScHÜRBR, Geschichte des jüdischen
Volkes n 908 ff; Sosemihl, AI. Lit. 11601«.
Von einem abgesonderten Quartier der Juden,
einem alten Ghetto, berichtet Stnbon bei
losephus Ant, lud. 14, 7 : iy Aiyvnt^ xaxoutia
tüiy lovdalwy iaxiy drtodedeiyfiBi^ X**^*^^ **'*
xrjg tüiy *AXe^aydQ$oiy noXetag d(fw^^*^
/leya f^igog rto iS^yei xovxip.
^) Euseb. ad Ol. 124: nioXtfiaiog 6 #1-
XddeXifog xovg xax* Atyvntoy aixfif^Xtifovg
*Iovdaiovg vno BxoXBfJialov xov naxQog «vtof
yei'Ofjiiyovg iXsv^sQovg dyvjxsy . . , xdg hv-
daltay yQatfdg ix x^g 'Eßgaitay tftivyjg ek
xrjy 'EXXdda fÄBXaßXtjdrjyca ienovdaCB dtd
ruiy ißdofAijxoyra dvo nag* 'Eßgaioi^ aoq^v^
iy ^uQf^ r^ ytjatfi Ugioxiag iy oß' oUotg
avxovg dnoxXBiaagy xal iy xat^ xaxd rijy
'AXE^aydoBiay xaxacxBvaadBtaaig avxt^ ßtßXtö-
d^rjxaig anid^BXO fXBxd xdiy aXXioy iiXilermr
dno Bxdaxrjg noXBtag gfogoXoyrjcag naytoltay
ßißXitoy.
▲. AlexaadriniBohe« ZeiUlter. 1. Allgemeine Charakteristik. (§ 340.) 49?
aufzunehmen begannen, eine spezielle Gattung jüdisch-hellenistischer Bil-
dung. Dieselbe hat ihre grosse Rückwirkung auf die griechische Welt
erst in der folgenden Epoche durch den alexandrinischen Philosophen Philon
geübt; aber auch schon in unserer Periode suchten die hellenistischen
Juden in ihrer rührigen und eingebildeten Art allerlei Verbindungsfäden
anzuknüpfen. Insbesondere war es der jüdische Peripatetiker Aristo-
bulos (um 170 v. Chr.), der in seiner Erläuterung des Mosaischen Gesetzes,
um die Anfänge der hellenischen Weisheit auf die Bibel zurückzuleiten,
sich nicht scheute, dem Orpheus, Lines und Hesiod eine Masse erdichteter
Verse unterzuschieben.^)
Erste Ausg. der Septoaginta von Melanchthon, Basel 1545; kritische Ansg. von
Tisch ekdobf-Nebtle, Ups. 1887; The old testament in Greek by Svbte, Oxford 1887. Der
Hanptcod. Sarravianns s. V in Phototypie in Codd. graec. et latin. photogr. ed. Sijthoff, Leyden
1896. — Hinzugekommen ist neuerdings aus ägyptischen Papyrus das Buch Henoch. Nur in
griech. Uebersetzimg ist der Ecclesiasticus erhalten, da^as hebräische Original davon veiloren
gegangen ist. — Der lateinischen Uebersetzung des Hieronymus und der älteren Itala lag
die griechische uebersetzung der Septuaginta, nicht das hebräische Original zu gründe.
Ueber die Korrespondenz, welche der König Ptolemaios mit dem Hohenpriester Elea-
zar gef&hrt haben soll, und fiber die vorausgehenden Verhandlungen berichtet unter dem
Namen des an Eleazar abgesandten Offiziers der königlichen Leibwache Aristeas ein
inferessantes, aber die Geschichte zu Gunsten der Juden fiberall fälschendes Schreiben an
einen anbekannten Philokrates, das uns selbständig in mehreren Handschriften und durch
Joeephos ant. iud. XII 2 und Eusebios praep. ev. YIII 2 erhalten ist. Dasselbe ist neu
herausgegeben aus dem Nachlass von Mendblssohn, Dorpat 1897.
340. Aber nicht bloss Aufgaben stellten die Könige Ägyptens den
Gelehrten, sie suchten ihnen auch eine sorgenfreie Stellung zu gewähren,
damit dieselben ganz der Wissenschaft leben könnten. Einzelnen hervor-
ragenden Gelehrten bewilligten sie Jahresgehalte (ct/vra^fic).^) Dieselben
waren mitunter sehr freigebig bemessen; so bezog Panaretos von Ptole-
maios Euergetes einen solchen von 12 Talenten. ») Den Bedürfnissen einer
grösseren Zahl war im Musenhaus (Movastov) vorgesehen,*) einem weit-
läufigen, um den Tempel der Musen gruppierten Gebäudekomplex bei dem
königlichen Palast, in welchem die Gelehrten zu gemeinsamen wissen-
schaftlichen Besprechungen zusammenkamen und freier Verpflegung (rj iv
liovcfi(p aiTtjifig) sich erfreuten.*) Diese grossen wissenschaftlichen Insti-
tute, die Bibliotheken und das Museum, überdauerten die Herrschaft der
Ptolemäer; zwar ging unter Cäsar (47 v. Chr.) ein grosser Teil der inneren
Bibliothek in Flammen auf, aber der Verlust wurde durch Überführung
der pergamenischen Bibliothek nach Alexandria und durch neue Abschriften
wieder ersetzt, und der Ruhm der alexandrinischen Gelehrsamkeit erhielt
»ich auch noch in den ersten Jahrhunderten der römischen Kaiserzeit.
Erst durch wiederholte Brände und den Bürgerkrieg unter Aurelian, zuletzt
*) Yalcksnabr, Diatribe de Aristobulo
iodaeo, ed. Lnzac, LB. 1806; vgl. Phocylidea
oben § 99 und Zeller, Philos. d. Gr. ill* 2,
258 f. Bbrok, Gr. Lit lY 534 hält die durch
CleaienB and Eusebios uns erhaltenen Frag-
mente für die Fälschung eines jüngeren, aber
Boch vor Philon lebenden Litteraten.
*) Nach Ath. 494 a zahlte Ptolemaios
Philadelphos fttnf Gelehrten (Soter, Sosigenes,
Bion, ApoUonios, Dion) Jahresgehalte.
•) Ath. 552c.
*) Klippel a. 0.
*) Timon bei Ath. 22 d; Strabon p. 793.
In einem Epigramm der Memnonstatue GIG
4748 — Eaibel ep. gr. 1009 nennt sich ein
'Aq€io( 'OfAfjQixog noifjxrjg ix Movaeiov,
Handbocli der klua. Altcrtuxnrwineiuchaft. VIT. 8. Aufl.
498 Orieohisohe LitteratiirgeaohiohU. II. NaohUassisohe Litteratnr.
gegen Ende des 4. Jahrhunderts durch die Streitigkeiten der Christen und
Griechen unter Theodosius ging die alte Herrlichkeit gänzlich unter.
341. Pergamon. Mit Alexandria wetteiferte seit dem Ende des
3. Jahrhunderts in der Förderung der Wissenschaft und Kunst Pergamon,
die Hauptstadt des Reiches der Attaliden. Begründet war der Ruhm von
Pergamon durch Attalos I (241—197), der die Gallier, welche jahrzehnte-
lang weit und breit die hellenischen Staaten gebrandschatzt hatten, in
entscheidenden Kämpfen niederwarf und dann in Pergamon eine neue
Stätte hellenischer Bildung aufrichtete. Das Vermächtnis des Vaters ehrten
die beiden Söhne Eumenes U (197—159) und Attalus IT Philadelphos
(159 — 138); auch nachdem der in thatenlose Schwermut versunkene Atta-
lus III sein Reich den Römern vermacht hatte (133), behauptete Pergamon
noch bis in die ersten Jahrhunderte der römischen Kaiserzeit hinein sein
Ansehen als Sitz der Gelehrsamkeit und Kunstpflege. ^) Die wissenschaft-
lichen Anstalten Pergamons waren im wesentlichen denen Alexandriens
nachgebildet. Die Hauptsache war auch hier die Bibliothek,^) die 200,000
Bände umfasste, als sie von Antonius der Kleopatra geschenkt und nach
Alexandria gebracht wurde. •) Der Eifer der Könige sie zu vermehren, hatte
unter Eumenes II, als die Ptolemäer aus Eifersucht die Ausfuhr des Papyrus
untersagten, zum allgemeineren Gebrauch des Pergamentes geführte) Den
Gelehrten, unter denen Krates eine hervorragende Stellung einnahm, lag
die Anlage von Katalogen ob, die neben denen der alexandrinischen Biblio-
thek eine Hauptquelle der Litterarhistoriker bildeten.^) Auch fär nator-
wissenschaftliche Sammlungen sorgten die pergamenischen Könige: im Vor-
hofe der Königsburg war ein vielbewunderter Erdglobus aufgestellt; der
König Attalus I hatte selbst ein geographisches Buch hinterlassen. <) Die
Richtung der Studien war in Pergamon nicht ganz die gleiche wie in
Alexandria. Zwar überwogen auch hier die Beschäftigungen mit Gram-
matik und Dichtererklärung, aber ohne dass daraus Männer vom Scharf-
sinn eines Aristarch oder der Gelehrsamkeit eines Eratosthenes hervoi^
gegangen wären. Die Polymathie, die ihr Wissen auch zur unrechten Zeit
anbringt und mehr auf den Stoff als die kritische Sonderung Gewicht legt,
herrschte von jeher in Pergamon und machte sich insbesondere auch bei
der Berührung mit Rom geltend. Im übrigen wehte in der Hauptstadt
Mysiens ein freierer Geist als in Alexandria, das sich dem dampfen Ein-
^) Wkgbner, De aula Attalica artioin- | xandri Magni tfictoria repertam aneior at
que fautrice, Haan. 1836. | M. Varro eondita in Aegypto Alexandria
') Die RAume derselben aind jetzt wieder I . . . max aemulaiiane circa bibliotheeas regnm
aufgedeckt worden; s. Conzb, Die perga- j PioUmaei et Eumenis eupprimente chartae
menische Bibliothek, Sitzb. d. pr. Akad. 1884 ■ Ptolemaeo idem Varro memhranae Pergami
S. 1259—70; sie bildete einen Anhang zam i tradit repertas. Die Richtigkeit dieser An-
Tempel der Athena Polias; vgl. Trbndblbn- , gäbe wird bestritten oder doch beschrSnkt
BURG in Baumeisters Denkm. H 1222.
*) Flut Anton. 58: KaXovicio; <fl ITiri-
aagof halgo^ tri xai lavia loiy eiV KXeih-
nargay ^yxXtjfMaTmy 'jiyrioylio Ttgovfpfge ' /«-
gl<raü9m fiiy avrfi rag ix negynfiov ßtßho-
^ijxrrc« iy n<V fUoat fivgtadsg ßißXimy anltar
ffCay Mtl.
*) PlinioB n. h. XllI 21: chartam AU-
von BiRT» Das antike Buchwesen S. 52 ff.
*) Dionys. de Dinarcho 1 : Sftn de ogmy
ovdiy axgtß^c ovre KaX^lfittj^oy ovie roiV
ix negyafiov ygaiAfutuxorg Titgi avtov yga-
tffayiag. Vgl. Brzoska, De canone decem
oratonim attic, Breslau 1883 p. 56 ß.
•) Strab. p. 603.
A. AlezaBdrinisoheB ZeiUlter. 1. Allgemeine Charakteristik. (§§ 841—342.) 499
floss ägyptischen Priestertnms nie ganz entziehen konnte. Die Attaliden
unterhielten engere Beziehungen zu Athen und entnahmen von dort die
Liebe zur Kunst und die Neigung zu philosophischen und rhetorischen
Studien. Die Weihgeschenke des Attalos auf der Akropolis von Athen
und der grosse Altar auf der Burg in Pergamon zeugen heutzutag noch
von dem kunstliebenden Sinn der Pergamener, und zur glänzenden Blüte
der Beredsamkeit in Rom hat auch Pergamon sein Scherf lein beigesteuert.
Denn Pergamon begünstigte im Gegensatz zu Alexandria die Studien der
Rhetorik und ästhetischen Kritik, und durch pergamenische Grammatiker
und Rhetoren wurden die gleichen Studien in Rom geweckt, i)
342. Schon ehe Pergamon in die Arena der Konkurrenz eintrat,
wetteiferten andere Residenzstädte der Diadochenreiche mit Alexandria.
Antiochia in Syrien, die Hauptstadt des Reiches der Seleukiden, ward
von ihrem Gründer Antiochos Soter (287—262), besonders aber von Anti-
ochos d. Gr. (224 — 181) mit Bibliothek, Theater, Zirkus und Kunstwerken
ausgestattet. Der Bibliothek stand der kenntnisreiche und formgewandte
Dichter Euphorien aus Chalkis vor, den Antiochos um 220 nach Antiochia
berufen hatte. Schon zuvor weilte der Dichter Aratos eine Zeitlang an
dem Hofe der syrischen Könige. Aber freier Geist und freie Wissenschaft
konnten in der Umgebung der despotischen Regenten Syriens nicht ge-
deihen. Antiochia hat durch die erste Philosophenverfolgung eine traurige
Berühmtheit erlangt ; der famose Erlass, womit Antiochos, man weiss nicht
welcher, die Jugendverderber aus Stadt und Land verwies, ist uns noch
bei Athenaios p. 547 erhalten. Von der Launenhaftigkeit am fürstlichen
Hofe zeugt auch die Anekdote bei Lukian, pro imag. 5, wonach Strato-
nike, die Gemahlin des Seleukos, die infolge einer Krankheit kahlköpfig
geworden war, einen Preis für das beste Lobgedicht auf ihr Haar aus-
setzte.
Auch der kunstliebende König Antigenes Gonatas von Makedonien
(275—239) machte seine Residenz Pella zum Sammelplatz von Dichtern
and Philosophen. Insbesondere lebten längere Zeit in Makedonien Aratos
und Alexander Aetolus, und pflegte der König freundschaftliche Beziehungen
zu den Stoikern Zenon und Persaios. Eine dauernde Bedeutung gewann
aber Pella für die Entwicklung der Litteratur und Gelehrsamkeit nicht.
Auch einzelne Freistaaten haben in unserer Epoche den Ruhm gesucht,
als Pflegestätten der Bildung und Gelehrsamkeit gepriesen zu werden, so
ausser Athen noch besonders Rhodos, dessen berühmte Männer Strabon
p. 655 aufzählt, und Tarsos in Kilikien, dessen Streben nach philosophi-
scher und enkyklopädischer Bildung derselbe Strabon p. 673 f. das glän-
zendste Zeugnis ausstellt. Sikilien und Syrakus blieben auch in unserer
Periode hinter ihrem alten litterarischen und künstlerischen Rufe nicht
zurück, aber ihre Kultur begann früh unter den Füssen des kriegerischen
Eroberers zertreten zu werden.
^) Bbzobxa a. 0. 75 ff. Ueber die Fttr-
aofge f&r öffentUchen Unterricht und An-
rteSnng von Lehrern unterrichtet eine In-
schrift von Teos in Lydien bei Dittbnbbbgbb
Syll. 349.
82*
500 Orieohuiohe LltteraturgeMhiobte. II. NachkhuMisohe litteratnr.
343. Charakter der Litteratur. Ein Hauptcharakterzug der Lit-
teratur unserer Periode ist die Neigung zur Polymathie, der sieh nicht bloss
bei den eigentlichen Grammatikern, sondern auch bei den Philosophen und
Dichtern geltend machte. Da so die Forderung der Genialitat und Formvoll-
endung zurücktrat und das stoffliche Interesse sich in den Vordergrund
drängte, so konnten auch untergeordnete Geister, wenn sie nur den nötigen
Fleiss mitbrachten, an der Lösung der gestellten Aufgaben in Grammatik,
Litteraturgeschichte, Altertumswissenschaft mitthun. Arbeiter erzeugte
auf diese Weise das Zeitalter in Masse, hervorragende Schriftsteller und
schöpferische Geister nur wenige. Nur in der Mathematik, Astronomie
und Mechanik hat auch unsere Periode grossartige Entdeckungen und her-
vorragende Forscher, wie Euklid, Archimedes, Apollonios, aufzuweisen.^)
Hingegen blieben in denjenigen Litteraturgattungen, welche die Alten
unter dem Namen artes liberales zusammenfassten, ganze Gebiete brach
liegen, wie die Beredsamkeit, oder fanden nur wenige Bearbeiter von Be-
deutung, wie die Geschichtsschreibung. In dem Zuge zur stofflichen Viel-
wisserei war es auch begründet, dass die Prosa sich immer mehr breit
machte und die Poe^sie in den Hintergrund drängte. Doch gilt das letztere
in vollem Umfange erst von den 2 letzten Jahrhunderten unseres Zeit-
alters, die überhaupt unter der Ungunst der politischen Verhältnisse stark
von der vorausgehenden Zeit abfielen. Im 3. Jahrhundert oder im Beginne
der Diadochenzeit ward die Kunst der Yersifikation noch hoch geboten,
so dass auch Gelehrte und Bibliothekare, wie Eallimachos, Apollonios,
Eratosthenes Verse schmiedeten und in den litterarhistorischen Aufzeich-
nungen zugleich als yqa^fxaxixoi und inojioioi oder iXsyeionoioi aufgeführt
wurden. Freilich hat gerade dieses Eindringen der Gelehrsamkeit in den
Garten der Musen dazu beigetragen, dass der Duft der Poesie nach und
nach ganz verloren ging, und an die Stelle schwunghafter Phantasie die
Oede trockener Belehrung, an die Stelle des vates divinus der poeta doctus
trat. Aber wenn auch das meiste in der alexandrinischen Poesie unnatür-
lich und ungeniessbar war, so dass wir den Verlust desselben nicht be-
sonders zu beklagen haben, so hat doch auch dieses Zeitalter einige kost-
liche Früchte gereift, wie insbesondere in der Gattung des Idylls, der
Elegie und des Mimus, um von den geistreichen Schöpfungen der neuen
Komödie, die doch auch zum grössten Teil in unsere Periode hereinragen,
ganz zu schweigen.
SrsEMiHL, Geschichte der griechischen Litteratur in der Alexandriner Zeit (= AI.
Lit), Leipiig 1891, 2 Bde, Hauptwerk. — Cocat, La po^sie Alexandrine soas lee trois
premiers Ptolem^s, Paris 1882. — Mbinbkb, Analecta Alexandrina, Berl. 1843, gmnd-
logend.
Geschichtliche Hil&werke: Drotsek, Geschichte des Hellenismus, 2 Bde, Gotha 1842;
Kusammen mit der Geschichte Alexanders 1877. Nibsb, Geschichte der griechischen und
*) Das Bewusstsein der higheren Lei- i^y dia rtoy Xoyaty MttaxaTiiav iiiiace
stunicen der Matliematiker spricht sich ge- narrag ay^Qtonovg «rraocr/iwf C»?*' *' ^'cV
iogentlich in einer Stelle des Mathematikers xai iXaxitfrov fiegov^ avfijg, kiyu drj lov
Honm. U ober die Geschütze p. 71 AVesch. aus, x«ra ri;*' xaXovfde'ytjy ßeXorto^Tay. — lieber
vro mit einem verj&chtlichen Seitenblick auf die grossen MaUiematiker , Astronomen,
dio violon Schriften der Philosophen Ober die Mechaniker, Aerete unserer Periode siehe
tttuQn^i« bemerkt ist: ,Mi;/rrrixi; ?*:?(f^(rtfit , unten §§ 643, 6t54— 662.
A. Alexandriniaolies Zeitalter. 2. Die Poesie.
I 343-345.)
501
nukedonischen Staaten seit der Schlacht bei Ghäronea J, Gotha 1893; Lukbroso, L' Egitto
dei Greci e dei Romani, 2. Aufl. 1895; Mahaffy, The empire of Ptolemies, London 1895;
Strack, Die Dynastie der Ptolemäer, Berlin 1897, im Anhang Sammlung griechischer
Ptolemfieivlnschriffcen.
Urkunden: Papyri graeci regii Taurinensis musei aegyptii ed. Peyron, Turin 1827.
Papyri graeci musei antiquarii publici Lugduni-Batavi I ed. Leemans 1843. — Description
of tiie greek papyri of the British Museum ed. Forshall, London 1839 ; Greek papyri in
the British Museum ed. Kenyon, London 1893. — Papyrus grecs du Mus^e du Louvre ed.
Bronet de Pk^sle et Egger, in Notices et extraits des manuscrits XVIII 2, 1865. — Lb-
TROKXE, Recueil des mscriptions grecques et latines de V Egypte, Paris 1842 — 48. — Aegyp-
Uaehe Urkunden aus dem Berliner Museum von Wilckbn Krebs Virreck, Berlin von
1892 an. — Corpus papyrorum Raineri ed. Wessely, Wien 1895. — Mahafft, The Flinders
Petrie Papvri, Dublin 1891 u. 1893, in Cunningham Memoirs VIII. IX. — Revenue Laws of
Ptolemy Philadelphus, edited from a greek papyrus by Grenfell, Oxford 1896; dazu Blüm-
vn, Verwaltungswesen, Rechts- und Familienleben Aegyptens, Preuss. Jahrb. 1894 S. 383 ff.
IL Die Poesie.
344. In der klassischen Zeit hatten sich die Dichter streng nach den
Gattungen der Poesie geschieden. Jetzt, wo nicht mehr die poetische Ader
und die göttliche Begeisterung den Dichter machten, wo das Dichten zur
Kunst, zur Gewandtheit in der Versifikation herabgesunken war, fielen
auch jene Schranken und wandelten nicht bloss Jugenderzieher und Oram-
matiker in dem Haine der Musen, sondern versuchte sich auch ganz in
der Regel ein und derselbe Versifikator im Epos zugleich und in der Elegie,
manchmal auch noch im Drama, unter solchen Umständen möchte man
leicht bei Aufzählung der Dichter unserer Periode von den Gattungen der
Poesie ganz absehen und sich lediglich an die zeitliche Folge halten.
Gleichwohl habe ich der Übersichtlichkeit halber die Scheidung nach Dicht-
gattungen beibehalten und dabei die einzelnen Dichter da eingereiht, wo
das Schwergewicht ihrer Leistungen zu liegen schien, i) Zugleich aber
erlaubte ich mir, an derselben Stelle, um das Bild nicht zu zerstreuen,
alles das anzuführen, was der Betreffende in anderen Spielarten der Poesie
oder auch auf dem Gebiete der gelehrten Forschung geleistet hat.
a) Elesrlen, Hymnen, Epigrramme.^)
846. Im Vordergrund des poetischen Schaffens unserer Periode stand
die Elegie >) und das damit verwandte Epigramm. Beide Dichtungsarten
stammten aus der klassischen Zeit, nahmen aber in unserer Periode einen
speziellen Charakter an. Das hatte seinen Hauptgrund darin, dass das
degische Distichon zur fast einzigen Form des lyrischen Gedankenausdrucks
gewählt wurde. Die verschlungenen Formen der attischen Dithyramben
ond dorischen Oden hatten nur Reiz, wenn ihnen durch die Modulationen
des Gesanges Leben und Seele eingehaucht wurde. Wer die Gedichte nur
lesen wollte, dem entschwand, wie wir das ja selbst erfahren, das Ver-
ständnis für die Schönheit und Kunst jener Perioden. In unserem Zeitalter
aber wollte man die Gedichte lesend geniessen; was war also natürlicher,
*) Ich habe, einem Winke meines Re-
cementen (Cbusiüs in CentrJBl.) gehorchend,
die Elegie vorangestellt.
') leh habe die drei Arten der Lyrik
Tcreiidgt, weil der Haoptdichter E^allimachos
Elegien, Hymnen ond Epigramme dichtete.
*) Härtung, Die griechischen Elegiker
Leipz. 1859, 2 Bde. Die Fragmente anch
bei Bebgk PLG und Anth. lyr.
502
Orieohisohe LitteraturgeBchiohte. II. Naohklassiache litteratar.
als dass auch die Dichter sich nicht mehr den Zwang solch schwieriger
Kompositionen anthaten, sondern eine einfache, leicht verständliche Form
des Verses und Rhythmus wählten? Dazu empfahl sich vor andern das
elegische Distichon, das sich über die Einfachheit der ständigen Wiederkehr
des gleichen Verses erhob und doch dem melodischen Satz eine gefällige,
jedem ins Ohr gehende Abrundung gab. Es zu wählen, lag um so näher,
als der Grundton der lyrischen Empfindungen unserer Zeit die Erotik war, die
mit der Abnahme des Interesses für die öffentlichen Angelegenheiten wuchs
und bei den Freunden des Frauendienstes an den fürstlichen Höfen in beson-
derer Gunst stand. 1) Die Beliebtheit der Elegie, des romantischen Liebes-
liedes und der Erzählung in engem Rahmen, ging Hand in Hand mit der
Abneigung gegen die langweiligen, weitschweifigen Epen;*) man wollte
ein kleineres, geschlossenes Ganze und kehrte in der Erzählung von Mythen
und Liebesabenteuern wieder zur balladenartigen Form des alten Helden-
liedes zurück. Der Mangel des Umfangs sollte aufgewogen werden durch
die Neuheit der Erfindung und mehr noch durch die Sauberkeit und Feile
der Form.*) Sorgfältiges Studium und einiger Geschmack schienen die
dichterische Ader und göttliche Begeisterung ersetzen zu können. Aber
immerhin waren die Leistungen der Alexandriner auf dem Gebiete der
Elegie nicht gering ; bei den römischen Elegikem fanden sie überschweng-
liche Anerkennung, Eallimachos und Philetas waren diesen hochgefeierte
Namen.^) Leider hat sich im Original nur weniges erhalten und sind wir
darauf angewiesen, die alexandrinische Elegie zumeist aus den Nachahm-
ungen der römischen Elegiker, vornehmlich Catulls, kennen zu lernen.
346. Philetas,*) Sohn des Telephos aus Kos (daher Cous poeta),^)
lebte unter Alexander d. Gr. und Ptolemaios I, welch letzterer ihm die
Erziehung seines Sohnes übertrug. Auch Theokrit verehrte ihn als seinen
Lehrer,^) und ebenso wird der Grammatiker Zenodot von Suidas als sein
Schüler bezeichnet. Er selbst war Dichter und Gelehrter zugleich;*) dabei
war er durch Studieren und Nachdenken so abgemagert, dass Witzbolde
ihm nachsagten, er trage Blei in den Schuhen, um vom Winde nicht davon
geweht zu werden.^) Hinterlassen hat er nach Suidas Elegien und Epi-
gramme, wozu noch ein in fortlaufenden Hexametern geschriebenes Epyllion
Hermes (Liebesabenteuer des Odysseus mit des Äolus Tochter Polymele)
') RoHDE, Griech. Roman 59 flf.; Couat,
La po^e Alexandrine p. 24. Ausser den
Königinnen waren es die königlichen Gurti-
sanen, denen Pal&ste und Denkmale in Ale-
xandria errichtet waren.
') Vgl. Eallimachos in Anth. XII 43,
und unten § 350.
') Bezeichnend ist das Distichon Ovids
Am. I 15 Aber den Hauptvertreter der
Battictdes semper toto cantabüur orhe:
qiMmvis ingenio non valet, arte valet.
*) Quint. X 58: elegiae princepa ha^
betur Callimachtis, secundus confesaione
pluritnorum Philetas occupavü, Aehnlich
Properz III 1, 1; Ovid Ars am. IIl 829;
Proclus ehrest 242, 21 W.
^) Bach, Philetae Hermesianactis Ph»-
noclb rell., Halis 1829; Maass, De tribus
Philetae carminibus {naiyytoyy Demeter,
Herakles u. Omphale), Marburg 1895.
*) Rhodier nennt ihn der Schol. Theoer.
7,40.
T) Theoer. 7, 40.
■) Strab. p. 657: 4»iXiJTag nwrjrijt Sfta
xal xQtxixoq. Seine grammatischen Stadien
betrafen insbesondere Homer; gegen seine
verkehrten Wortdeutungen schrieb Aristarck.
•) Ath. 552b u. Aelian V. H. IX 4.
A. AlezandrinkoheB Zeitalter. 2. Die Poesie.
346—349.)
503
kam. Die Elegien waren meist erotischer Natur; seine Geliebte Bittis stellt
Ovid Trist. I 6, 1 neben die Lyde des Antimachos. Von dem grossen
Ansehen, dessen er sich erfreute, zeugt die Statue, welche ihm seine Lands-
leute in Kos errichteten.!) Erhalten haben sich von ihm nur dürftige
Fragmente.
84?. Hermesianax aus Kolophon war ein jüngerer Freund des Phi-
letas.*) Seine Elegien umfassten 3 Bücher und galten zumeist dem Preis
seines Liebchens Leontion, enthielten aber auch andere erotische Erzäh-
lungen. Aus dem 3. Buch ist uns eine grosse Elegie bei Athen. 597 er-
halten, in welcher er die Dichter, welche vor ihm ihre Muse geliebten Frauen
und Mädchen geweiht hatten, in anmutigen Versen aufzählt. Auffällig sind
darin die vielen litterarischen Fabeleien, welche von da den Weg in die
Bücher der Grammatiker nahmen. So wird, um von Orpheus und seiner
aus dem Hades zurückgeholten Geliebten Agriope zu schweigen, dem Ana-
kreon ein Liebesverhältnis zur Sappho angedichtet und aus dem Buchtitel
'H<Hai eine Geliebte Eoie des Hesiod herausgelesen.
348. Phanokles, dessen Zeit sich nicht näher bestimmen lässt,
dichtete einen Elegienkranz, "Egwieg fj xaXoi betitelt, in welchem er dem
Geschmack seiner Zeit folgend, die Liebe zu schönen Knaben an Beispielen
aus der Götter- und Heroenwelt besang. Die einzelnen Abschnitte des-
selben waren ähnlich wie bei Hesiod in den Eöen durch die Formel rj (og
miteinander verknüpft. Eine Elegie von der Liebe des Orpheus zum jugend-
lichen Ealais und der Ermordung des thrakischen Sängers durch die eifer-
süchtigen Frauen ist uns durch Stobaios Floril. 64 erhalten.
349. Kallimachos (um 310— um 240),*) der gefeierteste unter den
griechischen Elegikern, stammte aus der dorischen Kolonie Kyrene. Sein
Geschlecht führte er auf Battos, den Gründer von Kyrene, zurück; sein
Grossvater hatte in der Vaterstadt das Amt eines Strategen bekleidet.*)
Nachdem er in Athen zusammen mit Aratos seine Studien gemacht hatte, ^)
begann er zu Alexandria, in der Vorstadt Eleusis seine Lehrthätigkeit als
Grammatiker. Von Ptolemaios Philadelphos an den Hof und zu den Ar-
beiten der Bibliothek herangezogen,^) wusste er sich auch noch bei dessen
^) Hennesianaz bei Ath. 598 f.
') Schol. Nicandri Ther. 8: o'EQfÄrjaidva^
OPtOf q>iXog tfp ^iXijrq xai yyw^ifÄOS rjv *
tovTtp ii xd IlBQCixd yiyQanxtth xai xd eig
Abovx^w xfjy iQto/jieyrjy. Aber in der Elegie
bei Aih. 498 f. ist PhUetas schon als tot ge-
dacht. GouAT, La po^sie Alex. 35 n. 57 Iftsst
Philetas zwischen 340 u. 836, Hermesianax
zwischen 380 u. 826 geboren sein.
') Eine Vita bei Snidas, wonach er unter
Ptolemaios Philadelphos blühte und bis in
die Zeit des Ptolemaios Euergetes hinein
lebte. Ueber die Lebenszeit Ritschl, Opusc.
I 72 und Keil ebenda p. 234—6, der Ol. 121
und 139 als wahrscheinlichste Grenzen des
Lebens unseres Kallimachos angibt. Sichere
Anhaltspunkte fttr die Lebenszeit bilden die
erhaltenen Hymnen des Dichters, worüber
unten. Für das Verhältnis zu Zenodot wichtig
der Artikel des Suidas über Aristophanes
Byz.: fXa&Tjrijg KaXXifiäxov xai Zrjyodoxov,
dXXd xoif fjiiy (seil. KaXXifuixov) yeos, xov
de naig fjxovaey, wonach Kallimachos jünger
als Zenodot gewesen sein muss.
^) Suidas: KaXXifAtt/os vlog Bdxxov xai
MBodxfxaq (Msyaxlfiaq corr. Hemsterhnsius) ;
Procl. ehrest. 240, 22 W.: KaAAt>a/of 6
Bdxxov. Das Strategenamt des Grossvaters
deutet der Dichter selbst, Anth. VII 525, an.
Strabon p. 837: Xiyexai dh ij Kvgi^yti xxiafia
Bdxxov, ngoyoyoy <W xovxoy iavxov (pdaxei
KaXXifAaxog. Von sich selbst sagt Kalli-
machos Anth. VII 415: bv fiiy doidrjy Bidoxog,
iy <f' oXytü xittQia ffvyyeXdaat.
») RoHDB, Gr. Roman 99f . Vgl. 529 Anm. 5.
«) Gellius N. A. 17, 21: neque diu post
{initium belli Puniei primi 264) CiUlimachua,
poeta Cyrenensis, Alexandriae apud Calli-
504
Orieohisohe Litteratargesohiobte. II. Naohklawiisohe Litteratnr.
Nachfolger, Ptolemaios Euergetes, in Gunst zu erhalten. Mit ausgedehnter
Gelehrsamkeit verband er poetische Neigung: abhold der weitschichtigen
Dichtungsart des Apollonios,*) wandte er sich der Pflege des witzigen
Epigramms und der erotischen Elegie mit Vorliebe zu. Hinterlassen hatte
er über 800 Bücher, von denen uns Suidas ein nicht ganz vollständiges
Verzeichnis gegeben hat.*)
850. Schriften in Prosa. Von den gelehrten Arbeiten in Prosa
waren am bedeutendsten die IKvaxeg %wv er ndarj naideii;^ StaXafupdfrmv
xai (av cvvsyqa^pav in 120 B., ^) von denen der lliva^ %wv xaxd
XQOVOvg xcei an' dqxrjg yevopLbvwv didaaxdXbnv (sc TQayoiSißv^ xfofifoSimv,
SiO^vgdfißcov) nur ein Teil war. Es enthielt jenes grossartig angelegte
Werk ein Repertorium der hervorragenden Vertreter der einzelnen Lit-
teraturgattungen mit genauer Angabe ihrer Werke nach Titel, Zeilenzahl,
Abfassungszeit.^) Dasselbe hatte 5 Abteilungen, von denen die erste die
Dichter, die zweite die Gesetze, die dritte die Historiker, die vierte die
Redner, die fünfte das übrige unter dem Gesamttitel TtavTodand umfasste.
Mit ihm ist Kallimachos Schöpfer der Litteraturgeschichte geworden. —
Rein grammatischer Natur waren die Sammlungen von Glossen oder lokalen
Ausdrücken,^) mit denen unser Autor den Anstoss zu den zahlreichen
Arbeiten über Glossographie und Lexikographie gab. — Zu der bei den
Alexandrinern so beliebten Litteratur der Denkwürdigkeiten gehörten die
"^Ynofirrifiara «) in denen von Wundererscheinungen und Merkwürdigkeiten
in Geschichte, Kunst, Geographie, Mythologie gehandelt war. 7) Ausserdem
hören wir von einem Buche über Wettkämpfe (neql dydvwv)^) und einer
an seinen ehemaligen Lehrer gerichteten Schrift nqoq JlQa^iffdvri.
tnachum regem celehratus est Ob er auch
BiblioÜiekar war und als solcher zwischen
Zenodot und Eratosthenes der Bibliothek
vorstand, ist strittig. Im scholium Plautinum
(RiTSCHL, Opusc. I 125) wird er ausdrücklich
als Bibliothekar aufgeführt: CalUmctchua
aulicus regius bibliothecarius; aber Tzetzes
(Proleg. in Aristoph. bei Ritschl, Opusc. I
206) erwähnt nur die pinakographische Mit-
arbeit des Kallimachos. Siehe über diese
Kontroverse Süsbmihl, AI. Lit I 385; Wbin-
BEROBB, Kallimacheische Studien, Wien 1895
S. 4f.
^) Von Kallimachos stammt das ge-
flügelte Wort: /ji^ya ßißXioy fxeya xaxoy.
Vgl. fr. 165: /uj/iT an* i/iev diq>dts fiiytt
%l>o(p4ovaav aoidijy.
') Schneider, Callim. 11 19 ff.; Batjb, De
Suid. biogr., Jahrb. für Phil. Suppl. XI 462 ff.
») Statt Qx wollte Hbokbr Phil. V 433
»«f = 24 schreiben.
*) Wachsmuth, Die pinakographische
Thatigkeit des Callimachus, Phil. 16, 653 ff.;
Daub a. 0. 420 f. Unterrichtend ist das
Fragment bei Ath. 244 a: KaXXLfxaxoq iv lif
t(6y navtoSanviv nlyaxt ygafpotr ovtwg '
detnya oaoi fy^aij/ay ' XaiQBtfioy Kvqrjßmvi^
€i&* i^ijs ttjy aQxi^y ün^9t]X6 „ineidij fxoi
noXXdxig in^ffretXttc^' arixtoy roe, Vei^l. R,
VoLKMAiTN, Comm. phil. Bonn. p. 717 ff.
^) Der Gesami^tel war 'Ei^yixal owofia-'
oittt, Abteilungen davon negl äyefitoy, ijf-
S-vwy, oQyitoy, firjytJy TiQoarjyogiai xar* $9yog
xttl noXeif,
^) Die vnofAyrifiaxa des Zenodot (nicht
des Ephesiers) waren davon eine Epitome;
s. Schneider, Callim. II 854.
') Spezialtitel waren Kticeig pijffmy xai
noXetay^ BagßaQ^xa yofiifiu, — Zu den yno-
uyrjfÄitTtt stand wohl audh in Beziehung das
Verzeichnis der sieben Weltwunder {inra
^safiam) als dawaren Zeustempel in Olympia,
rhodischer Koloss, hängende Gärten der
Semiramis, Babylonische Mauer, Pyramiden,
Mausoleum, Tempel der Ephedschen Diana
oder Altar des Apollo in Delos. Denn wenn
wir von diesen Weltwundem auch erst aus
späterer Zeit Kenntois haben, so scheint
doch die erste Erwähnung derselben auf
unsere Zeit zurückzugehen; s. H. Schott,
De Septem spectaculis, Ansbach 1891.
^) Das Buch negl dytaytay benutzte in
Hadrians Zeit Oinomaos, woraus Reste in
Euseb. praep. ev. Y 34. Vgl. Lübbbrt, De
Pindari poetae et Hieronis regis amicitia
p. XV sqq. Vielleicht indes bildeten, wie
A. AlexaadrinMohes Zeitalter. 2. Die Poesie.
( 350—351.)
505
361. Poetische Werke. In den gelehrten, umfangreichen Prosa-
werken beruhte die eigentliche Bedeutung und der nachhaltige Einfluss
des Kallimachos, aber den Olanz des Namens verdankte er seinen dichte-
rischen Schöpfungen, wiewohl ihm die Innigkeit des Gefühls und der
Schwung der Begeisterung, die doch zumeist den Dichter machen, ebenso wie
seinen anderen Zeitgenossen abgingen. Unter seinen Dichtungen nahmen
die Elegien die erste Stelle ein, so dass Quintilian X 58 ihn geradezu
elegiae principem nennt. Die meisten derselben standen zusammen in den
Jhia. Im Eingang dieses aus 4 B. bestehenden Werkes erzählte der
Dichter, wie er von Kyrene nach dem Helikon getragen und dort von den
Musen in die Geheimnisse der Mythenwelt eingeweiht worden sei.^) Den
Namen hatte dasselbe davon, dass es der Dichter bei jeder Erzählung
darauf absah, den Grund des Vorfalls oder des an die Mythe geknüpften
Gebrauches anzugeben.') Die Aitia begründeten den Ruhm des Ealli-
machos als Elegiker^ enthielten aber zugleich so viele dunkle, erklärungs-
bedürftige Stellen, dass sie Clemens Alex, ström. Y p. 244 einen Übungs-
platz (yvinväaiov) der Grammatiker nannte.'*) — Von anderen gelegentlich
gedichteten Elegien war am berühmtesten das Haar der Berenike, ge-
dichtet 246 zu Ehren der Königin Berenike, die beim Feldzuge ihres jungen
Gemahles Ptolemaios Euergetes gegen Syrien ihr Haar der Göttin Aphro-
dite geweiht hatte; die Versetzung der Locke unter die Sterne führt uns
in den Gedankenkreis der Phainomena des Arat. Erhalten ist uns diese
Elegie bekanntlich durch die klassische Übersetzung des Catull n. 66.
Andere Gelegenheitselegien der Art waren die Hochzeit der Arsinoe, der
Preis des Sosibios u. a.
Vielgefeiert war neben den Elegien des Kallimachos sein Epyllion
Hekale, ein idyllisches Gedicht voll rührender Treuherzigkeit von der
gutmütigen Alten Hekale, welche den Theseus, als er zur Bezwingung des
Stieres nach Marathon kam, gastlich in ihre Hütte aufnahm.*) Striche des
liebreizenden Gedichtes hat Ovid in seine hübsche Erzählung von Phi-
lemon und Baucis (Met. 8, 610 ff.) übertragen. Neuerdings sind mehrere
Verse dieses berühmten Gedichtes auf einer Holztafel der Papyrus-Sammlung
Erzherzogs Rainer gefunden und anlässlich der Philologenversammlung
in Wien 1893 von Gomperz herausgegeben worden.^)
Schneider annahm, die Erzählungen von den
Wetikftmpfen und ihrer Erfindung einen Teil
der Airifie.
^) Daher nennt sie Properz III 33, 30 :
inflati somnia CaUimachi.
^) Nach Schneiders zweifelhafter Ver-
mutung handelte das 1. Buch der Aitia von
den Wettkftmpfen, das 2. von den Städte-
grOndungen im Anschluss an die Argonauten-
sage, das 3. von den Erfindungen, das 4.
von den Opfern. Dagegen Einwendungen
von RoHDE, Gr. Rom. 86. Ueher einzelne
Elegien der Aitia: Diltbey, De Callimachi
Cydippa, Lips. 1863; Enaack, Analecta Ale-
xandnna, Greifsw. 1880, und Gallimachea,
Stettin Progr. 1887; CaUimachi Aetiorum
lih. I rekonstruiert von Euo. Dietrich Jahrh.
f. Phil. Suppl. 23 (1896) 167—219.
') Ueber die Kommentare des Theon
und Epaphroditos s. Schnbidbr, Callim. II 37.
*) Das Gedicht ist als togevroy inog ge-
priesen in dem Epigramm Anth. IX 545.
^) GoMPRRz, Aus der Hekale des Kaüi-
machos, Wien 1893, Separatabdruck aus dem
6. Band der Mitteilungen aus der Sammlung
Papyr. Erzherz. Rainer. Erläuterungen dazu
von Weinberoeb, Kallimacheische Studien,
Wien 1895 S. 6 ff.; Wilamowitz, üeber die
Hekale des Kallimachos, Nachr. d. Gott. Ges.
1893 Nr. 19. — Alte Sammlung der Frag-
mente der Hekale von NIke Rh. M. H 509 ff.
= Opusc. II.
i()6
Oriaohisohe LitteratargeBohiohU. n. Naohklaasisohe Litteratar.
Durch die Nachahmung des Ovid bekannt ist das satirische Gedicht
Ibis in Distichen, worin der Autor in dunklen Anspielungen seinen Rivalen
Apollonios verspottete. 0 Beide standen sich gegenseitig an dem Hofe des
Ptolemaios im Wege und gaben durch geringschätzige Herabsetzung der
Werke des andern der Zunft der Gelehrten das böse Beispiel giftiger Be-
fehdung. Kallimachos sprach unverhohlen sein Missfallen über den breiten
Strom der Argonautika des Apollonios aus.') Darauf antwortete Apollonios
mit dem bissigen, als Buchaufschrift gedachten Epigramm (Anth. XI 275) :
KaXh(id%ov t6 xa&aQfia, %d na/yviov, 6 ^vXivog vovg'
cuTiog 6 yqdipaq Alxia KaX)JpLa%oq,
Die Replik dagegen gab Kallimachos mit der Ibis, in welcher er den Ri-
valen mit dem unreinen, in seinem eigenen Unrat wühlenden Tier auf eine
Stufe stellte.
Ausserdem dichtete unser Autor lamben und Lieder {tdfißovg xai fis'Xrj),
Die letzteren waren durch die Eleganz und Mannigfaltigkeit ihrer Form
berühmt; zu ihnen gehörten wohl auch die Galliamben, die der begeisterte
Verehrer des Kallimachos, CatuU n. 63 ins Lateinische übertrug. >) Suidas
zählt auch noch Satyrdramen, Tragödien und Komödien unter den Werken
des Kallimachos auf; aber das ist wahrscheinlich ein Irrtum; wenigstens
weiss von ihnen das ganze übrige Altertum nichts.
362. Vollständig erhalten sind uns von Kallimachos 6 Hymnen
und 63 Epigramme. Die Letzteren, welche durch die Anthologie
auf uns gekommen sind, enthalten teils Aufschriften für wirkliche oder
fingierte Grabdenkmale*) und Weihgeschenke, teils Titel und Inhalts-
anzeigen von Büchern, teils kurze Ergüsse der Liebe, Trauer, Eifer-
sucht; sie atmen nicht die sentimentale Weichheit der Epigramme des
Asklepiades und Poseidonios, zeichnen sich aber vor ihnen durch Witz und
geistreiches Wortspiel aus. — Die Erhaltung der Hymnen verdanken wir
einem Grammatiker des beginnenden Mittelalters, welcher die homerischen
und orphischen Hymnen mit denen unseres Dichters zu einem Sammel-
bande vereinigte. Von denselben sind fünf in der typischen Form des
Hexameters gedichtet, einer, der fünfte, in Distichen, was mit dessen In-
halt zusammenhängt. Denn dieser 5. Hymnus auf das Bad der Pallas und
die Blendung des Teiresias, der mit sterblichem Auge die Göttin im Bade
geschaut hatte, könnte, von der Einleitung abgesehen, ebensogut unter
den erotischen Elegien oder unter den Aitia stehen. Von den übrigen
gilt der 1. der Geburt des Zeus, der 2. dem apollinischen Feste der Kar-
M Ovid. Ibis 55: nunc quo Battiades
inimicum devovet Ibin, hoc ego devoveo teque
tuosque modo.
') Galliin. epigr. 28: iz^aigto td nolrjfia
To xvxhxoy etc.; hymn. in Apoll. II 106:
ovx aya/iai xoy aoi&ov oq ovd' daa novxoq
äsidei. Darauf geantwortet von Apollonios
Argon. IIT 932. üeber den Geschmacksstreit
beider Gebcke, Alezandrinische Stadien, Rh.
M. 44, 127 ff.
») WiLAMOWiTz Herrn. 14, 194 ff. üeber
Fabeln des Kallimachos in Choliamben siehe
Bbhgk Kl. Sehr. U 552 f. u. 560 f. Horaz Od.
I 3, 8 gibt zwei asklepiadeische Verse des
Kallim.ir. 114 wieder.
^) Darunter auch die Aufschrift f&r seiii
eigenes Grab ^
Batxiddeai na^d a^fitt <pig€i^ noda^ tv f^itt
aoidfjy
eiöoiogf ev d' ott^to xaiQia avyyclaiftu.
Das Epigramm 43 wurde nnlSngst in einem
Hans des Esquilin aofgefnnden, worUber
Eaibbl Herrn. 10, 1 ff.
A. Alexandrinisches Zeitalter. 2. Die Poeeie. (§ 352.)
507
neen in Kyrene, der 3. dem Preis der Artemis, der 4. der Verherrlichung
TOD Delos, der Qeburtsstätte der Letoiden, der 6. der Demeter und dem von
Ptolemaios Philadelphos gestifteten Korbfest, i) Durch die politischen und
litterarischen Anspielungen, welche die Hymnen nach dem Geschmack der
Zeit enthalten, ist es auch möglich, ihre Abfassungszeit und ihr Verhältnis
zu einander zu bestimmen.^) Der älteste derselben ist der auch an erster
Stelle stehende Hymnus auf Zeus, gedichtet um 280 : er hat die allseitige
Anerkennung des Zeus auf Erden, des Königs Ptolemaios Philadelphos
nnd die Anerkennung seiner Herrschaft von Seiten seiner Brüder zur
Voraussetzung.^) Der an zweiter Stelle stehende Hymnus auf Apoll, der
die Erzählung der Liebe des Gottes zur schönen Kyrene mit besonderem
Wohlgefallen ausfuhrt, ist der jüngste der Hymnen und steht mit der
Wiedervereinigung von Kyrene und Ägypten durch die Heirat der Bere-
nike, der Thronerbin von Kyrene, und des ägyptischen Königssohnes Pto-
lemaios Euergetes in Verbindung; er ist also erst nach deren Verlobung
(260), vielleicht erst nach der Thronbesteigung des Ptolemaios Euer-
getes (246) gedichtet.*) Von den übrigen Hymnen nehmen der dritte
nnd vierte auf den Einfall der Gallier in Griechenland (IV 173 flf.) und
Asien (IH 253) Bezug; dieselben sind also erst nach 278 gedichtet, und
zwar einige Jahre nach 278, da IV 185 schon die Vernichtung der von
Ptolemaios anfangs in Sold genommenen, dann gegen ihren neuen Herrn
revoltierenden Scharen des Brennus vorausgesetzt wird. Auf der anderen
Seite muss der vierte Hymnus vor der Niederlage der ägyptischen Flotte
bei Eos (266) gedichtes sein, da in ihm geradeso wie in dem Lobgedicht
des Theokrit auf Ptolemaios die Ägypter noch die volle Herrschaft über
die Inseln und Küsten des ägeischen Meeres behaupten.*) — Im Dialekt
fichliessen sich die 4 ersten Hymnen den homerischen Hymnen an; in den
beiden letzten gebrauchte Kallimachos, wie später sein Landsmann Syne-
8108, den dorischen Dialekt seiner Heimat Kyrene; durchweg aber trägt
er eine dunkle, glossenreiche Sprache und übel angebrachte Gelehrsamkeit
Zur Schau. Dazu stimmt der schwerfällige Versbau, indem die zahlreichen
') Dieses besagt ein altes Scholion ziun
1. Vers. CouAT, La po4sie Alex. 223 ff. denkt
liingegen, gestfttzt auf den dorischen Dialekt
^ Hjmnns, an eine Theorie zum karischen
Triopion. — Die Bestrafung des Erisichthon
dnreh nnersättlichen Hnnger ist nachgeahmt
▼OD Orid Metam. VII 738 ff.
*) CouAT, La po^sie Alex. p. 200; Gerckb
RL M. 42 (1887) 624 ff.; Sdsbmihl, AI. Lit. 1
359 ff.; Ebblich, De Gallimachi hymnis quae-
fltiones chronologicae, Breslau 1894, in Bresl.
Phflol. Abh. VII 3; Weikbbrgbb, EaUima-
cheische Stadien, Wien 1895 S. 13 ff. Ueber
£e Zeit Strack, Die FtolemAer S. 193
Amn. 12.
*) Die Bengong der Br&der angedeutet
ia V. 58 f., womit Jnstinus XVII 2, 9 zu-
nnunenzuhalten. Der Hymnus weiss auch
■och nichts von der Ehe des EOnigs mit
seiner Schwester.
*) Die letztere Meinung vertritt Stud-
NiZKA Herrn. 28, 14. Nähere Beziehung des
Hymnus auf die Eameen in Eyrene und
die Vereinigung der Herrscherhäuser von
Eyrene und Aegypten weist zurück Vahlek,
Ueber einige Anspielungen in den Hymnen
des CaUimachus, Stzb. d. pr. Ak. 1896 S. 797 ff.
Damit nimmt man meines Erachtens dem
Gedicht die feineren Pointen, welche bereits
die alten Scholiasten fanden.
*) Die Verwandtschaft der beiden Ge-
dichte zeigt sich besonders bei der Ver-
gleichung von Call. hymn. IV 166—70 und
Theoer. XVII 85-94; schwer aber ist zu
entscheiden, ob Theokrit fttr Eallimachos
oder umgekehrt Eallimachos für Theokrit das
Vorbild abgab, oder ob mit anderen Worten
die Geburtswehen der GOttin Leto in Dolos
nach denen der Eönigin-Mntter in Eos oder
umgekehrt geschildert sind.
508 Grieohisohe Littdratiirgesohiohte. 11. ITaohklMsiiohe Lütaratiir.
Ausgänge auf 2 Spondeen stark von den zierlichen und schlanken Versen
der Epigramme abstechen. In der Anordnung der Gedanken hat man
neuerdings die Siebengliederung des terpandrischen Nomos wiederfinden
wollen ; am ehesten ist dieselbe in dem 2. Hymnus, dem auf Apoll, durch-
führbar, i) Die ganze Hymnenpoesie des Eallimaehos aber isif aus dem
Bestreben der Ptolemäer, die alten Götterfeste wieder zu Ehren zu bringen
und mit erhöhtem Glänze zu feiern, hervorgegangen; sie lässt sich in
dieser Beziehung mit dem Carmen saeculare des Horaz vergleichen, das
ja auch durch eine ähnliche Strömung der Politik unter Kaiser Augustus
veranlasst ward. Auch darin war die Poesie des Eallimaehos Vorbild für
die römischen Dichter des augusteischen Zeitalters, dass er mit dem Preise
der Gottheit manchmal direkt, öfters versteckt die Verherrlichung seiner
königlichen Gönner zu verbinden liebte.
Scholien: im Altertum kommentierten Theon und Epaphroditos die Altia, Archi-
bios Apolloniu die Epigramme, Sallustius die Hekale nnd anderes; Nikanor adbiieli
Tie^i CTi.y/Ltfjg rrjq naga KaXXifÄäx(p. Marianos unter dem Kaiser Anastasios Terfaaste
eine Metaphrase der Hekale, Aitia, Hymnen and Epigramme in lamben (Snidas). Erhalten
sind uns dfirftige Scholien zu den Hymnen, worttber Rbiicbckb, De schoL Gallim. (Dias. HaL
IX), 1887.
Codices: Die Hymnen haben dieselbe handschriftliche Grundlage wie die homerischen,
worüber oben § 48; der von Aurispa 1423 aufgefundene, inzwischen verloren gegangene
Archetypus hatte schon viele LQcken und schwere Korruptelen. — Gesamtausgabe von
J. A. Ernbsti, LB. 1761, 2 vol. auf Grundlage der berOhmten Fragmentensammlung von
Bbntlbt; von O. Schnbiobk, GaUimachea, Lips. 1870 -3, 2 vol. — Kritische Ausgabe der
Hynmen von Mbinbkb, Berl. 1861; von Wilamowftz, Berl. 1882; Nigra, Inni di Caümaco
SU Diana et sni Lavacri di Pallade, Turin 1892, mit neuen handschriftlichen Hilfemittebi.
Schfiler des Kallimachos im grammatisch-historischen Fach waren Herrn ippos der
Kaliimacheer, von dem unter § 432 gehandelt ist, und Philostephanos aus Kyrene,
aus dessen zahlreichen Schriften negl noXsioy, neQi rtoy iy */49l<f y^omr etc. die Fragmente
gesammelt sind von MOllbr FHG HI 28—34,
353. Alexander, Sohn des Satyros,') Aetolus') zubenannt nach
seiner Heimat Pleuren in Aetolien,^) blühte um 280 gleichzeitig mit
Kallimachos und Theokrit, und teilte mit jenen die Vielseitigkeit der
Studien. In der alexandrinischen Bibliothek besorgte er die Ordnung
der Tragödien und Satyrdramen; als selbständiger Dichter von Tragödien
hatte er die Ehre, dem alexandrinischen Siebengestirn zugezählt zu
werden. Eines seiner Dramen hatte den Titel 'A<TTQaYaXi<Tvai\ der an
die häufige Darstellung würfelspielender Heroen auf Vasenbildem er-
innert; es behandelte die Jugendgeschichte des Patroklos. Auf uns ge-
kommen sind Abrisse der Elegien 'Anollwi^^) und Movaat, In der ersten
erzählt er in gesuchter Sprache die Geschichte von der verbrecherischen
Liebe der Gattin des Neliden Phobios, welche den keuschen Antheus in
einen Brunnenschacht hinabstürzt.^) Wie die anderen alexandrinischen
M Kasbbibr, Programm von Brandenburg AI. 215 ff.; Fragmentensammlnng von Capkll-
a,/H. 187.S; Lübbert. De Pindari stndiis makit, Bonn 1830.
Terpandreis, Bonn 1887; Crusius, Wochen- ^) Der Zuname ist gegeben zur Unter-
schrift f. Phil. 1885 N. 41, Vhdl. d. 39. Vers. Scheidung von Alezander Ephesins
d. Phil. S. 262 ff.; Stbinwbg, Kallimachos u. *) Die Abrisse sind uns erhalten in
die Nomosfrage, Jahrb. f&r kl. Phil. 1897 Parthenins Erot 14.
S. 270 ff. *) Aus einem didaktischen Gedichte
*) Danach scheint er selbst bei Theo- Aber Planeten und Sterne stehen mehreare
krit VIl 72 unter dem fingierten Namen ver- Hexameter bei Theon Smyraaeus p. 139 ff.
standen zu sein. ed. Hill.
' Meinkkb, Alexander Aetolus, in An.
A. AlezAndrinuiohes Zeitalter, d. Die Poesie.
t 35^^356.)
509
Dichter, so suchte auch er eine Kunst im Gebrauch verschiedenster Metra.
Dass er dabei kein rechtes Verständnis vom Wesen der metrischen Form
hatte, beweisen die anapästischen Tetrameter, mit denen er eine im übrigen
treffiche Charakteristik des Euripides gab (Gellius N. A. XV 20).
354. Parthenios aus Nikäa,i) der jüngste Elegiker unserer Periode,
spielte eine nicht unwichtige Rolle als Vermittler der alexandrinischen und
römischen Poesie. Im mithridatischen Krieg kam er als Kriegsgefangener
nach Rom (73 v. Chr.); später treffen wir ihn in Neapel, wo Vergil sich
seines Unterrichtes erfreute. Suidas bezeichnet ihn als Verfasser von
Elegien und verschiedenen Dichtungen; besonders scheint er die weiche und
wehmütige Art der Trauerelegie geliebt zu haben: dem Andenken seiner
Gattin Arete widmete er ein elegisches Gedicht in 8 B.;^) auch auf die elegische
Dichterin Archelais, seinen Freund Bias und einen gewissen Auxithemis
dichtete er Trauerelegien (smxT^dHa); einem unbekannten Freund gab er
in einem poetischen Qeleitbrief {vfivog rtgoTTSjumixog) fromme Wünsche auf
die Reise mit. Ausserdem werden von ihm erwähnt die Elegien 'A(pQodiTrj,
//^ilog, KgivayoQag,^) und die Epyllien MerafioQfpciasigy "^HgaxXrjgf MvTTODTog,
Das letzte Gedicht ahmten von den Lateinern Sueius und Ps. Vergilius in
dem IdyU Moretum nach; nach einer seiner Metamorphosen ist auch das
vermeintliche Jugendepyllion Vergils, die Ciris, gedichtet. Erzählungen un-
glücklicher Liebe scheinen eine Spezialität von ihm gewesen zu sein; aus-
drücklich rühmt er sich, Erot. 11, die rührende Geschichte von Byblis und
Kaunos in Hexametern behandelt zu haben. Auf uns gekommen ist eine
Sammlung ^Eqwtixu na&ijfjiaza in Prosa, worin er für seinen Freund, den
römischen Elegiker Cornelius Gallus, zum praktischen Gebrauch eine Reihe
TOD FäUen unglücklicher Liebe aus verschiedenen Dichtern und Historikern
zusammenstellte.
Ausgabe des Parthenios in MyÜhographi graeci vol. II ed. Sakolowsei in Bibl. Teubn.
Eratosthenes', des grossen Greographeu gemütvoUe Elegie 'HQiyoytj wird unten zur
Sprache kommen; ebenso die Elegien des Epikers Euphorion.
355. Hymnen dichter. Ausser von Kallimachos sind uns noch
von anderen Hymnendichtem der alexandrinischen Periode Reste erhalten.
Zur Dichtung von Hymnen gaben zunächst die Götterfeste Anlass, die in
unserer Periode an den alten und neuen Sitzen des Hellenentums mit
gleichem Glanz wie in der klassischen Zeit gefeiert wurden. An die Feier
der Götter schlössen sich aber dann noch die Feste zur Verherrlichung
der Könige an, denen in jener Zeit schmeichlerischer Selbsterniedrigung
Reiche Ehren wie den Göttern erwiesen wurden.
Kastorion aus Soloi, dessen Blüte noch in das Ende des 4. Jahr-
hunderts fiel, hatte einen Namen als Dichter von Hymnen. Athenaios
^) Nach andern bei Snidas von Myrlea ;
T^ MxiNBKB, An. AI. 255 ff.; Eiessling in
Comment Mommsenianae p. 351 ff. In der
metrischen Inschrift eines Denkmals, das
ifam Kaiser Hadrian setzte (Eaibel epigr. gr.
1089), heisst er aato^ 'AnafAelag.
^) IMese Elegien auf seine Gattin Arete
müssen besonders berühmt gewesen sein,
da ihrer der Kaiser Hadrian auf der er-
wähnten Inschrift gedenkt.
*) Wahrscheinlich, wie Meineke ver-
mutet, der berühmte Epigrammatiker Krina-
goras, dem der gemütreiche Parthenios in
Freundschaft verbunden war.
10 OrieohisoHe Lüteratargesohichte. H. IfaohklMsisohe Litieratar.
p. 455 hat uns von ihm Bruchstücke eines Hymnus auf Pan erhalten,
dessen Trimeter so gebaut waren, dass mit jeder Dipodie ein Wort schloss:
ci tov ßoXatq viifoxrvnoiq dvaxcifieQOv
va{ov&' Siqav^ x^tjQOifove Jlav, %&6v 'ÄQxditov^
xkrj(f(o yQaipfj Tiji^ iv coifif^ ndyxXBix* Mnrj xrA.
Ausserdem stehen von ihm bei Athen. 542 e ein paar Verse aus einem
Preisgedicht auf Demetrius Poliorketes in jonischem Versmass, das bei
dem Aufenthalt jenes Königs in Athen (306 v. Chr.) im Festzug der
Dionysien gesungen wurde.
Hermokles aus Eyzikus gehörte der gleichen Zeit an; als Dichter
von Päanen auf Antigonus und Demetrius erhielt er in Athen den Preis
(Ath. 697*). Das ithyphallische Prozessionslied, mit dem die Athener den
von Eorkyra zurückkehrenden Demetrius (302) empfingen, hat uns Athen,
p. 253 erhalten ; der Dichter streut darin dem Befreier Athens mit voUen
Händen Weihrauch, indem er ihn der Sonne, seine Begleiter den Sternen
verglich.*) Im gleichen Metrum sind auch die 'lO^vtfaXXoi des wohl der
gleichen Zeit angehörenden Dichters Theokies bei Athen. 497^ verfasst.
Isyllos war ein dorischer Lokaldichter, von dem wir erst in neuester
Zeit durch die Ausgrabungen des Asklepiosheiligtums in Epidauros Kenntnis
erhalten haben. In Stein eingegraben fanden sich dort von Isyllos ein
hexametrisches Gedicht, worin er von seiner Qrossthat, der Anregung
eines Bittganges zu Ehren des Apollon und Asklepios, in holperigen Versen
und ungelenker Rede Kunde gibt, ein Päan auf die Heilgötter Apollon
und Asklepios in 78 frei gebauten lonikern, worin er in wesentlicher
Übereinstimmung mit Hesiod fr. 125 und Pindar P. IH die Geburt des
Asklepios von der thessalischen Königstochter Aigla oder Koronis erzählt,
endlich ein Dankgedicht in 23 Hexametern auf die Rettung Spartas und
des jungen Dichters selbst durch den Heilgott und Schirmer Asklepios.
Nach dem letzten Gedicht war Isyllos noch ein Knabe, als Philipp nach
dem Sieg bei Chäronea sich gegen Sparta wandte; seine Blüte setzt da-
nach Wilamowitz, der dem Dichter im 9. Hefte der Phil. Unt. eine ge-
lehrte Besprechung widmet, um die Zeit von 280.
Durch die Ausgrabungen des Schatzhauses der Athener in Delphi durch
die Franzosen sind uns neuerdings zwei in Stein gehauene Päane auf Apollo
bekannt geworden, der zweite fast vollständig. Dieselben preisen in
stereotyper Weise die Thaten des Gottes, der eine insbesondere den Kampf
des Apoll mit dem Drachen Python und die Hilfe des Gottes gegen den
Einbruch der Gallier, der andere überdies die Geburt des Gottes und seine
Ankunft im Lande der Demeter; zum Schluss rufen beide die Gnade des
Gottes auf Athen und das Volk der Pallas herab. Wie der Inhalt sieh
im Geleise der alten delphischen Preisgesänge hielt, so auch die metrische
Form. Das in fortlaufendem Rhythmus (numeris continuis) wiederkehrende
Hauptmetrum ist der Päan - v^ - mit häufiger Auflösung der Länge in
2 Kürzen; je 5 Füsse, manchmal auch 2, 3, 4, 6 sind zu einem auch
*) Danach Horaz sat. 1 7, 24: »olem Asiae Brutum appellat, stellasque salubres appeUat
camites.
A. Alexandrinisohes Zeitalter, d. Die Poeeie. (§ S56.)
511
äusserlich gekennzeichneten Vers vereinigt; gegen Ende gehen durch
Taktwechsel {fxeraßokf ^vi^fxov) die Kretiker in frei behandelte Glykoneen
über. Einen besonderen Wert erhält der neue Fund noch dadurch, dass
über dem Texte auch die Noten der Melodie stehen. Als Dichter des
ersten Päan wird Aristonoos genannt;^) der des zweiten scheint dem
athenischen Verein der Dionysoskünstler {texvhai ot nsgl Jidvvaov), die den
Päan tanzten und sangen, angehört zu haben. Offenbar waren beide gleich-
zeitig und lebten um 100 v. Chr. zur Zeit als bereits Griechenland Rom
unterthänig war. Denn im Schlussvers des zweiten Päan ruft der Chor die
Letoiden Apoll und Artemis an, dass sie mehren die blühende Herrschaft
der Römer (ßgxfiv av^sT" ay7iQdx(i} &dXkovaav <rvv inaiv((i).
Erste Ausgabe mit yoUständigem Kommentar von L. Weil und Th. Reinach in Bul-
letin de corresp. hellenique XYIl (1894) u. XYIII. Die ersten Bruchstücke neubearbeitet
und mit anderen musikalischen Texten zusammengestellt von Cbcsius, Die delphischen
Hymnen, Philol. 53 (1894) Suppl. Neueste Ausgabe von G. Jan, Musici scriptores graeci,
p. 432 ff.
Aehnlicher Art sind die Päane, welche unlftngst am Abhang der Akropolis in Athen
und in der ägyptischen Stadt Ptolemais gefunden wurden. Siehe CIA III 1 n. 171*^ u. 171^
und unten § 451. Bloss den Namen des priestierlichen Dichters, Gorgos, ohne seine Oden
hat uns ein Epigramm aus dem Heiligtum des klarischen Apoll aufbewahrt, Bull, de corr.
heU. X 514.
Eleanthes der Stoiker ist Verfasser eines mehr philosophischen als religiösen Hym-
nus auf Zeus den Allvater, dessen Erhaltung wir dem Stobaios ecl. I 2, 12 verdanken.
366. Das Epigramm. Die gelehrte und geistreiche Richtung der
Zeit kam hauptsächlich der Pflege des Epigramms zu gute und gab dem-
selben eine weit über seine ursprüngliche Stellung hinausgehende Bedeutung.
Das Epigramm sollte ursprünglich , wie der Name besagt, als Aufschrift
für ein Grabdenkmal,*) dann auch einen Tempel oder ein sonstiges Weih-
geschenk dienen, und diesem Zwecke entsprechen auch die meisten Epi-
granmie der klassischen Zeit, namentlich die des Hauptepigrammatikers
Simonides. In der alexandrinischen Periode aber wurde das Epigramm zur
beliebten Form für den kurzen Ausdruck eines Urteils über Dichter, Kunst-
werke, Künstler, zum Begleitschreiben für Geschenke und Liebesgaben,
zum witzigen und satyrischen Spiel der Gebildeten und Gelehrten, so dass
auch diejenigen, welche sonst auf den Ruhm eines Dichters keinen An-
spruch erhoben, ein Epigramm zu dichten sich erlaubten. Diese kleinen,
meist nur 1 bis 3 Distichen füllenden Gedichte^) vergleichen sich den
Gemmen oder geschnittenen Steinen,^) welche gleichfalls in der klassischen
Zeit gegenüber den öffentlichen Bauten und Denkmalen zurückgetreten
waren, nunmehr aber bei dem starken Hervortreten des privaten Lebens
und Luxus ein besonders gangbares Erzeugnis der Kunst und des Kunst-
gewerbes wurden. Der Zusammenhang der alexandrinischen Kunst und
der Blüte des Epigramms drückte sich auch äusserlich darin aus, dass auf
^} Auf einem anderen Stein des delphi-
schen Schatzhanses der Athener wurde ein
Ehrendekret zu Gunsten des athenischen
Dichters Kleochares gefunden, der fOr
KnahenchOre in Delphi ein Prosodion, einen
Päan und einen Hymnus gedichtet hatte; s.
Weil u. Rbikach in Bull, de corr. hell. XVII
p. 569.
2) Vgl. § 98; Lbssing, Zersta-eute An-
merkungen über das Epigramm, Bd. XI der
Ausg. von Lachmann-Muncker.
*; Eyprianos, Anth. IX 369 nennt das
schönste Epigramm das aus zwei Distichen
bestehende.
*) Vgl. Anth. IX 752.
512
Oriechiaohe Litteratnrgeaoliiohta. ü. Haohklftssisohe Litteratnr.
die Idealstatuen, die man damals den litterarischen Grössen der Vergangen-
heit zu setzen liebte, ganz gewöhnlich poetische Aufschriften oder Epi-
gramme gesetzt wurden.^) Die Feinheit des Urteils und der geistreiche
Witz erforderten auch eine besondere Feile der Form und des Verses;
durchweg sind die Hexameter des Epigramms mit mehr Grazie als die
des zeitgenössischen Epos gebaut. Über dem Geschick des Epigramms
waltete ein günstigerer Stern als über den übrigen Gattungen der alexan-
drinischen Poesie. Eben weil sie so klein waren und dadurch leicht in
ihrer Vereinzelung verloren gehen konnten, hat man frühe angefangen,
sie in Blumenlesen zusammenzufassen. Um 80 v. Chr. vereinigte so die
besten derselben der Eyniker und Epigrammatiker Meleager aus Gadara')
zu einem alphabetisch geordneten Kranz {cTt^avog)^ welcher ebenso wie
der im Beginne der römischen Kaiserzeit zusammengestellte Kranz des
Philippos Aufnahme in die uns erhaltene Anthologie des Konstantinos
Kephalas fand.
357. Wir zählen die hauptsächlichsten Epigrammatiker unserer
Epoche auf: 5)
Anyte aus Tegea blühte um 300;^) ihre Landsleute ehrten sie durch
Errichtung einer Statue, welche die Künstler Euthykrates und Kephisodotos
anfertigten.^) Sie heisst bei Stephanos Byz. fisXoTioioq und wird von Anti-
pater Anth. IX 26 als weiblicher Homer gepriesen; aber wir haben von
ihr weder Epen noch Lieder, sondern nur 22 Epigramme, meistens Auf-
schriften für Weihgeschenke, Quellen und heilige Orte, aUe von einer Fein-
heit des Gedankens und der Form, dass wir das hohe Ansehen der Dichterin
bei der Mit- und Nachwelt begreifen.
Andere Dichterinnen von Epigrammen aus jener älteren Zeit waren
Myro (oder Moiro) aus Byzanz, Mutter des Tragikers Homeros,«) Nossis
aus dem italischen Lokris, die sich der Sappho zur Seite zu stellen
erkühnte, 7) Hedyle aus Attika, deren Mutter, Moschine, gleichfalls Dich-
terin war.
1) Von eioem Epigramm auf der Sappho-
statue des Silanion spricht Cicero, Verr. IV
57, 126; vgl. Theoer. epigr. 16 u. 17, CIG
3555; Bbnndobf, De anthologiae graecae
epigrammatis quae ad artem spectant, Lipe.
1862.
*) lieber die Zeit des Meleager bemerkt
ein Scholion der Anthologie: rjxfiaCev ini
leXevxov tov ia/dtov, worüber Jacobs Anth.
t VI p. XXXVl sqq.
*) Catalogns poetaram epigrammatico-
mm Yon Jacobs in Anth. gr. tom. XlII; Hanbl,
De epigrammatis graeci histona, Bresl. 1852;
Enaack in Susemihl AI. Lit. H 517 ff.; Rei-
TZBNSTBiN, Epigramm und Skolion, ein Bei-
trag zur Geschichte der alex. Dichtung,
Giessen 189S; Wbisshäcpl, Die Grabgedichte
der griech. AnthoL, Abh. des arch.epigr. Sem.
Wien 1889.
*) Auf Ol. 120 führt die Lebenszeit der
beiden Künstler, welche nach Tatian adv.
Graecos 52 ihr Standbild fertigten; siche-
reren Anhaltspunkt böte das Epigramm Anth.
VII 492 auf die drei Jungfrauen von Milet,
welche beim Einfall der Gallier den freige-
wählten Tod starben, wenn nicht die Anvie
dieses Epigrammes als Mytilen&erin be-
zeichnet wfire. Von ihrer Stellung als Be-
gründerin einer peloponnesischen Dichter-
schule und ihrer Emwirknng auf den kölschen
Dichterkreis Rbitzbnstein, Epigr. 123 ff.
B) Tatian or. ad Graec. 38; die Nach-
richt als Schwindel ausgegeben von Kalk-
mann Rh. M. 42, 490.
') Von Moiro steht auch ein episches
Fragment von der Geburt des Zeus bei Ath.
491a; nach Parthenios c. 27 hatte sie anch
Elegien unter dem Titel *jQai gedichtet.
') Anth. VU 718. Ihre Zeit ist bestunmt
durch Erwähnung des KomödiendichterB
Rhinthon. Vgl. Reitzenstkin, Epigr. 1^7 ff.
A. AlexandriniBohea Zeitalter, d. Die Poesie. (§ 357.)
513
Simias (oder Simmias) aus Rhodos^) wird von Strabon p. 655 Gram-
matiker genannt,^) machte sich aber mehr als gewandter Versifikator und
geschmackvoller Dichter von Epigrammen bekannt. Suidas erwähnt von
ihm ausser einem Glossenwerk 4 Bücher gemischter Gedichte. Eine Ku-
riosität sind seine durch die Anthologie uns erhaltenen Spielereien, welche
die Form von einem Flügel, Ei oder Beil haben. 3) Epischer Natur war
sein Gedicht foQyoi, in dem Erzählungen aus dem epischen Sagenkreis vor-
kamen.*) Sein von Stephanos Byz. unter 'AfivxXai citiertes Gedicht Mrjvsg
war vielleicht das Vorbild für Ovids Fasten- Über seine Zeit gibt das
Zeugnis des Hephästion c. 9, das ihn als Vorgänger des Philiskos, eines
Dichters der tragischen Pleias, bezeichnet, beiläufigen Aufschluss. Auf den
Anfang der alexandrinischen Periode weist auch die Mannigfaltigkeit seiner
Metra hin, da sich schon von Kallimachos an die Dichter immer mehr auf
wenige Versmasse beschränkten.
Asklepiades aus Samos,*) von Theokrit 7,40 als sein Lehrer und
Meister gepriesen, läuft in Zartheit der Empfindung und Schönheit der
Form leicht allen Epigrammendichtem den Rang ab. Nur wenige seiner
Epigramme sind als wirkliche Aufschriften gedacht; andere gelten dem
Preise der von ihm verehrten Dichter Hesiod, Antimachos, Erinna; weit-
aus die meisten sind erotischer Natur und hauchen die ganze Weichheit
eines schmachtenden, verliebten Dichterherzens; sie gehören zu den
schönsten Blüten der Liebespoesie der Alten, zeugen aber auch zugleich
von der leichten Weise, mit der man damals die Liebe und das Leben
überhaupt nahm; die niedlichen Schilderungen des kleinen Gottes mit
Flügel und Pfeil gemahnen an die lieblichen Eroten von Tanagra und die
Wandgemälde Pompeji's.
Poseidipppos, durch den Beinamen o €7tiyQafXfiaToyQd(pog von dem
gleichnamigen Komiker Athens unterschieden, blühte um 270, gleich-
zeitig mit Asklepiades, mit dem er auch öfters in der Anspielung auf
die gleichen Hetären zusammentrifft. Der erotische Ton seiner Epigramme
erhält eine kräftigere Beimischung durch den Preis des Weins und der
Flasche.^) Geistreich ist die Gegenüberstellung der Freuden und Leiden
der verschiedenen Lebensstellungen (Anth. IX 359). Zu den Epigrammen
auf Dichter gesellen sich bei ihm solche auf berühmte Kunstwerke, wie
auf den Alexander und Kairos des Lysipp (Anth. IV 119. 275). 7) Auch ein
episches Gedicht 'Aamnia und Elegien werden von ihm erwähnt.
^) Daneben kommt ein Epigrammatiker
Simmiag Thebanos vor; wahrscheinlich aber
stammt der Zuname BtjßaTo^ aus Verwech-
Belang unseres Epigrammatikers mit dem
Sokratiker Simmias aus Theben, üeber
osseren Simias s. Steknbach, Meletemata
gweca, Wien 1886 p. 110 ff.
*} Zo seiner grammatischen Thätigkeit
Schart eine Sammlung von Glossen. Ueber
Min Epos ^AnoXXtoy s. DCntzer, Fragm. d.
ep. Poesie II 4 f.
'; Habkblin, Cannina figurata graeca,
Haim.1887.
*) Antii. Pal. Vll 647, Schol. Eur.
Haodbaeh der klMa. AltertomawlaHeiMcbAft. VII.
Andr. 14.
*) lixeXidcts wird er, wohl nach dem
Vater, genannt von Theokrit Yll 40 und von
Meleagros Anth. IV 1. 46. Ueber einen an-
deren Asklepiades s. Jacobs, Anth. t. XIII
p. 864.
') Zwei neue Epigramme des Posei-
dippos wurden aus einem Papyrus ans Licht
gezogen von Weil, worüber Blass Rh. M.
35, 90 ff.
^) Die Epigramme überhaupt bilden auf
solche Weise eine wichtige Quelle für Lit-
teratur- und Kunstgeschichte. Für das 84.
u. 35. Buch des Plinius hat dieses 0. Jahn, Be-
Aufl. 38
514 Grieohisohe Litteratnrgesoliiohtd. n. Haohklaasisohe Litterator.
Leonidas von Tarent*) aus der gleichen Zeit*) ward, selbst ein
armer, heimatloser Schlucker (Anth. VI 300, VII 736), der Dichter der
kleinen armen Leute, indem er, wenn auch nur im Scherz, nicht auf
Bestellung») für Maurer, Weberinnen, Jäger, Flötenspielerinnen, wenn
sie am Lebensabend ihr Werkzeug an einen Baum der Oottheit auf-
hingen, Epigramme als Weihinschriften dichtete, auch in Versen polizei-
liche Anordnungen zur Warnung schrieb, damit nicht mutwillige Jungen
mit Steinen die Früchte herunterschlügen, oder die Mäuse seinen ann-
seligen Brotkorb zernagten.^) Da sich der Dichter fast durchweg^) in der
Sphäre des niedrigen Lebens bewegte, so findet sich bei ihm eine Unmasse
gemeiner, sonst nicht vorkommender Wörter; staunenswert ist dabei nur,
wie leicht die neuen Wörter der formgewandte Dichter in den Vers zu
bringen wusste.
Ausserdem nahm Meleager, wie er selbst in dem geschmackvollen
Proömium seiner Epigrammensammlung angibt, noch von ein paar Dutzend
anderen Dichtem Blumen in seinen Kranz auf. Darunter waren ausser
Theokrit, Kallimachos, Rhianos, Euphorien noch folgende, sonst nicht näher
bekannte Epigrammatiker: Demodokos aus Leros, der vor Aristoteles
lebte nach dem Zeugnis des Philosophen in Eth. Nie. VII 9, Antagoras
aus Rhodos, der sich längere Zeit an dem Hofe des Antigonos Gk>natas
aufhielt,^) Hedylos, Sohn der Hedyle unter Ptolemaios Philadelphos,
Phalaikos, von dem der Hendekasyllabus den Namen phaläkisches Metrum
erhielt,^) Dioskorides, jüngerer Zeitgenosse des Komödiendichters Machon
in Alexandria, ^) Nikias, Arzt und Freund des Theokrit, Mnasalkas und
dessen Rivale Theodoridas, Zeitgenossen des Dichters Euphorien, Al-
kaios von Messenien, Epigrammatiker und Epikureer aus der Zeit des
Königs Philippos III,^) Diotimos von Adramyttion und Phaidimos aus
Bisanthe, von denen auch Epyllien über die Thaten des Herakles existierten,^^)
Archimelos, Hofdichter des Königs Hieron H von Syrakus, Antipater
richte d. sächs. Ges. d. Wi». 1850 S. 118 bis Gelage waren, nicht am als Zettel wirklicher
125, und Bbnndorf, De anth. gr. epigram- Anathemata zu dienen, wendet mit Recht
matis qoae ad artem spectant, Lipe. 1862 ' gegen meine frOhere Darstellung ein Bumor-
nachgewiesen. Dass auch bei Cicero de inv. stbih, Epigr. 144 ff.
11 1, 1 Aber Zeuzis* Helena nnter den mulH ') Dieses Epigramm, Anth. IX 79, weist
poetae Epigrammatiker zn verstehen seien, indes Sta^dtmüllbr Jahrb. f. Phil. 89 (1889
bemerkt Urlicbs, Ueber griech. Kunstschrift- 767 seinem Namensvetter Leonidas Alezan
steiler S. 46. : drinos aus der Zeit Neros zu.
') Job. Gbffckbn, Leonidas von Tarent, . ') Wir haben jedoch von ihm audi einige
Text und Erläuterungen, in Jahrb. f. Philol. h&bsche Epigramme auf Dichter und Kunst-
Snppl. XXI II, 1896. Verschieden von dem werke.
Epigrammatiker ist Julius Leonidas Alexan- ; *) Antagoras hatte auch ein Epos The-
drinus aus Neros Zeit, von dem ein Fragment bais gedichtet.
in Schol. Apoll. Argon. II 127 (Anth. VI 130, ') Phahukos war wahrscheinlich Zeit-
von Geffcken fOr unecht erklirt, VI 384). genösse des Hedylos; s.£jrAACK in Susemihls
*) Die Zeit wird bestimmt durch An- j AI Lit II 523 Anm. 28.
spielungen auf Pyrrhus und ein Epigramm | ') Anth. VII 708.
auf Arat in Anth. IX 25. Auf etwas ältere > *) Porphyrioe in Euseb. praep. ev. X 3,
Zeit könnte ein Epigramm Anth. V 205 hin- . 23 nennt ihn roy rcvr XottfoQmy iafAßotr xai
weisen, wo die Töchter des Antigenides, des ' hfiygafif^artor Ttottji^y.
berühmten Flötenbläsers, ihre musikalischen ! '^) VgL Wilahowitz, Euripides Herakles
Instrumente den Musen weihen. ' I 310.
') Dass die Epigramme nur rtaiyvia Ar J
A. AlezAndriBisohM Zeitalter. 2. Die Poesie. (§ 357.) 515
aus Sidon, den Cicero de orat. ÜI 50 als poetischen Improvisator preist
nnd der eine Reihe poetischer Grab- und Weihepigramme im Stile des
Leonidas verfasst hat, Archelaos aus dem ägyptischen Chersones, der
Epigramme auf Wundererscheinungen für Ptolemaios Philadelphos schrieb ;
femer Nikainetos aus Samos, Hermodoros aus Syrien, Simonides
aus Magnesia. Meleagros, der Ordner des Kranzes, von dem Athenaios
auch die parodischen Gedichte Svfinoaiov, Aexix^ov xai <paxrjg avyxQiaig,
Xofireg anführt, spendete selbst zu seiner Anthologie an 130 hübsche
Epigramme, meist erotischen Inhaltes; besonderer Anerkennung erfreute
sich in alter und neuer Zeit sein Frühlingsgedicht in 24 Hexametern
(Anth. IX 863).«)
Auf ein Denkmal der pergamenischen Geschichte beziehen sich die
19 Epigramme des 3. Buches der Anthologia Palatina. Dieselben gehörten
zu den Reliefen im Tempel der ApoUonis, der Mutter des Attalos I und
Eumenes II zu Kyzikus,^) welche alle, wie die beigegebene Beschreibung
in Prosa noch deutlicher ausspricht, Beispiele aufopferungsvoUer Mutter-
liebe darstellten, darunter auch schon eine römische Legende, die Befrei-
ung der Servilia von den Misshandlungen des Amulius durch Remus und
Romains.
Die Anthologia Palatina, nach der Bibl. Palatina in Heidelberg benannt, rührt von
Konstantinos Kephalas her, der im J. 917 Protopapas des kaiserlichen Palastes war (Ebcm-
BicHBB Byz. litt* 729). Als seine Quellen giht er selbst die Sammlungen des Meleagros, Phi-
lippos, Agathias an, deren Proömien er im 4. Buche mitteilt; doch gehen auf diese nur
die Bftcher 4 — 7 und 9—11 zurück. Der Inhalt der ganzen, aus 15 B. bestehenden Antho-
logie ist folgender: 1. B. X^iatiaya iitiyQ., 2. B. X^iüxodtuQov noirjtov Stjßaiov (5. Jahrh.)
htpgttcii Tcür dyaXftdtur itay elg x6 ^/noaiov yvfAvdaioy tov inixaXovfieyov Zev^innoVy
3. B. iniyg. iy Kv^Mm sie toy rdoy 'AnoXkvtyido^ xrjg fiijTgos ^AxrdXov *ai Evfieyovg,
i. B. Xtt jtQOoifua xtSy duttpoQioy dy&oXoyiwy, MeXedygov, ^iXinnov, 'Aya9iov, 5. B. iniyQ,
i^ucd, 6. B. ifnyQ. dya^/naxixdy 7. B. hiiyQ, imxvfAßM, 8. B. iniyQ. rQijyogiov xov »so-
^yop, nrsprOnglidi als Ei^nzung des 7. B. gedacht, 9. B. imy^. inideixxixdy 10. B. intyp.
nQOXQBnxixd, 11. B. driiyo. avfinoxuid xal exwnxixd, 12. B. ItQdxwyog xov lagdtayov fiovca
ffffidbri;/, 13. B. iniyQ. öMgtoQoty ^crpoir, die im 3. Jahrh. y. Chr. von einem unbekannten
Grammatiker zusammengestellt waren, 14. B. dQi&fiTjnxdy alylyfutra, ygicpoi, 15. B. avfA-
tuxxtt. Diese Anthologie ist uns erhalten in dem Cod. Palat. 23 s. XI, der am Schluss
Boch die Anacreontea enthfllt und ehedem nach einem alten Inhaltsverzeichnis auch noch
deo Nonnos umfasste. Der Cod. gelangte 1623 durch Schenkung nach Rom, von wo er
1797, in zwei Teile auseinandergenommen, nach Paris kam. Nach dem Pariser Frieden
kam der vordere Teil (B. 1 — 12) wieder nach Heidelberg zurück, der zweite verblieb in
Paris, nur ein photographisches Faksimile findet sich jetzt auch in Heidelberg. Bekannt
vnrde der Cod. zuerst durch Salmasius, der ihn 1607 in Heidelberg abschrieb; eine
pboioty^sche Ausgabe desselben wird vorbereitet in der Leidener Sammlung, Codices Graeci
et Latini von Sijthoff. Ueber die verschiedenen Hände des Codex, dessen Text Lemmata
beigefügt sind und der von einem Korrektor, zumeist nach dem Exemplar des Michael
Chartophylax durchkonigiert ist, s. Stadtmüllbr in praef. 1. 1 p. VI.
Eine zweite kürzere und übersichtlicher geordnete Sammlung ist uns erhalten in der
Aothologia Planudea in 7 B., wovon das Autographon des Planndes, eines Mönches
des 14. Jahrh., uns in dem Cod. Marcianus 481 erhalten ist Dazu ein Nachtrag mit ero-
tischen Gedichten, welche Planudes ausgelassen hatte, als Anthologiae Planudeae Appendix
Barberino-Vaticana verüffentlicht von Stbbnbacr Lipo. 1890. Die Anth. Plan, ist auch nach
') Von Antipater aus Sidon, der um 100
^•€br. lebte, ist der jüngere Antipater aus
Tli^salonike zu unterscheiden; s. Susemihl
ALLitnSölff.
') DiLTHET, De e]^gr. syll. p. 10 spricht
^ Gedicht dem Meleager ab.
') Radivobr. Zu den Eyzikenischen Epi-
grammen der Palatinischen Anthologie in
Philol bist. Beiträgen zu Ehren Wachsmuths
1897, verweist die Epigramme wegen der
schlechten Form in naclLheUenistische Zeit
516 Grieohisohe LüteratnrgMchiohte. II. Haohklaflsisohe Litteratiir.
dem Bekanntwerden der Anth. Palat. noch nicht wertlos» da aie nicht bloss an vielen Stellen
bessere Lesarten hat, sondern auch mehrere Epigramme enthält, die dort fehlen.
Ausserdem drittens sind noch mehrere kleinere Sammlungen auf uns gekommen;
die Sylloge Euphemiana, benannt nach Euphemos, dem sie gewidmet ist, in cod.
Paris. 2720 u. Florent. 57, 29 und die Sylloge Parisina in codd. Paris. 1630 u. suppL 352,
worflber Dilthbt, De epigrammatnm syUogis quibusdam minoribus, GOtt. 1887; StadtkOllbb
in Ausg. der Anthol. t. I nraef. XIII. Vgl. Artikel Anthologia von Rbitzsnstbih bei Wiasowa.
Ausgaben der AnUi. PUn. ed. princ. 1494; von Bosch, Utrecht 1795—1822, 5 voll,
mit den meisterhaften lateinischen Uebersetzungen von H. Gbotius. — Ausgaben der Anth.
Palatina: Anihologia veterum poetarum graecorum ed. Bbunck, neugeordnet nach Dichtern,
Argent 1776. — Anth. graec. ex rec. Brunckü, indices et comment. adi. Fb. Jacobs, Ups.
1794-— 1814, 13 voll.; kleinere Ausgabe in 3 voll, Lips. 1813—7. -> Neubearbeitnng cum
appendice epigrammatnm veterum ex libris et marmoribus ductorum, von Döbner, Par.
1864, 3 Bde (3. Bd. von Gouony, Par. 1890). — Nene grundlegende Ausg. mit voUstln-
digem kritischem Apparat von StadtmOllbb in Bibl. Teubn., noch im Erscheinen, tom. I a,
1894. — Delectus poetarum anthologiae graecae von Jacobs, Gotha 1826; von Mbikbkb,
Berl. 1842. — Hbrder, Acht Bflcher Blumen aus der griech. Anthologie, in sehr ireier
Uebersetcung, worin unbekannte Eigennamen weggelassen oder durch andere ersetzt sind,
lieber ältere Uebersetzungen Rubbnsohn, Griech. Epigramme in Uebersetzungen des 16. a.
17. Jahrb., Weimar 1897.
Eine Ergänzung dieser handschriftlichen Anthologie bilden: Appendix epigrammatum
apud scriptores veteres et in marmoribus servatorum von Jacobs ed. min. ü 745—880,
wozu eine ergänzungsbedttrftige Nachlese von Welckeb, Sylloge epigr. graecorum ex mar-
moribus et libris coli, et ill., Bonn 1829. — Epigrammata graeca ex lapidibus collecta ed.
Kaibel, Berlin 1878, wozu Ei'gänzungen von Allbn, Greek versification in inscriptions,
Boston 1888. — Epigrammata graeca in Aegypto reperta coli. Püchstein, in Diss. Aigent
rV 1—78. — DiLTHET, Epigramm, graec. Pompeü repertorum trias, Zflrich 1876. — Preoer,
Inscriptiones graecae metricae ex scriptoribus praeter Anthologiam collectae, Lips. 1891.
358. Ausser Elegien, Epigrammen, Hymnen und Idyllen ist von
lyrischen Gedichten in unserem Zeitalter nichts Nennenswertes produziert
worden. Es begegnen noch ein paar Tändeleien in bizarren Formen, mit
denen die Verfasser von naiyvia und diatpoQa noirjfiaTa^) ihre Fertigkeit
in der Versifikation und im metrischen Spiel darthun wollten. So gab
sich Simias aus Rhodos die undankbare Mühe, Gedichte in der Form
eines Flügels, Eies, Beiles zu dichten und fand damit so grossen Beifall,
dass nach seinem Beispiele andere eine Hirtenpfeife oder einen Altar
dichteten.*) Auch sonst erwuchs die kunstvollere Form nicht der Situation
und der Natur des Liedes, sondern dem launenhaften Spiel der Yersi-
fikatoren, wie wenn Phalaikos Anth. HI 6 eine Grabschrift in Hendekar
syllaben, Kallimachos die Votivinschrift eines Tempels in Asynarteten
dichtete,*) Promathidas ähnlich wie der römische Dichter Laevius mythische
Stoffe in tändelnden Hemiamben behandelte. Gleichwohl haben die Me-
triker viele lyrische Metra, wie das Asclepiadeum, Phalaeceum, Simiacum,
Archebuleum,^) Callimacheum nach alexandrinischen Dichtern benannt,
da dieselben sie häufig und in fortlaufender Folge {xaTaatixov) gebrauchten.^)
^) Carmina iignrata graeca ed. Haebbr- I ^) Beispiele nach dem Metriker Hephl-
LiN, ed. II, Hannov. 1887; erhalten sind nns I stion sind:
dieselben im 15. Buch der Anthologie. ' XoTq* cJ j^^vaoxe^oi^ ßaßaxxa fi^Xto^
*) Die Syrinxwird dem Theokrit bei-
gelegt, der Altar dem Dosiadas aus Kreta,
dessen Blüte Wilamowitz, De Lycoph. Alex,
p. 13 auf 285—270 setzt.
') Auch diese erhalten in Anth. XIII.
*) Archibulos war nach Suidas unt. Ev-
€poqimy Lehrer des Euphorien, lebte also in
der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts. In
dieselbe Zeit fÄllt auch Phalaikos, worüber
Phalaikoa.
SaifAovH evvfAyoiaTtn ^otßä te xai Zev diSv-
(Airtv yevaQx« Kallimachos.
roV axvyvoy MeXarlnnov fpöror al nccr^o-
g>6ywy i^id-oi Simias.
tj^ Xffoyijj fivctixtt JijfATjTQi ie xai ^CQce-
g>6yii xai KXvfiiyt^ id cfcu^a PhilJakos.
Boiaxog ovno Kv^ixov naytof ygatpcil^i noii^*
/Ltttioi \ rcV oxxdnovy evQwy cxi^oy ^oiß^
Beitzekbtbin, Epigr. 157. xi^i tfwQoy Boiskos.
A. AlezAüdriiiiflohe« Zeitalter. 2. IMe Poesie.
I 358—359.)
517
Auch die ionischen Sotadeen und die mit der Verbreitung des Kultus der
Kybele und des Priapus zusammenhängenden Priapeia haben nach Ge-
dichten unserer Periode ihren Namen erhalten. — Berühmt war auch wegen
ihrer sanglichen Weisen {xQovfiara) die Zitherspielerin Glauke, deren
fiefivx^icfisva nafyvia Movaimv Hedylos in einem Epigramme bei Athen.
176** (vgl. Theokr. IV 31) preist; aber ob dieselbe auch Texte zu ihren
Melodien dichtete, ist mindestens zweifelhaft.
Erhalten ist aus dem Ende unserer Periode durch Stobäus Flor. 7,
13 die sapphische Ode der Meli nno auf die ewige Stadt Rom, entstanden
zur Zeit als Rom alle anderen Städte des Erdkreises in Schatten stellte,
nicht lange vor der Regierung des Kaisers Augustus.^)
b) Die bukolische Poesie.
859. Der Name Bukolika*) wird gewöhnlich Hirtenlieder gedeutet.
Man geht dabei von der Bedeutung des Wortes ßovxölog = Rinderhirt
aus, indem man annimmt, dass darunter im weiteren Sinn auch die
Qeissbuben {atnoloi) und jede Art von Hirten verstanden werden
könnten. Dieser landläufigen Auffassung gegenüber bringt eine andere
Überlieferung die bukolische Poesie mit dem Kultus der Göttin des Waldes
und der Flur, der Artemis Lyaia in Verbindung. Diese Deutung hat in
unserer Zeit Reitzenstein in dem Buche Epigramm und Skolion wieder
aufgenommen, indem er daran erinnert, dass ßovxoXoi auch die Diener des
Dionysos und die Glieder religiöser Genossenschaften überhaupt hiessen.
Aber diese zweite Bedeutung des Wortes ßovxoXoi ist jedenfalls die über-
tragene und geht auf die erstere als die ursprüngliche zurück, so dass
wohl auch Bukolika zunächst die Lieder hiessen, welche von Kuhhirten
oder Leuten, welche sich als Kuhhirten vermummten, gesungen wurden.^)
Richtig wird nur sein, dass diese Lieder in Lakonien^) und anderen
dorischen Landschaften dem Preise einer ländlichen Gottheit galten und
sich auf solche Weise mit den lobakchen berührten. Während aber diese
vorzüglich in den Weingegenden von Naxos, Korinth, Attika zur Blüte
kamen, waren der Entwicklung der Bukolika und der Daphnislieder zu-
meist die entlegenen Waldgegenden und quellenreichen Triften günstig.
Hier erschallte die Schalmei des Hirten, hier belebten sich im stillen Ver-
kehr mit der Natur die Schluchten und Gewässer mit Nymphen, Kyklopen
und anderen Natur göttern.^) Besonders Sikilien mit seinen grossartigen
M So BiBT, De urbiB Romae nomine,
Ind. lect Marb. 1888 p. XII. Wblcker El.
Sehr, n 160 ff. hatte die Ode in die Zeit nach
Benegong des KOnigs Philipp von Make-
dinüen, um 195 v. Chr. gesetzt. Stobaios
8el1)et macht die Melinno za einer alten les-
ViBcheD Dichterin.
') Prolegomena za Theokrit ttc^^ xrjg
f9^etK rtSr ßovxoXixtiy; Probus im Ein-
nzo Vergils Georgica; Diomedes p. 486 E.
. Hbrmakh, De arte poesis Graecomm
Weolic«^, 1849 = Opnsc. VIII 329 ff.;
Wklckbs, Ueber den ürsprong des Hirten-
i liedes, El. Sehr. I 402 ff.; A. Fritscbb, De
poetis Graecorum bucolicis, Gissae 1844;
Rkitzevstrin, Epigramm a. SkolioD 193—268.
') Gegen Reitzenstein polemisiert auch
mit gesundem urteil R. Helm, Theokritos u.
die bukolische Poesie, Jahrb. f. kl. Phil. 1896
8. 457 ff
^) In Sparta weihte Öfter nach erhaltenen
Inschriften (s. Th. Prbgbr Mitteil. d. deutsch,
arch. Inst. 1897 S. 334 ff.) der ßoayoc, Führer
einer Herde oder Riege, der Artemis Orthia
die im Gesangswettkampf gewonnenen Siege.
^) Schon bei Homer in der Dias 2 525
518
Griechische LüteratnrgeBohichte. IL Haoh klassische Litteratar.
Naturschönheiten und seiner witzigen Bevölkerung war trefflich ge-
eignet, die bukolische Muse zur Entfaltung zu bringen. Schon Stesichoros
sang das romantische Lied von der schönen Kalyke und feierte den Haupt-
helden der Hirtenpoesie, den schönen Daphnis.^) Er ward daher von einigen
geradezu als der Erfinder der bukolischen Poesie angesehen.^) Andere
nannten als solchen einen gewissen Diomos, von dem wir nur wissen, dass
er vor Epicharm lebte, der seiner in zwei Stücken gedachte.')
360. Die Form des EUrtenliedes war ein Gemisch von Erzählung und
Dramatik, weshalb die alten Grammatiker demselben den gemischten
Charakter beilegten.^) Der dramatische Dialog scheint aus der alten
Weise des Wechsel- und Wettgesangs der Hirten entsprungen zu sein.
Der herrschende Vers war der daktylische Hexameter, welcher der ein-
fachen Schlichtheit des Volksliedes entsprechend, sich ohne Abwechslung
wiederholte. Doch näherte sich das Hirtenlied dadurch der kunstvolleren
Form der Lyrik, dass in der Regel mehrere Verse, teils durch den Re-
frain,^) teils bloss durch den Sinn zu grösseren Gruppen oder Strophen
verbunden waren. Auch der Vers selbst ward von den Bukolikem anders
als von den Epikern gebaut. Die Eigentümlichkeit des bukolischen Verses
besteht in dem regelmässigen Einschnitt nach dem 4. Fuss, der soge-
nannten bukolischen Gäsur, die wahrscheinlich mit einer alten Melodie-
weise zusammenhängt. Auffälliger Weise hat Vergil in seinen Eklogen
jenen Einschnitt vernachlässigt, wohl weil er einerseits die Hirtenlieder
Sikiliens nicht aus dem Munde des Volkes kannte,^) anderseits noch nicht
von den Metrikern seiner Zeit auf die Eigentümlichkeit der bukolischen
Cäsur aufmerksam gemacht wurde. — Die einzelnen Gedichte der buko-
lischen Poesie pflegen wir Idyllen zu nennen. Das ist nicht ganz in dem
antiken Sprachgebrauch begründet; denn in dem angegebenen Sinne ge-
brauchten die Alten eiSvXXiov ßovxohxov, nicht cidvXXiov allein.*^) Das
Wort slivkliov ist Diminutiv von eUog^ bedeutete aber nicht ein nied-
liches Bild des Landlebens, sondern ein kleines zum Gesang bestimmtes
Gedicht. jETrfij wurden nämlich die grossen lyrischen Gedichte Pindars
genannt, weil über jedes die Tonart (eldog dQßov(aq)^ in der dasselbe ge-
sungen werden sollte, geschrieben war ; von jenem eldoq aber ist etdvlhov
das Diminutiv.^) Der Form des griechischen Wortes entspricht im Deut-
spielen Hirten auf der Syrinx, und schon
in der Odyssee treffen wir ausser dem ein-
äugigen Kyklopen die NvfKfai, ayQoyouoi im
Gefolge der Artemis, Od. C 105.
») Vgl. Diodor IV 84 : fiv&oXoyovci. dk
toy Jdifpi,y q>va€i Statpogm VQog evfiiXBiav
xexoQtjyijf*€yoy i^evQsty ro ßovxohxoy noltjfia
xai fteXofy o fiixQ^ "^^^ *^*' '«^« '^'7*' ^^'
xeXlay xvyx^vBi, diafi^yoy iy anodox^.
*) Aelian V. H. X 18; IttjcixoQoy ye roy
'IfAeQmoy x^q roiavrijg fisXonoitag vTiaQ^aa&ai,
V^. oben § 120.
') Nach Ath. 619 a dichtete er einen
sogenannten ßovxoXiacfiog.
*) Proleg. zu Theokrit c. 8. ^
B) Der alte Refrain (Aaxqal d^veg w
MeyäXxa wird von Ath. 619 d eine Sang-
weise, yofAioy, genannt.
^) Dieses ist schon von Servios in der
Einleitung zu Vergils Bucolica bemerkt Auf
der anderen Seite aber hat Vergil die Ver-
bindung mehrerer Hexameter zu einer Art
von Strophe aus seinem Vorbild herfiber-
genommen.
') Idyllia werden kleinere, nicht dem
Hirtenleben angehörende Gedidite genannt
von dem jüngeren Plinius ep. FV 14, 9 und
von Ausomus.
") Dieses begründete ich in einem Vor-
trag über den Namen Idyll, in den Verh. d.
PhüoLVers. in Wflrzburg 1868 S. 49 ff.
A. AlexftndriniBche« Zeitalter. 2. Die Poeaie. (§§ 360—362.)
519
sehen das Neutrum, das Idyll, nicht das Femininum, die Idylle, wie man
sich in Deutschland irrtümlich nach der Analogie verwandter Wörter wie
Ode, Elegie zu sagen gewöhnt hat.
361. Zur Blüte kam die bukolische Poesie erst im alexandrinischen
Zeitalter. Das war nicht Zufall, das war im Charakter der Zeit begründet.
Die Welt war überfeinert geworden; die konventionellen Formen des Städte-
lebens beengten den natürlichen Menschen; die Üppigkeit der Mahlzeiten
und der Luxus der Kleidung gereichten ihm mehr zum Überdruss als zum
Oenuss, er sehnte sich aus der Atmosphäre der Stadt wieder hinaus in
die freie Natur und zu dem einfachen Leben der Hirten und Landleute.
Dieser Reaktion gegen die Unnatur des Stadt^ und Hoflebens verdankt
die bukolische Poesie ihre Blüte, ähnlich wie sich die Idyllendichtung
Gessners, die Dorfgeschichten Auerbachs und das Winteridyll Stielers im
Gegensatz zur überfeinerten Kultur ihrer Zeit entwickelten. Auf solche
Weise war es unserer Epoche, die sonst nur von Nachahmung und affek-
tierter Empfindung lebte, vorbehalten, eine neue köstliche Frucht am
goldnen Baum der Poesie zu zeitigen. Sind der bukolischen Dichter auch
nnr wenige, und wenige auch nur ihrer Oedichte, so haben wir doch in
dem wenigen wahre, echte Poesie, die den Vergleich mit den Blüten der
klassischen Poesie nicht zu scheuen braucht. — Schon im Altertum, im ersten
Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung, vereinigte ein Grammatiker, Arte-
midor, die verschiedenen Bukoliker zu einer Sammlung, wovon ein in den
Handschriften des Theokrit und in der Anthologie 9, 205 uns erhaltenes
Epigramm Zeugnis ablegt:
Bovxohxai MoTaai anoQadrjv noxa, vvv i'afia nSaai
ivxl fiiSg fxdvSQag^ iv%l fiiag ayälag.
Auf diese Sammlung gehen die erhaltenen Hirtengedichte des Theo-
krit, Bion, Moschos zurück, nur ist frühzeitig den bukolischen Oedichten
des Theokrit noch eine Auswahl aus dessen übrigen Oedichten angehängt
worden.^)
362. Theokrit (um 310 bis um 245)') ist der erste und haupt-
sächlichste Vertreter der bukolischen Poesie. Sein Leben ist leider
stark in Dunkel gehüllt; über Herkunft, Vaterland, ja selbst Namen»)
^) VABLEHy De Ariemidori coUectione
carmmmn bneolicomin, Berlin 1876; Bethb,
De Theocriti editionibus antiqnissimis, Rostock
1896.
*) Quellen: Fsyos SsoxQitov in den Scho-
Hen, ein Artikel des Suidas, ein altes Epi-
ptmm in den Codd. und in Antb. IX 434:
'jXlog 6 Xiog, iyai di Bfox^itog, og rncT
iy^aipttj
tt^ dno rair noXXuiy slfju ZvQaxooioiv^
9l6q ÜQaiayo^ao TtegixXeiTijs je ^iXiytjCf
fAovaay d* oSraiav ov xiv* i(p€Xxvüdfiijy,
Ans neaerer Zeit: Hauleb, De Theocriti
vita et carminibus, Frib. 1855; Bbinkeb,
De Tbeocriti vita carminibnsque subditicüs,
Ups. 1884. X^ HiLLEB, Jahrb. f. Alt. 1883
S. 24 ff.; Holm, Geschichte Siciliens im Alter-
tum II 299—324 u. 493 ff.; Gbbckb, Alexan-
diinische Stud., Rh. M. 42(1887) 262 ff. u. 44,
127 ff. — Die Chronologie des Lebens und
der Werke Theokrits ist in starkes Dunkel
gehüllt, das durch die spitzfindigen Versuche
der neueren, nach den verschiedensten Seiten
auseinandergehenden Gelehrten nicht gelichtet
wurde. Neuerdings setzt R. Helm Jahrb. f.
kl. Phil. 1897 S. 389 ff. das Gedicht an Hieron
275 und die Geburt des Dichters 305.
'j Aus dem F^vos erfahren wir, dass
einige Moschos als seinen ursprünglichen
Namen ausgaben; das rührt vielleicht daher,
dass einige seiner Gedichte von andern dem
Moschos beigelegt wurden.
520
Ghrieohisohe Littaratorgesohichte. TL HAohJdftSBiaohe Litteratnr.
ward gestritten. Nach dem alten Epigramm Anth. IX 434^) stammte er
aus Syrakus^) und war der Sohn des Praxagoras und der Philine;') aber
der Lexikograph Suidas berichtet, dass andere ihn für einen Eoer aus*
gaben,*) und er selbst nennt sich im 7. IdyU Sifiixidrjv^ wonach man in
Simichos oder Simichides, der nach dem Zeugnis der Scholien zu Id. 7, 21
von Orchomenos nach Zerstörung der Stadt durch die Thebaner (364)
nach Kos ausgewandert war, wenn nicht den Vater, so doch einen der
Ahnen unseres Dichters suchen möchte.^) Auch vom östlichen Oriechen-
land aus, von Orchomenos, richtete er seine Anfrage an Hieron, den
Herrscher von Syrakus (16, 106)^), ohne auch nur anzudeuten, dass
Syrakus seine Vaterstadt und Hieron der Führer seiner Landsleute sei.^
Aber wenn es auch trotzdem wahrscheinlich bleibt, dass unser Dichter
Sikilien zur Heimat hatte, und dass die Grammatiker sich nur durch das
7. Idyll verleiten liessen, ihn zu einem Eoer zu machen, so treffen wir ihn
doch jedenfalls als angehenden Dichter zuerst im östlichen Griechenland.
Dort haben ihn der Elegiker Philetas und der Epigrammatiker Asklepiades,
welche beide die alte Biographie, vermutlich auf Orund der eigenen Worte
des Dichters 7, 30 ff., als seine Lehrer bezeichnet, in die Poesie eingeführt;
dort auch knüpfte er die Bande enger Freundschaft mit dem Arzte Nikias
von Milet und dem Dichter Aratos von Soloi, die er beide wiederholt in
seinen Dichtungen preist;^) dorthin endlich weist uns eines seiner älteren
Oedichte, das schon erwähnte 7. Idyll Thalysia, dessen Scene bereits die
alten Ausleger nach der Insel Eos verlegten.^) In demselben spielt er
^) Aus dem Eingang des Epigramms,
in dem an einen gleichnamigen Rhetor Theo-
kritos von Ghios aus der Schule des Iso-
krates angeknüpft ist, vermute ich, dass der
Epigrammatiker jünger als der Litterar-
historiker Demetrios Magnes war, von dessen
Schrift Tiegl ofjuayvfAtav noLrjxtuy xat avyy^a-
(piiov er ausgegangen zu sein scheint.
2) Auch Ath. 284a nennt den Theokrit
Syrakusaner.
^ ») Die Stellen 11, 7 o KvxX^xj) 6 nag'
tt(uv und 28, 7 ndtQtg ay oJf flgftfQag xtlcae
xaj' 'jQxias weisen deutlich auf Sikilien
und Syrakus, wenn auch gerade nicht als
Geburtsstätte, so doch Heimatland hin. Ebenso
sprechen der Dialekt seiner Idyllen, seine
frühe Bekanntschaft mit dem sikilischen
Mimographen Sophron und der geographische
Hintergrund der meisten seiner Gediente für
die alte Ueberlieferung, dass Theokrit ein
Syrakusaner von Geburt war.
*) Dieses offenbar, weil das 7. Idyll in
Eos spielte. Aber richtiger sagt die alte
Hvpothesis zu dem Gedicht: ra itQayfAaxa
ifiaxeirai iy K(o' intSrjfjtrjüag ydq rp yt^am
6 SeoxQnog, oTS etg 'JXe^dydgnay vQog JJro-
XefÄaioy dnÜBi^ q>iXog xaxiattj ^QttaMfAi^ xal
'Jyxiyiyst,
') Danach sagt auch Suidas ot &k lt,fji-
filx^v. Andere wollten nach den Scholien
zu 7, 21 wegen des Widerstreites mit der
anderen Angabe, dass Praxagoras der Vater
des Dichters gewesen sei, das Wort Stui-
/1V17C von aifiog herleiten und darauf eine
Anspielung in id. 3, 8 erblicken. Noch ge-
suchter ist die von HlBERLur, Cann. figor.
p 51 u. Philol. 49, 657 aufgestellte Etymo-
logie von SifAiicg^ nach dessen Vorbild Theo-
krit die Syrinx gedichtet habe.
^) Die Beweiskraft dieser Stelle be-
zweifelt HoLziNGER Philol. 1892, S. 193 ff.
indem er die Erwähnung von Orchomenos
einzig auf den Kult der Charitinnen in jener
Stadt bezieht.
') Aus der Teilnahme, mit der er 16.
88 ff. die Zerstörung des schönen Landes
durch die Punier beweint, scheint indes
doch etwas Heimatsliebe zu klingen.
^) An die Frau des Nikias ist gmchtet
id. 28, an Nikias selbst id. 11 u 13. Dem
Arat widmete er sein 6. Idyll und beseugte
demselben 7, 98 und 17, 1 seine bewundernde
Freundschaft.
*) Diese Angabe der Scholien wurde
von G. Hermann Opusc. V 78 ff. bestritten,
haupts&chlich deshalb, weil d» im Eingang
des 7. Idylls erwfthnte'!^AcK mit dem FIQbs-
chen Haieis bei Velia in Lukanien, das der
Dichter 6, 123 anführt, identisch sei. Jetzt
ist inschriftlich auf Kos ein duftog vwr
'AXeyxitoy nachgewiesen, worüber Paton,
Class.Rev.n265 und daraus Hiller, Jahieeb.
A. AlezAiidriiluohes Zeitalter. 2. Die Poesie. (§ 862.) 521
V. 108 auf den im J. 276 von Arat zu Ehren des Antigonos Gonatas ge-
dichteten Hymnus auf Pan an;^) um diese Zeit also war er bereits ein
angesehener Dichter, der die Pflege der sikilischen Muse nach Osten
trug und in Eos, der Geburtsstätte des Königs Ptolemaios II, mit den
bedeutendsten Dichtem seiner Zeit zusammenkam.
Die weiteren Lebensgeschicke unseres Dichters sind mit den Höfen
von Syrakus und Alexandria verknüpft. Mit dem 16. Gedicht, Xdqixeg rj
'hQtöv betitelt,*) bietet er sich dem Hieron, dem Herrscher von Syrakus,
als Herold seiner Ruhmesthaten an. Im Eingang desselben klagt er, dass
seinen Charitinnen bisher überall im Osten [yi-cevicdv r/r' *Htö) das traurige
Los geworden sei, mit leeren Händen abgewiesen zu werden. Auf wen
damit angespielt sei, ob auf Antigonos Gonatas, wie Häberlin meint, oder
auf die Könige von Ägypten, wie Bücheier mit den meisten Auslegern ver-
mutet,^) hängt von der Abfassungszeit jenes Gedichtes und von dessen
Verhältnis zu dem folgenden Gedicht der Sammlung, dem Preislied auf
Ptolemaios Philadelphos {iyxioiiiov sk nzoXefjtatov) ab.*) In diesem Hymnus
preist nämlich unser Dichter in überschwenglichen Worten die Freigebig-
keit des äg3rptischen Königs, offenbar in der Absicht, auch auf sich den
Goldregen des fürstlichen Gönners der Dichter zu lenken.^) Auch hielt
sich Theokrit zweifellos eine Zeit lang an den Höfen beider Fürsten auf.
Nach S3rrakus weist die ganze Richtung seiner Poesie und das traute
Andenken, das er auch auf fremdem Boden seinen Landsleuten in den
Idyllen 14 und 15 wahrt; in Alexandria spielen die Adoniazusen (id. 15) und
in Ägypten ist das 14. Idyll, in welchem der Dichter Söldner für das Heer
des Ptolemaios wirbt, geschrieben ; zum Ruhme des ägyptischen Herrscher-
hauses war auch das nicht erhaltene, aber von Athen. 284 a angeführte Lob-
gedicht auf Berenike, die Mutter des Philadelphos, gedichtet ; speziell vor
Kallimachos, dem einflussreichen Poeten und Gelehrten an dem Hofe der
Ptolemäer, machte er schon id. 7, 45 f. eine Verbeugung, indem er dessen
Rivalen Apollonios einen Hieb versetzte. Es fragt sich also nur, ist zuerst
pieokrit in Syrakus am Hofe des Hieron gewesen und von da erst nach
Ägypten gegangen, oder hat er sich zuerst nach Alexandria gewendet und
ist dann später erst, als sich sein Verhältnis zu Ptolemaios zerschlug.
d. Alt LIV (1888), 8. 189. - Ueber die Ab-
{usungazeit abweichende Meiirangeii Philol.
49,456.
^) Nachgewiesen von BOchblbr Rh. M.
30 (1875) 55 ff.
') Eine Anspielung auf diesen Titel fand
mit glficklichem Scharfsinn Gbrckb, Alexan-
ixmaeke Stadien, Rh. M. 42, 610 in dem 32.
&Mgranim des Kallimachos
Oi^ Ott fAot nXovrov xeysai z^Q^^f «rAAcr
M^yiTtTTS
fi^ %4ye ngog XaQixtov rovfioy oyeiQoy ifioi,
AW dass dieses Epigramm mit Zerwfirf-
DÜBCT des Theokrit am Hofe Alexandriens
am 270/266 zusammenhänge, ist eine sehr
mnichere Veimutong, gegen die sich mit
Recht VAH1.B1«, Ind. lect. Berol. 1889 p. 30
erklärt hat.
') Häbbblin, Carm. fig. 34; BCoheler
Rh. M. 30, 55 ff.
^) Die Ansicht eines gewissen Munatius,
dass das Lobgedicht dem Ptolemaios Philo-
pator, nicht Philadelphos, gelte, ist schon in
der alten Hypothesis mit chronologischen
Gründen zurückgewiesen. Beachtenswert ist
ausserdem, damit man nicht aus der Stellung
einen Schluss auf die Abfassungszeit ziehe,
dass in einer Klasse der Handschriften das
Gedicht an Ptolemaios vor dem an Hieron
steht.
') Schon zuvor hatte sich Theokrit 7, 93,
mit feiner Schmeichelei dem Ptolemaios em-
pfohlen.
522
Grieohisohe IdtUratargesohiohtd. n. NaohklftssiBohe Litteratar.
nach Syrakus an den Hof des Hieron gewandert. Das hängt davon ab,
ob das 17. Idyll vor dem 16., oder umgekehrt das 16. vor dem 17. ab-
gefasst ist. Leider lässt sich aber das bei dem Mangel unzweideutiger
Anzeichen der Kunst oder Chronologie mit Bestimmtheit nicht entscheideB.
Das 17. Gedicht auf Ptolemaios kann allerdings nicht vor der Geschwister-
ehe des Ptolemaios H und der Arsinoe geschrieben sein, da in demselben
Y. 130 auf die Liebe des Königs zu seiner Schwestergattin angespielt ist;
aber das Datum jener Ehe ist nicht urkundlich bezeugt und kann nur im
allgemeinen zwischen 280 und 273 gesetzt werden;^) auch ist in dem Ge-
dicht nicht ausgesprochen, ob es alsbald nach dem Abschluss jener Ge-
schwisterehe oder erst einige Jahre später gedichtet worden sei.^) Auf
der anderen Seite enthält das 16. Gedicht an Hieron zwar einen deutlichen
Hinweis auf ein geschichtliches Ereignis, die Besiegung der Karthager in
Sikilien durch die griechischen Bewohner der Insel und Hieron den Führer
der Syrakusaner;^) aber während die meisten Erklärer dabei an die dem
Ausbruch des 1. punischen Krieges unmittelbar vorausgehenden Händel
der Mamertiner (266) denken, erinnert eine beachtenswerte Stimme daran,^)
dass in dem Gedichte Hieron alxfirjräg, nicht ßaatXavq heisse (16, 103),
und dass derselbe schon in seinem Strategenamt im Jahre 270 glänzende
Lorberen im Krieg mit den Puniem errungen habe. Eine Entscheidung
ist unter solchen Umständen schwer; aber doch etwas einfacher, deucht
mich, schliessen sich die Dinge zusammen, wenn wir im Anschluss an die
alte Hypothesis des 7. Idylls annehmen, dass Theokrit um 273 von Kos
aus, wo wir ihn im Jahre 276 zurückliessen, nach Alexandria sich ge-
wandt hat und dann später um 265, als in seiner Heimat mit Hieron ein
neuer Stern den Musen zu leuchten begann, über Orchomenos wieder nach
seiner Heimatinsel Sikilien zurückgekehrt sei,^) wobei wir indes denen
^) Die Schwester Arsinoe erscheint als
Königin-Gattin auf der im 12. Regienings-
jähr des Ptol. Phil, errichteten Stele von
Fithom. Durch Auffindong dieser Stele er-
gibt sich also als unterste Grenze das Jahr
278. Siehe Wiedemann Phil. 47, 81; Ma-
BAFFY, The empire of Ptolemais p. 138 ff.
Yergl. U. EoEHLBR Sitzb. der preuss. Akad.
1895 p. 971, der die Ehe von 273 auf 274
setzt.
^) Weit unter 273 kann jedoch mit der
Abfassungszeit des Lobgedichtes nicht ge-
gangen werden, da in demselben Ptolemaios
auf der Höhe seiner Macht steht und als
Beherrscher der See über die Kykladen und
die Küsten von Eilikien und Earien gebietet
(17, 88—90), so dass das Gedicht vor den
Seesieg des Antigonos bei Eos (366) und in
dieselbe Zeit wie der nicht lange nach der
Niederlage der Gallier gedichtete Hymnus
des Eallimachos auf Dolos (vgl. § 352) ge-
setzt werden muss.
') Wie grosse Erwartungen man damals
von Hieron hegte, zeigen besonders die
Verse 85 f.:
iX^QO^S ix ydcoio xccxd nifJLilfBiev druyxa
£a^&6vioy xatfi xvf4a (piX<oy fAOQOv dyyik-
Xoyxa^.
^) Yablbn, Ueber Theokrits Hieron, Mo-
natsber. d. Berl. Ak. 1884 S. 823 ff., dem
Habeblin, Carm. fig. 57 und Susemihl, AL LiL
I 203 beistimmen; dagegen Bblogh Jhrb. f.
Phil. 131, 366 f. u. Gbrckb Rh. M. 42, 270 iL
n. 601 ff.
^) Anders Susbmihl AI. Lit. 1 202 ff^ der den
Theokrit zuletzt nach Alexandiien geben and
dort sterben lässt, indem er aus dem Znaam-
mentreffen des Veraansgangs <r^/C«Ao; Bc^-
vLxa Theoer. 17, 57 u. CaUun. epigr. 51, 3sii
schliessen wagt, dass Theokrit mindestens
noch 248/7 zu Anfang der RegienmgBseit dee
Ptolemaios III zu Alexandrien gelebt bnbe.
Anders auch urteilt Mahafft Claas. gr. lit
1 2, 192, nach dem Theokrit i. J. 269 nneb
Syrakus an den Hof des Hieron ging (id. 16)
und einige Jahre spftter von dort das Ge-
dicht 17 an Ptolemaios richtete. Aber mit
dem Ansatz jenes Gedichtes nach 266 (Sieg
des Antigonos bei Eos) oder gar nach 258
(Tod des Magas, des Königs von Kjnrene)
Iftsst sich die Schilderung von der Macht-
A. Alezandrinisohea Zeitalter. 2. Die Poesie.
t.)
523
nicht hartnäckig entgegentreten wollen, die wie Holm, Gesch. Sik. n 298
den Dichter zweimal, vor und nach id. 16, nach Ägypten gehen lassen.
Denn dass derselbe später noch einmal nach dem Osten kam und dabei
in Milet seinen alten Gastfreund Nikias besuchte, ersehen wir aus dem
schönen 28. Gedicht, das den Titel „SpindeP nach dem Geschenke trägt,
das bei dieser Gelegenheit Theokrit der Frau seines Freundes Nikias mit-
brachte. Über die letzten Lebensjahre unseres Dichters fehlen sichere
Nachrichten, so dass wir auch nicht sagen können, wann und wo er ge-
storben ist. Die Worte Ovids, Ibis 547
Utque Syracosio praestricta fauce poetae,
sie animae laqueo sü via clausa tuae
hat man ehedem auf Theokrit gedeutet und den liebenswürdigen Dichter
von dem argwöhnischen Tyrannen Hieron erdrosselt werden lassen; die
Deutung ist möglich, aber durchaus unsicher.
868. Werke des Theokrit. Als Werke des Theokrit werden von
Suidas aufgezählt : ßovxoXixd, HgoiTtSsg^ iXm'Sec,^) vfivoiy ijQwivai^ fmxijdeia^
fulrj,^) iUysXai^ laiißoi^ imyQdiifAaxtt. Von diesen ist das meiste verloren
gegangen ; auf uns gekommen sind die bukolischen Gedichte, die auch im
Verzeichnis des Suidas gewiss nicht bloss wegen des Alphabetes voran-
stehen, und einer Auswahl aus seinen anderen Dichtungen,') im ganzen
32 Gedichte,^) zu denen aus der Anthologie noch 25 Epigramme und die
Fistnla, ein Gedicht in der Gestalt einer Hirtenpfeife {(fvQiy^)^^) kommen.
Die eigentlichen Perlen der Sammlung sind die bukolischen Gedichte,
welche der Grammatiker Artemidor, wie wir oben sahen, mit den ver-
wandten Gedichten des Bion und Moschos zu einer Gesamtausgabe ver-
einigte; sie sind liebreiche, hübsch nach der Natur gezeichnete Bilder
des Hirtenlebens, belebt durch den Dialog nach dem Muster des Mimo-
graphen Sophron. Mit ihnen hat wohl auch unser Theokrit erst die
Dichterweihe erhalten, wenn er gleich zuvor schon mit einigen epischen Ver-
suchen hervorgetreten sein mochte. Nach dem römischen Grammatiker Servius
giteee des Ptolemaios 17, 76—92 und das
Schweigen über Eyrene nicht vereinigen.
*) Den gleichen Titel 'Eknideg finden wir
bei EaUimachoB wieder; vgl. Bibt, Elpides,
Muh. 1881, wonach das 21. Idyll, die Fischer,
Bi dem Buche 'EXnldes gehört hat.
*) Unsicher ist, ob inixijdeia /AeXrj zu-
flsniinemxiifassen oder in zwei Titel zu tren-
ne ist; doch ist das letztere wahrschein-
bcher.
>) Sehr schwer ist es zu ermitteln, zu
welchen Werken die nichtbukolischen Gre-
dichie Tfaeokrits ursprünglich gehörten. Die
Gedichte 28-30 gehörten sicher zu den
fulij^ die Dioskuren (22) zu den Hymnen,
die Helene (18) und die Bakchai (26) viel-
lacht zo den i^^toipai. Aber die Mimen im
8Sl des Sophron, wie 2. 14. 15. 22 wer-
den vennatlich schon sehr früh mit den
e^entUcheB Bovxohxä zu einem Corpus ver-
«nigt worden sein.
^) Die besten und ältesten Handschriften,
namentlich der Ambros. 222 (k), und die
Handschrift unserer Scholien, enÜialten nur
eine kleinere Zahl von Gedichten. Die Ge-
dichte JioüxovQoi, 'HgaxXrjg Xeoyxo(f6yos, Ate-
ydga, BovxoXiaxogj 'AXteTSf KrjQtoxXf'rtrijSj 'Ad-
uiyidog intidtpiog^ eig yexQoy ^Adaiytdcif "EQaarijs,
irn&aXdfuog '^;)ftAAc'ai^ bilden eine eigene
Sammlung (Sylloge 4>), in der nur die Ji6-
axovQoi, BovxoXlaxog und 'AXietg als theokri-
tisch bezeugt sind. ~ Ueberdies weichen die
verschiedenen Klassen von Handschriften in
der Ordnung der Gedichte stark von einander
ab ; s. Ahrens, lieber einige alte Sammlungen
der theokriteischen Gedichte, in Phil. 33,
385 ff. ; dazu Birt, Das antike Buchwesen
S. 389—401; Hillbr, Beiträge zur Teztes-
kritik der Bukoliker, 1888. Inhaltsangaben
gibt es bloss zu den 18 ersten Gedichten.
^) Ueber diese s. Habbrun, Cann. fig.
40 ff.
524 Grieohiaohe LiiieratlirgMiohiohte. n. NaohklaMÜiohe Litteratnr.
in der Einleitung zu den Eklogen Vergils zählte man ehedem nur 10
Idyllen, also gerade so viele als Yergil nach dem Beispiel Theokrits ge-
dichtet hat.^) Ob darunter die 10 ersten Gedichte unserer Sammlung oder
mit Überspringung des zweiten die Qedichte 1 und 3 — 11 gemeint seien, ist
zweifelhaft, da auf der einen Seite das 11. Gedicht KvxXmxp^ wenn es auch
kein eigentliches Hirtengedicht ist, doch nach Örtlichkeit und Inhalt recht
wohl zu den bukolischen Gedichten gesteUt werden konnte, und auf der
anderen Seite das zweite, vielbewunderte Gedicht, ^aQjt^axevTQiai oder
Zauberinnen betitelt, nicht auf dem Lande, sondern in der Stadt spielt und
auch in einer Klasse von Handschriften seine Stellung nach den bukoli-
schen Idyllen hat. Diese 10 oder 11 ersten Idyllen wurden dann zunächst
mit einigen verwandten Gedichten zu einem grösseren Corpus erweitert,
das mit den beiden litterarisch wichtigen Preisliedem auf Hiero und Ptole-
maios abschloss.') Von den neu hinzugekommenen Gedichten berührt
sich der Hylas (14) mit dem Eyklops (11) dadurch, dass beide an den
Arzt Nikias gerichtet sind, und schliessen sich in Sprache und Ton die
nach dem Muster des Sophron verfassten Gedichte Thyonichos (14) und
Adoniazusen (15)^) ganz den Hirtenliedem an. Zu dieser alten Sammlung
kamen später noch hinzu die Fischer (22) als Nachtrag zu den in der
Weise des Sophron gehaltenen Gedichten, ferner eine Auswahl von Liedern
{fislr^ in äolischem Dialekt und in Yersmassen der Sappho (28, 29, 30),
sodann ein Nachtrag von erotischen Idyllen in dorischem Dialekt, wie das
Ständchen Air die Neuvermählten Helena und Menelaos (EXh%r^g em&a-
Id/jiiog n. 18), der Honigdieb {KrjQioxXtnTrfi n. 19), der abgewiesene Freier
{BovxoXf^xog n. 20), ausserdem n. 28, 27, 30, endlich eine Sammlung kleiner
Epen teils in dorischer, teils in homerisch-epischer Sprache, wie die Dio&-
kuren (22), der junge Herakles (24) ^), der löwenwürgende Herakles (25),
die Kadmostöchter {Arjval rj ßdxxai n. 26).*) Von diesen neuen Zugaben
sind weitaus am schönsten die Lieder {^tXij): die Spindel {^HXaxtitr^ an
die Frau des Nikias (28), und die beiden Liebeslieder {naidixd n. 29. 30),
von denen das letztere erst in unserem Jahrhundert aus einer Mailänder
Handschrift (B 75) ans Licht gezogen wurde. ^) Die Epyllien sind, wenn
echt, spielende Versuche aus der Jugendzeit des Dichters, ehe er in dem
Hirtengedicht und dem Mimus sein eigentliches Element gefunden hatte.
Im übrigen hat sich unter die Gedichte des Theokrit, namentlich unter
die Nachträge und Epyllien vieles Unechte eingeschoben. Schon in der
') Ueber die Nachahmimg des Theokrit
durch Vergil s. Ribbeck, Gesch. d. röm.
Dicht. II 16 ff.
') Die TraDkmischerinnen (2.) stehen in
Ambros. 222 (k) nicht unter den Hirtenliedem
an 2. Stelle, sondern nach 13, indem sich die
Gedichte also folgen: 1. 7. 3—6. 8—13. 2.
14. 15. 17. 16. 29.
') Bis hieher reichen allein die alten
Hypotheseis und Scholien; auch der Ambros.
222 (k) scheint ursprünglich nichts weiter
enthalten ru haben.
^) Dieses schönste Gedicht des Theokrit j Studemimds heraus,
ist benannt nach der zu Alexandria veran-
stalteten Adonisfeier. Den Titel treffen wir
anch unter den Komödien des Pbiletairoe.
Auch der verliebte Kyklope war schon Ge-
genstand der attischen Komödie.
^) Der fragmentarische Charakter dieaee
Gedichtes zeigt sich auch darin, dass ee
eines rechten Anfangs und Schlusses ent-
behrt. Den Stoff bot Pindar N. 1.
*) Das Gredicht ist ganz nach EniiiiideB
Bakchen gedichtet. ,
^) Den Fund machte zuerst Ziegler, dann
gab Bergk das Gedicht nach einer Abechrift
A. AlexAndrinisohea Zeitalter, d. Die Poesie. (§ 364.) 525
alten Sammlung ist das zusammengestoppelte Idyll 9 nicht aus der Hand
des Theokrit hervorgegangen, und erregt auch das im übrigen allerliebste
Gedicht von dem Sangwettstreit des Daphnis und Menalkes (8) den Ver-
dacht der ünechtheit.^) Ganz und gar aber verdächtig sind die Nachbil-
dungen in theokritischer Manier, die zum Teil gar nicht als theokritisch
bezeugt sind, wie der Honigdieb (19), der Verliebte (29), auf den Leich-
nam des Adonis (30), das Liebesgeplauder (27). Theokrit verleugnet zwar
nicht die derbe Natur der Hirten, aber zu jener nackten Gemeinheit, die
aus dem 27. Gedicht spricht, steigt er nie herab.
364. Dichterische Kunst. Theokrit ist Naturdichter und Kunst-
dichter zugleich; diese beiden Seiten treten in allen seinen Gedichten her-
For. Er lässt seine Hirten die Sprache des Volkes, die mildere Doris der
Syrakusaner,^) reden; er ist damit der Natur treu geblieben und hat die
Gespreiztheit des Vergil, dessen Hirten die hochtönende Kunstsprache der
Stadt reden, glücklich vermieden. Aber daneben wendet er in anderen
Gedichten den äolischen und epischen Dialekt an, deren Kenntnis er nicht
mit der Muttermilch eingesogen, sondern künstlich aus Büchern gelernt
hatte,*) so dass man die Vermutung nicht abweisen kann, er habe auch
sein Dorisch nicht ganz aus dem Munde der Landleute Sikiliens, sondern
zum grösseren Teil aus den Mimen des Sophron und den Komödien des
Epicharm gelernt. Ebenso hat in den Gedanken und dem Gesprächston
Theokrit vortrefflich die derbe Natürlichkeit des Hirtenvolkes wieder-
gegeben; seine Hirten haben Fleisch und Blut, sind keine verkleideten
Städter wie die des Vergil und keine zahmen Moralisten wie die Gessners ;
dabei hat er mit feinem Sinn in den Neckereien und Wettgesängen der
Hirten an volkstümliche Sitten und Gebräuche angeknüpft. Aber so ganz
fehlt doch auch bei ihm nicht die Anspielung und Allegorie. Die Adonia-
ZQsen enthalten den ausgesuchtesten Lobpreis der königlichen Veranstalter
des Festes; in dem 14. Idyll versteckt sich unter der Maske des Werbers
i&r den Kriegsdienst des Ptolemaios die vom Preise seines Gönners über-
fliessende Person des Dichters;*) die Thalysia (7. Idyll) schildern unter
dem Namen von Landleuten das Treiben der Glieder des koischen Dichter-
bimdes. Endlich auch in der Vortragsweise ist den Idyllen eine gewisse
Zwittematur aufgeprägt: sie waren zum Singen bestimmt, und dem hätte
am besten die Strophenbildung der Lyriker entsprochen; Theokrit aber
wählte die epische Form des gleichen wiederkehrenden Verses^) und
') Bbiitkeb, De Theocriti vita carmini- | den Denominativen der Neuira auf o; findet,
baaqne subditicüs, Diss. Rostock 1884 S. 30; Falsche Dorismen sind aavxia, afxsQog,
Sdsimibl, AI. Lit 215 An. 54.
*) Die Doris mitior des Theokrit bildet
Iki den Grammatikern den Gegensatz zur
Doris severior der LakedAmonier. Von dem
Dialekt heisst das Hirtenlied bei Moschos 12
dm^g doiSa.
') Bei solchen Nachbildungen blieben
tuch nicht Missverstftndnisse aus, wie wenn
lleokrit 12, 28 oixdovifi nach der falschen
Analogie des homerischen xBXeiovüi bildet,
wiewohl diese Form sich bei Homer nur bei
TlQttTOg.
^) Unter dem Geisshirt Tityros versteckt
sich nach einer Vermutung Meinekes Ale-
xandros Aitolos, dessen Vater Satyros hiess.
Ausserdem vermutet Häberlin hinter dem
schönen Jttngling Ageanax den Dichter Her-
mesianax, und findet Gercke in seinen Ale-
xandrinischen Studien versteckte Ausftlle
gegen Dichterrivalen in Masse; ähnlich
Rbxtzevstbin, Epigr. 288 ff.
^) Darin ist vielleicht Theokrit den alten
526
Orieohisohe Litteimiiirge«ohiohte. IL HaohklMnsohe Litteratnr.
näherte sich nur dadurch den Lyrikern, dass er in der Regel eine gleiche
Anzahl von Hexametern zu je einem Satze verband.^) Damit erhielt er
eine Art Strophe, aber f&r den Oesang und die Wiederholung der gleichen
Melodie war dieselbe doch wenig geeignet, weil die Struktur oder die
Ordnung der Längen und Kürzen nicht die gleiche in den sich entsprechen-
den Versen war. Und wiewohl der Dichter auf solche Weise im Versbau
nicht an Gleichheit der Silbenzahl gebunden war, fioss ihm doch der Vers
nicht leicht, und erlaubte er sich oft, dem Metrum zulieb von der natür-
lichen Wortstellung in sinnstörender Weise abzugehen.') Aber zwei Eigen-
schaften sind es, die den Theokrit trotz dieser Mängel zu einem der lieb-
lichsten, anmutigsten Dichter machen, die verständnisinnige, schwärmerische
Hingabe an die Natur und das hervorragende Talent anschaulicher Schil-
derung. Die erstere Eigenschaft zeigt er nicht bloss in den bukolischen
Idyllen, auch im Enkomion auf Hieron liess er sich die Gelegenheit nicht
entgehen, den Segen des Friedens durch Hinweis auf die blühenden Saat-
fiuren, die blökenden Schafherden und das liebliche Summen der Zikaden
(16, 90—96) zu preisen. Man wird nicht fehl gehen, wenn man die innige
Freundschaft des Dichters mit dem Arzte Nikias auf ihre geistige Ver-
wandtschaft und ihre gemeinsame Liebe zur Natur zurückfuhrt. Die Be-
schreibung spielt in den Gedichten des Theokrit fast eine zu grosse Rolle,
indem derselbe nicht mehr wie Homer mit ein paar Strichen etwas schil-
dert und die Beschaffenheit einer Sache aus ihrer Wirkung erkennen lässt,
sondern mit Vorliebe bei der Zeichnung des einzelnen verweilt, wie des
geschnitzten Bechers, den der Geisshirt dem Thyrsis zum Preise aussetzt
(1, 27 — 56), und des Faustkampfes zwischen dem Dioskuren Polydeukes
und dem Unhold Amykos (22, 80—120). Dabei tritt überall die Neigung
für das Genremässige und Niedliche in der Natur wie im Leben hervor,
was an die gleiche Richtung in der Kunst des alexandrinischen Zeitalters
und die hübschen Terrakotten von Tanagra erinnert.*) Ist in der Be-
schreibung von Scenen und Gegenständen ein Übermass zu tadeln, so muss
man hingegen ganz des Lobes voll sein in Anerkennung der lebenswarmen
Charakterzeichnungen, die dem Dichter ebenso bei den Hirten und Bauern
des Landes, wie bei den neugierigen Festfeierinnen und den verliebten
Zauberinnen der Stadt gelang. Hier machte sich zumeist die Kunst des
Sikiliers in mimischer Nachahmung und der Einfiuss des Mimendichters
Sophron geltend. Eigentlich originell war Theokrit so wenig wie irgend
ein anderer Dichter der alexandrinischen Epoche : Stesichoros und Sophron
waren ihm hauptsächlichste Vorbilder; an Alkaios und Sappho schloss er
kitharodischen Nomendichtem gefolgt; auch
TimotheoB dichtete vofiovg fjtova^xovg dt*
incüv,
») Siehe oben § 360. Der Refrain {ver-
8X18 intercalaris) ist zu Hilfe genommen 1,
64 ff. und 2, 17 ff. Die Strophenbildnng
durch den Sinn und den Personenwechsel
liegt offen zu Tag in dem Wettgesang des
Battos und Milon im 10. und des Daphnis
und Menalkas im 8. Idyll. Die Strophen-
bildnng ist überall angedeutet in der Aus-
gabe von Ahrens; vgl. EOchly, Carmisnm
Theocriti in strophas restitntonun specimen,
Turici 1858.
') Die ärgste Wortrerstellung findet sich
29, 3: xjyycü fjikv td q)QBviov iqivt niar h
fivxio und 29, 32: xai fjLoi r<oQafiiyt^ cvri^r
dd6X(üg ai9ey.
') BRUim, Die griechischen Bnkoliker,
und die bUdende Kunst, in Stzb. d. b. AL
1879, I 1—21.
A. Alexandrinischea Zeitalter. 8. Die Poesie. (§ 365.) 527
sich in den äolischen Paignia an; auch an Alkman und Pindar finden sich
Anklänge, an den ersteren in dem Hochzeitlied auf Helena (id. 18), an den
letzteren im Herakliskos (id. 24) ; homerische Wendungen finden sich ohne-
hin in den hexametrischen Dichtungen Schritt auf Tritt; auch Anlehen
aus der hebräischen Poesie, die dem Dichter durch die Übersetzung der
Septaaginta näher gerückt worden sei, hat Mahaffjr, Glass. gr. lit. I 2, 195
in dem Hochzeitslied auf Helena i) erkennen wollen. — Der Ruhm und die
Behebtheit der theokritischen Poesie überdauerte das Leben des Dichters :
die Bukoliker Bion und Moschos traten in die Fusstapfen des Begründers
der bukolischen Poesie ; die Epigrammatiker gefielen sich in der Nach-
ahmung einzelner Verse des Theokrit;^) in die römische Poesie hat Vergil
mit seinen Bucolica die Hirtenpoesie des Theokrit eingeführt ; auch Horaz
muss, wie die Nachahmung Od. I 12, 27 ff. zeigt, die Qedichte des sikili-
schen Dichters eifrig gelesen haben; im Beginne des Mittelalters suchte
Harianos durch seine Metaphrase in jambischen Versen (3150 nach Suidas)
die Poesie des Theokrit seinen Landsleuten näher zu bringen.
Schollen: Die Gedichte des Theokrit waren seit der Zeit des Cicero Gegenstand
obigen Stadiums der Grammatiker, insbesondere des Artemidor, Theon, Amarantos, Ni-
kuior, Mmiatius (ans der Umgebung des Herodes Attikos) und zuletzfc des Eratosthenes
aus der Zeit des JusUnian. Auf Theon gehen die Scholien zu den Gedichten der Sammlung
I~17 rorfick; die H^rpotheseis darf man in ihrem Grundstock auf Artemidor zurflckfQhren.
Ans dem späten Mittelalter stammen die wertlosen Scholia recentiora des Moschopulos,
Maximns Planudes und Demetrios Triklinios. üeber alle diese handelt Abbens im 2. Bde
seiner Ausgabe.
Von den Handschriften ist keine Alter als das 13. Jahrb. Dieselben gehen auf ver-
schiedene St&mme zurück; die Aufstellung eines Stammbaumes ist bis jetzt nicht gelungen.
Die besten sind: Ambros. 222 (k) s. Xfll, Vatic. 915 (m) s. XIII, Vatic. 913 (h) s. XIII,
Medic. 37 (p) s. XIV, Ambros. 75 (c) s. XV; für SyUoge # Vatic. 1824/25, Paris. 2832.
&en kritischen Apparat bieten die Ausgaben von Gaisford, Ahrens und am besten Ziegler.
Ausgaben: von Dan. Heinsius 1603 mit eleganter Uebersetzung in lat. Versen; cum
commentarüs Valckenarii, Brünckii, Toupii, Berol. 1810, 2 vol. — Poetae gr. min. ed.
Gaisfobd, Oxonii 1821 vol. 11 und IV. — BucoUcorum graecomm reliqoiae ed. Ahbbns, Lips.
1855, 2 tom. — Theocriii reliquiae cum animadv. ed. Ejesslino, Lips. 1819. — Theocriti
cannina, tertium ed. Zieoler, Tubing. 1879. — Theoer. Bion et Moschus ex recogn. Meinekii,
^ m. 1856, mit scharfsinniger Textesrekonstitution. — Theocriti idyUia commentarüs
eriticis atqne exegeticis instr. Arm. Fritzsobe, ed. alt. Lips. 1870; erklärende Ausgabe von
ftötzscHB, 3. Aufl. 1881 besorgt von Hilleb. — Hiller, Beiträge zur Texteskritik der
BnkoUker, mit dem Texte der Sylloge #, Lips. 1888.
Lexicon Theocriteum compos. Rumpel, Leipz. 1879. — Morsbacb, Üeber den Dialekt
llieokritB in Gurtius Studien X I — 38. — Kunst, De Theoer. versu heroico, in Dissert. phil.
Tmdob. 11-124.
365. Bion aus Smyrna war jüngerer Zeitgenosse und Nachahmer
des Theokrit. Über seine Lebensverhältnisse klärt uns zumeist das Grab-
gedicht {innd^iog) auf Bion auf. Danach lebte er den grössten Teil seines
Lebens in Sikilien und starb an Gift, das ihm seine Feinde beigebracht
hatten. Nach dem Vers 101 des erwähnten Grabgedichtes starb er noch
vor Theokrit, aber jener Vers ist eine Interpolation des Musurus. Er-
halten sind uns von ihm deTheT^hmte'Emra^iog'Addvidog und 17 kleinere
Stedichte. Der Epitaphios, dessen Form lebhaft an das Klagelied auf
Daphnis im ersten Idyll Theokrits erinnert, steht mit den Adoniazusen des
Theokrit in engem Zusammenhang, da sich beide Gedichte auf das unter
^) Yerglicben hat der englische Gelehrte i *) Kehr, De poetarum qni snnt in antho*
18, 23—30 mit dem Gesang Sidomos I 9, , logia Palatina stadüs Theocriteis, Leipzig,
TlÄ-10- I Diss. 1880.
528
Grieohisohe LitteratorgeBohiohte. n. Haohklasaisohe litteratnr.
Ptolemaios Philadelphos mit besonderem Glänze gefeierte Adonisfest be-
ziehen. An dem 2. Tage des Festes nämlich ward die Wiedervereinigung
des Adonis mit Aphrodite gefeiert, and auf diesen Abschnitt des Fest^
beziehen sich die Udwviä^ovaai des Theokrit. Am ersten Tage hingegen
ward die Todesfeier des auf der Jagd von einem Eber verwundeten Lieb-
lings der Göttin begangen, und für diese war das Gedicht des Bion be-
stimmt, i) Dieses wie die andern Gedichte des Bion sind reich an sprach-
lichen Schönheiten und Tiefe der Empfindung, aber es mangelt ihnen die
Kraft und die Naturwahrheit der theokritischen Muse. Das Übermass von
Sentimentalität und erschlaffender Weichheit zeigt sich auch in dem Vers-
bau, indem der Dichter mit Vorliebe Versausgänge auf 2 Spondeen, wie
ojQvoriai, daxQvovTi, anwendet.
Mosch OS aus Syrakus (?) wird von Suidas Anhänger des Aristarch (Agt-
avuQxov yvfOQifxog) genannt und muss demnach nach 150 v. Chr. seine Blüte
gehabt haben. ^) Da er ferner selbst das Grablied auf seinen Lehrer Bion auso-
nische Muse nennt (V. 101), so wird er wohl in Unteritalien zu Hause ge-
wesen sein. Erhalten haben sich von ihm ausser einigen Kleinigkeiten
2 längere Gedichte, der schon erwähnte, nach dem Muster des Epitaphios
auf Adonis gedichtete, aber gekünstelte und überladene ^Enixdquoq Moaxov,
und die EvQcinrj, an deren Inhalt und Darstellung das 64. Gedicht des
CatuU von der Verlassung der Ariadne anklingt, s) Artig ist auch das von
Neueren, wie Torquato Tasso und Ben Jonson nachgeahmte Gedichtchen
^'EQcag SQanärrjg, ein poetischer Steckbrief auf den entlaufenen Eros.*)
e) Das Kunstepos und das Lehrgedieht.
866. Das Epos kam im alexandrinischen Zeitalter am schlechtesten
weg. Vom eigentlichen Epos, dem volksmässigen Heldengedicht, konnte
selbstverständlich in einer Zeit, wo es keine Volkshelden gab und die ton-
angebenden Gelehrten, losgelöst vom Volk, eine Gesellschaft für sich bil-
deten, keine Rede sein. Zwar zogen die Könige jener Zeit, wie später in
Rom die Kaiser, Dichter an ihren Hof, die ihre kriegerischen Thaten in
epischen Gedichten verherrlichen sollten; aber die Epen des Choirilos aus
lasos auf Alexander d. Gr., 5) des Simonides Magnes auf Antiochos d. Gr.,
des Leschides auf Eumenes, des Musaios Ephesios auf Eumenes und
Attalos drangen nicht in das Volk und sind spurlos zu grund gegangen.
Einen schwachen Ersatz bot das mit mehr Liebe und Erfolg gepflegte
Kunstepos; dasselbe knüpfte an die letzten Ausläufer des Epos der klassi-
^) Der Gegenstand hat Lindensclimit
die Anregung zu dem Bude, Klage der Venus
um Adonis, gegeben.
^) Die Zeit des Moschos möglichst an
die des Aristarch zu rücken, nötigt die eigene
Angabe des Dichters (8, 301), dass Bion sein
Lehrer gewesen sei. Bücheler Rh. M. 30,
36 ff. setzt den Epitaphios unseres Moschos
etwas weiter herab in die Zeit des Bundesge-
nossenkrieges. Auffallig ist, dass Suidas unt.
Mocxog und das Epigramm AP. IX 440 die
drei Bukoliker in folgender Reihenfolge auf-
führt: GeoxQiTogy Moaxos, Bltüv.
') Benutzt ist dasselbe auch von Horaz
Od. 3, 27, worfiber Lessino, Vademecom
für Lange.
^) Bion und Moschos wurden yon Arte^
midor mit Theokrit zu einer Sammlung ver-
bunden, daher auch ihre Ueberlieferong und
ihre Herausgabe Hand in Hand geht mit
der des Theokrit.
') üeber die einzelnen Dichter geben
Auskunft die Artikel des Suidas, femer
DOntzbb, Die Fragmente der epischen Poesie
der Griechen, 2. Bd.
A. AleoEandriniBchea Zeitalter. 2. Die Poesie. (§§ 366—367.)
529
sehen Zeit an und besang von neuem die alten Sagen von den Argonauten,
den Sieben vor Theben, von Perseus, Herakles,^) den Städtegründungen.')
Doch wärmten die Dichter nicht einfach den alten Kohl auf, sondern zogen
auch neue Stoffe, wie Rhianos die Heldenthaten des Aristomenes, in den
Kreis der Poesie und flochten, dem Zuge der Zeit folgend, mit Vorliebe
erotische Liebesabenteuer in die alten Überlieferungen ein. Auch historische
Partien der Geschichte wurden poetisch verherrlicht, wie die sikilische
Geschichte durch Polykritos, und gegen Ende unserer Periode der mithri-
datische und kimbrische Krieg durch den aus Ciceros Reden bekannter
gewordenen Dichter Archias aus Antiochia.^) Am meisten Boden gewann
das Lehrgedicht auf den verschiedenen Gebieten der Astronomie, Geo-
graphie, Mythologie, Jagd und Naturkunde. Anfangs behielt man für das-
selbe die alte, durch Hesiod typisch gewordene Form des daktylischen
Hexameters bei;^) seit Apollodor machte demselben der iambische Trimeter
den Rang streitig.
867. Aratos (um 305 — um 240),^) der Hauptvertreter des alexandri-
nischen Lehrgedichtes, entstammte einer vornehmen Familie des kilikischen
Soloi. Seine höhere Ausbildung erhielt er in Athen. Der Grammatiker
Henekrates und die Philosophen Timon und Menedemos werden seine
Lehrer genannt, mit dem Stoiker Zenon und dessen Schüler Persaios war
er befreundet. Um 276 folgte er einer Einladung des Königs Antigonos
Gonatas an den Hof von Pella.^) Hochgeehrt von den Königen Antigonos
und Antiochos I, stand er zugleich mit den bedeutendsten Dichtern seiner
Zeit, insbesondere mit Theokrit, Kallimachos und Alexander Aetolus in
freundschaftlichem Verkehr.'') Seinen Ruhm bei der Nachwelt«) verdankt
^) Antagoras schrieb eine Thebais, an Hesiod Nikainetos in dem Frauenka
Rhianos eine Herakleia, Theo ly kos Bax-
Z^ia htvi, Mnsaios eine Perseis. Epyllien
da* Art sind uns mehrere in der Auswahl
ikeokritischer Gedichte erhalten. Die beste
Tontellnng gibt uns das Epyllion des Catull
(64) Ton der Hochzeit des Peleus und der
llietiSy dem wohl ein alexandiinisches Ori-
gbal zom Vorbild diente.
*) Verse ans einer anonymen Adaßov
xriftf citiert Parthenios Erot. 21. Apol-
lonioB dichtete Kriaeig 'Po^ov, Kavvov,
'AU^ttvdQeittg , Philon nBQt *lBQOüoXiifjnüy,
Tiieodotos Tiff^c'fot'ifaictfy, Rhianos '^/ff(-
^,*tiXuixtt, Sc0<raXixdt Mcaai^rtaxcr, Nik an-
der 9rjßatx(i, Demos thenes Bi^vyiaxdj
^ßaixd, Pb als tos AaxBdmfioyixd f Maxe-
') Ob auch Hegemon der Verfasser von
dn^avixd nnd eines Epos vom lenktrischen
Krieg der Thebaner nnd Lakedämonier un-
Krer Periode oder der römischen Eaiserzeit
pgehdrte, ist angewiss. Stephan. Byz. unt.
^AU^dvdQBia iy Tgoitf ftthrt unter den Be-
rfthmtheiten der Stadt an 'HyijfÄtov inonoiog
^ iy^tnffe joy uievxtgtxoy nöXefJiov rtay Srj-
^mv xat AaxcdttifÄoyimy, aber ohne Zeitan-
gibe. Den gleichen Stoff behandelte in Prosa
der Rhetor der Kaiserzeit Aristides.
*) Auch dem Inhalte nach lehnte sich
Bsodbodi d«r kUu». AltertannwlaienBchaft. VII.
an Hesiod
talog an.
*) Ueber Arat haben wir ausser einem
Artikel des Suidas 4 ausfOhrliche griechische
und eine lateinische Biographie, gedruckt in
Westebmanns Biogr. graec. 52 ff. Arat war
etwas jflnger als KalUmachos nach der Vita
IV: yr^gaii^ d^ rio KvgriyaLt^ ineßdXXero ' vgl.
RiTscHL, Opusc. I 72, und oben S. 505
Anm. 5. Ein Bild von ihm in cod. Matrid.
A 14, publiziert von Bbthb Rh. M. 58, 91,
und in einem Mosaik von Trier, publiziert
in Mon. ant. I (1889) 479.
') Suidas gibt als hervorragende Epoche
seines Lebens Ol. 124 an, die Vitae I u. IV
Ol. 125; vgl. ÜSENEB Rh. M. 29, 42; Koepke,
De Arati Solensis aetate, Guben 1867.
^) Das schmeichelhafte Epigramm des
Kallimachos, Anth. IX 507, auf sein Lehr-
gedicht lautet:
'Haiodov TotT deiafin xrd 6 rgortog ' ov roy
(loidtay
lüXtttoy^dXX^ oxy4to fjtrj x6 ^eXt^goratoy
tcjy initov 6 loXsvg dTtSfid^ato * x^'^Q^"^^
Xenral
^iqaiBg, ^Aqdxov cvytoyog dyQvnyirj.
Theokrit widmete ihm das 6. Idyll; des Ver-
kehrs mit Antagoras und Alexander Aetolus
gedenkt die Vita.
^) Kallimachos in dem erwähnten Epi-
Aufl. 34
530
Grieohiaohe Litteratnrgesohiohte. ü. Naohklassiaohe Litieratiir.
er dem uns erhaltenen astronomischen Lehrgedicht <Patvdfi€va in 1154
Hexametern. Ausserdem hatte man von ihm einen Hymnus auf Pan, mit
dem er sich bei Antigenes eingeführt hatte, *) Klagelieder auf verstorbene
Freunde («ttix/JJ«««), verschiedene medizinische Schriften, eine Sammlung
kleinerer Gedichte {rä xard if/rrov),*) eine kritische Bearbeitung der
Odyssee, Briefe u. a.^) Die Briefe galten jedoch als unecht und als Mach-
werk eines gewissen Sabirius Pollio.*) — Sein Hauptwerk, die Phainomena,
verfasste er im Auftrag seines Gönners, des Königs Antigonos. Dem Ge-
dicht lag ein in Prosa geschriebenes Werk des Eudoxos zu grund; Arat
wollte durch den Reiz der metrischen Form der Lehre des berühmten
Astronomen weitere Verbreitung geben. Vorausgegangen war ihm in
dem Versuch einer metrischen Behandlung der Sternkunde Kleostratos
aus Tenedos, der vor Eudoxos zur Zeit der Perserkriege gelebt hatte. ^)
Der erste und hauptsächlichste Teil der Phainomena (1 — 732) handelt von
den Himmelserscheinungen {(paivofiera) und den an dieselben sich knüpfen-
den Stemsagen. Ein locker angefügter . Anhang (733—1154), der in
jüngeren Handschriften die Aufschrift JtoarjfjisTai führt und von Cicero
unter dem Titel Prognostica {nQoyvwaeig Su arj/Ä€{(ov bei Hipparch) ins
Lateinische übertragen wurde, bespricht die Wetterzeichen in wesentlicher
Übereinstimmung mit der unter Theophrasts Namen erhaltenen Prosa-
schrift 7t€Ql (frjfi€{(ov.^) Die Verse des Gedichtes sind fliessend, bewegen
sich aber meist in homerischen Wendungen, nicht ohne einige Sprachver-
stösse, die den Nachahmer verraten.*^) Im Ton des Lehrgedichtes war
dem Arat Hesiod Vorbild; 8) von ihm hat er auch die Einlage von Epi-
soden, wie der von dem goldenen Zeitalter unter dem Zepter der Dike
(96—136), genommen. Die Beschreibung ist schlicht und einfach, er-
gramm; Leonidas von Tarent Anth. IX 25;
Pfcolemaios Append. epigr. 70:
n«v9^ 'Hyrjaiaya^ r$ xai "E^fAinnog tu xcrr*
TelQ€tt xal noXXol ravra rd (paiyofABy«
ßißXoi^ iyxati&evxo ' dnoaxontoi (T a^'-
/jiaQToyf
flXXd TÖ XenroXoyov cxrjnxQov ^AQottog
Ovid am. 1 15, 16 : cum sole et luna semperÄra-
iu8 erit. Maximas Tvrius or. 30 nennt ihn
gar noirjTtjy ov6kv doo^otegoy xov 'OfjuijQov.
Vgl. Cic. de orat. I 16. In Soli wurde dem
Dichter ein Denkmal gesetzt (Mela I 13);
sein Bild setzten die Solenser auf ihre
Münzen.
^) Dem Pan glaubte nämlich Antigonos
seinen Sieg über die Gallier bei Lysimachia
zu verdanken (277). Aus gleichem Anlass
hatte auch Eastorion einen Hymnus auf Pan
gedichtet; s. Häbbklin, Garmina figur. gr. 56.
*) "AQttioq iy ToTs xard Xentoy bei Strabo
p. 486; aus Catalepta entstand durch Miss-
verstand Catalecta Vergili, wie Bbrok Rh.
M. 20, 291 nachwies.
') Ein ausführliches, aber doch nicht
vollständiges Verzeichnis gibt Suidas; die
Vita n nennt 4 Hauptwerke: 'JajQtxai ^vyä-
fiei^y Kayoyog xatatOfArj , ^aiyofAeya, Tie^t
dyazoX^i. Das letzte legten andere dem
Hegesianaz bei; vgl. Buhle, De Arati So-
lensis scriptis, in Ausg. II 449 ff.; Maass,
Aratea 209 ff.
*) Vito I 101; vergl. Bbntlby, Epist
Phaler. 71.
») Vgl. Pliniufl N. H. II 8 und Genaorinns
de die nat. 28; 2 Hexameter des Gredicbtes
hat uns ein Scholion zu Eur. Rhes. 529 er-
halten.
^) Der Anhang steht an sprachlicher
Gewandtheit dem Hauptteile nach und hat
überdies mehrere sprachliche Eigentümlich-
lichkeiten, welche an der Gleichheit des Ver-
fassers zweifeln lassen. Graubht Rh. M.
a. F. I 336 ff. meint, dass ehedem zwischen
den beiden Teilen noch ein Abschnitt nc^t
xayoyog gestanden habe; dagegen BOckh,
Ges. Schrift. IV 301 ff.
^) So ist t(fi V. 588 als Dativ, InTtota
V. 664 als Genetiv gebraucht, anstAssig sind
namentlich die vielen Flickpartrikeln yc t$
roi, LoEBB, De elocutione Arati, Hai. 1864.
*j Kaibel Herm. 29, 82 ff.
A. AlezandriniBohes Zeitalter. 2. Die Poesie. (§ 367.) 531
mangelt zwar des dichterischen Schwunges, zeichnet sich dafür aher durch
Klarheit und Bestimmtheit aus. Einen Hauptschmuck bilden die Stern-
sagen, die den Himmel mit den schönen Mythen der Götter- und Heroen-
welt beleben. Die Neigung, Nymphen und Heroen unter die Sterne zu
versetzen und die Sternbilder mit den Geschicken der Menschen auf Erden
in Verbindung zu setzen, ist im alexandrinischen Zeitalter und besonders
dnrch Arat aufgekommen. Aber derselbe hat nicht alle Stemmythen selbst
erfunden, vielmehr hat er, ganz abgesehen von den Einflüssen des Orients
nnd der Chaldäer, vielfach nur alte Erzählungen an die neu benannten
Sternbilder angeknüpft. In einigen Stemsagen waren ihm auch bereits
alte Dichter und Mythographen vorangegangen. Schon Homer II. 18, 486,
Od. 5, 273 gibt dem Wagen oder Siebengestim den Namen Bär (ceQxTog),
indem er denselben dem himmlischen Jäger Orion auf lauem lässt;
sodann liess Pindar bereits in einem Dithyrambus (fr. 74) die von Orion
verfolgten Pleiaden von Zeus unter die Sterne versetzt werden; anderes
dichteten Musaios und Epimenides, die Yerkünder des Götterwillens (Jiog
i7iog;ijTair Arat 164), hinzu. Aber derjenige, der den Himmel mit Göttern
and Halbgöttern und deren Abzeichen bevölkerte, war doch erst unser
Arat. Die Aufmerksamkeit, welche die Gebildeten im Altertum den Natur-
erscheinungen und speziell dem Sternenhimmel zuwandten, verschafften dem
Gedicht einen ausserordentlichen Erfolg. Zahlreiche Gelehrte, Mathematiker
wie Grammatiker,^) schrieben Kommentare zu demselben; von den Römern
haben Varro Atacinus, Cicero, Germanicus, Avien um die Wette Über-
setzungen desselben geliefert. Den Kopf des Dichters selbst setzten neben
dem seines Landsmannes Chrysippos die dankbaren Bürger von Soloi, dem
späteren Pompeiopolis, auf ihre Stadtmünzen. ^)
Die handschriftliche üeberlieferung ist klar gelegt von Maass in der krit. Ausg. Da-
Bach Haaptvertreter cod. Marcian. (M) s. XI, geschrieben v^om Diakon Niketas, mit kritischen
Zeichen (Ton Theon?). — Eine Stemkai-te zu dem Gedicht gibt Maass in seiner Ausg. aus
einem Codex des Germanicus. Dieselbe Iftsst sich nicht auf Arat selbst zurückführen, wie-
wohl derselbe doch wahrscheinlich eine ähnliche Karte vor sich hatte.
Ausgabe mit den lateinischen Uebersetzungen und den alten Scholien von Buhle,
Ufß, 1793, 2 Bde; von Halma Par. 1822; mit kritischem Apparat u. 8cholien von Imh.
Bekksr, Berol. 1828. Hauptausgabe von E. Maass, Berolini 1893; dazu von demselben
Verfasser Aratea in Phil, ünt XH.
Scholien und Kommentare. Die von dem Mathematiker Theon (4. Jahrh. n. Chr.)
henührenden Scholien nehmen auf Plutarch und einen älteren Erklärer S porös (2. Jahrh.
n. Ghr.i Bezug. Von einer Paraphrase, die teils dem Empedokles, teils dem Theon zuge-
achrieben wird, gibt Notiz Maass, PM. Unt. VI 140. - Von selbständigen Kommentaren
isi der wichtigste Hipparchi Ttßy ^Agatov »al Evdo^ov (fawofjiivüiv i^tjytjcsis 3 B. (2 er-
lialten, gedruckt in retavins Uranologium, Paris 1630 p. 171 ff., neubearbeitet von Ma-
mTiiTs, lips. 1894), in denen der berühmte Mathematiker mit selbständigem urteil die Irr-
t&mer seiner beiden Vorgänger, namentlich die des Arat, berichtigt gegenüber einem rho-
diachen Grammatiker Attalos, der überall den Dichter in Schutz genommen hatte.
Ausserdem hatten Kommentare zu den Phainomena verfasst der Stoiker Boethos (2. Jahrh.
r. Chr.) und Diodoros von Alexandrien, aus deren Kommentaren der Akademiker Eudoros
(zur Zeit Strabos) einen Auszug machte. Erhalten sind uns von selbständigen Kommen-
*) Ein Verzeichnis ttoy tibqI rov noitjrov
9vna^afi^ywy steht in Vat. 191 u. 381, wo-
rfiber Maass, Herm. 16, 385 und Boehme
fih. M. 42, 307 ff. Im Ganzen waren es 27
Kommentatoren, wozu noch die Scholiasten
ZQ der lateinischen üebersetzung des Ger-
manicus kommen.
2) Visconti, Iconogr. gr. Ip. 93, lll p. 395 ;
BOrchner, Griech. Münzen mit Bildnissen
historischer Privatpersonen, Zeitschrift für
Numismatik IX 118; vgl. oben S. 529 Anm. 5.
34*
532
Grieohisohe Litteratargeachiohte. II. Haohklassisohe litterfttar.
taren ausser Hipparch noch Geminns (oder PoseidonioB) Eüraytoyij elf rd ipaiifofupa;
Achilles (nach Suidas 'A^i^Xerg Ixntiog um 200 n. Chr.) ht ttov 'AxiXUoi^ ngos $iatt'
yfoyfjy eis t« 'Jgäzov (fttifofievu; Leontios (7. Jahrh.) nBQi »atacxevi^g 'jlgareiov cfpaiQai.
Gesamtausgabe der Kommentare in Petavius Uranologium, Paris 1630; neue Ausgabe er-
wartet von Maass.
368. Apollonios^) (um 295— um 215),*) Sohn des Silleus, gewöhn-
lich der Rhodier von seinem späteren Aufenthalt auf der Insel Rhodos
genannt, ist der bedeutendste unter den alexandrinischen Epikern. Seine
Vaterstadt war nach den einen Alexandria, nach den andern Naukratis.')
In seinen Studien schloss er sich der Richtung des Kallimachos an, welche
Poesie mit Gelehrsamkeit vereinigte; Suidas nennt ihn geradezu einen
Schüler des Kallimachos.^) Aber beide vertrugen sich aus Eifersucht
schlecht, indem der ältere Kallimachos das dickleibige Epos des jüngeren
Genossen verspottete und ApoUonios die Schuld des Zwistes dem Dichter
der Aitia beimass.^) Infolge der Zerwürfnisse verliess ApoUonios Ägypten
und wandte sich nach Rhodos, wo er von den bildungliebenden Bürgern
der blühenden Insel mit offenen Armen aufgenommen wurde. Später aber
kehrte er, wenigstens nach* der einen Vita, wieder nach Alexandria zurück;
das wird, wenn es überhaupt richtig ist, erst nach dem Tod des Kalli-
machos unter Ptolemaios Euergetes (246—^221) gewesen sein, unterdessen
Regierung Suidas unseren ApoUonios gelebt haben lässt. Mit der firag-
lichen Rückkehr hängt die andere Frage zusammen, ob und wann er in
höherem Lebensalter als Nachfolger des Eratosthenes zum Leiter der
Bibliothek bestellt worden sei.^)
Die gelehrte Thätigkeit unseres ApoUonios war nicht bedeutend ; auf
seine Schrift Ttgog Zr^vöSorov wird in den Homerscholien öfters Rücksicht
genommen; 7) sein Buch über Archilochos, das auch auf sachliche Erklä-
rungen einging, citiert Athenaios p. 451 d; seiner Studien zu Hesiod wird
in den Scholien zum Schilde des Herakles gedacht. Grösser war sein An-
sehen als Dichter, und zwar wandte er sich hier ganz der Gattung des
erzählenden Kunstepos zu. Von den epischen Gedichten auf die Gründung
verschiedener Städte seiner alten und neuen Heimat, wie Alexandreia,
Naukratis, Kaunos, Rhodos, Knidos, haben sich nur ein paar Hexameter
erhalten. Auch das Gedicht über Kanobos, das in Choliamben geschrieben
war, ist bis auf wenige durch Stephanos Byz. erhaltene Verse verloren
gegangen. Aber sein berühmtestes Werk, die 'AQyovavnxa in 4 B., ist
vollständig mit alten Scholien auf uns gekommen. Dasselbe hat ApoUonios
als junger Mann in Alexandria zu dichten begonnen, dann aber, als er
^) Aus dem Altertum ein Artikel des
Suidas und 2 dürftige Vitae; aus neuerer
Zeit W KICHERT, Ueber das Leben und das
Gedicht des ApoUonius von Rbodus, Meissen
1821.
2) Gerckb Rh. M. 44, 252 setzt die Ge-
burt des ApoUonios auf 296/2.
') 'Me^aydgevs heisst er bei Suidas und
Strabonp. 655, Navxgarirtjg bei Ath. p. 283 d
u. Aelian H. A. XV 23, wahrscheinlich weU
er von den Bürgern der griechischen Kolonie
Naukratis, deren Gründung er besungen hatte,
mit dem Bürgerrecht beschenkt worden war.
*) Dieses bestreitet Gsrckjs Rh. M. 44,
240 ff. und Ifisst eine treffliche, nur zu sehr
ins Schwarze gemalte Charakteristik des
ApoUonios im Gegensatz zu Theokrit and
Kallimachos folgen.
») Anth. XI275; vgl. § 349.
^) Ol. 144/5 nach Ritscbl, Opusc. 173:
was wohl zu spät angesetzt ist. Ein Ehr«n-
begräbnis erhielt ApoUonios nach der Tita
neben Kallimachos, vermutlich i»^ ßtt^^Xtims,
s. Mbbkel, Proleg. p. 14.
'') Die Stellen zusammengestellt von
Merkel, Proleg. I 4.
A. Alezandrinuiohes Zeitalter. 2. Die Poesie.
i 368—369.)
533
damit in den massgebenden Kreisen der Gelehrtenstadt keinen Anklang
fand, in Rhodos umgearbeitet und in zweiter verbesserter Gestalt heraus-
gegeben, i)
368. Der Inhalt der Argonautika ist in dem Titel ausgesprochen;
der Stoff war gut gewählt, weil er noch nicht durch einen berühmten
Dichter bearbeitet war *) und dem Interesse der Zeit für wunderbare Dinge
and fabelhafte örtlickeiten entgegen kam. Erzählt ist er in 4 Büchern,
also in so vielen als dramatische Stücke von einem Tragiker an einem
Festspieltag aufgeführt wurden ; darin wird man den Einfluss des Aristoteles
erkennen dürfen, der Poet. 24 für das Epos einen kleineren, der Zahl der
an einem Tag aufzuführenden Tragödien entsprechenden Umfang verlangte. 3)
Die beiden ersten Bücher, welche den Anlass des Zuges, die Ausrüstung
des Schiffes und die Fährlichkeiten der Hinfahrt umfassen, hängen enger
Zusammen und sind durch ein Proömium eingeleitet, welches sich nur auf
diese beiden ersten Bücher bezieht. Der Dichter erzählt in ihnen mit
epischer Breite die allbekannten, auch durch die Kunst verherrlichten
Sagen von der Landung auf der Insel Lemnos, dem Verschwinden des
schönen, von der Nymphe in den Quell hinabgezogenen Jünglings Hylas,
den Ringkampf des Polydeukes mit dem Riesen Amykos, die Erlösung des
blinden Greises Phineus von der Plage der Harpyien, die Fahrt durch die
zusanunenschlagenden Felsen u. a.^) Im 3. Buch hebt der Dichter ge-
wissermassen von neuem an, indem er die Erato, die Muse des Tanzes
and der Liebespoesie, anruft, um die Bezwingung der Königstochter Medea
durch die Pfeile des Eros und den dadurch ermöglichten Sieg des lasen
in den ihm von Aetes auferlegten Kämpfen zu besingen. In diesem Teile
seines Gedichtes ist ApoUonios entschieden am glücklichsten, indem er,
nicht erdrückt durch die Massenhaftigkeit des Stoffes, desto liebevoller
auf die Ausmalung des Widerstreites der die Seele der Medea erfüllenden
Gefühle eingeht.^) Der vierte und längste Gesang schildert die phan-
tastisch ausgeschmückte und doch phantasielos erzählte Heimkehr der
Helden durch das schwarze Meer, die Flüsse Ister, Eridanos, Rhodanos,
das sardische Meer, die Syrten, endlich an Kreta vorbei in den pagasei-
schen Busen. ^) Hier drängt allzusehr ein Ereignis das andere, und tritt
^) Lesearten der nQo^xdoat^ sind in den
Scholien am I 285. 515. 543. 725 etc. erwähnt,
wonach der Dichter in der 2. Bearbeitung
teils anstOssige Formen wie ßelofjat entfernt,
teilt magere Schilderangen durch neue Verse
erweitert hat. Die auf die Zeugnisse einer
doppelten Ausgabe gebauten Annahmen Gbr-
BABDS, Leci. Apoll., wies in engere Grenzen
MisKBL, Prol. p. XLVI sqq.; vergl. Livde,
De di^ersis recensionibus Apoll. Argon., GOtt.
%8 1885.
') Ans älterer Zeit stammen die Argo-
nautika des Epimenides, von denen Diog.
I 10 als Inhalt angibt: jQyovg vttvnijylay
Tt xai laaovog etg KoXxovg dnonXovv, intj
ft500. Bei Homer Od. fA 70 heisst bekannt-
ü^ die Arge 'jlgyio ttäai fAsXowra, aber yon
jenen ahen Liedern hatte sich nichts erhalten.
Hauptvorgftnger des Apollonios war Pindar
P. IV.
') Damit stimmt auch der grössere Um-
fang der einzelnen Bflcher flberein, deren
Verszahl so ziemlich der einer Tragödie ent-
spricht
*) Scenen der Argonautika sind dar-
gestellt auf der ficoronischen Gista, der Talos-
vase, kampanischen Wandgemftiden mit der
Hylasdarstellung, Sarkophagen mit den Käm-
pfen in Kolchis.
'^) Manches daraus hat Ovid in seinen
Metamorphosen 7, 86 ff. glücklich nach-
geahmt.
') Apollonios ist in dieser Partie teil-
weise dem Timaios (bei Diodor IV 56) ge-
folgt, der nachdem die Früheren die Argo-
nauten um Libyen hatten irren lassen, die
534
Grieohisohe Litteratiurgesohiolite. ü. Hftohklamnaehe Litterfttiir.
in aufdringlicher Weise das Bestreben des Gelehrten hervor, dunkle Sagen
in sein Qedicht hereinzuziehen und nach dem Muster der Aitia des EaUi-
machos den Qrund der damals noch bestehenden Gebräuche zu erklären.^)
Das Gedicht hat im Altertum trotz der Ungunst, der es anfangs bei
den Eallimacheern begegnete, viel Beifall und Bewunderung gefunden:
zwei lateinische Dichter, Yarro Atacinus und Valerius Flaccus, ahmten das-
selbe in freier Übertragung nach;*) zahlreiche Grammatiker (Chares,*) Eire-
naios, Lukillos, Sophokles, Theon) schrieben gelehrte Kommentare dazu;
die Eyklographen oder Fabelsammler benutzten es als Hauptquelle för die
Mythen des Argonautenzugs; Künstler, wie der Verfertiger der Ficoroni-
schen Cista, entnahmen aus ihm Motive der Darstellung; noch im Anfang
des Mittelalters verfertigte der Versifikator Marianos von ihm eine Meta-
phrase in lamben. Das Ansehen war nicht ganz unverdient; Apollonios
hatte sich als gelehrter Dichter durch fieissiges Studium der alten Mythen
und Dichter für seine Aufgabe sorgfältig vorbereitet ;^) er zeigt eine voU-
ständige Herrschaft über die epische Sprache Homers und bietet doch
viele neue Wendungen, Bilder und Gleichnisse ;^) er versteht sich meister-
lich auf Schilderung von Örtlichkeiten und Ausmalung von Seelenzuständen.
Aber den Lichtseiten stehen grössere Schattenseiten gegenüber: sein Ge-
dicht ermangelt vor allem des einheitlichen Mittelpunktes, so dass es sich
in eine Menge mehr äusserlich zusammengereihter als innerlich zusammen-
hängender Scenen auflöst. Wie wir im Anfang über die Person des Pelias
schlecht aufgeklärt werden, so verläuft am Schluss die Handlung voll-
ständig im Sand, indem sogar die Hochzeit des lasen und der Medea,
welche das Ganze einigermassen hätten abrunden können, mitten in das
4. Buch hineinverlegt wird. Von den Helden bekommen wir kein leib-
haftiges, greifbares Bild, sondern nur mythologische Notizen, welche mehr
dem Grammatiker als dem Dichter Ehre machen. LedigUch grammatische
Exkurse sind der Katalog der Teilnehmer an der Fahrt (I 21—227) und
die Beschreibung der Stickereien des Mantels des Jason (I 730 — 767); die
plastische Naturwahrheit Homers verkehrt sich in traumhafte Romantik
und lyrische Sentimentalität.
Die Godd. bilden zwei Familien: die eine reprftsentiert durch den berühmten Laurent.
XXXII 9 8. XI, der auch den Aischylos und Sophokles enthält, die andere durch Guelfer-
bytanuB s. XIII. Ein auserlesener kritischer Apparat mit testimonia grammaticoniin in
Ausg. von Merkel, Lips. 1854. — Schollen beigeschrieben im cod. Laur. mit der Unter-
Irrfahrten in den Westen und Norden Europas
verlegte. Auch sonst hat Apollonios vieles
geneuert, so dass er die Argonauten auf der
Hinfahrt nach Lemnos gelangen Uess, wäh-
rend Pindar P. IV 251 dieses Abenteuer
auf der Rflckfahrt hatte geschehen lassen;
näheres über diese Punkte Max Groegbr,
De Argonauticarum fabularum historia, Vratisl.
Diss. 1889.
^) Eallimachos hatte selbst im 2. Buch
seiner Aitia einen Abschnitt 'Jgyovg otxMfAol.
^) Die Abweichungen der unvollendeten
Argonautica des talentvollen römischen Dich-
ters Valerius Flaccus sind meisterhaft be-
sprochen von Ribbeck, Gesch. d. röm. Dicht.
III 176 flF.
') Ghares, der über die Geschichten der
Argonautika schrieb, war nach Schol. zn 11
1052 ein Schüler des Apollonios.
*) üeber die Nachahmung älterer Dichtex,
wie z. B. des Eleon (I 623), Promathidas
(II 911), Antimachos (IV 156| geben die
Schollen manche belehrende Winke; vergL
Stbndbb, De Argonautamm ezpeditione, Kiel
1874.
^) Wie wenn er IV 903 ff. die Lockun|;en
der Sirenen durch das Saitenspiel des Orpheos
vereitelt werden lässt, oder im Sprachschats
aus Hipponax (II 127) und den Lokaldia-
lekten (11 1172) neue Wörter heranzieht
A. Alexandrinüichea Zeitalter. 2. Die Poesie.
870—371.)
535
Schrift naQttxeitai rd axoXMt ix tdiv AovxlXXov Taggalov xal SotpoxXiovg (um 100 n. Chr.)
tai Sitoyog (ältere Kommentatoren waren Chares, Schüler des Apollonios, nnd Asklepiades)
sind nach neuer Kollation von Keil im 2. Bande der Merkeischen Ausgabe herausgegeben.
VoUstftndiger lag der Auszug den Urhebern des Et. M. vor, worüber Merkel Prol. p. LXYII;
die Anteile der Kommentatoren an den Scheuen ausgeschieden von Betbe, Quaest. Diodor.
mythogr. 92 f. — Ausgaben: rec. annot. schol. add. Wellauer, Lips. 1828, 2 Bde; emend.
appar. crit et proleg. adiec. R. Merkel, Lips. 1854, Hauptausgabe. — Michaelis, De Apollonii
Rhodii fra^^entb, Halle 1875; dazu Maass, Philol. Unters. XU 357 über das Gedicht
Kdyttßog.
370. Rhianos^) aus Kreta, der aus einem Turnplatzwäehter und
Sklaven ein Grammatiker und Dichter wurde, blühte in der 2. Hälfte des
3. Jahrhunderts. Wenn er hei Suidas ein Zeitgenosse des Eratosthenes
heisst, so scheint das darauf hinzuweisen, dass er eine Zeitlang in Ale-
landria lebte und mit Eratosthenes in Verbindung stand. Aus seinen
grammatischen Studien ist die Diorthose der Ilias und Odyssee hervor-
gegangen, über die uns noch ziemlich zahlreiche Zeugnisse in den Homer-
scholien vorliegen. Seine Gedichte gehörten, von den Epigrammen ab-
gesehen, dem gelehrten Kunstepos an. Ausser einer Herakleia, in der die
Geschicke des Halbgottes von seiner Geburt bis zu seiner Aufnahme in den
Olymp erzählt waren, dichtete er &€<raaXixa, ^Axctixd^ 'Hhaxd^ Msaarjviaxd.
Am berühmtesten war das letzte Gedicht, in welchem er den 2. messenischen
Krieg erzählte;^) glücklich ahmte er in demselben den Homer nicht bloss
in der Diktion, sondern auch in einzelnen Scenen und in der Komposition
des Ganzen nach. Pausanias, der in der Beschreibung Messeniens wesent-
lich dem Rhianos folgt, sagt IV 6, 3 von dem Haupthelden jenes Krieges,
Aristomenes, dass derselbe bei Rhianos keine geringere Rolle als Achill
in der Dias des Homer gespielt habe. Erhalten ist uns durch Stobäus
Flor. rV 34 ein grösseres Fragment, man weiss nicht aus welchem Ge-
dicht, das in einfacher Diktion und in untadeligen Versen die Verkehrt-
heiten der Menschen beklagt. Die Epigramme bewegen sich in gewöhn-
lichen Geleisen und sind meistens erotischer Natur.
371. Euphorien (geb. 275)3) war in Chalkis auf Euböa geboren;
aber Athen galt ihm als zweite Heimat; nach Antiochia wurde er im spä-
teren Lebensalter von Antiochos d. Gr. berufen und zum Vorstand der
dortigen Bibliothek gemacht. Von Natur war er hässlich, von gelber
Farbe, dünnen Beinen, dickem Leib, in der Liebe unmässig und cynisch;
sein grosses Vermögen erwarb er sich durch die einer reichen Frau er-
wiesene Gunst.^) In der Poesie war er gleich fruchtbar als Epiker und als
Hegiker. Seine epischen Gedichte waren ^HaioSog^ Moxponia^ XiXiddsg in 5 B.
zu je 1000 Versen.**) Von dem ersten ist uns nichts Näheres überliefert,
die beiden andern waren von sehr mannigfachem Inhalt, so dass die ein-
zelnen Abschnitte besondere Titel hatten. Die Moiponia enthielt in loser
') Dürftiger Artikel des Saidaa; Meikkkb,
Bliiamu Gretensis, in An. AI. 171 ff.; Mat-
HOFP, De Rhioni Cretensis stadiis Homericis,
Progr. Dresden 1870.
*} Von Athen. 599^ wird noch ein zweiter
Verfasser von htti Meactjyiaxfi erwähnt, der
Alexandriner Aischylos, der aach eine
Tragödie 'AfitpixQvav gedichtet hatte; vergl.
KcoLHABii, Quaestiones Messeniacae, Bonn
1866.
>) Artikel des Suidas; Meinbkb. De
Euphorionis Ghalcidensis vita et scriptis, in
Anal. Alex. 3 ff., wo auch die Fragmente ge-
sammelt sind ; die prosaischen Fragmente bei
Müller FGH III 71—73.
*) Ausser Suidas hierüber Plutarch, De
tranq. anim. p. 472 d.
^) Vgl. BiBT, Das antike Buchw. p. 291.
536
Chriechiache Litterfttnrgesohiohte. n. HachklassiBohe Litterftiiir.
Form bunte Mythen aus der Geschichte Attikas und war von dem alten
Namen der Landschaft Moxponta benannt. Die Chiliades weisen schon im
Titel, den im Mittelalter wieder Tzetzes für seine bunte Mythensammlung
wählte, auf die Mannigfaltigkeit des Inhalts hin; das 5. Buch handelte
speziell von den Orakelsprüchen. ^) In den Elegien fand Euphorien einen
Verehrer und Nachahmer an dem römischen Elegiker Cornelius Gallus,
der dieselben auch ins Lateinische übersetzte.*) Eine Satire nach Art der
Ibis des Kallimachos scheinen die ^A^al ij notrjQioxXänxrig^ Verwünschungen
auf einen Becherdieb, gewesen zu sein.*) Wie Kallimachos und Lyko-
phron, so gehörte auch Euphorien zu den dunklen Autoren, welche die
Erklärungskunst der Grammatiker herausforderten;^) an Lykophron hat
er sich insbesondere in der Mythenbehandlung und noch mehr in der
glossenreichen Art der Sprache angelehnt.^)
Mit Euphorien aus Chalkis wurde frühzeitig verwechselt Euphorion
oder Euphronios aus Chersones^), der Dichter von Priapeien war und
unter den Lehrern der Grammatiker Aristarch und Aristophanes von Byzanz
genannt wird.^) Ob die Prosa werke vnoinvrjiiiaTa laTOQixa^ neQi /aeXoTtoimv
und n€Qi ""lad^iiiwv den Chalkideer oder den Chersoniten zum Verfasser
hatten, lässt sich bei dem Schwanken der Überlieferung nicht mit Be-
stimmtheit entscheiden.
372. Nikandros aus Kolophon,^) neben Arat als der bedeutendste
Lehrdichter unserer Periode von Cicero de or. I 16 gepriesen, blühte im
2. Jahrhundert unter Attalos III,^) den er im Proömium eines Gedichtes
nach der genealogischen Manier seiner Zeit als Teuthraniden und Sprossen
des Herakles anredete. Wegen seines längeren Aufenthaltes in Ätolien
und seines lehrreichen Spezialwerkes über Ätolien ward er von einigen
geradezu für einen Ätolier ausgegeben. Aber er bezeichnet sich selbst
(Ther. 958) als Eolophonier und bekleidete ein in seiner Familie erbliches
Priesteramt des Apoll im benachbarten Klares, i®) Er heisst bei Suidas
Grammatiker, Dichter und Arzt; auch die Art seiner litterarischen Thätig-
keit war ausserordentlich mannigfaltig. In Prosa war die Sammlung von
Glossen geschrieben, ebenso die 'Idaewv avvayfoyrjy vielleicht auch die
AiTcaXixd,^^) Orjßa'ixd^ KoXoffwviaad und das Buch neql XQyfltr^Qiwv nartoiwr.
') Vgl. Ed. Thbämkb, Herrn. 25 (1890)
55flf.
') üeber die Benutzung durch Ovid s.
RoHDB, Griech. Roman 128.
*) G. ScHULTZB, Euphorionea, Strassb.
Dias. 1888, Ifisst die 'Agai einen Teil der Chi-
liades bilden.
*) Darüber Clemens Alex, ström. Y 244.
') Vgl. Enaaok, Euphorionea, Jhrb. f.
Phü. 137 (1888) 145 ff.
*) Ev(poQt(oy 6 XeQG. bei Hephaest. c. 16,
Ev(p^6yioq bei Strab. p. 882 u. Choiroboskos
im Kommentar zu Hephftstion p. 78, 5 ed.
Hörsch. Vgl. Meinbkb, An. AI. 841 ff.
') Schol. Heph. p. 185 W. = p. 188
Hörsch., wonach der Artikel des Suidas über
*^^(FTo<pdfff]s zu korrigieren ist.
") Ein Artikel des Suidas; ein Abiiss
negl yivovq Nixa'y^Qov vor den Schollen. —
VoLKXANN, De Nicandri Colophonü vita et
scriptis, Halis 1852, und Philol. XV (I86C),
304 ff. ; 0. Schneidbb in Proleg. der Ausg. —
Plabhk, De Nicandro alüsque poetis graecis
ab Oyidio in Metamorphosibus conscribendis
adhibitis, Halle 1882.
*) Attalos lll nennt ausdrQcklich die
Vita, wonach 0. Schnei dbb bei Suidas schreibt:
xatä xov yiov ^JtraXoy rjyovy x6y reXevtaioy
<or> Toy raXaioyixtjy. Die SvnchronisteD
setzten ihn ungenau gleichzeitig mit Arat
und Theokrit, oder unter Ptolemaeus V, wes-
halb Volkmann f&r Attalos 1 eintritt
10) Vgl. Bübbsoh, Elaros 84 ff.
11) In Prosa Iftsst 0. Schneider die Aeto-
A. AlexandriniBohes Zeitalter. 2. Di« Poesie.
372-373.)
537
Aber sein Hauptansehen verdankte er seinen mythologischen und didak-
tischen Epen. Sein bedeutendstes Werk waren die ^En^Qoiovfifva in 5 B.,
die verwandter Natur mit den KctraaxeQiafxoC des Eratosthenes waren und
von Verwandlungen in Tiere und Pflanzen erzählten. Es waren aber diese
Verwandlungsmythen hervorgegangen aus dem poetischen Natursinn der
Griechen, denen, wie Schiller in den Göttern Griechenlands so einzig schön
ausgeführt hat, alles in der Natur eines Gottes Spur zu tragen schien.
Viele jener Vorstellungen hatten seit Hesiod durch Epiker und Dramatiker
poetische Gestaltung erhalten, i) Nikander band sie in der alexandrinischen
Zeit zu duftigen Sträussen in 5 Bücher zusammen. Ovid benutzte die-
selben mit genialer Kunst in seinen Metamorphosen ; in einen prosaischen
Auszug sind sie von Antonius Liberalis gebracht worden. — Von den eigent-
lichen Lehrgedichten sind uns ganz verloren gegangen die rewQyixd mit
den dazu gehörigen MehtfaovQytxd, auf die Cicero de orat. I 16 anspielt,
und die Vergil nach Quintilian X 1, 56 nachgeahmt hat.*) Erhalten sind
uns ausser einigen Epigrammen die &rjQiaxa in 958 Hexametern, worin
Mittel gegen den Biss giftiger Tiere, und die 'AXs^Kfdqfxaxa in 630 Versen,
worin solche gegen Vergiftung durch Speisen aufgeführt sind. In der
Sache folgte unser Dichter dem Arzte ApoUodor, einem Schüler Deraokrits,
in der Form verstand er es nicht den trocknen Stoff durch poetische Di-
gressionen und ansprechende Bilder zu beleben. Es gehörte die ganze
Vorliebe der Alten für das Lehrgedicht dazu, um einem so prosaischen
Stoff Versifikatoren und deren Versen Leser zuzuführen. Gleichwohl stand
Nikander hoch in Ehren und übte auf die lateinischen Dichter, wie Macer,
Vergil, Ovid, grossen Einfluss; aber dieselben waren nicht blosse Über-
setzer, sie haben vielmehr an Anmut und Gefälligkeit der Darstellung ihr
griechisches Vorbild weit übertroffen.
HanptauBgabe mit kritischem Apparat, Scholien und erschöpfenden Prolegomenen von
0. Schneider, Nicandrea, Lips. 1856 (die Scholien bearbeitet; von H. Keil); massgebend, aber
lückenhaft ist ein cod. Paris, s. X. Aeltere wertvolle Ausg. von J. G. Schneideb, Hai. 1792,
Lips. 1816.
Scholia vetera in Nicandri Alexipharmaca e cod. Gotting. rec. Abel, Budapest 1891;
besser von G. Wbntzel in Abhdl. d. Gott. Ges. d. Wiss. XXXVII (1892). Die Scholien sind
aus den Kommentaren des Diphilos, Pamphilos, Theon und Plutarch geflossen. Aus
unbestimmter Zeit stammt die Metaphrase eines gewissen Euteknios.
373. Neoptolemos aus Parion in Bithynien ist den Freunden des
Horaz bekannt durch die Bemerkung des Scholiasten Porphyrie zur Ars
poetica: congessü sc, Horidius praecepta Neoptolemi rov JlaQiarov de arte
poetica. Meineke, De Neoptolemo Pariano, in Anal. Alex. p. 360 hat die
Vermutung aufgestellt, dass damit das in Hexametern geschriebene Buch
TTfpi datsiapidv gemeint sei. Ausserdem werden von Neoptolemos die Epen
Jiovvaidq und ^Eqixv^ovidg angeführt. Mehr bekannt war der versifizierende
lika geschrieben sein; Bedenken dagegen
eiregt die durchsichtige hexametrische Form
von Fragm. 5.
') Schon Eorinna hatte Verwandlungen,
'EtBQoTtt, gedichtet. Die Gleichstellung des
Zwillingspaares mit dem Zwillingsgestim
treffen wir schon zur Zeit Lysanders nach
Plnt. Lys. 12.
*) Die grossen durch Athenaios erhal-
tenen Fragmente bewegen sich so in bota-
nischer Gelehrsamkeit, dass sie zum ein-
schmeichelnden Ton der Georgika Vergils
wenig stimmen. Erwähnt werden ausserdem
von unserem Autor '0<piaxd^ OixaU«, Stjßaüta,
EvQiuTietaj lixeXirj.
538
Orieohisohe Idtteratnrgeschiohte. IL HaohkUsaieehe Lüterainr.
Grammatiker durch ein glossematisches Werk in Prosa, nach dem er bei
Strabon p. 589 den Beinamen yliacaoyQa^og hat. Seiner Richtung nach
gehörte derselbe der pergamenischen Schule an, wie denn auch seine Vater-
stadt gute Beziehungen mit den Attaliden unterhielt. Meineke a. 0. stellt
die Vermutung auf, dass derselbe mit dem Peripatetiker Neoptolemos
identisch sei und gegen Ende des 3. Jahrhunderts gelebt habe.
Andere Verfasser didaktischer Gedichte waren Eratosthenes und
ApoUodoros, über deren poetische Werke unten im Zusammenhang mit
ihrer gelehrten Thätigkeit gehandelt werden soll; femer Menekrates,
dessen Gedicht vom Landbau, ^Eqya^ Varro de re rust. I 1 unter seinen
Quellen aufführt; Numenios und Pankrates, deren ^Ähevzixd öfters
Athenaios citiert; Boios, dessen ^Ogvid-oyoria dem römischen Dichter
Aemilius Macer zur Vorlage diente; Alexander aus Ephesos mit dem
Beinamen Lychnos aus der Zeit Giceros, der Phainomena und ein geo-
graphisches Lehrgedicht schrieb;^) Pherenikos aus Heraklea, dessen
mythologische intj von Athen. 78 ** angezogen werden.
d) Dramatische und papodische Poesie.
374. In der dramatischen Poesie ist, von der neuen attischen Ko-
mödie abgesehen, in unserer Periode wenig und nichts Dauerndes geleistet
worden. Was zunächst die Tragödie anbelangt,') so richtete Ptolemaios
Philadelphos nach Alexanders Beispiel mit f&rstlicher Pracht dramatische
Wettkämpfe in Alexandria ein, und sprachen die Hof litteraten mit Bezug
auf einen Ol. 124 = 284/1 v. Chr. veranstalteten Agon dramatischer Spiele
von einer zweiten Blüte und einem neuen Siebengestim tragischer Dichter.^)
Die Sterne dieser Pleias waren: Lykophron aus Chalkis,^) Alexander
aus Ätolien,^) Sosiphanes aus Syrakus, Sositheos aus Alexandria Troas,^)
Dionysiades aus Tarsos, ^) Homeros aus Byzanz,^) Philiskos aus Ker-
kyra.^) Ihr Glanz ist mit ihrem Tode erblichen; ihre Tragödien sind bis
auf wenige Titel und spärliche Fragmente verschollen. Auch aus OL 145
*) Strab. p. 642: "AXi^av^^og ^xtag 6
Avxvoq ngoaayoQevOsig . . . üvviyQa^sv Usxo-
Qiay xtti inri xaieXtney^ iy olg ra xb ov^ävui
diazid^erai xal rag iJTteiQovg yeaygtt^ei xa^
kxäcxfjy ixdovg jioitjfia ' vgl. Mbinbkb, Anal.
Alex. p. 371 ff.
») Welckbb, Griech. Trag. S. 1238— 1331;
Bbthb, Zur Gesch. des Theaters, c. XII das
hellenistische Theater.
') Theokrit 17, 112: otJdc Jitayvaov rtg
ayrJQ Ugovg xax* aytSyag \ ücet' intorafieyog
ktyvgay ayafisX^tti aot&ay, \ ^ oi> diofiyay
ttyjtt^toy lanacB Tf/va^. Snidas setzt, wahr-
scheinlich nach dem Chronographen ApoUo-
dor, und dieser nach der gelegentlichen
Notiz irgend eines Historikers die Blüte aller
Dichter der Pleias auf Ol. 124.
«) Soidas zählt von Lykophron 20 Tra-
gödientitel auf, nach Tzetzes zn Lykophron
schrieb er 46 oder 56 Stücke. Fragmente
hei Nauck TGF« p. 817 f.
^) Von Alexander Aetolus wird in den
Schollen zu IL ^86 ein Drama, vermutlich
ein Satyrspiei 'Aiftgayahirtai erwähnt.
') Suidas: IwciScog IvQttxiwa^og ^'A9if-
yaiog, fdaXXoy &k 'AXe^ay^QCvg fijg TQn^Unjg
'AXe^ayd^siag. Er wird als Erneuerer des
Satyrspiels von Dioskorides Anth. VU 707
gepriesen; von seinem Drama Utyersea, das
die Geschicke des Daphnis behandelte, ist
uns ein längeres Bruchstück erhalten.
^) Tarsos ist als Heimat angegeben von
Strabo p. 675, das kilikische Mallos von Soidas.
") Seine Mutter war die Dichterin Myro;
Yon einer ihm errichteten Statue handelt
Antii. 11 407; über ein Epos Ev^vjtrXma
Welckeb, Gr. Trag. 1252.
') Nach ihm benannt ist das ^Ximcstay
fiirgoy, ein choriambischer Hexameter. Als
Dionysospriester fungierte er bei dem grossen
Aufzug {TtofAnij) unter Ptolemaios Philadel«
phos, nach Ath. 198 c.; gemalt wurde er von
Protogenes nach Plinius n. h. 35, 106. fin
in Eos auf Stein gefundenes Epigranun nennt
A. AlexandriniBches Zeitalter. 2. Die Poesie. (§ 374.)
539
oder 200 v. Chr. erfahren wir durch eine orchoraenische Festinschrift CIG
1584 von den Tragödiendichtern Sophokles aus Athen ^) und Dorotheos
ausTarent, sowie einem Dichter von Satyrdramen Ameinias;^) aber ihre
Werke teilten das gleiche Los, rasch vergessen und in den Wind zer-
stoben zu werden.^) Daneben brachte man die erprobten Stücke der alten
Meister wieder und wieder auf die Bühne.*) In den Scholien des Euri-
pides ist uns darüber manche Andeutung erhalten. So lesen wir zu Eur.
Or. 58, dass, während bei Euripides einfach im Prolog der Eintritt der
rückkehrenden Helena erzählt wird, in Alexandria die Heimkehr mit
grossem Pomp unter Vorführung der Beute als stumme Scene dargestellt
wurde.*) Auch kam bereits in unserer Periode die Unsitte auf, nicht mehr
ganze Tragödien, sondern nur einzelne Kraftstellen auf die Bülftie zu
bringen. Bei den alten Stücken so gut wie bei den neuen scheint der
Chor ganz oder so gut wie ganz weggefallen zu sein. Für ihn hatte
schon die Form des neuen Theaters, für welches das in unserer Zeit wieder
aufgegrabene Theater des Polyklet in Epidauros vorbildlich war,^) keinen
rechten Platz, wenn anders, wie Vitruv 5, 7 lehrt, nicht auf dem Boden
der Orchestra vor der säulengeschmückten Vorder wand (nQoaxrnov) des
B&hnenhauses, sondern auf der 3 — 4 m hohen und ungefähr Sf m tiefen
Plattform {XoyeVov) zwischen der vorderen (nQoaxt^viov) und hinteren {oxrjvi^)
Bühnenwand gespielt wurde. 7)
eineii Dichter Phüiakos, den Rbitzbhbtbin
Epigr. 219 ff. mit unBerem Tragiker idenii-
fizicrt.
*) Soidas: £o<poxX^g 'Adtivmoq rgayixos
tat Xv^ixof, dnoyoyoi rov TiaXaiov ' yiyove
ik xaid xi^y IJXeiada.
') AoBserdem dichteten noch Tragödien
Äiintides and Euphronios, die von
indem nach Schol. Heph. c. 9 statt Diony-
aades nnd Sosiphanes zur Pleias gerechnet
▼nrden, femer Kleainetos, Zeitgenosse des
Alexis, Aischylos aus Alexandria, Klei-
sthenes, erwfthntin einer teischen Inschrift
CI6 3105, Euphantos aus Olynth (Diog.
Ij 110), Ptolemaios Philopator, der
einen Adonis dichtete; s. Döbpfbld-Reisch,
Griech. Theat. 261.
') Die Fortdauer dramatischer Spiele
In in die römische Zeit bezeugen die neu-
•nfgefundenen delphischen Inschriften Über
die Agone an den Soterien; s. Wbscheb u.
FoüCABT, Insciptions de Delphes N. 5 und 6.
Andere inschriftliche Zeugnisse CIA II 1289,
CIG 3089—3091, Ath. Mit. 1894 p. 96 aus
Magnesia. Vgl. Brinck, Inscr. gr. ad cho-
Rgiam pertinentes, Halle 1888; Capps, The
dionis in ihe later greek drama, Am. Joum.
of. areh. X 302 f. 817, Josephos Ant. 14, 8.
^) Eine Inschrift von Rhodus, besprochen
▼on Kaibel Herrn. 23, 269, berichtet aus der
Zeit nach Alexander die Aufführung einer so-
pbokleischen Tetralogie; eine andere, publi-
Bot in Gorr. hell. XIY (1890) 396 bezeugt die
Aofffthnmg von Komödien nnd Tragödien fUr
die Insel Dolos.
^) Durch die Veränderungen in der Art
der Aufführung kamen auch Interpolationen
in den Text der alten Dramen, wie Eur.
Herc. 763.
*) Dasselbe diente auch in Athen zum
Vorbild bei dem im 2. Jhrh. v. Chr. erfolgten
Umbau des alten Dionysostheaters.
') Die Veränderung des Theaters bestand
wesentlich darin, dass das Spielhaus nach vom
einen steinernen, statt hölzernen Abschluss, in-
schriftlich im Theater von Oropos ngoaxijyioy
genannt, erhielt, und dass dieser vordere Ab-
schluss ca. 3 m vor der alten Scenenwand (ffxiyvf;)
lag, womit eine zweckmässige Verkürzung
der vorspringenden Seiten wände (naQaaxtjvia)
verbunden war. Dass diese Neuerung im
Theaterbau, die nur einen schmalen, nicht
mehr für Schauspieler und Chor ausreichen-
den Spielraum bot, mit der geänderten Form
des Dramas, insonderheit mit dem Wegfall
des Chors zusammenhing, habe ich darge&an,
Das Theater des Polyklet in seiner litterarisch-
historischen Stellung, Stzb. d. b. Ak. 1894,
S. 1 ff. Dagegen suchen aus gelegentlichen
Angaben Capps, The chorus in Üie later greek
drama, Joum. of arch. 1895 S. 287 ff., und
Rkisch, Das griech. Theater 258 ff. nachzu-
weisen, dass der Chor auch in unserer Pe-
riode noch fortbestanden habe. Meiner Auf-
fassung tritt im wesentlichen bei Bbthb,
Prolegomena zur Gesch. d. Theaters, 1896
Kap. XII.
540
Oriechisehe Idtteratiirgesohiehte. n. HftehkUssisohe Liiteraiiir
375. Von Lykophron hat sich ein Gedicht Kassandra oder Ale-
xandra in 1474 iambiachen Triroetem erhalten. Ihr Verfasser zählte, wie
wir eben sahen, zur alexandrinischen Pleias und war zugleich von Ptole-
maios Philadelphoß mit der Ordnung der die Komödien umfassenden Ab-
teilung der Bibliothek betraut worden.^) Die Alexandra, von der strittig
ist, ob sie der Dichter noch während seines Aufenthaltes in Ghalkis oder
erst in Alexandrien um 274 abfasste,') enthält in dunklen orakelhaften
Versen die Weissagung der troianischen Königstochter Kassandra von dem
Untergang der Stadt und den späteren Schicksalen der troianischen und
achivischen Helden in Verbindung mit der Gründung von Städten am Mittel-
meer. Eingeflochten sind auch Verse (1226—80 und 1446—51), welche
sich auf die Niederlassung des Aeneas in Latium und die Weltstellung des
römischen Reiches beziehen, Dinge, von denen man nicht glauben möchte,
dass sie damals schon in Griechenland bekannt waren. ^) Niebuhr, Kl. Schrift. I
438 ff., vermutete daher, dass das Gedicht dem Lykophron untergeschoben
sei und thatsächlich erst aus der Zeit des Flaminius, auf dessen beutereichen
Feldzug der Vers 1450 anspielt,^) stamme. Einfacher ist die schon in den
Scholien zu V. 1226 aufgestellte Lösung, wonach bloss die beanstandeten
Verse von einem jüngeren Interpolator herstammen, wobei nur auffSllig
bleibt, dass jene Verse weder im Golorit noch im Sprachgebrauch eine Ab-
weichung von den übrigen Teilen des Gedichtes erkennen lassen.^) Die
Sprache der Dichtung ist absichtlich dunkel, um den Ton der Orakel und
Weissagungen zu treffen ; sie erinnert an die Sibyllendichtung, die ja auch
in jener Zeit entstanden ist.^) In dem Streben nach mythologischem und
geographischem Aufputz berührt sich unser Dichter mit seinem berühm-
teren Zeitgenossen Kallimachos. Das mysteriöse Dunkel der Gedanken
wird noch erhöht durch die Menge fremdartiger Ausdrücke, welche den
Bombast äschylischer Diktion wiedergeben sollen, durch ihre Häufung aber
vielfach die Rede geradezu unverständlich machen. Schon Statius Silv.
V 3, 157 klagt über die latebrae Lycophronis, und Clemens Alexandrinus
ström. V p. 244 zählt den Lykophron mit Euphorien und Kallimachos zu den
Autoren, die man ohne Kommentar nicht verstehen könne. Nur der Vera-
bau ist gut und mit der Satzbildung passend in Einklang gebracht; ins-
besondere macht sich eine entschiedene Abneigung gegen die Auflösung
einer Länge in zwei Kürzen bemerkbar.^) Das abstruse Gedicht mit seiner
M Stbeokbr, De Lycophrone, Euphronio
Eraiosfchene comicomm interpretibns, Greifs-
walde Diss. 1884.
*) Die ersiere Annahme vertritt Wila-
MOWiTZ, De Lycophronis Alexandra, [nd.
lect. Gryph. 18o4, die zweite Holzinoer in
Ausgabe S. 61.
8) iMMiscH, Leipz. Stnd. VIII 281 wiU
dieses glaublich machen, indem er sich auf
die Gesandtschaft bezieht, mit der Ptole-
maios den Römerh zum Sieg bei Benevent
gratulierte. Hauptquelle für die italischen
Dinge war jedenfalls der Historiker Timaios.
^) Abenteuerlich ist die Deutung von
Wilamowitz auf den Perser Artabazus.
') Dieses brachte den neuesten Heraus-
geber HoLziKOER auf die Yermutang, dass
das Gedicht aus der letzten Lebenszeit des
Lykophron stamme, und dass die Verse
1446—51 auf die Kampfe des Thesproter-
k5mgs Pyrrhos mit dem römischen Feld-
herm Fabridus zu beziehen seien. Aber da-
mit ist die Angabe V. 1446 ^£^' ixrwjv
yivvav d. i. nach der 6. Generation (nicht
Jahr) unvereinbar.
") Die kumäische Sibylle in der über-
wölbten Grotte der kampaniscben Ktkste ist
erwähnt V. 1279, die erythr&ische V. 1464.
^) Es findet sich in den 1474 Trimetem
nur 19mal eine Lftnge in zwei Kürzen saf>
A. AlexasdrinisoheB Zeitalter, d. Die Poesie. (§§.875—876.) 541
barocken Sprache und seinen versteckten Anspielungen ist nicht, wie es
verdiente, unbeachtet geblieben, sondern hat schon im Altertum viele und
ausführliche Erläuterungen gefunden. In neuerer Zeit noch hat ihm Jos.
Scaliger die Ehre einer Übersetzung erwiesen (1584) und hat es Beinhard
in der Prophezeiung vom Untergang Magdeburgs nachgeahmt.
Schollen des Theon (unter Tiberins) werden öffcers von Stephanos Byz. angeführt.
Erhalten haben sich ältere Schollen Im cod. Marc. 476 s. XI; byzantinische Paraphrasen
teilt ScHEER in der Ausg. mit. Ans dem Mittelalter stammt der weitschichtige, die älteren
Schollen verwässernde Kommentar von Tzetzes. — Ausgaben: rec. Bacbmann, Llps. 1830;
rec. Scueeb, Berol. 1881 mit auserlesenem kritischen Apparat; ed. Kinkel in Bibl. Teubn.
1880; Haaptausgabe von C. v. Holzinobb, grlech. u. deutsch mit erklärenden Anmerkungen,
Leipz. 1895.
Ein ähnliches Curiosum ist die ^E^ayonyr^^ oder der Auszug der Juden
aus Ägypten, von welcher Tragödie uns beträchtliche Stücke, 269 jam-
bische Trimeter, durch die Kirchenväter Clemens Alex, ström. I p. 149
und Eusebius praep. ev. IX 28 erhalten sind. Verfasser derselben ist der
Jude Ezechiel, den deshalb Clemens a. 0. den Tragödiendichter der Juden
nennt. Beide Dichtungen, des Lykophron und Ezechiel, haben durch ihr
Ansehen bewirkt, dass man in der römischen Zeit unter Tragödie nicht
ein Trauerspiel im alten Sinne, sondern einen Monolog in ernst-erhabener
Sprache verstand.
Ausgabe der *El^^yfoyri zusammen mit der byzantlnlBchen Tragödie XqMxog naaxtoy
von DCbusb, Paris 1847.
376. Im Lustspiel leistete unsere Periode das Meiste und Beste,
da ihr wesentlich die Blüte der neuen attischen Komödie angehört. Über
diese haben wir bereits oben im Zusammenhang mit der klassischen Poesie
Athens gehandelt; dort erwähnten wir auch bereits, dass Menander und
Philemon Einladungen von den fürstlichen Höfen Kyrenes und Alexandrias
erhielten. Alexandria gehörte geradezu an Machon aus Sikyon, der in
der ägyptischen Hauptstadt lebte und Lehrer des Grammatikers Aristo-
phanes Byz. wurde.*) Von den Komödien, die er dort auffuhren liess,
kennen wir zwei Titel, "Ayvoia und 'EmatoXr^. Ausserdem schrieb er in
iambischen Trimetern X^eTai, d. i. Brauchbare Dinge, in denen Anekdoten
aus der histoire scandaleuse der Diadochenhöfe in gewandter Sprache zum
besten gegeben waren.') Auch manche der oben genannten Tragiker mögen
zugleich Komödien für Alexandria geschrieben haben; Kallimachos und
Timon werden ausdrücklich als Verfasser von Tragödien, Komödien und
Satyrdramen aufgeführt. In den Komödien hatte noch mehr wie in den
Tragödien der Chor seine alte Bedeutung verloren, so dass bei Plautus,
dem Nachahmer der Griechen, das lyrische Element ausschliesslich auf
eingelegte Monodien beschränkt ist. An die Stelle der die Akte trennen-
den Chorgesänge traten Musikstücke ohne Text (sfAßohfjia f-ishi), auf die auch
noch bei Plautus Pseud. 573 angespielt ist. Welche Stellung die inschrift-
lich erwähnten x«^^»'^«* xcofitpioi (Dörpfeld-Reisch, Das griech. Theat. 263)
hatten, bleibt unklar.
gelM; eine solche Strenge kehrt erst bei | ^) Ath. 241f u. 664 a.
Gregor dem Theologen und den gelehrten | ^) Ath. 577 hat uns solche Erzählungen
Verskflnstlem des byzantinischen Mittel- von den Hetftren Lealna und Lamla erhalten.
iHen wieder.
542 Grieohiaohe LitieratnrgeBchiohte. n. tfftehklaMisohe Idtteratar.
Eine Besonderheit Alexandriens war das Automatentheater, das die
berühmtesten Mechaniker Ägyptens einrichteten. Von Heron aus Ale-
xandria ist uns die Beschreibung eines solchen Dramas, die von Lyko-
phron behandelte Fabel des Nauplios darstellend, erhalten.^)
377. Der Mimus, dem Einakter unserer Theaterlitteratur vergleich-
bar, hat wie die Komödie auch in der Zeit nach Alexander seine Zug-
kraft bewahrt und grosse Talente wachgerufen. Von den Gedichten des
Theokrit, die den Mimen des Sophron nachgebildet waren, war bereits
oben die Rede. Von dem hauptsächlichsten Mimendichter unserer Periode
Herondas hatte man bis vor kurzem nur dürftige Reste, die auch durch
das Wenige, was wir von seinem römischen Nachahmer Mattius wissen,
nicht viel an Licht gewannen. Erst im Jahre 1890 brachte ein glück-
licher Fund in Ägypten eine Papyrushandschrift des Herondas an das
Licht und bereicherte so unsere Litteratur mit einer der allerköstlichsten
Gaben. Das Titelblatt der Handschrift und somit der Name des Ver-
fassers fehlt; dass aber Herondas der Verfasser ist, wurde gleich von
dem ersten Herausgeber Kenyon daraus erkannt, dass mehrere der schon
früher bekannten Verse des Herondas in den neuaufgefundenen Mimen
vorkommen.
Herondas oder Herodas *) war von dorischer Abkunft, seine Heimat
war vermutlich die dorische Insel Kos; er lebte in der Mitte des 3. Jahrb.
V. Chr. unter der Regierung des Königs Ptolemaios Euergetes. Seine
dorische Abstammung ist in der dorischen Form seines Namens ausge-
prägt; in Kos, das zu Beginn unserer Periode einen Sammelpunkt dichteri-
scher Kräfte bildete und als Geburtsstätte des Ptolemaios Philadelphos
in den Hofkreisen Alexandriens hochangesehen war,*) spielen zwei seiner
Mimen, der zweite und vierte. Auf die Regierung des Nachfolgers der könig-
lichen Geschwister Philadelphos-Arsinoe ist 1, 30 hingewiesen. Von den
weiteren Lebensverhältnissen unseres Dichters wissen wir nichts. — Seine
Mimen schrieb er nicht in rhythmischer Rede wie einst Sophron, auch
nicht in Hexametern wie Theokrit, sondern in hinkenden lamben. Darin
folgte er dem alten lambographen Hipponax, von dem er zugleich die
ionische Färbung des Dialektes entlehnte. Er nahm sich aber in Vers
und Sprache den Hipponax zum Muster, wiewohl ihn seine Abstammung
eher auf den dorischen Dialekt hingewiesen hätte, weil sich seine Mimen
wie die lamben des ionischen Spottdichters in den Kreisen des gewöhn-
lichen Lebens bewegten; vielleicht war für ihn auch der Vorgang des
Sotades, der gleichfalls in ionischem Dialekte dichtete, von Einfluss.
Dagegen lag eigentlicher Spott und beissende Verhöhnung unserem Mimen-
dichter ebenso fern wie den Dichtern der neuen Komödie; er wollte nur
Scenen aus dem Leben wahrheitsgetreu wiedergeben, und das brachte er
') Proü, Les th^atres d' automates en durch Athen. 86^, ist abgeleitet von "H^v
Grdce au 11*' siecle avant Tere chr6tienne, • und hat ihr Analogen an den vielen bOotischen
apr^s les jIvtofiaToTtotTxei d' H^ron d' Ale- i Namen auf toydas. Daneben findet sich öfters
xandre, Paris 1881 in Mömoires pr^sent^es ; die yerstttmmelte Form 'Bgw&a^, gemein-
ä l'acad. t. IX. , griechisch 'H^dijg.
*) Die Namensform Hgaiyöac, gesichert | ') Gallim. hymn. IV 160 flf.
A. AlezandriniBoheB Zeitalter, d. Die Poesie. (g§ 377-379.)
543
mit einer Meisterschaft fertig, dass alle Welt erstaunt wbt, aus der Zeit
gelehrter Pedanterie und konventioneller Unnatur eine so köstliche Frucht
urwüchsigen Realismus zu erhalten. Fesselnd und von naturalistischer
Wahrheit sind seine nach dem Le'ben gezeichneten Bilder, mag er uns
nun die verführerischen Reden einer Kupplerin (mim. 1) oder das polternde
Auftreten eines Hurenwirtes vor Gericht (mim. 2), die Bestrafung eines
bösen Rangen in der Schulstube (mim. 3) oder den Besuch von Damen
der demi monde in einem Schuhmacherladen vorführen. Im ganzen
sind durch den neuen Fund 7 ziemlich vollständige Mimen bekannt ge-
worden, überdies von 2 weiteren Mimen grössere Bruchstücke. Sie haben
alle, abgesehen von ihrem poetischen Wert, grosse Bedeutung für das Ver-
ständnis der Kulturverhältnisse jener Zeit, insbesondere die nackte Sinn-
lichkeit und die imnatürlichen Verirrungen des Geschlechtslebens. Der
4. Mimus, der uns zwei Frauen, welche dem Asklepios ein Opfer bringen,
vorführt, hat ausserdem ein hohes archäologisches Interesse, indem der
Dichter die Frauen bei jener Gelegenheit die herrlichen Schätze des
Tempels an Kunstwerken der Plastik und Malerei betrachten lässt.
Ed. princ. von Ebnton, Classical iexts from Papyri in the British moseum including
the newly discovered poemB of Herodas, London 1891. — Text verbessert von Rutberforo,
London 1891, von Hbrwbrden in Mnemosyne N. S. XX 41 fif., von ßöcHELER, Bonn 1892.
— Text in Bibl. Teubn. von Crusius, dazu Untersnchongen zu den Mimiamben des Herodas,
Leipz. 1892.
378. Des Mäd#hens Klage. Dem Mimus verwandt ist ein Frag-
ment, das in jüngster Zeit der Engländer Grenfell, An Alexandrian erotic
fragment and other Greek papyrus, Oxford 1896, aus einem Papyrus an
das Tageslicht gezogen hat. Es ist eine Arie im Stil und im Yersmass
der euripideischen Tragödie, die uns einen ganz neuen Einblick in die
metrische und musikalische Kunst der frühalexandrinischen Epoche thun
lässt. Das nicht ganz vollständig erhaltene Stück enthält in wechselnden
Rhythmen, meist aufregenden Dochmien, die leidenschaftliche Klage eines
verlassenen Mädchens, das aber, auch verlassen, von ihrem treulosen Oe-
liebten nicht lässt. Wahrscheinlich dürfen wir in dem Fragment ein Bei-
spiel der in der Alexandrinerzeit so beliebten Magodia oder Simodia er-
blicken, deren päonische Rhythmen bei den Römern einen Widerhall in
den Cantica des Plautus gelinden haben. ^) Crusius, der im Philologus
LV 353—384 das Fragment neu bearbeitet hat, nimmt geradezu den
Hilaroden Simos von Magnesia, von dem diese Dichtgattung den Namen
ctfiMdi'a erhalten hatte, ^) als Verfasser des Fragmentes an.
3'J9. In Unteritalien kam in unserer Periode die aus dem Mimus
hervorgegangene Poesie der Phlyaken oder Spassmacher zur besonderen
Bifite.') Namentlich war es das üppige Tarent,^) wo man sich im Theater
') Dieser Gedanke ist ausgeführt von
WiLAMowiTZ in den trefflichen Erlänteningen
des neuen Fondes, des Mftdchens Klage, eine
aiezandriniBche Arie, Nachr. der Gdtt. Ges.
1896 Heft 8. Vgl. Fb. Lko, Die plautinischen
Ctntica und die hellenistische Lyrik, Abhdl.
i Gm. Ges. 1897.
^) Vgl. Strab. 648. Hingegen wül Die-
TBRicH, Pulcinella S. 80 das Wort von Jko-
vvaog yivaiog ableiten.
») 0. Jahn, Proleg. in Persium p. 84 sqq.;
Bernhardt, Gr. Litt. II 2, 535 ff.; Sommbr-
BBODT, De phlyacographia Graecorom, Vratisl.
1875.
^) Strabon p. 280 sagt, dass es in Tarent
mehr Feier- als Werktage gab.
544
Orieohisohe Lüterftturgesohichte. II. Nachklauisehe Litteratnr.
an derartigen Spielen teils ernsteren, teils ausgelassenen Inhaltes erfreute.^)
In die Litteratur eingetreten ist dieser Gattung des volkstümlichen Spieles
durch Rhinthon aus Tarent,') den Begründer der Hilarotragodia.') Er
war von niederer Herkunft, Sohn eines Töpfers/) und blühte zur Zeit des
ersten Ptolemaios. Dramen von heiterernster Natur, meistens Travestien
des Euripides, hinterliess er 48; als Titel werden genannt Ufig4TQvm\,
'HQaxXr^g^ 'Iifiyb%'€ia^ ^OqtCTrfi^ Tf^ltifog, Die Heroen- und Göttermythen
waren also auch hier die unerschöpfliche Fundgrube des dramatischen
Spieles, Von der Weise, wie die unteritalischen Dichter denselben be-
handelten, kann uns der Amphitruo des Plautus eine Vorstellung geben,
wenn derselbe auch nicht einem Stücke des Rhinthon nachgebildet ist.^)
Nach einer durch Lydus uns erhaltenen Notiz hat Rhinthon auch eines
seiner Stücke in Hexametern geschrieben.^) Ausser Rhinthon werden als
Phlyakendichter genannt Blaisos aus Kampanien, Skiras und Sopater.
VOlckbr, Rhinthonis fragmenta» Hall. Dias. 1887 ; dazu die Besprechung von Gbusiüs
Woch. f. kl. Phil. 1889 n. 11. — Den Inhalt der Phlyakenspiele lernen wir zomeist aas
unteritalischen VasejibUdem kennen, die zusammenstellt Wiesblbb, Theatergebäude und
Denkmäler des Bahnenwesens, Gott. 1851 tab. IX; Hbydbmanv, Die Phlyakendarstellungen
auf bemalten Vasen, Arch. Jahrb. I 261 —313; Dörpfeld-Rbiscb, Griech. Theat. p. 311 ff.
380. Zu den verschiedenen Arten des dramatischen Spieles kamen
noch zahlreiche Aufführungen mehr musikalischer Natur von Ejtharoden
und Auloden, welche bei keiner Festversammlung fehlten und zum grössten
Teil beliebte Musikstücke, Dithyramben und Nomen^ der älteren Zeit von
neuem zu Gehör brachten. Zur Entfaltung des Glanzes dienten zumeist
die religiösen Aufzüge (rtofiTiaf), welche zu Ehren der Götter, mehr aber
noch zur Schaustellung des Luxus an den Höfen und Eultorten aufgeführt
wurden. Von einem besonders grossartigen Aufzug der Art, der in Ale-
xandria unter Ptolemaios Philadelphos stattfand, hat uns Athenaios V 25
bis 35 eine anschauliche Beschreibung geliefert.') Auf solche Weise nahmen
im dritten Jahrhundert, wiewohl es an schöpferischen Leistungen im Drama
und den verwandten Künsten sehr fehlte, doch die Feste mit dramatischen
und musikalischen Aufführungen eine ausserordentliche Ausdehnung.^) Das
führte zur Umgestaltung der alten gymnischen Spiele in musische und zur
Einführung neuer Festspiele, wie der Olympien im pierischen Dion, der
Soterien in Delphi, der Charitesien in Orchomenos, der Lysimachien in
Aphrodisias, sowie zur Erbauung von Theatern und Odeen aller Orte
Griechenlands und der Diadochenreiche. Das hatte auch die Begründung
von Genossenschaften dionysischer Künste {avvodot rdv neQi Jiorvaor) zur
^) Vgl. Aristoxenos ans Tarent, bei Ath.
621c.
') In dem Epigramm der Nossis Anth.
YII 414 heisst er Syrakusaner, so dass er
wahrscheinlich in der einen Stadt geboren
ist, in der anderen gelebt hat.
') Suidas: *Piv^(av Ta^ayjTvog xaifUrXogj
aQXVy^^ tkaQOXQttyi^&iag.
*) Die Töpferei war, wie die nenen Ans-
grabnngen zeigen, ein Hanptge werbe von
Tarent.
B) Siehe § 217. Lydus de magistr. 1 40
erwähnt unter den Formen der römischen
Komödie auch die xtofnodia ^Pi9'9afyutij, die
er mit ij iitarixij (ob ^l^iftxiy?) erklärt
^) Lydus de mag. I 41: Uafidtgas
eyga^e TiQüitog xtofjK^diay. Die Fragmente
weisen iambische Trimeter auf, aber an dem
Zeugnis des Lydus muss etwas Wahres sein,
da er im weiteren Verlauf die Satiren des
Lucilius auf die metrische Form des Rhin-
thon zurQckfQhrt.
^) Kamp, De Ptolemaii Philadelphi pompa
bacchica, Bonn 1864.
^) Rbisch, De musicis Graecorum cer-
taminibus, Wien 1886, S. 105 f.
A. AlezAndrinischea Zeitalter. 2. Die Poesie.
I 380-881.)
545
Folge,^) in denen Schauspieler, Rhapsoden, Musiker zur Förderung ihrer
Interessen und zur leichteren Inscenierung von Dramen und Festspielen
sich vereinten.
881. Ein Seitenstück zur Komödie bildete in unserem Zeitalter die
von nicht geringen Talenten gepflegte parodische und skeptische
Poesie,') zu der auch die ionischen Sotadeen und die launigen Schilderungen
von Gastereien gehörten. Die Parodie hatte bei den Griechen in der
klassischen Zeit an den Dichter xav' i^oxrjv, an Homer, angeknüpft und
von diesem auch die Form des Hexameters entlehnt. Auf den Margites
und die Batrachomyomachia folgte dann in der Zeit des peloponnesischen
Krieges der Hauptvertreter der Parodie, Hegemon aus Thasos, von dem
bereits oben die Rede war. In unserer Periode war die um sich greifende
Skepsis und der die Satire herausfordernde Hang zum Luxus dieser Gat-
tung von Spottpoesie besonders günstig. Sie behielt zwar auch jetzt noch
die alte Form des Hexameters bei, nahm aber auch neue Yersformen
hinzu.
Sotades aus Maronea oder Kreta') ist der Hauptrepräsentant
der lasciven Spottpoesie in ionischen Versen {xivaidoXoyog). Seine Zeit
bestimmt sich aus seinem Zerwürfnis mit dem König Ptolemaios Phiia-
delphos. Athenaios p. 620 erzählt darüber, Sotades habe in Alexandria
bei Ptolemaios über den König Lysimachos, in Antiochia bei Lysimachos
ober Ptolemaios seine schlechten Witze gemacht, habe aber besonders
den Ptolemaios durch den beissenden Vers über seine Schwestergattin
Arsinoe
stg ovx oatrjv tQVfiaXfrjv to xävxQov (od^sTq
gereizt. Darauf sei er von Patroklos, einem Befehlshaber des Königs, auf
der Insel Kaunos gepackt und in einem bleiernen Fass ins Meer gesenkt
worden. — Die Kinädenpoesie knüpfte zunächst an die Trinklieder des
loniers Pythermos*) und die unzüchtigen Tänze der alten lonier (motus
ionici) an. Solche Tänze führten gewiss damals schon, wie später zu
Petrons Zeiten,^) gemeine, unflätige Possenreisser [xivaidoi) auf öffentlichen
Plätzen oder bei Weingelagen zur Belustigung des Volkes und der Zech-
genossen auf. Dazu dichteten nun die Poeten Alexandriens, da zu allen
Zeiten bei den Griechen Tanz mit Gesang beliebter als blosser Tanz war,
entsprechende Texte im künstlich nachgeahmten ionischen Dialekt, aber
im Ton und Ideenkreis der gemeinen Gegenwart. Sotades war nicht der
erste, der diese Gattung pflegte; schon vor ihm hatten Pyres aus Milet
*) FoucABT, De collegiis scenicomm ar-
Üficmn apad Graecos, Paris 1873; Luedebs,
Die dionyrisclien KflnsÜer, Berlin 1873; H.
Saitfpb, De coUegio artaficnm scaenicomm
Ind. Gott 1876; A. MOlleb, Griech. Bühnen-
^t 392 ff. Diese rf/wrcrt oder Jtovvco-
toXtat^ sind schon erwfthnt von Arist. Rhet.
m 2 imd Demosthenes 19, 192.
*) Wblahd, De praecipois parodiarum
Homeri scriptoribns, Gott. 1833.
') Suidas: Ztotädijs Kgys ij Ma^taylrrjg,
Vgl. Ath. 620, der aus den Biographen des
Dichters, Karysiios und Apollonios, Sohn
des Sotades, schöpfte.
^) Ueher Pyihermos als Dichter von
Skolien und Erfinder der den Sitten der
lonier angepassten ionischen Musik aus der
Zeit des lambographen Hipponax siehe Ath.
625 c.
») Petron c. 23; vgl. Horaz Od. IIT 6, 21
und meine Metrik' S. 488 ff.
Haadbacb der klaaa. AlterttmwwiaseDSchaft. YII. 3. Aufl.
35
546
Griechiaohe Litteratnrgesohiolite. II. VaohklaMiflohe Litteratnr.
und Alexes (oder Alexias) solche ionische Lieder gedichtet;^) aber er galt
als Hauptvertreter der Gattung, und nach ihm ist das herrschende Metrum
dieser Gesänge Sotadeum metrum genannt. Als Titel einzelner seiner Ge-
dichte werden genannt elg "Äidov xatdßaaig, UQirjTiog, elg BsleiXTtxip^ (Ge-
liebte des Königs Ptolemaios), 'Afia^oiv. Die Fragmente sind gesammelt
und hergestellt von G. Hermann, Elem. doctr. metr. p. 445 flf. Sind die-
selben auch nur losgerissene Trümmer, so zeigen sie doch, dass Sotades,
weit entfernt nur schlechte Witze zu reissen, auch eine Fülle hübscher
Sentenzen in seine Spässe zu verflechten wusste. Ennius hat diese ioni-
schen Schwanke unter dem Namen Sota ins Lateinische übertragen. —
Nachahmer des Sotades war Kleomachos, ehemals Faustkämpfer in
Magnesia, von dem der ionische Dimeter den Namen Gleomacheum metrum
hatte. Auch Seleukos, der beliebte Verfasser von heiteren Gesängen
{IXaQwv ^aiidxwv 7ioiriT7]g) bewegte sich in dem gleichen Geleise. •)
382. Timon aus Phlius^) (um 315—226) war seiner Bildung und
Geistesrichtung nach Philosoph; in der Jugend hörte er den Eristiker
Stilpon in Megara, nachher warf er sich ganz dem Skeptiker Pyrrhon in
die Arme ; seine späteren Lebensjahre brachte er in Chalkedon als Lehrer
und dann von ca. 278 an in Athen zu. Von Natur zwar einäugig, aber
sonst kräftig gebaut, brachte er es durch Enthaltsamkeit und Geistesrube,
indem er fern von dem Geräusche der Welt der Einsamkeit und dem
Gartenbau lebte, zum Alter von nahezu 90 Jahren. Seine Schriften, von
denen uns Diogenes IX 110 ein nicht ganz vollständiges Verzeichnis über-
liefert hat, waren sehr mannigfaltig; es waren darunter solche in Prosa
und solche in Versen. Unter den letzteren befanden sich 60 Tragödien
und Satyrdramen, die wahrscheinlich nicht zur Aufführung auf der Bühne,
sondern zum Lesen bestimmt, mehr nur Dialoge in iambischen Trimetem
waren, ferner Xdyoi xivaidoi und eine Elegie ^IvdaXuoi d. i. Gedanken-
blitze, von der uns ein paar an Pyrrhon gerichtete Distichen erhalten
sind. Am berühmtesten waren seine Silloi in 3 B., von denen nach dem
Kommentar des Apollonides (unter Tiberius) bei Diog. IX 111 das 1. Buch
die Form der Erzählung, die beiden andern die eines Dialoges in der Unter-
welt*) hatten. Hauptträger des Dialoges war der alte Sillograph Xeno-
phanes, der die Lauge des Spottes über die dogmatischen Philosophen der
alten und neuen Zeit ausgoss. Das Gedicht war in daktylischen Hexa-
metern geschrieben und wendete Verse und Phrasen des Homer zur Ver-
spottung der Dogmatiker an, wie gleich der Anfang lautete
^Eaneis vvv fioi vaoi nokvnQdynovtg iats tfo^iavat.
Von dem witzigen, durch beissende Urteile ausgezeichneten Werke sind
») Strab. p. 648: vQ^e da Imttöf]s fi^v
nQfUtog xov xtyaidoXoyety, eneita 'jX^^ayd^og
6 AlxoiXog ' aXX^ ovtoi jit^y iy tpiXai Xoytf), f4€rd
fi^Xovg ö^ Avaig x«( Ixi ngotegog tovtov 6
iTfAog. Ath. 620 e: o cf^ *lwyix6g Xöyog xd
Zmrddov xal rd ngo rovrov 'ttavixd xaXov-
^Bvft noirjfAaxtt \4Xe^ttvdQov xb xov AixtaXov
xal TIvQfjxog xov Mi^Xrjifiov xni *AXb^ov xal
dXXvjy xoiorxtoy 7toit]nuy ngog^fQBXttt. Als
solche andere werden von Suidas in dem
Artikel über Sotades genannt Theodoros,
Timocharidas, Xenarchos.
*) Ein paar pftderastische Verse von
üim bei Athen 697 '^.
») Diog. IX 109-112.
^) Die gleiche Form eines GesprSchs
im Orcüs haben selbständig SchiUer ond
Goe&e in den Xenien 832 — 413 angewandt,
worüber Wacbsmutb, Sillogr. grsec. p. 40.
i
A. Alexandrinisohes Zeitalter. 8. Die Poesie. (§§ 382—384.) 547
uns nicht wenige Fragmente erhalten, die in neuerer Zeit Wachsmuth mit
ingenjöser Kombination in das ehemalige Gefiige des Werkes einzuordnen
versucht hat.
Sillogisphi graeci ed. Wacbsmuth im 2. Heft des Corpuscalum poesis graecae ludi-
bmidae, in Bibl. Teabn.
383. In die Fusstapfen des Timon traten die Kyniker, welche zu
jeder Zeit durch Freimut vor den anderen Philosophen sich auszeichneten
und in ihrer volkstümlichen Weise es besonders liebten, durch leise Um-
modelung von Versen des populärsten aller Dichter, des Homer, witzig
uud beissend zugleich zu sein. Ein paar Hexameter aus den Sillen des
Erates und Bion sind uns noch erhalten. Mit diesen im Inhalt, nicht
iu der Form verwandt waren die Schriften des Kynikers Menippos, der
gleichfalls noch in dem 3. Jahrhundert gelebt zu haben scheint.^) Dieser
schrieb in einer aus Prosa und Versen gemischten Sprache, indem er seine
in gewöhnlicher Rede geschriebenen Angriffe auf die Philosophensekten,
besonders die Epikureer, mit parodischen Versen durchflocht.*) Von seinen
Schriften werden bei Diogenes VI 101 namhaft gemacht Nekyia, Testa-
ment, Götterbriefe, Geburtstag Epikurs, Gegen die Physiker und Mathe-
matiker. Sein Einfluss auf die spätere Litteratur war sehr bedeutend;
Fon den Römern hat ihn bekanntlich Varro Reatinus in den Saturae Me-
nippeae nachgeahmt.^) Bei den Griechen fand er nicht bloss an Lukian,
sondern schon früher an dem Epigrammatiker Meleager, seinem Lands-
mann, Bewunderer und Nachahmer.*) Es waren somit, worauf Wachs-
muth aufmerksam macht, die 3 griechischen Satiriker, Menippos, Meleager,
Lukian, nicht Griechen, sondern Syrer oder Semiten.
384. Eine besondere Art von Parodie waren die Jemva, heitere,
den Mund wässerig machende Beschreibungen von leckeren Mahlzeiten,
gewürzt mit witzig gewendeten Versen aus Homer; sie blühte vornehm-
lich in der Zeit der neuen Komödie und berührte sich mit ähnlichen
Schilderungen auf der damaligen Bühne. Erhalten sind uns von dieser
Litteratur, die seit Alexander viele und reiche Blüten trieb, ziemlich um-
fangreiche Reste durch Athenaios, der ganze Seiten aus jenen Dichtungen
seinem eigenen Sophistenmahl einverleibt hat. Die Hauptvertreter dieser
Gattung waren Archestratos aus Gela, aus der Zeit des Aristoteles,
dessen Gedicht ^Hdvnd&eta, welches später Ennius unter dem Titel Hedu-
phagetica ins Lateinische übertrug, eine gastronomische Rundreise ent-
Uelt; Matron aus Pitana, der gleichfalls zu Alexanders Zeiten lebte und
dessen durch Athenaios IV 134—7 uns erhaltenes Gedicht /tttnvov Uvtixov
mit dem parodischen Vers anhob JsTnva fioi ^wsne^ Movaa^ noXvTQotfa
MI fiäXa noXlct; Timachides aus Rhodos, der ein kulinarisches Gedicht
von nicht weniger als 11 Rhapsodien schrieb (Ath. I 5 a), daneben aber
*) Frfiher setzte man auf Grund des ( *) Hirzel, Der Dialog I 385 ff.
Zeagnisaes bei Diog. VI 99 den Menippos
sl«iehzeitig mit dem Epigrammatiker Me-
Jeiger, also um 80 v. Chr. Die Stelle ist
liditi^r gedeutet von Maass bei Wachs-
muth p. 79.
») Meleager in Anth. VII 417 u. 418.
^) Im Geist der Parodien des Menippos
und Timon ist auch geschrieben Horati sat.
II 5.
85*
548 Oriechisohe LitterfttiirgeBehiohte. II. HaohklaMisohe lätteratar.
auch Euripides, Aristophanes, Menander kommentierte; femer Numenios
aus Heraklea u. a.
Brandt, Corposcolam poesis epicae graecae ladibundae, fasc. I in Bibl. Teabn. 1888,
wo auch die dOiftigen Reste des zur Zeit König Philipps lebenden Paroden Euboios m
Faros und seines glücklicheren Rivalen Boiotos gesammelt sind. — Archestrati Syracaoi
sive Gelensis reliquiae rec. W. Ribbbck, Berl. 1877.
3. Die Prosa.
a) Die Geschichtschreibungr.i)
385. Den Mittelpunkt der prosaischen Litteratur unserer Periode
bilden die Arbeiten der Grammatiker und Philologen. Diese zogen auch
vieles von dem, was der Oeschichte angehört, in ihren Kreis, so dass
man zweifeln kann, ob man Männer, wie Dikäarch, Eratosthenes, Apol-
lodor, die vorzugsweise das Gebiet der historischen Philologie anbauten,
unter den Historikern oder, wie wir vorziehen, unter den Grammatiken!
behandeln soll. Überhaupt herrschte in der historischen Schriftstellerei
unseres Zeitalters eine ungemeine Regsamkeit; aber der Masse der Pro-
duktionen entsprach nicht ihr innerer Wert: unter den Hunderten von
Historikern begegnet uns nur ein Autor von entschiedenem Talent und
selbständigem Geist, Polybios. Charakteristisch für die Zeit ist die Vor-
liebe für das Detail und das Fremde, so dass uns eine ganze Reihe von
Lokalhistorien und von Berichten über auswärtige Länder und vorheÜenische
Geschichte begegnet. Erhalten ist uns ausser Polybios nichts Zusammen-
hängendes; wir haben wesentlich nur ein Trümmerfeld kleiner, firagmen-
tarischer Litteratur zu durchwandern. Aber auch bei diesem trümmer-
haften Zustand der historischen Litteratur lässt sich der Gang, den die
Geschichtsschreibung in unserem Zeitraum genommen hat, noch in allge-
meinen Zügen wiedererkennen; er deckt sich im wesentlichen mit dem
Gang der Geschichte selbst. In der Diadochenzeit gaben die Kämpfe der
Generale Alexanders und die Gründungen neuer hellenistischer Reiche auch
der Geschichtsschreibung reichliche Nahrung, so dass sich noch grosse Schrift-
steller zu diesem Gebiete der Litteratur hingezogen fühlen konnten. Im
Laufe des 3. Jahrhunderts erstarb immer mehr das politische Leben nicht bloss
in Griechenland selbst, sondern auch in den hellenistischen Reichen, und
damit versiegte auch nach und nach die Quelle nationaler griechischer
Geschichtsschreibung. Neues Leben kam in die stagnierende Masse erst
wieder durch das Eingreifen des mächtig aufstrebenden Reiches der Römer
seit dem Beginn des 2. Jahrhunderts. Von da an hat denn auch die Ge-
schichtsschreibung der Griechen immer mehr den nationalen Boden ver-
lassen und sich den römischen Verhältnissen und den Kämpfen der Römer
mit den alten Reichen zugewandt.
886. Historiker der Diadochenzeit. Hieronymos von
Kardia war Historiker und Feldherr zugleich. Anfangs stand er
im Lager des Eumenes; nach dessen Vernichtung (316) kam er bei
Antigenes, dann bei dessen Sohn Demetrios, und zuletzt bei Antigonos
^) Ueber die litterarischen Hilfsmittel oben § 227.
A.Al«xaiidriiii8ohea Zeitalter. 8. Die Prosa, a) Oeaohiohtsohreibiiiig. (§§385—386.) 549
Gonatas zu Ehre und Ansehen. Ein Mann von ungewöhnlicher Gesund-
heit, erreichte er ein Alter von 104 Jahren, bis zum letzten Tage befähigt
zu geselligem Verkehr und in gesundem Vollbesitz aller seiner Sinne. ^) Seine
Geschichte der Diadochen und deren Epigonen begann mit der glänzenden
Leichenbestattung Alexanders und ging bis auf den Krieg des Pyrrhos in
Italien herab (323 — 272). Den letzten Abschnitt, der zuerst die Griechen
mit Rom und dessen älteren Geschichte bekannt machte, rühmt Dionysios,
Archaeol. I 6 und benutzte Plutarch im Leben des Pyrrhos. Pausanias I
9, 8 wirft ihm Gehässigkeit gegen alle anderen Könige mit Ausnahme
des Antigonos Gonatas vor. Fragmente bei Müller FHG II 450—461.
Duris aus Samos, Schüler des Theophrast,') der als Knabe einen
Sieg im Faustkampf zu Olympia errang ^) und später Herrscher von Samos
wurde,^) ist Verfasser eines umfangreichen Geschichtswerkes, ^latoglcci.
Dach seinen Teilen auch *EXXrjvixd und Maxtdovixd betitelt, das mit der
Geschichte nach der Schlacht von Leuktra begann (Diod. XV 60) und min-
destens bis 281 oder den Tod des Lysimachos herab ging; dasselbe bildete
später eine Hauptquelle des Diodor.^) Ausserdem schrieb Duris eine Lokal-
geschichte seiner Heimatinsel, Safimv (oqoi,^) ein Leben des Tyrannen
Agathokles von Syrakus, Schriften ne^l dym'cov^'^) tibqI ^fpyQcctpoyv, nsQi
TOQfvJixrjg,^) neql TQayfpdiag. Die Vielseitigkeit des Interesses hatte Duris
aus der Schule des Peripatos geerbt, aus der Werkstätte der Rhetoren
das Streben nach dramatisch wirksamer, fast theatralischer Darstellung.
Fragmente bei Müller FHG II 466—88.
Diyllos aus Athen schrieb eine universalhistorische Chronik der
Griechen und Barbaren in 27 Büchern (ßißXla) und 3 Abschnitten {avv-
^^^«<^).') Das Werk, das in seinen 2 letzten Abschnitten als eine Fort-
setzung des Ephoros gelten kann, begann mit dem phokischen Krieg (357)
und reichte bis zum Tode Kassanders im Jahre 297. Eine Fortsetzung
fand dasselbe durch Psaon aus Platää, dessen Geschichte 30 B. umfasste
(Diod. XXI 5). Fragmente bei Müller FHG H 360 f. u. HI 198.
Andere Historiker der Diadochenzeit waren Nymphis von Heraklea,
der eine allgemeine Geschichte in 24 B. bis auf Ptolemaios HI und eine
Spezialgeschichte von Hei-aklea bis zum Jahre 246 schrieb; Demetrios von
Byzanz, der nach Diogenes V 83 den Einfall der Gallier in Asien und die
Kämpfe des Antiochos und Ptolemaios behandelte; Herakleides von
22.
') Pb. Lncian, Macrob.
<) Atii. 128a.
*) Ueber das von Hippias gefertigte Bild
des Siegen s. Paoa. VI 13, 5, wozu Lübbbrt,
De I^dari et Hieronis amicitia, Bonn. Ind.
1886 p. XXIV.
') Pausanias a. 0.; Athen. 337 d; Suidas
out. Lynkens, Bruder des Duris.
') Haakb, De Duride Diodori auciore,
BoBo 1874; BOsigeb, De Duride Diodori
et Fhitarchi aactore, Gott. 1874; Rösslbb,
De Dnride Diodori, Hieronymo Duridis auctore,
G^Ht 1876; Schvbbbt, Die Quellen Plutarchs
im Eumenes, Demetrios u. Pyrrhos, Jhrb. f.
PItiL Snppl. IX 648-883.
•) Benutzt von Plut. Perikl. 28.
') In dieser Gattung von Schriftstellerei
folgten ihm dann Eallimachos, Ister, Eleo-
phanes, Theodoros aus Hierapolis.
") ÜBL1GB8, Griech. Eunstschriftsteller
S. 21 f.; Sellbrs, llie eider Plinius* chapters
on the history of art p. XLVI sqq.
») Diodor XVI 14 gibt 27 B., XXI 5 nur
26 B. an. Der erste Abschnitt reichte bis
zur Belagerung von Korinth, mit der das
Werk des Ephoros schloss, der zweite bis
zum Tode des Philipp Arridaios. üeber
die Zusammenfassung von je neun Bftchem
zu einer Svntazis s. Rühl Jhrb. f. Phil. 187
(1888) 123 ff.
550
Orieobisohe Litteratnrgesohichte. IL Nftohklassische Utteratar.
Kyme, der seine Persika, noch ehe das persische Reich über den Haufen
geworfen war, zu schreiben begonnen hatte.^)
887. Sikilische Historiker. Sikilien, unerreicht von den Waffen
der Makedonier, fuhr auch nach dem Untergang der hellenischen Freiheit
fort, eine bedeutende Rolle in der Geschichte und Litteratur zu spielen.
Die thatenreiche Regierung des verwegenen und rücksichtslosen Tyrannen
Agathokles (317—289) fand ihre Darstellung ausser durch Duris und An-
tandros, den Bruder des Tyrannen, durch Kallias aus Syrakus, der die
Oeschichte des Agathokles in 22 B. schrieb. Diodor XXI 17 ergeht sich
in heftigen Ausdrücken über dessen Wahrheitsf&lschung zu Gunsten des
gottlosen Tyrannen. Fragmente bei Müller FHG H 382 f.
Timaios (um 345—250)*) aus Tauromenion in Sikilien, der berühm-
teste unter den Historikern Sikiliens, war der Sohn des Andromachos, des
Gründers und Herrschers von Tauromenion. Von Agathokles entweder
gleich bei seinem Regierungsantritt (317) oder vor seinem Feldzug gegen
Karthago (310) verjagt, brachte er 50 Jahre in Athen zu. 3) Hier wurde
er durch den Isokrateer Philiskos, als dessen Schüler ihn Suidas bezeich-
net, in die Rhetorik eingeführt. Unter der massvollen Regierung des
Königs Hieron ü scheint er als Greis nach Sikilien zurückgekehrt zu sein;
er starb in dem hohen Alter von 96 Jahren um 250.*) — Seinen Ruhm
verdankte Timaios der umfangreichen Geschichte (laTogim) Sikiliens, die mit
der ältesten Zeit begann und bis zum Untergang des Tyrannen Agathokles
(289) reichte, sich aber nicht auf Sikilien beschränkte, sondern auch die
Geschichte Italiens und Karthagos umfasste und in zahlreichen Digressionen
auch auf die Verhältnisse Griechenlands einging.^) Das Werk hatte 38 B.^)
und scheint in den einzelnen Abschnitten eigene Überschriften gehabt zu
haben. Den Schluss desselben bildete nach dem Zeugnis des Diodor XXI 17
die Geschichte des Tyrannen Agathokles in 5 B. Ein weiterer Anhang ent-
hielt die Geschichte des Pyrrhos (bis 272), welche aber nach Dionysios Arch.
1 6 und Cicero ad fam. V 12, 2 ein Buch für sich ausmachte. Ausserdem soD
Timaios einen chronologischen Abriss 'OXvfiniovTxai i'roi XQouxd nga^iiia
verfasst haben;') vermutlich waren dieses nur chronologische Tabellen zu
seinem Hauptwerk, angelegt entweder von ihm selbst oder einem Späteren.—
Die Schriften unseres Historikers waren im Studierzimmer geschrieben und
») Vgl. RüHL Jahrb. f. Phü. 137, 121 f.
*) Suidas: Tifxaioq 'jy^QOfiaxov TavQO^
fjLBy eitrig, oV 'JStjyaToi 'EniTLfiaiov (ayofjiaaaVy
4»iXiaxov fjtttSr^rrjs xov MiXijalov . . . €yQa\f/ey
'IraXixd xai IixeXix« iy ßißXiois r( {Xt} em.
Gatschmid), *EXXt]yixtt xai £ix€Xixd [avXXoyrjy
SrjTOQixwy dtfogfAüiy] ßißXla I17 (corr. A17),
oXvfAntoylxag fjtoi, XQ^^^*^ nQaH^ia, Der
Titel des Hauptwerkes SixsXtxd scheint
wegen seines universellen Inhaltes teüs zu
'IxaXiXtt xai IixsXixdf teüs zu 'EXXrjytxd xai
ZixeXixd erweitert worden zu sein — Eothb,
De Timaei Tauromenitae vita et scriptis,
Breslau 1874; Glasen, Historisch-kritische
Untersuchungen zu Timaios von Taurome-
nion, Kiel 1883; Süsbhihl AI. Lit. I 563 flf.;
BöDiNGER Universalhist 51 ff.
') Nach seinem eigenen Zeugnis bei
Polyb. XII 25. Die Zeit seiner Vertreibang
wird geschlossen aus Diodor XT7C 8 und
XX 4.
*) Seine Rttckkehr nach Sikilien ist'nieht
bezeugt und wird bezweifelt; s. Golümbo,
Rivista XV 953 ff.
^) AusdrQcklich indes sagt von ihm Po-
lyb. XII 28 : i'*7i^^ 'IxaXiaq (ioroy xai SixeXitt^
ngayfAatevofAsyog.
*) Ueber die Anordnung des Stoffies
siehe Bbloch, Die Oekonomie der Greschichte
des Timaios, Jahrb. f. PhiL 123 (1881) 697 £
0 Vgl. Gensorinns, De die nat 21.
l^AlezandriniBohea Zeltalter. 8. Die Prosa, a) Gesohichtsohreibung. (§§387—388.) 551
Hessen, was den wiederholten Tadel des Polybios hervorrief, i) das sach-
liche Urteil des praktischen Staatsmannes vermissen. Aber derselbe hatte
die Quellen mit grossem Fleisse zusammengesucht, auch die Inschriften
der Säulen und Tempel verwertet (Polyb. XII 10 f.) und selbst die Ur-
kunden der Karthager und Phönizier studiert. In der Benützung der
Quellen und in der Beurteilung der Persönlichkeiten war er von Leicht-
gläubigkeit weit entfernt, umgekehrt nur zu sehr geneigt, seine Vorgänger
Lflgen zu strafen und die Könige von der schlechten Seite aufzufassen.
Das zog ihm scharfe Zurechtweisungen von Seiten des Polybios und Diodor
zu und rief die Gegenschriften {avTiyQaq>ai) von Polemon und Istros her-
vor. Der letztere hing ihm den Spottnamen ''EmTffiaiog 'Tadler an. Aber
doch auch Polybios (XII 10 f.) liess ihm die Ehre, die Chronologie berich-
tigt und die wahre Zeit vieler Städtegrilndungen erwiesen zu haben. ^)
Er reduzierte nach jenem Zeugnis die Ephoren Spartas, die Archonten
Athens und die Priesterinnen von Argos auf Olympiaden und setzte so
an Stelle der lokalen Zeitangaben die allgemeine Zeitrechnung nach Olym-
piaden. Seinen Stil tadelt Dionysios, de Dinarch. 8 als frostig und ge-
sucht; auch Pseudo-Longin, De sublim. 4 ist nicht gut auf ihn zu sprechen;
aber Cicero (Brut. 95, 325 und de erat. II 14, 58), der schon wegen seiner
Beziehungen zu Yerres und Sikilien den Timaios fleissig las, fand an der
überströmenden Fülle seiner Darstellung Gefallen. Inhaltlich war er für
die üniversalhistoriker Diodor und Trogus sowie für Plutarch im Leben
deß Timoleon Hauptquelle.*)
Fragmente bei MOllbb FHG I 193—233 a. IV 640 f. — Gsffokbn, Timaios, Geo-
graphie des WeeteiiB, Philol. Uniers. H. 13.
888. Hellenische Historiker des 3. Jahrhunderts. Unter
Alexander und seinen nächsten Nachfolgern war das zur Ohnmacht herab-
gesunkene Hellas fast ganz vom Schauplatz der Geschichte verschwunden.
Seit dem 3. Jahrhundert erhob es sich wieder zu grösserer Bedeutung,
indem namentlich die noch unverbrauchten Kräfte der Ätolier und Achäer
zn Macht gelangten. Seit der Zeit fand auch die hellenische Geschichte
wieder eifrige Bearbeiter.
Phylarchos, nach den einen aus Athen, nach den andern aus Nau-
kratis in Ägypten, setzte in seinen 28 Büchern ^latoQim' die Werke des
Hieronymos und Duris fort, indem er nach Suidas die Zeit vom Zuge des
Pyrrhos gegen den Peloponnes bis zum Tode des spartanischen Königs
Kleomenes (272—220) behandelte. Über seine Glaubwürdigkeit fällen
Polybios n 56 und Plutarch Them. 32 u. Arat. 38 ein ziemlich abfälliges
Urteil; er war ein bewundernder Anhänger des Kleomenes, bis zur Un-
gerechtigkeit gegen Arat, und liebte pathetische, auf Rührung berechnete
Darstellungen; besonders hob er Frauentugend und Frauenheldenmut her-
vor. Nach Suidas schrieb er auch über Erfindungen und über mythologische
Gegenstände (iTtitofAi] fAvd^ixtj u. negl ttjg rov Jiog ini^aveiag)^ woraus uns
manches durch Parthenios erhalten ist. Fragmente bei Müller FHGI 334—358.
') Polyb. Xn 3—28.
') Die QrflDdang Roms setzte er indes
inig 8S Jahre vor die 1. Olympiade, gleich-
zeitig mit der Karthagos.
») Vgl. Rbüss, Phüol. 45, 245 ff.
552
Orieohiaohe LitteratiirgMohiohie. IL VaohklaMisohe Litteratiir.
Menodotos von Perinth wird von Diodor XXVI 4 zu Ol. 104, 4
= 217/6 V. Chr. als Verfasser von ^EXlrjvixai ngayficneiat in 15 B. erwähnt;
er scheint also den Psaon oder Phylarchos fortgesetzt zu haben. Derselbe
ist vielleicht eine Person mit dem Menodotos aus Samos, der ein perie-
getisches Buch ttsqI tcov xctrd irjv Sdfiov evdo^wv schrieb. Fragmente bei
Müller FHG HI 103—105.
Neanthes von Kyzikos lebte, da er nach Suidas ebenso wie Timaios
Schüler des Philiskos war, im 3. Jahrhundert. Ausser rhetorischen Schrif-
ten und einer allgemeinen hellenischen Geschichte schrieb er eine Spezial-
geschichte seiner Heimatstadt und der Regierung Attalos I (241—197).^)
Am meisten Ansehen aber verschaffte er sich durch seine Biographien be-
rühmter Männer {negi ivdo^wv ardgdiv). Fragmente bei Müller FHQ HI
2—11.
Aratos von Sikyon (271—213), der berühmte Feldherr des achäischen
Bundes, machte Geschichte und schrieb Geschichte. Seine Denkwürdig-
keiten (vnofiv^fiaxa) in mehr als 30 B.') reichten nach Polyb. I 3 und IV 2
bis zum sogenannten Bundesgenossenkrieg (220). Nachlässig in der Form,')
beanspruchten dieselben nur ein sachliches Interesse; benutzt hat sie
Plutarch im Leben des Arat. Agis und Kleomenes. Fragmente bei MüUer
FHG III 21—23.
389. Spezialgeschichten. In demselben Grad, in dem den Grie-
chen die Fähigkeit zur würdigen Auffassung grosser geschichtlicher Ereig-
nisse abzugehen begann, wuchs die Neigung für das Detail und den per-
sönlichen Klatsch. Daraus entstanden zunächst die Biographien, die litte-
rarischen Porträte, welche mit der Vervollkommnung der Porträte in der
Kunst Hand in Hand gingen. Es gibt eine ganze Reihe biographischer
Schriftsteller, meist aus der Schule der Peripatetiker, wie Dikaiarchos,
Aristoxenos, Phanias, Klearchos, Hermippos, Idomeneus von Lampsakos,
Antigenes von Karystos. Da aber die meisten Biographien dieser Männer
Persönlichkeiten der Litteratur und Philosophie betrafen, so verschieben
wir ihre Besprechung auf den Abschnitt über die Grammatiker.*) —
Selbst von berühmten Hetären erschienen Biographien die einen über die
andern ; Athenaios, der uns p. 567 u. 586 f. manches Detail daraus er-
halten hat, bezieht sich dabei auf das anekdotenreiche Buch des jüngeren
Antiphanes von Berge.*)
Verwandter Art war die Litteratur von Memoiren (vTzofjttnjficna).^)
Auch hier waren es die Peripatetiker, die zuerst mit derartigen Büchern
hervortraten. Schon von Theophrast gab es tmofivrjfiovevinaTa, aber der
Hauptvertreter dieser Gattung von Schriftstellerei war ein anderer Aristo-
teliker, Hieronymos von Rhodos, dessen ^la%o^ixd vjiofjLvr^iiata ebenso
^) Die Geschichte von Attalos I schreibt
SüSEMiHi, AI. Lit. I 618 einem jüngeren Ne-
anthes zu.
*) Seine noXvßißXog laroQla vnh^ r« X
ßißXla txovaa ist erwfthnt in der Biographie
des Dichters Arai
») Plnt. Arat. 3.
*) Ueber Neanthes Biographien haben wir
oben bereits gesprochen.
') Spassges<äiichten (lino^iai x^fiixm)
schrieb Protogenides unter Antiocfaos
Epiphanes; vgl. 0. Schnbipbr, Nicand. Pro-
leg. 15 f.
^) EöPKB, De hypomnematis graeeis,
pars. I Berl. 1842, pars 11 Brandenburg 1868.
i.AlexandrinLichea Zeitalter. 8. Die Prosa, a) Geschiohtechreibimg. (§§889—890.) 553
wie seine Bücher ne^l noirftwv (nsQi xit^aQrpiwv und TQayffSonoiSv) häufig
von AthenaioB und Diogenes angeführt werden, i) Von Feldherm und
Staatsmännern schrieben Memoiren Demetrios und Arat, von Königen
der Schüler Aristarchs, Ptolemaios Euergetes 11.«) Von ähnlicher Art
scheinen die "Ataxra des Marsyas gewesen zu sein.')
Eine dritte Art von historischer Kleingeschichte, gleichfalls von Ari-
stoteles und seiner Schule gefördert, betraf die Einrichtungen und Ge-
schichte der einzelnen Städte und Landschaften; voran stehen in dieser
Sparte die Werke über Attika.
S90. Uid^iSec^) Wessen die auf Sage, Geschichte, Litteratur, Topo-
graphie bezüglichen Darstellungen von Attika. In annalistischer, chronik-
artiger Aufzählung, ohne rhetorischen Aufputz führten dieselben mit reichem
Detail die Ereignisse vor. Für die Kenntnis der attischen Einrichtungen
und der inneren Geschichte Athens waren sie von ausserordentlicher Be-
deutung, sie empfahlen sich aber weniger durch die Kunst der Darstellung,
weshalb Dionysios, Arch. I 8 von seinem einseitig rhetorischen Standpunkt
aus verächtlich auf sie herabsieht. Das Vorbild zu denselben hatte Hel-
lanikos gegeben, aber die Atthiden im eigentlichen Sinn beginnen erst mit
der Zeit des Demosthenes und fanden ihre Blüte in der alexandrinischen
Zeit. Die einzelnen, zum Teil noch der vorausgehenden Periode ange-
hörigen Autoren sind: Kleitodemos (v. 1. Kleidemos), von Pausanias X
15, 5 der älteste der Atthidenschreiber genannt; Andre tion, Schüler des
Isokrates, gegen den Demosthenes in der uns noch erhaltenen Rede auf-
trat; Phanodemos, der neben einer Atthis auch eine Lokalgeschichte
der Insel Ikos, einer der Kykladen, schrieb; Melanthios, von dem auch
ein Buch über Mysterien angeführt wird ; Demon, Verfasser einer Atthis
und von Schriften 71€qI nagoifucov und nsQi x^v<fim'.^) Die älteren Atthiden
bildeten, wie wir oben sahen, eine Hauptquelle des jüngst wieder gefun-
denen Buches des Philosophen Aristoteles über den Staat der Athener.
Philochoros, Sohn des Kyknos, war der bedeutendste der Atthiden-
schreiber ; er lebte in der Diadochenzeit und fiel als Parteigänger des Pto-
lemaios Philadelphos nach der Einnahme Athens durch Antigenes Gonatas
(261). Seine Studien galten vorzüglich der Geschichte Attikas, ausserdem
den Mythen, Festen, Opfern, zu denen er durch seine Stellung als Seher
und Opferbeschauer besondere Beziehungen hatte. Seine Atthis in 17 B.
umfasste die ganze Geschichte Attikas von der ältesten Zeit bis auf 261
V. Chr. In den Anfängen summarisch, weitläufig in der Zeitgeschichte
') Sein Urteil über Isokrates ist uns er-
haHen durch Dionys. Hai., Isoer. 13 and
Gkero, Grat. 56, 189. Ob die geographischen
Notizen ans Hieronymos bei Strabon unseren
Hieronymos oder den aus Kardia angehen,
ist zweifelhaft. Die Fragmente gesammelt
von HiiLBR, Hieronymi Rhodii Peripatetici
fragm., in Satora philol. Herm. Sanppio oblata,
Berl. 1879 p. 85—118.
*) MeLLBB FHG m 186—9.
*) Snidas erwfthnt drei Historiker Mar-
sjas; der älteste ans Pella schrieb aus
eigener Erinnerung MaTtsdoyixa und ein Buch
über die Erziehung Alexanders.
*) Müller FHG I prol. p. LXXXH -XCI
und 1 359—427; Wilamowitz, Aristoteles und
Athen I 260 ff
^) In weiterem Umfang gehören zur
Klasse der Atthidenschreiber auch Andren
aus Halikamass, der in dem umfangreichen
Werke IvyyiyBiai auch attische Verhält-
nisse berührte; die Fragmente bei Müller
FHG n 346 ff.
Oriechiache Liiteratargeachichte. II. Naohklaaaiache Litteraiur.
hielt er sich durchgehends an den chronologischen Faden, indem er die
Ereignisse anfangs nach Königen, später nach Archonten aufführte. Von
der Gediegenheit seiner Forschungen geben die wörtlichen Anführungen
bei Dionysios einen sehr vorteilhaften Begriff. Von dem umfangreichen
Werk machte er selbst einen Auszug;^) einen zweiten Auszug, den Suidas
anführt, verfertigte Asinius Pollio von Tralles. — - Mit der Atthis standen
Spezialuntersuchungen über die attische Tetrapolis, die Gründung von
Salamis, eine Sammlung attischer Inschriften, chronologische Zusammen-
stellungen der attischen Archonten und der Olympiaden in Zusammenhang.
Auf den Kultus bezogen sich seine Bücher Ttegi fiartixijg, ti^qI ä-vamr^
negi %wv ^Ax^r^vrjai ayaJrwi', ne^l ioQTtav^ wahrscheinlich auch die JrjJUaxa
und ^HTisiQcorixd. Die Durchforschung der Mythen und Feste fährten ihn
auch zu litterarhistorischen Arbeiten über die Mythen des Sophokles, über
Euripides und Alkman. Erwähnt ist in den Scholien zu Eurip. Hec. 3 ein
Brief ns^i TQayo^diwv an den älteren Asklepiades, den Verfasser der Tqa-
yfpSovfieva, Fragmente gesammelt bei Müller FHQ I 384—417 und IV
646—8. Böckh, Über den Plan der Atthis des Philochoros 1832, jetzt in
Ges. Sehr. V 397—429.
In spätere Zeit fällt die Zusammenstellung der früheren Atthiden von
Istros, auf den wir unten zurückkommen werden.')
891. Nach dem Muster der Atthiden wurden zahlreiche Spezial-
geschichten von anderen Landschaften und Städten verfasst. Bereits oben
haben wir des Duris ^ßgoi 2afii(ov, des Neanthes ^Qqoi Kv^ikt^i^wv^^) des
Nymphis Geschichte von Heraklea erwähnt.*) Ausserdem sind uns durch
gelegentliche Citate bekannt die 2ixv(ovixd des Menaichmos, der unter
den Diadochen lebte und nach Suidas auch eine Geschichte Alexanders
schrieb;*^) die MsyuQixd des Dieuchidas, der zur Zeit der Siteren Atthiden-
schreiber lebte ;^) die ^AQyohxd des Derkylos und des Deinias, der vor
dem Geographen Agatharchides, wahrscheinlich zur Zeit des Aratos schrieb;
die AtyivT;;tixd des Pythainetos, aus denen die Kommentatoren der ägine-
tischen Siegesgesänge Pindars schöpften; die Bomvixd des Aristophanes
von Theben, auf die Plutarch de mal. Herod. p. 864c und 867c bezugnimmt;
die 'HneiQWTixd des Proxenos; die &eaaahxd des Suidas und Eineas; die
il/f Ar^crmxa des Lykos und Maiandrios (oder Leandrios) ; die Na^iaxd des
Andriskos und Aglaosthenes;^) die Evßoixd des Aristoteles aus
') Daneben fOhrt Suidas eine Epitome
Ti;^ Jiovvulov ngayfiareiag an, worQber
ScHBNKL Jahrber. f. Alt XI 1, 235.
') Von Spezialschriften über einzelne Ge-
schlechter Atükas erwähnt der Lexikograph
Harpokration: Meli ton ttsqi rwy \49rfyrjci
yeyuiyy Drakon n$gi ysyaiy, das £. M. 429,
26 Theodoros negl Krj^vxoty yiyovq ; siehe
TöPFFBR, Attische Genealogie, Berlin 1889,
S. 1 Anm.
*) In spftterer Zeit schrieb über Eyzikns
Agathokles aus Babylon; Fragmente bei
MüLLKR FHG II 288—290.
^) In die Lokalgeschichte schlagen auch
die Schriften der Periegeten Polemon, Hege
sander, Sokrates ein, von denen im Abschnitt
von der gnunmatischen Gelehrsamkeit ge-
handelt wird.
*) Seine Iixx^wyixtt citiert Ath. 471 d u.
Schol. Find. N. IX 20; aus ihnen schöpfte
Paus. 5, 6-6, 7; vgl. Lübbebt, De Adrasti
regno Si^onio, Ind. Bonn. 1884.
•) WiLAMowiTz Phil, ünt V 240 f.
^) Aglaoethenes lebte vor Eratosthenes;
weni^tens wird derselbe in den Katasterismoi
p. 56, 12. 156, 13 citiert Im allgemeinen
spricht von Nakiioy avyyQa(p€ig Plutarch Mor.
394 C.
A.AlezandriniBcheB Zeitalter. 8. Die Prosa, a) aeBohiohtsohreibang. (§§391—392.) 555
Chalkis und des Archemachos; die Aeaßiaxd des My rsilos; die JrjXiaxa des
Antikleides;^) die TQWixd des Hegesianax oder Kephalion (Ath. 393d);
das Buch des Peripatetikers Phanias über die Prytanen seiner Heimat-
stadt Eresos; die erythräische Geschichte von Apollodoros aus Erythrä;*)
die von Polybios XYI 14 gerühmten Spezialgeschichten der Insel Rhodos
von Zenon und Antisthenes; der Krieg des Königs Philipp mit Byzanz
von Leon dem Byzantier;*) die Ilovrixa des Apollodoros und Dio-
phantos; die Kaqixd des Apollonios; die KvQtjvaixä des Akesandros
und Theotimos. Wahrscheinlich gehörte unserer Zeit auch Dionysios
von Chalkis an, der eine allgemeine Städtegründungsgeschichte (o rag
xiioaq Tü)v nokewv yquipaq) in 5 B. schrieb und den Ps. Skymnos V. 115 f.
als einen seiner Hauptgewährsmänner preist.^) Über die verschiedensten
Spezialgeschichten, über Persien, Thessalien, die Tyrannen von Ephesos
schrieb der Rhetor Baten von Sinope (Müller FHG IV 347 bis 350), der
nach Plutarch im Leben des Agis c. 15 Zeitgenosse des Arat gewesen zu
sein scheint.
392. Sosibios der Lakonier war der Hauptvertreter der Spezial-
geschichte Spartas. Derselbe gehörte den Kreisen der Alexandriner an;
schon unter Ptolemaios Soter war er nach Alexandria gekommen,<^) erlebte
aber seine Blüte erst unter Ptolemaios Philadelphos.^) Wahrscheinlich
ist er eine Person mit dem Sosibios, der von seiner Geschicklichkeit
im Lösen schwieriger Fragen den Beinamen o kvnxoq erhielt.^) Die
Studien über die Altertümer seiner Heimat legte er in dem Buche neQi
xav iv ^axedaifiovi x}vamv und in dem weitläufigen Kommentar zu dem
altspartanischen Dichter Alkman nieder. Von einem weiteren Gesichtskreis
ging er in dem chronologischen Buch Xqovwv dvayQatf'ij aus, das sich mit
den obengenannten Xqovixd des Timaios berührt zu haben scheint. Müller
FHG n 625—630.8)
Wie Sosibios die antiquarische Spezialforschung mit der Dichter-
erklärung verband, so noch mehr Demetrios aus Skepsis, der nach
Strabon p. 609 in der Zeit des Aristarch und Krates um 150 lebte. ^) Der-
selbe verfasste, zum Teil auf den Arbeiten seiner Vorgängerin, der ge-
^) Derselbe Antikleides ans Athen schrieb
eine Alezandergeschichte und ein mytholo-
giisches Buch Noaroi, von dem Ath. 384 d
ein 78. Buch erwfthnt; s. Müllbb, Script.
Alex. M. p. 147.
*) Vgl. Maass, De sibyllamm indicibns,
^27ff.
*) üeber die Verwechselnng dieses Leon
mit dem Leon von Alabanda und dem Pen-
pttetiker Leon s. Müller FHG II 328 f.
*) Akt. Baumstark Philol. 53, 703 ff.
weist nach, dass dieser Dionysios im 2. Jahr-
kondert y. Chr., jedenfalls nach dem Gram-
matiker Lysanias, dem Lehrer des Erato-
sthenes, blfilite.
*} Flut. Isis et Osir. 28.
') Dass er mit dem Sosibios, auf den
Kallimachos ein elegisches Siegeslied schrieb,
identisch sei, bezweifelt 0. Sohmeidbb, Callim.
U220.
') Ueber die kviixoi handelt ausführ-
lich Lehrs, De Arist. stud. Hom. p. 200 ss.
Die von Athen. 493 c mitgeteilte Lösung der
vermeintlichen Schwierigkeit im homerischen
Vers A 653 Iftsst uns nicht hoch von dieser
Kunst denken.
") Ausserdem werden yiaxtoyixa eines
gewissen Aristokrates erwähnt. Auf
einen dieser beiden lakonischen Spezial-
forscher, am ehesten auf Sosibios, gehen
wohl auch die Nachrichten über die alte
Stellung des Ephorats zurück, welche Plu-
tarch (nach Pnylarch?) den König Kleo-
menes in dessen Vita c. 10 auskramen Iftsst.
*) Nach Strabon, der ihn sehr oft zum
Zeugen nimmt, lebte er vor Apollodor, der
ihn in seinem Kommentar zum Schiffskatalog
stark benutzte, und nicht vor Neanthes,
gegen den er polemisierte; s. Strab. I p. 45.
556
Orieohiaohe Litteratargeachiohte. ü. NaohUasaische Liiteraiiir.
lehrten Alexandrinerin Hestiaia fussend, i) einen TQmxog itaxwffioq in
30 6.,^) worin er hauptsächlich die Lage der von Homer im Katalog der
trojanischen Streitkräfte B 811 — 877 genannten Orte der troischen Land-
schaft zu bestimmen suchte. Er ist in unserer Zeit viel genannt worden,
da er, vielleicht infolge der Eifersucht der Bewohner von Skepsis gegen
die von Neuilion die Identität der Lage der homerischen Ilios und der
von Lysimachos neugegründeten Stadt bestritt und die Homerforscher
lange in die Irre führte, bis in unserer Zeit Schliemann mit Spaten und
Schaufel die lang verhüllte Wahrheit ans Licht brachte.*)
Im Anschluss an die hellenische Spezialgeschichte, die auf die alten
Mythen und die in Stein und Erz geschriebenen Urkunden hauptsächlich
Rücksicht nahm, erwähne ich hier noch einige speziell auf den Mythus
und die Urkunden bezügliche Arbeiten.
398. Euhemeros von Messana,*) Vertrauter des Königs Kassander
(311—298), ist der Urheber der rationalistischen Deutung der alten My-
then, wonach nicht bloss die Heroen, sondern auch die Götter ursprünglich
geschichtliche und dann wegen ihrer Verdienste in den Olymp versetzte
Personen sein sollen.^) Diese seine Theorie hatte er in einem Buche, Vff«
avayqaifri betitelt, in romanhafter Weise vorgetragen : er wollte darin auf
einer Fahrt von Arabien in den Okean nach einer Insel Panchaia ge-
konmien sein, wo er auf einer Säule die Geschichte des Uranos, Kronos
und Zeus gefunden habe.^) Jene Methode der Mythendeutung, welche
ihrem Autor den Vorwurf eines Atheisten eintrug, fand bei den Zeit-
genossen und den Späteren vielen Anklang ; Ennius hat sie mit dem Buche
Euemerus unter den Römern eingebürgert.
Palaiphatos ist Verfasser der nur im Auszug auf uns gekommenen
Schrift über unglaubliche Dinge (n€Ql änfatcav). Dieselbe ist im Geiste
des euhemerischen Rationalismus geschrieben, indem ihr Verfasser flir alle
Mythen einen natürlichen Erklärungsgrund zu ermitteln sucht. ^) Die
Sprache ist schlicht und einförmig, der Ton trocken, die Begründung zum
Teil flach und verfehlt, wie wenn der Mythus, dass Lynkeus auch die
Dinge unter der Erde sehe, darauf zurückgeführt wird, dass derselbe ein
Bergmann gewesen sei und mit seinem Grubenlicht das Silber und Erz in
der Erde entdeckt habe. Auf der anderen Seite begegnen uns aber auch
geistreiche und zutreffende Deutungen, wie z. B. dass die Bildwerke des
Daidalos sich wie lebende Wesen bewegen, weü er zuerst Statuen mit
auseinander gehenden Beinen gebildet habe. Wahrscheinlich war unser
») Sfcrab. Xra p. 599.
«) Strab. XIII p. 609.
») ScHLiBMANN, Ilios 200 ff. u. 761 ff.; M.
Haupt, Oposc. II 58 ff.; Gabde, Demetrii
Scepsii qnae supersant, Greif sw. Diss. 1880.
^) Messanios heisst er bei Euseb. praep.
ev. II 2, 52, Plut. de Is. et Osir. 23, Lactan-
tiufl de fals. rel. I 11; BcQyaTog bei Sfcrabon
p. 47 u. 104, infolge der Verwechselung mit
Antiphanes von Berga, die beide als Auf-
schneider bezeichnet werden (cf. Stephanos
unter hBQyrj); Kt^o^ bei Ath. 658 e; Agrigentinus
bei Amob. adv. gent. IV 15. Vgl. Sibroka,
De Euhemero, Königsberg 1869; Ni^hbthy,
Euhemeri relliqniae, Budapest 1889.
^) So z. B. hiess es nach Lactantius 1 7
von der Venus: prima artem meretrieiam
instituit auctorque muUeribus in Cypro fuit,
ut vuigcUo corpore quaestum faetrent.
<) Euseb. praep. ev. 11 2, 52 nach Diodor
V 46. Vgl. LoBBCK, Aglaoph. 987 f.; Rohde,
Griech. Rom. S. 220 ff.
^) Davon hat die Schrift bei Suidas den
j Titel XvCHg rtSy nvSixaig ei^tjftärmy.
A. AlexandrinuiclieB Zeitalter. 8. Die Prosa, a) Geschiohtaohreibnng.
J-394.) 557
Palaiphatos, der ein Zeitgenosse des Euhemeros gewesen zu sein scheint,^)
auch Verfasser einer Spezialschrift über die troische Landschaft ( TgcDixä).
Ausgabe in Westermanns Mythographi graeci; Fragmente bei Müller FHGn338f.
Neue Hilfsmittel för die Hauptscbrift von Fröhneb Philol. Suppl. V 34 flf.; Boyson Philol.
42, SOOfF.; Fssta, ConEdderaadoni intomo all' oposcula di Palefato, 1890; Vitblli, I manos-
critti di Palefato, mit Text in Stadi ital. di Filol. class. 1893.
An diese älteren Mythographen,') die man richtiger als Mythenerklärer
bezeichnen würde, schlössen sich gegen Ende unserer Periode die Mythen-
erzähler an, welche die alten Mythen in systematischer Weise zu einem
Kyklos zusammenstellten. Die berühmtesten derselben waren die beiden
schwer zu scheidenden Dionysioi.*) Der Kyklograph (o xvxXoyqdifoq)
Dionysios ist wahrscheinlich eine Person mit dem Samier Dionysios, der
Dach Suidas Priester des Helios in Rhodos war und ausser anderm ein für
den Unterricht bestimmtes Handbuch der Mythologie {taroQia naidcvrixij)
in 10 (eher 7) Büchern schrieb. Dionysios Skytobrachion (Lederarm)
aus Mytilene (um 100 v. Chr.)*) erzählte in prosaischer Rede die Mythen des
Dionysos, der Amazonen, des Argonautenzugs, des troischen Kriegs u. a.,
indem er daneben die Gedichte und Quellen, denen er folgte, verzeichnete.
Er war eine Hauptquelle für den mythologischen Abschnitt in Diodors
3. Buch.«)
394. Erateros, wahrscheinlich der von Phlegon, Mir. 32 erwähnte
Halbbruder des makedonischen Königs Antigenes Gonatas, machte in rich-
tiger Erkenntnis der Wichtigkeit der Inschriften für die geschichtliche
Forschung eine umfangreiche, chronologisch geordnete Sammlung von Volks-
beschlüssen {tprjfpiafxäTwv avvaymyij), die eine reiche Fundgrube der Spä-
teren, namentlich des Harpokration bildete.^) — Über die verwandten
Arbeiten des Periegeten Polemon werden wir in dem übernächsten Ab-
schnitt handeln.
Die parische Marmorchronik, auf der Insel Paros gefunden und
1627 nach England gebracht, ist verfasst unter dem attischen Archen
*) Snidas zählt vier Palaiphatoi auf und
bemerkt, dass die Schrift tisqI äniartoy in
5 B. von den einen dem nnter Artaxerxes 111
lebenden Palaiphatos aus Paros (v. 1. Parion),
▼on den andern einem jüngeren Palaiphatos
«18 Athen zugeschrieben werde. Gutschmid
in Flachs Ausg. des Hesychius nimmt an,
dass diese beiden Palaiphatoi eine Person
seien. Vor 295 setzt die Publikation der
iniöTa J. ScHRAOBR, Palaephatea, Berl. 1896.
Auf seine Heimat in Eleinaaien führt auch
die singnlfire Verlegung des Gorgonenmythus
an den Pontus Euxinus.
*) Za ihnen gehören auch noch lam-
bnlos, von dem gleich nachher, Themi-
Btagoras, der eine Xgvaerj ßißXog yerfasste
(Mülleb FHG IV 512), Staphylos aus
Nankrafcis (Müllbb FHG IV 505—7), citiert
Ton Strabon p. 476.
') Ed. Schwabtz, De Dionysio Scyto-
braefaioiie, Bonn 1880.
*) Saeton de viris illustr. 7: M. Antonius
Gnipho institutus Alexandriae . . , in con-
tubernio Dionysii Scytobrachionis.
*) Diod. III 52: «yayQaqieiy rag ngd-
|€i( netQtta6fA£&a iv xetpccXaloig dxoXov&(og
Jiovvaii^ Xi^ avvxBxayfAivm xd ne^l xovg
'Agyovavxag xal xov Juivvcov xal ixeg«
noXXd xtay iy xolg nnXaioxdxoig j^Qovoig
UQcixdeyxioy. Diod. III 66: tw Jioyvaitp t^
avyxa^afxiyio xdg naXaidg fjiv&onouag, oviog
ydQ id xe ne^l xoy Jioyvaoy xal xdg 'Afiu-
^oyagf exi di xovg 'AQyovavxag xal xd xaxd
xoy iXittxoy noXsfJLoy -nQax^^eyxa xal noXX'
ix€Qa avyxixaxxai, naQaxt&elg xd noiiijfxaxa
xdiy dgxciloyy xaiy xe fiv&oXoytjy xal xtüy
noifjTwy.
®) Fragmente gesammelt bei Mülleb
FHG II 617—622; Cobet, Mnemos. N. F. 1
(187.S) 97—128; Krech, De Crateri ^7j(p,
avy, Berl. 1887. Dass sich Erateros vor
Aufnahme von Fälschungen nicht hütete,
zeigt die Urkunde über den Eimonischen
Frieden bei Plut. Cim. 12. Einen unechten
Brief des Erateros erwähnt Strabon p. 712.
558 Oriachiaohe Liiteratnrgeaohiohte. IL Hachklassisohe Lüteimtnr.
Diognetos Ol. 129, 1 = 264/3, von welchem Jahre rückwärts die Datie-
rungen zählen, aber so, dass das Schlussjahr bald miteingerechnet ist, bald
nicht. Der anonyme Verfasser, der wesentlich attischen Quellen, vielleicht
auch dem Timaios folgte, gibt im Eingang selber an, dass er eine chrono-
logische Qeschichtstafel von Kekrops bis auf den Archen Diognetos habe
geben wollen. In die Tafel nahm er nicht bloss die politischen Ereignisse,
sondern auch die Gründung der Agone, die Lebenszeit der Dichter, die
Erfindungen und ähnliches auf, aber weder in wünschenswerter Vollstän-
digkeit noch mit der erforderlichen Kritik. Gleichwohl ist die Chronik,
die leider am Schlüsse verstümmelt und zum Teil nicht mehr leserlich ist,
eine der wichtigsten Urkunden für die alte Chronologie und Geschichte.
Ausgabe mit Erläuterungen von Böckh CIG II 2374. Spezialausgabe von
Flach, Tübingen 1884.
395. Fremdländische Geschichte und Völkerkunde. Die Ge-
schichte fremder Völker ward in unserer Periode, wo das Hellenische die
Sprache der Gebildeten des ganzen Erdkreises geworden war, Gegenstand
der Forschung und Darstellung sowohl von Seiten der Griechen, welche Ge-
legenheit hatten, die Gebräuche und Geschichte fremder Länder kennen zu
lernen, als auch von seiten einheimischer Priester und Gelehrten, welche
die hellenische Welt mit den Institutionen und der Vergangenheit ihres
Volkes bekannt machen wollten.
Boro SOS (v. I. Berossos), Priester des Bei in Babylon, schrieb Baßv-
Xionaxd in 3 B.^) Er selbst sagt von sich bei Synkellos p. 28 B., dass
er unter Alexander, dem Sohne Philipps, gelebt habe ; sein Geschichtswerk
widmete er dem Könige Antiochos I Soter. Dasselbe fing mit dem fabel-
haften Urwesen Oannes an und ging herab bis auf den Untergang des
babylonischen Reiches durch Kyros; ausführlicher wurde die Erzählung
erst in der jüngeren Zeit seit Nabonassar (747). Das Buch fand das be-
sondere Interesse der Juden und später der Christen durch die alten, mit
der Bibel übereinstimmenden, jetzt auch durch die Keilinschriften bestä-
tigten Mythen von der Sintflut, dem Turmbau, den Zügen des Nabucho-
donosar u. a.^) Infolgedessen ist uns auch das meiste aus ihm durch die
jüdischen und christlichen Schriftsteller Josephos und Eusebios erhalten,
deren Nachrichten freilich nicht direkt aus Berosos geschöpft sind, sondern
zunächst auf Alexander Polyhistor und ApoUodor zurückgehen. — Ausser
der Geschichte war es die spezielle Wissenschaft des Chaldäerlandes, die
Astrologie, welche Berosos durch Lehre und Schrift {XaXSai'xd) den Grie-
chen zugänglich machte. Fragmente bei Müller FHG 11 495— 510. s)
396. Manetho*) war ägyptischer Erzpriester unter den beiden ersten
Ptolemäern und spielte nach Plutarch, De Iside 28 bei der Einführung
*) Tatian. adv. Graec. 58 :^ BrjQtooog aytJQ 1 babylonischen Epos Jzdnbar-Nimrod.
BaßvXcSviog, leQevg roi7 Tiorp' avToig BijXov xcrf' ' *) Hohmbl, Das nenaufgefandene Original
XQixtp xrjy XaXdttitoy UrrOQiay iy TQiai ßißXioig
avyra^ag xal r« 7i€Qi Tuty ßaat-Xsojy ix&€f4Byogy
atpfjyeixtti xxX.
der Dynastienliste des Berosos, Ztschr. für
Eeilschriffc II Heft 2 ; Geschichte der Tordes^
asiatischen Kulturvölker, Handb. der klaas.
AltWiss. III 1, 30.
*) Die Sage von der Sintflut ist ganz ; ^) Manethoth im Aegypiischen ao viel als
ähnlich wie in der Bibel erzählt in dem datus a Thoth,
iullexandrinisohes Zeitalter. d.Die Poesie, a) Geachiohtschreibnng. (§§395—396.) 559
des Serapiskultus in Ägypten eine Hauptrolle. Mit seinem Hauptwerk
Älyvnuaxa in 3 B. verfolgte er den Zweck, die herrschende Klasse mit
dem Glauben und der Geschichte des von ihnen eroberten Landes bekannt
zu machen. Dasselbe umfasste die mythische Vorzeit und die Geschichte
der 31 ersten Dynastien, deren letzte von Nektanebos H, dem letzten der
einheimischen Könige, bis auf Alexander reichte.*) Die hohe Bedeutung
des Buches als urkundliche Darstellung der Geschichte des merkwürdigen
Landes gegenüber der auf der Mitteilung von andern beruhenden Erzählung
des Herodot ist erst in unserer Zeit zur vollen Anerkennung gekommen,
nachdem durch Entzifferung der Hieroglyphenschrift die Möglichkeit ge-
boten war, die Königslisten des Manetho mit den ähnlichen Verzeichnissen
des Turiner Papyrus und den Tafeln von Abydos und Saggara zusammen-
zustellen.*) — In römischer Zeit haben nicht bloss die Alyvirriaxa mannig-
fache Erweiterungen erfahren, sondern sind auch dem alten Manetho
mehrere Schriften von zweifelhafter Echtheit, wie das Sothis-Buch und
das heilige Buch {Isqü ßißXog), beigelegt worden, wodurch die Sonderung
der echten und unechten Manethoniana zu einer der schwierigsten Auf-
gaben der philologischen Kritik geworden ist. 8) Womöglich noch verwickelter
ist die Entwirrung der Dynastientafeln selbst, insbesondere die Frage, ob
nicht mehrere der nacheinander aufgezählten Könige nebeneinander in ver-
schiedenen Teilen Ägyptens regiert haben und inwieweit astronomische
Berechnungen auf die enormen Zahlen bei Manetho von Einfluss waren.*)
Benutzt und ausgeschrieben wurde Manetho neben dem gleichzunennenden
Hekataios von Diodor in seiner Bibliothek.*) Fragmente bei Müller FHG
n 511—616.
Neben Manetho war es der etwas ältere Hekataios aus Teos oder
Abdera, aus dem die Späteren ihre Kenntnis der ägyptischen Geschichte
schöpften. Es war eine sehr trübe Quelle; der vielgereiste Mann, ein
Schüler des Skeptikers Pyrron, der auch ein Buch über die Hyperboreer
geschrieben hatte, war unter dem ersten Ptolemäer auch nach Ägypten
gekommen und legte seine Erkundigungen über das merkwürdige Land in
dem romanhaft ausgeschmückten Buche Alyvnxiaxd nieder. Ihn, der kein
Ägyptisch kannte, benutzte besonders Diodor. ß) — Untergeschoben war
demselben Hekataios ein Buch über Abraham, in welchem zum Beweise,
dass die griechische Lebensweisheit in der jüdischen ihre Quelle habe,
eine Menge selbstgefertigter Tragiker- und Komikerverse aufgeführt
waren. T) Fragmente bei Müller FHG H 384—396.
1) Wacbsmuth, Einleit. 336 erklärt die
Geschichte jener 31. Dynastie fllr eine nach-
iiigUehe Ei^änzung.
') Vgl. £d. Meter, Gesch. d. Alt. I § 36.
») Vgl. Ed. Meyer, Gesch. d. Alt. I § 30;
WicHsiiaTH, Einleit. 336.
*) GcTSCHMiD, De remm Aegypt. scrip-
toribos, im Pilol. X 522—42 u. 663—70, jetzt
Kldne Sehr. 1 35 fif.; BGcelh, Manetho und
die Himdsstemperiode, Berl. 1845; ünger,
Chronologie des Manetho, Berl. 1867; H. v.
Pessl, Das chronologische System Manethos,
Leipz. 1878.
*) Eus. praep. ev. III 2: ygäfpu tW wf^i
rovTcjy Ttkarvxegov (ihr MaP6&(oy, htixet'
fAf}fx4vtag &e JtodtoQog. Vgl. Krall, Manetho
u. Diodor, Sitzb. d. österr. Ak. 1880 (B. 96)
237-84.
«) Vgl. SüSEMiHL, AI. Lit. I 310 ff.
^) Vgl. 0. Gruppe, Die griech. Kulte und
Mythen I 424 ff.; Susemihl, AI. Lit. II 644 f.
560
Griechische Litieraiurgesohichie. IL Haehklaaeische Idttentar.
397. Megasthenes, Verfasser von 'IvSixä, lebte anter Seleokos
Nikator und war dem Befehlshaber von Arachosia beigegeben, in dessen
Auftrag er mehrere Gesandtschaftsreisen an den indischen König Sandro-
kottos (Chandraguptas) unternahm. Seine Indika in 4 B. waren mehr
ethnographischen als historischen Inhaltes und gaben äusserst interessante
Nachrichten über die Geographie, Flora und Fauna Indiens, Qber das
indische Kastenwesen und sonstige Sitten der Inder. Ihr Autor schöpfte
nicht wie Berosos und Manetho aus einheimischen Originalschriften, son-
dern war auf die Berichte der Brahmanen angewiesen ; aber er hatte doch
mit eigenen Augen Land und Leute gesehen und hatte so vor Herodot
und den älteren Historikern der Griechen einen grossen Yorsprung. Leider
aber litt er stark an den Fehlern der Historiker seiner Zeit, an der Vor-
liebe für das Fabelhafte und an dem Bestreben, griechische und fremde
Mythen zu amalgamieren. So hat er die Sage von dem Zug des Gottes
Dionysos nach Indien aufgebracht und hatte die Unverschämtheit, diese
Mythe den Eingeborenen, die von jenem Gott den Übergang ihres Landes
zur gesitteten Lebensweise abgeleitet haben sollten, in den Mund zu legen.
Überhaupt vertrat er die Ansicht, dass die Weisheit der Griechen mit der der
Brahmanen und Juden übereinstimme.^) Den Inhalt der Indika gibt Diodor 11
35—42 im Auszug wieder. Dazu kommen zahlreiche Fragmente bei Stra-
bon und Arrian, gesammelt und geordnet von Schwanbeck, Megastbenis
fragmenta (1846), und von Müller FHG ü 397—439.«)
Auch Daimachos aus Platää, der Nachfolger des Megasthenes auf
dem indischen Gesandtschaftsposten, schrieb 'irdixa (Müller FHG II 440).
— Mehr ins Fabelhafte ging der Bericht des lambulos über seinen Auf-
enthalt bei dem hellenenfreundlichen Könige von Palimbothra und über
ein glückseliges Inselvolk im indischen Okean. Einen Auszug des Buches
gibt uns Diodor II 55—60.3)
Auch die phönikische Geschichte wurde um diese Zeit aus einbeimi-
schen Städtechroniken zusammengestellt von Menander aus Ephesos,
aus dessen Werk uns der Jude Josephos manches wichtige Bruchstück
erhalten hat. Die Fragmente bei Müller FHG IV 445—8.*)
398. Pytheas, der Massiliote, erschloss als erster Nordpolfahrer,
den Griechen den Nordwesten wie Megasthenes den Osten der alten Welt
Er hatte um 300 v. Chr., ausgerüstet mit guten mathematischen Kennt-
nissen, auf Schiffen phönikischer Seefahrer zweimal die kühne Reise von
Gades in den westlichen Okean bis nach den brittischen Inseln und dar^
über hinaus nach Thule gewagt. Seinen Landsleuten machte er von diesen
bisher ganz unbekannten Gegenden in seinem Buche ticqI dxearov Mit-
^) Clemens Alex, ström. I p. 132 : Meya-
a&ivrjg 6 avyyQtttpBvq 6 ^cAct'xoi tw NixdzoQi
avf4ßeßt(ax(üg iv tfj tgUn twv 'ly&ixtSy tade
yQdg>ei ' anayrcc fAivtot xd tibqI (pvaetag
BlgijfJLiva naqd roig aQX^^^^f Xiyerai xal
naqd totg l|e) t^g 'EXXddog tpiXocofpovciVy
xd fiiy nttQ* 'lv6otg vno xiov Bga^f^dytoy, xd
di iy xj 2vQitf vno xtoy xnXovfjiiytoy *Iov~
daiojy.
*) Ueber seinen S^itgenoasen Patro*
kies, den Strabon wegen seiner WafarheitB-
treue höher schätzt, siehe oben § 258.
>) Vgl. RoHDB, Griech. Roman 226 ff.
«) GuTSCHMiD Kl. Sehr. IV 478 setzt den
Menander ins 2. Jahrh. y. Chr.
A.AlezAndriiiiaches Zeitalter. S.Die Prosa. a)OeBOhichtsohreibiuig. (§§397—899.) 561
teQuDgen. Dasselbe enthielt nach der Weise der Reiselitteratur jener Zeit
manches Fabelhafte und es wurde deshalb sein Verfasser von Seiten des
Polybios und Strabon, nachdem inzwischen durch die Unternehmungen der
Römer genauere Kenntnis von den westlichen Ländern erlangt war, hart
angefochten, so dass er in den Verruf eines Aufschneiders und Lügners
kam.^) Damit that man dem kühnen Seefahrer sehr unrecht, da manche
Berichte, welche den Zeitgenossen unglaublich klangen, wie die von den
kurzen Nächten des Nordens und der Ähnlichkeit des Gefrierens des nörd-
lichen Meeres mit den Meerlungen, hintendrein ihre Bestätigung erhielten.^)
Die Nachrichten des Pytheas wurden nachher von einem Geographen aus
der Schule des Eratosthenes oder Hipparch in einen Periplus der West-
kaste Europas verarbeitet; diesen legte im 4. Jahrh. n. Chr. Avien, ein
altertümelnder, römischer Schriftsteller, dem ersten Teile seines uns er-
haltenen geographischen Lehrgedichtes Ora maritima zu gründe. Dieses
Gedicht ist neben den vereinzelten, meist polemischen Angaben älterer
Schriftsteller die Hauptquelle, aus der wir unsere Kenntnis von den Ent-
deckungen des Pytheas schöpfen. Beleuchtet sind die Fragmente am ein-
gehendsten von Müllenhoff, Deutsche Altertumskunde I 211—497.')
S99. Römische Geschichte bei griechischen Historikern.
Über Rom hatten bereits Hieronymos von Kardia, Timaios und Lykophron
Nachricht gegeben. Noch ehe dann aber Polybios den engen Gesichts-
kreis seiner Landsleute überwindend eine grossartige Auffassung der auf-
gehenden Weltmacht in seinen Schriften verbreitete, hatten die Kämpfe
der Punier griechischen Historikern Stof^ zu historischen Darstellungen
geliefert. Diejenigen, von denen uns Kunde, wenn auch nur spärliche,
zugekommen ist, waren: Philinos von Akragas, den Polybios I 14 neben
Fabius als Hauptquelle des ersten punischen Krieges bezeichnet, Silenos
von Kaiakte und Sosilos von Lakedämon, welche beide im Lager des
Hannibal gewesen waren und eine parteiisch gefärbte Darstellung des
zweiten punischen Krieges gaben,^) Diokles von Peparethos, der ein
Buch über die Gründung Roms schrieb und dem zumeist Fabius Pictor
folgte.^) Auch die Annalen des Fabius Pictor, Cincius Alimentus, Postum-
») Der Rhetor Aristides II p. 475 ed.
. l^d. sagt deshalb von ihm 6 MaacaXuoirig
^Xtdog xat Ttoit^Tixoe. Mit Einsicht hatte
^egen vor Polybios der grosse Mathe-
ttatiker Hipparch die Nachrichten des Py-
tiieas für seine Darstellung der Gestalt der
Erde verwertet; vgl. Berobr, Erdkunde der
Griechen IV 12 ff.
') NiLsoN, Ureinwohner des skandina-
^hen Nordens S. 123 f. Eine andere Deu-
tnng der Meerlunge gibt Gerland, Zu Py-
^^tcas Nordlandsfiübrten, Beitr. z. Geophysik
') Meine eigenen Ansichten habe ich
^vgelegt in der Abhandlung, Avien und die
^«ten Nachrichten Über Iberien und die
WeetkOste Europas, Abhdl. d. bayer. Ak. XI,
1865, und gegen Einwände Mttllenhoffs ver-
teidigt Jahrb. f. Phil. 1871 S. 707 ff. In den
viel verhandelten Streitfragen folge ich jetzt
der scharfsinnigen Analyse von Marx Rh.
M. 50 (1895) 321 ff.; AUgem. Ztg. Beü. 1897
Nr. 162 f.
*) Sehr wegwerfend urteilt Über Sosilos,
den Lehrer des Hannibal im Griechischen,
Polybios III 20. Silenos, dem Cölius Anti-
pater folgte, hatte überdies Sikelika ver-
fasst, welche Athen. 542 a citiert. Fragmente
bei MüLLEB FHG III 99—102.
^) Vgl. Plutarch Romul. 3. Die Frag-
mente des Diokles gesammelt von Möllbb
FHG III 74-79. Unbestimmt ist die Zeit
des Antigonos, von dem Dionys. Halic. I 6
'haXixd anführt.
Budbadi der Umi. Altertamswiaaenschaft. VII. 8. Aufl.
562 Grieohiaohe LitteratargeMhichie. IL g»nh¥Ta«iia<the Litteraior.
iu8 AlbinuB,^) C. Acilius waren ursprünglich in griechischer Sprache
(graecis annalibus bei Cic. de div. I 21) abgefasst.
400. Polybios (um 205 bis um 120) ') ist der einzige namhafte
Historiker unserer Periode, der einzige zugleich, von dem uns etwas Nam-
haftes erhalten ist. Er stammte aus Megalopolis und war der Sohn des
Lykortas, eines mit Philopoimen engbefreundeten Strategen des achäischen
Bundes. Diese seine Abkunft und noch mehr seine eminente Begabung
bahnten ihm früh den Weg zu hervorragender Stellung in seiner Heimat
Noch als Jüngling erhielt er die Ehrenaufgabe, die Asche des Philopoimen
in seine Heimat überzuführen;') als junger Mann ward er 181 zu einer
diplomatischen Sendung an den Hof von Alexandria ausersehen ;^) im
Jahre 169 bekleidete er das Amt eines Hipparchen im achäischen Bunde. ^)
Zwei Jahre später, nach der Besiegung des Makedoniers Perseus, war er
unter den 1000 edlen Achäern, welche als Geiseln nach Rom übergeführt
und 16 Jahre daselbst zurückgehalten wurden. Als Gegner der Römer,
wenigstens als einer, der sich der Umarmung Roms erwehren wollte nnd
einer zuwartenden Neutralität das Wort redete, war er nach Rom ge-
kommen; es erging ihm nicht, wie so vielen in Boccaccios Zeit, die aus
dem Besuche Roms die Verachtung der römischen Zustände mit in ihre
Heimat zurückbrachten; umgekehrt, durch den Anblick des römischen
Staatswesens und den intimen Verkehr mit den römischen Grossen wurde
er ein enthusiastischer Bewunderer Roms*) und ein Hauptanwalt der
römischen Weltherrschaft. Insbesondere trat er zu dem Hause des Ae-
milius Paulus in enge freundschaftliche Beziehungen und begleitete den
jungen Scipio Aemilianus auf seinen Reisen in Oberitalien und seinen
Feldzügen gegen die Keltiberer in Spanien. Auf solche Weise lernte er
das Räderwerk der römischen Politik aus unmittelbarer Nähe kennen und
erwarb sich zugleich jene ausgedehnten geographischen Kenntnisse, die
ihm später bei Abfassung seines Geschichtswerkes zu statten kamen. ^) Im
Jahre 150 ward ihm mit seinen Genossen nach 17 jährigem Exil freie
Rückkehr nach seiner Heimat gewährt. Aber später kehrte er noch zwei-
mal nach Rom zurück; im 3. punischen Krieg befand er sich im Gefolge
seines Freundes, des römischen Feldherrn Scipio.^) In den nachfolgenden
Verwicklungen Roms mit Griechenland ward er von den Römern vielfach
^) Ein Bruchstück publiziert von Cortese nachträglich nicht zostand; aber Poljbioe
in Riv. di phil. M 396. rnuss nach seinem eigenen Zeugnis 34, 14
') Suidas unt. üoXvßio^, W. Hbnzen, spftter unter Ptolemaios Physkon, also nach
Quaest Polyb., de yita, Berl. 1840; Webkbb, 146, wahrscheinlich 136, mü Scipio in
De Polybii vita et itineribus, Berlin 1877; Aegypten gewesen sein.
Run. V. ScALA, Die Studien des Polybios, *) Pol. 28, 6.
Stuttg.l.Bd 1890; BüDiNG ER, Universalhistorien , *) Er pries nicht bloss den römischen
im Altertum 76 -103. Sein Geburtsjahr er- Soldaten und das römische Staaisregim«it^
gibt sich beilftufig daraus, dass er 181, als er lobte auch ihre Ehrlichkeit und Unbestech-
er zum Gesandten erw&hlt wurde, ysairfgo^ lichkeit (6, 56 u. 32, 8).
717; xara fovg yofiovq i^lixta; war (Pol. 25, i ^) Plinius N. H. Y 9 : Scipione Aemiiiamo
7), nach seiner eigenen Angabe 29, 9 aber
das 80. Lebensjahr den Zugang zu den öffent
liehen Aemtem erOflhete.
») Plut. Philop 20.
^) Pol. 5, 7. Die Gesandtschaft kam j Marc. 24, 2.
res in Äfriea gerente Polyhius annalium co»^
ditar ab eo accepta dasse serutandi iilius
arhU gratia circumvectus.
<») Pol. 39, 4; Diodor 82, 8; Ammianns
A. AlaxandriiÜBchm Zeitalter. 8. Die Prosa, a) Oeeohiohtachreibiuig. (§§400-401.) 563
zu politischen und militärischen Sendungen verwendet; dabei benutzte er
seine Verbindungen mit den römischen Grossen, um bei den Römern als
Vermittler fOr seine besiegten Landsleute aufzutreten und eine schonende
Behandlung derselben zu erwirken.^) In dankbarer Anerkennung seiner
Verdienste ward er deshalb von vielen griechischen Staaten mit Ehren
überhäuft: die Basis eines Ehrendenkmals mit der Inschrift ij noXig rj
'Hliiwv UoXvßiov Avxoqrga MsyakonoXixriv ward neuerdings in Olympia auf-
gefunden;*) in Megalopolis auf dem Markte sah Tansanias VIII 30 von
ibm eine Ehrensäule mit einer Inschrift in Versen, die seine Bemühungen
f&r die Erhaltung griechischer Städte und seine gesetzgeberische Thätig-
keit priesen. Den Tod fand er noch körperlich und geistig rüstig in dem
hohen Alter von 82 Jahren ;>) er war bei einem Ritt vom Pferd gefallen
and starb infolge dieses Unfalls um 120.
401. Das Hauptwerk des Polybios waren seine ^lato^iai in 40 B.;
er selbst spricht ausserdem 10, 21 von einer besonderen Schrift über
Philopoimen in 3 B.*) und von Kommentaren über Taktik.*^) Nach Gemi-
QQs, Isag. in Arat. 13 hat er auch ein geographisches Werk n€Qi xTfi neqi
%6y hfjfisQivov (Hxjjffiwg geschrieben, vielleicht aber war dasselbe nur ein
Teil des ganz der Geographie gewidmeten 34. Buches seiner Historien;^)
auch das Buch über den numantinischen Krieg, das Cicero ad fam. V 12
erwähnt, war vermutlich nur ein gesondert herausgegebener Abschnitt der
Historien. Über die Anlage seines Hauptwerkes spricht er sich selbst im
Proömium I 1—5, sodann im Eingang des 3. Buches und im Epilog (39,
19} ausführlich aus. Danach sollten die zwei ersten Bücher, ähnlich wie
das erste Buch des Thukydides, die Einleitung {nQonaQatfxsvi]) bilden und
die Geschichte Roms und Karthagos von 266—221 enthalten. Mit dem
Jahre 221 begann sein eigentliches Werk; dasselbe war eine allgemeine
Zeitgeschichte (tcov xad-oXov nQayfxavfüv 1, 4; 2, 2; 6, 6), die Vorkomm-
nisse in Griechenland, Asien, Italien, Libyen gleichmässig umfassend. Zur
Einheit sollte diese reiche Mannigfaltigkeit verbunden werden durch den
leitenden Grundgedanken, wie die verschiedeuen Staaten der damals be-
kannten Welt allmählich unter die eine römische Herrschaft gekommen
seien. ^) Diese Ausdehnung des römischen Reiches war zustande gekommen
in den Kriegen mit Hannibal, Philipp und Antiochus in den Jahren 221
*) Pol. 89, 14-17; mit Bezug darauf •) Ps. Luc. Macrob. 22; ükobb, Philol.
ngt er 3, 5 von seiner Thätigkeit wfthrend i 41, 614 f. setzt seinen Tod nicht lange vor
Zeit: ttSy nXsiaxwy fjiiq fioyoy ttvton- > 119, da er nach 3, 39 die Vollendung der
riK c^U' wv fiiy avve^yog iv 6k xat /et- | Heerstrasse vun den Pyrenäen zur Hhone-
ffvriTC yeyoviyat. Seine Verwendung für , mündung erlebt habe.
Limdsleute bei den Mächtigen Roms ' ^) Cas Buch noch benutzt von Plutarch
ib muaterliaft hingesteUt von Plutarch Mor. Philop. 18.
814 C. ^) PoL 9, 20; iqfjuy iy toU nBQi tag
*) DiTTPirBBBOKB, SyU. 243; von anderen tctIck rno/Äyijfiaaiy axQißiaxsQoy dedijXtittat.
Elirendenkmalen s. Paus. VIÜ 9, 1; 30, 8; I Dieselben erwähnt auch Arrian Tact. 1 und
37. 2; 44, 5; 48, 8; vgl. Polyb. 39, 16. Eine ■ Aelian Tact. I 3, 19.
▼«n MilchhMer auf dem Boden des alten | *) Max Scbmidt Jahrb. f. Phil. 125, 118.
Qettor gefundene und trotz des zu Jugend- ^) Pol. 3, 3: ntog xai tmots xai did xi
Echen Aussehens auf Polybios gedeutete Ttayxa xa yyto^i^ofAcya /Ai^rj xijg oUov/46yt]g
EeiiefiBtele findet sich in Mitteil. d. arch. Inst. ' ^^f* ^V^ ^^^ 'Ptofireiwy ovyufdiy iyiysxo,
n AÜien Bd. 6 tab. 5. i
36*
564 Grieohiflohe LitteraiorgMohiohte. IL Vaohklaasisohe litteratar.
bis 168 und wurde von unserem Historiker dargestellt in den Büchern 3
bis 30.^) Dazu fügte derselbe dann später noch, indem er, wie er 3, 4
sagt, gleichsam einen neuen Anlauf nahm, die Geschichte von 168 — 146,')
in welchem Zeitraum sich die Weltherrschaft der Römer befestigte und
sich als notwendig und segensreich erwies. Den ersten Teil scheint er
schon in Rom vor 150 verfasst oder doch entworfen zu haben; an den
zweiten ging er erst später um 182; doch benutzte er nicht bloss daza
ältere, unmittelbar nach den Ereignissen abgefasste Tagebücher, sondern
schuf auch durch spätere Einfügungen die beiden Teile so zu einem Ganzen
um, dass die Fugen der Zusammenfügung kaum mehr erkennbar sind.') —
Auf uns gekommen sind von dem Werke die fünf ersten Bücher vollstän-
dig, sodann umfangreiche Auslesen (sxXoyaf) aus den ersten 18 Büchern,
erhalten in einem Codex von Urbino, endlich Reste aus dem grossen Ex-
zerptenwerk des Konstantinos Porphyrogennetos.^)
403. Allgemeine Charakteristik. In der Auffassung und Behand-
lung der Geschichte vertritt Polybios eine neue Richtung, die der prag-
matischen Geschichtsschreibung.^) Nicht zufrieden damit, die blossen
Thatsachen zu erzählen, war er überall bemüht, in das Wesen der Dinge
zu dringen und die Gründe der Handlungen und Ereignisse zu erforschen.
Als letzter Grund galt ihm die Staatsordnung, wie er 6, 1 mit den Worten
ausspricht: [leyiaTijV ahiav ijyjyr&ov iv anavn nqdyiiati xal TrQog eizv^iav
xal tovvavTiov ttjv tfjg nohreiag (fitfraaiv. Die Religion hatte ihm keine
Bedeutung an und für sich ; er betrachtete sie ähnlich wie schon vor ihm
Aristoteles «) nur als Mittel, die Menge und diejenigen, welche der reinen
Weisheit sich nicht zugänglich zeigen, in Zucht und Ordnung zu halten:
wäre es möglich, sagt er 6, 56, einen Staat aus Weisen zusammenzn-
bringen, so bedürfte man des Hilfsmittels religiöser Einschüchterung (Ssi-
*) Auf frtthere Abfassung der ersten ; Werken, darunter aus Polybios, Diodor, Dio-
80 B. weisen hin die Stellen 6, 52. 56; 9, 9; nysios Halik., Nikolaos Damaskenos, Jose-
14, 10. Schon 3, 32 indes spricht er in phos, Appian, Arrian, Dio Cassius, Herodian,
einem später eingesetzten Kapitel von 40 B. Dezippos, Eunapios, Zosimos, Piiskos, Mal-
*) Nach Unoer Philol. 55, 76 achUesst chos, Prokopios, Auszüge unter 53 "nteln
145/4 die allgemeine Geschichte, sind aber anfertigen lassen. Von diesen Titeln sind
spoziell von Griechenland noch berücksichtigt fünf, nsgi rtQ^aßBuHv^ negl uqbtijs xal xaxitii,
die Verhältnisse der folgenden Jahre bis ne^i yviafiuivy nsQi inißovhay xarcs ßaaUui^v
140/39. y^yovvuov, negl noXiogxituy {fffgait^yigfiärmv)
') Nissen, Die Oekonomie der Geschichte nach und nach bruchstückweise aus dem
des Polybius, Rh. M. 26, 241 ff. R. Thomxrn, Dunkel der Bibliotheken ans Licht gezogen
Abfassungszeit der Geschichten des Polybius, worden. Näheres bei Krumb achbr, Byz. UL
in Herm. 20, 196 ff. Dagegen Einwände von | 1. Aufl. p. 64 ff., 2. Aufl. p. 258 ff. — Dass
Hartstein, Philol. 45, 715 ff. u. 53, 756 ff. gerade fünf Bücher von Polyb erhalten sind.
Da wir hier zum erstenmal auf dieses
Werk zu sprechen kommen, später aber
noch öfters auf dasselbe zurückkommen
werden, so seien hier gleich einige Notizen
über die Anlage desselben eingelegt. Der
byzantinische Kaiser Konstantinos (912 bis
959) hatte in einer Zeit, wo man aus dem
damals noch weit grösseren Umfang der
klassischen Litteratur das Lesenswerte aus-
zulesen und zu praktischen Zwecken zu-
sammenzustellen liebte, aus 18 historischen
wird hier wie bei Diodor und Livins mit der
zur Zeit der Pergamenthandschriffcen erfolgten
Einteilung des Gesamtwerkes in Pentaden
und Dekaden zusammenhängen.
') Ulbici, Charakteristik 59—64 und
208—221; P. La-Rochk, Charakteristik des
Polybios, Leipzig 1857; Marrbadsbr, Der
Geschichtsschreiber Polybius, seine Weife-
anschauung und Staatslehre, Münch«! 1858;
MoMMSBN, Rom. Gesch. IV 449 ff.
<>) Aristot. Metaph. p. 1074^ 4.
LAlexandrinischea Zeitalter. 8. Die Prosa, a) aeaohiohtaohreibang. (§§402-403.) 565
t!idm^ov(a) gar nicht. *) Für die veredelnde Kraft der Poesie und der
geistigen Genüsse hatte ohnehin der praktische Mann, der überhaupt mehr
schon Römer als Hellene war, kein rechtes Verständnis;') nur der Pflege
der Musik redet er 4, 21 energisch das Wort. Die Tyche oder Fortuna,
die ihm an die Stelle der alten Götter getreten war, galt ihm als eine
onheimliche Macht,') deren Grenzen einzuengen ihm eine Hauptaufgabe
wie des willensstarken Mannes so auch des einsichtsvollen Historikers
zu sein schien.^) Indem er so mit der höheren Anschauung eines Philo-
sophen der stoischen Richtung^) die Aufgabe des Geschichtsschreibers
erfasste ^) und die Geschichte zu einer Lehrmeisterin der Menschen über-
haupt und der Staatsmänner insbesondere zu machen suchte,^) forschte er
überall nach den Gründen und leitenden Motiven und wandte der Schil-
derung der staatlichen Einrichtungen eine besondere Aufmerksamkeit zu.
Gleich im Anfang stellt er die Frage, durch welche Art der Staatsver-
fassung die Römer Herren der Welt geworden seien (1, 1), und widmet
dann fast das ganze 6. Buch der Darstellung des römischen Staatswesens
and dieses mit einer Einsicht und Genauigkeit, dass man etwas Besseres über
die römischen Altertümer und die Wandlungen der römischen Staatsverfassung
nicht finden kann. In ähnlicher, nur nicht gleich ausführlicher Weise ver-
fihrt er auch bei anderen Staaten, wie besonders dem der Achäer 2, 38 f.,
und wenn er auch manchmal etwas aufdringlich in den Belehrungen und
Zurechtweisungen ist, so folgt man doch gern einem Führer, welcher der
geschichtlichen Auffassung eine grössere Vertiefung und einen weiteren.
Aber die Enge der griechischen Heimat hinausreichenden Horizont ge-
geben hat.^)
403. Ortskunde und Quellen. Auch nach einer anderen Seite er-
weiterte Polybios das Gesichtsfeld der EUstorie, indem er die Beschaffen-
heit des Landes und die allgemeinen Eulturverhältnisse mit in die Be-
trachtang zog.^) Die Geographie sah er als historische EQlfswissenschaft
an, ohne welche die Erkenntnis der Ursachen und das Verständis der
kriegerischen Unternehmungen unvollständig bleibe. Er hatte sich daher
durch ausgedehnte Reisen für sein Geschichtswerk vorbereitet. Schon in
seiner Jugend hatte er als Soldat Griechenland, Eleinasien und das Land
der Galater kennen gelernt; später besuchte er Libyen, Iberien, Gallien
*) Scharf äeht er 37, 9 gegen diejenigen
zu Feld, welche in Dingen, die von des
MeuBclien eigener Thätigkeit abh&ngen, auf
die Götter die Schuld schieben und von ihnen,
fltatt Ton ach Hi]fe erwarten; vgl. 3, 4.
') Seine Abneigung gegen den Idealismus
spricht sich in seiner Beurteilung des pla-
toniBchen Idealstaates 6, 47 aus: «v; av ei
rwr ayaXfiiirtty rt( iy ngo^ifABvo< jovxo
tf r^ar^Voc roTjp limm xat nenvvfiiyoig ayd^diny,
») Pol. 29, 21. F. Baus, De Tychae in
pngmatica Polybii historia, Tub. 1860.
*) Pol. 2, 38; daher bewundert er die
Btaer xnineist weil sie durch die SchlAge
des Schicksals sich nicht niederschmettern
*) Hanptsichlich neigte er zum aufge-
klärten Stoicismus des Panaitios, mit dem
er nach Cic. de rep. 1, 21 in Rom verkehrte.
*) Den gleichen Gesichtspunkt eignete
sich Cicero de or. II 15 an.
') Pol. 12, 2, 5 g: idy yä^ tk ix t^^
UttoQin^ mifi 10 dvyiifisyoy tatfeXeiy ijfitii,
t6 XoiTioy ttvr^g a^tjXoy xal dytotpeXi^ yiyerai
nayteXtiig.
*) Diese Wandlung der Anschauung stand
wohl in Verbindung mit der Wandlung der
Dinge, der Unterwerfung Griechenlands und
der Resignation in die neue Lage. Bei Ti-
maioe schlug die nationale Ader des Chiechen
noch krftftig.
*) Bbbgbr, Gesch. der Erdkunde der
Griechen IY 11 ff.
566 Chrieohische Litieratiirgesohiohte. II. NaohklaMUiche Litieraiiir.
und das äussere Meer,^) und unternahm sogar, um den Zug des Hannibal
zu verstehen, eine damals mit ganz anderen Beschwerden als heutzutag
verbundene Reise über die Alpen;') Ägypten lernte er 136 in Begleitung
des Scipio kennen. So gibt er denn in seiner Geschichte eine ausführ-
liche Beschreibung von Italien (2, 14—17) und vom schwarzen Meer (4,
39 — 44), und entwirft anziehende Bilder von Arkadien (4, 20 f.) und Ale-
xandrien (34, 12); das ganze 34. Buch hatte er der Erörterung geo-
graphischer Fragen gewidmet. >) Dabei geht er über die Figuration des
Landes weit hinaus und gibt uns auch über die Lebensverhältnisse, wie
über die Preise der Lebensmittel in Oberitalien, schätzenswerte Auf-
schlüsse.*) — Nicht minder hoch steht Polybios als sorgfältiger Quellen-
schriftsteller. Da er eine zeitgenössische Geschichte schrieb, so war er
zumeist auf eigene Beobachtungen und Erkundigungen angewiesen. Es
kamen ihm dabei zwei Dinge besonders zu statten, erstens dass er selber
Militär war,^) und zweitens dass er ausgezeichnete Verbindungen mit den
einflussreichsten Männern seiner Zeit, namentlich Scipio und Lälius unter-
hielt. Aber er scheute auch nicht die Mühe, an Ort und Stelle Erkundi-
gungen einzuziehen, ältere Quellenschriftsteller einzusehen und die Archive
nach wichtigen Urkunden zu durchsuchen. So verschaffte er sich eine
Übersetzung der alten Verträge zwischen Rom und Karthago (3, 22 ff.)
und reiste eigens nach Rhodos, um in dem dortigen Prytaneion einen
Brief einzusehen (16, 15). Als exakter Historiker wandte er natürlich
auch der Zeitrechnung und der genauen Bestimmung der Jahresdata seine
Aufmerksamkeit zu. Seinen Angaben legte er vornehmlich die Olympiaden-
ära zu gründe, wobei er indes den kleinen Irrtum beging, den Olympiaden-
anfang von der Sonnenwende, mitte Juli, auf den September oder den An-
trittstermin der achäischen Strategen zu verschieben. <^) Bei allen diesen
Vorarbeiten und in der Ausarbeitung seiner Geschichte bewahrte er, was
seinem Werke den Hauptwert gibt, eine unbestechliche, strengprüfende
Wahrheitsliebe. 7) Ein aufgeklärter Geist, steht er weit über den Vorur^
teilen der Menge und entstellt nicht wie Livius seine Geschichte durch
abergläubische Mitteilung von Wundern und Zeichen. Wo er auf Berichte
anderer angewiesen war, übte er strenge Kritik,^) ging er sogar nicht
selten in seinem verwerfenden Urteil über das richtige Mass hinaus. Be-
lehrend ist sein Exkurs über die epizephyrischen Lokrer (12, 5 — 16), in
») Pol. 3, 59. ; ') Polyb. 1, 14: äfttsQ yag ^^tw imr
^) Pol. 3, 48. ; oiffstjy dtpaiQSM^sunöy dx^eiovTai to oIok,
~ ovTmg icxogUtg dyaigs&eiatK iijff aXt^dBiM^ to
xataXsinofjieyoy avrijs armp^Xif yiwcxai
ditjyrjua. ^
') Vgl. 3, 20: nQog fikv ovr T04Mvxa
rwy avy/^ttfifidttay^ our y^qf€i XatQ^ag mct
ItüOiXog, oviky ttv cf^oi nXiov Xäyeim ' oo ya^
laxogiag dXXd xov^saxijs xai na^dijfAOv kaXtdg
ifjLoi ys doxovifi tä^iy I/Cü" xal &6»^tcfäA^,
Vgl. Valbton, De Polybii fontibaa ei ancto-
ritate, Utr. 1879; Ad. y. Bbsbka, Untefs.
Aber die QaeUeo des Polyb im 3^ Bodie,
Berl. 1880.
') Max Sobmidt, De Polybii geograpbia,
Berl. 1875; weiteres bei Sobbvkl, Jabresber.
d. Alt. XI 1, 231 ff.
«) Pol. 2, 15; 34, 10. Nissbit, Ital. Landes-
künde I 12 urteilt darüber: Seine Stärke
mbt nicht in der Förderung der allgemeinen
Probleme der Erdkunde, sondern in der Be-
handlung der historischen Landschaft
') Wie grossen Wert er gerade hierauf
legte, zeigt 12, 25 g.
') NissBN, Oekonomie der Geschichte des
Polybins, Rh. M. 26, 244; dagegen Unobb,
Philol. 33, 234.
A. Alexand rinisoheB Zeitalter. 8. Die Prosa, a) Geeohiohtschreibnng. (§ 404.) 567
welchem er die Angaben des Aristoteles gegen die Tadelsucht des Timaios
in Schutz nimmt; entschieden zu hart ist seine Polemik gegen Pytheas
(34, 5 und 10).
40i. Stil. Die schwächste Seite des Oeschichtswerkes unseres
Historikers ist die sprachliche Darstellung. Er war nicht in Attika ge-
boren, noch in den Rhetorenschulen Athens gebildet worden; er hatte
einen grossen Teil seines Lebens in der Fremde, wo nur selten ein grie-
chischer Klang sein Ohr traf, zugebracht; er verschmähte grundsätzlich
rhetorische Zieraten und die Schminke der Rede. Seine Vernachlässigung
der sprachlichen Form fand daher scharfen Tadel bei Dionysios, der von
seinem beschränkt attikistischen Standpunkt aus den Polybios zu denjenigen
Schriftstellern zählt, die ganz durchzulesen man niemand zumuten könne. ^
Im übrigen kann man demselben Klarheit und Bestimmtheit des Ausdrucks
nicht absprechen; in der Vermeidung des Hiatus Hess er sich sogar eine
geradezu peinliche Sorgfalt angelegen sein.^) Seine Sprache ist die ge-
meingriechische (xoivri), mit welchem Ausdruck der Gegensatz zum Atti-
schen und der Mangel dialektischer Färbung angedeutet werden sollte.
Sie ist charakterisiert durch den Gebrauch einer Menge von Wörtern und
Wortbedeutungen, die sich bei den Attikern nicht finden, die aber zum
Teil der Begriffssphäre der neuen Philosophie angehören, zum Teil in den
Staatsurkunden wiederkehren') und demnach dem Kanzleistile eigentüm-
h'ch gewesen zu sein scheinen. Mehr aber drückt sich ihre Eigentümlich-
keit in der Wort- und Satzbildung aus, vor allem in der ausgedehnteren
Anwendung von Nomina abstracta, in den zahlreichen Neubildungen von
abgeleiteten Zeitwörtern {nskext^tö^ (poQoXoybw, awogäco, xaxonqaypiov^fo etc.),
im Gebrauch von Adverbien statt präpositioneller Wendungen {naQado^wq
statt naQa So^av, vovvexMg, iidaaxaXixmq etc.), endlich in dem Umsich-
greifen der die alten Verba umschreibenden Phrasen mit noieXa&ai und
Yiyvsa&m. Durch alles dies bekommt die Sprache einen eigentümlichen
Charakter, der denjenigen, welcher von Piaton und Demosthenes kommt,
fremdartig anmutet.^) Bei solchen aber, welche sich nicht vom Klange
der Sprache leiten Hessen, fand Polybios und seine gereifte Auffassung
der Verhältnisse grossen Beifall. Namentlich waren es die Stoiker und
die Kömer, welche ihm ihre Bewunderung zollten.^) Der Stoiker und
Historiograph Poseidonios trat in seine Fusstapfen; Brutus, der ihn vor
der Schlacht von Pharsalos las, machte einen Auszug aus ihm;«) von
*) DionjTB. de comp. verb. 4: toiavias I Stud. III 217—302; Götzblbb, De Polybi
•rrtaHii xaiiXmoy, oXaq ovdslg vnof4ey6i ' elocutione, Würzb. 1887. Krebs, Die Ä-ä-
fi$X^ xoQmvidog öuXSetv. ' Positionen bei Polybius, in Schanz Beiix. I,
') Ans diesem Streben sind manche Un- ! 1882. Hultsch, Die erzählende Zeitform bei
oehtigkeiten des Sprachgebrauchs, wie vn^g | Polybius, Abb. d. sächs. Ges. d. W. 1891. Vgl.
fitar n€^i vor Vokalen za erklären. , Schenkl Jahresber. d. Alt. XI 1, 238 ff.
>) Jbrubalbm, Die Inschrift von Sestos
(ein lange« Ehrendekret ans der Zeit von
120) imd Polybios, Wien. Stad. I 32—58.
*) LüTTOE, De Polybii elocutione, Nord-
baBsen Progr. 1863; Stich, De Polybii di-
eendi genere, Acta Erlang. II 141-211;
KiuuE, De elocatione Polybiana, Leipz.
^) Anf römische Leser zumeist hofft
Polybios 32, 8.
') Suidas nnt. BQOvrog: Byga^pey inustoXag
xal tiüv JloXvßiov rov laxogixov ßlßXtuy ini-
Tofjiijy, Vgl. Plnt. Brut. 4. Snidas erwähnt
auch von Skylax eine 'AyuyQaq>rj ngog rijy
IloXvßiov laroglay.
568
Grieohisohe Litieratiurgesciliohte. II. Waohklassische Liiteratiir.
Livius zwar, der ebenso wie Diodor ihn überall benutzte und ausschrieb,^)
wird er mit einem schillernden Ausdruck haudquaquam »pemmdus audor
(30, 45) genannt, aber Cicero de rep. n 14 nennt ihn riickhaltslos Pcly-
bium nostrum quo nemo fuit in exquirendis temporibus diligentior.
Cod. Primarius Vatic. 124 membr. s. XI. Die Exzerpte za I— XVin in cod. ürbints
102 zuerst publiziert yon Uasiirus (1582), die Eklogai in den Handschriften der Eoostan-
tinischen Exzerpte, wor&ber Kbümbachbr Byz. Lit^ 260 f.
Aasgaben von Cabaübohus, Paris 1609; von ScbwbighIüsbb mit Kommentar, 8Bde,
Lipe. 1789—95; von I. Bkkker, Berl. 1844, 2 Bde; von L. Dikdobf, nenbearbeitet tob
BüTTKBB-WoBST in BiW. Tenbn. 1882/9, dazu Jahrb. f. Phü. 1884 S. 111—122; TonHüLTScB,
Berl. (1867) 2. Aufl. 1888 mit gutem kritischen Apparat. — Lexikon Polybiannm von
äcBWEiOHAüSEB, Separater Nachdruck, Oxon. 1822.
4<fö. Die Zeit nach Polybios hat keine hervorragende Historiker
mehr hervorgebracht, am wenigsten griechische Nationalhistoriker. Es
begegnen uns nur noch Darstellungen römischer Geschichte in griechischer
Sprache und kompendiarische Zusammenfassungen der allgemeinen Welt-
geschichte. In letzterer Richtung war der namhafteste Schriftsteller
Apollodor, der um 144 vier Bücher Xgovixa in iambischen Trimetem
schrieb; von ihm werden wir weiter unten § 438 handeln. In seine Puss-
tapfen trat der Chronist Kastor von Rhodos, der vielleicht eine Person
ist mit dem gleichnamigen Eidam des Königs Deiotarus, und als kühner
Befreier der von Mithridates besetzten Stadt Pharmagoreia eine hervor-
ragende politische Rolle spielte.') Seine Xgovixd in 6 B. begannen mit
Belus und gingen herab bis auf 60 v. Chr. Von seinen Vorgängern unter-
schied er sich durch den universelleren Standpunkt, indem er über die
Zeit der Troika hinausging und auch die Geschichte des Oriente in Be-
tracht zog. Dadurch, dass er dabei die Gleichzeitigkeit der orientalischen
und griechischen Ereignisse beachtete, wurde er Vorbild für die synchro-
nistische Geschichteschreibung der Späteren und so auch des Eusebios.
Die Fragmente gesammelt von Müller im Anhang zum Didot'schen Herodot
p. 153 flf.
Poseidonios (um 135 — 45) ^) war der bedeutendste unter den eigent-
lichen Geschichteschreibern unserer Epoche. Gebürtig aus Apameia in
Syrien, hatte er Rhodos, wo er eine berühmte Schule gründete, zur zweiten
Heimat. Von Hause aus Philosoph, und zwar Steiker, warf er sich doch,
dem enkyklopädischen Charakter der Zeit folgend, mit Vorliebe auf
histerische und naturwissenschaftliche Studien. Mit den bedeutendsten
Männern seiner Zeit war er persönlich befreundet; im Jahre 87 kam er
als Gesandter nach Rom, 78 war Cicero sein Hörer in Rhodos, später be-
^) Die Litteratur darftber bei SchIfbb,
Quellenkunde IV 32, Susbmihl AI. Lit. II 121.
^) Von der letzten That erhielt jener
Kastor den Ehrentitel amieus popuH Rotnani,
woshalb er bei Suidas «piXoQüifzaiog heisst.
Gegen die Identität des Kaster ans Rhodos
und des Kaster ans Galatien erklärt sich
Wachbmuth, Einl. 139. Suidas, der die beiden
für eine Person hielt, fahrt anch rhetorische
Schriften an.
') üeber ihn ein Artikel des Suidas,
der noch zwei andere Poseidonioi erwähnt;
viele gelegentliche Zeugnisse bei Stntbon.
— Bake, Posidonii Rhodii reliqoiae doctrinae,
LB. 1810; ScHEppiG, De Posidonio Apamensi
Diss. Halle 1869; Schübleht, Stndien an
Posidonius Rhodius, Freisinger Progr. 1886
u. 1891 ; ÜNOEB, Phü. 41, 630 ff. u. 55, 73 ff.;
MOllbmhoff, Deutsche Altertumskunde II
126 ff. — üeber einen älteren Historiker
Poseidonios aus der Zeit des Maked<mer-
königs Perseus s. MfiUer FHG III 172.
A. AlezAndriBiaohes Zeitalter. 8. Die Prosa, a) Oeachichtsohreibiiiig. (§ 405.) 569
suchte ihn dort zweimal, im Jahre 67 und 62, Pompeius.^) Ausserdem hatte
er von lebhaftem Interesse für Völkerkunde und Naturkenntnis getrieben,
ausgedehnte Reisen gemacht und kannte nicht bloss Italien, sondern auch
OaUien und Spanien aus eigener Anschauung. In Gades, dem grossen
Handelsemporium des Westens, weilte er 30 Tage,*) um von dort aus Er-
kundigungen über den Okean und die umliegenden Länder einzuziehen.
Aber nicht bloss von grossem Wissensdrang war er erfüllt, er besass auch
in hohem Grade die Gabe der Beredsamkeit und schrieb in reinem und
gehobenem Stil.') Sein grosses Geschichtswerk (laroQfai) umfasste 52 B.;
dasselbe sollte eine Fortsetzung des Polybios sein und umfasste die
Zeit von 144 — 86.^) Es war ausgezeichnet durch den Reichtum an geo-
graphischen und ethnographischen Nachrichten und bildete für den be-
treffenden Zeitraum eine Hauptquelle des Diodor. — Ausserdem verfasste
er ein eigenes Buch neQi oyxeavov und ein physikalisches Werk MexBoiQo-
Xoytxä^ welches der Astronom Geminus in einen Auszug brachte.*^) Arrian
im Eingang seiner Taktik führt ihn auch als Verfasser von Taxnxd an,
wie uns ein solches Werk von seinem Schüler Asklepiodotos auch wirklich
erhalten ist.^) — Von seinen philosophischen Schriften finden sich nament-
lich die n€Qi H^soiv und nsQl /xavuxf^g in den entsprechenden Büchern
Gceros benutzt ; auch in den Büchern de officiis war fiir Cicero die Schrift
desPosidonios Ttegl xa&r^xovTog eine Nebenquelle; in dem verloren gegangenen
Hortensius hatte er dessen nQOTQsmixoq Xoyoq vor Augen. Die Fragmente
bei Bake, Posidonii Rhodii reliquiae, Leiden 1810; Müller FHG III 245— 296.
Ausserdem verdienen von griechischen Historikern Roms noch ge-
nannt zu werden Theophanes von Mytilene, der den Pom peius auf seinen
Feldzügen begleitete und eine Geschichte des dritten mithridatischen
Krieges, vielleicht auch ein Buch über Malerei schrieb;') Metrodoros
aus Skepsis (gest. 70 v. Chr.), der aus einem Philosophen em Politiker ge-
worden war und in seinen Historien die zeitgenössische Geschichte der
*) DaB8 Cicero auch den Posidoniiis an-
ging, die Geschichte seines Konsulats zu
schieiben, erfahren wir aus Epist. ad Attic. II 1.
*j Strab. p. 130; Müllbnhoff a. 0. 128;
nach ÜKOEB PhiloL 55, 256 nntemahm er
diese Reise erst nach 75.
>) Strab. p. 146; Cic. ad Attic. II 1: ad
Poddoninm ut omatins de isdem rebus
wriberet»
^) Die Angabe des Suidas ^gaiffsy
inoQiay ifjv fietct JloXvßioy iiog tov noXifAov
TW» KvQijya(xov xai UroXefjtftlov verwirft
Abbold Jahrbuch fOr Philol. Suppl. XllI 75
bis 150, wefl uns Fragmente aus der Zeit
big znr Diktatur Sullas erhalten sind. MOllen-
BOFp a. O. nimmt seine Zuflucht zur An-
ttüune einer spftteren Fortsetzung des ur-
^llDglich nur ois zum Jahre 96 reichenden
Werkes. Das im Texte festgehaltene Jahr
verteidigt Ungbb, Umfang u. Anordnung der
Gesdiichte des Poseidonios Philol. 55, 73 ff.
*) Das erhellt aus Simplicius zu Arist.
pliys. p. 291 , 21 - 292, 29 ed. Dibls. Ausser-
dem hat Kleomedes in dem Buche KvxUxi^
t^€a)^i(t xtoy f46T6wg(oy (vgl. § 663) nach
seinem eigenen Geständnis p. 228 das meiste
aus Poseidonios genommen. Ein Planetarium
von ihm erwähnt Cicero de nat. deor. II 34.
Ueber diese ganze Partie der Lehre des Po-
seidonios vgl. Malchin, De auctoribus quibus-
dam qui Posidonii libros meteorologicos ad-
hibuemnt, Diss. Rostock 1893; Martini,
Quaestiones Posidonianae, Leipz. Stud. XY II ;
über die Benutzung des Poseidonios durch
Vitruv Kaibbl Herm. XX 579 ff., M. Thiel
Jahrb. f. cL PhU. 1897 S. 367.
•) Auch ein anderer Schüler des Posei-
donios Athenodoros aus Tarsos gab sich
mit historischen Studien ab ; s. Müller FHG
III 485—8.
^) Müller FHG III 312-6; Hauptetelle
Strabo p. 617. Arnold, Untersuchungen
über Theophanes u. Posidonius, Jahrb. f. Phil.
Suppl. XIII 75—150; Fabriciüs, Theophanes
und Dellius als Quellen des Strabo, Strassb.
1888.
570
GrieohiBohe Litteratnrgesohichte. IL Naohklaaaisohe litteratiir.
Könige Mithridates und Tigranes behandelte/) Timagenes aus Alexandria,
der nach Suidas unter Pompeius als Kriegsgefangener nach Rom kam (55)^)
und dessen in blendendem Stil geschriebene Geschichte der Könige oder
Königreiche (rwr ßaaiXboav oder ßamXemv) dem Pompeius Trogus für seine
Historiae Philippicae als Grundlage diente;») Asinius Pollio aus Tralles,
Schüler des Timagenes, der sich mit antiquarischen, aber auch natur-
geschichtlichen Studien abgab ;^) Apollodorus aus Artemita, dessen Pon-
tika und Parthika Strabon benutzte; So kr at es aus Rhodos, dessen Buch
über die Bürgerkriege Athenaios p. 147 E anführt.
406. Geographen. Die Geographie blieb auch im alexandrinischen
Zeitalter noch wesentlich mit Geschichte und grammatischer Gelehrsamkeit
verbunden, weshalb wir die meisten Leistungen auf dem Gebiet der Länder-
und Völkerkunde, wie des Dikäarch, Eratosthenes, Pytheas, ApoUodor, unter
anderen Kapiteln unterzubringen uns erlauben durften. Hier bleiben uns
noch einige speziell geographische Bücher zu besprechen übrig.*)
Hanno^) ist Verfasser der Beschreibung einer um 500 v. Chr. zu
Handelszwecken unternommenen Rekognitionsfahrt an der Westküste Afri-
kas. Das Original ward zu Karthago im Tempel des Saturn aufbewahrt ;
auf uns gekommen ist eine in der Zeit der punischen Kriege gemachte
griechische Übersetzung, die leider vor dem Schluss abbricht. Der inter-
essante Periplus hat auch in der Darwintheorie eine Rolle gespielt, da er
c. 18 die merkwürdige Kunde von den haarigen Gorillamenschen an der
V^estküste Afrikas enthält. Ausg. in MüUer's GGM I 1—14.
Eudoxos war der Verfasser einer UeQiodog y^g in mindestens 8 B.,
der auch eine Karte (niva^) beigegeben war.^) Das Werk war hoch-
berühmt sowohl wegen des Reichtums seines Inhaltes als wegen der an-
ziehenden Form seiner Darstellung, s) Als Verfasser galt schon im Alter-
tum der berühmte Arzt und Astronom Eudoxos von Knidos, der grosse
Reisen unternommen hatte und im späteren Lebensalter in die Akademie
Piatons eingetreten war. Aber da in demselben die östlichen Galater er-
wähnt waren ^) und sein Verfasser 120 Jahre vor Geminus lebte, i^) so hat
'} Müller FHG III 203—5; s. Strabo
p. 609.
') Nftheres über seine beissende Zunge
Horaz ep. I 19, 15; Seneca rhet. controv. X
22, Seneca philos. ep. 19, 13, Plutarch de
adul. 27. Die Fragmente bei Müller FHG
III 317-^323; ebenda p. 324—7 die Fragmente
der gleichzeitigen Historiker Ariston des
Peripatetikere und des Rhodiers Sokrates.
') Ueber die Benutzung des Timagenes
durch Pompeius Trogus, der bekanntlich von
Justin in dem uns erhaltenen Werke ausge-
z(^en ist, stellte zu weit gehende Hypothesen
auf GuTscBMiD, Trogus u. Timagenes, Rh. M.
37 (1882) 548 ff. = Kl. Sehr. V 218 ff.; ge-
leugnet oder doch bedeutend eingeschränkt
ist die Abhängigkeit von den nachfolgenden
Forschem; vgl. Wachsmüth, Einl. 548 ff.
*) Suidas unt. ntokiioy 6 'Aalviog,
^) Die hauptsächlichsten Nachrichten
Ober die Geographen jener Zeit verdanken
wir der Einleitung des Marcianus in die Epi-
tome des Menippos, bei Müller, Geogr.
graec. min. I 565 f. Vgl. oben § 258.
•) Plinius N. H. II 169: Hanno Cartka-
ginis potentia florente circumvecttts a Gadihus
ad finem Arabiae, navigatUmem eam pro-
didit scripto, sicut ad extet a Europae imw-
cenda eodem tempore Himüco. Vgl. V 8.
Ungbr, Philol. Suppl. 4, 197 ff. u. Rh. Mus
38, 182 sucht zu beweisen, dass erat zwischen
390 und 370 der Periplus verfasst sei. G.
Th. Fischer, De Hannonis Garthag. periplo,
Lipe. 1893.
^) Schol. in Dionys. perieg. in Müllsbs
Geogr. gr. II 428, 9.
») Plut Ne suav. quid. c. 10; Phüoatr.
Vit. soph. p. 5, 4 E.; Aeneas Theophr. 72.
») Aelian H. A. 17, 19.
^^) Gemikus, Isag. in Arat Phaen. 6.
A. Alexandrinisohes Zeitalter. 8. Die Prosa, a) Geachichtsohreibnng. (§ 406.) 571
derselbe nicht vor 280 v. Chr. geschrieben und kann nicht mit jenem be*
rühmten Eudoxos aus Enidos identisch sein. Wahrscheinlich war er eine
Person mit dem Historiographen Eudoxos aus Rhodos, den Diogenes 8, 90
im Gegensatz zu dem Knidier als Historiker bezeichnet und den auch noch
Mardan G6M I 564a 34 unter den Verfassern von Periplen anführt.^)
Timosthenes aus Rhodos, Befehlshaber der Flotte des zweiten Pto-
lemäus, war Verfasser eines von Eratosthenes stark benutzten (s. Strabon
p. 92) Werkes ncQi h^ävwv in 10 B., von dem der Verfasser selbst einen
doppelten Auszug {imxoiit] und craöiaafiog) in je einem Buche gemacht
hatte.«)
Mnaseas aus Paträ, angeblicher Schüler des Eratosthenes, schrieb
eine mindestens 8 B. umfassende Periegese, deren Teile unter den Titeln
EvQiinri^ 'Aaia^ yiißvrj citiert werden. Der Verfasser war ein Anhänger
des Euhemeros und behandelte Mythen wie historische Thatsachen. Ausser
dem geographischen Buche schrieb er auch eine Sammlung delphischer
Orakelsprüche. Fragmente bei Müller PHG III 149—158.
Agatharchides von Knidos, der Peripatetiker und Grammatiker
zugleich war,*) schrieb in hohem Alter, wahrscheinlich bald nach Ver-
treibung des Ptolemaios Physkon (131)^) auf Grund genauer und ausführ*
lieber Berichte ein geographisches Werk über das rote Meer {ttsqI sQvd^Qccg
&aXäa<rTjg) in 5 B., von dem das 1. und 5. Buch Photios Cod. 250 im Aus-
zug mitteilt. Schon zuvor hatte er seinen Ruhm begründet durch das
umfangreiche Werk 7orro^#xa, in dem er von der Geschichte nach Ale-
xander eine Darstellung Asiens in 10, eine Europas in 49 B. gab; eine
summarische Inhaltsangabe desselben verdanken wir gleichfalls dem
Patriarchen Photios Cod. 213. Ein Vorganger Strabons, verband Agathar-
chides geographische Studien mit historischen. Fragmente bei Müller
FHG m 190—197 und GGM I 111—195.
Hipparch von Nikäa (um 130) und Aristarch von Samos (um
250) waren die zwei grossen bahnbrechenden Astronomen, die mit ihren
astronomischen und mathematischen Entdeckungen zugleich eine vollstän-
dige Umgestaltung in die mathematische Geographie brachten. Aristarch
bewies die Bewegung der Erde um die Sonne. Hipparch erwarb sich
besonders um die Verbesserung des eratosthenischen Systems grosse Ver-
^) Dieses VerliAliziis ist klar gele^ von
Bbavdbs, üeber das Zeitalter des Astronomen
Geminos und des Geographen Eudoxos, in
Jahns Arch. 13 Bd. (1847) S. 199—230, wo
zum Schluss auch die Fragmente gesammelt
sind. Nur eine achwache Seite hat die Unter-
suchung in dem Ansatz des Geminus auf
140 y. Chr., der zu hoch gegriffen ist, wenn
Geminus einen Auszug aus des Poseidonios
Meteorologica anfertigte. — Unobb, Eudoxos
von Enidos und Eudoxos von Rhodos, Philol.
50, 191 ff , üher den letzteren Rohdb, Gr. Rom.
263 Anm. 3.
') Siehe Marcian in Müllebs GGM I
536; E. A Waovbb, Die Erdheschreibung des
Timosthenes von Rhodos, Leipz. 1888. Mehr
das Historische war ber&cksichtigt von
Menekrates, einem Schttler des Philo-
sophen Xenokrates, in seinen Kjiaeig und
Uegiodog iXXtjanoytiaxtjj s. Müller FHG II
342—5.
») Strab. XIV p. 656 'AyabaQxi^rjg 6 ix
Ttoy 7i€Qinat(oy, Phot. cod. 213 vnoyQaqiia
d^ xtti ayayyaiaTijy 6 rov Affißov 'HQaxXeldtjg,
dl* tüy avti^ €^vnM€TeiTOy naQeoxs yywQl-
Cea&ai.
^) Die Zeit steht nicht ganz fest. Bü-
DiNOBR, Universalhist. 104 will auf Ptole-
maios y[ll Lathyros (117-7) herabgehen;
dagegen spricht aber sein Verhältnis zu
Herakleides Lembos ; s. Susbmxhl AI. Lit. I
685 f.
572 Ofieohisohe LitieratiirgMcliiclite. IL WachklaMiache Litieratar.
dienste. Wir kennen dieselben nur aus den AnfAhrungen bei Späteren,
namentlich bei Strabon.*)
Artemidoros aus Ephesos,') den seine Mitbürger wegen seiner er-
folgreichen Gesandtschaft an den römischen Senat mit einer goldenen Bild-
säule ehrten (Strab. 642), verfasste um 100 v. Chr. nach ausgedehnten
Reisen eine von Strabon, Plinius, Pausanias,') Agathemeros fleissig be-
nutzte Geographie in 11 B. Von der Erdbeschreibung und dem darin ein-
geschlossenen Periplus des inneren Meeres machte später Marcianus einen
uns erhaltenen, leider sehr dürftigen Auszug. Müller GGM I 574 —6>)
Skymnos aus Chios, der im Jahre 185/4 der Ehre eines delphischen
Proxenos teilhaftig wurde,*) wird von Stephanos von Byzanz als Verfasser
einer Periegese der drei Erdteile, Europa, Asien, Libyen, citiert. Dieselbe
ist verloren gegangen; dagegen ist uns in einer Pariser Handschrift ein
Periplus Europas in 742 iambischen Trimetern und in unmittelbarem An-
schluss daran ein Periplus des Pontus euxinus erhalten (Müller GGM I
196—237). Diese beiden Gedichte, welche der Zeit um 100 v. Chr. an-
gehören und dem Könige Nikomedes von Bithynien gewidmet sind,
schrieben Holstein und Is. Voss dem oben genannten Skymnos zu. Die
Vermutung ist nicht unbestritten geblieben^) und lässt sich insbesondere
mit dem sicheren Datum aus dem Leben des echten Skymnos, der im
Jahre 185/4 ihm verliehenen Auszeichnung der delphischen Proxenie, schwer
vereinigen, weshalb man jetzt lieber von einem Ps. Skjrmnos spricht. Der
erhaltene Abriss ist in iambischen Trimetern nach dem Vorbild des Apollo-
dor geschrieben und einem König von Bithynien, Nikomedes mit Namen,
gewidmet; ob darunter Nikomedes II (147—95) oder HI (95— 75) gemeint
sei, ist strittig. 7)
b) Die Philosophie.«)
407. Auch in der Philosophie hatte die griechische Spekulation mit
Piaton und Aristoteles ihren Höhepunkt erreicht. Deshalb hörte aber doch
die Philosophie noch nicht auf, einen wichtigen Faktor in dem Leben und
der Litteratur der Griechen zu bilden. Umgekehrt pulsierte seit dem
Untergang der politischen Freiheit das geistige Leben von Hellas zumeist
in den Philosophenschulen. Aber es war weniger das spekulative Denken
und Schaffen, das in den Sekten der Akademie, des Peripatos, der Stoa,
des Gartens blühte; der unbefangenen Forschung stand viel eher gerade
die Geschlossenheit und gegenseitige Feindschaft der Schulen hindernd im
Wege. Dagegen war es in einer Zeit der allgemeinen Auflösung des
^) Bbrobr, Die geographischen Fragmente 1 ^) Vgl. Mardan bei Müller, Geogr. gr.
des Hipparch, Leipz. 1869; Erdkunde der | min. I p. CXXXI.
Griechen III 130 ff. i >) Weschbr-Foucart, [nscriptions de
*) Paus. V 5, 9 meint unseren Arte- Delphes n. IV p. 26; Dittbnbbrokr Syll. 198.
midor mit axovaa? dy^goe 'Efpeoiov Xeyur I <) Bezweifelt wird die yermutimg von
ToV Xoyoyy s. Enman», Jahrb. für Phil. 1884 j Müller, Geogr. gr. min. I p. LXXIV sq,
S. 510. Nach Kalkmann, Pausanias S. 159 ff. ^ '^ - - --
hat Pausanias den Artemidor nicht direkt
benutzt.
') StiBBLB, Der Geograph Artemidor von
Ephesos, PhUol. XI 193-244.
7) ÜNOKR Philol. 41, 613 entscheidet sich
für den ersten, fOr den zweiten Süsrmihl
AI. Lit I 678 Anm. 205.
') Die allgemeine Utteratnr b. oben § 291.
A. AleacandriniBohea Zeitalter. 8. Die Prosa, b) Philoiiophie. (§ 407.) 573
Götterglaubens vorzüglich die Philosophie, welche dem sittlichen Handeln
der Menschen Kraft und Richtung gab. Die Philosophie trat auf solche
Weise über den engen Kreis der Denker von Beruf hinaus und ward ge-
wissermassen die Religion der Gebildeten. Viele der namhaftesten Dichter
und Historiker nahmen zugleich Stellung zur Philosophie. Der Komiker
Menander neigte zu Epikur, der Epiker Arat zur Stoa, die Satiriker Me-
leager und Menippos bekannten sich als Kyniker, Poseidonios kann eben-
sogut den Historikern als den Philosophen zugezählt werden. Und über
Hellas hinaus übte die Philosophie ihre Macht auf die Gebildeten der neu-
gegründeten Reiche. Von dem Herrscher Makedoniens Antigenes Gonatas
ist es bekannt, dass er der stoischen Philosophie anhing und mit Stoikern,
wie Persaios und Zenon, intim zu verkehren liebte. Besonders aber unter
den Römern schieden sich seit der ersten Berührung mit griechischer
Litteratur die Gebildeten unter den Staatsmännern und Schriftstellern nach
ihrer Stellung zu den verschiedenen Philosophenschulen; speziell die Stoa
bildete als Glaubensbekenntnis der charakterfesten Verteidiger des oligar-
chischen Freistaates eine grosse politische Macht.
Auch auf die Richtung des Stils übte die Philosophie Einfluss. Es
war nicht bloss der Verlust der Freiheit und die Einschnürung des öffent-
lichen Lebens, was die Beredsamkeit nach Alexander in den Hintergrund
drängte, auch der nüchterne Wahrheitssinn der Philosophen trat dem Wort-
gepränge der Rhetorik feindlich entgegen. Hatte schon Aristoteles einen
nackten, lediglich dem Ausdruck des Gedankens dienenden Stil ausgebildet,
so vernachlässigten jetzt die Philosophen geradezu die Feile des Ausdrucks
und bekämpften die phrasenhaften Schlagwörter der Rhetorik, i) Da zu-
gleich die Philosophie eine stärkere Richtung auf das Ethische nahm, so
wurden die Zierereien der Rhetoren durch die Kernsprüche der Philosophen
und die Moralpredigten der Kyniker abgelöst.
Die Zahl der Philosophen unserer Periode war gross, ihr Einfluss
auf das geistige Leben der Zeit hochbedeutsam ; auch ihre Lehrsätze lassen
sich noch ziemlich vollständig rekonstruieren, aber in der Litteratur-
geschichte können sie keinen bedeutenden Platz beanspruchen. Viele der-
selben waren geradezu illiterati; Diogenes prooem. 16 hebt insbesondere
von Stilpon aus Megara, Pyrrhon aus Elis, Menedemos aus Eretria und
Kameades dem Akademiker hervor, dass sie nichts geschrieben haben.
Von dem Stoiker Ariston hielt man nur einige Briefe für echt; von dem
Kyniker Diogenes zählt zwar Diogenes 6, 80 mehrere Schriften auf, fügt
aber hinzu, dass die bedeutendsten Kritiker dieselben entweder alle oder
zum grössten Teil für unecht erklärten. Diese alle haben also in einer
Geschichte der litterae keine Stelle. Aber auch diejenigen, welche ihre
Lehre in Schriften niederlegten, und darunter waren einige, wie" der Stoiker
Chrysippos, die sehr viel schrieben, und andere, wie der stoische Eklek-
tiker Panaitios, die durch glänzende Darstellungsgabe herverragten, kommen
*) Daher der scharfe Tadel des Rhetors j schauungen des Chrysippos und seiner Kon-
Dionysios de comp. 4 über die Stilvernach- | Sorten spricht Seneca ep. 100, 3 aus: oratio
lässigung des Stößers Chrysippos. Die An- , soUicita philosophum non decet.
574 Griechische Litteraturgeschichte. 11. NaohklaMisohe Litteratnr.
in einer Litteraturgeschichte wenig in Betracht, weil sich von ihnen fast
80 gut wie nichts erhalten hat. In der Besprechung des Wenigen werde
ich mich nicht an die Zeit, sondern an die einzelnen Schulen halten.
408. Philosophenschulen. Man charakterisiert die Philosophie
unserer Periode als Sektenphilosophie, weil sich in ihr die verschiedenen
Richtungen schärfer voneinander sonderten und in geschlossenen Schulen
{aiQtüsiq^ sedae) sich entgegentraten. Alle die verschiedenen Systeme
fanden ihre Ausbildung und hatten ihre Vertretung in Athen. ^) Die
Häupter der Schulen zwar stammten zum grossen Teil von auswärts,
Zenon aus der phönikischen Stadt Kition in Eypern, Ghrysippos aus Soloi
in Eilikien, Metrodoros aus Lampsakos; aber in Athen lehrten sie, und
Athen war der Sammelpunkt ihrer Anhänger. Erst gegen Ende unserer
Periode wurden auch andere Städte, wie Rhodos, Tarsos, Rom Sitze von
philosophischen Zweigschulen. In Pergamon und Alexandria konnte wohl
Gelehrsamkeit und eine höfische Eunstpoesie gedeihen, aber für die Frei-
heit des Denkens war allein das eigentliche Griechenland der fruchtbare
Boden. In Athen hatten nur zeitweise die Philosophen Anfechtungen zu
erfahren, indem im Jahre 306/5 Sophokles ein Gesetz einbrachte,') das
die Verjagung der Philosophen aus Athen bezweckte. Aber das Gesetz
scheiterte an dem Einfluss des Theophrast, und von da an bildete bis auf
Justinian Athen eine Freistätte der verschiedensten philosophischen Lehren.
Die Anhänger der einzelnen Schulhäupter bildeten hier geschlossene Ver-
eine, an deren Spitze in regelmässiger Folge {iiaioxtj) ein Vorstand als
Nachfolger des Stifters stand. Die Mitglieder fanden sich täglich zum
Studium und Vortrag, ausserdem jeden Monat einmal zu einem gemein-
samen Mahle zusammen. Für ein gemeinsames Heim war bei den meisten
durch die Stiftung eines mit Bibliothek und wissenschaftlichen Sammlungen
ausgestatteten Platzes gesorgt, in welchem der Satz xoivd %ä rwv ffiXmv
seine volle Geltung hatte. Religiöse Weihe hatte dieser Sammelplatz und
damit die ganze Genossenschaft dadurch, dass sich daselbst die Bilder
teils der Musen, teils der als Heroen im frommen Andenken der Jünger
fortlebenden Stifter der Schule befanden.
409. Akademie. Unter den verschiedenen Schulen stelle ich die
Akademie voran ; sie war die älteste und hatte seit ihrem Gründer Piaton
eine ununterbrochene Nachfolge.*) In unserer Periode nahm ihre Lehre
durch Arkesilaos (315 — 241) und Karneades (214 — 129) eine andere
Richtung, die man als die der mittleren Akademie zu bezeichnen pflegt.
Der erstere, angeregt vermutlich durch den Skeptiker Pyrrhon aus Elis,
trat gegen den Dogmatismus der Stoa auf, indem er an die Stelle der
Gewissheit des Wissens die blosse Wahrscheinlichkeit (mO^arotr^c) setzte
und demgemäss in allen Fragen mit der Zustimmung zurückzuhalten
^) ZuMPT, Bestand der philosophischen ') Ath. GlOe. Unoeb, Jahrb. f. Phil. 135
Schulen in Athen und die Succession der | (1887) S. 755 erklftrt sich für das Jahr 315,
Scholarchen, in Abh. der Berl. Akad. 1844; indem er unter dem dort erwähnten Deme-
WiLAMOWiTZ, Die Philosophenschulen und trios den Phalereer versteht,
die PoHtik, Phü. Unters. IV 178—234 und I «) Siehe § 310.
263—291.
A. Alezandrinisohea Zeitalter. 3. Die Prosa, b) Pliilosophie.
f 408-410.) 575
(inäxcn') und die Sache nach zwei Seiten zu erwägen (in utramque partetn
disputare) empfahl. Er selbst hatte aus lauter Zweifel, wie man sagte,
nichts geschrieben.^) Darin war ihm auch sein einflussreicherer Nach-
folger Earneades ähnlich, von dem nach Diogenes 6, 62 nur einige Briefe
an Ariarathes, König von Eappadokien, existierten. Derselbe war indes
nicht bloss ein gewandter Dialektiker im Streit mit den Stoikern, sondern
übte auch durch die Gesandtschaft, welche er zugleich mit dem Stoiker
Diogenes und dem Peripatetiker Kritolaos im Jahre 156/5 nach Rom unter-
nahm, grossen Einfluss auf die Entwicklung der philosophischen Studien
in Rom.') Was Arkesilaos und Earneades versäumt hatten, holten deren
Schüler Elitomachos nach, von dem Diogenes IV 67 über 400 Rollen
anfuhrt. Seine Polemik gegen die Mantik legt Cicero dem 2. Buch seiner
Schrift de divinatione zugrund. — Zur alten Lehre der Akademie lenkten
wieder im 1. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung Philon von Larissa
und Antiochos von Askalon zurück, indem sie zugleich in eklektischer
Weise das Gemeinsame der verschiedenen Schulen aufsuchten und die
Schärfe der Polemik zu mildem suchten. Hörer des letzteren war im
Winter 79/8 Cicero, der uns in seinen Academica zumeist über diese Wand-
lungen der Akademie Aufschluss gibt.
410. Der Peripatos. Die Peripatetiker verehrten als ihr Haupt
den Aristoteles, aber die Schule, ein Garten mit Altar, Bildern der Musen,
Weihgeschenken und Hallen {neginaiot) stiftete erst sein Schüler Theo-
phrast. Einer von dessen Nachfolgern, Lykon aus Troas, entfaltete
während seiner fast halbhundertjährigen Yorstandschaft (270—226) in der
Ausstattung der Räume und der Veranstaltung von Symposien einen über-
triebenen Luxus.') Aber bei dem Mangel gesicherter Revenuen kam die
Schule früh herunter und hatte in den letzten Zeiten unserer Periode nur
noch eine ideelle Eontinuität. In der TiOhre hielten sich die Peripatetiker
strenger an die Grundsätze ihres Meisters und Stifters; nur Straten, der
Nachfolger Theophrasts, warf als ein Vorläufer der mechanischen Welt-
erklärung den reinen, bewegungslosen Geist (vovg) ganz über Bord und
erkannte in der Natur als unbewusst wirkender Eraft den Grund des
Seienden, wovon er den Beinamen o ifvaixoq erhielt.*) Im übrigen gewann
bei den Peripatetikern die Neigung zur Spezialisierung der Wissenschaft
und zur Pflege der historischen Forschung immer mehr die Oberhand.
Wie keine der übrigen Schulen hat die peripatetische auch ausserhalb
Athens, in Alexandrien Anhänger und namhafte Vertreter, wie Hermippos
und Satyros, gefunden.
^j Diog. 4, 30: did x6 tibqI ndyiuy ine-
X^iy ovcfi ßißXioyf (paai rivesj cvviyQaxpep.
') Grossen Anklang fand allerdings ge-
rade bei den besten, willensstarken Römern
jenes Schwanken zwischen zwei Meinungen
nicht, ebensowenig wie die na^ddo^os cvqb-
oiXoyla der skeptischen Akademiker bei dem
Stoiker Polybios 12, 26 b. Aber hochange-
sehen war Earneades durch seine ausser-
ordentliche Beredsamkeit, worüber Philo-
l
5 Kays,
dem Bericht des
Stratos vit. sophist. 1 1
») Ath. 547 d naci
Antigonos Earystios.
*) DiELS, Ueber das physikalische System
des Straten, Sitzb. d. preuss. Ak. 1893 S. 110 ff.
Schon Aristoteles hatte in dem berühmten
Ausspruch Parv. Nat. p. 476a 12 finir^y ovdey
oQtö/Liey noiovaay irjy (pvciy die Natur an
die Stelle Gottes gesetzt.
576
Orieehische Litieratiirg«Mliiohie. IL VachklaMiMhe Utteratar.
411. Theophrastos (um 372—287)^) aas Eresos in Lesbos, ward
nach seines Lehrers Aristoteles Tod Vorsteher der peripatetischen Schule
(322—287),') die unter seiner 34 jährigen Leitung zu grosser BlQte ge-
langte. Die Blüte der Schule war wesentlich das Werk ihres Vorstandes,
der bei der Bürgerschaft Athens sowohl als bei den auswärtigen Fürsten
Kassander und Ptolemaios in hoher Achtung stand. Seinem Ansehen
ward die Annullierung des Gesetzes des Sophokles (306 5) verdankt, das
unter Androhung von Todesstrafe die Errichtung und Leitung einer Philo-
sophenschule von der Genehmigung des Senates und Volkes abhängig
machte. 3) In der Lehre trat Theophrast genau in die Fusstapfen seines
Meisters; er hielt wie jener Vorträge über Philosophie, Naturlehre und
Rhetorik ^) und gab auch den meisten seiner Schriften den gleichen Titel,^)
wie ^AvaXviixä^ Toinxd, <Pvcixa^ Mtxaifvaixdy ÜQoßki^fiaTa^ neQi ff;j«»-, offen-
bar weil seine Vorlesungskurse die gleichen waren und seine Schriften
ebenso wie die des Aristoteles zum grossen Teil die Bedeutung von Eol-
legienheften hatten. Die Kunst anziehender populärer Darstellung zeigte
er in den ethischen Schriften ttcqI cvSat/Aorfag, KaXhcx^tvrfi f; neQi niv-
&ovg, nsQl (ftXtag u. a., in denen er von der Strenge rigoroser Tugendlehre
abging und auch den höheren Lebensgenüssen ihr Recht liess ; aus seinem
Kallisthenes erwähnt Cicero Tusc. V 9 den Ausspruch : vitam regit fortuna
non sapientia.^) Erhalten sind uns von ihm:
Jltgi ifwfov laioQfag 9 B. und negi ^vtäv ahifSv 6 B. Die beiden
Werke unterscheiden sich in ähnlicher Weise voneinander, wie die be-
schreibenden und spekulativen Bücher des Aristoteles über Tiergeschichte.^)
Während aber in der Tiergeschichte das Ansehen des Aristoteles sich auch
nach seinem Tode ungeschmälert erhielt, ward er in dem Gebiete der
Pflanzenkunde von seinem Schüler in Schatten gestellt, so dass des letzteren
») Diog. V 36—57. 99 Jahre erreichte
er nach dem Proömium der XoQaxtfjgcg, an
welcher Angabe Mbieb, Oposc. II 19B fest-
hält. Wir halten ans an Diog. V 40 u. 58,
der ihn 85 Jahre alt werden und Ol. 123
gestorben sein Ifisst.
*) Die Anekdote aber seine Wahl siehe
§ 383.
•) Diog. V 38: ZotpoxXiovg xov 'AfAKpi-
xXeidov yofioy BiasyByxoviog, fAtj^eya ttuy
ifiXoaöffüiy a^oXijs dffriyeicdat^ ay fjitj r/j
ßovXß xai T(^ ^^h*l? ^^^U ' ^^ ^^ f^V^ S^fcyuToy
Bivai Jtjy ^tjfilay .... top yofAoy fjihy axvgov
inoirjGay 'AdtjyaToij toy di ZofpoxXea niyxB
laXayxoiq iCrj/iitoaay xddoSoy re roU fftXo-
a6(poig itf/tjtpiatcyro, l'ya xtci SeoipQttaTog xn-
tiX9oi xai iy roTg ofioioig etrj.
*) Unter den Schriften des Theophrast
befand sich auch eine neQl ^rjroQixi^g und
Tisgi Xe^siag, s. M. Schmidt, De Theophrasto
rhetore, Halle 1889; H. Rabb, De Theo-
phrasti libris rtegl Xs^ciog^ Diss. Bonn 1890.
Von der göttlichen Kunst seiner Rede soll
er auch den Namen SeoffQaffxog erhalten
haben, während er von Hanse ans den nn-
yerstftndlichen Namen TvQxttfiog hatte ; s. Cic.
Orat. 19, 62; Quint XI 83; Strabon Uli
p. 618. Dinarch und Demetrios ans Pha-
leron werden Schüler des Theophrast ge-
nannt, so dass er wie Aristoteles frfih mit
rhetorischen Vortrügen hervorgetreten sein
muss.
') Das Verzeichnis der Schriften bei
Diog. V 42— 50; dasselbe rOhrt wahrschein-
lich von Hermippos her, neben dem noch
ein zweites von Andronikos existierte, wie
das Scholion am Schlnss der Metaphysik
des Theophrast lehrt. Das erhaltene Ver-
zeichm's ist zerlegt und mit den anderen Zeng-
nissen zusammengestellt von Usbnbr, AnaL
Theophrastea, Lips. 1858 und Rh.M. 16, 259 ff.
u. 470 ff.
") Gegen llieophrast wendet sich Fln-
tarch in der Schrift negl xv^v^, die gerade
mit dem Vers xvxv ^« Syfjxwy Tt^dyftax^
ovx evßovXla anhebt; vgl. Dümmlbb, Aka
demika 201.
^) Siehe oben § 319.
A. Alexandrinische« Zeitalter. 8. Die Prosa, b) PhiloBophie. (§411.) 577
Schriften über Botanik sich erhalten haben, die des ersteren früh ver-
schollen sind.^)
neQi Xivf-cav, Fragment eines grösseren Werkes über Mineralogie, das
speziell von den geschnittenen Steinen handelt und für unsere Kenntnis
von der Steinbearbeitung der Alten von hervorragender Bedeutung ist.*)
n€Qi nvQog^ eine systematische Erörterung der Probleme über das
Wesen und die Eigenschaften des Feuers, in verständiger, aber des eigent-
h'chen Einblicks in die Natur des Lichtes entbehrender Methode.
I1€qI ah&TJaewv xal altf^/cdv^ Bruchstück eines Hauptwerkes unseres
Theophrast, der Geschichte der physikalischen Theorien (^vtfixwr öo^ai);
wiewohl nur Fragment, gibt es uns doch eine Vorstellung von der Methode
des Theophrast, der ähnlich, nur einlässiger wie Aristoteles seiner eigenen
Lehre einen historischen Abriss der Entwicklung der betreffenden Disziplin
und eine Kritik der früheren Systeme vorausschickte.«) Im Zusammen-
hang mit unserem Fragment steht die Metaphrase des Neuplatonikers
Priscian rciv &€0(pQdcTOV negl ata&rjCscog xal if>av%aü(ag,^)
Mfxafpvaixd Bruchstück der Metaphysik, welches die Aporien bezüglich
der obersten Gründe des Seins enthält und somit auf einer Linie mit dem
2. Buche der aristotelischen Metaphysik steht. Dasselbe ist von Brandis zu-
sammen mit der Metaphysik des Aristoteles (Berl. 1823) herausgegeben worden.
XaQaxTr;Q€g^ kurze Charakterschilderungen, die ins Gebiet der Ethik,
zugleich aber auch in das der Poetik einschlagen. Das grosse Interesse,
das von jeher dieses Büchlein erweckte, gründet sich darauf, dass Theo-
phrast, der Freund des Menander, seine feinen Gharakterzeichnungen nicht
sowohl nach dem Leben, als nach der Bühne oder der neuen Komödie
entwarf, so dass dieselben, wie zuerst Casaubonus in seinem berühmten
Kommentar der Schrift dargethan hat (1592), für das Verständnis der
neuen attischen Komödien, sowie des Plautus und Terenz von hoher Be-
deutung sind.^) Geschrieben sind sie nach politischen Andeutungen in
c. 8 u. 23 bald nach Antipaters Tod (319). Nach dem Proömium hätte
Theophrasst ausser unserem Büchlein, das lauter lächerliche oder tadelns-
werte Charaktere enthält, auch noch in einem zweiten Buch von den guten
Eigenschaften gehandelt; aber die Echtheit des Proömiums unterliegt trotz
der Verteidigungsversuche Meiers, Opusc. II 190 flf., den schwersten Be-
denken. Das Büchlein selbst geht auf einen Archetypus zurück, liegt uns
aber in lückenhafter und wenig geordneter Fassung vor.*)
'jOsR.RicHTBK, Die botanischen Schriften | ^) Prisciani Lydi quae extant ed. By-
*» Theophrast, Jahrb. für Phü. Suppl. Vli i water in Suppl. Aristot. I 2, Berl. 1886. Die
449—539, nimmt die Exaktheit der Be- I <^v<rtxfJ«' do^ra selbst reichten bis auf Sokrates
obacfatongen Theophrasts in Schutz. Gu. ! und hatten 16 B., woneben Diogenes eine
SniK, Schol. in Aristoph. Lysistr. p. XX be- j Epitome in 1 Buch anführt,
^eist, dass den Alexandrinern ein vollstän- | ^) Verwandten Inhalts war die Schi'ift
^res Exemplar vorlag. — üeber das älteste i Tie()i xtofnitdutgy von der ein Bruchstück bei
TT^. , , , ^. , , ^ Ath.261d.
^) Erhalten sind c. 1- 15 in den alten
Pariser Codd. J u. ß, c. 16-30 im Va-
ticanus V, Exzerpte in anderen Codd., wie
dem Monac. Vergl. Gomperz, üeber die
Charaktere Theophrasts, Sitzungsbericht der
Wiener Akademie 1888, dagegen Ribbeck
Rh. M. 44 (1889) S. 805 ff.; jetzt das ge-
Moterbnch des D i o k 1 e s von Karystos
i^ Jahrh.) a. Wkllmann, Das Älteste Kräuter-
^h der Griechen, in Festgabe für Susemihl
1898.
*) üeber den xvayog dieser Schrift siehe
Helbig, Hom. Ep. 79 ff.
*) ÜSENBR, Anal. Theophr. 27 f.; Dikls,
Doxogr. graec. p. 91 ff.
Baadboeh der kla«. Altertuniswiaseuscbaft. VU. 8. Aufl. 37
578
Grieohiaohe Lüteratnrgesohichte. ü. HachklasBisohe Litteratiir.
Ausserdem sind noch viele kleinere Fragmente von verschiedenem
Inhalt, wie negl oa^mv, negl äräjunov^ nsQi arjjueiiov vddxtov xai nvevfxaTiäv
xai xeiiifovfov xal eidim'y^) iregl xo/ron', ttsq! lÖQciTwv, neQi Isinoipvx^ccg auf
uns gekommen. Aus den 0vai>uov do^ai haben viele Sätze ihren Weg zu
den Doxographen gefunden ; ebenso ist aus den historischen Vorstudien
zur Politik {tioXitixcc %d nqoq tovg xaiQovg 4 B., vofxoi und vofiifjia ßaq-
ßaQixd) vieles auf die Späteren, namentlich Plutarch übergegangen.*) In
ähnlicher Weise lebte bei den frommen Schriftstellern der Kaiserzeit, ins-
besondere dem Neuplatoniker Porphyrios, das Andenken an Theophrasts
Schrift von der Frömmigkeit {Ttegl svaeßstag) wieder auf.^)
Ausg.: ed. princ. Venet. 1497; vermehrte Ausg. von I. G. Schneider, Lips. 1818;
kritische Textausg. von Wimmer in Bihl. Teubn. 1862 und Paris 1866; eine Neubeorbeitimg
von Stadler steht in Aussicht. — Spezialausg. der XagaxT^Qeg mit Kommentar von Casau-
BOKUS, LB. 1592; von Koraes, Par. 1799; von Petrrsen, Lips. 1859; von üssino, Haun.
1868; von Jebb, Lond.; Theophrasts Charaktere, herausgegeben, erklärt und Übersetzt von
der philolog. Gesellschaft zu Leipzig 1897; M. H. E. Meier, Commentationes Theophrasteae
V, in Opusc. II 190—262; Gompebz, üeber die Charaktere Theophrasts, Denkschr. d. Wien.
Ak. 117 (1888). — DiELS, Theophrastea, Berl. Progr. 1883 über die handschriftliche Ueber-
lieferung. — SeofpQaaiov negl nvQog ed. A. Gercke, Greifswald 1896, Vorläufer einer kri-
tischen Ausgabe von Theophr. scripta physica.
412. Stoa.*) Den grössten Einfluss hatte unter den philosophischen
Schulen die Stoa. Benannt war sie nach der mit Gemälden des Polygnot
geschmückten Halle {(xtod nmxiXri)^ in welcher der Begründer der Schule,
Zenon von Kition in Kypern (um 331—264)*) zu lehren pflegte. Der-
selbe war ausgegangen von der Lehre des Kynikers Krates, hatte sich
aber ein eigenes, über den beschränkten Gesichtskreis der Kyniker hinaus-
gehendes System gebildet. Ein eigenes Heim scheint er für seine Schule
nicht gestiftet zu haben.®) Unter seinen zahlreichen Schülern waren am
berühmtesten sein Landsmann Persaios, der Lehrer und Freund des
Königs Antigonos Qonatas von Makedonien, Ariston von Chios, der popu-
läre Morallehrer, der von seiner einschmeichelnden Redegabe den Beinamen
Sirene erhielt, Kleanthes aus Assos, Nachfolger des Zenon im Schol-
archat. Litterarischer Begründer und Hauptvertreter der Stoa wurde
Chrysippos aus Soloi in Kilikien (um 280—207),^) der seinem Lehrer
Kleanthes in der Vorstandschaft der Schule folgte und in zahlreichen
Schriften alle Seiten der stoischen Lehre darstellte.®) Seinem Ansehen
naueste in den Prolegomenen der Ansgahe
der philologischen Gesellschaft Leipzigs 1897.
*) üeher dieses ans Theophrast und
Eudoxos gezogene Ezzerpt, das eine Qaelle
des Arat war (s. S. 530), handelt lo. Bobhmb,
De Theophrasti quae fenmtur tisqI atjfÄeiüty
excerptis, Hamburg 1884.
'^) DuuMLER, Zu den historischen Ar-
beiten der ältesten Peripatetiker, Rh. M. 42,
179 ff.
») Jak. Bbrnays, Theophrastos Schrift
aber Frömmigkeit, ein Beitrag zur Religions-
geschichte, Berl. 1866.
^) ScHMEKEL, Die Philosophie der mitt-
leren Stoa, Berlin 1891; Thereianos, //ta-
yga/LtfAa Itmxrjg (fiXoaofflag^ Triest 1892,
in warmer Bewunderung des sittlichen Geistes
der Stoa.
^) Ueber die unsichere Ueberliefenmg
der Lebenszeit s. Susbmihl AL Lit. 1 48 u. 53.
In dem Brief an Antigonos (Diog. VII 8),
dessen £chtheit Zeller anzweifelt, bezeichnet
er sich als achtzigjährig.
^) Ueber seine Schriften, von denen uns
nur trftmmerhafte Reste erhalten sind, siebe
Wacbsmutb, De Zenone et Cleanthe, Ind.
Gott. 1874.
'') ApoUodor bei Diog. 7, 184 and Suidas
lassen ihn 78 Jahre alt OL 143 sterben; Ps.
Lucian Macrob. 20 und Yalerins Maximns
VIII 7, 10 lassen ihn älter werden. Nach
Diog. 7, 18-3 rühmte man von ihm :
e« fArj yttQ tjf XQvainnog, ovx dy tjr arod,
^) Als litterarischer Vertreter der Stoa
erscheint er bei Horatius sat. I 3, 126: n<m
nosti, quid pcUer, inquitj Chryaippus dieaif
A. AlexandriniBches Zeitalter. 8. Die Prosa, b) Philosophie. (§ 412.) 579
und seiner Gelehrsamkeit gegenüber traten die jüngeren Stoiker Diogenes
der Babylonier und Antipater von Tarsos zurück. Zu neuer Blüte
gelangte die Stoa durch Panaitios aus Rhodos (um 185—110),^) der in
Rom mit den bedeutendsten Staatsmännern seiner Zeit, Laelius und Scipio
Africanus, in vertrautem Umgang lebte ») und nach seiner Rückkehr nach
Griechenland als Nachfolger des Antipater an die Spitze der stoischen
Schule in Athen trat. Dadurch, dass er zwischen Gut und Schlecht das
Schickliche {ngoaf^xov) einschob und überhaupt sich gegen die Ansichten
anderer Schulen empfönglicher zeigte, 8) durchbrach er die doktrinäre Starr-
heit der älteren Stoa. Gegen Ende unseres Zeitraums nahm durch den
Einfluss der stoischen Pergamener auch die Stoa eine Wendung zur ge-
lehrten Polyhistorie. Hauptvertreter dieser Richtung war Poseidonios,
der durch seine vielseitige Gelehrsamkeit die Aufmerksamkeit des Pom-
peius und Cicero auf sich zog.*)
Ihre welthistorische Bedeutung und ihren Einfluss auf die Zeitgenossen
verdankte die Stoa der Strenge ihrer sittlichen Grundsätze und dem kosmo-
politischen Charakter ihrer Lehre. In derselben ging sie von dem Ideal
des Weisen aus, welcher dadurch, dass er die Vernunft zur Herrschaft
erhebe und nach ihrer Weisung {avynaidx^smg) die Affekte {ndvß^rj) regele,
das menschliche Handeln in Einklang mit der Natur {(fv(fig) und der in
der Natur verbreiteten Weltvernunft bringe. Ausgeprägt haben die Stoiker
diese erhabene, mit strenger Konsequenz durchgeführte Ethik in den welt-
berühmten, wenn auch von Spöttern teilweise als paradox verschrieenen
Sätzen:^) täkog sivut, %i ofAoXoYovfAävfog zy <pv(f€i tr;i' {naturae conv&nienter
vivere) ' dya&d eivai vdg aQsrdg, xaxd S^ %d ivavxia^ ndvxa zdXla ddid-
fpoQa • ndv%' ev nouXv %6v aoipov^ %6v ao(fdv elvai /xovov nXoiaiov xal iXsv-
x^eqov 'S) To dixaiov ifvasi €ivat xal jiiij ^äaei •') ndvTag dvdqdnovg efvai
drjfiorag xal noXnag^ h'va ih ßiov xal x6(ffAovJ) Daneben aber haben sie
doch auch die beiden anderen Teile der Philosophie, die Physik und Logik,
nicht ganz vernachlässigt. In der ersteren schlössen sie sich mit der
Lehre vom Feuer, aus dem die Welt mit Einschluss des körperlich ge-
dachten Geistes entstehe und in das sie sich durch Ausströmung (ixjtvQm-
aig) wieder auflöse, an Heraklit an; über ihn gingen sie hinaus mit der
M Ungeb, Philol. 41, 625, setzt ihn 170
bis 100; dagegen Subbmihl AI. Lit. II 65
Anm. 80.
') In Rom kam er auch durch die Ver-
mittelong des Scipio mit dem Historiker
Polybios zusammen; den Scipio begleitete er
141 — 139 auf seiner Gesandtschaf tsreise nach
Aiexandria und dem Orient.
») Oic. de fin. IV 28, 79: semper habuit
in ore Platanem, Aristoielem, Xenocratem,
Jlieophrasium, Dicaearchum. Vgl. Zbllbr
III» 1,560 ff.
^) In Pergamon ward diese gelehrte
Richtung durch Erat es, in Rom durch
Varro vertreten.
') Cicero, Paradoxa Stoicorum, Plutarch,
"Oti nagado^ore^tt ol Itutixoi T(oy noirjTtoy
Xiyovc^y. Die einzelnen Belegstellen bei
Ritter-Pbeller, Hist. phil. c. 418. 415. 420—1.
^) Ins Lächerliche gezogen durch Herein-
ziehung des suior sapiens durch Horaz, sat.
I 3, 124 ff.
^) Horaz sat. I 3, 111 stellt entgegen die
Lehre des Epikur: iura inventa metu iniusH
fateare neceasest^ nee natura potest iuato
secernere iniquum.
®) Wenn hervorragende Stoiker in Rom
Republikaner waren, so kann man doch nicht
sagen, dass die republikanische Staatsform
von den Stoikern gepredigt wurde oder auch
nur eine Konsequenz ihrer Lehre war; wohl
aber hat der Epikureismus mit der Verherr-
lichung des gemächlichen Privatlebens dem
Despotismus der römischen Eaiserzeit in die
Hände gearbeitet.
37*
580 Ghrieohiaohe Litteratnrgesohlohte. II. Naohklaasisohe Litteratiir.
pantheistischen Annahme einer alles beherrschenden und nach festen Ge-
setzen (xa^' etfiaQfiävrjV rj eiQfiov) sich bewegenden Weltvernunft. Damit
hängt der breite Raum zusammen, den in ihrer Philosophie die religiösen
Fragen über das Dasein Gottes, das Walten der göttlichen Vorsehung, die
Mantik und die allegorische Auslegung des Volksglaubens einnahmen.^)
In der Logik verfolgten sie mit der Richtung auf positive Wissensmög-
lichkeit die verschiedenen Stufen des menschlichen Erkennens: die sinn-
liche Wahrnehmung, die Vorstellung vermittelst des von der Seele er-
fassten und derselben sich einprägenden Bildes [ifavtaaia xaxaXrjTiuxr^,
comprehenm)^ die allgemeinen, teils von vornherein in dem Menschengeist
schlummernden (xoival ^vvoiai oder nQü^r^ipeig, communis consensuaX teils
erst durch Nachdenken und Schlussfolge gewonnenen Gedanken und Sätze.
Mit der Logik und Dialektik verbanden sie das Studium der Rhetorik und
besonders der Grammatik, wobei sie von dem Grundsatz ausgingen, dass
die Wörter Zeichen der Vorstellungen seien.*)
413. Schriften der Stoiker. Die Schriften der Stoa, so zahlreich
sie waren, ^) sind doch früh aus den Bibliotheken und dem Buch verkehr
verschwunden;^) daran war wesentlich das verhältnismässig frühe Ver-
schwinden der stoischen Philosophen von dem Schauplatz der Weltgeschichte
und der Mangel an klassischen, auch in der Form vollendeten Werken der
Stoa schuld. — Durch die Chrestomathie des Stobaios ist uns von Elean-
thes ein Hymnus auf Zeus erhalten, von dem bereits oben § 353 die Rede
war. — Von Persaios wurden avfAnovixoi dkdXoyoi gerühmt, während
sonst die Stoiker die Form des Dialoges über Gebühr vernachlässigten und
insbesondere ernsthafte Tischgespräche verschmähten. — Von dem be-
triebsamen und schreibseligen Chrysippos, der nach Diogenes VII 180
nicht weniger als 705 Bücher geschrieben haben soll, sind nur Fragmente
und Auszüge auf uns gekommen.^) Die Schriftstellerei desselben betraf
nicht bloss die drei Teile der eigentlichen Philosophie, Logik, Physik,
Ethik, sondern auch die Grammatik und Dichtererklärung. Viele Stellen
aus seinen Werken hat Plutarch in seine gegen die Lehre der Stoa ge-
richteten Bücher nsQl %wv xotruiv ivvoifov und negii Stwixwv svavtifofidiatv
wörtlich herübergenommen. Das gefeierte Buch über die Vorsehung {rre^
ngoroiag) ist später von Aelian in seinem gleichnamigen, aber gleich-
falls nur bruchstückweise erhaltenen Buche stark benutzt worden ; mit be-
sonderer Anerkennung erwähnt wiederholt Athenaios im Sophistenmahl das
*) NfthereB unten bei Apollodor, Hera- ! *) Simplicius in Arist. categ. 49-*, 16:
kleitos, Cornutus; vgl. ZbllbrIII' ], 309 ff. | rtaga toig £ia>i>xotg, toy i<p* ij/itay xai ij di-
») Diog. 7, 41; Cic. de fin. U 6, 17; f«"'"^*« ««' r« nXtüia tw. avyy(fa(,fAd,w,
Pramtl, Gesch. d. Log. I 401 ff.: R. Schmidt, ■ «"♦***"''*»'•
Stoicorin grammatica, Halle 1839. Die yie^ , , \^% ^chnften waren so viele d«B
ir.f«™..;«- j«. c+,.:wJ- »j .;—.;...„„„ ,«■ d«™ Abschreiber des Diogenes die Gednld
Kategonen der Stoiker xo vTioxiifityoy, to . ^ ^ Schliwsteü des BBcher-
scheinen den ReMen Syof^a, nqocny^i«, ' ^'^^^ *^ Chrysippos weghess. Sem
c- j. . i.i5i-, Ausdrucks voller Kopf auf einer MQnze von
^^. avyiecf.0, entsprochen zu haben. 1 j.^^^^^^^ ^„ 1,^. ^. böechh«r, Grie-
') Au. Dyroff, Ueber die Anlage der i chische Münzen mit Bildnissen historischer
stoischen Bücherkataloge, Progr. Würzburg Privatpersonen, Zeitschr. f. Numiam. 9, 127
1896. , tab. IV 13.
A. AlezandriBiBches Zeitalter. 8. Die Prosa, b) Philosophie. (§§ 413—414.) 581
anziehende Buch TTSQi xaXov xai r^Sovtjg. — Panaitios, der Freund des
Laelius, war der Verfasser des berühmten Werkes ns^i tov xa&rjxovTog,
das Cicero seinen drei Büchern de officiis zu gründe legte, sowie des
gleichfalls von Cicero de divinatione benutzten Buches nsgi nqovoiag . An-
ziehungskraft auf die dilettantischen Geister Roms übte Panaitios auch
dadurch, dass er ähnlich wie Chrysippos und Krantor .seine ausgedehnte
Belesenheit in den Historikern benutzte, um durch passende Beispiele aus
der Geschichte seine philosophischen Sätze zu beleuchten. — Über Po-
seidonios habe ich, da sein Schwergewicht in ein anderes Gebiet fällt,
bereits oben § 405 unter den Historikern gehandelt; ebenso werde ich
auf Apollodor und sein Buch neql d-eaiv in anderem Zusammenhang zurück-
kommen. Von der jüngeren Entwicklung der stoischen Lehre steht vieles
in den Schriften des alexandrinischen Juden Philo, was an seiner Stelle
zur Besprechung kommen wird.
Bagubt, De Chrysippi vita doctrina et reliqniis, Annal. Lovan. lY, 1882; Gbbokb,
Chryedppea in Jhrb. f. Phü. Suppl. XIV 689 — 781. — Troost, Zenonis Gitiensis de rebus
physicis doctrinae fandamentam ex adiectis fragmentis constitait, Berl. 1891. — R. Schmidt,
Sioicorum grammatica, Halls 1889. — Strilleb, De Stoicorum stadiis rhetoricis, Breslau 1886.
414. Epikureer. Den Gegensatz zu den Stoikern bildeten die Epi-
kureer: hatten sich jene an die Kyniker und Heraklit angeschlossen, so
diese an die kyrenäische Schule und Demokrit, indem sie einerseits in
ihren ethischen Anschauungen von dem Hedonismus des Aristipp aus-
gingen, anderseits in der Lehre von der Weltentstehung und der durch
Abbilder der Dinge (imagines) erregten Sinneswahrnehmung die Atomen-
lehre Demokrits wieder aufnahmen ; hatten jene die Lebensaufgabe in die
Tugend und das naturgemässe Leben gesetzt, so fanden diese das Lebens-
glück in der Lust (r^iovrj), die sie von der Befriedigung sinnlicher Triebe
nicht trennten; hatten jene die Beteiligung am politischen Leben als Pflicht
des Weisen hingestellt, so befürchteten diese von den Geschäften und den
Stürmen des öffentlichen Lebens eine Störung der Seelenruhe (ätaQa^iä);
hatten jene der Vernunft das Zepter in die Hand gegeben und die ver-
nunftgemässe Weltordnung mit dem Gottesbegriflf identificiert, so erhoben
diese gleich im Anfang ihrer Kosmogonie mit der Lehre von der Dekli-
nation der Atome den Zufall oder die Ttix^^j zur herrschenden Macht und
zogen sich bezüglich des Gottesglaubens auf den skeptischen Satz zurück,
dass es entweder gar keine Götter gebe oder dass doch dieselben sich um
die menschlichen Dinge nicht kümmern, i) Im übrigen waren die Epi-
kureer wie die Stoiker Dogmatiker, welche auf die Unfehlbarkeit ihrer
Lehre pochten und ihre Anhänger auf gewisse Hauptsätze gleichsam ver-
pflichteten, dabei in gleicher Weise der Ethik und den Fragen des prak-
tischen Handelns vor der theoretischen Forschung den entschiedenen Vor-
zug gaben. Der tiefere Grund ihres Unterschiedes ging auf die Gegen-
sätze des heiteren, menschenfreundlichen, aber auf der Oberfläche ver-
harrenden lonismus und des kosmopolitischen, von orientalischen Elementen
^) Im 16. und 17. Jahrhundert erwachten 1 dnctio ad Stoicam philosophiam, Antwerpen
wieder unter den philosophisch angelegten | 1604, und Gassendi, De vita moribus et
Philologen die gleicnen Gegensätze. Haupt- 1 doctrina Epicuri, LB. 1647.
Vertreter derselben waren Lipsiüs, Manu- |
582
GriMhiMlie litUrainrgMchieht«. IL Jacihkla— i»ch> LüUntw.
durchtränkten Hellenismus zurück. Unter den Begründern ond Lehreni
der Stoa waren auffällig viele Männer aus dem Osten, ihre Schulen waren
allwärts in den hellenischen Reichen vertreten ; der Epikureismus hingegen
hatte seine eigentliche Stätte in Athen, er reflektierte die Feinheit und
Freiheit des attischen Privatlebens und galt daher auch später noch den
Christen als der Inbegriff des griechisch-heidnischen Cteistes.
Begründer der epikureischen Schule warEpikur, der zugleich auch
für ein sicheres Heim der Schule sorgte, indem er in seinem Testament
einen zwischen der Stadt und der Akademie gelegenen Garten (x^nog) seinen
natürlichen Erben mit der Auflage vermachte, denselben seinem Schüler
Hermarchos und dessen Nachfolgern in der Schule zum €tebrauche zu über-
lassen. Freund und Lehrgenosse des Epikur war Metrodoros aus Lamp-
sakos, der aber noch vor dem Tode des Stifters der Schule starb. ^) Eän
anderer jüngerer Genosse, den wir aus den Gegenschriften des Plutarch
näher kennen,') war Eolotes aus der gleichen Stadt, der in aggressiver
Weise die Lehre des Meisters gegen dessen Gegner verteidigte. Auch die
epikureische Lehre hat sich wie die stoische nicht bloss nach Rom ver-
breitet, wo sie an dem Dichter Lucretius Carus einen begeisterten
Anhänger fand, sondern auch noch im 3. und 4. Jahrhundert unserer Zeit-
rechnung dem Ansturm der christlichen Schriftsteller hartnäckigen Wider-
stand geleistet. Aber trotz dieser langen Zeit ihres Bestehens hat sie
nur einen sehr geringen Ausbau und fast gar keine Weiterentwicklung
erfahren; mehr wie die Stoiker blieben die Epikureer einfach bei den
kanonischen Sätzen ihres vergötterten Meisters stehen.
416. Epikuros (341 — 270)') stammte aus dem attischen Demos
Gargettos, verlebte aber seine Jugend in Samos, wohin sein Vater als
Eleruche gegangen war. Der Vater war einfacher Schulmeister (/^aju/uaro-
didäcxaXog) in Samos ; der Sohn trat als höherer Lehrer anfangs (seit 310)
in Mytilene und Lampsakos, seit 306 in Athen auf, wo er eine eigene
Schule gründete. In der Philosophie war er von Demokrit ausgegangen,
in dessen Weisheit ihn der Demokriteer Nausiphanes eingeführt hatte.
Sein eigenes philosophisches System entwickelte er in zahlreichen Schrif-
ten; man hatte an 300 Rollen von ihm.^) Stilistische Vollendung und
sorgfältige Durcharbeitung wurde keiner derselben nachgerühmt;^) Epikur
schrieb eben zu rasch und zu viel. Die hauptsächlichsten seiner Schriften
zählt Diogenes X 27 auf; obenan stand das Werk nfgl iftaewg in 37 B.,
von welchem uns nicht unbedeutende Bruchstücke durch die herkulanischen
Rollen aus der Bibliothek eines Epikureers erhalten sind. Ausserdem
haben wir von Epikur drei grössere Briefe an Herodotos, Pythokles,^)
Menoikeus, die uns Diogenes im 10. B. zusammen mit mehreren Sätzen
der xvQiai Sü^m überliefert hat.^)
^) Metrodori Epicorei fragmenta coli.
Alfb. Koebtb, Jahrb. f. Phil. Suppl. 17 (1890)
529—97.
*) Vgl. unten § 476.
B) Diog. X und ein Artikel des Snidas;
vgl. UsBNSB, Epicurea p. 404 f.
*) Diog. X 26.
Sext. Empir.
') Cic. de nat. deor. I
adv. math. I 1.
*) Nach UsENEBS Nachweisen p. XXXIX
ist dieser zweite Brief unecht und aus Epi-
kurs Büchern ne^ (pvcents kompiliert,
7) Ueber AuszOge aus den yielgelesenen
Briefen Epikurs haben wir eine Notis in den
A. AlezaBdriiiiBphM Zeitalter. 8. Die Proea« b) Philosophie. (§ 415.) 583
Darch die herkalanischen Rollen sind uns ausserdem von epikureischen
Schriften bekannt geworden das Büchlein neQi äXoyov xarafpQoirjaswg des
Polystratos (die Reste entziffert von Gomperz, Herrn. 11, 399 ff.) und
mehrere, teils philosophische, teils rhetorische Abhandlungen des Philo-
demos aus Oadara. Der letztere, Hausfreund des Piso (Consul 58 v. Chr.),
war froher schon durch Cicero bekannt, der ihn de fin. H 35 doctissimum
vimm nennt und in der Rede gegen Piso c. 29 von ihm rühmt, dass er
ein Mann sei non philosophia solum, sed etiam ceteris studiis, quae fere Epi-
cureos neglegere dicunt, perpolitus^) In unserer Zeit sind von ihm aus der
Bibliothek eines Epikureers in Herculanum eine Reihe von Büchern, wenn
auch meist nur bruchstückweise ans Licht gezogen worden, die unsere
Kenntnis der epikureischen Philosophie bereichert, den Ruhm ihres Ver-
fassers aber gerade nicht besonders erhöht haben. Das interessanteste
derselben ist das Buch nsQi evaeßeiag, das inhaltlich mit Cicero de nat.
deor. I 10, 25 — 15, 41 übereinstimmt, und das man früher, verleitet durch
Cic. ep. ad. Attic. XIH 39 und auf grund falscher Lesung des verblichenen
Titels für das Werk des Epikureers Phaidros 71€qI &€wv ausgegeben hatte.')
Ausserdem kamen von ihm allerlei Kleinigkeiten von Schriften über Ethik,
Oekonomik,') Rhetorik, Musik, Dichtkunst, Homer, sowie von einem Ab-
riss über die Philosophenschulen und ihre Lehrsätze*) zum Vorschein. Über
seine Epigramme s. § 449. — Dem Kirchenvater Eusebios verdanken wir
mehrere Abschnitte aus den Schriften des Epikureers Diogenianos, eines
heftigen Gegners der Stoa, gesammelt von Oercke, Jahrb. f. Phil. Suppl.
UV 748—55.5)
Epicurea ed. üseneb, Lips. 1887, Hanptscfarift mit Nachtrag Rh. M. 44, 414 ff. — Epi-
cori fra^. de natura ex t ü vol. Hercul. ed. Orelli, Lips. 1818; Gohpebz, Nene Brach-
Stöcke EpikoTS, Stzb. d. Wien. Ak. 1876 S. 87 ff., Herrn. 5, 386 ff., Wien. Stud. 1, 27 ff.; Cos-
siTivi, Epicuri de natura lib. XXVIII, Herrn. 29 (1894) 1 — 15; Compabbtti, Frammenti in-
edüi di Epicnro, Riv. di phil. YU 401 ff., Mus. di ant. I 67 ff., angeblich aus der ethischen
8chrift negl algsaeioy xal fpvyiav, was übeneb, Epicurea p. LI zweifelhaft macht. — Neue
Bmchstficke von Epikurs Spruchsammlung aus Cod. Yatic. gr. 1950 publ. von Wotke-Ussneb
Wien. Stud. X 175 ff. XII 155 ff.
Hercul. vol. bei üsbnbb p. 132, 1. Unter den
Briefen Epikurs war auch einer an seinen
Landamann Idomeneus aus Lampsakos ge-
richtet (Diog. X 22), von dessen histoiischen
Schriften Tisgl ttay Sioxgarixwy und negl
hlUaymytay Müllbb FHG II 489—494 die
Fragmente gesammelt hat.
') Von seinem Ansehen, zugleich von
seiner laxen Moral zeugt auch Horaz Sat. I
2, 121. Der Aufenthalt in Rom spiegelt sich
in den Latinismen seiner Sprache, nament-
lich dem Gebrauche der Perf. bist, für den
Aorist Wie sehr aber auch er auf die
Worte des Meisters schwur, zeigt sein Aus-
in der Rhetorik p. 12 Sudh.: Wenn.
Metrodor und dazu noch Hermarch
. dasB die sophistische Rhetorik eine
Kirnst ist, so sind diejenigen, welche dem
wideiBprechen, nicht weit von dem Yer-
hrechen der Vatermörder entfernt.
') Den Phaidros hält fttr die gemein-
same Quelle des Cicero und Philodemos
DiELS, Doxogr. graec. 121 ff.; Sitzb. d. pr. Ak.
1898, 116. Ueber die Quellen Dibtze Jhrb.
f. kl. PhiL 1896 S. 218 ff.
*) Mit Aristoteles Oekonomik heraus-
gegeben von Göttlimo 1830; mit dem 10. B.
hbqI nnxMÜy ntd rcJv ttyztxBifjiiyioy dgejiSy
von Hartüno, Leipz. 1857.
*) Diog. X 3 : ^tXodtjfiog 6 TJnixovQSios
iy X(^ dexdna xrjg rtoy q>iXoa6ff>iay avyta^etog.
Das Verzeicnnis der Akademiker aus den
Herkul. Rollen publizierte Büchbleb, Ind.
Gryph. 1869/70, das der Stoiker Gomparetti,
Riv. di philol. 1875; vgl. Wilamowitz, Phil,
ünt rV 109.
') Ueber andere Epikureer, wie Kolotes,
Hermarchos, Metrodoros, Eameiskos, von
deren Schriften uns Fetzen in den herkula-
mschen Rollen erhalten sind, siehe den sorg-
fältigen Index von Usehbb, Epicurea am
Schluss.
584
GrieohiBohe litteratnrgeschiohte. II. Naohklassische Litteratnr.
Metrodori Epic. fragm. coli. Eobrtb Jahrb. f. Phil. Sappl. XYII 529 ff. — Fragmente des
Epikureers Diogenes (am 200 n. Chr.) aaf Stein in einer Halle von Oinoanda in Lykien pabL
von Cousin, Bull, de corr. hell. XVI 1 — 3, revid. von Usbnbr Rh. M. 47 (1892) 414 ff., neu public,
auf Grund neuer Yergleichung von Hbberdet und Ealinka in Bull, de corr. hell. t. XXI,
1897. — Phaedri Epicurei de nat. deor. firagm. ed. Pbtbbsbn, ELamburg 1833; dazu L. Spbnobl
Abh. d. bayer. Ak. X 127 ff.; Gohpbkz, Herkulanische Studien, Leipz. 1866.
Philodemi negi xaxtoiy lib. X ed. H. Saupfb, Lips. 1853; mit Theophrasts Charakteren
von UssiNG, Hann. 1868. — Philod. nt-Qi ogyijs ed. Gomprbz, Lips. 1864; Philod. negi
Havdrov lib. quart. ed. M ekler, Sitzb. der Wiener Ak. 1885 S. 305 ff. - - Philod. rhetorica
von L. Spengbl, Abh. d. bayer. Ak. Bd. III, 1831, neu bearbeitet von Sudhaus 1892 in
Bibl. Teubn.; wichtige Verbesserungen von lo. v. Arnim, De restituendo Philodemi de rheL
lib. II, Ind. lect. Rostock 1893. — Philod. de musica ed. Kbmke 1884 in Bibl. Teubn. —
Philod. n€Ql 7toii]fAttru}y ed. Dübner, Paris 1849; Hausrath Jahrb. f. Phil. Suppl. XVII (1889)
211 — 276. — PHiLiPPSON, De Philodemi libro negi atj/Äeltay xai cfjfÄeitoaetoy, Berl. 1881.
416. Kyniker. Neben diesen vier grossen Schulen erhielten sich
noch aus früherer Zeit die Kyniker, die zwar keine geschlossene Schule
bildeten, aber mit ihrer kernigen Moral und ihrer drastischen Sprache
grossen Einfluss auf die einfachen Leute aus dem Volke übten. Der geist-
reichste Vertreter derselben war Erates, Zeitgenosse des Theophrast, aus
einem vornehmen Geschlechte Thebens, der den ererbten Reichtum ver-
schmähend nach Athen zog, um ein eifriger Anhänger des Eynikers Dio-
genes zu werden. 1) Dabei besass er ebenso die Kraft eindringlicher Rede
wie die Kunst poetischen Spieles. Von seinen beissenden lamben und
seinen Scherzen in fliessenden Hexametern {^nt]) und Distichen sind uns
noch manche hübsche Reste erhalten.^) Die Echtheit der 36 meist ganz
kurzen, an Freunde und Freundinnen gerichteten Briefe unterliegt schweren
Bedenken.*) — Aus der kynischen Schule gingen auch die moralischen Er-
bauungsreden des Kynikers Tel es (gegen Ende des 3. Jahrh.) hervor, wie
TceQi toi fii] tivai xbXoq rjdovijv^ ttcqI avTaQxeiag, nsQi ^vyijg u. a. Ver-
wandter Art, nur mit mehr Witz durchlaugt, waren die Gespräche (rfia-
TQißaf) des Bion von Borysthenis (3. Jahrh.)*) und des Kynikers Menip-
pos (3. Jahrb.), die später in den Satiren der Römer und den Schriften
Philons und Lukians wieder auflebten.
Teletis reliquiae ed. 0. Hbnse, Freibm-g i. Br. 1889. — W. Müller, De Teletis elo-
cutione, Freib. 1891 Diss. — Wilamowitz, Der kynische Prediger Tales, Philol. Unters.
IV 292 ff.
417. Skepsis. Im Gegensatz zu den dogmatischen Schulen gewannen
schon in unserem Zeitraum steigenden Einfluss die Skeptiker. Hauptver-
treter des älteren Skeptizismus waren Pyrrhon aus Elis (um 365—275)
und Timon der Sillograph aus Phlius, welche beide zugleich in dem Ver-
zicht auf sicheres Wissen eine Quelle der Gemütsruhe und Glückseligkeit
fanden. Neuen Aufschwung nahm die Opposition gegen die von den
Stoikern ebenso wie von den Epikureern vorausgesetzte Möglichkeit sicheren
>) Diog. VI 85—98.
*) BsRGK PLG. Vielverbreitet waren nach
Dioeenes die witzigen Veree:
Tt^ft fjLaysLQi^ fJLPcig rfeV, iaxQ(^ ^Qa/f^ijy,
xdXaxi rd'Aayra niyxB, av/j,ßovXtp xanvop,
noQvn xdXttvxoy^ (piXoifofptp XQUoßoXoy,
Vgl. Waohsmuth, Sillogr. gr. 192 ff.
*) Angeführt sind die Briefe schon bei
Diog. VI 98, der auch Tragödien von ihm
anführt; Ausgabe in Hbrohbr Epist. gr.
208—217.
*) Hbnse, Teletis rel. prol. XLV sqq. —
Zu Horaz ep. II 2, 60 Bioneis sermonäus et
sale nigro bemerkt der Scholiast Ps. Acron:
sunt autem disputationes Bionis phHasophi,
quibus stuIHtiam vulgi arguU, eui paene com-
sentiunt earmina Lueüiana. Ric. EbanzB,
De Horatio Bionis imitatore, Dias. Bonn 1889.
A-AlexandrimscheB Zeitalter. 8. Die Prosa, c) Gelehrte Litteratur. (§§416—419.) 585
Wissens durch Ainesidemos aus dem kretischen Knossos, der in der
Zeit Ciceros lebte und dessen Einwände sich der jüdische Philosoph Philon
in der Schrift über die Trunkenheit (ti^qI fibt^rjg) c. 41—48 aneignete.^)
418. Eebes nennt sich der Verfasser eines früher viel gelesenen
Buches, Tiha^ oder Oemälde betitelt, das eine allegorische Darstellung des
Lebens im platonisch-pythagoreischen Geiste gibt. Den Namen hat das
Buch davon, dass in ihm die verschiedenen Lebenswege dargestellt sind
nach einem im Vorhofe des Eronostempels aufgehängten Bilde, das eine
mit einer Mauer umschlossene Burg vorstellte, innerhalb derer sich wieder
verschiedene andere Burgen mit einer Masse von Figuren, wie der Apate,
Tyche, Paideia, Eudaimonia, befanden. Dem Verfasser des Pinax werden
von Suidas auch noch zwei Dialoge 'Eßdo/tirj und <PQvrixog zugewiesen.
Dass derselbe nicht mit dem Sokratiker Eebes aus Theben identisch sei,
zeigt schon die Erwähnung der Peripatetiker in dem Pinax c. 13. Auf
der anderen Seite muss derselbe geraume Zeit vor Lukian gelebt haben,
da dieser, Rhet. praec. 6 und De merc. cond. 42 von Eebes als einem all-
gemein bekannten Autor spricht. Ein Eyniker Eebes aus Eyzikus wird
von Athenaios p. 156d erwähnt; ob derselbe aber mit dem Verfasser
anseres Büchleins identisch sei, dafür fehlen bestimmte Anzeichen.^) Eher
hat ein anonymer Autor aus dem 1. Jahrh. n. Chr. nur die Maske des aus
Piaton allbekannten Eebes aus Theben angenommen.^)
Cebetis tabula rec. Pbaechtbr, Lips. 1893 in Bibl. Teubn. ; das Gemälde im Kronos-
tempel von Kebes, Übersetzt und mit Erläuterungen versehen von Fr. Eraüss, Wien
2. Aufl. 1890.
e) Grammatisehe und gelehrte Litteratur.
419. Dem Charakter unserer Periode entsprechend stand die gelehrte
Litteratur im Vordergrund der litterarischen Thätigkeit. Von dieser werde
ich diejenigen Werke, welche den Fachwissenschaften, Mathematik, Astro-
nomie, Medizin angehören, einem eigenen Abschnitt am Schlüsse des
Werkes vorbehalten und hier nur das behandeln, was in das Gebiet der
Grammatik einschlägt. Damit soll aber nicht gesagt sein, dass den Oram-
matikem die erste und massgebende Stelle unter den Gelehrten unserer
Periode gebühre. Umgekehrt sind die grössten Entdeckungen und die
wertvollsten Arbeiten an die Namen eines Euklid, Hipparch, Archimedes
geknüpft, und verdanken unter den Grammatikern mehrere der bedeutend-
sten, wie Eratosthenes und ApoUodor, den Ruhm bei der Nachwelt nicht
ihren grammatischen Schriften, sondern ihren Untersuchungen über Erd-
vermessung und Chronologie.^) Aber in dem Plane dieses Werkes liegt
*) Siehe v. Abniv, Philo und Aenesidem,
in Phfl. ünt H. 11, S. 53—100.
*) Diesen Kehes nimmt Sittl, Gr. Litt.
II276 als Verfasser an.
*) C. Pbabohtbr, Cehetis tabula quanam
aetaie conscripiA esse videatar, Marb. 1885.
Von der Beliebtheit des Büchleins zeugt ein
Beiieffragment, nach einem Berliner Kupfer-
stich heraasgegeben von E. MGlleb, Archäol.
Zeitung 1884 8. 115 ff.
^) Mit Recht klagt Donaldson, Hist. of
gr. lit. 1 335: it is only to he regretted, that
we have so offen saved from tke ruins of
the lihrary the resuUs of scholastic industry
instead of the efforts of original genius,
which have left their impresa on the intellectual
World,
586 Griechi^phe Litteratargeschiohte. IL NachklMsisolie Litteratnr.
es, dass von den Schriften der Mathematiker unserer Periode erst weiter
unten im Zusammenhang mit verwandten Erscheinungen gehandelt wird.
Unter Grammatik verstand man im Altertum nicht bloss die sprach-
liche Analyse und Texteskritik, sondern auch die laxoQia oder die Unter-
suchung über die Mythen und sachlichen Verhältnisse.^) Beide Richtungen
der philologischen Thätigkeit hingen in Alexandria auf das engste zu-
sammen, indem einerseits bei dem Studium der Autoren die Kritik der
Lesarten und die Erklärung der sachlichen Beziehungen in gleicher Weise
berücksichtigt und anderseits auch die von der Texteserklärung losgelöste,
selbständige Behandlung von Fragen der Mythologie, Staatsaltertilmer,
Topographie, Litteratur- und Kulturgeschichte von den Gelehrten in den
Kreis ihrer Studien gezogen wurde. Es waren aber nicht die Grammatiker
allein, welche sich mit der grammatischen Erudition in diesem weiten Um-
fange abgaben, auch viele, die sich Philosophen nannten und einer phOo-
sophischen Schule angehörten, beschäftigten sich mit den Aufgaben der
Gelehrsamkeit. Insbesondere waren es die Peripatetiker, welche von ihrem
Lehrmeister Aristoteles die Richtung auf die historische und gelehrte For-
schung ererbt hatten. Die Thätigkeit auf dem Felde der sprachlichen und
historischen Grammatik war ebenso emsig als erfolgreich ; nicht bloss die
Schätze der Bibliothek wurden auf das eifrigste von den Gelehrten aus-
gebeutet, auch die Zeugnisse auf Stein und Erz wurden von ihnen ge-
sammelt und die Hilfsmittel der Technik für Vervollkommnung der geo-
graphischen und mathematischen Kenntnisse verwertet. Leider haben sich
nur wenige und nur kleine Denkmale der gelehrten Betriebsamkeit unserer
Periode erhalten; das meiste lernen wir aus den Auszügen und Kompila-
tionen kennen, welche auf Grund der grossartigen Arbeiten der Alexandriner
die nachfolgenden Generationen veranstalteten. Um das massenhafte Ma-
terial zu bewältigen, könnte es am einfachsten scheinen, die Namen der
Gelehrten einfach nach dem Alphabet aufzuführen; wir haben uns aber
doch bemüht, den reichen Stoff in Absätze zu gliedern und dabei die Rich-
tungen, Orte und Zeiten zur Geltung zu bringen. Zuerst behandeln wir
den zeitlichen Verhältnissen entsprechend die Philosophen, welche sich mit
grammatischen Studien abgaben, sodann die Grammatiker von Profession.
Ein GorpoB grammaticoram graec. im engeren Sinn ward 1823 von Dutdokp mit mi-
zureichenden Hilfsmifcteln begonnen und wird jetzt unier der Leitung von Ublio unter Mit-
wirkung von BÖLTF, COHN, EOENOLFF, HiLGABD, LUDWICH, R. SCHNBlDfiR, R. SüHÖLL, StUDE-
MCJMD ins Werk gesetzt. — Gräfenhan, Gesch. d. klass. Philol. im Altertum, Bonn 1843,
4 Bde; Lerscb, Die Sprachphilosophie der Alten, Bonn 1841, 8 Teile; H. Stbinthal, Gesch.
d. Sprachwissenschaft bei den Griechen u. Römern, Berl. 1863, 2. Aufl. 1891; La Rochb,
Homer. Textkritik, Leipz. 1866.
420. Unter den Philosophen, welche sich auch mit Grammatik be-
schäftigten, steht Herakleides Pontikos von Heraklea in Pontus voran.
) Sext. Empir. adv. gramm. p. 619, fiv9<oy TioQaMoaaiy rj $i ii xijg avujf i^ea^
16 B.: trji yQafÄfjaitxiji to fifv iaziy Icro-
QixoVf TO öe Tf/y/xoV, TO di idittttcQoy . . .
laxoQixoy dk onov ncQi nqoaioTitay oIovbl
^citoy re xai dyf^Q(07tiy<oy xfd ijqoiixtav dt-
daaxotHfiy rj -negl xomoy dtrjyovyxai xtt&äjtsQ < Herodiani scripta tria, Berl. 1857,
OQtßy tj notafÄtüy iy neQt nXaafAuibiy xai
iarly. Vgl. Dionysios Thrax im Eingang der
T^X^V ygttjujunnxtj, Choiroboskos, E*rol. in
Theod. p. 104, 29 Hilg., Lbbrs, De yocabnlis
(ftXöXoyog ygafifiatixog xQittxo^y Anhang Hl
A. AlezandriniicheB Zeitalter. 8. Die Prosa, o) Gelehrte Litteratnr. (§ 420.) 587
Derselbe hörte zuerst in Athen Piaton, der ihn nach Suidas während seiner
Abwesenheit in Sikilien zu seinem Stellvertreter aufstellte, schloss sich
aber später an Aristoteles an, mit dem er die Neigung für Polyhistorie
und gelehrte Forschungen teilte. Seine zahlreichen, zum Teil in dialogi-
scher Form geschriebenen Bücher werden von Diogenes V 86 eingeteilt in
ly^ixa, (fvaixdy YQaixixaTi^xd xal fxovaixd^ ^rjrogixd, tatoQixccA) Während aber
seine philosophischen Werke früh in Vergessenheit kamen, erhielten sich
lange seine biographischen und grammatischen Schriften. Mit Unrecht
wurden ehedem die ^AllrjyoQtai ^O^rjQixm unserem Herakleides, statt ihrem
rechten Verfasser Herakleitos zugeschrieben. Auch die erhaltenen Ex-
zerpte ix xwv '^HqaxXeidov Ttegl TtoXiTetwv ») rühren nicht von unserem Philo-
sophen, sondern dem Grammatiker Herakleides Lembos her und sind nur
eine elende Kompilation aus den Politien des Aristoteles. Der Stil unseres
gelehrten Philosophen wird von Diogenes gerühmt; Cicero de nat. deor. I 13
und Plutarch, Cam. c. 22 tadeln an ihm die Neigung zum Fabelhaften ; in
seinen Erzählungen von Empedokles, Abaris, dem Mann aus dem Mond
(Diog. VUI 72) hat er geradezu den Ton des Romans angeschlagen ; in die
Litteraturgeschichte hat er die Fabeln über die angeblichen Vorgänger
Homers, Amphion, Lines, Philammon etc. eingeführt.^)
Die I^Vagmente gesammelt bei Müllbb FH6 II 197—207, die des Heraclides Lembos
in 167 — 171. — Neue Fragmentensammlimg von 0. Voss, De Heraclidis Pontici vita et
Bcriptis, Rostocker Preisanfgabe, Lei^. 1896. — üeber die Dialoge F. Schmidt, De Hera-
clidae Pontici et Dicaearcbi Messern! dialogis deperditis, Bresl. 1867: Hibzel, Dialog I
321-34.
Ghamaileon, Landsmann und Rivale des Herakleides, den er be-
schuldigte, ihm seine Ideen über Homer und Hesiod gestohlen zu haben,^)
war einer jener Peripatetiker, die sich mit Vorliebe den litterarhistorischen
Forschungen zuwandten. Erwähnt werden von ihm Schriften über Homer,
Hesiod, Stesichoros, Sappho, Anakreon, Lasos, Pindaros, Simonides, Thespis,
Aischylos, negl aatvQcov oder die Anfange der Tragödie, und ein umfang-
reiches Werk über die alte Komödie, von dem Athen, p. 406 e ein 6. Buch
citiert. Daneben hören wir von einer Mahnrede {jiQotgeTiTixdg Xoyog) zum
Studium der Philosophie und einer von andern dem Theophrast zugeschrie-
benen Schrift n€Qi ridovi]q^ von der die Abhandlung negl fitd^rjg nur ein Teil
gewesen zu sein scheint. In seinen litterarhistorischen Arbeiten liebte er
weniger die nüchterne Wahrheit als die poetische Ausschmückung; wie
damals die Bildhauer die Idealporträte des Homer, Anakreon und anderer
^) Manche der anfgezählten Schriften
mOgen nicht ihm, sondern einem der jüngeren
Gelehrten gleichen Namens, dem Heralileides
Eallatianos mit dem Beinamen 6 Xi^ßog,
der nach Snidas nnter Ptolemaios VI Philo-
metor lebte, oder dem Herakleides der über
Inseln und Städte schrieb, oder dem Didv-
meer Herakleides Pontikos aus dem 1. Jahrh.
n. Chr. angehören. Eine Ansscheidang ver-
snchten ükger Rh. M. 38, 489 ff. und
ScHBADBR, Heraclidea im Philol. 44,286—61.
Dagegen hftlt Cobn, De Heraclide Pontico
etymologiarum scriptore antiquissimo (1884)
du«n fest, dass auch das Buch tieqi oVo-
fittTtüf und die Citate im Etym. Orionis
unserem alten Herakleides zu vindizieren
seien. — üeber Tragödien des Herakleides s.
§149.
^) Heraclidis politiarum quae extant,
rec. ScHMEiDEwiN, Gott. 1847; auch im An-
hang von Aristo teils noX. *A(hiv. von Eaibel-
WiLAMowiTZ. Vgl. RüHL Jahrb. für Philol.
Suppl. XVIII 701 ff.; HoLziNGER Philol. 54
(1891) 436 ff., 56 (1893) 58 ff.; E. Fabbiciüs,
lieber die Abfassungszeit der Städtebilder
des Herakleides, Bonner Stud. 1890 S. 58 ff.
») S. Bebgk, Gr. Litt. I 404 f.
*) Diog. V 92,
588
Qrieohische Litteratargeachiohte. IL NaolikUssiMlie latteratiir.
Grössen der Litteratur schufen, so gefielen sich auch die Litterarhistoriker
vom Schlage des Chamaileon darin, den grossen Männern der Vergangen-
heit allerlei ideale Züge und geistreiche Aussprüche anzudichten.^)
421. Dikaiarchos aus Messene in Sikilien, der mit Aristoxenes aus
Tarent Hörer des Aristoteles war, wandte sich ganz der historischen und
geographischen Forschung zu. Auf Orund einer Reihe von Höhenmessungen,
von denen Suidas die xatafisxQr-aeig t&v iv neXonowriatf oq^v anfuhrt,
entwarf er eine Beschreibung der Erde, die er durch beigegebene Tafeln
erläuterte.*) Sein bedeutendstes, vielgelesenes Werk war der Bioq
^EkXdiog in 3 B., der erste Versuch einer Kulturgeschichte, in welcher
von den Anfängen der Oeschichte, dem goldenen Zeitalter, ausgegangen
und dann die Entwicklung des griechischen Lebens bis auf Alexander ver-
folgt war, so zwar, dass neben der Staatenbildung auch die Musik, die
Spiele und Dichter Berücksichtigung fanden. Wohl Vorarbeiten zu diesem
auch in der Form vollendeten Werke waren die Schriften Ttcgi fiowfutm'
äy(juv(t)y\ vTioO'tcffig twv 2o(foxXhovg xal EiqimSov juv^wv,*) noXiTsTm Ilfi'
Xrjvaicov KoQivÖ^iwv 'AO^rjvaicov. Mit der Sammlung von Politien hing der
Dialog TgiTtohtixog zusammen, in welchem Dikäarch als Vorläufer Ciceroa
die aus Monarchie, Aristokratie und Demokratie gemischte Verfassung als
sein Ideal aufstellte und in der Staatseinrichtung Spartas verwirklicht fand>)
Andere von Cicero hochgeschätzte Dialoge waren der KoQivd^iaxk und
Aeaßiaxog^ von denen jeder wie der berühmte Dialog des Aristoteles n^^
(fdoaoifiag in 3 Bücher eingeteilt war.^) Für Geschichte der Litteratur
waren bedeutsam seine von den Späteren vielfach ausgebeuteten Lebens-
beschreibungen; angeführt werden Bücher über die sieben Weisen, über
Pythagoras, Piaton, Alkaios; schwerlich aber berechtigen uns die aus
Dikäarch angeführten Nachrichten über Homer, Sophokles, Euripides,
Aristophanes, demselben auch spezielle Biographien dieser Dichter beizu-
legen ; sie können recht wohl aus seinem Hauptwerk vom Leben Griechen-
lands oder aus seinem Buch über die dionysischen Wettkämpfe herrühren.
Bei allem dem war Dikäarch kein blosser Stubengelehrter, er gab viel-
mehr ausdrücklich dem praktischen Leben vor dem theoretischen den Vor-
zug.^) Auch als Redner trat er in Olympia und an den Panathenäen auf
und heisst deshalb bei Suidas qiX6ao(fog xal ^vjnoQ xal yeej/^iäTQi^g. Er-
halten haben sich von ihm nur wenige Fragmente. Eine Zeitlang glaubte
man auch noch grössere Reste aus den Werken des Dikäarch in einer in
iambischen Trimetem abgefassten Beschreibung Griechenlands {arayQa^il
^^Eklddog) zu haben; 7) aber dieselbe rührt, wie Lehrs Rh. M. 2, 354 mit
M EOpkr, De Chamaeldonte Heracleota,
Berol. 1856.
«) Cic. ad Att. VI 2.
') ScHRADER, Quaestionum peripatet. pari
Hamb. 1884 macht wahrscheinlich, dass die-
selben einen Teil des Buches nBQl Ji^ayvoia-
Xiüf dy(oya)y bildeten.
^) OsAKN, Beiträge znr röm. und griech.
Litt. II 9 ff.
») Cic. Tusc. disp. I 31, 76: acerrime
atUem deliciae meae Dicaearchus contra hawe
immortalitatem disseruit; is enim tres libros
scripsit qui Leabiaci rocantur quod Miitflemt
8ermo habetur, in quibus pult rfficere animos
esse mortales; ttber den Korinthiakoe ebenda
I 10, 21.
•) ac. ad Att n 16, wozu stimmt Plut
an seni c. 26.
7) Text bei Möllbb, Geogr. graec min.
I 238—43.
i
i.AlezandrinisoheB Zeitalter. 3. Die Prosa, c) Gelehrte Litteratnr. (§$421—422.) 5gd
glänzendem Scharfsinn aus den Anfangsbuchstaben der ersten 23 Verse
erschlossen hat, von Dionysios, Sohn des Ealliphon, her. Ebensowenig
ist Dikäarch der Verfasser der drei längeren, in dem Cod. Paris. 443 er-
haltenen Bruchstücke einer Periegese Griechenlands, welche vielmehr nach
einem CStat des Apollonios, Mirab. 19 zu dem Werk des Herakleides Kreti-
kos^) 71€qI T<iv iv Tg ''EXXdSi nokeoDv gehörten.^)
Die Fragmente gesammelt und besprochen von Fuhr, Dicaearchi quae sapersunt
Darmstadt 1841; Müllbb FHG H 225—253, GGM I 97-- 110 u. 238-243.
422. Aristoxenos') entstammte einer musikalischen Familie aus
Tarent, wanderte aber zeitig nach dem griechischen Festland aus, wo er
in Mantinea seine Ausbildung fand. In die Musik wurde er durch seinen
Vater Spintharos, den Erythräer Lampros und den Pythagoreer Xeno-
philos eingeführt. In der Philosophie hatte er den Aristoteles zum Lehrer
und zeichnete sich so vor seinen Oenossen aus, dass er auf die Nachfolge
in der Vorstandschaft der Schule sicher rechnete und, als ihm Theophrast vor-
gezogen wurde, auf seinen toten Lehrer bitter schmähte. Auch sonst stand er
in dem Gerüche eines schmähsüchtigen und finsteren Menschen.^) Seine
schriftstellerische Thätigkeit galt in erster Linie der Musik, wovon er
auch den Beinamen c iiovaixoq erhielt; ein Anhänger der strengen alten
Bichtang vereinigte er praktische Tüchtigkeit mit theoretischer Einsicht,
Von seinen Schriften über Musik sind zwei, aber beide nur in stark ver-
stömmelter Gestalt auf uns gekommen. Das grössere Werk ist die Har-
monik, worunter die Alten die Lehre von den Intervallen {SiacrTrjfiara)
und Tonskalen {avarrjfiara) verstanden.^) Die erhaltenen drei Bücher sind
nur Auszüge und dieses nicht aus einem, sondern mehreren Original werken.
Aber auch so sind sie von grossem Wert für die Geschichte der musi-
kalischen Theorien im Altertum und die im Fahrwasser des Aristoteles
sich bewegende Schulmethode der Peripatetiker. — Von noch grösserer
Bedeutung für das Verständnis der antiken Metrik und Chorlyrik sind die
rhythmischen Elemente {^vO^fiixd arotx^Ta), Aber leider ist uns von diesem
Werk nur ein längeres Bruchstück aus dem 2. Buch erhalten in einer
Handschrift der Marcusbibliothek (Marc. VI 3), und überdies wertvolle
Auszüge in der rhythmischen Einleitung {nQoXafAßarofieva ft^ Qv^i^iixr>v)
des Byzantiners Psellus und in den von Vincent zuerst herausgegebenen
Pariser Excerpten. Westphal, der sich um die Rekonstruktion der Lehre
des Aristoxenos und die Erklärung der Fragmente die grössten Verdienste
erworben hat, schreibt der aristoxenischen Rhythmik massgebende Be-
deutung für die Musik aller Zeiten zu.«) Das ist wohl zu viel gesagt;
denn auch Aristoxenos scheint, indem er sich von den Silbenwerten des
*) Olearins korrigierte xqitixos. Die | ') Vita bei Suidas; Westphal, Aristo-
rerwandte Schrift ne^l yijaoty wird von Har- i xenoa' Melik u. Rhythmik Prol. I— XX.
" ~ *) Vgl. Aristokles bei Euseb. praep. ev.
XV 2. Aelian v. h. VUI 13: Xsyovoi cfe xal
*AQiai6^Bvov i(p yiXüiii aya xQiiros noXe'fÄioy
yeyec&at.
'^) Die uQfioyixtt werden deshalb von
Aristoteles metaph. 11 p. 997 ^ 21 als ein Teil
der Mathematik angesehen.
•) Westphal, Aristoxenos t. II p. VII.
pokiation unt. £xQVfjLrj dem Herakleides oder
i%ilo8tephanoB, von Stephanos Üyz. unt.
^fi^ dem Herakleides Pontikos zuge-
Kbiieben.
') Müllbb, Geogr. graec. min. I praef.
LII; Tgl. Wacbsmuth, Stadt Athen I 44.
TiroBB Rh. M. 38, 484 setzt die Fragmente
Ol 147, 1 = 192/1 V. Chr.
590
Orieehioclie litteratargMohiolite. tl. NachkUuMÜiehe Litteraiar.
Textes zu wenig emancipierte und zu sehr künstlichen Zahlschematen
nachging, zur richtigen Erkenntnis der Zeitdauer der gesungenen Töne
nicht gelangt zu sein. — Lebensvoller, weil mit reichen Beispielen aus
der Geschichte der Musik ausgestattet, waren des Aristoxenos vermischte
Tischgespräche {avfi^UTtta avfinoxixa)^ von denen ganze Abschnitte Plutarcb
in seine Schrift über Musik aufgenommen hat. Ausserdem handelte unser
Musiker in eigenen Schriften von der Melopoiie, den musikalischen Instru-
menten, dem Tanz und anderen Teilen der Musik. — Neben den musi-
kalischen Schriften erfreuten sich grossen Ansehens auch seine Biographien,
in welcher Litteraturgattung er selbst den Dikäarch in Schatten stellte,
so dass er vom Kirchenvater Hieronymus geradezu als Begründer der-
selben angeführt wird.^) Zunächst waren es Philosophen und Italiker, mit
deren Leben er die Griechen bekannt machte, Pythagoras, Archytas, Xeno-
philos, Telestes, Sokrates, Piaton; aber auch über die Tragiker, speziell
über Sophokles handelte er in dem Buche neQi tQayMioTioKav.
Die Harmonik zuerst lateinisch herausgegeben Yen. 1562; griechisch zuerst vod
Mbubsius 1616; griechisch u. deutsch mit Kommentar von Marquard, Berl. 1868; ElementB
harmoniques d' Aristoxöne de Tarente par Ruelle Par. 1871. — Die RhyÜimik zaerat
herausgegeben von Mobelli, Yen. 1785. Die Fragmente und Lehrsätze der alten Rhythxniker
von Westphal, Leipz. 1871 a]s Anhang zum 1. Bde der Metrik; Derselbe, Aristoxenos too
Tarent, Melik u. Rhythmik aus den hinterlassenen Papieren des Yerfassers, Leipz. 188di'9S,
ä Bde. — Die Fragmente überhaupt bei M&ller FHG II 269-292; vgl. Zklleb, Gesch. <L
gr. Phü. II»2, 881ff.
423. Phanias (v. 1. Phainias) aus Eresos in Lesbos wird in dem
Lehen des Aristoteles^) neben Tbeophrast, Eudemos, Elytos, Aristoxenos
und Dikaiarchos als unmittelbarer Schüler des Aristoteles aufgeführt. Auch
er ererbte von seinem Lehrer die Neigung zu antiquarischen und litterar-
historischen Forschungen. Ein Buch von ihm galt den Einrichtungea
seiner Heimat, rtegl ngvzdvswv ^Egetffcov^ andere, wie n€Qi Swxgarixwv, ns^
noir^Tun\ uQog rovg aoqiaTag, den litterarischen Fragen. Auf historische
Denkwürdigkeiten scheinen die Nachrichten bei Plutarch im Leben des
Selon c. 13, 32 und des Themistokles c. 7, 13, 27, 29 zurückzugehen. Die
Fragmente, gesammelt bei Müller FHG H 293—301, lassen uns in ihm
einen sorgfaltigen, auch auf die Chronologie genau eingehenden Spezial-
forscher erkennen, aber kritisches Urteil verrät sein Bericht über das
Wunder des Fischregens bei Athen. 333 a nicht.
Dem gleichen Kreis der Litterarhistoriker unter den Jüngern des Peri-
patos gehörte ausser Hier ony mos von Rhodos, von dem wir bereits oben
§ 389 gesprochen, noch Klearchos von Soli in Kypem an, dessen Bm in
mindestens 8 Büchern eine Hauptquelle des Athenaios bildeten. Dieselben
waren indes nicht Lebensbeschreibungen berühmter Männer, sondern Schil-
derungen der Lebensweise verschiedener Menschenklassen, wie der Para-
siten, Schlemmer, Spartaner, Perser, Lyder. Den Schmeichlern hatte er
ein eigenes Buch gewidmet, das er nach einem Musterexemplar dieser
^) HieronymoB, Proleg. ad Dextnun im
Buch De viris UluBtribua: Hortaris me,
Dexter, ut Tranquillum sequens eceleaiasti'
cos srriptares in ordinem digeram . . . /Jc-
eerunt hoc idem apud Graecos Hermippua
peripatetictis, Antigonus Catystius, Sahfrui
doctus vir, et lange omnium dociisMmu$
Aristoxenus muaicus. Vgl. Platardi, Non
posse saay. c. 10.
*) Vita Marciana c. 9.
A.Alexandriiii8oh6a Zeitalter, d. Die Prosa, c) delehrte Litteratnr. (gg 423— 424.) 591
Sorte von Menschen rsQyix^ioq taufte. Ausserdem schrieb er über Freund-
schaft, über Bildung, über den Schlaf, handelte von den Wassertieren,
sammelte Sprichwörter, Rätsel und Liebesgeschichten, indem er den von
Aristoteles gepflegten Sinn für historische und naturwissenschaftliche For-
schung noch mehr ins Detail verfolgte. Fragmente bei Müller FHG II
302-327.
424. Demetrios von Phaleron (<l>airy(>ft;$),i) Schüler und Freund des
Theophrast, bildet gewissermassen die Brücke zwischen Athen und Ale-
xandria, Philosophie und Grammatik. Von Kassander 10 Jahre lang (317
bis 307) an die Spitze von Athen gestellt, fand er nach seinem Sturze
freundliche Aufnahme bei Ptolemaios Soter in Alexandrien, wo er den
Grund zur Bibliothek legte und nach einem thatenreichen Leben an dem
Bisse einer Schlange starb (nach 285). Als praktischer Staatsmann war
er gleich ausgezeichnet wie als Gelehrter, dazu von der Natur ausgerüstet
mit schöner Gestalt und mit der Gabe einnehmender Rede. Seine Schriften
sind aufgezählt von Diogenes V 80 ; unter denselben befinden sich ausser
Reden, historischen, politischen, rhetorischen, popularphilosophischen *) Ab-
handlungen auch Sammlungen äsopischer Fabeln {loyiov Alaooneiüiv awayu^Ym)
und denkwürdiger Sprüche, insonderheit von den sogenannten sieben Weisen. »)
Von seinen historischen Schriften waren am berühmtesten das chrono-
logische Verzeichnis der attischen Archonten, ein Leben des Sokrates, der
Rechenschaftsbericht über seine zehnjährige Verwaltung Athens (vttojuij;-
juaiof n€Ql zrjg dfxa€t€iag) *) und die halb theoretischen, halb praktischen
Broschüren über die Gesetzgebung und die Verfassungen Athens {neQi zfjg
W^j^rrycr» ro^o^sfftag in 5 B. und negi tiov 'Ad^ijvtjfft noXiTsmv in 2 B.). —
Als rhetorische Schrift führt Diogenes von unserem Autor eine ^i{ioQixrj
in 2 B. an \^) aber das unter seinem Namen erhaltene Buch nsQi iQixrjvefag^
worin über den rednerischen Ausdruck, über Periodenbau, Hiatus, Stil-
arten, Figuren gehandelt ist, kann nicht von ihm geschrieben sein, da
darin Bezugnahmen auf spätere Zeitverhältnisse vorkommen ^) und einmal
sogar (c. 289) Demetri^ der Phalereer selbst citiert wird. Muret und
andere nach ihm') haben daher an eine Verwechselung des Peripatetikers
Demetrios mit dem Sophisten Demetrios von Alexandrien gedacht, der
^) Diog. V 75 nnd Suidas unt. Jijf^ijt^bog.
Asklepiades 6 rov *j4q6lov hatte ein eigenes
Buch aber ihn geschrieben, s. Ath. 567 d.
^) Das Buch tib^i rr/i;; ist gepriesen
▼OD Polybios 29, 21 und ausgeschrieben von
Plotarch in der Trostrede an ApoUonios.
') Bbukco, De dictis YII sapientium a
Bemetrio Phal. coUectis Acta sem. Erl. III
2^—398 ; Metrische Paraphmse der Sprüche
^er Bieben Weisen, vermutlich von Pisides,
ttB emem Pariser Cod. von Wölfplin Sitzb.
ibayer. Ak. 1886 p. 287 flf.; neubearbeitet von
SuiijKK, De sententiarum Septem sapientium
collectionibuB, Diss. Breslau 1891. Vgl. § 98.
*) Polybios XII 18, 9 fällt über das Buch
^ hartes urteil.
*} Jrjfiijrgiog 6 ^aXijQSvs iv t^ ^bqI
i^iio^x^g ist citiert von Philodemos in Vol.
Herc. m«145.
•) So 7ioQ(pv(jai, TtXareTai c. 108, ItotdStjg
c. 189, 'AQxefjLmv c. 223, ra^uQBvg c. 237.
Das Scholion zu Aristophanes Nub. 400 /«^K
iatlf ix arixov lov (tXXoiQiov, tig %(f>f} Jio-
yvaiog 6 'jlhxaQyaoaevg if lu) n€(ti iQfitjyeiag
(c. 150) ist ohne Bedeutung, da dasselbe
nicht alt ist, sondern von Musurus herrührt,
memoriae errore Dionysium Halicarnctssen-
sem nominante, wie Dindorf in der Ausg.
richtig bemerkt.
'j Walz, Rhet. gr. IX p VIII. Hammer,
Demetrius negi eQfxrjyeiag^ München 1883,
will den Rhetor Demetrius Syrus, den Cicero
im Jahre 78 zu Athen hörte (Cic. Brutus
815) als Verfasser aufstellen; seine An-
sicht modifiziert derselbe Qelehrte in Jahres-
bericht d. Alt. XIV 1, 97.
I
592 Arieohisobe LitUratargeschiohte. U. HachklaMisohe Litt«rattir.
nach Diogenes V 84 Verfasser von Thxvai ^rjzoQixai war.i) Die scharf-
sinnige Vermutung geht dabei von der Voraussetzung aus, dass unter dem
c. 237 citierten FadaQsvq der Sophist Theodoros aus Gadara, der Lehrer
des Kaisers Tiberius, gemeint sei.') Jedenfalls ist die Schrift vorHermo-
genes, dem Begründer einer neuen Stillehre, geschrieben. Der häufige
Gebrauch des Duals führt in die Zeit der Attikisten, welche eine künst-
liche Wiederbelebung jener Form aufbrachten.*) Vielleicht ging dieselbe
ähnlich wie die vom Erhabenen (Ps. Longin nsql vipovg), mit der sie die
gleichen Vorzüge feinen Geschmacks und ausgebreiteter Litteraturkenntais
teilt, anfangs anonym und ist erst nachher wegen ihrer Anklänge an den
Peripatos dem alten Demetrios von Phaleron zugeschrieben werden. —
Gar nichts hat mit unserem Peripatetiker die von Clemens Alex, ström.
I p. 146 angeführte Schrift eines Demetrios tisq} toii' «V 'lovSaif ßaaiUmv
zu thun. Den Charakter von Schulübungen aus der römischen Eaiserzeit
trägt die Pseudonyme, an einen gewissen Herakleides gerichtete Schrift
über die Arten des Briefstiles.
OsTKRHANK, De Demetiü vita, rebus geatis et scriptonun reliquiis, Herefeld 1847,
Fulda 1857; Mülleb FGH II 862—369. — Die rhetorische Schrift iibqi iQfitjyeiaf bei Spshobl,
Rhet gr. III 259—328. — Demetrii Phalerei Tvnoi imaroXucoi bei Hbbcher, Epistolognphi
graeci p. 1—6.
426. Praxiphanes,^) Hörer und Freund des Theophrast, wird in
den Schollen zu Dionysios Thrax bei Bekker, An. gr. p. 729 und Gramer,
An. Ox. p. 311 als derjenige bezeichnet, der mit Aristoteles den Grund zur
wissenschaftlichen Grammatik gelegt habe. Aber weder von seiner Gram-
matik, noch von seinen für die Litteraturgeschichte wichtigen Dialogen
rr*^i /Toii^/mrair und 7r«^i iinoQtag^) haben sich mehr als vereinzelte Cifcftte
erhalten.
Auch von den eigentlichen Grammatikern werden einige wie Her-
mippos und Satyros gelegentlich einmal Peripatetiker genannt, wie ähnlich
die Grammatiker Krates und Apollodor nebenbei auch Stoiker heissen. Aber
wenn dieselben auch in ihrer Lebensanschauung zu jenen philosophischen
Schulen irgendwie Stellung genommen haben, so j^aren sie doch in ihren
Schriften und Studien so rein der grammatischen Richtung ergeben, dass
sie besser in dem folgenden Abschnitt ihren Platz finden.
436. Die Stoiker griffen nach einer anderen Richtung als die Peri-
patetiker in die gelehrten und grammatischen Studien ein.^) Während
I M Die Zeit dieees Demetrius steht nicht De Demetrii rhetoris aetate, Ups. 1889, und
I |l»iii ft^st; beliebt sich «uf ihn. wie wabi^ Brhbiii-Schwabzbach, Libellos /rc^c ip^i^f'Cfac
I acheinlich. die Angube des Syrian in Rhet qui Demetrii nomine inscripins est qaotem-
yr. ed Walz VII 9;^ so lebte' er nach Dio- pore compoeitns sit» Kiel 1890.
nysius Halii*, und Hipparch. * • Prellkb, De Praxiphane Peripatetico
^"i Vielleicht steckt ein weiteres An- inter antiqniasimoe grammaticos nobüi, Dor-
n'ichen in dem verderbten i«ft»«. T^kfun/m pat 1842 = Ansgew. AufiB&ize S. 94 ff.
c. I4i>. wofiir icf^H» Ti/fT-ci lu schreiben nahe *) IIp«|iy««7?f iy r^ nc^nrf» m^
lit^t, 7tott;[ua]tmy ist citiert von Philodemoa in
^> Dahi^ DemetzittS if«^' f^u»*f.«rc« ein Vol. Herc. IP 170; vgl. Marcellinns im Leben
HeitTH^ tiir Bestimmung der Abfai£(snn$:sBeit des Thnkydides c 29; Huzbl» Henn. 13
dtH- sAritt. IV^CT, Zweibrücken ISiM. setit U^^^» '♦ß ff •
die Schritt auf imind *W Sprecb^branchs *» R. Scbjudt, Stoicoram grammatica,
um UV u. Chr. Zum gleichen R^sultai Balis 1839: Stbillbs, De Stoiconim stndüs
kamen durx^h AuaU^ der rucH>ne Alt^-^bvu rheiorida» Bresl. Abhdl. 1 2, 1886.
A. AlexandriniBohes Zeitoltor. 8. Die Prosa, o) Gelehrte Litterafcnr. (§§425-427.) 593
jene, angeregt von Aristoteles, die Litteraturgeschichte pflegten und ins-
besondere das Leben der alten Philosophen und Dichter zum Gegenstand
ihrer Forschung machten, trugen die Stoiker, welche von Hause aus die
Logik und Dialektik zum Mittelpunkt ihrer Philosophie wählten, haupt-
sächlich zum Ausbau des grammatischen Systems bei. Die Unterscheidung
der Redeteile {fi^gr; Xoyov), der Casus {nTciaeig), der Aussageformen (xarij-
yoQtjfiava) ist wesentlich ihr Werk, so dass der römische Polyhistor Varro
wiederholt die Arbeiten der Stoiker denen der speziellen Grammatiker
gegenüberstellt.^) Die zum System der Sprachlehre gehörigen Begriffs-
bestimmungen haben dann in weiterer Folge die Stoiker in den Streit
über Anomalie und Analogie gezogen, an dem sich namentlich Chrysippos
zu Gunsten der Anomalie beteiligte.^) Ausserdem betrieben sie, deren
Forschung überall auf den Grund des Seienden gerichtet war, mit Eifer
etymologische Studien, indem sie mit verständigem Sinn in der Begriffs-
bestimmung von derjenigen Bedeutung ausgingen, welche die Natur in den
Kern {sxvfjLov) des Wortes gelegt habe. Freilich sind es meist verkehrte
Spielereien und verfehlte Versuche allegorischer Deutung der Götternamen
und alten Mythen, an die der Name der Stoa geknüpft ist.^) Hervorragt
unter den Stoikern durch seine grammatischen Studien Chrysippos aus
Soli (280 — 207),*) unter dessen zahlreichen Schriften sich auf Grammatik
bezogen die Bücher nf^l T^g avwixaXiag^ hviioXoyixMv ^ neqi t(üv tov
Xoyov fJisQm'y negl tcüv nävxe ntoiaecoVy nugl avvra^€(og, tisqI nagoi^mv.
Auch in den Schollen zu Pindar geschieht oft eines Kommentars des Chry-
sippos zu den Epinikien Erwähnung. Seiner Verteidigung der Anomalie
lag eine unbefangene Betrachtung der Spracherscheinungen zu grund, wenn
er auch darüber das Gesetzmässige in der Formenbildung zu sehr über-
sah. Neben Chrysippos nennt Varro de Ung. lat. VI 2 den Antipater als
Etymologen; es ist darunter wohl Antipater von Tarsos, der Lehrer des
Panaitios, verstanden, der auch in den Scholien des Dionysios Thrax neben
Chrysippos genannt wird und zu den fünf Redeteilen des Chrysippos
(oVojua, nQoarjyoQia, ^rjfia^ cfvvieGfjLog^ uqx^qov) noch als sechsten das Parti-
cipium oder die fieaovYjg fügte. Spätere Stoiker haben auch litterarhisto-
rische Untersuchungen angesteUt; so ApoUonios aus Tyrus, von dem
Strabon p. 757 ein Verzeichnis der stoischen Philosophen seit Zenon an-
führt und von dessen Schrift über die philosophischen Frauen Sopater einen
Auszug machte ; femer Athen oder os aus Tarsos, Schüler des Poseidonios,
der unter den Lehrern des Kaisers Oktavian genannt wird und Schriften
gemischten Inhaltes, wie ntQinatoi^ nsgl anov6i]g xai naididg verfasste.*)
427. Die eigentliche Grammatik hatte ihre Hauptblüte in Ale-
xandria und Pergamon; daneben stellte aber auch Athen und später Rom
^) Varro de ling. lat. V 9: non solum ad
Aristophanis lucernam, sed etiam ad Cle-
anthis lucubravi,
') Dem Chryalpp stand Aristarch als
Verteidiger der Analogie gegenüber, worüber
uns hauptaftchlich Varro de ling. lat. unter-
richtet.
>) Derart waren des Zenon n^oßXijf4ata
Hft&dbuoh der kiMs. AltertumswiaBenschaft. YU. 3. Aufl.
'OfjijQtxd in 5 B., die der Grammatiker Ari-
starch bekämpfte; s. Diog. VII 4 und Dio
Chrys. or. 55 p. 275 R.
*) Christos Akonis, XQvamnog yga/Ä^a-
tirxog, Jena 1885. Ueber Chrysipps andere
Schriften siehe § 413.
*) Müller FHG lU 485—8.
594
Grieohisohe Litteratiirgesohiohte. II. Kaohklassisohe Littoratnr.
einzelne tüchtige Gelehrte. Ihre Hauptaufgabe erblickten die Grammatiker
darin, ein allseitiges Verständnis der klassischen Schriftwerke (avyyQdfi'
/tora) zu vermitteln. Dazu gehörte das richtige Lesen, die Erklärung der
Mythen, die Verbesserung fehlerhaft überlieferter Stellen, die ästhetische
Beurteilung. Diesen vier Aufgaben des Grammatikers entsprechend zerfiel
die Grammatik in die vier Teile: to dvaYvaxfTixov, to i^rjyrjrtxov, t6 öioq-
i^ooTixoV, ro xQiTixovA) Erst in späterer Zeit gingen einzelne Grammatiker
über diese nächsten Ziele hinaus, indem sie die Einzelbeobachtungen zu
grossen systematischen Werken über Sprachlehre, Litteraturgeschichte,
Metrik zusammenfassten. Auch in Bezug auf den geistigen Gesichtskreis
und die Richtungen der allgemeinen Bildung haben sich die Anforde-
rungen, welche man an einen Grammatiker stellte, stark im Laufe der
Zeit geändert. Die nackte und dürre Grammatik, die es lediglich auf Ge-
lehrsamkeit und Scharfsinn absah, machte sich erst im zweiten und letz-
ten Jahrhundert v. Chr. breit ; in den ersten Zeiten nach Alexander wollten
die Grammatiker noch als Männer von Geschmack und poetischem Talent
gelten, so dass manche unter ihnen auch als Dichter glänzten oder durch
anziehend geschriebene Denkwürdigkeiten sich hervorthaten. Viele der
Grammatiker haben wir daher bereits oben unter anderen Titeln behan-
delt, wie Eallimachos, ApoUonios Rhodios, Philochoros, Sosibios. Hier
lassen wir die übrigen Grammatiker, soweit möglich in zeitlicher Ordnung
folgen.
428. Zenodotos aus Ephesos (gest. um 260), Schüler des Philetas,
war der erste alexandrinische Grammatiker und Bibliothekar.') Er lebte
nach Suidas unter Ptolemaios I ; seine Thätigkeit zog sich aber auch noch
in die Zeit des Ptolemaios Philadelphos hinein.') Als Bibliothekar teilte
er sich mit Alexander Aetolus und Lykophron so in die Aufgabe der Ord-
nung der Bücherschätze, dass Alexander die Tragödien, Lykophron die
Komödien, er selbst Homer und die übrigen Epiker übernahm. Wie er
in dieser Beziehung die Grundlage für die Arbeiten der Späteren schuf,
so hat er auch mit seiner kritischen Ausgabe {SioQ&comg) des Homer den
Reigen der alexandrinischen Kritiker eröfihet. Was er darin geleistet,
erfahren wir fast nur aus den Entgegnungen, die sein überlegener Nach-
folger Aristarch gegen einzelne seiner Aufstellungen richtete. Aber wenn
er auch von dem Vorwurf der Willkür und ungenauen Sprachkenntnis ^)
nicht ganz freizusprechen ist, so ist er doch gleich im Anfang den rich-
tigen Weg gegangen: er hat durch Vergleichung von Handschriften den
Boden für die kritische Textesrecension gelegt, er hat sich für Entdeckung
von Interpolationen und Schäden der Überlieferung das Auge offen ge-
halten, er hat durch Anlegung eines Glossars {yXoxraai ^OfirjQixctt) sich den
Einblick in den speziellen Sprachschatz des Homer verschafft. Auch
') HaupUtellen bei Bekker an. gr. p. 683,
14 und Varro bei Diomedes p. 426, 21 E.
Vgl. Ü8KNEB, Ein altes Lehrgebäude der Phi-
lologie, Sitzb. d. b. Ak. 1892 S. 582 fF.
") Im plautiniBchen Scholion wird Zeno-
dot nicht als Bibliotkekar angefahrt, wohl
aber von Suidas; vgl. Goüat, La po^sie
Alexandrine p. SO f.
»j So RiTscRL, Opusc. 166; vgl. Scsk-
HiHL, AI. Lit. I 335.
^) So nahm er Komparativformen auf
i(ü statt iü>y an und liess die Verbalendong
auf arai auch fdr den Singular gelten.
A.Alezaiidri]iifloliM Zeitalter. 8. Die Prosa, o) Gelehrte Litteratnr. (§§428—429.) 595
machte er wie fast alle Gelehrte jener Zeit Verse, aber von denselben hat
sich nichts, nicht einmal eine Andeutung ihres Inhaltes erhalten.^)
Als Schüler des Zenodot werden ausser Aristophanes von Byzanz
genannt die Grammatiker Theophilos und Agathokles, welch letzterer selbst
wieder Lehrer des Hellanikos, des bekannten Chorizonten, war.*)
429. Eratosthenes (um 275—195),*) Sohn des Aglaos, war der
vielseitigste und bedeutendste unter den Gelehrten Alexandriens, der dem
Namen Philologos, den er zuerst sich beilegte,*) alle Ehre machte. Ge-
boren in Kyrene um 275 v. Chr. erhielt er seine erste Ausbildung in der
Grammatik durch Lysanias ^) und Eallimachos ; später wandte er sich nach
Athen, wo der Stoiker Ariston aus Chios und der Akademiker Arkesilaos
Einfluss auf seine philosophische Lebensanschauung gewannen.^) Lang
indes scheint dort sein Aufenthalt nicht gewesen zu sein, indem ihn bald
Ptolemaios III Euergetes nach Alexandrien berief, wo er Nachfolger des
Eallimachos in der Yorstandschaft der Bibliothek wurde und von den
Königen des Landes freigebig unterstützt seinen grossen geographischen
und mathematischen Untersuchungen obliegen konnte. 7) In hohem Alter
drohte ihm völlige Erblindung, weshalb er 82 Jahre alt 8) durch Enthal-
tung von Nahrung seinem Leben ein Ende setzte. — Nach vielen Rich-
tungen wissenschaftlich thätig und zugleich in Prosa und in Versen
schreibend, erhielt er unter Anspielung auf eine Stelle im ps. platonischen
Dialog Erastai p. 135 e den Beinamen BiJTa^) oder Uivrad^log: in den
einzelnen Gebieten nämlich müsse er sich mit der zweiten Stelle begnügen,
in der Poesie gegenüber Eallimachos, in der Philosophie gegenüber Arke-
silaos, in der Mathematik gegenüber Hipparch, in allem zusammen aber
werde er von keinem überflügelt. Wahrhaft bahnbrechend waren seine
wissenschaftlichen Erfolge auf dem Felde der Geographie.!^) Hier legte er
durch trigonometrische Messungen den Grund zur Anlage eines Erdnetzes
und verwertete die Entdeckungsberichte des Hanno, Philon, Pytheas, Ne-
arch, um eine richtige Vorstellung von dem Umfang und der Gestalt der
') DüNTZBB, De Zenodoti studiis Home-
riciSi Gotting. 1848; Römsr, lieber die Ho-
merrecension des Zenodot, in Abh. d. b. Ak.
1885. Zenodots Tageberechnnng der llias
ist herausgegeben von Laohmann im Anhang
der Betrachtungen Aber Homers llias; Zrjyo-
doTov dwfpoQti (fiüvrjsy wahrscheinlich aus
dem Glossenwerk stanmiend, von Studbmund,
Anecd. gr. p. 108 u. 287 ff.
*) Nach Suidas unt. IltoXsfjiaTog 6 ini^iirji
war letzterer Schaler des Hellanikos, dieser
des Agathokles und dieser des Zenodot.
') Nach Suidas war er geboren Ol. 126
(276/2 V. Chr ) und starb 80 (82 nach Luc.
Macrob. 27) Jahre alt.
*) SuBTON, De gramm. iU. 10: philologi
appelltUionem assumpsisse videtur Ateius,
quia sictU Eratosthenes, qui primtis hoc
cognamen sibi vindicavit, muUiplici varuiqne
doctrina censebatur.
^) Ueber die Thfttigkeit dieses Gramma-
tikers handelt Akt. Bauhstabk Philol. 53,
708 ff.
•) Strab. p. 15: fxiaos ^y ror rs fiov-
Xofxivov (piXoaoffBiv xai xov urj &aQQOvyroi
iyXBiqi^Biv iavroy eig xtjy vnoax^^^*'' W.
p. 838. Lucian, Macrob. 27: 'EQatoa&eptjs 6
AyXaov Kvgrjyatosy 6V ov fAovov yQafifJLaxtxov
akXd xai Ttoifjxfjy ay x^g oyofAaaeif xai (piXo-
aotpov xai ysuifiSXQijy.
^) Aus dem mathematischen Epigramm
V. 13 schliesst Wilamowitz Nachr. d. Gott.
Ges. 1894, I 17, dass er auch Lehrer des
Prinzen Ptolemaios Philopater war.
^) 80 nach Suidas, 81 nach Censorinus
15, 82 nach Lukian, Macrob. 27.
•) Ps. Longin de suhl. 34. In ähnlicher
Spielerei nannten die Granunatiken den Ari-
starcheer Satyros Z^xa und den Aesop Ö^ra,
s. Photios Bibl. p. 151b, 21.
10) Bebobr, Gesch. d. wiss. Erdkunde der
Griechen III 57 ff.
38*
596
Griechische Ljtteratargeschiohte. ü. Nachklassisohe litieratar.
Erde zu gewinnen. Sein Hauptwerk waren die FeayyQaipixd in 3 B., über
deren Anlage uns zumeist die Polemik des Strabon unterrichtet. Im
1. Buch gab er einen kritischen Überblick über die Geschichte der Geo-
graphie von ihren ersten Anfängen bei Homer bis auf die Geschichts-
schreiber Alexanders. Im zweiten Buch entwickelte er seine eigenen An-
schauungen von der Kugelgestalt der Erde und suchte durch Messung des
Meridianbogens von Alexandria bis Syene die Grösse derselben (250,000
Stadien) zu bestimmen. Im dritten behandelte er die örtliche und ethno-
graphische Erdbeschreibung auf Grund einer von ihm entworfenen Karte,
auf der er die bewohnte Erde durch einen von Gades nach Mittelasien ge-
zogenen Breitegrad in eine nördliche und südliche Hälfte schied und inner-
halb jeder derselben mehrere Segmente (ayayWag) annahm. — Nebst der
Geographie war es die Chronologie, in der er mit ausgedehnter Gelehr-
samkeit bahnbrechende Untersuchungen anstellte. Er war der Schopfer
dieser Wissenschaft, die später Apollodor in eine anziehende metrische
Form brachte. Von ihm rührt die durch Clemens Alex, ström. I p. 145 uns
erhaltene Tafel von den Epochen der Geschichte her;^) in weiser Be-
schränkung begann er die erste derselben mit der Eroberung Troias, in-
dem er die ältere mythische Zeit ganz ausschloss. Ein besonderes Buch
widmete er dem Verzeichnis der olympischen Siege, die schon damals das
Gerippe der griechischen Chronologie bildeten. Ob auch die durch Euse-
bios uns erhaltenen ägyptischen Königslisten auf ein Werk des Erato-
sthenes zurückgehen, ist zweifelhaft.*) — In das Gebiet der Granunatik
gehörte das grosse Werk ne^i d^x^^fag xw^ytfiag in mindestens 12 B., in
dem über Didaskalien, historische Anspielungen, Masken, schwierige Stellen
der Komiker mit ausgedehnter Gelehrsamkeit gehandelt war, und von dem
wahrscheinlich das 2x€vo<fOQix6r, das Pollux im Eingang des 10. Buches
seines Onomastiken erwähnt, einen Teil bildete. — Auch mit rein mathe-
matischen Problemen beschäftigte sich Eratosthenes, wie mit der Verdop-
pelung'des Würfels in einer Schrift llXaToovixog und in einem eleganten,
auf eine Stele gesetzten Weihepigramm, das uns zusammen mit einem
wahrscheinlich gefälschten Brief an den König E^olemaios erhalten ist.^)
Philosophische Fragen behandelte er in einem Kommentar zu Piatons Ti-
maios und in populären Dialogen.
Lebend in einer Zeit, in der die Gelehrsamkeit sich noch nicht mit
Trockenheit der Gedanken und Kunstlosigkeit der Form identifizierte,
pflegte Eratosthenes auch den Garten der Poesie. StofiF bot ihm dazu die
Astronomie und der bestirnte Himmel, der sich damals mit wundervollen
Gebilden der poetischen Phantasie belebte. Sein hauptsächlichstes astro-
^) Danach rechnete Eratosthenes von
der Einnahme Troias bis Rückkehr der He-
rakliden 80 J., von da bis zur Kolonisation
Joniens 60 J., des weiteren bis zur Vormund-
schaft des Lykurg 159 J., bis zur Olympiaden-
grOndung 108 J., bis zum Zug des Xerxes
297 J., bis zum peloponnesischen Krieg 48
J.y bis zur Besieguug der Athener 27 J.,
bis Leuktra 34 J., bis zum Tod Philipps
35 J., bis zum Tod Alexanders 12 J.
*) Friok Rh. M. 29 (1874) 252 ff.; Niisi,
Die Chi'onographie des Eratosthenes, Henn.
23, 92—102, Wachsmuth, Einl. 128.
') Brief und Epigramm erhalten durch
den Kommentar des Eutokios zu Arehimedes
III 102 «. ed. Heib. und teilweise durch Pap-
pos III 56 ed. Hultsch. Das Epigramm er-
läutert und weist als echt nach Wilaxowttz,
Ein Weihgeschenk des Eratosthenes, Nachr.
d. Gott. Ges. 1894, N. 1.
A. Alexaadrinischefl Zeitalter. 8. Die Prosa, c) Gelehrte Litteratnr. (§ 429.) 597
nomisches Lehrgedicht war der ^EQfirjg, von dem sich ein längeres Frag-
ment, welches die Einteilung der Erde in 5 Zonen enthält, gerettet hat.
Mit den Sternhildem hing das Gedicht 'HQiyovrj zusammen, ein noirnxaxiov
6ia rtdvTtov dfioifAtjTov, wie es Ps. Longin c. 33 nennt, in welchem die
rührende Sage von dem Tode des Ikarios und der Treue seines Hundes
erzählt war. Vermutlich hatte auch die 'AvtsQivvg, in welcher die Sage
vom Tode Hesiods vorkam, zu den Sternen und Verwandlungen Bezug. —
Mit diesen poetischen Schöpfungen berühren sich im Inhalt die uns noch
erhaltenen KaraateQiafiot,^) in denen die einzelnen Sternbilder in Verbin-
dung mit den Fabeln der Dichter in prosaischer Rede aufgezählt sind.
Dieselben bildeten im Altertum schon eine Hauptquelle der späteren Fabel-
schriftsteller, insbesondere des Hygin,*) wahrscheinlich auch des Ovid in
den Fasten, sind aber nur in der Form eines Auszugs auf uns gekommen,
in dem obendrein dem Arat zulieb die ursprüngliche Ordnung geändert
ist.^) Vom eigentlichen Eratosthenes scheint hier nicht viel mehr erhalten
zu sein als vom Apollodor in der dessen Namen tragenden mythologischen
BibUothek.
Eratosthenes war so eine der ersten Grössen der alexandrinischen
Zeit, ein Mann von Scharfsinn, Geschmack und ausgebreitetster Gelehr-
samkeit. Er verdiente den Namen Philologos, den er sich im Gegensatz
zu den Grammatikern mit ihrem beschränkten Gesichtskreis beilegte. Wir
bezeichnen ihn nach unserer Sprechweise als den ersten grossen Polyhistor.
Wenn man aber sonst leicht von den Polyhistoren den Ausspruch des
Heraklit TioXvfia^irj voov ov Mdaxei anzuwenden veranlasst wird, so
muss man umgekehrt von Eratosthenes bekennen, dass er sich bei aller
Gelehrsamkeit durch Feinheit des Urteils und poetisches Verständnis aus-
zeichnete. Er zeigte dieses unter anderem in der Homererklärung, bei der
er gegenüber den prosaischen Naturen, welche in den Schilderungen der
Schlachten und in den Irrfahrten des Odysseus peinlich genaue Bericht-
erstattung über wirkliche Ereignisse und Ortsverhältnisse finden wollten,
an dem goldenen Satze festhielt oti noirjrrjg nag atoxa^exai xpvxaywyiag^
ov MaCxaliagA^
Bbruhardt, Eratosthenica Berol. 1822; R. Stiehlb, Zu den Fragmenten des Erato-
sthenes, Philol. Snppl. II (1863) 453 — 492. — Die geographischen Fragmente des Eratosthenes
von Huoo Bbbgeb, Leipz. 1880. — Eratosthenis carminum rell. dispos. Hiller, Lips. 1872.
M KaräXoyoi heissen dieselben bei Schol.
zn Hom. X 29 : Urto^t ^Egazwf&eytjg iv toig
iavxov xataXoyoig. In den Handschriften
gebt das Bnch titellos oder mit der Auf-
■chrift 'AcjQo^tat^üyy wie Maass, Eratosth.
init nachweist. Der Titel KaxaarsQiafjLoi, d. i.
Versetzong unter die Steine, ist ans dem
Artikel des Smdas Aber Eratosthenes ge-
nommen.
') Die Meinung Bemhardys, dass unsere
KnaareQtafÄoi nur eine Üebersetzung der Fa-
beb des Hygin seien, ist widerlegt von
Bdbsiav in Jahrb. f. PhU. 1866 S. 765.
') Dieses ist nachgewiesen von Robert
n den Pkt^leg. seiner Ausgabe der Kataare-
^fiol p. 33 f. Die Echtheit bezweifelt
Maass, Analecta Eratosthenica (Phil. ünt. VI,
Berl. 1883); dagegen Böhme Bh. M. 42,
286 ff.; Olivibri, I catasterismi di Erato-
sthene, in Stud. ital. di Filol. class. V (1896)
1 — 25; Rbhk, Myth ünt. zu griech. Stem-
sagen, Progr. München W. G. 1896. Das
zugrundliegende Buch des Eratosthenes, von
dem Maass, Aratea Ph. ü. XII 377 eine alte
lateinische Inhalteangabe veröffentlicht hat,
war betitelt nsQi dtaxoa/ÄOv datigtov xai
itvjnoXoylag ttüv q)ai,vofjiiv(ov, was in bar-
barisches Latein übersetzt lautet de circa'
exornatione stellarum et etymologia (pro^
prietate sermonum) de quibus videntur.
*) Strabon p. 7.
598
Griechisohe Litteraturgaschiohte. IL HaohklaMisohe Litieratiir.
— Maasb, Eratosthenica in Phil. Unt. VI, worin insbesondere die Fragmente der Erigona
behandelt sind. — Eratosthenis catasterismonim reliquiae reo. C. Robert, BeroL 1878;
Pseudo-Eratosthenis catasterismi reo. Olivieri, in Mythogr. graec. lU 1, 1897 in Bibl. Tenbn.,
mit kritischem Apparat.
480. AntigonoB von Karystos^) in Euböa, davon öfters schlechtweg
6 Kaqvciio^ genannt, hatte seine Bildung in Eretria bei dem Philosophen
Menedemos erhalten und war dann in die Kreise der Philosophen und
Künstler Athens eingetreten. Von König Attalos I nach Pergamon be-
rufen, ward er einer der hervorragendsten Vertreter der älteren perga-
menischen Schule. Seine Lebenszeit reicht über 226, oder über das Todes-
jahr des Philosophen Lykon, dessen Leben er schrieb, herab. Die Bioi
g>ikoa6(p(ov waren sein Hauptwerk, dessen einzelne Abschnitte unter be-
sonderen Titeln, wie sv %^ Zt^vtovog ßi(fi^ iv ttp MevsSijfiov ßi(^^ iv t^ ntQi
UvQQcovog etc. citiert werden. Ein Hauptvorzug dieser Biographien vor
ähnlichen litterarhistorischen Büchern bestand darin, dass sie aus dem
vollen Leben geschöpft waren, indem ihr Verfasser die Philosophen, deren
Leben er schrieb, aus persönlichem Umgang kannte, nicht auf Fabeln und
blosses Hörensagen angewiesen war. Mit den Philosophenbiographien
hängen die 7<rro^ixa vnofAvijfiaTa zusammen, in denen unter anderm nach
Athen. 610 e von der Philosophenvertreibung durch König Lysimachos er-
zählt war. Ob unser Antigenes auch ein Buch über Kunst, spezieU über
Toreutik und Maler >) geschrieben hat, gegen das Polemon polemisierte,
oder mit anderen Worten, ob der Philosophenbiograph Antigenes und der
Künstler Antigonos eine und dieselbe Person sei, wird bezweifelt.') — Auf
uns gekommen ist unter Antigonos Namen eine flüchtig und planlos ge-
arbeitete Sammlung von Wundergeschichten (ictoq^wv TtagaSo^wv crvvaywyiy),
die in 191 Paragraphen wunderbare Erscheinungen meist aus dem Natur-
reich in Verbindung mit mythologischen Erzählungen enthält. Die Samm-
lung in einfacher, aber korrekter Sprache stützt sich auf eine umfassende
Lektüre, so dass neben Herodot und Homer, der hier schon o noirjvtjg
schlechthin heisst,^) Ktesias, Aristoteles, Eudoxos, Timaios u. a. berück-
sichtigt sind. Der grössere Teil aber ist nur eine Auslese {ixko/^) aus
der Tiergeschichte des Aristoteles und der Wundersammlung des KaUi-
machos. Den Schreiber dieser Materialiensammlung hält Nebert, Studien
zu Antigonos, Jahrb. f. cl. Phil. 1896 S. 780, für eine Person mit dem
Kunstschriftsteller und dem Verfasser einer italischen Geschichte und einer
Periegese Makedoniens, von welch letzteren Schriften dürftige Beste auf
uns gekommen sind. Sind die beiden Antigonoi wirklich verschieden, so
lebten sie doch in der gleichen Zeit und hatten in gleicher Weise Be-
ziehungen zu dem Hofe von Pergamon.
') EöPKB, De Antigono Caiystio, Ber.
1862; WiLAMowiTZ, Antigonos von Eaiystos,
Phü. Unt. IV, Berl. 1881; Nbbbrt, Stadien
zu Antigonos von Eaiystos, Jahrb. f. kl. Phil.
1895 8. 363 ff. u. 1896 S. 773 ff.
') Plinias im Index anctorom 1. XXXIV
und XXXV 68; Diog. VU 187.
') WiLAXowiTZ geht von der Identität
beider aus; Bedenken erhebt Ubliohs, Ueber
griech. Kunstschriftsteller, WOrzb. 1887 S. 34,
und LoBWT, Inschriften griechisdier Bfld-
hauer 120 und ebenso Nebert a. O. Ana-
drttcklich hat der Bildhauer AntigoDoa
den Beinamen Earystios bei dem ParOmio-
graphen Zenobioe V 82. Auch eine Schrift
negi Xi^eutg von einem Antigonos Knyatioa
wird bei Athen. 88 a u. 297 a enrihnt, wo-
rüber WlLAXOWlTZ 8. 174.
^) So auch schon bei Aiistoi. poei. 22
p. 1458^ 7.
A.Alexandrmi0oh60 Zeitalter. 8. Die Prosa, o) Gelehrte Idtteratnr. (§§ 430-.432.) 599
Ausgabe der nagado^my avyaytoyij von 0. Keller, Reram naturallum Bcriptores
graeci minores I 1 in Bibl. Teubn. — Fragmente der Historien bei Müller FHG IV 305 f.
— Fragmente des Periegeten und Kxmstschriffcstellers bei Nbbekt, Stadien zu Antigen os
von Kaiystos, Jahrb. f. kl. Phü. 1896 S. 774 ff.
431. Istros aus Eyrene (um 200), nach andern aus Makedonien oder
Paphos, war Sklave von Geburt, wurde dann Schüler des Kallimachos und
schrieb wie sein Herr und Meister in Prosa und Vers. Seine litterarische
Betriebsamkeit war hauptsächlich der historischen Philologie zugewandt,
80 dass ihn Plutarch, Alex. 46, geradezu einen Historiker nennt. Sein
Hauptwerk waren die Attika, wovon Athen, p. 557a ein 14. Buch anführt;
wenn Harpokration unter insvsyxsXv und x^soiviov dasselbe unter dem Titel
irwaywyr} t£v 'At&{3wv citiert, so lässt sich daraus entnehmen, dass in
demselben die früheren Werke ähnlichen Inhaltes ^) benutzt und zusammen-
gefasst waren. Ausserdem schrieb er '^VnofivrjfiaTa oder "Araxray 'Hkiaxd,
'AQ/oXixä, ^AncXXosvog in^fpavs^Uj Atyvnuaiv ditoixfa^^ negl IlToXefiatSog, nsgl
aywvwv, nsQl %wv Kqrjctxäv &vai£v. Litter arhistorischen Inhalts waren
seine McXonoiOij wenn diese nicht seinem Namensgenossen aus Kallatis
angehören. Oegen den Historiker Timaios, dem er den Spitznamen Epi-
timaios gab, polemisierte er in einer eigenen Schrift. >) Die Fragmente
sind gesammelt bei Müller FHG I 418—427, speziell besprochen von Well-
mann, De Istro Gallimachio, Greifsw. 1886. — Von dem Kallimacheer Istros
verschieden ist Istros von Kallatis, den Stephanos unter KdXXaxiq als Ver-
fasser eines Buches über Tragödie anführt und der vermutlich einer spä-
teren Zeit angehört; auf besagtes Buch sind die Notizen im Leben des
Sophokles zurückzuführen.
433. Hermippos aus Smyrna (um 200) '), Kallimacheer genannt im
Gegensatz zu dem unter Hadrian lebenden Hermippos Berytios, schrieb im An-
schluss an die Pinakes seines Lehrers Biographien berühmter Männer {Bh^
iwv iv naiSsiijt SiaXafAipdvraov), Die einzelnen Abschnitte jenes Werkes werden
unter besonderen Titeln angeführt, wie ttsq! twv imd aotpwv, TreQi vofio-
bb%m' (wovon bei Athen. 619 b ein 6. Buch citiert ist), nsQi UQwraycqov^
j^fgi *l7m(6vaxTog, negl FoQyiov, negl 'IrfoxQdrovg, nsQl rwv ^ItfoxQarovg fia^
xhr^tmv (in mindestens 3 B.), negi ^AQKfzoräXovg^ negi ©«oy^aoror,*) ttsqI
XQvafnnov, Ein Titel hat sich im Verzeichnis der akademischen Philo-
sophen der herkulanischen Rollen erhalten: nsqi tcöv dno (fiXoaoifCag elg
TvggavviSag xal dvvaateiag .fie&ecTr^xoTwv. Die biographischen Arbeiten
des Hermippos, welche ähnlich wie die des Istros die Überlieferungen der
Früheren vereinigten und abschlössen, wurden viel von den Späteren be-
nutzt. Ob der Hermippos, welcher nach dem Biographen des Arat Phai-
nomena schrieb und in Trimetern auch von Asklepios und seinen Kindern
kandelte (Schol. Arist. Plut. 701), mit dem Kallimacheer Hermippos oder
überhaupt mit einem der zwei bekannten Hermippoi identisch sei, ist
zweifelhaft. Fragmente bei Müller FHG HI 35-54.
') Vgl. oben § 390.
>) Ath. 272 b largos iy rats ngof "Eth-
tifutt^y dvtkyifafpaCi,
*) Da Chiygipp 208/5 starb, so schliesst
num daraus, dass üennippos noch dieses Jahr
aberlebte.
^) üeber das von Hennippos ausgehende
Verzeichnis der Werke des Aristoteles und
Theophrast s. § 318.
600
Grieohisobe Litteratnrgesohichte. 11. HachUaBsische Litteratiir.
483. Satyros, der Peripatetiker, verschieden von dem Aristarcheer
SdtvQog 6 f^ra, blühte um 200, sicher vor Ptolemaios Philometor, unter
dem Herakleides 6 Xspißoq sein Werk in einen Auszug brachte.^) Seine
Biographien berühmter Männer {Bioi evdo^tov dvdgwv) bewegten sich ganz
im Fahrwasser der peripatetischen Schule, mit welcher er auch die kritik-
lose Aufnahme von Anekdoten teilte. Die meisten derselben galten be-
rühmten Philosophen und Dichtern; doch schrieb er auch ein Leben Phi-
lipps. Von dem Ansehen und Umfang des biographischen Werkes, von
welchem Diogenes VI 80 ein 4. Buch citiert, zeugt der Umstand, dass
der Grammatiker Herakleides von ihm eine Epitome veranstaltete. Der
Titel seines zweiten Werkes negt xaQaimfjQiov verrät den Nachahmer des
Theophrast. Fragmente bei Müller FHG m 159—166.
484. Polemon war in einem Dorfe der Landschaft Dion geboren,
wovon er bei Suidas den Zunamen o ^Ihsvg hat. Im Verfolge seiner topo-
graphischen und kunstgeschichtlichen Studien durchwanderte er ganz Hellas,
Vorderasien, Sikilien und Italien, indem er sich in den Hauporten Griechen-
lands zum eingehenden Studium förmlich niederliess. Infolge dessen erhielt
er von Delphi die Proxenie (177/6 v. Chr.)*) und wurde von Athen und
anderen Städten ') mit Verleihung des Bürgerrechtes ausgezeichnet, so dass
scherzend Athenaios 234 d von ihm sagt: ei^e Idfiiog^ uxe 2ixtmviog, «iV
U&TjvaTog 6vofia^6/uL€vog x^'Q^^- Nach Alexandria ward er durch Ptolemaios
Epiphanes gezogen.*) Seinen Hauptruhm erwarb er sich als Perieget, wo-
von er auch den Beinamen TtsQirjyrjnjg oder (STr^Xoxonag erhielt. Voran-
gegangen war ihm in diesem Zweige der Forschung Diodor von Athen,^)
aber erst er erhob die Periegese zu ihrer grossen Bedeutung, indem er
auf das sorgfältigste an Ort und Stelle die Kunstwerke und sonstigen
Merkwürdigkeiten untersuchte und die Weihinschriften und Grabepigramme
zur Aufhellung der Kunst- und Kulturverhältnisse heranzog.«) Von seinen
Schriften nennt Suidas in einem verworrenen Artikel nur wenige: TTf^i/-
yrjaiq ^Ikiov, td ngog, 'AdaXov xal 'Avuyovov^ xrfaeig täv iv (DaxiSi ttoIswv^
xTiaeig rwv iv n6vt((i noXsfov^ negl twv iv Aaxedaifiovi dva&rjfidtfov. Wie
es damals Brauch war, legte er seine Studien in Spezialschriften nieder;
aber die von Suidas angeführten waren nicht die bedeutendsten; bedeu-
tender waren die Schriften nsQl Tijg 'A&tjvtjtnv dxQonoXstüg in 4 B.,') tt«^
TTfi tsQag odov (von Athen nach Eleusis), neQi rdv iv 2ixtmvi rt^&vmav,
ncgi rwv iv JeXifoXg d'rjCavqwv^ Tteqi ^afiod-Qfjtxijg^ negi rwv iv KaQx^don
^) Darflber Diog. VIII 40. IX 26. Dass
er vor letros lebte, darf man wohl daraus
Bchliessen, dass er in dem Leben Pindars A
vor IstroB, vermntlich als dessen Gewährs-
mann, genannt wird.
*) Weschbb-Foucabt, fnscr. de Delphes,
n. 18 V. 260 lIoUfAiav MiXrjaiov 'Ihfvg.
') Tm Artikel des Suidas ist zwischen
'j^ytjai TroXixoygatpfjS-eig und Ao xal 'EXXa-
ifixog inByQfitpero durch Homoioteleutie aus-
gefallen xal iv aXXaig noXXatg T^g 'EXXadog
noXe^n,
*) Athen. 552 b. Suidas setzt den Po-
lemon unter Ptolemaios Epiphanes und gleich-
zeitig mit dem Grammatiker Ariatophanes
von Byzanz.
*) Derselbe schrieb vor 308, s. Prbller,
Polemon, S. 170 ff. Fragmente bei Müllbb
FHG n 358 ff.
®) Muster ist der Artikel TtoQamog bei
Ath. 234d.
^) Strab. p. 396: UoXifA^v 6 n^fiyfjti^
xittaga ßißXla <fvvByQa%pB nsQt rwr ava-
&tjfitiT<oy ttav iv ttxQonoXei-. Die Schrift ent-
hielt mehr als der Titel besagte, indem sie
auch andere Punkte der Stadtpeiiegese be-
handelte, worflber Ealkmaith, Pansaiiias
S. 59 ff.
A.Alexftiidrini8obes Zeitalter. S.DieProBa. o) Gelehrte Litteratnr. (§§433—434.) 601
ninho%*^ neQi rSv xarcc noXeig iinYQafifidxMv. Ausserdem kannte das Alter-
tum von Polemon ein Buch über Wunderdinge, Briefe, darunter einen an
König Attalos, und eine Reihe von Streitschriften (avziyQafpm)^ insbeson-
dere gegen Timaios, Neanthes, Anaxandrides, und in kunstgeschichtlichen
Fragen gegen Adaios und Antigenes; dem Eratosthenes wies er solche
Fehler in der Beschreibung Athens nach, dass es scheine, er habe Athen
gar nicht gesehen. i) Bestritten war die Echtheit des ^EXXadixoc sc. Xoyoc^^)
der vielleicht nur deshalb dem Polemon zugeschrieben ward, weil er aus
dessen Werken zusammengestellt war ; wie sich aber diese Schrift zu der
von Suidas erwähnten xotr/iixt] TieQirjyr^tng tjtoi yewyQaipta und zu den von
andern *) angeführten ^ElXrjvixal hrogfai verhielt, ist unklar.
Hauptwerk von Pbelleb, Polemonis periegetae fragm., Lips. 1838; die Fragmente
auch bei Müixeb FGH III 108—148; vgl. Bencker, Der Anteil der Feriegese an der Ennst-
schriftotellerei der Alten, Dias. München 1890.
Von Gelehrten ähnlicher Richtung habe ich schon gelegentlich Dio-
dor, Duris, Adaios, Antigenes genannt ; ich füge hier noch an die Quellen-
schriftsteller des älteren Plinius in den Abschnitten seines Werkes über
Kunst, nämlich ausser Antigenes und Duris Xenokrates aus Sikyon
(um 260), der, selber Künstler aus der Schule des Lysipp, über Bronze-
statuen und Malerei schrieb,*) Heliodor aus Athen, von dem Bücher
über die Akropolis und Dreifüsse (Weihgeschenke) Athens angeführt wer-
den, Pasiteles aus Neapel, der in der Zeit des Pompeius die alte Kunst
durch eigene Schöpfungen wieder zu Ansehen brachte und als Kunstschrift-
steller über berühmte Werke des ganzen Erdkreises schrieb. 0) Ausserdem
verdienen hervorgehoben zu werden Kallixenos aus Rhodos, der zur Zeit
des Ptolemaios Philadelphos ein Buch über Alexandria schrieb und dessen
Verzeichnis berühmter Maler und Bildhauer der Sophist Sopater in
seine Chrestomathie (Phot. cod. 161) aufiiahm; Anaxandrides, älterer
Zeitgenosse des Polemon, der über das Orakel von Delphi und die ge-
raubten Weihgeschenke des Orakels schrieb;^) Mnaseas aus Patara,
Schüler des Eratosthenes, der eine Sammlung delphischer Orakelsprtiche
veranstaltete; Hegesander von Delphi aus der Zeit des Königs Perseus,
in dessen Memoiren die Bildsäulen und sonstigen Kunstwerke seiner Vater-
stadt eine hervorragende Stelle einnahmen;^) Semos von Dolos, aus dessen
Schriften über Päane und die Geburtsstätte der Latoiden uns Athenaios
interessante Mitteilungen macht; Sokrates aus Argos, dessen mythen-
reiche Feriegese der Landschaft Argos in den Scholien zu Pindar und
Eoripides und von Plutarch de mul. virt. 4 herangezogen ist. Fragmente
bei Müfler FHG HI 55-66; 106—7; 149—158; IV 412—422; 492-9.
M SkrAh. p. 15.
>) Daher Atii. 479 n. 606: BoXifiav tj 6
'oti^ac Toy IniyQatpüfjievov 'WiXaSixov.
*) Sehol. Aristid. III 321 ed. Dind. and
loliofi Afric. bei Ensebins praep. ev. X 10» 15.
Vielleicht ist eine Erwähnung dieses Sammel-
baefaes alter Mythen auch zn suchen in
Sehol. IL r 242 »7 Urroglec nagd toTg IloXe-
(uavion fj roh xvxXixoig.
*) Pliniufl n. h. XXXIV 83. XXXV 68.
*) Plinius n. h. XXXVI 40. Ueber die
griechischen Quellen der kunstgeschichtlichen
Notizen des Plinius überhaupt F. Münzer,
Zur Kunstgeschichte des Plinius, Herrn. XYX
(1895) und Miss E. Srllbbs, The older Pli-
ny's chapters on the history of art, London
1896.
«) Weniger, De Anaxandiida Polemone
Hegesandro, Berl. 1865.
602
Grieohisohe Litteraturgesohlohte. ü. HaohklMwisobe Littoratnr.
485. Äristophanes (um 262—185) war als Sohn des Söldnerf&Iirers
Apelles in Byzanz am Hellespont geboren (daher Byzantius genannt), kam
aber schon in frühen Jahren, unter Ptolemaios Philadelphos, nach Ale-
xandria, ^) wo er Schüler des Zenodot und Kallimachos wurde.') Von den
Königen Ägyptens hochgeehrt, bekleidete er als Nachfolger des Erato-
sthenes oder Apollonios Rhodios und als Vorgänger des Aristarch das an-
gesehene Amt eines Bibliothekars. 3) Von einem Versuch, zum König £u-
menes II von Pergamon überzugehen, ward er mit Gewalt zurückgehalten.
Hochbejahrt starb er 77 Jahre alt am Harnzwang um 185. — Äristo-
phanes hiess Grammatiker und war dieses im eigentlichen, zugleich aber
auch im eminenten Sinne. Seine Studien galten fast ausschliesslich der
Sprache, Litteratur und Texteskritik; selbst sein scheinbar historisches
Buch über die Hetären,^) sowie seine Schriften über die Masken und
Sprichwörter hingen mit seinen Studien über die attische Komödie zu-
sammen. Für die Litteraturgeschichte bedeutsam waren seine Ergänzungen
und Berichtigungen der Pinakes des Kallimachos,^) womit zugleich die
Ordnung der Werke einzelner Schriftsteller, wie des Philosophen Piaton,*)
und die Auswahl der mustergültigen Autoren in den einzelnen Zweigen
der Litteratur, der sogenannte Kanon der Alexandriner in Zusammenhang
stand. 0 Zur Textesbearbeitung {dioQ&toaig) und Herausgabe (ixSocig)
wählte er, der Richtung seiner Zeit und der eigenen poetischen Neigung
folgend, nicht die Redner und Historiker, sondern die Dichter. Unserem
Imm. Bekker vergleichbar, hat er eine Unmasse von Ausgaben besorgt,
geschätzt waren insbesondere seine Textesrecensionen des Homer, Hesiod
und der Lyriker. Eingehend beschäftigte er sich auch mit der attischen
Komödie, auf die ihn sein Freund, der Dichter Machon, hingewiesen haben
wird. Zu den Dramen der Tragiker lieferte er Einleitungen (vnod^tcfig),
in denen er über die Fabel, die Aufführung, den ästhetischen Wert der
einzelnen Stücke handelte. Von diesen sowohl als von den Worterkläningen,
namentlich zu Euripides, sind uns noch Reste in unseren Scholien erhalten.
Auch von den Lyrikern, speziell von Alkaios, Anakreon, Pindar besorgte
er kritische Ausgaben unter besonderer Berücksichtigung der Vers- und
Strophenabteilung. ^) Von seinen lexikalischen Sammlungen werden die
^) Soidas: yiyovB dh xard ti^y q(A&' (fXQä
y. 1.) oXvfJLniada ßaciXsvovxog IlToXcfÄalov tov
^iXtt&eXtpov xai rov f^ex* avxov xov ^iXond-
xoQog (diezeive de f^^XQ^ JlxoXe/Aaiov xov
^iXondxoQog xai xov ftex* avtov ßnaiXevattvxog
corr. Benihardy). Ueber den verworrenen
Artikel s. Ritschl, Alex. Bibl., p. 79 =
Opasc. I 64, nnd dagegen Robde Rh. M. 33,
168.
') Snidas: fAa&rjxrjg KaXXifidxov xai Ztj-
yoifoxov, dXXa xov fjikp ysogy xov <W TiaTg
^xovae. Ausserdem gibt Snidas den Dio-
nysioB lambos, der Tiegi diaXexxtoy ge-
schrieben hatte, und den Euphronidas aus
Eorinih oder Sikyon als seine Lehrer an.
Athen. 241 f. u. 664 a nennt auch den Ko-
miker Machon seinen Lehrer.
') Die Antrittszeit des Amtes scheint
von Snidas mit yiyovB dk xaxd rtjr Qf*^
6X. bezeichnet zu sein, danach wurde er nm
204/200 Bibliothekar; er war bei dem An-
tritt des Amtes nach Suidas 62 Jahre alt.
^) Das Buch ist oft citiert von AtheaaioA.
>) Ath. 408 f. ftthrt an x6 nj^s roeV
KaXhfidxov niyaxas und p. 336 e dray^a^
d^fiaxioy.
«) Siehe § 303. Auch mit der Natur^
geschichte des Aristoteles hatte er sick be-
schäftigt.
n Siehe § 339 und vgl. das Epigramm
des AeUan GIG 1085, 11 f.
^) Dionys. de comp. 22: xmXa di fu
di^ai vvvi Xeye^y oo/ o[c 'JQtcxo^rtj^ tj Ttir
dXXtiy Tc; fiexQixtiy diexoofsij^e rds f»daV,
ahnlich c. 26.
A.AlexaiidriiiiJiolie8 Zeitalter. 8. Die Prosa, o) Gelehrte Litteratar. (§§485—436.) 603
Utfixal l€^$tg, Aaxoavinal yX&aaai und die Spezialschriften nsQi ovofiatfiag
j^hxuivy negl avyysviKwv ovofiärwv, nsgl nQoa(pwvij(fea)v, neql rwv vnoTttsvo-
fiivm fiij elQfja&ai voTg nakaioTg namhaft gemacht. Einen unbedeutenden
Best der Is^eig hat in unserer Zeit Miller, M^langes 427 — 34 aus einer
Handschrift des Berges Athos ans Licht gezogen, i) Auch die Schrift über
die Tiere, von der uns noch Excerpte erhalten sind, hing mit sprachlich-
etymologischen Untersuchungen zusammen. — Auf unseren Grammatiker
geht auch die Einführung kritischer und prosodischer Zeichen zurück.^)
Die ersten sollten in einer Zeit, wo man mit dem Schreibmaterial sparen
masste, dazu dienen, um in Kürze am Rande Andeutungen über Unecht-
heit, Eigentümlichkeiten in Sprache und Mythus, Anfang und Schluss der
Perioden oder Strophen zu geben. Die prosodischen Zeichen für Accent,
Spiritus, Quantität sind von Aristophanes nicht neu erfunden, auch nicht
mit der gleichen Eonsequenz wie in unseren Drucken durchgeführt, aber
doch häufiger als vordem zur Unterscheidung ähnlich aussehender Wörter,
wie avr^Q und din^Q, angewendet worden.*) Die grossartige Gelehrsamkeit
anseres Kritikers hat den Sammelwerken der Späteren und den Scholien
der Dichter ihr reichstes Material geliefert; aus ihnen müssen wir heut-
zutage die spärlichen Reste der fruchtbaren Thätigkeit des vielseitigen
Gelehrten zusammenlesen.
Naüok, AiJstophanis Byzantii grammatici Alexandrini fragmenta, Halis 1848; dazu
WiuxowiTZ, Enr. Herakl. 1 137 — 58; Goun in Pauly-WiBsowa. — Tbesdelenburo, Gram-
maticomm graec. de arte tragica iudiciomm rellqniae, Bonn 1867. — H. Schradeb, De nota-
tione critica a veteribna grammaticis in poetis scaenicis adhibita, Bonn 1863. — Zur Schrift
ffc^t l^tpufv Lambbos Supplem. Aristotella I und Robb Anecd. graec. II 8—40, Berlin 1870.
Der bedeutendste Nachfolger des Aristophanes war Aristarch; aber
der ist seine eigenen Wege gegangen, hingegen haben sich seine Schüler
im engeren Sinn, ot UQ^rtotpärsioi, enger an ihr Vorbild angeschlossen und
nicht bloss die Richtung der von ihm angebahnten Studien, sondern auch
die von ihm eingeführten Zeichen beibehalten. Die namhaftesten unter
ihnen waren: Artemidoros aus dem 1. Jahrhundert v. Chr.,*) von dem
Athenaios A^^^eg oipa^vtixag anführt und der eine Sammelausgabe der
Bukoliker besorgte, Kallistratos, der sich mit Homer, Pindar und den
Dramatikern beschäftigte und von dem Athenaios SvfijtuxTa in mindestens
7 B. und ein Buch ttsqi haiqwv anführt, 5) Diodoros, von dem italische
Glossen citiert werden, der also in der Zeit gelebt haben wird, wo die
griechischen Gelehrten mit Rom nähere Fühlung bekamen.
436. Aristarchos (um 220— 145), der berühmte Schüler und Nach-
folger des Aristophanes, stammte aus Samothrake, war aber gleichfalls
frohe nach Alexandria übergesiedelt.^) Seine Blüte setzt Suidas in Ol. 156
*) Vgl. CoHN, De Aristophane Byz. et
Soetonio Tranqnülo EuBtathii auctoribas,
Jabb. fftr Phil. Sappl. XII 285 ff.; Fbesbmüs,
De UUiar Aristophaneanun et Snetonianaram
exeentis Byzantinis, Wiesbaden 1875. Von
der Exaktheit des Aristophanes in seinen
ToÜBtibidigen Werken kann nns der Artikel
ttber die Namen der jungen Tiere bei Aelian
i. E Vn 47 einen Begriff geben.
'} Bezeugt von Ps. Arkadios p. 186.
') Vgl. Lentz, Herodiani rell. I, praef.
XXXVII.
*) Vgl. Schol. Aristoph. Vesp. 1289;
Ahbens, Bncol. gr. II p. XXXVII. Verschie-
den von dem Grammatiker ist der Geograph
Arfcemidoros aus Ephesos.
^) R. Schmidt, De Gallistrato Aristo-
phaneo, in Naucks Buch De Anstoph. Byz.
') Suidas: *4Qi<rTaQ)[os*j4Xs^aydQevs ^£<rfi^,
tij de (fvaei Zafxo^qd^^ naiQoq W^e^fcr^/ov^
604
Grieohiache LitteratiirgMoliiohte. ü. HaohklaMisohe LHUratnr.
unter Ptolemaios Philometor (180—145), dessen Sohn er erzog. Als durch
den Streit des Königs mit seinem Bruder Ptolemaios Physkon das Ver-
hältnis sich trübte, verliess er Ägypten und starb 72 Jahre alt in Eypem
an der Wassersucht, indem er selbst durch Enthaltung von Nahrung sein
Ende beschleunigte. Aristarch beschränkte sich noch mehr als sein Vor-
gänger Aristophanes auf das spezielle Gebiet der Grammatik und insbe-
sondere der Texteskritik, handhabte aber diese Kunst mit einer solchen
Meisterschaft, dass er den Höhepunkt der grammatischen Studien Ale-
xandriens bezeichnet. Seine Überlegenheit beruhte weniger auf dem Um-
fang des Wissens als auf der Schärfe des Urteils und der Feinheit der
Divinationsgabe.^) Damit verband er als anregender, imponierender Lehrer
eine wunderbare Anziehungskraft, so dass aus seiner Schule an 40 Gram-
matiker hervorgingen >) und seine Autorität auch noch bei den nachfol-
genden Geschlechtem obenan stand. In der grammatischen Theorie ver-
trat er gegenüber dem Stoiker Ghrysippos den Standpunkt der Analogie
oder der regelmässigen Formbildung; in der Exegese ging er unter Ab-
lehnung aller nicht zur Sache gehörigen Gelehrsamkeit von dem Grund-
satze aus, dass man jeden Autor zunächst aus sich selbst erklären müsse;
in der Kritik war er ebenso weit von denkfauler Vertrauensseligkeit als
von leichtfertiger Änderungssucht entfernt. Diese Prinzipien verteidigte
er mit schneidiger Entschiedenheit gegen seine Widersacher, was zu hef-
tigen litterarischen Fehden und namentlich zu scharfer Feindschaft gegen
die von Krates geleitete Schule von Pergamon führte.*) Berichtigte Textes-
ausgaben mit kritischen Zeichen^) besorgte er von zahlreichen Autoren,
insbesondere von Homer, Hesiod, Alkaios, Pindar. Die Zahl der kritischen
Kommentare (vnofivrj/iaTa), die sich auch auf Autoren bezog, von denen
er keine Ausgaben veranstaltete (wie Archilochos, Anakreon, Aischylos,
Aristophanes), betrug gegen 800, wie Suidas angibt. An die Kommentare
reihten sich zahlreiche Erläuterungsschriften {ffvyYQdfifittra), wie über das
Schiffslager, gegen die Chorizonten, gegen Philetas. Von litterarhistori-
schen Büchern hören wir nichts, aber auch hier bereitete er der spateren
Forschung den Boden durch Aussonderung des Unechten und strenge
Scheidung der Perioden in Bezug auf Sprachgebrauch und Mythus. Ein-
blick in seine kritische Methode gewinnen wir besonders aus den Scholien
zu Homer.
E. Lbhbs, De Aristarchi stadiis Homericis, Lipe. 1833, ed. U, 1865, ed. in, 1882;
A. Ludwich, Aristarchs Hom. Textkritik, Leipzig 1885, 2 Bde; Stbiutual, Geech. d. Sprach-
wissensch. II* 100 ff.
yf'yoye de xaire rtjv gyg oXvfÄniaifa irti ÜJo-
Xeuaiov lov ^Xo/Jtjto^og^ ov xai tSy vloy
inai^Bvcev .... fia&fjTiij^ di yiyovev 'ji^icta-
^crVovc Tov yQafÄfiauxov. Sein Portrftt ver-
mutet in einer Bflste des kapitolinischen
Mosenms (Ann. de Inst 1841 tab. G.) von
Marx, Lad. Rost. 1889.
') Dazu hatte er, was bei Verstandes-
menschen selten ist, ein sehr glOcküches
Gedftchtms, so dass er ganze Tragödien aas-
wendig wnsste; s. £. M. 277, 53.
') Soidas: fia&r^rai di avrov yqafAfiati"
xot nsfH. Tovff fA fyivovto.
') Unter andern verlegte die Irrfahrten
des Odysseos Aristarch in die htm 9wtkac9u^
fijrates in die Iftü d^äXacisa nach €rel]ins
XIV 6, 3.
^) Unter den kritischen Zeichen eiiid
am bekanntesten der Obelos ( — ) zom Zeichen
der Unechtheit (daher 6ß$liCeir = a^eretr
= fOr anecht erklftren) and die Diple {^mkij
seil. yQafifÄfj) > zum Zeichen, dass an der
Stelle etwas zu bemerken sei; ftber die
ftbiigen s. Rbifpbbschxid, Saetoni relL, p.
uiff:
A. AlezindriniioheB Zeitalter, d. Üie Proea. c) Gelehrte Litteratur. (§ 437.) 605
Unter den zahlreichen Schülern Aristarchs^) werden wir die bedeu-
tendsten, ApoUodor und Dionysios Thrax, erst nachher in besonderen
Kapiteln behandeln. Hier seien nur kurz angeführt: Poseidonios, Vor-
leser in der Schule Aristarchs, der mehrere Mal in den Scholien zu Homer
angef&hrt wird; Ammonios, Nachfolger des Aristarch in der Vorstand-
schaft der Schule, der unter anderm über die homerischen Wörter bei
Piaton schrieb;^) Aristodemos aus Elis, Verfasser von Kommentaren zu
Pindar;') Ptolemaios Pindarion und Ptolemaios aus Askalon,
welche von Ptolemaios Epithetes, einem oftgenannten Gegner Aristarchs,
wohl zu unterscheiden sind; Parmeniskos, der mit der Schrift nQog
KQ<nr/ta den Streit des Schulhauptes gegen die Pergamener fortsetzte und
auch unter den Kommentatoren Arats genannt wird; Satyros o l^rjta
genannt von seiner Findigkeit im Aufwerfen und LOsen von Fragen {Cv
TTJasig),*) Die Schule des Grammatikers Aristarch erhielt sich ähnlich wie
die der Philosophen Jahrhunderte lang über den Tod des Meisters hinaus.
Hervorragende Aristarcheer der jüngeren Generationen waren: Didymos,
dem ich gleich nachher einen eigenen Artikel widmen werde; Aristoni-
kos, ein Zeitgenosse Strabons,^) dessen exakte Erläuterungen der von
Aristarch zu Homer gesetzten Zeichen uns im wesentlichen erhalten sind
und der nach Photios p. 104 b 40 auch eine Schrift über das Museum zu
Alexandria schrieb; Seleukos der Homeriker zur Zeit des Augustus und
Tiberias, welcher ausser über Homer auch neQi twv naq ^Al^^avdQsvai
na^ifiwv, n€Qi ^€ö>v, 7t€Ql ^EXlrjviCfiov^ yktocaai schrieb ;^) ferner Diony-
sodoros, Chairis, Dionysios Sidonios u. a.
437. Krates aus Mallos in Kilikien war ein Hauptgegner des Ari-
starch und zugleich ein Hauptvertreter der pergamenischen Schule ; Strabon
P- 30 nennt Aristarch und Krates die Koryphäen der grammatischen Kunst.
Krates mehr Gelehrter und Philosoph (er heisst ffilocoffoq Stwlxog bei
Snidas) als Qranmiatiker und Kritiker suchte in der Erklärung der Autoren,
namentlich des Homer, zu sehr Allegorien und versteckte Bezugnahmen.
An Gelehrsamkeit und Umblick Hess er es dabei nicht fehlen, indem er
z. B. unter Heranziehung der Reiseberichte des Pytheas die Stelle der
66 X 86 iyyvg yciq vvxrog tc xai rjfjiaTdg elai xäkevd-oi auf die kurzen
') A. Blau, De Aristarclii discipaUSi
^ena 1883; Sehokbüsoh, Hom. diss., 1 30 sqq.
') Ps. Longin de subl. 13, 3. Ueber die
Schnft des AmmonioB negi tov fjirj yeyoyeya^
^<«K, üehe LuDvncH, Aristarch I 49.
*) Schol. ad Find. N. 7, 1. üeber die
vendiiedenen Aristodemoi aas Nysa, Elis,
JViben 8. Müller FHG III 307-311; ein
'^^nodfjfiog 6 NtHraerg^ der Bedehangen zu
Mm hatte, ist erwähnt in der von Sittl
8tib. d. b. Ak. 1888. 11, S. 275, und Piccolo-
«Ri Herrn. 25 (1890) 451 herausgegebenen
Homervita.
') Schol. ad Hom.£' 216.
*; Strab. p. 38. Oitiert wird er von Di-
^0«, wie es scheut, in Schol. Find. 0 1 33.
') Die von Athenaios citierten yXto<raai
des Seleokos werden vornehmlich die aXka
(fvfifiixTa des Suidas gewesen sein. — Ein
Seleukos negl ßinfv wird von Harpokration
p. 137, 14 citiert; denselben will Meibb,
Opusc. II 152 u. 159 von dem Homeriker
unterscheiden. Vgl. M. ScHMinr, Seleucus
der Homeriker und seine Namensverwandten,
Philol. 8, 436 ff. Die Fragmente bei Müller
FHG III 500; vollständiger bei Max Möller,
De Seleuco Homerico, Gott. Diss. 1891. Bapp,
Comm. Ribbeck. 258 ff. weist nach, dass die
Abschnitte des Athenaios, welche sympoti-
schen oder verwandten Inhalt haben, aus
Seleukos genommen sind; dagegen M. Müller
a. 0. 24 ff.
606
Grieohisohe Idtterainrgeschichie. U. HaohklasBiaohe Litteratnr.
Nächte des Nordens bezog und im Gegensatz zu Eratosthenes und Aristarch
die Irrfahrten des Odysseus in das äussere Meer verlegte.^) Auch in der
grammatischen Theorie stellte er sich als Gegner des Aristarch auf Seite
der Anomalie. Verdienstlicher waren seine Bemühungen für Bereicherung
und Katalogisierung der pergamenischen Bibliothek, wenn auch die Kata-
loge der Pergamener nicht ausschliesslich sein Werk waren. Mit diesen
hingen seine ästhetischen Beurteilungen der Autoren zusammen, wovon
uns ein poetisches Denkmal in einem Epigramm der Anthologie XI 218
erhalten ist.*) Eine reiche Quelle für die Späteren bildete sein glosso-
graphisches Werk n€Ql 'Artixrjg diaXextoVy von dem Athenaios p. 497 e ein
5. Buch anführt. Auch um Förderung der Erdkunde bemühte er sich im
Wetteifer mit den Alexandrinern, indem er im Hofe des pergamenischen
Museums einen Erdglobus aufstellte.*) Von grösstem Einfluss für die Entr
Wicklung der Grammatik in Rom war sein Aufenthalt in der Hauptstadt
des römischen Reiches im Jahre 167, wovon Sueton de gramm. 2 berichtet:
Grates MaUota Arisfarcki aequalis missus ad senatum ab Ättalo rege . . . cum
regione Palatii prolapsus in cloacae foramen crus fregisset, per omne Uga-
tionis simul et valetudinis tempus plurimas acroasis subinde fecit assidueque
disseruü ac nostris exemplo fuit ad imüandum.
C. Wachsmuth, De Gratete Mallota, ups. 1860.
Zu den aus der pergamenischen Schule des Krates hervorgegangenen
jüngeren Gelehrten gehören: Zenodot aus Mallos,^) der gegen die Athe-
tesen Aristarchs schrieb; Demetrios Ixion, der gleichfalls gegen Ari-
starch polemisierte, aber auch Teile der grammatischen Techne bebandelte;
Herodikos aus Babylon, dessen Koififpdovfisva öfters Athenaios anführt^)
und von dem uns Athenaios p. 222 a ein beissendes Epigramm auf die
Silbenstechereien der Aristarcheer erhalten hat; Alexander Polyhistor,
von dem ich unten genauer handeln werde ; Artemon von Pergamon, der
einen Kommentar zu den auf Sikilien bezüglichen Siegesliedern Pindars
schrieb und der vielleicht eine Person mit dem Klazomenier Artemon, dem
Verfasser einer Schrift über Homer und der ^Qqoi EXa^o/nevioav^ war.^) In
den Kreis der Pergamener gehören auch die beiden, von Suidaa in einem
konfusen Artikel durcheinander geworfenen Grammatiker Asklepiades.^)
Der erstere gehörte der älteren Zeit an und scheint unter Attalos I und
Eumenes H gelebt zu haben; der zweite, nach seiner Heimat Myrleaner
1) GelliuB XIV 6 u. Seneca, ep. 88.
') Vgl. Brzoska, De canone decem orat.
att. p. 58.
») MiJLLBK, Geogr. gr. min. II 428, 11 u.
471, 17; LuEBBERT, Zur Charakierlstik des
Krates MaUotes, Rh. M. 11, 428 ff.; Berges,
Wiss. Erdkunde der Griech. III 113 ff. Vol.
Herc. XI* 147 erwähnt von Erates ta nBQi
xrjg aq^aiqonoitagy was Usenbb, Epicnrea,
p. 410 auf einen Kommentar des Arat be-
zieht.
*) ZrjyodoTog 'JXeiav^Qevg heisst er bei
Suidas, vermutlich weil er in Alexandria
lehrte.
*) C. Schmidt, De Herodico Crateteo,
Elbinger Progr. 1886; dass er vor Didymos
lebte, der ihn benutzte, bemerkt Scbökb-
KANN Rh. M. 42, 468; dagegen Susskihl AI.
Lit. U 24.
«) Müller FHG IV 341; üngbr, Phüol.
41, 650. Die /^üae« tpo^fdiy^ P. I 1 eiUfirt
er mit der Fabel, Hieron habe dem Pindar
eine goldene Leier versprochen; damit zeigt
er sich als ein homo pusilli animi.
^) Verschieden von diesen sind der oben
§ 257 erwähnte Asklepiades von Tragiloa,
und ein versifizierender Asklepiadee, ymi dem
TzBTZEs, Chil. IV 198 einen hinkoiden Jam-
bischen Trimeter anfOhrt.
A. AlezAadrinüicheB Zeitalter. 3. Die Prosa, o) delehrte Litteratur. (§ 438.) 607
znbenannt, lebte nach Dionysios Thrax ^) in der Zeit des Pompeius und
war ein sehr fruchtbarer Schriftsteller, der die beiden Teile der Grammatik,
den sprachlichen und sachlichen, in gleicher Weise kultivierte ;^) angeführt
werden von ihm Jlavvodand^ ferner Alyvnxiaxä^ Bi&vnaxä, TovQdrjtavfag
neQirjr^cig und das umfangreiche aus mindestens 11 Büchern bestehende
Werk ne^i yQafifAauxwv,^) auf das in letzter Linie viele litterarhistorische
Artikel des Suidas zurückgehen.^) Scholien haben sich von ihm zu Homer
und Pindar erhalten.*) Auch der Grammatiker Eukleides, dessen Schrift
über die Teile der Tragödie der Byzantiner Tzetzes neQl TQayixrjg noir.aetoq
(in Westphals Prolegom. zu Aeschylus Tragödien XI ff.) benutzte, scheint
der pergamenischen Schule anzugehören.
488. Apollodoros, Sohn des Asklepiades aus Athen, <^) war zugleich
Schüler des Grammatikers Aristarch und des stoischen Philosophen Dio-
genes von Seleukia. Ohne als kritischer Forscher den älteren Gelehrten
Alexandriens nahe zu kommen, hat er gleichwohl durch das Geschick zu-
sammenfassender Darstellung, teilweise auch durch die Kunst der Yersi-
fikation seinen Schriften einen grossen Leserkreis verschafft. Seine Studien
galten vorzugsweise der historischen Seite der Philologie; von den Schriften
mql 2(6^Qo^'og, neqi 'EnixceQfJiov, n€Qi hvfioXoyidv^ tisqI rdv 'Ad-t]vrjaiv hat-
Qidwv^ negl vscHv, nsqi yfjg, nsgi &e(üv, Xqonxd sind es in aufsteigendem
Grad die letzteren, welche Beachtung und Nachahmung fanden. Die
Schrift 7t€Qi vscov war ein ausführlicher sachlicher Kommentar des home-
rischen Schiffskataloges in 12 B.; gegründet war derselbe auf die Vorar-
beiten des Eratosthenes und Demetrios von Skepsis, für Strabon bildete
er eine Hauptquelle. ^) Kompendiarischer Natur war die allgemeine Geo-
graphie, yijg neqiodog oder neQ^rjriaig betitelt, in iambischen Trimetern.*)
Von derselben werden zwei Bücher citiert; von der allgemeinen Ver-
breitung des handlichen, aber schwerlich von Apollodor selbst herrührenden
Kompendiums zeugen die häufigen Citate bei Stephanos von Byzanz, der
indes nicht den Apollodor selbst, sondern einen von dem Grammatiker
Epaphroditos angefertigten Auszug benutzte.*) Grossartig angelegt war
das Werk negi -i^eäv in 24 B., worin der Verfasser seine stoischen An-
1) Vgl. Athen. 489a und Seztas Empir. 1 Schiffskatalog als Quelle Strabos, Rh. M. 32
idv. gramm. I 72. I (1877) 267 ff., Schwartz a. 0.; über die Be-
') Ueber sein grammatisches System
Sextas Empir. adv. gramm. 1 252: 'JaxXrjntddrjq
^«' x^ nsgi yQttfAfxatixrii XQta (prjcag r«
n^xa Tfjg yqafdfdaitx^g fiiqtj^ iBxy^xov laro-
9^6r yQ€tfÄfA«ni,x6y , ohbq dfjiKpoii^tav itp-
*) Etym., M. uni dlxgoy,
^) Lbhbs, De Asclepiade Myrleano, in
Herodiani scripta tria, p. 428—448. Yergl.
Baus, De Said, biogr., Jhrb. f. Phil. Suppl. XI
457 ff.; ScsBJfiBL AI. Lit. II 15 ff. Die Frag-
nenle bei MCllbb FHG III 298—306.
*) Yergl. Werfeb, Acta philol. Monac.
n 5.38.
*) Artikel von Suidas; Schwabtz in
Paoly-Wiaeowa I 2855 ff.
') NiESSy Apollodors Kommentar zum
nutzung durch Diodor im Inselbuch Bethe
Herrn. 24 (1889) 402 ff.
®) Die yijf neQiodoSf bezeugt schon von
Strabon p. 677, erklären Diels Rh. M. 31
(1876) 9 ff. und Schwartz bei Wissowa I
2862 für untergeschoben. — Der Vers war
der laxe Trimeter der Komiker, welchen
Apollodor für das Lehrgedicht einführte (s.
Ps. Skymnos V. 34 und Suidas unt. 'j4noXX.\
nachdem früher der daktylische Hexameter
herrschend gewesen war; der Griff war ent-
schieden glücklich, da der Hexameter für
diese halbprosaische Dichtungsgattung zu
feierlich klang.
») Steph. Byz. u. Jvfjiij, Vergl. Niese
Rh. M. 32, 276.
608
Arieohiftohe Litteraturgesohiohte. II. HaohklaMisohe Litteratnr.
schauungen über die Natur des Mythus entwickelte. Die Fragmente zeigen,
mit welch umfassender Gelehrsamkeit er seine Sätze gestützt, zugleich aber
auch, wie wenig er sich über die etymologischen Spielereien der Stoiker
erhoben hat. — Am meisten Namen verschafften unserem Grammatiker seine
in iambischen Trimetern abgefassten ÄQonxd in 4 B.^) Dieselben waren
dem König Attalos II von Pergamon gewidmet und behandelten nach der
Angabe des Ps. Skymnos V. 22 ff.^) in chronologischer Ordnung, mit den
Troicis beginnend, die Ereignisse, nicht bloss die staatlichen, sondern auch
die litterarhistorischen, von 1040 Jahren, also bis auf 144 v. Chr. oder bis
auf die Unterwerfung von Makedonien und Achaia.^) Auch ins Lateinische
wurde das durch Reichtum und Genauigkeit ausgezeichnete Buch durch
Cornelius Nepos übertragen, worauf sich Catull in seinem Widmungsgedicht
an Nepos mit den Worten bezieht: ausus es unus Italorum omne aevom
tribus explkare chartis doctis Juppiter et laboriosis. Die litterarhistorischen
Angaben des Buches bildeten die Hauptquelle der Späteren, so dass uns
vieles aus demselben durch Diogenes und Eusebios erhalten ist. Mannig-
fache Schwierigkeiten in der Benutzung der Fragmente entstehen nur da-
durch, dass die Zeitangaben mit /«yovc und rjxfxa^ev mehrfache Deutungen
zulassen.
Fragmente gesammelt von Müller, FHG. I 428—469; vermehrt und berichtigt von
Wacbsmuth, Einl. in d. alt. Gesch. 131. — Rob. Münzel, De Apollodori negl &€t5if libris,
Bonn 1883, mit Nachtrügen von Schwartz bei Wissowa I 2873. — lieber die f&lsehlich den
Namen des Apollodor tragende BißXio&ijxtj siehe unten § 576.
439. DionysiosThrax, Schüler des Aristarch, hat in der Geschichte
der Philologie einen Namen als Verfasser der ersten griechischen Gram-
matik {Ttx^rj YQafAfiaTixrj), Derselbe hatte in Alexandrien den Aristarch
gehört,*) war aber dann nach Rhodos übergesiedelt, 5) wo er Lehrer des
älteren Tyrannio wurde. Seine Grammatik war als reife Frucht aus den
textkritischen Studien der Alexandriner und der begrifEspaltenden Dialektik
der Philosophen hervorgegangen. Die älteren und berühmteren Gram*
matiker hatten sich wesentlich nur mit dem, was man den empirischen
Teil unserer Wissenschaft nennt, abgegeben; aber die Kritik und Text-
erklärung hatten allmählich zur Unterscheidung der Redeteile und zu
Regeln über die Abwandlung der Nomina und Verba geführt. Grössere
Klarheit kam in diese Regeln durch den Streit über Analogie und Ano-
^) Die lateinische Bearbeitmig des Nepos
hatte nur 3 B.
*j Derselbe nennt zwar den Apollodor
nicht mit Namen, kennzeichnet ihn aber deut-
lich; ich setze die wichtigen Verse gleich her:
ßaaiXevaiy, utv rj do^a xal jB^ytjxoxfov
naQtx ndciy rifJilv l^iuca cft« nayiog (jiiyBi,
Tüiy AiTixüiy r*? yyrjaltoy le (piXoXoytayj
ysyoytog äxovaxrjs Jioyiyovg tov Zxioixov,
avyscxoXttxwg 6i noXvv 'jQiazaQXH^ XQ^^^^t
avyetd^tti* dno xrjq Tgca'Cxijg aXtScecag
X^oyoyqaq>ltty aim^ovatty oc^Qt tov yvy ßiovy
ht] di XBüaagdxoyxa ngog xoig j^U/oa^
wgiafÄ^ycDg iU^exo xxX,
Vgl. MüLLBB PHa I praef. XLIII; ükgbb,
Philol. 41, 602—651; Dislb, Untersnchimgen
über Apollodors Chronik, Rh. M. 31 (1876),
1 ff.; Wachskütb, Einl. in alt Gesch. 131 ff.
') Schwierigkeit machen mehrere Frag-
mente, welche Verhältnisse vor und nach den
gegebenen Endpunkten berühren. Siehe Dislb
Rh. M. 31, 54 und oben § 405. Sdbshibl AI.
Lit. n 35 hilft sich mit der Annahme einer
zweiten Ausgabe, Schwartz mit der einer
jüngeren Fortsetzung um 120 v. Chr.
«) Nach £. M. 277, 53 stellte er seinen
Lehrer Aristarch mit der Tragödie auf der
Brust dar Sid x6 dnocxrj^l^eir avxor nn9tty
xi^g xQecy(pdi(*y,
B) Ath. 489 a und Strab. p. 655.
A. AlexandriniBohes Zeitalter. 8. Die Prosa, o) Gelehrte Litteratnr. (§§ 439—440.) 609
malie, der zwischen den Aristarcheern auf der einen Seite, Erates und
Chrysippos auf der anderen geführt wurde. Die Philosophen aber und
vorzüglich die Stoiker, welche durch die Beschäftigung mit der Logik auf
die Zergliederung der Sprache geführt wurden, drückten der heranwach-
senden grammatischen Theorie ihren Stempel dadurch auf, dass sie nach
der Methode der Dialektik überall zuerst auf Feststellung des Begriffs
(oQog) und dann auf die Angabe und Erklärung der begleitenden Eigen-
schaften (ra (fviJißeßrjxoray td nagendjULeva) drangen. Durch das Zusammen-
wirken der Grammatiker und Philosophen erhielt so die griechische Gram-
matik eine ungleich höhere Vollendung als die indische; die Inder sind
aber die einzigen neben den Griechen, welche die Sprachlehre selbständig
aasgebildet haben. Die Grammatik des Dionysios Thrax, ein Büchlein von
ganz massigem Umfang, beginnt mit der Definition der Grammatik und
ihrer Teile oder Aufgaben {dvayvwaig^ *f 'J}'^«^*?, yXwarrwv xal IcxoQmv äno-
ioaiq, hvfjioXoYia, dvaXoyiaq ixloyKffiogy xQitfig Troirjjuiariov)^ geht dann zur
Lehre vom Accent (Tovog), der Interpunktion (crw/jui;), den Lauten und
Slben [aro&x^Ta xal avXXaßal) über, um schliesslich in ihrem Hauptteil,
ausgehend von den verschiedenen Redeteilen (ovofia^ ^^^/*a, /^^^o/ij, ccq^qov,
inwvvfu'a, ngod'saig^ emQQtjfia, (fvvisafiog), die Deklination und Konjugation
abzuwandeln; von einer Syntax oder gar Stillehre ist noch keine Rede.
Dass Dionysios Verfasser des Büchleins sei, ist allerdings schon im Alter-
tum bezweifelt worden,^) und Neuere haben gar die Abfassung desselben
in die Zeit nach Konstantin herabrücken wollen;^) aber dasselbe lag schon
den grossen Grammatikern der Kaiserzeit, ApoUonios und Herodian, und
dem römischen Grammatiker Remmius Palämon, der unter Nero ein ähn-
liches Kompendium für die Lateiner schuf, in seiner heutigen Gestalt vor;
es kann höchstens nur von einigen unbedeutenden Zusätzen die Rede sein.^)
Weitläufig kommentiert wurde dasselbe, ähnlich wie die Schulbücher des
Arat, Donat und Hermogenes, von den Grammatikern des beginnenden
Mittelalters Choiroboskos oder Heliodor, Melampus oder Diomedes, Stepha-
nos, Porphyrios; im Beginn des Mittelalters widerfuhr ihm auch die Ehre,
ins Armenische und Syrische übertragen zu werden.
Zuerst ediert wurde die Grammatik von Fabbicius in Bibl. gr. t, VII; mit SchoUen
▼OD luv. Bekkeu in An. gr. t. II, Berl. 1816. Hauptausgabe von Uhlio, Lips. 1888 mit Be-
imtEong der besten Codices (Monac. Yictorii n. 310 und Leid. 76) und der alten Ueber-
aetzangen; dazu Nachträge von Eoenolff Jahresber. d. Alt. XIV 1, 116 flf. — Hobrsohblmann,
DeDionyaii Thracis interpretibus, Lips. 1874; Hiloabd, De artis gramm. ab Dionysio Thrace
coDipoeitae interpretibus veteribus, Progr. Heidelberg 1880.
440. Alexander Polyhistor, aus Milet, nach andern aus Myndos,
einem Städtchen Kariens,*) gehörte der grammatischen Schule von Pergamon
an. Als Kriegsgefangener zur Zeit des Sulla nach Rom übergeführt, ward er
von Cornelius Lentulus in Freiheit gesetzt ^) und erhielt von demselben den
*) Bekker An. gr. p. 672. ' Apoll. Rhod. I^ 925 : iajv xal xj^Q^ovriaog Ka-
*) Göttuno zu Theodosius p. V. ' ^t«?, iy&ey tjy 'AXi^aydqog 6 nsgi Kagiag
V^. M. Schmidt PWlol. VII (1852) yqa^ng, Stephanos Byz. erwähnt ihn weder
. unter Af/Ai/r Off noch unter -/lft»V<foff. lieber die
versuchte Unterscheidung der beiden, des
Cornelius Alexander Polyhistor und des Ale-
xander Myndius gleich nachher.
*) Suidas: 'AXi^ay^Qog KoQyijXiog, ffiött
KoQyfjXLtf) A€ytovX<fi aixf^aXoDjiadsig inqa&fj
360 ff, Vlil (1858) 231 flf., 510 flf.
^) Suidas nennt ihn einen Milesier, viel-
leicht weil Milet die bedeutendeste Stadt der
Gegend war. Plutarch, Aelian, Diogenes
eitleren ihn immer als Alexander Myndius
oder Alexander schlechthin. Vgl. Schol. ad
Handtmch der Unn. Altertumswlatenschaft. vn. U. Aufl. 39
610
Grieohisohe Idtteratnrgeschiohte. IL Jachkla««sdhe Litterator.
Gentilnamen Cornelius, i) Er starb hochbejahrt bei einer Feuersbninst in
Laurentum; einer seiner jüngeren Schüler war der unter Augustus blühende
Grammatiker und Bibliothekar Hygin.^) Ein Mann von ungewöhnlicher Viel-
seitigkeit schrieb er unzählige Werke {ßißh'a ägi^iiov xQshxm Suidas), die
aber mehr auf wüster Kompilation als auf kritischer Forschung beruhten.
Die meisten derselben gehörten der geographisch-historischen Periegese
an, so die Alyvmiaxd^ Atßvxd^ 'Ivdixüy Kgr/rixa, negi Kaqiag^ negi Awuccq,
TtBqi Q>Qvyiaq^ nsQi 2vQiag, nsgl Biv^wia^, Ttegi Ev^eivov novxoVy negl Ki-
hxiag^ n€Ql UatpXayoviaq^ neqi *lXXvQ(ag^ negi ^iovdcUwVy^) Xaldaixdy negi
^Pbofirjg, nsgl twv naq ^AXxfJiävi romxcog elQrjfJtävav, negi Tor iv JsX^fUg
XQrjCTrjQiov,^) Auch ein Kompendium der Nachfolgen in den Philosophen-
schulen, das unter andern Diogenes Laertios benutzte, verfasste der viel-
schreibende Polyhistor. Von einer rein grammatischen Schrift hören wir
durch Ps. Herodian.^)
Unter dem Namen des Alexander kursierten im Altertum auch natur-
geschichtliche Schriften: eine Tiergeschichte in mindestens 3 B., deren
2. Buch speziell von den Vögeln handelte, eine Sammlung wunderbarer
Geschichten aus der Tier- und Pflanzenwelt {t^avfiaaiwv avrayioytj)^ die
noch dem Photios Bibl. cod. 188 vorlag,«) Mv&ixd in mindestens 9 B.,
deren Hauptinhalt die Verwandlungssagen bildeten, endlich ein Traumbuch^
dessen zu wiederholten Malen Artemidor in den uns erhaltenen "Or^i^o-
xQiTixd gedenkt. Auch diese Schriften tragen den gleichen Stempel un-
kritischer Kompilation und weisen auch auf die gleiche Entstehungszeit
hin, werden aber von Susemihl und Wellmann nach dem Vorgange Freuden-
thals, Hellenistische Studien H 204, einem homonymen Autor, dem Ale-
xander Myndius, zugewiesen.
Fragmente gesammelt bei Müller FHG III 206 — 244. — Hullamak, De Com. Ale-
xaDdro Polyhistore in Mise, philol., Utrecht 1849; Freüdenthal, Hellenistische Stadien 1. a.
2. Heft bespricht die Fragmente bei Eusebios.
441. Demetrios aus Magnesia, 7) älterer Zeitgenosse des Cicero und
Freund des Attikus, hatte für die Litteraturgeschichte eine grosse Bedeu-
tung als Verfasser des Buches ntql dfiwvvfAwv noitjTfov xal cvyyQa^äiav.
Da es nämlich mit der Zeit eine Unmasse von Dionysioi, Demetrioi, Ptole-
maioi in der Litteratur gab, so steUte es sich Demetrios in jenem Buche
zur Aufgabe, die verschiedenen Dichter und Gelehrten gleichen Namens
voneinander zu unterscheiden. Wie er dieses that, erhellt noch deutlich
xttl ttvii^ Ttaidayioyog iyeveto. Aehnlich
Servins zu Yerg. Aen. X 388. Siehe indes
Ungeb Phil. 47 (1889), 177 flf. Dagegen
ScHWARTZ bei Wissowa 1 1449.
») Ob der von Plut. Crass. 3 als Be-
gleiter des Crassas erwähnte Peripatetiker
Alexander mit unserem Polyhistor identisch
sei, ist bestritten.
') Sueton de gramm. ill. 20.
') Von dem Buche über die Juden sind
uns mehrere interessante Bruchstücke bei
Eusebius erhalten.
*) Dass darauf Paus. X 12 zurückgeht,
weiset Maass, De siby Ilarum indicibus, p. 12 ff.
nach.
*) Ps. Herodian Philet am Schlnsa: xai
'jXc^äydgt^ r^o KoQrfjXiw (r^ xoi^rjr^ codd.,
em. Studemund) cvyyeyQantai ewray/iaritkr,
iv (ff TioXXa rovtoig cv/itpfgerai.
* «) Aus ihr führt Athen. 221 die merk-
würdige Stelle von den Gorgonen an, welche
die Soldaten des Marius im joguithinisdien
Kriege beobachtet haben wollten. — Wbll-
MANN, Ueber Alexander von MyndoB, Herrn.
26 (1891) 480 ff. weist nach, wie viel die
Späteren und insbesondere Aelian ans der
Naturkunde unseres Alexander geschöpft
haben.
') ScREUBRLBBB, De Demetrio MafDete.
LB. 1858.
A. AlezAadriniBcbeB Zeitalter, d. Die Prosa, o) Gelehrte Litteratnr. (§§ 441—443.) 611
aus einem längeren Artikel desselben bei Dionysios Halic. de Dinarcho
c. 1. Das Werk ist viel von den Späteren, wie Diogenes, Plutarch, Athe-
naios, benutzt worden,^) woraus sich erklärt, dass das Verzeichnis der
homonymen Autoren in unseren Litteraturgeschichten von Cicero an
aufhört, oder doch spärlicher wird. Eine ähnliche Aufgabe stellte
sich Demetrios auch in dem seltener angefahrten Buche ttsqI ofKovvfuav
noXewv.
442. Tyrannio der ältere, ein Schüler des Dionysios Thrax,*)
stammte aus Amisus in Kleinasien und war als Kriegsgefangener im
mithridatischen Krieg nach Rom gekommen, wo er durch seine Gelehr-
samkeit und die auserlesenen Schätze seiner Bibliothek zu grossem An-
sehen gelangte, üsener's Scharfsinn hat in ihm den gelehrten Berater
des Atticus in der Herausgabe griechischer Autoren, wie des Aristoteles
und Theophrast, erkannt und auf ihn die zerstreuten Reste eines auf der
YiergUederung beruhenden Lehrgebäudes der Grammatik zurückgeführt.^) —
Der jüngere Tyrannio, der im Kriege des Antonius und Cäsar in Kriegs-
gefangenschaft geraten, dann aber in Rom von Terentia, der Gattin Ciceros,
frei gelassen worden war, trat in die Fusstapfen des älteren, indem er
unter anderem eine i^riyr^iq tov TvQuvviayvog fieQiajutov schrieb.*)
Derselben Zeit gehören an der Rhodier Aristokles, den Strabon
p. 655 als einen Gelehrten seiner Zeit bezeichnet und dessen gelehrtes
Werk über die äusseren Verhältnisse der Dichtkunst, über Chöre und
Wettkämpfe, eine Hauptquelle des Didymos und der Späteren war ;'^) ferner
der Grammatiker Zenon aus Myndos, von dem es auch Epigramme gab
(Diog. 7, 35) und der wie sein Landsmann Alexander die historische
Seite der Grammatik kultivierte; ein 4. Buch t(5i' evd-vvwv {i&vixwv em.
Preger) ißt von ihm erwähnt in Cramers An. Ox. III 350.
448. Didymos aus Alexandria lebte in der Zeit des Antonius und
Cicero, bis in die Regierungszeit des Kaisers Augustus hinein.^) Seine
Bedeutung bestand darin, dass er einesteils in zahlreichen Schriften die
Arbeiten der Früheren zusammenfasste, andemteils die Verpflanzung der
gelehrten Studien von Alexandria nach der Hauptstadt des römischen
Weltreiches inaugurierte. Mit eisernem Fleisse, der ihm den Beinamen
XahcävreQog eintrug, schrieb er eine Unmasse von Büchern zusammen,
angeblich mehr als 3500,^) so dass er zuletzt seine eigenen Kinder nicht
') Dass auch Snidas oder Hesychios Mil.
den Demetrios direkt benutzt habe, bestreitet
mit Recht Daub de Snid. biogr., Jahrb. fOr
PhiL Snppl. XI 470 ff.
') Snidas unt. TvQayyltoy and Jioyvaiog
'AU^ayd^evK SqucB. Planrr, De Tyrannione
grtmmatico, Berlin 1852 Progr.
*) UsBUBB, Ein altes Lehrgebäude der
Pbflologie, in Sitzungsb. d. bayer. Akad. 1892
S. 582 ff:
*) Snidas nnt. TvQayyitoy führt ausserdem
TOD ihm an ns^i i'^g 'OufjQixi^g n^oat^dlag,
nc^ jiiy fACffiov tov XoyoVf negi r^c 'Po*-
(jLalxijg diaXexTov oji iatly ix T^g *EkXf]~
yixrjg xai ovx avOtycnjg.
») Bapp, Leipz. Stud. VIII 87—107 be-
leuchtet das Verhältnis von Didymos zu Ari-
stokles. Bei Ath. 620 d ist nach Rohdes
Vermutung 'J^icioxk^g aus 'AQtaro^eyog ver-
derbt.
*) Suidas: Jidvfiog JidvfAov laQixonaiXov,
yqafjifjittxixog 'AqMTttQX^^'^^i '^Atlaydjpet'f, ya-
yoytog inl ^Jyjtjylov xal Kixeqioyog x«i iutg
Avyovüxov.
') Suidas, Ath. 139 c, Seneca ep. 88, 37.
39*
612
Grieohisohe LitieratargeBohiohte. II. NaohklmsBisobe litieratar.
mehr kannte und mit beissendem Spott ßißhokd&ccq genannt wurde. ^)
Seine meisten Bücher waren Kommentare, mit denen er fast alle Dichter-
autoren versah. Die erhaltenen Scholien zu Homer, Pindar, Sophokles,
Euripides, Aristophanes gehen zum grossen Teil auf ihn zurück. Die
Zeitgenossen werden aus ihnen wenig Neues gelernt haben ; für uns haben
sie den hohen Wert, dass wir aus ihnen fast allein näheres über die ge-
lehrten Forschungen der Alexandriner, namentlich des Aristarch erfahren.
Didymos war eben ein Mann von stupendem Fleiss, aber von geringer
Urteilskraft und zweifelhafter Verlässigkeit, so dass uns z. B. bei Homer
die kurzen Notizen des Aristonikos über die Textesrecension des Aristarch
ein ungleich besserer Führer sind als die breiten Noten des Didymos. Bei
den Römern freilich, welche die ganze Gelehrsamkeit der Alexandriner nur
durch ihn kannten, galt er als grammaticorum facüe erudUissimus omnium-
que quique sint quique fuerint instructissimus (Macrob. Sat. V 18). — Eine
nicht minder ergiebige Fundgrube für die späteren Grammatiker der Eaiser-
zeit waren die lexikalischen Sammlungen unseres Didymos, welche sich
nicht bloss auf die Dichter, sondern auch auf die Historiker und Redner
erstreckten und nach Schriftstellern und Litteraturgattungen angelegt
waren;*) erwähnt werden unter andern Xt^eig Tgayixai, xo)fiixai\ ^InnoxQa-
Tovg, Leider sind die in jenen Werken aufgehäuften Schätze nur in sehr
verkürzter, zum Teil entstellter Gestalt durch die Mittelstufe des Diogenian
und Hesychios auf uns gekommen. — In das Gebiet der grammatischen
Techne gehörten die Bücher nsgl oQx^oyQatplaq und nagl naO^wv. Für die
Litteraturgeschichte von Bedeutung war sein Buch neql noirjtm'^ oder wie
es mit dem genaueren Spezialtitel citiert wird, ttsqI Av^txoJv noiijwv^ in
welchem von den einzelnen Gattungen der Poesie, Hymnus, Elegie, Päan,
und den Hauptvertretem derselben gehandelt war. Die Sätze und An-
gaben desselben gingen zumeist in die litterarhistorischen Bücher der
Späteren, wie insbesondere des Proklos über.») Litterarhistorische Fragen
waren neben anderen berührt in den 2vfjino<naxd, die wegen ihres ge-
mischten Inhaltes auch Svfifiixra hiessen und gewiss auch dem Athenaios
für sein Sophistenmahl reiche Ausbeute gegeben haben; Didymos selbst
hat dabei hauptsächlich die sorgfältigen Untersuchungen des Rhodiers
Aristokles benutzt. — Endlich schrieb unser Grammatiker noch über manche
andere Dinge, wie über Sprichwörter (ttsq! nagoifii^v), wunderbare Ge-
schichten (?*r?; taxoQia), die Gesetzestafeln des Selon (neqi %6iv a^ovatv %mv
») Athen. 139 c; Quintil. I 8, 19.
') Naber ad Phot. lex. I 9 nimmt an,
dass erst der Schüler des Didymos, Theon,
aus den verschiedenen li^u^ seines Lehrers
ein alphabetisch geordnetes Lexikon angelegt
habe. Das durch Miller, M^l. 399—406
bekannt gewordene Lex. Platonicum hat nicht
unseren Didymos, sondern den Akademiker
Didymos Areios zum Verfasser.
•) Aehnliche Werke litterarischen In-
haltes erschienen um diese Zeit von Dio-
nysios aus Phaseiis, dessen Buch nsgl
noirjrwy im Leben des Nikander angeführt
wird, femer von Amphikrates, dessen
Buch tibqI h'do^tay ayd^y Athen. 576 c
citiert; denn diesen scheint mit Recht Müller
FHG lY 300 mit dem gleichnamigen Rhetor
bei Flutarch, Luculi. 22 zu identifizieren.
Von Didymos oder einem zeitgenSasiachen
Dichter rührt auch die Einteilung der Oden
in Tta^aiyertxaiy vnoSeT^xal, nQOTfeftTtrtxmy
TtQoctptoyijtixal, her, von der sich Spuren in
den Scholien, namentlich zu Horaz, finden;
s. Christ, Horatiana, Sitzb. d. bayer. Ak. 1893
S. 103.
Ba) Römiaohe Periode Tor Eonatantin. 1. Allgemeine Charakteriatik. (§ 444.) 613
loiMvog mTiyQa^tj ngog *J(fxXrjnidiriv) ; auch eine Streitschrift verfasste er
gegen Ciceros Bücher de republica.
Die Fragmente gesammelt von M. Schmidt, Didymi Ghalcenteri fragm., Lips. 1854.
— Arth. Ludwich, Aristarchs Homerische Textkritik nach den Fragmenten des Didymos,
Leipsig 1885. — Wilamowitz, Enr. Herakl. I 157 £f.
B. Römische Periode
a) von Augustus bis Konstantin.
1. Allgemeine Charakteristik.
444. Der Einfluss Griechenlands auf Italien und Latium geht auf
ferne Zeiten zurück ; er beginnt mit der Kolonisation von Cumä durch die
ionischen Chalkidier und mit den alten Handelsverbindungen der dorischen
Kolonien Sikiliens mit den Völkern Jilittelitaliens. In jenen alten Zeiten
empfingen die Lateiner von den Griechen die Schrift und die Elemente
höherer Kultur, wovon uns noch heute die alten Anlehen, welche die
Sprache Latiums von Griechenland machte, wie nauta = vavtrjg, guter-
naior = xvßeQvdrag, ancora = ayxvQa^ aplustre = a(pXaaxov^ vinum =
fHHvog^ malum — fiakov^ cera = xrjQog, clavis = xXa/sig^ machina = fiaxavd,
balneum = ßahveiov, nummus = vovfifiog, sprechendes Zeugnis ablegen.^)
In jener alten Zeit erhielten auch bereits die Latiner zusammen mit den
£tniskem Kenntnis von den Heldengestalten der griechischen Sage, wie
Hercules, Castor, Pollux, Helena, welche Kenntnis ihnen hauptsächlich
darch die Darstellungen auf importierten Vasen vermittelt wurden, wie
ehedem den Griechen die Mythen des Orients durch die Inselsteine. Auch mit
Apollo, dem Wahrsagergott, und seinem Orakel zu Delphi trat neben Etrurien*)
auch Rom früh in Verbindung, indem es nach der Einnahme von Veji
(396) ein Weihgeschenk nach Delphi schickte und in dem Schatzhaus der
Massilioten niederlegen liess.*) Von Sikilien kam dann auch nach Mittel-
italien und Rom der Kultus der dort zumeist verehrten Gottheiten, der
Demeter (Ceres) und Persephone (Proserpina), sowie der Dioskuren.*)
Selbst griechische Maler sollen bereits 493 in Rom bei der Ausschmückung
des Cerestempels mit Wandfresken thätig gewesen sein.^)
') Vgl. Saalfeld, Theeanrns italo-graecus.
HxLBio, Sopra le relazioni commerciali degli
Aienjesi coli' Italia, Acad. d. Lincel 1889 p. 79
bis 93.
*) Das Orakel des Apollo (Apln) be-
fragten bereits 537 die etraskiscnen Be-
wohner von Cftre; s. Herodot 1 167.
') Diodor XIV 93; weniger genan Livins
V21,23.
^) Proserpina kommt schon vor m einem
alten Weihgeschenk der Pftligner in sator-
nischen Versen bei Büchblbr, Anth. lat. 17.
Im allgemeinen s. Bbokbb-Mabquabdt, Handb.
d. röm. Alt. IV 48 ff.
^) Plinius n. h. 85, 154; vergl. Urlichs,
Malerei in Rom vor Cäsars Diktator, Wttrz-
bmrg 1876.
614
QriechiBohe Litteratnrgesohiohie. IL NachklassiBohe Litteratnr.
Aber das war doch alles nur oberflächliche Berührung; in direkte
Verbindung mit griechischer Kultur und Litteratur kam Rom erst, als es
seine Waflfen gegen die griechische Kolonie Tarent in ünteritalien, die
blühende Hauptstadt Sikiliens, Syrakus, und dann in weiterem Verlauf
gegen Korinth in Griechenland selbst und die hellenistischen Reiche in
Makedonien und Vorderasien zu tragen begann. Die Hellenen unterlagen
in jenen Kämpfen zum zweitenmal der Gewalt fremder Waflfen und ver-
loren damit den Rest der Freiheit, den sie sich nach den Siegen Philipps
und Alexanders noch bewahrt hatten. Aber die Überlegenheit der gei-
stigen Kultur erwies sich doch stärker als die physische Übermacht, und
mit Recht konnte der venusinische Dichter sagen: Oraecia capta ferutn
victorem cepü et artes intulü agresti Latio. Wie dieses Verhältnis ent-
scheidend auf die Entwicklung Roms und der lateinischen Litteratur,*)
aber auch zersetzend auf die alte römische Sitte eingewirkt hat,^) dieses
darzuthun ist hier nicht der Ort. Hier interessiert uns das Fortleben des
griechischen Geisteslebens in dem römischen Reich und der Einfiuss, den
ihrerseits die gewaltigen Hilfsmittel Roms auf die griechische Litteratur
geübt haben.
446. Die Griechen hatten einst unter Alexander und seinen Nach-
folgern die fremden Länder Asiens 'und Ägyptens vollständig mit ihrer
Kultur durchsättigt und die Barbarenreiche hellenisiert : einen solchen Ein-
fiuss vermochten sie nicht mehr gegenüber Rom auszuüben. Dafür waren
sie dieses Mal die Besiegten, nicht die Sieger, dafür war auch die staat-
liche Organisation Roms zu fest und zu gewaltig. Die Überlegenheit der-
selben fand gleich von vornherein bei den Einsichtsvollen unter den Grie-
chen, wie Polybios, Strabon, Dionysios, unbedingte Anerkennung.') Auch
ersparte das Siegesbewusstsein der Römer den um ihre Gunst buhlenden
Griechen nicht die demütigende Stellung unterwürfiger Diener {ChraecuUy
Zwar drangen griechische Ausdrücke in die lateinische Sprache ein, und
mischte nicht bloss Lucilius griechische Wörter unter lateinische, sondern
schrieben auch die ältesten Historiker^) und auch später noch Sulla, Gor-
nutus, Germanicus ihre Memoiren, philosophischen Aufsätze und poetischen
Scherze in griechischer Sprache. Aber das waren nur vereinzelte Fälle;
^) Ed. Zarncke, Der Einflnss der grie-
chischen Litteratur auf die Entwickelung der
rönuBchen Prosa, in Comment. philol. für 0.
Ribbeck, Leipz. 1888.
*) Am schftrfsten hat den bösen Einflnss der
Griechen der alte Cato bei Plinius n. h. 29,
14 ausgedrückt: quandoque isla gens suas
litteras dabit, omnia corrumpet. In schwfir-
sesten Farben malt denselben, allerdings mit
Bezug auf sp&tere Verhältnisse Juvenal, in
der dritten Satire. Ein erster scharfer Gegen-
stoss gegen das Eindringen griechischer Sitte
bestand in dem Verbot der Bacchanalien-
feier 186 V. Chr.
') Dionys. De erat. ant. S: aitla 6' olfxai.
xttl agxv ^VS xocavxrjg uetaßoXijs iyivsxo
f^ navxwv x^arovaa ^Pio/itj, ngdf iaviijy
ayayxdCovaa xag öXag noXeis anoßXineiy,
xtti ravTtjg r' avrijg ol SvyttiftBvorr§g «tr*
d^ettjy xal nno rov XQaxUtxov rcr xoiyd
dioixovpTBg, svnttldevToi nayv xai yeyyaiM
tng xglffBig yeyofiBvoi.
^) Dass Q. Fabiufi und L. CinciiiB ihre
Historien ursprOnglich in griechischer Sprache
schrieben, bezeugt Dion. Hid. ant. I 6; das
Gleiche berichtet von Aul. Albinus (Consnl
151) Macrobius zugleich mit der schlagenden
Erwiderung des kernfesten Römers Cato, Sa-
turn, praef. 14: Nam »um, inqmi 9c. Alhimu,
hämo Bomanus, niUus in Latio, et eloquium
graecum a nobis aJienisHmum est; ideoque
veniatn gratiamque maiae existimatiami», si
quid esset erratum, postulavit. JEa
legisset M, Getto: ne tu, inquit, Auie,
nugator es, cum maluisti eulpam ätfr^cari
quam culpa vctcare.
Ba)Bömiflohe Periode Yor Konstantin. 1. Allgemeine Charakteristik. (§445.) 615
die lateinische Sprache bewahrte im grossen Ganzen ihre keusche Rein-
heit ebenso wie die griechische, i) und die besten Römer schrieben vor wie
nach in ihrem vaterländischen Idiom. Hingegen gewannen griechische
Lehrer, Grammatiker und Philosophen in Rom steigenden Einfluss, und
verlegten hervorragende Gelehrte, verlockt durch die glänzenden Aus-
sichten, die ihnen in der reichen Weltstadt mit ihren grossen Hilfsmitteln ')
und ihrer bildungsdurstigen Gesellschaft winkten, ihren Wohnsitz von Ale-
xandria und Eleinasien nach Rom. Schon Polybios weiss von den vielen
griechischen Litteraten zu erzählen, welche in der Hauptstadt des römi-
schen Reiches zusammenströmten.^) Die Zahl derselben . mehrte sich seit
Sulla, so dass Strabon XIV p. 675 sagen konnte „Rom ist voll von Grie-
chen aus Tarsos und Alexandria".*) Noch mehr steigerte sich der Pro-
zentsatz griechischer Einwohner Roms unter den Kaisern, von denen gleich
die ersten, Augustus und Tiberius, griechische Philosophen in ihrer Um-
gebung zu haben und mit griechischen Tischgenossen gelehrte Gespräche
zu f&hren liebten.^) Nach und nach ist so Rom eine halbgriechische Stadt
geworden, so dass sich mit Ingrimm der Römer Juvenal in der berühmten
dritten Satire gegen die Qraeca urbs aufbäumte, in der die Hefe Griechen-
lands aus allen Teilen der hellenistischen Welt zusammenfliesse und den
alten ehrlichen Römer um seine Stellung bringe.^) Nicht bloss wurde es
in der vornehmen Gesellschaft, namentlich bei den Damen, Mode griechisch
statt lateinisch zu sprechen,^) auch bei den öffentlichen Festen, wie bei
den Säcularspielen des Jahres 17 v. Chr., gab man der griechischen Lit-
teratur neben der lateinischen einen ebenbürtigen Platz, ^) und bei dem
im Jahr 86 n. Chr. von Domitian eingeführten kapitolinischen Wettkampf
') Nur in dem Briefstiel, der die Nach-
lisfligkeit der Umgangssprache liebte, er-
laubte man sich häufiger die Einmischmig
grief^ischer Wörter. Einzelne technische
AosdrCLcke waren schon mit Polybios in die
griechische Sprache eingedrungen; vgl. Im-
1I16CH, De glossis lexici Hesychiani Italicis,
Leipz. Stud. VIII 267-378.
*) Schon Lucullus hatte viele Bücher
nach Rom gebracht (Flui Luc. 42); Sulla
Tetpflanzte die mit philosophischen Werken
be^ns ausgestattete Bibliothek des Apelli-
koD nadi Rom (Strab. p. 609). Die von
Augustus gegrfindete Bibl. PaJatina hatte
eine griechische Abteilung und einen grie-
cUschen Bibliothekar. Diodor 1 4 rfihmt
ktoifAOjdzag xal nXslotag afpo^fAag 'Pto/Ätjg.
») Polyb. 82, 10: noXv ydg dtj u <pvXoy
«no T^c 'EXXddog ijif^gäoy 6q<o xaxd rS nagoy
tmv xfnovTwv dv^Qwntov, d. i. t(öv anovda'
Corritfv liBQi td fia^ij/Atfia. Ueber die Stel-
long der Römer zu dem Guten von ander-
wSrts Arrian tact 83: ini xi^Ss d^ioi
httiweiaSiU *PtofjiaTM, öxi ov xd oixeta xal
Tir ndx^a ovxw xi ijyanfjifayy oig xd navxd-
XoHr naXd iniXeidfAeyoi oixsia CfpUny
hoitjcayxo.
*) AxFB. HiLLSCHBB, Homtnum Httera-
torum graec&rum ante Tiberii mortem in urbe
Roma commorantium historia critica, Jhrb.
f. kl. Phü. Suppl. XVIII 355—444.
') Sueton Aug. 89: magütro usus ÄpoU
lodoro Pergameno, deinde eruditione etiam
varia repletus per Arei phUosophi fUorum^
que eins Dionysi et Nieanoris contubernium.
Vgl. Suet. Tib. 56; Claud. 42; Plutarch Mor.
814 D. Vgl. FribdlIndbb, Sittengeschichte
Roms m 275 fF.
") Juven. 8, 60: non possum ferre Qui-
rites, I Graecam urbem; quamvis quota portio
faecis Ächaei? I iam pridem Syrus in Tiberim
defluxit Orontes. Id. 3, 75 : quemvis hominem
secum attulit ad nos, \ grammaticus rhetor geo-
metres pictor aliptes \ augur sohoenobates
medicus magus, omnia novit \ GraeetUus
esuriens.
') Juven. 6, 186 £F. Der Graecomanie
der Frauenwelt jener Zeit haben wir die
französische Modesucht unserer Damen im
vorigen Jahrhundert zur Seite zu stellen.
^) Das wissen wir jetzt genau aus den
aufgefundenen Akten jener Sftkularspiele,
worQber Mommsen, Ephem. ejpigr. VIII 225
bis 815; Christ, Horatiana, Sitzb. d. b. Ak.
1898 S. 146 ff.
616
GrieohiBohe Litteratorgesohichte. IL HaohklaasiBohe Lüteratnr.
waren f&r griechische Dichtungen nicht minder als für lateinische Preise
ausgesetzt. 1) Selbst in das Staatsleben und die öffentlichen Urkunden
drang die griechische Sprache ein, indem z. B. der Kaiser Augustus sein
politisches Testament, in dem er von seinen Thaten und ßegierungsgrund-
Sätzen Rechenschaft ablegte, das sogenannte monumentum Ancyranum in
lateinischer und griechischer Sprache abfassen Hess. So hat also in Rom
die griechische Sprache zwar nicht, wie in den Diadochenstaaten, die ein-
heimische verdrängt, aber doch neben ihr sich eingenistet und behauptet
Auch wir werden daher in der Darstellung der griechischen Litteratur
der römischen Kaiserzeit auf die nebenher laufenden Erscheinungen der
lateinischen Litteratur Bücksicht nehmen und geeigneten Orts die Licht-
und Schattenseiten jeder derselben gegeneinander abwiegen.
446. Die römische Kaiserzeit von Augustus bis zum letzten Kaiser
Roms, Romulus Augustulus, ist so wenig für die Litteratur wie für die
polititsche Geschichte eine einheitliche Masse. Wir teilen daher die Lit-
teraturgeschichte der Kaiserzeit in zwei Perioden, in die Zeit vor Kon-
stantin und in die Zeit nach Konstantin. Als Scheidepunkt wählen wir
die Regierung des Kaisers Konstantin, da mit der Gründung eines oströ-
mischen, wesentlich griechischen Reiches und mit dem Übertritt des Kaisers
Konstantin zum Christentum eine tiefgreifende Änderung im Charakter
der Litteratur eingetreten ist. Was wir in unserer ersten Periode be-
handeln, ist noch wesentlich auf dem Boden der alten hellenischen Welt-
anschauung erwachsen und hängt vielfach noch mit den geistigen Be-
strebungen der alexandrinischen Zeit zusammen. Besonders im Anfang
dieser unserer Periode begegnen uns noch dieselben Lebensbedingungen
und dieselben Richtungen der Litteratur wie in der Diadochenzeii. Die
Grammatiker Heliodor und Herodian betrieben dasselbe in Rom, was
Aristophanes und Aristarch in Alexandrien betrieben hatten, und die ge-
lehrten Institute der ägyptischen Hauptstadt sorgten vor wie nach für
einen tüchtigen Nachwuchs von Lehrern und Gelehrten, nur dass die Sitze
und Freiplätze der römische Kaiser, nicht mehr der König aus dem Hause
der Ptolemäer verlieh.') Hingegen riss mit der Regierung Konstantins
und der Erhebung des Christentums zur Staatsreligion der Faden, welcher
die Kultur des römischen Reiches mit den alten Anschauungen des Grie-
chentums verband. Nur in einigen wenigen Zweigen der Litteratur be-
zeichnete auch die Regierung des Konstantin noch keinen tiefen, eine völlige
Trennung rechtfertigenden Einschnitt. Wer wollte z. B. den Origenes von
Eusebios oder die Romane vor Konstantin von denen des untergehenden Alter-
^) Schon zuvor berichtet von Kaiser
Caligola Sueton Gal. 20: certamen quoque
Graecae Latinaeque facundiae in Gallia
Luguduni edidit. Vom Kaiser Vespaaian
rtthmt Tacitos hist. II 80 : satis decorus etiam
Graeca facundia. Von öffentlich ange-
stellten Professoren der lateinischen und grie-
chischen Beredsamkeit berichtet Sueton im
Leben des Yespasian c. 18: primus e fisco
Grctecis Latinisque rhetaribus annua centena
comtituü. Auch die jüdische Synagoge und
die älteste christliche Gremeinde Roms be'
diente sich der griechischen Sprache, wes-
halb die Evangelien, auch die in Rom ent-
standenen, in griechischer Sprache abgeCaast
sind.
>) MoMMSBV, Rom. Gesch. V * 589 flL Der
ganze 5. Band des grossen Histoiikers ist
▼on einziger Wichtigkeit f&r die Stellung
des Griechischen in den einzelnen ProYimen
des römischen Reichs.
Ba)B5]iiiBohePeriodeTOrEoiiBtantin. LAllgemeineCharakteristik. (§§446—447.) 617
toms scheiden? Ausserdem tritt in der Philosophie der Umschlag nicht
erst mit Konstantin, sondern bereits im 8. Jahrhundert mit dem Aufkommen
der mystisch-religiösen Richtung des Neuplatonismus ein. Endlich ist es
bei mehreren Schriften, namentlich bei grammatischen Kompendien und
versifizierten Lehrbüchern sehr schwer zu bestimmen, wann sie entstanden
sind, ob noch im 3. Jahrhundert oder erst gegen Ende des Altertums,
unter solchen Umständen haben wir wohl zwei Teile der römischen Periode
unterschieden, aber zwischen ihnen keine scharfe Grenze gezogen und
z.B. den Roman insgesamt in die zweite Abteilung verwiesen, unbekümmert
darum, dass die Anfänge dieses Zweiges der Litteratur schon in die Zeit
vor Konstantin fallen.
447. Auch unsere erste Periode selbst trägt keineswegs einen durch-
weg einheitlichen, gleichmässigen Charakter. Namentlich trat mit dem
Aufblühen der Sophistik unter Hadrian und den Antoninen ein starker
Unterschied in dem geistigen Leben der Griechen, ja des ganzen Reiches
ein. Doch war derselbe immerhin nicht so tiefgreifend, dass er uns zu
einer weiteren Spaltung der Litteraturgeschichte nötigte. Wir begnügen
uns daher damit, hier in der allgemeinen Einleitung eine kurze Charakte-
ristik der politischen Verhältnisse zu geben und den Einfluss derselben
auf den Gang der Litteratur in grossen Linien zu zeichnen.
Unter den Kaisern der julischen (30 v. Chr. bis 68 n. Chr.) und flavi-
schen Dynastie (69 — 96) bewahrte das römische Reich bei straffer Konzen-
tration der Regierungsgewalt seinen ausgeprägt römischen Charakter. Die
Staatsgewalt und die Gesetzgebung blieben in römischen Händen: nur
lateinische Reden wurden im Senat und in den Gerichtshallen gehört; nur
Römer konnten es unternehmen zeitgenössische Geschichte im grossen Stil
zu schreiben ; selbst in der Poesie fielen die höheren Gattungen des Epos
und der Satire ausschliesslich den Römern zu. Den Griechen verblieb die
gelehrte Litteratur, die Historie der älteren Zeit, die leichte Gattung des
Epigramms und des Mimus. Bezeichnend ist es für die sprachliche
Scheidung der Litteratur, dass der Kaiser Caligula die Geschichte seines
Lebens und des bürgerlichen Friedens unter Augustus in lateinischer,
das gelehrte Werk tyrrhenischer und karthagischer Geschichte in griechi-
scher Sprache schrieb. Keine nachhaltende Änderung schuf in dieser Be-
ziehung die Vorliebe des Kaisers Nero für die leichten Seiten des grie-
chischen Lebens ; sein Auftreten als Citharöde und Schauspieler blieb ohne
Wirkung, der römische Geist war noch stark genug, um diesen kaiser-
lichen Komödianten von sich abzustossen. Wirkungsvoller war die von ihm
verkündete Befreiung Griechenlands. Denn war auch an der Sache viel
eitler Wortschwall, so ward doch damit das autonome Leben der griechi-
schen Städte begründet, was selbst ein Plutarch, der sicher über jeden
Verdacht der Schmeichelei erhaben ist, mit aufrichtigem Danke aner-
kannte.^) — Weit besser für die Griechen gestalteten sich die Verhält-
*) Plut. De Bera num. vind. 567 F: otpsl-
Uff^a» Sä rt xai /^lyaroi' avTcJ {Nigayt)
Ti«Qa 9€ufy, ort joSy vntjxofay t6 ßeXttaroy
xat d60(fiXeataxoy yivog rjXBvd^iQioae, rrjy
'EXXada.
618
Orieohisohe LitteraturgeBchiohie. II. HaohUasaisol^e Lüteratnr.
nisse unter Trajan und seinen Nachfolgern. Trajan zwar war noch zn
sehr durch kriegerische Unternehmungen in Anspruch genommen, als dass
er für die Künste des Friedens und die von ihm hochgeachtete griechische
Litteratur viel zu thun vermochte. Aber immerhin kam der kräftige Ann
der wieder erstarkten römischen Eaisergewalt auch dem Griechentum zu-
gut und schützte derselbe namentlich die zerstreuten griechischen Städte
an den äussersten Grenzen des Reiches, wie Seleukia am Euphrat, die
PentapoHs in Mösien, die Bosporaner an den Nordgestaden des schwarzen
Meeres, vor den Übergriffen der angrenzenden Barbaren. In Pergamum
zeugen heutzutage noch die Reste des nach dem Kaiser genannten Pracbt-
baus Traianeum von der werkthätigen Gunst, welche Trajan der griechi-
schen Kunst und Bildung zuwandte. Mehr aber hat sein Nachfolger
Hadrian (117 — 138) für das Wiederaufblühen griechischen Geistes gethan.
Derselbe trug eine entschiedene Vorliebe und ein feines Verständnis für
griechische BUdung zu Schau; derselbe unternahm es zugleich, die Reichs-
gewalt zu decentralisieren und neben Rom die Städte der Provinzen und
nicht am mindesten Athen zu selbständigem Leben gelangen zu lassen.
Den grösseren Teil seines Lebens brachte er ausserhalb Roms zu, zwei-
mal verweilte er zu längerem Aufenthalt (123 — 6 u. 132 — 3) in Griechen-
land und in der alten Bildungsmetropole Athen. In kaiserlicher Freigebig-
keit schmückte er Griechenland mit Werken der Kunst, baute neue Tempel,
wie den Kolossaltempel des olympischen Zeus in dem nach ihm benannten
Stadtteile Athens, und restaurierte alte Stätten des Geisteslebens Griechen-
lands, wie das Dionysostheater in Athen und den Mysterientempel in
Eleusis, leitete auch selbst als Agonothet gymnische und musische Wett-
spiele, i) In Rom selbst erbaute er, gleichsam Hellas nach der Reichs-
hauptstadt verpflanzend, ein Gymnasium mit dem Namen Athenaeum.')
Das alles konnte nicht verfehlen, das Griechentum zu neuem Leben zu er-
wecken und auch der griechischen Litteratur neue Bahnen zu eröffnen.
Freilich die geheimnisvolle Macht echter nationaler Geistesgrösse vermag
auch die freigebigste Unterstützung einzelner Gönner nicht hervorzuzaubern,
und die rhetorische Sophistik, welche unter der Gunst Hadrians und seiner
Nachfolger erblühte^ war nur ein sehr schwacher Abglanz der Beredsam-
keit des alten freien Hellas. — Die durch Hadrian inaugurierte Neube-
lebung der griechischen Litteratur erhielt sich unter dessen Nachfolgern^
den friedliebenden und edelgesinnten Antoninen (138—180), von denen
Antoninus Pius Lehrstühle der Rhetorik allwärts im Reiche gründete,^)
und Marc Aurel selbst als griechischer Schriftsteller mit seinen Selbstbe-
trachtungen auftrat. Die fortschreitende Decentralisation des Reiches und
^) In Olympia baute er das Leonidalon,
in Delphi eine grosse Wasserleitung, worüber
PoMPTow, Beiträge zur Topographie von
Delphi, S. 35. Der griechischen Kunst kam
auch die Anregung zu statten, welche das
kaiserliche Beispiel auf reiche Griechen wie
Herodes Atticus übte.
') Aurelius Victor Caes. 14, 1: Äelius
Hadrianus . . . Bomae . . . gymnasia doctores-
que curare eoepü, adeo quidem, ut etuim
ludutn ingtnuarum ariium, quod Äthenaeum
vocant, constituerit:
') Capitolinus Anton. I^us 11, 3: rkeUh-
ribtis et phüosophis per omnes provineias et
honores et salaria dikulit. Auch den Gram-
matikern und Aerzten wandten die Kaiser
fthnllche Freigebigkeit zu nach Modeatums
Digest. XXVn 1, 6.
Ba)B0iiii8ohe Periode Tor Konetantin. 1. Allgemeine Giiarakterietik. (§448.) 619
das Interesse für griechische Bildung begünstigten auch noch unter den
nachfolgenden Kaisem, namentlich unter Septimius Severus (193—211) und
Alexander Severus (222—235), das Fortleben der griechischen Litteratur.
Die Ausdehnung des römischen Bürgerrechtes auf alle Reichsangehörige
unter Caracalla (212) musste für die östlichen Provinzen, in denen die
Mehrzahl der Einwohner griechisch sprach, auch eine Erstarkung des
griechischen Elementes zur Folge haben. Auch die Partherkriege im Osten
des Reiches waren dem Griechentum eher günstig wie nachteilig, da die-
selben die Kaiser öfter in die östlichen, griechisch redenden Teile des
Reiches führten. So erzeugte denn diese Zeit noch ganz beachtenswerte Ver-
treter der griechischen Litteratur, wie den Historiker Cassius Dio und die
Sophisten Philostratoi. Aber in der Mitte des 3. Jahrhunderts lasteten die
ewigen Bürgerkriege und Militärrevolutionen schwer auf dem ganzen Reich,
80 dass eine allgemeine Zerrüttung der Gesellschaft eintrat und von einem
freudigen Schaffen im Reiche des Geistes keine Rede mehr sein konnte:
mit der lateinischen Litteratur verstummte zugleich die griechische, die
Säulen der alten Bildung kamen ins Wanken, römische Kraft und grie-
chische Geistesfreiheit wichen fremden Einflüssen.
448. Um schliesslich auch noch die Statten, an denen in der römi-
schen Kaiserzeit die griechische Litteratur blühte, einleitungsweise zu er-
wähnen, so war in unserer Periode, namentlich seit dem Beginne des
zweiten Jahrhunderts wieder das griechische Stammland (Achaia) und in
diesem Athen der Hauptsitz des geistigen Lebens Griechenlands; auch
auf die Gebildeten Kleinasiens, Syriens und Italiens übte die Feinheit
attischen Lebens von neuem eine mächtige Anziehungskraft. Nächst-
dem blühten Schulen und litterarische Bestrebungen in den Städten der
vorderasiatischen Küste oder der beiden Provinzen Asia nnd Bithynia, wie
in Smyma, Ephesos, Pergamon, Rhodos, Prusa, Nikäa, Nikomedia. Von
den mehr nach dem Innern zu gelegenen Städten Kleinasiens wetteiferten
in der Pflege griechischer Bildung Xanthos in Lykien, Laodicea und Apa-
mea in Phrygien, Amasia in Galatien, Cäsarea in Kappadokien, Tarsos in
Kihkien. Dazu kamen die ehemaligen Hauptstädte der zwei grössten
hellenistischen Reiche, Alexandria und Antiochia, die auch in der römi-
schen Zeit ihre hervorragende Stellung behaupteten. Neu trat hinzu Rom,
das als Hauptstadt des Reiches eine grosse Anziehungskraft auch auf die
Griechen übte und namentlich unter Augustus mehrere hervorragende
Grössen der Litteratur, wie Strabon, Diodor, Dionysios, an sich zog, seit
dem Aufblühen der Sophistik aber gegenüber den griechischen und helle-
nistischen Städten wieder in den Hintergrund trat. Von den Städten des
Reiches, wo nur sporadisch Griechen wohnten und griechische Kultur
pflegten, verdienen noch eine Erwähnung Ktesiphon und Seleukia am
Eophrat, welche im äussersten Osten den Samen griechischer Kultur er-
hielten und die Kenntnis griechischer Schrift und Sprache nach dem Reiche
der Arsakiden verbreiteten.^)
>j Ueber die ArsakidenmOnzen mit griechischer Schrift s. Gutbchmid.
620
Grieohisohe Litteratnrgesohichte. ü. Naohklassiaobe Litieratur.
2. Die Poesie.
449. Die Schöpfungen im Reiche der Poesie sind der Gradmesser des
höheren geistigen Lebens einer Nation. Waren dieselben schon in dem
alexandrinischen Zeitalter immer mehr gesunken, so gingen dieselben in
unserer Zeit fast auf den Nullpunkt herab. Zu einer nationalen Poesie
fehlte, nachdem die Nation selbst untergegangen war, die natürliche Nah-
rung. Ein Volk, das selbst keine Thaten mehr vollbringt, bietet auch dem
Dichter keinen geeigneten Stoflf mehr zur epischen Erzählung. Die Thaten
römischer Grosser aber zu besingen, blieb selbstverständlich den römischen
Dichtem tiberlassen. Leuten, die zu dienender Stellung verurteilt waren,
fehlte auch die gehobene Stimmung, um bei öffentlichen oder privaten An-
lässen den Gefühlen der Seele klangvollen Ausdruck im Liede zu geben.
Überdies überwog immer mehr die Neigung des Publikums, bei festlichen
Gelegenheiten lieber rein musikalische Vorträge als langweilige Päane und
Hymnen über abgedroschene Themata zu hören. Theater wurden zwar
auch in unserer Zeit noch in Griechenland, sowie in hellenistischen Städten
des Orients und selbst in Rom gebaut, ^ aber sie dienten mehr für Volksver-
sammlungen^) und für Aufführung von Mimen, Pantomimen und selbst
Naumachien») als für Schöpfungen der Muse Melpomene. Als dami aber
später unter Hadrian und den Antoninen Hellas wieder ein selbständigeres
Leben zu führen und die alten Feste mit neuem Glänze zu feiern begann,
da war die Kraft der Poesie bereits so abgestorben, dass sie nichts Grosses
mehr zu schaffen im stände war. So treten wir denn mit dem römischen
Kaisertum in die Periode der Prosa ein und haben der Poesie nur wenige
Blätter zu widmen. Die hervorragendste Stelle behauptete in derselben,
namentlich in dem Beginne des römischen Kaiserreichs
Das Epigramm. Es sind uns durch die Anthologie hübsche und
geistreiche Spiele von teils griechischen, teils römischen Dichtern er-
halten, welche denen der alexandrinischen Zeit nicht viel nachstehen,
zum grössten Teil aber doch nur die alten Themata von neuem variieren.
Nur in der Neigung zum witzelnden Spottepigramm finden wir eine
neue, mit besonderem Glück verfolgte Richtung, die uns daran erinnert,
dass wir es mit den Zeitgenossen des Martial zu thun haben. Die
Kunst des Spottepigramms veranlasste dann auch eine Erweiterung der
metrischen Form; neben dem elegischen Distichon finden wir jetzt
häufig, geradeso wie bei Martial, iambische Trimeter und Skazonten
verwandt, beide gebaut nach der strengen Norm der lambographen.
— In die Anthologie sind die Epigramme unserer Periode vornehmlich
durch Philip pos gekommen, der unter Caligula dem Kranze des Meleager
*) Von griechischen Theatervorstellungen
neben römischen bei den Säkularspielen des
Jahres 17 lesen wir jetzt in den Akten jener
Spiele.
') Bezeichnend ist, dass in Tralles nach
Vitruv YII 5 das kleine Theater geradezu
den Namen ixxXijaiaaxiJQioy hatte. In ähn-
licher Weise ist von Plntarch Mor. 823^
das Wort Xoyetoyj welches ursprünglich die
Schauspielerbflhne bedeutete, von der Redn»-
bühne im Theater gebraucht Aach das
Theater von Antiochia diente nach TacitoB
bist. II 80 der Volksberatung.
') Selbst in Athen erlitt unter Nero das
alte Dionjsostheater zum Zwecke y<Hi Gla>
diatorenspielen und Naumachien einen förm-
lichen Umbau; Dörpfeld, Das griech. Theat»
S. 91 f.
Ba) BOmiaohe Periode Yor Konstantm. 2. Die Poesie. (§ 449.)
621
einen neuen zur Seite setzte.^) In dem Proömium hebt derselbe als die-
jenigen Dichter, aus denen er die Blumen gesammelt, folgende hervor:^)
Antipater von Thessalonike, Freund und Verehrer des aus Horaz a. p.
bekannten L. Calpumius Piso (cons. 15 v. Chr.);*) Krinagoras, den Stra-
bon p. 617 unter den zeitgenössischen Dichtem Mytilenes anführt und der
durch seine poetischen Spenden in besonderer Gunst an dem kaiserlichen
Hofe des Augustus stand ;^) Antiphilos von Byzanz, dessen Zeit durch
das Epigramm auf den von Agrippa angelegten Damm von Puteoli (Anth.
7, 379) und ein anderes (9, 178) auf den Aufenthalt des Tiberius Nero in
Rhodos bestimmt wird; Tullius Laurea, Freigelassener des Redners
TuDius Cicero; Philodemos aus Gadara, der mit dem bekannten Epi-
kureer aus Ciceros Zeit eine Person zu sein scheint;*^) Diodoros mit dem
Beinamen Zenas von Sardes, Zeitgenosse des Mithridates, den Strabon
p. 628 als Verfasser von Gedichten und historischen Werken anführt;
Bianor aus Bithynien, dessen Zeit durch das Epigramm auf das Erdbeben
vom Jahre 16 n. Chr. (Anth. 9, 428) bestimmt wird; Antigenes aus Ea-
rystos, der mit dem berühmten Biographen der pergamenischen Epoche
nicht verwechselt werden darf;*) Diodoros von Tarsos, der wohl eine
Person mit dem von Strabon p. 675 als Grammatiker angeführten Diodoros
ist; endlich Euenos,^) Antiphanes, Automedon,^) Parmenion. Na-
türlich hat auch Philippos aus Thessalonike *) geradeso gut wie vordem
Meleager eigene Dichtungen seinem Kranze einverleibt; unter seinem
Namen sind über 80 zierliche Epigramme teils in elegischem, teils in
iambischem Versmass auf uns gekommen, darunter auch das berüchtigte
auf die woi*tklaubenden Grammatiker, die Kinder des Momos (11, 321).
Nach dem Epigramm auf die Bienen, welche in die Trophäen von Aktion
ihre Waben bauen (6, 236), und einem andern auf den Damm von Puteoli
(9, 708) möchte man den Verfasser in die Zeit der ersten Kaiser der
') Infolgedessen Bind in der Anthologie
die Epigramme dieser Periode mit den ver-
wandten Epigrammen des Kranzes des Me-
leager (s. § 356) verbunden; beide Kränze
waren alphabetisch nach den Anfangsbuch-
staben geordnet; s. Passow» De vestigiis co-
ronanun Meleagri et Philippi in Antihologia
Constantini Ceph., Opusc. c. IX.
*) Nftheres bei Jacobs, Catalogus poe-
tarom epigrammaticorum t. XIII 829 ff.;
HttiscHBB Jahrb. f Phü. Suppl. XVIIl (1891)
400 ff.
') Nach einem seiner Epigramme, Anth.
9, 3 hat ein römischer SchQler die in ovidi-
Bche Handschrift als Lflckenbüsser einge-
schobene Elegie vom Nussbanm gedichtet,
worflber Ribbbck, Gesch. der röm. Dicht. II
362. Ein anderes auf den Ringer Qlykon
VII 692 ist von Lessing auf den Gljcon bei
Horaz epist. I 9, 30 bezogen worden.
*) Nähere Kenntnis über Krinagoras
brachten mehrere neuerdings aufgefundene
loscbriften von Mytilene, wonach unser
Dichter 45 u. 26 v. Chr. an Ehrengesandt-
Bcbalten von Mytilene an den römischen
Kaiser Augustus beteiligt war; s. Gjohorius,
Rom und Mytilene, Leipz. 1888, S. 47—61;
die Epigramme gesammelt von Rubbnsobn,
Grinagorae epigrammata, Berl. 1888; dazu
Th. Mommsen Sitzb. d. ßerl. Ak. 1889 S. 973 ff.
^) Kaibel, Philodemi Gadarensis epi-
grammata, Ind. lect. Greif swald 1885.
") Derselbe Antigonos hatte ein Idyllion
'JyjinaiQog und 'Akkoiaiaeig gedichtet; siehe
WiLAMowiTZ, Phü. ünt. IV 169 und 389.
^) In der Anthologie erscheinen drei
Euenoi, einer aus Athen (9, 602), einer aus
Sikilien (9, 62), einer aus Askalon (9, 75);
angefahrt wird ein Euenos von Arrian, Epict.
IV 9 und Artemidor I 5.
^) Es gab zwei Epigrammatiker des
Namens Automedon, einen Aetolier (7, 534)
und einen Kyzikener (11, 46); einer derselben
feiert den zur Zeit Nervas lebenden Redner
Niketes (10, 23), wenn nicht hier mit Hill-
scher S. 415 ein älterer Rhetor Niketes aus
der Zeit des Augustus zu verstehen ist.
^) Ein Philippos aus Karystos ist Ver-
fasser von dem Epigramm 7, 394.
622
Grieohiache Litter ainrgeBohiohie. It. NaohklMsiaohe Lltteratnr.
iulischen Dynastie setzen, i) Aber auf spätere Zeit, auf die 2. Hälfte des
1. Jahrhunderts, scheinen viele der Epigramme hinzuweisen, die man fär
Blätter aus dem Kranz unseres Philippos auszugeben pflegt. VieUeicht
aber sind in die Anthologie des Kephalas auch aus späteren Blutenlesen,
namentlich der des Diogenianos, Epigramme gekommen,^) so dass man aus
den jüngeren Spielereien nicht auf eine spätere Lebenszeit des Philippos
zu schliessen berechtigt ist.
Ausser den von Philippos ausdrücklich genannten Dichtern begegnen
in der Anthologie noch folgende Epigrammatiker der römischen Periode:
Archias, vielleicht derselbe, den Cicero verteidigte, der indes seinen Haupt-
ruhm den epischen Gedichten auf den kimbrischen und mithridatischen
Krieg verdankte;») Theophanes der Geschichtschreiber des Pompeius;
Boethos aus Tarsos, ein Günstling des Antonius;^) Julius Polyän, der
mit dem gleichnamigen Sophisten aus Cäsars Zeit identisch zu sein scheint;
Alpheios von Mytilene und Thallos von Milet, beide aus der Zeit des
Augustus; Leonidas aus Alexandria unter Nero; Erykios von Kyzikos
oder Thessalien, vermutlich aus der gleichen Zeit; ferner Cäsar Ger-
manicus, Lollius Bassus (unter Tiberius), Gätulicus (unter Caligula),^)
Lucilius (v. 1. Lukillos),«) der nach Anth. 10, 572 unter Nero 2 Bücher
Epigramme schrieb, M. Argentarius,') Geminus, Traianus, Hadria-
nus, Ammianus (Zeitgenosse des Sophisten Polemon), Fronto aus Emesa
(Rhetor unter Severus nach Suidas), endlich mehrere Dichter von Spott-
epigrammen, wie Lukian,«) Nikomachos (Zeitgenosse des Plutarch),
Philon aus Biblos unter Hadrian, Antiochos,») Apollinarios.*^)
450. Straten von Sardes veranstaltete unter Hadrian oder bald
nachher 1^) unter dem Titel Movaa nmSix}] eine Sammlung von Epigrammen
auf schöne Knaben, welche den Grundstock des 12. Buches der Palatini-
schen Anthologie bilden. ^^) Stösst uns in denselben auch oft das nackte
Bekenntnis sinnlicher, jedes idealen Zuges barer Liebe ab, so muss man
doch dem Dichter die Ehre grosser Formgewandtheit lassen. Auch werden
trotz des gemeinen Untergrundes einzelne Gedanken dieses Musenspiels,
wie ipvxiiq €a%lv iQtog äxovtj (12, 18) oder xaigog iqwn (piXog (12, 31) ihre
Geltung und ihren Reiz behalten. — Ähnliche Sammlungen von Epigrammen
waren in der Kaiserzeit noch mehrere entstanden: Laertius Diogenes
*) Jacobs, Anth. VII p. XLIV setzt ihn
unter Aogastiis-Tiberius; Hillsohsk S. 413 ff.
lAsst richtiger den Kranz unter Caligula ge-
sammelt sein.
«) Vgl. Weiqand Rh. M. 3, 552 ff.
«) Vgl. Strab. p. 757; M. Haupt Opusc.
III 409 f.
*) Strab. p. 674; einen Boethos als Stu-
diengenossen erwähnt Strab. p. 757.
') Vermutlich derselbe, den Martial. 1.
init. u. Plinius ep. III 5 erwähnen.
•) UsENEB Sitzb. der b. Ak. 1892 S. 644
identifiziert ihn mit dem Gnunmatiker Lu-
killos Tarrhaios.
^) Vielleicht identisch mit dem Rhetor
Argentarius in Senecas Suasorien.
') Es sind 33 Epigramme; dass ihr Ver-
fasser eine Person mit dem berlllimten Sati-
riker sei, ist unwahrscheinlich.
') VieUeicht identisch mit dem Sophisten
Antiochos aus Aigai, bekannt ans Philostr.
Vit. soph. II 4.
'^) Zweifelhaft ist, ob derselbe identisch
mit dem Freunde des Libanios ist.
'^) Diogenes V 65 führt einen Slraton
noiijTtjy imyqafifjiaruty an; ein ESpigramm
11, 117 geht auf Eaiäto, den Leibarzt des
Hadrian ; s. Jacobs, Anth. gr. VI p. XL VI sqq.
") Der grössere Teil dieses 12. der
Knabenliebe gewidmeten Buches, XII 37 bis
172, rOhrt aus dem Kranz des Meleager her;
WbisshXupl, Die Grabgedichte der grieck
Anth., Wien 1889,
B a) ROmifliohe Periode Tor Konatantin. d. Die Poesie. (§§ 450—451.) 623
schrieb ein Buch ndfifÄSTQov auf berühmte Männer, aus dem er selbst
mehrere Verse in seinen Philosophenbiographien anführt; Diogenianos
aus Heraklea verfasste unter Hadrian ein ^AvO-oloyiov irnygafifiattovA) Von
einer gewissen Julia Balbilla, Hofdame der Sabina, der Gemahlin Ha-
drians, sind uns mehrere Epigramme erhalten, welche auf den Schenkeln
und Füssen der Memnonstatue in Oberägypten eingegraben sind, darunter
fünf in äolischem Dialekt; diese und andere Kleinigkeiten der Art hat
Kaibel in seine aus Steinen gesammelte Epigrammata graeca aufgenommen.
Die Gräber und Tempeltrtimmer bringen immer noch neue Früchte dieser
Gelegenheitspoesie zum Vorschein, wie unlängst in der Ebers zu seinem
60. Geburtstag gewidmeten Festschiift ein witziges Gedicht auf einen
schwarzen Knaben in iambischen Trimetern veröffentlicht wurde.
461. Lyrische Dichtungen. Von Mesomedes, einem Freige-
lassenen Hadrians,^) sind ein Vorspiel {nqooi^uov) an die Muse Kalliopeia
und zwei Hymnen an Helios und Nemesis auf uns gekommen. Es sind
einfache Anrufungen an den Sonnengott und die Göttin der strafenden
Gerechtigkeit, ohne mythologische Erzählung. Sehr wohlklingend und
leicht verständlich ist das Versmass, bestehend in aufsteigenden zwölf-
zeitigen Logaöden und abschliessenden Parömiacis ; aber das Hauptinteresse
knüpft sich doch an die Melodie, die in alter Notenschrift, zu deren Ent-
zifferung uns der Traktat des Alypios den Schlüssel bietet, über dem Text
geschrieben steht.
Ed. pr. von Bürette in Histoire de V acad. des inscriptions et belies lettre», Paris
1729; Hanptansg. von Bellbrxann, Die Hymnen des Dionysius Alexandrinus und Mesomedes,
Berlin 1840; neoe Textesrevision von C. Jaw in Mus. Script, gr. p. 454 ff., wozu Th. Rein ach
in Revue des ötud. grecques IX (1896} n. 33.
Ein Päan an den Heilgott Asklepios wurde unlängst auf einem
Stein der ägyptischen Stadt Ptolemais gefunden. Die Inschrift nennt
den Kaiser Trajan ; ob auch der Päan erst in dieser Zeit gedichtet wurde,
ist nicht ausgemacht, da er wohl Verse enthält, die sich auf Ägypten und
Ptolemais beziehen und also auch nur hier entstanden sein können, aber
keine Beziehung auf den Kaiser oder den kaiserlichen Statthalter durch-
blicken lässt. Aber immerhin ist derselbe durch seine metrische Form,
die nichts gleiches in der Litteratur nach Alexander hat,^) hochinteressant.
— Ein ganz ähnlicher Päan des elioq xavd ddxxvXov und ein in leichten
vierfüssigen Logaöden gedichteter, welche beide gleichfalls nach der Form
der Buchstaben aus der römischen Zeit stammen, haben sich in dem Be-
') Bezeugt von Suidas. \ aus einem Fragment des Joannes Lydus
') Suidas : Meaofujiffjg ^QiJK Xvqixos^
yiY^ywg ini xtuy 'Jdgiarov /poVoi»', änekev-
*e^ ttviov ij ir roig fiaXiaia (piXog ' ygatpci
•w elf 'Jifxivoov ina^yoy, ög rjy 'AdQiayov
ffauftxcr, xai aXXa ffiätpoQa fieXtj. Eusebius
nun 7. Regierungsjahr 'des Kaisers Antoninus :
^fcofi^drjg K^g noir^fijg vofiiay xt&aQfftdixtu y
iyyttQi^oyro xtti TavQog IlXaitoyixdg xai
^•TWf. Cf. Capitolinus vit. Antonini c. 7.
Sd Epigramm von Mesomedes Anih. Pal. 14,
^ 0. Anih. Plan. 328. Dass unsere ngooifAia
Ton Mesomedes herrtthreU; hat schon Bürette
erkannt. Das einleitende Prooimion hat man
früher, verleitet durch den cod. Neapel. 262
dem Dionysios zugeschrieben, aber die Bei-
schrift Jvwyvaiov bezieht sich, wie neuer-
dings Jan bekräftigt hat, nicht auf das fol-
gende Lied, sondern auf den vorausgehenden
Traktat Ubei Musik.
*) Die Verse sind in der Inschrift nicht
abgeteilt und lassen vermuten, dass ebenso-
wenig bei Pindar und den anderen chori-
schen Lyrikern die Verse und Kola ehedem
abgeteilt waren.
624
GrieohiBOhe LitteratnrgeBohichie. II. NachklMsisohe Lltteratiir.
zirk des Asklepiosheiligtums von Athen gefunden;^) leider aber sind die
einzelnen Zeilen des ersteren stark am Ende verstümmelt;^) als Dichter
desselben nennt sich ein gewisser Max€6\_oviog], der aber jedenfalls von
dem viel späteren, unten § 591 zu erwähnenden Epigrammatiker Make-
donios verschieden ist. Man sieht aus diesen Päanen, ähnlich wie aus
den oben § 355 besprochenen delphischen Hymnen, dass Kultlieder der
späteren Zeit Figuren aus einer Form gleichen: das Metrum war ebenso
stereotyp wie der Inhalt; der neue Dichter bewies sich als ein anderer
nur durch kleine Modifikationen.
£d. princ. von Baillet in Rey. arch^ol. XIII (1889) 70 £F.; neue Bearbeitung von
Ziebarth-Weiomakn in Gommentationes philologicae Monacenses, Mfinchen 1891 p. 1—21.
Poetische Spielereien, die sich in der Zeit des Hadrian einer beson-
deren Beliebtheit erfreuten, waren die Anakreontea, gefallige, in tän-
delnden Dimetern gedichtete Nachahmungen von Liebesliedern des Ana-
kreon. Sie sind den Epigrammen verwandt und auch mit diesen durch
dieselbe Handschrift auf uns gekommen.') — Zur Klasse der Anakreontea
gehört auch das unlängst in Tralles in Kleinasien aufgefundene Liedchen,
das Seikilos sich auf den Grabstein setzen Hess; es fordert zu frohem
Lebensgenuss auf, da nur kurz die Zeit des Lebens ist. Besonderes Inter-
esse haben auch diese Zeilen dadurch, dass über dem Text die Noten der
Melodie geschrieben sind. Ausgabe von Crusius Philol. 53 (1894) 160, und
C. Jan, Mus. script. gr. p. 452.
Die drei Bücher Plaudereien (Atcr^m) des Grammatikers Herakleides
Pontikos in Hendekasyllaben hatten nur die Form lyrischer Gedichte,
behandelten aber einen möglichst unpoetischen Stoff, nämlich Streitfragen
der Grammatiker.*)
452. Dramatische Poesie. In dieser Gattung der Poesie Waren
die Lateiner und Griechen gleich unfruchtbar in unserer Periode. Unter
dem Druck der despotischen Gewalt musste das freie Lustspiel verstummen,
und selbst auch für den mahnenden Ernst der Tragödie fehlte in dem
kaiserlichen Rom die richtige Stimmung. Alte Tragödien der klassischen
Zeit bekam man zwar noch zu hören, aber auch von ihnen nur einzelne
Kraftstellen, ö) Unter der Regierung des Hadrian und der Antoninen waren
») VeröfFentiicht im Athenaion VI (1877)
p. 14 u. CIA 3, 1, u. 171 ' u. 171 b. Vier Päane,
darunter der alte des Ariphron sind zusammen-
geschrieben auf einem jetzt in Kassel befind-
lichen Stein CIA III 171.
') Der Fortgang des Rhythmus über die
Zeile ist auf dem Stein durch Einrücken
bezeichnet, was an das ixxi^eyai und et'a-
ji^ivm der Heliodorscholien zu Äristophanes
erinnert; vgl. TniBMAKy, Heliodori colom.
Aristoph. p. VI. Dieses hat darin seinen
tieferen Grund, dass die einzelnen rhythmi-
schen Sätze des Pftan über den Umfang
eines Verses (otixog) hinaus zu grossen
Perioden (ti e^tocfog) angewachsen sind. In
wechselnden RhyÜimen sind auch gedichtet
die Ode auf das Apolloorakel in Pisidien bei
Kaibsl, Epigr. gr. n. 1040, besser nach nener
Abschrift bei Sterbet, The Wolf expedition
in Asia minor, Boston 1888, 1. 1 p. 312, ferner
das von Buresch, Klaros, Leipz. 1889 veröffent-
lichte Orakel des klarischen Apoll, gefunden
auf einem Stein der lydischen Stadt Kaisareia
Troketta, und das wahrscheinlich gleichfalls
von Klaros kommende Orakel der thrakischen
Stadt Kallipolis bei Eaibbl, Ep. gr. n. 1084,
verbessert bei Burescb, Klaros S. 81.
«) Siehe oben § 114.
^) Suidas: l/^ai//6 ^('^^ £anfptx^ i^ro«
^ttXaxeiift ßißXia y dtf^rsQfxijysvta xai Ttolkijn'
irjv anomay l^^^^^ nQoßaXXofiii^mr Ci?"?-
(Ädxoavy atiya XeaxiS ixdXsc^y.
*J Dio Chrys. or, 19 p. 487 R: xtjg t^ay^
dlag rd fjiäy iaxvQa dg ioixe fji€y$iy Xiym ^
Ba) Römische Periode vor Eonstantin. 2. Die PoeBie. (§ 452.)
625
die öffentlicheil Verhältnisse der Entfaltung der dramatischen Poesie wieder
günstiger gewesen; aber es liess sich das erloschene Feuer nicht mehr
wieder anfachen, zumal einerseits die Prunkrede der Sophistik Ersatz för
das Drama zu bieten schien, und anderseits das Publikum fast nur für
die Posse und den Mimus Interesse zeigte. Für den Mimus aber, zumal
er nach und nach in den Pantomimus oder wie die Griechen sagten,
in den Tanz (o^x*/^*$) überging, i) bedurfte es mehr nur guter Schau-
spieler als gedankenreicher, sprachgewandter Dichter, so dass Lukian im
Leben des Demonax c. 27 ganz unverblümt vom Drama sagt : t^j Jiqvv<S((>
%6 likv nouXv xoofKpiiag ij tQayqyS^ag iielsleimai. Den Stoff entnahm der
Mimus und Pantomimus zum Teil der griechischen Mythologie (vnod^äasiq)^
wie die Titel Autonoe, Pelopea, Philomela, Agave beweisen,^) zum
Teil dem gewöhnlichen Leben {naiyvia). Wie der Stoff verarbeitet war,
darüber können wir bei dem fast vollständigen Verlust dieser flüchtigsten
aller Schöpfungen der Poesie nicht mehr urteilen. Wir ersehen nur aus
den Versen des Philistion, des einzigen Dichters biologischer Komödien
oder Mimen von dem uns etwas erhalten ist, dass der Mimus doch nicht
ganz schöner Verse und Sentenzen entbehrte ; sie sind von Grammatikern
in einer Sammlung mit ähnlichen Sentenzen des Menander zusammen-
gestellt in der 2vyxQiaiq MsvdvSgov xal ^iXi<XTi(ovogJ)
Eine eigentümliche Erscheinung unserer Periode sind die Lesedramen
von Philosophen und Sophisten. So schrieb der jüdische Peripatetiker
Nikolaos Damascenus in seiner Jugend, wie er von sich selbst in seiner
Lebensbeschreibung rühmt, r^ayyJia^ xal xcofKp^iag €viox(iiovg.^) Ebenso
führt von dem älteren Philostratos Suidas 48 Tragödien und 14 Ko-
mödien an, wie auch von andern Sophisten, Skopelianos, Niketes,^)
xd hfißeia ' xeu Tovtwy fiiQtJ die^laatv iv
tois ^fdrgoig, xd &i fjtuXaxtaxBQa i^SQQvrixB
xd ne^i id fiiXrj. Solche Teile von Tragödien
werden diejenigen gewesen sein, welche Nero
nach Snet Ner. 21 recitierte, und ebenso wird
man über die Aufffthrung der Meropescene
aus Eoripides Eresphontes bei Plntarch Mor.
998^ und die bei den Gastgelagen nach
Plut Sympos. VU 8, 3 (vgl. p. 531ß. 673B.
8d4B) vorgetragenen Komödien arteilen müs-
sen. Dass auch noch ganze Tragödien,
namentlich von Enripides, aufgeführt worden
seien, sacht P. Sobülze Jahrb. für Phil. 135
(1887), 117 ff. zu erweisen. Plotin IIT 2, 15
qnicht von der Bühne und den die Rollen
wechselnden Schauspielern so, dass er noch
wirkliche Aufführungen vor Augen gehabt
zu haben scheint
^) Nach Dio Chrys. or. 32 u. Aristides
or. 50 diente das Theater in Alexandria nur
dem Pantomimus und der Posse. Aehnlich
sagt Libanioe tibqI ray o^/i^arcJv p. 391 R.,
dass die Tftnzer an die SteUe der TVagödien-
Schreiber getreten seien. Dass aber auch
der Tanz selbst entartet war, beklagt Plu-
tarth Sympos. IX 15, 2: ovdiy ovxws to vvy
dnoUXavxB x^g xaxofiovalag tog «; oQ^rjaig,
Bandbacfa der klam. Altertimwwlasexuicbaft. VU.
*) Näheres bei O. Jahk in den Prolego-
mena seiner Ausgabe des Persius p. LXXXIV
sq. Ueber den Unterschied von vno&eneig
und naiyyia s. Plutarch Sympos. VII 8, 4 u.
IX 15. Darstellungen solcher Mimen sind
uns in Wandgemälden der Villa Pamfili er-
halten, veröffentlicht von O. Jahn Abhdl. d.
b. Ak. VIII (1858) 231 ff. Verwandtes bei
DiETKRicH, Pulcinella, Leipzig 1897.
•) Ueber Philistion ein verwirrter Artikel
des Suidas und ein Epigramm AP VII 155.
Die Fragmente neubearbeitet von Stüde-
MUND, Menandri et Philistionis comparatio,
Ind. lect. Vratisl. 1887. - Auf einer me-
trischen Grabinschrift von Lamaka in Kypem
aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. (publiziert
von Obbrhüiimer Sitzb. d. b. Ak. 1888. 1 311)
erscheint ein mimischer Schauspieler Uya-
^oxXiioy ßtoXoyog, ein ^Xdßiog jXs^ay^gog
'O^eitfrjg aus Nikomedia im Theater von Tralles
bei Waddmgton, Voyage arch^l. 1652*^.
<) Wblcker, Gr. Trag. 1322 f. Eines
der Dramen des Nikolaos behandelte die
Fabel der Susanna.
*) Welcker a. O. Von Philostr. Vit. soph.
II 11 wird '[aayoQag 6 x^g XQayto&iag noi^ijxrjg
genannt.
S. Aufl. 40
626
Griechisohe litteratnrgesohlohte. II. HachklasBisohe Lüteratnr.
Isagoras, und von dem Kyniker Oinomaos*) Tragödien genannt werden.
Einen hohen Begriff werden wir uns von denselben nicht machen dürfen;
was die Zeit in dieser Gattung zu leisten vermochte, zeigen uns am besten
die rhetorischen Tragödien des Seneca; wahrscheinlich waren aber die
griechischen Tragödien nicht einmal das, sondern nur Monologe oder dra-
matische Deklamationen {^rjceig) nach Art der Kassandra des Lykophron
und der Tragodopodagra des Lukian. Dramatischer Dichter wird wohl
auch Q. Pompeius Gapito gewesen sein, dem die Athener neben Me-
nander eine Erzstatue im Theater setzten, von der jetzt die Basis mit der
Inschrift üofinijtov tov xal 'A^rp^aTov navu fiäTQfj) xai ^v&fi(i) lijv fieya"
Xo^arj Trjg noirjtfsfoq äQsrrjv inidci^dfisvov aufgedeckt ist.*)
453. Epos.^) Zum heroischen Epos fehlte den griechischen Dich-
tern in unserer Periode nicht bloss die Neigung des Publikums, sondern
auch das Notwendigste, der Stoff. Die lateinischen Zeitgenossen waren
hierin besser daran: in ihrer Sprache waren noch nicht alleThaten der alten
Heldensagen Griechenlands besungen ; es konnte also noch ein Statins mit
seiner Thebais, ein Valerius mit seinen Argonautica auf lohnende Aner-
kennung rechnen ; auch die nationale Geschichte bot den römischen Dichtem
würdigen Stoff, so dass Lucan mit seinen Pharsalica bewundernde Leser fand.
Den Griechen ging beides ab, ihre alten Sagen waren ausgesungen, und
neue Thaten brachten sie nicht mehr hervor. Sie haben daher im Heldenepos
nichts Nennenswertes mehr und nichts, was die Zeit überdauert hätte, her-
vorgebracht. Wir lernen nur durch gelegentliche Anführung einige dürre
Früchte der Stubenpoesie kennen: der Sophist Skopelianos unter Trajan
dichtete eine Gigantomachie ; ein gewisser Arrianos, verschieden von
dem Historiker, übersetzte die Georgica des Vergil und schrieb eine Ale-
xandrias in 24 B. ;^) der Grammatiker Ptolemaios Ghennos aus Ale-
xandria verfasste einen Gegenhomer {^Avx^6fir^(fog) in 24 B. und eine 7Aia;
ksinoyQdjiifAatog, in der jeder Gesang je einen Buchstaben nicht enthielt;*)
Peisandros, Sohn des Dichters Nestor aus Laranda, schrieb unter Ale-
xander Severus ^HQwixai ^eoyafifai in 60 B.;^) von Soterichos aus Ägypten
unter Diokletian erwähnt Suidas ein mythologisches Epos Ba(X(ra^i»d i;
Jiovvataxd und eine versifizierte Alexandergeschichte. ^)
454. Lehrgedicht und Fabel. Die kümmerliche Poesie des Lehr-
gedichtes fand noch am meisten auf dem sterilen Boden unserer Zeit
^) Julian or. YII 210 stellt die Tragödien
der Eyniker Diogenes, Phiüskos, Oinomaos
nebeneinander.
«) CIA III 769. Dazu verglich Kuma-
nudis die Stelle in Dio Gkrysost. or. 31 p. 100
Emp. — Von Pompeius Macer sind uns ein
paar ergreifende Yerse aus einer Tragödie
erhalten bei Stobäus Flor. 78, 7.
') DüNTZBB, Fragmente der epischen
Poesie II.
*) Ein Artikel des Suidas über 'jQQiayog
inonoiog. Von ihm existiert auch ein Epi-
gramm auf die Sphinx in Memphis CIG
4700 = Kaibbl ep. gr. 1015.
') Auch Nestor von Laranda hatte nach
Suidas eine 'fAecK leiTfoy^ftfiaro^ geschrieben,
lieber die fthnliche, nur noch grössere Spie-
lerei der Isopsephie der Distichen in den
Epigrammen des Leonidas s. STADTMÜLUBRf
Zur Anthologie Palatina, Jahrb. f. Phil. 1889
S. 769.
^} Fragmente des Pisander, der noch
von Malalas und Joannes Antiochenus be-
nutzt wurde, hinter dem Didot'schen Herodoi
^) In die Alexandergeschichte des Ps.
Eallisthenes sind Gholiamben eingestreut
welche der Herausgeber 0. Müller auf des
Soterichos Epos 'JXe^ayff^taxow zurSckfUhren
möchte.
Ba) BdmiBobe PeHode Tor KonsUntin. 2. Die PoeBie. (§§ 453—455.) 627
Nahrung. Die Vorliebe für dasselbe hatte unsere Periode aus der ale-
xandrinischen herübergenommen; genährt wurde dieselbe durch das Be-
dürfnis und die Methode der Schule, die nun einmal im Altertum eine
Unterstützung des Gedächtnisses durch die metrische Form für zweck-
mässig hielt. Mit dem Lehrgedicht verband sich die Fabel, deren Pflege
gleichfalls durch die Schule hervorgerufen und gefördert wurde. Denn
zu den rhetorischen Vorübungen {nqoyviAvdaiiaxa) gehörte auch die Fabel
{ahog^ ixv^oq), weshalb dieselbe in den uns erhaltenen Progymnasmaten
regelmässig durch Übungsbeispiele erläutert wird, und der Bhetor Niko-
stratos unter den Antoninen eine ganze Sammlung in 10 B. unter dem
Titel JexafAvd-ia (Hermog. de ideis II 12, 8 und Suidas unt. NixccTQcerog)
veranstaltete. Von diesen beiden Arten poetischer Schöpfungen sind nun
auch noch Originalwerke erhalten, so dass wir wieder einmal Autoren auf-
zuführen und zu besprechen Gelegenheit haben.
455. Babrios,^) ein hellenistischer Dichter Asiens von italischer Her-
kunft,^) ist Verfasser einer erst nach und nach vollständiger ans Licht ge-
zogenen Sammlung äsopischer Fabeln (fAv&iafißoi Alaomsioi), Dieselbe umfasst
in alphabetischer Ordnung {xaxd atoi%6iav) 123 Fabeln in zwei Büchern,*)
bricht aber mitten im Buchstaben o ab. Der Verfasser redet in dem Proömium
des ersten Buches und in Fabel 74 einen gewissen Branchos air; dieser ist
offenbar eine Person mit dem im Proömium des zweiten Buches erwähnten
Sohne des Königs Alexander. Der Name Branchos fährt uns nach dem
Orient; wessen Königs Sohn aber derselbe gewesen sei, ist zweifelhaft,
da es viele Könige (reges und reguli) mit dem Namen Alexander gab.
In Betracht gezogen wurden von Keller ^) der Seleukide Alexander I Balas
(150 V. Chr.), von Bergk der von Antigonos vergiftete Alexander Ätolus
(3. Jahrh. v. Chr.),^) von Lachmann *) der von Vespasian zum König einer
Insel Kilikiens erhobene Alexander aus dem Stamme des Herodes (Jos.
ant. 18, 5, 4), von Boissonade und Crusius 7) der römische Kaiser Alexander
Severus (222—235 n. Chr.). Der weite Spielraum, der damit gegeben
scheint, engt sich dadurch ein, dass litterarische Citate und Eigentümlich-
^) Gbübius, De Babrii aetate, Leipz. Stud.
II (1879) 127-248 ; derselbe im Artikel Babrius
bei Paoly-Wisaowa ; Werner, Quaestiones
Babrianae, Berlin 1891.
') Dass er den vollen Namen Yalerius
Babrius gehabt habe, kann ans den Lesarten
Ba'Asß^iov des cod. Athons, und Baßgiov
BaXeQiov des Harleianus 3521, die ans Ba-
ßgiov verderbt zu sein scheinen, nicht mit
Sicherheit geschlossen werden. Uebrigens
Iftast Crusius mit Recht ihn in Asien leben,
aber von italischer Abkunft sein, da der
Gentilname Babrius im Altumbrischen und
Lateinischen, nicht aber im Griechischen vor-
kommt.
*) Suidas schreibt unserem Babrios 10 B.
Choliamben zu, woraus Crusius den Schluss
adeht, dass wir nur einen Auszug des echten
Babrios erhalten haben; bereits Avianus in
Poet, lai min. Y 34 ed. BjLhr. erwähnt nur j
2 Volumina. Das 2. Buch beginnt mit dem
Buchstaben M.
*) Jahrb. f. Phil. SuppL IV 888 f. Gut-
scHviD Jahrb. f. Phil. 87 (1868), 323; Männel
Philol. 29, 169 ff. Dass Babrius im 2. Buch
prooem. 8 Fabeln in Mythiamben als seine
Erfindung {yf'a Movaa) preist, während bereits
Eallimachos einzelne Fabeln in Choliamben
erzählte, reicht gegenüber den entgegen-
stehenden Momenten zur Begründung eines
so hohen Alters nicht aus.
*) Kl. Schrift. II 547 ff.
*) In seiner Ausg. p. XII.
') Crusius, De Babrii aetate, Leipziger
Stud. II (1879), 127 ff.; ihm stimmen bei
Ruths RFORD in der Einleitung seiner Aus-
gibe, Ficus, De Babrii vita capita tria, 1889.
och bleibt jetzt Ousius im Artikel bei Wis-
sowa und in seiner Ausgabe p. XXVII nicht
mehr strenge bei seiner alten Meinung.
40*
628
Grieohiftohe Lüteratnrgeschioht«. II. HaohklaMiBohe Utteratar.
keiten des YersbauB und der Sprache uns nötigen, unseren Babrios in die
Zeit der ersten Periode der Sophistik zu setzen. Denn einerseits hatten
unsere Fabeln nicht bloss schon im 4. Jahrb. die römischen Dichter Au-
sonius und Avianus vor sich/) sondern auch bereits im Anfang des 3. Jahr-
hunderts (207) der Grammatiker Dositheus (Interpret. III p. 37 Bö.)^) Ander-
seits folgt Babrios im Bau der Choliamben Regeln, die im Charakter der
lateinischen Sprache begründet sind und demnach erst aus der römischen
Poesie in die griechische gekommen sein können.^) Die Choliamben des
Babrios haben nämlich, wie zuerst Ahrens, De crasi et aphaeresi p. 31 beob-
achtet hat, regelmässig den Accent auf der vorletzten Sylbe. Das war
aber Regel nicht bei den älteren lambograph^n der Griechen, auch noch
nicht bei Herondas, wohl aber bei den lateinischen Dichtem und ergab
sich bei diesen von selbst dadurch, dass im Lateinischen die vorletzte
Sylbe, wenn sie lang war, regelmässig den Accent hatte. Sodann hat
Babrios geradeso wie die römischen lambographen und schon vor ihnen
Plautus und Terenz, es vermieden, eine Länge in zwei Eiirzen derart auf-
zulösen, dass die vorletzte Sylbe eines drei- oder mehrsylbigen Wortes
den Versictus erhielt, während die alten Griechen infolge der verschiedenen
Betonungsgesetze ihrer Sprache an einer derartigen Betonung keinen An-
stoss nahmen.^) Wir dürfen also unseren Babrios zum Prinzenerzieher des
Königs Alexander von Issias in Kilikien machen und seine Blüte in das
schliessende erste und beginnende zweite Jahrhundert unserer Zeitrechnung
setzen. — Den Stoff zu seinen Fabeln nahm unser Dichter wesentlich aus den
älteren Sammlungen äsopischer und libyscher Fabeln.^) Was neues, sei es
von ihm selbst, sei es von anderen, zum alten Fabelschatz zugefügt wurde,
wie die Fabel von dem lügenhaften Araber (157), von dem lüderlichen
Ehepaar (116),*^) vom Esel der Kybelepriester (126), hält keinen Vergleich
mit den hübschen alten Fabeln aus. Aber die Form ist dem Babrios sehr
gut gelungen: der leichte Ton der Umgangssprache entspricht trefflich
dem Wesen der Fabel; die Verse sind korrekt und elegant gebaut; die
Wahl des Choliamb, der zwischen der Ungebundenheit der Prosa und der
Strenge der geradlaufenden Verse die Mitte hält, ist dem populären Cha-
rakter der Sprache bestens angepasst. Auch erfreuten sich die Fabeln
des Babrios grosser Popularität in den nachfolgenden Jahrhunderten, so
dass man die alten Fabeln nur noch in der von ihm geschaffenen
Form las. Aber es hat lange gedauert, bis man den populären Fabel-
^) AusonioB ep. 16 versteht den Ba-
brius unter Aesopia trimetria, vergl. Crü-
81ÜS* Ausgabe p. 7. Avianus, der Fabel-
dichter, dessen Lebenszeit von der neueren
Forschung in die zweite Hälfte des vierten
Jahrhunderts gesetzt wird, sagt in dem
Widmungsbrief an Theodosius: qucut {seil.
Aesopi fabulas) graecis iambis Babriua re-
pefens in duo volumina coartavit, Phaedrus
etiam partem aliquam quinque in libellos
resolvU,
^) Siehe die Testimonia in Crusius*
Ausg. p. 3 ff.
*) Deutsohmann, De poesis Graecomm
rhythmicae priraordiis, Malmedy 1883, will
die Betonung der vorletzten Sylbe lediglich
auf allgemeine rhythmische Grfinde zurflck-
führen.
*) Ausserdem sind die hfibschen Fabeln
bei den älteren Dichtem und bei den Hiato-
rikem, wie Herodot I 141, Philistos fr. 16,
Theopomp fr. 139, Xenophon Mem. Ü 7,
ganz so wie der Rhetor Theon bei Spengel
II 65 verlangt, von Babrios aufgenommen; s.
Cbusius bei Wissowa 11 2662.
^) Diese milesische Erzählung findet sidi
auch bei Apuleius, Metam. 9, 26; s. Cbusius
Philol. 47 (1889) 448.
Ba) BOmuiohe Periode vor Konstantin. 2. Die Poesie. (§ 456.)
629
dichter wiedergewann. In die Neuzeit hatten sich nämlich zunächst aus
dem Mittelalter nur Fabelsammlungen in Prosa gerettet.^) In ihnen und
den zahlreichen Citaten bei Suidas erkannte zuerst der Engländer Tyrwhitt,
Dissertatio de Babrio 1776, die Spuren des choliambischen Gefüges, so
dass er aus der prosaischen Paraphrase wieder eine Reihe von Versen
herauslas. Das Original selbst, zwar nicht von allen, aber doch von 123
Fabeln, entdeckte 1843 der Grieche Minas in einer Pergamenthandschrift
des Berges Athos, die sich jetzt im brittischen Museum (Cod. gr. 22087)
befindet. Später, im Jahre 1857, trat derselbe Minas, ähnlich wie er es
bei dem christlichen Buche Hermas machte,^) mit der angeblichen Kopie
einer zweiten Handschrift des Athos mit weiteren 95 Fabeln in Choliamben
auf; dieselbe erwies sich aber, hauptsächlich durch das Yersmass, als eine
plumpe Fälschung. Dagegen gelang es neuerdings (1877) Pius KnöU, aus
dem Cod. Vatic. gr. 777 noch mehrere neue Fabeln des Babrios ans Licht
zu ziehen, wozu allerneuestens noch sieben Wachstafeln kamen, welche
van Assendelft in Palmyra von einem Araber erworben und der Leidener
Bibliothek vermacht hat.«)
Ed. princ. von Boissotiade, Paris 1844; ed. Lachmankits et amici, Berlin 1845; ed.
ScBVEiDB-wiN, IJps. 1853; ed. Ebebbard, Berl. 1875; rec. Gitlbauer, Wien 1882; with infcro-
doctoiy dissertations, commentary and lezicon ed. Rütbbrfobd, London 1883; ed. Cbusius
1897 in Bibl. Teubn., Hauptausgabe. — Ficus, Ueber den Bau des griech. Gholiambus, ins-
besondere ttber den des babrianischen Mythiambns, in Rossbachs Metr.* 808—848.
456. Oppianos aus Korykos in Eilikien lebte vor Athenaios, der
ihn p. 13 b citiert, unter M. Aurel.*) Sein Vater, ein reicher und ange-
sehener Bürger seiner Heimatstadt, war in Ungnade gefallen, weil er beim
Durchzug des Kaisers Verus sich der Huldigung seines kaiserlichen Herrn
entzogen hatte, und wurde zur Strafe dafür auf die Insel Melite im adriati-
schen Meere verbannt. Der Sohn begleitete den Vater in die Verbannung,
kam aber nach dem Tode des Verus (169) bei dem Kaiser M. Aurel so
in Gunst, dass derselbe ihm zulieb die Begnadigung des Vaters verfügte
und ihn selbst königlich belohnte, indem er 4hm, wie man erzählte, für
jeden Vers ein Goldstück schenkte. Aber der hochgefeierte Dichter starb
bald darauf in der Blüte des Lebens im 30. Lebensjahre; sein Andenken
ehrten seine Mitbürger durch ein Standbild. Seinen Ruhm verdankte er
dem uns noch erhaltenen Lehrgedicht vom Fischfang, Halieutika in 5 B.,
das er dem Kaiser M. Aurel und dessen Sohn Commodus widmete. Dem
Gedicht fehlt es nicht an Glätte des Versbaus und Schmuck der Rhetorik,
aber das hohe Ansehen desselben bleibt uns doch unverständlich. Dem-
selben Oppian werden ausserdem vom Verfasser der Vita als Jugendar-
^) Ueber die Paraphrasenhandscbriffcen
des Babrios s. Cbusius Ausg. praef. p. XIV ss.,
Aber Ignatios nnd andere Nachanmer des
Babrtas ebenda p. X^I ss. und p. 264 ss.
*) Vgl unten § 672.
*) Nachriebt gaben Hessblino, Jonm. of
HelL sind. XIII (1892) 293 ff., Weil, Journal
des Savants, Mars 1894, Grusius Philol. 53,
228 ff. Der letzte teüt in der Ausg. Pboio-
typien der Tafeln mit.
^) Suidas: 'Onniayog ysyoytog inl MaQxov
*Avjiovlvov. In die Vita, gedruckt bei Westbb-
MANN, Biogr. gr. 63, ist durch Verwechselung
des Mitregenien Verus (gest. 169) mit dem
Kaiser Severus (193 — 211) Verwirrung ge-
kommen; siehe Rudolph, Leipz. Stud. VII 6.
Eine zweite Vita in politischen Versen von
Eonstantinos Menasses gleichfalls bei Wester-
mann. Ad. Aüsfeld, De Oppiano et scriptis
sub eins nomine traditis, Gotha 1876.
630
Grieohisohe LitteratnrgeBcbichte. II. NaohklassiBohe Litteratiir.
beiten Kvvrjyexixd und *I^€vnxa beigelegt, von denen die ersten in 4 B.^)
uns erhalten sind, aber nicht dem Verfasser der Halieutika angehören.
Denn abgesehen von ihrem geringeren poetischen Gehalt gibt sich ihr
Verfasser dadurch deutlich als einen verschiedenen Dichter kund, dass er
2, 123 u. 156 Apamea in Syrien als seine Heimat bezeichnet. Sein Ge-
dicht widmete er dem Kaiser Caracalla, wonach dasselbe erst nach 211,
wahrscheinlich im Jahre 212, geschrieben sein wird.*) Auch der Versbau
weicht in einigen Kleinigkeiten, wie in der Zulassung iambischer Wörter
vor der Hauptcäsur, von der Eleganz der Halieutika ab.^) Die Ixeutika,
vom Vogelfang mit Leimruten, sind verloren gegangen ; auf uns gekommen
ist die Metaphrase eines gleichbetitelten Lehrgedichtes in 3 B. von Dio-
nysios, wahrscheinlich demselben, der nach Suidas auch ^t&taxä ge-
schrieben hatte.
Cod. Yen. 479, worüber 0. Tüselxann, Zur handschriftlichen üeberliefemng yon
Oppians Eynegetika, Progr. Nordhausen 1890. — Ausg. von Rittershüsius, LB. 1597 mit
Itommentar; von J. G. Schneioeb, Ärgent. 1786, mit kurzen Noten, lips. 1813; von F. S.
Lbhrs in den Poet buc. et didact, Paris 1846 mit der Metaphrase der Ixeutika, die unter
dem Titel negi oQylSaty auch bei Gbambb An. Par. 1 21 ff. steht. — M. Miller, Oppians des
Jüngeren Gedicht von der Jagd, Amberger Progr. 1885. — Eine Paraphrase der Kyne-
getika von Euteknios teilt Tuselmann mit; vgl. Gbüsiüs Herm. 21, 487 ff.
457. Unbedeutend sind die Reste, die von anderen didaktischen Ge-
dichten unserer Periode erhalten sind, nämlich Verse aus den ^iralixd
x^safiara des Heliodor über die Heilquellen von Puteoli, GrjQiaxd von
Andromachos, Oberarzt unter Nero, in 174 elegischen Distichen, ein
Abschnitt der 'larQixd des Markellos aus Side unter den Antoninen,*)
ein am Anfang und Schluss verstümmeltes Lehrgedicht ncQl ivvdfjtewg %mv
ifvifov in 215 Hexametern. Auf das grösste und bedeutendste Lehrgedicht
der Eaiserzeit, die Periegese des Dionysios, werden wir unten in dem
Abschnitt über Geographie zurückkommen. — Zu den alten Stoffen des
Lehrgedichtes trat in unserer Zeit die mit dem wissenschaftlichen Mäntel-
chen der Mathematik sich umkleidende Afterwissenschaft der Astrologie.^)
Dieselbe hatte sich schon in der jüngeren Alexandrinerzeit von Chaldäa
und Ägypten aus über die hellenistische und römische Welt ausgebreitet,
fand aber besonders in der Kaiserzeit, trotz wiederholter Verbote, eifrige
Anhänger in den wundersüchtigen Kreisen der vornehmen Welt. Durch
das phantasieerregende Halbdunkel ihrer Lehre und durch den Ausblick
in die Wunderwelt des Sternenhimmels eignete sie sich mehr wie andere
Wissensgebiete zur poetischen Darstellung und fand dieselbe auch reich-
lich in lateinischer und griechischer Sprache. Von den astrologischen
Lehrgedichten der Griechen ist das bedeutendste die Unoreleafiatixd des
Manetho in 6 B., von denen die ältesten, 2., 3., 6., unter den Kaisern
^) Die Vita spricht von 5 B.; Snidas
stimmt in der Angabe von 4 B. mit unserem
Texte aberein.
') Das Jahr 212 nach dem Kaisertitel
in V. 4 angenommen von Hibscbfeld Herm.
24 (1889) 158.
*) Lbhbs, Quaest ep. diss. V de Halieu-
ticonun et Gynegeticorum discrepantia; W.
M£YBB, Zur Gesch. des griech. u. lat. Hexa-
meters, Sitzb. d. b. Ak. 1886 S. 985 f.
*) Von diesem Marcellus auch ein Ge-
dicht zu Ehren des He^odes Atticus inachrift-
lich erhalten in dem an der Appischen Strasse
von Herodes Atticus zu Ehren seiner ver-
storbenen Gemahlin errichteten TropaioD,
Eaibel epigr. gr. 1046.
^) NiBSS, Astrologie, in der Realency-
klopädie von Pauly-Wissowa.
B a) BOmisohe Periode vor Konstantin. 8. Die Prosa, a) Diodoros. (§§ 457—459.) 631
aus dem Hause Severus, dessen männliche wie weibliche Glieder der Astro-
logie zugethan waren, entstanden sind. Ausserdem haben wir astrologische
Lehrgedichte von Maximus ncQi xatuQx^v (wohl noch der jüngeren Ale-
xandrinerzeit angehörend), Dorotheos nsQi tdav xatagxm' (aus dem 1.
oder 2. Jahrh. n. Chr.), Annubion (vor Firmicus Maternus der ihn citiert)
ncQi fAoiQag (OQoaxonovcriqy das letzte Gedicht in Distichen. — In das Ge-
biet der naturgeschichtlichen Wunderlehre gehörten die Gedichte Ilav-
ax€iu 'Allheilmittel' und UksSixtjTtog 'Gartenschutz', des unter Alexander
Severus lebenden Epikers Nestor von Laranda, welche sogar die Ehre
fanden, von Cassianus Bassus im 6. Jahrhundert kommentiert zu werden.
Die genannten Lehrgedichte zosanunen mit den astrologischen Fragmenten des
Dorotheos, Annabion und Maximus in Poetae buc. et didact. von F. S. Lbhbs und
Abn. EOchly, Paris 1846 u. 1857. Die 'AnoxBXaüfAanxn des Manetho von Eöobly, Lips.
1857; Maximus von Ludwich Lips. 1877. — Das Gredicht ttber die Pflanzenkr&fke ist mit
neuen Hilfsmitteln bearbeitet von M. Haupt, Opusc. II 475 ff.; Maroblli Sidbtax medici
fragm. rec. Max Sohmbidbb, in Gomm. Ribbeck. p. 115—81.
8. Die Prosa.
458. Wie schon oben bemerkt und in dem ganzen Charakter der
Zeit begründet ist, steht die Prosa in dem Vordergrund der Litteratur
unserer Periode. Im allgemeinen entfernte sich dieselbe von dem Zuge
gelehrter Polyhistorie, welche den Werken der alexandrinischen Zeit das
Gepräge gegeben hatte, und wandte wieder der Form der Darstellung er-
höhte Aufmerksamkeit zu. Das steht in Zusammenhang mit den rhetori-
schen Studien, welche gleich im Beginne unserer Zeit sorgsame Pflege
durch hervorragende Schriftsteller gefunden hatten und seit dem 2. Jahr-
hundert in den Werken der Sophistik ihren schöpferischen Ausdruck
fanden. Innerhalb der Prosa mischten sich die verschiedenen Gattungen:
Dionysios von Halikamass verfasste zugleich historische und rhetorische
Werke; Plutarch schrieb über philosophische, historische und rhetorische
Themata. Infolge dessen geht es nicht wohl an, auch in unserer Periode
die Scheidung der Prosa nach ihren Gattungen strenge durchzuführen.
Ich werde mir daher unter grösserer Beachtung der zeitlichen Folge einen
freieren Gang einzuschlagen erlauben, aber doch so, dass ich in der Haupt-
sache zuerst die Historiker und Geographen, sodann die Philosophen und
Sophisten und zuletzt die Rhetoren und Grammatiker behandele.
a) Historiker und Rhetoren aus dem Beginne der Kaiserzeit.
469. Diodor,*) geboren in Agyrion, einem Städtchen Sikiliens, blühte
unter Augustus.») Er ist Verfasser der Bibliothek oder einer allgemeinen
') Erwähnt werden die Gedichte in den
Georgika XV 1 n. XII 16, worttber Oobb Rh.
M. 48, 9. Von anderen Dichtongen des Nestor
erfahren wir durch Snidas: NeattaQ Aagay-
dsvg ix AvxK.f*foyylag, htonoU^j naxrJQ Uei-
eär&Qov rov noiijtovy yeyoytüg inl ießiJQov
rov ߀UftX^tag, 'tk^äda XemoygdfÄfÄatoy . . .
xaevg, xai &XXa.
*) Ein kurzer Artikel des Suidas; Diodor
I 1-5. Waohsmüth, Einleit. 81—103; BO-
DiNGBB, üniversalhist. 112—183.
*) Sicher lebte er bis 21 v. Chr.; denn
auf Ereignisse dieses Jahres bezieht er sich
16,7.
632
Grieohische Lüteratnrgesohichte. ü. HaehklaMisohe Litteratar.
Geschichte in 40 B.^) vom Anfang der Dinge bis auf Cäsars Krieg mit
den Galliern*) oder bis auf das Archontat des Herodes 60/59 v. Chr. In
dem Proömium des Werkes (I 1 — 5) spricht er sich selbst über die
Anlage desselben und über seine Vorstudien aus: 30 Jahre hatte er auf
die Ausarbeitung verwendet, hatte zu diesem Behufe grosse Reisen unter-
nommen, 3) sich zur griechischen Muttersprache auch noch die Kenntnis
des Lateinischen angeeignet^) und in Rom fleissig die reichen Hilfismittel
der Bibliotheken und Archive studiert. Von hohen Vorstellungen über
den Beruf des Historikers und die Nützlichkeit einer allgemeinen Geschichte
erfüllt, hat er doch in der Ausführung weniger geleistet, als er in der
glänzenden Einleitung seines Werkes verspricht. Sein bewundertes Vor-
bild war ihm Ephoros; über ihn ging er nach zwei Richtungen hinaus:
einerseits fügte er zur griechischen Geschichte die römische, anderseits zog
er auch die mythische Vorzeit in den Bereich seiner Darstellung.^) War
das erste in den natürlichen Verhältnissen, der Lebenszeit des Verfassers,
begründet, so war das zweite durch den Einfluss des Euhemeros, der in
den Göttermythen einen Niederschlag historischer Ereignisse sah, hervor-
gerufen. Eine Universalgeschichte sollte sein Werk aber nicht bloss dem
zeitlichem Umfange nach sein, er suchte ihr auch einen allgemeinen Cha-
rakter dadurch zu geben, dass er neben den Ereignissen und Handlungen
den geographischen Verhältnissen und den Sitten der Völker seine Auf-
merksamkeit zuwandte und ausser den politischen Persönlichkeiten auch
die Dichter, Schriftsteller, Künstler beachtete.*) Der Plan wÄre somit
gut gewesen ; wenn aber trotzdem das Werk so wenig befriedigt, so liegt
der Grund teils in dem geistigen Unvermögen des Autors, teils in der
Anlage und Disposition des Werkes. Diodor war grossgezogen in den
Rhetorenschulen und Bibliotheken, nicht im Feld und im praktischen Leben ;
so entbehrte er des politischen Scharfblickes in der Auffassung der staat-
lichen Kämpfe und der leitenden Persönlichkeiten. Er war ein fromm-
gläubiger Mann, der festhaltend an dem alten Volksglauben das Walten
der Gottheit in den Erfolgen der Gottesfürchtigen und dem Unglück der
Ruchlosen suchte,^) aber er besass nichts von jener kritischen Schärfe,
welche das Wahre vom Falschen zu scheiden und die Thatsachen auf ihre
wirklichen Gründe zuiilckzuführen lehrt. Vollends war er nicht der Mann,
') Za beachten die gleiche Zahl von
40 B. bei Polybios.
') Nach 5, 21 f. möchte man annehmen,
dass er noch den Zug Cäsars nach Britannien
zn erzählen im Sinne hatte. Vogel, Die Ver-
5ffentlichang von Diodors Geschichtswerk,
Philologenvers. in München 1891 S. 228
bringt diesen Widerspruch in Zusammenhang
mit der Klage des Diodor 40, 8, dass ihm
Teile seines Werkes vor der abschliessenden
Revision gestohlen und veröffentlicht worden
seien, so dass teilweise die nicht revidierte
Ausgabe auf uns gekommen sei; dagegen
Wachsktttb, Einleit. 83 ff.
•) Aegypten hatte er um die 180. Olym-
piade besucht (1, 44). Dass er dort, wie
einst Herodot von den Priestern sich be-
lehren Hess, erzählt er 3, 11.
^) Mit Diodors Kenntnis des Lateinischen
war es indes nicht weit her, indem er s. B.
aus dem Ablativ Fidenate und Laenate einen
Nominativ ^idfjydxTjg (12, 73) und Aatr«%rfi
(16, 15) konsiziiierte. üeber Missrwst&nd-
nisse der lateinischen Vorlage siehe Büdibgbr,
Universalhist 122.
^) Diod. 4, 1. Darin war ihm ApoUodor
vorangegangen.
^) So versucht er 12, 1 eine Schilderung
des perikleischen Zeitalters.
') £inf<igerweise läset er den Kfinig
Philipp die Stimmen derPhokerwe
Frömmigkeit erhalten (14, 76).
B a) RdnÜBohe Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, a) Diodoroa. (§ 459.) 633
ein Prinzip streng durchzuftihren oder gar eine Weltgeschichte im Geiste
eines Weltbürgers zu sehreiben. Er bezeichnet zwar die Gesamtheit der
Völker als eine grosse Gemeinde {nolig),^) aber er hat keine Ahnung von
einer fortschreitenden Entwicklung des Menschengeschlechtes; er merkt
die Blüte der Dithyrambendichter Philoxenos, Timotheos, Telestes und
Polyeidos an (14, 46), aber von Aischylos und selbst von Aristophanes
erfahren wir nichts. — Zu dem Mangel an Kritik, planmässiger Konsequenz
und praktischer Erfahrung kam aber noch eine ganz verfehltjB Anlage.
Diodor befolgt in dem grössten Teil seines Werkes die annalistische Me-
thode, indem er den einzelnen Abschnitten die Bezeichnung des Jahrs nach
Olympiaden, attischen Archonten und römischen Konsuln vorausschickt.
Es liegt von vornherein in dieser Bezeichnung eine Ungenauigkeit, indem
sich bekanntlich der Amtsantritt der Archonten und Konsuln nicht genau
deckt.*) Aber abgesehen davon, ist für eine Universalgeschichte eine
Jahresepoche zu klein; stossen wir uns schon bei Thukydides öfter an der
Zerreissung der Darstellung durch den Sommer- oder Winterschluss, so
wird vollends bei Diodor unsere Nachsicht auf harte Probe gestellt, wenn
wir alle fünf, sechs Kapitel von Griechenland nach Sikilien, Makedonien,
Rom gezerrt werden. Und hätte sich nur Diodor nach dem Beispiel des
Thukydides streng an das vorausgeschickte chronologische Lemma gehal-
ten; so aber greift er in der Ausführung ein über das andere Mal über
die Grenzen der vorangestellten Zeit hinaus, so dass z. B. in der Pente-
kontaetie oder in der Geschichte der 50 Jahre vor dem Beginne des pelo-
ponnesischen Krieges, in der wir hauptsächlich auf Diodor angewiesen
sind, die genaue Festsetzung der Zeit eine wahre Sisyphusarbeit geworden
ist. Diodor lobt es zwar an Ephoros, dass derselbe in den einzelnen
Büchern die Erzählung um einen Mittelpunkt gruppiert habe,^) aber ihm
selbst gelingt dieses nur in einzelnen Partien, wie in dem 5. Buch und
in der Geschichte Alexanders ; meistens macht ihm jene verkehrte Anlage
einen Strich durch die Rechnung, so dass er zu allgemeinen Betrachtungen
fast nur in den Einleitungen der einzelnen Bücher und in den Nachrufen
grosser Männer kommt. In diese Unzukömmlichkeiten geriet er aber
hauptsächlich deshalb, weil er nicht selbständig seinen Plan entwarf, son-
dern in der ganzen Anlage von der Chronik des ApoUodor (und dessen
Fortsetzers Kastor) abhängig war.^) Er hat gewissermassen nur die kurzen
chronologischen Register seines Vorgängers mit ausführlichen Exzerpten
aus historischen Spezialwerken ausgefüllt. Passend heisst daher auch sein
Werk BtßXio^xTj (oder BißXio&rjxai), d. i. ein Buch, in dem man alle
möglichen historischen Werke, wenn auch nur in Exzerpten zusammen-
^) Das war stoische Auffassung; siehe
Bu8ox.T, Diodors Verh<aiis zum Stoicismus,
Jahrb. f. Phü. 139 (1889) 297-315).
*) ÜHOEK, Die Jahresepoche des Diodor,
PhiL 39, 305 fT.; 40, 48 ff.; 41, 78 ff. Die
NachÜssigkeit Diodors bot dem Scharfsinn
üngers die Möglichkeit, die Quellen Diodors
zu echeiden. üeber chronologische Fehler
Diodors steht die ältere Litteratur bei Voss,
De bist. 212 und die Berichtigungen Clintons
in DiNDOBFS ed. min. 111 praef. XXX bis
XXXYUl. Sorgfältige Einzeluntersuchungen
von F. Rbuss, Die Chronologie Diodors, Jahrb.
f. cl. Phil. 1896 S. 641—671.
') 5, 1 : Tioy yaq ßißXwy ixdattjy ne-
noit^xe Trepte/tii' naxd yivog rag nQa^eig.
*) Diese Abhängigkeit gesteht er selber
I 5 zu.
634
Qriechisohe Lüteratargesohiobt«. II. Haohklamisohe Litteratiur.
findet. 1) Aber trotz der unleugbaren Mängel war das Unternehmen Dio-
dors ein grossartiges, das des Beifalls der Nachwelt sicher sein konnte.
Zwar in der nächsten Zeit hat dasselbe keine besondere Beachtung ge-
funden. Aber seit dem 3. Jahrhundert, nachdem die älteren Werke des
Thukydides, Ephoros, Theopomp und Polybios ihre Leser verloren hatten,
war es vorzüglich Diodor, aus dem sich Heiden wie Christen über die
grossen Zeiten der alten Welt Belehrung holten.*)
460. Einteilung des Werkes. Über die Einteilung des Werkes
spricht sich der Verfasser selbst im Proömium (I 4 f.) aus.^) Demnach ist
dem Ganzen eine* aQx^^okoyta oder eine Darstellung der alten mythischen
Zeiten in 6 B. vorangeschickt. Von diesen behandeln die drei ersten nach
einer kurzen Einleitung die Vorgeschichte der Barbaren, der Ägypter
(B. 1), der Assyrier, Babylonier, Meder, Indier, Skythen, Hyperboreer,
Araber (B. 2), der Äthiopier, Libyer, Atlantier (B. 3). Die drei übrigen
Bücher gelten der mythischen Vorzeit der Griechen und Europäer, das
fünfte speziell den Inselbewohnern. Von diesen sechs Büchern sind uns
die fünf ersten vollständig erhalten;^) von dem sechsten, das die Götter-
geschichte nach dem historischen Deutungssystem des Euhemeros enthielt,
haben wir nur spärliche Reste. Die eigentliche Geschichte will Diodor
wieder in zwei Teile zerlegt wissen, in einen älteren, der die Zeit von
den Troicis bis zu Alexanders Tod umfasst (B. 7 — 17), und einen jüngeren,
der von da bis zu Cäsars gallischem Kriege reicht (B. 18 — 40). Von
diesen historischen Teilen ist die zweite Dekade (11—20), mit dem Zug
des Xerxes beginnend und bis zu dem Kriege gegen Antigonos reichend,
vollständig auf uns gekommen.^) Im übrigen sind wir auf Exzerpte und
chrestomathische Auslesen angewiesen. Solche sind: 1) die Eclogae
Hoeschelianae, dürftige Exzerpte der Bücher 21—26, veröffentlicht aus
einer jetzt verloren gegangenen Handschrift von dem Augsburger Huma-
nisten Höschel (1603), 2) die Exzerpte des Photios (Bibl. cod. 244) aus den
Büchern 31 — 40 mit einigen vollständig ausgehobenen Partien, darunter das
interessante, in antisemitischem Geiste geschriebene Kapitel über die Juden
(34, 1), 3) Teile aus den vier Rubriken des konstantinischen Exzerpten-
werkes negl nq^aßemv^ nsQi aQetijg xal xaxiag, nsQi yv(üf.iu)v. negi intßovhwVj
4) Fragmente aus gelegentlichen Citaten, namentlich aus Eusebios und
den Byzantinern Synkellos, Tzetzes, Eustathios.«)
0 Den Titel erwähnt rOhmend ein Geistes-
verwandter unseres Autors, Plinius n. h.
prooem. 25. Den Plural ßißXioffijxat sucht als
den ursprünglichen Titel zu erweisen Bü-
DINGEB a. 0. 113.
') Dieses spricht am deutlichsten aus
Eusebios praep. evang. II in.: JMatgog ix
nXeioyfüy reis laioQiag d^aXe^afievos xal tog
€yi fiaXuna xd nag* ixdaroig %&psai>v anrjxgi'
ß?jxo)g i7ng)atft)g avrjg xal do^ay ov /uixgdy
TiaiJeiag nagd ndai (piXoXoyotg xitjaafAeyog
xal drj ndoay xtjy naXaidy avyayaytoy lato-
giav. Vgl. praep. evang. 1 6, 9.
■j Eine nützliche Oeconomia Historien
Diodori gibt der 5. Band der grossen Din-
dorf sehen Ausgabe.
^) Dass uns gerade die 5» nicht die 6
ersten Bücher erhalten sind, muss daher
kommen, dass das Werk in der Zeit der
Pergamentbände geradeso wie das des Livins
nach Dekaden und Halbdekaden abgeschrie-
ben wurde; vgl. Polybios und Casmos Die.
') Lücken weist die handachrifÜiche
Ueberlieferung im 13. 17. u. 18. Buch auf;
ein vollständigeres Exemplar setzen die den
einzelnen Büchern vorausgehenden Inhalts-
angaben voraus.
^) Die Unechtheit der von Weeseliiig
in seine Ausgabe au^enommenen 65 Briefe
ist jetzt allgemein anerkannt und sind die-
B a) EOmiiohe P«riode vor Konatantin. 3. Die Prosa, a) Diodoroa. (§§ 460—461.) 635
461. Stil und Quellen. Die Bedeutung der Bibliothek des Diodor
besteht wesentlich in dem Reichtum ihres Inhalts. Dass ihr Verfasser
der Aufgabe eines kritischen Historikers nicht gewachsen war, zeigt jedes
Katt.^) Auch sein Stil hat nichts Originelles und nichts Anziehendes.
Photios zwar lobt die Sprache und rühmt an ihr die schlichte Klarheit,
welche zwischen der Affektiertheit der Attikisten und der Fehlerhaftigkeit
der Yulgärsprache eine glückliche Mitte halte. >) Aber aus diesem gün-
stigen Urteil spricht die Vorliebe des Mittelalters für das Vorbild der
byzantinischen Chronisten;') in der That ist der Stil des Diodor eintönig,
ermüdend durch die Wiederkehr gleicher Übergangsformeln, anstössig
durch die ungriechische Häufung von abstrakten Wörtern.*) Aber wenn
der Autor nicht durch sich und seine Kunst anzieht, so nimmt er dagegen
in hohem Grad durch die Fülle des Inhalts unsere Aufmerksamkeit in
Anspruch ; seine Bibliothek bietet uns Ersatz für den Verlust der grossen
historischen Werke der vorangegangenen Zeit; von vielen Historikern und
ihren Büchern haben wir überhaupt nur durch ihn Kenntnis. Von einem
solchen Werk, das fast ganz aus Exzerpten zusammengesetzt ist,^) würden
wir heutzutage erwarten, dass unter den einzelnen Abschnitten regel-
mässig die Quelle angemerkt sei. Diodor thut dieses nicht; er wollte
offenbar den Schein vermeiden, als ob sein Werk auf einer so niederen
Stufe stehe; er war wohl auch nicht ein so armseliger Skribent, dass er
immer nur einer Quelle sich sklavisch anschloss. Er hat daher nur selten
wie 2, 32 und 3, 67, wo er in indirekter Rede die Angaben des Ktesias
und Dionysios referiert, seine Quelle ausdrücklich genannt. Im übrigen
lässt er uns nur erraten, woher er seine Weisheit geschöpft habe, hat
uns aber dazu einen guten Fingerzeig gegeben, indem er von den be-
nutzten Historikern an zukommender Stelle anmerkt, mit welchem Jahre
selben als modeme Fftlachaiig ans den neueren
Ausgaben ganz verschwunden.
') MüLLBB, Geogr. gr. min. I 174 weist
als beiaonderes Zeichen kritikloser Nachlfissig-
keit nach, dass Diodor 3, 40 ein nQOHQrjxafABv
srglos aus seiner Quelle, dem Agatharchides,
herilbergenommen hat, ohne dass er auch
selbat die betreffende Nachricht im Voraus-
gehenden gegeben hatte. Aehnlich verhält es
sich mit dem aus einem alten Annalisten,
wahrscheinlich Fabius, genommenen Satz
ftber Luceria 19, 72: ifag ttöp xa*V ijfda^
XQÖ^toy ^iexiXBCttv oQfurjtr^Qitp )[Q(jSfi€y(n xara
imy TtXrjoioy iSvtjy.
*) Phot. Bibl. p. d5a, 6: xixQfjtai (pQaaei
€a«pei TS X€d ax6fA%lH^ xal [aroQitf ftaXtcx«
n^enovafi, xai f*rjte tag (os av e{;io^ iiq Xiay
vjiBfffjtftxuffUyai xai aQx^f^^^f^ovg dicJxtoy
0vyra^eif, f^fjxe ngof itjy xa&tüfiiXijf4^yijy
revatr navtshäg a'AXu t^ fABCio ttiy Xoytoy
*) Eoseb. praep. ev. I 6, 9: o lixBlnaxrjg
Ji6d»gogy yytagtfjuataTo^ dytJQ tots *EXXrjyfay
Xoyimtaxoii. Justinus Martyr ad Gr. c. 26 :
iy^o^otttto^ twy l<iioQioyQd(pmy, Malalas
Ghron. 83: Modtago^ 6 aogmtaro^.
*) Daneben aber ist Hiatus vermieden;
8. Ealker, De hiatu in libris Diodori, Leipz.
Stud. m 303 ff. - Mängel der Diktion ein-
zelner Bücher entschuldigt Diodor 40, 21 mit
zu frühzeitiger Herausgabe: raJv ßißXitjy xiveg
TtQo xov diog&tadrjyai xai xrjy dxgißrj avy-
xiXutty Xaßeiy xXanetoat TTQOBiedo&fjaay ovnto
ffvyevageaxovfjiiytoy ijfÄwy xfi yQtt(pfj.
') Hetnb, De fontibus et auctoribus histo-
riarum Diodori (1872), abgedruckt im 5. Bande
der Dindorf sehen Ausg.; Volqüardsbn, üeber
die Quellen der griechischen und sikilischen
Geschichte bei Diodor XI — XVI; Nissen, Kri-
tische Untersuchungen über die Quellen der
4. u. 5. Dekade des Livius, Berl. 1863; Unobb,
Die Quellen Diodors für die Diadochen-
geschichte, Sitzb. d. b. Ak. 1878, I 368 ff.;
Broker, üntersachungen über Diodor, 1879 ;
Modeme Quellenforscher und antike Ge-
schichtsforscher, 1882. BÜDiNGER Univer-
salhist. 124 ff. gibt einen kritischen lieber-
blick über die zum grossen Teil recht zweifel-
haften Resultate der Quellenforschung im
Einzelnen.
636
Grieohisohe Littoraturgesohichte. IL HaohklaMiaohe Litteratiir.
ihre Annaleu begonnen und mit welchem sie geendigt haben. ^) Es hat
sich aber unser Historiker im allgemeinen in dem geschichtlichen und
chronologischen Teile an ApoUodor und Ephoros, in dem geographischen
an Agatharchides und Artemi dor gehalten.') In den einzelnen Abschnitten
folgt er seinen speziellen Quellen, so in der griechischen Mythologie dem
Dionysios Skytobrachion,') in der ägyptischen Geschichte dem Manetho
und Hekataios von Abdera,^) in der persischen dem Etesias,^) in der
griechischen neben Herodot, Thukydides und Ephoros dem Theopomp, ^)
in der Geschichte Alexanders dem Aristobulos und Klitarch, ^) in den Diadochen-
kämpfen dem Hieronymos und Duris.^) In der mit sichtlicher Vorliebe
und Ausführlichkeit behandelten Geschichte seiner Heimatinsel Sikilien
verfügte er über ein sehr reiches Quellenmaterial, hielt sich aber doch
hauptsächlich an Timaios.^) Ausserdem hatte er bei einzelnen Personen
und Völkern wiederum seine besonderen Quellen, so über Herakles (IV
8—16) die Lobrede des Rhetors Matris auf jenen Heros,i^) über die ethno-
graphischen Verhältnisse Galliens (V 25 — 40) den Poseidonios, über die
Inseln im sogenannten Inselbuch (B. 5) den Kommentar des ApoUodor zum
homerischen Schiffskatalog. ^^) Bezüglich seiner Quellen in der älteren
römischen Geschichte urteilt ein massgebender Kenner, Mommsen, Herrn.
5, 274: die Fasten Diodors sind die ältesten und glaubwürdigsten.^*) In
der neueren römischen Geschichte folgte er vornehmlich dem Polybios und
Poseidonios.
Godd. sind wie bei Livius verschieden zn den einzelnen Abteünngen: för B. I — V
sind massgebend Vindob. 79 membr. s. XI and Vatic. 130 s. Xll; fOr B. XI -XV Paris. 1664
bomb. 8. XV; für B. XVI-XX Paris. 1665 membr. XII; fftr B. XI -XX Laur. 70, 12 chart
*) ZonAchst indes sind diese Angaben,
wie Volqoardsen S. 12 nachweist, aus der
Chronik des ApoUodor geflossen. Daher sind
dieselben nur mit Vorsicht f&r die Quellen-
forschong zu benutzen, da z. B. von Thuky-
dides und der hellenischen Geschichte des
Xenophon Anfang und Schluss genau ange-
merkt (12, 37; 13, 42; 15, 76 u. 89), in den
betreffenden Abschnitten aber vielfach ab-
weichende Darstellungen gegeben sind.
^) £. A. Wagneb, Zu Diodors drittem und
erstem Buch, Jahrb. f. Phü. 1895 S. 145—170;
1896 S. 327—346.
*) Gitiert ist derselbe ohne den Beinamen
Skytobrachion in 52 u. 67; Bbtbb, Quaestionee
Diodoreae mythographicae, Göttingen 1887,
setzt an dessen Stelle ein aus den grösseren
Werken der Dionysioi zusammengestelltes
mythologisches Kompendium.
*) Dabei thut Diodor so, als habe er
selbst die sorgsame Prüfung der hieroglyphi-
schen Urkunden {dyayg(«pai) vorgenommen
(1, 69), während er selbst des Aegyptischen
unkundig war; s. Kball, Manetho u. Diodor,
Sitzb. d. östr. Ak. 1880 (B. 96) 237—84.
^} Etesias ist citiert II 32 u. XVI 46,
aber nach Jacoby Rh. M. 30, 555 ff. nur in-
direkt benutzt. Dass Diodor den Ktesias nur
durch Agatibarchides kannte, beweist Mab-
QüABT, Philol. Suppl. 6, 504 ff.
•) Theopomp ist citiert XIII 42 tL XVI 3,
ausserdem Anaximenes XV 89, Ejülistheoes
IV 1 u. XVI 14, Demophilos XVI 14.
7) Diod. II 7 und Wessrlino zu XVH 75.
Die Benützung des Klitarch stellt in Abrede
BüDiNORB üniversalhist. 164. AngefUirt ist
auch Marsyas XX 50.
») Diod. XV 60 ; Rösiobb, De Duride Samio
Diodori Siculi et Plutarchi auctore, Gott 1874;
s. oben § 886.
>) Citiert sind Timaios V 1; XIII 90 n.
109; XX 89; XXI 12; Philinoe XUI 103 u.
XV 89; ausserdem Antiochos XII 71; Diyllos
XVI 14; Hermeias XV 37; Eallias und Ant-
andros XXI 12.
^^) Nachgewiesen von Holzbb, Matris, ein
Beitrag zur Quellenkunde Diodors, T&bingen
1881.
'') Bethb, Untersuchungen za Diodors
Inselbuch, Herm. 24 (1889) 402 ff.
") In einer Einzelfrage nachgewiesen yod
Kabbst, Die römischen Nachrichten Diodors
und die konsularische Prorinzrert^ung .
Philol. 48, 306 ff. Welches die speziellen
Quellen Diodors waren, ob neben Kastor
Fabius Pictor oder Galpumius Piso, wird ge-
stritten; S.TÜ1CXBL Jahrb. f. Phil. 1B89 8. 347
bis 54; Badeb, De Diodori renun Boma-
narum auctoribus, Ups. 1890; BOddigkb a. 0.
167 ff.
B a) BömiBche Periode vor Konstantin. S. Die Proaa. a) Diodoro«. (g§ 462-^463.) 637
-XYI 8. X, von dem Bbrokann, Diodori hist.
Berl. 1867, Notiz gab, ist jetzt herangezogen
8. XIY. Der alte Cod. in Patmos von B. XI
Hb. XI 1 — 12 ex cod. Patmio ed. Bbbokann,
von VooEL.
Ausgaben: Zuerst erschienen in lat. Uebersetzong die ersten 5 B. von Poggio, 1472;
erste voUst&ndige Ausgabe im griechischen Originaltext von Stepbanus, Paris 1559; cum
suis alionunque annot. ed. Wessblino, Amstel. 1746, 2 t. in fol., Hauptausgabe; ex rec.
L. Di2<D0EFii mit Sammelanmerkungen, Lips. 1828 — 31, 5 vol.; von C. Müller bei Didot
1842 — 4. Die Textesausgabe von Dindorf in Bibl. Teubn. erscheint in neuer Bearbeitung
mit handschriftlichem Apparat von Vogel.
462. Dionysios aus Halikamass, Sohn des Alexander und ver-
schieden von dem Musiker Dionysios aus Halikarnass unter Hadrian, war
Rhetor und Geschichtschreiber unter Augustus. Nach seinen eigenen An-
gaben, Arch. 1 7, war er nach Beendigung des Bürgerkrieges im Jahre 30
V. Chr. nach Rom gekommen und hatte in den 22 Jahren, die er daselbst
zubrachte, die lateinische Sprache gelernt und mit römischen Grossen
mannigfache, durch die Dedikationen seiner Schriften bezeugte Beziehungen
angeknüpft. Die Kreise, in denen er verkehrte und in die er durch seinen
Freund, den Rhetor Cn. Pompeius Qeminus, eingeführt wurde, gehörten zu
den Parteigängern des Senates, woher die aristokratischen Ideen stammen,
die sein Geschichtswerk durchziehen. Insbesondere zählte er den Rufus
Melitius^) und Aelius Tubero*) zu seinen Gönnern. Zur Hauptaufgabe
stellte er sich während seines römischen Aufenthaltes die Ausarbeitung
eines Werkes über römische Geschichte; daneben gab er Unterricht in
der Rhetorik und versäumte es nicht, in seinen Schriften auf die Not-
wendigkeit der Ergänzung der theoretischen Lehren durch die Übungen
der Schule, natürlich seiner Schule, aufmerksam zu machen.») Ob er nach
Vollendung seines Geschichtswerkes im Jahre 8 v. Chr. noch länger in
Rom geblieben ist und wie lange er den Abschluss seines Hauptwerkes
überlebt hat, darüber fehlen uns Nachrichten. Sein litterarischer Nach-
lass besteht aus jenem Geschichtswerk und aus rhetorischen Schriften, die
aus seiner Lehrthätigkeit hervorgegangen sind.
463. Die ^Ptofiaixr] aqxaioXoyia {antiquUates Romanae) in 20 B.
ist das hauptsächlichste historische Werk unseres Autors. Daneben hatte
er ein tabellarisches Buch nsgii x^oi'wr geschrieben, in welchem er die
römische Zeitrechnung auf die griecliische des Eratosthenes reduzierte;*)
dasselbe wurde auch noch von christlichen Schriftstellern, wie Clemens
Aiexandrinus, häufig benutzt. In dem Hauptwerk stellte er die römische
Geschichte von ihren Anfängen bis auf den Beginn der punischen Kriege
(266) dar. Er wollte also mit ihm eine Ergänzung des polybischen Ge-
schichtswerkes nach rückwärts liefern ; er that es, weil er noch von keinem
griechischen Schriftsteller die ältere Geschichte Roms in genügender Weise
dargestellt fand.^) Er gedachte so zugleich den Römern für die Wohl-
') Dien, de comp. verb. 1 p. 6 Seh.
*) Thnc. lud. 1.
>) Dion. de comp. 20 p. 284 Seh.; rhet.
10, 19.
^) Nach der Andeutung, die er Arch. I 74
von dem Inhalt dieses Buches gibt, war das-
selbe nicht identisch mit dem Abriss (atV-
o\pig) der römischen Archäologie in 5 B., die
Photios cod. 84 las. Diese letztere hatte nach
Photios den Dionysios selbst zum Verfasser.
Ebüqe», Comm. hist. et crit. p. 262 hält das
Buch nBQi xQoytoy fdr eine Ueberarbeitung
des über annalis des Attikus.
6) Arch. I 4 u. 5.
638
Oridchisohe Litteratnrgeftohichio. Ü. ttaohklassiBcho Litteratar«
thaten, die er während seines römischen Aufenthaltes empfangen hatte,
den Tribut des Dankes zu erstatten.^) Von den 20 Büchern ist uns die
erste Dekade (1 — 10) und dazu durch eine jüngere Klasse von Hand-
schriften das 11. B., welches die Geschichte der Decemvim zu Ende fuhrt,
erhalten. Von den neun letzten Büchern haben wir nur Fragmente aus
dem Exzerptenwerk des Eonstantinos Porphyrogennetos und eine von
Angelo Mai in einer Mailänder Handschrift aufgefundene Epitome. In
der Durchführung seiner Aufgabe steht Dionysios durchweg auf dem Stand-
punkt eines griechischen Rhetors.^) Wie ein panegyrischer Redner sucht
er gleich bei der Wahl des Stoffes nach einem würdigen, dankenswerten
Thema;') die Geschichte selbst ist ihm Philosophie in Beispielen,^) und
auf Beispiele, die der Gesetzgeber, Staatsmann, Redner gebrauchen könne,
hat er es überall abgesehen.^) Mit dem lieblichen Köder fiiessender Reden,
ebenso reich an Worten als arm an Gedanken,^) sucht er die Darstellung
auch von Zeiten zu beleben, wo der wortkarge Römer kaum so viele
Worte sprach, als Dionysios ihm Sätze unterlegt. Überhaupt gelten ihm
der rhetorische Aufputz der Darstellung und der Wohlklang der Perioden
als Hauptaufgaben; sie zumeist sollten sein Werk über die ungeniess-
baren Historien des Phylarchos, Duris und Polybios erheben. '') Ausser-
dem macht er in seiner pragmatischen Auffassung die Geschichte zur
Lehrerin der Moral und Richterin menschlicher Thaten ; durch sie soll der
Leser in der Frömmigkeit und im alten Glauben bestärkt und vor der
Gottlosigkeit der atheistischen Philosophen bewahrt werden.®) Dabei ist
aber nichts von dem animus Romanus und dem Geiste der alten Zeit in
den griechischen Rhetor gefahren. Die Verhältnisse Roms betrachtet er
mit der griechischen Brille und färbt die Darstellung der alten Institu-
tionen nach den römischen Einrichtungen seiner Zeit, von denen er oben-
drein doch nur eine kärgliche Anschauung gewonnen hatte. Auch Livius
war aus der Schule der Rhetoren hervorgegangen, aber er war ein Römer
und seine kraftvolle Darstellung und seine markigen Reden lassen weit
die geschwätzigen Tiraden des Griechen hinter sich: was Livius in drei
Büchern erzählt hatte, dafür brauchte Dionysios 11, wobei freilich in Be-
tracht zu ziehen ist, dass derselbe weiter ausholte und von den alten Be-
wohnern Italiens erst im zweiten Buch zur Gründung Roms kommt. Im
übrigen benutzte Dionysios gute Quellen, über die er sich selbst eingehend
in dem Proömium 1, 6 f. ausspricht. Von griechischen Historikern zog
^) In der eitlen Weise eines echten Grae-
culns vindizierte er den Römern auch die
filire, zu den Griechen, nicht Barbaren zu
gehören, Arch. I 5.
*) ÜLBici, Charakteristik 227 fif.; Liebs,
Die Theorie der Geschichtschreibung des
Dionys von Halikamass, Waldenburger Pro-
gramm 1886; Wachsmüth Einleii. 637 ff.
*) Arch. I 1 u. 2. In dem Brief an Pom-
peios I 3 macht er dem Thukydides die
schlechte Wahl des Stoffes {ixXoyfj vno-
^ioBtag) zum Vorwurf.
^) Rhet. II 1 : Uixoqla tfiXoao<pia iarly ix
n ttQaö wyfÄUtüiv,
*) Arch. V 56 u. 75; XI 1. Nach Thnc.
ind. 2 hatte er eine eigene Schrift geschrieben
vnhQ tijg noXitixijg q>iXoaog>iag, — Die Be-
tonung der Beispiele erinnert an die Exempla
des Cornelius Nepos.
^) Viele Phrasen sind nach berfilmiteii
Mustern attischer Prosaiker geformt, worflber
Flirble, Ueber Nachahmungen des Demo-
sthenes, Thukydides und Xenopbon in den
Reden der Römischen Archftologie des Diony-
sius, Progr., München 1890.
') De comp. verb. 4 p. 64 Seh.
8) Arch. II 68; VHI 56.
B a) Eömisobe Periode vor Konetantin. S. Die Prosa, a) Dionysios. (g 464.) 639
er den Hieronymus von Kardia, den Timaios und Polybios heran; haupt-
sächliche Führer aber waren ihm die römischen Historiker und Annalisten.
Er selbst nennt 1, 8, wo er seine Quellen aufzählt, ausser Cato's Origines
die Annalen des Fabius Maximus, Valerius Antias, Licinius Macer, Aelius,
Oellius, Calpurnius ; namentlich scheint ihm der fabulierende Valerius Antias
(citiert III 13) erwünschten Stoflf geboten zu haben. Durch ihre Be-
nutzung, insbesondere durch die des Cato im ersten Buch, hat seine Ar-
chäologie auch für die kritische Geschichtsforschung Wert erhalten, so
sehr auch im übrigen seit Niebuhrs einschneidender Kritik der Glaube an
die Verlässigkeit seiner Berichte geschwunden ist.*) Auffällig ist es, dass
das Werk bei den Späteren so wenig Beachtung fand, und dass von den
zwei gleichzeitigen Historikern Dionysios und Livius, wiewohl sie den
gleichen Stoflf behandeln, keiner auf den andern Rücksicht nimmt.*)
464. In den rhetorischen Schriften») des Dionysios finden wir
den Autor auf seinem eigensten Gebiet, und hier gewährt er uns auch
ungleich grössere Befriedigung.*) Er zeigt sich hier als Anhänger des
guten Geschmacks der attischen Beredsamkeit und als Gegner des über-
fliessenden Schwulstes der Asiäner. Die Reden der Attiker und die Ge-
schichtswerke der klassischen Zeit hatte er sorgfältig studiert '^) und die
in den Katalogen der alexandrinischen und pergamenischen Bibliothek
niedergelegten litterarhistorischen Hilfsmittel ebenso fleissig wie die Werke
des Demetrios Magnes und der pergamenischen Rhetoren durchgearbeitet.
Aber sein eigenes Können war auch hier nicht gross; nicht bloss sind
seine Reden in der römischen Archäologie zum grossen Teile nur aus
demosthenischen und xenophontischen Reminiszenzen zusammengeflickt,
auch in der Theorie der Rede wurde er von den römischen Rhetoren
Ck)mificius und Cicero weit überholt; nur in dem litterarhistorischen Detail
und in der ästhetischen Beurteilung zeigt er exakte Gelehrsamkeit und
geschultes Urteil. Da man ihn als den Hauptvertreter der stilistischen
Rhetorik ansah, so hat man ihm später auch manche fremde Werke unter-
geschoben.^) Die einzelnen Schriften sind folgende:
^) In mancheD Fragen kehrt freilich die
moderne Geschichtskritik wieder zu Dionysius
znrOck, wie wenn sie in vielen sagenhaften
Endüüimgen der älteren römischen Geschichte
üebertragong griechischer Geschichten auf
römischen Boden erhllckt. So erinnert schon
Dionysios IV 56 (ehenso Zonaras VIT 10) bei
Erzählung von dem versteckten Rat, den
Tarqninius seinem Sohne Sextus mit dem Stab
and den Mohnköpfen gibt, an die ähnliche
Geschichte des Milesiers Thrasybul bei Hero-
dot V 92.
*) Dionys. arch. I 8 werden nach den mit
Namen genannten Vorgängern noch im all-
gemeinen genannt xal itsQoi avj[voi aydgeg
ovx atpayets, aber dass darunter auch Livius
gemeint sei, lässt sich nicht belegen.
*) Blass, De Dionysii Hallcamassensis
Boiptis rhetorids, Bonn 1863. Ob die rhetori-
schen Schriften alle vor seine römische Ge-
schichte fallen, ist nicht ausgemacht; nach
dem Schlüsse des Buches über Demosth. c. 58
iay c(^Cü ^^ ^MfJiöviov i^f4,ag und der ähn-
lichen Wendung in der Schrift de comp verb.
p. 14 Seh. möchte man eher glauben, dass
er dieselben im Alter geschrieben habe. Die
Reihenfolge der rhetorischen Schriften wird
von Blass in folgender Weise festgesetzt:
^TitaroXrj ngog 'AfjkfAaloy a, negl avy&daeo^s
oyofjLuxüty^ negl X(ßy «^/«toiv ^ijioQtoy, inir-
azoXij TiQos Ilofjinrfioy^ tisqI fjiifjifiaemg, negi
Sovxvdidov, iniüioXt} Ttgoi *AfjLfi«loy ß'y Tiegl
JetyttQX^^'
*) Ein Anonymus bei Spengel, Rhet. gr.
I 460, 26 nennt ihn xayoya rrjg tisqI §r^io~
gixrjy fjis'kixfjq.
^) Am meisten tritt die Gediegenheit
seiner Studien in der Abhandlung über Dinarch
hervor, wo er keine Vorarbeiten hatte.
•) Vgl. unten § 551 über Ps. Longin nBQi
vifjovg.
640
Orieohisohe Litteratiurgesohiohte. II. NachklaBSMohe litteratar.
IleQi avv&äaetog ovofithtov {de cotnpositione verborum) ist die reifste
Schrift unseres Autors und behandelt ein von den Alten mehr als von
uns beachtetes Kapitel der Stillehre. Dionysios geht in derselben davon
aus, dass man in der ästhetischen Beurteilung über das blosse Fühlen
hinauskommen und die Gründe, warum eine Rede oder ein Gedicht schön
oder schlecht sei, sich zum Bewusstsein bringen müsse. Die Gründe aber
sollen hauptsächlich in der Wahl {ixloyi]) und in der Zusammenfügung
{avv&eaig^ verwandt aber nicht identisch mit avvta^ig) der Wörter zu
suchen sein. Die Zusammenfügung nun behandelt der Autor in unserm
Buch unter steter Vorführung von Beispielen aus Dichtern und Prosaikern
in der Art, dass er auf den Zusammenstoss der Laute, den rhetorischen
Rhythmus, die Stilunterschiede {iä^ig aiVriy^a, yXaffvqd^ xoiv^) Rücksicht
nimmt und hochinteressante Bemerkungen über Periodenbau, Metra, musi-
kalische Kompositionen 1) einflicht.*) Schwere Bedenken erregt nur, dass
unser Rhetor in der rhythmischen Zergliederung einzelner Sätze so mangel-
hafte Kenntnisse der Grammatik und Prosodie an den Tag legt, dass er
c. 18 darüber im unklaren ist, ob die letzte Sylbe von evvoiav und die
mittlere von xovxovi als Länge oder Kürze zu behandeln sei. — Einen Wink
über die Abfassungszeit scheint die Verweisung in dem Buche über
Thukyd. c. 49 und 50 auf unsere Schrift zu bieten, aber die Beweiskraft
dieses Zeugnisses wird dadurch geschwächt, dass umgekehrt in unserer
Schrift c. 11 die Untersuchung über die Stilcharaktere noch als ausstehend
bezeichnet wird.»)
Il€Qi fiifirjaccag war eine Schrift in drei Büchern, deren Inhalt Dio-
nysios selbst im Brief an Pompeius c. 3 skizziert. Danach handelte das
erste Buch von der Nachahmung und ihrer Bedeutung im allgemeinen;
das zweite von den Dichtern, Philosophen, Historiographen, Rednern, die
vornehmlich nachgeahmt zu werden verdienten ; das dritte von der Weise,
wie man die Musterautoren nachahmen solle. Das wichtigste Buch war
natürlich das zweite, das sich im wesentlichen mit dem berühmten zehn-
ten Buch der Institutiones oratoriae des Quintilian deckte, sich aber auch
mit dem Briefe des Liv^s an seinen Sohn über die Auswahl der zu
lesenden Autoren berührte. Den Plan desselben legt der Verfasser in der
Einleitung der Schrift über Thukydides dar; näheres über den Abschnitt
von den nachzuahmenden Historikern erfahren wir aus dem Brief an Pom-
peius c. 3—6, über den Inhalt des ganzen Buches aus dem erhaltenen
Auszug, Tm' dQxamv xgitng betitelt, den im 4. Jahrhundert ein platoni-
sierender Rhetor angefertigt hat.
Jl€Qi TCür uQxaiwv ^rixoQtov vTiofirr^fiaTiafioi stehen mit der
zuvor genannten Schrift in Zusammenhang ;^) sie geben eine spezielle Be-
^) Das 11. Kapitel enthält eise Um-
schreibung der Melodie der Parodos des
enripideischen Orestes.
') Die Behandlung der Lehre neQt ix-
^oyfjg xiav oyo/näitoy verspiicht er De comp,
p. l4 Seh. im nftchsten Jahr zu geben; erhalten
ist uns von derselben nichts.
») BLASS a. 0. 8 f. hilft sich mit der An-
nähme, dass die Schrift Über Thukyd. damals
schon geschrieben, aber noch nicht publizieri
gewesen sei; vergl. IKVsslbh, Dionys. HaUc
Script, rhet. p. 4 sq.; Ebbbhabd, Jahrber. d.
Alt. lY 1, 206; Rabe, Die Zeitfolge der rhe-
torischen Schriften des Dionys. Haiic, Rh. M.
48, 147. 151.
*) Herausgegeben indes war die ^
B t) B5muiohe Periode vor Konstantin. 8. Die Prosa, a) Dionyaios. (§ 464.) 641
sprechung der hervorrageDdsten attischen Redner, wobei ein kurzer Lebens-
abriss vorausgeschickt und dann auf die Reden und den Stil derselben im
Detail eingegangen ist. Nach der an Ammaios gerichteten Einleitung
sollten von der älteren Generation Lysias, Isokrates, Isaios, von der jüngeren
Demosthenes, Hypereides, Aischines besprochen werden; aber nur der erste
Teil ist auf uns gekommen, vielleicht auch allein von dem Autor ausge-
führt worden.^) Demselben angehängt ist eine Charakteristik des Deinar-
chos, den unser Rhetor von seinen Vorgängern allzusehr vernach-
lässigt fand.
Die Schrift tvsqI zfjg kexrixrjg Ji^noCx^tvovq dsivoxrjTog (de ad-
mirabüi vi dicendi in Demosthene) *) muss uns als teilweiser Ersatz für den
Verlust des zweiten Teils der vorgenannten Schrift gelten. Es wird darin
Demosthenes als das non plus ultra von einem Redner hingestellt mit ver-
ständnisreicher Besprechung einzelner Stellen, aber in einem etwas über-
schwenglichen Tone. Auch diese Schrift ist an Ammaios gerichtet; der
Verfasser verspricht am Schlüsse derselben noch eine zweite Schrift über
die Geschicklichkeit des Demosthenes in Behandlung der Sache {tisqI tijg
nQoyßcnixfjg dsivoTifcog) nachfolgen zu lassen, wenn Gott ihm noch das Leben
schenke; aber zur Ausführung dieses Planes ist es nicht gekommen.
IIsQi Tov Qovxvdldov xaQaxxiJQog ist an Aelius Tubero, den be-
rühmten römischen Rechtsgelehrten und Historiker, gerichtet und hat das
Werk neQi /iiinrjasoog zur Voraussetzung. Die neue Schrift gibt eine ein-
gehende, aber in der Hauptsache ungerechte Charakteristik des Thukydides.
Das gut geschriebene Buch muss man lesen nicht bloss des Thukydides
^en, sondern auch um das Geschichtswerk des Dionysios selbst richtig
aufzufassen.
Ergänzungen und Antworten auf die Anfeindungen, welche die Ur-
teile des Dionysios hervorgerufen hatten, enthalten die übrigen kleineren
Schriften unseres Autors. In dem Brief an Ammaios nimmt er seinen
Demosthenes vor dem Vorwurf der Peripatetiker, dass derselbe das beste
dem Aristoteles verdanke, durch den Nachweis in Schutz, dass die Rhe-
torik des Aristoteles nach den Reden des Demosthenes abgefa^st sei. In
dem Brief an Pompeius hält er sein Urteil über die stilistische Inferiorität
des Piaton gegenüber dem Demosthenes aufrecht und spricht sich nochmals
über den Stil der Haupthistoriker Herodot, Thukydides, Xenophon, Philistos,
Thedpomp und ihr Verhältnis zu einander aus. Im zweiten Brief an Am-
maios kommt er auf sein Urteil über Thukydides zurück und gibt auf Ver-
langen seines Freundes eine spezielle Besprechung der Stileigentümlich-
keiten (iVicö/mTor) des Historikers.») Von dem verlorenen Buch tisqI axrj'
/mrcov gibt Quint. IX 3, 89 Zeugnis ; vgl. Demosth. iud. 39.
gegangene Schrift noch nicht, da sie Dio- zugleich mit dem Anfang der Schrift; weg-
npioe in Dem. ind. in. als noch unvollendet gefallen; er beruht auf ^gänzung aus dem
[ttuXijs) bezeichnet; vgl. Blass p. 20. Inhalt.
*) Aus dem Eingang des Buches über ^) Dass er dieselben wesentlich aus
Dinarch schliesst Blass p. U, dass Dionysios älteren Scholien zu Thukydides zusammen-
to Plan auch ausgeftthrt habe gerafft habe, erweist Usbneb, Dionys. Halic.
') Der Titel ist in den Handschriften | ad Ammaeum epist, Bonn 1889.
Bttdimefa der kla«. AltertimwwiaBeiiachAft. VIL 8. Aufl. 41
642
GrieehiBohe LitteratnrgMohioht«. IL NachklMsisobe littoratiir.
Unecht ist die Schrift Täxvrj ^rjtoQixrj in 11 Abschnitten. Dieselbe
ist kein vollständiges Lehrbuch der Rhetorik, sondern eine Sammlung von
mehreren auf die rhetorische Theorie bezüglichen Abhandlungen. Der
erste Teil, der (c. 1 — 7) an einen gewissen Echekrates gerichtet ist, ent-
hält die Topik der epideiktisohen Rede, insbesondere eine Anleitung zum
Reden bei öffentlichen Pestversammlungen (navr^yvQeiq). Der zweite Teil
besteht selbst wieder aus mehreren Traktaten. Von diesen behandelt der
erste (c. 8 u. 9) die Verstellungsrede {Xoyoq iffx^jfAavKrfiävog, oratio figurata)^
wofür die Reden des Agamemnon und Diomedes im zweiten und neunteo
Gesang der Rias als Muster herhalten müssen. Der zweite Abschnitt (c. 10)
handelt von den Stilfehlern (ttAij^u/«« Aiy/uara), woran sich ein Kapitel (c. 11)
über die Stilprüfung (xQ(mg) anschliesst. Das ganze Buch ist skizzenhaft
angelegt und des Dionysios unwürdig; selbst in der allein massgebenden
Handschrift, cod. Paris. 1741 ist nicht der ganzen Schrift, sondern bloss
den zwei letzten Kapiteln der Name^ des Dionysios vorgesetzt. Im ersten
Teil c. 2, 9 wird auf Nikostratos, der unter den Antoninen lebte, Bezug
genommen, so dass dieser nicht vor dem Schluss des 2. Jahrhunderts ge-
schrieben sein kann.^)
Codices: Ueber die handBchriftUche Ueberlieferung der rhetoriBchen Schriften iuindebi
ÜSBNXR, lud. Bonn. 1878 und Jahrb. f. Philol. 107 (1878) 145 ff.; Sad^e, De Dionya. Script
rhet. quaestiones criticae, Argent. 1878; Sohrnkl, Wien. Stud. II 21— 32. Der wichtigste
Cod. ist der Parisinus 1741. — Von der Archftologie sind die besten Codd. ein Urbinas 8.X
und ein Chisianns s. X, verwertet in der Ausgabe von Eibsslixo. Wertvolle Beitrflge van
Kritik von Cobbt, Observ. crit. ad Dionys. Halle. LB. 1877.
Erste vollständige Gesammtausgabe von Stlbuho, Frankf. 1586, 2 vol.; von Rsisu,
cum not. var., Lips. 1774, 6 vol. — Spezialausgabe der römischen Arch&ologie von Eins-
LiNO in Bibl. Teubn., neubearbeitet von Jacob y. Ausgabe der rhetorischen Schriften mit
kritischem Apparat von üsbneb-Radebhacheb, Leipzig im Erscheinen. — Spezialausgabe des
Buches De compos. verb. von Schäfeb, Lips. 1808; von GOlleb, Jen. 1815; der Utischen
Schriften von Gbos, Exam. crii de D^nys d'Halic, Par. 1826. — Rösslbb, Dion. Hai. scrip-
torum rhetoricorum fragm. collegit, disposuit, praefatus est, Lips. 1873. — üsbnbr, Dion.
Hai. de imitatione librorum rell. epistulaeque duae criticae, ed. üsbnbb, Bonn 1889. -
Jacoby, Act. Lips. I 287 ff. und Philol. 36, 129 ff. u. 37, 325 ff. berichtet Aber die Kritik und
den Sprachgebrauch der Archftologie. — Ammon, De Dion. Hai. scriptorum rhetorioonun
fontibus, Münch. 1889, Progr. d. Wilh.Gymn.
465. Mit Dionysios wird in der Regel*) Cäcilius von Kaiakte,
Schüler des pergamenischen Rhetors ApoUodoros, verbunden, den Dionysios
selbst im Brief an Pompeius c. 3 seinen lieben Freund nennt. Er hat
neben jenem hauptsächlich zur Belebung der rhetorischen Studien in Rom
und der Forschungen über die attischen Redner beigetragen. Eine Haupt-
schrift von ihm handelte von dem Stilcharakter der zehn attischen Redner
{n€Ql Tov x^Q^^^^QOQ ^«^ <^«'^of ^tjTOQwv), woraus man sieht, dass er bereits
') Auf die Zeit der gefestigten Kaiser-
herrschaft führt auch 1, 7 von dem Preis der
Könige als Friedensschirmer. Bursian, Ueber
den Rhetor Menandros, Abb. d. b. Ak. XVI 26,
weist im Menander p. 899, 12 Sp. eine Be-
zugnahme auf unsere Techne c. 2 nach, so
dass also dieselbe jedenfalls vor Menander
oder vor 250 zu setzen sei. Der Verweis auf
eine noch anzustellende Untersuchung ne^l
uifÄTjüBtog (10, 19) spricht dafür, dass die 3. Ab-
nandlung, wenn nicht von Dionysios selbst,
so doch aus seiner Schule stammt. QuinÜL
III 1, 16 und andere bei Walz, Rhet. gr. III
611; V 213; VI 17; VU 15 bezeugen, dass
ein rhetorisches Lehrbuch unseres Dionysioe
ehedem in Umlauf war.
*) Quintil. ni 1 ; IX 3; Ps. Phit de decem
orat. fast auf jeder Seite. Ueber Kaixih9?
ein guter Artikel des Suidaa, wonach einige
ihn für den Sohn eines Sklaven und einen
Juden ausgaben.
Ba)R0miBoh6 Periode YorKonataBtin. 8. Die Prosa. b)Jüd. Historiker. (§§465-466.) 643
den Kanon der zehn attischen Redner kannte; doch hat er denselben nicht
zuerst aufgesteDt, sondern von seinem Lehrer ApoUodor herübergenommen, i)
Auf den Forschungen jenes Buches basiert hauptsächlich die ps. plutarchische
Schrift von den zehn Rednern. Eine andere namhafte Abhandlung unseres
Cäcilius handelte von dem Erhabenen im Stil (negl, vipovg), gegen welche
das gleichbetitelte Buch des Ps. Longin gerichtet ist. Von seiner Neigung,
die Vorzüge verwandter Männer gegeneinander abzuwägen, zeugen die
verlorenen Schriften über Demosthenes und Aischines, Demosthenes und
Cicero, unter den übrigen von Suidas angeführten Schriften unseres Rhe-
tors war die 'ExXoytj Xs^emv xatd aro^x^Tov (wahrscheinlich nur von den
Rednern), deren wahrer Titel KaXXiQ^rjfioavvr] war,«) von besonderer Wich-
tigkeit filr die mit ihr beginnende Litteratur der attischen Rednerlexika.
Auch ein historisches Werk über die Sklavenkriege wird von ihm an-
gefahrt. 3) Fragmente gesammelt von Burckhardt, Basel 1863.
b) Jüdisehe Historiker.
466. Die Juden hatten seit Alexander einen immer steigenden
Einfluss in der hellenistischen Welt gewonnen. Namentlich hatte Ale-
zandria eine grosse Judenkolonie und interessierten sich die Könige
Ägyptens schon aus politischen Gründen lebhaft für die Geschichte und
Sitten des rührigen, durch Glaubensstärke mächtigen Volkes. So wurde
schon unter Ptolemaios Philadelphos das alte Testament durch die soge-
nannten Siebzig ins Griechische übersetzt, und spann der jüdische Philo-
soph Aristobulos um 170 v. Chr. ein ganzes Gewebe von Truglehren
über den Ursprung hellenischer Weisheit aus orientalischer und speziell
jQdischer Quelle.^) Mit der Geschichte der Juden wurden die Griechen in
jener Zeit bekannt gemacht durch Demetrios (um 220), Eupolemos
(am 160) und Aristeas (um 100).'^) Nach dem Untergang der heUenisti-
schen Reiche wanderten mit den Grammatikern und Gelehrten auch Juden
nach Italien und Rom, so dass bereits unter Cicero und Augustus die Juden
in Rom eine einflussreiche Kolonie bildeten. Strabon sagte an einer durch
Josephos arch. Jud. 14, 7 uns erhaltenen Stelle seines Geschichtswerkes:
,in alle Städte schon ist das Volk der Juden gekommen, und es gibt
keinen Ort des Erdkreises, der dieses Volk nicht aufgenommen hat und
von ihm beherrscht wird."" Allerwärts, in Damaskus, Antiochia, Alexan-
dria, Eyrene, Ephesos, Thessalonike, Eorinth gab es jüdische Gemeinden
and Synagogen (awaytaym); besonders aber war es die Hauptstadt des
Beiches, deren Reichtum und Machtstellung die Juden an sich zog. Horaz
erwähnt nur nebenbei und mit leichtem Scherz ihre Proselytenmacherei
und ihre Sitte der Beschneidung. ^) Aber bald nachher muss ihre Feind-
seligkeit gegen den römischen Staatsgedanken grösseren Anstoss erregt
M S. oben § 261.
') RoHDB, Griecli. Rom. 326.
») MüLLBB, FHG m 330—3.
*) S. oben § 339; vgl. im allgemeinen
MoKKSBK, R0m. Gesch. V 489 ff.
*) üeber diese s. Fbbudbnthal, Hell.
Stad. I 35 ff. u. 105 ff. n. 136 ff.; Susemihl AI.
Ut n 647 ff.; Ober Eupolemos Ad. Scblattbn,
Eupolemos als Ghronolog und seine Be-
ziehungen zu Josephus und Manetho, in Theo-
logische Studien und Kritiken 1891 S. 633
bis 703.
*) Hör. Bat I 4, 143 veluti te Judaei co-
gemus in hanc concedere turbam; sat. I 9, 70
vin tu curtis Judaeis oppedere? cf. sat. I
5,100.
41*
644 ChrieohiBohe Litteratargesohiohte. II. NaohklaBdisohe Litteratur.
haben: die Kaiser Tiberius und Claudius erliessen Ausweisungsdekrete
gegen die Juden, und Domitian verschärfte die Gesetze über die Eintrei-
bung der Kopfsteuer von den wirklichen und geheimen Juden, i) In-
zwischen hatte der Aufstand der Juden in Jerusalem und die blutige
Unterdrückung desselben durch römische Soldaten die Autinerksamkeit der
Römer in erhöhtem Grade auf das fanatische Volk und ihre Sitten gelenkt
Die Zerstörung Jerusalems (71 n. Chr.) hatte wohl den Untergang des
jüdischen Nationalstolzes besiegelt, abek> die jüdische Diaspora hatte des-
halb nicht an Bedeutung verloren. Wie gross namentlich in Rom und
besonders in dem Kreise der Frauen der Einfluss der Juden geblieben
war, ersieht man aus Juvenal, der keine Gelegenheit versäumt, die Geissei
des Spottes über das abergläubische Bettel volk zu schwingen.^) Wenn es
ihnen aber so leicht gelang, in Italien und Rom festen Fuss zu fassen
und bald auch in der Litteratur eine Rolle zu spielen, so hatte dieses zum
Teil darin seinen Grund, dass Rom in der Kaiserzeit eine zweisprachige
Stadt geworden war, die Juden also mit dem Griechisch, das sie bereits
in Alexandria und Antiochia zu lernen genötigt waren, auch in Rom leicht
auskommen konnten. Schon in Alexandria hatten sie griechisch geschrie-
ben, und griechisch war auch in der Kaiserzeit die Sprache, mit der sie
in die Weltlitteratur eintraten. — Weitaus der bedeutendste jüdische
Schriftsteller unserer Periode war Philo von Alexandrien. Von ihm
werden wir weiter unten in dem Abschnitt von den Philosophen handeln;
hier wollen wir nur die historischen Schriftsteller der Juden abhandeln.
467. Nikolaos von Damaskus war zwar nicht Jude, trat aber da-
durch, dass er die grössere Zeit seines Lebens (37 — 4 v. Chr.) an dem
Hofe des jüdischen Königs Herodes verbrachte,«) in nähere Beziehung zu
dem Judentum. Sein Hauptwerk, das er auf Veranlassung des Königs
Herodes verfasste, war eine allgemeine Weltgeschichte in 144 B.,*) die
ähnlich wie das verwandte Werk des Diodor von der ältesten Zeit bis
zur Gegenwart reichte. Eine zweite historische Schrift unseres Autors
betraf die Zeitgeschichte und behandelte in panegyrischem Tone das Leben
und die Erziehung des Kaisers Augustus (ayioyrj tov ßiov Kaicagog),^) Beide
Werke sind verloren gegangen, aber wir haben von dem letzteren und
den sieben ersten Büchern der allgemeinen Geschichte umfangreiche Aus-
lesen im Exzerptenwerk des Konstantinos Porphyrogennetos. — Von Haose
aus war Nikolaos Philosoph der peripatetischen Richtung ; auch als solch»
entwickelte der schreibselige Autor eine grosse Thätigkeit: er verfasste
ein Kompendium der aristotelischen Philosophie, welches die Lektüre der
») Suet. Tib. 36; Claud. 25; Domit. 12;
Dio 66,6; Jnven. 14, 100.
=») Juv, 3, U; 6, 545 fif.; 14, 96 S. Die
Verachtung der Juden spricht auch aus dem
bitteren Spott über die Triumphalstatue des
geborenen Juden Ti. Julius Alexander, sat
1, 130.
') Schon frühe sahen sich die Hohen-
priester und Könige Judas genötigt, für diplo-
matische Sendungen Griechen in ihren Dienst
zu ziehen. Unter den nach Rom zu ver-
schiedenen Zeiten abgeordneten Gesandten be-
gegnen uns bei Josephus fast nur griechische
Namen.
*) Athen. 249a gibt 144 B. an, indem er
das Werk ausdrücklich noXvßißXoq nenot;
auch citiert das 124. Buch Josephos arcb.
XnS. Wenn daher Suidas nur 80 B. aagS^
so ist das ein Irrtum.
*) Statt ßiov korrigiert Daub Itßasxm.
Daneben erwähnt Suidas von ihm ein Bock
nBqi tov i^Lov ßiov xal i»;^ iavrov aytuyi^i
wovon umfangreiche Fragmente bei MüuB
FHG m 348-356.
Ba)B0mi8ohe Periode YorKonatantin. 8. Die Prosa. b)JoBepho8. (§§467—468.) 645
Schriften des Philosophen ersetzen sollte,^) und eine Sammlung auffälliger
Gebräuche {naQaio^cov i^wv avXXoyij). Fragmente bei Müller FHG HI
343-464 und Dindorf HGM I 1—153.
468. Josephos,') nachmals Flavius Josephus genannt, war 37 n. Chr.
geboren und stammte aus einem vornehmen jüdischen Priestergeschlecht;
mütterlicherseits war er sogar mit dem königlichen Haus der Makkabäer
verwandt. Zusammen mit seinem Bruder Matthias in Jerusalem sorgfältig
erzogen, entwickelte er früh ungewöhnliche Geistesanlagen. Von den drei
Sekten der damaligen Juden, den Pharisäern, Sadduzäern und Essäern,
zog ihn die erste, die der Stoa der Griechen gleichgestellt wurde, am
meisten an. Nach Rom kam er zum erstenmal im Jahre 63, um einige
seiner Landsleute bei dem Kaiser zu verteidigen ; er erwirkte deren Frei-
lassung durch Vermittlung der Poppäa, der bekannten Gemahlin des Kaisers
Nero, deren Vertrauen er zu gewinnen wusste. Bei dem Ausbruch des
Aufstandes der Juden nahm er anfangs eine zweideutige Haltung an;
dann Hess er sich zum Befehlshaber erwählen, schloss aber, als er nach
dem Falle von Jotapata in Kriegsgefangenschaft geraten war, seinen
Frieden mit Vespasian, dessen Gunst er sich dadurch erworben haben soll,
dass er ihm die zukünftige Kaiserkrone weissagte. Von der Einnahme
der Hauptstadt Jerusalem war er im Lager des Titus Augenzeuge. Später
lebte er unter den Kaisern Vespasian, Titus und Domitian in Rom, mit
der Abfassung seiner Geschichtswerke beschäftigt. Dieselben schrieb er
auf Anregung seines Freundes Epaphroditos, eines angesehenen griechi-
schen Grammatikers, um die Hellenen über sein Volk aufzuklären; sie
erfreuten sich schon bei seinen Zeitgenossen eines ausserordentlichen An-
sehens, so dass sie, wie Eusebios in der Kirchengeschichte 3, 9 bezeugt,
in der öffentlichen Bibliothek mitsamt seiner Büste aufgestellt wurden.
Das interessanteste und bestdurchgearbeitete Werk des Josephos ist
der jüdische Krieg {TtsQi tov 'lovSaixov noXäfxov) in 7 B., das er, wie er
selbst in der Streitschrift gegen Apion I 9 bemerkt, anfangs in seiner
Muttersprache geschrieben und dann griechischen Litteraten zum Über-
setzen ins Griechische übergeben hatte. Hier erzählte er Selbsterlebtes
mit Wärme und Sachkenntnis. Denn wenn er auch im ersten Buch bis
auf die Zeit der Seleukiden und Antiochos Epiphanes zurückgreift, so bil-
det doch den Hauptgegenstand des Werkes der Aufstand der Juden und
die Bewältigung desselben durch Vespasian und Titus (64 — 70). Es hatte
auch ein römischer Autor und kein geringerer als Tacitus die Geschichte
des jüdischen Krieges erzählt; aber leider ist der betreffende Abschnitt
seiner Historien bis auf den Anfang verloren gegangen, so dass wir uns
über ihn nur aus der Chronik des christlichen Schriftstellers Sulpicius
Severus, der den Tacitus benutzt hatte, eine annähernde Vorstellung bil-
*) Ueber die Vermutmig, dass Nikolaos
auch Verfasser der pseudaristotelischen Schrift
negi xoafAov sei, s. oben § 820.
') Die Hauptnachrichten verdanken wir
der Selbstbiographie des Autors, neben wel-
cher der daraus gezogene Artikel des Soidas
nicht in Betracht kommt. Wichtig ist ausser-
dem das Zeugnis des Eusebios, Hist.eccl.3,9:
/ndXt4fTa di T(oy x«r* ixetyo xaigov ^lovdalay
ov Tia^a fioyoig totg ofÄoeSyictv dXXa xal
nagd 'Ptofialoig yfyoyey dytJQ inido^oratoc,
tag avtoy fj^y dya&^aet dy&QiäyTog knl tijg
'Pütftaimy ri/ittj&^ytn noXstog, rovg di cnovda-
a&iytag avrto Xoyovg ßißXio%9ijxtjg d^t<a&ijyai.
646
Qrieohisohe IdtteratargMohiohte. IL NaohkUMiache Idttaratnr.
den können.^) Josephos selbst hatte von seinem Werk eine zweite
verbesserte und erweiterte Ausgabe zu liefern im Sinne (arch. 20, 12),
scheint aber nicht zur Ausführung dieses Planes gekommen zu sein.
Das Werk wurde im 4. Jahrhundert auch ins Lateinische übersetzt und
kursierte im lateinischen Abendland unter dem entstellten Namen Hege-
sippus, d. i. Joseppus.») — Das umfangreichere spätere Werk unseres
Autors ist die ^lovdaixtj aqxaioXoyia in 20 B., welche mit der Erschaffung
der Welt an der Hand der Bücher Moses beginnt und bis auf Nero herab-
geht. Dieselbe lehnt sich in Titel und Buchzahl (der Autor selbst bezeugt
in dem Schlusswort die Einteilung in 20 B.') eng an die römische Ar^
chäologie des Dionysios von Halikarnass an, behandelt aber nur in den
11 ersten Büchern die alte Geschichte der Juden (bis auf Esther) an der
Hand der einheimischen heiligen Bücher>) Abgeschlossen hat Josephos das
Werk, in dem er neidische Konkurrenten hatte, im 13. B<egierungsjahre
Domitians (93 n. Chr.), im 56. seines Lebens (arch. 20, 12). Seine aus-
gesprochene Absicht war, die Hellenen und Römer auf solche Weise mit
der Vergangenheit und den Sitten seines Volkes bekannt zu machen.
Merkwürdig ist in dem Buche die Stelle 18, 3 über Jesus, da sie das
älteste aussertestamentliche Zeugnis über den Stifter unserer Religion entr
hält; doch ist dort nur ganz nebenbei von dem weisen Manne Jesus und
dem Volk der Christen die Rede, so dass man sieht, wie Josephos noch
keine Ahnung von der welthistorischen Mission des Heilandes hatte; über-
dies ist die Stelle durch Interpolationen von späterer Hand entstellt^)
Nach einer anderen Seite geben der jüdischen Archäologie ein besonderes
Interesse die vielen Aktenstücke, die darin über die Beziehung der Juden
zum römischen Senate mitgeteilt werden.^) Dem Reichtum des Inhaltes ent-
spricht nicht die Feile der Form, indem namentlich die letzten Bücher
^) Jak. Bbbnays, Die Chronik des Snl-
piciuB Severus, 1867.
*) Als Verfasser der lateiDischen Ueber-
setzung ward früher Ambrosins angenommen;
dass es vielmehr ein getaufter Jude war, be-
weist Vogel, De Hegesippo qni dicitor Josephi
interprete, Erlang. 1881.
') Jos. arch. 20, 12 : xaxanavcto xrjy dg-
XaioXoyiav ßißXois fJtkv etxoci neQieiXfjjUfASvtjy,
§^ dd fivQuiüt <rttx(ov. Ueber die hohe Zahl
von 60,000 Zeüen des Werkes s. Bist, Das
antike Buchwesen S. 203.
*) Jos. c. Apion. I 10: rijy fjLkv yd^
ttQXttioXoyiay ix rtor le^y y(fafifidTwy fie9^
ijQfiijyevxa yeyoyias IsQei^s ix yiyovg xal
f^eteaxv^fos t^s q>iXoao(piag ttjg iy ixeiyois
xoig ygdfifiaaiy,
*) los. Ind. arch. 18, 8, 3 : yiyerai cf^ xatd
xovxoy toy XQoyoy *Iijaovg, ao<p6q dyiJQ ' Bt ye
dydga avxSy Xfyety XQV' V^ Ydq naqadolioy
iQytoy no^tjxijg, diddüxaXos ay&Qoinoiy xtSy
i^doyp xdXtj&ij dexof^iyfoy ' xal noXXovf fjtky
lovdaiovg, noXXovg di xal xov *EXXrjyixov
infjydyexo, [o XQunos ovxos fjy.] xal avxoy
iydsi(€$ XiSy nQtoxmy dydowy naQ^ ^f*^^
cxavQi^ inixexif4ijx6fog DiXaxov ovx inav^
cayxo ol x6 nQtaxoy avxoy ayamjcarxH'
Si<pdyij yoQ avxoU tQixrjy %x^^ fjfiä^ay ndXuf
',<iSy, Twy &eiwy n^ofjprixtuy ravxd r« sm
dXXa fiVQia &avfAdcia ns(fl avrov figipmtmy.]
Biaixi, XB yvy xeSy XQUfxiayiuy dno xovit
tayofxaafjiiyoty ovx iniXinB x6 tpvXoy, Den
Namen Xqicxos nennt unser Autor anch
Arch. 20, 9: ''Ayayog noQayaytoy ek ^to
(sc. avy^dQioy) xoy ddeXfpoy *Itjcov xov Xiyo-
fiiyov Xqiotov ' *Jdxtoßog oyofjia avx^ ' xai
xiyag ixi^ovg cJc noQayofitjcdyxtor xaxfpro^vy
noitjadfieyog naQi&taxBy wg Xcwf^ijcofiBrovs.
Diese letzte Stelle hatte Origenes c. Gels. 1 35
im Ange, wenn er schrieb *l4aiTfptof »m'roi yt
dituntay x^ 'Jrjaov tis Xfwntp, die erste im
Kommentar zu Matth. 13. Ausserdem hat
losephos 18, 5, 2 auch noch des Tftofers loamies
Erwfihnuiig gethan. Vgl. SghGub, GetcL
des Jüdischen Volkes I 455 ff. — Der Zeit-
genosse des losephos, lustus von TiberiaSy
hat nach Photios bibl. cod. 33 p. 6^ 35 Chn-
stus und seine Wunder gar nicht erwihat
*) RiTSOHL, Bdmiache Senatskonsulte bei
Josephus hl Opusc. V 114 ff.; MmDBissoni,
Senati consulta Romanottim qoae mit in Jo-
sephi Antiquitatibus, Acta lips. V 87—288.
Ba)SOnUflohe Periode Yor Kenstantin. 8. Die Proea. b) Joeephos. (§468.) 647
die sorgfältige Durcharbeitung nur zu sehr vermissen lassen, i) Die Zeit-
angaben gab der jüdische Verfasser nach dem Kalender seiner Heimat,
setzte aber zum leichteren Verständnis für seine griechischen Leser die
jüdischen Monatsnamen in makedonische um, was mannigfache Störungen
und Miss Verständnisse verursachte.^) — Ein persönliches Pendant zu der
Archäologie bildet die Selbstbiographie des Historikers {OXaovtov ^Itoar^Tiov
ß(oq). Dieselbe hat der eitle Autor verfasst und veröffentlicht, um seine
hohe Abkunft ins rechte Licht zu setzen und seine Feinde und Neider
zum Schweigen zu bringen (arch. 20, 12). Nach dem Schlusswort c. 76
hat er sie mit der Archäologie seinem griechischen Freunde Epaphroditos
zugesandt. — Ausserdem möchte man aus mehreren Gitaten des Josephos ')
schliessen, dass er noch eine dritte historische Schrift, über syrische Ge-
schichte, verfasst habe. Doch erwähnt er dieselbe nicht an den zwei
Stellen (arch. 20, 12, c. Apion 1, 9 f.), wo er von seiner Schriftstellerei im
allgemeinen spricht, so dass entweder ein Lrrtum in den Citaten vor-
liegt, oder Josephos selbst das nicht in das Griechische übertragene Werk
über Syrien später ignorierte.^) — Eine allgemeinere Bedeutung haben
die zwei Bücher gegen Apion (xa%d ^Ämwvog). Es sind dieselben erst nach
der Archäologie unter Domitian im Jahre 94/5 geschrieben und enthalten
eine apologetische Antwort auf die Anklagen, welche der damals bereits
verstorbene^) Granunatiker Apion aus Alexandria gelegentiich einer Ge-
sandtschaft an den Kaiser Galigula gegen die Juden vorgebracht hatte.
Die Schrift enthält interessante Mitteilungen aus Berosos, Manetho und
anderen orientalischen Hellenisten. Der Verfasser verteidigt darin sehr
geschickt die Sache der Juden, indem er sich auf das höhere Alter der
biblischen Urkunden beruft und die Schönfärberei der griechischen Histo-
riker rügt.^) — Ein fremdartiges Gepräge trägt die Rede eig Maxxaßaiovg
^ Tregi avxoxqatoQog XoyiCfioVy worin an der Hand der jüdischen Geschichte,
besonders der Makkabäer, gezeigt ist, dass die Vernunft die Herrschaft
über die Leidenschaft hat.^) Josephos selbst kündigt am Schlüsse der
Archäologie mehrere theosophische Schriften im Geiste des Philon an, wie
über Gott und sein Wesen, über die Gesetze, scheint aber durch einen
frühzeitigen Tod an der Ausführung dieser Pläne gehindert worden zu sein.
1) Eine 8<vgf<ig6re Redaktion des Jüdi-
schen Krieges zeigt sich auch in der grösseren
Seltenheit des Hiatus, worüber Ebbbs, Die
PrApcNÜtionaadYerbien in der späteren histori-
schen Grftzität, Münch. 1884.
>) Ueber diese subtilen Fragen üngbb,
Die TagdAta des Josephos, Sitzb. d. b. Ak.
189a S. 453—492. üeber andere Punkte der
Josephoefragen Derselbe, ebendaselbst 1895
a 551 ff.; 1896 8. 357 ff.; 1897 S. 189 ff.
•) Arch. Xn 5, 2; Xm 2, 1—4; 4, 6;
5, II; 12, 6 mit xaMg xal ir aXXotg dedtjhti-
xmuer, wozu noch mehrere Stellen mit iy
aÜoi^ ^e^rjXmrai kommen.
*) DcsTiNOV, Die Quellen des Flayins
Joaephns, 1882, S. 21 — 29, nimmt an, dass
Joeej^oB jenes Werk, auf das er sich an den
bezeichneten Stellen bezieht, gar nicht selbst
geschrieben habe, sondern dass vielmehr die
Citate den Quellen angeboren, der Josephos
an jenen Stellen gefolgt sei. Gegen diese
Hypothese wendet sich Unobb, Das yerlorene
Geschichtswerk des Josephos, Sitzb. d. b. Ak.
1897 S. 223 ff.
») Jos. c. Ap. 2, 13.
*) Einen gelehrten Kommentar zu der
interessanten Schrift gibt GurscHMin, El. Sehr.
IV 336-589.
7) Fbbudbwthal, Die Fl. Josephos bei-
gelegte Schrift Ueber die Herrschaft der Ver-
nunft, eine Predigt aus dem ersten nach-
christlichen Jahrhundert, Breslau 1869; Abx.
WoLSGHT, De Ps. losephi oratione nsql apxo-
xgäroQos Xoyi^fiovj Marb. 1881.
648
Griechische Litteraturgeschichte. ü. NachklasBiBche Litteratar.
Kommentierte Ausgabe von Kaybrcahp, LB. 1726. — TezteaauBgabe von Ihm. Bbkkbb
in der BibL Teabn.; neubearbeitet von Nabbb; kritische Ausgabe mit handscbrifÜichem
Apparat von Nibsb, Berlin in 6 vol., ed. maior und minor; dazu die Epitoma, Berl. 1896.
— Böttgbb, To^graphisch-Historisclies Lexikon zu Josephus, Leipz. 1879. — W. Schbidt,
De FUyii Josepm elocutione obseirationes criticae, Jbrb. f. Phil. Suppl. XIX (1894) 341—550.
469. Der namhafteste jüdische Historiker nach Josephos war sein Rivale
Justus von Tiherias. Derselbe schrieb eine Chronik der Juden von Moses
bis zum Tode des Judenkönigs Agrippa II (100 n. Chr.) und eine Geschichte
des Judenkriegs unter Yespasian und Titus. Beide Bücher sind verloren
gegangen; schon der Patriarch Photios, der Bibl. cod. 33 eine summa-
rische Inhaltsangabe gibt, scheint nur einen Auszug vor sich gehabt zu
haben.
Von anderen Schriftsteilem, die in griechischer Sprache vom Orient
handelten, nenne ich kurz: Menander von Ephesos, der nach Josephos
c. Apion I 18 eine chronikartige Zusammenstellung der Könige phönizi-
scher Städte aus einheimischen Quellen gab (Müller FHG IV 445— 48); i)
Di OS und Philostratos, die gleichfalls die alten Chroniken der Phöni-
zier verarbeiteten (Müller FHG IV 398); Th alles, ein Syrer, dessen
Chronik der Kirchenvater Eusebios in seiner Chronik benutzte und den
schon Minucius Felix 21 und Tertullian Apolog. 10 neben Diodor als üni-
versalhistoriker anführen (Müller FHGIII 517—9); Chairemon, Stoiker
aus der Zeit Neros, der über die heiligen Schriften der Ägypter schrieb.')
— Über die Übersetzung der phönizischen Geschichte des Sanchuniathon
durch den Grammatiker Herennios Philon werden wir unten in dem
Abschnitt von den Grammatikern handeln.
c) Plutarch (um 46 bis naeh 120).
470. Leben. Plutarch, ») Sohn des Autobulos, geboren um 46 n.
Chr.^) entstanmite einer angesehenen wohlhabenden Familie von Chäronea
in Böotien;^) er war also Landsmann des Hesiod und Pindar, denen er
mit gemütvollem Lokalpatriotismus eine besondere Aufmerksamkeit in
seinen Schriften widmete. Seine höhere Ausbildung erhielt er in
Athen, wo er sich dem akademischen Philosophen Ammonios anschloss,
den er im Jahre 66, als Nero Griechenland und Delphi besuchte, ab
Schüler hörte.«) Alexandria, die alte Stätte der Gelehrsamkeit, lernte er nur
durch einen flüchtigen Aufenthalt von wenigen Monaten kennen, t) In
^) Auf eine Ergftnzung der Sammlung
durch Jos. arch. IX 14, 2 macht Wachsmuth,
Einl. 404 aufmerksam. Derselbe Iftsst mit
GüTSCHMiD El. Sehr. lY 478 f. unseren Men-
ander im 2. Jahrh. n. Chr. leben.
») MüLLBR FHG m 495—9; 0. Gruppe,
Die griech. Kulte und Mythen I 438—9. Eine
Stelle der Jiyvntiaxd des Chairemon hat
Fsellos Obermittelt, publiziert von Sathas,
BuU. de corr. hell. 1 121 ff.
*) Ein magerer Artikel des Suidas;
WiSTBsxAim, De Flut, vita et scriptis, Lips.
1855; YoLKMAvv, Leben, Schriften und Philo-
sophie des Plutarch, Berl. 1869; Graux in
Einleitung der Ausgabe von Plui. vita Dem.
p. I— xvm.
«) MoMXSBN, Herrn. IV 295 ff. setzt seine
Geburt 46 — 48; die Zeit wird dadurch be-
stimmt, dass er 66, als Nero in Griedienland
weilte, studierender Jüngling war.
^) Ein Inschriftstein von ChAronea GIG
1627 nennt Si^tov KXavdioy .4rt ößovXoi^ ofim-
yvfjLov T^ natQl ixror ano 17Jlopra^/or.
•) Plut. de Ei c. 1, Vit Titi 12, vit Anton.
88; Phot. Bibl. 400b, 5: morrirp/oc, »c mrrof
xtiy T(p na^yri naQaXXijX«^ jtac iy oflloK
(pfj<r(y, ini Nigmyos ^y. Vgl. Mw. p. 887 P.
^) Plut. Quaest. conv. V 5, 1.
B a) Bömisehe Periode vor Konstaniin. 8. Die Prosa, c) Plntaroh. (§§ 469—470.) 649
die Physik und Naturwissenschaften ward er durch den Arzt Onesikrates
eingeführt.^) Dass er sich auch mit der Rhetorik in seiner Jugend be-
schäftigte, ersieht man aus seinen rhetorischen Jugendschriften über das
Glück Roms, über den Vorzug des Wassers oder Feuers u. ä. Doch gab
er sich nur in der Jugend infolge des damaligen Unterrichtsganges mit
der Kunst der Schönrederei ab; im späteren Leben trat er als Anhänger
Piatons in entschiedenen Gegensatz zur sophistischen Richtung seines
Jahrhunderts. Aber auch die Richtung eines grübelnden Philosophen und
einsamen Gelehrten verschmähte er und widmete sich, soweit es die Ver-
hältnisse in der römischen Eaiserzeit gestatteten, dem öffentlichen Leben.
Schon als junger Mann, vermutlich unter Vespasian, ward er von seiner
Vaterstadt in wichtiger Angelegenheit als Gesandter an den römischen
Prokonsul von Achaia abgeordnet. >) Nach der Metropole der damaligen
Welt, nach Rom, kam er mehrmals. Mit hervorragenden Römern, wie
Sossius Senecio, Mestrius Florus, «) Junius Arulenus Rusticus, Fundanus,
Paccius, Satuminus knüpfte er dauernde Verbindungen an. Namentlich
mit dem ersten der Genannten, der viermal unter Trajan Konsul war, sich
aber auch zeitweise in Griechenland, und speziell in Plutarchs Heimatstadt
Chäronea aufhielt,*) stand er auf vertrautem Fusse, wie man unter an-
derem daraus ersieht, dass er ihm seine Hauptschriften, die Parallel-
biographien und Tischgespräche und überdies die kleine Schrift über die
Fortschritte in der Tugend widmete. Auch dem Favorinus, dem an-
gesehenen Philosophen Roms, muss er nahe getreten sein, da er ihn nicht
bloss in den Tischgesprächen VIII 10 unter den Freunden des Florus er-
wähnt, sondern ihm auch die Schrift nsQi tov n^xov ipvxQov übersandte.*)
Selbst an dem kaiserlichen Hof gewann er durch seine vielseitige Bildung
und sein humanes Wesen grossen Einfluss. Nach Suidas hat ihn Trajan
mit der Würde eines Konsularen ausgezeichnet und die Statthalter Achaias
angewiesen, sich in der Verwaltung der Provinz an seine Ratschläge zu
halten.^) Dass ihm auch die Gunst des hellenenfreundlichen Kaisers
Hadrian nicht fehlte, lässt sich erwarten, 7) wiewohl die Angabe, dass der
Kaiser Hadrian sein Zögling gewesen sei, erst im Mittelalter aufgekommen
ist.*) Aber trotz der ihm in Rom zu teil gewordenen Auszeichnungen
blieb er zeitlebens seinem Heimatland und insbesondere der Stadt Chä-
ronea in patriotischer Treue zugethan. Dort verwaltete er das Amt eines
1) Flut, de mus. 1. 2. 43.
«) Plut. polit. praec. c. 20 p. 816 d.
') Von diesem Freunde nahm er den
GentLhiainen Mestrius an, mit dem er in der
Inaehrifb CIG 1713 genannt ist.
'*) Bas ersieht man ans Plutarch Sympos.
IV 3, 1.
») Beachtenswert Suidas : ^aßtagiyo^ •
avT€<piXorifi€rro xal C^Aof et^s ngog nXovt'
a^X^^ ^^^ Xat^wj/^a is t6 ttav avytarto-
fiirtay ßißXiaty aneigoy,
*) Suidas: /leradovg avt<p TgaCaros (ob
yerschrieben fOr 'Adgiayog'^) x'^g Xiüv vnaxtav
aHag Tt^ocixa^e (jLfjisva xtSy xaxd xrjy *lXXv-
(fida (damals vielmehr "W/atcri/) dqx^^^*'
nccgH tijg avxov yyaifiijg xt dittnQdxxea&ai.
^) Auf eine Auszeichnung durch Hadrian
geht Eusebios zu dem Jahre 119: UXotxaQxog
XniQtayevg <piX6(Tog>og iniXQonevsiy 'EXXddog
Xttxeaxd&i] yegaiog. Ze^xog tpMaofpog xal
'Aya^oßovXog xal Oiyo/naog iyyojQiCsxo. Bei
Hieronjmus und in der armenischen Ueber-
setzung sind die 2 Sätze zusammengezogen
zu: Plutarchtis Chaeroneus et Sextus et Aga-
thöbulos et Oenomaus philoaophi insignes
habentur.
^) Im Mittelalter kursierte eine apokryphe
Schrift De institutione principis epistola ad
Traianum; yergl. Sohaarsohhidt, Johannes
Saresberiensis, Leipz. 1862 S. 123 f.
650
Griechisohe LitterailirgMohiohte. II. NaohklaMisohe littarator.
Bauaufsehers ^) und Archen, ') vielleicht auch das eines Boiotarchen. Von
Athen wurde er durch Verleihung des Ehrenbürgerrechtes ausgezeichnet.
Mit der Priesterschaft in Delphi unterhielt er, wie ehedem Pindar, intime
Beziehungen; namentlich im höheren Alter, als er sich vom politischen
Leben abgewandt hatte, trat er in engen Verkehr mit den Priestern und
Priesterinnen des Apollo und widmete sich förmlich dem Dienste des
Gottes. 3) Zum Dank setzten ihm später die Delphier nach dem Beschlüsse
der Amphiktyonen einen Gedenkstein, dessen AufBchrift noch er-
halten ist:^)
JeXtpoi XaiQWvevaiv ofiov nXovtaqxov MxhjTtav
Im häuslichen uud gesellschaftlichen Leben bewährte er die hohe sittliche
Gesinnung, die er in seinen Schriften predigte.^) Er war in glücklicher
Ehe mit Timoxena verheiratet, aus welcher Verbindung ihm in jener
kinder- und ehelosen Zeit vier Söhne und eine Tochter erblühten ; er lebte
mit seinen Brüdern und Mitbürgern in schönster Harmonie, und unterhielt
mit zahlreichen Römern und Griechen herzliche Freundschaft und Oe*
selligkeit. Einen grossen Teil aber seiner Zeit widmete er der Untei^
Weisung seiner Söhne und anderer junger Leute, jedoch ohne deshalb eine
förmliche Schule zu gründen. Von den freien Vorträgen und den Ge-
sprächen, die er mit seinen Schülern und Anhängern hielt, sind uns Auf-
zeichnungen in seinen Schriften erhalten. So erreichte er unter an-
genehmen Verhältnissen und bei gesunder Lebensweise ein hohes, mit
Ehren geschmücktes Alter. Aus Eusebios sehen wir, dass er noch das
3. Regierungsjahr des Kaisers Hadrian erlebte. In der Schrift über Isis
und Osiris c. 72 erwähnt er eiuen Fall fanatischer Feindschaft zwischen An-
betern verschiedener Tiere in Ägypten ; steht dieser in unmittelbarem Zu-
sammenhang mit demjenigen, den Juvenal sat. 15 beschreibt, so muss
Plutarch bis nach 127 gelebt haben. Denn in dieses Jahr oder in das
Konsulat des Junius fällt das von Juvenal erwähnte Ereignis.^) Nach
dem Tode des Vaters haben seine Söhne Autobulos und Plutarch der
Jüngere seine Schule fortgesetzt und auch noch manches, wie z. B. den
Erotikos, aus seinen Papieren veröffentlicht.
471. Die Schriften des Plutarch sind zum grösseren Teil uns noch
erhalten ; sie sind überaus zahlreich und zeugen von einer ungewöhnlichen
*) Flut, de rep. ger. 15.
*) Plut. Quaest. conv. 11 10; VI 8; vgl.
An seni p. 785 C.
^) In der von Plutarch im Greisenalter
yerfassten Schrift An seni p. 792 F spricht
er von mehreren Pythiaden, in denen er
bereits dem Gotte diene. Nach delphischen
Inschriften (s. Pomptow, Fasti Delphici in
Jahrb. f. cl. PhU. 1889 p. 549 ff.) erhielt er
um 95 das lebenslängliche Priesteramt in
Delphi, das er sicher noch 120 bekleidete.
*) PoMPTow, ■ Beiträge zur Topographie
von Delphi 1889 S. 77; vgl. CIG 1713.
^) Vergleiche die klassische Stelle bei
Plut. Mor. p. 1038 B : ^bl ydg ov/ ovri» ror
^toQa xar* Alaxiyfiy (Ctes. 4) tavxd tf^dy-
yec&tti xal roV yofioy, ti^ roV ßior Toe «ptXo-
aofpov Xi^ Xoytp cvfitpatyov eiytu.
*) Dieses Datum steht fest durch Ju-
venal 15, 27. Die Angaben des Juvenal und
Plutarch hat schon Salmamus Exerc Plin.
p. 452 auf dasselbe Ereignis beneben woUen;
doch stimmen die Städte nicht» bei Juvenal
Ombi und Teiyra, bei Plutarch Oxyryiicfaitae
und Eynopolitoe, und erwähnt Platarch nnr
die Schlachtung eines Hundes, nicht eines
Menschen; vgl. Chbibt Sitib. d. bajer. Aknd.
1897 S. 132 ff.
B a) B^misohe Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, o) Plataroh. (§§ 471—472.) 651
Fruchtbarkeit und Vielseitigkeit unseres Autors, i) Dass trotzdem nicht
wenige verloren gegangen sind, ersieht man aus dem vollständigen Ka-
talog des Lamprias, eines angeblichen Sohnes des Plutarch, der nicht
weniger als 210 Nummern von Schriften Plutarchs aufweist.*) Aber auch
manches fremde, herrenlose Out hat sich schon im Altertum in die Samm-
lung eingeschlichen.') Die Schriften zerfallen in zwei Hauptklassen, in
die Biographien oder historischen Werke und in die philosophisch-littera-
rischen Abhandlungen, welche unter dem Titel 'ff^ixa oder Moralia zu-
sammengefasst zu werden pflegen. Auch eine poetische Schift nsgi ^(pwv
aioyfov noiTjTixog führt der Lampriaskatalog an.*) Über die Abfassungszeit
der einzelnen Schriften Plutarchs ist es schwer zu einem klaren Urteil zu
kommen, so dass sein letzter Biograph, Volkmann I 78, offen gesteht, über
sie nichts Festes ermitteln zu können. So ganz hoffnungslos steht nun
zwar die Sache nicht, da wir nicht bloss über mehrere Schriften ganz
genaue Angaben haben, sondern auch bei Plutarch so gut wie bei
Piaton einen bestimmten Entwicklungsgang in seiner Geistesrichtung und
Schriftstellerei nachweisen können. Aber trotzdem wird es angebracht
sein, in der Besprechung der Schriftstellerei Plutarchs anderen Gesichts-
punkten als den zeitlichen zu folgen.
472. Historische Werke. Parallelbiographien {Bm nagdXXrjXoi)
sind uns 46 (2X28) in mindestens 12 B. erhalten, nämlich von Theseus
und Eomulus, Lykurgos und Numa, Selon und Valerius Publicola, The-
mistokles und Camillus, Perikles und Fabius Maximus, Alkibiades und
Marcius Coriolanus, Timoleon und Aemilius Paulus, Pelopidas und Mar-
cellus, Aristides und Cato maior, Philopoimen und Quintius Flamininus,
Pyrrhos und Marius, Lysander und Sulla, Kimon und LucuUus, Nikias
und Crassus, Eumenes und Sertorius, Agesilaos und Pompeius, Alexander
und Cäsar, Phokion und Cato minor, Agis u. Kleomenes und Tiberius u. Gaius
Gracchus, Demosthenes und Cicero, Demetrios Poliorketes und Antonius,
Dion und Brutus. Dazu kommen noch die vier einzeln stehenden Lebens-
beschreibungen des Artaxerxes, Aratos, Galba und Otho ; ^) mehrere andere,
wie die des Epaminondas, Leonidas, des älteren und jüngeren Scipio sind
verloren gegangen. Litterarische Persönlichkeiten, die nicht zugleich wie
*) Das anetQoy ttSy cvvraxTOfjLivtov
ßißXimp des Plutarch hat nach Suidas schon
im Altertum Staunen erweckt und die Eifer-
sacht des Favorinus hervorgerufen.
*) Dieser Katalog wurde zuerst von
HtecBSL im 16. Jahrh. aus einer Florentiner
Hdschr. bekannt gemacht. Neuerdings wurde
derselbe genauer untersucht von Wachsmüth,
üeber den Katalog der plut. Schriften von
dem sogenannten Lamprias, in Philol. 18,
577 ff., und Treu, Der sogen. Lampriaskatalog
der PlntaixhBchriften, Waidenburg 1873.
') Ob dabei die Konfundierung unseres
Plutarch mit seinem gleichnamigen Sohne
and einem späteren Plutarch, einem Neu-
^atoDiker des 5. Jahrhunderts, mitgewirkt
habe, lassen wir dahingestellt. Leichter
wfirde sich die Vermischung von Echtem
und Unechtem erklären, wenn die Vermutung
von WiLAMOWiTz, Ind. Gott. p. 27, dass Plu-
tarch seine Schriften teilweise unter fremdem
Namen herausgegeben habe, sich bestätigte.
*) Crusius hat im Rh. M. 39 (1884) 581
Reste dieser poetischen Schrift im Protreptikos
des Galen nachzuweisen gesucht, später aber
selbst diese seine Ansicht zurückgenommen
Ind. lect. Tub. 1895 p. 8.
*) üeber diese sogenannten Kaiserbio-
graphien, welche Plutarch als junger Mann
unter Domitian schrieb, siehe Mommsbn Herm.
4, 295 ff. — Nach dem Lampriaskatalog hat
Plutarch auch das Leben der übrigen Kaiser
bis auf Vitellius geschrieben, zu welcher
Nachricht man vergleiche Plut. Galba 2,
Otho 18.
652 Grieohisohe Litteraturgesohichte. n. NaohklamiBohe Litterainr.
Demosthenes und Cicero eine politische Rolle spielten, hat Plutarcli im
Gegensatz zu Nepos und seinem Zeitgenossen Sueton^) aus dem Plan
seines Werkes ausgeschlossen. Dass er dem Hannibal keine eigene Vita
widmete, hängt mit der Absicht zusammen, nur Griechen und Römer zu
einander in Vergleich zu setzen. Auffälliger ist es, dass er nicht wie
Nepos ein Leben des Miltiades, Pausanias, Thrasybul, Konon, Chabrias,
Timotheos schrieb. Wenn er umgekehrt Männer, die dort übergangen
waren, wie Philopoimen, Agis, Arat, EJeomenes, Pyrrhos in den Kreis
der Darstellung zog, so liess er sich darin wohl durch seine Quellen leiten,
da ihm für Philopoimen die vorzügliche Monographie des Polybios, für
Arat dessen Memoiren, fflr Pyrrhos, Kleomenes und Agis die Geschichts-
werke des Hieronymos und Phylarchos reichliches Material an die Hand
gaben.
Die Ordnung, in der die Biographien in den Handschriften und Aus-
gaben auf einander folgen und die im ganzen der Zeitfolge entspricht,
rührt nicht von Plutarch her und steht nicht mit der Abfassungszeit der
einzelnen Biographien in Einklang. So sind z. B. die in die mythologische
Vorgeschichte hinaufreichenden Lebensbeschreibungen des Theseus und
Romulus, welche in unseren Ausgaben den Reigen eröffnen, nach des Ver-
fassers eigenem Zeugnis') zuletzt geschrieben worden. Ebenso wissen
wir durch den Autor selbst, dass die Lebensbeschreibungen des Demo-
sthenes und Cicero das 5., 3) die des Perikles und Fabius das 10.,^) die
des Dion und Brutus das 12. Buch der Parallelbiographien bildeten.^)
Ausserdem zeigen die Proömien, welche einzelnen Biographien (Demo-
sthenes, Perikles, Demetrius, Theseus) vorausgeschickt sind, in anderen
gänzlich fehlen, dass der Verfasser regelmässig mehrere Doppelpaare von
Biographien zu grösseren Gruppen oder Büchern vereint zu sehen
wünschte, während auf der anderen Seite die Widmung an Sossius
Senecio, welche den Biographien des Demosthenes, Dion, Theseus vor-
gesetzt ist, es wahrscheinlich macht, dass er sämtliche Lebensbeschrei-
bungen um dieselbe Zeit, und zwar alle unter Trajan^) geschrieben hat und
als ein Ganzes angesehen wissen wollte.^)
473. Die Verbindung von je zwei Lebensbeschreibungen, eines
Griechen und eines Römers, entsprang einem alten, schon aus Cornelius
Nepos erkennbaren Brauch der Biographen ; sie passte trefflich zur Lebens-
stellung des Plutarch, der an der grossen Vergangenheit seines Volkes
mit ganzer Seele hing, aber auch die überlegene Kraft des römischen Staats-
wesens willig anerkannte, der ausserdem mit Griechen und Römern in gleicher
Weise befreundet war und zur griechischen Muttersprache auch die la-
') Dass Plutarch den Sneton kannte,
steht fest; er benutzte ihn im Leben des
Cicero, worüber unten.
») Thes. 1.
«) Dem. 3.
*) Pericl. 2.
») Dion 2.
"j Das Leben des Sulla ist nach c. 21
geschrieben i. J. 115.
') Die Abfassnngszeit suchen idüier sa
bestimmen Michablis, De ordine vitamm
parall. Plutarchi, Berol. 1875; Murl, Plotar»
chische Studien, Augsb. 1885; Graux in
Einleit. zu Vit. Dem.; vgL Scbsnkl .Tahrb. d.
Alt Wiss. Xn 1, 180 ff.
Ba) BOmisohe Periode vor Konetantin. 8. Die Prosa, o) Plntaroh. (§ 473.) 653
teinische hinzugelernt hatte. ^) Bei den meisten Paaren liegt der Grund
der Zusammenstellung auf der Hand, wie wenn die grössten Redner, De-
mosthenes und Cicero,') die ältesten Gesetzgeber, Lykurg und Numa, die
bedeutendsten Feldherren, Alexander und Cäsar, miteinander verbunden
werden. Übrigens hat Plutarch bei 19 Paaren*) am Schluss in einer
eigenen Vergleichung {avyxQimg) die gemeinsamen Seiten und die kleineren
Verschiedenheiten der zusammen gestellten Männer dargelegt. — Der Ge-
sichtspunkt des Biographen ist überall nicht der eines historischen For-
schers, der die Thatsachen kritisch zu ermitteln und urkundlich zu be-
legen bemüht ist, sondern der eines philosophischen Charaktermalers, der
vor allem das volle Bild der Persönlichkeit festzustellen sich bestrebt und
durch den Spiegel der Geschichte seine Leser zur Tugend und praktischen
Tüchtigkeit erziehen will.*) Daher die vielen Züge aus dem Privatleben,
die anmutigen Scherze und witzigen Aussprüche,*) das Übermass ethischer
Betrachtungen, der Schmuck der Dichtercitate, über welchen Vorzügen
die historische Kritik und die politische AufTassung zu kurz kommen. <^)
Das Material zu seinen Lebensbeschreibungen hat Plutarch sich aus
einer sehr umfangreichen Lektüre griechischer, zum Teil auch lateinischer
Historiker beschafft.^) Für die ältere griechische Geschichte bis Ale-
xander benutzte er im allgemeinen ausser Herodot, Thukydides, Xenophon
insbesondere Ephoros, Theopomp, Eallisthenes und Philistos, für die
spätere griechische Geschichte den Hieronymos von Kardia, Duris, Phyl-
archos, Timaios und Polybios. Von der Benutzung des Diodor und Ni-
kolaos findet sich keine Spur; Plutarch kehrte eben lieber zu den Origi-
nalwerken zurück, als dass er sich nach Art der Späteren mit Kompen-
dien und Zusammenstellungen begnügte. Für die römischen Biographien
benutzte er gleichfalls mit Vorliebe griechische Historiker, namentlich
Polybios, Poseidonios, Dionysios von Halikarnass, Juba. Daneben las er
aber auch lateinische Geschichtschreiber und citiert neben Livius, Salu-
*) Freilich erlernte er erst spät (s. vit.
Dem. 2) und nnyoUkommen die lateinische
Sprache. Irrtümer des Platarch aus man-
gelnder Kenntnis des Latein weist nach
SiCKorGKB, De lingnae latinae apud Plutar-
chum reliquiis et vestigüs, Freib. Diss. 1883.
*) Beide Redner wurden schon ver-
glichen von Cftcilius; s. § 465.
*) Die Vergleichung fehlt bei Themist.
md CamllL, Pjrrhos und Marius, Alex, und
CftBar, Phokion und Cato.
*) Vit. Tim. 1: i/noi fxky xrjg xmv ßlwy
atfma&at fdiy yQnfftj^ ffvyeßtj di* ii^Qovg,
inifsiyeiy (fi xai <fiXoxü>QSiy ijdrj xai di*
ifiatrfoy, £cn€Q iy iaonxQi^ tj latoQiif tibi-
qtif/uyoy aftatayintos xoafdsty xai dtpofxoiovy
Tigos xai ixeiywy aQardg toy ßioy, vgl. PericL,
Nie. 1.
') Alex. 1 : ovte ydg latoqlas yQä<pofA€y,
Md ßiovi, ovxB xaig i7iiq>aye<ndxtctg ngd^eai
ndrxmq iyeaxi d^Xwng dQexfjf rj xaxlag,
iXkd n^yfta ßQHc^v noXXdxtg xai ^fia xai
naiöid rK if^fpaciy ^9ovg inolt^e fuiXXoy
fj (Aaxni fAVQiovBXQOi xai naQttxu^eig al
fÄsyiffxai xai noXioQxlai noXetay.
') Gbbabd, De la morale de Plui : c'est
la v^rit4 morale non Ja v^rit4 historique
quHl poursuit, Vune West pour lui que le
moyen, Vautre est le biU.
^) Die Litteratur Aber die Quellen des
Plutarch ist bis ins Ungemessene angewach-
sen. Ich begnüge mich» anzuführen: Hbbbbn»
De fontibus et auctoritate vitarum parall.
Plut., Gott. 1820; M. Hauq, Die Quellen
Plutarchs in den Lebensbeschreibungen der
Griechen (Erstlingsarbeit des berühmten
Orientalisten), Tüb. 1854; Pbtbb, Die Quellen
Plutarchs in den Biographien der Römer,
Halle 1865; H. Sauppb, Die Quellen Plutarchs
für das Leben des Perikles, in Ausg. Schrift
p. 481—508. Die Benutzung des Sueton De
viris illustr. weist für das Leben Ciceros nach
GuDBHAN, Transact. of the amer. phil. assoc.
XX (1889) 139—58. — Im übrigen siehe
MioHABLis Jahresb. d. philol. Vereins in Ztschr,
f. Gymn. 1877, 1879, 1883.
654
QrieohiBobe liUeratnrgesohichte. II. HaehklaBslBche Littorainr.
stius, Cornelius Nepos und Cäsar gelegentlich auch den Fabius Pictor
(Rom. 3. 8. 14), Yalerius Antias (Rom. 14, Num. 22, Flamin. 18), Cornelius
Piso (Num. 2, Mar. 45), Asinius Pollio (Pomp. 72, Caes. 46). Zu diesen
Historikern, welche er im allgemeinen benutzte, kommen nun aber noch
viele Specialwerke, welche er in einzelnen Partien heranzog, so den Hel-
lanikos und die Atthidenschreiber im Leben des Theseus (c. 17. 25. 26.
27), das Pamphlet des Stesimbrotos im Themistokles (c. 2. 4. 14), Eimon
(c. 4. 14. 16), Perikles (c. 8. 13. 36), ferner den Demetrios von Phaleron im
Aristides (c. 1. 5. 27) und Demosthenes (c. 9. 11. 14. 28), den Sosibios im
Lykurg (c. 25), die Memoiren des Arat im Arat, die des Sulla im Sulla,
die Monographie desPolybios über Philopoimen im Philopoimen, die Spe-
cialschriften des Empylos und Straten im Brutus (c. 2. 52). Als Hilfs-
mittel benutzte er gelegentlich auch das Urkundenbuch des Krateros, die
Politien des Aristoteles,^) die chronologischen Tafeln des ApoUodor. Auch
von den Porträts der grossen Männer nahm er Notiz (Alex. 4) und sam-
melte namentlich die kleinen Charakterzüge und Aussprüche aus den
Biographien des Rhodiers Hieronymos (Aristid. 27), des Aristoxenos
(Lyc. 31, Aristid. 27, Alex. 4), Phanias (Themist. 4. 7. 13. 27. 29, Sei. 14.
32), Herakleides Pontikos, Hermippos u. a. Erstaunlich war also die Masse
der Bücher, welche Plutarch bei Abfassung seiner Biographien excerpierte;
aber damit erhalten wir noch keine Gewähr für die Zuverlässigkeit seiner
Berichte. Im allgemeinen zwar können wir nach dem grossen Schiff-
bruch, den die griechische Litteratur erlitten hat, nur zum kleinsten
Teile die Genauigkeit des Plutarch in der Benutzung seiner Quellen kon-
trollieren; aber Unbefangenheit und Nüchternheit des Urteils war nicht
die starke Seite unseres Autors ; dazu war er zu sehr Optimist und zu sehr
Freund von schönen Anekdoten und moralischen Betrachtungen. Auch
durch die zahlreichen Stellen, wo er die abweichenden Angaben seiner
Gewährsmänner nebeneinander stellt und an denselben Kritik übt,^) darf
man sich nicht täuschen lassen. Wie unfähig er war, strenge nüchterne
Kritik zu üben, ersieht man namentlich aus seiner Schrift über die Bos-
haftigkeit des Herodot, besonders c. 31, wo er der späteren Aus-
schmückung der Kämpfe bei Thermopylä den Vorzug gibt vor dem alten
einfachen Bericht des Herodot. Bedenken erregt ausserdem die kritiklose
Naivetät, mit der er offenbare Fälschungen, wie die Briefe des Piaton und
die Probleme des Aristoteles, als zuverlässige Zeugen anfuhrt.*) Aber
sehen wir von dem Mangel kritischer Quellenforschung ab und lassen
wir neben dem Geist und Verstand auch dem Herz und Gemüt ihr Recht,
so bilden die Biographien des Plutarch die anziehendste und belehrendste
^) In dem Buche Ne Buaviter qnidem
c. 10 zählt er zu den anziehendsten Schriften
ausser Herodot, Xenophon und Eudozos die
Politien des Aristoteles und die Biographien
des Aristoxenos.
') Siehe besonders Aristid. 27, wo Plu-
tarch selbst die Frage aufwirft, ob die von
ihm herangezogene Schrift des Aristoteles
716^1 avyeyeiag echt sei.
*) Die Inschrift, welche Plutarch Arni. 1
ffir die choregischen Leistungen aeines Helden
vorführt, ist uns noch erhalten CIA 11 1257,
aber dieselbe stammt nach den SchriftzUgen
aus jüngerer Zeit. Im allgemeinen charak-
terisiert WiLAMOwiTZ, Aristot und Athen 11
290 scharf aber richtig unseren Plutarch:
, stilistisch hervorragend, historisch uitdlB-
los, chronologisch unbekfimmert*.
Ba) fiOmisohe Periode vor Sonsianün. d. Die Prosa, c) Platarch. (§ 474.) 655
Lektüre; sie fanden schon im Altertum bewundernde Leser und Verehrer;
sie haben in unserer Zeit Dichtern und Künstlern reicheren Stoff als
irgend ein anderes historisches Werk des Altertums geliefert; i) sie haben
aiiwärts den Anstoss zu ähnlichen Biographien gegeben, so dass jetzt fast
keine Nation ihres Plutarchs entbehrt.
474. Gewissermassen einen Anhang zu den Biographien bilden die
'Ano^^byfiara ßaatXäwv xai atQaTtjydVj denen ein Widmungsbrief
an den Kaiser Trajan vorausgeht. Der Brief ist abgeschmackt ; auch die
Aussprüche, welche mit den Biographien nicht ganz übereinstimmen,
rühren in der überlieferten Form schwerlich von Plutarch her, wiewohl
wir aus der Schrift De coh. ira c. 9 erfahren, dass sich derselbe mit der
Sammlung solcher Aussprüche abgegeben hatte.') Noch ungeschickter ist
die Kompilation der sich daran anschliessenden kleinen Sammlungen,
'Anoy>0-€yfiara Aaxwvixd^ Uno(ffx^äy/jLaTa AaxaivSv, Td naXatd väv Aaxs^
iaifioviiüv inhTT^devuaxa. — Zu einer verwandten Gattung gehört die an-
ziehende Sammlung heldenmütiger Tugenden von Frauen {rvvMxiov aQexaC).^)
Dieselbe ist an die delphische Priesterin Klea gerichtet, mit welcher der
greise Plutarch während seines delphischen Aufenthaltes in enger Be-
ziehung stand, und der er auch seine Schrift über Isis und Osiris
widmete.
Li nahem Zusammenhang mit den Biographien und speziell mit der
des Leonidas, wie der Verfasser p. 866 D selber andeutet, steht die
Schrift über die Geschichtsfälschung des Herodot (neQi r^g ^Hqo66tov
xaxorj^ttag). Der Vater der Geschichte war dem Plutarch ein Dorn im
Auge, weil er das Verhalten seiner Landsleute in den nationalen Kämpfen
gegen die Perser in möglichst ungünstigem Lichte dargestellt hatte. Er
suchte daher in der besagten Schrift nachzuweisen, dass sich Herodot
überhaupt durch parteiische Voreingenommenheit und durch die Neigung,
von den Menschen möglichst schlecht zu sprechen, habe leiten lassen.
Aber wenn er auch dem Herodot durch gelehrte Heranziehung anderer
Zeugen manche Unrichtigkeiten und Verzeichnungen nachgewiesen hat,
so kann doch seine eigene Leichtgläubigkeit und optimistische Schön-
färberei noch viel weniger die Sonde des historischen Kritikers ertragen.^)
Mit der Geschichtschreibung berühren sich auch die Besprechungen
seltsamer Gebräuche bei den Römern und Griechen {ahia ^Paifiaixd, quae-
stiones romanae, und aiTia ^EXlr^vixd, quaestiones graecae), zu denen dem
Platarch hauptsächlich Aristoteles, Varro, Juba das Material lieferten,'^)
*) Shaketspeare entnahm ans Plutarcli
die Fabel zum Coriolan nnd Jnlins Cftaar;
Jean Paul nannte den Plutarch den biogra-
phischen Shakespeare der Weltgeschichte.
«) YouKXAinf, Leben Plnt. 1215 ff.; C.
ScHvnxr, De apophthegmatom quae Flu-
ttfdü nomine femntor coOectionibns, Greifsw.
Dun. 1879. Der letztere weist nach, dass die
ApophÜiegmata eine Kompilation ans Plu-
tvebs Schriften sind nnd bereits dem AeL'an
Torlagen.
*) Die Echtheit gegen Gobets Bedenken
verteidigt von Dinse, De libello Plnt. yvy.
a^exai inscripto, Berl. 1868.
*) Mehrere Widersprüche mit anderen
Schriften des Plutarch li essen an der Echt-
heit des Buches zweifeln. Dagegen G. Lah-
MEYER, De libelli Plutarchei qui de maligni-
täte Herodoti inscribitnr et auctoritate et
auctore, GOttingen 1848; Holzapfel Philol.
42, 28 ff.
*) Thilo, De Varrone Plut. quaest. rom.
656
0rieohisohe Litteratorgeschiohte. II. NachklMUUAohe Litterainr.
femer die rhetorischen Deklamationen Hoxbqov ^Äx^rjvaXot xaxa noXspLov
fj xard aoifiav ivSo^oTCQoi (de gloria Atheniensium), UbqI rJjg UIsSccvSqov
Tvxrfi #; ccQsxrfi^ IJeQi tr^g '^P<ofJia{(av Ttix^fi ? aQBxr^q, — Eine plumpe Fäl-
schung sind die sogenannten Parallela minora {avYaywyr^ laxoQ^v na-
QaXXtjXcov ^EXXfjVixon' xal ^Pwfiaixm), deren Verfasser ebenso wie der des
gleichfalls unechten Buches IJegi notafiwv mit erlogenen Citaten aus sonst
nicht bekannten Autoren und Schriften um sich wirft. ^)
476. Die Moralia oder philosophischen Schriften. Die Moralia
haben ihren Namen a potiore parte, indem der grössere Teil der 83 unter
jenem Titel zusammengestellten Schriften sich auf ethische Fragen be-
zieht. Aber der Inhalt derselben ist ein viel reicherer; neben ethischen
Fragen werden religiöse, politische, physikalische, litterarische behandelt
Auch die Form ist nicht durchweg die gleiche, in dialektischen Fragen
und in Thematen, welche schon die Vorgänger dialogisch behandelt hatten,
überwiegt die dialogische Einkleidung, in ethischen Aufsätzen die Form
der apodiktischen Belehrung. Den Dialog hatte Plutarch von Piaton
herübergenommen, freilich ohne auch nur annähernd sein Vorbild zu er-
reichen. 2)
Voran stehen in der Sammlung wegen ihres einführenden Charakters
die Schriften IIcqI naiSwv ayonyriq^ n&q Sh xov vsov Tfoirjficezwv dxovsiv^
Jlegi Tov axovsiv. In der letzten Schrift gibt Plutarch einem jungen Mann
Nikander, der eben die Toga virilis angelegt hatte und sich zu philo-
sophischen Studien anschickte, beherzigenswerte Anweisungen über die ver^
nünftige Benutzung der Freiheit und das erfolgreiche Anhören von Vor-
trägen. In der mittleren weicht Plutarch von Piaton insofern ab, als er
nicht geradezu die Dichterlektüre abweist; aber auch er lässt die Poesie
nicht voll zu ihrem Recht kommen, indem er sie nur als Vorstufe der
philosophischen Studien gelten lässt und ihre Werke wesentlich nur vom
moralischen Gesichtspunkt beurteilt.«) Die Schrift über Erziehung rührt
nach Wyttenbachs Nachweis nicht von Plutarch her; sie enthält zwar
manche treffliche Gedanken und drastische Aussprüche eines erfahrenen
Schulmannes, aber man vermisst eine tiefere psychologische Begründung
der Gemeinplätze und eine planmässigere, über die Äusserlicbkeiten des
Lebensganges hinausgehende Anordnung des Stoffes. Ob das zur Be-
gründung der ünechtheit ausreicht, bleibt freilich zweifelhaft.*)
An diese einleitenden pädagogischen Schriften schliessen sich wegen
ihres verwandten Charackters an die populären Aufsätze: Wie man den
Schmeichler von dem Freunde unterscheiden kann {ntZg av xig diax^dnu
auctore praecipno, Bonn 1858; A. Babth,
De lubae 'OfAOionjaty a Flut, expressis in
quaestionibus Romanis, Göttingen 1876 ; Dümm-
LBB Rh. M. 42, 189 ff. Dass Plutarch den
y arro nur durch Juba kannte, erweist Glaesser,
De Varronianae doctrinae apud Plutarchum
vestigüs, Diss. Leipz. 1881.
^) Hebcher in der Ausgabe De fluviis.
Benutzt sind die Parall. min., wenn auch
nur indirekt von Clem. Alex, protr. 3, 42 und
Strom. I p. 144, worüber C. Müllbb, Geogr.
gr. min. U p. LEI und Hillsb Herrn. 21,
126 ff.
«) HiBZBL, Der Dialog II 124—237.
>) Daneben gut die auf Piaton zortck-
gehende Auffassung der Poesie als nach-
ahmende Kunst c. 3 u. 7.
*) Auch sprachliche Momente bringt f&r
die Ünechtheit der Schrift bei Wiisax5-
BEBQEB, Die Sprache Plutarchs und die pseudo-
plutarchischen Schriften, Progr. Straobing
1895 S. 41 ff.
B a) BAmisohe Periode Yor Konstantin. 8. Die Prosa, c) Plntarch. (§§ 475>-476.) 657
Tov xoXaxa roi ix^Qov), Wie man seine Fortschritte in der Tugend
warnehmen kann {nwg av tig aiaO^oixo iavrov nQoxomovTog iv aQszfj),
Wie man von seinen Feinden Nutzen ziehen soll (ttwc av vig an' ixx^qwv
wipsXoixo),^) Alle drei Schriften verbinden in echt plutarchischer Weise
den Charakter allgemeiner Belehrung mit dem gemütvollen Tone eines
wohlmeinenden Rates an einen guten Freund.
476. Die philophischen Schriften im engeren Sinn sind aus der
Lehrthätigkeit des Plutarch hervorgegangen und enthalten teils philoso-
phische Erörterungen, die Plutarch mit geistesverwandten Freunden über
Streitfragen der Schulphilosophie führte, teils philosophische Unterweisungen,
welche derselbe als Lehrer seinen Schülern und Söhnen übersandte.*) Sie
alle sind der Natur der Sache nach in lehrhaftem Tone geschrieben und
entbehren fast ganz des Reizes, den die übrigen Schriften unseres Autors
durch die Fülle der Dichtercitate und die Einlage anziehender historischer
Beispiele üben. Der Erklärung schwieriger Stellen in den Dialogen
Piatons sind gewidmet die IlXaTbovixd ^rjri^fiata und das lückenhaft er-
haltene Buch BsqI trjg iv Tifiaup tpvxoyoviag. Man kann diesen nicht
nachrühmen, dass sie eine gesunde Richtung der Interpretation vertreten;
vielmehr leistet der Verfasser Grosses im unterlegen und im Suchen nach
nicht beabsichtigten Dingen, wie wenn er Quaest. Plat. 2 aus den Worten
des Timaios rt Sij noxs xov ävtotdxfa x^eov natäga rtav ndvTtov xai noujri^v
7i^<T€tn€v; absolut einen tiefsinnigen Unterschied von natrjQ und noirfirfi
herausinterpretieren will.') Ganz auch des historischen Sinnes entbehrt
der Lösungsversuch der 10. Frage, warum Piaton Sophist. 262 C die Rede
nur aus ovo^iaxa und ^r^iaxa bestehen lasse. Denn statt zu erkennen,
dass die damaligen Anfänge der Grammatik noch nicht über die Unter-
scheidung der zwei Hauptredeteile hinausgekommen waren, ergeht sich
Plutarch in unnützen philosophischen Feinspinnereien über die Gründe,
warum Piaton die Präpositionen, Conjunctionen, Pronomina übergangen habe.
Andere Schriften verwandter Art dienen der Polemik gegen die Stoiker und
Epikureer, So weist er den ersteren den Widerstreit ihrer Lehre mit ihrer
Lebensführung und den Sätzen des gesunden Menschenverstandes nach in
den Schriften nsqi Srmxwv evavtKofiätMv (über die Widersprüche in der
Lehre der Stoa), ^Oti naQaio^ateQa ot 2t(oixoi zwv noir^tcov Xtyovci^ IleQl kov
xfHväv svvouov nQog tovg 2v(oixovg (über die Paradoxa oder td naqd %dg
xoivdg ivvoiag).^) Heftiger kämpfte er gegen die den Menschen erniedri-
gende Moral und die Unverfrorenheit der Epikureer in den Dialogen llgdg
KoXcixrjV und ^Ori ovSi ^fjv Mctiv rjSäwg xat* ^EmxovQov, die beide an eine
Schrift der Epikureers Kolotes "Ovi xaxd zd twv akXoyv ipiXocoifiov ioyfxata
1) Die letzte Schrift ist an Cornelius
Pnlcher gerichtet und nach einer Bemerkung
im Anhang erst nach den TloUtixd nagay-
yiXfiara abgefasst; die mittlere geht gegen
ein Paradozon der Stoiker und ist dem Sos-
sh» Senecio, dem HauptgOnner des Plutarch,
gewidmet; die erste übersandte er dem auch
aas den Tischgesprächen bekannten Exkönig
von Kommagene Antiochos Philopappos.
*) So Mgt die Schrift über die Psycho-
gonie im Timaios die Aufschrift: 6 naxrJQ
JvToßovkip xai nXovtaQxifi ev nQcixTHy.
') Aus der 7. Untersuchung geht hervor,
dass in jener Zeit die Stelle des Phaidros
p. 246 d noch nicht durch ein Glossem ver-
unstaltet war.
*) Den letzteren Dialog leitet nicht Plu-
tarch, sondern sein Bruder Lamprias. Gegen
die Echtheit der Schrift Wbissknbbrgbb a. 0.
p. 86 fif.
Bmdtmeb der klan. Altertnmswisseiiflchafl. VII. S. Aufl.
42
658
Orieohiflohe Litteratargesohiobte. ü. Naohklassiaohe litieratiir.
ovdi C^v lativ anknüpfen.^) Gleichfalls gegen Epikur ist die kleine Schrift
Ei xakdig eiQfjtai %6 ka&e ßioiaaq gerichtet, vielleicht auch die verstümmelt
erhaltene Satire FQvXXog^) Die letzte Klasse von Schriften dient mis
zugleich als Ersatz fiir den fast gänzlichen Verlust der Originalschriften der
Stoiker und Epikureer, indem Plutarch viele Stellen aus Chrysipp, Epikur
u. a. wörtlich anfQhrt. Besonders hat das Buch gegen Eolotes, in welchem
der Verfasser die Angrifife jenes Epikureers auf die älteren Philosophen
unter Berufung auf Stellen des Heraklit, Demokrit, Parmenides, Empe-
dokles widerlegt, eine hervorragende Bedeutung für die Geschichte der
griechischen Philosophie.
477. In selbständigerem Gedankengang hat Plutarch mit Vorliebe
Fragen der Ethik behandelt, und zwar auf Grund der Psychologie, der
er selbst ein eigenes, bis auf Bruchstücke verloren gegangenes Werk ge-
widmet hatte. ^) Den erhaltenen ethischen Schriften dient gewissermassen
als Einleitung die Untersuchung Ei didaxrov i) agsttj. Eine eigentliche
Untersuchung enthält indes der kleine Aufsatz nicht, indem Plutarch gegen-
über dem alten Problem, ob die Tugend lehrbar sei, die Lehrbarkeit als
selbstverständlich mit einigen Exklamationen behauptet. Näher auf das
Wesen der Tugend geht er in dem umfangreichen Buche Ilfgi t!jg tj^xrj;
ägezr^g ein. Hier sucht er unter Berücksichtigung der älteren philoso-
phischen Systeme und unter entschiedener Bekämpfung der Stoiker die
natürliche Vernunft zu ihrem Rechte zu bringen, indem er ausgehend von
dem Satze, dass die menschliche Seele aus einem vernünftigen und einem
vemunftlosen Teile bestehe, die Aufgabe der Tugend dahin bestimmt, dass
sie die unvernünftigen Triebe und Neigungen (nad^rj) nicht zwar aus-
rotte, wohl aber nach Massgabe der praktischen Einsicht {^Qovtfltg^ regle.
Das Prinzip dieses grundlegenden Buches wird im einzelnen ausgeführt
in den nachfolgenden Schriften über die Seelenruhe {neQi svd-viiiccq)^ über
Tugend und Laster {tisqI aQsztjg xal xaxiag), über die Stellung der sitt-
lichen Menschen zum Schicksal {negl rvx^ß)^ über die Beherrschung des
Zorns (7t€Qi doQyrjaiag), über die Schwatzhaftigkeit (negi ä3oX€<rx^'ag), über
die Neugierde (/rc^t noXvnQay^ioavvrfi)^ über die Geldliebe {nsQi ^tionXot*-
Ti'ag)^ Über die Verschämtheit {Ttegi dvtSiümag)^ über das Selbstlob (rr*^
tov iavtov iTtaivslv dvemxpd^o v(og)^ über die Freundesmenge (^i«^* nolv-
(fiXtag), ob die Schlechtigkeit an sich schon unglücklich macht {ei aviä^
xr^g i) xaxia nQog xaxoiaifxovtav), ob die Krankheiten der Seele oder des
Körpers schlimmer sind (noteQov xd trjg yjvxfjg ^ td tov amßazog nd^r^
XeiQova), Alle diese Schriften, die zum Teil durch Zusendung an hebe
^) In der angegebenen Reihenfolge schrieb
Plutarch selbst nach p. 1086 D die beiden
Schriften; in den Ausgaben ist die Ordnung
umgekehrt.
*) Unpassend ist der frtther übliche Titel
itegl 10V Tfi aXoya Ao;'^ XQV^^^h ^ö Usekeb,
Epicurea p. LXX nachweist. Dagegen Hirzbl,
Der Dialog II 128 ff., wonach der Gryllos
keine Satire, sondern ein sophistisches Mach-
werk des jungen Plutarch ist.
') G. SiEFBRT, De aliquot Plntarchi scrip-
torum moralium compositione atque indole,
Comment. Jen. t. Via. 1896; behandelt sind
die enge zusammengehörigen, leicht hinge-
worfenen Schriften n^Qi ^vd-vfiiag, itegl ^^C,
nsQi ttQSTfjg xai xaxitti, m^i rrzV^y ^^ AA«-
Tov ij ttQetij, noTBQov Ja rijf ^^ZV^ V '* ^^^
OüSfÄnros nadti x^tQoytty ei avta^Ktj^ jj xaxia
rr^og xaxo&nifAOvlayy ntog nr rtg ata&wio n^
B a) BOmisohe Periode vor Konstantin. 8. Die Prosa, o) Plutarch. (§§ 477—478.) 659
Freunde und Gönner noch einen gemütvolleren Zug erhalten, zeigen uns
Plutarch gewissermassen als Seelenarzt: i) sie sind wohlgemeinte Predigten,
anziehend durch die Fülle der Beispiele und Dichtercitate, auch reich an
tre£Flichen Anweisungen und feinen Beobachtungen, aber ohne tiefere Auf-
fassung und ohne neugestaltende Ideen. Solche Aufsätze waren seit
Erantor und Theophrast an der Tagesordnung bei den Akademikern, Peri-
patetikem und Kynikern, wie man aus den Katalogen ihrer Schriften
sieht ; erhalten sind uns ähnliche von dem römischen Philosophen Seneca.
Was Plutarch neu hinzuthat, war die Menge von lehrreichen Beispielen
aus dem Leben der Griechen und Römer, worin sich zugleich der Zu-
sammenhang dieser Abhandlungen mit den Parallelbiographien kundgibt.
Unser Verfasser hatte sich zu diesem Zweck eine reiche Sammlung von
Aussprüchen und Anekdoten angelegt, die ihm für seine Gelegenheits-
schriften ein stets bereites, reiches Material boten. >)
Durch ganz bestimmte Anlässe hervorgerufen sind die 3 Trostreden
{naQaiiv&r/tixo(\ von denen die eine Plutarch an seine eigene, durch den
Tod ihrer Tochter schwer niedergebeugte Gattin, die zweite an einen
durch politische Umtriebe aus seiner Heimat verjagten Freund {nsql
^vyrjg), die dritte an den um seinen frühverstorbenen Sohn trauernden
Apollonios gerichtet hat. Die letzte vielgepriesene Schrift unterscheidet
sich von den beiden andern dadurch, dass sie sich fast nur in Allgemein-
heiten bewegt und von ungewöhnlich langen Citaten aus Dichtern und
Philosophen förmlich strotzt, auch öfters die Sorgfalt des Plutarch in der
Vermeidung des Hiatus vermissen lässt. Es wurde dieselbe deshalb von
Wyttenbach dem jungen Plutarch zugeschrieben, von Volkmann dem
Plutarch vollständig abgesprochen.«) Geschöpft hat der Verfasser, mag
es nun Plutarch oder ein anderer gewesen sein, aus dem gefeierten Buch
des Akademikers Krantor über die Trauer {nsgl ntv^ovg).^)
478. Die Ethik stand bei unserem konservativen Autor in engster
Beziehung zur Religion, und so hat er nicht bloss im Leben als Priester
der Religion gedient, sondern auch in seinen Schriften den Glauben und
Kultus zu läutern und mit der philosophischen Einsicht in Einklang zu
bringen gesucht. Mit seiner Bekämpfung des Aberglaubens in der Jugend-
schrift neql dcKriiaifioviag,^) sowie mit seiner Stellungnahme gegen den
Atheismus der Epikureer und den pragmatischen Rationalismus der
Euhemeristen wird man sich leicht einverstanden erklären; aber was er
selbst jenen gegenüberstellt, die Dämonenlehre, die Mantik, die allegorische
Erklärung, vermag ebensowenig zu befriedigen. Charakteristisch für seine
religiöse Stellung in den späteren Jahren ist namentlich seine Hinneigung
<) Er selbst vergleiclit sich Mor. 524 B
dem Arzte, der die Leidenschaft heilt und den
Seelenfrieden herstellt Vgl. § 508 aber Epiktet.
«) Vgl. Mor. p. 464 F: at^eXe^iifÄr^y ttbqI
€v&vfAiaf ix Ttjy vnof4yrjf4är(oy, (ov ifAnvnti
ntnoiijfiiyog hvyxavov.
*) YoLKMAinr, De consolatione ad Apol-
lomam, Janer 1867. Einen weiteren Grand
filr die Verwerfang leitet Fuhr Rh. M. 83,
590 ans dem Gebranch vom jb xai ab.
^) M. H. E. Mbibb, De Crantore Solensi,
Opnsc. II 267 f.
*) Die Schrift über den Aberglauben, in
der sich Plutarch mit echt griechischem Frei-
mut gegen das in seiner Zeit immer mehr
um sich greifende Unwesen heimischen und
fremden Aberglaubens wendet, gehört in
eine ganz andere Entwickelungsperiode des
Autors wie die Über die Isis und scheint
seiner Jugendzeit anzugehören.
42*
660
GrioobiBoho Litteratnrgesohiohte. II. NaohklMSWche litteratnr.
zum Synkretismus oder zur Verquickung griechischer und orientalischer,
besonders ägyptischer Theosopheme. Dieser Synkretismus ist nicht in dem
Kopfe des Plutarch selbst entstanden, dex selbe lag in jener Zeit bereits
ausgebildet vor in den Bräuchen und Lehren der Priester an den alt-
griechischen Qöttersitzen. So war die delphische Thyiade Klea, die intime
Freundin des greisen Plutarch, an welche die Hauptschrift dieser Gattung
gerichtet ist, selbst in die Isismysterien eingeweiht, i) Aber Plutarch
bleibt doch der hauptsächlichste litterarische Vertreter jener Wandlung
der religiösen Ideen, durch welche die Klarheit des griechischen Geistes
getrübt und die hellenische Weltanschauung allmählich dem Untergang
geweiht werden sollte.
Die Symbolik, speciell die pythagoreische Zahlensymbolik, macht
sich besonders in der Schrift über das E in dem Eingang des delphischen
Tempels {Hegl rov E %ov iv Jek^dig) breit.*) Doch verwirft schliesslich
Ammonios, der Hauptwortführer, die natürliche Deutung des E als Zeichen
für die Zahl 5, indem er dasselbe als EI deutet, womit der in Andacht
versunkene Besucher Delphis den Gott als wahrhaft Seienden den wer-
denden und vergänglichen Sterblichen gegenüber stellt. — Der zweite py-
thische Dialog üegl zov iir] xqäv ififA€TQa vvv riijv Uvd^iav enthält Scenen
aus einer Periegese Delphis, in der aber nicht die archäologischen Erklärungen
der Kunstwerke und Weihgeschenke, sondern die Reflexionen und Er-
zählungen der theologischen Exegeten zu Wort kommen. Den Titel hat
die Schrift von dem Inhalt des Hauptgesprächs, woher es komme, dass
die Pythia ihre Orakel nicht mehr in Versen, sondern in nackter Prosa
gebe. In die Besprechung dieser Frage ist eine geistvolle Erörterung
über das Wesen und den Unterschied von Prosa und Poesie verflochten
(p. 405 f.). 8) — Von der Abnahme der Orakel selbst handelt der Dialog
JIcqI t(ov SxleXoiTioTODv xQV^^^iQi^^i wobei besonders interessant der Er-
klärungsgrund des Platonikers Ammonios (c. 8) ist, indem danach die
Abnahme der Orakelstätten mit der Abnahme der Bevölkerung zusammen-
hing, die so gross war^ dass ganz Hellas damals kaum mehr als 3000
Hopliten stellen konnte, so viel als einst das einzige Megara zur Schlacht
nach Platää entsendet hatte.*) Im übrigen geht unsere Schrift über den
nächsten Gegenstand des Gesprächs weit hinaus, indem sie von dem Grund
der Mantik überhaupt handelt und unter mannigfachen Abschweifungen
die Orakel auf die Dämonen oder die Zwischenwesen zwischen Götter
und Menschen zurückführt, den Antrieb aber zum Wahrsagen in dem aus
*) Plut. de l8id. 35: et yi,yv(6axeiv, J
KXia, drj ngoaijxoy iaiiv, ^QXVY^^ i"*^ ovaav
iy JeXtpolq itoy ^vidötoy, tolg (T OaiQMXoiq
xa9waiü}f4eytjy UQoig and nazQog xai (uijiQog.
*) Dieser Dialog und der folgende wer-
den von Plutarch selbst p. 384 E unter dem
Titel Dvdixol Xoyoi zusammengefasst, weil
sie in dem pythischen Delphi gehalten worden
sind; sie fallen in die spätere Lebenszeit
unseres Autors, als er seinen Sitz nach Delphi
verlegt hatte; gerichtet sind sie an Sarapion,
Chorsänger in Athen, den wir auch aus den
Tischgesprächen kennen lernen. In der Fonn
der Tempeldialoge war dem Plutarch der
Römer Varro (s. Hibzel, Dialog I 558) Toraii*
gegangen.
>) HiRZEL, Der Dialog II 208 Anm. weist
als vermutliche Quelle dieser Erörtening
Dikaiarchos nach.
^) Die Schrift ist angezogen von Euse-
bios praep. evang. Y 16 ff. Bezüglich des
Titels erinnere ich an Jnvenal YI 555 : Detphis
oracula cesaant.
Ba)SOmiBohe Periode vor KonBtantin. 8. Die Prosa, o) Plntaroh. (§479.) 661
der Verdunstung aufsteigenden Hauche der Gottbegeisterung {iv&ovtficctfrixov
Tvvevfia) sucht. — Der Versuch einer Mythendeutung ist am sorgfaltigsten
durchgeführt in dem hochinteressanten Buch von Isis und Osiris {lleQl
*'lciS<K xal 'OaiQidoq)^ ohne dass es indessen auch hier dem Autor gehngt,
eine befriedigende Erklärung des romanhaft ausgeschmückten Mythus i)
von den wunderbaren Geschicken der Isis in der Suche nach ihrem ge-
liebten Osiris, und ihres Sohnes Horos in den Kämpfen mit dem bösen
Dämon zu geben. — Ganz anderer Art ist der von Plutarch in früheren
Jahren verfasste, ^) durch Tiefe der Gedanken und Reichtum des Inhaltes
gleich ausgezeichnete Dialog über die späte Bestrafung der Gottlosen
{llegl Tfäv vno rov S-ciov ßqaSäwg rificoQoviiu'vcoi^), der ähnlich wie die Po-
Uteia des Piaton mit einer phantastischen Schilderung des Jenseits ab-
schliesst.') Doch ist auch in ihm philosophisch haltbar fast nur der bei-
läufige Satz, dass der Schlechte nicht erst eines bestrafenden Gottes be-
dürfe, da ihm das böse Gewissen und das zerrüttete Leben Strafe genug
sei (c. 11). — Zu den theosophischen Schriften im weiteren umfang ge-
hört auch noch der Dialog über das Daimonion des Sokrates, in dem aber
der philosophische Kern von der scenischen Einkleidung, die uns nach
Theben in die Versammlung der Verschwörer vor der Befreiung der
Kadmea versetzt, ganz überwuchert ist. Dieser historische Teil, der die
Vorkommnisse jener grossen Zeit der Geschichte Thebens in spannendster
Weise schildert und insbesondere auf den Charakter des Epaminondas
hellste Streiflichter fallen lässt, nimmt zumeist unser Interesse in An-
spruch.^) Nur eingeflochten in diese Erzählung ist das Gespräch des
kranken Philosophen Simmias mit anderen Thebanern über das Daimonion
des Sokrates, von dem die Schrift selbst den Namen hat.^) Die Quellen
des Plutarch scheinen ausser einem Dialog des Simmias alte Aufzeich-
nungen eines Teilnehmers an der Verschwörung gewesen zu sein. —
Schwertich echt ist das Buch vom Schicksal (ncQi stfiaQfAsvr^g), da dasselbe
sich mehr in aristotelischer Terminologie bewegt ^) und in seinem trockenen
Schulmeisterton die Eigenart des geistreichen Chäroneers vermissen lässt.
479. In der Physik hatte Plutarch an seinem Vorbild Piaton wenig
Anhalt; hier lehnte er sich mehr an Aristoteles und Straten, teilweise
anch an die Stoiker und die anekdotenliebenden Grammatiker Juba und
1) Plntarch selbst p. 358 F yergleicht
den Mythos, enthalten in c. 12—19, tots
nXiiffAaci rtov Xoyoy^dtptay und gewiss ist
derselbe in der vorliegenden Gestalt erst in
der alexandrinischen Zeit nnter dem Einfluss
▼on heUenistisclien Schwindlern wie Heka-
Udoe TOB Abdera entstanden.
s) Winke znr Bestimmung des terminns
post gaem enthält die Enfthlong von dem Ge-
schick des Kaisers Nero im Jenseits p. 567 F
and der Hinweis anf den Ausbrach des Vesuvs
p.566 E. Anf der anderen Seite weisen innere
Gründe, die Reife der sittlichen Auffassung
und das Hervortreten der Person des Plutarch,
auf ein höheres Alter des Verfassers. Hirzel,
Der Dialog n 215 setzt unseren Dialog nach
den pythischen.
') Von der Benutzung des alexandrinl-
schen Dichters Euphorion in dieser Schrift
s. ThrImbe Herm. 25 (1890) 55-61.
^) Im wesentlichen stimmt die Erzählung
unseres Dialoges zu der im Leben des Pelo-
pidas c. 6—12, doch gibt unser Dialog mehr
Einzelheiten, üeber Abweichungen Hibzel,
Der Dialog H 153 f.
^) Benutzt ist das Buch des Plutarch
von Apuleius in seiner ähnlich betitelten
Schrift De deo Socratis.
•) Vergleiche besonders p. 571 c und Arist.
met. p. 1026 b, 28. Vgl. Volkmakn, Leben
Plut. 1 146 ff., u. FuHB Rh. M. 88, 590.
662
Qrieohisoho Lüteratargeschichte. n. NaohklasBiaohe Litteratnr.
Alexander Myndius an. Übrigens ist auch die Physik die schwächste
Seite unseres Philosophen. Am bedeutendsten noch ist der Dialog über
das Gesicht im Mond {JleQi tov €fi(pmvofAsvov nqoadnov x^ xvxi^ xvfi
(XekTjvrjg), Leiter des Diidogs, an dem sich Philosophen, Mathematiker und
Grammatiker beteiligen, ist Lamprias, der Bruder des Plutarch, sei es
dass derselbe auch Verfasser des Buches war, oder dass nur Plutarch auf
diese Weise andeuten wollte, dass in seiner Schule zu Chäronea dieser
Teil der Philosophie nicht von ihm, sondern von seinem Bruder behandelt
wurde. Das Gespräch endet wie so mancher andere Dialog des Plutarch
und Piaton mit einem Mythus, den Sulla, einer der Teilnehmer am Ge-
spräch, von einem vielgereisten Fremden *) erfahren haben will. Jener
Fremde lässt den Menschen nicht aus zwei, sondern drei Teilen bestehen,
Körper (ccö/ia), Seele {ipvxrj) und Geist (vovg), von denen der erste von
der Erde, der mittlere von dem Mond, dem Sitze der Dämonen, der dritte
von der Sonne, dem Urquell des Lichtes, stamme und ebendahin wieder
zurückkehre. Das eigentliche Hauptgespräch (c. 1—25) bespricht, von der
Erscheinung des Gesichts im Mond ausgehend, in subtiler Weise die Spe-
kulationen der alten Mathematiker und Philosophen von der Substanz des
Mondes, der Brechung des Lichtes, der Anziehungskraft des Erdmittel-
punktes. Wir lernen daraus viel Interessantes fiir die Geschichte der
Astronomie und die Lehre der Stoa ; besonders hören wir von der grossen
Entdeckung des Astronomen Aristarch von Samos (c. 6), der ein Vorläufer
des Kopemikus, bereits den Satz aufgestellt hatte, dass die Erde sich
zugleich um ihre eigene Achse und um die Sonne in der Ekliptik drehe.*)
— Anziehend durch gemütreiches Eingehen auf das Seelenleben der Tier-
welt und die auch den Tieren gegenüber zu übende Humanität sind die Dia-
loge nOTCQU T(OV ^(püOV (fQOVlfluifSQa TCC X^Q^^^^ ^ ^« h'vjQa und U^^i TOV
td aXoya Xoyo^ xQriCx^ai,^) Spricht sich Plutarch schon in diesen Schriften
dahin aus, dass auch die Tiere nicht der Seele entbehren^) und daher auf
humane Rücksichtnahme Anspruch haben, ^) so lässt er in den beiden
Deklamationen über das Fleischessen {neqi aaQxo(payiaq loyoi ß") noch
mehr die ethische Tendenz hervortreten, indem er zwar nicht mit der
gleichen Entschiedenheit wie die Neupythagoreer die Fleischnahrung als
sündhaft verwirft, aber doch von derselben auf jede Weise abrät. Die
^) Das Festland jenseits des Ozeans, zu
dem man auf der Fahrt yon Britannien Über
drei westlich dayon liegende Inseln gelangte,
ist offenbar Amerika. Es waren demnach
bereits um 100 n. Chr. kühne Schiffer, wie
später wieder im 14. Jahrb., über Island, Grön-
land, Baffinland nach der Küste von Nord-
amerika gekommen. Bezüglich des ganzen
Abschnittes über die Reise des Fremdlings
vergleiche man den um diese Zeit entstan-
denen Roman über die Dinge jenseits von
Thule.
*) Der grosse Astronom Eepplbr schrieb
zu dem Buch einen Kommentar, wiederholt in
Kepplers Opera von Frisch t. VIII, worüber
ScHMEBToscH iu Phüol. - Histor. Beiträge zu
Ehren Wachsmuths, 1897 S. 52 ff.
') An keinem der beiden Gespräche be-
teiligt sich Plutarch; in dem ersten, das ein
grosses naturwissenschaftliches Wissen be-
kundet, ist HauptwortfÜhrer Autobulos, der
Sohn des Plutarch, was wieder ein Zeichen
dafür sein dürfte, dass Plutsurch die natur-
wissenschaftlichen Unterweisungen anderen
Gliedern seiner Familie überliess.
*) Ad. Dtboff, Die Tierpsychologie des
Plutarchos, Progr. Würzburg 1897.
') Von dieser edlen Humanität stechen
widerlich ab die Beispiele grausamen Raf>
finements der Feinschmecker jener Zeit De
esu cam. II 1.
Ba)SOmisohe Periode vor Konstantin. 8. Die Proea. o) Plntaroh. (§480.) 663
Pjrthagoreer stützten nämlich ihr Gebot der vegetabilischen Ernährung
durch die Lehre von der Palingenesie, da die Seelen der Menschen in die
Tiere übergehen, und daher auch leicht der Vater oder ein Verwandter
in dem zur Scihlachtbank geführten Tiere wohnen könne. Plutarch gibt
nun zwar nicht zu, dass dieser Satz von dem Fortleben der Menschen-
seele strikte erwiesen sei, hält aber doch die Richtigkeit desselben keines-
wegs für ausgeschlossen. Er hat sich so im Greisenalter ^) nicht blos von
der ägyptischen Geheimlehre der Isisanbeter, sondern auch von dem My-
sticismus der Pythagoreer stark beeinflussen lassen. Da standen die
Stoiker fester als die Akademiker bei der hellenischen Fahne des auf-
geklärten Rationalismus. — Ausserdem gehören in das Gebiet der Physik
die an Favorinus gerichtete Untersuchung über das Wesen der Kälte
{tisqI tov ttqwtqv ^vxqov), die diätetischen Unterweisungen {vyieivd naqay^
ybXfiaxa) in dialogischer Form, die sophistische, von dem Vers des Pindar
^ÄQiaTov iihv vicoQ ausgehende Deklamation über das Thema, ob das Wasser
nützlicher sei oder das Feuer {nfnsQov v6(oq rj nvq xqrjai^mTSQov)^ endlich
die Jlrim (ptHftxat, in denen ähnlich wie in den römischen und griechischen
Fragen einzelne naturwissenschaftliche Probleme aufgeworfen und dann in
Kürze erklärt werden.*) — Ausserdem werden mehrere in das Gebiet der
Naturlehre einschlagende Fragen in den Tischgesprächen behandelt, da in
der Gesellschaft der Honoratioren damals schon neben den Philosophen,
Rhetoren, Grammatikern, Musikern auch die Ärzte nicht zu fehlen
pflegten.
480. Mehr auf seinem Felde bewegt sich Plutarch in den poli-
tischen Schriften. Denn getreu der Lehre der Akademie verwarf er
den epikureischen Grundsatz i,ä&€ ßiwcag und hielt sich und seine Freunde
verpflichtet, an den Staatsgeschäften teilzunehmen. Von den hieher ge-
hörigen Büchern sind mehrere Gelegenheitsschriften; so gleich das beste,
UoXiTixd naQayYskfiara, worin er einem jungen Mann aus Sardes, Mene-
machos, praktische Anleitungen zur politischen Thätigkeit gibt. Das
lesenswerte und schon zur Zeit des Plutarch viel gelesene *) Buch enthält
keine dürre Theorie, sondern eine farbenreiche Belehrung aus dem Leben
der Staatsmänner der Vergangenheit; praktisch ist hier gezeigt, dass die
Geschichte die beste Lehrmeisterin für den künftigen Staatsmann sei.
Einen besonderen Wert erhält das Buch noch dadurch, dass der Verfasser
in seinen Anweisungen auch auf die thatsächlichen Verhältnisse und
namentlich auf die Stellung der griechischen Staaten zu den römischen
1) Ein ftnssereB Anzeicheiii um die Reden
nt^ aagxog>ayias in diese Zeit zu Beizen,
habe ich nicht; aber der Entwickelungsgang
unseres Antors führt zwingend zu dieser An-
nahme. In den sicher datierbaren Jugend- und
Manneascliriften desPlutarchs findet sich keine
Spar der schwächlichen Hinneigung zum Py-
thagoreismus; erst im Alter, als ihm die Zähne
ausgefallen waren und das Zerbeissen des
Fleisches schwer geworden war, ward er
auch der pythagoreischen Abstinenzlehre zu-
gänglich.
') Der letzte Teil der Schrift ist nur
in lateinischer Uebersetzung auf uns ge-
kommen; die ganze Schrift ist unbedeutend
und des Plutarch unwürdig.
') Einen Fingerzeig Ar die Abfassung
enthält die Stelle p. 815 D ola IleQyafAfjyovs
inl NiQioyo^ xateXaße n^ßayfÄat« xai 'Podiovs
Ifttyxoq inl JofjiBtiavov, In der Schrift
Tiioi ay xig an* ix^Qfoy (otpeXotro c. 1 sagt er
von unserer Schrift ixeiyo ro ßißXloy oqoj ce
nQox^tQoy Ijj^oi^ra noXXäx^g.
664
Grieohiaoho Litieratargesohiohte. U. NaohklaaBiBoho Litteraiar.
Herrschern in sehr massvoller und vernünftiger Weise Rücksicht nimmt
(c. 16— 19).i) — Aus einem äusseren Anlass ist die kleine, aber vorzügliche
Schrift Ei nqeaßvräQfiy noXitevxsov hervorgegangen, in der Plutarch seinen
Freund Euphanes aus Athen von dem Entschlüsse abzubringen sucht, seine
Stelle als Vorsitzender des Areopags und Mitglied des Amphiktyonenbundes
wegen vorgerückten Alters niederzulegen. Er selbst stand damals schon in
höherem Alter und hatte dem Gotte in Delphi bereits mehrere Phythiaden
als Priester gedient (c. 17). — Mehr aUgemeiner theoretischer Natur ist das
fragmentarisch erhaltene Buch n€Ql pLovaQxiaq xai di^iioxQaxiag xal o>U-
yaQXf'ag^ worin er im Sinne Piatons und unter Anlehnung an die realen
Verhältnisse seiner Zeit der Monarchie den Vorzug vor den anderen
Staatsverfassungen gibt. — Dazu kommen zwei kleinere einleitende und des-
halb in den Ausgaben an die Spitze dieser Abteilung gestellte Schriften
UcqI tov oTi naXiaza roTg rjyefioci ist tov q>iX6aoq>ov diaXdysax^at^ worin
Plutarch aus praktischen und humanitären Gründen den Verkehr mit den
Mächtigen der Erde empfiehlt, und Ilqdg rjycfiova anaÜEvxov^ worin er aus-
gehend von dem schönen Ausspruch des Königs der Spartaner Theopomp,
dass er durch Einrichtung des demokratischen Ephorates das Königtum
wohl beschränkt, aber zugleich befestigt habe, den Herrschenden über-
haupt zu Qemüte führt, dass jede Herrschaft auf der Grundlage des Ge-
setzes und der Vernunft beruhen müsse. — Angehängt ist eine Schrift,
welche in das Gebiet der Wirtschaftslehre eingreift IIsqI tov /*iJ SsTv ia-
v€i^€a&ai^ in welcher der Verfasser vor den Wucherern warnt, und seinen
Landsleuten rät, lieber ein einfacheres Leben zu führen und das kostbare
Tafelgeschirr zu verkaufen, als unter Verpfilndung des ererbten Landgutes
von den fremdea Geldjuden Geld auf Zinsen zu leihen.*)
481. Die Wurzeln des Staates bilden die Familie und die Gesellschaft ;
das erkannte richtig unser Plutarch, und wie er selbst im Leben ein aus-
gezeichneter Vater, Gatte, Sohn, Bruder und Freund war, so trat er auch
mit der Feder warm für diese Tugenden ein. Es gehören hieher die
Schriften Ileql (fiXadeX^piag, UsqI Trjg slq td Mxyova fptXoaxoQyiaq^^) Ilfog
av Tig diaxQivoi tov xoXaxa tov (piXov,^) 'EgwTixog, FapLixa naQayyäXfia%a.
Die treflflichen Lehren der letztgenannten Schrift sind einem neuvermählten,
dem Autor befreundeten Paare gewidmet. Der interessante Dialog Ero-
tikos lässt den Plutarch in einem ähnlichen Licht erscheinen wie den
Sokrates der Phaidros Piatons, indem Autobulos, der Sohn des Plutarch,«)
*) Im Anschluss an die berühmten Worte,
die Perikles sich vorhielt: ngoaexe, UsQixXetg'
iXev&äqay äg^eiSj *EXXijy(ay ff^/e«f, nohrtay
Udtiyalioyy^ sagt er c. 17 dem jetzigen Be-
amten: uQxof^Bvog ap/e«?, vnorBxctyfxiyrjg
nokBfoq av&vnaroig, inuQonoig Kaiaa^oq. , ,
evoTttXeffTiQtty det rrjy /Xaf^vda noisTy. . .
oqojyta tovg xaXriovg indyto trjq xetpaXijg.
*) Die Echtheit der interessanten Schrift
wird verdächtigt von Heikze, Plut. Untersuch.,
Berlin 1872.
') Fragment, dessen Echtheit zweifel-
haft ist; s. Weissenberger a. 0. p. 66 ff.
^) Diese Schrift habe ich bereits oben
§ 475 unter den einleitenden Schriften des
Plutarch angefahrt, wie denn fiberiianpt
mehrere der philosophischen Schriften des
Autors in die eine oder andere Klasse ein-
gereiht werden können.
^) Ich wiederhole diese Behauptung trotz
des Widerspruchs von Wjttenbach, Animadv.
in Plut. 171 und Volkmann, Leben, Schriften
und Phil, des Plut I 31, welche den Auto-
bulos dieses unseres Dialogs von dem in den
sonstigen Schriften Plutarchs erwShnten gleich-
namigen Sohne des Plutarch unterscheiden
B a) Sömisohe Periode vor Konstantin. 8. Die Prosa, o) Plntaroh. (§§ 481—483.) 665
einem gewissen Flavianus das Gespräch wiedererzählt, welches sein Vater
ehedem bei Gelegenheit der Feier der Erotidien in Thespiä mit anderen
Freunden über die Liebe gehalten habe. Das Gespräch ist, wie der Name
andeutet, eine Nachahmung des platonischen Phaidros ; es dient der Ver-
herrlichung der Gattenliebe im Gegensatz zu der Unnatur der Päderastie
und schliesst mit der rührenden Erzählung von der treuen Liebe der
Gattin des Sabinus, durch deren Hinrichtung der Kaiser Vespasian sein
Andenken bei der Nachwelt befleckt hat.i) In den Dialog ist, ähnlich wie
in der oben besprochenen Schrift über das Daimonion des Sokrates, eine
gleichzeitige Liebesgeschichte der vornehmen, aber schon älteren Dame
Ismenodora zu dem schmucken Jüngling Bakchion eingewoben. — Ganz
der plutarchischen Grazie entbehren die kleinen erotischen Novellen (Eqo)-
uxal SnjyijiTsig), welche aus dem grossen Kollektaneenfach der Bibliothek
des Plutarch stammen und bloss wegen des verwandten Inhalts dem Buche
Erotikos angehängt sein mögen.
482. Philosophie paarte sich seit Aristoteles mit Philologie und
litterarischer Kritik; kein Schriftsteller aber war in den Dichtern
gleich belesen wie Plutarch. So hat er denn nicht bloss alle seine
Schriften mit Citaten aus Dichtem gewürzt, sondern auch der Exegese
und litterarischen Untersuchung eigene Schriften gewidmet. Kommentare
schrieb er zu Hesiod, Arat und Nikander, von denen uns in den Scholien
der betrefifenden Dichter dürftige Reste erhalten sind. Einzelne littera-
rische Fragen behandelt er in den uns noch erhaltenen Schriften lleQi
TTJg '^HQodotov xaxor^siaq^*) 2vyxQi(ng 'ÄQKfTo^dvovg xai Msvdvdqov und
nBQi fiovmxijg. Seine Vorliebe für den feinen gesitteten Menander gegen-
über dem genialen, über die Stränge schlagenden Aristophanes erklärt sich
aus seiner Abneigung gegen alle Ausschreitungen der Freiheit.^) Von
grosser Wichtigkeit für die Geschichte der Musik und Metrik ist der
Dialog neql fioviXixfjg,^) hauptsächlich dadurch, dass der damals noch junge
Plutarch ganze Partien aus den besten Autoren dieses Faches, dem Ari-
stoxenos und Herakleides, herübergenommen hat.<^)
483. Tischgespräche. Die Palme möchte man leicht demjenigen
Werke des Plutarch reichen, in dem er die ganze Vielseitigkeit seiner
Studien in der unterhaltendsten und anmutigsten Weise dargelegt hat, ich
meine die 2vi.inoaiax(i, Das Werk umfasst neun Bücher, von denen jedes
10, das letzte 15 Probleme enthält.^) Entstanden ist dasselbe aus der
wollen. Eine solche Homonymie bei dem-
selben Sehriftsteller scheint mir ganz un-
glaubhaft.
^) Graf, Plntarchisches in Comm. Rib-
beek. p. 70 will den jungen Plutarch, den
Binder des Autobulos, zum Verfasser des
Dialoges machen; ihm stimmt, wenn auch
zweifelnd bei Hibzel, Der Dialog U 234.
*) Ueber diese Schrift habe ich bereits
oben § 474 gehandelt.
*) Der Anfang und damit der grössere
TeQ der von Beruardakis ohne ausreichenden
Gnmd mit dem Zeichen der Unechtheit ver-
sehenen Schrift ist verloren gegangen. Ganz
ähnliche Gedanken über den Unterschied
der alten und neuen Komödie stehen in den
Tischgesprächen VHS.
*) Die Echtheit der Schrift wird ange-
zweifelt; auch der Gebrauch von re xai
spricht nach Fuhr Rh. M. 33, 590 gegen die
Echtheit.
*) Vergl. Wbstphal in Ausgabe des
Schriftchens und in Aristoxenos 11 p. GCVII ss.
Ueber sprachliche Anzeichen der Unechtheit
8. Weissbnbrrobr a. 0. p. 82 ff.
^) Die 9 Bücher sind nicht auf einmal,
666
Oriechisoho Lüteratnrgesohtohie. IL HaohklAMuohe Idtteraiiir.
schönen geselligen Sitte der Hellenen, bei Tisch inter pocola über ver-
schiedenene Gegenstände sich zu unterhalten. Die Scene wechselt in
unseren Tischgesprächen fast bei jedem Problem und f&hrt uns bald nach
Athen, bald nach Rom, bald an dem gastlichen Tisch des Autors und seiner
Freunde, bald zu der Feier eines Festes oder musischen Sieges. Noch
mannigfaltiger ist der Inhalt der Gespräche: neben Gesprächen, die zu
dem Mahle direkt in Beziehung stehen, wie über die Bekränzung beim
Mahle (III 1), über die bessere Verdaulichkeit gemischter Nahrung (IV 1),
über die geeignetste Wahl der Unterhaltungen bei Tisch (VII 8), be-
gegnen uns Gespräche über die Enthaltsamkeit der Juden vom Schweine-
fleisch (IV 5), über die Zahl der Musen (IX 14), über die drei Arten des
Tanzes (IX 6), über das Okulieren der Bäume (11 6), über das Epitheton
äykaoxaQTiog bei Homer (V 8), und das alles in der unterhaltendsten
Weise mit reichsten und bestangebrachten Reminiszenzen aus Dichtern
und Prosaikern. Die einzelnen Gespräche fallen in weitauseinanderliegende
Zeiten, sind aber von Plutarch nach früheren Aufzeichnungen rasch
hintereinander zu dem erhaltenen Corpus zusammengestellt worden. Später
hat viele von ihnen Macrobius in seine Saturnalia herübergenommen,
indem er sich dabei manche Zusätze erlaubte, die für Leser, welche
weniger belesen als die Kreise des Plutarch waren, notwendig schienen.
Ein Gegenstück zu diesen Tischgesprächen der Gegenwart bildet das
Gastmahl der sieben Weisen {avpLnoaiov tcov imd ipiXoa6fpwv\ das uns an
den Hof des Periander versetzt zu einem Gastmahl, an dem die sieben
Weisen Griechenlands und ausserdem der Fabeldichter Aesop und zwei
Frauen teilnehmen. Der Gedanke einer Zusammenkunft der sieben Weisen
war nicht neu, schon Ephoros hatte dieselben bei dem König Krösus zu-
sammenkommen lassen.^) Auch hat Plutarch die Idee recht geschickt
durchgeführt, indem er in das Tischgespräch die vielen hübschen Sprüche und
Anekdoten, welche von den sieben Weisen in Umlauf waren, hereinzog
und die Darstellung ausserdem noch durch manche andere Erzählungen,
wie die von der Rettung des Meisters der Töne Arion, sinnig belebte.
Aber wir vermissen in dem Buch doch ganz die moralisierende Art des
gereiften Plutarch und fühlen uns vielmehr durch die koketten Schil-
derungen und obscönen Anzüglichkeiten in die Sphäre der novellistischen
Sophistik versetzt. Das Buch dürfte daher, wenn es überhaupt echt ist,
nur von dem jungen Plutarch herrühren.*)
sondern erst nach und nach in grosseren
Gruppen von je 3 Büchern herausgegeben wor-
den; 8. £. Graf, Plutarchische Entstehungs-
weise der Symposiaka, in Comm. Ribbeck.
57—70. Gewidmet ist die ganze Sammlung
und mit eigenen ProOmien übersandt dem
römischen Gönner des Plutarch Sossius Se-
necio, demselben, dem er auch seine Parallel-
biographien widmete. Durch die aus dem
Wiener Archetypus (Vindob. 148) in die an-
deren Handschnften übergegangenen Lücken
ist der Schluss von dem 4. B. und die Mitte
von dem 9. B. verloren gegangen.
») Diodor IX 26; Diog. I 40. Vgl. oben
§ 98 und Hahbo Wulf, De fabeUis com eol-
legii Septem sapientium memoria conionctis
quaestiones criticae, Diss. Hai. XUI, 1896.
^) HiBZEL, Der Dialog ü 142 erklärt den
Dialog für ein rhetorisches Kunstwerk des
jungen Plutarch. Gegen die Echtheit er-
klftrten sich G. HsRitANff, Quaestiones criticae
de Plutarchi Moralibus, Halle 1875, und Volk-
MANN, Leben Plutarchs I 188 ff.; letzterer
sucht nachzuweisen, dass der peeudonyme
Verfasser den Porphyrios benützt habe. Für
die Echtheit treten ein Muhl Plut. Stud. 27 ff.;
Haück, Plutarch von Chftronea der Verfasser
des Gastmahls der 7 Weisen, Progr. Burg-
B a) aomiaoho Periode vor Konstantin. 8. Die Prosa, c) Plntarch. (§§ 484—485.) 667
484. Unter den Moralien des Plutarch befinden sich auch mehrere
teils sicher unechte, teils zweifelhafte Schriften. Die unter dem Namen
des Plutarch gehende Vita Homeri besteht aus zwei ganz verschiedenen
Teilen, von denen der erstere sicher nichts mit Plutarch zu thun hat.
Auch die ünechtheit des zweiten Teiles wurde angefochten,^) da das
echte Buch des Plutarch über Homer nach den Anführungen des Gellius
n 8, 9, IV 11 mehreres enthielt, was in unserer Vita nicht steht; aber
dass unsere Schrift nichtsdestoweniger echt plutarchische Gedanken ent-
halte und wahrscheinlich aus dessen VjurjQixai jutekh'tai excerpiert sei, hat
der neueste Herausgeber Bernardakis Moral. VII praef. IX 5 ss. nach-
gewiesen. — Zu den unechten, aber zum Teil hochbedeutsamen Schriften
gehören: Das Leben der 10 Redner, das hauptsächlich auf den For-
schungen des Rhetors Cäcilius fusst, aber in wichtigen Dingen von der
Darstellung des Plutarch im Leben des Demosthenes abweicht;^) die fünf
Bücher von den Lehrsätzen der Philosphen {neQi tmv aqeaxovxwv
fpiloaag>oig, <pvaixwv dayfidTcov iniTofirf}^ die aus dem umfangreichen Werke
des Philosophen Aetios kompiliert sind; 3) die Schrift von den Flüssen,
gleichen Kalibers mit der unverschämten Fälschung der Parallela minora, ^)
eine Sammlung von Sprichwörtern {negi rav naq' 'Aks^ardgeoffi na-
pat/ui<Sr), deren Inhalt wesentlich aus dem Buche des Grammatikers Se-
leukos TrcQi tcov nag' ^Ake^avdQivtn nagoifAKov geflossen ist;^) eine Zu-
sammenstellung von Versmassen {nsgi ii6tqwv)\ endlich ein Buch nhQi
fvy€V€iag^ welches von einem Fälscher der Renaissance aus Stellen des
Stobaios zusammengestoppelt ist.
486. Charakteristik. Fassen wir zum Schluss die Schriftstellerei
und Philosophie unseres Autors zusammen, so war Plutarch einer der ge-
bildetsten, liebenswürdigsten, furchtbarsten Schriftsteller der Kaiserzeit,
der mit seiner kolossalen Belesenheit uns einen wertvollen Ersatz für die
vielen und grossen Verluste bietet, welche die griechische Litteratur der
klassischen wie alexandrinischen Zeit erlitten hat. Aber er war nicht
bloss ein ausgezeichneter Kenner der klassischen Litteratur und Geschichte,
er hatte auch den Geist echter Humanität und hellenischer Bildung in
sich aufgenommen und in Wort und That zur Geltung gebracht. Zu feiner
Bildung und edler Sittlichkeit gesellt sich bei ihm strenges Masshalten in
Lob und Tadel, gemütliche Treuherzigkeit und optimistische Auffassung
aller Verhältnisse, was alles zusammen die Lektüre seiner Werke zu einer
ebenso anziehenden als erhebenden macht. ^) Aber deshalb war doch
hausen 1893; Weissenbbroeb, Die Sprache
Fliitttrchs und die pe.plutarchischen Schriften,
I^ogr. Siaranbing 1895 S. 50 ff.; vgl. auch
Fuhr Rh. M. 33, 591.
>) Vgl. oben § 22 Anm.
*) A. Schafes, De libro X erat., Dresden
1844; dagegen Sbbligeb, De Dionysio Flu-
tarchi anctore, Budiasae 1877. Der Wert des
BdchleiDa wird noch erhöht durch den An-
hang inschriftlicher Belege.
>) DiELS, Doxographi graec. p. 48.
'*; Die F&lschung nachgewiesen von
Herchee in seiner Ausgabe der Schrift.
») 0. Ceüsius Ind. lect. Tüb. 1887 u. 1895.
^) Sehr gut charakterisiert unseren Autor
MoMMSBN Rom. Gesch. V 252 : es gibt genug
mächtigere Talente und tiefere Naturen, aber
schwerlich einen zweiten Schriftsteller, der
mit so glücklichem Mass sich in das Not-
wendige mit Heiterkeit zu finden und so wie
er den Stempel seines Seelenfriedens und
seines Lebensglückes seinen Schriften ein-
zuprägen gewusst hat.
668
Grieohisohe litieraturgesohiobte. ü. NachklMsisohe Lütoratnr.
Plutarch noch kein HeUene der perikleischen Epoche. Die spiessbürger-
lichen Verhältnisse seiner Zeit und der optimistische Quietismus seiner
Natur Hessen keine hochstrebende Plane und flammende Freiheitsgedanken
in ihm aufkommen. Die Einseitigkeit der ethischen Auffassung verschloss
ihm das Verständnis fQr fessellose Originalität in Kunst und Poesie; das
konservative Festhalten an dem Überlieferten und der naive Glaube an
den Humbug der Orakel und Mysterien trübten die Klarheit seines Geistes.^
Es treten daher auch in seinen Schriften die Genauigkeit der Beobachtong
und die Schärfe des Urteils hinter der Neigung zur mystischen Ver-
schwommenheit und glanzvoller Ausmalung patriotischer Tugenden zurück.
Dazu kommen die gewöhnlichen Fehler der Vielschreiberei und der 6e-
dächtnisstärke : überall fiel ihm ein Dichtercitat ein und er liebte zu sehr
diesen Flitter des Stils, als dass er eines derselben, auch wenn es zum
Tone des Beweises nicht passte, unterdrücken konnte. So vermissen wir
an ihm wie die Folgerichtigkeit des Denkens, so auch die Kraft
schöpferischer Gedanken: wir können ihn weder als einen kritischen Hi-
storiker und unbefangenen Beobachter, noch als bahnbrechenden Philo-
sophen, noch endlich als guten Grammatiker preisen. Auch in der Form
und in dem Stil nämlich ist er keineswegs über dem Tadel erhaben. In
der Sprache vermeidet er zwar mit Sorgfalt den Hiatus') und belebt
durch trefifende Reminiszenzen die Darstellung; aber die Dichtercitate sind
zu häufig, der weitschweifige Satzbau ermangelt der durchsichtigen Klar-
heit und Rundung, die vielen Abstrakta geben der Rede ein unattisch^
Gepräge. Die Phrasenziererei und gesuchten Antithesen der Rhetoren
hat er mit Recht abgelehnt, aber die sprachreinigenden Bestrebungen der
Attikisten hat er nur zu seinem eigenen Nachteil vernachlässigt s) Darf
man ihn auch den Klassiker der römischen Kaiserzeit nennen, so blieb er
doch hinter der umgeschminkten Grazie und der schöpferischen Originalität
der klassischen Zeit weit zurück.
Codices: Dieselben sind nicht die gleichen zu allen Schriften. In den Biograj^en
beruht der kritische Apparat von Sintenis auf Sangerman. 319 s. X {A), Palatinos 283 s. XI,
Paris. 1671 — 6, Barocc. 137; einen besseren Zwillingsbnider zn Paris. 1676 entdeckte Hor-
cher in dem Seidenstettner Codex (S), eine neue Quelle Graux in dem Madrit 55 s. XIV.
üeber stichometrische Angaben Dbachmank Herrn. 30 (1895) 476 f. — Ueber die hand-
schriftliche Grundlage der Moralia belehrt Trku, Zur Gesch. der üeberliefernng von Plut.
Moralia, Breslauer Progr. 1877 u. 1884 und Bebnadakis in den Präfationen seiner Ansgabe;
danach sind die wichtigsten Codices Parisin. 1956 (D) 1672 (£) 1675 (B) 1955 (C) 1957 (F),
Urbinas 97, Ambros. 82, Vindob. 148 (Hanptiiandschriffc fOr Sympos.). Eine syrische Ueber-
setzimg Yon negi äo^yrjaias publizierte Lagabde, Analecta Syriaca, Lips. 185§.
Ausgaben: ed. princ. apud Aldum 1509—19, besorgt von dem Kreter Dukas; ed.
Xylander, Venet. 1560-70 mit trefflichen Emendationen; ed. Rsiske, Lips. 1774-82;
Pariser Ausg. bei Didot 1846—55 besorgt von Döunbr und DObner. — Spezialausgaben der
Yitae von Eobabs, Par. 1809—14 in 6 Bde; mit krit. Apparat von Sintenis, Lips. 1839 — 46;
ausgewählte Biographien mit deutschen Anmerkungen von Sibfert-Blass bei Tedbiteb, vom
*) Plut. Erot. p. 756 b: oQxei ij ndtgio^
xal naXaiic nlaxiq, rjg ovx BOiiy einety ovd*
ttpevQsTv texf^iJQioy ivttgyiaxBQOv.
^) Darüber die klassische Stelle Mor.
p. 534 f : Movg yovp ogtüfABv ovdi (payijsyri
cvyxqovcai fpwvrJBv iy tw Xe'yeiy vno~
fjLiyoyttt^,
') Index graecitatis von Wyttenbach im
Anhang der Ausg. der MoraliA. TrefflidM
Monographie von Stbom akn, Ueber den Ge-
brauch der Negationen bei Plutarch, (xeeste-
mflnde Progr. 1882; der ganz seltene Ge-
brauch von re xai bei Plutarch wird fllr die
Echtheitsfrage verwertet von Fuhr Rh. M.
33, 584 — 91, ebenso der Eßotos von Yolk-
MAEN, Leben Plutarchs.
Ba)B0mi8ohe Periode vor Konstantin. 8. Die Prosa. d)Arrian. (§§ 486—487.) 669
SiNTBNis-FuHR bei WsiDMAim; Demosth. n. Cicero von Graüx, Paris 1881. — Moralia ed.
WTTTBirBACH mit Animadv., Lips. 1796—1884, 5 vol. u. 3 vol.; neue kritische Ausgabe mit
teilweisem apparat. crit. von Bbrnardakis in Bibl. Teubn. — Plut. Moral, selecta (Eroticus und
Erot narr.) ed Winckslhamn, Tnrici 1886. — lieber Isis und Osiris, von Parther, Berlin
1850. — n€Qi noxttfjuoy rec. Herohbr, Lips. 1851, rec. C. Müller in Geogr. gr. min. — TIbqI
fiovaixrj^ rec. Yolkmann, Lips. 1856; Wbstphal, Plutarcb über die Musik, Breslau 1865. —
ßm syrisch erhaltenes Fragment des Ps. Plutarch negl diTxijc€(og herausgegeben von Gilde-
M EiSTEB-BüGHELBR Rh. M. 27, 520 ff. — Lexicou Plntarcheum von Wyttenbagh 1843.
d) Die Historiker der grieehlschen Wiedergreburt
486. Das Aufblühen der griechischen Bildung unter Hadrian und das
Emporkommen griechisch gebildeter Männer unter den Antoninen kam
auch der griechischen Historiographie im 2. und 3. Jahrhundert zu gut.
Waren im Anfang der römischen Kaiserzeit die griechischen Historiker
nicht viel mehr als Antiquare, welche die Darstellung der grossen, welt-
bewegenden Ereignisse der Gegenwart Historikern aus dem herrschenden
Volke der Römer überlassen mussten, so fiel jetzt wieder das ganze Ge-
biet der Geschichte, der zeitgenössischen wie der alten, den Griechen zu.
Noch bedeutsamer war, dass die Geschichtsschreibung wieder dem be-
schränkten Kreis der Rhetoren und Stubengelehrten entrissen und prak-
tischen Staatsmännern und Militärs zurückgegeben wurde. Denn die
meisten griechischen Historiker unserer Periode waren zugleich hohe
Funktionäre der Staatsgewalt, welche die Geschichte nicht bloss aus den
Büchern, sondern auch aus dem Leben kennen gelernt hatten und in die
Triebfedern der öffentlichen Dinge durch amtliche Stellung eingeweiht
waren. Die hervorragendsten der Historiker, die wir hier zu betrachten
haben, sind Appian, Arrian, Cassius Dion, Herodian.
487. Arrian (um 95 — 175), i) mit dem vollen Namen Eflavius Ar-
rianus aus Nikomedia in Bithynien ist ein Hauptvertreter der griechischen
Renaissance unter Hadrian. In seinem Leben und in seinen Schriften
bildete er eine treue Kopie des Xenophon:*) wie jener den Philosophen
Sokrates als seinen Lehrer verehrte, so er den Philosophen Epiktet; wie
jener sich nicht die philosophische Spekulation, sondern die praktische
Thätigkeit zur Lebensaufgabe stellte, so trat auch er, nachdem er als
Jüngling den Epiktet gehört hatte, ^) in den praktischen Dienst des
Staates. Im Jahre 130 unter Hadrian zur Würde eines Consul suffectus
erhoben, stand er 6 Jahre lang (131—7) als Legatus Augusti pro praetore
der Verwaltung der Provinz Kappadokien vor.*) Später zog er sich,
*) Ein Artikel des Soidas; Lnkian, Alex.
2 a. 55; Photios cod. 58 n. 91—3. Cassius
Dio hatte nach Suidas em Leben des Arrian
g^^hriehen. Kritische Untersuchung über das
Leben Arrians von Nissbn, Die Abfassungs-
zeit von Arrians Anabasis, Rh. M. 43 (1888)
236 — 57; derselbe setzt die Geburt Arrians
90 — 95 n. Chr. Ein guter Artikel von Schwabtz
in Paoly-Wiflsowa ü 1230 ff.
*) Davon heisst er väog Seyoqxuy bei
Soidas nnd Photios cod. 58, p. 17b, 15; vgl.
Arrian Cyneg. 1, 4: ofjttovvfAtoi da loy Ssyo-
^fmtrti xai noXeofs rijg avr^g xal dfjLfpl xavtd
dno yiov iüirovdaxüJSy xvytjy^aia xal arga-
tijyiay xal ao(piay.
») Schwerlich hörte er den Epiktet in
Rom, wahrscheinlich in Nikopolis, wohin sich
Epiktet nach der Philosophenvertreibnng des
Domitian (94) von Rom aus begab.
^) Das Konsulat ist bezeugt durch Ziegel-
stempel nach BoRGHESi Oevres lY 157, die
Verwaltung Eappadokiens durch eine In-
schrift von Nikomedia in 'EXXrjycxog avXX.
in p. 253 n. 5, wo er xonaQXV^ Kannadoxiag
heisst.
670
GrieohiBohe Litteratnrgesohiohte. II. NaehUaMisohe Utteratiir.
wieder ähnlich wie Xenophon, von dem öffentlichen Dienst in die Stille
des ruhigen Lebens einer Musenstadt zurück. Im Jahre 147 treffen wir
ihn als Archen in Athen, ^) ebenda zu Anfang der siebziger Jahre an der
Spitze einer Prytanenliste.*) Das Priesteramt der Demeter und Ferse-
phone, dessen er in seiner bithynischen Geschichte gedachte,') ver-
waltete er wahrscheinlich schon in einer früheren Lebenszeit. Zur Zeit der
bald nach 180 abgefassten lukianischen Schrift Alexandres war er nach
c. 2 nicht mehr am Leben.
Die schriftstellerische Thätigkeit Arrians ist geradeso mannigfaltig
wie die Xenophons: er schrieb philosophische, historische, militärische
Schriften. Die philosophischen waren dem Andenken seines Lehrers ge-
weiht; es waren die JiatQißal 'E7iixTt]rov in acht B., von denen die
vier ersten sich erhalten haben,*) und das 'EyxciQiSiov 'EnixTrjTov,
ein leicht fassliches Kompendium der Moral, das zusammen mit dem Kom-
mentar des Simplicius auf uns gekommen ist.^) Es waren dieses Jugend-
schriften, in denen sich noch nichts von der litterarischen Selbständigkeit
des Verfassers zeigt. Es folgten dann die Schriften, die er als prak-
tischer Staatsmann in der unentwickelten Form von Berichten verfasste.
Die Periode der historischen Schriftstellerei unseres Autors beginnt erst
mit der Müsse seines athenischen Aufenthalts.
Von den historischen Werken ist das bedeutendste die 'Av aß affig
UXe^dviQov in 7B. Der Titel wie die Zahl der Bücher ist dem Xeno-
phon nachgebildet. Das Werk enthält aber nicht bloss den Zug (waßa^tg)
Alexanders gegen das Perserreich, sondern eine vollständige Geschichte
des bewunderten Königs von dem Antritt der Regierung bis zu seinem
Tod. Die Erzählung verrät schon in ihrer schmucklosen Einfachheit den.
wahrheitlifebenden Geschichtsforscher und unterscheidet sich dadurch vor-
teilhaft von der rhetorisch aufgeputzten Darstellung des Curtius. Die
Hauptquellen, die Arrian benutzte und getreu wiedergab, waren nach
seiner eigenen Angabe in dem Proömium Ptolemaios und Aristobulos, von
denen er selbst hinwiederum dem ersteren als dem nüchterneren und sach-
kundigeren Gewährsmann den Vorzug gab.«) Ausserdem zog er an ein-
>) CIA 3 n. 1116.
«) CIA 3 n. 1029 u. 1032.
') Auch in der Inschrift von Nikomedla
heisst er Ugsvg JrjfjLrjXQog xai Il6Qa€<p6ytjg.
*) Siehe unten Epiktet.
^) Identisch mit den JiatQißai sind offen-
bar die JittXe^sig Epicteti db Ärriano di-
gestaßj von denen Gellius, an den die Vor-
rede der MttTQißal gerichtet ist, XIX 1, 14 das
5. Buch anfahrt; ebenderselbe nennt sie 1 2, 6
diasertcttiones Epicteti digestae ah Arriano,
ähnlich auch XVII 19, 2. Auf die von Photios
cod. 58 erwähnten 'OfAiXita 'EjiixttJTov in 12 B.
ist kein rechter Verlass, da wir von diesen
sonst nichts hören, abgesehen von dem Gitat
Stob. flor. 47, 28 ^x tcJv 'Aggithrov Tigorgenu-
xojy ofukvwy. Vielleicht liegt in der Buch-
zahl eine Verwechselung mit den 12 B. Selbst-
betrachtuDgen des Kaisers M. Aurel vor, wenn
nicht vielmehr auch hier eine verschiedene
Bucheinteilung Verwirrung brachte. Denn auch
die von Gellius I 2, 6 citierte Stelle findet sich
nicht, wie dort angegeben, im 1., sondern im 2. B.
H. Schenk L, Zur Geschichte des Epiktetnach-
lasses, Verhdl. d. Münchener Philolc^enveia.
1891 S. 196 läast das ganze Werk aus 4
Bachern JiaxQißtti, 4 B. JiaXe^CK und 4 B.
'OfÄiXiai bestehen.
«) Vgl. Anab. V 14, 5; VI 2, 4. - Hanpfc-
untersuchung von Alf. Sohöhb, De reram
Alexandri Magni scriptoribns, inprimis Arriani
et Plutarchi fontibus, Lips. 1870; FbItikku,
Die Quellen der Alexanderhistoriker, BresL
1883; LuBDBCKB, De fontibus quibus nsos
ArrianuB Anabasin conscripseiit, Leips. Stad.
XI 1--86; ScHWABTz in Pauly-Wissow» n
1237 ff. Schöne stellt die paradoxe Meimutg
auf, dass Arrian den Ptolemaios und Arisfca-
B a) BOmiaehe Periode vor Konstantin, d. Die Prosa, d) Arrian. (§ 487.) 671
zelnen Stellen auch den Nearch, Elitarch, Megasthenes und Hieronymos
heran; die blosse Legende {tcc keyofxera) scheidet er, wenn er sie über-
haupt anzuführen der Mühe wert hielt, von dem, was ihm durch jene
Gewährsmänner feststand. Mit Selbstvertrauen verweist er denjenigen,
der sich wundere, wie er nach so bedeutenden Autoren eine neue Ge-
schichte Alexanders zu schreiben habe unternehmen können, auf die Lek-
türe des Werkes selbst. Ganz befriedigt wird es aber schwerlich jemand
aus der Hand legen; in der Zeichnung Alexanders ist der Verfasser zu
nachsichtig gegen dessen tyrannische Natur gewesen; in dem Glauben an
Vorzeichen und Wunder übertrifft er noch die Leichtgläubigkeit Xeno-
phons. Im übrigen hängt das ganze Unternehmen des Arrian eine Ge-
schichte Alexanders zu schreiben, mit dem Alexanderkultus der Sophisten-
zeit zusammen, der auch in dem Namen des Kaisers Alexander Severus
einen Ausdruck gefunden hat.i) — Der Anabasis schliesst sich die
7t'rfixi; in ionischem Dialekte an, deren Abfassung Arrian, schon zur Zeit,
als er die Anabasis schrieb, plante.^) Das Buch ist mehr geographischen
als historischen Inhaltes; den Stoff dazu bot dem Verfasser das Studium
der Alexandergeschichte. Neben den dort benutzten Autoren war ihm hier
noch besonders Eratosthenes zur Hand. Die gekünstelte Form des io-
nischen Dialekts ist aus der modischen Sucht der Herodotnachahmung ent-
standen. Beide Schriften hat Arrian im gereiften Alter in den Jahren
166 und 168 verfasst,^) also später als die nachher zu besprechenden
Bücher über Taktik und über die Beschiffung des schwarzen Meeres.
Verloren gegangen ist bis auf einzelne Bruchstücke die Geschichte
nach Alexander (ra /i€T' 'Akä^ardQor in 10 B.); ein Auszug derselben
steht bei Photios cod. 92.*) Geschrieben hatte ausserdem Arrian Lebens-
beschreibungen des Timoleon und Dion,**) ein Geschichte Bithyniens (Ä-
&vi%axd in 8 B.) von den mythischen Zeiten bis auf den letzten König
Bithyniens Nikomedes III (gest. 85 v. Chr.), «) eine Darstellung der Par-
therkriege unter Trajan {IlaQ&ixa in 17 B.).') Aber alle diese Werke sind
untergegangen. Dagegen von seiner Geschichte der Alanen {'AXavixrj bei
Photios cod. 58) ist ein kleiner Abschnitt, betitelt Aufmarsch der römischen
boloe nicht selbst, sondern nur Ueberarbei-
tnngen derselben gelesen habe. Den Gegen-
satz KU Arrian in der Auswahl der Quellen
bildet Plutarch im Leben Alexanders.
1) ESne Alexandergeschichte schrieb auch
AmyntianoB und eine Alexandrias dichteten
Arrianos und Soterichos.
*) Anab. V 5, 1 : vtibq 'IvSvjy idiif /äol
*) Ans Lukian, gegen den Anab. VII 30, 1
gerichtet ist, nachgewiesen von Nissen, Rh.
M. 43» 242 ff., der eine Herausgabe der Ana-
basis in 2 Teilen, 6. 1—3 und B. 4—7, wahr-
Bcfaeiidich macht.
^) Der Auszug, der uns f&r die ver-
lorenen Werke der Diadochengeschichte Er-
satz bieten muss, umfasst nur 2 Jahre und
briekt mitten ia den Eriegsvorbereitungen
des Antipater gegen Eumenes ab, woraus ich
Bchüesse, dass das Werk mehr als 10 B.
hatte und dass dasselbe dem Photios nicht
mehr voUständig vorlag. Hanptquelle des
Arrian war hier Hieronymos von Kardia. —
Ausser dem Auszug hat neuestens ein grös-
seres Fragment im cod. rescr. Vatic. gr. 495
entdeckt und publiziert Reitzenstein, Arriani
nßp /4ST* 'jXe^tydgoy libri septimi fragm., in
Breslauer Philol. Abh. HI 3. Den Arrian selbst
hat später Herennius Dexippus verarbeitet.
^) Es waren dieselben nach Phot. p. 73 b
vor den Bithyniaka geschrieben. Nach Lu-
kian Alex. 2 schrieb er auch das Leben des
Räubers Tilliboros.
•) Darüber Phot. cod. 93; die Bithyniaka
sind nach demselben Photios vor der Ana-
basis geschrieben.
' I Notiz darüber bei Phot. cod. 58 ; ge-
schrieben waren die Parthika vor der Ana-
basis; vgl. Nissen Rh. M. 43, 249 f.
672 Grieohiseho littaratiirgeschioliie. EL VachUftMisclie littoratar.
Truppen gegen die Alanen {ixta^ig xat' UXav£v), auf uns gekommeiL
Derselbe ist trotz seiner Kürze von grosser Wichtigkeit f&r unsere Kenntnis
der Militarverhältnisse jener Zeit, da er von den Legionen und Truppen-
teilen, die damals in Asien ihr Standquartier hatten, genaue Angaben entr
hält. Wahrscheinlich hing das ganze Buch Ulanxtj, geradeso wie der gleich
zu erwähnende Periplus, mit der praktischen Thätigkeit unseres Autors
zusammen und war zunächst dazu bestimmt, über die zum Schutze der
römischen Provinz gegen die drohende Invasion der Alanen ergriffenen
Massregeln Bericht zu erstatten. — Fragmente der verloren gegangenen
historischen Werke des Arrian bei Müller FHG. m 586—601.
Von geographischen Werken des Arrian hat sich ausser der be-
reits erwähnten 'ivdtxn] ein Periplus des Pontus euxinus erhalten.
In demselben erstattet der militärische Autor an den Kaiser Hadrian
Bericht über die Befahrung der Küste des schwarzen Meeres, die er als
kaiserlicher Legat im Jahre 131 vorgenommen hatte. — Mit diesem
Periplus des schwärzen Meeres war seit alters^) wegen des verwandten
Inhaltes verbunden ein Periplus des roten Meeres (nBQij^lovq ir*^
igv^Qog ^aläirr^^), der die Fahrt durch das rote Meer um Sudarabien
herum nach Vorderindien bis zum Kap Komorin beschreibt und anhangs-
weise auch noch über Ostindien, den Ganges und die ferneren Lander
Asiens vom Hörensagen berichtet. Aber dieser Periplus hat einen ganz
anderen, merkantilen Charakter, weshalb besonders auf die Häfen, in
denen die Kaufschiffe anlegen konnten, und die Pflanzen und Waren, die
an den einzelnen Orten zu kaufen waren, Rücksicht genommen ist. Auch
weicht die einförmige, vulgäre Sprache stark von dem eleganten Atticis-
mus des echten Arrian ab. Geschrieben ist derselbe von einem ägyp-
tischen Kaufinann zur Zeit des älteren Pünius, noch vor Herausgabe von
dessen Naturgeschichte im Jahre 77.')
Auch eine Taktik (rc/rr^ Taxr^xQ des Arrian ist uns erhalten;
dieselbe ist geschrieben im Jahre 136 im 20. Regierungsjahr des Kaisers
Hadrian (c. 44) und berührt sich im ersten Teil infolge der gleichen Be-
nutzung des Asklepiodotos vielfach mit der unter Trajan verfassten Taktik
eines gewissen Aelian. Das Büchlein besteht nämlich aus zwei locker
zusammenhängenden Teilen, von denen der erste die Taktik der Griechen
und Makedonier, der zweite die Reiterparaden nach der Reform des
Kaisers Hadrian zum Gegenstand hat Köchly hatte auf dieses Verhältnis die
Vermutung gebaut, dass infolge des Ausfalls eines Blattes ein späterer
Schreiber die zwei von verschiedenen Verfassern herrührenden Traktate
unter einem Namen zusammengefasst habe.')
Endlich schrieb unser Arrian auch eine Schrift von der Jagd {xv%%-
/^rixdc), worin er eine Ergänzung zu der gleichnamigen Schrift des Xeno»
M ScLon der Heidelberger Cod. 39S über- *) R. Föbstkr Herrn. 12, 426 ff. gegen
schreibt ihn 'Jgo:tt»ov, Köchlt, De librb tactidB qni Arriani et
^) Dieses ist erwiesen von Diluiask Aeliani fenmtnr, Turid 1851 ; ebenso G. Habt-
Monatsb. d. Berl. Ak. 1ST9 S. 413 ff. und weiter makk, Ueber die Taktik des Anian, IVogr.
aosgeführt von B. Fjlbucics in der Knleitong Bambeig 1895.
seiner Ausgabe. £. Glasss Aasland 1S9L io f.
Ba)BOmi8oh6 Periode vor Eonstantiii. 8. Die Prosa, d) Appian. (§488.) 673
phon liefern wollte. Die Schrift ist in Athen verfasst (I, 4) und gehört
somit der späteren Periode der SchriftsteUerei des Arrian an.
In der Schreibart folgte Arrian der Richtung der Grammatiker und
Rhetoren seiner Zeit, welche die Rückkehr von den metapherreichen
Schnörkeln der Asianer und den Nachlässigkeiten der Vulgärsprache zur
Korrektheit und Einfachheit der alten klassischen Muster predigten.
Durch deren Bemühungen lebte allerdings wieder die Schönheit der
attischen Sprache auf; aber die Reaktion gegen die seit Polybios herr-
schende gemeingriechische Sprache (xoivrj) hatte auch ihre Schattenseiten ;
sie war eine gekünstelte und gewaltsame, sie störte den natürlichen Oang
der Dinge und bewirkte eine unnatürliche Entfremdung der Sprache der
Gebildeten von der des Volkes, an der noch heutzutage die Entwicklung
der hellenischen Nation und Sprache leidet. Arrian gehörte mit Lukian
und Cassius Dion zu denjenigen, welchen die künstliche Wiederbelebung
der alten Sprache am besten gelang ; aber auch ihm kamen unwillkürlich
Fehler gegen den attischen Gebrauch der Modi und der Präpositionen in
die Feder, welche erst die schärfere Beobachtung der modernen Sprach-
forscher aufgedeckt hat. In einer Einzelheit, in dem Streben nach Ver-
meidung des Hiatus liess sich Arrian nicht von peinlichen Schulregeln
leiten ; er bewegte sich in dieser Beziehung freier als Polybios und selbst
auch als Plutarch. Im allgemeinen war unserem Arrian auch im Sprach-
gebrauch Hauptvorbild Xenophon; daneben galten ihm Thukydides und
Herodot als Muster; den letzten ahmte er in der Indike auch im Dia-
lekt nach.^)
Codices f&r Anab. n. Ind. Paris. 1753 u. 1683, fttr Cjneg. u. Peripl. Palat 398, für
Tad Q. Alan. Lanr. 55, 4, fttr Epict. Bodl. 251. Kritischer Apparat in der Gesamtausgabe
▼on DüBKER tt. C. MÜLLEB, Par. 1846, and von Hbrchbr, Arriani scripta min. der Bibl. Teubn.,
neabeaorgt von Eberhard. — Spezialausgabe der Anabasis von KrOobb, Berl. 1835—48,
2 vol. (ed. min. in osnm schol. 1851); erkl&rende Aasgabe mit Karte von SiifTENis bei Weid-
mann, von Abicht bei Teubner. - - Epicteteae phUosophiae monomenta ed. Schwbiohausbr,
LipB. 1799, 5 vol.; neabearbeitet anter dem Titel Epictetas von Schenel. — Geographica
in MOllbb G6M I 257—401. — Der Periplus des erythrfiischen Meeres von Fabricios,
Leips. 1888.
488. Appian') aus Alexandria kam unter Hadrian nach Rom, wo
er anfangs als Sachwalter auftrat, bis er durch Yermittelung seines
Freundes Fronte') die ansehnliche Stellung eines Prokurators, man weiss
nicht ob in Ägypten oder sonstwo, erhielt. Sein Qeschichtswerk 'Pcofia'ixd
schrieb er in der Müsse des Alters um 160 n. Chr. Dass wir keine be-
stimmtere Angabe machen können, daran ist er selbst schuld, da er in
seiner Abneigung gegen Zahlen im Proömium seines Werkes nur sagt,
^) Rbhz, Arrianns qnaienas imitator Xeno-
phontis Bit, Rostock 1879; E. Mbyrr, De
Arriano Thncydideo, Rostock 1877; Grund-
XAiTN, Quid in elocatione Arriani Herodoto
debeatnr, Berl. Stad. 11 177-268; BGbner, De
Arriani dicendi genere, in Acta sem. Erlang.
IV 1—57. Vgl. ScHEHKL Jahrb. d. Alt. XI 1,
180 «F.
*) Phot. cod. 57; Suidas unt *^7i;i*ai'oV.
Appian, Prooem. 15: tcV ^^ for lavta awi--
Baodbncb der ktaM. AltertnnMiwteenflchaft. YU. 3. Aufl. 43
ygaiff tt, noXXoi fjikv %aaai xorc avxog nQoifpfjvay
aatfiaxBQov d^sineiy 'Annittvog UXe^ayd^evs
ig T« TTQtota ijxcDy iy xg nttXQi&i^ xal dixttig
iy 'Pw|U5 avyayoQBvaas inl xaty ßtt<nXi(oy
<^J&Qiayov xttl 'j4yxtoylyov>, fiexQi fie afpdSy
initQoneveiy ij^ltoaay.
') Fronte ep. ad Antonin. 9 ; griechischer
Briefwechsel des Appian and Fronte bei
Fronto ed. Naber p. 244—251.
674
GrieohiBohe Litteratnrgeschiohte. 11. NaohklaMisohe Lüterator.
dass das römische Reich nunmehr bei 900, und die Eaiserherrschaft bei
200 Jahre bestehe. *) Das Werk hatte 24 B., scheint aber vom Verfasser
nicht zum beabsichtigten Abschluss gebracht worden zu sein, da er an
drei Stellen (Bell. civ. II 18. V 65, Syr. 51) eine UaQ&ixrj y^^t] in Aus-
sicht stellt, die schwerlich ein eigenes Werk bilden, sondern in dem
letzten Teil der "^PayfjLaixa neben den Jaxixd Platz haben sollte. Die in
unseren Handschriften an die Sv^iaxr; angehängte Haqd-^xiq ist, wie Xy-
lander und Perizonius erkannt, ein Machwerk des byzantinischen Mittel-
alters, aus den einschlägigen Partien des Plutarch mühsam zusammen-
geschrieben. Die Anlage des Werkes, über die sich der Autor im Pro5-
mium ausführlich äussert, ist einem selbständigen und guten Gedanken
entsprungen. Appian hatte eingesehen, dass durch die annalistische Me-
thode seiner Vorgänger das Zusammengehörige vielfach zerrissen werde,
und suchte daher nach einer besseren Gruppierung der Ereignisse; diese
fand er in dem Gedanken einer Darstellung, wie die einzelnen Teile des
römischen Weltreiches allmählich zum Reiche gekommen seien. Seine
'PcofAaixd bestanden daher ähnlich wie die Historien des Ephoros, den er
sich zum Vorbild nahm, aus einzelnen Spezialgeschichten mit besonderen
Titeln. Sie umfassten die ganze römische Geschichte bis auf die Gegen-
wart, da das 1. B. die Königszeit, die zwei letzten die ünternehrauiigen
Traians gegen die Geten und Araber enthielten. Vollständig auf uns ge-
kommen sind von dem vielgliedrigen Werke nur die ^IßrjQixrj (B. 6 des
Gesamtwerkes), 'Avvißaixr; (B. 7), ^ißvxrj (B. 8), Svgiaxi] (B. 11), JMi-
&Qi6aT€iog (B. 12), 'IUvqixtj (2. Teil von B. 9), "Efitfvha (Bürgerkriege)
in 5 Büchern (B. 13 — 17). Ausserdem haben wir noch die Einleitung
zum Keltenbuch (B. 4) und umfangreiche Fragmente des Abschnitts über
Makedonien (B. 9). Alle Teile haben wesentlich nur ein stoffliches Inter-
esse; kritische Genauigkeit ging über den Horizont Appians; selbst in
allbekannten geographischen Dingen, wie über den Lauf des Ibems
(Iber. c. 6), Hess er sich grosse Irrtümer zu schulden kommen. Seine
Darstellung erhebt sich nirgends zu höherem Schwung, sein Stil bewegt
sich in dem Alltagston der gewöhnlichen Rede und verrät in den Latinis-
men die Abhängigkeit von den lateinischen Quellen. Gleichwohl ist
Appian als geschichtliche Quelle von grosser Bedeutung, da er namentlich
in dem Abschnitt von den Bürgerkriegen seine alte und gute Vorlage
ausführlich wiedergegeben und auch in der älteren römischen Geschichte
eigene Quellen neben Dionysios und der Epitome des Livius, benutzt hat
So sind durch ihn wertvolle Partien der Annalen des Yalerius Antias
und der Bürgerkriege des Asinius PoUio, freilich untermischt mit roman-
haften Geschichtsfalschungen, auf uns gekommen.^)
Ausgabe von Schwbiohäuseb, Lips. 1785, 3 vol. — Kritische Ausgabe von Mkhdels-
80HN, in Bibl. Teubn., 2 vol.; der Text beruht hauptsächlich auf Vat. 141. — Kratt, DeÄp;
piani elocutione, Baden 1886. — Götzelbr, Quaestiones in Appiani et Polybii dicendi
genus. Würzb. 1890. — Weitere Litteratur bei Schenkl, Jahrb. d. Alt. XI 1, 170—80.
*) Prooem. c. 7 u. 9.
*) Wachsmüth Einleit. 604f.; Sohwabtz
in Pauly-Wissowa II 216 flf., wo auf die
ebenso ausgedehnte wie wenig glatte Resul-
tate liefernde Quellenlitteratur im einzelneo
eingegangen ist.
Ba)B5mMoh6 Periode vor Konstantin. 8. Die Prosa, d) Dion. (§489.) 675
489. Dion (um 150 bis um 235)/) mit dem vollständigen Namen
Cassius Dio (nicht Dio Cassius) Cocceianus,^) der bedeutendste griechische
Historiker der Eaiserzeit, stammte aus einer vornehmen Beamtenfamilie
von Nikäa in Bithynien. Grossvater von mütterlicher Seite war der be-
rühmte Redner Dion Chrysostomos ; sein Vater Apronianus bekleidete unter
M. Aurel die Statthalterschaft von Dalmatien und von Eilikien.^) Er selbst
kam 180, zu Beginn der Regierung des Kaisers Commodus, nach Rom und
stieg auf der Beamtenleiter bis zum Prätor (193)*) und zweimaligen Kon-
sul empor. Unter Macrinus im Jahre 218 erhielt er die Aufgabe, die Ver-
hältnisse von Pergamon und anderer Teile der Provinz Asia zu regeln;^)
nach dem Regierungsantritt seines Hauptgönners, des Kaisers Alexander
Severus, ward er als Prokonsul in die Provinz Afrika und später nach Dal-
matien und Oberpannonien abgeordnet.^) Nach seinem zweiten Konsulat
(229),^) das er gemeinsam mit dem Kaiser verwaltete, zog er sich, an-
geblich wegen Kränklichkeit,®) von den Staatsgeschäften zurück und ver-
brachte den Rest seines Lebens in seiner Heimat.
Zur Geschichtschreibung entschloss sich Dion schon in den vierziger
Jahren seines Lebens. Nach seinen eigenen Mitteilungen (72, 23) trat
er zuerst mit einer Schrift über die Träume und Wahrzeichen, durch
die Severus den Kaiserthron erhoffte,^) hervor und Uess sich dann,
als er auf die Widmung eine freundliche und aufmunternde Antwort
von Severus erhalten hatte, durch die Stimme seines Innern, des Dai-
monion wie er sagt, bestimmen, die Geschichte des Kaisers Commodus
zu schreiben. Da er mit dieser den ausnehmenden Beifall des Kaisers
Septimius Severus fand, fasste er den Plan einer allgemeinen römischen
Oeschichte. Er zog sich deshalb, so oft es ihm seine amtlichen Geschäfte
erlaubten, in die Stille von Kapua zurück, um dort den Vorbereitungen
und der Ausführung seines grossen Unternehmens zu leben. ^o) 10 Jahre
(201—210) verwandte er auf die Sammlung des Materials; in den nach-
folgenden zwölf Jahren (211—228) kam er mit der Ausarbeitung bis zum
72. Buche; den Rest muss er unter Alexander Severus vollendet haben.
Von den beiden anderen Schriften, welche Suidas ihm beilegt, wird die
Geschichte des Traian (ra xard Tgaiavor) nur ein getrennt ausgegebener
Teil der römischen Geschichte und die Biographie seines Landsmannes
Arrian eine Jugendarbeit oder eine nebenbei geschriebene Gelegenheits-
schrift gewesen sein. — Die jPwjwaixiJ tarogia hatte 80 Bücher und um-
fasste die ganze römische Geschichte von der Ankunft des Aeneas bis
zum Jahre 229. Erhalten sind uns von dem grossen, in Dekaden und
Pentaden zerfallenden Werk die Bücher 36—60, welche die Geschichte
*) Phot. cod. 71; Suidas unt. Jitay;' die-
Hauptangaben enthalten die Bttcher des Dion
selbst. Einzeilitteratar bei SchIfeb, Qaeilen-
kunde IP 150 ff.; Gütschmid Kl. Sehr. V
547-62.
*) Cocceianus hiess er mit Rücksicht auf
seinen Grossvater Dion Chiysostomos, der
sich zu Ehren seines Gönners Cocceius Nerva
jenes Cognomen beigelegt hatte.
») Dio 49,36; 69,1; 72,7.
*) Dio 78, 12.
5) Dio 79, 7.
•) Dio 80, 1 u. 4.
') Dio 80, 4 u. CIL m 5587; das 1. Kon-
sulatsjahr fiel in das J. 222 oder 228.
^) Dio 80, 4: nodoSy dqqtoatiff.
*) Es ist das wohl dieselbe, die Suidas
unter dem Namen ivo^ia aufzählt.
*®) Dio 76, 2: Kanvrjyj iy p, oadxtg dy
iy xft 'ItaXit^ oixai, diäyiOy , , . IV« c^^^V^
dno ruiy daitxdiy JiQayfidxfoy dyaty ravra
yod^cum.
48*
676
Grieohisohe LitteratnrgMohiohte. IL Naohklaasüiolie Liiteraiiir.
von 68 y. Chr. bis 47 n. Chr. enthalten, also gerade derjenigen Zeit, in
welcher sich die wichtigsten politischen Umgestaltungen vollzogen und
über die uns zeitgenössische Geschichtschreiber abgehen. Für die folgende
Zeit sind wir auf den Auszug des Joannes Xiphilinos angewiesen, der
im 11. Jahrhundert eine Epitome der römischen Geschichte des Dion vom
36. Buche an verfasste,^) in seiner Vorlage aber bereits bei Buch 70 eine
grosse Lücke vorfand, durch welche die Regierung des Antoninus Pius
und die ersten Regierungsjahre des Marc Aurel bis zum Jahre 172 aus-
gefallen sind. Nur die Bücher 78 und 79 sind uns noch in fortlaufendem
Texte, wenn auch vorn und hinten verstümmelt, auf zwölf Pergament-
blättem des Cod. Yatic. 1288 erhalten. Für die ältere Zeit bietet teii-
weisen Ersatz der byzantinische Geschichtschreiber Zonaras (12. Jahrb.),
welcher in seiner imvofxr taxoqiwv die römische Geschichte wesentlich
nach Dion erzählt. Zahlreiche und, was von besonderem Werte, unbe-
schnittene Reste enthält das konstantinische Exzerptenwerk. Endlich
gehen die Epitomatoren des Mittelalters in ihren Erzählungen aus der
römischen Geschichte zum grössten Teil direkt oder indirekt auf unseren
Dion zurück.*)
Auch von dem Werke des Dion liegt der Hauptwert in der stofflieben
Seite; er liefert die reichhaltigste und umfangreichste Darstellung der
römischen Geschichte und ist namentlich für die Eaiserzeit und teilweise
auch für die Zeit des Niedergangs der römischen Republik eine Quelle
ersten Ranges.') Seine Geschichte interessiert nicht bloss den Historiker,
sondern auch den Erklärer Cäsars, Ciceros, Horaz' : aus ihm lernt er den
gallischen Krieg von einer anderen Seite kennen, erfährt er die Gegen-
rede des Antonius auf die Philippica des Cicero, wird er über den ge-
schichtlichen Hintergrund der Verse des venusinischen Dichters unte^
richtet. Aber der Inhalt ist es doch nicht allein, was uns das Studium
Dions wertvoll macht; der Verfasser besitzt auch ein grosses Talent an-
schaulicher Schilderung und lebensvoller, von militärischer und politischer
Sachkenntnis zeugenden Darstellung;^) an seinem Stil erkennt man die
reife Frucht der attikistischen Studien der Sophistenzeit: er ist kein
affektierter Nachahmer, aber in Syntax und Wortbildung ist er rar
Korrektheit und Schönheit der guten Zeit zurückgekehrt; selbst ganze
^) Zum Teil fllgte Xiphilinos auch Eigenes
aus anderen Quellen zu, wie 71, 9 in der Er-
zählung von dem wunderbaren, augeblich
durch die christliche Schaar des rtiyfjia x€-
gavyoßoÄoy herabgeflehten Regen, durch den
im Quadenkrieg 174 n. Chr. das Heer des
Marc Aurel gerettet wurde.
') Dieses gilt nicht bloss von Xiphilinos
und Zonaras. sondern auch von Leo gramma-
ticus, den Salmaaischen Exzerpten (Crameb,
An. Par. t. II), dem Anonymus Tiegl avyzti^etas
(Bbkkeb, An. gl-. 117 fif.), den Eklogen eines
byzantinischen Grammatikers in Cod. Paris,
suppl. 607 (publiziert von Treu, Ohlau Progr.
1880), den Pianudeischen Exzeipten (mitge-
teilt von Haupt Herm. 14, 36 ff. u. 431 ff.).
Vgl, SoTiKiADKS, Zur Kritik des loannes von
Antiochia, Jahrb. f. Phü. Suppl. XVL
') In den Bürgerkriegen haben wir an
Appian eine bessere Quelle, wie insbesondere
SA^LBER, Dio CassiuB Ober die letzten Efimpfe
gegen Sextus Pompeius ( Abb. zu Ehren Chiuts
1891 S. 211 ff.) durch Vergleichung von Dio
40, 1-10 und Appian bell. dv. V 104-122
nachweist.
*) So ist f&r die kaiserl. Staatsordmui
einzig wichtig die Programmrede, welche
Dion 42, 14—40 dem Mäcen in den MoiMi
legt, die sich aber auch auf InstitntioDeD
späterer Zeit bezieht und daher nicht eine
wirkliche Rede des Mäcen wiedergibt, wo-
rüber P. Meysr, De Maecenatis onUtooe •
Dione ficta, 1891.
Ba) ROmiBohe Periode vor Konstantin. 8. Die Prosa, d) Herodian. (§ 490.) 677
Sätze hat er aus seinen attischen Vorbildern in seine Darstellung
herübergenommen.i) Den Thukydides, der ihm hauptsächliches Vorbild
war,*) hat er zwar nicht erreicht, aber er ist ihm doch in der Gedrängt-
heit der Darstellung, in der Sachlichkeit der Berichte, in dem Gedanken-
reichtum der Reden und Staatsdokumente nahe gekommen. Auf der andern
Seite erkennt man den Verfall der alten Kunst und ürteilsgradheit auch
bei Dion an der abergläubischen Beobachtung von Wundern und Wahr-
sagungen, an der sittlichen Laxheit, mit welcher er die despotischen Will-
kürakte der Kaiser ohne ein Wort des Tadels hinnimmt, endlich an dem
Mangel psychologischen Verständnisses in der Schilderung der handelnden
Personen. Von dem Freimut und der aufflammenden Entrüstung des
Tacitus ist vollends bei Dion keine Spur; selbst dem Byzantiner Xiphilinos
war manchmal bei seinem Autor die unterwürfige Verleugnung des Mannes-
mutes zu arg.
Cod. MediceoB 70, 8; MarciannB 395. Nähered Boisseyain, De codicibuB Dionis, Mnem.
XIII 811—45 und AnBgabe.
Hauptausgaben von Rbiiiabub, Hamburg 1750—2, 2 vol. foL; yon Ihm. Bbkkbb, Lips.
1849, 2 vol.; com not. var. von Dindokf, Lips. 1863 — 5, 4 vol. Neue Ausgabe mit kritischem
Apparat von Mblber in Bibl. Tenbn.; von Boissbvain, Berlin seit 1895.
49U. Herodian') aus Syrien, verschieden von dem Grammatiker
Herodian, gehört dem 3. Jahrhundert an und hat sich wie Arrian und Dion
in praktischer Amtsthätigkeit Kenntnis der von ihm erzählten Zeitgeschichte
erworben; aber eine hervorragende Stellung im Staate nahm er nicht ein;
er spricht nur von kaiserlichen und öflfentlichen Diensten {vnrjQeaCai ßaai-
Xixai xai irjfjiociat I 2, 5), die er bekleidet habe; ihn mit dem Ti. Claudius
Herodianus legatus provinciae Sicäiae (Inscr. lat. 5604 bei Orelli-Henzen)
zu identifizieren, sind wir nicht berechtigt. Sein Geschichtswerk TV;g fiaTcc
Mdgxov ßaaileiag tanoQiat in 8 B. umfasst die 59 Jahre von dem Tode
Marc. Aureis bis zum Regierungsantritt Gordian's lU (180—238)*) und
erzählt in redseliger Breite und unter ständigen Reflexionen jene traurige
Zeit der Palastrevolutionen und Militärdiktaturen. Ganz in der Betrach-
tung des äusseren Ganges der Eaisergeschichte aufgehend, hat er kein
Auge für die innere Entwicklung und die sozialen Bewegungen, so dass
wir z. B. von dem Umsichgreifen des Christentums und von der Ausdeh-
nung des römischen Bürgerrechtes unter Caracalla durch ihn nichts er-
fahren. Er legt^ wohl durchweg die Gesinnung eines ehrenvollen Mannes,
der die Tugend achtet und die Treulosigkeit verabscheut, an den Tag, aber
es mangelt ihm ganz und gar der tiefere Blick, der mitten in der Fäulnis
der herrschenden Klassen die Anzeichen einer nahenden besseren Zeit
erkennt. Überdies verabsäumt er in seiner Vorliebe für glatte Erzählung
und rhetorische Ausschmückung die Genauigkeit in der Ermittelung der
*) Dass dieses Streben der Nachahmung
natörUch die historische Treue bedeutend
schmälerte, wird klargelegt von Mblber in
dem oben citierten Aufsatz ; femer in Comment.
Woelfflin. 290 ff., üeber die Seeschlacht gegen
die Yeneter; im Progr. des Max-Gymn. Mfln-
eben 1891, üeber die Darstellung des galli-
schen Kriegs Gäsars.
') Lisch, De Cassio Dione Thucydidis
imitatore, 1898.
') Phoi cod. 93; Eritutzbr, De Herodiano
remm Bom. scriptore, Bonn. Diss. 1881.
^) Nach II 15, 7 hatte er beabsichtigt die
Geschichte von 70 Jahren zu schreiben, so
dass, wenn kein Irrtum in den Zahlen vor-
liegt (in der Einleitung 11,5 spricht er nur
von 60 Jahren), sein uns erhaltenes Werk un-
Yollstftndig ist.
678
Qrieohische Lttteratargesohiolita. II. Naohklacwisohe Litteratiir.
Thatsachen, so dass er überall, wo wir ihn durch die genaue und inhalt-
reiche Darstellung des Dio oder Lampridius kontrollieren können, den
kürzeren zieht. Nur in den beiden letzten Büchern zeigt er mehr Sinn
für historische Kritik und ist so namentlich für die richtige Beurteilung
des von den Römern verachteten Kaisers Maximin eine unentbehrliche
Quelle.^) In der nachfolgenden Zeit hat seine Geschichte viele Leser und
Nachahmer gefunden: die Scriptores historiae Augustae haben sie benutzt
und citiert, Joannes Antiochenus hat ganze Abschnitte aus ihr ausgezogen.
Herodian ist zuerst durch die lateinische Uehersetzung des Politianus (1493) be-
kannt geworden. — Erste kritische Ausgabe von Bekkeb 1826; Hauptansgabe mit kritischem
Apparat von Mendelssohn, Lips. 1883. — Ausgabe mit weitläufigem Kommentar von
Ibmisch, Lips. 1789, 5 vol. — Unbedeutend und des grossen Namens unwürdig ist die Aus-
gabe von F. A. Wolf, Balis 1792. — Sibvebs, üeber das Geschichtswerk des Herodian,
Philol. 36, 630 ff.; eine scharfe Kritik seiner Barstellung des Gommodus und Alexander
Sevems und Maximinus geben Zübchee und DIndlikbb in Büdingers Untersuchungen zur
römischen Kaisergeschichte 11 223- 263 u. III 205—315.
m
e) Chronographen und historische Sammler des 2. und 8. Jahrhunderts«
491. Was sonst unsere Periode an Historikern hervorgebracht hat,
gehört zum grössten Teil der Klasse der Chronographen, Lokalhistoriker
und Anekdotensammler an. Von den Chronographen oder Verfassern sum-
marischer Abrisse der Geschichte ist uns nichts vollständig erhalten, wes-
halb ich mich auf eine kurze Aufzählung der Namen und Bücher be-
schränken kann.
Phlegon aus Tralles,^) Freigelassener des Kaisers Hadrian,') schrieb
ein chronologisches Kompendium der Oeschichte von der 1. bis zur 229.
Olympiade in 16 B. Die Olympiaden waren nicht bloss der Erzählung
als chronologischer Leitfaden zugrund gelegt, es waren auch in der Aus-
führung die olympischen Spieler und die Sieger in den einzelnen Agonen
ausführlich behandelt. Von dem vielgelesenen Werke sind uns mehrere
Kapitel durch Photios und Synkellos erhalten. Vollständig sind seine
kleineren Schriften ttsqI &avfiaai(ov^) und ncQi fiaxQoßiiov^) auf uns ge-
kommen.«) Auch eine periegetische Schrift verfasste er negl vwv na^d
^Pcofxaioig Tonwv xai (ov inixäxXrjvrai 6vofiät(ov. Fragmente bei Müller
FHG III 602—624.
Kephalion, Rhetor und Historiker unter Hadrian, ahmte den Herodot
nach und schrieb in ionischem Dialekt navvo6anaX iüTOQiai bis auf Ale-
xander in neun nach den Musen benannten Büchern. Für den fabulierenden
Charakter des Buches zeugt ein Schreiben des Königs Priamus an den
assyrischen König Teutamus; gleichwohl fand dasselbe bei den Späteren,
wie dem Rhetor Sopater und dem Kirchenvater Eusebius, gläubige Leser.
Fragmente bei Müller FHG HI 626—631.
^) DIndukeb, Die drei letzten Bücher
Herodiana in Büdingers Untersachnngen znr
römischen Kaisergeschichte III 281.
*) Wacusmuth Einleit. 104-7.
') Nach Suidas gaben ihn andere irrtüm-
lich für einen Freigelassenen des Augustus aus.
^) Dieselben sind aufgenommen inWESTEB-
jcAiTNB Paradozogr. gr. p. 197 ff.; aus dem I.Ka-
pitel entnahm Goethe den Stoff zu seiner
Braut von Korinth.
'^) Dieselbe ist eine dürre AuficShlung der
Leute, welche über 100 Jahre alt geworden
waren, nach den Censuslisten ; tLbexdieVer-
wandtischaft des Büchleins mit dem gleich-
betitelten des Ps. Lukian s. § 541.
^) Suidas führt von Phlegon noch an:
io^xwiy.
Ba) SönÜBohe Periode vor EonBtaiitiii. 3. Die Prosa, e) Chronographen. (§ 491.) 679
Amyntianos war Verfasser einer an Antoninus Pius gerichteten
Geschichte Alexanders d. Gr., über die Photios Cod. 131 in abfalliger
Weise berichtet. Ein Bruchstück derselben glaubt Papadopulos-Kerameus
in dem Fragment einer Handschrift von Saba Über die Thaten Ale-
xanders d. Gr. von der Schlacht am Granikus bis zu der von Arbela (ab-
gedruckt von Reinach, Revue des ^tudes grecques V (1892) 306—26)
entdeckt zu haben. ^) — Amyntianos hatte nach Photios auch Bio% naqdl'
Xr]Xoi, wie des Dionysios und Domitian, des Philippos und Augustus, ge-
schrieben. In den Schollen zu Pindar Ol. 3, 52 wird von ihm auch eine
Schrift über Elephanten angeführt.
Charax, Priester und Philosoph aus Pergamon, über dessen Zeit
schon Suidas nichts Bestimmtes wusste, wird von Müller FHG III 636 mit
dem Charax bei M. Aurel VIII 25 identifiziert. Derselbe war Verfasser
von ^Ellrjnxä, welche besonders eingehend die mythische Zeit behandelten
und häufig von Stephanos Byz. sowie von den Byzantinern Lydos und
Eustathios angeführt werden. Fragmente bei Müller FHG III 636—645.
Dexippos (um 210 — 273), mit vollem Namen 11. ^Egävnog Jä^mnog
UroXsfAahv Egfieiog,^) war eine der glänzendsten Gestalten des nieder-
gehenden Griechentums. Durch historische und rhetorische Studien viel-
seitig in Anspruch genommen, verabsäumte er doch nicht die Pflichten
des Bürgers. Er bekleidete die Ämter eines ccqx(ov ßaaiXevg und of^/cöv
endvvfiog in seiner Vaterstadt Athen, und als dieselbe im Jahre 267 von
den Goten schwer bedrängt wurde, wusste er durch beredte Worte seine
Mitbürger zur tapferen Gegenwehr zu entflammen. Schon zuvor hatten
ilrni die Bürger zum Lohn für seine Verdienste um die Stadt die höchsten
Ehren erwiesen und ihm ein Standbild gesetzt, dessen Basis mit der In-
schrift noch erhalten ist. Seine historischen Werke waren: Td fierd
'AXe'^avdqov in 4 B.,') 2xv&Md (von den Gotenkriegen im 3. Jahrhundert),
Xgovixd in 12 B. bis auf Kaiser Claudius 11 (270). Die gedrängte Dar-
stellung verschaffte seinen Werken grosse Verbreitung bei den Zeitgenossen
und Nachkommen. Von den Ghronika schrieb im 4. Jahrhundert Eunapios
eine Fortsetzung, in der er eingangs eine Charakteristik seines Vorgängers
gibt. — Verschieden von dem Historiker war der Philosoph Dexippos, der
nach seinen eigenen Worten in der Einleitung seines Kommentars zu den
Kategorien des Aristoteles nach dem Neuplatoniker lamblichos im 4. Jahr-
hundert lebte.
Fragmente bei Müllbb FHG III 666—687; Dindorp HGM I 165—200; Böhme, Dexippi
fragm., in Gomment. phil. len. II 1- 88. — Die ed. princ. des aristotelischen Kommentars
besorgte L. Spenoel, München 1859; eine neue Bearbeitung Busse in Gomment. in Arist.
t. IV 2, Beri. 1889.
^) Dagegen erklären sich Wachsmuth
finleit 576 und Rühl Jahrb. f. PhU. 1895
S. 557 flf.
') Ausser dem Artikel des Suidas be-
lehren uns Photios cod. 82 und mehrere In-
schriften, namentlich die grosse in Prosa und
Vers abgefasste Aufschrift seiner Ehrensftule
CIG 380 = CIA ni 716 - Kaibel, ep. gr.
I n. 878 und die kleineren Inschriften CIA in
714, 717, 70*^; s. Dittenbkrger, Die attische
Panathenaidenftra , in Comment. in hon.
Momms. 245-53, und Busse Herrn. 23 (1888)
S. 402-9.
*) Das Buch war wohl ein Auszug aus
dem gleidibetitelten Werke des Aman; be-
nutzt wurde es von Capitolinus und Zosimos.
680
Grieohisohe LiiteratlirgMohiohte. IL HaohklMsisohe LitUratnr*
492. Die Lokal- und Spezialgeschichte, die bei den Gelehrten
des alexandrinischen Zeitalters in besonderer Blüte gestanden war, fand
auch in unserer Zeit noch in den Kreisen der Grammatiker und Gelehrten
manche Liebhaber. Verfasser von Spezialgeschichten über Italien, Make-
donien, Böotien, Arkadien, Galatien, Afrika, zählt in Unmasse Ps. Plutarch
in dem Buche nsQi naQaXXrjhav elXrp^ixav xal ^oo/iai'xcov auf. Da aber die
Treue und Verlässigkeit jenes Schreibers sehr zweifelhaft ist, so übergehe
ich die Namen und Buchtitel jener Schrift und führe nur einige Lokal-
schriftsteller an, von denen wir sichere Kunde haben:
Hippostratos 6 xd negi Sixeh'ag y^vealoytav behandelte in seinen
SikeUka^) die ältere Geschichte Sikiliens und die in Sikilien zu Ansehen
und Herrschaft gelangten Geschlechter. Er war eine Hauptquelle der
Pindarscholiasten *) und gehörte vieUeicht noch der vorausgehenden Pe-
riode an, wenn anders die betreffenden Scholien (zu 0. 2, 8 u. 16; P. 6, 4;
N. 2, 1) auf Didymos zurückgehen. Jedenfalls lebte er vor Hadrian, da
Phlegon, Mirab. 30 eine Schrift über Minos von ihm citiert. Fragmente
bei Müller FHG m 432— 3. — Ein verwandtes Werk des Polemon, Über
die wunderbaren Flüsse Sikiliens, wird von Macrobius, Saturn. V 19 an-
geführt.*)
Memnon aus Heraklea, der sicher nach Cäsar, vermutlich in der
hadrianischen Zeit lebte, war Verfasser der gerühmten Spezialgeschichte
des pontischen Heraklea in mehr als 16 B. Wir kennen das Werk aus
dem Auszug, welchen Photios cod. 224 von den Büchern 9—16 (von 363 — 46
V. Chr.) gemacht hat.*)
Hermogenes, über dessen Lebenszeit keine bestimmte Anzeichen
vorliegen, schrieb eine Geschichte Phrygiens, die besonders die mythische
Vorgeschichte Phrygiens berücksichtigte. Fragmente bei Müller FHG HI
523 f.
Theagenes, der Makedonier verfasste Maxsiovixä^ die der Geograph
Stephanos Byz. eifrig benutzte, und ein Buch ncQi Myivrjg, das wir in den
Pindarscholien zu Nem. HI 21 citiert finden. Auszüge aus seinen Maxe-
dovixd naTQia nahm nach Photios bibl. 104 b 18 der Sophist Sopater in
sein Sammelwerk auf. Fragmente bei Müller FHG IV 509—511.
493. Von historischen Sammelschriften ist uns das Buch des
Polyän {UoXvanog) über Kriegslisten erhalten. Derselbe war gebürtig
aus Makedonien und blühte in Rom unter M. Aurelius und L. Vems. Diesen
Kaisern widmete er auch die bis auf eine Lücke im sechsten und am Ende
des siebenten Buches erhaltenen SrgaTrjyi^fiaTa in acht Büchern. Die
von Suidas erwähnten Schriften desselben Autors über Theben und über
Taktik sind spurlos verloren gegangen. In dem erhaltenen Werk gibt der
Verfasser mit der Feder mehr eines witzigen Rhetors **) als eines kritischen
Historikers oder erfahrenen Kriegsmannes eine Zusammenstellung von
900 Kriegslisten. Mit Vorliebe verweilt er bei Beispielen der griechischen
») Em 7. Buch angefahrt in Schol. Find.
0. 2, 8.
*) Ueberdies Schol. Theoer. 6, 40: tag ol
nB^l 'InnoctQaroy dvatpalvovc^v,
») Ueber den gleichfalls von Macrobius
angeführten Kallias s. § 887.
*) Vgl. MüLLKB FHG m 525.
') Im Prooeminm des 8. Backes sagt er
selber von sich: nqiHugiüu ßiov xai Xoymt
Ba)BO]iiisehe Periode vor Konstantin. 8. Die Prosa. f)Strabon. (§§ 492—494.) 681
Greschichte; des Lateins weniger kundig,*) hat er mit Schilderungen römi-
scher Kriegslisten nur einen Teil des achten Buches gefüllt. Die Ge-
schichte der letzten zwei Jahrhunderte seit Augustus ging bei ihm fast
ganz leer aus, wahrscheinlich weil hier dem rasch arbeitenden Jünger der
Sophistenschule keine leicht zugänglichen Vorlagen zu Gebote standen.
Der Anordnung des reichen Stoffes liegt kein klarer, konsequent festge-
haltener Plan zu grund, doch lassen sich immerhin für einzelne Bücher
leitende Gesichtspunkte erkennen. So hat er das vierte Buch ganz den
Kriegskünsten der Makedonier, seiner Landsleute, gewidmet; in dem
siebenten stehen die Strategemata der Barbaren, in dem ersten Teil des
achten (VUI 1 — 25) die der Römer, im zweiten die der Frauen, im sechsten
sind die Kriegslisten ganzer Volksstämme und Städte zusammengestellt.
Grosse Mühe hat dem Verfasser die Arbeit sicher nicht gekostet; er
scheint das Material wesentlich nur aus älteren Sammlungen und aus den
gangbarsten Universalgeschichten von Ephoros und Nikolaos zusammen-
gebracht zu haben ; wie weit er darüber hinaus auch die grossen Spezial-
werke der griechischen und sikilischen Geschichte einsah, ist strittig. Von
seiner Gedankenlosigkeit zeugen die zahlreichen Dubletten, indem er oft
eine Kriegslist, weil er sie in verschiedenen Quellen verschieden dargestellt
fand, für zwei ausgab ; bedenklich sind auch seine Verwechselungen gleich-
namiger, aber verschiedener Männer, wie des makedonischen Königs Per-
dikkas und des gleichnamigen Kampfgenossen Alexanders (IV 10). So
enthält das Werk, wie Niebuhr, Kl. Sehr. I 454 treffend bemerkte, einen
Schatz wichtiger Nachrichten, der zur Verwertung aber strenger Sichtung
bedarf.
Hauptcodex ist der Laurent 56, 1, der bekannte Taktikercodex; ausserdem eine
brauchbare Epitome in Laur. 55, 4. — Ausgabe mit Noten von Gasaübonus, LB. 1589.
Textesausgabe in Bibl. Teubn. von Wölfflin, neubearbeitet von Mblbeb. — Sorgfältige
Quellenunt^rsuchung von Melber, üeber Quellen und Wert der Strategemensammlung
Polyfina, Jahrb. f. Phil. Suppl. XIV 417—688; von Knott, De fide et fontibus Polyaeni, Lips.
1883, welch letzterer den Kreis der selbstgelesenen Quellenwerke des Polyftn aiif ein Mini-
mum reduziert.
f) Die Geographen«
494. Die Geographie ist wie keine andere Wissenschaft an die Hilfs-
mittel grosser Reiche gebunden. So lange die Griechen auf die engen
Grenzen ihrer Heimat angewiesen waren, konnte sich bei ihnen eine Erd-
kunde im grossen Stil nicht entwickeln. Dazu bot erst das Weltreich
Alexanders d. Gr. die nötigen Voraussetzungen und die Freigebigkeit der
Könige des Ptolemäerreiches die wünschenswerte Unterstützung. Noch
mehr aber kam in unserer Periode die Grösse des römischen Reiches, das
fast den ganzen damals bekannten Erdkreis umfasste, und die wohlorgani-
sierte Verwaltung desselben der Entwicklung der Erdkunde zugut. Zu-
nächst wurde durch römische Waffen der Zugang zu neuen Ländern er-
schlossen, so dass z. B. durch die Feldzüge Cäsars viel genauere Vorstel-
lungen über den Nordwesten Europas, insonderheit Galliens und Britanniens
^) Den lateinischen Verfasser von Kriegs-
listen, den Frontin, hat er nicht benatzt,
stimmt aber mit demselben vielfach ttberein;
anch Cäsars Kommentare des gallischen
Krieges sah er zu 8, 23 nicht ein.
682
Grieohisohe Idtteratargesohiohte. IL HaohUaMiaohe Littorainr.
verbreitet wurden als die alexandrinischen Gelehrten aus den Reiseberichten
des Pytheas gewinnen konnten. Sodann sorgte die Reichsverwaltung, wenn
auch zunächst nur in militärischer Absicht, für Anlage eines grossartigen
Strassennetzes und sorgfaltige Aufoahme der Seewege, teilweise auch schon
für genaue Vermessung einzelner Länder und Provinzen. Von besonderer
Wichtigkeit war die Herstellung einer grossen Reichskarte in der Säulen-
halle der Paula am Marsfeld, die Agrippa geplant und nach dessen Tode
(12 V. Chr.) der Kaiser Augustus zu Ende geführt hatte, i) Jedermann in
Rom konnte jetzt bequem beim Spazierengehen das Bild des Erdkreises
und der Reichsgrenzen sich einprägen. Aber wenn auch die Reichskarte
durch Römer und für Römer geschaffen war, so steUte doch Oriechenland
die geistigen Kräfte für alle diese Unternehmungen der Erderforschung
und Erdvermessung. Auch in der geographischen Litteratur behaupteten
die Griechen den unbestrittenen Vorrang. Waren ihre Leistungen in der
römischen Kaiserzeit auch nicht grösser als in der vorausgehenden Periode,
so haben sie doch jedenfalls für uns die grössere Bedeutung dadurch, dass
sie uns auch erhalten sind. Es bestehen aber die geographischen Denk-
male unserer Periode teils in allgemeinen Büchern über Erdkunde, teils
in Reisebeschreibungen zu Land und See, sogenannten Periegesen und
Periplen ; sie wollen wir der Reihe nach durchgehen, und zwar in der Art,
dass wir auch hier die übrige litterarische Thätigkeit der einzelnen Autoren
zugleich mitbesprechen.
495. Strabon (um 64 v. Chr. bis 19 n. Chr.)») hat wie sein Vor-
gänger Agatharchides geographische Studien mit historischen verbunden
und ist auf beiden Gebieten schriftstellerisch hervorgetreten; die Geographie
selbst bezeichnet er im Eingang seines geographischen Werkes nur als
einen Teil der Philosophie;') womit es in Einklang steht, dass er von
Suidas und Stephanos Byz. unter 'Afidasia als stoischer Philosoph aufgeführt
wird. Geboren war er zu Amaseia, einer Stadt der Provinz Pontes, aus
einer vornehmen griechischen Familie. Als Jüngling hörte er in Nysa
am Mäander den Grammatiker Aristodemos, Sohn des Aristarcheers Mene-
krates;*) mit dem Peripatetiker Xenarchos*^) und dem Grammatiker Ty-
rannion, die er ebenfalls gehört hatte, ^) scheint er erst in Rom zusammen-
*) Zu der in dem Porticus der Panla, der
Schwester des Agrippa, aufgemalten Welt-
karte gehörten Erläuterungen in Worten. Das
waren die commentarii Agrippae, die Plinius
n. h. 3, 17 nennt, und auf die sich auch
Strabon wiederholt p. 224. 225. 261. 266. 277.
285 zu beziehen scheint. Ueber die um-
strittene Frage der Existenz und Ausdehnung
eines solchen Kommentars oder einer zur
Karte gehörigen /wpo^'^cttjp«« s. Müllenhoff,
Weltkarte und Chorographie des Kaisers
Augustus, Kiel 1856, u. Herm. 9 (1875) 182—
195; Schweder, üeber die Weltkarte und
Chorographie des Kaisers Augustus. Piniol.
54, 319 «. u. 56, 130 ff.
2) Ein Artikel des Suidas; Hasbnmüllbr,
De Strabonis vita, Bonn 1863; Nibse, Beitr.
zur Geographie Strabos, Herrn. 13, 33 ff. u.
Rh. M. 38, 567 flf., 42, 559 ff.; Ettobb Pais,
Intomo al tempo ed al luogo in«cui Strabone
compose la geografia, Memorie deU' acad. di
Turino t. XL (1890). Auf 68 v. Chr. seist das
Geburtsjahr P. Meyer, Leipz. Stad. II 47 ff.;
ÜNGER Philol. 55, 248 auf 67/66 ▼. Chr.
») VgL Strab. p. 15, cf. p. 41. 164. 784.
*) Strab. n. 650: 'jl^iarodijfiov «ftijxop-
aafABv TffAsTg saxttToyiJQov vioi nartehig ir
^) Wenn Strabon trotzdem Stoiker hdaat,
so muss dieses daher kommen, dass er sich
in seinen Anschauungen am meisten dem
Stoiker Poseidonios anschloss, auf den er ja
auch beständig in seiner Geographie lar&dL-
kommt.
«) Strab. p. 548 u. 670, wo er beidesmal
den Ausdruck ^xQoaaüfAeSa gebraucht.
Ba) Bömisohe Periode vor Konstantin. 8. Die Prosa, f) Strabon. (§§495^496.) 683
gekommen zu sein.^) Nach Rom reiste er fast zur selben Zeit wie der
Rhetor Dionysios, bald nach Beilegung der Bürgerkriege, im Jahre 29; den
Weg dahin nahm er über die Kykladen und Korinth.*) Bald darauf aber
verliess er wieder Rom, um im Gefolge des Aelius Oallus, den Augustus
im Jahre 24 zum Befehlshaber der Expedition gegen die Araber aufgestellt
hatte, Ägypten von Alexandria bis Philä zu bereisen.') Nach dem un-
glücklichen Ausgang des Feldzugs und einem längeren Aufenthalt in Ale-
xandria kehrte er um 20 v. Chr. wieder nach Rom zurück.*) Über
weitere Reisen, die er später von Rom aus unternahm, fehlen uns be-
stimmte Angaben; er selbst sagt p. 117 nur im allgemeinen, er habe die
Erde von Armenien bis Sardinien und vom Euxinus bis zu den Grenzen
Aetbiopiens besucht. Seine geringe Kenntnis der Dinge in Rom während
der zweiten Hälfte der Regierung des Augustus ^) lässt vermuten, dass er
diese Zeit wieder in Asien verlebte, wo er damals zur Königin von Pon-
tuSy Pythodoris, deren Verhältnisse er oft berührt, in nähere Beziehung
getreten zu sein scheint. Sein Leben erstreckte sich bis in die Regie-
rungszeit des Tiberius hinein ; er überlebte nicht bloss den Sturz des Mar-
bod, sondern auch den Tod des Königs Juba von Mauretanien.^)
496. Geschichtswerk. Strabon war zugleich Historiker und Geo-
graph. Sein früheres Werk, worauf er in der Geographie wiederholt (p. 13.
70. 515) Rücksicht nimmt, hatte den Titel ^Ynofirrifiaxa lavoQixd und um-
fasste 43 Bücher. Dieselben behandelten in zwei Abschnitten die Zeit vor
und nach Polybios,') die erstere nur in allgemeinen Umrissen, die letztere
in grosser Ausführlichkeit. Das Werk ging bis auf die Gegenwart, wahr-
scheinlich bis zum Jahre 27 v. Chr. herab. Den Verlust desselben müssen
wir doppelt beklagen, nachdem auch die einschlägigen Partien der römi-
schen Geschichte des Livius verloren gegangen sind.®) Als Quellen be-
nutzte er wesentlich die gleichen Bücher wie in der Geographie, vornehm-
lich also die Geschichtswerke des Poseidonios, ApoUodoros, Theophanes.
Fragmente bei MÜlleb FHG HI 490 — 4; P. Otto, Strabonis tatoQixuiv vnofAvtjfAanov
fragm., Leipz. Stad. XI (1891).
0 In Born wird er wohl auch mit Boethos,
dem Schfller des Peripatetikers Andronikos,
zusanunenstudiert haben, s. Strab. p. 757.
») Strab. p. 118. 379. 485. Nach seiner
Aussage p. 381 über das Gemälde des Ari-
stides im Demetertempel müsste er schon
vor 31, wo nach Dion 50, 10 Jener Tempel
abbrannte, in Bom gewesen sem. Pais a. 0.
p. 25 lAsst ihn daher bereits 44 y. Chr. das
erste Mal nach Bom konmien.
») Strab. p. 806 u. 816; vgL Schrötbb, De
StrabonJs itineribns, Ups. Diss. 1874; P. Mbybb,
Straboniana, Grimma Progr. 1890.
*) Dass er nicht vor 20 nach Bom zurtick-
kehiie, schüesst Pais p. 26 aus der Nach-
richi aber die grosse Schlange p. 719 a.706.
^) So weiss aoffftlligerweise Strabon nichts
von der wichtigen Inschrift auf dem grossen
Tropaion, das Augustus zum Andenken der
Untwwerfdng der Alpenvölker bei Nizza er-
richten Hess und von dem Plinius n. h. III
136 ganz genaue Mitteilung macht. Noch
mehr f&Ut es auf, dass Strabon über die Feld-
züge in Germanien und Pannonien der Jahre
4—11 n. Chr. vollständig schweigt
«) Strab. p. 290 und p. 828.
') Suidas in dem Artikel UoXvßiog : syQnipe
6k xttl STQaßüty Tff fASTtt UoXvßioy iy Xoyoig
(jLy\ Nach Strabon p. 515 war das 6. Buch
der Hypomnemata das 2. ttay fAexd IloXvßi^oy,
woraus sich, wenn td fjLSxd TloXvßioy allein
48 B. umfassten, fOr das Ganze 47 B. er-
geben würden. Vor Strabon war schon aus der
benachbarten kleinasiatischen Stadt Amisus
ein Historiker hervorgegangen, der von Strabon
oft angeführte Hypsikrates.
^) Interessant ist darunter eine durch
losephus, Ant. lud. 14, 7 uns erhaltene Notiz
über die Juden, üeber die Aufnahme des
jüdischen Jahve unter die altgriechischen
Götter unter dem Namen 'läo) s. Bubbsch,
I Klares S. 48 ff.
684
GrieohiBche Litteratnrgesohiohte. II. HaohklaasiBolie Litteratar.
497. Die Geographie. Bekannter ist Strabon als Geograph ge-
worden. Sein uns erhaltenes grosses Werk über Erdkunde, recayQatfixd
in 17 B., behandelt in B. 1 und 2 die physikalisch-mathematische Geo-
graphie, in B. 3 — 10 die Geographie Europas, in B. 11 — 16 die Asiens, in
B. 17 die Afrikas. Das Ganze enthält die Frucht langjähriger Studien
und ist erst allmählich gereift und ans Licht getreten ; zum vollständigen
Abschluss scheint dasselbe überhaupt nicht gekommen zu sein.^) Das
vierte Buch und somit wenigstens die vier ersten BQcher wurden nach
dem ausdrücklichen Zeugnis des Autors p. 206 im Jahre 18 n. Chr. ver-
öffentlicht;*) aber das 17. Buch, in welchem p, 828 der Tod des Königs
Juba und der Regierungsantritt seines Sohnes Ptolemaios erwähnt ist,
führt uns noch etwas weiter herab.*) — Über seine Vorstudien und Quellen
hat er sich p. 117 f. im allgemeinen ausgesprochen. Danach hatte er
selbst die Empfindung, dass er für einen Geographen oder Beschreiber der
Erde eigentlich zu wenig von der Erde gesehen habe. Er entschuldigt
sich wegen dieses Mangels zunächst damit, dass auch die früheren Ver-
fasser geographischer Werke in dieser Beziehung nichts vor ihm voraus
hätten; er versichert aber des weitem dann, dass er sich über Länder,
welche zu sehen ihm selbst nicht vergönnt gewesen sei, bei andern, die
sie gesehen und darüber geschrieben hätten, sorgfältig erkundigt habe.
Jene andern^) waren aber ausser seinen nächsten Gewährsmännern, den
Geographen Eratosthenes und Artemidoros, der Grammatiker Apollodor
aus Athen, dem er hauptsächlich in der Geographie Griechenlands folgte,^)
ApoUodoros aus Artemita in Assyrien, Geschichtschreiber der Pariher-
kriege, den er p. 118 als seine Hauptquelle für die Länder Hyrkanien und
Baktrien bezeichnet,^) Megasthenes, Nearch und Onesikritos, aus denen
er ganze Seiten über die Völker und Bewohner Indiens ausschrieb,') Theo-
phanes aus Milet, dessen Geschichte der Feldzüge des Pompeius ihm in
M Meineke, Vind. Strab. p. 81 : ita enim
existimOf geographumena sua Strahonem im-
perfecta reliquisse neque ad eam eantposUionis
speciem absoluta, quam ipse animo praefor-
matam habuit.
^) Nach der angeftthrten Stelle p. 206 war
es damals das 83. Jahr, seit die Alpen Völker
durch Drusus und Tiberius unterworfen wor-
den waren (15 v. Chr.), was uns eben auf das
J. 18 n. Chr. fahrt. Dazu stimmen auch die
Angaben im 6. Buch p. 288.
*) Der Tod des Juba ist auf 28 n. Chr.
gesetzt von Müllbb, Numism. de V ancienne
Afrique 111 113 ff. Die Richtigkeit dieses An-
satzes bestreitet Niese Herm. 13, 85, indem
er den Juba frtther sterben lässt, so dass das
ganze Werk des Strabon in den Jahren 18
und 19 n. Chr. niedergeschrieben sei. Pais
a. 0. schliesst aus der mangelhaften Berück-
sichtigung der Unternehmungen des Augustus
in der zweiten Hälfte seiner Regierung, dass
Strabon seine Geographie in den J. 29-— 7
V. Chr. geschrieben und später im J. 18 n. Chr.
nur einer oberflächlichen Neuredaktion unter-
zogen habe.
*) Heeren, De fontibns geographiae Stra-
bonis, Gott. 1828 genügt dem heutigen Stand-
punkt der Quellenforschung nicht mehr. Du-
Bois, Examen de la göographie de Strabon,
Paris 1891, Hauptbuch, üeber Stnibos An-
sicht von der Erde J. Bergbb, Erdkonde der
Griechen IV 46 ff. ; Colümba, Gli stadi geo-
grafici nel I. secolo deir impero Romano,
Torino-Palermo 1893.
») NiBSB Rh. M. 32, 267 ff. u. Henn. 13,42
weist nach, dass Strabon von Griechenland
nur Eorinth ans eigener Anschaunng kannte
und das meiste in B. 8 — 10, som Teil aach
in 12 — 14 dem Kommentar des Apollodor
zum homerischen Schiffskatalog entnahm.
^) Arn. Bbhr, Apollodori Ariemit€«ii reli-
quiae, Argent. Dias. 1888. Nach Behr leinte
Strabon den Apollodor durch Poeeddonios
kennen.
^) A. Miller, Die Alexandergem^bichte
nach Strabo, Würzburg 1882 n. 1891.
B a) Bömisohe Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, f) Strabon. (§ 497.) 685
der Geographie Armeniens und anderer Teile Kleinasiens Führerin war,*)
Polybios und Poseidonios, die er in allen Teilen seines Werkes mit Vor-
liebe berücksichtigt, denen er aber insbesondere die Kenntnis von Spanien
und dem Keltenland verdankte,^) endlich Antiochos, dessen alte Nach-
richten über Sikilien und Unteritalien er von neuem zu Ansehen brachte.
Römische Autoren hat er, vielleicht weil er der lateinischen Sprache doch
nicht so ganz mächtig war, weit weniger benutzt. Er erwähnt zwar
ausser Cicero auch einmal die Kommentare Cäsars vom gaUischen Krieg
(p. 177), die Annalen des Coelius Antipater (p. 230), die Historien des
Asinius (p. 193), das Oeschichtswerk des Dellius über den Feldzug des
Antonius gegen die Parther (p. 523), drückt sich aber im übrigen sehr
geringschätzig über die römischen Schriftsteller aus (p. 166), so sehr er
im übrigen ein offenes Auge für die eminenten Vorzüge des praktischen
Sinns der Römer hatte. ^) Übrigens darf man auf der anderen Seite aus
Strabons Citaten noch nicht sofort schliessen, dass er die citierten Bücher
auch selbst gelesen habe: den Pytheas, Sosikrates, Demetrios von Skepsis
und selbst den Eudoxos scheint er nur aus den Werken anderer, beson-
ders seiner Hauptgewährsmänner, Apollodor, Polybios, Artemidor, gekannt
zu haben. Übrigens gehen Neuere, wie Wachsmuth, zu weit, wenn sie
die Mängel an Genauigkeit und Kritik bei Strabon auf eine Linie mit
denen bei Diodor stellen.
Strabon galt den Alten, wenn er auch erst spät zur allgemeinen An-
erkennung kam,*) als der Geograph xat' i^oxrjv, und sein Werk bezeichnet
am deutlichsten den Standpunkt, welchen die Geographie im Altertum ein-
nahm. Von den Anforderungen, die wir heutzutag an eine Erdkunde
stellen, ist dasselbe freilich weit entfernt: Strabon war wohl ein unter-
richteter, vielseitig gebildeter Mann; er war auch ein aufgeklärter Kopf
und hatte Sinn für landschaftliche Beobachtung ; aber er fasste einerseits,
wie er gleich in dem Proömium kundgibt, die Geographie allzusehr von
dem Gesichtspunkt der praktischen Nützlichkeit auf, und verrät anderseits
überall mehr den Buchgelehrten als den wissenschaftlichen Naturbeob-
achter. Leser, die bei den modernen Geographen in die Schule gegangen
sind, werden namentlich an den vielen und langen Exkursen über Homer-
interpretation Anstoss nehmen. Die hängen nun freilich damit zusammen,
dass die geographische Wissenschaft der Alten sich an der Homerexegese
der Grammatiker emporgerankt hat; aber Strabons Geographie Griechen-
lands sieht geradezu wie ein Kommentar zu Homer aus und ist in der
That in mehreren Partien wesentlich aus den Kommentaren des Gram-
matikers Apollodor zu dem homerischen Schiffskatalog hervorgegangen.
*) E. J. Nbumakn, Strabons Landeskunde
▼OD Eankaaien, in Jahrb. f. Philol. Suppl. XIII
319—54; Fabriciüs, Theophanes von Myti-
lene und Q. Dellius als Quellen der Geo-
graphie Strabons, Strassb. 1888.
^) Zimmermann, Quibus auctoribus Strabo
in libiro tertio usus sit, Halle 1883 u. Herrn.
23, 103—30; Wilkbns, De Strabonis rerum
Gallicarmn fontibus, Marb. 1886.
*) BerOhmte Hauptstelle p. 235: x(üy
'EXXiqvüip negi ras xTiceig BvaxoxrjffM fjt(iktara
6o^dvTtop, Ott xaXXovs iaxoxd^ovio xai igv-
fiyoxfiiog xai Xt^ivtay xal joi^a; BV(fvovi^
ovtov (ol 'PwfJLaloi) TtQOvyofjaav fzuXiaxa *uy
wXiyuiQtjaay ixeiyot, aiQüiaecDg odtoy xal vdti-
X(oy eiaaytoyrjg xai vnovofjuav xtov dvyttfiepfov
ixxXvl^eiy xti Xv/uaxa xijg noXetag.
*) Plinius nimmt auf Strabon nirgends
Rücksicht.
686
Grieohisohe LitteratargeBohiohta. II. HaohklassiBohe litteratar.
Ebenso vermissen wir bei Indien und dem östlichen Asien eigene Beob-
achtungen und Erkundigungen bei neueren Reisenden, fQr deren Mangel
uns die massenhaften Notizen aus den Geschichtsschreibern Alexanders
einen nur ungenügenden Ersatz bieten. Kurz, die ganze Geographie Stra-
bons trägt eine historische Färbung und zeigt uns mehr den Untergrund
der Vergangenheit als das Licht der Gegenwart.^) Aber immerhin hat
er eine Fülle wichtiger, speziell für uns Philologen wichtiger Nachrichten
mannigfachster Art zusammengetragen ') und danken die Litterarhistoriker
es ihm noch besonders, dass er bei den einzelnen Städten die berühmten
Männer, welche aus denselben hervorgegangen waren, anzumerken nicht
versäumt hat.')
Im Stil und sprachlichen Ausdruck trat Strabon ganz in die Fuss-
tapfen seines hochgepriesenen Vorgängers Polybios: wie jener so ver-
schmähte auch er die rhetorischen Schnörkel und befleissigte sich eines
einfachen, sachgemässen Stils. Nur bei der Beschreibung der Länder liebt
er es, wie es scheint, nach dem Vorbild des Artemidor, die geographische
Figuration durch Bilder zu erläutern. So vergleicht er Europa mit einem
von Westen nach Osten ausgestreckten Tierfell (p. 137), Sikilien mit einem
Dreieck (p. 265),*) die Pelopinsel mit einem Platanenblatt (p. 335).*) In
dem Wortgebrauch und der Grammatik zeigt er keine Spur von der atti-
kistischen Richtung: er ist wie Polybios ein Vertreter der ungeschminkten,
halbnachlässigen xoivrj, namentlich hat er eine Menge von Verbis auf fw,
gebildet von zusammengesetzten Nomina, wie evoxpäw^ yQa^fxctro^oQäa}, xono-
yga^äo), (fiko^evtiu), SixaioSovtw, in die griechische Schriftsprache eingeführt;
auch vor falschen Formen, wie namentlich dem oft gebrauchten Aorist
syevjj&rjv = iysvofirjv^ und vor anstössigen Hiaten hat er sich nicht gehütet
Daneben hielt er alles auf Reinerhaltung des griechischen Idioms vor
fremden Eindringlingen, Die römischen Amtsnamen procurator, legaiu^y
iudex mussten sich ebenso wie die lateinischen Wörter aquaeductus, sinus
eine griechische ümmodelung gefallen lassen. Das that er aber nicht aus
beschränktem Nationaldünkel, wiewohl er in dem Glauben an griechische
Fabeleien sehr weit ging und selbst das etrurische Caere aus dem Zuruf
xaTQ€ zu erklären keinen Anstand nahm (p. 220) ; denn im übrigen ergriff
er gern die Gelegenheit, die politische Überlegenheit Roms und dessen
Verdienste um Strassenbauten (p. 235) und die verschiedenen Zweige der
Staatsverwaltung (p. 797) zu preisen.
Codd.: Die Textesgeschichte und handschriftliche Ueberlieferung ist klargelegt von
Krämer in der Praefatio seiner krit. Ausg. 1844. Die Codd. sind stark verdeibt; der
*) Auf der anderen Seite bemerkt er selbst
richtig p. 177 : oaa fxkv (pvaixtUi ditagiüTM del
UyBiy ToV ye<oyQa<poy xal öaa idyixdgy oxav
fl Xttl fivijfAfjg a^ia, öca &* ol rjysfAovsg nqSg
toyg xuiQovg noXnevofieyoi diaidixorai not-
xt'Aöif, ttQXBi xay iy XBg^aXaio) ug etrtn.
*) Wichtig far Mythologie und Kultur-
gescWchte smd viele der eingelegten Exkurse,
wie der über die Kureten p. 467—474.
k- * '^ Ed. Stmplinger, Strabons literar-
iustonsche Notizen, Diss. München 1893. Eine
merkwürdige Bestätigung erhielt der von
Strab. 648 angemerkte Fehler auf der Ehren-
statue des KitharOden Anaxenor durch die
neu aufgefundene Basis in Magnesia, Atiben.
Mitteil. 19, 15.
*) Dabei missbrauchte er die Etymologie
des Namens BQiyaxia^ der eben nicht auf
T^itt ftx^o l/ovao gedeutet werden darf.
') lieber solche Vergleiche s. die Zn-
sammenstellung des Eustatiiios zu Dionys.
perieg. 157.
Ba) BOmisohe Periode Tor Konstantin. 8. Die Prosa, f) Ptolemäns. (§ 498.) 687
beste, Parifl 1897 (J) membran. enthält nur die 9 ersten B.; alle 17 B. enthält Par. 1393
bombyc, aber anch er mit Lücken, besonders der grossen im 7. B. ; einige ergänzende
Pergamentblätter entdeckte Cozza in einem Palimpsest von Grottaferrata, worüber Cobet
Mnem. 4, 48 ff. — Ausserdem haben wir alte Inhaltsangaben {xE<pdXai€t) und Epitomen ;
darunter sind die bedeutendsten Epit Palatina in einem Heidelberger Pergamentcod. 398 s. X,
Epit. Yaticana in Cod. 482 bombjc. s. XIV, beide wichtig für Ergänzung der Lücken. Ohne
Bedeutung sind die Eclogae des Georgios Gemistos Plethon in einem cod. Yen. 379.
Ausgaben: Der Text erschien zuerst in lat. Uebersetzung von Guarino 1470. —
Ed. princ. gr. apud Aldum 1516 aus schlechter Handschr. — Ausg. mit Kommentar von
Casaubonus, Par. 1620 (nach ihr sind in den Citaten die Seiten gezählt). — ed. Eoraes,
Par. 1815, 8 vol.; dazu kommentierte Uebersetzung, herausgegeben von Lbthonne, 1819,
5 Bde. — Kritische Hauptausg. von Krahbr, Berol. 1844 — 52, 3 vol. — Textesausg. von
MBniBKB in BibL Teubn. — Ausg. von Gab. MOllbr, mit 15 Karten, Paris 1858. — Karo-
UDES, £tQaßü}yog y€(oyQa<pix(üy t« negl Mixgäf ^Aaltt^y Athen 1889. — Excerpta ex Stra-
bone ed. C. Müllbr in Geogr. gr. min. II 529—636. — Uebersetzung mit erklär. Anm. und
Sachregister von Groskurd, dem kenntnisreichen Bewunderer des Autors, Berl. 1881—4.
498. Claudius Ptolemäus von Alexandria, der berühmte
Astronom und Qeograph,^) lebte nach Suidas zur Zeit Marc Aureis
(161—180), nach der Vita blühte er unter Hadrian (117—138) und lebte
bis zur Zeit Marc Aureis ; ^) die von ihm selbst angestellten Be-
obachtungen fallen zwischen 125 (Almagest 4, 8) und 151 (Almag. 10, 1).
Ptolemäus ist uns der Hauptvertreter der geographisch -astronomischen
Studien, wie sie in Alexandria seit Gründung der Stadt unter An-
lehnung an die altägyptische Priestörweisheit betrieben wurden. 3) Die-
selben blieben, gestützt durch feste Organisation und ständige Hilfsmittel,
von dem Wechsel der Herrschaft und des Zeitgeistes unberührt: im An-
fang der alexandrinischen Periode steht Eratosthenes mit seinen bahn-
brechenden Beobachtungen, am Ende des Altertums bewährten Theon und
Pappos den alten Ruhm der alexandrinischen Schule, in der Zeit der An-
tonine ist es unser Ptolemäus, der von der fortschreitenden Entwicklung
der astronomischen und geographischen Studien Alexandrias Zeugnis gibt.
Er war nicht der grösste der Astronomen des Altertums : nicht bloss über-
ragten ihn an genialen Entdeckungen Aristarch von Samos und Hipparch
von Nikäa, er entbehrte auch des hellen Blickes in der Beurteilung der
Leistungen seiner Vorgänger; aber von ihm allein sind grössere Werke
auf uns gekommen. Seine in erster Linie die Astronomie, dann auch die
Geographie und Harmonik betreffenden Schriften haben sich nicht bloss
im Originaltext erhalten; dieselben wurden auch bei dem grossen Ansehen,
das ihr Verfasser genoss, frühzeitig in Übersetzungen nach dem Orient,
zu den Arabern getragen, von wo sie, ähnlich wie die Werke des Ari-
stoteles, schon zur Zeit Kaisers Friedrich H, noch ehe man sie im Ori-
ginal kennen lernte, durch lateinische, nach dem Arabischen gemachte
Übersetzungen ins Abendland gelangten.
Von den astronomischen Werken ist das hauptsächlichste A\e MeyaXr}
avvta^ig Trjg äaxQovofiiaq in 13 B., von Ptolemäus selbst in der Geo-
^) Ein Artikel des Suidas; das n^oolfiioy
sie ttjy aat^oyofiiay von Theodoros Melite-
niotes; eine Tita vor der Tetrabiblos, alle
zusammengestellt von Boll, Studien über
Claadias Ptolemäus, Jahrb. f. Phfl. SuppL XXI
(18»4)53ff.
*) Vita vor Tetrabiblos: ovrog 6 JItoXs-
difJQxeae d^ xal fJLixQi Mdqxov 'Jytioyiyov,
Nach Olympiodor zu Piaton Phaidon p. 47 hat
er 40 Janre auf der Sternwarte von Eanobos
zugebracht.
*) Als der erste Astrolog ward nach der
Vita Ptol. Oinopides aus Chios angesehen,
der am Ende des peloponnesischen Krieges
gelebt haben soll.
688
GrieohUche Litteratargesohiohte. II. Naohklasauiohe Litteratnr.
graphie VIII 2, 3 einfach Ma&rj/iaTixrj avvta^tg genannt. Dasselbe ge-
hörte zu den früheren Arbeiten unseres Gelehrten, ist aber nach der
eigenen Angabe des Verfassers X 1 nicht vor dem 14. Regierungsjahre
des Antoninus Pius oder vor 151 n. Chr. abgeschlossen worden.*) Als das
bedeutendste Handbuch der Astronomie ist es schon im Altertum von
Theon und Pappos kommentiert und im 9. Jahrhundert unter dem Titel
Tabrir dl magesthi (woraus entstellt „Almagest") ins Arabische übersetzt
worden. In demselben legt Ptolemäus, auf den Beobachtungen und Schrif-
ten früherer Forscher, insbesondere des Hipparch und Menelaos, fussend,
das ganze System der Astronomie dar. Da dasselbe auf der Annahme,
dass sich die Gestirne um die Erde drehen, beruht, so nennt man davon
dieses System das ptolemäische im Gegensatz zu dem kopernikanischen,
welches letztere indes bereits im Altertum Aristarch, der Lehrer Hipparchs,
aufgestellt hatte. Diesem astronomischen Hauptwerk sind die gleichfalls
von Theon kommentierten ') Handtafeln zur Zeitrechnung {nQoxei^i xaviv€<;)
entnommen.
Die Tetrabiblos, genauer Ma&rjfiatixr] (oder anoxsleaiicmxr) avv-
xcc^iq T€TQdßißXog genannt, schliesst sich an das astronomische Hauptwerk
an und ist wie dieses an einen gewissen Syros gerichtet. Dieselbe ent-
hält die Lehre von der Astrologie, oder wie der Verfasser selber sagt,
von der Voraussagung durch Sternbeobachtung (to rf*' äcTQovofuag ngoy
vcjaTixov). In dem ersten Buch wird die Möglichkeit und Nützlichkeit
dieser Wissenschaft begründet. Das zweite Buch enthält das Allgemeine
der Völkerpsychologie nach der geographischen Lage des Landes und dem
damit zusammenhängenden Einfluss der Gestirne auf die Eigenschaften
der Völker.^) Die beiden letzten Bücher behandeln die eigentliche Astro-
logie, die Lehre von dem ysve&Xiaxov oder der für die Geschicke des
Menschen entscheidenden Konjunktur der Planeten zur Zeit der Geburt
Auch diese Tetrabiblos stand im Altertum in hohem Ansehen, wovon schon
die grosse Anzahl der Kommentatoren zeugt ;^) in der neueren Zeit hat
man sich lange gesträubt, den grossen Astronomen Ptolemäus zum An-
hänger auch dieser Trugwissenschaft zu machen, und auch ich habe in den
früheren Auflagen dieses Buches die Tetrabiblos zu den unechten Schriften
unseres Astronomen gezählt. Aber inzwischen hat Fr. Boll in den Studien
über Claudius Ptolemäus nachgewiesen, dass zahlreiche sachliche und
sprachliche Übereinstimmungen zwischen der Tetrabiblos und den aner-
kannt echten Schriften des Ptolemäus bestehen, so dass man sich wohl
entschliessen muss, den Ptolemäus niederer zu hängen und ihm auch diese
Schrift mit ihren Wahnideen zuzuschreiben.*) Sicher unecht aber ist das
*) Statt iy t(^ id' hei \4vTütvlvov schlägt
Boll iy xi^ cf' hn vor; dann kftmen wir auf
das Jahr 141 statt 151.
■) Des Theon tmof^ytjfda eig tovc IltoXe-
fdttioy n^oxBLQovq xayoyng hat in der aos-
fOhrlichen Fassung 5, in der kompendiarischen
1 B. Basselhe ist noch ungedruckt, ist aber
handschriftlich erhalten in Vatic. gr. CXC und
Laurent. XXVIII 12, worüber üsener in der
Ausgabe der Fasti Theonia Alex. p. 360
Anm. 1.
*) Dieses 2. Buch der Tebrabiblos fthit
den Grundgedanken der Schrift des Hippo-
krates negi dsQog v&aza>y tonmy weiter ans;
etwas übertreibend nennt es Schlsidiii Sta-
dien p. 232 das Genialste, zu dem sich ein
Naturforscher des Altertums erhoben hatte.
*) In dem erhaltenen Kommentar des
Ba) BOnÜBohe Periode vor Konstanim. 8. Die Prosa, f) Ptolem&iiB. (§ 498.) 689
Centiloquium oder das Buch der 100 Sätze astrologischer Weisheit, welche
als Frucht aus der Tetrabiblos ausgezogen ist und davon auch den Namen
xaqnoq erhalten hat.^) — Der Kavoov ßamlsmv ist ein mit astronomischen
Berechnungen zusammenhängendes Verzeichnis der Könige (oder König-
reiche) von Nabonassar bis Antoninus Pius mit Angabe ihrer Regierungs-
jahre. Dasselbe ist für die alte Geschichte und Zeitrechnung ein äusserst
wichtiges Dokument; seine Erhaltung verdanken wir seiner Aufnahme in
die Chronographie des Georgios Synkellos. — Kleinere astronomische
Schriften des Ptolemäus sind (pdaeig dnkavdv äaTSQwv xal away^yi] im-
crjfiaaidav (ein Witterungskalender),*) tmoO-äasig tdv nXavoyfnävcov^ neql äva-
Xrjjnfiarog (von der Sonnenuhr), anlmaig ejiKpaveiag aipaiqaq. Die beiden
letzten Schriften sind nur durch die Araber auf uns gekommen.
Die FecoYQaifixiij viprjyriaig (Anleitung zum Kartenzeichnen) ih 8 B.
ist das wichtigste Handbuch der alten Geographie, an welchem sich bis in
die neuere Zeit hinein die geographische Wissenschaft und die Kunst des
Kartenzeichnens emporgearbeitet hat. Es beruht ganz auf mathematischer
Grundlage, auf Berechnung der Grösse der Erdkugel und Bestimmung der
Lage der Hauptorte nach ihrer geographischen Länge und Breite. Voraus-
gesetzt wird in ihm die Vorlage von Karten, in deren Netz die damals
bekannte Erde vom 10. Grad südlicher bis zum 60. Grad nördlicher Breite
und von den westlichsten Inseln Europas bis nach Java und Sumatra im
Osten eingezeichnet war. Der Hauptteil des Werkes, B. 2—7, besteht
nur in Tabellen über die Lage der eingezeichneten Orte nach Graden der
Lange und Breite. Im Entwurf der Karten war dem Ptolemäus vorge-
arbeitet von Marinus aus Tyrus, dessen Verdienste um die Chartographie
er I 6 gebührendes Lob spendet.*) Übrigens würde man sehr irren, wenn
man nun glaubte, dass Ptolemäus oder sein Vorgänger von allen jenen
Orten, deren Lage er angibt, es sind an 8000, die Länge und Breite auch
wirklich mathematisch gemessen habe. Vielmehr liegen nur wenigen seiner
Ortsbestimmungen wirkliche Messungen zu Grund ; von den meisten Orten
gibt er nur die Grade an, in welche dieselben auf seinen Karten einge-
zeichnet waren. Das muss man namentlich bezüglich der zahlreichen Städte
Germaniens festhalten, von denen wahrscheinlich keine einzige mit mathe-
matischen Mitteln bestimmt war.^) Dem Texte sind in den Handschriften
auch Karten (27) beigefügt; dieselben rühren von Agathodaimon aus
Alexandria, einem Gelehrten des beginnenden Mittelalters, her.^)
Porphyrion ist ein kurzes Scholion des Demo-
philoa eingelegt, worüber Boll Berl. Philol.
Woch. 1898 S. 2026. Indes hat Sextas Em-
piricns in der Bekämpfung der Astrologie von
unserer Tetrabiblos keine Notiz genommen.
Auch lässt sich nicht nachweisen, dass der
Uteinische Vertreter der Astrologie Firmicns
Ifaiemns die Tetrabiblos benutzt hat.
') Ueber die noch ungedruckte astro-
lo^sche ay^oXoyia des Yett ins Valens ans
Antiochia in der Zeit des Antoninus Pius s.
Biess in dem Artikel Astrologie bei Pauly-
Wissowa U 1822.
^) Nur der zweite Teil der Schrift ist auf
uns gekommen; Suidas erwähnt von ihr noch
2 Bücher.
*) Ueber Marinus, der unter Trajan und
Hadrian lebte, s. Bbrger, Erdkunde der Grie-
chen IV 104 flf.; denselben IV 127 ff. über die
eigenen Forschungen des Ptolemaios. W.
ScHWAKTZ Rh. M. 1893 S. 258 ff. Ueber die
indirekte Benützung der Chorographie des
Agrippa-Augustus Dbtlefsen Philol. 32, 606 ff.
*) Berüchtigt ist die Fiction einer Stadt
Iiaxovxayda Ptol. II 11, 27 aus Tac. ann.
IV 72 ad 8ua tutanda digressis rebelHbus.
^) In den Handschriften selbst heisst es:
ix füiy Kkavdiov IlxoXBfJtaiov yetoyQatpixojy
Baodtmch der klMS. AlteriiUDswineoschaft. YII. 8. Aufl. 44
690
Grieohisohe Litteratargeschichte. ü. VaohklaMisohe Littoraiiur.
Die jiQfJLovixa in 3 B. handeln von den Intervallenverhältnissen der
Musik mit steter Berücksichtigung der Lehre des Aristoxenos und der
Pythagoreer. Das Ganze ist, wie Porphyrios in seinem Kommentar be-
zeugt, wesentlich nur eine Kompilation aus der Schrift des Didymos über
den Unterschied der Musiktheorie der Pythagoreer und der des Aristo-
xenos. Das dritte Buch, dessen Schluss nach einer alten Beischrift von
Nikephoros Gregoras^) ergänzt worden ist, bespricht in geheimnisvoller
Sprache die Ähnlichkeit der Tonarten und Intervalle mit den Zuständen
der Seele und den Bewegungen der Himmelskörper;*) es ist eben aus
einem ähnlichen Untergrund mystischer Spekulation entstanden wie die
Arithmetik des Nikomachos und die Musik des Aristides Quintilianus.
Von der Optik {omixi^ jigayfiaTeio) sind nur die Bücher 11 — V und
diese nur durch die lateinische nach dem Arabischen gemachte Übersetzung
des Siziliers Eugenius auf uns gekommen.^) — Gänzlich verloren gegangen
sind die von Suidas aufgeführten drei Bücher Mechanik und die von Sim-
plicius citierten Schriften tisqI iisTQrjasfaq^ Tiegl ^orrfjgy rfroixsTa, — Auch der
philosophischen Spekulation stand Ptolemäus nicht fremd gegenüber; das
war in dem Wesen der alten Philosophie begründet, welche von Anfang
an den Naturerscheinungen ihre Aufmerksamkeit zugewandt hatte und
stets die Physik oder die Erforschung der Natur als eine ihrer Hauptauf-
gaben betrachtete. So verbreitet sich denn auch Ptolemäus im Eingang des
Abnagest über philosophische Grundbegriffe, indem er dabei von den Teilen
der Philosophie bei Aristoteles, Metaphysik VI 1 ausgeht. Überdies liebt
er es, ähnlich wie sein Zeitgenosse Galen, auch bei speziell wissenschaft-
lichen Untersuchungen das Wort Philosophie in den Mund zu nehmen und von
einer der Philosophie eigentümlichen Methode zu reden (Almag. H p. 116H,
Tetrabibl. 1, 1, Geogr. I p. 26). Einen einzelnen Punkt der Erkenntnis-
lehre behandelt er in dem uns erhaltenen Büchlein tisqI xQivrjQtov xal rjt-
ixovixov^ das im Geiste der stoischen Schule geschrieben ist, und an die
gleichbetitelte Schrift des Stoikers Poseidonios, des Begründers der natur-
wissenschaftlichen Richtung der jüngeren Stoa, erinnert.
In der Sprache verschmäht Ptolemaios als Mann der strengen Wissen-
schaft jeden rhetorischen Aufputz; daher nichts von Bildern und Figuren
in seiner Rede zu finden ist. Auch scheut er es nicht, denselben Ausdruck
öfters zu wiederholen, wenn die Wiederkehr der Sache es verlangt; ins-
besondere liebt er es wie ein Lehrer der Schule, ehe er zu einem neuen
Kapitel übergeht, das Vorausgehende rekapitulierend zusammenzufassen.
Ist so seine Sprache farblos und stereotyp, so ist sie doch klar und kor-
rekt ; sieht man von einigen Neuerungen im Wortgebrauch ab, so bewegt
sie sich ganz in dem Fahrwasser des aristotelischen Stils.
Geo^aphie. Hanptausgabe von C. Müller, Com adnotationibas indicibiDB tabolia,
Paris bei Didot, im Erscheinen; die Ausgabe von Wilbebo-Grashopf, Essen 1838 — 45 ist
ßtßXifüy 6xT(a xrjy oixovfiSPtjy nacav 'Aya&o-
daifdoiy 'jXs^aydQBvg vnervnaxjey.
*) üeber ihn Krumbachbr Byz. Lit.« 298 ff.
*) Verwandter Art wird die Schrift negi
ctatix^S (corrige : neQi ncQiarattxijg) noiijaeug
gewesen sein, ans welcher der Anonymus in
BoissoNADE, Anecd. lY 458 e einen Satz an-
föhrt.
') Nachweise yon Martin, Bonoompagm
BuUetino IV 464 ff.
B a) BAmiaohe Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, f) Dionyeios. (§§ 499—500.) 69 1
stecken geblieben. — Der cod. Athone mit Karten herausgegeben Paris. — Berflhmte lat.
Uebersetzimg mit 50 Karten von Willibald Pirkheymer, S^asab. 1525. — Sonderausgabe
der Germania von Sickler, Kassel 1834.
Ptolem. Syntax, ed. Halma, Far. 1816, 2 Bde; von demselben Gelehrten der Kommentar
des Theon zum 1. Buch, Par. 1821. — Kaytuy ßaaiXeuoy aus cod. Lanr. 28, 26 herausgegeben
von Wacbshuth, Einl. in alt. Gesch. 301 ff. — Kaytov ßaniXeitov, g)daeig dnXavioy, vno-
^ar^K xol nXavtafiiyiay cr^;|rai ed. Halma, Par. 1820. — Sviaeig dnXaytoy daxiQtoy xal avya-
ywyii intofffutunwy rec. Wachskuth im Anhang zu Lydus de est. et calendaria graeca, Bibl.
Tenbn. — TstQcißißXog ed. Cambrariüs, NOmb. 1534; mit latein. Uebers. von Melanchthon,
Basel 1535. — Harmonica ed. Wallis Oxford 1699 in Op. math. t. HI. — Optika ed. Govi,
Torin 1885, zusammen mit dem Kommentar des Porphyrios. — IleQl xQitrjQiov xai
liyefÄoyutov cum commentariis ed. Büllialdüs, Paris 1663; kritische Ausgabe von Hanow,
Kfistrin 1870.
499, Dionysios der Perieget ist der sonst nicht näher bekannte
Verfasser der nsgujyrjaig xrjq oixovfAsvrjg in 1187 Hexametern. Schon die
Alten ^) waren darüber im unklaren, wem von den vielen Dionysioi sie
das vielgelesene Buch zuschreiben sollten, ob dem Epiker Dionysios aus
Korinth oder dem Historiker Dionysios aus Milet oder dem Dionysios aus
Rhodos oder endlich dem Dionysios aus Alexandria, der von Nero bis
Trajan in Rom als Bibliothekar und kaiserlicher Sekretär in einflussreicher
Stellung lebte. ^) Einen Fingerzeig zur Bestimmung der Lebenszeit geben
die Yelrse 1051 und 258 von der Besiegung der Parther und der Demü-
tigung der Nasamonen, welche auf die Regierung des Vespasian und Do-
mitian hinweisen; 3) ein direktes Zeugnis, dass das Werk unter Hadrian
geschrieben wurde, enthält das neuerdings von Leue entdeckte Akrosti-
chon.^) In der Anlage des Gedichtes trat Dionysios in die Fusstapfen des
Alexander Lychnos aus Ephesos, der in Cäsars Zeit ein astronomisches
und geographisches Lehrgedicht in Hexametern geschrieben hatte. ^) Seinem
Buch wurde ebenso wie den Phainomena des Arat die Auszeichnung zu
teil, dem Schulunterricht zu Grunde gelegt zu werden. Infolge dessen
wurde dasselbe in den folgenden Jahrhunderten um die Wette übersetzt
und kommentiert. Lateinische Übersetzungen haben wir zwei, eine von
Avien und eine andere, kürzere von Priscian. Von Erläuterungen sind
ausser einer Paraphrase und dem weitläufigen Kommentar des Eustathios
gelehrte alte Scholien aus dem 4. oder 5. Jahrhundert auf uns gekommen.
Ausgabe mit den alten Kommentaren und Noten von Bernhardy, Ups. 1820; von
C. HüLLBR in Geogr. gr. min. t. II p. 102—457. — Beitrftge ssur Paraphrase gibt Ludwich,
Aristarch. II 553 ff.
6()0. Periploi. Dionysios nennt sich der Verfasser des Uvänlovg
BocnoQov^ der eine hochinteressante Beschreibung der häfen- und tempel-
^) Siehe den Artikel des Suidas. Besser
unterrichtet ist der alte SchoUast p. 427 ed.
Mull. (vgl. Fe'yog JioyxHsiov xov ns^tjytjxov
▼on Rfihl publiziert Rh. M. 29, 81): Jioyvaiog
6 neg&rjyrjiijg yiyoytv vlog Jtoyvaiov 'jXe^ttv-
d^äüpg ' ye'yoye ih im rtüy *P(ouaCxtuy xQoytav
fitr tt JvyovcToy Kaioaga rj iri' ttvxov' <pi-
^omai di avxov xal dXXa avyyQä/ifdttia^
AtStccxä re xal 'Ogyi^iaxd xal BaücaQixci.
«) Möller, Geogr. min. 11 p. XV— XXH.
») ÜNGBR, Jahrb. f. Phil. 1882 S. 449 ff.
entgegen Ttcho Mommsen (Dionysios der
Periegete, Frankf. 1879), der wegen V. 920
'jtvtUxoto yaTa bis auf 92 — 83 v. Chr. zurück-
gehen wollte.
*) Leüe Philol. 42, 175 ff. hat von Vers
109 und 513 an 2 Akrosticha entdeckt, wo-
nach der Verfasser aus Alexandria (Jtoyvalov
ruiy ivxog ^cigov) stammt und unter Hadrian
{inl 'Jdgiayov) schrieb. Trotzdem hÄltÜNQER,
Jahrb. f. Philol. 135 (1887) S. 53 ff. an seiner
Meinung, dass die Schrift unter Domitian
abgefasst sei, fest, indem er den Hadrian des
Akrostichons für einen römischen Magistrat
erklärt.
*) Strab. p. 642: htrj xaxiUnBv iv olg rd
re ovgdyta &iaxl&sxat xal xdg tjnsiQovg ys(o^
yqatpH xad^ kxdtfxrjv ix&ovg nolrjfjia.
44*
692 Griechische Litteratargeachiohte. II. NaohklaaaiBohe Lüteratnr.
reichen Küste des Bosporus gilt. Derselbe ist im 2. Jahrhundert noch vor
Zerstörung von Byzanz durch Septimius Severus abgefasst. Von der
Schrift gab zuerst im 16. Jahrhundert der französische Gelehrte Gilles eine
lateinische Übersetzung; das griechische Original galt für verloren, bis es
in unserem Jahrhundert def bekannte Grieche Minas wieder auffand und
in die Pariser Nationalbibliothek brachte. Aus der von Minas wieder auf-
gefundenen, leider nicht mehr vollständigen Handschrift gab den griechi-
schen Text heraus C. Wescher, Dionysii Byzantini De Bospori navigatione,
Paris 1874. Neuere Litteratur von Oberhummer im Artikel Bosporus in
Realenc. von Wissowa.
Von Isidor aus Charax am Tigris, der gleichzeitig mit Strabon unter
Augustus lebte und von Plinius dem Älteren als geographische Quelle be-
nutzt wurde, haben wir Svad-fioi HaQä^ixoi, nackte, hauptsächlich die Ent-
fernungen berücksichtigende Exzerpte einer Periegese des parthischen
Reiches, neben der Isidor auch noch ein allgemeineres Werk über die
Masse des Erdkreises geschrieben hatte. Ausgabe von Müller, Geogr. min.
I 244—56 ; dazu die Erläuterungen p. LXXX sqq.
Ähnlicher Art ist der SzaSiaCfiog rjtoi nsQinXovg tijg (leydXrfi x^akaaar^g
(bei Müller, Geogr. min. I 427—514), den ein anonymer Autor nach einer
alexandrinischen Quelle^) in byzantinischer Zeit zusammengestellt hat.
Müller preist das Buch als ein opus lacerum quidem sed pretiosissimum ; es
enthält die reichste und sorgfaltigste Küstenbeschreibung des mittelländi-
schen Meeres und bietet ungleich verlässigere Angaben als selbst Ptole-
maios. — Über die einschlägigen Schriften des Arrian s. § 487.
601. Pausanias heisst der Verfasser der für Archäologie und My-
thologie einzig wichtigen UsQirjyr^mg rrjg 'EXXädog in 10 B. Das Buch ent-
hält eine Beschreibung von Hellas oder doch des grösseren Teiles von
Hellas in Form einer Rundreise. Es beginnt mit Attika, speziell mit
Sunion, indem der Verfasser über das ägäische Meer nach dem Festland
Griechenlands kommt. Von Attika geht es weiter über Korinth nach dem
Peloponnes, und zwar auf derselben Route, welche auch jetzt noch die
Touristen zu nehmen pflegen, von Argos nach Lakonien, Messenien, Elis,
Achaia. Und wie heutzutag die Reisenden von Athen aus, wenn Zeit und
Geld reicht, noch eine zweite Rundreise nach den Hauptstätten des mitt-
leren Griechenlands zu unternehmen lieben, so schildert uns auch Pausanias
noch in einem zweiten Umgang die Landschaften von Böotien und Pfaokis
mit den Hauptstädten Theben und Delphi. Die übrigen, für die Kunst-
geschichte weniger interessanten und von den Reisenden schon damals
weniger besuchten Teile des westlichen und nördlichen Hellas lässt er
ausser Betracht.^) Demnach hat das erste Buch den Titel Wimxa, das
zweite KoQivd^iaxa^ unter welchem Titel zugleich Argos, Mykenä, Tiryns,
Epidauros mitinbegriifen sind, das dritte yiaxwvixd, das vierte Mecat^rtctxäy
das fünfte und sechste 'HXiaxd, das siebente ^Axaixd^ das achte ^^xacfixa.
*) Dieses wird daraus geschlossen, dass 1 damals schon Thessalien und Epinw nicht
der Periplus von Alexandria ausgeht. zur Provinz Achaia gehörten.
'') Dabei ist in Betracht zu ziehen, dass |
B a) Bömische Periode vor Konstantin. 8. Die Prosa, f) Panaaniaa. (§ 501.) 693
das neunte Boimrixd, das zehnte Omxixa. Oeschrieben ist das Werk unter
den Antoninen, nach Hadrian, auf dessen Bauten wiederholt Bezug ge-
nommen ist; speziell das fQnfte Buch fallt in das Jahr 173, wie die Stelle
V 1, 2 zeigt, wonach damals 217 Jahre seit Wiederherstellung von Korinth
verflossen waren.
In der Periegese nimmt der Autor gleich unsern Förster und Burck-
hardt vorzüglich auf die Kunstdenkmale, die Bauten, Statuen und Gemälde
Rücksicht. Mit Vorliebe geht er dabei auf die Werke der alten Zeit und
die Weihgeschenke der Tempel ein, was schon in der hervorragenden
Bedeutung der alten Kunst und in der Vorliebe der Sophisten für die alte
Herrlichkeit Griechenlands begründet ist,^) aber doch seinen speziellen
Grund in der Beschaffenheit der Quellen unseres Autors gehabt zu haben
scheint. Auf die Neuzeit hat derselbe wenig Bezug genommen, ausser wo
er Gelegenheit fand, die Verdienste der letzten Kaiser, des Hadrian und
Antonin, hervorzuheben. Von den Orten zu reden, wo man Unterkunft
und leibliche Stärkung finden könne, hat er unter seiner Würde gehalten;
auch fehlten damals noch mehr wie heutzutag die Hotels und Restaurants
in Griechenland. Aber in einer Zeit, in der die Kunstwerke noch nicht
in Museen aufgespeichert waren, musste die Beschreibung derselben not-
wendig auch auf die Topographie der betreffenden Stadt eingehen. Die
Landschaften, von denen unser Autor erzählt, hat er unzweifelhaft auch
gesehen;*) er war ja ein Freund des Reisens, hatte Italien, Sardinien,
Korsika, Arabien und selbst das Orakel des Juppiter Ammon besucht 3)
und war in Syrien wie zu Haus.*) Aber berichtet er nun auch alles, was
er uns von Weihgeschenken, Kunstwerken, Kultgebräuchen erzählt, auf
Grund eigener Beobachtungen? kam er nicht bloss auf seinen Reisen nach
Athen und Olympia, sondern hat er auch alle Erkundigungen über Bräuche
und Sagen selber eingezogen, alle Inschriften von den Steinen selber ab-
gelesen? Der Glaube an eine solche Sorgfalt und Genauigkeit des Pau-
sanias ist in unserer Zeit durch die archäologischen Forschungen und Aus-
grabungen stark erschüttert worden. Zwar haben viele seiner Angaben,
wie von den Gräbern auf dem Marktplatz von Mykenä^) eine glänzende
Bestätigung erhalten, aber zugleich hat sich herausgestellt, dass er viele
und bedeutende Denkmale, die zu seiner Zeit noch bestanden und dem
Reisenden in die Augen fallen mussten, mit völligem Stillschweigen über-
geht, wenn der Ursprung derselben der Zeit nach 150 v. Chr. angehört.
Nur bis dahin z. B. reichen seine Angaben über Weihgeschenke mit In-
schriften von olympischen Siegern, während die epigraphischen Funde
unserer Tage zahhreiche Siegesweihgeschenke aus jüngerer Zeit mitten unter
^) Bbi7V9, Päusanias nnd seine Ankl&ger,
m Jahrb. f. Philol. 1884 S. 23 ff., wo auch
herrorgehoben ist, dass Päusanias massen-
haft die alten Epiker, sehr selten den Dichter
der Neuzeit, Euripides, citiert. Zu vergleichen
ist das ähnliche Verhältnis des Panathenaikos
des lUietors Aristeides.
') R. Hbbebdey, Die Reisen des Päu-
sanias in Griechenland, Abh. d. arch.-epigr.
Seminars X, Wien 1894.
») Paus. V 12, 6; YUI 17, 4; IX 21, 1;
1X28,8; 1X16,1; X 17.
*) Paus. VI 2, 7; Vm 20, 2; 29, 3.
^) Diese Gräber aufzudecken ist unserem
grossen Landsmann Schliemahit nur an der
Hand des Paus. II 16, 7 gelungen.
694
OrieohUohe litteraturgeschiohte. II. Haohkhuiaisohe litterator.
jenen älteren aufweisen.^) Das lässt sich aus der Vorliebe des Periegeten
für die alte Zeit nicht zur Genüge erklären.^) Wenn ihm der Faden so
plötzlich ausgeht, ohne dass das Verstummen mit einer einschneidenden
Wendung in der Kunst zusammenfällt, wenn er aus der früheren Zeit auch
vieles unbedeutende und Mittelmässige erwähnt, aus der späteren Zeit
aber selbst das kolossale Monument des Agrippa am Aufgang zur Akro-
polis in Athen mit Stillschweigen übergeht, so muss das mit den Schrift-
quellen unseres Autors zusammenhängen, die eben nur bis zu jener Grenz-
scheide ergiebig flössen.*) Mit andern Worten, Pausanias hat wohl die
beschriebenen Landschaften Griechenlands besucht, aber seine Periegese
hat er erst nach seiner Rückkehr geschrieben und sich dabei weniger an
seine Notizen und dasjenige, was er bei seinem flüchtigen Besuch mit
eigenen Augen beobachtet und aufgezeichnet hatte, gehalten als an den
reichlicheren Stoif, den ihm die damals landläufigen, enkyklopädischen
Handbücher über Mythologie und Litteratur und seine schriftlichen Spezial-
quellen boten.*) Diese waren aber die durch zweite und dritte Hand ge-
gangenen Schriften des Periegeten Polemon, des Spezialhistorikers Istros
und des Geographen Artemidor, die er indes nicht ausdrücklich mit Namen
nennt, ^) ebensowenig wie den gelehrten Grammatiker, dem er die aus-
führlichen und interessanten Nachrichten über die Geschichte Sardiniens
und Korsikas (X 17) entnommen hat. In dem Bericht über die mythische
Vorgeschichte Messeniens folgte er speziell dem Dichter Rhianos und dem
Lokalhistoriker Myron von Prione.^)
Wer war nun dieser Pausanias, und woher stammte er? Fragen wir
ihn selbst, so bezeichnet er V 13, 7 '^näXonoq dh xai TavrdXov Ttjg notq*
rjfiiv ivoixrjaecog (TrjfieTa in xai ig Tode XemsTai Asien und speziell die
Gegend am Sipylos als seine Heimat. 7) Nun wird von Philostratos im
Leben der Sophisten H 13 ein in seiner Zeit hochangesehener Sophist
Pausanias genannt, der Schüler des Herodes Attikos und Lehrer des
1) G. HiBscHFELD, Arch. Zeit 1882 S. 97
bis 130; EisweDdongen dagegen von Schd-
BART, Jahrb. f. Phil. 1883 S. 469 flf.
*) Diese finden wir in ähnlicher Weise
auch bei dem zeitgenössischen Rhetor Ari-
stides, der in seinem Lob auf Athen mit der
Schlacht von Chftronea abbricht; s. § 522.
') Diese Anschauung ist hauptsächlich
zur Geltung gebracht worden durch Wila-
MowiTz, der sich im Herm. 12, 346 folgender-
massen äussert: Das erklärt sich nur durch
die Annahme, dass Pausanias eine alte Vor-
lage gedankenlos ausschreibt, einzeln mit den
Reminiszenzen eigener Anschauung, durch-
gehends mit denen anderer Lektüre versetzt
und schliesslich mit dem Rokokomäntelchen
sophistischer d<p^Xeia und kindischer Herodoi-
imitation umkleidet. Näheres bei Hirt, De
fontibus Fausaniae in Eliacis, Greifsw. Diss.
1878; Kalkmann, Pausanias der Perieget,
Untersuchungen über seine Schriftstellerei und
seine Quellen, Berl. 1886. Dagegen Gublitt,
Pausanias, Graz 1890, und Bbnckbr, Anteil
der Periegese an der Eunstschriftstellerei
(1890), der S. 68 so weit geht zu behaupten,
dass Pausanias von Polemon ganz unabh&Dgig
sei. Vgl. SüSBMiHL AI. Lit I 674 ff.
^) Die Mythologie oder iaxo^ia gehörte
damals zumeist zum Geschäfte des Periegeten,
wie man aus Plutarch Mor. 675^ und 723 '
ersieht.
^) Angedeutet ist Artemidor mit atnlj^
'E<pe<Jiog y 5, 9; Polemon steckt unter den
oooi fivfjfAfjp nBQi tov le^ov nBnoltjtrtai VIII
10, 2 und unter den noXvn^ayf*^*^^"^^^
anovdp ig rovg nhicxag V 20, 2. Schcm
pRBLLER, Polemonis fragm. p. 181 wunderte
sich, dass Pausanias den Polemon nirgends
mit Namen nennt.
• I Paus. V 6, 1 ; vgl. PruinyrKB&, Die histo-
rischen Quellen des Pausanias, Jahrb. f. PML
1869 S. 441 ff.; Eohlxarn, Quaestiones Mee-
seniacae, Bonn 1866. Ueber Myron vgl. Suu-
xiHL AI. Lit n 393.
') Dazu vgl. I 24, 8; Vm 17, 8.
B a) BOmisohe Periode yor Konstantin. 8. Die Prosa, g) Die Venpy thagoreer. (§ 502.) 695
Aspasios war, der also der Lebenszeit nach recht wohl unsere Periegese
geschrieben haben könnte. Aber dieser Tansanias stammte aus Gäsarea,
nicht aus Yorderasien, und Suidas erwähnt von ihm Problemata und ein
Buch über Syntax, aber keine Periegese. Ausserdem passt der nachlässige,
zum Teil inkorrekte Stil der Periegese^) wenig zu einem Sophisten, der
den Lehrstuhl der Beredsamkeit in Athen inne hatte. Mit Recht haben
sich daher Kayser und Siebeiis ^) gegen die Identität des Sophisten Pau-
sanias und des Verfassers unserer Periegese erklärt. Schwerlich auch
darf unser Perieget, wie sein Herausgeber Schubart unter Berufung auf
Vm 43, 4 annahm, mit dem Historiker Pausanias,^) der eine Ge-
schichte von Antiochia schrieb, identifiziert werden. Denn auch dieser
stammte nicht aus Magnesia am Sipylus, sondern aus Antiochia in Syrien;
auch ist die abergläubische Kritiklosigkeit des Antiochener Pausanias viel
grösser als die unseres Periegeten.^) Auffällig bleibt nur, dass der Geo-
graph Stephanos von Byzanz die Schriften beider, die Ilsqiriyriaiq und die
Kfiaig ^Avrioxeiag, unterschiedslos unter dem einfachen Namen Pausanias
anführt. Aber das kann doch höchstens nur beweisen, dass man im
5. Jahrhundert die beiden Pausanias nicht mehr unterschied. Wir be-
gnügen uns also mit der Annahme, dass unser Perieget ein sonst nicht
naher bekannter Schriftsteller der Sophistenzeit aus Magnesia in Vorder-
asien war.
Pansan. ed. et. adnoi. Sixbbub, Lips. 1822, 5 vol. ; ad codd. fidem rec. Schübabt et
Walz, Lipe. 1838 mit krit. Apparat; rec. Schubart in Bibl. Teabn., 2 vol.; ed. Hbbm. Hitzig
mit Kommentar von Blümner, Berl., im Erscheinen. — Pausanias' Description of Greece
iranalated with a commentary by Frazer, in 6 vol. with abont 30 maps, Cambridge 1898.
— Spezialansgabe Pansaniae descriptio arcis Athen, ed. O. Jahn, neubesorgt von Miohablis,
Bonn 1860. — Die Periegese von Olympia erläutert von Flasch, in Bauuxistbbs Denk-
mftlem des klass. Alt. S. 1606 ff. — Scholien veröffentlicht von Sfibo Herm. 29 (1894) 143 ff.
g) Die Philosophie.
&02. Philosophen dem Namen .nach gah es in der römischen Zeit
genug, aher sehr klein war die Zahl derjenigen, welche wirklich den Auf-
gaben der Philosophie ihre Thätigkeit zuwandten und über das Niveau
populärer Sittenlehre emporsteigend die schwierigeren Fragen des philo-
sophischen Erkennens zu lösen auch nur versuchten. Dadurch, dass die
eklektische Richtung der Philosophie immer mehr Boden gewann, ward
woU die Schärfe der alten Gegensätze gemildert, erlahmte aber auch zu-
gleich die Energie eigener philosophischer Spekulation. Die wenigen,
welche überhaupt noch der Frage nach den obersten Prinzipien näher
traten, warfen sich entweder dem bequemen Zweifel an der Möglichkeit
sicheren Erkennens in die Arme oder erhofften, indem sie die Wege einer
^) Pausanias gebraucht oXlyov diov statt
öXiyov dhlv, onoaa Ijjfw 4g, ta h = quant ä;
vgl. BöcKH, De Pausaniae stilo Asiano, in
Ges. Sehr. IV 208 ff.
*) Katsbb ad Phü. Vit soph. p. 857;
SiBBBLis in der Praef. der Ausg. des Paus.
*) Derselbe heisst o coipoSraxog xQ^yo-
r^tpof bei Malalas p. 156, 21 u. 161, 6 in
DurnoBFs Büst. gr. min., wo auch p. 154 — 164
die Fragmente desselben gesammelt sind. Bei
Constantinus Porph. de them. I p. 17 scheint
ovT€ Davcayiag 6 Ja/Äacxrjvos aus Jlavcapias
<o 'AyxioxBvg ovtB NtxoXaogy 6 Jafuiax. ver-
stümmelt zu sein.
^) Auch die Sprache des Antiocheners,
die mein Schüler Bourier untersucht, spricht
gegen die Identität
696
GriechiBohe Litteratnrgesohichte. II. Nachklassisohe Liiteratiir.
ungriechischen Anschauung wandelten, statt von der eigenen Forschung,
von der vermittelnden Oflfenbarung göttlicher Weisheit die Lösung der
Rätsel. Im übrigen aber sank in den weiten Kreisen der Gebildeten der
Begriff der Philosophie auf das Niveau hausbackener Verständigkeit herab.
Es nannten sich daher auch in unserer Zeit ganz gewöhnlich Historiker,
Geographen, Ärzte und sonstige Gelehrte Philosophen, ohne dass sie sich
mit eigentlichen philosophischen Fragen ernstlich und in selbständiger
Weise beschäftigten. Zur Abnahme der philosophischen Denkkraft trat
seit Hadrian noch die Rivalität einer jungen Kunst hinzu, welche die
alternde Philosophie in den Hintergrund drängte und geradezu den Glanz
ihres Namens in Anspruch nahm,i) das war die üppige, geräuschvolle
Sophistik. Es bestanden zwar noch in Athen und anderen Städten neben
dem Rhetorstuhl (S'Qovog ^r/roQixog) die alten Lehrstühle der Philosophie
und ihrer verschiedenen Sekten {alQsasig) fort;*) aber dadurch, dass die
Sophisten philosophische Themata behandelten ^) und durch den Glanz der
Darstellung eines höheren Ansehens sich erfreuten, sank der Einfluss der
Philosophie und minderte sich das Interesse für reinphilosophische Speku-
lation. Die Philosophen von Profession beschränkten sich fast einzig
darauf, die Lehren der alten Schulen und Meister zu kommentieren; qnae
philosophia fuit, facta philologia est, klagt Seneca ep. 108, 23. Dabei
wurden die gelehrten Philosophen in der Erklärung und Verteidigung der
alten Schriften ihrer Schulhäupter um so einseitiger und befangener, je
mehr sie durch die Stiftungen ihrer Schulhäupter und die nach Sekten
geschiedenen Lehrstühle gewissermassen auf ein bestimmtes Glaubens-
bekenntnis verpflichtet waren. Im übrigen hat es der Philosophie an
äusserer Förderung nicht gefehlt ; neben den reichen Stiftungen der alten
Schulen und den guten Dotationen der neugegründeten Lehrstühle kam
derselben auch die Gunst der Kaiser zu statten. Augustus hielt den
Stoiker Athenodoros, seinen Lehrer, hoch in Ehren, und erklärte ostentativ
nach der Niederwerfung des Aufstandes in Alexandria, dass er nur dem
Philosophen Areios zulieb den Bürgern ihren Übermut verzeihe;*) Titus
verkehrte intim mit dem Philosophen Musonius, Nerva und Trajan mit
Dion Chrysostomos,^) Marc Aurel mitRusticus; selbst der finstere Tiberius
hatte gern den Platoniker Thrasylos um sich.^) Auf der anderen Seite
blieben freilich auch die gewaltsamen Reaktionen des römischen Kaisertums
*) Philostr. vit. soph. I prol.: oofftarag
olnaXaiol intayofjta^ov ov fioyoy twv ^fjtoQfoy
Tovg v7i6Q(pQoyovytttg X€ xai XafAngovg, aXXa
xal T(oy ffiXonofftay xovg avv evQoiif BQfATj-
pevoytag, Fayormus heisst bei Gellias regel-
mässig phüo8ophu8y bei Lukian Dem. 12 <ro-
(pioTfjg. Vgl. RoHDB, Gr. Rom. 820 f.
^) Luc. Eon. 3: ovvtitaxxai ix ßaciXeto^
fiia&o(poQla xi>g ov (pavXtj xard yiyij Toig
q)iXoa6q)oi^y Srtotxots Xiy<o xal JlXatcjyixotg
xttl *E7fixovQ6loig hi xai xolg ix xov negi-
naxov. ZuMPT, üeber den Bestand der philo-
sophischen Schulen in Athen, Abh. d. Berl.
Ak. 1844.
*) Schon durch den Rheior Hermagoras
ward die Redekunst auf die Besprechung all-
gemeiner philosophischer Fragen ningewieoen;
8. Cic. de mv. I 6, 8; vgl. Thiblb, Hermagoras
S. 30 flF.
«) Plut. Anton. 88; Cassius Dio 51, 6;
Themist or. V p. 75; VHI 129; X 155;
Xni 212.
^) Suidas unt. Jltn^ und die angeftkrt^i
Stellen des Themistios.
•) Suet. Aug. 14 u. 62; Tac. ann. VI 20.
Die Fragmente des Thrasylos bei Müllse
FH6 III 501—5. H. Martin, Recherchee sur
les quatre personnages appel^es Tfarasylle,
in AnnaL di sdenzi matL vin (1887) 428 ff.
B a) BAmiflohe Periode vor Konstantin. 8. Die Prosa, g) Die Nenp3rthagoreer. (§ 503.) 697
gegen den Freimut der Stoiker und die zersetzenden Tendenzen der frem-
den Philosophie nicht aus. Nachdem schon Nero bei Gelegenheit der Ver-
schwörung des Piso gegen die Philosophen, insbesondere Seneca und Mu-
sonius, gewütet hatte, folgte eine zweimalige Vertreibung der Philosophen
aus Italien, zuerst unter Vespasian, dann unter Domitian (94 v. Chr.).
Aber diese Verfolgungen waren von keiner nachhaltigen Wirkung: die
Philosophen kamen wieder oder zogen sich nur von Rom zu ihren alten
Sitzen in Griechenland und Kleinasien zurück.
Die erhaltenen Schriften tragen fast durchweg den Charakter eklek-
tischer Popularphilosophie ; am besten noch ist die Lehre der Stoa ver-
treten; nach ihr die der Akademie. Der bedeutendste philosophische
Schriftsteller unserer Periode ist entschieden Plutarch; ihm haben wir
bereits oben einen eigenen Abschnitt gewidmet. Was sich sonst noch
von philosophischen Schriften erhalten hat, ist nach Zahl und Wert zu
unbedeutend, um eine Gliederung in besondere Abschnitte zu fordern. Wir
werden daher im möglichsten Anschluss an die Zeitfolge mit einer ein-
fachen Aufzählung der einzelnen philosophischen Schriftsteller uns be-
gnügen, indem wir die Vertreter der neupythagoreischen, judaisierenden,
stoischen, sophistischen, skeptischen, historisch-biographischen Richtung
nacheinander besprechen.
503. Die Neupythagoreer. Um die Zeit von Christi Geburt fand
die nie ganz erloschene, sondern in religiösen Eonventikeln, namentlich
Unteritaliens, stets fortglimmende Lehre der Pythagoreer wieder neue
Nahrung. Es war die Sittenlehre, welche schon im Anfang einen Eck-
stein der pythagoreischen Philosophie' gebildet hatte, jetzt aber von ihren
Anhängern so in den Vordergrund gerückt wurde, dass die Reinheit des
Lebenswandels und die Beherrschung der sinnlichen Begierden als das
Endziel allen Philosophierens erschien. Unter den Römern war es Nigi-
dius Figulus, ein Freund des Cicero, der in seinen Schriften diese Rich-
tung der Neupythagoreer vertrat, i) Unter den Griechen traten nur wenige
bestimmte Namen hervor, da diese es meist vorzogen, unter der Maske
des Pythagoras oder der alten Schüler des Meisters ihre Gedanken in die
Welt gehen zu lassen. Zwar gibt sich der jüngere Sotion aus Alexan-
dria, der Lehrer Senecas (ep. 49, 2), der das Gebot der Enthaltung von
Fleischspeisen mit der Lehre von der Seelenwanderung in Verbindung
brachte,*) deutlich als Pythagoreer kund, aber von bestimmten Schriften
desselben erfahren wir nichts. Hingegen gingen unter erheucheltem Namen
die nv&ayoQixd vTtofxvrjfiaza, welche bereits Alexander Polyhistor bei
Diog. Vni 24 citiert, die goldenen Worte des Pythagoras {Xqvccc c/rij,
cf. aurea dicta des Epikur bei Lucret. III 12), ») die weisen Sprüche seiner
angeblichen Frau Theano, die grösstenteils durch Stobaios uns erhaltenen
Sätze des alten Pythagoreers Archytas.
^) Aach der König Jaba fahndete nach
Schriften der Pythagoreer, wobei er von An-
tiquaren wMdlich betrogen wurde; s. David
in Aristot categ. 28* 13.
«) Siehe Plutarch § 479.
^) Dazu ein Kommentar des Hierokles
erhalten, worüber nnten g 624.
698
Chrieohisohe Litteratiirgesohiohte. IL Vaohklasdsohe Liiteraiar.
Den Namen eines alten Schülers des Pythagoras, des Okellus Lu-
eanus, von dem uns Stobäus ecl. phys. 1 13 einen Satz in dorischem Dia-
lekt erhalten hat, trägt die Schrift von der Natur des Universums (ttc^
Tfjg €ov Tiavzog (fvaswq). Das Buch zerfällt in vier Kapitel, von denen die
drei ersten die alten Probleme von der Ewigkeit und Unverganglichkeit
der Welt, von dem unterschied der bleibenden Substanz und der ver-
änderlichen Eigenschaften, vom Bestehen der Teile der Welt, des Himmels,
der Erde und des Menschengeschlechtes, von der Zeiten Anfang, in
summarischer, hauptsächlich auf Aristoteles fussender Beweisführung be-
handeln. Das vierte Kapitel gibt einen moralisierenden Abschluss, indem
es der geschlechtlichen Verbindung der Menschen die Erhaltung des Ge-
schlechtes durch Zeugung kräftiger Kinder zur kosmischen und sittlichen
Aufgabe stellt. Von einem hohen Alter der Schrift kann keine Rede sein;
sie ist in den Kreisen der späteren Peripatetiker entstanden und erinnert
speziell an des Nikolaos Damaskenos Buch TteQl %ov nartog, Gitiert wird
Okellos bereits in dem unter die Werke des Philon aufgenommenen Buche
über die Unverganglichkeit der Welt.^) Ausserdem citiert i}in Censorinus
de die nat. 4, 3 und schliesst Diels Doxogr. 187 f. aus dem Anklang jener
Stelle des Censorinus an Varro de re rust. II 1, 3, dass schon Varro den
Okellos gekannt habe.
Einen Sextus fand als Verfasser einer Sammlung pythagoreischer
Sprüche der Kirchenvater Origenes (c. Cels. 8, 80; in Math. 19, 3) vor. Von
dieser Sammlung sind uns noch Reste in der lateinischen Überarbeitung
des Rufinus und in syrischer Übersetzung erhalten.^) Änlicher Art sind
die moralischen Sprüche und Vergleichungen des Secundus des Schweig-
samen (unter Trajan),') des Demophilos, Demokrates^) und eines ge-
wissen Eusebios.'^)
Obelli, Opuscula Graecomm vetemin sententiosa et moralia, Ups. 1821, 2 Bde; Py>
thagoreorum alioromque philosophorum similitudines et sententiae, in Mullach FPG I 485 ff.,
II 1 ff., III 1 ff.; Eltbr, Gnomica, fasc. I Sexti Pythagorici Clitarchi Enagrii Pontici aententiae,
fasc. n Epicteti et Moschionis quae feruntnr sententiae, lips. 1892, Hauptbuch, worflber
Byz. Zeitschr. I 157 ff. - Sexti sententiarum recensiones exhioet Gildbmsistsb, Bonn 1873.
UvHayoQov /^vff« %nfj ed. Nauok, im Anhang des lamblichos, Petersburg 1884;
dazu der Kommentar des Hierokles in Müllacb FPG I 416 ff., und Nauck in Melange»
grec. Romains III 546 ff. — Schenkl, Pythagoreersprache aus Vind. phil. 225, in Wien. Stod.
*) Philon nsQi dw&aQaiag xoe/iov c. 3
p. 489 M. : Eyioi di xat 'AQi^toxiXrj rrjg do^tjq
€VQ6Tijy Xeyovoiy, aXXa xai jiiv IJvdayoQBioiy
Tivag ' iyto di xai ^OxMov cvyyQtxfjtfAaxL
Aevxayov yiyog ini,yQa<fOfiiy<a negi rrjg rov
nayjog ffvasotg iy^xvxoy, iy ^ nyeyrjtoy xai
a(f&(tQxoy ovx anBffttiyexo fxoyoyy (iXXd xai
cf*' ano6el^Sü}y xaxeaxevaCe xoy xoofAoy eiyai.
Ueber die Stellung der Frage von der Un-
verganglichkeit der Welt in der Lehre des
Neuplatonismus vgl. Sallustius Tiegi dewy xai
xofffiov c. 17.
*) GiLüBMEisTER, Soxti sout. 1873 schreibt
die Sentenzen einem Sextus (nicht Sextius)
aus ungewisser Zeit zu und weist das grie-
chische, aber unvollständige Original in den
Vytafjiai <so<pdiy nach, welche Boissonabb,
Anecd. I 127—134 aus dem Cod. Paris. 1630
herausgab. Ueber christliche BestandteOe in
jenen Sprttchen und die Schwierigkeit, einen
Kern von Gnomen der Sextier herauszufinden.
s. Zbllbr in» 1, 678 f.
*) Von Secundus hat Tischendorf einen
piog auf einem Papyrusblatt in Aegypten ge-
funden, worftber Sauppb Philol. 18, 523 fiL
Auf moralische Sentenzen geht auch Juvenal
XIII 19.
*) Des Demokrates Sprüche sind in ioni-
schem Dialekt geschrieben.
') Auch die durch Stobaios erhaltenen
Fragmente des Eusebios sind in ionischem
Dialekt geschrieben. Unsicher ist die Ver-
mutung von Müllach FPG III 5, daas derselbe
mit dem von Eunapios vit soph. p. 48 f . er-
wftfanten Platoniker Eusebios ans Myndos
identisch sei.
B a) BömiBohe Periode vor Konetantin. 8. Die Prosa, g) Apollonios. (§§ 504—505.) 699
VIÜ (1886) 262 ff.; Gildbmbistkr, Pythagoreersprüche aus dem Syrischen, in Hermes
4, 81 ff.
Bachmann, Das Leben und die Sentenzen des Philosophen Secundus des Schweigsamen,
HaUe 1887; Derselbe, Die Philosophie des NeopyÜiagoreers Secundus, mit Nachweis ftthio-
vÖBcher und lateinischer Uebefsetzungen, Berlin 1888. — Sprüche der Theano in syrischer
Uebersetzung herausgegeben von Sachau, Inedita syriaca, Wien 1870; ebenda eme Vita
des Philosophen Secundus, die auch in ftthiopischer und arabischer Uebersetzung existiert.
'OxäXXov xov ABvxavov nBQt trjg xov navtog (pvaetüi in Mullach FPG I 388 — 406.
504. Apollonios aus Tyana in Kappadokien, dessen Leben uns in
romanhafter Ausschmückung von Philostratos beschrieben ist,^) gehörte
zu den abenteuerlichen Grosssprechern und Wunderthätern des hellenisti-
schen Orients, welche, ohne philosophischen Forschungen obzuliegen, sich
den Namen von Philosophen und Pythagoreern beilegten. Er lebte unter
Nero und Domitian in Rom, hatte aber auf ausgedehnten Reisen auch
Fühlung mit den orientalischen Theosophemen der Magier, Brahmanen,
Gymnosophen, vielleicht auch der Christen gewonnen. Suidas erwähnt
von ihm TeksTai ij neQi ^vauai\ diad-tjxrj, xQ^l^^f^^h euiaToXai, üvd^ayoQOv
ßiog. Erhalten haben sich unter seinem Namen 177 meist kurze, aber
an Kemsprüchen reiche Briefe (Epist. gr. ed. Herch. p. 110 — 130), die uns
den Mann von einer viel besseren Seite als das Buch des Philostratos er-
kennen lassen. Aber die Echtheit dieser Briefe ist sehr fraglich, zumal
die von Stobaios aus Briefen des Apollonios angeführten Stellen sich in
den uns erhaltenen nicht finden, so dass jedenfalls Stobaios noch andere
Briefe unseres Philosophen gehabt haben müsste.*) Philosophische Briefe
waren aber in jener Zeit der Gedankenseichtheit eine sehr beliebte Form,
sich über philosophische Dinge, namentlich moralische Fragen auszu-
sprechen; wir lernen diese Richtung, die von Epikur an datiert, besser
noch als aus den Schriften der Griechen aus den Briefen des stoischen
Staatsmannes Seneca kennen.
605. Philon aus Alexandria,») der im Jahre 39 n. Chr. als Ver-
treter der jüdischen Gemeinde von Alexandria eine Gesandtschaft nach
Rom an den Kaiser Gaius Caligula ausführte,*) ist der Hauptvertreter der
hellenistisch-jüdischen Philosophie. Ein Verehrer Platons^) und ein
Freund der Stoa wurzelte er doch mit seinen Lebensanschauungen in dem
Judentum und im Glauben an die heiligen Bücher seines Volkes.^) Als
Schriftsteller war er ungewöhnlich fruchtbar und hat zahlreiche, zum
^). Benutzt hat Philostratos die älteren | *) Ein Artikel von Suidas über #(Aaiv
Memoiren des Damis aus Ninus, der den | 'lov&aTog. aus neuerer Zeit von Steinhart in
Apollonios auf seinen Wanderungen begleitet { Paulys Realencyklopädie des klass. Alt.
hatte, femer ein Buch des Maximus aus | *) Joseph. Arch. iud. XVIII 8, 1; Philo
Aigai, das die Wunderthaten des Apollonios
im Afiklepiostempel zu Aigai in Eilikien ent-
hielt, mid Aie'Jnofjtyrjfioyevfjtaxa des Apollonios
von Moiragenes in 4 B. Ein Athener
Moiragenes kommt vor bei Plut. Quaest. conv.
IT 6. — Ueber das idealisierte Bild des
Apollonios 8. 725 Anm. 3.
^) Die Briefe, von denen uns nur Citate
erhalten sind, bei Horcher n. 78 — 116. Die
Echtheit der Briefe bestreitet Eaysbb, Praef.
ad vit Apoll, p. 5; ihm stimmt im wesent-
lidien bei Wbstskmakn, De epist. Script, graec. (1891).
n 22.
tibqI TiQBüßBiag ngog rdiot-; Euseb. Hist. eccl.
n 5, 1.
^) Sprichwörtlich sagte man nach Suidas:
^ IJXttTtJv (piXü)yiC€i rj ^iXtoy TtXccitjyiCsi,
^) ZiBGLBB, Ueber Entstehung der ale-
xandrinischen Philosophie, Vhdl. d. 36. Vers,
d. Phil. S. 33—42, wo namentlich auf den
Zusammenhang der Lehre Philons mit dem
pseudosalomonischen Buch der Weisheit hin-
gewiesen ist. Frbudentbal, Die Erkenntnis-
lehre Philos, Berl. Stud. f. klass. Phil. XIII
700
Griechische Litteratnrgeschiohte. IL Vaohklasaiaohe Litteratar.
grösseren Teil uns noch erhaltene, aber erst nach und nach ans Licht ge-
zogene Schriften hinterlassen.^) Einige derselben sind geschichtlich-bio-
graphischer Natur, wie das Leben des Abraham, Joseph, Moses; andere
beziehen sich auf die Zeitverhältnisse und die Stellung des Autors zu den-
selben, wie die von der Gesandtschaft an Gaius und von dem Statthalter
Flaccus;*) die Mehrzahl derselben behandelt Fragen der Philosophie, ins-
besondere der Ethik, teils von einem allgemeineren Standpunkt, wie über
die Tapferkeit {Ttsgl dv^Qciag), über die Menschenliebe (/r^^i ^iXavd^Qiamaq\
über die Trunksucht (neQi fiäx^rjg)^^) teils im engeren Anschluss an die
jüdischen Sitten und Gesetze, wie über die Zehngebote {ncgi %wv dexa
Xoyion'), über die Spezialgesetze {ncgi xüv iv siis^ vofiwv)^ über die Be-
schneidung {71€qI nsQitofi^g); andere endlich enthalten allegorische Deu-
tungen der heiligen Schriften der Juden, wie die v6fi(ov ie^v äXXrffo^ca
zu Genes. II 1 — 3, III 19, nsQi ytydvTfav zu Genes. VI 1 — 3, o« otQsnxov
t6 ^eTov zu Genes. VI 4—13.*)
Durchweg vertritt Philon in seinen Schriften eine synkretistische
Richtung, indem er teils Moses in Piatons Sprache sokratische und stoische
Weisheit vortragen lässt, teils die Lehren der griechischen Philosophen,
eines Heraklit, Piaton, Zenon, aus mosaischen Quellen ableitet. Es ist der
erste grosse Versuch, Philosophie mit Religion oder die Resultate freien
menschlichen Denkens mit den Satzungen göttlicher Oifenbarung zu ver-
einen. Cardinalpunkt in diesem System, wenn man bei so unklarer Ver-
mischung von einem System reden kann, ist die Lehre von dem Logos,
der als Mittler zwischen Gott und Welt den Menschen die Gebote und
Offenbarungen Gottes überbringt, und einerseits der Gottheit als Eigen-
schaft der denkenden Weisheit innewohnt, anderseits durch die sinnlich
wahrnehmbare Welt als die in ihr sich offenbarende göttliche Vernunft
verbreitet ist.*^) Auch diese Theorie ist von Philon in Verbindung ge-
bracht mit einer Stelle des Piaton im Symposion c. 23, wo der attische
Philosoph von den Dämonen als den Mittelwesen zwischen den sterblichen
Menschen und seligen Göttern spricht.^) Mit der Logoslehre und der da-
*) UDYollständig ist das Schriftenver-
zeichnis bei Suidas und Eusebios, Eist. eccl.
II 18; doch enthält dasselbe mehrere Schrif-
ten, die nicht auf uns gekommen sind. Das
Schriftenverzeichnis in Fabricius Bibl. gr. IV
728 f. hat später noch wesentliche Ergän-
zungen durch den Fund armenischer üeber-
setzungen und einzelner Originaltexte er-
fahren. Auch Hexameter aus einem Gedicht
des Philon über Jerusalem citiert Euseb. praep.
ev. IX 20 und 37. üeber die schwierige Frage
der Anordnung der Schriften Philos Masse-
BiEAU, Le classement des oeuvres de Philon;
Wbndland Herm. 31 (1896) 485 ff.
*) Beide Schriften bilden nur einen Teil
der 5 Bücher Über die Stellung der Juden
unter Gaius.
*) Veranlasst wurde die Schrift Ttegl
fds9ijg durch den allegorischen Kommentar
zur Erzählung der Genesis von Noahs Wein-
bau; vorausgeschickt ist ihr p. 850 ed. M.
eine Darstellung der griechischen Erörterun-
gen über das Cv^fjfjta cioäs, si fiBOtnrS'^etai
o ootpog, dajs ftbr die Geschichte der stoiachen
Philosophie v. Abnim» Quellenstadien zu Philo,
Phil, ünt XI (1888) 101—140, verweitet —
üeber das Verhältnis Philos zur kynisch-
stoischen Diatribe überhaupt Wbsolakd, Bei-
träge zur Geschichte der griechischen Philo-
sophie und Religion, Berlin 1895.
*) Zu gründe gelegt ist die griechische
Uebersetzung der Septuaginta, in der Philoa
besser als im hebräischen Urtext bewan-
dert ist.
') Hbiuze, Die Lehre vom Logos in der
griechischen Philosophie, Oldenburg 1872,
S. 204 ff. Ausgegangen ist offenbar Philon
in seiner mysteriösen, keineswegs zur kon-
sequenten Klarheit entwickelten Lehre voo
der Vieldeutigkeit des griechischen Wortes
Xoyog, das die 3 Bedeutungen hatte: 1) ge-
äusserte Rede, 2) innere Vernunft, 3) Ver-
hältnis der Teile eines Ganzen zu einander.
*) Plato Sympoe. c. 23: ro «fat^onor
Ba)B5mi8ohe Periode vor Konatantin. 8. Die Proaa. g) Philon. (§ 505.) 701
mit zusammenhängenden Lehre von den Engeln und Dämonen ragte
Philon in eine neue Welt hinein und beeinflusste in nachhaltiger Weise
die philosophischen Anschauungen der Gnostiker und christlichen Kirchen-
lehrer. Aber eben deshalb fällt auch eine eingehendere Betrachtung der
Werke und Ideen Philons ausserhalb der Grenzen unserer Aufgabe. Die
meisten seiner Schriften sind überdies Auslegungen von Stellen des alten
Testamentes, so dass dieselben trotz der griechischen Sprachform zur
hebräischen, nicht griechischen Philologie gehören. Nur von einigen mehr
in das allgemeine Wissensgebiet fallenden Schriften noch einige Worte:
Wichtig für die Geschichte der griechischen Philosophie ist besonders die
lehrreiche Schrift über die ünvergänglichkeit der Welt {ttsqI dg^&aQaiag xoa-
fjtov), worin dieses von Aristoteles angeregte Thema unter Berücksichti-
gung des auf- und abwogenden Schulstreites der Peripatetiker und Stoiker
behandelt ist. Aber Bedenken gegen die Echtheit der Schrift erweckt der
Umstand, dass die in derselben vorgetragene kosmogonische Theorie im Wider-
streit steht mit dem von Philo in dem Buch nsQi trjg Mcovaawg xoafionouag ge-
teilten Glauben an die Schöpfungsgeschichte des alten Testamentes.^) —
Für die Geschichte des Mönchtums hochbedeutsam ist das Buch von dem be-
schaulichen Leben der Therapeuten {rreQl rov ßiov xß-ecoQrjrixov), welche an dem
westlichen Ufer des roten Meeres wohnend eine Gemeinschaft von Ordens-
brüdern bildeten und Vorbild für die christlichen Mönchsorden geworden sind.
Auch die Echtheit dieser Schrift bildet einen viel umstrittenen Zankapfel..^)
Codices: Lanrent. 10, 20 s. XUI; Vaticanus 381; Vindob. Üi. gr. 29; Monacens. (olim.
Angoat.) 459 und 113. Unsere Handschriften gehen nach einer Schlussbemerkong des
Schriftenverzeichnisses auf Enzoios, Bischof von Cäsarea im 4. Jahrh., zurück und des weiteren
auf die Bibliothek des Origenes, der zuerst auf die Bedeutung des Philon für die christliche
Lehre aufinerksam gemacht hatte. Vgl. Ausgabe von Cohiv-Wenoland.
Ausgaben: Ed. princ. von Tubnebds, Par. 1552; vollständiger von Manoey, London
1742, 2 vol. und von Pfeiffeb, Erlang. 1795, 5 vol. — Neue Funde von armenischen üeber-
setzongen aus einer galizischen (gefunden von Zohrab 1791) und einer konstantinopolitaner
Handschrift, publiziert von Aüoher, Yenet. 1822; neue griech. Texte De virtute eiusque
partibos, De feste Cophini, De parentibus colendis von Ang. Mai in der Ämbrosiana und
Yaticana gefanden und publiziert Medioi. 1816/18 und in Script, class. t. IV, Rom. 1830.
Diese Funde verwertet in der Gesamtausgabe von C. E. Richter, Lips. 1828 — 30, 8 vol. —
Danach wurden noch neue Philonea ans Licht gezogen von Tisch rndobf, Lips. 1868, Harris
(aus des Damaskenos Parallela), Cambridge 1866; Wendländ, Neuentdeckte Fragmente
Philos, Berlin 1891. — Neue kritische Gesamtausgabe maior et minor im Erscheinen von
CoHK u. Wbndland, begonnen Berlin 1896. — Einzelausgaben: Philonis Alexandrini libellus
fiexa^r iüxt &eov te xal ^vrjxov . . . dut 1 lung in der Geschichte der Askese, Strassb.
lovto naffa icjiv rj 6/nXla xal ^ duxXsxtog I 1879, weist die Schrift einem christlichen
9^€otg TtQog dvdqtanovg. Von der Aufnahme I Verfasser des 3. Jahrhunderte zu. Die Echt-
derDSmonenlehre in die synkretistische Philo-
sophie der römischen Kaiserzeit zeugt beson-
ders Augustin, de civit dei IX 19: nonnulH
ütorum ut Ua dicam daemonicolarum , in
quibus et Labeo est, eosdem perhibent ah
aUis angelos dici, qtios ipsi daemanes nun^
cupant,
') Bbrkats, Abhdl. d. Beri. Ak. 1876 u.
Ges. Abhdl. I 283—90; v. Arnim, üeber die
pseudo-philonische Schrift neqi ätpSagciag
xoofiov, in Phil, ünt XI 1--52. Die Echtheit
verteidigt der neueste Herausgeber Cumont.
Tgl. SusBMiHL AI. Lit. I 322 ff.
') Lucntvs, Die Therapeuten und ihre Stel-
heit des Buches von den Therapeuten hingegen
verteidigt mit guten Gründen Wendland, Die
Therapeuten und die Philonische Schrift vom
beschaulichen Leben, Jahrb. f. Phil. Suppl.
XXII 695 ff., wozu BoLL Bay. Gymn.Bl. 1898
S. 329 ff. — Ohle, Die EssÄer des Philon, in
Jahrb. f. prot. Theol. XIII (1887) S. 288—394
beweist, dass auch in der Schrift, Der Weise
ist der wahrhaft Freie, die §§ 12 u. 13 von
christlicher Hand zugesetzt sind. In die Jugend-
zelt Philos versetzt die ganze^Scbrift Kbell,
nsQi jov navra anovdttToy sivat iXev&eQoy,
Echtheitsfrage, Augsburg Progr. 1896.
702
Grieohiaohe Litteratiirgesohiohte. IL Vaolüdassisohe Liiteratnr.
de opificio mandi ed. L. Cohh, Vratisl. 1889; PhiloniB de aeternitate mimdi ed. Franc
CuMONT, Berl. 1891; Philo about the contemplative life, by Gontbbarb, Oxford 1895. —
Chrestomaihia Philoniana von Dahl, Hamburg 1800, 2 Bde. — Erlftatemngsschriften von
Gfröber, Philo und die alexandrinische Theosophie, 2. Aufl. Stnttg. 1835; Ueberweo, Gesch.
d. Phü. I ' 296 ff.; Zbllbr, Gesch. d. gr. Phüos. III« 2, 338 ff.
506. Die Sekten der Stoiker, Epikureer, Peripatetiker, Aka-
demiker, welche in der alexandrinischen Periode eine so geräuschvolle litte-
rarische Thätigkeit entfaltet hatten, sind in der römischen Zeit, als das Inter-
esse für die philosophischen Klopffechtereien der sich gegenseitig befehdenden
Systeme erlahmt war, allmählich still und schweigsam geworden. Die Epi-
kureer haben nur hier und da nochmals ihre Stimme gegen den herein-
brechenden religiösen Wunderglauben erhoben ;^) von den Piatonikern hat nur
Attikus (2. Jahrb.), von dessen Schriften uns grössere Stellen Eusebios er-
halten hat, mit Energie den Kampf gegen Aristoteles fortgesetzt. Die Peripa-
tetiker, unter denen Alexander Aphrodisiensis hervorragte, haben sich
fast ausschliesslich auf die Erklärung der Werke des Aristoteles beschrankt.
Doch hat der bedeutendste unter ihnen, Alexander von Aphrodisias, der unter
Septimius Severus blühte, auch in selbständiger Weise von der Seele (Ttegi
y^'vxtjg), dem Schicksal {nfQi €i^a(ßiiuvrig)^ der Mischung und Mehrung (^«^
xQaaewg xai av^rjcewg) gehandelt und in der Schule zahlreiche Zweifel und
Probleme über Fragen der Physik und Ethik {^vatxäv otioqiwv xai
Xva€(ov 3 B., r;&ix(ov nQoßXr^fjiarwv 1 B.) hingeworfen, die von seinen
Schülern in planloser Weise zusammengefasst und publiziert wurden.«) Die
Kyniker verlegten sich mehr auf das Poltern und ostentatives Schein-
heiligtum als auf litterarische Thätigkeit. Am meisten sind noch die
Stoiker, an deren Tugendlehre sich die Besten der Zeit klammerten, in
die Arena des litterarischen Wettkampfes getreten. Die beiden ältesten
derselben sind Gomutus und Musonius Rufus.
507. L. Annaeus Cornutus aus Leptis in Afrika war Lehrer des
römischen Satirikers Persius und wurde zugleich mit Musonius Rufus von
Nero aus Rom verwiesen. Auf uns gekommen ist von seinen in griechi-
scher Sprache geschriebenen Werken die ^ETiidQofiii] twv xard tjijv "EJUij-
vixTJv &€oloyiav uaQadsioiiisvm', eine früher überschätzte Kompilation nach
den grösseren Werken der älteren Stoa,») insbesondere des Kleanthes und
ApoUodor,*) die uns mit den allegorisierenden etymologischen Träumereien
der stoischen Mythenerklärung (Apollo = Sonne, Athene = Weisheit,
Hephaistos = Feuer u. ä.) bekannt macht.*)
*) üeher Celsus, den Verfasser des gegen
die Christen gerichteten UXtjSijg Xoyog siehe
unten unter Lukian and Origenes; üher den
epikureischen Philosophen Diogenes und die
philosophische Steininschrift von Oinoanda in
Lykien siehe oben § 415.
*) Alexandri Aphrodisiensis praeter com-
mentaria scripta minora ed. Bruns, in Arisiotel.
suppl. II; vgl. oben p. 489.
') OsANN in seiner Ausg. p. XXXIX sqq.
Cornutus selbst am Schlüsse seines Buches:
6ia TiXeiovcjy de xai i^SQyaffuxuitSQoy eiQTjTat
rois TtQsaßvjeqoig <piXo<r6g)oig i/ÄOv vvv int-
JStfAtjfieyfüs avtd naQadovyalcoi ßovXtj&eyrog.
^) MOnzrl, De Apollodori ne^ Semr Uhro
p. 25—30.
^) Ausgabe von Osann, Gott 1844; von
C. LkvOy Lips. 1881. Des Comatua nnwttr-
dig ist der seinen Namen tragende Pernns-
kommentar; s. 0. Jahn, Proleg. in Persinm
p. CXni sqq. Erst aus dem sp&ten Mittel-
alter stammen die sogenannten Disücha Cor-
nuti, neu herausgegeben von Lisbl, Ptogr.
Straubing 1888. Cornutus schrieb nai^ Snidas
auch rhetorische Schriften, worüber GRaBVss,
Comuti artia rhetoricae epitome, 1891,
p. xxvm.
Ba)B5m. Periode TorKonataniin. d.BieProsa. g)Sektenphilosophen.(§§506— 508.) 703
C. Musonius Rufus aus Volsinii in Etrurien, ein charakterfester
Stoiker, der durch Nero wegen der angeblichen Beteiligung an der Ver-
schwörung des Piso nach der Felseninsel Gyaros verbannt wurde, i) später
aber unter Galba wieder nach Rom zurückkehrte, schrieb gleichfalls seine
philosophischen Untersuchungen in griechischer Sprache und dieses in
einer an Xenophon erinnernden Eleganz. Suidas fuhrt von ihm philo-
sophische Reden und Briefe an. Von den Briefen ist einer an Pankra-
tides erhalten (Epist. gr. ed. Herch. p. 401 — 4), worin er seinen Freund zur
Unterweisung seiner Söhne in der Philosophie ermahnt. Ausserdem sind
durch Stobaios höchst wertvolle Bruchstücke der 'ATioftvYjiAorsvfiaTa Mov-
awviov tov (piXoifofpov von Pollio auf uns gekommen.*)
608. Epiktetos aus Hierapolis in Phrygien, von Geburt Sklave,*)
wie sein älterer Landsmann Aesop, war Schüler des Musonius Rufus und
wirkte zuerst in Rom als hochangesehener Sittenlehrer der Stoa. Durch
Domitian bei der grossen Philosophenvertreibung des Jahres 94 aus Italien
verjagt, schlug er seinen Sitz zu Nikopolis in Epirus auf, wo er einen
grossen Kreis begeisterter Zuhörer um sich sammelte und bis ins 2. Jahr-
hundert hinein thätig blieb ; sicher lebte er noch unter Trajan, aber auch
noch Hadrian soll mit ihm vertraulich verkehrt haben (Spartian, Hadr. 16).
Seine Philosophie beschränkte sich wesentlich auf die Sittenlehre, die er
im Geiste der Stoa auf Grundlage der Selbstbeherrschung aufbaute, in der
er aber auch Yerkünder einer reineren, von den Schranken der Nationali-
tät und Geburt losgelösten und zur Anerkennung der allgemeinen Menschen-
rechte sich erhebenden Sittlichkeit wurde. Die Probleme der Logik und
Physik lässt er als überflüssige oder doch untergeordnete Fragen bei Seite;
hingegen verbindet sich bei ihm die Pflichtenlehre eng mit der Lehre von
einem allweisen und allgütigen Gott, dem die Seele des Menschen ver-
wandt sei. Sein Hauptsittengesetz lautete avt'x^^v xal dntxov^ auf der
Fahne seiner Philosophie stand geschrieben taTQsTov iatl t6 %ov (fiXoa6(fov
cxoXsTov. Seine Sätze sind uns vornehmlich in den Aufzeichnungen des
Arrian {Siaxqißal *EnixTr-Tov und «Vx*'?''«^*^^) erhalten.*) In der Lehre und
noch mehr in der Form knüpfte Epiktet an die Diatriben des Bion Bory-
sthenites an: wie jener, so ging auch er über die engherzigen Systeme
*) Tadtus ann. XV 71 : Virginium et
Mu9onium Bufutn clarüudo twminia expulit;
nam Virginius siudia iuvenum eloquentia,
Musonius praeceptis sapientiae fovebat. Dazu
Tac, hiat. IH 81 u. Dio XVI 13.
*) Auf denselben angespielt von Philostr.
▼it Apoll. V 20 p. 179, 1 E. Suidas unt. noXitoi^
denkt dabei verkehrterweise an Asinius Pollio.
DasB Tielmehr L. Claudius Pollio zu ver-
Btehen sei, schloss Niküwland bei Peebl-
KAHP p. 51 ans Flinius ep. VII 31,5: Musonii
Bassi metnoriam tarn grata praedieatione
prorogat et extendit sc. Claudius Pollio, ut
librum de vUa eius ediderit, wo indes jetzt
Keil nach der besten handschriftlichen Ueber-
lieframng Anni Bassi liest Da bei Stobaios
Anth. II 15, 46 ein Awx^og ab Verfasser der
'AnofxyfjfjioyBvuata angegeben ist, so denkt
RoHDE, Lukians Schrift Aovxiog S. 28 f. an
den Philosophen Lucius bei Philostr. vit soph.
p. 64, 20. Ausgabe: C. Musonii Rufi reU. ed.
Pberlkamp, Harlem 1822. Ueber Benützung
durch Clemens Alex. s. Wbndland, Quaest.
Muson., Berl. 1886.
') Sein Herr war der Grammatiker
Epaphroditos aus Chftronea, der Freund des
Historikers Josephos. Ein Epigramm auf
Epiktet steht Anth. VII 676, worin er als
&ovXog und awfA' dyanrjgog bezeichnet wird.
*) Ein 'Pov(pog ix rtay 'Enixttjrov negl
g)tXiag wird citiert bei Stob. Flor. 19, 13.
Ausserdem gehen die Selbstbetrachtungen des
Marc. Aurel auf Epiktet zurQck.
704 Grieohisohe Litteraiiirgeftohiohte. II. HaehklaMisohe Littfiratur.
der Schulweisheit hinaus und liebte in der Darlegung der sittlichen Grund-
sätze der Humanität die zwanglose Form der Unterhaltung ; die Verwandt-
schaft beider drückt sich schon in der Gleichheit des Titels aus.
Philosophiae Epicteieae moniunenta ed. SchweiohIubbb, Lipe. 1799; Epicteti difiser-
tationes ab Arriano scriptae ad fidem cod. Bodleiani rec. Schbnkl 1894 in Bibl. Teubn.
— Ueber die aus einer Sammlang von dnotpHcyfAaja stammenden Sentenzen (71) siehe
Schbnkl, Die epiktetischen Fragmente, eine Untersnchung znr Ueberlieferungsgeschichte
der griech. Florilegien, Sitzb. d. Wien. Ak. 115 (1888) 443—546; Epicteti et Moschionis qaae
feruntur sententiae ed. Eltbr Lips. 1892. — K. Asmus, Qaaestiones Epicteteae, Freib. 1888.
BoNHÖFFBB, Epiktet und die Stoa, Stuttgart 1890. — Zahk, Der Stoiker Epiktet und sein
Yerhftltnis zum Christentum, Erlangen 1894; dagegen Nobdbn, Antike Eunstprosa 469.
609. Marcus Aurelius, der Philosoph auf dem Thron (161 — 180),
war durch seinen Lehrer lunius Rusticus in das Studium des Epiktet ein-
geführt worden. Während seiner Regierung schrieb er in Mussestunden,
zum Teil auf seinen Kriegszügen im Lager von Oran und Gamuntum, die
uns erhaltenen Selbstbetrachtungen (ra dq iavrov in 12- B.), die in apho-
ristischer Form ein erhebendes Bild philosophischen Seelenadels enthalten.
Auch er weist wie Epiktet die rein theoretischen Untersuchungen als
schwer lösbar und wenig fruchtbar ab und findet das Schwergewicht der
Philosophie in der Bildung des Charakters und der Beruhigung des Ge-
mütes. Lebend in einer Zeit des Egoismus und der sittlichen Fäulnis be-
trachtet er das Leben mit einem tiefen Anflug von Melancholie. Die Weit
des Körpers ist ihm ein unbeständiger Fluss, die der Seele Traum und
Wahn, das Leben selbst Krieg und Wanderschaft in der Fremde (II 17).
Dabei verflicht Marc Aurel in die philosophischen Sprüche viele IBemer-
kungen über seinen Lebensgang und gedenkt namentlich mit edler Pietät
seiner Lehrer und der von ihnen erhaltenen Unterweisungen. Ausser dem
griechischen Buche sind uns von unserem Kaiser auch mehrere lateinische
Briefe in den Werken des Fronte erhalten.
Oinomaos aus Gadara, ein Kyniker des 2. Jahrhunderts, zog nach
Art seiner älteren Zunftgenossen Menippos und Meleagros mit rückhalts-
losem Freimut gegen den Mythenglauben und den damals üppig blühenden
Orakelhumbug zu Feld. Seine Schrift ForjTon' tpwqa^ von der uns der
Kirchenvater Eusebios, Praep. ev. V 19-36 einen längeren Abschnitt ei^
halten hat, nennt Jak. Bernays (Lukian und die Kyniker S. 35) die leben-
digst geschriebene Prosaschrift des 2. Jahrhunderts, i)
Textausgabe des Marcus Aurelius von Stich 1882 in Bibl. Teubn.; Ausgabe mit Kom-
mentar von Gatakbb 1662; H. Schbnkl, Zur handschriftlicben Ueberlieferung von M. Anto-
ninus Biq kavxov, in Eranos Yindobonensis 1893 S. 163 ff. — Saarmann, De Oenomao Ga-
darensi, Diss. 1887, wozu die abfällige Kritik von Buresch, Klaros S. 63 ff.
610. Rhetorisierende Philosophie. Wie oben schon bemerkt,
nahm im 2. Jahrhundert die Sophistik die Maske der Philosophie an.
Wie in Piatons Zeit erhoben auch jetzt die Sophisten den Anspruch, die
Vertreter der eigentlichen Lebensweisheit zu sein. Aber doch nur einige
von ihnen haben sich näher mit Philosophie beschäftigt und haben aber
philosophische Dinge in ihrer Art geschrieben. Zu diesen gehören vor-
^) Suidas unter Oiyouaog erwähnt von 1 noXit$ia, negi tijq xa&* 'X>fiif]^09^ ifiXa9o<piai^
ihm noch ne^l xwmfAOv {rj xvyog aviotpoiyia), \ ne^i KQaifjtog xal Jioyirovg,
Ba)BOm.PeriodeTor Konstantin. S.D.Prosa. g)ahetoriB. Philosophen. (§§509-511.) 705
nehmlich ausser Dion Ghrysostomos, den wir unten unter den Sophisten
behandeln werden, Favorinus und Maximus Tyrius.
Favorinus^) aus Arelate in Gallien, von Geburt, wie man sagte,
Androgyn, war der gelehrteste und angesehenste Sophist und Philosoph
der hadrianischen Zeit. Die Verbindung von Philosophie und Rhetorik
hatte er von seinem verehrten Lehrer Dion Chrysostomos geerbt. Seine
ausgebreitete Gelehrsamkeit und seine weniger folgerichtige als vermittelnde
Art zu philosophieren lernen wir zumeist aus seinem Bewunderer, dem
römischen Grammatiker Gellius, kennen. Verdankte er auch sein Ansehen
zumeist seinen gutgesetzten und mit klangvoller Stimme gesprochenen
Vorträgen, so hat er doch auch durch zahlreiche Schriften seinen Namen
auf die nächsten Generationen vererbt. Dieselben waren ähnlich wie die
seines befreundeten Zeitgenossen Plutarch^) teils philosophischen, teils
historischen und grammatischen Inhaltes. Eine Fundgrube mannigfacher
Gelehrsamkeit bildete fUr die Späteren, insbesondere für Diogenes, sein Mis-
cellanenwerk J7a%i;oSanrj taxoQia aus mindestens acht Blichern. Verwandten
Inhaltes waren seine 'AT^ojuivrjftovsv/^iata, die gleichfalls öfters von Diogenes
citiert werden, und der von dem Geographen Stephanos unter 'Ponetg er-
wähnte Auszug aus den Historien der Pamphila. Von seinen philosophi-
schen Schriften erwähnen Gellius XI 5 und Suidas in dem einschlagenden
Artikel: UvQQwveioi TQonoi in 10 B., ttsqI rrjg ^Ofir^Qov <piXo<fo(piag, negl
2foxqa%ovg xai rrjg xccr' avTOv SQtöTix^g Tsxvr^g, neql nXÜTwvog^ negt Tfjg
iiairtfi twv q>iXo<f6(p(ov u. a.*)
Die Fragmente sind gesammelt von Mabres, De Favorini Arelatensis vita studiis
acriptis, Utr. 1852; Müller FHG III 577—585. — Fb. Nitzschb, De Favorino Arelatensi im
Rh. M. 18, 642 ff. Aus seiner von Suidas erwähnten Gnomensammlung hat neuerdings
Frbudenthal Rh. M. 35, 416 ff. aus einem Cod. Paris. 1168 einige Reste mitgeteilt.
511. Maximus Tyrius (vollständig Cassius Maximus Tyrius), den
man wie den Favorinus ebensogut den Sophisten wie den Philosophen zu-
zählen könnte, lebte nach Suidas unter Kaiser Commodus; er war Zeit-
genosse des Artemidor, der ihm die drei ersten Bücher seiner Traum-
deutungen widmete. Schon von Eusebios ward er mit dem Stoiker Maxi-
mus verwechselt, den der Kaiser M. Aurelius zu seinem Lehrer hatte.
Erhalten sind uns von unserem eklektischen Platoniker 41 Aufsätze, Sta-
^'i^ig genannt,*) deren Erhaltung wir nur dem Zufall verdanken, da ihr
innerer Gehalt keineswegs ein so bevorzugtes Geschick verdiente. Es
sind Vorträge populärer Natur meist über abgedroschene Themata, wie
7T€qI ijcfor^g, n€Ql ^QcoTog, tC täXog (fiXoaoifiag^ ei iariv ayad^ov ccya^^ov fiel-
^avy %i %6 dcufioviov JSwxQarovg. Selbst die Aufsätze sl x^soTg aydX^axa
tiqvtäov (or. 8) und el avfxßdXXevca TtQog ägevt^v xd iyxvxXia fxad-rjfiara
(or. 37), die etwas mehr versprechen und unseren Autor als einen viel-
gereisten Mann und begeisterten Freund der Musik erkennen lassen, er-
heben sich nicht viel über das Niveau allgemeiner Reflexionen. Auch die
^) Phüostr. Vit. soph. I 8 mit den Erläu
tenmgen Kaysbb's p. 181 ff.
*) Vgl, Plutarch Sympos. VIU 10.
*) Neuere haben dem Favorin die Eorin-
tfaiflche Rede, welche unter den Reden Dions
BMidbuch der klaas. AltertumswiaseDSchaft. VII. 3. Aufl. 45
steht, zugewiesen, worüber unten § 520.
^) Die ersten 6 Vorträge haben die ge-
sonderte Ueberschrift rcJi' iy 'Ptof^n diaX^^etoy
706
Grieobisohe Litteratnrgesohiohte. II. HaebklaMMche Idtteratiir.
Form der Unterredungen ist nicht sonderlich zu rühmen; überall werden,
meist zur Unzeit, Verse aus Homer eingelegt,^) hie und da auch solche
aus Sappho, wie namentlich im 24. Aufsatz, wo die Erotik des Sokrates
durch übereinstimmende Stellen aus Piaton und der lesbischen Dichterin
beleuchtet wird. Geschmacklos im Stil ist namentlich die Masslosigkeit
in der Anwendung der Anaphora und Epimone ; hielten gute Redner darauf,
nicht leicht mehr als drei synonyme Ausdrücke zu gebrauchen, so kann
sich Maximus mit sechs und zehn nicht genug thun.
Ausgabe ex. rec. Davisii cum adn. Marklandi, cur. Rbiskb, Lips. 1774; ed. DCbkkb,
Par. 1840.
512. Sextus Empiricus liess die Lehre der alten Skeptiker, des
Pyrrhon aus Elis und Ainesidemos aus Knossos, wieder aufleben. Über
die Persönhchkeit und Lebenszeit desselben ermangeln wir sicherer An-
gaben. Aus Diogenes IX 116, der ihn unter den letzten Skeptikern auf-
fuhrt, ersehen wir nur, dass er kurz vor Diogenes lebte, Schüler des Hero-
dotos aus Tarsos und Lehrer des Saturninus war. Da auf der anderen
Seite Galen ihn nirgends erwähnt, wiewohl er oft Oelegenheit dazu gehabt
hätte, so wird er nicht vor Galen, aber vielleicht noch vor dessen Ableben,
um 180, geschrieben haben. Suidas konfundiert ihn mit dem Nefifen
des Plutarch und Lehrer des M. Aurel, Sextus aus Chäronea, sowie mit
dem christlichen Historiker Sextus Africanus ; denn wenn er den Verfasser
der üvQQmveia Libyer nennt, so steht dem die erhaltene Stelle des Sextus,
Pyrrh. HI 213 entgegen, wo sich der Verfasser ausdrücklich als Griechen
bezeichnet und die Griechen den thrakischen und libyschen Barbaren gegen-
überstellt. Seines Berufes war unser Philosoph ein Arzt der empirischen
Richtung, wovon er auch den Beinamen o ifiTteigixog erhalten hat.*) Li
seiner Jugend hatte er auch über medizinische Dinge geschrieben ; er
selbst erwähnt Log. I 202 seine ^Icctqixcc vnofAVTJfiaza^ von denen die 'E/a-
TteiQixd vnofAvrjiKXTa (citiert adv. gramm. 61) nicht verschieden gewesen
sein werden. Hinterlassen hat er: 1) IlvQQcivsioi imoximwasig in 3 B.,')
in welchen er die Lehre des Pyrrhon, des Begründers der Skepsis, in den
Hauptumrissen {iv tvmi) oder tmoxv7i(6aei) darlegt, 2) Sxsmtxd in 10
(11) B.,^) in denen er die zweifelnden Einwände gegen die Sätze der ein-
^) Den Homer hat Mazimus immer auf
den Lippen, gleichwohl ist er so urteilslos
in der 30. Unterredung dem Homer den Arat
als noirjTtjy ovdiy udo^oxaqoy gegen&ber zu
stellen.
') Die empirische Richtung der Medizin
liebte es die ärztliche Lehre mit philosophi-
scher Spekulation zu umkleiden; ein Vor-
gänger unseres Sextus war Asklepiades
zur Zeit des mithridatischen Krieges, der aus
einem Rhetor Arzt geworden war und die
Atomenlehre des Epikur medizinisch begrün-
dete; über ihn Süsexihl AI. Lit. U 428 ff.
') Aehnlich lautete der Titel des Haupt-
werkes, welches Ainesidemos schrieb, näm-
lich ÜVQQtavBiioy Xoytay ßtßXia oxtta nach
Diog. IX 116 ; über deren Benützung durch
Sextus s. DiBLS, Doxogr. 209 ff.
*) Crewöhnlich wird dieses Werk mit dem
Titel adv. mathem. dtiert, aber dieser Titel
kommt nur dem 1. Teil des Werkes so. Der
Titel £x6ntixä, wofür Haas, Ueber die Schrif-
ten des Sext. Empirikus (Progr. von Bnrg-
hausen 1888) S. 10 'YnofAvtjfAaxa cxcnTuat
nach den Andeutungen des Autors selbst
(Geom. 116, Mus. 52 etc) vorschlfigt, findet
sich nicht in den Handschriften, wohl aber
bei Suidas u. Diogenes IX 116. Bekker be-
titelt das Werk nach Math. 85 '^yti^Qijtixd,
Die Ausgaben deuten durch Ueberschriflen
11 B. an; wenn Suidas u. Diog. nur 10 B.
angeben, so beruht dieses wahrscheinlich
darauf, dass der kleine Abschnitt g^gen die
Arithmetiker mit dem verwandten gegen die
Geometer zu 1 Buch verbunden wurde.
Ba)Böm.Period6Tor Konstantin. S.B.Prosa. g)Rhetori8. Philosophen. (§§512— 514.) 707
zelnen Wissenschaften entwickelt. Von diesen zehn Büchern sind nach
der überlieferten und bis auf Bekker auch in den Ausgaben befolgten
Ordnung, die aber dem zeitlichen Verhältnis der Abfassung nicht ent-
spricht, die fünf ersten Bücher gegen die Vertreter der enkyklopädischen
Disziplinen {n^g fia&rjfiaTixovg), nämlich Grammatik, Rhetorik, Geometrie,
Arithmetik, Astrologie, Musik gerichtet, die fünf letzten gegen die dog-
matischen Philosophen {TtQog ioyfiatixovg)^ und zwar gegen die drei Haupt*
teile der dogmatischen Philosophie, Logik, Physik, Ethik. Die beiden*
Schriften sind mit logischer Schärfe, aber in trockener, nur durch häufige
Dichtercitate unterbrochener Sprache geschrieben. Ihr Hauptwert besteht
in der reichen Belehrung, die sie uns über die genannten neun Disziplinen
und ihre Hauptvertreter bieten. — In den Handschriften und älteren Aus-
gaben stehen nach jenen zwei echten Schriften noch fünf ethische Dekla-
mationen 1) in dorischem Dialekt. Dieselben rühren aber von einem Stoiker
her und gehören wahrscheinlich dem Sextus von Ghäronea, dem Neffen
Plutarchs an.
Sezti Emp. opera cum versione et notis ed. Fabrioius LipB. 1718; kritische Ausgabe
von Ihm. Bbkkeb, Berl. 1842; die ethischen Aufsätze stehen in Opusc. graec. sentent ed.
Obblli II 210 ff. — Pappenhbim, De Sext Empirici librorum numero et ordine, Berl. 1874;
Yon ebendemselben Uebersetzung mit Erläuterungen in Kirchhanvs Philosoph. Bibl., Leipz.
1877. — Ueber die handschriftliche Grundlage E. Wbbbb in philol.-histor. Beiträgen zu
Ehren WachsmuÜis, Leipz. 1897 S. 34 f.
513. Auch andere Ärzte in der Zeit des Hadrian und der Antonine
liebten es, mit philosophischen Fragen sich abzugeben ; neben Sextus Em-
piricus war ein Hauptvertreter dieser Richtung der vielseitige und schreib-
selige Arzt Galen, auf den wir unten bei den Spezialwissenschaften
zurückkommen werden. Diesem Oalen wird in den Handschriften auch
ein vielverbreitetes Kompendium der Geschichte der Philosophie [Fakr^^ov
twcqI q^iXoaoffov tütoQiaq) zugeschrieben, das aber erst gegen Ende des
Altertums entstanden ist und dadurch, dass die Mediziner es als Leitfaden
für die Einführung in die Philosophie gebrauchten, unter die Werke des
Galen gekommen zu sein scheint.^)
514. Laertius Diogenes, oder wie andere sagen Diogenes Laertius,^)
nimmt unter den Historikern der Philosophie die erste Stelle ein, freilich
wesentlich nur dadurch, dass uns sein Hauptwerk Bioi g^iXoaoiffov, genauer
Bio* xai yrco/Aat jo)v iv ipiXoao<fff svSoxifir^aavtwv in zehn Büchern auch
erhalten ist. Von den Lebensverhältnissen und der schriftstellerischen
Thätigkeit des Verfassers wissen wir nichts, ausser dass er neben dem
erhaltenen Werk auch noch Epigramme in verschiedenen Versmassen*)
auf berühmte Männer geschrieben hat. Selbst über seine Lebenszeit er-
>) Suidas fand sie schon vereint vor, wenn
er dem Sextus Ghaeronens beilegt ijf^txd €\
7iv<Qg*oveiny, üxs-nrixd. Seine von ihm selbst
citierte Schrift Ttsgi xffvx^s ist nicht auf uns
gekommen.
*) Bearbeitet ist dasselbe von Dibls,
Doxogr. gr. p. 597-648; vgl. p. 258.
S) Die Lesart schwankt in den Hand-
flclniften des Diogenes selbst und in Steph.
Byz. 239, 15 M. zwischen AaSQttog Jioy^yrjg
u. Jioyiyrjg ^iaegriog; in Steph. 695, 7 steht
Jioyivriq 6 Aaegrtevg. Im ei-sten Fall bezieht
sich AaiQTiog auf die römische gens, in welche
er oder einer seiner Vorfahren aufgenommen
war, im zweiten auf die Stadt Laerte in Ej-
likien, aus der er stammte.
^) Die gleiche Spielerei mit verschiedenen
Versmassen begegnet uns bei dem Lateiner
Terentianus Maurus, einem Zeitgenossen un-
seres Diogenes.
45*
708
Grieohisohe Idtteratnrgeaohiohte. II« HaohklftMiaohe Litteratiir.
mangeln wir eines ausdrücklichen Zeugnisses; mit Bestimmtheit können
wir nur sagen, dass er nach Sextus Empiricus, den er IX 116 nennt, und
vor Stephanus von Byzanz, der ihn citiert, gelebt haben muss. Am wahr*
seheinlichsten ist es, dass er vor dem Aufblühen des Neuplatonismus,
unter Alexander Severus und seinen nächsten Nachfolgern geschrieben
hat. Ein selbständiger Denker und philosophischer Kopf war er nicht;
er hat nicht einmal zu einer der bestehenden philosophischen Sekten be-
stimmte Stellung genommen; es bricht nur hie und da seine Hinneigung
zur Lehre des Epikur durch; er hatte in erster Linie nur Sinn für die
litterarische Seite der Philosophie, insbesondere für den Anekdotenkram
und das Privatleben der Philosophen. Dem erhaltenen Werk ist wahr-
scheinlich ursprünglich ein Widmungsbrief an eine hohe Dame, eine
Freundin der platonischen Philosophie, vorangegangen, i) Im Proömium
führt er die Anfänge der Philosophie auf die Magier, Chaldäer, Gymno-
sophisten und Druiden zurück. Sodann behandelt er in B. I — 11, 4 die
ältesten griechischen Philosophen und Weltweisen bis auf Anaxagoras und
Archelaos, in B. II 5— IV Sokrates und die Sokratiker, in B. V Aristoteles
und die Peripatetiker, in B. VI Antisthenes und die Kyniker, in B. YU
die Stoiker von Zenon bis auf Chrysippos, in B. VIII Pythagoras und die
Pythagoreer mit Einschluss des Empedokles und des Mathematikers £u-
doxos, in B. IX Heraklit, die Eleaten und Skeptiker, in B. X Epikur, dem
er wie Piaton ein ganzes Buch widmete.
Das Werk, wichtig und interessant durch die Fülle von biographischen
und litterarischen Nachrichten, ist es weniger durch das Verdienst des
Verfassers, als durch die Studien seiner kritiklos ausgeschriebenen Vor-
gänger.^) Es steht so Diogenes auf einer Stufe mit Älian und Athenaios;
er stimmt aber auch darin mit jenen überein, dass er, um sich den Schein
grosser Gelehrsamkeit zu geben, mit Citaten von Werken um sich wirft,
die er nie gesehen und die er nur aus den von ihm ausgeschriebenen
Kompendien kannte. Die richtige Erkenntnis dieses Verhältnisses ist be-
sonders in neuerer Zeit durchgedrungen,*) wenn auch die bestimmte Er-
mittelung des Autors, den Diogenes unmittelbar ausschrieb, nicht gelungen
ist. Vorgelegen haben zunächst dem Diogenes ein kompendiöses Buch
von den Successionen {Siadoxai) in den einzelnen Philosophenschulen, eine
Sammlung der Lehrsätze {Soyfiara) der einzelnen Sekten, eine Sammlung
von philosophischen Aussprüchen {d7to(p&f:Yfiaza) berühmter Männer. Von
») Vgl. III 47 u. X 20; unter jener Dame
haben die einen die Arria, die Freundin des
Galen, andere die Kaiserin Julia Domna, die
Gönnerin des Philostratos^ vermutet.
^) Als auf ein Zeichen seines Unver-
standes sei auf das Verzeichnis der Werke des
Aristoteles verwiesen, das er nach den alten
alexandrinischen Katalogen gab, während doch
schon längst die Schriften des Aristoteles
vollständiger durch Andronikos ediert worden
waren. Die Nachlässigkeit des Diogenes und
seiner Abschreiber im Zusammenleimen ihrer
Exzerpte und Vorlagen beleuchtet Useneb,
Epicurea XXI sqq.
*) Fr. Nietzsche, De Laertii fontibas, im
Rh. M. 25, 632 ff.; 24, 181 ff.; 26, 181 ff., wo
Favorinus und Diokles als Hauptqaellen an-
genommen sind; Maass, De biographis graecis
quaestiones selectae, in PhiL Unt. III, der
alles auf Favorinus zurUckfUiren wUl, und
dem Rudolph, Leipz. Stud. VII 126 ff. be-
pflichtet; dagegen Wilamowitz in der voraus-
geschickten Epistola und in Phil. UnL IV
330—849; vgl. Freudenthal, HdL Stad. lU
exe. 4.
B a) Böm. Periode Tor Konstantin. 8. Die Prosa, g) Rhetoris. Philosophen. (§ 515.) 709
den zusammenhängenden Werken, die er als seine Quellen citiert, kannte er
aus eigener Lektüre die ""EmdQOfirj (piXoaogxov des Magnesiers Diokles, die
Philosophengeschichte des Nikias und die Ilavxoianrj tatoQfa des Pavorinus.
Aber in diese seine Quellen war vieles übergegangen aus den älteren Htterar-
historischen Werken des Hermippos, Antigonos von Karystos, Apollodor,i)
Demetrios Magnes und ausserdem aus einigen Spezialwerken der Philo-
sophengeschichte. Die Erinnerungen an die grossen Philosophen hatten
sich nämlich zunächst durch die Traditionen der Philosophenschulen er-
halten, welche in den Testamenten und Bibliotheken ihrer Stifter einen
festen Rückhalt hatten. Aus jenen Schulen waren auch Darstellungen des
Lebens und der Lehre der Stifter und einzelner hervorragender Glieder der
Schule hervorgegangen, wie der Platoniker Speusippos über Piaton (Diog.
ni 2), der Epikureer Apollodoros über Epikur (Diog. X 3), der Peri-
patetiker Hermippos über Aristoteles (Diog. VI) geschrieben hatte. Eine
zusammenhängende Darstellung brachten die Jiadoxal ifiloaotpfov^ die
seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. aufgekommen zu sein scheinen und sich
dann durch die ganze Folgezeit hindurchzogen. Als Verfasser solcher
Jiadoxai werden genannt Sotion (um 200 v. Chr.), dessen umfangreiches,
aus 13 (v. 1. 23)*) Büchern bestehendes Werk Herakleides Lembos um
150 v. Chr. in einen Auszug brachte, ferner Nikias aus Nikäa (in der
Zeit des Nero), der Hauptgewährsmann unseres Laertius Diogenes war
und aus dem allein er auch die Kenntnis von Sotion geschöpft zu haben
scheint,') sodann Sosikrates aus Rhodos, dessen Buch die handliche
Form eines Kompendiums hatte,^) endlich die Kompilatoren Alexander
Polyhistor, Diokles aus Magnesia (um 80 v. Chr.), Philodemos, Antisthenes,
Hippobotos.
Ed. princ. Basil. 1533; cum adnot. variomin (Menaoii al.) ed. Meibomiüs, Ämstelod.
1692; ed. Huebnbr et Jaoobitz, Lips. 1833, 4 vol.; ex italicis codicibus nnnc piimum ex-
cuBsis rec. Cobbt, Paris 1850 u. 1862. Eine Ausgabe mit ausreichendem kritischen Apparat
gehört noch zu den desideria philologorum ; über die wichtigsten Htmdschriften s. Wachs-
ifüTH, Sillogr. gr. 51 ff. und üsbkeb, Epicurea prol. VI sqq.
615. Wir schliessen an Diogenes dasjenige an, was uns von alten
Doxographen oder von Sammlern der philosophischen Lehrsätze erhalten
ist. Neben der Nachfolge in den einzelnen Philosophenschulen waren es
die charakteristischen und unterscheidenden Lehrsätze (doynaxa^ io^ai,
aQtaxovTa), welche die philosophisch gebildeten Gelehrten der alexandrini-
schen und römischen Zeit interessierten. Die Peripatetiker hatten diese
Richtung philosophischer Geschichtsforschung angeregt. Schon Aristoteles
hatte in mehreren Werken, besonders in der Metaphysik und in den
*) Ausser den filteren litterarhistorischen
Werken benutzte Diogenes auch noch das
Buch des Argivers Lobon TtsQl no^rixöiy,
den HiLLEB Rh. M. XXXIII 518—589 als einen
Hauptf&lscher entlarvt hat.
«) Vgl. SüSBHiHi AI. Lit. T 497.
*) Das erhellt aus Diog. 9, 109 und Athe-
naioe p. 162^ u. 505^, wie Usener, Die ünter-
L^e des Laertios Diogenes, Sitzb. d. pr. Ak.
p. 1023 ff. nachgewiesen hat. Aus die-
sem Verhältnis erklärt es sich auch, dass
Diogenes bei den meisten Successionen nicht
unter 200 ▼. Chr. herabgeht.
*) Ein 3. Buch citiert Ath. 163 f.; nach
ebendemselben p. 26 le, 263f, 561e und Stra-
bon p. 474 schrieb er auch KQt^tixd; unter
den berühmten Rhodiem nennt ihn Strabon
p. 655 nicht, woraus man schliessen möchte,
dass er nach Strabon gelebt habe.
710
Grieohisohe Littoratargesohichte. IL Haohklasaische LitUratur.
Büchern von der Seele, der eigenen Spekulation einen historisch-kritischen
Abriss der früheren Anschauungen vorausgeschickt. In seine Fusstapfen
trat Theophrast mit seinen 18 Büchern (Pvaixciv So^ai. Von den Stoikern
hat der zu historischen Forschungen sich hinneigende Poseidonios ähnliche
Zusammenstellungen gemacht, aus denen Cicero und Seneca schöpften.
Näheres wissen wir von den Sammlern der Kaiserzeit: Areios Didymos,
ein eklektischer Stoiker aus Alexandria, schrieb im Beginne unserer Zeit-
rechnung eine Epitome der ethischen und physikalischen Lehren des Piaton,
Aristoteles und der Stoa; dieselbe war eine Hauptquelle des Stobaios;
einige Abschnitte daraus hat uns der Kirchenvater Eusebios erhalten.
Aetios um 100 n. Chr. ist der Vater des umfangreichen Werkes über die
Sätze der Naturlehre, von dem uns unter dem Namen des Plutarch der
wichtige und vielbenutzte Auszug nsQi ttav agsaxorttov q>i,koa6q>oiq tfvtnxiot*
doyfxäTiov und ausserdem vieles durch Stobaios und den christlichen Bischof
Theodoretos erhalten ist.
DlBLS,
graecorum reli
8, Dozographi grseci, Berol. 1879, wo p. 265 — 656 UDter dem Titel Dozographoram
reliqoiae die Reste dieser Litteratur herausgegeben sind.
h) Die Sophistik.
616. Die alten Rhetoren haben drei Perioden der Beredsamkeit
unterschieden, eine der alten Staatsmänner Athens, eine zweite der soge-
nannten zehn attischen Redner, und eine dritte der sophistischen Rhetoren
Asiens zur Zeit der römischen Kaiser, i) Diese dritte Periode geht auf
Dionysius und Cäcilius zurück, die unter Augustus das Studium der atti-
schen Redner in Rom eingeführt hatten. Denn dieser Zweig der griechi-
schen Litteratur fand wie kein zweiter Beifall bei den Römern, welche
in den stürmischen Zeiten des untergehenden Freistaates die Schlagfertig-
keit der Rede als Haupthebel politischen Einflusses ansahen und auch
nachher noch der auf die Waffen gestützten Gewalt der Kaiser die Macht
der Rede im Senat und vor Gericht entgegenstellten. Aber wenn auch
so die griechische Beredsamkeit von vornherein in Rom Verständnis und
Beifall fand, so musste sie sich doch, so lange den Griechen im öffent-
lichen Leben der Mund verschlossen blieb, in den engen Grenzen der
Theorie und der Schule halten. Erst als das Griechentum grössere Be-
deutung im römischen Reiche gewann und einzelne Griechen zu einfluss-
reichen Stellungen bei Hof und in der Staatsverwaltung gelangten, trat
auch die griechische Beredsamkeit aus dem Dunkel der Schule allmählich
mehr in das Licht der Öffentlichkeit, so dass die grossen Vorbilder der
Vergangenheit nicht mehr bloss gelesen und kommentiert, sondern auch
nachgebildet wurden. Das geschah in steigendem Grade im 2. Jahrhundert
unter Hadrian und den Antoninen, die ihre Vorliebe für griechische Bil-
1) Proleg. in Aristid. Fanath.^111 737:
TQetg (pogal ^rjxoQtay yByoyaaiv, tav ij fjtky
nqvixrj dygatpiag sXsysy, ijg icrl BefxiaxO'
xXijq xai JlBQixXrjg xat ol xar' ixeiyovg ^ij-
roQ$g, rj d^ devriga iyyQdfptag eXByev, rjg
ictl JfjfioaOiyrjg xal Alaxlytjg xal ^Icoxgaxtjg
xai avy avxolg ij nqaxtofAiyri roSy ^tjxoQioy
dsxdg * xttl avxai <il dvo tpogal iy \49ijrakg
yByoyaayf ^ di xvxfj xal xij *Aaitf rovrwr
dtogeixai fpoqdy, xqixtjy ovaay intarwjufjy,
^g i<nl UoÜfÄtoy, *H^dijg xal l^fi^rci«^
xai oV xard xovroyg rovg /^Vov( yByöwam^
^xoQBg.
Ba) BönisohePeriodeTor KoBstantin. 8.Die Prosa, h) Die Sophistik. (§§ 516-517.) 711
düng überall zu Schau trugen, in Athen und den griechischen Städten
Kleinasiens Lehrstühle für Philosophie und Rhetorik errichteten und selbst
griechisch zu schreiben sich bemühten.^) Damit wuchsen den Griechen
wieder die Flügel; zwar die alte Freiheit und Selbständigkeit wieder zu
gewinnen, dazu machten sie nirgends einen Anlauf; sie erkannten willig
die Oberherrlichkeit der Römer an, aber sie pochten umsomehr auf ihre
Überlegenheit in geistiger Bildung {naidsio) und priesen Athen und die
alten Städte Griechenlands als die geistigen Nährmütter aller im römischen
Reiche vereinigten Völker.*) Natürlich wurden solche Ansprüche am
liebsten da gehört, wo in der Bevölkerung das griechische Element über-
wog und Schulen griechischer Weisheit blühten; das waren aber ausser
Athen, der alten Burg griechischer Bildung, die hellenischen Städte Klein-
asiens, Smyma, Ephesos, Rhodos, Pergamon. Nach verschiedenen Seiten
erstand hier das Griechentum zu neuem Leben : die nationalen Gtötterfeste
wurden wieder in altem Glänze gefeiert,') neue Tempel und Odeen erhoben
sich, geschmückt mit den Bildwerken archaisierender Künstler; nicht nur
Theater und Gymnasien thaten sich wieder auf, auch zur Unterweisung
in der Weisheit drängte sich wieder wie zur Zeit des Piaton und Iso-
krates eine lernbegierige Jugend um die Lehrkanzeln berühmter Schul-
häupter. ^) Die Litteratur aber, in der diese neue Richtung hellenischer
Renaissance ihren entsprechenden Ausdruck fand, war die Sophistik.'^)
517. Der Name Sophist ist uns schon aus der sokratischen Zeit und
aus den Dialogen Piatons bekannt; man bezeichnete damit nicht bloss
die mit dem Schein der Weisheit prunkenden Afterphilosophen, sondern
auch Männer wie Gorgias und Thrasymachos, welche weniger auf ihr
philosophisches Wissen als auf ihre Kunst im Reden stolz waren und teils
als Lehrer der Beredsamkeit, teils als wandernde Festredner auftraten.^)
^) Vgl. Bbbnbardt, Innere Gesch. der
gr. Litt. 509 ff.; Rohdb, Griech. Sophistik der
fi[ai8eizeit in Griech. Roman 288 ff.; Gbbgo-
B0TIU8, Der Kaiser Hadrian, 3. Anfl. S. 307 ff.
und 342 ff. Als philosophischen SchriftsteUer
haben wir bereits oben M. Anrel kennen ge-
lernt; auch Hadrian schrieb nach Gassius Bio
69, 3 TreC« xai ip iTiea noi^tjfjiaxa navjo-
dwendy seine fieXhai erwähnt Photios cod. 100,
seine xarax^yM im Geiste des Antimachos
Spartianns, vit. Hadr. 14, grammatische Briefe
an Yalerins Geier Priscian 11 p. 547, 12, Ser-
mones Gharisins p. 209, 12. 222, 21.
») Aristid. Panath. p. 183 Jebb: ij yvy
a^X"^ y^^ '* *"' ^«ilarTi/ff (sc. 'Ptofialtov)
ovx ayaiy$xai rag 'A&ijyas fjirj ovx iy didä'
axäkwy xai xgofpiay fiiget xocfieiy.
*) In Atlika wurden wieder die grossen
Dionjsien, die Eleusinien und PanaÜienäen
begangen; nach den letzteren, die i. J. 126/7
HeiVNdes Attikos in glfinzendister Weise er-
neuerte, wurde sogar eine neue Jahreszfthlung
ein^ftüirt; s. Dittskbebgeb, Die attische
PanaihenaidenSra, ]nGonmient.in hon. Momms.
242 — 53. Anch in Sparta kamen, wie In-
scfaiifien bezeugen, die musischen Wettkämpfe
zu Ehren der Artemis Grthia wieder in Auf-
nahme.
^) Einen vom Kaiser besoldeten Lehr-
stuhl der Rhetorik (o ay<ü ^goyog) gab es seit
Vespasian (Suet vit. Vespas. 18) in Rom, seit
Antoninus Plus in Athen (Gapitol. vit. Ant. 1 1)
und bald auch in andern Städten. Daneben
statteten die Gemeinden Lehrstühle der Rhe-
torik und Philosophie mit Privilegien und Ge-
halten aus. Ueber ihre Zahl unterrichtet der
Godicill des Antoninus Pius bei Modestinus
Dig. XXVII 1, 6: ai fiky iXdxxovq noUtg
dvyayxai neyts iaXQovg axsX$ig l/6iv xai
XQBtg ao(piaxdg xai yQafifÄaxixovg rotfg taovg,
al &i fisi^ovg noXetg dexa iaxgodg xai ^ijxogag
niyis xai ygaf^fiaxMovg xovg taovg. Vgl.
RoHDB, Gr. Rom. 301 ff.
') Bezeichnend ist der Ausspruch Lu-
kians Rhet. praec. 1 : x6 CBfxyoxaxoy xai ndv-
xifAoy oyofjta aoffiaxijg,
•) Plat. Tim. p. 19e: x6 di rtoy ao(picx<oy
yiyog av noXXiay fjiky Xoytoy xai xaXtoy äXXoiy
fjidX^ ifjinHQoy ^yovfiahy tfoßovfiai di fiij ntog,
ax€ TtXayrjtdy 6y xaxd noXsig oixijceig te
idiag nvdaiAfj dtoMtjxog, aaxoxov afia ^»Ao-
cofptov aydgtoy (^ xai noXittxtSy,
712
Grieohisohe Littoratnrgeftohiohte. II. HaohklAMisohe Iditeratar.
An diese zweite Art von Sophisten knüpfte die neue Sophistik der römi-
schen Eaiserzeit an;^) denn auch sie ging aus den Übungen der Rhetoren-
schulen hervor und suchte in den Vorträgen der Wanderredner ihren
Olanz. Ihr Ursprung aus dem Schatten der Schule verriet sie darin, das«
der grössere Teil ihrer Reden nicht Fragen des öffentlichen Lebens betraf,
sondern sich im Kreise fingierter Schulthemata bewegte. Aber mit dem
stillen Leben in der Schule gab sich die eitle, prunkliebende Sophistik
nicht zufrieden; sie suchte und fand Gelegenheit zur Entfaltung ihrer
Kunst in der Öffentlichkeit. Zwar das eigentliche Feld der rednerischen
Thätigkeit, die politische Beratung war derselben so gut wie ganz ent-
zogen, und auch zu den Gerichtsverhandlungen war ihr der Zugang, wenn
nicht geradezu versperrt, so doch erschwert. 2) Das kaiserliche militfiiische
Regiment duldete nicht einmal im Reichssenat die Aufregung öffentlicher
Verhandlungen, geschweige denn, dass es den Griechen, welche keinen
Anteil an der Reichsverteidigung durch militärische Dienste nahmen, die
Freiheit politischer Reden gestattete. So war fQr den Ehrgeiz eines
Themistokles oder Perikles im Hellas der römischen Kaiserzeit kein Platz,
und ebensowenig für die politische Beredsamkeit eines Demosthenes oder
auch nur eines Isokrates. Aber bei dem Empfang der Kaiser und kaiser-
lichen Statthalter, bei der Einweihung von Tempeln und Odeen, bei den
Leichenfeiern und öffentlichen Festen^) glänzte der Sophist im festlichen
Talar^) mit dem auserlesensten Schmuck seiner Kunst, und auch ohne
solchen äusseren Anlass fand sich überall in jenen Zeiten des müssigen
Schöngeistertums zu den populären Erörterungen philosophischer und lit-
terarischer Fragen ein Kreis beifallspendender Zuhörer zusammen.^)
518. Damit war auch schon Geist und Richtung dieser neuen Litteratur-
periode bestimmt. Auf sachliche Belehrung kam es den Sophisten wenig
an, alles Gewicht legten sie auf Schönheit der Sprache und geistreiche
Wendungen, auf den Prunk gelehrter Bildung {ßntdfixvvcx^cu) und die
Schlagfertigkeit im Reden aus dem Stegreif (aixoax^dta^eiv). Die Zu-
hörer wollten durch den Redner nicht aufgeklärt und überzeugt, sondern
nur in einen Rausch der Begeisterung versetzt werden. Von den drei
alten Gattungen der Rede kam nur die eine, die epideiktische Prankrede
in ihren verschiedenen Spielarten {Xoyoi navyyvqixoi\ imjdKfioij emxrjieioiy
^) Dion Ghrys. anterscheidet or. XII
p. 372 R noch ^xoQccg und aotpmxdgy gebraucht
aber doch meistens schon beide AusdrQcke
promiscue; ebenso Juvenal YII 167. Der
Name cofpiatjjg erhielt den Vorzug, weU
^ijxtoQ bei den Griechen den Staatsredner und
Staatsmann bezeichnete. Schon Philodemos
in der Rhetorik gebraucht wiederholt <ro-
(piffTijc im Sinne eines Lehrers der Bered-
samkeit.
') Ganz ausgeschlossen waren die So-
phisten aus den GeiichtssAlen nicht, wie man
aus dem Beispiel des Niketes, Tlieodotos,
Apollonios bei Philostr. vit. soph. I 19, 1;
21, 3; II 20, 1; 32, 4 und Dion or. VU
p. 229 f. ersieht.
*} Seit dem ersten vorchnstlichen Jahi^
hundert waren an den 'JfÄfptaQda und 'Pkk
fiaia Preise ausgesetzt nicht nur fQür Rha-
psoden, Eitharoden, Auleten, sondern auch
ByxotfÄita Ao/tx^, worQber DiTTBNBEiraBB S7IL
421.426, Bethe, Proleg. z. Gesch. d.The«t 275.
^) Siehe Lucian Rhei praec. 15; Philoslr.
Vit. soph. I 25, 2; II 10, 2; Synes.Dion p. 34 R.
Später wurde der r^ßtov tpoiyixov^ die pri-
vilegierte Uniform der Sophisten in Athen; s.
Olympiodcn- in FHG lY 63 f. Daher sUmmt
wohl der rote Talar der Professoren der Jnns-
prudenz.
') Von 1000 Zuh5rem eines Sophisten er
zfthlt Arrian, Epict III 23.
Ba) B6misohe Periode Tor EonsUntin. 8. Die Prosa, h) Die Sophistik. (§ 518.) 713
eYx(afua, nqoüfpwvriaeiq) zur Geltung im öflFentlichen Leben ; daneben machten
sich die Übungsreden {(ABlsxai) in der Schule und die Plaudereien (XaXiaC)
in den Unterhaltungssälen breit, i) Für die formale Bildung war diese
Übung im Reden und im Nachahmen der alten klassischen Muster von
grossem Einfluss; ihre Bedeutung machte sich nicht bloss in den Reden
und Deklamationen, sondern auch in allen anderen Zweigen der Litteratur
geltend; sie bewirkte die Rückkehr zum Attikismus und nährte die gram-
matischen Studien der Attikisten ; sie drängte die Nachlässigkeit des Stils,
die in den Schriften der Sektenphilosophen und der gelehrten Sammler
eingerissen war, erfolgreich zurück;^) sie weckte und belebte das Studium
der klassischen Meister. Aber man darf darüber nicht die Kehrseite des
Bildes übersehen ; die ganze Richtung der Litteratur ward eine gekünstelte,
unnatürliche; hiess es einst von der echten Beredsamkeit pedus est quod
disertum facit, so redete sich jetzt der Redner förmlich in eine affektierte
Begeisterung hinein. Die Rede wurde unwahr und geriet sachlich und
sprachlich in eine gespreizte Überschwenglichkeit, bei der Gemüt und
Herz leer ausgingen. Sie verfiel um so mehr dieser falschen Richtung,
als sie sich an die Stelle nicht bloss der Philosophie, sondern auch der
Poesie zu setzen suchte.«) Die Sprache der Prosa bekam so eine un-
natürliche poetische Färbung, die einfache Grazie der klassischen Zeit
ward in einer Unmasse von Metapheni und Neubildungen ertränkt.
Schlimmer noch war eine andere Schattenseite der Sophistick: dadurch
dass dieselbe den rednerischen Tiraden zulieb die Sachlichkeit des Inhaltes
hintansetzte, ja geradezu Mangel an Exaktheit des Wissens zu Schau
trog, ist sie innerlich leer und hohl geworden und hat der Kritiklosigkeit
und dem Aberglauben der Zeit Vorschub geleistet. Mag mancher ge-
dächtnisstarke Gelehrte mit Zahlen und Eigennamen uns übermässig be-
lästigen, mehr doch lernen wir von ihm als von jenen Sophisten, welche
überall der Nennung von Zahlen und Namen durch affektierte Umschrei-
bungen aus dem Wege gingen oder die Bestimmtheit der Angabe durch
hinzugesetztes olpai wieder verwischten.*) Um ja nicht die Reinheit des
griechischen Sprachgewandes zu beflecken, hat ein Hauptrepräsentant der
Sophistik, Aristides, in seiner Lobrede auf Rom keinen einzigen römischen
Namen gebraucht. Infolgedessen tragen die Schriften der Sophisten so
ausserordentlich wenig zur Bereicherung unseres historischen und archäo-
logischen Wissens bei, infolgedessen kamen aber auch ihre Zeitgenossen
immer mehr von der Schärfe des Denkens und der Genauigkeit der Be-
obachtung ab und warfen eich statt dessen der schwärmerischen Ekstase
^) Eine reiche Materialsammlung des
Treibens der Sophisten gab der belesene
Jesuit Lud. Cbesolli, Theatrum veterom
riietoTom oratorom declamatorum, Par. 1620.
*) Das Hauptbuch aber diese Rückkehr
zur reinen Sprache der klassischen Zeit W.
ScHMiD, Der Atticismns in seinen Hauptver-
tretern, 4 Bde, Stuttgart 1887—96. Ueber
einen einzelnen Punkt, die Wiederbelebung
des Dual Hbbx. Sghhid, De duali Graecorum
et emoriente et reviviscente, Bresl. philol.
Abhandl. Bd. VI Heft 4, 1893.
'} Das Wort ^de^y wurde geradezu für
Xeyeiy gebraucht, worüber Radbbhachbr
Jahrb. f. Phil. 1896 p. 116 f.
*) Vgl. Aristid. t. n, p. 346 ed. Jebb: e(prj
d* €ig MsQonrjy terT(iQ(Op, oifiai di xai If
€1716 fAtjvdiy avTOi^ey eivai nXovv, U 415 oida
di Xttl Aaxtai/ixag rivag ogx^csig xecl jQa-
yixdg y iiB^ag, ifAfAeXslag oifjiai xahtvfAivag,
7U
Grieohisohe LitteratnrgeBohichte. IL HaohklMsische Litteratiir.
und dem fremden Aberglauben in die Arme. Kurzum, die Sophistik gab
das preis, was das klassische Altertum gross gemacht hatte, «die edle
Einfalt und stille Grösse/
519. Die Sophistik hat zwei Glanzzeiten gehabt, eine ältere unter
Hadrian und den Antoninen und eine jüngere unter Julian und dessen
Nachfolgern. Beide haben ihre Geschichtschreiber gefunden, die ältere an
Philostratos, die jüngere an Eunapios.^) Ihre Biographien müssen uns frir
die grossen Verluste, welche die Litteratur an wirklichen Reden erlitten
hat, Ersatz bieten. Denn von den meisten Sophisten ist gar nichts auf
uns gekommen, und selbst die gefeiertesten unter ihnen sind für uns blosse
Namen. In den Kanon wurden von den Sophisten 10, also gerade so viele
wie attische Redner aufgenommen, nämlich Dion Chrysostomos, Nikostratos,
Polemon, Herodes Attikos, Philostratos, Aristides, und wahrscheinlich noch
Libanios, Themistios, Himerios, Eunapios.^) — Auf die lateinische Litteratur
hat die Richtung der Sophistik wenig Einfiuss gehabt; denn die Dekla-
mationen des Seneca und Quintilian waren reine Schulübungen, und nur
die Thätigkeit des Apuleius lässt sich mit der der griechischen Sophisten
vergleichen. Es war eben die Sophistik eine Pflanze, welche speziell auf
dem Boden griechischer Renaissance gedieh. — Den Anstoss zur Ent-
Entwicklung der Sophistik gab, wie wir oben bereits bemerkt haben, das
unter Augustus von Dionysios und Cäcilius neubelebte Studium der atti-
schen Redner. Aber als den eigentlichen Wiedererwecker der Sophistik
bezeichnet Philostratos im Leben der Sophisten I 19 den Niketes aus
Smyma, der in der Zeit des Nerva blühte. Bezeichnend ist dessen Her-
kunft aus dem asiatischen Smyma, ila sich darin der enge Zusammenhang
der Sophistik mit der asianischen Beredsamkeit des Hegesias und seiner
Schule kundgibt.*) Noch ein älterer Vorläufer der sophistischen Bered-
samkeit war Lesbonax aus Mytilene, Zeitgenosse des Pompeius, der sich
ausserordentlichen Ansehens bei seinen Zeitgenossen erfreute.^) Von ihm
las Photios cod. 74 noch 16 Reden; auf uns gekommen sind drei kleine
Deklamationen, welche nach dem Muster der olynthischen Reden des De-
mosthenes Aufforderungen zum Kriege gegen die Thebaner in phrasen-
reicher Sprache enthalten. Unter dem Namen des Lesbonax geht auch
eine theoretische Schrift von den sprachlichen Figuren.
^} Den Philostratos und Eunapios be-
nutzte Suidas oder dessen Gewänrsmann
Hesychios, der aber daneben noch andere
Hilfsmittel gehabt haben muss, wie man aus
den Artikeln ^AQiaxeiirjg und 'lu^Qiog sieht.
^) Ueber diesen zweiten Rednerkanon
s. Suidas unt. NtKoax^atog^ Schol. zu Lucian
de Salt. 69, Philostratos vit. soph. II 1, 14,
Anthol. VII 573.
») RoHDE Rh. M. 41, 170. Unser Sophist
scheint eine Person zu sein mit Nicetes
Sacerdos bei Tac. Dial. 15 u. Plinius £p.
VI 6.
^) Von diesem Lesbonax heisst es bei
Suidas Aeaßwya^ MvuXrjyaiog g>i.X6coipog,
yeyoyußs ini Avyovatov, nariJQ Doiafuayof
tov <piXo<r6<pov. Die Zeitangabe kann nicht
ganz richtig sein, da nach Inschriften, welche
unlftngst Gichorius in Mytilene fand (Rom
und Mytilene, Leipz. 1888), Potamon, der
Sohn unseres Lesbonax, im J. 29 oder schon
45 V. Chr. als Mitglied einer Gesandtschaft
nach Rom kam. Damit modifiziert sich das
Resultat der Untersuchung, welches Robdb,
Gr. Rom. 341 f. über die verschiedenen Le8>
bonax anstellte. Die Mytileneer ehrten ihren
verdienten Mitbürger durch die Mfinzanf-
Schriften Aeaßtoya^ (piX6<to<pog und Aeitfitirtt^
^Qtag yeog (Mionnet descr. des moim. 116
suppl. 84 u. 85).
Ba)RO]iii8oh6 Periode vor Konatantin. S.DieProsa. h)Die8ophi8tik. (§§519—520.) 715
620. Dion,^) der von seinem Oönner, dem Kaiser Nerva, den Bei-
namen Gocceianus, und später von seiner Beredsamkeit den Ehrennamen
Chrysostomos (Qoldmund) erhielt, *) ward um die Mitte des 1. Jahrhunderts
in Prusa; einer Stadt Bithyniens, von angesehenen Eltern geboren. Schon
unter Vespasian zu Ehren gelangt und nach Rom gezogen, geriet er bei
dem argwöhnischen Kaiser Domitian wegen seiner Verbindung mit einem
vornehmen, von dem grausamen Despoten hingerichteten Römer ») in Ver-
dacht und wurde infolgedessen aus Italien verbannt. Dem Wanderungs-
trieb seiner Zeit folgend zog er hierauf, angeblich auf den Rat des
delphischen Orakels, zu den Nordgestaden des schwarzen Meeres ins
Land der Skythen und Geten, wovon er uns selbst Näheres in seiner bory-
sthenitischen Rede erzählt. Aber nach dem Sturze des Tyrannen wurde
er nach vierzehnjährigem Exil von Nerva zurückgerufen (96) und er-
freute sich nach dem frühen Tode dieses seines kaiserlichen Freundes
auch von Seiten des Kaisers Trajan hoher Auszeichnungen. Doch wählte
er nicht Rom zum ständigen Aufenthalt, sondern kehrte zunächst nach
Asien und seiner Heimatstadt Prusa zurück, von wo er erst um 100 als Ge-
sandter seiner Heimat auf kurze Zeit nach Rom an das kaiserliche Hoflager
reiste. Seine Verbindungen mit dem Kaiser und seiner Umgebung benutzte er,
um, ähnlich wie sein Zeitgenosse Plutarch und früher schon Polybios, die
Gunst der römischen Machthaber für die Wünsche Prusas und der hel-
lenischen Provinzialen Asiens zu erwirken.^) Auch in eigener Person
wirkte er vor und nach seiner Gesandtschaftsreise für das Aufblühen von
Prusa, das er als städtischer Baukommissar mit Hallen und Wasser-
leitungen versorgte.^) Von Prusa kam er als Wanderredner auch nach
vielen anderen Städten Kleinasiens und Ägyptens. Über die Zeit seines
Todes ist nichts bekannt; während der Stadthalterschaft des jüngeren
Plinius in Bithynien im Jahre 112 war er noch am Leben. ^)
Dion wird von seinem Biographen Philostratos in die Klasse jener
Sophisten gestellt, welche die Kunst der Rede mit dem Studium der
Philosophie verbanden. In der That war er fast mehr Philosoph als
*) Phüostr. vit. Boph. I 7; Synesios Jltav;
Smdae unt. Jiiay; Phoi cod. 209. Ehpebius,
Oposc. phil. et bist. 102—10; Bubckhahdt,
Wert des Dio Chrys. für die Kenntnis seiner
Zeit, trefflicher Aufsatz in Schweiz. Mus. lY
97—191; V. Abnim, Leben u. Werke des Dio
von Pmaa, mit einer Einleitung, Sophistik,
Rhetorik, PhiloBopliie in ihrem Kampf um
die Jugendbildung, Berlin 1898; Hirzel, Der
Dialog n 84—119; W. Scbmid, Atticismus
I 72—191, wo speziell von der Sprache
oiftseres Bhetors gehandelt ist.
') Der Beiname findet sich noch nicht
bei Philoetratos; er scheint unserem Dion
eist sp&ter im Gegensatz zu dem Historiker
Dion gegeben worden zu sein.
*) Nach einer Vermutung von Ehperiüs,
De eziüo Dionis, war es Flavius Sabinus,
der im J. 82 hingerichtet wtirde.
*) üeber ein Vorrecht von Prusa gegen*
Ober der Nachbarstadt Apameia s. Or. 40
p. 175 ed. Reiske.
^) Bei dem Statthalter hatten gegen Dion
zwei seiner persönlichen Feinde, Eumolpus
und Archipptts, Klagen angebracht, weil er
über die ordnungsmflssige Verwendung der
öffentlichen Gelder bei den st&dtischen Bau-
untemehmungen keine Rechenschaft abgelegt
habe, und weil er sich dadurch, dass er in
dem Säulenhof des mit der Statue des Kai-
sers Trajan geschmückten Gebäudes seine
Gattin und seinen Sohn bestattet hatte, einer
Majestätsbeleidigung schuldig gemacht habe.
Wie wir aus dem Briefwechsel des Plinius
und Trajan erfahren, ep. X 81 u. 82, wies der
Kaiser die zweite Klage von kurzer Hand ab
und verwies die eiste auf den Weg der
Rechenschaftsablage, zu der sich Dion bereit
erklärt hatte.
<) Or. 45 p. 203 ff.; die Rede hat nach
ihrem Inhalt den Titel dnoXoyutfA^g ontag
716
Grieohiifohe Litteratnrgeaohiohte. IL HaohklaMisehe Litterator.
Rhetor und eiferte in seinen späteren Jahren heftig gegen die charakter-
lose Marktschreierei der Sophisten, ^) wenn er auch früher bei seinem ersten
Aufenthalt in Rom, als er sich noch in den Bahnen der sophistischen
Beredsamkeit bewegte, gegen Albernheiten und politische Umtriebe von
Philosophen öffentlich Stellung genommen hatte. >) Seine philosophischen
Anschauungen wurzelten in der Tugendlehre der Eyniker und erhoben
sich, der Zeit voraneilend, bis zur Anerkennung der allgemeinen Menschen-
rechte. 3) Von den alten Philosophen waren Sokrates und Piaton, Anti-
sthenes und Diogenes seine Ideale, denen er nicht bloss allgemeine Ge-
danken, sondern auch einzelne Phrasen und Wendungen entlehnte.^) Die
von ihm verfassten Reden, von denen 80, oder da die korinthische (37.)
fälschlich ihm untergeschoben ist, ^) 79 auf uns gekommen sind, ^) haben
meist auch die Form von Reden; einige kleinere sind dialogisch abgefasst,
darunter auch die Paraphrase des Prologes von Euripides' Philoktet.^)
Verloren gegangen ist uns ausser anderm das kulturgeschichtliche Werk
reuxd, zu dem Dion in seiner Verbannung an Ort und Stelle das Material
gesammelt hatte. ^) Unter den erhaltenen Reden verdienen an umfang
und innerem Wert vor andern folgende namhaft gemacht zu werden:
die Borysthenitica, in der uns der Autor höchst interessante Nachrichten
von der Bedrängnis der griechischen Kolonien an den Nordgestaden des
schwarzen Meeres durch die Skythen und von dem Fortleben des Homer-
kultus in jenem äussersten Winkel des Hellenentums gibt; die Olympica,
in welcher er dem Pheidias eine recht hübsche Erklärung seiner Zeus-
statue in den Mund legt ; die Rhodiaca, in der er gegen die Unsitte, alte
Statuen durch veränderte Aufschrift zu Ehrendenkmalen berühmter Männer
der Gegenwart umzugestalten, eifert; die Alexandrina, eine heftige Ka-
puzinade gegen die im Taumel eines genusssüchtigen Lebens aufgehende
Bevölkerung der volksreichen Stadt Alexandria. Auch die übrigen Städte-
*) Or. 11 p, 309: xaxodaifuovBi cotptaraL
*) In den verlorenen Reden xarti rwv
(piXoa6(p(oy, rt^og Movüwvioy, vnkq \)fiiJQOV
ngdg IlkaTtoi/tt.
•) Or. 15 negl «fovÄct«? xal iXev&egiagy
or. 7 p. 270: xoiy^ x6 dy&Qointvoy yiyog
anap eyrijuoy xal ofjioti/Aoy vno tov qwcayros
&€ov xavxd atifABLtt x€tl cvfjLßoXa Ix^^ ^^^
tif4äc&ai &ixai(ag, xal Xoyoy xal ifinBi^lay
xaXtay xe xal aiaxQtuy, yiyoyBy.
^) P. Hagen, Qnaestiones Dioneae, Kiel
1887.
') Die GorinihJaca behandelt einen ähn-
lichen Gegenstand wie die Rhodiaca und ist
wahrscheinlich auf diese Weise unter die
Reden des Dion geraten. Dass sie nicht von
ihm herrührt, beweist schon der ganz ab-
weichende Stil, worüber neuerdings Norden,
Die antike Eunstprosa S. 422—7. Ehpebius,
De or. Gorinthiaca falso Dioni Ghrys. ad-
scripta (Opusc. p. 18—41) hat sie dem be-
rühmten Polyhistor Favorinus zuweisen wol-
len, wozu gut der gelehrte Inhalt der Rede,
insbesondere aber die Erwähnung der Kelten
als Landsleute des Redners stimmt. Dem
Urteil Emperius' tritt bei Maass, Philol.
Unters. III 133—136 unter Widerlegung der
von Markes, De Favorini Arelatenais vita
studiis sciptis (Utrecht 1853) erhobenen Ein-
wände.
*) Verloren gegangen sind die Reden
gegen Domitian, die er or. 45 in. erwShnt»
ein von Philostratos angeführter i^rrcrxor
enaiyog, die vorhin angeführten Reden gegen
die Philosophen. - Die Ordnung der erhal-
tenen Reden ist in den verschiedenen Haad>
schrifteidclassen verschieden; s. v. Abnik,
Ueber die Schriffcsammlung des Dion von
Prusa, Herrn. 26, 366 ff. — Ueber die leii-
liche Folge der einzelnen Reden v. Asinx,
Leben und Werke des Dio von Prosa.
') Or. 59; in Verse zurückübersetzt ist
der Prolog von Bothb; einige Verse herans-
gelesen von Nauck, Trag, graec. fragm.
p. 484.
B) Angeführt sind die rsrixä von Phiios^.
vit. soph. I 7, benutzt von lordanes, dem
lateinischen Historiker der Goten. Zar Ver-
gleichung bietet sich die um die gleiche Zeü
geschriebene Grermania des Tacitos.
Ba) BOmisohe Periode vor Konetantin. 8. Die Prosa, h) Die Sophistik. (g 520.) 717
reden an die Bewohner von Prusa und Äpameia, die er zur Eintracht und
Aussöhnung ermahnte, femer an die Bürger von Tarsos, Eelainai, Niko-
media, Nikaia sind für die Kenntnis der Zeit Trajans wichtig und zeugen
von der wachsenden Autonomie der griechischen Freistädte, zugleich aber
auch von ihrer kleinlichen Bivalität und ihrem sittlichen Zerfall. Beson-
ders sorgfältig ausgearbeitet sind die vier Reden über die Königsherrschaft
{n€Qi ßaciXetaq), alle für Trajan bestimmt, aber wiederholt auch vor
grösserem Publikum gehalten; das Herrscherideal, das er hier entwirft
und dem Kaiser vorhält, basiert auf der Überzeugung, dass von den ver-
schiedenen Staatsformen die monarchische die beste sei: der Kaiser soll
hier auf Erden die Hoheit und den Vatersinn des Zeus im Himmel re-
präsentieren.^) — In den philosophischen Reden und Dialogen war Dion
Vorläufer Lukians, indem auch er es liebte, einfache Moral unter der
Maske des Sokrates und Diogenes zu predigen. Aber von ihm unter-
schied er sich dadurch, dass er auch innerlich ein überzeugter Anhänger
der Moralphilosophie des Antisthenes und der Kyniker war. In der 13.
Rede hat er geradezu ein sokratisches Gespräch {keYOfievov vtio Tirog ScoxQd-
xovq p. 424 R.) des Antisthenes in neuer Form wiedergegeben,*) indem
er dem Sokrates den Gedanken der Kyniker in den Mund legt, dass
nicht Wissen und künstlerische Fertigkeit, sondern einzig Tugend und
Gerechtigkeit den Menschen zum tüchtigen Bürger machen. Im übrigen
sind die meisten der philosophischen Reden {diaXi^Biq) unseres Dion aus
seiner mündlichen Lehrthätigkeit während des Exils hervorgegangen. —
Als Kind seiner allegorisierenden Zeit erscheint er in seinen mytholo-
gischen Aufsätzen. Darin verlieren die Heroen unter der euhemeristischen
Deutung ganz ihren poetischen Glanz; insbesondere kann uns die Rede
an die Bier, worin umständlich nachgewiesen wird, dass Homer gelogen
habe und Dion nicht erobert worden sei,*) als ein Musterstück flachen
Rationalismus, oder wenn man lieber will, sophistischer Spielerei gelten.
Gehoben wird das Ansehen ihres Autors gewiss nicht dadurch, dass er
sich zum Beweise für die Möglichkeit irriger Angaben des alten Epos
auf die schwankenden Meinungen der Gegenwart beruft, indem von einem
historischen Ereignis, der Seeschlacht von Salamis, die einen behaupten,
dass es vor, die andern, dass es nach der Schlacht von Platää statt-
gefunden habe (or. 11 p. 805 R.).*) — In das Gebiet der Litterargeschichte
und des Unterrichtes gehören zwei Aufsätze über die Übung im Reden
M Der Redner vertritt hier die gleichen > ') Er scheint darin dem sophistischen
Ansehaanngen wie der Dichter Horaz in
C. I 12, 57 : minor Jove Caesar latum reget
aequus orhem.
') Als Vorlage vermateten Dühhlbr,
Antisthenica p. 10 den Archelaos des Anti-
sthenes (vgl. oben S. 421 Anm. 5), v. Arnim,
Dion Yon Prosa S. 256 ff., einen Xoyo^ ngo-
iQtnrtxo^ desselben Antisthenes, an den sich
auch der Verfasser des psendoplatonischen
Dialoges EJitophon gehalten habe. — Im
übrigen vgl. £. Wbbbr, De Dione Chrys.
Cjnicomm sectatore.
Grammatiker Daphidas (für eine Person
mit Daphitas am 250 v. Chr. halt diesen
WiLAMowiTZ Ind. Gott. 1889 p 11 f.) gefolgt
zu sein, Von dem Suidas sagt: ysyQatfmg
ne^L 'OfitJQov xal lije noiijaeiog (ivrou on
i%ff£vcato ' 'Jdfjyaioi ydq ovx iajQazevaay
in' mtoy.
*) Dem Verfasser des neuen Baches ftber
Dio von Prosa soll übrigens gerne zugegeben
werden, dass derartige sophistische Reden
des Dio seiner früheren Entwicklongsstofe
angehören.
718
Grieohische LitieraturgMohiohie. Ü. KachklaMiBohe Litteratur.
(18.), und über die Darstellung des Philoktet bei den grossen Tragikern
Aischylos, Sophokles, Euripides (52.). Den letzteren haben wir bereits
oben § 173 verwertet; der erstere berührt sich mit dem 10. Buch des
Quintilian, kann sich aber mit demselben weder an Feinheit der Charak-
teristik noch an Reichtum der Beispiele messen. — Einen hervorragenden
Rang in der Litteratur nimmt endlich der Euboikos oder Jäger (Evßmxoq
ri xvvrjyog) ein, ein liebliches Idyll von dem unschuldsvollen Leben zweier
Jägerfamilien an der waldbewachsenen Küste Euböas, wohin Dion durch
einen Schiffbruch verschlagen war. Dem Bilde der Sittenreinheit und der
Oeisteseinfalt des Landlebens ist wirkungsvoll die Schilderung von der
Stadt mit ihren Bordellen, Sykophanten und herumlungernden Prole-
tariern entgegengesetzt; doch thut es dem Werte der Schrift Abbruch,
dass sie sich schliesslich in zwar verständige, aber zu weit gesponnene
Reflexionen über die Schädlichkeit des Zudrangs der Leute zu den Städten
ergeht.
Dion wurde von Philostratos und den Eunstrichtem der Sophistik
nicht unter die ersten Grössen der sophistischen Beredsamkeit gezählt;
dazu fehlte ihm die glänzende Phrase; dazu hatte er zu viel philoso-
phischen Inhalt und ungeschminkte Naturwahrheit. Doch ist er auch als
Stilist durchaus nicht zu verachten; er hatte sich die klare Einfachheit
des Xenophon zum Vorbild genommen i) und dieselbe in den eingelegten
Erzählungen und Fabeln auch glücklich erreicht. Als einer der ersten
Vertreter der attikisierenden Richtung hat er die Sprache von dem Keh-
richt der Vulgärsprache gereinigt, aber auch, entgegen dem natürlichen
Gange der Entwicklung, wieder alte, längst abgestorbene Formen, wie den
Dual, einzuführen gesucht. Ausser Xenophon hat er besonders Piaton im
Sprachschatz nachgeahmt.') Ein Fehler seiner Komposition sind die über-
langen Proömien, anstössig auch ist der häufige, aus Piaton genommene
Ausgang auf einen Mythus. Gerühmt werden von Philostratos am Stil
unseres Dion die Bilder (slxoveg), die von aufmerksamer Naturbeobachtnng
zeugen, aber nur in einigen Reden, wie in dem Eingang der olympischen,
häufiger vorkommen.
AuBgaben: Dionis Chrysostomi orationes ex rec. Rsiskii, Lipsiae 1784, yon Reiakea
Frau besorgt, nach ihr ist citiert; mit kritischem Apparat von Eicpebius, BrunsT. 1844;
Textesansgabe von L. Dindobf, in Bibl. Teubn., mit einer längeren, für den Sprachgebrauch
der späteren Rhetoren wichtigen Präfatio; Dion Prus. ed. apparatu critico instruxit de Abkoi,
BerL 1893.
521. Aelius Aristides (129— 189),*) mit dem Zunamen Theodoros,
war im Jahre 129 zu Hadrianoi in Mysien als Sohn des Priesters Eudaimon
geboren.*) In die Sophistik wurde er durch die berühmtesten Lehrer
') Der Rhetor Menander bei Speitoel,
Rhet. gr. III 390 stellt als Muster der hroQia
uTiXrj xal ('((fsXijg neben Xenophon den Niko-
stratos, Dion Ghrysostomos und Philostratos
auf.
') ScRxiD, Atticismus I 141 ff.
•) Philostr. Vit. soph. 11 9; Sopater Proleg.
ad Panathen.; Suidas unt. *jQiffrst&rjg. Masson,
Collectanea historica ad Aristidis vitam, ab-
gedruckt im 3. Bd. der Ausg. von Dikdobf;
Waddinotov, La Chronologie de la vie du
rh^teur Aristide, Mem. de V Acad. des inscr.
t. XXVI (1867) 203 ff.; Hbrm. BArvoAsr,
Aelius Aristides als Repräsentant der sophiati-
schen Rhetorik des 2. Jahrhunderts der
Eaiserzeit, Leipz. 1874; W. Scbhid, Die Le-
bensgeschicke des Rhetors Aristides, Rh. M.
48 (1892) 54 ff.
^) Eine dem Aristides von den Hellenen
Aegyptens gesetzte Ehreninschrift CTG 4679.
BA)B6mi0ohe Periode yor Konstantin, d. Die Prosa, h) Die Sophistik. (§521.) 719
seiner Zeit, Aristokles in Pergamon und Herodes Attikos in Athen, ein-
geführt. In der Grammatik und Litteratur hatte er den Alexander von
Eotyäon zum Lehrer, dem er selber in der erhaltenen Grabrede ein ehren-
des Denkmal gesetzt hat. Teils zu seiner Ausbildung, teils in Ausübung
seiner Kunst kam er viel in der Welt herum, durchwanderte Ägypten
bis hinauf zu den Katarakten, ^) Hess sieh in Athen, bei den isthmischen
Spielen und in verschiedensten Städten Asiens hören, sah die Hauptstadt
des Reichs und hielt in Rom Vorträge (i. J. 156). Seinen Hauptsitz hatte
er in Smjrma, um welche Stadt er sich hohe Verdienste erwarb. Denn
als dieselbe im Jahre 178 durch ein fürchterliches Erdbeben zu einem
Trümmerhaufen geworden war, erwirkte er durch seine Fürsprache, dass
die Kaiser M. Aurelius und L. Commodus sich der unglücklichen Stadt
annahmen und dieselbe wieder aufbauten. Die dankbaren Bürger ehrten
die Verdienste des einflussreichen Rhetors durch eine eherne Statue auf
dem Markte, der wir die Erhaltung des Bildes unseres Autors verdanken.^)
Eine grosse Rolle spielt in seinem Leben und seinen Reden eine schwere
Krankheit, die ihn um 156 ergrijBf und an der er mit Unterbrechungen
fast 17 Jahre zu leiden hatte.') Er starb nach Philostratos zwischen
seinem 60. und 70. Lebensjahr, wahrscheinlich im Jahre 189.
Seine Hauptbedeutung hatte Aristides als Redner; der Thätigkeit
eines Lehrers der Rhetorik lag er zwar auch ob, und es ist uns sogar unter
seinem Namen eine theoretische Schrift über die politische und schlichte
Rede erhalten,^) aber einen besonderen Erfolg hatte er als Lehrer nicht.
Man machte ihm geradezu den Vorwurf, dass er es sich zu wenig an-
gelegen sein liess, Schüler an sich zu ziehen und für das Studium der
rhetorischen Kunst zu gewinnen.^) Auch von Versen spricht er, die er
geschmiedet habe und deren Kunde bis nach Ägypten gedrungen eei;^)
aber schon die Alten hielten dieselben nicht der Erwähnung wert, und
wir werden den Verlust der frostigen Muse des asianischen Rhetors noch
leichter als den der Verse Ciceros verschmerzen. Der eigentliche Ruhm
des Aristides gründete sich auf seine Reden, und von diesen sind 55, so
ziemlich alles, was das Altertum kannte, auf uns gekommen. Nicht alle
') Die Jahreszahl berechnet sich nach
der or. 26 p. 519 erwähnten Konstellation,
wonach es sich nur um 117 oder 129 als
Geburtsjahr handeln kann; das letztere Datum
gebilligt von Schmid.
') Die Statae befindet sich im Vatikan;
der Kopf ist von uns nach Visconti Iconogr.
gr- 1 pl. 31 in der angehängten Tafel repro-
duziert.
') Die Krankheit ergriff ihn 156; nach
kurzer Befreiung im J. 165 erfasste ihn die
Krankheit von neuem; yoUe Genesimg er-
ha^e er erst 172.
*) Des Aristides Tix^ai, ^ijioQtxai tj Tiegi
noXinxov Xoyov xal aipeXovg Xoyov berühren
sich durchweg mit der Lehre des etwas
jQngeren Hermogenes und sind in nachlässi-
gem Stile geschrieben, so dass sie L. Spbnoel,
fihei gr. t. II p. XIX mit Recht dem ge-
feierten Redner absprach und einem späteren
Kompilator zuwies. Dagegen hat sich Baum-
OABT S. 139 ff. erklärt, indem er die Schrift
fOr eine Art Kollegienheft ausgab und in
Hermogenes II 267 Sp. eine Bezugnahme auf
Aristides fand. Baumgarts Darlegung hat
Volkmann überzeugt, so dass derselbe in
der zweiten Auflage seiner Rhetorik der
Griechen und Römer S. 553 seinen Einspruch
gegen die Echtheit der Schrift zurückzog.
*) Auf die Vorwürfe antwortete er ohne
besonderes Glück in der Rede ngog rovs
aiTtwfit'yovg ort firj fieXetoirj. Auf sein leeres
Auditorium gehen die Spottverse in der Ausg.
Dindorfs III p. 741
XaiQej* 'jQiareidov rov ^ijroQog iura fiaf^rfialy
reaca^eg ol toixoi xal rgia ampsXia,
•) Arist I 810 Jebb.
720
Griechische Litteratargeschichte. II. KaohUamische Litt^raitir.
sind Reden im eigentlichen Sinne des Wortes; mehrere sind Sendbriefe,
wie der Brief über Smyma an die römischen Kaiser, und die schöne Ge-
dächtnisrede auf den Grammatiker Alexander, welche an den Rat und
das Volk der Eotyäer gerichtet ist.^) Ausserdem wollen die meisten
seiner Reden gar nicht, was doch Aufgabe jeder echten Rede sein sollte,
auf den Willen und die Entschliessung der Zuhörer einwirken, sondern
sind lediglich theoretische Vorträge oder Erörterungen in der Form von
Reden.
522. Reden. Gewissermassen sein Programm entwickelt Aristides in
den zwei Reden JiQog nXdtava ne^l ^r/roQM^g, mit denen noch die Rede
an Capito zu verbinden ist, in der er seine Angriffe auf den grossen
Philosophen rechtfertigt. Zunächst knüpft er in seiner Polemik an den
Gorgias des Piaton an, indem er die geringschätzige Meinung, die dort
Piaton von der Afterweisheit der Rhetoren ausspricht, mit allen Mitteln
seiner Kunst bekämpft. Aber so viel Emphase auch der Rhetor auf-
wendet und so sehr er sich auch bemüht, die Vorwürfe des Philosophen
auf die Ausartungen der Redekunst abzuwälzen, so hat er doch den Kern
der platonischen Lehre nicht erkannt: seine eigenen Reden beweisen am
besten, dass es den Sophisten weniger um das Wesen der Sache als um
hohles Phrasengeklingel zu thun war.') — An die Schule erinnern am
meisten von seinen Reden diejenigen, welche Themata aus der Geschichte
der Vergangenheit behandeln. Dieselben sind ähnlich wie die meisten
Reden des Isokrates Musterbearbeitungen von Schulthematen ; sie hingen
aber auch mit den Bestrebungen der Hellenen jener Zeit zusammen, da
sie gleichsam den Geist des klassischen Hellenentums wieder herauf-
beschwören sollten. Zu dieser Klasse von Reden gehören die Gegenreden
über die Expedition nach Sikilien {ttsqI %ov näiinsiv ßotjt^s^av roig dv
SixsXiif), über den Frieden mit Lakedämon {vti^q r^g ngog Aaxsdcufioviovg
Blqrivrfi), über das Bündnis, das die Athener den Thebanem antrugen, als
Philipp von den letzteren den Durchzug gegen Attika verlangte. Gar zu
fünf Reden gab eine einzige Situation den Stojff, nämlich die Stellung der
Athener zu den Lakedämoniern und Thebanern nach der Schlacht von
Leuktra.*) — Sehr fällt von der wenn auch nur erkünstelten, doch immer-
hin an Demosthenes erinnernden Kraft dieser Reden die läppische Ge-
sandtschaftsrede an Achill ab. Ein noch ungünstigeres Urteil haben die
zwei an die Leptinea des Demosthenes anknüpfenden Deklamationen
nQoq /irjfioiSx^ävrpf negl areXciag und T^Qog Asmivrjv vnlq ateXeiag erweckt;
aber diese beiden Deklamationen gehören nicht dem Aristides, werden
^) lieber diesen Grammatiker Steph. Byz.
unt. KoivaBioy' Iv^ev rjv ^AXi^av^Qog 6 'AaxXtj-
Ttiadov yQafjtfxanxog noXvfjLa^iaxaxog X9V'
fiariCwy^ o negl navio&anrjg vXrjg xcT syQatpe
ßißXovg. Vgl.RBiTZBNSTBiN, Gesch. d. gr. Etym.
389.
^) Anf diese Rede scheint anzuspielen
Lukian, Bis accus. 34: Xvnet (sc. MXoyog)
avxoyy ort (atj ta yXitsxQ^ ixeTva xal XenTti
xndrjf^at nqog avToy a^ixQoXoyovfieyog ....
ei ij ^ijTOQixij noXiTixijg fiOQiov et^aXoy, ««-
XttXBLttg ro xixaQJov.
•) In der Hypothesis zu den Xoyoi Jf rat-
XQixol heisst es: 9avfiaCoyTta de nurv hti
xe Tfl detyoxrjxv xal Tot^ inij[et^fia0iy. Noch
Lionardo Bruno soll sich dieselben in 8eia«r
Lobrede anf Florenz zum Vorbild genommeii
haben. Ueber die Behandlung des gleickeo
Stoffes in Versen durch Hegemon vgl S '^^-
B a) Bömisohe Periode yor KonsUntin. 3. Die Prosa, h) Die Sophietik. (§ 522.) 721
auch nicht in den Handschriften dem Aristides zugeschrieben, sondern
sind ihm nur auf Grund einer Stelle der Rede gegen Capito p. 315 bei-
gelegt worden.^)
Von den Reden, welche wirklich gehalten wurden, haben am meisten
Leser und Bewunderer gefunden der Panathenaikos und die Lobrede auf
Rom. Die letztere, 'Poijuij^ iyxdiiiov^ gehalten in Rom um 156, ergeht
sich in überschwenglicher Lobpreisung der Stadt und in bewundernder
Anerkennung der römischen Staatsordnung, in der die Vorzüge der De-
mokratie, Aristokratie und Monarchie vereinigt seien. — Der Panathenaikos
ist eine Nachahmung der gleichnamigen Rede des Isokrates und sollte,
wie der Schluss sagt, der Burggöttin an ihrem Feste statt des Peplos
dargebracht werden. Bei ihrer grossen Ausdehnung konnte sie schwerlich
auf einmal gesprochen werden, sondern wurde wahrscheinlich, wie Reiske
vermutete, in zwei Abteilungen vorgetragen. >) Mit Benutzung älterer
Werke, namentlich des Ephoros und platonischen Menexenos^) hat hier
der Redner ein glänzendes Bild von der Schönheit der Stadt und ihrer
grossen Vergangenheit entworfen ; mit der Schlacht von Chäronea
bricht die Herrlichkeit und damit auch die Lobrede ab;^) von der Gegen-
wart wird nur rühmend hervorgehoben, dass die Athener die Führer in
der Bildung und in jeglicher Weisheit geblieben seien. Wie weit aber in
dieser Glanzrede die Übertreibung und Abgeschmacktheit der Sophistik
geht, dafür genüge das eine Beispiel, dass von den ionischen Kolonien in
Eleinasien gesagt wird, sie hätten den Überschuss der Mutterstadt an ge-
sunder Luftmischung mit nach Asien genommen, ß) — In gleicher Weise
bildet die Verherrlichung Athens und seiner Geschichte den Grundton der
grossen Rede vnhq iwv retTaQiov, die unter Bekämpfung der Stelle des
platonischen Gorgias p. 515 d eine Rechtfertigung oder vielmehr eine Lob-
preisung der vier grossen Staatsmänner Athens, Themistokles, Miltiades,
Perikles, Kimon, enthält.^) — Unter den übrigen Reden zeichnet sich durch
stilistische Vollendung die Trostrede an die von einem fürchterlichen Erd-
beben heimgesuchten Rhodier (^Podiaxog) aus.
Eine eigentümliche Stellung nehmen die heiligen und die Götterreden
ein. Die heiligen Reden {icqoI Xoyoi), fünf an der Zahl (or. 23—28),
) H. Ed. Foss, Declamationes duas ; ^) Das erinnert an die Weise des Perie-
Leptineas non esse ab Aristide scriptas,
Altenb. Progr. 1841. Das Thema war in den
Rhetorenschnlen beliebt; auch Lollianus schrieb
nach Philostratos vit. soph. I 23 gegen die
Leptinea des Demosthenes. Vgl. oben § 275.
^) Die zweite Rede scheint p. 147 ed.
Jebb, p. 238 ed. Dind. mit 6^ (Ltky ovy be-
gonnen zu haben. Nach den Scholien p. 739
Dind. zerfiel die Rede in vier Teile.
') Hauby, Qoibns fontibus usus sit Ari-
stides in Panathenaico, Augsb. 1888; die An-
gabe des Sopater in den Scholien t. III
p. 739 Dind., dass Aristides direkt den He-
rodot, Thokydides, Xenophon, Theopomp be-
nutzt habe, beroht auf Irrtum.
BADdtrach der Ums. AltertDmswissenschaft. VIL S. Aufl. 46
geten Pansanias; vgl. § 501.
*) p. 100 Jebb: roaarriy d* iariy rj negiov-
aia xrjg evrvxing, maxe xcci ttöp äXXioy yeyuiy
ttl tavTtjg anoixoi noXetg al tfjy yvy ^liovlay
Exovaai a^tara xexQaffdac doxovaty, dianSQ
akXo Tt Tujy oXxo^ey fiexeiXrjtpvtai.
*) Ueber das Ansehen dieser Rede siehe
Synesius, Dio p. 18 R.: 'jQtareidijy 6 tjqos
JlXttXwya Xoyog vnk^ itay XBtfaaQtay noXvy
ixiJQv^y iy xolg 'EAAiyaty. A. Haas, De fon-
tibus Aelii Aristidis in componenda decla-
matione vn^Q xcay XBxxaQtay, Gryph. 1884.
Dagegen schrieb nach Suidas der Neuplato-
niker Porphyrios n^og '^QUfxeidrjy (T.
722
Griechisohe LitieratnrgeBohiohte. II. Naohklamuiohe Litleraiiir.
drehen sich alle um die langwierige Krankheit des Autors und die an den
Mesmerismus gemahnenden Wunderkuren, durch die er nach siebzehn-
jährigem Siechtum endlich Heilung fand. Sie geben uns ein merkwürdiges,
aber wenig erfreuliches Bild von dem Aberglauben jener Zeit und von dem
Unwesen, das die Asklepiospriester mit den Träumereien und Halluci-
nationen der kranken Menschheit trieben. Indes steht bei Aristides im
Hintergrund all dieser Visionen seine eigene masslose Eitelkeit, da ihm
in den Träumen vorzugsweise Kaiser und Götter erscheinen, die ihu in
der Rede das hauptsächlichste Heilmittel suchen heissen und ihm seinen
Ruhm in den schmeichelhaftesten Wendungen vorausverkünden. ^) — Er-
freulicher sind die Götterreden oder Predigten (praedicationes) auf Zeus,
Athene, Poseidon, Dionysos, Herakles, Asklepios, Sarapis, von denen die
auf Poseidon bei den isthmischen Spielen wirklich gehalten wurde, und
die auf den Asklepios in der Einweihungsrede des Asklepios-Tempel in
Kyzikus ein Seitenstück hat. Dieselben sind an die Stelle der poetischen
Hymnen und Prosodien der klassischen Zeit getreten,') sind aber nicht
ein Ausfluss echter Frömmigkeit und tiefer Religiosität,') sondern ver-
raten überall die Neigung der Zeit, durch allegorische Deutungen die alten
Mythen der Griechen sich mundgerecht zu machen und mit den religiösen
Vorstellungen anderer Völker in Einklang zu bringen. Reich an inter-
essanten Nachrichten über die Mysterien und die Geschichte von Eleusis
ist die Eleusinische Rede auf den Unglücksfall, der das alte Heiligtum
im Jahre 182 zerstörte.*)
523. Charakteristik. Ein Hauptzug in dem Wesen des Aristides
besteht in der Liebe zur Selbstberäucherung und in der grenzenlosen Ein-
bildung auf seine Kunst. Die Rede ist ihm der Inbegrijff aller Weisheit,
das grösste Gut, das ihm so viel gilt wie anderen Macht, Kinder, Eltern.^)
Aber das Wort koyog fasst er nicht nach seinem tieferen geistigen Inhalt,
sondern lediglich von der Seite der formalen Redegewandtheit. Daher
seine Geringschätzung der Philosophie, daher die Hohlheit und Inhalt-
losigkeit seiner Reden. Die Kunst des Schilderns in schwungvollen
Perioden und Bildern besass er allerdings in hohem Grade, aber wir er-
halten aus seinen zahlreichen Schilderungen von Städten, Landschaften,
Tempeln kein anschauliches Bild des Gegenstandes. Die Akropolia von
Pergamon, deren Umrisse und Kunstwerke heutzutage in klaren Linien
') Besonders in der vierten Rede p. 331.
RiTTERSHAiNy Der medizin. Wunderglanben
und die Inkubation im Altertum, Berl. 1878,
erklärt den Aristides ftir zeitweilig verrückt.
Den Weg der Suggestion durch hypnotischen
Schlaf erweist experimentell du I*rel, Mo-
demer Tempelschlaf, in Sphinx lan. Febr.-
Heft 1890.
*) ApsiNES, Rhet. gr. I 343 Sp. nennt sie
mit dem alten Namen der Hymnen TiQooi/Äia.
') Viel zu günstig urteilt Weloker El.
Sehr. III 138 f.
*) Vgl. 0. RuBENSoHN, Die Mysterien-
heiligtümer in Eleusis u. Samothrake, Berl.
1892 S. 102 u. 210. Gehalten hat Aristides
die Rede nach einer handschiifÜichen Notiz
(I 415 Dind.) im 53. Lebensalter nnter dem
Statthalter Makrinos.
^) 11421 Jebb: iftol d^ Xoyoi nana^ n^o^
yoQiag xal ndaag dvrtifteig i^^vat * xni y«^
nmdag xal yoviag xal n^^eig re »al aru^
navaug xal ndyxa i&ifiijy rovzovg, I S7:
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ßlov xal (oaneQei xeg>dXaioy ij nf^i rovg
Xoyovg diatQißijy xtoy da Xoytoy ol ne^ torg
^eovg dyayxaiotttxoi . . ovte r^ &€^ xaXXimy
/a^^C, oi/jiai, tijg inl ttuy Xoytoy orte tmg
Xoyoig BXf^^fJt^v oy eis ort XQeh To»f ZQV^^^"
fte&a. II 44: rettagtoy ovt»y fAOfnmy x^
d^er^g anayxa did ^r^xo^xijg nBntUfjta^
Ba)&OmiBohe Periode yor Konstantin. S.BleProaa. h) Die Sophistik. (§§523—524.) 723
unserem geistigen Auge vorschweben, weiss er nicht anders zu schildern
als mit der allgemeinen Phrase äxQonolig fih* avrrj loaavxri t6 fiäye&og
noQqwd'BV aaiQanvovca and nä(fifjg slaoiov^ (otrnsq xoivrj ng xoQvgnj tov
f^hfovg. Die Fertigkeit, aus dem Stegreif zu reden, verschmähte er; er
liebte die gefeilte, sauber ausgearbeitete Rede. Als der Kaiser Marcus,
80 erzählt uns Philostratos im Leben des Aristides, ihn fragte, wann er
ihn hören könne, antwortete er, stelle heute das Thema und morgen
kannst Du mich hören : ov yäq iaiihv xtav ifiovvKov, aXXd täv axQißovvttov.
Ihm so wenig wie dem Isokrates, mit dem er auch die Überschätzung der
Redekunst teilt, war die gefällige Leichtigkeit der vom Munde fliessenden
Bede eigen; dafür strebte er der Redegewalt des Demosthenes nach, ^)
blieb aber hinter dessen von wahrem Zorn erfüllter Wuchtigkeit der
Sprache himmelweit zurück. Was seinem Stile aus jener Nachahmung
geblieben ist, das ist die Yerschlungenheit des Periodenbaues und die
Dunkelheit des Ausdrucks, so dass Reiske von ihm sagt:^) scriptorum
graecorum quotquot legi post oratorem Tkucydidem unus Aristides est omnium
inteUectu difficülimus cum propter incredibüem argumentationum et crebri-
totem et subtilüatem tum propter graecitatis exquisüam elegantiam. Den
Zeitgenossen ^) und den nächstnachfolgenden Geschlechtern imponierte der
erborgte Schein tiefer Gelehrsamkeit und die täuschende Subtilität ge-
drungener Beweisführung so sehr, dass seine Reden viel in den Schulen
gelesen wurden*) und angesehene Rhetoren, wie Metrophanes ß) und
Sopater von Apamea, seine Werke, namentlich den Panathenaikos und die
Rede vti^q räv %€TTdq(av kommentierten. Erst nach und nach hat in der
Neuzeit eine nüchterne, wahrheitsgemässere Beurteilung Platz gegrijffen,
so dass jetzt Aristides eher unterschätzt wie überschätzt wird.
Ck)d. Laurentianas LX 3 (F) y. J. 917 für Erzbischof Arethas (s. Eruhbaoheb Byz.
lAiJ 524) geschrieben, 1. Hftlfte desselben ergänzt Paris. 2951; s. Br. Ekil Herrn. 25, 314.
— Schotien in t. HI Dind., dazu alte Subskriptionen zu or. IL V. X. XIX.
Ausgaben: Aristides ex rec. G. Dindobfii, Lips. 1829 in drei Bänden mit kritischem
ApiNurat und den Noten der früheren Bearbeiter Gantor (1566), Jebb (1722) und Rbjske;
der 3. Band enthält auch die Scholien. Ergänzungen zu diesen weist aus Cod. Marc. 423
nach WiLAxowiTZ, De Rhesi scholüs, Greifsw. 1877. — Dabbste, Quam utilitatem conferat
ad liistoriam sui temporis illustrandam Aristides rhetor, Paris 1844. — Ueber die Sprache
des Aristides handelt W. Scbkid, Der Atticismus in seinen Hauptvertretem, 2. Bd., Stutt-
giut 1889.
624. Philostratoi.^) Der Sophisten dieses Namens, die alle von
der Insel Lemnos stammten (Arffinoi)^ nennt Suidas drei.'') Der älteste
*) I 325 Jebb träumt ihm, der GoH habe
über seine Rede das Urteil gefällt: naq^X^eg
yfitty T(p ä^ioifiuT^ xSv Jtjfxoa&iyri,
^} In der praefatio bei Dindobf t. III
p. 788.
*) Sehr anerkennend urteilte Über ihn
der Attikist Phiynichos bei Photios Cod. 158
p. 101 a, 18 Bekk.
'*) Siehe die von Jebb gesammelten
Yetemm et recentiorum de Aristide iudicia
et testJmonia in Dindobfs Ausgabe t. III
p. 772, und Überdies das Urteil des Longin
in Rhet. gr. 1 325, 22 Sp.: JrjfAoc&evrjg dnyora-
iufUyetj dXX' avtos yiyetai rex^V 7toXXdxt<:,
(iKJovTtog xai 'jQiarBi&ij^, und p. 326, 30: ttjy
nXeoyttaaoay ne^l ri^y *Aüiay Exkvaiy avBX-
t^ffato 'jQiateidfjs * avyex<»S Y^Q ^^"^^ ^tti
^6<oy xai nt'&ayog,
') Des Metrophanes vnofjtytifjia sig 'Aqi-
ax€idi]y erwähnt Suidas; auf Sopater, dessen
Namen p. 757, 24 Dind. ausdiücklich ge-
nannt ist, geht der Grundstock unserer Scho-
lien zurück.
^) Suidas unt. ^tkoargatos und ^Qoyrtoy.
Rohdb Gott. gel. Anz. 1884 p. 32 ff. Bbrok, Die
Philostrate, Fünf Abhdl. S. 173—181.
') Einen Sophisten Philostratos Aigyp-
46*
724
Griechisphe Litteratargesohlohte. II. NaohklaMisohe Litteraitir.
war Philostratos, Sohn des Veras, der nach Suidas unter Nero lebte,
den aber der Verfasser der Bhi üo^ict&v nicht erwähnt, sei es, weQ
er vor die Zeit des erneuten Aufschwungs der Sophistik fiel, sei es,
weil er überhaupt nicht existierte. Von den ihm beigelegten Schriften
ist der Dialog Nägayv^ und dieser an fremder Stelle, unter den Schriften
Lukians, auf uns gekommen.^) Der Dialog enthält ein Gespräch des
Lemniers Menekrates mit dem verbannten Philosophen Musonius Rufus
über die von dem Kaiser Nero geplante Durchstechung des Isthmus von
Korinth und die bei dieser Gelegenheit von dem Despoten verübten Greuel.
Philostratos II, der nach Suidas Sohn eines Philostratos und Enkel
eines Veras war , nennt sich selbst im Eingang der Sophistenbio-
graphien Flavios Philostratos *) und wird von Eusebios wiederholt Athener
genannt. 3) Nach Suidas lehrte er zuerst in Athen, später in Rom und
blühte unter Septimius Severus (193 — 211), dessen Gemahlin Julia
Domna ihn zur Abfassung des Lebens des Apoilonios von Tyana be-
wogen hatte, und dem er durch seinen Lehrer und Freund Antipatros,
den Geheimschreiber des Kaisers und Erzieher der kaiserlichen Prinzen,
näher getreten war.^) Er ist der Verfasser der Geschichte des Apoilonios
und der Lebensbeschreibungen der Sophisten.
Philostratos III, Sohn des Nervianus und Schwiegersohn des zweiten
Philostratos, wird von dem letzteren in den Sophistenbiographien regel-
mässig unter dem Zunamen Lemnios angeführt. Seine Lebenszeit bestimmt
sich dadurch, dass ihn als jungen Mann von 24 Jahren der Kaiser Cara-
calla (211 — 217) mit der Steuerfreiheit auszeichnete;^) er lehrte in Athen,
ward aber in Lemnos begraben. Beigelegt werden ihm von Suidas ^Moveg^
Jlava&tivaixogy TQmxog (wohl identisch mit ^HQ<oix6g),^) naqa^qamg rijg
'Ofir^Qov aandog^'^) MsXtrai. Nach dem Lexikographen schrieben ihm
einige auch die Lebensbeschreibungen der Sophisten zu.
Ein vierter, von Suidas gar nicht erwähnter Philostratos, der den
dritten zum Grossvater mütterlicherseits hatte und demnach schwerlich
tios aus der Zeit der Kleopatra erwähnt
Philostr. vit soph. I 5.
') Dass der älteste Philostratos Verfasser
des Dialoges ist; hat Katser erkannt; auf
ihn ist Vit. Apoll. ¥19 angespielt. Die
meisten Schriften aher, welche Suidas dem
Philostratos I heilegt, wie die Xoyoi navrj-
yvQixoi, Xoyoi 'EXevaiyiaxol^ fieXetaVy scheinen
nicht jenem unter Nero lebenden Philostratos,
sondern dem Philostratos III anzugehören.
Den Philostratos unter Nero streicht über-
haupt HiHZBL, Der Dialog II 340.
') Ein L. Flavius Philostratus aus dem
Demos Steiria wird in einem Ephebenver-
zeichnis CIA III 1202 als Archen des Jahres
254/5 oder 257/9 oder 262/3 bezeugt.
') 'Af^rjynTog <PtX6oTQttxog wird von Eu-
sebios in Hierocl, p. 371, 13; 373, 5; 406, 29 K.
der Verfasser der Geschichte des Apoilonios
genannt. Bei Eunapios, Vit. soph. init, und
Synesios, Dion p. 35 a u. Insomm. p. 155 b
hat dagegen der Verfasser der Sophisten-
biographien den Beinamen Lemnins. Der
Verfasser der Briefe heisst in den Hand-
schriften ^iXoctQ, U^^yatogy dieser sdbst
aber bezeichnet im 70. Brief Lemnos als
seine Heimat.
^) Phil. Vit. soph. II 24 p. 109 Kays.
Suidas dehnt sein Leben bis aof Philippos
(244—9) aus: cotpictevaag äy 'jl^ijyat^, etra
iy 'Pto/njj im leß^Qov xov ßttcüiätog xai iaK
^iXlnnov, was nicht unmöglich ist, aber viel-
leicht doch auf einer Verwechselung mit
Philostratos III beruht.
6) Philostr. Vit soph. p. 122, 20.
•) Der Tgmxog wird, was ja auch der
Inhalt nahe legt, nicht verschieden gewesen
sein von dem uns erhaltenen 'HQmtxog, Eumal
der Rhetor Menander, Rhet. gr. III 890, 2 Sp.
demselben Autor den 'H^mlxog und die
£/xoVef zuweist: 'PiXoarQtitov jov Tioy*H^tdxüy
rtjy i^ijyrjciy xai rag Eixoyag ygtinfHcyfOf.
') Diese letzte Angabe ist schon inao-
fem ungenau, als die Schüdbescbroibang
nicht ein eigenes Buch ist, sondern das
10. Kapitel der Eixoyeg bildet.
Ba) Römische Periode yor Konstantin. S.Die Prosa, h) Die Sophistik. (§§525—526.) 725
vor dem 4. Jahrhundert gelebt haben kann, hat die zweiten Etxoveg nach
dem Muster der ersten verfasst.
625. Auf uns gekommen sind unter dem Namen Philostratos, wenn
wir von dem Dialog Neron und den zweiten Eixoveg absehen, sechs Schrif-
ten : das Leben des ApoUonios von Tyana [vd ig t6v Tvaväa UnoXküiviov),
Lebensbeschreibungen von Sophisten {ßioi aotpitfrcov), Bilderbeschreibungen
{cixoveg), der Heroikos, der Gymnastikos, eine Sammlung von Briefen
[erricToXm) mit einem Anhang von zwei Aufsätzen (iiaXä^sig). Wie diese
unter Philostratos 11 und Philostratos III, denn diese allein kommen in
Betracht, zu verteilen seien, darüber herrschte, wie wir sahen, schon im
Altertum Streit, und gehen auch in unserer Zeit die Meinungen der Ge-
lehrten stark auseinander. Als sicher kann angenommen werden, dass
das Leben des ApoUonios und die Sophistenbiographien von Philostratos 11
verfasst sind,^) und dass die erste Dialexis, in der vom Briefstil gehandelt
ist, von Philostratos ni herröhrt. 8) Ausserdem schreibt die Überlieferung
so entschieden die Elxoveg und den "^Hqwixoc dem Philostratos HI zu, dass
davon abzugehen mir bedenklich scheint. Für den gleichen Ursprung dieser
beiden Schriften und ihre Unterscheidung von den übrigen, sind von
Fertig, De Philostratis sophistis, Würzburg 1894, auch beachtenswerte
sprachliche und sachliche Gründe beigebracht worden. Freilich hat da-
gegen der beste Kenner der Sprache jener Zeit, W. Schmid, Attikismus
ly 7 sich dahin ausgesprochen, dass bei der grossen Übereinstimmung
sämtlicher Schriften in der sprachlichen Form und in dem Tone leichter,
anmutiger Schreibart man am besten thue, jede Unterscheidung fallen zu
lassen und alle Schriften bis auf die Briefe dem Philostratos II zuzuweisen.
626. Das Leben des ApoUonios von Tyana {td ig rov Tvaväa
'AnoXXaiviov) in 8 B. ist von Philostratos 11 auf Wunsch der schöngeistigen
Kaiserin Julia Domna (gest. 217) verfasst worden. Das Leben des Helden
unseres Romans lag damals bereits um 100 Jahre zurück, so dass desto leichter
der merkwürdige Mann in dem Glorienschein eines Heiligen und Wunder-
thäters glänzen konnte.') Benutzt hat Philostratos ältere Darstellungen
des Lebens und der Wunderthaten des ApoUonios,^) hauptsächlich aber
Hess er sich von seinem eigenen Hang zum Wunderbaren leiten, ohne da-
mit eine besondere Nebenabsicht zu verbinden. Nicht unwahrscheinlich
jedoch ist es, dass seine Auftraggeberin, die Kaiserin Julia, zugleich mit
dem Leben jenes Wunderthäters ein Gegenstück zu den biblischen Erzäh-
^) Der Verfasser der Sophktenbiographien | Aufschrift hat 'Aünaaii^ (Aanaffi<^ vnlgo.
unterscheidet sich selbst wiederholt (p. 117, | corr. Olearius). Im übrigen tragen die ein-
11. 122, 20. 123, 16. 126, 1 E.) von dem zelnen Briefe der Sammlang einen sehr ver-
Lemnier, und bezieht sich p. 77, 1 E auf ' schiedenen Charakter: die erotischen, welche
sein froheres Werk ,das Leben des Apol- den Grundstock bilden, wollen zu keinem
lonios*. Auch die Zeiten stimmen, nur muss
dann der Verfasser in späteren Lebensjahren
wieder von Rom nach Athen zurückgekehrt
sein.
^) Auf diese Dialexis ist in der Sophisten-
biographie p. 126, 19 angespielt: 47 ^h ^vyys-
yg€LfA(i4yfi hiiatoXtj rto ^iXoatQaxtp (seil.
AiifAvlif)) negl tov ntSg X9V iTtMX^XXety ngos
totr *j4cnaifiov tsiyei, weshalb sie auch die
der Philostratoi stimmen.
') Von der abgöttischen Verehrung des
Mannes zeugt das Bild, das von ihm Eaiser
Alexander Severus neben denen von Christus,
Abraham und Orpheus in seinem Lararium
hatte (Lampridius, vit. Alex. Severi c. 28); eine
Eopie von demselben ist wohl die Büste eines
Contomiaten bei Bauxbistbb, Denkm. n. 115.
*) Vgl. oben § 504.
726
Grieohisohe LitteratiirgMchiohie. II. NaohklaMisolie Litteratiir.
lungen vom Leben Christi geliefert zu sehen wünschte.^) Jedenfalls haben
die Späteren dasselbe gegen die Lehren und den Glauben der Christen
ausgespielt. Wir wissen das bestimmt von EQerokles, der von Diokletian
in Bithynien zum Richter ttber die Christen gesetzt, eine gegen das
Christentum gerichtete Schrift, Xoyog g)iXaXij^i]g, herausgab, gegen die
wieder Eusebios, der Kirchenvater, in einer uns noch erhaltenen, hinter
Philostratos abgedruckten Schrift polemisierte.')
Der Heroikos ist in ähnlichem Geiste wie das Leben des ApoUonios,
aber nach der Überlieferung nicht von Philostratos II, sondern Philostratos HI
geschrieben.') Derselbe enthält das Gespräch eines nicht ungebildeten, aber
im Aberglauben befangenen Winzers des thrakischen Chersones, der von dem
dort verehrten Heros Protesilaos des wiederholten Besuches und vertrauten
Umgangs gewürdigt wurde, und eines phönikischen Seefahrers, der an der
Küste angelegt hatte, um günstigen Fahrwind abzuwarten. Der Winzer
erzählt auf die Fragen des SchifEmanns im wesentlichen Anschluss an
Homer und die Kykliker, was er aus dem Munde des Protesilaos über die
troischen Helden, über Protesilaos selbst, dann über Palamedes, Odyssens,
Hektor, Achill u. a. erfahren haben wollte. Der Autor beabsichtigte damit eine
der poetischen Ausschmückung entkleidete, in dem dann zurückbleibenden
Kern aber als wahr festzuhaltende Geschichte der Heroen zu geben und auf
solche Weise den Heroenkultus der Altvordern zu neuem Ansehen zu bringen.
Die Bioi aog>i(rT£v in 2 B.^) sind dem Konsul Antonius Gordianos
gewidmet und in der nächsten Zeit nach 229 von Philostratos IX ge-
schrieben.^) Das Ganze zerfällt in drei ungleiche Teile. Der erste han-
delt von den philosophisch gebildeten Männern, die wegen der auf die
Schönheit der Sprache verwandten Sorgfalt unter die Rhetoren aufge-
nommen zu werden verdienten, wie Eudoxos, Leon, Kameades, Dion; der
zweite umfasst die Sophisten der älteren Zeit, von Gorgias und Protagoras
an bis auf Isokrates und Aischines; der dritte hauptsächlichste Teil ent-
hält die Biographien der berühmten Sophisten der Gegenwart Eröflhet
wird diese neue Periode der Sophistik mit Niketes aus Smyma, der in
der Zeit des Nerva blühte, und herabgeführt bis auf Aspasios unter Ale-
xander Severus; nicht erwähnt hat der Verfasser Apsines den Phönizier
und Philostratos den Lemnier, weil er mit diesen durch zu enge persön-
') Dieses ward angenommen von dem
berOhmten Tübinger Theologen Baur, Apol-
lonios und Christus, in der Tflb. Zeitschr. f.
Theol. 1832, jetzt in Drei Abhandlungen
S. 1—227. Vgl. Jacobs in der Einleitung
seiner Uebersetzung, Stuttg. 1829; Ed. Müller,
War Apollonius von TVana ein Weiser oder
ein BeMger oder ein Schwärmer und Fana-
tiker? Breslau 1861; Iw. Müller, Commen-
tatio qua de Philostrati in componenda me-
moria ApoUonii Tyanensis fide quaeritur,
Onoldi 1858 et Landavii 1859—60.
^) Cregen Hierokles wendete sich auch
Lactantius Inst. div. V 8. Seit der Renais-
sance haben besonders Lord Herbert von
Cherbury (1582-1648) und Jean de
Castillon (1709 -91), letzterer auf Anregung
Friedlich des Grossen, das Buch des Philo-
stratos gegen die kirchliche Lehre ausgespielt
') Jacobs in der Einleitung seiner Ueber-
setzung weist den Dialog der Jugendz^t des
mittleren Philostratos zu, Berok a. O. legt
ihn nach dem Zeugnis des Suidas dem dritten
Philostratos bei. Eine annfthemde Zeitbe-
stimmung ist darin gegeben, dass p. 194. 14K.
auf den unter Hsdrian entstandenen jiyiv
Tffftocfov xttl 'Ofiijgov hingewiesen und p. 147.
15 der Athlet Helix, der sich im Jahre 219
bei den Spielen des Heliogabal auszeichnete,
erwShnt ist.
^) Suidas spricht von 4 B.
^) Die Zeit folgt darms, daas Oerdiaa
in dem Widmungsbrief als F^konsnl ange-
redet wird; s. Rudolph, Leipz. Stud. YD 5.
B a) BOmisohe Periode yor Konstantin. 8. Die Prosa, h) Die Sophietik. (§ 526.) 727
liehe Freundschaft verbunden war. Die Biographien sind in leichtem
Feuilletonstil geschrieben, enthalten viele interessante Notizen und Anek-
doten, gehen auch auf die Charakteristik des Stiles der einzelnen Sophisten
ein, lassen aber eine nähere Bezeichnung der Werke der Redner ver-
missen und noch mehr ein gesundes Urteil über den eigentlichen Wert
und die innere Bedeutung der weitüberschätzten Sophisten.
Der rvfAvatftixog oder die Abhandlung von der Gymnastik wird
von Suidas unter die Werke des ersten Philostratos gestellt. Da aber in
demselben der Athlet Helix erwähnt ist (p. 287, 19 K.), der nach Cassius
Die 79, 10 bei den von Heliogabal 219 gegebenen Spielen sich auszeichnete,^)
so hat Kayser mit Recht ihn einem der späteren, und zwar dem mittleren
Philostratos zugewiesen. Geleitet wird der Verfasser von dem Streben, in
dem verzärtelten, durch Luxus und Prasserei herabgekommenen Geschlecht
wieder die Lust zu den gymnischen Spielen zu wecken und dasselbe zur rechten
Übung der Gymnastik anzuleiten. Wird dadurch schon bei allen Freunden der
Tumerei lebhaftes Interesse für die Schrift hervorgerufen, so wird dasselbe
noch gesteigert durch die vielen wichtigen Nachrichten, die uns der Ver-
fasser von der Geschichte der olympischen Spiele und den verschiedenen
Arten der Gymnastik gibt. Dabei sieht man, was die Pflege dieser
Übungen und der Anblick der nackten Jünglinge für die Schärfung des
Auges hellenischer Künstler und Kunstfreunde vermochte; lebte sonst
unser Sophist in dem Schatten der Schule und der trüben Atmosphäre
mystischen Wahnglaubens, so weiss er hier mit staunenswerter Exaktheit
die körperlichen Eigenschaften zu schildern, welche für den Läufer, Ringer,
Boxer, Pankratiasten erforderlich waren und durch jene Übungen geför-
dert wurden. Das Büchlein, von dem man ehedem nur Fragmente und
Auszüge hatte, ist erst in neuester Zeit durch eine von dem Griechen
Minas entdeckte Handschrift vollständig bekannt geworden.
Briefe des zweiten Philostratos erwähnt Suidas; die auf uns gekom-
mene Sammlung scheint aus der Vereinigung zweier älterer Sammlungen
entstanden zu sein. Der erste grössere Teil besteht aus kleinen Liebes-
briefen, billets doux, deren Liebesgetändel nicht recht zu dem strengen
urteil des Gymnastikos über die entnervende Wirkung der Liebe passen
will.') Von den übrigen Briefen ist der 73., der an die Kaiserin Julia
gerichtet ist, von hohem litterarischen Interesse; er enthält interessante
Mitteilungen über Gorgiaß, den Ahnherrn der Sophisten. Angehängt sind
den Briefen zwei Aufsätze (diaki^eig), von denen der erste über den Brief-
stil in abgerissenen Sätzen handelt.
Die Eixovsq (Imagines) des dritten Philostratos repräsentieren eine
besondere Litteraturgattung der Sophistik. Dieselbe betrachtete nämlich
als formales Bildungsmittel die Übung in der Beschreibung und nahm da-
her die ix<pQa(fig mit unter die Progymnasmata auf. Insbesondere aber
^) GassiiiB Bio 79, 10 nennt ihn freilich
Jv^Xiot AiXi^y aber an der Identität wird
nicht am zweifeln sein.
') Geradeza der sinnliche Kitasei ist als
Zweck der Liebespoesie hingestellt im 68.
Brief: ol iQauxol xtov noitjtaSy aya^tj crx^o-
aats xal i^wQots ' 17 yuQ ivyovaia rtSy tot"
iäy&B rj ovx iniXrjaei <f$ atp^&urlioy rj aya-
(4yfjcei,
728
Grieohiaohe litteratargMohiohte. ü. NaohklMsisohe litteraiar.
gefielen sich die Sophisten darin, Nachahmungen der Natur, das ist Ge-
mälde und Werke der Plastik, zu beschreiben und so in einer Zeit des
erneuten Eunstaufschwungs dem Gefallen an Schöpfungen des Meisseis und
Pinsels als redegewandte Führer zu dienen. Zuerst, soweit wir nach-
weisen können, schrieb der Rhetor Nikostratos aus Makedonien, der
nach Suidas unter M. Aurel lebte, solche Gemäldebeschreibungen. Aber
auch Lukian, Polemon, Apuleius, Heliodor, Himerios,i) verstanden sich auf
diese elegante Kunst. Erhalten nun ist uns von Philostratos HI die schon
im Altertum wegen der Reinheit und Anmut der Sprache hochgepriesene')
Beschreibung einer Gallone von 64 Bildern in Neapel, b) Bei der geringen
Zahl von erhaltenen Werken der Malerei gewinnt dieser geschmackvolle
Führer einer untergegangenen Pinakothek doppeltes Interesse, das noch
durch die kritische Frage erhöht wird, inwieweit Philostratos als treuer
Erklärer wirklicher Gemälde oder als genialer Erfinder künstlerischer Situ-
ationen anzusehen ist. Gegen Friederichs, der dem Buche jeden kunst-
geschichtlichen Wert absprechen wollte, hat Brunn die Übereinstimmung
der Schilderung mit erhaltenen Vasen und Sarkophagen kenntnisvoll nach-
gewiesen.*)
Eine zweite Serie von Elxovsg schrieb Philostratos IV, der sich selbst
in der Einleitung als Enkel des Verfassers der ersten Gemälde oder des
dritten Philostratos bezeichnet. Lange nicht mit dem Geschick seines
Grossvaters und ohne den gleichen Eindruck wahrheitsgetreuer Schilderung
zu hinterlassen, beschreibt derselbe einem fingierten Schüler alte Kunst-
werke, auf die er zufällig gestossen sein will.^) Der Schluss des Buches
ist verloren gegangen, so dass dasselbe mitten in der Beschreibung des
17. Gemäldes abbricht. Das 10. Bild, HvQQog tj Mvaoi überschrieben, scheint
von seiner Hauptdarstellung auch den Titel TiaqcufQaaiq %fjg ^Ojtir^Qov dam-
Sog gehabt zu haben, unter dem es als ein eigenes Werk neben den £i-
xovsg von Suidas angeführt wird.
Den Eix(iv€g der Philostrate pflegen in den Ausgaben wegen des ver-
wandten Inhaltes die 'Exfpqdaeig des Kallistratos angehängt zn sein.
Dieselben geben ohne Einleitung in ajffektierter Sprache die Beschreibung
von 10 Werken in Stein oder Erz, wobei meistens auch der Schöpfer des
Werkes angegeben ist.^) Der Exeget bleibt nicht bei Griechenland stehen;
0 Polemon bei Athen. XI p. 484 c; Lu-
kian de domo; Apaleius Florid. c. 15; Heliodor
V14; Achill. Tat. V 2, 4; ffimer. or. XXV;
Aelian fr. 99.
«) Philostr. iun. p. 390, 9 K.: itrnovda-
atal Tig y^ccfpixtjg igyiüy 6xg)Q(«ng rtofjn^
6fA(avv(jt(a TS xal firjTQoncctogt. Xlay dttixtug
rijg yXcotrijg e/ot;<r« }vy wQtf re HQorjyfA^vj^
xal r6y<o. Moschopulos schrieb eine *ExXoyij
Ttoy oyofAfitfoy attix^y ixXeyeiaa nno zijg
teX^oXoyiag ttSy elxoycjy tov ^tXoaxQtifov.
') Nebenbei sind derselben auch andere
technische Bemerkungen eingelegt, wie I 28
über die Emailkunst bei den Barbaren des
Oceans (Britannien).
*) K. Fbibdbrichs, Die Philostratischen
Bilder, ein Beitrag zur Charakteristik der
alten Kunst, Erlangen 1860, und schon vor
ihm Passow, Verm. Schrift S. 223 ff.; H.Bbunn.
Die Philostr. Gemälde gegen Friederichs ver-
teidigt, in Jahrb. f. Phil. Suppl. IV 177-303
u. Jahrb. f. Phil. 1871 S. 1-33. 81—105.
Einen vermittelnden Standpunkt vertritt Mais,
De Philostratorum in desciibendis imaginibus
fide, Bonnae 1867. — Der PImi weimariseher
Kunstfreunde, eine Folge philostratischer Ge-
mälde in Kupferstichen herauszugeben, gab
Goethe Anlass zu einem Aufsatz Aber Phi-
lostrats Gemälde, Ges. W. Bd. 39.
*) Philostr. p. 391, 26.
^) Die Beschreibung von Kunstwerken
fand auch noch bei Späteren Anklang und
B a) BOmisohe Periode yor Konstantin. 8. Die Prosa, h) Die Sophistik. (§ 527.) 729
er beschreibt auch die Statue des Memnon in Äthiopien und eine Gruppe
von Nymphen am Indus.
Ausgaben: Philostratomm qaae snpersnnt reo. et notis illustr. Olearius, Lips. 1709;
ed. Katseb, mit krit Apparat in Bibl. Tenbn., nach der gewöhnlich citiert wird; ed. Westbr-
■ANN, Par. 1849; mit ^tischen Vorarbeiten za einer neuen Ausgabe ist Stubm beschäftigt.
— Spezialausgabe der Vitae soph. mit inhaltreichem Kommentar von Katbek, Heidelb.
1838. — Imagines rec. Jacobs mit Observationen Wblokers Leipz. 1825; PhUostrati maioris
Imagines rec. seminariorom Vindobonensium sodales 1893 in Bibl. Teubn.
627. Die übrigen von ihrem Biographen Philostratos hervorgehobenen
Sophisten unseres Zeitraums waren: Isaios,*) Skopelianos,*) Dionysios
von Milet, Lollianos, Theodotos von Athen, Aristokles, Antiochos
von Aigai, Alexander Peloplaton,») Adrianos von Tyrus,*) Antiochos
von Kilikien, Hippodromos aus Thessalien, Nikostratos aus Makedonien,
Pausanias aus Eappadokien, Ptolemaios von Naukratis, Herodes
Attikos und Antonius Polemon. Von ihnen war der gefeierteste
Herodes Attikos,^) auch kurzweg Herodes genannt (100—175). Hoch-
geehrt als philosophisch gebildeter Redner und als Lehrer der Kaiser Marc
Aurel und Yerus, hat er gleichwohl noch grösseres Ansehen durch seine
politische Stellung und seinen enormen Reichtum erlangt. Neben den
höchsten Ehrenstellen Athens begleitete er im Jahre 140 das Consulat in
Rom. Sein mehr als fürstliches Vermögen verwendete er in freigebigster
Weise zur Anlage von öjffentlichen Bauten in Attika und anderen Orten
(Olympia, Delphi, Eorinth, Alexandria Troas, Ganusium) und zur Aus-
schmückung seiner Landhäuser in Eephisia und Marathon mit Werken
der Plastik. Durch Reste dieser Bauten und litterarische Inschriften
(Kaibel ep. gr. 104b), gefunden namentlich in dem Triopeum an der Appi-
schen Strasse Latiums, sind wir auch zumeist über die Lebensverhältnisse
des grossen Beschützers der Kunst unterrichtet. Aber auch der Schön-
rederei und Sophistik wandte er durch Lehre und Freigebigkeit seine
Gunst zu. Auf uns gekommen ist die unbedeutende Rede neQi noXireiag
oder über das Bündnis der Böotier mit den Peloponnesiem gegen den
König Archelaos von Makedonien im Jahre 405.^) — Neben Herodes er-
freute sich Antonius Polemon, geboren um 85 n. Chr.,- als Haupt der
älteren Rhetorenschule von Smyrna und gewandter Stegreifredner ganz
besonderen Ansehens und Beifalls. 7) Bei der Einweihung des von Hadrian
Nachahmung. So hat Eayser m Philostr. de
gymn. Turici 1840 ixq>Qt<aBtq christlicher
Bilder publiziert von einem gewissen Markos
£iige]]iko8 aus der Zeit des Konzils von
Florenz.
^) Die Nachrichten über die einzelnen
Sophisten hat Eayser in dem Kommentar
der Bioi cotpiartay zusammengestellt. Ueber
Isaios s. ausser Philostratos den Brief des
jüngeren Plinius II 8.
') Den Freunden des Weins empfahl
sich seine Rede vrtiQ dfAn^Xavy die gegen
Domitianfl Verordnung gerichtet war.
>) Den Grund des Spottnamens gibt
Phflostr. Vit. soph. If 5, 3. üeber Aristokles,
der ans einem Philosophen ein Rhetor wurde,
spricht Synesios, Dion p. 12 R.
^) Nikostratos ward in den Kanon auf-
genommen, worüber § 519.
*) FüLLBS, De Ti. Cl. Attici Herodis vita,
Bonn 1864; Dittenbbbqer Herm. 13 (1878)
66 ff. und Ind. lect. Hai. 1892/3; Maass, Or-
pheus S. 34 ff.
') Die kurze Rede abgedruckt im 5. Band
von Bekkers Orat. att., neubearbeitet von
Hass, De Herodis Attici oratione nsgl no-
Xiteias, Kiel 1880. Ueber den Stil Schkid,
Atticismus I 192 ff.
') Artikel des Suidas; Eusebios setzte
den Polemon 131 aus unbekanntem Grund.
FöRSTBR, Script, physiognom. Proleg. LXXXV
sqq.
730
Grieohiflohe LitteratiirgeBohiohte. II. NaohklaMisohe Litteratnr.
ausgebauten Olympieion in Athen hatte er die Ehre, die Festrede zu
halten. Auf uns gekommen ist uns von ihm eine Deklamation auf die
Marathonskämpfer Kynegeiros und Eallimachos.^) Die erhaltenen Reden
des Polemon und Herodes sind blutarme Geburten der Sophistik, zusammen-
gestöppelt aus Reminiscenzen des Demosthenes, ohne Mark und • Bein.
Polemo ist auch Verfasser einer Physiognomik, die uns aber nur durch
eine arabische Übersetzung und die Paraphrase eines gewissen Adamantios
(8./4. Jahrh.) erhalten ist, während in griechischer Sprache nur Excerpte
von Excerpten des Polemo auf uns gekommen sind.')
Eine Vorstellung von dem inhaltsleeren, phrasenreichen Inschriften-
stil jener Zeit gewähren die zahlreichen Ehrendekrete, Erlasse und Briefe,
welche uns inschriftlich aus der Kaiserzeit erhalten sind. Von einem ge-
wissen Opramoas, einem freigebigen und hochgestellten Lykier aus der
Zeit des Antoninus Pius, sind allein an 60 Urkunden jenes Schlages auf
uns gekommen, welche der eitle Mann an den Wänden seines Grabdenk-
mals in Rhodiapolis hatte einmeisseln lassen und welche unlängst Petersen
und Luhthan, Reisen in Kleinasien, Wien 1888, 11 76 ff. veröffentlicht
haben.
1) Buntsehriftstellerei.
528. An die Sophisten reihen wir die auf dem gleichen Boden ober-
flächlicher Betrachtung entstandene Schriftstellerei der Anekdotensammler,
Paradoxographen, Gastmahlbeschreiber und verwandter Litteraten an. Je
mehr nämlich die Ausdauer zu strenger systematischer Forschung nach-
liess, desto mehr wuchs die Neigung zu buntem Wissen und mannig-
fachem Neuigkeitskram. Zunächst waren es neue und fabelhafte Vor-
kommnisse der Naturgeschichte, deren Erzählung anzog ;^) dann aber
suchte man auch merkwürdige Ereignisse aus der Geschichte und inter-
essante Notizen aus der Litteratur und Kunst zusammenzutragen. So ent-
stand in der römischen Kaiserzeit bei Griechen und Lateinern die reiche
Litteratur der. Varia {navxodanrj vXtj^ noixiXa)^ Miscellanea {cvfipuxia)^
Memorabilia. In der Regel reihte man die verschiedenen und verschieden-
sten Notizen kunstlos aneinander; wollte man zu einer höheren Kunstform
aufsteigen, so empfahl sich dazu besonders die Form des Tischgesprächs.
Denn auch bei Tisch pflegte man, dem Zuge der Zeit folgend, sich Heber
über verschiedene Dinge und bunte Neuigkeiten zu unterhalten, als das
Gespräch um einen Gegenstand und eine Frage zu konzentrieren.
529. Claudius Aelianus^) war in Präneste bei Rom geboren, wes^
halb er sich wiederholt^) als Römer bezeichnet. In die griechische Litr
*} Polemo ed. Hinck, Lips. 1873; über
seinen Stil Schmid a. 0. p. 47 ff.
^) Polemonis de ph^siognomia Über bei
FöBSTBB, Sciiptores physiognomici, Lips. 1893
vol. I. Ebenda die Paraphrase des Adaman-
tios und Pseudopolemonis physiognomica.
Vgl. Val. Rosb, Anecd. gr. I 25 u. 59 ff.
*) Mitunter stecken in jenen Wunder-
erzählungen richtige Beobachtungen yon fos-
silen Tieren, Schlammfischen, NaphtfasqueUen;
s. Haileb, Ein Beitrag zur antiken Paläon-
tologie, Bayer. Gymn.Bl&tt 1896 S. 556 ff.
«) Ein Artikel des Suidas nnd Philosir.
Vit. soph. U 81.
») Var. bist, ü 38. XH 25. XIV 45.
Ba)BOm. Periode yorEonBtantin. 8. D. Prosa. i)BimtBohriftetellerei. (§§528-529.) 731
teratur ward er durch den Sophisten Pausanias eingeführt und eignete sich
unter dessen Leitung so sehr die Herrschaft über das fremde Idiom an,
dass man ihm das allerdings übertriebene Kompliment machte, er spreche
attisch wie einer der mitten in Attika geboren sei.^) Aber weder strebte
er nach politischen Ehren, noch widmete er sich der sophistischen Dekla-
mation, sondern suchte seinen Ruhm lediglich in der fleissigen Schrift-
stellerei über kleine, aber seiner wissenschaftlichen Neigung entsprechende
Dinge. Er erreichte ein Alter von über 60 Jahren, soll sich aber trotzdem
gerühmt haben, nie über die Grenzen Italiens hinausgekommen zu sein oder
nur ein Schiff bestiegen zu haben.') Das kann indes nicht ganz richtig sein
oder muss sich auf eine Äusserung aus seiner früheren Lebenszeit beziehen,
da er in der Tiergeschichte XI 40 ausdrücklich erwähnt, dass er in Alexandria
im Zeuspark ein Rind mit 5 Füssen gesehen habe.^) Seine Zeit bestimmt
sich dadurch, dass er ein Zeitgenosse des Lemniers Philostratos war und
noch vor dem Tod des Verfassers der Sophistenbiographien starb. Ein
noch bestimmteres Anzeichen liegt in der Anekdote,^) dass als er eine
Anklageschrift gegen Gynnis, worunter offenbar der weibliche Heliogabal
zu verstehen ist, dem Philostratos vorlas, dieser ihm beissend sagte: id-av-
litt^inf av €1 fcovTog xatrjyoQTjaag, Danach muss er also jedenfalls jenen
Kaiser (gest. 222) überlebt haben. In seiner Geistesrichtung war Aelian
ein echtes Kind seiner Zeit. Auf den Stil und die sophistische Redekunst
legte er allen Wert;^) es fehlte ihm auch nicht an Belesenheit und sau-
berem Fleiss, aber er holte sein Wissen aus Büchern, nicht aus selbstän-
diger Beobachtung und entbehrte nicht bloss der Fähigkeit eines streng
systematischen Denkens, sondern war auch ganz in dem kritiklosen Myste-
rien- und Wunderglauben seines Jahrhunderts befangen.^) Dabei kannte
er aber recht wohl den Leserkreis, auf den er spekulierte : Leuten, welche
gerne von Wundem hörten und die strenge Zucht systematischen Denkens
scheuten, bot er mit seinen bunten Geschichten eine anziehende und unter-
haltende Lektüre. 7) Auch im Mittelalter waren seine Bücher viel gelesen;
Konstantinos Porphyrogennetos veranstaltete aus ihm naturgeschichtliche
Exzerpte, Suidas citiert kaum einen anderen Schriftsteller öfter als ihn,
Phües hat ihn im 14. Jahrhundert in Verse gebracht.^)
Das Hauptwerk des Aelian hat den Titel nsgi fycor tiiovtjtog
(de natura animalium). Eingeleitet durch ein Proömium und geschlossen
er: on<og di avtd einoy xal a^y oatf) noyw.
*) Philostr. Vit. 8oph. IT31: ijtrlxiCey oianeQ
ol iy xff (Ascoyalq *J&rjyaioi. Aber in seinen
Schriften begegnen doch viele Fehler gegen
die Reinheit der griechiBchen Sprache; siehe
Index graecitatas in Jacobs Ausgabe der
Tiergeschichte. — Auch gegen den Hiatus
zeigte er sich voUständig gleichgültig.
') Philostr. Vit. soph. II 31.
') Früher woUten deshalb bedeutende
Gelehrte, wie Valckenaer, dem Sophisten
Aelian die Tiergeschichte absprechen. Andere
nehmen an, dass Aelian nachlftssigerweise
das iSsaaafiijy aus seiner Vorli^e herttber-
genommen habe.
*) Phüostr. a. 0.
*) Im Epilog der Naturgeschichte sagt
t6 t* BvyBvkq Xfjg Xi^Btag onoioy xttl trjg avy^
Sfjxijs XiSy j* 6yof4ttT(oy xal itoy oyofiaztoy
x6 xdXkoqy onocoif ny fjirj /^i^croifiat noyrjQoTg
XQixaTg. Btaoyrai ixsTyoi.
^) Das zeigt sich besonders in den Resten
seines Buches Ober die Vorsehung.
') Epilog der Naturgeschichte: r^ not-
xiXio xijs dyayyto0ea)s x6 i(poXx6y 9tjQ(dy xal
xtjy ix Xfov Ofioiüty ßdsXvyfiiay dnodidQaaxtay
oloysi XBifitSyd xiva rj ax^tpayoy togaioy ix
x^g noXvxQoiag tag dy&satpoQtoy xdSy Cfj^toy
xiuy TtoXXtoy t^i^&rjy dBiy x^ydß vfpdyai xe xal
dtanXi^ai xtjy cvyyQatpfjy.
«) Vgl. Erumbaohbb Byz. Lit.> 775 bis
779.
732
Griechische Litieratargesohichie. n. NaohklaMieohe litteratnr.
durch einen Epilog, enthält dasselbe in 17 B. bunte Erzählungen aus dem
Tierleben. In ihnen berücksichtigt der Verfasser hauptsächlich die Seelen-
eigenschaften der Tiere, die Gelehrigkeit der Elephanten, die Treue der
Hunde, die Geschicklichkeit der Bienen, die Geilheit der Lippfische, und
liebt es dabei den Menschen so nebenher aus der Tierwelt einen moralischen
Spiegel vorzuhalten. Geschrieben ist das Buch, wie aus 10, 1 hervorgeht,
nach Dions Geschichte Caracallas;^) einen unmittelbaren Vorgänger hatte
Aelian an Demostratos, einer Autorität in Fragen der Fischerei, deren
er 15, 19 mit besonderer Hochachtung gedenkt. Ausserdem benutzte er
namentlich die älteren Wunderschriftsteller gleichen Kalibers, Alexander
Myndios und Juba und die Alyvmiaxd des Apion.
Weniger sorgfältig ausgearbeitet und schlechter erhalten ist das Werk
noixiXt] tazoQia (varia historia) in 14 B., wovon die ersten 15 Kapitel
naturgeschichtliche Gegenstände l3ehandeln, alles übrige der Geschichte der
Menschen angehört. Wir besitzen dasselbe nur in einem Auszug,*) wie
schon das oit im Anfang vieler Artikel zeigt.') Daraus erklärt sich der
Mangel einer Einleitung und die grosse Verschiedenheit in der Grösse der
einzelnen Bücher und Erzählungen.^) Das Material hat auch hierzu Aelian
aus den Wundergeschichten und einer kritiklosen Lektüre des Ktesias,
Theophrast, Theopomp, Timaios zusammengebracht.*) Ob Aelian den
Athenaeus oder umgekehrt Athenaeus den Aelian ausgeschrieben habe,
oder ob die Übereinstimmung aus der Benutzung der gleichen Quelle her-
zuleiten sei, ist eine alte Kontroverse.^)
Von ähnlichem Gehalt waren auch die unter sich zusammenhängenden
Schriften TteQi ngovoiaq und n€Qi d^emv ivaqysimv^ von denen uns zahl-
reiche Fragmente durch Suidas erhalten sind. Dieselben basierten auf dem
Buch des Stoikers Chrysippos über die Vorsehung '^) und waren gegen die
Gottesleugner, insbesondere gegen die Epikureer gerichtet. Im Gegensatz
zu Lukians Zeig rqayffidog suchten sie das Eingreifen der Gottheit in Be-
strafung der Missethäter und Belohnung der Gerechten an Beispielen der
Geschichte nachzuweisen.
Unter Aelians Namen sind auch 20 Bauernbriefe (oyQoijuxal emirto-
lai) auf uns gekommen; dieselben sind erotischen Inhaltes und der idylli-
schen Poesie verwandt, passen aber mit ihrer eleganten Form mehr für
») Rudolph, Leipz. Stud. VII 8 ff.
^) Hbrcheb, De Aelianl varia historia,
Rudolstadt 1857, und in der Praefatio der
Pariser Ausgabe, wo nachgewiesen ist, dass
uns viele Kapitel bei Stobaios und Suidas
vollständiger erhalten sind. Ungewiss ist,
worauf das Citat bei Stephanos Byz. unt. Xsq-
^ovfjaog ' AiXiayog iy ß' UrroQCXTJg dictXe^eotg
geht.
') Auf Aelian selbst will dieses ort zu-
rückfahren Rudolph a. 0. p. 100 f.
*) Die Bücher X u. XI füllen nur wenige
Seiten; die breitausgeführte Erzählung von
der schönen Aspasia XII 1 steht in keinem
Verhältnis zu den vielen ganz kurzen Anek-
doten.
^) Siehe Index autorum der Ausg., nnd
Rudolph, De fontibus quibus Aelianns in
Varia historia componenda osos sit, Leipt.
Stud. VII 18 ff. Viele Quellenschriften, die
Aelian anAlhrt, hat er nicht im Original ge-
lesen; nach V. H. XVII 37 scheint er nicht
einmal Aristophanes Wolken gelesen zu haben.
Eine HauptqueUe war ihm Favorinos' nur-
To^anrj Ufjoqia^ aus der er die Namen der
primären Quellen entnahm. Die Gleichheit
der Quellen erklärt die vielfache Ueberein-
stimmung mit Athenaios und Plutardi.
^) A. Bbunk comm. phil. in hon. sod.
phil. Gryph., Berlin 1891; Wellmahk Heim.
26 (1891) 483 ff.
') Ghiysipp ist citiert fr. 81.
B a) BömiBche Periode vor Konstantm. 8. Die Prosa, i) Bnntsohriftstellerei. (§ 530.) 733
einen attischen Sophisten als einen römischen Anekdotenschreiber. Auch
scheint der Verfasser am Schlüsse des letzten Briefes mit den Worten
ov yd^ i<XfA€v ovT£ AißvBg ovte Aviol aXX' Uv^r>vatoi yBWQyoi unter der Maske
des Briefschreibers sich selbst als Athener zu bekennen, i) — Endlich
werden unserm Aelian die Distichen auf Homer und Menander zuge-
schrieben (CIG 6092 u. 6083 = Kaibel epigr. gr. 1084—5), die in Rom im
Hause eines Aelian den Hermen des Homer und Menander beigeschrieben
waren.
Der Text des Aelian ist durch zwei stark voneinander abweichende Hands«hriften-
familien auf uns gekommen; Haaptvertreter der älteren Familie ist ein Vaticanus, jetzt in
Paris. — Ed. princ. von Gonr. Gbssneb, Zürich 1556; kritische Ausgabe von R. Hbbchbr,
Par. 1858 und in Bibl. Teubn. 1864. — Spezialausgabe der Hist. anim. cum priorum et suis
animadv. ed. J. G. Scbnbider, Lips. 1784; ad fidem codicum restit. et annot. illustr. Fb.
Jacobs. — Var. hist. ed. PsRizomüs mit Kommentar, 2 vol., LB. 1701.
530. Paradoxographen. An Aelian mögen sich die übrigen Anek-
dotenschreiber, deren Schriften Westermann zu einem Corpus paradoxo-
graphorum vereinigt hat,*) anreihen. Die Litteratur der Wundergeschichten
geht auf die alexandrinische Zeit zurück, aus der wir bereits die Samm-
lungen von Eallimachos und Antigenes kennen gelernt haben. ^) In die
spätere Zeit fallen: Apollonios, dessen 7crirop<a* ^aviaätnai uns in ver-
stümmelter und gekürzter Form vorliegen;*) Phlegon von Tralles aus
der Zeit Hadrians, dessen historisches Handbuch bereits oben § 491 be-
sprochen wurde; Isigonos aus Nikäa (1. Jahrh. v. Chr.), aus dessen Schrift
nsQi an(a%(ov uns Reste in einem mageren Auszug ix tüv (rnoQdSijV nsQi
norafAcav xal xqtjvwv xai hfivdov nuQixdo^oXoyov^ävfav erhalten sind.^) Ada-
^) Suidas erwähnt ayqoixi,xtti iniatoXai
von den Sophisten Zonaios und Meleser-
mos; erhalten sind uns solche im 3. B. des
Alkiphron. Die Echtheit unserer Sammlung
sucht zu verteidigen Hbbobbb in der Pariser
Ausg. praef. X. Auch Herm . Rkich, De Alci-
phronis Longique vita, Diss. Eönigsherg 1894,
p. 26—45 hält die Autorschaft des Aelian
aufrecht, indem er wie Horcher die Briefe
dem jungen Aelian zuschreibt. Sicher hat
der scharfsinnige and geschmackvolle Doktor
erwiesen, dass der Verfasser unserer Briefe
den Alkiphron nachgeahmt hat, und dass
Aiistainetos, indem er einem seiner Briefe
n 1, in welchem er stark Aelian ep. 7 u. 8
benutzt, die üeberschrift Atkiavov KaXvxjj
gibt, unsere Briefe unter dem Namen des
Aelian vorgefunden hat.
*) Dazu ergänzend Keller, Rerum natu-
raliuin scriptores graeci minores, Lips. 1867
in Bibl. Teubn.
') Wbstbrmank in der Vorrede seiner
Ausgabe gibt ein Verzeichnis sämtlicher Para-
doxographen. Ausser Eallimachos und Anti-
gonos schrieben unter Ptolemaios Philadel-
phos Archelaos und Aristokles in Versen
fiber wunderbare Dinge (Aelian A. H. XI 4;
Antigen, c. 19). Um dieselbe Zeit schrieben
Nymphodoros ns^l ttSy iy IixeXitf &avfia~
iogjtiymy und in ähnlichem Ton Lykos aus
Rhegium; femer Lysimachos aus Alexan-
dria, der Aiyvnxiaxd nagd^o^a und 9i]ßaixd
nagd^o^a schrieb. Fragmente bei Müller
FHG U 372-81; III 334—42. Dem Ari-
stoteles untergeschoben ward die Schrift
TtsQi ^ttvfxnamv dxovcfjiduay. Auch das
romanhafte Buch des Hekataios aus Abdera
über die Hyperboreer, und des Jambulos
über eine fabelhafte Insel des indischen
Ozeans gehörten in das gleiche Gebiet. Ueber
die ganze Wunderlitteratur der alexandrini-
schen Zeit Susemihl AI. Lit. I c. 17.
*•) Der Anfang des Buches scheint ver-
loren gegangen zu sein; Phlegon c. 11 u. 13
citiert Angaben des Apollonios, welche in
unseren 51 Kapiteln nicht enthalten sind. Auf
einen Auszug weist der ganz verschiedene
Umfang der einzelnen Kapitel.
') Sotion wird als Verfasser des Auszugs
angegeben von Photios cod. 189 and Tzetzes
Chil. 7, 645. Der Auszug stammt aus der
Zeit nach Phlegon, wenn anders die Ver-
besserung von ^AESSIN c. 35 in *AErüN
durch Westermann richtig ist. Der Philosoph
Sotion ist selbst am Schlüsse des Auszugs
als eine Quelle genannt, aber sicher nicht
aus ihm, eher aus dem Geoponiker Sotion
ist das Schriftchen excerpiert. Rose, Anecd.
graec. Berl. 1864 p. 10 schreibt die Schrift
direkt dem Isigonos von Nikäa zu.
734
Grieohisohe LittoratnrgMohiohto. II. Naohklftsaisohe Idtieratitr.
mantios, Sophist des 3. Jahrhunderts, von dem uns eine von Yal. Rose
herausgegebene Schrift über die Winde erhalten ist. Einer späteren
Zeit gehört das Büchlein des Philon Byzantius ncQl iSv iura ^safiarwv
an, das Rohden nach den Anzeichen des streng vermiedenen Hiatus der
zweiten Periode der sophistischen Beredsamkeit, genauer dem Anfang des
6. Jahrhunderts zuweist.
Paradozographi graec. ed. WBsrsRMAim , Braunschweig 1839 ; Rerom nafcoralioin
scriptoreB graeci minores ed. Ksllbb 1877 in Bibl. Teubn. — Val. Rose, Anecdota graeca,
Berl. 1864, 2 Bde. — Philonis Byzantii de Septem miracalis ed. Orelli, Ups. 1816; Bobdkk,
De mandi miraculis, Bonn 1875; H. Schott, De Septem spectacnlis, Progr. Ansbach 1896. —
RoHDE, De Isigonl Nicaeensis de rebus militaribns breviariom (Anszog des cod. Vatic 12)
in Acta soc. philol. Lips. I 25 — 42.
531. Artemidoros, der Traumdeuter, kann auch zu den
Wunderschriftstellem im weiteren Sinne gerechnet werden. Derselbe ist
Verfasser der uns erhaltenen ^OveiQoxgiuxä in fünf Büchern, von denen
das dritte unter dem Spezialtitel (PiXäXrjO^eg rj ^Evodiov einen Nachtrag sra
den zwei ersten bilden sollte und das fünfte eine gesonderte Zusammen-
stellung von Beispielen erfüllter Träume {oveiQoav anoßaaeiq) enthalt. Sui-
das nennt ausserdem von ihm Oloavocxonixd und XeiQocxomxd. Er stammte
aus Ephesos, nannte sich aber Daldianos von der Stadt Daldis in Lydien,
wo er seinen Wohnsitz gehabt zu haben scheint; sein Leben fiel in die
Zeit der Antonine, befreundet war er mit dem Rhetor Cassius Maximus
(§ 511), dem er die drei ersten Bücher seiner Traumdeutungen widmete.
Die Traumdeuterei gehörte in das weite Gebiet der Mantik, mit der sich
schon in der alexandrinischen Zeit nicht bloss Liebhaber von Anekdoten,
wie Artemon aus Milet, Phoibos aus Antiochia, Alexander Myndios,*) son-
dern auch ernste Denker, wie insbesondere die Stoiker*) abgaben. Unser
Artemidor gibt in seinem elegant geschriebenen Buch mit ernster Miene
eine förmliche Theorie der Traumdeuterei, lässt aber doch für Verlegen-
heiten allerlei Hinterpförtchen offen, indem z. B., wenn einem träumt, dass
ihm Ameisen in das Ohr kriechen, dieses für den Sophisten glückverkün-
dend ist, für andere Menschen aber nahen Tod bedeutet. Wichtiger als
durch den Humbug der Traumdeuterei ist das Buch durch die Citate und
gelehrten Notizen, die der belesene Schriftsteller seiner Darstellung ein-
flicht. — In ähnlichem Fahrwasser bewegen sich die Orakel des Astram-
psychos, die sich vielfach mit den lateinischen Sortes Sangaüenses (ed.
Winnefeld, Bonn 1887) berühren.
Artemidor rec. Hercher, Lips. 1864 auf Grundlage des cod. Lanr. 87 und Marc 268.
— Astrampsychi oraculorum decades CHI ed. Heboheb, Berl. 1868, Programm des Joachims-
thaler Gymn.
632. Athenaios aus Naukratis in Ägypten ist Verfasser des So-
phistenmahles (dsmvoaoifiiaxMv) in 15 B., das bis auf den Schluss und die
ersten Bücher (B. 1, 2 und Anfang von 3), die wir nur im Auszug haben,
vollständig auf uns gekommen ist.») Von der Person des Verfassers be-
>) Odeb bei Susemihl AI. Lit. I 868 ff.
Regeln der Traumdeuterei erwähnt bereits
Aischylos Prom. 484.
■) W. Rkiohabdt, De Artemidoro Dal-
diano, in Comm. Jen. V (1893) 111 ff., sucht
auch unseren Artemidor zu einem Stoiker
zu machen. lieber des Poseidonkw 5 Bficher
nBQi ^ayjixijg siehe oben § 405.
') Neben der Ausgabe in 15 B. existierte
eine solche in 80 B., worüber Vermerke in
Ba)Röm.Periodevor Konstantm. S.D.Prosa. i) Bimtsohriftstellerei. (§§531-582.) 735
merkt Suidas bloss: ^A^rjvatog NavxQcnnrjg yQa/xfAauxogy ysyovcog inl tcov
XQovmv MtxQxov. Auch aus anderen Quellen erfahren wir nichts Näheres
über ihn, wir ersehen aber aus seinem Werke, dass er ein Mann von
grosser Belesenheit und glücklichem Gedächtnis war, der ob seines mannig-
faltigen Wissens und seines mitteilsamen Wesens gern in der Tischgesell-
schaft der vornehmen Welt Roms gesehen wurde. Von seinen früheren
Arbeiten erwähnt er selbst eine Spezialuntersuchung über den Seefisch
^qrnxa (c. 329c) und eine Schrift über die Könige Syriens (p. 211a).i)
Der reiche Inhalt seines Hauptwerkes ist in die Form von Tischgesprächen
bei einem Gastmahl des Larensis gekleidet, und zwar so, dass Athenaios,
der selbst unter den Tischgenossen gewesen war, seinem Freunde Timo-
krates erzählt, was bei jenem Mahle geschehen oder vielmehr gesprochen
worden sei. Wer erkennt hier nicht sofort, auch wenn nicht das irjhf
nXaziavix^ beigefügt wäre, die Einkleidung des platonischen Gastmahls
wieder? Aber während dort dramatisches Leben herrscht und die Tisch-
gespräche von einem Umfange sind, dass sie auch wirklich so gehalten
sein konnten, verliert Athenaios oft ganze Bücher hindurch die Scenerie
aus dem Auge und pfercht eine solche Unmasse von Dingen in den
Rahmen eines Gastmahles, dass wir die ganze Einkleidung als eine un-
glückliche, völlig missglückte Nachahmung betrachten müssen. Der Gast-
geber also ist Larensis, ein hochgestellter, in beiden Sprachen bewanderter
Römer,*) den der Kaiser M. AureH) zum Pontifex gemacht hatte, so dass
wir unwillkürlich bei den vielen Schüsseln des Mahles an die berühmten
coenae pontificum erinnert werden. Geladen waren 29 Gäste aus ver-
schiedenen Lebensstellungen, doch alle durch ihre Bildung des Ehrentitels
aoipiaiai würdig. Da waren die Juristen, die Dichter, die Grammatiker,
die Philosophen, Rhetoren, Ärzte, Musiker vertreten; aber die meisten,
wie z. B. auch der Arzt Galen, spielen die Rolle stummer Personen; in
den Vordergrund des Gesprächs treten hauptsächlich der Rechtsgelehrte
Masurius, der im ganzen fünften Buch allein das Wort führt, der Kyniker
Kynulkos, der mit seinen Polterreden auf die Üppigkeit und die Hetären-
poesie die lustige Person des Gespräches abgibt, und der Rhetor Ulpian
aus Tyrus, der den Spitznamen KsiTovxeirog führt, weil er immer mit der
Frage xehai, ov xehai; bei der Hand war. Über die Zeit, in welcher
das Gastmahl gehalten wurde, scheint die Stelle p. 686 c, welche Schweig-
häuser auf den im Jahre 228 erfolgten Tod des berühmten Juristen Ul-
pian bezog, ein Anzeichen zu enthalten. Aber die Voraussetzung, dass
der Jurist Ulpian und der gleichnamige Sprecher unseres Buches eine
Cod. A. Kaibbl praef . XXII ss. erblickt darin
Anzeichen, dass der uns erhaltene Text ans
einem YoÜstHndigeren ausgezogen sei.
') Eine dritte Schrift deutet er an p. 155a:
oTi di xai ol Mvdo^oi xal ol rjysfJLoveg ifJLOvo-
Hdxovy xai ix n^xXtjaeag rovr^ inoiovv, iy
ttXXoii eiQTixafAsy,
') Mit Larensis und nicht mit Laurentius
mnaBj wie mich Dittenberger belehrte, das
griechische Aa^yaoq wiedergegeben werden.
Als seinen Ahnen bezeichnet Larensis p. 160c
den berOhmten Polyhistor Varro.
•) Athen. I p. 2c: XiyBi d^ avroy xal
Xtt&etyrafxsyoy inl tdÜy Ugioy eiyai xai d^vauoy
vnd tov nayj* aQiatov ßatnXitog MaQxov.
Daraus ist wohl das inl raiy j^goytoy Mdgxov
in den Artikel des Suidas gekommen. Ein
P. Livius Larensis pontif. minor kommt vor
auf einer Ära des vatikanischen Museums
CIL VI 2126; vgl. Dsssaü Herm. 25 (1890)
156 ff.
736
Ghriecliuiche litteratnrgesohiohto. II. HaohklMuiische Lüteratnr.
Person seien, gründet sich nur auf die Gemeinsamkeit des Namens und
der Vaterstadt Tyrus, wird aber dadurch zweifelhaft, dass der Jurist ge-
waltsam ermordet wurde, unser Tischgenosse aber eines ruhigen Todes
starb (p. 686 c). Von einer so weit herabgehenden Jahreszahl also müssen
wir absehen und uns darauf beschränken, anzunehmen, dass das Qastmahl
in die nächste Zeit nach dem Tode des Kaisers Gommodus (193) M.
Denn die höhnende Bemerkung über jenen Kaiser p. 537 f. hätte Athe-
naios nicht zu dessen Lebzeiten zu machen gewagt. In Betracht kommt
ausserdem, dass schon Aelian und Macrobius das Sophistenmahl unseres
Athenaios benutzt zu haben scheinen, i)
Das Sophistenmahl ist eines der inhaltreichsten Bücher, das für uns
nach den grossen Verlusten der Litteratur der neuen Komödie und der
alexandrinischen Periode von unschätzbarem Werte ist. Nur in einigen
Abschnitten, wie in dem 13. Buch, das den speziellen Titel egaotixoc Xoyog
führt, ist der enge Gedankenkreis der alten Tischgespräche festgehalten;
aber auch in der Besprechung dieses Themas herrscht der antiquariseh-
litterarhistorische Gesichtspunkt vor, der neben dem grammatischen das
ganze Werk durchdringt. Man hat dasselbe ein Lexikon, gekleidet in die
Form von Tischgesprächen, genannt, und in der That verraten einige Ab-
schnitte, wie die von den Fischen (B. 8), von den Trinkgefässen (B. 11),
von den Kuchen (Schluss von B. 14), von den Früchten, Salben, Kränzen
schon durch die alphabetische Aufzählung den lexikalischen Ursprung.
Aber auch sonst versteckt sich gewiss oft hinter dem prunkenden Schein
ausgedehntester Belesenheit nur die wohlfeile Arbeit des Exzerpierens ge-
lehrter Artikel der Lexika des Didymos und Pamphilos. Selbst die mit
der Maske eines gewiegten Kritikers zum Überdruss oft zugefügte Be-
merkung €l yvrjaiov t6 ßißkiov scheint zum grossen Teil nur das kritische
Urteil jener Lexikographen und der von ihnen ausgezogenen Grammatiker,
nicht das eigene des Verfassers zu enthalten.^) Aber immerhin bietet das
Werk eine staunenswerte Fülle gelehrter Bemerkungen und gehörte sein
Verfasser zu jener Klasse viellesender und gedächtnisstarker Philologen,
wie sie das Altertum zahlreicher als die Neuzeit hervorgebracht hat.
Athenaios hat mit seinem Sophistenmahl nichts Neues geschaffen, er
hatte zahlreiche Vorgänger, die er fleissig benutzte. Seit Piaton und Xeno-
phon mit ihren Symposien vorangegangen waren, waren ähnliche Werke
in Masse gefolgt.^) Nach Piaton schrieb zunächst Epikur ein Gastmahl,
das Athenaios V 12 einer sehr abfälligen Kritik unterzieht,*) sodann Persaios,
dessen 2v/inoTixol dialoyot aus den Erinnerungen des Megarikers Stilpon
und des Stoikers Zenon zusammengesetzt waren. Gemischten Inhaltes
waren die SvfifAixva avfXTiouxd des Aristoxenos, die sich Plutarch in seinen
2vfA7to<naxd nQoßh]i.iaTa zum Vorbilde nahm. Dem speziellen Gebiete der
Grammatik und Philologie gehörten die ^vfinociaxd av^i^nxxa des Didy-
*) Ueber diese zum Teil bestrittene Be-
nutzung vgl. Wentzrl im Artikel Athenaios
bei Pauly-Wiasowa II 2027.
^) So kommt es, dass derselbe Athenaios
das Buch ne^l fxi&fig p. 427c dem Theo-
phrast, p. 461a dem Ghamaileon zuschreiben
konnte.
*) Ueber die SymposienUtteratur Hiszn.,
Der Dialog I 860 ff.
^) Die Fragmente bei Usbnkr, Eniciunea
p. 115 ff.
Ba) Römische Periode vor Konstftntin. 8. Die Prosa. i)Bimt8chriftstellerei. (§532.) 737
mos^) und das Svfjinwfiov des Herodian an.^) Dazu kamen zahlreiche
Symposien in Versen, wie die 'Hdvnä&€ia^) des Archestratos, eines Zeit-
genossen des jüngeren Dionysios, die elf Bücher Jeinvwv des Rhodiers
Timachidas,^) die parodischen Gastmahle des Matron,^) Hegemon,^) Nume-
nios,^) Heri^eides aus Tarent.^) Reichen Stoff zu den Gesprächen über
den materiellen TeU des Mahles boten dem Athenaios ausserdem die
poetischen und prosaischen Verfasser von ^AXuvrixa^^) 'OipaQTvrixd,^^)
Qr^Qiaxä,^^) sowie die Schriften der Philosophen über die Lust (ttsqI T^Sovijg),
in denen auch der Genüsse des Mahles gedacht war.^>) Mehr aber als die
Fische, Brühen, Weine, Salben interessieren uns die nagoipijfiatay die
Notizen über Musik, Lieder, Tänze, Spiele, Hetären, Parasiten und die
Anekdoten, die sich an dieselben knüpfen; wer hat nun dazu unserem
Athenaios den Stoff geliefert? zur Beantwortung dieser Frage liefei*te der
reiche Index von Schweighäuser nur das Material; die Antwort selbst
gaben neuere Spezialuntersuchungen,^') indem sie die Lexikographen Didy-
mos, Tryphon und Pamphilos,^*) das Sammelbuch des Favorin,^^) das Buch
des Dioskorides über das Leben der Heroen bei Homer als Hauptquellen
des Athenaios nachwiesen. Schwer aber im einzelnen zu entscheiden
bleiben immer noch die Fragen, inwieweit Athenaios direkt oder indirekt
seine Quellen benutzt, und inwieweit er seine Vorlagen einfach ausge-
schrieben oder mit eigenen Excerpten vermischt hat. Auch kann man
aus seinen Angaben, wenn sie im Präsens vorgetragen sind, nicht immer
schliessen, dass nun auch die geschilderten Eulturzustände zu seiner Zeit
noch existierten. So handelt er XV 665 — 69 von dem Kottabosspiel so,
als ob dasselbe damals noch im Brauch gewesen sei; thatsächlich aber
war dasselbe schon mehr als 300 Jahre zuvor ausser Übung gekommen.
Alle Handschriften des Atii. gehen auf einen Archetypus, den cod. Marcianos J zu-
iUck; daneben existiert noch eine Epitome im cod. Laor. 60, 2 n. Paris. 3056, die aus einem
') M. SoHHiiyT, Didymi fragm. p. 308 sq.
') Ueber die Benützung des letzteren
RaiTZEKSTBiir, Geschichte der E^mol. 371 ff.
') So betitelt das Werk Kallimachos;
Chiysippos nennt es TaaxQovo^La, Elearchos
JetnroXoyia, andere 'Otponoua- s. Ath. 4e;
witzig heisst der Verfasser selbst bei Ath.
310a 6 ttoy o^oqxiyojy 'Haiodog,
^) Ath. 5a; nach der Fassung dieser Stelle
scheint aber Athenaios von dem Buche nur
durch andere Kenntnis gehabt zu haben.
') Ein grosses Stttck daraus bei Ath.
134—137.
«) Ath. 5b.
^) Das Werk des Numenios, der vor
Nikander lebte nach schol. Nicandr. Thes. 737,
heisst p. 5a Jstnyov, p. 13b werden citiert
'JXiBvuxd. Vgl. Max. Wbbbb, Gurae crit. in
epicoe gr. Numenium etc., Progr. Gotha 1891.
*) Von ihm ist angeführt ein £vfin6ai,ov
p. 64a, 67e u. a.
*) Aufgezählt sind dieselben bei Ath.
p. 13b.
»•) Aufgeführt p. 516 c.
") Besonders hftufig berief sich Athe-
naios auf den Dichter Nikander.
^') Das Buch des Ghrysipp tisqI »aXov
xai ijöoy^g erwfthnt Athenaios oft mit be-
sonderer Anerkennung, so p. 565 a: x^^Q^
nayv ti^ ay&Ql diä te xrjy noXvfAuS-lay xai
tijy Tov rj9ovg inuixBiay.
^') Bapp, De fontibus quibus Athenaeus
in rebus musicis lyricisque enarrandis usus
Sit, in Leipz. Stud. VUI 86—160. Beitr&ge
zur Quellenkunde des Athenaeus, in Comm.
Ribbeck. 253—65. Fel. Rudolph, Die Quellen
und die Schriftstellerei des Athenaios, Philol.
Suppl. VI (1891) 109—162. Schon Lbntz,
Herod. techn. rell. praef. p. CLXI hatte be-
merkt: Athenaeuniy qui diu tamquam vastae
eruditiofiis exemplar admirationi fuit, Pam-
philum ifa exacripsisse, ut eius copiis tam-
quam suis se iactaretf scriptores a Pamphifo
in tesiimonium vocatos quasi ipse legisset
afferens nemini non notum est»
»*) Vgl. Wellmann Herm. 23, 687 ff.
^^) Das Sammelwerk des Favorinus wollte
zur Hauptquelle erheben Rudolph, De fon-
tibus Aeliani, in Leipz. Stud. VII 109 ff., da-
gegen Bapp, Leipz. St. VIII 151.
Baadbuoh der Uim. Altertunswinenschaft. vn. 3. Aufl.
47
738
Orieohisohe Litteratargesohiohto. n. HachklaMisohe Littoratiir.
dem A verwandten Codex ausgezogen iat, 0. Kaibbl, Ind. lect. Rost. 1883 n. Praef. der Ausg.
XIY 88.; W188OWA, De Athenaei epitome, in Gomment. in honorem ReifPerscheidii. — Erste
bedeutende Ausgabe von Is. Casaubonus, Genev. 1597, nach deren Seiten citiert wird; mit
den Anmerkungen der Früheren von SoirwBioniLusBB, Argent. 1801 — 7, 14 vol.; recogn.
Meikbke in Bibl. Teubn. 1858, 3 vol., neubearbeitet von Eaibbl.
k) Lukianos (um 120 bis nach 180).
633. Wenn ich im Anschluss an die Sophisten von Lukian handele,
so bedarf dieses der Entschuldigung. Denn Lukian ragt nicht bloss turm-
hoch über die Sophisten gewöhnlichen Schlages hervor, er hat auch wie
kein zweiter die Schattenseiten der in dem trügerischen Glänze einer er-
logenen Bedeutung sich sonnenden Sophistik durchschaut und gegeisselt
Aber gleichwohl gehört derselbe seinem Bildungsgang und sozusagen seiner
Profession nach der Klasse der Sophisten an.^)
Leben Lukians. Lukian^) war in Samosata, der Hauptstadt der
syrischen Landschaft Kommagene, um 120 geboren') und erreichte seine
Blüte unter den Antoninen. Seine Eltern waren wenig bemittelt und be-
rieten daher, als der Knabe herangewachsen war, in einem Familienrat,
ob sie denselben studieren lassen oder seinem Onkel, einem tüchtigen Bild-
hauer, in die Lehre geben sollten. Die Erwägung, dass das Studieren
[naiieici) viel Zeit und namentlich viel Oeld koste und ohne hohe Protek-
tionen doch nicht leicht zu einem auskömmlichen Dasein führe, bestimmten
sie dem ehrsamen Handwerk den Vorzug zu geben, zumal der Kleine schon
bei dem Spielen mit Wachsfiguren ein ungewöhnliches Talent für die Kunst
an den Tag gelegt hatte. Aber da der Lehrling das Unglück hatte, gleich
in den ersten Tagen durch einen zu kräftig geföhrten Hammerschlag einen
Marmorblock zu zertrümmern und dafür von seinem Meister den Riemen
zu schmecken bekam, so lief er wieder zu seinen Eltern und weigerte
sich hartnäckig, in die Lehre zurückzukehren. Es waren ihm nämlich im
Traume die Techne und die Paideia erschienen, und es hatte die letztere
mit so glänzenden Vorspiegelungen die erstere aus dem Felde geschlagen,
dass er sich fest entschloss, dem Weg der Bildung zu folgen und sich zu
dem, was damals als höchstes Ziel der Bildung galt, zu einem Rhetor
auszubilden. Das alles hat er uns selbst in dem Buche »Der Traum*
allerliebst erzählt. Von weiterer Bedeutung sind uns aber diese Mit-
teilungen aus der Jugendzeit des Lukian, da sie uns das feine urteil,
welches derselbe in Kunstfragen bewährt, begreifen lassen.^)
Zuerst nun trat unser junger Semite, nachdem er erst die griechische
Sprache erlernt^) und bei einem ßhetor, wir wissen nicht wem, in die
^) £r nennt sich selbst Bis accus. 14
^roQa IvQOVy c. 25 Xoyoyqdfpov Xvqov,
') Von Lokian gilt das horazische omnis
votiva pateat veJuti descripta tabella vita senia.
Ausser seinen Schriften belehren: Jacob, Gha-
rakteiistik Lukians von Samosata, Hamburg
1832; C. Fr. Hermann, Zur Charakteristik
Lukians, in Ges. Sehr., Gott. 1849; P. M.
BoLDEBMANN, Studia Lucianea, Lejden 1893.
*) Suidas unt. Aovxtnyog: yiyove 6k ini
Tov KaiaaQog TgaXttyov xai inixuptt. Aber
da Lukian in dem Dialog Bis accaB.32, der
zwischen 162—165 geschrieben ist, sich als
einen Vierziger bezeichnet, so kann er kaum
vor 120, eher erst 125 geboren sein; s. Robdb
Rh. M. 83, 174 f. und Daub, Stad. m Soidms
S. 63 f.; BoLDREMANN geht auf 115 hinauf.
«) Welckrb, Alte Denkm.l 420; Bhtm-
NER, Archftologische Studien zu Lokianos,
Bresl. 1867.
') Bis accus. 28: iyto tovtoA »ofudfi
B a) BOmisohe Periode vor Konstantin. 8. Die Prosa, k) Lnkianos. (§ 533.) 739
Schule gegangen war, in derjenigen Gattung der Beredsamkeit auf, welche
damals als die erste, d. i. unterste Stufe galt, in der gerichtlichen, und
zwar nach einer Notiz des Suidas in Antiochia, dem Sitz der Behörden
der Provinz Syrien. Lange aber scheint er das Amt eines Sachwalters
nicht geführt zu haben, da er dasselbe in demjenigem Dialoge, in dem er
von seinem weiteren Bildungsgang erzählt, in dem Jig xaTYjyoQoviiisrog nicht
einmal einer Erwähnung würdigt. Vielmehr wandte er sich bald der-
jenigen Richtung der Rhetorik zu, welche am meisten damals Ruhm und
Gewinn versprach, der epideiktischen oder sophistischen. Eingeführt wurde
er in dieselbe in lonien, vermutlich in Smyrna, wo damals der Sophist
Polemon eine mächtige Anziehungskraft ausübte. Er zog dann selbst als
Wanderredner durch Kleinasien, Griechenland, Makedonien, Italien und
Gallien, 1) um bei Festversammlungen, wie wiederholt in Olympia,*) oder
bei anderen Gelegenheiten sich hören zu lassen. In diese Art von Thätig-
keit schlagen von den erhaltenen Schriften unseres Autors mehrere so-
phistische Deklamationen ein, wie über den Tyrannenmörder, über Pha-
laris, über den Enterbten (ATtoxrjQvttofisvog)^ das Lob der Mücke, der
Streit der Buchstaben {Jixrj tfxavi^ävrwv) ; ») doch fühlt man in den meisten
derselben schon den Satiriker heraus, wie namentlich in dem zweiten
Phalaris, wo der Delphier als Vertreter des Satzes von der Kirche mit
dem guten Magen unbedenklich die Geschenke des grausamen Tyrannen
anzunehmen rät.
Aber so glänzende Erfolge er auch als Rhetor erntete, lange hielt
ihn doch diese Beschäftigung nicht fest; er erkannte zu bald die Hohl-
heit der geschminkten Buhlerin*) und wandte sich von ihr ab, um etwas
Höheres und Grösseres in den Lehren der Weisheit zu suchen. Von Be-
deutung für diese Umkehr war der Besuch des Platonikers Nigrinus in
Rom, wie er uns selbst, noch ganz hingerissen von der edlen Gestalt
dieses echten Weisen, in dem gleichnamigen Dialoge erzählt.^) Bezeich-
nend ist es dabei, dass gleich von vornherein unseren Autor nicht die
einfache Tugendlehre anzog, sondern die damit verbundene Geringschätzung
des eitlen, lächerlichen Treibens der Mehrzahl der Menschen.^) Ihm sagte
eben nicht die pathetische Rolle eines stoischen Tugendpredigers zu, son-
dern die anheitemde Art eines geistreichen Satirikers. Durchdrungen also
von der Erkenntnis des Scheinwissens der Sophistik und erfüllt von einem
xal fÄovov opjf xäy&xfy iydedvxora ig tov
^AtravQtoy rqonoy negl irjy 'I<oyiay evgovaa
nXal^6fji€yoy lr& xal oti /^^aero iavr^ ovx
eldora na^aXaßovffa inaidevaa. Seine Mutter-
sprache 'wird schwerlich die lateinische ge-
weaen sein, wiewohl sein Name lateinisch klingt.
>) Alex. 56, Bis accns. 27, Apol. 15, de
electro 2.
«) Peregr. 24, Alex. 7.
*) Es ist der Streit des Sigma gegen das
Tan vor dem Gerichtshof der Vokde, indem
sneh das Sigma üher die Gewaltthätigkeit he-
kla^ mit der es durch das Tan in jener Zeit
des affektierten Attikismus aus einer Menge
Yon Wörtern, wie cijfjiegoy, ^dXttaaa, Bett-
ffaXia verdrängt worden sei.
*) Bis accus. 31.
^) Dieser Nigrinus wird sonst nirgends ge-
nannt, so dass ihn Boldermann S. 65 geradezu
fOr eine Fiktion des Lukian erklärt. Jeden-
falls hat Lukian in seiner Art den Eindruck,
den der Philosoph auf seine Lehensrichtung
gemacht hahen soll, ühertriehen. Noch einem
anderen der zeitgenössischen Philosophen
hringt er gelegentlich seine Huldigung, dem
Epiktet, den er adv. ind. 13 &avfxnaioy yi-
qovxa nennt.
°) Nigr. 14 u. 59. Seine Bekehrung zur
Philosophie und seine haldige Enttäuschung
auch in dieser Disziplin erzählt er Piscator 29 f.
47*
740
Ghriechisohe liittoratlirgeschiohto. II. HaöhkUuMUiohe Litteratnr.
höheren, in der Philosophie wurzelnden Streben gab er das Wanderleben
auf und verlegte seinen Sitz nach Athen, der Stadt des Geistes und der
feinen Bildung. Zugleich änderte er die Form seiner Schriftstellerei: an
die Stelle langer, in wohlgesetzten Perioden sich bewegenden Reden traten
kurze, Scherz und Witz atmende Dialoge. Der Dialog war zwar seit Alters
in der Philosophie, speziell in der Akademie, zu Haus, aber Lukian nahm
ihm den erhabenen Ernst und die spitzfindige Dialektik und belebte ihn
mit dem Witz und Geist der Komödie. So konnte er von sich rühmen,
dass er eine neue Gattung in die Litteratur eingeführt habe,^) wiewohl
er insofern in dem Fahrwasser der Sophistik blieb, als er seine Dialoge
zunächst zum Vortrage bestimmte und dieselben erst nachträglich durch
Abschriften in die Öffentlichkeit brachte.^) Seine Glanzzeit als Satiriker
und Dialogschreiber erreichte er unter M. Aurel und Commodus; speziell
in die ersten Regierungsjahre des M. Aurel, zwischen 162 und 165, fallt
der witzige Dialog Jig xaTrjyoQovfAevog,^) in dem er die neue Form seiner
Schriftstellerei, durch die er damals bereits zu Ansehen und Ruhm ge-
langt war, geistvoll verteidigt.
Aber auch das Leben eines Dialogschreibers führte Lukian nicht
bis zu seinem Ende fort. In den späteren Jahren wurde er verbitterter,
und auf die heiteren Witze über göttliche und menschliche Dinge
folgten die sarkastischen Angriffe auf einzelne Persönlichkeiten. Auch
blieb er nicht bei der Form kleiner Dialoge stehen, sondern erging sich
in breiterer Darstellung ; selbst zur Stellung eines Deklamators kehrte er,
nachdem er bereits alt geworden,*) von neuem zurück.*) In geistreicher
Weise leitet er diese Rückkehr durch den Prolog {7iQoi,ahii) Herakles ein.^)
Zu den Reden aus dieser Zeit scheinen der Dionysos, Zeuxis, Prometheus
in Reden, Wahre Geschichten zu gehören. Im Alter knüpfte er mit den
Mächtigen des Reiches Verbindungen an, welche für seine letzten Lebens-
geschicke von entscheidender Bedeutung waren. Er nämlich, der vordem
in der Schrift II€qI twv inl /itCvff^ avvovrcov in so grellen Farben das be-
dauernswerte Los der Gebildeten, die bei anderen in Lohn stehen, geschil-
dert hatte, opferte schliesslich selbst seine Selbständigkeit und nahm im
Alter, ähnlich wie sein römischer Geistesverwandter Juvenal, einen gut-
bezahlten Posten in Ägypten an. In der Apologie 7) rechtfertigt er
diesen seinen Schritt, indem er auf den grossen Unterschied einer privaten
ntxQodov ravttjg iaxonov^ijy nQog ^/uavroV,
et fjLOi xaXtSg l/^t tijXixf^^e opti xal nakat
ttöy irndei^eiay nenavfiiyip ov^k vni^ ifuev^
Tov \f»j<poy MoyM roaovTois dixaatai^. Eine
Recitation hielt er des Jahres darauf, xa
welcher der Jioyvcog die Prolaüa bildete, wie
der Verfasser am Schlosse derselben andeutet
Dass beide Einleitongen m den 2 Bfichem der
'JXtj&tjs UsxoQia gehörten, ist eine speziose
Yermatung Thimmes Jahrb. f. Phil. 137 (1888)
S. 562 ff. — Die nQoXaUai vergleichen sich den
Prooimia der alten Rhapsoden nnd den ein-
leitenden Trimetem des loannes Gaiaena und
Paulus Silentiarius.
^) Apolog. 11.
^) Prom. in verbis 3. Hirzbl, Der Dia- I
log n 269—334.
*} Lukian, Pisc. 6; vgl. Rohdb, Griech.
Roman S. 305.
') Diese Zeitbestimmung ergibt sich aus
c. 2, wo auf den Partherkrieg angespielt ist,
der mit dem Triumphzug der Kaiser im Jahr
165 abschloss.
*) Dionys. 6, Hercul. 7, Pro lapsu inter
salut. 1.
^) Thimhb, Quaestionum Lucianearum
capita quattuor, Halle 1884 p. 1 ff. widerlegt
die früher verbreitete Annahme einer zweiten
Rundreise und nimmt bloss eine Wieder-
aahiahme der Recitationen an.
") Herc. 7 : i^oi dk iqyixa ne^i t^g dev^o
B a) BOmisohe Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, k) Lnkianos. (§ 584.) 741
Hofineisterstelle und eines öfifentlichen Amtes hinweist. Er starb als Greis
nach 180. Suidas lässt ihn ähnlich wie den Euripides von Hunden zer-
rissen werden; das war wahrscheinlich nur eine später missverstandene
Allegorie, bei der unter den xvrec die Kyniker, die bitteren Feinde des
Lukian, verstanden waren.
684. Schriften Lukians. Erhalten sind uns unter Lukians Namen
82 Schriften, darunter manche zweifelhafte und unechte, i) Sie sind alle
von massigem Umfang und zum grösseren Teil in dialogische Form ge-
kleidet. Neben Schriften in Prosa befinden sich darunter zwei dramatische
Scherze, ^Qxvnovg und TQay(t;ido7voddyQa mit Dialog und Chor,*) und 53 ele-
gante witzige Epigramme, welche in die Anthologie Aufnahme fanden,
aber eben schon deshalb nicht von unserem Satiriker, sondern einem
älteren Dichter des ersten Jahrhunderts herzurühren scheinen.^) Die
Schriften nach der zeitlichen Folge zu. ordnen, wäre schier unmöglich;
denn nur von wenigen, wie von "^EQfjiozifjLog (um 165),*) Jig xaTrjyoQovfAevog
und Elxovsg (162 — 165), Ilwg äet latoQiav avyyqdffsiv (bald nach 165),
mQ€yqXvog (167),6) Evvovxog (bald nach 176),«) 'Akä^avdqog (bald nach 180),^)
'ÄTvokoyia und IlBQi xov iv nqoaayoqsvasi maia/naTog (während des ägyp-
tischen Aufenthaltes) können wir die Abfassungszeit mit Sicherheit an-
geben. Bei andern vermögen wir nur das gegenseitige Verhältnis zu
ermitteln, wie dass der Nigrinus die erste Periode der sophistischen Be-
redsamkeit abschloss, dass vor der Schrift Jig xazrjyoQovfievog sich Lukian
bereits durch kleinere Dialoge einen Namen gemacht hatte, ^) dass der
Fischer und der Doppelt^Angeklagte der gleichen Zeit angehören, dass
die jQanärai nach dem Peregrinus fallen, weil daselbst c. 7 der Verbren-
nung jenes Scheinphilosophen gedacht ist, dass die Prolalia Herakles und
Dionysos dem vorgerückten Alter unseres Autors angehören. Bei vielen
andern ist uns nicht einmal eine relative Zeitbestimmung möglich, und da
nun auch in den Handschriften und älteren Ausgaben ein irgend ver-
nünftiges Prinzip der Anordnung nicht zu erkennen ist,^) so haben Imm.
Bekker, Sommerbrodt u. a. eine Neuordnung nach stilistischen und sachlichen
Gesichtspunkten versucht, ^^) an die ich mich im wesentlichen halten werde.
^) Nicht erhalten ist une das im Demo-
c. 1 . erwähnte Bnch über den Böotier
Sostratos.
') Eine Komödie 'SUvnovg des Akakios,
dnes FrenndeB des Rhetors Libanios, ist er-
wfilint in des letzteren Briefen n. 1380; diesem
will SiRVEBS, Leben des Libanius S. 138,
unsere Humoreske zuschreiben. Die gute
metrische Form unserer beiden zusammen-
gehörigen Stücke 'Sbtvnovg und Tlo^dyga, über
welche Fribdbichskbier, De Luciani re me-
trica, Kiel 1889, gehandelt hat, ist dieser
Hypothese nicht günstig.
») Vgl. g 449.
^) Nach Hermot. 13 war er damals 40
Jahre alt.
*) Dieses Jahr ist ermittelt von Nissen
Rh. M. 43 (1888), 255.
°) £nn. 3 bezieht sich auf eine Vakanz
der im J. 176 gegründeten philosophischen
Lehrkanzel.
') Alex. 48 ist geschrieben nach dem
Tode des Kaisers M. Anrel.
^) Zu diesen gehörten nach Boldermann
die Dialoge der menippischen Form, Me-
nippos, Ikaromenippos, lupiter tragoedus,
Charon, die Totendialoge, femer die Philo-
sophenversteigerung und Hermotimos.
*) In Bezug auf die Folge der Schriften
weichen die Codices stark von einander ab;
hier die ursprünglich den Handschriften zu
gmnd liegende, von Lukian oder dem Heraus-
geber seiner Werke beabsichtigte Ordnung
wiederzufinden, wäre eine lohnende Aufgabe.
^^) Imm. Bekker, üeber die Reihenfolge
der Schriften des Lukian, Monatsber. der BerL
742
Orieohisohe Littoratargesohiohte. II. HaohklassiBohe Litteratnr.
585. Die Deklamationen bilden den geringfügigsten Teil der luki-
anischen Schriften ; sie hängen mit der Thätigkeit ihres Autors als Wander-
redner zusammen und sind zum grössten Teil bereits oben in seinem
Lebensabriss von uns angeführt worden. Zu den dort schon erwähnten,
TvQavvoxTovogy *A7toxrjQVTt6iA€Vog, (PdXaQigy Mviaq eyxoi^uoVy Jixij ^(avrjävrfßVy
füge ich hier noch einige andere, die er in Athen oder bei kürzeren, von
Athen aus unternommenen Reisen gehalten zu haben scheint, nämlich:
^HQoiotog rj 'Äsiiwv, worin von der Vorlesung der Historien des Herodot
und der Ausstellung eines Gemäldes des Aetion in Olympia gehandelt ist,
Zev^ig^ der von der Schilderung der Hippokentauren des Malers Zeuxis
seinen Namen hat, ITtQi tov oTxot;, eine geschmackvolle und kunstverstän-
dige Beschreibung eines schönen, mit Gemälden ausgerüsteten Sales. Auf
seine Thätigkeit als sophistischer Redner haben auch Bezug das ^Evvnvm\
in dem er mit Stolz auf seine Erfolge als epideiktischer Redner hinweist,
und der JlQOfirj^evg et iv loyoig, worin er das ihm beigelegte ehrende Bei-
wort nqofiri^evg iv Xoyoig auf seine Findigkeit in der Ausbildung neuer
Litteraturformen deutet.
536. Die Dialoge zerfallen zeitlich und inhaltlich in mehrere
Klassen. Die eine, die ältere, umfasst die meistens kleineren Dialoge, die
den Götterglauben, die Philosophensekten, die Marktschreierei der Sophisten,
die Schwächen und Verkehrtheiten der Menschen überhaupt lächerlich
machen und mehr launig und scherzhaft als bitter und verletzend sind.
Unter ihnen nehmen den ersten und grössten Platz die Götterdialoge
ein, welche ähnlich wie einst die Komödien des Epicharm und die Hilaro-
tragödien des Rhinthon lustige Scenen aus der Götterwelt vorführen, jedoch
so, dass neben dem Gefallen an den scherzhaften Seiten des alten Mythus
die Absicht der Verspottung des Götterglaubens durchblickt. Dahin ge-
hören: JidXoyoi •^«(iöVji) nqoiAYid-evg ij Kavxaaog^ ^Evahoi SidXoyoi^ NfXQixai
didloyoi,^) KaTanXovg. Mit den letzteren verwandt sind die geistreichen,
vielgelesenen Dialoge Gharon und Menippos. In dem ersteren kommt der
Fährmann Gharon aus der Unterwelt herauf, um von dem auf den Ossa und
Olymp getürmten Parnass Heerschau über die Menschen und ihre Thoi^
heiten zu halten. Im Menippos erzählt der gleichnamige Philosoph, dessen
witzige Art wie dem Römer Varro in seinen Saturae Menippeae, so auch
unserem Satiriker zum Vorbild diente, was er drunten in der Unterwelt
gesehen hatte.') An den Menippos schliesst sich der Ikaromenippos
an, in welchem jener Philosoph, nachdem er sich nach Ikaros' Beispiel
Flügel angelegt hat, zum Mond und weiter zum Himmel auffliegt, um mit
eigenen Augen von dem Treiben der Selene und des Zeus Kenntnis zu
nehmen.^) Spielen in diesen Dialogen die Götter und Heroen mehr nnr
Forschangen S. 174.
') Dass dieselben 166 oder aniang 167
in Athen geschrieben sind, beweist Nissn
Rh. M. 43, 244 f.
*) An den Menippos erinnern schon die
Titel der Totengesprftche, Ki^na, 'E^fionfioi
rj TiBQi alQäceioy, Siehe oben § 383.
«) Die Echtheit des Dialogs wird in Ab-
rede gestellt von Fb. Jacobs; seine AhfaB-
Ak. 1851 S. 359—365 ; Sohmebbbodt in Proleg.
seiner Ausgabe ausgewfthlter Schriften Lu-
kians; A. Planck, Quaest. Lucianeae, Tubing.
1850 ; Fb. Fbitzsche in der grossen Ausg. III, 2
p. ISIK ff.; P. Vogt, De Luciani libellonun
pristino ordine, part. I, Marburg 1889; Boldbb-
MANN, Stndia Lucianea, Leyden 1893.
^) Die Götterdialoge wurden nachgebildet
von Hans Sachs; s. Stiefel, Hans -Sachs-
B a) BOmisohe Periode vor KoBBtantin. 8. Die Prosa, k) Lakianos. (§§ 585—587.) 743
eine burleske Rolle, so wird in dem Zevg zQayfpSog^) und Zevg sXey-
x6fA€vog direkt der Götterglaube angegriffen. In dem zweiten der ge-
nannten Dialoge muss sich Zeus von einem Epikureer in der Gestalt eines
Kynikers {Kvviaxog) über die logische Ungereimtheit der gleichzeitigen An-
nahme eines allbeherrschenden Schicksals und der freien Willensmacht
der Götter examinieren und ad absurdum führen lassen. Im Juppiter
tragoedus wird uns in grossartiger Scenerie die Disputation des Epikureers
Damis und des Stoikers Timokles vorgeführt, in der der Epikureer seinen
Satz, dass es keine Vorsehung gebe, so siegreich durchführt, dass sich
zuletzt die Götter mit dem Tröste begnügen müssen, es werde doch trotz-
dem die Zahl der Frommgläubigen noch immer gross genug bleiben. >) Die
Göttermaschinerie liegt auch dem interessanten Dialog Jlg xavrjyoQov"
fievog zu grund; doch bildet in ihm den Hauptinhalt die Verteidigung des
Lukian selbst gegen die Anklagen der Rhetorik und des philosophischen
Dialogs, die beide behaupten, von dem syrischen Rhetor verlassen und
misshandelt zu sein. Ähnliches gilt von dem hübschen, auch unter die
Schullesestücke aufgenommenen Dialoge Timon, der schon in dem Titel
an die gleichnamige Komödie des Antiphanes erinnert und den Menschen-
hasser Timon darstellt, wie er, durch seine Freigebigkeit in bittere Not
geraten, von Hermes mit dem Funde eines grossen Goldklumpens beglückt
wird, nunmehr aber den Schatz für sich behält und die Schmarotzer, als
sie sich wieder nahen, mit der Hacke von sich abwehrt.') Weit stehen
hinter diesen Dialogen der Blütezeit Lukians die Saturnalien {tcc nqoq
Kqovov) zurück, die offenbar einer späteren Zeit der welkenden Kraft
unseres Autors angehören.
637. Eine zweite Reihe bilden diejenigen Dialoge, welche sich mit
der Philosophie oder vielmehr mit den menschlichen Vertretern der gött-
lichen Weisheit beschäftigen.^) Von Nigrinus und Demonax^) abgesehen,
erscheinen die Lehrer der Weisheit bei Lukian als wahre Karikaturen.
Seine Philosophen fUhren nur den Namen Tugend und Weisheit im Mund,
sind aber innerlich von Habgier, Streitsucht, Sinnlichkeit erfüllt. Fast in
jedem Dialog ergreift er die Gelegenheit, um über diese Afterphilosophen
die Schale des Spottes auszugiessen. Geistreich besonders ist der Einfall
der Philosophenversteigerung {Bicov TiQäaig),^) des Fangs der Philosophen
Bungszeit setzt Fbitzbche, Ausg. II 1 p. 159
in den Winter 180; um 10—15 Jahre frOher
jBHm, Beitrftge zu Lncian, Frauenfeld 1876. —
Schon Heraklidea Pontikos hatte eine roman-
hafte Schrift Aber den Mann aus dem Mond
geschrieben, worüber Hibzel, Dialog I 327.
^) Der Name t^aytpdog kommt daher,
dass in dem Dialoge die Götter ähnlich wie
in der Tragödie teilweise in pathetischen
Versen sprechen.
') Den entgegengesetzten, frommglftu-
Ingen Standpunkt ver&at Aelian in seinem
Buche negl n^ovoiaf.
*) Wie in der Neuzeit wieder durch Bo-
jurdo and Shakespeare der Timon för das
bester zurückgewonnen wurde, erzählt Hib-
ZEL, Der Dialog I 201 f.
^) Bbuns, Lucians philosophische Schrif-
ten, Rh. M. 43 (1888) 161 ff.
') Die Echtheit des Demonax ist wieder-
holt, wie von Bekker und Bemays, bezweifelt
worden, und allerdings ist die Schrift skizzen-
haft und unbedeutend. Auch passt die Person
des im Eingang gepriesenen Eremiten So-
stratos nicht zur Lebensanschauung unseres
Lukian.
*) Der hübsche Dialog im Mittelalter
nachgebildet von Theodoros Prodromos; s.
Ebümbaohkb Bjz. lii* 756. Vorangegangen
war dem Lukian Menippos mit Jioyivovi
nqdaig.
744
Orieohische Litteratargesohiohte. II. HaohklauiMhe Litteratiir.
mit dem Ooldköder (Alieig), und die Parodie des platonischen Philosophen-
gastmahls, Svfinotfwv rj Aan(&ai betitelt, weil es bei dem Mahl zu einer
förmlichen Keilerei zwischen den Vertretern der verschiedenen Philosophen-
schulen kommt.^) Verwandter Art ist der Parasit, in welchem mit der
Maske philosophischen Ernstes bewiesen wird, dass das Schmarotzerleben
eine Kunst sei. Gehaltvoller und ernster ist der Hermotimos, vom Ver-
fasser nach c. 13 im 40. Lebensjahr geschrieben,*) der zu dem positiven
Resultate kommt, dass der Weise nicht einseitig und blindlings den Lehren
einer Schule anhängen dürfe, und dass keine Philosophie etwas tauge,
deren Prediger nicht durch makellose Sittlichkeit selbst sich auszeichnen.
Kaum des geistreichen Spötters würdig ist der läppische Dialog Kynikos,
dessen Hauptsatz, dass es Thorheit, nicht Weisheit sei, die Güter, welche
die Mutter Natur uns gegeben, nicht zu benutzen, ebensogut gegen die
christlichen Bettelorden gerichtet sein könnte.')
538. In eine andere Sphäre menschlicher Schwäche führen uns die
"^Eiaiqtxoi Staloyoiy die durch die Nacktheit des Hetärenlebens Anstoss er-
regen, aber für die Sittengeschichte des Altertums von hohem Interesse
sind. Sie sind den Vorstellungen der attischen Bühne entnommen und
atmen ebenso wie die damit verwandten ^'Egateg frisches dramatisches
lieben. Hingegen ist dadurch, dass auf ein kurzes Vorgespräch ein langer
Vortrag folgt, des dialogischen Charakters halb entkleidet die Schrift
vom Tanz {negl oQx^trefag), in der Lukian, seine syrische Herkunft nicht
verleugnend, sich zum Verteidiger des Theaters und Pantomimus aufwirft. ^)
— In dialogischer Form wird die griechische Gymnastik verherrlicht in
dem Anacharsis, und der edle Freundschaftssinn der Skythen im To-
xaris. In den letzteren Dialog sind mehrere hübsche Erzählungen ein-
gelegt, die zu dem Besten gehören, was die Erzählungskunst im Altertum
geliefert hat. An den Anacharsis und Toxaris schliesst sich der Sky the
an, in welchem Dialoge hübsch Lukian sich den Syrer dem Skythen Ana-
charsis zur Seite stellt, da auch er niemand mehr als Leute wie Selon
und Alkibiades sieh zu Freunden wünsche. — In das Gebiet der Kunst
schlagen ein ausser den soeben bereits erwähnten Aufsätzen Zsv^ig und
nsQl Tov oixov die Dialoge Eixoveg und vti^q tcov eixovcov. Der erstere Dia-
log, ein Muster ausgesuchter Schmeichelei, ist geschrieben zur Zeit der
Partherkriege zum Preise der schönen Smyrnäerin Panthea, der Geliebten
des Kaisers Verus. Die Verteidigung dieses überschwenglichen, durch den
Vergleich mit Werken der Kunst belebten Lobes ist gegeben in dem Dia-
log ^YnkQ Twv elxovmv. In beiden Schriften ist der Dialog nur ein
Mäntelchen, das der Schöpfer dieser neuen Litteraturgattung zur 2^it der
') üeber die Verwandtschaft mit Alki-
phron 8, 55 s. Kock Rh. M. 43, 40 ff.
«) ScHMiD Philoi. 50 (1891) 297 setzt den
Dialog in die sp&tere Lebenszeit Lukians nach
dem Tod des Marc Am-el. Dagegen gute Ein-
wendungen von Fb. Hofmann, Kritische Unter-
Buchungen zu Lucian, Nürnberg, Fh>gr. Neu.
Gymn. 1894 S. 29 ff.
*) Die ünechtheit des Eynikos erweist
Fritzscbb in der Ausg. 11 2, 295 ff. Als einen
Dialog der froheren Zeit veiteidigt ihn Hibzkl,
Der Dialog H 311 ff.
^) Gegen die Echtheit der Schrift qiricht
sich neuerdings aus P. Schulze Jahrb. f. d.
Phüol. 1891 S. 829 ff. — Gegensdiriften
von den Bhetoren Aristides und libanioe.
B a) Bömiflohe Periode Tor KonBtantin. 8. Die Prosa, k) Lnkiaaoe. (§§ 538—539.) 745
besonderen Vorliebe für die neugeschaffene Form auch Stoffen umhing,
die nach ihrem inneren Wesen zu einem Zwiegespräch sich nicht eigneten.
539. Die Zeit des ausgelassenen Witzes und der heiteren Laune geht
für jeden Menschen vorüber; auch in Lukian sprudelte nicht immer der
heitere Humor, er ward mit den Jahren ernster und zugleich infolge un-
gerechter Anfeindungen bitterer, so dass er, statt mit den lächerlichen
Seiten des Menschenlebens harmlos zu spielen, vielmehr gegen bestimmte
Persönlichkeiten und Htterarische Yerimingen die Pfeile seines Spottes
richtete. In diese Kategorie von Schriften gehört die Mehrzahl der Dia-
loge, in denen unser Autor selbst unter dem Namen Lykinos^) Haupt-
träger des Dialoges ist, wie der Pseudosophistes^) und Lexiphanes,
Pasquillen auf beschränkte Grammatiker und Attikisten, und der um die-
selbe Zeit geschriebene Eunuchos, der den Wettstreit des Diokles und
des Eunuchen Bagoas um den erledigten Lehrstuhl der peripatetischen
Philosophie enthält. Gleich giftigen Ton hauchen die Drapetai, ausge-
rissene Sklaven, welche das edle Weib Philosophia entfuhren, und der
Philopseudes, unter welchem Titel der abergläubische Lügenphilosoph
Eukrates an den Pranger gestellt ist.
In die Form von Briefen kleidete Lukian mehrere verwandte Schrif-
ten des gereiften Alters, die gleichfalls teils durch bestimmte Anlässe her-
vorgerufen, teils gegen ganz bestimmte Persönlichkeiten gerichtet waren.
Hieher gehört ausser den im Lebensabriss unseres Schriftstellers bereits
besprochenen Schriften über den Hofmeister und die Apologie das Buch
Ufig SsT ia%0Qiav avyyQdifsiv. Dasselbe war veranlasst durch den im
Jahre 165 beendeten Krieg der Römer mit den Parthern und richtet sich
gegen die unberufenen Geschichtschreiber, welche jenen Krieg nach Art
des Herodot oder Thukydides zu beschreiben unternahmen.') Ehedem über-
mässig bewundert, findet dasselbe heutzutag eine kühlere Beurteilung: es
enthält nichts, was sich über die alltäglichsten Gemeinplätze erhebe. Gegen-
über den zahmen Expektorationen dieser Schrift lassen andere von ähn-
lichem Schlag stärker den Stachel des Satirikers hervortreten. Der Pere-
grinos, geschrieben im Jahre 166, gibt eine von Verachtung diktierte
Schilderung des Kynikers Peregrinus, der sich nach einem abenteuerlichen
Leben in Olympia freiwillig unter grossem Spektakel nach dem Beispiel
des mythischen Vogels Phönix dem Flammentod weihte. **) Der Alexan-
dres oder der Lügenprophet (ipavSofiavtig) enthält eine Lebensbeschreibung
des grossen Schwindlers und religiösen Betrügers Alexanders, welche
Lukian für den befreundeten Epikureer Celsus^) mit sittlicher Entrüstung
1) ylrxiyof sollte in jener attikiflierenden . Berl. 1879, worin nachgewiesen ist, dass
Zeit Äe echtgriechische Form fftr das latei-
nisch-barbarische /iovxtavog sein.
*) Bezfiglich der Abfassungszeit fällt ins
Gewicht, dass Lukian Pseudosoph. 5 seinen
Aufenthalt in Aegypten erwfthnt.
») Vgl. MöLLBR FHG m 646—655; eben-
da p. 659—662 die Fragmente der Ha^Sixä , Rh. M. 42, 1.
des Asinius Quadratos. ! ') Dieser Epikureer Gelsus, der ein Buch
^) J. Bbrhats, Lukian und die Eyniker, , über die religiösen Schwindler {xard /Ättyioy)
Lukian die Schrift zunftchst gegen den über-
lebenden Eyniker Theagenes gerichtet hat,
den Bemajs unter Berufung auf Galen X
p. 109 ed. K. und Gellius XII 11 in günsti-
geres Licht zu rücken sucht. Entgegnungen
von Yahlev, Lid. lect. Berol. 1882/3 s. Bruks
746
Qrieohiflche Litteratiirgaschiohte. n. HaohklaMisohe litterfttnr.
bald nach dem Tode des Kaisers M. Aurel geschrieben hat. Der Redner-
lehrer {^PrjTOQmv SiSacxaXog) ist die giftigste Persiflage unter Lukians
Werken; er entwirft ein wahres Zerrbild von einem Professor der Rhe-
torik, hinter dem man offenbar eine bestimmte Persönlichkeit suchen muss.
Man hat auf den auch im Lexiphanes verspotteten Litteraten PoUux ge-
raten, i) wohl mit Recht, doch macht einige Schwierigkeit die Zeit, da
PoUux erst von Commodus zum Professor der Rhetorik in Athen ernannt
wurde.*) Ähnlicher Art sind die im Geiste des Archilochos *) geschriebenen
Satiren \p€violoyiü%r^g und ÜQoq %6v änaidewov^ von denen die erste
gegen den Sophisten Timarchos, die zweite gegen einen anonymen BibUo-
manen gerichtet ist.
540. Mit der Romanschriftstellerei befassen sich die "^Älrj^P^eXg tifTo-
Qiai in 2 B., die eine beissende Satire auf die Aufschneidereien der Ro-
manschreiber und speziell auf die phantastischen Reiseabenteuer des „Land
über Thule** enthalten. — Ein Roman selbst ist der ^ovxiog ^ cvog, der
ein seit Wieland vielverhandeltes Thema der philologischen Echtheitskritik
bildet.*) Nach dem Patriarchen Photios cod. 129 hatte nämlich ein ge-
wisser Lucius aus Paträ denselben Stoff in seinen Metamorphosen behan-
delt,^) und stimmte der Esel des Lukian mit den zwei ersten Büchern
jenes Lucius fast ganz überein. ^) Dieselbe Geschichte ist uns dann in
wesentlicher Übereinstimmung mit Lukian in den Metamorphosen des Apu-
leius erhalten, nur dass der letztere allerlei Novellen, darunter auch die
Geschichte von Amor und Psyche, in die Erzählung verflocht und
einen neuen, auf seine persönlichen Verhältnisse passenden Schluss hin-
zudichtete. Es fragt sich also, in welchem Verhältnis die drei Werke
zu einander stehen. Rohde^) hat die Frage dahin beantwortet, dass zu-
erst Lucius die Verwandlungsgeschichten in gläubigem Ernst erzählt,
Lukian dann in seinem Esel eine boshafte Satire auf jene albernen Aben-
teuer geschrieben, und Apuleius schliesslich sich in seiner Wiedererzählung
trotz des abweichenden Titels an den Esel Lukians gehalten habe; andere
geschrieben hatte und gegen den sich auch
der Arzt Galen in einem Brief ngos KiXaov
'ErtixovQBioy wandte, ist wahrscheinlich mit
dem gleichnamigen Verfasser des 'AXri&rjg
Xoyog^ gegen den der Kirchenvater Origenes
in einem noch erhaltenen Werke polemisiert,
identisch; vgl. Büresoh, Elaros p. 68 und
unten § 684. Ueber den Alexander s. Zellbb,
Vorträge und Abhandl., 2. Samml.
^) So schon die Scholien und von den
Neueren C. Fb. Ranke, PoUux und Lucian,
Quedlinb. 1831, und C. Fr. Hermann, Zur
Charakteristik Lucians, Ges. Abh. S. 209 f.
*) Philostr. Vit. soph. II 12; auf frühere
Zeit scheint hinzuweisen c. 26 der Schrift des
Lukian. Boldermann denkt wegen c. 24 xots
Jiog xai jiijdag naialv o^nivvfjtog yeveytjfiai
an einen Grammatiker mit dem Namen Dios-
kurides.
■) Luc. Pseudolog. c. 2.
*) Die Geschichte der Frage bei Schanz,
Gesch. d. röm. Lit. III 93.
') Der Lucius des Lukian sagt von sich
c. 55 xdyto, neetfjQ ^ivy M(prjy . . . ecn /um
Aovxiog^ Tip (f^ ädeXtpto t^ ifna Fatog' a(jupm
&k rti Xomd dvo oyo/Äata xotyd t^ofACv. xdyti
fjthy Uno^tSy xal aXXtoy eifil üvyygatfev^f 6
di no^tjrijg iXeyeitay iari xai (Adyttg dyadog-
TtaTQig dk ^fuy ndzQa^ r^c 'J^^^^^- Danach
scheint es fast, dass Photios den Lados
als Verfasser des Romans nur deshalb an-
genommen hat, weil der seine eigenen Ge-
schicke erzählende Held des Romans sidi
Lucius nennt.
^) Der umfang des Lukianiachen Esela,
36 Teubnerische Seiten, ist für 2 Bflcher za
klein; daher werden von den Zms&tzen des
Apuleius manche noch den 2 Büdiem des
Originals angehört haben.
^) RoBDB, Ueber Ludaiis Sduifl Awixfi
V oyog> Leipz. 1869 und Rh. M. 40 (1885), 93.
Ba) Römische Periode vor Konstantin. 8. Die Prosa, k) Lnkianos. (§§ 540—541.) 747
erklären mit mehr Wahrscheinlichkeit die grossen Übereinstimmungen
zwischen Lukian und Apuleius aus der Benutzung der gleichen Vorlage,
ohne dass dabei eine Abhängigkeit des lateinischen Erzählers vom grie-
chischen (Lukian) oder umgekehrt stattgefunden habe.^) Wahrscheinlich
ist überhaupt Lukian nicht der Verfasser des Esels; jedenfalls sind die
grossen Bedenken nicht entkräftet, welche gegen die Echtheit des luki-
anischen Esels von Seiten der Sprache erhoben wurden.^)
541. Dem Lukian ist es ähnlich wie anderen grossen Schriftstellern
des Altertums gegangen, dass seine Art Nachahmer fand und dass die in
seinem Geiste geschriebenen Nachahmungen unter seine echten Werke ge-
rieten. Zufällig, wie es scheint, kamen unter seine Schriften zwei fremde
Dialoge, 'AXxvoiv und NsqwVj von denen der zweite von dem älteren Philo-
stratos,') der erste von dem Akademiker Leon^) herrührt. Als unecht
werden dann fast allgemein anerkannt: (PiloTtaTQig, ein fingiertes Zwie-
gespräch zwischen einem Christen und einem Anhänger des Heidentums
mit weidlicher Verspottung des Götterglaubens, das nach den Anspielungen
auf die Zeitgeschichte wahrscheinlich im 10. Jahrhundert unter der Re-
gierung des Nikephoros Phokas geschrieben ist;^) MaxQoßioi, eine trockene
Aufzählung langlebender Griechen aus der Zeit des Caracalla, sich be-
rührend mit den römischen MaxQoßioi des Phlegon von Tralles;^) IIsqI
aaTQoXoyttjg^ geistlose, nach dem Muster der gleichfalls, aber schwerlich mit
Recht angezweifelten Schrift HsqI jrjg Svgir^g x^soi'^) in ionischer Mund-
art von einem abergläubischen Menschen geschriebene Abhandlung; Jr^fio-
a&€vovg eyxwjAiov, eine überschwengliche Lobrede auf den grossen Redner;®)
*Inniag^ Beschreibung vod einer grossartigen Badeanlage, geschrieben nach
dem Muster ähnlicher Schilderungen Lukians, aber ohne dessen Geist, ^)
endlich IleQi d'vaiwvj II^qI nävd^tvg^ XaQidrjfxog, "EQWTeg.^^) Andere sind
noch weiter gegangen und haben auch den Demonax,^^) IIsQi zov fjLTJ ^tfdiwg
*) C.BuEBGBB, De Lucio Patrensi, Berl.
Diss. 1887; Ribbbck, Gesch. d. rOm. Dichtung
in 328; ScHAKZ, Gesch. d. rOm. Lit. m 91 f.
') GoBBT var. lect. p. 260: quicunque
scripsit Lucium sive Asinum, aliquanto aerius
quam Lueianus vixit et Graecitate utitur diu
quanto deteriore, müUa negligenter et plebeiis
erroribua scriptitans.
») Vgl. §524.
«) Aih. 506 c und Diog. lU 62; vgl. § 308.
^) In diese Zeit gesetzt von Nibbuhb
KL Sehr, n 74 und Rohde, Bjz. Zeitschr. V
(1896) 1 ff. Anf die Zeit des Heraklios
(7. Jahrh.) werden die Anspielungen gedeutet
von GuTSCHMiD El. Sehr. V 433 f. ; Cbamfb,
Pliilopatris, Diss. Halle 1894; Byz. Zeitschr.
VI (1897) 144 flf.
•) C. Fb. Ramkb, Pollux u.Lucian, S. 16 ff.;
Wbstbbmasii, Paradox, p. XXXIX; Bbbgk,
Lukian u. Phlegon, Z. f. A. 1849 N. 23; Roth-
flTSiir, Qnaest. Lucianeae p. 157 ff.; Bebto-
LOTTO, RivistaXIV282'-92. Ihre Ahfassungs-
zeit unter Caracalla zwischen 212—217 er-
wiesen von HiBscnrELD Herrn. 24 (1889)
156 ffl, da in c. 7 auf den hochbetagten
Senator Oclatinius Adventns, den Caracalla
212 zum praefectus praetorio erhob, ange-
spielt ist. Der Hauptgew&hrsmann des Ver-
fassers ist indes ein Schriftsteller aus der
Zeit des Tiberius, aus dem auch Phlegon
seine Anleihen gemacht hat.
^) Die Schnjft über die syrische Göttin
h< Ed. Meteb, Gesch. d. Alt. I 249 unbe-
dingt fttr echt.
«) Gbaubbt, Histor.-philol. Anal. 289 f.
^) Blühkbb, Archftol. Studien zu Lucian
S. 53 ff.
^^) In den 'S^cur^C} einem unflätigen, der
Verherrlichung der Knabenliebe dienenden
Machwerk, ist wie in Jtj^oa^Buov^ iyx,,
üatQi'dog iyx., Xtt^i^tifjtog der Hiatus ab-
weichend vom sonstigen Gebrauch des Lucian
mit peinlicher Sorgfalt vermieden; s. Rohdek,
De mundi miraculis, Bonn 1875 p. 37.
Die Verdachtsgrttnde suchen abzuschwächen
SoHMiD Phiiol. 50, 302 f. und Hibzbl, Der
Dialog II 281 f.
li) Der Demonaz ermangelt jedenfalls
der letzten Hand; Ummodelung durch christ-
liche Hand sucht zu erweisen Sohwabz, üeber
748
Grieohisohe LüteratnrgMohiohte. II. NaohklASsisohe Lüteratnr«
mcteimv diaßoly, Ikaromenippos, und selbst den Menippos, Toxaris, Pere-
grinos ^) angezweifelt. *)
542. Gesamtcharakter. Um zum Schluss noch die einzelnen Züge
des Mannes zusammenzufassen, so stehen wir nicht an, den Lukian den
geistreichsten und formgewandtesten Schriftsteller der Kaiserzeit zu nennen.
In einer Zeit lebend, in der das Interesse für Verse abgestorben war, er-
setzt er uns mit seinen Dialogen und Satiren die lamben und Komödien
der klassischen Periode.') Schon seine vollendete Beherrschung der atti-
schen Sprache erregt billig unsere Bewunderung, zumal er das Griechische
nicht mit der Muttermilch eingesogen hatte.*) Leicht und schön fliesst
ihm die Rede, voll Kraft, wenn er mit scharfem Pfeil den Gegner ver-
folgt, voll Anmut und Grazie, wenn er ein Bild beschreibt oder eine seiner
burlesken Figuren vorführt. Dabei versteht er es, den Stil in wunder-
voller Weise durch eine Fülle sprichwörtlicher Wendungen und ausge-
wählter Reminiszenzen aus den Dichtem und den besten Rednern zu be-
leben. Ein besonderer Reiz der Lektüre des Lukian besteht daher für
den gebildeten Leser darin, dass er überall an Stellen und Scenen seiner
Lieblinge, bald an Demosthenes Reden, bald an Aristophanes' Komödien,
bald an Homer, Pindar und Piaton erinnert wird,*^) und das nicht in auf-
dringlicher Weise, sondern so, dass er sich freut, wenn er die Beziehungen
merkt, aber auch nicht im Genüsse gestört wird, wenn ihn seine Gelehr-
samkeit im Stiche lässt.^) Mit ausgebreiteter Litteraturkenntnis verband
sodann unser Autor ein treffliches Urteil in Kunstsachen, das ihn beffihigte,
seiner Darstellung durch plastische Schilderungen eine Anschaulichkeit zn
geben, wie wir sie grösser selbst nicht bei Piaton finden. Aber mehr als
die Form muss uns für Lukian der Inhalt seiner Schriften einnehmen; er
lebte in einer Zeit, von der es mehr wie von einer anderen galt dißcile
est satiram non scribere; und Lukian hat mit einem feineren und ausge-
bildeteren Auge als selbst Juvenal die Schwächen seiner Zeit, den Aber-
glauben, das Parasitentum, die Heuchelei der Philosophen, die Geschmack-
losigkeit der Grammatiker, erkannt und teils mit heiterem Scherz, teils
mit bitterem Spott gezeichnet. Das that er aber nicht bloss, um das
Lachen seiner Zuhörer und Leser zu erregen, es leitete ihn auch ein
Lukians Demonaz, Ztschr. für österr. Gymn.
1878 S. 561 ff.; siehe dagegen Ziboler, Jahrb.
f. Phil. 1881 S. 327 ff.
*) CoTERiLL, Peregrinas Proteus, Edin-
burg 1879; dagegen Wiohmann, Zeitschr. f.
Gynm. 1880 S. 227 ff.
^) Am weitesten ist gegangen Imm. Bbk-
KBR in seiner Ausgabe, indem er 28 Schriften
als unecht ausschied. Einen konservativen
Standpunkt vertritt Fr. Fritzschb in seiner
Ausgabe III 2 p. LXV-LXXXI.
') EocK, Lncian u. die Komödie, Rh. M.
43, 29 ff. weist in vielen Gesprächen Sce-
nerien u. Verse der Komödie, namentlich der
neueren, nach.
*) Bis accus. 23. Du Mbsnil, Gramma-
tica quam Lucianus in scripUs suis secutus
est ratio cum antiquomm AtUcorom ratione
comparatur, Stolpe 1867; W. Schmid, Atti-
kismus I 221 ff.; Heller, Absichtss&tEe bei
Lukian, Berl. 1880.
*) ScHwiDOP, Observationes Locianeae,
5 Königsberger Frogr. 1848—70; E.Zimblib,
De Luciano poetarum indice et imitatore,
Gott. 1872. Brakes, Citate und Reminissenzfin
bei Lucian, Eichst&tt 1888.
*) Auch an Horaz u. Juvenal finden fläch
viele Anklftnge; A. HEniRicH, Lukian u Ho-
raz, Wien 1885, will direkt« Kenntnis des
Horaz nachweisen. Eine Stelle in Um; ^t
laxoqiav cvyyQ. 60: iv fiBCt^ ^ereoc, sc o
avtov stimmt auffiLllig zu TacituB Gennania 3,
klingt aber auch an Herodot H 123 an.
B a) Bömische Periode Tor Konstantin. 8. Die Prosa. 1) Die Rhetorik. (§§ 542—543.) 749
höheres sittliches Ziel.^) Die heitere Klarheit und Schönheit des Hellenen-
tums, sagt schön ein trefflicher Kenner,^) gegen die Dunkelmänner und
Heuchler und Halbbarbaren zu schützen, war der Kern seiner Thätigkeit.
Der aufgehenden Sonne des Christentums stand er allerdings feindlich
gegenüber, aber dieses nur, weil er den Kern der neuen, welterlösenden
Lehre nicht kannte und deshalb dieselbe nur als eine Art philosophischer
Sekte anschaute.*) Eher verdient er einen berechtigten Vorwurf darüber,
dass er mit den Gaukelgestalten der alten Mythologie und mit den Wahn-
vorstellungen der religiösen Geheimbünde zugleich die Gottesfurcht und
den Glauben an die Gottheit selbst untergrub. Auch zur Höhe allgemeiner
Humanität hat er sich nicht erhoben: Sklave sein genügt ihm, um zu
einer geringeren Menschenklasse zu gehören. In dieser Beziehung sind
seine Angriffe gegen die Kyniker übertrieben und selbst ungerecht. Noch
weniger hat er, aufgezogen in der Leichtfertigkeit griechischen Hetären-
lebens, die veredelnde Wirkung eines gesitteten Familienlebens an sich
erfahren oder die Notwendigkeit strenger, auch auf das Geschlechtsleben
gerichteter Sittenordnung erkannt. Oft erhält man den Eindruck, als habe
Lukian gemeint, die Negation des Verkehrten genüge, um die geistigen
und gemütlichen Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen.*) Aber des-
halb ist er doch kein Nihilist, wie ihn seine Gegner genannt haben; auch
bei dem Mangel positiver Geistesrichtung hat mit Recht der feine und
geistreiche Spötter von Samosata viele Leser im Altertum und bewundernde
Verehrer in der neueren Zeit unter den Philologen, Dichtern und Künst-
lern gefunden.
Codices: Einen kritischen Apparat haben die Ausgaben von Jacobitz und Fritzsche,
aber ein einfaches Stemma der Handschriften ist noch nicht hergestellt; jedenfalls gehen
dieselben anf zwei Stämme zortlck. Hervor ragen: Vindob. 128 (6) s. X mit Scholien, Har-
leianns (E); Vatic. 87 und 90; Marcian. 434 (ß); vgl. Rohdb, üeber Lukians Onos S. 43 ff.
u. Phü. Anz. 1872 S. 489 f.; Fmtzsche in Ausg. III 1 p. XVII; Maass, M61. Graux. p. 759 ff.
— Von Scholien werden unterschieden Scholia Galei (aus Paris. 2955) und Scholia Vos-
siana, gesammelt im 4. Band der Ausgabe von Jacobitz; neue Notizen aus Florentiner
Handschrift von Vitblli, Spicil. Florent. p. 15 ff., aus römischen von Rohde Rh. M. 25, 548 ff.
— Syrische Uebersetzung von Lucian ncQi tov fjirj ^aditag nicxevBiv publiziert von Sachaü,
Inedita Syriaca, Wien 1870, für die Kritik verwertet von Baumstark, Lucubr. Syrograecae,
Jahrb. f. Phü. Suppl. XXI 453 ff.
Ausgaben: cum versione latina et notis variorum cur. Hemsterhusids et Rejtzius,
1730—45; annot. Lehmann, Berl. 1822— 9, 9 Bde.; rec. Jacobitz, Lips. 1836—41; rec. Fr.
Fritzsche 1882 — 5, unvollendet; Textausgabe von Jacobitz in Bibl. Teubn.; von Sommer-
brodt bei Weidmann ; dazu Jahrb. f. cl. Phil. 1894 S. 655 f. — Ausgewählte Schriften mit
deutschen Anmerkungen von Jacobitz bei Teubner; von Sommerbrodt bei Weidmann. —
Klassische Uebersetzung mit Anmerkungen und Erläuterungen von Wieland, Leipz. 1788
bis 99. — R. Förster, Lucian in der Renaissance, Rektoratsrede Eael 1886.
1) Die Rhetorik.^)
543. Mit der Pflege der Beredsamkeit und Sophistik ging Hand in
Hand die Ausbildung der Rhetorik und Stillehre. Die Anfänge der Rhe-
^) Nicht gerecht ist der Ausspruch von
LuzAC, Lect. Att. 186: Samosatemis seu ioci
seu ealumniae nullius famam minuent.
') RofiOB, üeber Lucians Onos S. 81.
»j Peregtin. 11 — 14. Wegen dieses Pe-
regnnus ward dem Lukian im vorigen Jahr-
Itondert die Aufmerksamkeit zuteil, auf den
Index librorum prohibitorum gesetzt zu werden,
üeber die verschiedenen Ansichten von Lu-
kians Stellung zum Christentum siehe Jacob,
Charakteristik Lukians S. 155 ff.
*) J. Bbbnays, Lukian und die Kyniker
S. 42.
^) Sammelansgaben: Rhetores graeci, apud
750
(Meohisohe LÜteratargesohiobte. 11. HaohkltMiiBohe Lüieratnr.
torik gehen auf die klassische Zeit zurück;^) die grossen Redner Lysias,
Isokrates und Isaios gaben zugleich Unterricht in der Redekunst, und noch
der klassischen Periode gehören die zwei ältesten Lehrbücher der Rhetorik
an, das aus der lebendigen Praxis der Redner hervorgegangene des Ana-
ximenes und das von philosophischem Qeist durchdrungene des Aristo-
teles. Einer der grossen Redner des freien Griechenlands, Aischines, ver-
pflanzte die rhetorische Kunst von Attika nach Rhodos, wo sich der durch
überströmende Fülle charakterisierte asianische Stil der Beredsamkeit aus-
bildete, als dessen eigentlicher Begründer Hegesias aus Magnesia (um
280 V. Chr.)^) genannt wird. Zu Alexandria fanden in der Hofatmosphäre
die rhetorischen Studien, welche von ihrem Ursprung her einen republi-
kanischen Beigeschmack hatten, wenig Anklang; auch war dort die ganze
Richtung der gelehrten Einzelforschung der Pflege der Beredsamkeit un-
günstig. Qegen Ende der alexandrinischen Periode hat in Pergamon und
Rhodos») die Theorie des Stils und der Prozessfälle {aTcecsig) neue Nah-
rung erhalten, so dass sich ähnlich wie in der Philosophie und Medizin,
so auch in der Rhetorik förmliche Schulen und Sekten {ai^ätreig) bildeten.
Die Häupter dieser Deklamatorenschulen, Hermagoras aus Temnos,^)
Apollodoros aus Pergamon^) und Theodoros aus Gadara*) kennen wir
fast nur aus den Anführungen der Lateiner,^) welche wie in der Kunst
AI dum 1508, 2 vol.; bedeutend vermehrt
von Walz, Stuttg. 1882—6, 9 Bde; eine
Auswahl von L. Spbnorl in Bihl. Teubn.
1856, 3 Bde. Erlftuterungsschiiften : Wbster-
MANN, Gesch. d.Beredsamk., Leipz. 1833, 2 Bde;
VoLKMAifN, Die Rhetorik der Griechen und
Römer, 2. Aufl. 1885; L.Spbngbl, Ueber das
Studium der Rhetorik bei den Alten, akad.
Vortrag, München 1842; Blass, Die griech.
Beredsamkeit von Alexander bis Augustus,
Berl. 1865.
') Ueber die Anfänge und den Fortgang
der Rhetorik steht die klassische Stelle bei
Quintil. m 1, 8—18.
«) Wbstbrmann, Gesch. der Ber. I 8 ff.;
RoHDE Rh. M. 41, 172 ff. Ein abfälliges Ur-
teil über Hegesias fällt und begründet Dio-
nysios Halik. De compos. verb. p. 144.
') Die rhodische Schule gelangte im
1. Jahrh. v. Chr. zur besonderen Blüte; ein
Hauptvertreter derselben war Molen, den
Cicero zuerst in Rom bei einer Gesandtschaft
(81) sah und dann in seiner Heimat selbst
hörte (78).
*) G. Thiblb, Hermagoras, ein Beitrag
zur Geschichte der Rhetorik, Strassburg 1893.
Suidas erwähnt von unserem Hermagoras
T^/»'nft ^oQixai, ebenso Strab. p. 621 u. Cic.
de invent. I 6, 8. Verschieden von ihm war
ein jüngerer Hermagoras, den Planudes Rhet.
gr. V 337 (vgl. Sopater in Rhet. gr. V 8 und
Gregor Corinth. VII 1219) zwischen Lollianus
und Minucianus setzt, und dem vielleicht die
anderen Schriften bei Suidas, ncQl i^e^ya^ia^,
Tiegi nffinoyxog^ neql (pQtiaeo}^, negl oyfjud-
T«v, angehören. Die Zeit unseres Hermagoras,
der als Begründer der Lehre von den araVfK
eine wichtige Stelle in der Geschichte der
Rhetorik einnimmt, bestimmt sich dadurch,
dass ihn Quintilian IH 1, 16 vor Molon ge-
lebt haben Iftsst, femer dadurch, dass Qin
bereits Cicero Brut. 76, 263 u. 78, 271 und
Gomificius I 2, 3 anführen, und Poaeidomofi
nach Plut. Pomp. 42 gegen ihn im Jahre 62
vor Pompeius emen Vortrag hielt. Danach
blühte er in der 1. Hälfte des 1. Jahrhdts.
V. Chr. Sein Buch war auch noch zur Zeit
Juvenals sat. VII 177 allgemein in Gebrauch.
Habnbckbr Jhrb. f. Phü. 1885 S, 69 ff. will
den Rhetor mit dem stoischen Philosophen
Hermagoras, einem Schüler dee Peraaioa,
identifizieren.
^) Hieronymus setzt ihn Ol. 179, 1 = 63
V. Chr.; Augustus hörte ihn nach Quintil.
in 1, 17 (vgl. Sueton Aug. 89) lu Apollonia;
über seine Schule {^AnoXkoSti^Bioq a^ftfif)
s. Strab. p. 625. Ueber die Lehre derselbeD
im Gegensatz zu der des Theodor s. Schavz,
Die ApoUodoreer und die Theodoreer, Heim.
25 (1890) 36—54. Tacitus dial. 19 spricht
von den aridissimis Hermagarae et ApoUo-
dort libris.
*) Ueber Theodoros ausser Quini IH 1»
17 ein ausführlicher Artikel des Suidas; er
war Lehrer des Kaisers Tiberias; er be-
schränkte sich aber nicht auf die Theorie
der Rhetorik, sondern schrieb aneh nfQ*
UrxoQta^f negl noUreiai, negi xoiXrj^ £vgicf.
^) Ausser den Lateinern CScero, Quinti-
lian, Seneca, erwähnt sie anch wiederholt
der Anonymus nsgl ^ogix^^ in Rh. gr. I
425 ff. Sp.
B a) BftmiBohe Periode yör Konstantin. 8. Die Prosa. 1) Die Rhetorik. (§§ 544—545.) 751
der Rede, so auch in der Theorie bei den Griechen in die Schule gingen,
rasch aber ihre Lehrmeister überflügelten. Zuvor schon hatten sich die
Philosophen, nachdem ihnen Aristoteles vorangegangen war, auch mit der
Theorie der Rede abgegeben, so dass uns nicht bloss von Theophrast,
sondern auch von Kleanthes, Chrysippos i) und Epikur Schriften über Rhe-
torik genannt werden. Von der Rhetorik des Epikureers Philodemos sind
uns auch Reste in den herkulanischen Rollen erhalten.^)
644. Im Beginne der römischen Kaiserzeit wurden die rhetorischen
Studien von neuem belebt und in die Bahnen ästhetischer Kritik geleitet
durch Dionysios von Halikamass und Gäcilius von Kaiakte. Über die
Schriften und die Stellung dieser beiden Männer haben wir bereits oben
in anderem Zusammenhang gehandelt. Die Richtung ihrer Studien erhielt
in der nächstfolgenden Zeit eine Ablenkung auf die attische Lexikographie,
doch so, dass daneben auch das Gebiet der rhetorischen Theorie unter
besonderer Betonung des Stils und der epideiktischen Redegattung fleissig
kultiviert ward. Geleistet aber haben die rhetorischen Lehrmeister der
Griechen, eines wie grossen Ansehens sich auch einzelne von ihnen bei
ihren Zeitgenossen erfreuten, nichts Grosses und nichts, was sich mit den
Listitutiones oratoriae des Quintilian messen könnte. Auf uns gekommen
sind teils Bücher über die tsxvtj ^rjvoQixr^ im allgemeinen, teils solche über
einzelne Teile derselben (nQoyvfxvdcfxaxa^ cxrifiaxa^ ISsat koyov),
546. Die Figurenlehre. Figuren {axrjficcTo) und Tropen (tqotioi)^)
bildeten von jeher einen Hauptgegenstand der Stillehre. Beide betreffen
die kunstvolle Redeweise in Wort oder Satz, im Unterschied von der
ganzer Reden, und zwar so, dass (fxw^ ^^r allgemeinere Begriff ist,
xQonog hingegen speziell von der übertragenen Wortbedeutung gebraucht
wird. Von diesen Hauptmitteln des Schmuckes der Rede kommen einige,
wie n€ta(poQd, elQwveia, naqaßoXr]^ bereits bei Aristoteles und Anaximenes
vor; aber erst in Pergamon und Rom zur Zeit des Wiedererwachens der
rhetorischen Studien hat die ganze Lehre einen sorgfaltigeren Ausbau
durch griechische und römische Rhetoren gefunden. Das bedeutendste
Werk über Figuren {axrjficcfa) war das des jüngeren Gorgias in 4 B.,
welches selbst verloren gegangen ist, aber seinem Hauptinhalt nach uns
in der lateinischen Figurenlehre des Rutilius Lupus vorliegt.*) Die Zeit
des Gorgias bestimmt sich dadurch, dass er Lehrer von Ciceros Sohn war.^)
Der auch in der Überarbeitung des Rutilius hervortretende Hauptvorzug
seines Werkes bestand in der grossen Auswahl trefflicher Beispiele aus
älteren Rednern,«) welche bekanntlich Ruhnkens berühmte Untersuchungen
über die Geschichte der griechischen Redner hervorgerufen haben.
») Chrysippos wird neben Aristoteles noch j *) Quint. IX 2, 102: Rutilius Gorgiam
heracksichügt von dem gelehrten Anon. in < secutusj non illum Leontinum, sed alium
SpengeLs rhet. gr. I 454, 4. | sui temparis, euius quattuor libros in unum
*) Philodemi volomina rhetorica ed. Süd- {usum coni, Ahrens) suum transtulU.
HAUB in BibL Teubn. 1 ^) Plut. Cic. 24.
>) üeber den Unterschied der heiden Be-
griffe and die Unsicherheit ihrer Grenzen
VoLKMANV, Rhetorik 415.
^) Einzelne Beispiele sind anch aus He-
gesias, Lykon, Isidoros genommen.
752
Grieohiache LitteratargMoliichte. II. VaohklasBiBohe Litteratnr.
Massgebend für die Folgezeit wurde der Rhetor Alexandres Nu-
meniu, der unter Hadrian ausser einer allgemeinen Rhetorik^) ein spezielles
Buch 71€qI twv Trjg diavoiag xal %r^q X4^€wq axrii^i(xt(av schrieb, das aber nur
im Auszug auf uns gekommen ist, wie die lateinische Bearbeitung des
Originals durch den Rhetor Aquila erkennen lässt.^) Auf seinen Schultern
stehen die späteren Bearbeiter der Figurenlehre: Tiberios nsgl zwr nagd
JijfioaO^bvst axri^dzbüv^ der nach Apsines lebte und vieles aus Cäcilius her-
übergenommen hat;*) Phoibammon ixbqI cxr^iiaxfinv ^rjroQixm'^ der jeden-
falls nach Athenaios, den er p. 44, 11 Sp. citiert, geschrieben hat, und
wahrscheinlich Zeitgenosse des Synesios (ep. 143) war; Herodianos nsgi
(TXrjfxdiwv^ der, verschieden von dem berühmten Grammatiker gleichen
Namens, zwar manche Notizen ausgewählter Gelehrsamkeit aus seinen
Vorlagen gibt, aber doch schon nach Art der Späteren sich wesentlich
auf die vulgären Beispiele aus Homer beschränkt, endlich Polybios aus
Sardes,*) Zonaios*) und mehrere Anonymi.
In dem verwandten Gebiet der Tropenlehre ist das bedeutendste
Buch das des Tryphon ne^i zqotkov^ das die Grundlage der späteren
Kompilationen bildete.^) Aber dasselbe ist doch immer noch zu ungelehrt
und sprachlich fehlerhaft, als dass es von dem gelehrten alexandrinischen
Grammatiker Tryphon herrühren könnte. Da aber Suidas unter des letz-
teren Schriften auch ein Buch nsQi tqotkov erwähnt, so ist möglicherweise
das uns erhaltene Büchlein ein Auszug aus demselben.
An die rhetorischen Figuren reihe ich die grammatischen an. Diese
hatten teils von den Autoren, bei denen sie sich häufig fanden, wie <rz^/i«
'Ißvxeiov {nafi^ai'vjjai statt nafi(paiv€i)^ IlivSaQixov {teleaev aifyai statt
Täkeaav avyai), teils von dem Ort, aus dem die betreffenden Schriftstellen
stammten, wie ^AtTixov, Xakxi6ix6v^ 'Aaiarov^ ihren Namen. Schon Ari-
starch hatte für die Homererklärung solche Abweichungen von der regel-
mässigen Syntax verzeichnet (schol. zu £4; x 513). Spätere erweiterten
dann die Lehre, indem sie die Eigentümlichkeiten im Sprachgebrauch der
einzelnen Autoren zusammenstellten. Auf uns gekommen ist das Büchlein
nsQi axriiict%(ov von Lesbonax, wahrscheinlich demselben, den Lokian de
salt. 69 (dazu die Scholien) erwähnt. Dasselbe ist uns nur im Auszug, und
zwar in doppelter Recension erhalten; kritisch bearbeitet von Rud. Müller,
De Lesbonacte grammatico, Greifswald 1890, Dissert. ^
646. Die Progymnasmata. Eine beliebte Schulübung jener Zeit
die sich bis in das Mittelalter und die Renaissance erhielt, bestand in den
^) Auf ilin beziehen sich 2 Artikel des
Suidas ^AXe^av^Qog Novfxrjvlov und N^ovfiijyiog.
Auf seine Rhetorik ist öfter von dem Anony-
mus in Spengels Rhet. gr. I p. 427, 13; 431,
21 ff. Bezug genommen.
*) Steüslopp, Quibus de causis Alexandri
Numeniu über putandus sit spurius, Breslauer
Diss. 1861.
*) Apsines und C&cilius sind citiert p. 75,
15 u. 27 Sp.
*) Von diesem Polybios existiert auch
ein Traktat über Barbarismus und Solökismus
in BoissoNADE, Anecd. Hl 229 ff., N^luck, Lex.
Vind. 283 ff.
^) Von dem Sophisten Zonaios erwähnt
Suidas auch Briefe, worflber unten.
•) Unter den späteren BUchern ne^ rgö-
ntav haben wir eines von dem beka]mt«D
Grammatiker Choiroboskos und ein KOr
deres von einem gewissen Kokondrios, bei
Walz VH! 799—820 und Sphigkl TH 280
bis 243.
Ba) BOmiflohe Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa. 1) Die Rhetorik. (§ 546.) 753
sogenannten Progymnasmaten. Man verstand unter denselben Anfangs-
übungen im Ausarbeiten von Fabeln {fit&oi), Erzählungen {öirjyijfiaTa),
Chrien [xgeiai),^) Gemeinplätzen (tonoi xoivoi), Vergleichen (crvyx^i'ö'«!^),
Beschreibungen (ix^Qacsig), Charakteristiken {i^&o7iouai) u. a. Das Be-
deutendste, was aus diesem Gebiete auf uns gekommen ist, sind die leider
am ScUuss verstümmelten Progymnasmata des Theon (Rhet. gr. I 145 bis
257 Walz; 11 57—130 Spengel), in denen die einzelnen Übungen unter
Heranziehung auserlesener Beispiele der Litteratur mit Gelehrsamkeit und
Geschmack behandelt sind. Suidas schreibt dieselben dem Ailios Theon,
einem Sophisten aus Alexandria, zu, von dem er auch Kommentare zu
Xenophon, Isokrates und Demosthenes, sowie ^r/roQixai imod-iaeiq und f #;-
Ttjfiaza neqi awra^stog koyov anführt. Der Gentilname Ailios führt in die
Zeit des Hadrian; jedenfalls lebte Theon nach den grossen Lehrmeistern
Hermagoras und Theodoros, wie er selbst p. 120, 18 Sp. bezeugt.*) — Unbe-
deutender sind die Progymnasmata des gleich näher zu behandelnden
Rhetor Hermogenes') und seines Nachtreters Aphthonios aus Antiochia
(4. Jahrh.),^) welch letzterer die Zahl der Progymnasmata von 12 auf 14
erhöhte.^) Aus späterer Zeit stammen die jtQoyvfxvdaiiaTa des Nikolaos
aus Myra in Lykien (um 480)^) eines Schülers des Proklos und jüngeren
Platarch, und die dir^yrnxaxtt und rjä-onoitm des Severus, eines römischen
Sophisten aus Alexandria, der um dieselbe Zeit wie Nikolaos in Alexandria
thätig war.^)
Eine besondere Art von Progymnasmaten, die Fabel, bildete den
Gegenstand einer Sammlung in 10 B. (dexafivd^ia)^) von dem gefeierten
Sophisten Nikostratos aus der Zeit der Antonine.^) Die Sammlung um-
fasste nicht bloss Tierfabeln, sondern auch Argumente von Dramen, letztere
wohl in der Weise des unter dem Namen des Hygin uns überkommenen
lateinischen Fabelbuchs. ^^) Wie sich aber die prosaische Mythensammlung
unseres Nikostratos zu der metrischen des Babrios verhielt, ist noch nicht
aufgeklärt.
^) üeber die ftltesten Chrien des alexan-
drinischen Komikers Machon s. § 376.
*) Verschieden ist nach Snidas der Pro-
gymnastiker Theon von dem Stoiker Theon
imter Augnstus, der auch rixyai ^rjtoQMai
in 3 B. schrieb nnd auf den sich Quintil. JII
6, 48 n. IX 3, 77 bezieht. Beide hftlt f&r
identisch Hoppichler.
») Dieselben sind unter dem Titel Prae-
exercitamenta von Priscian ins Lateinische
fibersetzt. Scholien dazu von Dozopatres u. a.
bei Walz Rhet. gr. t. II.
*) HoppicHLEB, De Theone Hermogene
Aphthonioque progjnoinasmatum scriptoribus»
Würzbarg 1884. P. Schäpbb, De Aphthonio
sophista, Breslau 1854. Guter Artikel von
Bbzoska bei Wissowa. Verschieden ist Aelius
Festas Aphthonius, von dem nach einer sub-
scriptio des 4. Buches der grössere Teil der
unter dem Namen des Marius Victorinus
gehenden lat Grammatik herrfihrt.
^) Die Progymnasmata des Aphthonios
Handtraeli der Ums. Altertumswlneiuohaft. Vn.
hatten im Mittelalter grosses Ansehen in den
Schulen, so dass im 10. Jahrb. loannes Geo-
metra zu ihnen einen Kommentar schrieb, den
Doxopatres fieissig benutzte; s. Gbaevbn, Cor-
nuti art. rhet. epitome p. XXI; Ebukb acher
Byz. Lit.^ 735.
') Suidas unt. NixoXaog^ wo von ihm auch
fÄsXhat ^rixoQixai angeführt sind. Gedruckt
sind die Progymnasmata bei Walz I 266
bis 420.
^) lieber Severus s. unten § 605.
^) Nach der Zahl der Bücher ist auch das
indische Fabelbuch Panäatantram — Fünf-
bücherbuch genannt.
•) Suidas unt. TiixoaxQatog ' syQn\pe dexa-
/ÄV&iay, eUoyag xal iyxtofjLia Big re roy Mdq~
xoy xal äXXovg.
^^) Hermogenes de ideis II 12, 3: Nixo-
<rr^aro( xal ftv&ovg avtog noXXovg enAoMTfv,
ovx Jiaioneiovg fAoyov dXV oXovg eiyal ntag
xai ^QafJittXixovg.
8. Aufl.
48
754 Grieohisohe LitteratnrgeBohiohte. n. VaohklasBiBohe Littentnr.
547. Hermogenes aus Tarsos ^) mit dem Beinamen o ^wrti/JQ^ war
ein frühreifes Wunderkind, indem er schon als Jüngling zu solchem An-
sehen als Redner kam, dass der Kaiser M. Aurel ihn des Besuches seiner
Vorlesungen würdigte.») Aber zum Manne herangewachsen, ging er früh-
zeitig geistig zurück,*) so dass der Sophist Antiochos spottend von ihm
sagte: ovTog ^EQfioyävrfi 6 iv naial fikv y*'^wi', iv 6h yrjQMxovci naTg. Gleich-
wohl stand er bei den nachfolgenden Qeschlechtern mit seinen in frühen
Jahren geschriebenen Büchern in solchem Ansehen, dass er bei den Byzan-
tinern der Techniker schlechthin hiess, wie Homer der Dichter und Demo-
sthenes der Redner. Aber dieses Ansehen verdankte er nur der Be-
schränktheit seiner Verehrer; thatsächlich war er ein mittelmässiger Kopf,
der nur die Kunst besass, für Leute, welche ohne grosse Anstrengung die
Hauptsätze der Rhetorik sich aneignen wollten, ein handliches Kompendium
zu schreiben. Neue Ideen hat er in die Rhetorik nicht eingeführt; gleich-
wohl haben wir von vielen Sätzen der rhetorischen Theorie nur durch ihn
Kenntnis. Unter seinen Büchern standen in der Praxis die Progymnas-
mata voran; sein Hauptwerk aber ist die rs'xrrj ^r/voQixrj. Dieselbe zer-
fällt in die Lehre von den Rechtsfällen {negl axdaeiov^ Status causae), von
der Erfindung {ne^fl evQäffewg, inventio) in vier Abschnitten, von den Stil-
arten {ticqI iSewv) in zwei Abschnitten mit einem Anhang nsQi fie&oSov
d€iv6tr]Tog. Am wichtigsten ist von diesen Teilen der über die Stilarten,
der auch von praktischer Wichtigkeit für die Gegenwart ist, da eine
solche Schulung in den verschiedenen Arten des Stils unsere Schulpraxis
noch nicht kennt. ^) Die Lehrsätze des Hermogenes haben in der Folge-
zeit kanonisches Ansehen erhalten, so dass dieselben, namentlich die über
die azdaeig^ massenhaft abgeschrieben und fleissigst kommentiert wurden.
Kommentatoren, ältere: Metrophanes ans Eukarpia in Phrygien, worüber Snidas
und Walz IY 294, nicht erhalten; Syrianos, der bekannte Neuplatoniker dea 5. Jahr-
hunderts, ed. Rabb in Bibl. Teubn. vol. II; Sopatros der Jüngere, Lehrer der Beredsamkeit
in Athen um 500, (verschieden nach Suidas von dem gleichnamigen Philosophen, einem
Schaler des JambUchos), der auch eine selbständige rhetorische Schrift, cftoc^^K
Zi]itjfitti(op^ hinterlassen hat (gedruckt bei Walz t. VIII); Markellinos, der wahr-
scheinlich mit dem Verfasser des Lebens des Thukydides identisch ist und derselben
Zeit wie Sopater oder einer etwas älteren angehört (Syiiani Sopatri et MarceUini
scholia ad Hermogenis Status, gedruckt bei Walz Rhet. gr. t. IV); Troilos (um 400),
Lehrer des Eirchenhistorikers Sokrates, Verfasser dUrftiger Prolegomena zur Rfaetoiik des
Hermogenes, mitgeteilt Walz VI 42—55; Phoibammon aus Aegypten, Verfasser der
Einleitung sig t6 Tie^i ideioy 'EQfjioyivovg. — Weitläufige Kommentare lieferte das byzan-
tinische Mittelalter; handschriftlich sind von demselben erhalten und unverdient«rweise
jetzt auch grösstenteils durch den Druck veröffentlicht: Schollen von Planudes bei Walz
t. V; Joannes Doxopatres aus Sikilien (11. Jahrb., nach Bdbsian Abh. d. bayer. Akad.
XVI 13), wovon Prolegomena und Schollen bei Walz V 1—211. VI 1—32. 56—504, Exzerpte
bei Gramer An. Oxon. IV 155—169, Notiz über Kommentare in cod. Vindob. 130 von R-
FöRSTER M61. Graux p. 680; Gregorios von Eorinth (um 1150), dessen weitläufiger Kom-
mentar zu Hermogenes tibqI jueffodov de^yoTtjtog bei Walz VE 1089 — 1352, wozu Wblckbb,
Gr. Trag. p. 777; Georgios Diairetes, Christophoros, der vor Eustathios lebte und
von dessen Kommentar Rabe Rh. M. 50, 241 ff. Mitteilung macht. Der Kommentar des
^) Philostratos vit. soph. II 7; aus ihm { um das 24. Jahr den Verstand verlieren Utest
schöpfte Suidas. Ein älterer Hermogenes hatte
Über Phrygien geschrieben, worüber Mülles
FHG HI 528.
*) Cassius Dion LXXI 1, 4.
') Suidas Übertreibt, wenn er ihn schon
Philostratos, seine einzige Quelle, sagt nmr:
ig di äy&gag ^xt^y dtpff^iStj tfjy ßir.
*) Ueber die verwandte Sdiiift des Aii-
stides TTf^ noUxMov xal ätpeXovg hiywf s.
§ 521 Anm.
B a) BOmiMhe Periode yor Konstantin. 8. Die Prosa. 1) Die Bhetorik. (§§ 547—550.) 755
Enstathios, worüber Fuhb Rh. M. 51, 45 ff., ist yerloroD gegangen. Ausser den Kom-
mentaren mit Namen noch viele anonyme, gedruckt bei Walz t. IY. VT. VII. Auch metrische
Erläuterungen in politisohen Versen schrieben Tzetzes und Psellos, publiziert von Waxz
in 670 -703.
648. Noch vor Hermogenes fällt der Verfasser der växvtj xov noh-
Tixo? loyov (Rhet. gr. I 427—460 Sp.),^) welche ehedem anonym lief, von
dem neuesten Herausgeber Graeven aber dem Cornutus zugeschrieben
wird. Dieselbe nimmt unter den rhetorischen Schriften der Eaiserzeit eine
hervorragende Stelle dadurch ein, dass sie auf die abweichenden Defini-
tionen und Lehrsätze der Vorgänger Rücksicht nimmt. Als solche er-
scheinen ausser Aristoteles und den Anhängern des Apollodor vorzüglich
Theodoros, Alexandres Numeniu, Zenon,^) Neokles und Harpokration. Es
kann demnach unsere Schrift nicht vor Mitte des 2. Jahrh. n. Chr. ge-
schrieben sein, schwerlich aber auch nach dem 2. Jahrh., da sie den Her-
mogenes, die grösste Auctorität bei den Späteren, völlig ausser Acht
lässt.«)
549. Von den Technographen nach Hermogenes ist uns näher be-
kannt Apsines^) aus Gadara, der in Athen lehrte und unter Kaiser Maxi-
minus (235—8) die Würde eines Konsul bekleidete. Derselbe war Schüler
des Basilikos und Freund des mittleren Philostratos. Auf uns gekommen
ist uns von ihm eine Thx^rj ^rjTOQixrj (Rhet. gr. I 329 bis 424 Sp.), die kein
ausgebildetes Lehrgebäude der Rhetorik ist, sondern nur in abgerissener
Form einige Punkte der gangbaren Lehrbücher ergänzt. Der zweite Teil
derselben hat den speziellen Titel negl zSv iaxrj^iatiaiitviov nQoßXrjfxccToyVy
oder über Verstellungsreden, von welcher Art von Reden wir bereits oben
§ 464 einen Abschnitt in der Rhetorik des Ps. Dionysios kennen gelernt
haben.
Minukianos, der unter Gallien (260—8) lebte und nach Suidas eine
t^X^fj ^fjtoQixij und TiQoyvfivda^aTa schrieb, hat ein kleines Bruchstück
TiBQi intx^ii(i]iid%fa%\ von den Beweisen, hinterlassen, das nach der Über-
schrift von andern seinem Vater Nikagoras zugeschrieben wurde. ^)
Ruf US aus unbestimmter Zeit ist Verfasser des kurzen und unbe-
deutenden Abrisses der vexv^] ^r/voQixij bei Spengel I 463—9.
550. Menandros aus Laodikea am Lykos, welcher in der Zeit nach
Hermogenes und Minukianos gelebt haben muss, da er zu diesen nach
dem Zetugnis des Suidas Kommentare schrieb, ist uns als Verfasser von
Scholien zu Demosthenes und zu dem Panathenaikos des Aristides bekannt
und wird in den Handschriften als Autor zweier Traktate über Festreden
{ne^i imSfixTixwv Rhet. gr. HI 329—466 Sp.) genannt. Von diesen ist der
erste am Schluss und der zweite am Anfang verstümmelt. Beide sind in
') Erste Ausgabe von SiouiER de St.
Bbisbon, Paris 1840 aus cod. Par. 1874; die
neueste von Gbaeyen unter dem Titel Gor-
Duti artis rhetoricae epitome, Berl. 1890.
*) Ein Zenon lebte unter den Antoninen
nach Philostr. vit. soph. II 24.
') Graeven a. 0. setzt den Verfasser der
Sehlift ins 3. Jahrb., da Harpokration, den
derselbe unter seinen Quellen nennt, die Lehre
des Hermogenes bekämpft hatte.
*) Suidas erwähnt 2 Sophisten Apsines:
einen älteren aus Gadara, und einen jüngeren
aus Athen. Hajimbb, De Apsine rhetore,
Günzburg Progr. 1876.
^) Verschieden ist ein älterer Rhetor
Minukianos, der vor Hermogenes lebte, wor-
über Grabvbn, Minuciani artis rhet. epitome
p. XXIK.
48*
756
Grieohiflohe LittaratargeBOhiohte, U. VaohklMsisohe Litteratnr.
der gleichen Atmosphäre der mittleren Sophistik, etwa um 270,^) ent-
standen, können aber nicht als Teile eines Werkes und schwerlich auch
nur als Schriften eines Autors gelten.*) Der erste Traktat, mit dem genauen
Titel 6iaiQ€<Ttg twv imdeixtixdv, trägt im cod. Paris. 1741 die Überschrift
MtvttviQov ^TjTOQog r€V€^kiwv (rj Fere^Xiov var. lect. der gleichen Hand),
woraus man schliessen könnte, dass einige diesen Traktat dem Genethlios
aus Petra in Palästina, einem Schüler des Minukianos,^) zugeschrieben
haben. Aber Bursian, der mit reicheren Hilfsmitteln die beiden Schriften
neu herausgegeben und die litterarische Kontroverse geklärt hat, schreibt
mit grösserer Wahrscheinlichkeit die erste Abhandlung unserem Menander
und die zweite einem anonymen, aus der Troas stammenden Rhetor zu,
weil in der letzteren wiederholt^) das troische Alexandria als Heimat des
Verfassers bezeichnet ist.
551. Longinos, mit dem Gentilnamen Gassius und dem Ehren-
namen Philologos,^) war einer der angesehensten Rhetoren des 3. Jahr-
hunderts und wird von Eunapios, vit. soph. p. 456 a 2, wegen seiner grossen
Belesenheit eine lebende Bibliothek {ßißhoÖr,xri i/jiipvxog xal negmccrovr
lAovaelov) genannt. Derselbe hat sich als Rhetor wie als Philosoph einen
Namen gemacht^) und zählte sogar einen namhaften Philosophen, den
Neuplatoniker Porphyrios, zu seinen Schülern. '') Er lehrte zu Athen,
ward aber in die politischen Wirren des römischen Kaiserreichs gezogen
und nach dem Falle von Palmyra als Anhänger der Zenobia von Kaiser
AureUan hingerichtet (273). Suidas erwähnt, wie gewöhnlich, nur einen
Teil seiner Schriften mit Namen, und zwar nur solche, die inzwischen ver-
loren gegangen sind {djioQr^fxaTa ^OfuirjQixäy ei (piX6ao<pog "Ojuij^og, ngoßkrj-
fiara ^OiJii^Qov xai Xvaetg,^) 'Atuxwv kä^eoDv ixioaeig ß'); gerade die bedeu-
tendste, die philologischen Unterhaltungen, von der er den Zunamen Phi-
lologos erhielt, ist, weil sie in der alphabetisch geordneten Vorlage des
Lexikographen am Schlüsse stand, nicht erwähnt.®) Erhalten sind uns
unter seinem Namen, ausser Prolegomena zu dem Metriker Hephästion
und einem Brief in dem von Porphyrios hinterlassenen Leben Plotins, das
Bruchstück einer Rhetorik (Rhet. gr. I 299—320 Sp.) und das berühmte
^) Bdbsian, Der Rhetor Menandros und
seine Schriften, in Abhdl. d. b. Ak. t. XVI
(1882) S. 17 Bchliesst aus der Erwähnung der
noXets KttQTtiai p. 358, 29 Sp., dass wir den
Menandros von Laodikea oder den Verfasser
des 1. Traktats in die Zeit nach Diokletian
zu setzen haben.
«) BüRsiAN a. 0. 18 ff.
*) Suidas unt. Tepi^Xio^ nennt ihn ausser-
dem einen Rivalen des Rhetor Kallinikos,
der in dem 2. Traktat p. 370, U u. 386, 30
citiert wird. Nitschb, Der Rhetor Menandros
und die Scholien zu Demosthenes, Berl. Progr.
1883 weist Uebereinstimmungen mit dem
Grundstock der Demosthenesscholien nach.
QA IIJ"^^ bestimmtesten p. 437, 10; 439, 20.
30; 440 10; 442, 1. 20; 4U, 3. 38 in der Lob-
rede auf den Apollo Smintheus, aber auch
sonst p. 387, 6; 426, 12. 23; 429, 1.
^) BüHNKEN, Disputatio de vita et acriptis
Longini, 1776, in Opusc. I 488—528.
^) Longin heisst tfiXöcoipö^ bei Suidas,
bei Vopiscus, vit. Aurel. 30 und in den
Hephästionscholien. Porphyrios, vit. Plotini
p. XXX K. erwähnt von ihm 2 philosophische
Schriften ns^l or'^/cJt^und^iAcr^jirfffo;; ausser-
dem schrieb er Kommentare zum Timaios
und Phaidon. Als Philosoph hatte er den
Ammonios und Origenes zu Lelirera.
') Suidas unt. Aoyylyo^ und Eunapios a.0.
^) Man erkennt daraus den Lehrer des
Porphyrios, des Verfassers der homerischen
Probleme.
*) Die ^iXoXoyoi ofiiXiat hatten minde-
stens 21 B.; 8. Rhet gr. VI 225 n. VII 968
ed. Walz.
Ba) BOmiBohe Periode Tor Konstantin. 8. Die Prosa. 1) Die Bhetorik. (§ 551.) 757
Buch nsgi vtpovg oder vom Erhabenen. ^ Die Rhetorik handelt in Kürze
von den Mitteln der Rede {a^oQfxai Xoyov)^ der Ökonomie, dem sprachlichen
Ausdruck, dem Vortrag, dem Gedächtnis, indem der Verfasser, ohne irgend-
wie in die Tiefe zu gehen, einem Schüler ermunternde Anweisungen zur
Redekunst gibt. Dass Longin diese Anleitung, die in den Handschriften
mitten in die Rhetorik des Apsines hineingeschoben ist, verfasst habe, hat
mit glänzendem Scharfsinn Ruhnken erkannt, indem er auf die Identität
eines von den byzantinischen Kommentatoren des Hermogenes (bei Walz
V 451 u. VI 119) aus Longinos Philologos citierten Satzes mit einer Stelle
unseres Abrisses p. 310, 10—12 hinwies.») Auf die Rhetorik lässt Spengel
in den Rhet. gr. I 325—8 höchst wertvolle Exzerpte «x tdiv Aoyyhov folgen,
welche zuerst Egger aus einer Florentiner Handschrift (Laur. 24, 58) heraus-
gegeben hat, die aber Spengel selbst dem Longin abspricht. Dieselben
sind allerdings nicht aus der Rhetorik unseres Autors exzerpiert, enthalten
aber vielleicht Auszüge aus dessen (PilöXoyoi o(xiX(ai, Ihre Zeit bestimmt
sieh daraus, dass sie ausser einem Hinweis auf Longin') ein Urteil über
den Rhetor Aristides enthalten.
Weit interessanter ist die Schrift vom Erhabenen {negl vipovg), in
welcher der Autor zur Ergänzung und Berichtigung einer ähnlichen Ab-
handlung des berühmten Rhetors Cäcilius^) zuerst das Wesen des Er-
habenen feststellt und dann in kenntnisreicher Weise die Quellen oder
Mittel des erhabenen Stils nachweist. Das Hauptinteresse erregten gleich
bei dem ersten Bekanntwerden des Buches die vielen Gitate aus klassi-
schen Autoren, insbesondere die Einlage eines Gedichtes der Sappho (c. 10).
Aber auch abgesehen davon ist die Schrift ein wertvolles Denkmal der
von den Alten geübten ästhetischen Kritik {xQiaig /roti^/iarwr), welche die-
selben als einen Teil der Grammatik, und zwar als den vorzüglichsten der-
selben ansahen. Dieselbe ist vom Verfasser mit ebenso grosser Feinheit
des Urteils als umfassender Gelehrsamkeit geübt: er zieht Dichter wie
Prosaiker, Schriftsteller der klassischen wie der alexandrinischen Zeit
heran; unter anderm gibt er auch eine geistvolle Parallele zwischen Cicero
und Demosthenes. Über die Person und die Zeit des Verfassers herrschte
schon im Altertum Zweifel; das ersieht man aus der Überschrift //iovrcioi;
rj Aoyyivov nsQi vif)ovq. Wahrscheinlich lief das Buch, das einem gewissen,
sonst nicht näher bekannten Terentianus gewidmet ist, ehedem anonym,
und sind beide Namen geraten und dieses falsch. Auf den Dionysios riet
man, weil man unberechtigter Weise die Stelle c. 39, 1 vnhq ffvvd^äaswq
iv dvclv änoxQ(ovT(og änoiedfoxoTsg avvtdyiiaai auf das Buch des Dionysios
ncqi cwö-sastag ovofjiatwv bezog. Eher könnte man glauben, dass mit dem
zweiten Namen, Longin, das Richtige getroffen sei: der ganze Charakter
1) Ob die von Eusebios benfitzten Chro-
nika des Gasains Longinns in 18 B. von nn-
aerem Longinua herrflhren, ist zweifelhaft, da
sie nur bia 228 reichten; a. Müllbb FHG
m 688.
s) Nftherea bei Walz t. IX p. XXm aq.
») p. 325, 7 Sp.: ort 6 'jQKftotiXtjs tovg
nttvra fAeTag>dQoytag alviyfAata yQdg>uy
iXeyev Sio X4yov9iv {Xiyst emend. Ruhnken)
Aoyylvog airayitog xe/^^<r^ai xal jovxto z^
etdet.
*) RoTHSTEiv, Cftcilios von Kaiakte und
die Schrift vom Erhabenen, Herrn. 28 (1888),
1 — 20; CoBLBNTz, De libelli n. v. anctore,
Disa. Argent. 1888.
758
Griechische LitteratargcBchiohte. II. Vachklassische litteratnr.
des Buche» passt trefflich zu dem Beinamen o xQivixog, den man dem
Cassius Longinus gab;^) der philosophische Charakter des ersten Kapitels
und die vielen Citate aus Piaton stimmen gut zur philosophischen Ricli-
tung unseres Longin. Aber das alles reicht zur Begründung der Vater-
schaft nicht aus und vermag nicht die entgegenstehenden Bedenken zu
entkräften. Nicht bloss verrät die Sprache und der fast triviale Charakter
der echten Schriften des Longin keine Verwandtschaft mit dem vorzüg-
lichen Buche vom Erhabenen; auch der Umstand, dass in dem letzteren
die Hauptrhetoren der antoninischen Zeit, Alexandres Numeniu und Her-
mogenes, vollständig ignoriert und nur Schriftsteller aus der Zeit vor
Tiberius angeführt werden,») verbietet uns, mit dem Verfasser bis in die
Mitte des 3. Jahrhunderts herabzugehen. Wir schliesen uns daher der
Meinung der Neueren') an, dass der Verfasser unseres Buches ein Ano-
nymus ist, der im 1. Jahrhundert bald nach Cäcilius und vor Hermogenes
lebte.*)
Das Buch negl v^ovg iat erhalten dm-ch den cod. Paria. 2036, von dem alle anderai
Handscliriften abstammen. Kommentierte Ausgabe mit den Noten der FrCkheren (Toa]»,
Ruhnken, Larcher) von Weiskb 1809; kritische Ausgabe mit Proleg. von 0. Jabjt (1867),
neubearbeitet von Vablen, Bonnae 1887. Textesausgabe in den Rhet. gr. I von Spshobi-
Hammbb 18d4.
m) Die Grammatik.»)
562. Die grammatischen Studien waren in der letzten Zeit der römi-
schen Republik durch Didymos, Tyrannion, Alexander Polyhistor und andere
von den alten Sitzen der Gelehrsamkeit nach Rom verpflanzt worden. Da-
durch wurden nicht bloss die Römer zur Durchforschung ihrer eigenen
Sprache und Litteratur angeregt, sondern erblühten auch in Rom gram-
matische Schulen der Griechen. Daneben blieben Athen und in noch
höherem Grade Alexandria und Pergamon ^) mit ihren reichen litterarisehen
Hilfsmitteln treue Pflegerinnen der philologischen Gelehrsamkeit. Auch in
anderen Städten Griechenlands und Kleinasiens, wie Smyma, Tarsos, Bery-
tos, Byblos, führte schon der Bildungs- und ünterrichtsgang zur Errich-
tung und Erhaltung grammatischer Schulen. Aber die Zeit der grossen
Philologen und selbständigen Forscher war vorüber; selbst ApoUonios Dys-
kolos und Herodian, welche sich des meisten Ansehens unter den Gram-
matikern unserer Periode erfreuten, und deren Sätze die Richtschnur für
^) Suidas unt. ^Qoyraty; Photios p. 492a,
29; EunapioB p. 456a, 18.
') Dass auch der c. 13, 3 citierte Am-
monios, der die Nachahmungen Homers bei
Piaton zusammengeschrieben haben soU, nicht
der Neuplatoniker Ammonios sei, sondern der
Aristarcheer, dessen Buch tisqI xtHy vno
nXdttjyos fAexfjvsyfjidpfoy i^ 'Of^tjgov auch in
den alten Homerscholien (A) zu II. 1 540 citiert
wird, hat Röprr PhÜ. I 630 nachgewiesen. —
Auch der Sprachgebrauch des Buches tibqI
vtjfovs zeigt keine Spur von einem Einfluss
des Atticismus.
') BccBBHAU, De scriptore libri nBQi
vipovs, Marb. 1849, denkt an die Zeit des
Vespasian; weiter hinauf geht Martems, De
libello nsQl vtpovs^ Bonn 1877, der die Blflte
unseres Rhetors unter Tiberius setzt Beach-
tenswert ist, dass der Verfasser c. 9 Kennt-
nis der Genesis zeigt; s. Bernays, Ges. AbL
I 353 und Mommsbn, R5m. Gesch. V 494
und 551.
*) Wenn ich auf einen Namen raten
sollte, 80 würde ich am ehesten an Tbeon
denken, der ein Buch ne^ o-vrrcfleoK Hyov
geschrieben hatte.
'^) Ueber die Litteratur im aUgemeinen
s. § 419.
*) Zahlreiche Grammatiker unserer Pe>
riode heissen bei Suidas 'Als^uy^^H. Als
Pergamener werden b^Beichnet Demetiios
Ixion und Telephos.
B a) BOm. Periode vor Konstantin. 8. Die Proaa. m) Die Grammatik. (§§ 552—553.) 759
die nachfolgenden Generationen bildeten, verarbeiteten nur dasjenige, was
Aristarch und die Alexandriner erforscht hatten. Dazu kam, dass seit
Hadrian das steigende Ansehen der Sophistik den trocknen Studien der
Grammatik hinderlich in den Weg trat und höchstens nur in stiUstischem
Interesse die Richtung der Attikisten begünstigte. — Innerhalb unserer
Periode trat ein merklicher Unterschied zwischen den Grammatikern vor
und nach Hadrian hervor: im Anfang überwogen noch die Empiriker, die
teils auf den verschiedensten Gebieten der grammatischen Erudition sich
bewegten, teils der Kritik und Erklärung der Autoren, jetzt nicht mehr
ausschliesslich der alten, sondern auch der alexandrinischen ihre Studien
zuwandten. Von dem 2. Jahrhundert an bekamen die Systematiker die
Oberhand, welche sich die Ausbildung des Lehrgebäudes der Grammatik
und Metrik und überdies die Anlage zusammenfassender Werke über Lexi-
kographie und Litterarhistorie angelegen sein Hessen.
Grammatiker des 1. Jahrhunderts.
568. Juba (um 50 v. Chr. bis 23 n. Chr.)i) ^ar nicht der König
unter den Grammatikern, aber ein Grammatiker königlichen Geblütes.
Nachdem sein Vater, der König von Numidien und Mauritanien, den Waffen
der Römer unterlegen war (46 v. Chr.), kam er selbst als junger Mensch
nach Rom in die Kriegsgefangenschaft, ward aber später von Oktavian
wieder mit einem Teil seines väterlichen Reiches belehnt. In der Ge-
fangenschaft hatte er sich mit den Studien befreundet, so dass er einer
der gelehrtesten Männer seiner Zeit wurde: ändvTwv taxoQixdratog ßaai-
lewv heisst er bei Plutarch im Leben des Sertorius c. 9;*) die Athener
setzten ihm im Gymnasium des Ptolemaios ein Standbild, das noch Pau-
sanias sah.^) Seine Studien galten, ähnlich wie die des Alexander Poly-
histor, vornehmlich der historischen und antiquarischen Seite des Alter-
tums; aus ihnen gingen seine altrömische,^) libysche,^) arabische,^) assy-
rische Geschichte hervor, aus ihnen auch sein Hauptwerk 'O/xoiotrjzeg in
mindestens 15 B., in welchem er an der Hand des Yarro die Ähnlich-
keiten römischer Sitten mit denen anderer Völker verzeichnete.') Ein
Kapitel der Kunstgeschichte behandelte er in dem Buch über Malerei und
Maler {ne^i yqa(pixrjq xal negl CH^yga^av), von dem bei Harpokration ein
achtes Buch citiert wird. Viel benutzt von den Späteren wurde seine
0€avQixr^ IcTOQla^ worin von den musischen Agonen, Dichtern, Schauspielern,
Musikern gehandelt war. ^) In seinen philosophischen Liebhabereien neigte
^) Siiidas nnt. ^loßag. lieber das Todesjahr | tauschen Feldzug nach Plinins n. h. VI 141.
des Juba, 19 oder 23 n. Chr., s. S. 684 Anm. 3. | '') Die historischen Schriften des Juba
*) Aehnlich Flui. Caes. 55, Anton. 87;
PUnius n. h. V 1, 16; Ath. 83b.
*) Paus. I 17, 2; bezflglich des Platzes
war von Einfluss, dass er mit einer Tochter
der Eleopatra, Selene mit Namen, verhei-
ratet war.
*) Als 'Pto/4aixfj aQX^iioXoyia citiert von
Stephanos Byz.
^) Benutzt von Appian, worftber Gut-
scHxiD Kl. Sehr. V 346 ff.
*) Geschrieben waren die 'AQaßixä zur
Orientierung des C. Caesar für seinen orien-
wurden viel benutzt von Plutarch, Appian und
Cassius Dio, worüber Schäfbb, Quellenkunde
11* 95; H. Pbter, üeber den Wert der histo-
rischen Schriffcstellerei von König Juba 11,
Meissen 1879. Die Wundergeschichten der-
selben bildeten namentlich eine reiche Fund-
grube für Plinius und Solinus.
^) RoHDE, De Pollucis fontibus sucht in
dieser Schrift eine Hauptquelle des PoUuz,
was Bafp Leipz. Stud. VUI 110 ff. insofern
beschränkt, als er zwischen Juba und Polluz
den Lexikographen Tryphon einschiebt.
760
QrieohMche Litteraturgesohiohte. ü. NachklasBisohe Litteratnr.
er sich der Sekte der Neupythagoreer zu.^) Als einen bahnbrechenden,
scharfsinnigen Forscher bewährte sich Juba nirgends, wohl aber, wie dieses
bei Leuten seines Schlages öfters vorkommt, als einen unterrichteten Mann
und guten Eompilator. Die Fragmente gesammelt bei Müller FHG Hl
465—484.
564. Tryphon*) aus Alexandria war jüngerer Zeitgenosse de&Didy-
mos und blühte unter August. Treu den Traditionen der alexandrinischen
Schule beschäftigte er sich vornehmlich mit dem sprachlichen Teil der
Philologie. Seine bedeutendsten Leistungen lagen auf dem Gebiet der
Dialektforschung, der lokalen wie der litterarischen.») Eine reiche Aus-
beute für die Späteren bildete auch sein nach Sachtiteln angelegtes Lexi-
kon nsQi dvofiaffuav. Von seinen Traktaten über die Wortveränderungen
{71€qI nat^wv) und über die Hauche {neQi nvev^azwv) sind uns elende Ex-
zerpte erhalten.*) Neuerdings ist auch aus einem ägyptischen Papyrus
(Kenyon, CJassical texts from papyri, London 1891) der Schluss einer
Täxvjj YQaf.ifiaTtxi] des Tryphon ans Licht gekommen; aber derselbe ist so
trivial, dass er schwerlich etwas mit unserem hochangesehenen Gram-
matiker zu thun hat. Auch ob das unter Tryphons Namen überlieferte
Buch über Tropen von unserem Grammatiker herrührt, haben wir oben
§ 545 in Zweifel gezogen. Die Fragmente sind gesammelt von Arthur
V. Velsen, Berol. 1853, vermehrt von Schwabe, Dionys. et Pausan. fr. p. 69.
566. Theon unter Augustus und Tiberius, Vorgänger des Apion auf
dem grammatischen Lehrstuhl Alexandriens,^) wird passend der Didymos
der alexandrinischen Dichter genannt, insofern er für die Kritik und Exe-
gese des Theokrit, Apollonios, Kallimachos, Lykophron, Nikander ähnliches
wie Didymos für Homer und die Dichter der klassischen Zeit geleistet
hat. Unsere Schollen zu Apollonios gehen teilweise auf ihn zurück. Nach
dem Brief, den Hesychios seinem Glossar vorausschickt, hat er auch
Glossen zu den Tragikern und Komikern verfasst, wahrscheinlich in der
Art, dass er die einzelnen Aä^eig des Didymos in ein alphabetisch geord-
netes Gesamtlexikon brachte,«) Die Fragmente sind gesammelt von C.
Giese, De Theone grammatico eiusque reliquiis, Münster 1867.
666. Pamphilos aus Alexandria,^) ein Aristarcheer, blühte in der
Mitte des 1. Jahrhunderts.«) Sein Hauptwerk war ein glossematisches
Lexikon neQl yXwaauyv r-toi Aaffcöv in 95 B., das, ähnlich wie das latei-
nische Lexikon des Verrius Flaccus, später unter Hadrian zuerst von
^) David im Oomment. in Arist. cat. p. 28a
bezeugt, dass lobates pythagoreische Schiiften
sammelte, dabei aber auch ordentlich be-
trogen wurde.
*) Snidas imt. TQv(f(oy. Vgl. Nabbr ad
Phot. lex. I 75 ff.; Bapp Leipz. Stud. VIII 108.
*) Einzelne Titel waren: negl rrjs 'EX-
Xijywy diaX^xrov (ttsqI 'EXXijyurfiov) xal
'J^yeifoy xixi 'Prjylvmy xai Jta^dfov xal IvQa-
xovaiüjp, 71 eQi nXsoyaaf40v xov iv rp AloXidi
dtaXixTffj, ' negi ttoy nag* 'OfiiJQto diaX^xttoy
xal ZifAfoyl^i^ x«i my&ttQif) xal AXxfjLäyi, xal
totg aXXois XvQixoTg.
*) In Cod. Matrit 95 fol. 148 -150; s.
Egenolff, Ortboepische Stad. S. 26.
•) Soidas unt. ^Anit^y. fjy di dwSoxoi
S^toyog xov ygafjifjiatixoVy was wohl auf den
Lehrstahl in Alexandria geht
«) So stellt das Verhältnis Nabkb, Phot.
lex. I 9 dar.
^) Soidas uni UafifpiXog 'AIb^.; s. Wxbbb
Philol. Snppl. m 467 ff.; Jül. Scbokhbmauf,
De lexicographis antiquis, Hannoy. 1886.
8) Vgl. Ath. 642 e.
Ba) Rom. Periode Tor Konstantin. 8. Die Prosa, m) Die Grammatik. (§§554-557.) 761
Vestinus und dann von Diogenian in einen Auszug gebracht wurde.^)
Der Plan des reichhaltigen Sammelwerkes rührte indes nicht von ihm,
sondern von Zopyrion her, der auch als Verfasser der vier ersten Bücher
genannt wird. Eine Ergänzung zu dem Lexikon, gewissermassen selbst
ein Lexikon mit sachlicher Anordnung, war das Sammelwerk, das von
seinem bunten Inhalt den Titel Aei^wv hatte ^) und in dem unter anderm
die Fabeln des alten Mythus und der Verwandelungslitteratur unter sorg-
fältiger Anführung der Quellen behandelt waren.*) Ein Werk von den
Pflanzen in 6 B. führt häufig der Arzt Galen an,^) nicht ohne sich über
den Grammatiker, der sich um die sachlichen Verhältnisse wenig, um so
mehr aber um die Namen und Ammenmärchen kümmere, zu ereifern. Ob
dasselbe aber einen Teil des Aeiiimv bildete, oder zu den anderen, von
Suidas aufgeführten Spezialschriften unseres Grammatikers gehörte, oder
überhaupt nur von ihm herrührte,*) ist ungewiss. Die Bücher des Pam-
philos wurden wegen ihres gelehrten Inhaltes und ihrer bequemen Anord-
nung wie die keines andern Gelehrten von Scholiasten und Sammelschrei-
bern benutzt; namentlich bildeten sie eine Hauptquelle des Athenaios.^)
Eine Namensverwandte und Zeitgenossin des vorgenannten Gram-
matikers war die gelehrte Pamphila,*^) die unter Nero lebte und sich
eines ausserordentlichen Rufes erfreute. Ihre avfjLfxixra taxoQixa vno^vij-
liaxa in 33 B. waren litterargeschichtliche Lesefrüchte der verschieden-
sten Art; ein Kuriosum des Blaustrumpfs war das Buch negl aif^odiadov.
Des verwandten Inhaltes wegen sei hier noch erwähnt Amerias der
Makedonier aus unbekannter Zeit,^) von dem uns Athenaios und Hesychios
mehrere Glossen anführen, darunter auch makedonische aus der Heimat
unseres Glossographen.
667. Apion mit dem Beinamen Moxx^og,^) Schüler des ApoUonios
Archibiu und Pflegesohn des Didymos, war Nachfolger des Theon in der
Vorstandschaft der alexandrinischen Schule, führte aber im übrigen ein
unstetes Leben, mehr in der Art eines ruhmredigen Rhetors und auf-
^) Die Epitome des Diogenian umfasste
bloss 5 B., sie ist nns erhalten im Lexikon
des Hesychios. Reste in den Scholien des
Oregor von Nasdanz nachgewiesen von Nobdbn
Henn. 28 (1892) 625 ff.
') Verwandt waren das Sammelwerk
UartoSantj vXtj des Favorin and die Prata
des Sueton; vgl. Reiffbrsoueid, Snet. rell.
p. 455, der den Leimon nnd das Lexikon
nnaeres Pamphilos für ein Werk hielt.
') Vgl. EuG. Odbb, De Antonino Libe-
rali, Bonnae 1886, p. 46. Indem ich das
Lexikon und den Leimon fQr verschiedene
Bflcher halte, setze ich bei Suidas ^yQaiffs
XetfÄWfu {hfti (f^ 7ioixiX(oy nsgiox^), negl
yXwfawy fjtoi UU^y ßißXia Zi vor nBqi ein
Komma.
*) Galen t. XI p. 794, 2 ed. Kühn: oixo^
(sc. ndfi<p&Xo^) fiky II sy^icifje {HfyQtcipc
yulgo, emend. Lobeck) BtßXia. Zuvor p. 793
sagt er von ihm: fct;^* eiogaxws tag ßordras
vn^Q tap &irjy€ttai fjnjre r^g dwctfAStog avtiav
TienBiqttuivog, dXXd roig ttqo avrov yeyga-
q>6aiy hnaciv ayev ßaaäyov nertiaTBvxüig . . .
nX'^&og ovofjttttoiy ifp' ixdcT^ ßotayn ngoa-
ti&eig.
<^) Baumstark, Jahrb. f. Phil. Suppl. XXI
500 nimmt eine Namensverwechselung an.
') Ueber die Benutzung durch Athenaios
s. Bapp in Comment. Ribbeck. p. 253 — 8.
') Suidas: IlafjKpiXfj ^7ti,dav(fia aotpij,
&vydTijQ SfoffiQiSov, ov Xiysrai eiyai xiti la
avyxdyfJLttta, wg Jtovvaiog iy rw X' rtjg fiov-
ifixijg Ifftogiagj w? (fd iregoi ysyQatpaai, Sah-
XQaTida Tov aydgog avtijg ' laxoQtxd vno-
fiyrjfiartt xtX. Die Fragmente bei Müller
FHG in 520—2.
^) WissowA in Realenc. setzt ihn in die
alexandrinische Zeit und vor Aristarch.
^) Suidas unt. 'Anmy. Lehrs, Quaest.
epicae p. 1—34; Mohmsbv, Rom. Gesch. V^
519.
762
GriechiBohe litteratiirgeBohiohte. n. VaohUaMWohe Litteratiir.
schneidenden Schwindlers als eines soliden Grammatikers. *) Als Führer
der Antisemitenpartei in Alexandria führte er das Wort bei einer Gesandt-
schaft an den Kaiser Caligula ; auf seine Beschuldigungen antwortete spater
Josephos in der uns erhaltenen Schrift xazd 'Aniwrog.^) Geschichtlichen
Inhaltes waren die Aiyvnuaxa in 5 B. {iatoQia xa%' l&vog bei Suidas), aus
denen Gellius 5, 14 die rührende Erzählung von Androklos und dem Löwen
mitteilt. Von seinen grammatischen Schriften waren am angesehensten
die rkiiaaai ^Ofir^Qixaf, die bald nach ihm Apollonios der Sophist in das
noch erhaltene Homerlexikon verarbeitet hat (§ 43) ; von ihnen haben wir
auch Auszüge (gedruckt im Anhang von Sturz Etymologicum Gudianmn),
deren Echtheit aber starken Zweifeln unterliegt.') Apion gab sich zwar
für einen Aristarcheer aus; dass aber von einem Phantasten, der in den
zwei ersten Buchstaben der Dias MH eine Andeutung der Buchzahl (48)
der beiden homerischen Dichtungen fand (Seneca ep. 88, 40), keine ge-
diegenen Erklärungen im Geiste des Aristarch zu erwarten waren,^) ver-
steht sich von selbst. Fragmente gesammelt von Müller FHG in 506
bis 516.
558. Heliodoros,^) ein geschmackvoller, von den zeitgenössischen
Dichtern der Anthologie ^) .vielgenannter Grammatiker, blühte unter den
Kaisern der julischen Dynastie. Er war als Vorgänger des Hephästion
Hauptbegründer der Metrik; von ihm rührt der Stamm der metrischen
Scholien des Aristophanes her; 7) ausserdem finden sich seine Sätze viel-
fach von den alten Erklärern des metrischen Handbuchs des Hephästion
angezogen. Durch Juba artigraphus, der sich eng an ihn anschloss, ist
seine Theorie auf die lateinischen Metriker übergegangen.^) Als seinen
Schüler bezeichnet Suidas den Eirenaios (Pacatus), welcher zu den her-
vorragenden Attikisten der hadrianischen Zeit gehörte.
559. Ptolemaios Ghennos lebte nach Suidas in der 2. Hälfte des
1. Jahrhunderts und war Verfasser der Sphinx, eines mythologisch-gram-
matischen Dramas, ferner eines Epos 'AvÖ^ofirjQog in 24 Rhapsodien, einer
UagaSo^og tatoQia und einer Kaivrj IffroQia.^) Die letzte, welche Eustathios
und Tzetzes viel benutzten, hatte sechs Bücher und ist uns näher aus
dem Auszug des Photios cod. 190 bekannt. Danach verbreitete sie sich
\) Witzig bemerkt von ihm Plinius n.
h. jHTOoem. 25. Tiberius Caesar cymbalum
mundi vocahat, cum propriae famae tum-
partum potius videri passet.
«) Vgl. § 466.
^) Die Echtheit des Aaszags gegen Lehre
in Schatz genommen von Kopp Herm. XX
161 ff. Dass die von Enstathios aus einem
angeblich von Apion und Herodoros ver-
fassten Buche angeführten Homererklärungen
nicht aus Apion, sondern aus unsern Homer-
Bcholien stammen, hat Lehrs, De Aristarchi
studiis Homericis p. 870 — 5 erwiesen.
*) Lbbrs, Quid Apio Homero praestite-
rit, in Quaesi epicae p. 1 — 34.
^) Der Artikel des Suidas fiber ihn ist
leider ausgefallen; hat Hermann die Stelle
des Priscian p. 396 Kr. richtig emendiert, so
lebte er vor Claudius Didymus; aber mit
dem Heliodarus Graecarum longe doeUsn-
mus, der den Horaz auf der Reise nach Bnm-
disium begleitete (Sai I 5, 2), dürfte er doch
nicht identisch sein. Vgl. Keil, Quaest
gramm. 14 f. ; Wachsmuth Phaol. XVI (1860)
648 ff. ; 0. Hbnse, Heliodorische Untersuch-
ungen, Leipz. 1870; I. Lipsius, Jahrb. f&r
Phil. 1860 S. 607 ff.
•) Antii. XI 134. 137. 138. 183. 256.
^) Thibmanh, Heliodori colometriA An-
stophanea, Hai. 1869; vgl. § 214.
*) 0. Hense, De Juba artigrapho in Acta
Lips. t. IV.
^) Vielleicht war unser Ptolemaioa auch
Verfasser des Buches von den Schriften des
Aristoteles s. § 813.
Ba) Rom. Periode Tor Konstantin. 8. Die Prosa, m) Die Orammatik. (§§558—560.) 763
über alle möglichen und unmöglichen Dinge der Fabelwelt und tischte eine
Menge sonst nicht bekannter Mythen auf, indem als Gewährsmänner
Schriftsteller aufgeführt waren, von denen wir zum grossen Teil sonst
nirgends etwas zu lesen bekommen. Hercher in dem geistreichen Auf-
satz über die Glaubwürdigkeit der neuen Geschichte des Ptolemaios Chen-
nos,^) stellt diesen unseren Ptolemaios und die Verfasser der unter Plu-
tarchs Namen laufenden Parallela minora und des Buches über die Flüsse
in die Klasse jener unverschämten Aufschneider und Schwindler, welche
von neugierigen Römern bei Tisch nach einer Mythe gefragt, nie um eine
Antwort in Verlegenheit waren, sondern in Ermangelung wirklichen Wissens
mit irgend einem fingierten Namen aufwarteten. Es fällt aber das Leben
unseres Schwindlers in dieselbe Zeit, in der ein Dares und Diktys sich
in ihren Erzählungen vom troianischen Krieg auf beschriebene Gypressen-
tafeln beriefen, welche sie in Gräbern aus der Heroenzeit gefunden zu
haben vorgaben.
560. Andere Grammatiker aus dem Anfang der römischen Kaiserzeit
waren: Aristonikos, der mit der Genauigkeit eines richtigen Gramma-
tikers über die Zeichen der aristarchischen Textesrecension des Homer
und Hesiod schrieb; Philoxenos aus Alexandria, der unter Tiberius in
Rom lehrte und sich besonders mit etymologischen und dialektischen (ticqI
^ddog^ 7i€Qi ^FwfAaixf^g iiaXextov^ ncgi ^ElXrjvuffjiov) Forschungen abgab ;^)
Apollonios Archibiu, den Suidas Lehrer des Apion nennt, so dass er
schwerlich Verfasser des uns erhaltenen, aus späterer Zeit stammenden
Homerlexikons sein kann;') Herakleon aus Ägypten, angesehener Homer-
erklärer; Claudius Didymus, aus dessen Schrift negi T!jg naQcc'Pfüfiamg
ävaXoytag*) uns ein interessantes Fragment bei dem lateinischen Gram-
matiker Priscian, De figuris numerorum p. 411 K. erhalten ist;^) Dorotheos
aus Askalon, Lexikograph zwischen Tryphon und Apollonios Dyskolos;^)
Epaphroditos aus Chäronea, Bibliothekar unter Nero und Nerva, intimer
Freund des Geschichtschreibers Josephos; Eirenaios oder Minucius Pa-
catus, Schüler des Heliodor;^) Ptolemaios aus Askalon und Alexion,
oft zusammen genannte Homererklärer; Herakleides Milesios (um 100),
Vorläufer des Herodian und Verfasser einer xax^oXixr^ nqoafridia und eines
Buches TiBql ivüxhrwv ^rjfAdrcov ; ^) Amarantes aus Alexandria, Erklärer
») Jahrb. f. Phüol. Sappl. I 269—293;
Widerspruch erhob gegen Horchers Annahme
C. MüLLEB, Geogr. gr. min. II p. LYII. Schon
dem Photioe erschien unser Ptolemaios als
avyaywyerg vjioxeyog xal tiqos dXa^oyeiay
tiTorjfÄiyoq. Auf die xainq larogia führt
Boss, Anecd. gr. p. 14 auch die im cod. Laur.
56, 1 erhaltenen Sammlungen von Wunder-
thaten Eurflck.
^) Elbist, De Philoxeni studüs eiymo-
logicis, Greifswald 1865; M. Schmidt, De
Phfloxeno Alex., Phüol. IV (1849) 627 ff.,
VI (1851) 660 ff.
^ Vgl. Meier Opnsc. II 53 f. In dem
Einleitungsbrief des Hesychios Alex, wird
ausdrücklich *AnoXXtoyiog 6 tov 'A^x^ßlov als
Homerlexikograph genannt.
^) In dieser Schrift war die römische
Sprache als eine mit dem Aolischen Dialekt
verwandte Abart der griechischen erwiesen
worden.
^) Derselbe war auch Verfasser einer
musikalischen Schrift nsQl SiatpoQaq.
*) Vgl. FiELiTZ, De comoedia bipartita,
p. 51.
') M. Haupt, Opusc. II 434 ff.
B) CoHV, De Heraclide Milesio gramma-
tico, in Berl. Stud. I 603—718, und Fbyb,
De Heraclidae Milesii studüs Homericis, in
Leipz. Stud. VI 93 ff. Die meisten Frag-
mente sind uns durch Eustathios erhalten«
764
QriechiBohe litteratargeachiohte. U, NaohUasBisohe Litteraiar.
des Theokrit und Verfasser eines Buches Tiegl axr^vtjg, das Athenaios p. 343*
und 414^ ausschrieb; Lukillos aus Tarra in Ereta,^) Kommentator des
ApoUonios, Sammler von Sprichwörtern, wahrscheinlich auch Verfasser
der seinen Namen tragenden Epigramme der Anthologie.
Grammatiker des 2. Jahrhooderts.
661. Herennios Philon (um 64—140)*) aus Byblos schrieb ausser
einer Geschichte des Hadrian und einem Buche über Anlage von Biblio-
theken {n€Qi xTijaewg xai ixXoy^g ßtßXtwv in 12 B.) ') ein berühmtes litterar-
historisches Werk n€Qi noXetav xaX ovq ixdavrj avrwv ivio^ovg Tjvsyxsv in
30 B./) das eine Hauptquelle der späteren Grammatiker war und insbe-
sondere von Hesychios Milesios und Stephanos Byzantios fleissig benutzt
wurde. Wahrscheinlich war er auch Verfasser des Buches über Synony-
mik, von dem Ammonios den uns erhaltenen Auszug machte. Berühmter
noch ist unser Grammatiker geworden durch die Überarbeitung der Ph5-
nikischen Geschichte des Sanchuniathon, der angeblich in vortroianischer
Zeit eine Geschichte Phönikiens verfasst hatte. Von dem ersten Buch
dieser Geschichte hat uns der Kirchenvater Eusebios, Praep. ev. I 9 u. 10
und IV 16 denjenigen Abschnitt mitgeteilt,^) der sich auf die Theogonie
und die Anfänge der menschlichen Geschichte bezieht. Derselbe ist äusserst
interessant, rührt aber gewiss nicht von einem so alten Autor her; viel-
mehr scheint Philon oder dessen Gewährsmann hellenistisch gefärbte und
aus jüngeren Quellen geschöpfte Nachrichten unter dem ehrwürdigen
Namen des Sanchuniathon in die Welt geschickt zu haben. Durch angeb-
liche Funde aus dem berühmten Werk hat sich die gelehrte Welt nur
vorübergehend täuschen lassen.^)
Hermippos, Berytios zubenannt im Gegensatz zu dem Eallimacheer
Hermippos, war ein Schüler des ebengenannten Philon und schrieb ein
^) Steph. Byz. unter Td(f(fa. Usbhbb,
Ein idtes Lehrgebäude der Philologie, Stzb.
d. bay. Ak. 1892 p.644. Von seiner Schrift nsQl
yQafjLfjiaTtüv sind uns noch einzelne Reste in
den Kommentaren des Dionysios Thrax er-
halten.
*) Suidas unt. ^iXtov BvßXio^, vgl. Daub,
De Suidae biographis, in Jahrb. f. Philol.
Suppl. XI 437 ff. NiBSB, De fontibus Ste-
phani p. 28 bestimmt seine Zeit auf 64-141
n. Chr. Nicht ganz sicher ist die Kombi-
nation, die ihn mit Herennius cons. suff. im
Jahre 124 in Verbindung bringt.
*) Daraus ist ein 9. Buch, das von me-
dizinischen Schriften handelte, citiert von
Oreibasios III 687 ed. Dar.
*) Verwandt damit war sein Buch negl
laTQiJvf das Stephanos Byz. unt. KvQiog ci-
tiert. - Dass unser Herennios wahrschein-
lich auch Verfasser eines von Ammonios
neubesorgten Synonymenlexikons war, da-
raber § 629.
^) I 9: laroQsi di xavta 2ayxovyui9<oy,
avfJQ naXaltato^ xai rtay T^faixtiv /^örMr
cüV (faai n^ecßvfCQogy oV xai 4n* dxQtßelif
xai ttXi]&ettf rij^ <Potyt,xue^i icxo^laq anodex-
&^yM fiOQTVQOvci ' ^iXmy d^ rovTov nd^ay
xfjy avyjyagytjy 6 BvßXiog, ov^ 6 "Eß^aioCj
fAeraßaXioy and ri;; ^<Hytxwy yX»Jaifrjf iitl
Xfjy EXXdda tptoyrjy i^edtoxe . jnffiyijrai xov-
xaty 6 xa&* i]fidg xijy xa^ ^fi»y Ttenoitjui-
yos cvcxetnjy d. i. DoQipvQio^. Erwfthnt ist
der alte Historiker auch bei Athen. 126*:
nagd xoTs xd ^oiyixixd avyyeyQatpoüi, lay^
Xovyiai&toyi xai Mcü/cü.
*) Sanchuniathonis Berytü qoae feron*
tur fi^ftgmenta ed. Obblli, Lips. 1826. Der
vollständige von Waobnfbld (1836) angeb-
lich aus einem portugiesischen Kloster her-
vorgezogene Text erwies sich als F&ischiing.
Die Fragmente auch in Müllbr FHG IH
560—76. Erläuterung derselben von O.Grüppb,
Die griech. Kulte und :&ir7then I 850—409;
Wachsmuth, Einl. 406; Ed. Mbtbb, G^ch.
d. Alt I 249.
Ba) Rom. Periode TorKoiiBtantiii. 8. Die Prosa, m) Die Chrammatik. (§§561—564.) 765
gleichfalls von den Späteren vielfach ausgebeutetes Buch neqi tcSv iv nai-
562. Dionysios aus Halikarnass mit dem Beinamen o iiova^xog
blühte unter Hadrian und war Verfasser einer Movaixrj lavoQta in 36 B.
Von der Anlage dieses bedeutenden Werkes geben uns einzelne vollständig
aus demselben ausgehobene Artikel des Suidas, wie über den Grammatiker
Epaphroditos, und das Exzerpt des Rufus bei Photios cod. 161 eine an-
nähernde Vorstellung. Danach hatte der Verfasser das Wort iiovaixrj im
weiteren Sinne genommen, so dass er in der Geschichte derselben nicht
bloss die Kitharöden und Flötenspieler, sondern auch die Dramatiker und
Epiker behandelte.^)
Dieser Dionysios Musikos war vermutlich eine Person*) mit dem
Attikisten Ailios Dionysios, dessen Blüte gleichfalls von Suidas unter Ha-
drian gesetzt wird und der nach Photios cod. 152 ein attisches Lexikon
in 5 B. und in zwei Ausgaben besorgte. Derselbe Photios erwähnt cod. 153
ein ähnliches Lexikon des Pausanias, eines Syrers und Zeitgenossen des
Grälen, 8) und gibt den Rat, die drei Werke zu einem Lexikon zu verbinden.*)
Das sind die vielgenannten Ae^ixd QrfuoQixä, aus denen Eustathios und die
byzantinischen Lexikographen vornehmlich ihre Weisheit schöpften.'^) Rhe-
torisch hiessen dieselben, weil sie einerseits hauptsächlich auf den Sprach-
gebrauch der attischen Redner zurückgingen und anderseits zunächst zur
Heranbildung künftiger Redner dienen sollten.
563. Nikanor,^) Sohn des Hermeias aus Alexandria, blühte unter
Hadrian und beschäftigte sich hauptsächlich mit der Interpunktionslehre,
wovon er auch den Beinamen Stigmatias erhielt. Seine Hauptwerke waren :
nsQi vTjg aziyfi^g zijg xax^oXov in 6 B., neQl rrjg aTiyfirjg rr^g naq ^OfiijQfr},
7i€Qi CTiyiÄrjg Ttjg naqd KaXXifjidx(p, nsqi vava%dd^iJiov^ KünfAf^doviieva. Ob
unser Nikanor mit dem von Harpokration unter dxr^ erwähnten NixdvcoQ
6 7T€Qi ^€Tovofia<xiwv ysyqa^dg identisch sei, ist zweifelhaft, da dieser eher
einer früheren Zeit angehörte.
564. Die Grammatik im engeren Sinne erhielt unter Hadrian
und den Antoninen, nachdem 200 Jahre zuvor Dionysios Thrax den Grund
gelegt hatte, ihre spezielle Ausbildung durch ApoUonios und Herodian.
Beide haben fast kanonisches Ansehen bei den späteren Grammatikern
erlangt und erfreuten sich unter den Gelehrten der römischen Zeit eines
>) Vergl. Daub, De Snidae biographis,
Jahrb. f. Phü, Suppl. XI 410 ff. Ein Frag-
ment in xrjq (Aovmxrjg Urtoqiag in schol.
Aesch. 7 Dind.
*} Ihre Identität stellt in Abrede Meieb,
Oposc. l\ 63- 82.
») Mbieb, Opußc. II 82 ff.
*) Diesen Rat hat vermutlich der Verf.
des anonymen Ib^ixov ^xoqixoy des Eusta-
thios befolgt
») Nabbr ad Phot. lex. I 24 ff.; Rind-
FLsjscB, De Pausaniae et Aelii Dionysii lexi-
eis rhetoricis, Eönigsb. 1866; Tb. Schwartz,
Aelii Dionysii Halic. rell., Utrecht 1877; über
die Mftngel dieser Fragmentensammlung s.
Egemolfp, Jahresber. d. Alt. VII 1, 100 ff.;
Hbtdbn, Quaest. de Aelio Dionysio, Leipz.
Stud. 1885. Neue Sammlung mit umfang-
reichen Prolegomena: Aelii Dionysii et Pau-
saniae Atticistarum fragm. coli. Ern. Schwabs,
lips. 1890.
') Suidas unt. NtxäyioQ, und dazu Jak.
Wackbbnaqbl Rh. Mus. 31, 482 ff. Fbibd-
lXndbb, Nicanoris rell. Regiom. 1850, die
Fragmente zur Odyssee von Gabnuth, Berl.
1875.
766
Orieohisohe LittorainrgMohiohte. II. KachklMmche Litteratar.
ähnlichen Ansehens wie Aristophanes und Aristarch bei den Alexandri-
nern.^)
Apollonios,*) Dyskolos von seinem mürrischen Wesen zubenanni,
stammte aus Alexandria und brachte auch den grössten Teil seines Lebens
in Alexandria zu. In Rom weilte er nur kurze Zeit unter Antoninus Plus.
Er hat den Ruhm, das grammatische Lehrgebäude {^txvr] yqaiii^iaTixrj) aus-
gebaut zu haben ;^) doch schrieb er keine vollständige, in sich geschlossene
Grammatik, sondern behandelte nur in Spezialschriften einzelne Teile der-
selben.^) Am bedeutendsten waren unter denselben die Schrift über die
Redeteile (nsql iisqiaiiov tSv tov Xoyov fieQOJv) in 4 B., das *Oi'o/iomxdi',
von der Deklination der Nomina,*) das '^PrjfiaTixov, von der Konjugation
der Verba. Auf uns gekommen sind die kleineren Abhandlungen ntgi
dvTcovvfu'ag (Pronomen), n€Ql sniQQrjfxätcov (Adverbia), 7i€Qi awöäcfitor (Kon-
junktionen).«) In diesen Spezialschriften über den Gebrauch und die
Beugung der Redeteile (i^eQrj tov Xoyov) steht er nicht sowohl auf dem
Standpunkt des schulmeisternden Theoretikers, der allgemein gültige Regeln
für den Schriftgebrauch aufstellt, als auf dem des historischen Forschers,
indem er die bei den verschiedenen Autoren und in den verschiedenen
Dialekten (Jtaqig^ *Idg^ AloXig^ 'AtÖ^ig) vorkommenden Formen nachweist
Ausser der Formenlehre hat aber Apollonios auch schon der Syntax, die
bei Dionysios Thrax noch ganz beiseit gelassen war, seine Aufmerksam-
keit zugewandt; über sie handeln die vier nur unvollständig erhaltenen
Bücher nsQl avvvä^edog^ die auch heutzutag noch nicht -ganz veraltet sind,
wenn sie auch weit hinter den Anforderungen, die wir jetzt an eine Syntax
stellen, zurückbleiben. 7) Ob auch die bereits oben § 530 berührte Schrift
^latoQfai x^avfAtimai unserem Grammatiker oder einem andern der vielen
Apollonioi angehört, wage ich nicht zu entscheiden.
Erste Ausgabe der grammatischeii Schriften des Apollonios von Ihm. Bbkkbb in Mos.
ant. I n. Anecd. gr.; De constr. Berl. 1817 ; neae Bearbeitung von R. Schniidbr und Guar.
Uhlio, Lips. im Corpus gramm. graec, im Erscheinen.
565. Herodian {JiXiog 'HQcjSiavog, 6 vexvtxog), der berühmte Schaler
des berühmten Vaters, war gleichfalls in Alexandria geboren, wanderte
^) Dass dieses kanonische Ansehen über
die wirkliche Bedeutung der Männer hinaus-
ging, dass sie nicht ihrer Kraft, sondern der
Schwäche der Nachfolger ihre Grossstellung
verdankten, hat zutreffend Wilamowitz, Eur.
Herakl. I 179 bemerkt; übrigens standen sie
doch weit über dem Rhetor Hermogenes, der
eine ähnliche kanonische Autorität in der
Rhetorik erlangte.
') Ausser einem Artikel des Suidas
haben wir eine ausführliche Vita des Apol-
lonios bei Flach, Hesychius Mües. p. 243.
') Dem Priscian, der ihm und Herodian
hauptsächlich folgt, ist er XI 1 maximus
auctor artis grammaticae.
^) Die Zusammenordnung der einzelnen
Schriften zu einer planmässig angelegten voll-
ständigen Grammatik versucht Dronkb Rh.
M. 11, 549 ff.
') Zu dem 'Oyofiauxoy schrieb Zeno-
bios einen Kommentar, von dem sich viele
Reste im Et. M. finden, welche G. SchOhaüb
in einem Danziger Programm 1881 zusam-
mengestellt hat; dazu Rbitzbksteif, G}each.
der gr. Etym. 360 f.
*) Dass der Schluss des Buches negi
ttyiutyvfilas abzutrennen und dem Rhematikon
zuzuweisen ist, hat R. Scnnbidbb Rh. M. 24,
592 bemerkt. Auch das Buch ne^ inig^fj-
fAattay enthält einen fremdartigeB, zur Syn-
tax gehörigen Zusatz.
') L. Lange, Das System der Syntax
des Apollonios Dyskolos, Gott. 1852; Eookk,
Apollonius Dyscole, Par. 1854; DobiaS, Ueber
die Syntax des Apollonios Dyskolos (maaiachs
besprochen im Joum. d. Wiss. f. Volksanf-
klärung 1883, Sept 113—118. Nach dem
Vorbild des Apollonios hat auch Priadan in
seinen Inst gramm. am Schlnase 2 Badber
über Syntax gegeben, die Planudea (Bach-
MAMM, An. gr. II 105—166) ins Qriecbiacfae
rücküberaetzt hat
B a) E5m. Periode vor Konstantia. 8. Die Prosa, m) Die C^rammatik. (§ 565.) 767
aber zeitig nach Rom aus, wo er sich bei dem Kaiser M. Aurel besonderer
Gunst und Auszeichnung erfreute. Auf Anregung desselben verfasste er
sein Hauptwerk über Prosodie, Kax^oXixvj nQoatpdia in 21 B., wozu die
Spezialschriften über die homerische und attische Prosodie ergänzend hin-
zutraten. Das Hauptwerk umfasste in den ersten 19 Büchern die Regeln
(xavovsq) über die eigentliche Prosodie oder die Accente (ngocfpitai, rovoi) ;
das 20. enthielt die Lehre von den Zeiten (xQovoi, Quantität) und den
Hauchen {nvevfAata, Spiritus); das 21. bildete eine Art Anhang, der von
der Modifikation der Accente beim fortlaufenden Lesen, insbesondere von
den Enkliticis, der Diastole, Synalöphe handelte. Herodian ist damit der
eigentliche Schöpfer der griechischen Prosodik geworden; doch steht er
ganz auf den Schultern der grossen alexandrinischen Gelehrten Aristarch
und Tryphon und hat eigentlich nur das Verdienst, die Einzelbeobachtungen
jener Forscher in ein umfassendes System gebracht zu haben, i) Das Ori-
ginalwerk selbst ist uns verloren gegangen, aber wir haben mehrere Aus-
züge daraus, namentlich den des Theodosios oder Arkadios, auf den wir
unten zurückkommen werden. — Ausserdem schrieb Herodian zahlreiche
Bücher über verschiedene Teile der Grammatik, wie TtsQi nadtov, nsQi
o^d'oyQa^iag, negi ovofÄdrfov^ nsQi xXfaecog o^'o/iccrcov^ negi ^rjiLidtüoVj negl
av^vyitoVy nsql ävTfovv fiiwv, txsqI iniQqrnidxwv^ neQi axrjiiccxwv^ nfqi naQw-
vifAtav^ TtfQi fiovocvXXdßwVy nsgii fiovi]Qovq Xk^swq.^) Gleichfalls grammatische
Dinge betraf das nach dem Muster des Didymos geschriebene 2vixn6aiov
und die Schrift neql ydfAov xai (fvfißuiaewg. Von diesen zahlreichen
Schriften ist nur eine, und zwar eine von den minder bedeutenden, negi
fiovTjQovg Xä^ewg, oder über singulare, ausserhalb der Analogie stehende
Formen vollständig erhalten.*) Von den übrigen haben wir nur Überar-
beitungen, Auszüge und Citate, hauptsächlich in den Homerscholien und
bei Stephanos Byzantios.*)
Das Ansehen des Herodian wie seines Vaters Apollonios war bei den
Zeitgenossen und den nachfolgenden Generationen ein enormes, bei Licht
besehen waren aber ihre Verdienste um die Wissenschaft nicht weit her:
Gelehrsamkeit, Exaktheit und Subtilität, Haupteigenschaften eines Gram-
matikers, zeichneten allerdings auch sie aus; aber weder waren sie
schöpferisch und damit wahrhaft fruchtbar, noch besassen sie eine rich-
tige Einsieht in das Wesen und Leben der Sprache. Namentlich mit
seiner Pathologie oder der Lehre von dem, was die Sprache durch Ab-
fall, Zusatz, Zusammenschiebung erleidet {Tregi naü^wv) hat Herodian lange
Zeit die Forschung auf falsche Bahnen geleitet; die Wissenschaft musste
sich erst wieder von der Autorität der herodianischen Schulweisheit eman-
zipieren, um nicht mehr in dem i von ovdeig oder gar in dem zweiten y
') Einen untergeordneten Vorgftnger hatte 1 nische der Grammatiker Statilins Maxi-
er an Herakleides von Milet, von dem oben | mus, von dessen Schrift De singularibus
I 560 gesprochen ist. ! positis uns Charisins noch zahkeiche Reste
') Das Verzeichnis bei Lbhrs, Herodiani erhalten hat.
scripta tria p. 418 ff., und Lentz, Herod. rell. | ^) Ueber andere Reste bei Theodoretos
I praef. XY sqq. > Philoponos, Sergios siehe unten im letzten
>) Nach dem Muster des Herodian be- 1 Teil der Litteratnrgeschichte.
handelte denselben Gegenstand fürs Latei- |
768
Grieohiaohe Litteraturgeaohiohte. II. KaohklaMisohe Litteratnr.
von Yiyvofiiai einen blossen Pleonasmus zu sehen. Verhängnisvoll war auch
das Unvermögen Herodians, Stamm, Ableitung, Flexion von einander zu
scheiden, wodurch es kommen konnte, dass er nsgl fiov, Xe^. p. 45 D. Ha-
fiTjv für einen Aorist med. hielt und demnach dieses Wort unter die Erlasse
der vereinzelt stehenden Formen aufnahm.
Auo. Lbktz, Herodiani technici reliquiae, Lipe. 1867, 3 vol., wo mit stannenswtttem
Fleisse die Reste gesammelt und zur Rekonstruktion der Lehre des einflussreichen Crelefarten
verwertet sind. — Die Schrift negi fjioyrJQovq Xf^ew? zuerst herausgegeben von Dimdorf,
Gramm, gr. I 1—47, Lips. 1823, von Lshbs, Herodiani scripta tria, Regiom. 1848, Beii. 1857.
— Nachträge zur Ausgabe von Lentz und über die handschriftliche Grundlage veröffent-
lichten Abth. Kopp, Beiträge zur griech. Exzerptenlitteratur S. 121 ff., Hiloabd, Exceipta
ex libris Herodiani technici, Heidelb. 1887 ; Eobnolff Rh. M. 35, 98 ff., Jahresber. d. Alt XII
1, 62 ff.; dieselben sollen in dem grossen Corpus gramm. graec. einen Supplementbaud zur
Ausgabe von Lentz bilden. Von der Schrift des Herodian ne^l oQ^oyga^iai Reste auf elf
Palimpseststreifen des Cod. Tischendokf 2 zu Leipzig, wortlber BIeitzenstbin, Gesch. d. gr.
Etymol. 299 ff. — Die Lehre des Herodian von den na&ri wurde in ihren Grundlinien £t»
rekonstruiert von Lobeck, Pathalogiae graeci sermonis elementa, Eönigsb. 1843.
Von den unechten und zweifelhaften Schriften des Herodian sind herausgegeben der
Philetairos von Pierson-Eoch im Anhang der Ausgabe des Moria p. 412 f. (fto* die Echt-
heit spricht sich aus Reitzenbtein, Gesch. d. Etym. 377); nsgl ^fittQjtjfiiyfoy Xi^Btav von
G. Hesii AKN im Anhang zur Schrift De emendanda ratione graecae grammaticae, und Geahsb
An. Ox. III 246—262 (vgl. Cohw Rh. M. 43, 405 ff.; eine vermehrte Neuausgabe verspricht
das Corpus gramm. gr.); nsgl ßaQßagiCfxov xai coXoixicfiov von Valckbnabk im Anhang
des Ammonius und Crameb, Anecd. Ox. IH 237 — 45 ; die stdrj des Hexameters von Studb-
MUND Jahrb. f. Phil. 1876, S. 609 ff.; naQexßoXal lov fieyaXov ^fiatog von La-Roche, Hom.
Textkrit. p. 114 ff. Ueber die 'EfUfiB^icfioi u. a. s. Lentz I praef. XV sqq.
Metriker.
666. Die Metrik^) hatte sich schon bald nach Aristoxenos, dem
musikkundigen Peripatetiker, als eigene Disziplin von ihrer natürlichen
Mutter, der Musik, losgelöst, ») nicht zu ihrem Vorteil. In den Dienst der
Grammatik trat sie bereits in Alexandria, als Aristophanes und seine Ge-
nossen kritische Ausgaben der Lyriker und Dramatiker besorgten und
dabei auch den Kontroversen über die Versabteilung {xwXofisTQia) nicht
aus dem Wege gehen konnten. Dort in Alexandrien, wenn nicht schon
zum Teil in Attika, ist wohl auch die Mehrzahl der metrischen termini
technici, wie Pentameter, lonikos, Bakcheios, Glykoneion, Phalaikeion u. a.
ausgeprägt worden. Aber einen förmlichen Ausbau fand die Metrik, so-
weit wir nach unseren Quellen urteilen können, erst gegen Anfang der
römischen Kaiserzeit. Bei dem Versuche einer systematischen Anlage
schieden sich gleich im Anfang zwei Richtungen. Die einen legten die
zwei gebräuchlichsten Metra, den daktylischen Hexameter und iambischen
Trimeter, zugrund und suchten von diesen, nach der grammatischen Theorie
der nqmroxvna und naQcivvfia, alle übrigen Versmasse abzuleiten, so dass
sie z. B. durch Zerschneidung des Hexameters in zwei Teile (vofiat) die
Glieder des Pentameter und den Parömiacus entstehen Hessen. Die
andern gingen, indem sie die Theorie der Redeteile auf die Metrik
übertrugen, von der Unterscheidung der hauptsächlichsten Versfüsse aus
und Hessen aus diesen, nicht ohne bedenkliche Künsteleien, sämtliche
u \?^^ Liniamente einer Gescbichte der
?i i°:i~?*^ ßind entworfen von Westphal,
Metok der Griechen, 2. Anfl. (1867) 1 1—232
") Aristoxenos, Harm. 82, 8 Meib. lehrt
noch, dass i; aQfioy^xij, ^ ^v&fd^xtj, ^ ftetQ^t
rj oQyay^xij Teile der Musik seien.
Ba)BOm. Periode Tor Konstantin. 8. Die Prosa, m) Die Orammatik. (§§566—567.) 769
Metra entstehen. Dabei nahmen die einen acht Grundfüsse {nQcozotvna)
an, iambicum, trochaicum, dactylicum, anapaesticum, paeonicum, ionicum
a maiore, ionicum a minore, choriambicum, andere fügten noch einen
neunten hinzu, den Antispast Heliodor, den Proceleusmaticus Philoxenos.
Das erste System, das, bei den Römern wenigstens, vor dem zweiten auf-
tritt, wird durch die lateinischen Metriker Varro und Cäsius Bassus (zur
Zeit Neros) und in der Praxis durch die römischen Dichter Horaz und
Seneca vertreten.^) Dass auch es auf griechische Quelle zurückgeht, ist
bei der durchgängigen Abhängigkeit der Römer von den Griechen kaum
zweifelhaft, aber einen bestimmten Autor unter den Griechen zu ermitteln,
ist bis jetzt noch nicht gelungen.^) Das zweite System steht in Zusammen-
hang mit der Kolometrie der Alexandriner und mit der Vorliebe der alten
Musiker für dipodische Messung; die beiden Metriker aber, aus denen wir
dasselbe kennen, Heliodor und Hephästion, gehören der römischen Eaiserzeit
an. Von diesen hat der erstere, von dem wir bereits oben § 558 gehandelt
haben, ebenso massgebenden Einfluss auf die späteren Metriker der Römer
(Juba, Atilius Fortunatianus, Marius Victorinus) geübt, wie der zweite auf
die späteren Griechen und Byzantiner. Im Original ist uns nur der zweite
erhalten.
567. Hephaistion, alexandrinischer Grammatiker unter den Anto-
ninen, 3) war älterer Zeitgenosse des Athenaios, der ihn p. 673 e als einen
gemeinen Plagiator hinstellt. Ausser anderm verfasste er ein grosses
Werk negi jästqwv in 48 B., von welchem er später mehrere, grössere
und kleinere Auszüge machte. Von diesen ist der kleinste in 1 B. unter
dem Titel iyxsiQidiov tibqI fiäTQODv auf uns gekommen.*) In einfacher,
präziser Sprache sind hier nach zwei einleitenden Kapiteln über Prosodie
die einzelnen Füsse und Verse vom Standpunkt des Grammatikers ohne
Bezugnahme auf die Geltung der Sylben im Gesang behandelt. Angehängt
ist der spezieDen Metrik ein interessantes Schlusskapitel ntgi noiijfiavog
oder über die verschiedenen Arten der poetischen Komposition, in doppelter
Fassung.^) Das metrische Handbuch unseres Hephaistion wm-de geradeso
wie die Grammatik des Dionysios Thrax dem Unterricht in der Schule zu
grund gelegt und infolgedessen vielfach kommentiert. Auf uns gekommen
sind Prolegomena unter dem Namen des Longinos, Reste der Exegesis des
Choiroboskos und anonyme Scholien von verschiedenem Alter und Wert;
^) Wenn z. B. bei Horaz der 1. Fuss
des Asklepiadeus
immer ein Spondeus, nie eine TrochäuB oder
Jambus ist, so rfihrt dieses daher, dass ihm
der 1. Teil jenes Verses eine tofxrj nsydri-
fufdegfjf daxtvXtx'tj ist
*) Leo, Die beiden metrischen Systeme
des Altertums, Herm. 24 (1889) 280 ff. ver-
mutet pergamenischen Ursprung.
*j Capitolinns, vit. Yen 2 bezeichnet den
Hephistion als Lehrer des Yems und Zeit-
genossen des Harpokration. Suidas nennt
unt. ÜToXiuttiog und 'Fjnatpqo^ixog einen He-
pb&9tion als Vater des Ftolemaios Chennos,
es wird dieses vielleicht der Grossvater
unseres Hephästion gewesen sein. Der Vater
unseres Metrikers hiess nachTzBTZBS (Gramer,
An. Ox. III 302) KiXXsqoi, d. i. Celer; siehe
indes Rh. M. 25, 319.
*) Longin, Prol. ad Heph. p. 88, 21 W.:
iaxiov 66 ön nqiotoy inoitjae neQi fiStQwy
fjirf ßißXictf cly varegoy initefiBy aviä sig
iydexttj eira naXiv eig r^ia, etzr( nXioy eis
iy Tovtov roi» iy^etQ^^iov.
^) Die kürzere Fassung wird in den
Scholien nicht berücksichtigt und scheint von
einem späteren Metriker mit kleinen Ab-
änderungen aus der längeren ausgezogen zu
sein.
Handbttoh der klam. AltertmuBwlBsenschaft. Vn. S. Aufl. 49
770
QriechiBohe Litteratargeachiobte. II. KaohkUsBisohe Littaratar.
die älteren des cod. Saibantianus, in denen noch Heliodor und das grössere
Werk des Hephaistion benutzt sind, haben für uns fast mehr Wert als
das Handbuch selbst.
Hephaestionia Alex, enchiridion neQi fAiigtoy xal noififidtmy ed. Gaisford Oxon. 1810,
itenim 1855, 2 tom. — Scriptores metr. gr. ed. Wbstphal in Bibl. Teabn. 1866; der ente
allein erschienene Band enthält den Hephftation mit den Scholien. — Scholia Hephaestionea
altera ed. HoERSCBELHAifK, Dorpat 1882; FetaQyiov xov XoiQoßoaxov i^tjytjtfig ek i6 ror
'Htpaicxiiavog iyxB^QiSiov und Scholia Hephaestionea Ambrosiana ed. Stübemund, An. gr.
38 ff. ; Tractatus Harleianns, wahrscheinlich von Triklinios, neubearbeitet von Studekuhd
im Ind. Vrat. 1887/88.
Verwandten Inhaltes sind der Traktat negi r^s x<Sf no6my oyofduaiag, publiziert von
Kbil, Anal. Ambros. 1848, von Nauck, Lex. Vind. 253—67; Ps. Hbrodiak ober die eStf^des
Hexameters, Studemund Anecd. var. gr. I 185 - 88. Andere Kleinigkeiten von Studbmukd
in Jahrb. f. Phil. 1876 S. 609 ff. und in Anecd. I 211 ff. — Pseudo-Hephaestion De meiziB,
eine Kompilation des 14. Jahrb., herausgegeben von Jaoobsmühlbn, Strassb. 1888, in Disa
Argent. X 187-298.
668. Drakon von Stratonikeia, der vor ApoUonios Dyskolos^) lebte,
hat über grammatische und metrische Dinge geschrieben. Aber keines
der von Suidas aufgezählten Bücher {negl fiävQwv^ negl aaxvQmv^ ne^ %m
n^vittQov fieXm'^ negl twv Santpovg pLätqwv^ neql täv ^Alxaiov fifiMv) ist
auf uns gekommen. Denn die unter seinem Namen im Cod. Paris. 2675
erhaltene Schrift negi luxqwv notrjnxcSv ist eine wertlose Kompilation des
16. Jahrhunderts.*) Eher darf man vermuten, dass die metrischen Scholien
des Pindar in ihrem Grundstock auf Drakon zurückgehen. Ausgabe des
Draco von G. Hermann, Lips. 1812.
569. Aristides Quintilianus, über dessen Lebenszeit uns bestimmte
Angaben fehlen, der aber wahrscheinlich Ende des 3. Jahrhunderts n. Chr.
zur Zeit der Neuplatoniker lebte, 8) ist Verfasser des uns erhaltenen und
von Martianus Capeila teilweise ins Lateinische übersetzten Werkes nf^
^ovcixijg in 3 B. In dem ersten Buch behandelt er, wesentlich auf Aristo-
xenos gestützt, die Lehre von der Harmonik und Rhythmik; es ist der
weitaus wichtigste Teil des Werkes, der über die lyrischen Metra
der Alten ebenso wichtige Aufschlüsse wie schwierige Probleme gibt
Das zweite und dritte Buch sind mehr philosophischer Natur. Das zweite
handelt von dem Einfluss, den die verschiedenen Tonarten und Rhythmen
auf die Sitten der Menschen üben, das dritte von den Beziehungen der
Musikverhältnisse zu den Zahlen und damit nach pythagorischer Auffassung
zum Universum. Das Ganze hat für uns durch die alten Quellen, die uns
über die einseitige Theorie der erhaltenen Metriker hinauf in die Zeit der
Verbindung (ccov (TvfiTiXexovTcov) der Metrik und Rhythmik fuhren, hohe
Bedeutung; der Wert desselben wird nur stark getrübt durch die neu-
platonischen Träumereien, die wesentlich zwar Zuthaten des Aristides
*) Vergl. Apoll, de pron. p. 20b.
*) Ueber die ünechtheit s. Lehrs, Hero-
diani scripta tria p. 402 ff. — Voltz, De
Helia Monacho, Isaaco Monacho, Ps. Dracone
(1886), weist nach, dass das Buch erst nach
1526 fabriziert wurde unter Zugrundelegung
des gleichnamigen Buches von Isaacus Mo-
nachus (ed. Bachmann, An. gr. II 167—196).
Dass der betreffende Codex von Diassorinos,
einem Grenossen des FAlschers PalaiokapiML,
geschrieben ist, beweist L. Cohh, Phil. Abh.
zu Ehren von Hertz 8. 133 ff.
') Caesar, De Aristidis Quint miuieae
scriptoris aetate, Ind. Marb. 1882. Dagegen
wollte ihn Alb. Jahx Ausg. p. XXI il XXXI
der ersten Hälfte des 2. Jahrh. znweiseiL
Wkstphal Metrik P 20 macht ihn zom Frei-
gelassenen des lUietors Qmntilian.
Ba) Rom. Periode Tor Konstantin. 8. Die Prosa, m) Die Grammatik. (§§568—571.) 77 1
selbst sind, zum Teil aber doch auf der alten, bis auf Pythagoras zurück-
reichenden Verquickung von Musik und Philosophie beruhen.
HanptaiiBgabe toh Alb. Jahn 1882; Nachträge aus den Papieren Stademnnds von
AxsBL Breelaner philoL Abh. 13. — Das System klargelegt von Caesar, Die Gmndzttge
der griech. Mythmik im Anscbiluss an Arisbdes, Marburg 1861.
Von sonstigen Büchern über Musik sind auf uns gekommen das rein
theoretische Werk des Ptolemaios über Harmonik, das wir bereits oben
§ 498 besprochen haben, und die dürftigen Einführungen in die Musik
{jeiaayeoyal läxvrfi fjiovatxrjg) von Alypios, Nikomachos, Bakcheios, Dionysios,
Gaudentius aus den letzten Jahrhunderten des Altertums. — Der Zeit vor
Ptolemaios gehört an Didymos nsQi dia(poQäg rijg IIv&ayoQ€(ov iiovatxfjg
nQog zrjv 'Aqiüzo^hVHov^ aus welcher Schrift uns einiges in dem Kommentar
des Porphyrios zur Harmonik des Ptolemaios erhalten ist.
Mbibok, Antiquae musicae auctores Septem, Amstel. 1652; G. v. Jan, Musici scriptores
graeci, 1895 in Bibl. Teubn. — Wsstphal, Die Fragmente der Rhythmiker und die Musik-
reete der Griechen, Anhang zur Metrik der Griechen, 2. Aufl. 1867. Nachtrftge aus spanischen
Bibliotheken von Rübllb, Etudes sur Tancienne musique grecque, Par. 1875. — C. v. Jan,
Die Eisagoge des Bacchius (aus der Zeit Konstantins), Strassburg Programm 1890 u. 1891;
dazn Rh. M. 46, 557-76.
Lexikographen und Attlklsten.
570. Die Anfange der Lexikographie gehen bis auf die ersten Ale-
xandriner zurück.^) Schon Philetas, Zenodot, Lykophron, in grösserem
Stile sodann Aristophanes von Byzanz, Erates von Mallos und ihre Schüler
hatten seltene Ausdrücke der Umgangssprache (yXwaaai) und erklärungs-
bedürftige Lesungen {Xe'^cig) der Autoren zusammengestellt und erläutert.
Umfassende Lexika aber brachten erst die ersten Zeiten der römischen
Periode, aus der wir die Arbeiten des Didymos, Tryphon, Pamphilos an
ihrer Stelle bereits erwähnt haben. Jenen Wörtersammlungen waren Unter-
suchungen über den Ursprung (to hvfiov) der einzelnen Wörter zur Seite
getreten, welche die Stoiker Chrysipp und Apollodor angeregt und unter
den Grammatikern vornehmlich Philoxenos weiter verfolgt hatten. Die
lexikalischen und etymologischen Werke der älteren Zeit sind, von einigen
Speziallexicis abgesehen, nicht auf uns gekommen; aber auf den verloren
gegangenen grösseren Werken beruhen die Lexika, welche auf unsere Zeit
sich gerettet haben. Von ihnen fallen die meisten in die letzte Periode
der alten Litteratur; hier werde ich nur die lexikalischen Werke des 2.
und 3. Jahrhunderts zusammenstellen.
571. Die Attikisten.«) Attische Wörter, d. i. solche, welche bei
attischen Autoren in Gebrauch waren, hatten schon ältere Grammatiker,
wie Philemon der Athener, 5) Ister der Kaliimacheer, Aristophanes und
Krates, später im Beginne der Kaiserzeit die Pergamener Demetrios Ixion
^) Mbibr, Opusc. ir 10 ff., wo noch
weiter zurückgegangen wird auf Demokritos'
TTc^ yXüHfaituv und ovofAaanxow imd auf das
oyofiaisxiTtoy des Gorgias.
*) Meibk, De lexicis rhetoricis, Opusc.
II 30 ff. u. 62 ff.
•) Die 'Jtrixtti X^^eis des Philemon wer-
den öfter von Athenaios citiert; derselbe
lebte sicher vor Tryphon, der ihn bei Am-
monios unt. novtjQog citiert; dass er der Sjeit
vor Arlstarch angehört, erweist Rob. Weber,
De Philemone Atheniensi glossographo , in
Gomm. Ribbeck. 441—50; ein anderer Phi-
lemon, Verfasser von avfAfJUxra, lebte zwi-
schen Alexander Cotyaeus und Porphvrius;
tlber einen dritten untergeschobenen s. g 634.
49»
772 Qiieohisohe Lüteratargesohiohte. IL Haohkbuwviolie Litteratnr.
und Alexander Polyhistor, sowie der Rhetor Gäcilius Calactinus zusammen-
gestellt. Diese Sammlungen erhielten aber erhöhte Bedeutung im Zeit-
alter der Sophisten/) als man alle Ehre darein setzte, rein attisch zn
schreiben {ätTtxiCfn'), und auf diejenigen, welche sich Wörter und Formen
der Yulgärsprache erlaubten, verächtlich als auf Halbbarbaren herabsah.
Diesem stilistischen Zwecke soUten auch die lexikalischen Arbeiten der
Attikisten dienen, in welchen die attischen Formen den vulgaren {iXXrjviatiy
xoiv(og elQTjfihva) gegenübergestellt und zum ausschliesslichen Gebrauch em-
pfohlen wurden. Rhetorische Lexika hiessen daher auch die bereits oben
§ 562 erwähnten Hauptwerke dieser Art, die des Aelius Dionysius und
Pausanias. Ähnlicher Art waren zahlreiche Schriften aus der Blütezeit
der Sophistik im 2. Jahrhundert, wie von Eirenaios nsQi 'Atvixiafiov, ne^
^Äitixiav ovoficerwv, negl ^Attixtjc avvrj&€{ag r^$ iv Xä^et xal JiQoatpdi^,*) von
Julius Vestinus, Geheimschreiber Hadrians, ixXoyfj orofidrcov ix rwv
Jfjfioa&ävovg Oovxvdidov *Iaaiov ^laoxQorovg xal &Qacviiaxoi\ von Valerius
Pollio avvaywyij ^Aixixwv Xt^iwv^'^) von Valerius Diodorus, einem Sohne
des Pollio, ^riiLviisva nagd toTg i ^rjTOQCiv^*) von Telephos dem Perga-
mener^) negi awra^stog Xoyov Uvtixov, Auf uns gekommen sind ausser
den Wörterbüchern des Harpokration und PoUux die Xä^fig Uruxai des
Moiris, der anonyme 'AvtaTtixiatijg, und die Auszüge aus Phrynichos.
Das Hauptwerk des letzteren, den Suidas einen Sophisten aus Bithynien
nennt, war die ao^fiatixr; naQaaxsvrj (grammatisches Rüstzeug für die So-
phistik) in 36 oder 72 B., mit einer an den Kaiser Gommodus gerichteten
Widmungsepistel. ^) Als Hauptmuster für den Attikismus galten dem Phry-
nichos Piaton, Demosthenes und der Sokratiker Aischines; neben einzelnen
Wörtern fanden auch ganze Phrasen (xo^ifiara xal xdXa) in seinem Werke
Berücksichtigung. Auf uns gekommen sind nur dürftige Auszüge: ^x tw
^Qvvi'xov Tov *AQQaßiov Trjg ao^iavixrjg naqaaxsvf^g. Gegen seine Auf-
stellungen polemisierte der Grammatiker Oros, der in der Weise des uns
erhaltenen ^AriaxtiTuatifi manches, was jener beanstandet hatte, durch gute
Autoren belegte.
Moeris com notis variorom ed. Pierson, LB. 1759, denuo ed. Koch, lipe. 1830, mit
dem Philetairos des Ps. Herodian im Anhang; rec. lux. Bekkkb, Berol. 1833, mit Harpo-
kration. — Pfaiynichus cum notis variorom ed. Lobbck 1820 mit einem auf den gansen
Attikismus eingehenden Kommentar; The new Phrynichos with introdoctions and commen-
tary by Ruthebfobd, Lond. 1881. — üeber die attikistischen Schriften unter dem Namen
^) Dionysios Halik. in der Zeit des Au- ■ Jolianus erwShnt Photios cod. 150; s. Ed.
gustus bezeichnet noch nicht die Reinheit ' Mbisr, Opusc. II 149 f. Ein Brochstilck der
des Ausdrucks mit «xtixi^t^v, die Pedanterie . Zr^tovfieya des Diodor publizierte Mellbb,
des Attikismos auch in der Auswahl der | M^langes p. 1 — 74.
Wörter kommt erst mit Herodes Atticus auf; j ^) Ueber diesen Telephos, der ein sehr
s. W. Schmidt, Der Atticismus in seinen fruchtbarer Schriftsteller auf dem Gebiet der
Hauptvertretem, Stuttg. 1887, I 10. [ Grammatik und Poljhistorie war, haben^ wir
*) üeber diesen Eirenaios oder Minucius
Pacatus handelt Haupt, Opusc. II 434—440,
wo auch die Fragmente gesammelt sind;
ebenda p. 435 über Vestinus.
') Von Pollio ausserdem ein Buch nsQi
ri/c Kitjüiov xXort^g und TtBQi iijg 'Hgodorov
xioTiiji bei Euseb. pr. ev. X 3, 24.
*) Lexika des Philoetratos, Diodoros, { B. plante.
einen inhaltreichen Artikel des Suidas. Frag-
mente bei MüLLKB FHG III 634 f. Vielleicht
steht der Name des Telephos auch bei De-
metrios negi sQfiijyeiag c. 149 in dem koi^
rupten nagd TrjXsfjiäxio.
*) Darüber Photios cod. 158, wonach
Phrynichos ein Werk von 2 x 37 (conr. 86)
Ba)E5m. Periode Tor Konstantin. 9. Die Prosa, m) Die arammatik. (§§572—573.) 773
des Herodian ns^i ^fAaqxrjfji^viav XiUfov und ^tXittaQoq^ die aus der späteren Eaiserzeit
stammen, s. § 565. — In dem Corpus gramm. graec. sollten die Attikisten mit neuen Hilfs-
mitteln bearbeitet werden von R. Scholl und L. Gomr. Ueber die Ueberlieferung des Aus-
zugs des Phrynichos und die Hilfsmittel einer neuen Ausgabe handelt mein inzwischen ver-
storbener KoÜege SoHÖLL, Ueber die ixXoyrj des Atticisten Phrynichos, Sitzb. d. b. Ak. 1894
Bd. H S. 493-540.
572. Harpokration, mit dem Gentilnamen Valerius, aus Alexandria
wird von Suidas als Verfasser der uns noch erhaltenen ^e'^stg twv iäxa
^rjTOQwv angeführt.^) Das Buch enthält sorgfältige, für unsere Kenntnis
des attischen Gerichtswesens äusserst wichtige Besprechungen von Eigen-
namen und erklärungsbedürftigen Ausdrücken der zehn attischen Redner.
Zur Erläuterung sind von der älteren Litteratur die Periegeten und At-
thidenschreiber herangezogen ; von jüngeren Gelehrten ist besonders Didy-
mos ausgebeutet, daneben auch der Rhetor Dionysios von Halikarnass und
der Lexikograph Dionysios, des Tryphon Sohn. Das werden aber auch
die jüngsten Gelehrten sein, die Harpokration benutzte, da es zweifelhaft
ist, ob der unter axij citierte Nikanor mit dem berühmten Grammatiker
Nikanor Stigmatias identisch ist. Die Zeit des Verfassers unseres Lexi-
kons hat Suidas anzugeben unterlassen; vermutlich ist er der gleiche Har-
pokration, den Capitolinus, vit. Veri 2, als Lehrer des Antoninus Verus
im Griechischen angibt.')
üeberliefert ist das Lexikon in zwei Recensionen, einer vollständigeren nnd einer
abgekfirzten; aber auch die erstere enth< nur einen verstümmelten Text, wie neuerdings
ans der volleren Fassung der einschlägigen Artikel in dem Speziallexikon zu Demosthenes
Aristocratea erkannt wurde; s. Herm. 17, 148 ff. — Hauptausgabe mit den Noten der
Froheren von 6. Dindorf, Oxon. 1853, 2 vol.; kritische Textausgabe von Ihm. Bekkeb,
BerL 1833. — Boysen, De Harpocrationis fontibus, Kiel 1876. — Von Harpokration ist ab-
hängig das Lexicon rhetoricum Gantabrigiense bei Nauck, Lex. Yindob. p. 329 — 58.
678. Julius PoUux (IloXvdsvxrjc) aus Naukratis in. Ägypten,')
Schüler des Rhetors Adrianos, war wie Phrynichos ein Mittelding zwischen
Qrammatiker und Sophist. Durch die Gunst des Kaisers Gommodus erhielt
er den Lehrstuhl der Sophistik in Athen, den er bis zu seinem im 58.
Lebensjahre erfolgten Tod inne hatte. Aber in das Ansehen eines tüch-
tigen Stilisten wusste er sich bei den Kennern nicht zu setzen. So wenig-
stens spricht sich Philostratos, vit. soph. 11 12 aus; schlimmer noch geht
mit ihm Lukian um, der ihn im Sophistenlehrer zur Zielscheibe bittersten
Spottes gemacht hat.^) Ausser mehreren andern von Suidas aufgezählten
Schriften schrieb er das uns noch erhaltene "Ovof^iaaxixov in zehn Büchern,
von denen jedes mit einem Brief an den Kaiser Gommodus eingeleitet ist.
Das Lexikon ist nach Kategorien geordnet und befolgt auch innerhalb der
einzelnen Kategorien nicht die alphabetische Ordnung. Beabsichtigt ist
von dem Verfasser zunächst, seinen Lesern Verzeichnisse der attischen
Namen für die einzelnen Gegenstände zu geben; Belegstellen und Zeug-
nisse sind nur teilweise und in verschiedenem Umfang beigegeben. Am
>) Snidas erwähnt noch 3 andere Männer I ') Mbibr, Opusc. II 147 ff. setzt den
Namens Harpokration; der unsere heisst 1 Harpokration auf Grund der Citate in die
^io>g, und steht, was wegen der Zeit zu | Zeit des Tiberius.
beachten ist, an letzter Stelle. Sein Namens- ') C. F. Ranke, Pollux et Lucianus,
Terwandter Aelius Haipokration hatte eine Quedlinburg 1831.
T^/Kf; ^o^utij geschrieben, die Rh. gr. I ^) Siehe oben § 538.
428, 18; 440, 4; 447, 20; 459, 5 Sp. citiert wird.
774 Grieohidohe Lütoratnrgesohiohto. II. NftohklaMisobe litteratar.
interessantesten sind das vierte und achte Buch, von welchen das erstere
von den Wissenschaften und Künsten, und im Anschluss daran vom Theater,
den Masken, musikalischen Instrumenten handelt, das letztere die Behörden
und die Gerichte Attikas aufzählt. Selbst gesammelt hat PoUux die Namen
nicht und noch weniger die Belegstellen; er hat auch in den einzelnen
Büchern nicht dieselben Hilfsmittel benutzt, wie er selber sagt, dass er
erst bei dem neunten Buch das Onomastiken des Sophisten Gorgias zu
Rate gezogen habe. Seine Quellen waren in erster Linie die grossen lexi-
kalischen Vorarbeiten des Didymos, Tryphon, Pamphilos, Suetonius;*) im
zweiten Buch hat er sich speziell an die uns in der Hauptsache noch er-
haltene Schrift des Arztes Rufus nsgi ovofAaütag tSv tov av&^nov fioQimv
angelehnt. Das nützliche Werk ist leider nur im Auszug erhalten, wobei
namentlich viele Belegstellen weggefallen sind.
Hauptausgabe mit den Noten der Frfliieren von Dimdobf, Lips. 1824, 5 vol.; ex rec.
Imx. Bbkkeri, Berl. 1846. — üeber den Apparat einer neuen kritischen Ausgabe erstattet
vorlftufigen Bericht Bethb, Nachr. d. GOtt. Ges. 1895 S. 322 ff. — Rohdb, De Pollnds in
apparatu scaenico enarrando fontibus. Ups. 1870; Stoientin, De lulii Pollucis in pablicis
Atheniensiam antiquitatibus enarrandis anctoritate, Vratial. 1875; R. Michaelis, De lulii
Pollucis studiis Xenophonteis, Halle 1877 ; Ed. Zabuke, Symbolae ad Julii Pollucis tractatiim
de partibus corporis humani, Lips. 1885.
Dem Pollux wollte der französische Oelehrte Boucherie auch das
griechisch-lateinische Lexikon, 'EQfjt^rjrevfiaTa, zuschreiben, welches ehedem
unter dem Namen des Magister Dositheus umlief, weil es in einigen Hand-
schriften mit der lateinischen Gramimatik des Dositheus verbunden ist. In
der That gehört dasselbe, wie Erumbacher nachgewiesen hat, weder dem
einen, noch dem anderen an, sondern einem Anonymus, der im Beginne
des 3. Jahrhunderts für die Römer, welche Griechisch, und die Oriechen,
welche Latein lernen wollten, ein bequemes Gesprächswörterbuch in 3 B.
zusammenstellte, von welchen drei Büchern das dritte, welches Wörter
des alltägigen Gesprächs {negi dfiiXiag xad^rjfisQivfjg) enthält, auf uns ge-
kommen ist. Dasselbe ist für unsere Kenntnis der Yulgärsprache jener
Zeit nicht ohne Bedeutung; auch über das Privatleben in Schule, Gericht,
Bad, Essen, gibt es interessante Aufschlüsse. Im Mittelalter stark ver-
breitet, hat es vielfache Interpolationen und Umarbeitungen erfahren, so
dass die erhaltenen Handschriften in mehrere, erheblich abweichende Stämme
auseinander gehen.
Hanptausg.: Hermeneumata Psendodositheana ed. Gobtz, in Corpus glossariomni latinomm
vol. UI, Lips. 1892. — CoUoquinm Pseudodositheanum Monacense mit Erläuterungen von
Kbumbachbr in Abhdl. zu Ehren Christa 1891 p. 807 ff.; zuvor Erumbachbr, De codicibus
quibus Inierpretamenta Psendodositheana nobis tradita sint, Monachii 1883. — Ehedem waren
nur einzelne Proben des Büchleins veröffentlicht von Boüchbrib, Notices et extraits, t. XXII
p. 329— 477; Haupt, Opusc. II 508-520. — In dem 1888 erschienenen ersten Bande des
Corpus gloss. lai von Goetz mehrere andere glossae latino-graecae und idiomata L e. WOrter,
deren Geschlecht im Lateinischen und Griechischen verschieden ist, worüber vergleiche
Charisius Inst, gramm. 1. IV de idiomatibus. — Ein neues CoUoquium scholicum Harleiannm
von Götz im [nd. Jen. 1892.
Hingewiesen sei hier auch noch auf die Zusammenstellung von 'Eni&era Jios, 'JnoX-
Xatvog^ üoceidwyogy "jQSOSy Jtovvirov, 'H<paictoVy *EQfiov, 'A&tjyagy '*B^a(, 'Jfp^ditijSy Jfjfitjr^af,
'AQjifAiSog, welche Stüdemund, Anecd. gr. I 264 sqq. ediert hat, und die Yoces anima^lhiwi.
^) Insbesondere gehen die Artikel über I "EXktiaf, nai&iioy, worüber G. Böhm, De eot-
die Spiele zurück auf Sueton ne^l rwy nag' \ tabo, Bonn. I>is8. 1898 p. 8—8.
B a) BOmkohe Periode vor Konataiitin. 8. Die Proea. m) Die Grammatik. (§ 574.) 775
wovon Proben bei Stuobhund, Anecd. gr. I 102-6, reichere Mitteilungen von Bancalari,
Snl trattato greco de vocibns animaliiiTn, Stud. italiani di fil. class. I 75 ff. mit Nachtrag von
Fb8Ta ebenda m 496.
Pardmlographen und Mjthographen.
574. Sprichwörtersammlungen. Die griechische Sprache hatte
eine grosse Fülle schöner Sprichwörter (nagoifitai), von denen die ältesten
in metrische Form gekleidet waren, alle aber von dem Witz und der
scharfen Beobachtungsgabe des Volkes zeugten. Ihre Erklärung gehörte
natürlich mit zur Aufgabe der Grammatiker und führte früh zu Samm-
lupgen von Sprichwörtern. Von Didymos haben wir schon oben § 443
eine solche Sammlung in 13 B. kennen gelernt; aber er war nicht der
erste, der sich mit diesem Oegenstande abgab. Schon von Aristoteles wird
im Verzeichnis seiner Schriften ein Buch nsgi nagoipiSv angeführt, und
der Isokrateer Eephisodoros macht bei Athen. 60 d dem Philosophen geradezu
einen Vorwurf aus dieser kleinlichen Beschäftigung. Dem Vorgang des
Meisters waren dann der Peripatetiker Klearchos und der Stoiker Chrysippos
mit ähnlichen Arbeiten gefolgt. Auch die älteren Grammatiker und Peri-
egeten hatten sich dieses Gebiet der Forschung nicht entgehen lassen.
Demon der Atthidenschreiber, Aristophanes von Byzanz, Aristides von Milet,
besonders aber Lukillos aus dem kretischen Tarra hatten sich durch ihre
Schriften über Sprichwörter einen Namen gemacht. In der Zeit der Sophisten
erlangten diese Sammlungen eine erhöhte praktische Bedeutung dadurch,
dass die Schriftsteller in der Verwendung von Sprichwörtern ähnlich wie
in der von Figuren einen auszeichnenden Schmuck der Rede suchten. Be-
kannt ist, wie häufig der begabteste Schriftsteller der Sophistik, Lukian,
seine Rede durch geschickte Einlage von Sprichwörtern belebt. 0
Aus dieser Zeit nun stammen auch die Sammlungen der uns erhal-
tenen Parömiographen. Die vollständigste ist die des Sophisten Zenobios,
der zu Rom in der Zeit des Hadrian lehrte und von dem Suidas ausser
der Sprichwörtersammlung auch eine griechische Übersetzung des Sallust
und eine Geburtstagsrede auf Hadrian anführt. Jene Sammlung wird von
Suidas als eine innofirj xwv naQoifimr Jidvfiov xal Taggahv iv ßißXioig
/ bezeichnet. Es ist uns also auch hier nur ein Auszug der gelehrteren
Werke der älteren Zeit erhalten, und Schneidewin hat in der Präfatio
seiner Ausgabe p. XIV sqq. gezeigt, wie uns hie und da in den Schollen
des Piaton noch die gelehrten Ausführungen der kurzen Angaben des
Zenobios vorliegen. Die Sprichwörter dieses unseres Zenobios wurden im
Mittelalter zu Schulzwecken in eine alphabetische Ordnung gebracht und
mit zwei anderen Sammlungen zu einem Corpus paroemiographorum ver-
einigt. Nach dem Vorschlag des Erasmus Hess dann Schott an die Stelle
der alten Ordnung nach Büchern die Zählung nach Centurien treten, welche
Zählung noch in der Ausgabe von Leutsch-Schneidewin beibehalten ist.
Erst in unserer Zeit ist es mit Hilfe des Cod. Athens gelungen, die Samm-
lung wieder in ihre drei Elemente zu zerlegen. Den Grundstock und den
ersten Teil bilden die drei Bücher des Zenobios. Der zweite Bestandteil
') Jacobitz in seiner Ausgabe Lukians t. IV 328 f.
776 Qrieohiaohe Litteraturgesohiohte. II. Nachklassisoha Litteratiir,
trägt die Überschrift nlovxaQxov naqoinim^ afg ^AXe^avÖQfTg ixq&%no (131
Nummern); diese zweite Sammlung geht auf den Grammatiker Seleukos
zurück, der nach Suidas neq] rwv naQ* 'Ale^avdQsifffi naQoifiiwv geschrieben
hatte; wie Plutarch dazu kam, Vaterstelle fQr dieselbe zu vertreten, ist
noch nicht aufgeklärt. Die dritte, alphabetisch geordnete und reichhaltigere
Sammlung entstammt dem Sprichwörterlexikon eines anonymen Rbetors;
von Diogenian, dem berühmten Lexikographen, scheint sie nicht direkt
herzukommen, wiewohl in den Mischhandschriften die eine Rezension den
Titel trägt: naqoiniat irjfioiSing ex rrjg /tioysviavov avvay(oyr^g. Die Samm-
lungen von Gregorios von Kypern (13. Jahrhundert), Makarios, Chrysoke-
phalos und Apostolios (15. Jahrhundert) sind auf Grund der alten Samm-
lungen im Mittelalter zusammengestellt worden und haben keinen selb-
ständigen Wert.
Die Codices gehen in zwei Familien auseinander, von denen die ältere (cod. Athoos
8. Xni; Lanrent. 80, 13; Escorialensis 1 I 20) die Teile gesondert enthält, die jüngere die-
selben zu einem Gemisch zusammengeworfen hat.
Ausgaben: Paroemiographi graeci ed. Gaisfobd, Oxon. 1836; ed. y, Lbütsoh et
ScHNBiDEWiN, Gott. 1839. Eine neue Ausgabe auf Grundlage der älteren Handschriitenklasse
erwarten wir von O. Crusius; vorläufig orientieren Grüsius, Analecta critica ad paroemiogr.
graec, Lips. 1883; über die griech. Proömiographen, in 37. Phüol.Vers. zu Dessau 8. 217 ff.;
zur handschriftlichen Ueberlieferung, Kritik u. Quellenkunde der ParOmiographen, mit Zu-
sätzen von CoHN Philol. Suppl. 6, 201 ff.; Hotop, De Eustathii proverbüs, im Jhrfo. f. PbüoL
Suppl. XYI 249—814; wozu ergänzend Kdrtz, Die Sprichwörter bei Eustathios, Philol. SuppL
6, 307 ff.; Krumbaoher, Byz. Lit.* 600 ff.
575. Die Mythographen. Eine Hauptaufgabe der Grammatiker
im Altertum bildete die Erklärung der Mythen. Nach dieser Richtung
bewegten sich die Inhaltsangaben {vriod-äceig) der einzelnen Dichtungswerke,
die Zusammenstellungen der von den Dramatikern behandelten Stoffe, die
Zyklen {xvxXoi) der epischen Sagen. Die hreher gehörigen Arbeiten des
Aristophanes von Byzanz, des Asklepiades von Tragilos und der Kyklo-
graphen Dionysios und Lysimachos gehören noch der vorausgehenden
Periode an und sind deshalb schon oben an ihrer Stelle besprochen worden.
Mit grosser Belesenheit hatte insbesondere der Kyklograph Dionysios
Skytobrachion die Sagenvarianten bei den alten Autoren, Dichtern und
Logographen, zusammengestellt, indem er dabei das ganze weite Gebiet
der griechischen Göttermythen und Heroensagen umspannte. Lysimachos
hatte sich speziell mit dem reichen Sagenkreis Thebens und mit den Kosten
oder den wunderbar ausgesponnenen Sagen von der Heimkehr der troisehen
Helden beschäftigt. — Zu einer pragmatischen Deutung der Mythen hatte
Euhemeros, der Freund des makedonischen Königs Kassander, den An-
stoss gegeben; in seine Fusstapfen war dann Palaiphatos in der oben
§ 393 besprochenen Schrift getreten. Später gewann durch den Einfluss
der Stoa die allegorische Auslegung, gestützt auf bodenlose Etymologien,
Eingang und ward speziell für Homer zur Zeit des Augustus in ein förm-
liches System gebracht, i) Wie in anderen Zweigen der Litteratur, so
sind auch hier die älteren und bedeutenderen Werke verloren gegangen;
erhalten haben sich die für den Schulgebrauch bestimmten Kompendien.')
^) DiBLs, Doxogr. gr. p. 88 sqq. 1 fach mit den Paradoxographi, von denen wir
*) Die Mythographi berühren sich viel- | bereits oben § 530 gehandelt haben.
Ba)BOm. Periode TorKonstantiii. 8. Die Prosa, m) Die Grammatik. (§§575—576.) 777
Mythographi graeci ed. Wbstbbmakv, Braonschweig 1844. — Mythographi graeci ed.
Wagnbb-Sakolowski-Martiki in Bibl. Teabn.; von dem, was bis jetzt erschienen, enthftlt
YoL I ApoUodori bibliotheca und Job. Pediasimi (13. Jahrb.) llbellus de duodecim Herculis
kboribns, vol. I[ 1 Parthenios und AntoninDS Liberalis. — Ed. Schwartz, De Dionysio
Seytobrachione, Bonn 1880; De scholiis Homericis ad historiam fabularem pertinentibns,
Jhrb. f. Phil. Suppl. XII. — Radkb, De Lysimacho Alexandrino, Argentorati 1893.
576. Apollodors Bibliothek enthält in summarischem Überblick die
Mythen von der Herkunft der Götter und die Abstammungssagen der Ge-
schlechter des Deukalion, Inachos, Pelasgos, Atlas, Asopos; am Schluss
stehen die attischen Geschlechtssagen, in deren Aufzählung das Buch
mittendrin abbricht. Der Patriarch Photios cod. 186 hatte noch ein voll-
ständigeres Exemplar, in dem die Sagen bis auf die Heimkehr des Odysseus
herabgefQhrt waren. Aus einem solchen vollständigen Exemplar ist die
von Wagner aus dem Cod. Vatic. 950 ans Licht gezogene Epitome (des
Tzetzes) geflossen, durch die wir jetzt auch über Inhalt und Anordnung
des verloren gegangenen letzten Teiles der Bibliothek unterrichtet sind.
Der ganze Tenor des Buches, dessen Titel offenbar dem des Diodor nach-
gebildet ist, zeigt, dass dasselbe für den Schulgebrauch bestimmt war,^)
und dazu hat die bequeme übersichtliche Anordnung in alter und neuer
Zeit gute Dienste geleistet. Auf die Originalquellen und die Abweichungen
der Mythen bei den verschiedenen Dichtern geht dasselbe wenig ein. An-
geblich will der Verfasser für sein Büchlein die alten Werke des Akusi-
laos, Pherekydes, Asklepiades benutzt haben; thatsächlich ist dasselbe nur
ein Auszug, allerdings ein sehr geschickt angelegter Auszug aus einem
mythologischen Handbuch des 1. Jahrh. v. Chr., welches auch Diodor,
Pseudo-Hygin und Proklos benutzt haben. Als Verfasser des Buches wird
in den Handschriften und bei Photios der gelehrte Grammatiker ApoUodor
von Athen genannt. Aber dagegen spricht das Buch selbst, da in dem-
selben II 3, 1 die Chronika des Eastor citiert sind, der unter Pompeius,
fast ein Jahrhundert nach dem berühmten Chronographen Apollodor, lebte.
Man hat deshalb an einen Auszug aus den echten Werken des Apollodor,
besonders aus seinem umfangreichen Werke über die Götter gedacht.^)
Damit lässt sich aber schwer der Umstand vereinigen, dass viele Angaben
von den echten Fragmenten des Apollodor abweichen und nicht zu dessen
Stellung als Aristarcheer stimmen. Was die mutmassliche Abfassungszeit
des Büchleins anbelangt, so muss man mit derselben jedenfalls unter
Kastor und Diodor herabgehen; wahrscheinlich ist dasselbe erst unter
Hadrian oder Alexander Severus entstanden, wo eine grosse Vorliebe für
die altepische Poesie herrschte und der Glaube an die Heroensage von
oben herab begünstigt wurde.
*) Der Scholiast des Sophokles hat daher
zu den Trachinierinnen, wozn ihm keine alte
Hypothesis von Anstophanes oder Salustius
zo Gebote stand, das betreffende Kapitel aus
Apollodor dem Stück vorgesetzt. Besonders
aasgebeatet wurde unsere Bibliothek von
Tzetzes im Kommentar zu Lykophron. Wie
beliebt aber das Handbuch war und wie sehr
es infolgedessen die filteren Originalwerke
verdrSngte, zeigen die anonymen Disticha bei
Photios bibl. p. 142^:
AUavog anBiQYjfJL«, aq)vacdfi6yos an* ifABio
nai^tlrjq juiv^ovg yytS&t naXatyey^ag '
fÄi]d* ig 'OfjifjqBirjv asXld* e/ußkene fiijd^ iXe-
ysirjv,
f4tj TQttytxijy Movaav /nrjd^ fAeXoyqtttplrjv^
f4tj xvxXlioy ^i^TU noXvd-Qovy cxlxov ' Big i/4^
evQijaeig iy ifÄol ndvxP oaa xoc/nog exet.
^) Clavibr in Ausg. 1805; Welckeb,
Ep. Cycl. I 83 ff.
778
GrieohiBohe litteratiirgesohiohte. IL ll>chkU«ti«oh» Littentiir.
ApoUodori bibliotheca rec. Hbthb, Gott. 1782; ed. IT, 1808; ed. WBSTKBKABif mit
kritiBchem Apparat in Mjthogr. gr. p. 1 — 128; besser jetzt von Waohsr in Mythogr. gr.
vol. I, Lips. 1894. Früher veröffentlicht waren die jetzt in die nene Ausgabe anfgenommeneo
Epitoma Vaticana ApoUodori bibllothecae, ed. Wagitbb, Lips. 1891, und Fragmenta Sabbai-
tica von Papadopülos Kbrambus Rh. M. 46 (1891) 161 ff. -> Robbst, De ApoUodori biblio-
theca, Berl. 1873. — Ueber den mit ApoUodor nahe verwandten Epischen Kyklos siehe
unten § 637.
577. Herakleitos und ein Anonymus nsgi aniattov spinnen den
von Palaipbatos in dem bereits oben § 393 besprocbenen Buche m^i
am'isvfov begonnenen Faden der Mythendeutung weiter; hie und da wird
auch in Gegensatz zu jenem eine andere Deutung versucht. So deutet
Palaipbatos c. 21 die SkyUa auf ein tyrrhenisches Piratenschiff mit Namen
Skylla, Herakleitos c. 2 aber auf eine schöne Hetäre, die mit ihren Para-
siten die Habe der Fremden verschlungen habe. Ausserdem blickt aus
den Deutungen des Heraklit der Stoiker heraus, der ähnlich wie Cornutufi
mit ethischen und physikalischen AUegorien das Dunkel der MythenbUdung
zu erleuchten versucht. Auf Homer hat Heraklit das Kunststück allego-
rischer Deutung angewandt in den ^OfirjQixai dXltjyoQimA) Denn beide
Schriften, die homerischen AUegorien und das Buch über die Wunder-
dinge, tragen ein und dasselbe Gepräge, und ohne alle Berechtigung wurden
ehedem nach dem Vorgänge Gesners die Allegorien dem Philosophen Hera-
kleides zugeschrieben. Bestimmte Angaben, wann jener HerakUt gelebt
habe, fehlen; nach dem ganzen Charakter seiner Schriften setzt man ihn
in die Zeit des Augustus.
578. Antoninus Liberalis aus der Zeit der Antonine ist Verfasser
einer Sammlung von 41 Verwandlungen (ßszafioQgxoccwv (xvvayfayij), die
zumeist auf den ^EtcQo^ovfieva des Nikander und der ^Ogn&oyovia der ale-
xandrinischen Dichterin Boio fiisst.*) — Mit derselben verwandt und wohl
auch um dieselbe Zeit entstanden sind die dem Eratosthenes fälschlich
zugeschriebenen KaTatrteQKTjioiy welche von den unter die Sterne versetzten
Sterblichen handeln.*) — Nur durch den Auszug des Photios cod. 186
kennen wir die mythischen Erzählungen (50) eines gewissen Konon, der
in der Zeit Cäsars lebte und dem gelehrten Könige Archelaos von Eappa-
dokien sein Werk widmete. Über den Hauptaufschneider Ptolemaios
Chennos und seine Neue Geschichte {xaivt; latoqia) haben wir bereits oben
§ 559 gehandelt.
Antoninus Liberalis MerttfAOQtptüoeaty cvyaywyij auf handschriftlicher Grundlage
herausgegeben von Martini in Myth. gr. vol. II, 1896.
>) Siehe oben § 48.
') üeber die Quellen der Verwandlungs-
fabeln kl&ren uns die Scholien auf, welche
selbst wieder nach dem Scholion zu fab. 28
aus Pamphilus schöpften; s. Eüo. Odbb, De
Antonino Liberali, Bonn. Diss. 1886, p. 42 ff.,
mit einer Nachvergleichung des Palat 398.
*) Siehe oben § 429.
Bb) Bömisolie Periode naoh Konstantin, t Allgemeine Charakteristik. (§§577^579.) 779
B. Römische Periode
b)von Konstantin bis Justinian.
1. Allgemeine Charakteristik.
679. Die Regierung des Kaisers Konstantin (324 — 337) ^) bezeichnet
für die griechische Litteraturgeschichte einen wichtigen Einschnitt in
mehrfacher Beziehung. Nachdem in der Mitte des 3. Jahrhunderts (256
bis 267) wiederholt die griechischen Städte des eigentlichen Hellas und
der Küsten des schwarzen Meeres von barbarischen Horden greulich ge-
plündert und verwüstet worden waren, ward durch Konstantin der Schwer-
punkt der römischen Macht nach Osten verlegt und Konstantinopel an der
Stelle von Rom zur kaiserlichen Residenz erhoben (330). Die Neugründung
der altgriechischen, im Läufe der Zeit herabgekommenen Kolonie Byzanz
und die Ausschmückung der neuen Hauptstadt {xaivi^ ^Poii^irj) mit allem
Glänze des Reichtums und der Kunst war schon an und für sich von weit-
tragender Bedeutung. Damit entstand im Norden Griechenlands an der
Schwelle zweier Weltteile ein neuer Brennpunkt griechischer Kultur. War
unter Alexander und in den nächstfolgenden Jahrhunderten hellenische
Sprache nach Osten, Süden und Westen getragen worden, so ward nun
das Zentrum des auf griechischer Bildung und römischer Tapferkeit be-
ruhenden Reiches nach Nordosten verlegt. Die Folgen davon für den
Gang der Geschichte und Kultur traten erst in dem byzantinischen Mittel-
alter in ihrem ganzen umfange hervor, indem von Konstantinopel aus die
griechisch-katholische Kirche und in ihrem Gefolge die griechische Schrift
und byzantinische Kunst sich über den Norden, Serbien, Bulgarien und
Russland, verbreiteten. Aber auch schon in den letzten Jahrhunderten
des Altertums machte sich der Einfluss der Neugründung von Konstanti-
nopel geltend. Die neue Stadt ward selbstverständlich mit reichen Hilfs-
mitteln der Kunst und Wissenschaft ausgestattet. An neuen Kunstwerken
zwar wurde nur weniges hervorgebracht; die Neuschöpfungen bestanden
wesentlich nur in dem, was auch ohne den göttlichen Funken des Genies
mit den Mitteln einer entwickelten Technik geleistet werden konnte, in
der Erbauung von Palästen, Marktplätzen, Bädern.^) Zur Ausschmückung
der Gebäude mit Statuen und Bildsäulen mussten nach dem schlimmen
Beispiel, das einst Rom gegeben hatte, die alten Stätten der Kunst her-
halten. Was man da alles zusammenbrachte, kann insbesondere die Be-
schreibung des Gymnasiums des Zeuxippos von Christodoros im zweiten
Buch der palatinischen Anthologie lehren. Näher berührte das litterarische
Leben die Gründung von Bibliotheken und Lehranstalten. Kaiser Julian
') BuBCKHARDT, Die Zeit Konstantins des
Grossen, 2. Aufl., Leipz. 1880.
>) Wie sehr die gestaltende Kraft der
Kunst zurQckgegangen war, ersieht man be-
sonders aus den Münzen, die nach Gallien
ein zunehmend sich verschlechterndes, zu-
letzt halbbarbarisches Gepräge zeigen, worüber
OsK. Hey, Zum Zerfall der römischen Mttnz-
tjrpik, in Abhandl. zu Ehren von Christ S.
42—52.
780 GriechUohe LitteratiirgMohiohU. II. HaohklaaBÜiohe Litieratnr.
errichtete in der Eönigsballe eine Bibliothek, f&r deren Vermehrung durch
neue Abschriften Kaiser Valens Sorge trug.^) Die Gründung und Dotation
einer hohen Schule Hess sich schon Konstantin angelegen sein; nähere
Bestimmungen über die ökumenische, d. i. üniversallehranstalt, traf die
Verfügung des Theodosius II (425),') wonach an derselben fünf griechische
und drei lateinische Rhetoren, zehn griechische und zehn lateinische Gram-
matiker, ein Philosoph und zwei Juristen als Lehrer angestellt wurden.
Natürlich konnte eine so reichausgestattete Stadt schon an und für sich
nicht bedeutungslos für die griechische Litteratur sein; aber wichtiger
wurde ihr Einfluss dadurch, dass sie zugleich die Hauptstadt eines grossen
Reiches war und den Ton für die ganze hellenistische Welt abgab.
580. Konstantin hatte nur den Sitz der Reichsregierung von Rom
nach K^nstantinopel verlegt; das ungeheure, die verschiedensten Länder
umfassende Reich sollte damit nicht in seiner Einheit aufgehoben werden.
Aber die natürlichen Verhältnisse waren mächtiger als der Wille des Ein-
zelnen: noch ehe Theodosius I das weite Reich unter seine beiden Söhne
Honorius und Arkadius teilte und dem Arkadius die östliche Hälfte des-
selben zuwies (395), war mit der Gründung von Konstantinopel die Tren-
nung der beiden Reichshälften und die Schaffung eines eigenen Ostreichs
angebahnt worden. Das bedeutete gewissermassen einen neuen heUenisti-
schen Nationalstaat, in welchem die griechische Sprache die herrschende
war und wo am Hof und in den Provinzen in griechischer Sprache ver-
handelt wurde. In die Kanzleien und Gerichtshöfe war allerdings eine
Masse lateinischer Ausdrücke, wie aaxsXXccQiogy xofxrjc^ ßQ^ß^^, xcJdtxfc,
xttXdvdai^ aus dem alten römischen Reiche eingewandert; auch behauptete
sich auf den Münzen die lateinische Titulatur, und wurde in den Schulen
Konstantinopels neben der griechischen Grammatik regelmässig auch die
lateinische gelehrt;*) aber in der Litteratur und im Verkehr der Gebil-
deten bewährte von neuem die griechische Sprache ihre alte Kraft, indem
sie teils durch Neubildungen, teils durch Umstempelung altgriechischer
Ausdrücke das Eindringen der fremden Elemente bemeisterte. Die Kaiser
und die Mehrzahl der Generäle und Minister redeten, wenn sie auch in
der ersten Zeit noch dem thatkräftigeren Geschlechte der R^mer ent-
nommen zu werden pflegten, doch alle griechisch und befleissigten sich
mit Eifer und Ostentation griechischer Bildung. Der Kaiser Julian nahm
geradezu eine hervorragende Stelle unter den griechischen Schriftstellern
ein; aber auch die andern Kaiser begünstigten griechische Lehrer und
Gelehrte, und nicht bloss der Philosoph Themistios sah oft den Kaiser und
») Zosimos 111 11, 5; Cod. Theodos. XIV
9 2.
•) Cod. Theodos. XIV 9, 3. Schlossbb,
Universit&ten, Studierende und Professoren
der Griechen zu Jub'ans und Theodosius Zeit,
in Archiv f. Gesch. I 217--72; Usenbb, De
Stephane Alexandrino, Bonn 1880 p. 3 ff.
') Seit Augustus schon waren wichtige
Gesetze und kaiserliche Erlasse in den zwei
Sprachen veröffentlicht worden; so existieren
inschriftlich der Bericht des Augustus von
seinen Thaten und das Dekret des Diokletian
von den Kaufpreisen in griechiacher und
lateinischer Sprache. Auf den Mflnsen blieb
auch noch lange nach Konstantin die latei-
nische Titulatur die massgebende, üeber die
Verbreitung des Lateinischen im Orient Über-
haupt und den Einfluss der römischen Rechts-
schulen s. BüDiNszKT, Die AuBbreitong der
lat. Sprache Aber Italien und die IVoyiiiien
des römischen Reichs, Berl. 1881 & 2S4 £
Bb) ROmiBohe Periode nach Konstantin. 1. Allgemeine Charakteristik. (§580.) 781
kaiserliche Prinzen unter seinen Zuhörern, auch der Grammatiker Orion
wurde in seinen Vorträgen von der Kaiserin Eudokia mit ihrer Anwesen-
heit beehrt. So bekam denn auch der nie verleugnete Stolz der Griechen
auf ihre nationale Bildung neue Nahrung; er drückt sich bei dem Rhetor
Himerios in den selbstbewussten Sätzen aus: "EXXriveg nqineQov fih' roig
oTiXoigj vvvi rf* äQ€TticTg navtag viKmav (or. V 10) und fiäyiaTOv xai xdXXi-
axQV idiv v(p' TjXiov To T<Sv ^EkXijvcov yävog nemarevrai (or. XV 31).
So belebten sich von neuem im oströmischen Reich die alten Bildungs-
stätten der Griechen und wurden zu den alten neue gegründet.^) Vor
allem behauptete Athen seine bewährte Anziehungskraft und erhob sich
im 4. und 5. Jahrhundert zum Hauptsitz der neuaufblähenden Sophistik.
Hier fanden am wenigsten und spätesten die Ideen des Christentums Ein-
gang, so dass noch bis in die Zeit des Justinian hinein griechische Philo-
sophie und Sophistik in der Eephissosstadt eine feste Stätte hatten. Auch
der Einfall des Gotenkönigs Alarich, durch den das übrige Griechenland
und namentlich der Peloponnes so schrecklich heimgesucht wurde, war
an Athen ziemlich gnädig vorüber gegangen (395—7): die Stadt ward
zwar eingenommen, blieb aber vor Plünderung und Zerstörung verschont.^)
— Nach Athen behauptete den nächsten Rang Alexandria, das über-
haupt . unter den Städten des römischen Reichs eine bevorzugte Stellung
einnahm,^) insbesondere aber in unserer Periode wieder mächtiger her-
vortrat und gegen Ende des Altertums sogar an produktiver Kraft alle
andern Städte übertraf. Hier schlug die neuplatonische Philosophie
tiefe Wurzeln, fand das Epos und der Roman hervorragende Pflege, und
hoben sich im Gefolge der Philosophie wieder die mathematischen und
astronomischen Disziplinen.^) Einen Stoss erlitt das heidnische Alexandria
durch den Untergang der Bibliothek (391), als der Serapistempel auf Be-
fehl des Kaisers Theodosius zerstört wurde; den vollständigen Niedergang
bezeichnet die rohe Ermordung der Philosophin Hypatia durch den vom
fanatischen Bischof Kyrillos aufgehetzten Pöbel in den Strassen der Stadt
(415).^) — Unter den Städten Asiens nahm den ersten Platz die alte Haupt-
stadt des Seleukidenreichs Antiochia ein, die schon in der ersten Kaiser-
zeit durch ihre Bauten, industrielle Betriebsamkeit und vielseitigen Handels-
verbindungen mit dem inneren Asien zur grossen Blüte gekommen war,^)
in unserer Periode aber auch als Sitz einer angesehenen Rhetorenschule
grosse Bedeutung in der Litteratur erlangte, bis durch den Fanatismus
^) Bernhardt, Innere Gesch. d. griech. I Aegyptisches Testament v. J. 189 n. Chr.,
Litt 555«:; .1. B. Büry, A history of the , Stzb. d. Berl. Ak. 1894 S. 47 ff.; vgl. oben
later Roman empire, London 1889, t. 1 S.
816—30.
*) Näheres bei Greoobotius, Geschichte
der Stadt Athen im Mittelalter, Stuttg. 1889,
Bd. I S. 29 ff.
') üeber die selbständige Verwaltung
Aegyptens, sein Finanz- und Beamtenwesen
klärten in letzter Zeit besonders die Papyri
auf; B. Hartbl, Ein griech. Papyrus aus dem
Jahr 487, Wien. Stud. V 1 ff.; Mommsen
§ 343. — Die Bevölkerungszahl Alexandrias
betrug nach Mommsen, Rom. Gesch. V 582
in der Eaiserzeit 300,000 freie Einwohner.
*j Menander in Rhet. gr. III 360 Sp.:
hl &i xai yvy tovg 'jXs^ay&Qeag ini yQOf^~
fiaTixp yeojfÄST^iif xai (ftXoaotpitf fAsyiaroy
tpQoy^aM (paaiy.
'^) MoMMSBN, Rom. Gesch. V 456 ff.
*) RicH. Förster, Antiochia am Orontes,
Jahrb. d. Archäologie 1897 S. 103—149.
782
Grieohiaohe LitteraturgMohiohte. II. HaohkltMisohe Littoratvr.
des Jovianus im Jahre 363 die Bibliothek ihren Untergang fand^) und
das geistige Leben der Stadt zertreten wurde. — Ausserdem zeichneten
sich als Bildungsstätten in Asien aus: Berytos, das eine berühmte Rechts-
schule hatte; Nikomedia in Bithynien, das im 4. Jahrhundert grosse
Rhetoren an sich zog und zugleich hervorbrachte; Cäsarea in Eappa-
dokien, das ein Hauptsitz der Grammatik und Rhetorik im 4. und 5. Jahr-
hundert war; Ankyra in der Landschaft Galatien, die ihren keltischen
Charakter auszog und sich griechische Rhetoren und Philosophen bestellte;')
Gaza in Palästina, wohin sich von Alexandria aus die schönen Künste
verbreiteten. 3) Von den alten Glanzstätten Vorderasiens hatte Smyma
durch wiederholte Erdbeben und Ephesos durch den Gotenbrand von 262
so sehr gelitten, dass sie in unserer Periode keine Rolle mehr spielten.
581. Immer massgebenderen Einfluss aber gewann die Hauptstadt
des Ostreiches, Eonstantinopel selbst. Dieser Einfluss war indess, wenn
er auch der griechischen Sprache und der formalen Seite der Litteratur,
der Vervollkommnung des Stils und der Verskunst, zu gute kam, doch im
Grund genommen dem Geiste des echten alten Hellenentums eher nach-
teilig als förderlich. Das war er in zweifacher Beziehung, dadurch, dass
er eine abhängige Hoflitteratur hervorrief, und dadurch, dass er die Ver-
breitung der christlichen Religion und Litteratur begünstigte. D^r ver-
rufene Byzantinismus, der kein freies Wort aufkommen Hess und in
einem pedantischen Zeremoniell die freie Bewegung der Geister erstickte,
kam zwar erst im Mittelalter zur vollen Herrschaft, ward aber bereits
durch die Reichs- und Hofordnung des Konstantin mit ihrer eitlen Titel-
sucht und ihrer pedantischen Etikette vorbereitet.^) Das Christentum aber
war schon durch den Übertritt des Kaisers Konstantin zur bevorzugten
Stellung gegenüber dem Hellenismus erhoben worden. Der aus dem Juden-
tum ererbte Geist der Unduldsamkeit und Exklusivität sorgte dafür, dass
aus der bevorzugten Stellung bald eine herrschende und ausschliesslich
herrschende wurde. Die Reaktion des Kaisers Julianus Apostata (361 bis
363) hielt den Gang der Dinge nicht auf; von seinen unmittelbaren Nach-
folgern wurde um so eifriger der heidnische Kultus zurückgedrängt; unter
Theodosius erfolgte die vollständige Schliessung oder Vernichtung der
heidnischen Tempel (391),^) die fanatische Zerstörung des Serapeums in
Alexandria (391) und bald nachher auch des Mameums in Gaza (401).^)
Erlass gegen die Astrologen und Harospieee^
Cod. Theod. IX 16, 1 n. Cod. Justin. IX 18, 3.
Schon vor 391 war im Jahre 354 die Schlie»>
sang aller Tempel (Cod. Inst I 11, 1) und
im Jahre 357 die YerpOnnng der Orakelbe-
fragung (Cod. lost IX 18, 5) durch kaiaer-
liehe blasse angeordnet worden. Auch die
olympischen Spiele wurden 393 durch Theo-
dosius aufgehoben. Nftheres bei Lasaulx,
Der Untergang des Hellenismus und die Ein-
ziehung seiner Tempelgüter durch die christ-
lichen Kaiser, Manchen 1854.
*) Nachricht darüber in Marci Diaconi
Tita Porphyrii episcopi Gasensia ed. M. Haupt,
Berl. 1874.
^) Suidas unt. 'loßtavog,
>) MoMMSsN, Rom. Gesch. V^ 314.
') Eil. Sbitz, Die Schule von Gaza, Hei-
delberg 1892 Dissert; Demosthenes Rüssos,
Tq^U Ta^aloi. IvfißoXai elg rrjy latogiay xijq
(pikoXoyiug xwv ra^aitav, Eonstantinopel 1893.
^) Aus ihr datiert die Unnatur der An-
rede in 3. Person, die leider unsere deutsche
Sprache aus jener Quelle herübergenommen
und sich so zu eigen gemacht hat, dass sie
schwer wieder auszutreiben sein wird.
^) Cod. Theod. XVI 10, 10 u. 12; Zosim.
IV 33, 8. - Das erste Edikt, ein Toleranz-
edikt, wurde erlassen im Jahre 313; s. Euseb.
bist. eccl. X 5 und Lactantius, De mort
persec. 48; darauf folgte im Jahre 319 der
Bb) BOmiaohe Periode nach Constanim. d. Die Poesie. (§§ 581—583.) 783
Damit verschwanden freilich noch nicht die Leute, welche dem christlichen
Gottesdienste fem blieben und in Schrift und Rede die altgriechischen
Anschauungen vertraten. *) Aber die Ermordung der Hypatia zeigte, wie
wenig der kirchliche Fanatismus auch nur die stille Freiheit des Geistes
zu dulden gewillt war. Nur in Athen erhielten sich noch länger die grie-
chischen Philosophen- und Rhetorenschulen. Aber auch diesen setzte der
Kaiser Justinian ein Ende, indem er dieselben durch kaiserlichen Befehl
aufhob (529)*) und die letzten sieben Philosophen, Damaskios, Diogenes,
Hermeias, Eulalios, Isidoros, E^scian, Simplicius, zur Auswanderung an
den Hof des Perserkönigs Eosroes nötigte. Mit Justinian schliessen wir
daher auch unsere Periode und damit zugleich die altgriechische Litteratur-
geschichte.
582. Die Litteratur unserer Periode trägt den Charakter einer Über-
gangszeit: Der Hellenismus stirbt allmählich ab und flackert nur in einigen
kräftigeren Erscheinungen nochmals auf; das Christentum beginnt, nach-
dem es zuerst durch die sittliche Macht einer reineren und edleren Lehre
die Herzen der Völker erobert hatte, nunmehr auch durch korrekte Werke
der Prosa und Dichtung in die Litteratur einzudringen. Von einer ab-
sterbenden Litteratur ist nicht viel zu erwarten; gleichwohl hat unter den
oben entwickelten Umständen die sophistische Beredsamkeit und die Kunst
der Yersifikation nochmals einen erfreulichen Aufschwung genommen. Die
historische Litteratur hat nichts Bedeutendes hervorgebracht; hingegen
errang die griechische Philosophie teils in dem Streben der Verschmelzung
verschiedenartiger Lebensanschauungen, teils in dem Widerstand gegen
die neue Macht des Christentums nochmals eine achtunggebietende Stellung.
In der Grammatik und in den verschiedenen Zweigen des exakten Wissens
war es das vasa coUigere, was die Gelehrten vor dem Abzüge beschäftigte:
von Selbständigkeit der Forschung und Klarheit der Auffassung ist nicht
mehr die Rede; die Gedankenlosigkeit der Kompilation und die Magerkeit
der Auszüge beherrschen die gelehrte Litteratur. Im Gegensatz zur inneren
Geringwertigkeit steht die Zahl der erhaltenen Schriften, da hier wie überall
die neuesten und gangbarsten Bücher sich am meisten in die nächstfolgende
Zeit vererbten.
2. Die Poesie.
688. Von der Poesie unserer Periode gilt der Vers der Anthologie
XU 178 Svofievog yäq ofiwg rjXiog iauv ^xi, Waren in der Blütezeit der
Sophistik die Musen fast ganz verstummt, so erwachte gegen Ende des
Altertums nochmals ein regeres Leben in den Musenhainen. Mit Glück
versuchten sich heidnische und christliche Dichter in den verschiedenen
Formen des antiken Versmasses, und standen auch der Glätte des Verses
*) Vgl. VoLKMAiro, Synesins S. 11.
>) loann. Malalas XVllI 451 ed. Bonn.
Ueber die Zweifel, ob ein direkt gegen die
Akademie Athens gerichteter Erlass ergangen
aei, 8. Gregoroyius, Gesch. Athens I 55 f.
Dass es übrigens unter Jostinian noch viele
Anhänger des Heidentums gab und dass sich
Justinian nicht scheute, durch Mord Anders-
gläubiger die kirchliche Einheit herbeizu-
führen, berichtet Prokop arc. bist. 84, 3.
Siehe auch Gelzer in Knimbacher Byz. Lit*
939.
784
Grieohisohe LüterAturgeschiolite. II. HAohklMMisohe Litteratiir.
und der Gewandtheit des sprachlichen Ausdrucks nicht gleich hohe Vor-
züge des Inhaltes zur Seite, so fehlte es doch auch nicht ganz an geist-
reichem Witz und schöpferischer Kraft der Phantasie. Der abgestorbene
Körper des Dramas konnte freilich nicht mehr zu neuem Leben elektri-
siert werden, aber auf dem Gebiete des Epigramms und anakreontischen
Spieles herrschte frisches Leben, insbesondere aber im Epos wurde Neues
und Namhaftes geleistet. Vorzüglich in Ägypten trieb noch nach Jahr-
hunderten der von den alexandrinischen Dichtern ausgestreute Samen
frische Sprossen ; von dort verpflanzte sich gegen Ende des Altertums die
Liebe zum poetischen Spiel auch an den glänzenden Hof des Kaisers
Justinian.
Ausser den erhaltenen, einzeln zu besprechenden Epen Bruchstücke bei DDbtzbb,
Fragmente der epischen Poesie II 107 ff. — Nur durch gelegentliche Anführungen sind uns
einige panegyrische Epiker bekannt: Eallistos, der die Ruhmesthaten des Kaisers Julian
besang (Nicephorus, Hisi eccl. VI 34), Eusebios und Ammonios, welche den Goten-
fOhrer Gainas zum Helden ihrer Gedichte machten (Socrates, Hist. eccl. VI 6; Jacobs Antfa.
XIII 841; Oros in Et. M. unt. Mifioyjog), Ghristodoros, der in seinen sechs Rhapsodien
'laavQixd den Kaiser Anastasios verherrlichte und in Versen nach dem Vorbild des Apol-
lonios die Geschichte (ta ndtQitt) von Konstantinopel, Thessalonike, Nakle, Milet, Tralies,
Aphrodisias (Suidas) besang.
684. Quintus Smyrnäus ist Verfasser des uns erhaltenen Epos
Ta fx€x^' "^OfurjQov in 14 B. Über seine Person erfahren wir aus unseren
litterarhistorischen Quellen nichts,^) so dass wir einzig auf seine eigenen
Angaben und auf Schliisse aus dem Charakter seiner Poesie angewiesen
sind. Es erzählt aber derselbe Xu 310, dass er ehedem zu Smyrna beim
Tempel der Artemis die Schafe gehütet und in früher Jugend, noch ehe
ihm der Bart sprosste, vom armen Hirten zum Dichter sich emporge-
schwungen habe. Über die Zeit, in der er lebte, gestattet der Versbau
nur den allgemeinen Schluss, dass seine Blüte vor Nonnos fiel, da sich
bei ihm noch nicht die charakteristischen Eigentümlichkeiten der Verse
des Nonnos finden, welche für die daktylischen Dichter nach Nonnos fest-
stehende Norm wurden. Der Beiname Calaber, den man unserem Dichter
zu geben pflegt, bezieht sich darauf, dass die einzige Handschrift des-
selben in Calabrien, und zwar vom Kardinal Bessarion im Jahre 1450 ge-
funden wurde.*) Das Epos des Quintus sollte die damals veralteten Werke
des epischen Kyklos ersetzen;*) diesen Ursprung sieht man dem Gedicht
auch äusserlich an, da es aus vier Teilen gewissermassen zusanunen-
geschmiedet ist. Die fünf ersten Gesänge geben den Inhalt der Aithiopis
wieder; die Bücher 6—8 sind gleichsam eine kleine Dias, in welcher Eury-
*) Ein Epigramm der Anth. VI 230 trftgt
den Namen (juintos.
*) Eitel Phantasterei ist der Versuch des
Italieners Ignarra, in dem ^etog 'jlXxißiddrjg
dydgwy iJQvJwy xoo/aijkoq einer in Neapel
gefondenen Inschrift CIG 5815 unseren Quin
tus wiederzufinden und dann denselben nach
dem Schriftcharakter jener Inschrift in die
Zeit des Kaisers Philippus zu setzen; siehe
KöcHLY, Proleg. p. VII.
*) Ob dem Quintus Smymaeus noch die
alten Gedichte des epischen Kyklos selbst
vorlagen, ist zweifelhaft Kemptzow, De
Quinti Smymaei fontibus et mythopoeia, Kiel
1891; NoAOK in der Besprechung jener Dis-
sertation in Gott. Gel. Anz. 1892 N. 20,
Baumstark, Phiiol. 55, 284 ff. suchen za er-
weisen, dass dem Quintus nur Ezcerpte der
Troika vorlagen, ähnlich denjenigen, die uns
durch Proklos und Apollodor erhalten sind.
Auf Nachahmung des Originale hingegen
führt die Vergleichung von Quintus U 404
und Pind. N. VI 150, worauf ich in der Note
zu Pindar aufitnerksam machte.
Bb) ROmisohe Periode naoh Konstantin. 2. Die Poesie. (§§ 584—585.) 785
pylos, der Sohn des Mysierkönigs Telephos, die Rolle des Hektor, Neopto-
lemos die des Achill spielt; die Bücher 9 u. 10 bilden dazu ein schwaches
Nachspiel, in welchem der aus Lemnos herbeigeholte Philoktet die Führer-
rolle spielt und den Anstifter des Streites, Paris, überwindet; die Bücher
11 — 14 endlich erzählen den schliesslichen Fall der Priamosveste, die bei
der Einnahme der Stadt verübten Greuel der Achäer und den Schiffbruch
der heimkehrenden Sieger bei den gyraischen Felsen. Auf solche Weise
entbehrt das Werk des einheitlichen Mittelpunktes, indem die Erzählung,
wenn sie bereits auf dem Höhepunkt angelangt zu sein scheint, in dem
nächsten Gesang wieder von vorne anhebt. Auf der anderen Seite aber
erfreut dasselbe durch anschauliche Schilderungen, Einfachheit der Er-
zählung und schöne Gleichnisse. Die letzteren lassen den ehemaligen
Hirten erkennen, der mit der Natur Eleinasiens zusammengelebt und ihre
gewaltigen Konvulsionen in Erdbeben (EI 64) und Bergstürzen (I 696,
XI 396) gesehen hatte. Auch ein frommer Dichter ist Quintus, der an-
stössige Scenen meidet und mit seinem, fast möchte man glauben, für die
Jugend bestimmten Gedicht nicht bloss unterhalten, sondern auch zu
Tugend und Edelmut erziehen will. Er erinnert in dieser Beziehung an
Yergil, dessen Aeneis er offenbar kannte,^) wenn er auch von ihr eben-
sogut wie von Homer in Einzelheiten abwich.^) Die Sprache hat manches
Eigentümliche, das den Spätling erkennen lässt, wie die Verbindung von
ä^sXov mit dem Indikativ des Aorist, den Gebrauch von Mxno^ev für
Tio&sv, von h'x^€v für iv&a, die Zweiwertigkeit des Vokals vor muta cum
liquida u. a.
Der Cod. archetypas, den Bessarion bei Otranto in Galabrien gefunden hatte, ist ver-
loren gegangen; wir Bind daher auf dessen Abschriften oder Abschriften von Abschriften
angewiesen. — Ausgabe von Rhodonannus, Hannov. 1604; rec. Ttchsen, Argent. 1807; rec.
prolegg. et adnott. crit. instr. Eöcblt, Lips. 1850; edit. minor in Bibl. Teubn. — Erläuterungs-
wogramme von Stbuve, Petersb. 1843 und Kasan 1846, 1850. — Sainte Bevve, Oeuvr. t. I,
Etudes sur Yirgüe suivie d'une ötude sur Quintus Smymaeus.
585. Nonnos aus Panopolis in Ägypten^) ist der begabteste Dichter
unserer Periode, der eine neue Richtung des Epos schuf, welche von
Ägypten ausging und in der Üppigkeit der Phantasie den orientalischen
Ursprung nicht verleugnete.'*) Über die Lebensverhältnisse unseres Dich-
ters sind wir vollständig im unklaren; ein Epigramm der Anthologie IX
198 meldet von ihm nur:
Novvog iyd. Jlavog fi^v efxiij noXig, iv (Puqitj d^
Myxs'i (pcovifjsvti yora^ rjfjir](fa FiyccvTcov.^)
Die Vermutung Weicherts, dass er identisch sei mit dem Nonnos, dessen
Sohne Synesios ep. 43 ein Empfehlungsschreiben ausstellt, ist unsicher.
Aus seinen eigenen Dichtungen ersehen wir, dass er als Heide geboren
war und erst in späteren Lebensjahren zum Christentum übertrat. Ausser-
*) Die Benützung des Vergil wird von ' Dichter, Petersburg 1817.
EdcBLY bezweifelt in ed. min. XIII sq. Stark
benutzt sind die Argonautika des ApoUonios,
worftber Ebxptzow a. 0.
*) Vgl. die Beschreibung des Schildes
des Achill V 7—101.
*) OüWAROPF, Nonnos von Panopolis der
^) Eunapios p. 493: xtCv AiyvntLoiv to
ed-yos inl noirjrixß fAkv CfpoSqa fAalvovxaf,,
6 cT^ anovdatoi 'Eq/htjs avjdiv anoxsxfoQtjxey.
^) Der Name Nonnos ist ägyptisch und
bedeutet ,rein, heilig"; er ist verwandt mit
unserem -Nonne*.
Handbach der Uim. Altertnmswtaenacbaft. Vn. 8. Attfl. 50
786
Grieohisohe LitieratnrgMohiohte. ü. HAohklMsisohe Lüteratiir.
dem macht die Zeit seiner Nachahmer und nachgeahmten Vorbilder es
wahrscheinlich, dass er selbst am Schlüsse des 4. Jahrhunderts lebte. ^)
Das grosse Epos, das seinen Namen verewigt hat, sind die Jiovüaiaxa in
48 Gesängen, also in so vielen, als die Ilias und Odyssee zusanmien haben.
Dasselbe hat zum Gegenstand die phantastische Mythe vom Zuge des
Gottes Dionysos gegen Indien, die selbst sich aus dem Sagenreichen Zuge
des Königs Alexander gegen Indien und der beliebten Vergleichung des
J^önigs mit Dionysos und seiner Feinde mit Giganten entwickelt hatte.*)
Schon vor Nonnos hatte unter Diokletian der Dichter Soterichos jenen
Zug des Bakchos in vier Büchern besungen. In den Hauptmythus hat
aber unser Dichter so viele andere Mythen eingeflochten, dass dem Werke
die unser Interesse auf einen Punkt hinleitende Einheit vollständig ab-
geht. Nicht bloss gehen dem Beginne des Zugs zwölf Gesänge voraus,
sondern schliesst auch die Erzählung nicht mit der Besiegung des Königs
der Inder Deriades ab, sondern folgt dann noch eine lange, auf alle mög-
lichen Abenteuer abschweifende Schilderung des Rückzugs. Von Homers
unübertroffener Kunst hat er eben, wie er selbst 25, 8 andeutet, bloss
das eine herübergenommen, dass er von den sieben Jahren des Krieges
nur das letzte behandelt; im übrigen aber hatten für ihn Aristoteles und
Horaz umsonst geschrieben. Selbst die Einheit der Person hat er bei
seiner überschwenglichen Phantasie nicht zu wahren vermocht: er beginnt
ab ovo, oder vielmehr ab ovo ovi mit der Entführung der Europe durch
den in einen Stier verwandelten Zeus, um auf langen Umwegen im achten
Gesang auf die Geburt des Dionysos zu kommen, und nimmt auch im
weiteren Verlauf jede Gelegenheit beim Schopf, um irgend eine Fabel aus
der Götter- oder Heroenwelt in sein Gewebe einzuflechten.^) Wie leicht
er es dabei nimmt, zeigt besonders der 38. Gesang, wo die Erwähnung
einer Sonnenfinsternis dem Dichter ausreicht, um den ganzen Phaethon-
mythos in aller Breite zu erzählen. Sein Gedicht ist so in der That ge-
worden, was es im Eingang verspricht, ein notMkov siSog, in welchem fast
alle Verwandlungsgeschichten der alexandrinischen Dichter ihre Stelle
fanden. Von selbst drängt sich dabei jedem die Vergleichung mit Ovids
Metamorphosen auf, aber der geschmackvolle römische Dichter hatte sich
vor der Verkehrtheit gehütet, alle diese Einzelerzählungen in den Rahmen
einer einzigen Handlung zu spannen. Dieselbe Grenzenlosigkeit der Phan-
tasie lässt unseren Dichter auch sonst nirgends das richtige Mass finden,
so dass die plastische Klarheit und Wahrheit, die wir als hervorragend-
sten Zug der klassischen Poesie der Griechen preisen, diesem ägyptischen
Spätling des hellenischen Epos ganz und gar abgeht. In den Schlachten-
bildern setzt er sich leichthin über die Grenzen des Ortes, der Zeit und
namentlich der menschlichen Kraft hinweg; alles geht ins Groteske und
Übernatürliche, so dass der junge Gott im Mutterleibe tanzt (8, 27), der
1) Lüdwich Rh. M. 42, 233 ff. weist
nach, dass Nonnos Verse des Gregor von
Nazianz nachgeahmt hat und demnach nicht
vor 390 gedichtet haben kann.
^) Fr. Koepp, De Gigantomachiae in
poeseos artisque monumentis usu, Bonn Diss.
1883.
*) Manche Episoden sind erst spftter ein-
gelegt; 8. ScHEiNDLBR, Wien. Stad. II 43 ff.
Bb) Römische Periode nach Konatantin. 2. Die Poesie. (§ 585.)
787
Eithairon Thränen vergisst (5, 357), der Atlas den Himmel im Kreise
dreht (13, 359). Dabei überbietet er sich selbst mit immer neuen Aus-
schmückungen, wie wenn er bei der Schilderung der Sintflut (6, 229 flf.)
kein Ende in der Ausmalung der Umkehr der natürlichen Vorgänge findet
und bis ins Endlose sich in der Gegenüberstellung ähnlicher Situationen
und Personen gefallt. *) Auf solche Weise will dem Dichter trotz des un-
erschöpflichen Reichtums seiner Einbildungskraft doch nur selten eine
wirklich hübsche Erzählung oder Schilderung gelingen; sie gelingt ihm
am ehesten, wenn er sich eng an seine Vorgänger unter den alexandrini-
schen Dichtern hält, wie in der Mythe von Ikarios und Erigone (47, 1
bis 264),^) oder wenn er mit veränderten Namen eine homerische Situation
wiedergibt, wie im 40. Gesang, wo die Erzählung vom Entscheidungskampf
des Dionysos und Deriades den Gesang von Hektors Fall zum Muster hat»)
Ganz im Gegensatz zu dieser Masslosigkeit der Phantasie steht die
bis zur Einförmigkeit gesteigerte Strenge der metrischen Form unseres
Dichters. Derselbe hat sich mit feinem Wohllautsgefühl eine eigene, dem
dionysischen Rausche des Inhalts entsprechende Form des daktylischen
Hexameters ausgedacht, die wesentlich darin besteht, dass nirgends in
demselben Eolon zwei Spondeen aufeinanderfolgen, dass die Hexameter
regelmässig einen Einschnitt nach dem Trochäus des dritten Fusses (To.arJ
TQoxMxj^) haben, dass der Hiatus, selbst der legitime in der Arsis, fast ganz
vermieden und auch die Elision in sehr enge Grenzen gewiesen ist. Durch
diesen Bau der Füsse und die aus der volkstümlichen Poesie herüber-
genommene Vorliebe für Einklang des Vers- und Wortaccentes in der
vorletzten Verssilbe ^) bekommt der Vers einen einschmeichelnden Fluss,
dessen Zauber nur die ermüdende Wiederholung derselben Form Eintrag
thut. An einer ähnlichen Eintönigkeit leidet auch der sprachliche Aus-
druck: Nonnos hat die Sprache wie keiner der nachklassischen Dichter in
seiner Gewalt; er wagt kühn neue Bildungen und Wendungen, aber
namentlich am Versschluss wiederholen sich zu oft die gleichen Phrasen,
wie a%*Tvya xoa/iov, avTvya fxa^wv, xvxXa nqoifoinüov^ xvxXa xeXev&tßV^ xvxka
fiield^QdoVy xvxka xahvtAv^ und Lieblingsausdrücke, wie ivdaXiia^ tfTTiv&rjga^
dAjyr?;^, dsdovrfto kehren jeden Augenblick wieder. Aber trotz aller Mängel
bleibt doch richtig, dass Nonnos ein Dichter von wirklichem Talent, voll
Feuer und Schöpfungskraft war, der das Zarte und Liebliche der bukoli-
>) Vgl. 25, 31 ff.; 47, 500 ff.; 25, 136 ff.;
47, 49 ff.
*) Bentttzungen alexandrinischer Vor-
bilder in 16, 257 ff. u. 17, 42 ff. weist Maass,
Herrn. 24, 522 ff. nach. Ueber die Quellen
der Fabeln des Nonnos überhaupt R. Eöhleb,
Ueber die Dionysiaka des Nonnus, Halle 1853.
*) Nach Homer, II. 23, sind anch die
Leichenspiele des Nonnos im Gesang 37 ge-
dichtet, indem sich dabei unser Autor weit
sklavischer als Quintus Smymaeus IV 180 —
595 an Homer hftlt ohne Berücksichtigung
der inzwischen erfolgten Äendemng der Spiele.
^) Ueber die metrischen Giiindsätze des
Nonnos s. G. Hermann ad Orphica p. 690 ff.,
Lud WICH, Beitr. zur Ejitik des Nonnos, Kö-
nigsberg 1873, und in Rossbachs Griech.
Metr.' 55 ff., Scheindlbr, Quaestiones Non-
nianae, Brunae 1878. Dass die Betonung
auf der vorletzten Verssilbe sich schon auf
Inschriften des 2. u. 3. Jahrh. durchgeführt
findet uud dass dieses mit dem Charakter
der volkstümlichen Poesie zusammenhängt,
beweist Deutsghhann, De poesis Graecorum
rhythmicae primordiis p. 7 ff. Nonnus und
seine Schule hat sich aber nur auf die Ver-
pönung von Proparoxytona im Versschluss
beschränkt.
50*
788 Qrieohisohe LitteratiirgeBohiohte. ü. NAohklaesisohe Lüteratur.
sehen Genremalerei, sowie die halb frivolen, halb sentimentalen Schilde-
rungen der Erotiker auf den Boden der epischen Poesie verpflanzt hat.
Ausser den Dionysiaka hat Nonnos nach dem eingangs erwähnten
Epigramm auch noch eine Gigantomachie geschrieben. Von dieser hat sich
nichts erhalten, ebenso sind seine Bassarika bis auf vier bei Stephanos
Byz. unter Jaqaavia erhaltene Verse verloren gegangen. Hingegen ist
eine metrische, eng an das Original sich anschmiegende Metaphrase des
Evangeliums Joannes auf uns gekommen. Dieselbe verfasste er offenbar
nach seinem Übertritt zum Christentum und in hohem Alter. Denn
während die Dionysiaka ausgelassene Jugendfrische atmen, hat die Über-
setzung des Evangeliums etwas Greisenhaftes; nur der dithyrambische
Schwulst des Ausdrucks ist geblieben, der Reiz der Episoden und die Sinn-
lichkeit der Darstellung ist verschwunden.
Auf uns gekommen sind die Dionysiaka nur durch einen Kanal, der am besten ans
der ed. princ. (1569), welche Gebhard Falkenbübg ex cod. loann. Sambuci besorgte, zu er-
schliessen ist. Kommentierte Ausgabe von Gräfb, Lips. 1819 — 36; kritische Textausgabe
von KöcHLY in Bibl. Teubn. — Nouni Panop. metaphrasis evangelii lohannei rec. Fb. Pas-
soYius, Lips. 1834 mit dem Text des Evangeliums unter den Versen; ed. Sohbikdlbb, Lips.
1881 in Bibl. Teubn.; KOchlt, De evangelii loannei parapbrasi a Nonno fiacta, Opnsc. I
421—46. — Wild, Die Vergleiche bei Nonnus, Regensb. Progr. 1886.
586. An Nonnos schloss sich eine Schule von Epikern an, welche
ebenfalls das mythologische Epos kultivierte und sich an die durch Nonnos
eingeführte Technik des Versbaus hielt. Zu derselben gehören:
Tryphiodoros aus Ägypten, Grammatiker und Dichter von Epen.
Suidas führt von demselben an: Maga^mviaxd^ ^iKov al(o<rig, Td xtna
^l7t7toSäfji€iav^ 'Odvaaeia Xemoyqdiiiicnoq.^) Davon hat sich nur das unbe-
deutende Epyllion 'Ikiov äXaxrig in 691 Versen erhalten, das sich wesent-
lich an die kleine Ilias des damals antiquierten Eyklos hält.^) Ausgabe
von Wernicke, Lips. 1819; von Weinberger in Bibl. Teubn.
Eolluthos aus Lykopolis in der ägyptischen Thebais lebte nach
Suidas zur Zeit des Kaisers Anastasios (491 — 518). Die von Suidas er-
wähnten Epen KaXvdm'iaxä in "6 B., nsqaixd und iyxwfiia sind verloren
gegangen; erhalten ist uns eine ^Äquayf^ 'EXävrjg in nicht ganz 400 Hexa-
metern. Kommentierte Ausg. von Lennep 1747, wiederholt von Schafer,
Lips. 1825; mit kritischem Apparat von Abel, Berol. 1880.
Musaios, über den uns nichts überliefert ist und über dessen Zeit
infolgedessen die mannigfachsten, um mehr als 1000 Jahre auseinander-
gehenden Vermutungen aufgestellt wurden,*) lebte nach Nonnos und ge-
hörte zu dessen Schule. Das hat schon Casaubonus aus Stil und Metrum
erkannt und neuerdings Schwabe, De Musaeo Nonni imitatore (Tüb. 1876),
aus den Nachahmungen zur vollen Sicherheit erhoben. Auf der anderen
Seite muss er vor Agathias gelebt haben, da dieser Anth. V 263 auf das
Gedicht Hero und Leander anspielt.^) Das unterstützt die Vermutung
^) Vergl. die *lXtag XeinoyQdfAfiatog des , Tryphiodoros von Tzetzes in Posthomeric«.
Nestor § 453.
*) Ferd. Noack, Die Quellen des Try-
phiodor, Herrn. 27 (1892) 452 ff. nimmt als
Hauptquelle ein mythogi-aphisches Excerpt
an. Benutzt, vielmehr ausgeschrieben, wurde
') Der Kuriosität halber sei erwtimt,
dass Jul. Gaes. Scaliger, Poet. 5, 2 ihn mit
dem alten Seher Musaios identifizierte.
^) Dazu stimmt, dass Paulus Silentiarias
Verse des Musaios nachgeahmt hat» wofOr
Bb) BömiBohe Periode nach Konstantin. 2. Die Poesie. (§ 586.)
789
Passow's, dass unser Musaios eine Person mit dem gleichnamigen Freund
des Rhetors Prokopios unter Justinian gewesen ist. Anklänge an Bibel-
steDen, wie V. 137 yaazrjQ rj er' iXoxsvas fiaxaQTdrr], lassen ausserdem ver-
muten, dass auch er, wie Nonnos, zum Christentum übergetreten war,
obschon sonst bei ihm alles griechische Grazie und Anmut atmet. Sein
berühmtes Epyllion, das hübsch Eöchly die letzte Rose aus dem hin-
welkenden Garten der griechischen Poesie nannte, behandelt den roman-
tischen Stoff von Hero und Leander (vd xa&' ^Hqio xai Aäavdqov) in 340
Versen. Das schönste indes an dem Gedicht, die Sage, ist nicht des Mu-
saios Erfindung,^) und die Diktion lässt vielfach die Einfachheit der
klassischen Zeit vermissen, manchmal selbst die Korrektheit der Sprache,
wie wenn otti für ort (V. 108) und aneiXsiwai (V. 131) nach der falschen
Analogie des homerischen xslehvci, gebraucht ist. In unserer Zeit wurde
der Stoff bekanntlich von Grillparzer für die Bühne bearbeitet, wiewohl
er sich für ein novellistisches Epyllion ungleich besser eignete. Ausgabe
mit Einleitung und Noten von Fr. Passow, Leipz. 1810. Kritische Ausg.
von Dilthey, Bonnae 1874. — Vielleicht ist Musaios auch der Verfasser
des hübschen, leider nur lückenhaft erhaltenen Gedichtes von der Liebe
des Alpheios und der Arethusa (Anth. Pal. IX 362), das in der Kunstweise
des Nonnos gedichtet ist und auf die Besiegung der Gothen in Elis im
Jahre 396 n. Chr. Bezug nimmt.«)
Kyros aus Panopolis, Konsul im Jahre 441, später Bischof von
Eotyaion,^) genoss als Epiker grosses Ansehen, so dass ein Epigramm der
Anth. Plan. IV 217 ihn von der Muse Kalliope mit derselben Milch wie
Homer und Orpheus genährt sein lässt. Von ihm kannte man bis jüngst
nur einige Verse auf Theodosius und das glänzende Haus des Maximinos
in Konstantinopel (Anth. Pal. XIII 878). Neuerdings hat ihm Bücheier,
Rh. M. 39, 277 vermutungsweise auch die unlängst aus einem Papyrus von
Theben ans Licht gezogenen Verse auf die Besiegung der Blemyer, eines
räuberischen Volkes von Oberägypten, beigelegt.
Claudian der Jüngere aus Alexandria lebte nach Suidas zur Zeit
des Arkadius und Honorius (395—408). Ob er der Jüngere heisst im
Gegensatz zu dem lateinischen Dichter Gaudius Claudianus, ist zweifelhaft ;
eher ist er mit dem letzteren, der gleichfalls aus Alexandria stammte,
eme Person.*) Von dem unsrigen haben einige Epigramme Aufnahme
in die Anthologie gefunden; aus einer Beischrift derselben ersehen wir,^)
dass er auch, ähnlich wie Christodoros, die Stadtgeschichte (td ndtgia) von
Tarsos, Anazarba, Berytos, Nikäa in Versen geschrieben hat. Von einer
Gigantomachie, der das Bruchstück eines gleichnamigen Gedichtes in
MEBiAV-Gsif A8T, De Panli Sil. p. 103 Belege
gibt
^) Aaf die Sage spielt Bchon Ansonius
in der Moeella Y. 287 ff. an.
') So beweist der neueste Herausgeber
md ErklSrer des Gedichtes Rich. Holland,
De Älpheo et Arethnsa, in Comm. Ribbeck.
381 bis 414.
*) Suidas unt. Kvqos, Euagr. Hisi eccl. 1 19.
^) lieber den Stand der Kontroverse s.
Lud WICH in seiner Ausgabe p. 161 ff. Für
die Identität spricht, dass Claudian selbst in
der epist. ad Probinum XLI 13 bezeugt:
Romanos bibimus primum te canaide fontes
et Latiae aecesait Grata Thalia togae,
») Jacobs, Anth. t. Xm p. 872.
790
Chrieohiaohe Litteratargeschiohte. II. N aohklaasisohe litteratur.
lateinischer Sprache zur Seite Rteht, sind uns über 70 Hexameter er-
halten, die ebenso sehr wegen der Leichtigkeit des Versbaus als wegen
der Erhabenheit der Schilderung Lob verdienen. Nach dem hexametri-
schen Gedicht auf Christus (Anth. XIII 615) zu schliessen, ist Claudian später
zum christlichen Glauben übergetreten.
Eudokia, Tochter des athenischen Philosophen Leontios, die wegen
ihrer Schönheit und geistigen Bildung der Kaiser Theodosios II im Jahre
421 zur Gemahlin erkürte, gehört wie ihre ältere Zeitgenossin Hypatia
zu den berühmten Jrauen der griechischen Litteratur. i) Aber während
jene dem Heidentum treu blieb und als gelehrte Philosophin glänzte, ver-
schaflfte sich Eudokia einen Namen als Dichterin und war bei ihrer Er^
hebung auf den Eaiserthron zum Christentum übergetreten. Auch den
Namen hatte sie mit der Annahme der Taufe geändert: als heidnische
Tochter des Philosophen Leontios hiess sie Athenais, als Christin und
Kaiserin nahm sie den Namen Eudokia an. Von ihren Dichtungen hat
sich das am Anfang und Ende verstümmelte Epos auf den Märtyrertod
des heiligen Cyprian von Antiochia erhalten. Das Ganze war nur eine
metrische Paraphrase, die sie nach einer prosaischen Vorlage, der latei-
nisch und zum Teil auch noch griechisch erhaltenen Confessio Gypriani,
in gewandten, aber nicht fehlerfreien Hexametern verfasste.*) Auch von
ihren Homercentonen, die sie gemeinsam mit dem Bischof Patrikios dich-
tete, gibt Ludwich in seiner Ausgabe der Eudokia Augusta Proben. Ver-
loren gegangen sind ihre metrischen Paraphrasen einzelner Teile des alten
Testamentes und ihre panegyrischen Verse auf den Sieg ihres kaiserlichen
Gemahls über die Perser im Jahre 422, von denen uns der Kirchenhisto-
riker Sokrates VII 21 berichtet.
Eudociae Augustae, Procli Lycii, Clandiani carminum graecomm reliqniae, Blernyo-
machiae fragmenta rec. Arth. Ludwich in Bibl. Teabn. 1897. — Die griechischen Gedichte
des Claudian neben den lateinischen, als von demselben Verfasser herrührend, auch pabü-
zirt von Birt in Monumenta Germaniae historica tom. X, Berolini 1892.
587. Orphika. Unter dem Namen des Orpheus sind auf uns ge-
kommen: Ug-yoravtixä, ein Epos in 1384 Hexametern, das in der fabel-
haften Schilderung der Argofahrt seinen Hauptreiz hat,*) dadurch aber,
dass Orpheus in ihm als Teilnehmer des Zuges eine hervorragende Rolle
spielt, Zusammenhang mit dem Kulte der Orphiker zeigt; Aiö^ixa, in 768
Versen, in denen Orpheus den Priamiden Theiodamas über die wunderbare
Kraft der Steine belehrt; eine Sammlung von 88 Hymnen auf verschiedene
Gottheiten und personifizierte Kräfte der Natur und sittlichen Weltordnung.
Alle drei Dichtungen geben sich für Werke des Orpheus aus; die Argo-
nautika und Hymnen sind ausserdem an Musaios, den Schüler des Orpheus,
gerichtet. Aber das alles ist frommer Betrug: die Gedichte sind dem
alten Sänger Orpheus untergeschoben und stammen aus der Sekte der
*) Greooboviüb, Aihenais, Geschichte
einer byzantinischen Kaiserin, Leipz. 1892.
*) Das Epos der Endokia in 3 B. lag
noch voUstftndig dem Photios Bibl. cod. 184
vor. üeber die Confessio Chrpriani in Prosa
benchtefc Theod. Zahn bei Ladwich in der
Ausgabe der Endokia p. 20 ff.
*) Gefolgt ist der Dichter hierin weniger
dem ApoUonios Rhodios als dem Timaios,
dessen Anschauungen über die Atgofahrt
Diodor IV 56 referiert.
Bb) Römische Periode nftoh Konstantin. 2. Die Poesie. (§ 587.) 791
Orphiker, welche bereits in der Zeit der Peisistratiden aufgekommen war
und sich bis in die christliche Zeit hinein erhielt. Bedeutung für den
Kult der Orphiker hatte insbesondere die Sammlung der Hymnen, ein
orphisches Gesangsbuch, 0 ^^ ^^^ einem Hymnus auf die Geburts-
göttin Eileithyia beginnt und mit einem auf den Todesgott Thanatos
endet. — Die Namen der wirklichen Verfasser der Orphika sind ganz
unbekannt; auch über die Zeit ihrer Entstehung war man lang im un-
klaren. Buhnken hielt noch den Verfasser der Argonautika für einen
alten Dichter.*) Dagegen erkannte J. G. Schneider») mit Recht in ihm
einen halbbarbarischen Fälscher der jüngsten Zeit. Genauer bestimmte
die Grenzen G. Hermann in seiner Ausgabe der Orphika p. 763 und 810,
indem er nach metrischen Anzeichen den Verfasser in die Zeit zwischen
Quintus Smymäus und Nonnus setzte, aber zugleich zugab, dass den
jüngeren Hymnen auch ältere aus dem 1. und 2. Jahrhundert n. Chr.
beigemischt seien. Für eine späte Zeit spricht ausser dem Versbau auch
der umstand, dass die Argonautika bereits Ibemia oder Irland erwähnen,^)
und dass in den gelehrten Scholien der Argonautika des Apollonios nirgends
des orphischen Gedichtes gedacht ist. Die Zeit der Lithika bestimmt sich
durch den Hinweis auf die Verfolgungen der theurgischen Weisheit (V. 67
bis 75), welche Hermann auf die Philosophenaustreibung unter Domitian,
Tyrwhitt und Abel mit mehr Wahrscheinlichkeit auf die Dekrete des Gon-
stantius (357) und Valens (371) gegen die Ausübung des alten Kultus be-
zogen haben. Älter sind im allgemeinen die Hymnen, welche in der Per-
sonifikation abstrakter Begriffe deutliche Spuren des Einflusses der Stoa
verraten, und unter anderem auch Verse auf die Dike (hymn. 61, 2 f.)
enthalten, die bereits in der pseudodemosthenischen Rede gegen Aristo-
geiton (Dem. 25, 11) als orphisch bezeichnet werden. ö)
Es waren die drei erhaltenen Dichtungen nicht die einzigen, welche
unter Orpheus Namen in Umlauf waren. Es gab von Orphikem auch
Weihen, Orakelsprüche, theogonische Schriften allerlei Art. Titel derselben
waren: ^IsQog i.6yog, Kgatr^Q, KoQvßavtixog^ Ilenkog^ Jfxtvov, Kaxaßaaiq ig
Äi'SoVy 2ani]Qia, 'AaTQOvofiixd, recoQyixd mit 'EfprifAeQideg^^) Jia&rjxai, Vieles
lag bereits dem Piaton vor;') das meiste wurde erst später teils zuge-
dichtet, teils umgedichtet. Epigenes hat in der Zeit des Eallimachos nach
dem Zeugnis des Clemens Alex, ström. I p. 144 die Hinabfahrt in den
Hades und das heilige Wort CifQog Xoyog) dem Pythagoreer Kerkops, den
i)Maa88, Orpheus, München 1895 8. 175 ff. 1 Hannover S. 124 ff. setzt die Mehrzahl der
Ueber verwandte Werke in Prosa s. § 625. I Hymnen in das 1. u. 2. Jahrh. v. Chr.; Albb.
*) RuuNKEK, Epist. crit. II, in Opnsc.
p. 610 ff., wo er geradezu den Dichter der
Argonautica einen acriptor meo iudicio vetu-
stissifntts nennt.
') J. G. ScHHBiDBB, Anal. crit. in Script.
vet. graec, Frankfurt 1777.
*) V. 1171: yi^oKUv 'legylaiy Sacov
txtofjiai. Die Vermischung alter nnd neuer
Erdkunde in den orphischen Argonautika hat
ihr Analogen an dem um dieselbe Zeit ent-
standenen Gedicht des Avien, Ora maritima,
^) Petbrsbh Yerhandl. d. PhiloLVers. in
DiBTBRicH, De hymnis Orphicis, Marburg 1891
geht noch weiter bis 200 v. Chr. hinauf, weil
sich in den orphischen Hymnen noch nicht
die synkretistischen Gestalten des Serapis
Osiris Mithras finden, und weil die orphischen
Hymnen bereits den Ägyptischen Verfassern
der magischen Papyri vorlagen.
") üeber diese Georgika handelt Baum-
STABK Phüol. 53 (1894) 687 ff.
') Plat Protag. p. 316; Cratyl. p. 265,
de rep. p. 364.
792
Qrieehisohe LitteratiirgeBohiohte. TL, Naohklassiftohe litterator.
Peplos und die Physika dem Orphiker Brontinos zugeschrieben.^) Bei den
Neuplatonikern spielte eine grosse Rolle die Orphische Theogonie in
24 Rhapsodien.^) Dieselbe mag viel orphisches Gut der älteren Zeit in sich
aufgenommen haben, stammte aber sicher erst aus später Zeit und wird
selbst mit dem von Cicero de nat. deor. I 38, 107 citierten älteren 7«^
koyog nicht identificiert werden können.
Mit den orphischen Hymnen berühren sich die sieben philosophischen
Hymnen des Neuplatonikers Proklos auf Helios, Aphrodite, die lykische
Aphrodite, die Musen, Pallas, Janus und die Gesamtheit der Götter; sie
bilden nur einen Teil der Hymnen des Philosophen, die sein Biograph
Marines erwähnt. In der metrischen Form folgte Proklos der neuen Kunst
des Nonnos, ohne sich sklavisch an sein Vorbild zu binden.*) — In die
gleiche Kategorie gehören auch die paar inschriftlichen Hymnen auf
Apollon, Helios, Päan,^) Asklepios, Hygieia, Telesphoros, Isis, Anubis, die
Kaibel in seine Sammlung griechischer Steinepigramme p. 432 — 460 auf-
genommen hat. Noch enger an die orphischen Hymnen schliessen sich
die mystischen Verse an die Götter der Unterwelt an, welche auf goldenen
Plättchen in Unteritalien gefunden wurden und aus vollständigen Hymnen
herausgerissen sind.*) — Ähnlichen Charakters sind die vielen Orakel-
sprüche in Versen aus den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung,
unter denen ein unlängst von Buresch gefundener und publizierter aus
der lydischen Stadt Kaisareia Troketta einen hervorragenden Rang ein-
nimmt.
Ausgabe der Orphica mit den Noten der Früheren von G. Hebm akv, Lips. 1805. —
Lithica rec. notasque adiec. Tyrwbitt, London 1781. — Orphica et ProcH hymn. rec. Abh.
1885 in Bibl. Schenk. — Orphei Lithica rec. Abel, Berl. 1881 auf Grundlage des Cod.
Ambros. 6 98. — Drei neue orphische Hymnen auf Hekate, Helios, Selene hat Milleb,
M^langes aus Papyrusrollen veröffentlicht. Die grosse AehnÜchkeit derselben mit den von
Parthby, Abh. d. Berl. Ak. 1885 S. 109 ff., und Wessbly, AbhdL d. österr. Ak. t. 36 (1888)
veröffentlichten Zauberpapyri wiesen nach Dilthby Rh. M. 27, 375 — 419, und Kopp, Beitr.
zur griech. Exzerptenlitt. 46 f. — Bubbsch, Klares, Lips. 1890, stellt die Orakel von Klaroe
zusammen und gibt in einem Anhang die Tübinger X^rjofioi xuiy iXXfjyixtoy deeSy. — Hymnen
der Magier hat uns auch Hippolytus Refut. lY erhalten; sie macht leserlich mit einziger Konsi
WiLAMowiTz, Ind. Gott. 1889 p. 29 f.
Lobeck, Aglaophamns sive de theologiae mysticae Graecorum causis, Regiom. 1829,
wo p. 410—1104 die Fragmente zusammengestellt sind. Dazu Wbrfbr, Zvyaywyij ^O^tpvaiy
cinoünaofAttiitay itoy iy xaU UqoxXov eig xov KQaxvXoy naQCxßoXaiq, in Act. phllol. Mon. 11.
115—156. — 0. Gruppe, Die griech. Culte u. Mytiben, Leipz. 1887, 1612-674. — Rosbk-
booh, Quaest. de Orphei Argonauticomm elocutione, Diss. ptiilol. Hai. IX 67 ff.
588. Mit den Fälschungen der Orphiker sind verwandt die sibyl-
linischen Weissagungen {xQv^aiiol 2ißvXliaxo() in 14 Büchern. Nur
sind jene dem Mystizismus der Griechen entsprossen, während diese auf
dem Boden des alexandrinischen Judentums entstanden sind. Den Namen
Sibylla, verbunden mit dem Begriff der Wahrsagerin, finden wir bereits
*) Noch andere Schriften der Orphiker
nennt und schreibt bestimmten Personen zu
Suidas unt. 'OQ(pF.vg^ vermutlich nach der
gleichen Quelle wie Clemens Alex.
*) Bei Suidas a. 0. heissen sie 'UqoI
Xoyoi iy §a%^to^iatg xd". Ueber diese jüngere
Theogonie s.' Gruppe Jahrb. f. Phil.Suppl.XVn
689 ff. und Rohdb, Psyche II« 414 ff.
*) M. ScHNBiDBB, Die Hymnen des Pro-
klos in ihrem YerhSltnis zu Nonnos, PhiloL
51, 593 ff.
*) Als Verfasser dieses Hymnus nennt
sich Patroinus.
^) Inscr. graec. Italiae et Siciliae tos
Kaibel n. 641; die Verse znsammeBgelegt
und beleuchtet von DiBTXBiaH a. 0. p. 30 S.
Bb) Bömisohe Periode nach Konetantin. 2. Die Poesie. (§ 588.)
793
bei Piaton im Phädrus p. 244^ ; nach dem Periegeten Pausanias X 12 verfolgte
man die Geschichte der Sibyllen sogar bis über die Zeit der Troika hin-
aus.^) Aber die bei den alten Griechen in Umlauf befindlichen Sibyllen-
verse i^Tir/) sind in unsere Sammlung nicht aufgenommen worden; insbe-
sondere finden sich in ihr die zahlreichen Sibyllenverse nicht, welche
Plutarch in seinen pythischen Dialogen anführt. Ebensowenig haben die
römischen Sibyllenorakel, welche bekanntlich auch in griechischer Sprache
abgefasst waren, 2) Aufnahme in unsere Sammlung gefunden. Die uns
erhaltene Sammlung stammt lediglich aus den Kreisen der alexandrinischen
Juden und der Juden und Christen der drei ersten Jahrhunderte der römi-
schen Kaiserzeit. — Das Ganze ist ein buntes, erst spät und nur notdürftig
zur Einheit zusammengefasstes Gemeng von Weissagungen verschiedener
Zeiten und verschiedener Verfasser. Verse daraus citieren als Verse der
Sibylle bereits die ältesten christlichen Kirchenväter, wie Theophilos
Justinus Lactantius; aber daraus darf natürlich nicht geschlossen werden,
dass zur Zeit derselben die Sammlung als Ganzes bereits bestanden habe.
Der älteste Teil, IH 97—828, rührt von einem alexandrinischen Juden aus
der Zeit des Ptolemaios Philometor her; der Verfasser wollte, indem er
sich die Alexandra des Lykophron und die Orakel der erythräischen und
kumanischen Sibylle zum Vorbild nahm, die Hoffnungen der Juden durch
Yoraussagung eines neuen salomonischen Reiches (III 167) neu beleben.
Das vierte Buch weist deutlich auf die Zeit des Titus und den Ausbruch
des Vesuv hin (IV 130). Der Eingang des fünften Buchs enthält, natür-
lich in der Form von vaticinia post eventum, eine kurze Kaisergeschichte
bis auf Hadrian und ist nach V 52 unter dem dritten Kaiser nach Hadrian,
also unter Gommodus gedichtet. Im übrigen sind auch in den einzelnen
Büchern so verschiedene Teile zusammengewürfelt, dass es bedenklich ist,
aus einem einzelnen Vers auf die Abfassungszeit des ganzen Buches oder
auf die Religion des Verfassers des Buches, ob Jude oder Christ, zu
ziehen.') Den jüngsten Teil bilden die letzten, erst von Ang. Mai ans
Licht gezogenen Bücher. Von ihnen enthalten B. XII u. XIII einen Abriss
der Geschichte von der Sintflut bis zum 3. Jahrhundert n. Chr.; derselbe
ist zu Ehren des Odenathos, des Gemahls der Königin Zenobia, gedichtet,
mit dessen Verherrlichung das 13. Buch abschliesst. — Der Veranstalter der
Sammlung war ein Christ und setzt selbst im Prolog den Plan seines Unter-
*) Die titesie Sibylle war eine griechi-
sche, die Sibylle von Erythrä, deren Erin-
nening in das 8. Jahrb. v. Chr. hinaufreicht;
an sie schlössen sich allmählich andere Si-
byllen an, wie die von Samos, Delphi, Troia,
Cmnä, sodann die Jüdische und babylonische
Sibylle, bis die Zwölfzahl voll war; siehe
£. Maass, De sibyllamm indicibus, Berlin
1879. Ueber den in den Sibyllenorakeln
enthaltenen Betrag bemerkt Döllinobr, Akad.
Vortrftge, Einflnss der griech. Litt, and Kultur
auf die abendländische Welt im Mittelalter
8. 168: Derartiges Erdichten und Interpolieren
erregte damals keine Gewissensbedenken;
man bemhigte sich mit der guten, das Mittel
heiligenden Absicht; die Neupythagoreer
thaten dasselbe, wie unter andern die orphi-
schen Dichtungen beweisen.
^) Diese für echt gehaltenen sibyllischen
Orakel hatte der Kaiser Augustus von dem
sonstigen Quark sondern und unter der Basis
des Palatinus Apollo niederlegen lassen; s.
Suet. Aug. 31.
") Den Anteil der Juden und Christen
an den Teilen der Sammlung bespricht Har-
NACK, Gesch. der altchristl Litt. II 1, 581 ff.;
nach ihm ist sicher ein Christ Verfasser von
B. VI. Vri. VIII 217-501. XII. XIII, wahr-
scheinlich auch XI u. XIV, ein Jude von B.
III. IV.
794
Orieohiflche LitteratnrgeBohiohte. II. Vaehklassiflohe littentiir.
nehmens auseinander. Wie der Sammler hiess und welcher Zeit er an-
gehörte, ist nicht überliefert; jedenfalls lebte er nach Lactantius, dessen
Bücher er benutzte ; Alexander, der verdiente Herausgeber, setzt ihn unter
Justinian.
Die Codd. gehen auf zwei Stämme zurück, die nicht einmal in der Bucheintdhmg
miteinander tibereinstimmen. Dieselben sind an vollständig auf uns gekommen, indem
in der einen die ersten, in der andern die letzten Bücher fehlen; näheres in der praefatio
von Rzach.
Ausgaben: Oracula Sibyllina ed. Alexandre, ed. II, Paris 1869; rec. Frisdlieb, Ups.
1855, 2 Bde, mit einem Nachtrag von Yolkkakk, Sedini 1854; rec. Rzach, Vindobonae
1891 mit kritischem Apparat; dazu Jahrb. f. cl. Phil. 1892 8. 433 ff. — Zwei sibylliniache
Orakel Roms bei Zosimos 11 1 und Phlegon (Müller FHG III 610) bearbeitet von Diels,
Sibyllinische Blätter, Berlin 1890, wozu Bübesoh Wochenschr. f. cl. Phil. 1890 N. 46.
Erläuterungsschriffcen: Ewald, Ueber Entstehung, Inhalt und Wert der sib^. Bücher,
Abhandl. der Gott. Ges. VIII (1858), 43—152, wozu Recension von Gdtschmid Kl. Sehr. II
322 ff. und Inhaltsangaben IV 222—278; Volkmann, Verh. d. 15. Philologenversamml. (1860),
317 ff.; Zelleb, Philos. d. Gr. III» 2, 269 f.; 0. Gruppe, Die griech. Kulte I 675 -701; Rzach,
Jahresber. d. Alt. VIII 1, 76 ff.; Bang, in Forhandlinger i videnskabs v. Christiania 1882
Nr. 8 u. 9.
689. Dem Sieg des Christentums ist eine vollständige Überschwem-
mung des Abendlandes mit ägyptischem, syrischem, persischem Wunder-
und Aberglauben vorhergegangen. Namentlich waren es die chaldäischen
Astrologen, welche, gestützt auf eine uralte Religion und auf tausend-
jährige Beobachtung der Sternenwelt, gläubiges Gehör fanden. So haben
diese denn nicht bloss den superstitiösen Mithraskultus eingeführt und in
den Ausgleichsversuchen der Neuplatoniker eine grosse Rolle gespielt,^)
sondern auch auf die poetische Litteratur der letzten Jahrhunderte des Altei^
tums mannigfachen Einfluss geübt. Aus ihren Kreisen stammen die soge-
nannten Orakel des Zoroaster und die Erweiterungen der Apoteles-
matika des Pseudo-Manetho,*) und die unter die magischen Papyri
gekommenen Hymnen und Beschwörungsformeln (s. § 625).
Oracula magica cum scholiis Plethonis et Pselli, Oracula metrica et Astrampsydii
'OysiQoxgiTixoy ed. Opsopoeüs, Par. 1599. — Wolfp, Porphyrii de philosophia ex oncnlis
haurienda rell., Berl. 1856.
590. Epigrammatiker. Mit dem allgemeinen Aufschwung der
Yersifikation in Byzanz kam auch das leichte Spiel des Epigranmis und
der Anakreontea wieder in Aufnahme. Eine Auswahl von neuen Epi-
grammen vereinigte in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts Agathias
aus Myrina zu einem sachlich geordneten Kyklos von sieben Büchern.')
Von den Epigrammen des Agathias selbst hat Konstantinos Kephalas an
100 Nummern in seine Anthologie aufgenommen.*) Dieselben sind mannig-
fachen Inhaltes und zeugen von einem anerkennenswerten Talent im Vers-
^) lamblichos schrieb negl r^g XnX&n'Cxijg
XEXetoiaTt]^ ^eoXoyiasy Porphyrios negi rrjg
ix Xoylüiv g>iXoüoq)tag.
*) Siehe oben § 457.
') Diese sachliche Anordnung wich von
den alphabetischen der beiden älteren Kykloi
des Meleager und Philippos ab. Die sieben
Abteilungen des Kyklos sind 1. Weih-
epigramme, 2. Epigr. auf Kunstwerke, 3. Grab-
epigramme, 4. Epigr. auf Lebensgeschicke und
Spiele derSchicksfdsgOttan, 5.Spottepigrainiiie,
6. Liebesepigr., 7. Weinepigr. Ausser Epi-
grammen hat Agathias nach seinem eigenen
Zeugnis Eist. I in. JatpyMd fivS^oi^ tt^i nenw-
xiXfiiva igtatixots gedichtet; vgl. Sakolowsci,
De Anthologia PaJatina quaestiones, Leipi.
1898 p. 59 ff.; Kbümbachbb Byz. lit* 240 ff.
*) Vgl. oben 8. 515.
Bb) B6miaohe Periode nach Konstantin. 2. Die Poesie.
( 589-590.) 795
bau und sprachlichen Ausdruck; aber der Mangel an Witz und Originali-
tät wird durch die geschwätzige Breite nicht aufgewogen. Viele der Epi-
gramme haben den Umfang von ganzen Elegien, und auf die Trümmer
von Troia begegnen uns gleich vier Epigramme (IX 152—5). Kürzer und
wahrer sind seine Liebesepigramme, aber auch hier hat die Impotenz des
Schmachtens und Küssens (V 261. 269. 285) die gesunde Natürlichkeit
des Altertums verdrängt. Die Knabenliebe ist noch nicht ganz ver-
schwunden, wird aber doch als sündhafte Unnatur verpönt (V 278).
Palladas blühte um die Wende des 4. Jahrhunderts zur Zeit des
Kaisers Arkadios. Er stammte aus Alexandria, und auf Verhältnisse
Äg3rptens beziehen sich viele seiner Epigramme, wie das auf die gefeierte
Philosophin Hypatia (IX 400). Er war Heide und sein Leben lang ein
armer Schlucker, der in der Not seinen Pindar und Kallimachos verkaufen
musste und zu Haus unter der Bosheit eines zänkischen Weibes zu leiden
hatte. Das gab seinen Versen Kraft und spitzigen Stachel; die 150 Epi-
gramme, die sich von ihm erhalten haben, gehören zum besten, was das
untergehende Heidentum hervorgebracht hat. Auch die Form ist gut,
insbesondere zeichnen sich seine iambischen Trimeter durch strengen Bau
aus, während sich Agathias und Paulus Silentiarius den schlottrigen Gang
des komischen Trimeters erlaubten.
Christod oros^) von Koptos unter Kaiser Anastasios am Schlüsse
des 5. und im Anfange des 6. Jahrhunderts verdient weniger wegen seiner
Epigramme als wegen seiner Beschreibung der im Jahre 532 durch Feuer
vernichteten Statuen des Gymnasiums des Zeuxippos zu Konstantinopel
rühmend genannt zu werden. Diese Ekphrasis in 416 Hexametern bildet
das zweite Buch der Anthologie und hat nicht bloss für die Kunstgeschichte
hohe Bedeutung,^) sondern ist auch ein schönes Denkmal der poetischen
Kunst geschmackvoller und anschaulicher Beschreibung.
Paulus Silentiarius, Sohn des Kyros, bekleidete das Amt eines
ruhegebietenden Hofbeamten unter Justinian.*) Von ihm sind 78 Epi-
gramme, zum grössten Teil erotischen Inhaltes, erhalten, welche die Spiele
seines Freundes Agathias an Feinheit und Witz weit überragen. Ausser-
dem haben wir von ihm ein lyrisches Gedicht auf die pythischen Heil-
quellen Bithyniens (ij/xm/x/?a slg rd iv Jlvd'ioig &€oiJ,a)^ dessen Echtheit
bezweifelt wird,^) und eine geschickte Beschreibung der Sophienkirche und
ihrer Kanzel (a^ßwv) in fliessenden, nach der Manier des Nonnos gebauten
Hexametern. Das letztere Gedicht reiht sich den ähnlichen beschreibenden
Gedichten des Christodoros und Joannes an und zeugt von der Beliebtheit,
deren sich diese Gattung der Poesie (Bxifqdaeig) in der justinianischen Zeit
*) Suidaa und ein Scholion der Antho-
logie bei Jacobs, Anth. XIII 871; Über seine
Epen vgl. § 583.
') Dass manche Statuen von dem Dichter
falsch benannt sind, beweist K. Lanok, Die
Statuenbeschreibung des Christodor, Rh. M.
35, 110 ff. Diese fVage und die dem Nonnos
nachgebildete Yersform erörtert Baumgartbn,
De Christodoro poeta Thebano, Bonn 1881.
»j Agathias bist. V 9: og (sc. JlavXog 6
Kv^ott rov ^XaiQov) tti ngtaxa reXaiy ip roig
djbKfl Toy ßaaiXen aty^g intfuataig yivovg
XB xoofÄOVfÄByog do^fj xai tiXovtop atp&ovov
^lade^afÄeyog, öfnog nat&eia ye avit^ xai
X6yo)v nüxrjüig dieanovdaajo xtX.
*) Hauptquelle bildeten die Mirabilia des
Ps. Aristoteles.
796
OriMhiaohe LitteratnrgMohiohte. II. HaehklftMiMhe Utteratar.
erfreute. Wie ehedem Homer seine Heldengesänge im hohen Saale der
Königsburg vortrug, so las Paulus die drei Bücher seines beschreibenden
Epos vor erlauchter Versammlung im Bischofssaal des Patriarchates vor;
und wie in der Zeit der Rhapsoden dem Heldengesang ein Proömium vor-
ausging, so schickt Paulus den einzelnen Abteilungen seines Gedichte Ein-
leitungen (nQoXaXtai) in iambischen Trimetern voraus. i) Verfasst ist das
Gedicht nach der zweiten Einweihung der heiligen Weisheitskirche, welche
im Jahre 563 stattfand.
Sonderausgabe der Ekphrasis von Grakfb» Ups. 1822, und von Im. Bbuler, za-
sammen mit Georgios Pisida in der Bonner Ausgabe der ßyzantiner 1887. — Lsssnrfi,
Paulus Silentiarius auf die pythlschen Bäder, Berl. Ausg. d. W. Bd XIEL — Mebun-Genabt,
De Paulo Silentiario Byzantino, Nonni sectatore, Ups. Dias. 1889 handelt erschöpfend vom
Leben und den Gedichten des Paulus. Nachahmungen des Eallimachos weist nach Kibbs-
LiNG Phil. Unters. II 55. — W. Salzekbebo, Altchristliche Bandenkmale von Eonstantinopel,
Berl. 1854, enthält im Anhang eine metrische Uebersetzung und Erläuterung von des Silen-
tiarius Paulus Beschreibung der h. Sophia und des Ambon von W. Eortum.
591. Ausserdem verdienen von den Dichtem des ausgehenden Alter-
tums genannt zu werden: Metrodoros unter Konstantin, von dem
wir an 30 arithmetische Probleme in Epigrammenform haben, Androni-
kos, den Libanios ep. 75 und Ammianus Marcellinus 19, 12 als berühmten
Dichter ihrer Zeit erwähnen, Apollinarios, christlicher Dichter (gest 390),
von dem uns eine Paraphrase der Psalmen in Hexametern erhalten ist,
Marianos,'der nach Suidas unter Anastasios ausser Epigrammen iambische
Metaphrasen des Theokrit, Apollonios, Eallimachos, Arat und Nikander
schrieb, Julianos der Ägypter unter Justinian, der zahlreiche Epigramme
auf Kunstwerke und ein hübsches anakreontisches Gedicht (Planud. 388)
hinterlassen hat, Leontios Scholastikos (d. i. Sachwalter), Damocharis
und Makedonios aus der Zeit des Kaisers Justinian, von denen Epi-
gramme auch in die Anthologie aufgenommen wurden, Theophilos aus
Gaza, der in Hexametern ein Gedicht ttcqI Cycnr 'Iviixm* schrieb. Ihnen
schliesse ich noch den Grammatiker Joannes von Gaza an,*) von dem
uns im Anhang der Anthologie die Beschreibung einer Weltkarte («ey^cri^
Tov xocfAixov mvaxog in 2 B.) in Hexametern der nonnischen Art und
ausserdem sechs mit der alten Götterwelt tändelnde Epigramme (bei Bergk
PLG in 1080 ff.) erhalten sind.»)
3. Die Prosa,
a) Geschichtschreiber und Geographen.
592. Die Geschichtschreibung hat in den Zeiten nach Konstantin am
wenigsten Pflege gefunden, sogar der Name laTOQixog ging von dem soliden
^) Eine ähnliche Einleitung in lamben
schickt Persius seinen Satiren voraus, üeber
die Sitte vgl. Bouvy, ^tudes sur les origines
du rythme tonique, Nimes 1886 p. 161 ff.
') Derselbe lebte jedenfalls nach Nonnos,
dessen Versbau er nachahmte, vermutlich vor
Paulus Silentiarius, dessen Ekphrasis die
grösste Aehnlichkeit mit der seinigen hat.
Aus dem Scholion der Pariser Handschrift
der Anthologie iXXoyi^oi ravjtjg rrjg TtoXctog
(sc. räCrjg) *ltadvyfjg, JJ^oxoniog, 7^/uo9fo( o
ygd\ffag ncQi ^tfitny lyot-xtuy hat man ge-
schlossen, dass er noch etwaa vor den bdden
letzten, die anter Anastasios 1 (491—518)
blühten, gelebt habe.
') loannis Gazaei descriptio tabulae mandi
et Anacreontea rec. E. Abbl, BeroL 1882. Das
Gem&lde selbst fand sich nach einer Bei-
Schrift des Codex iy /e<jU€^if» Xovtq^, natflr-
lich in Gaza, nicht in Antiochia, wie Petersen
B b) Böm. Periode nach Konatantin. 8. D.Proaa. a) Geachichtachreiber. (§§ 591-598.) 797
Geschichtsforscher auf den phantastischen Romanschreiber über. Erst
unter Justinian ist mit Prokop und Agathias die Historie wieder zu Ehren
gekommen, aber diese fallen jenseits der Linie, die wir uns gezogen haben.
In der vorausgehenden Zeit stehen die Eirchenhistoriker im Vordergrund;
von heidnischen Historikern haben wir " nur wenige Namen und noch
wenigere Reste. Wir zählen zuerst die Verfasser von verloren gegangenen
Chroniken auf.
Porphyrios, der bekannte Neuplatoniker (233 — 304), beschäftigte
sich auch mit historischen Studien; aus ihnen gingen seine XQovixd her-
vor, die von der Einnahme Troias bis zum Jahre 270 n. Chr. reichten,
und aus denen Eusebios das Verzeichnis der Könige Makedoniens und
der Lagiden entnommen hat. Fragmente bei Müller FHG HI 688—727.
Helikonios, Sophist aus Byzanz, schrieb nach Suidas einen chrono-
logischen Abriss (xQovixrj innofiri) von Adam bis Theodosios d. Qr. in 10 B.,
der neben den staatlichen auch die litterarischen Verhältnisse berücksich-
tigte,^) und in dem deshalb Daub eine Hauptquelle des Hesychios von
Milet vermutet.
Eunapios aus Sardes, der bekannte Verfasser der Sophistenbio-
graphien, gab eine Fortsetzung der Chronik des Dexippos (siehe § 491) in
14 B. {xQovMTj tcTOQicc 7) n€%d Jä^iTVTvov). Dioselbo umfasste in zwei Ab-
teilungen {Uyoig) die Geschichte vom Kaiser Claudius H bis auf Honorius
und Arcadius (270—404); zu rühmen war an ihr, dass sie die Ereig-
nisse nicht mehr nach Olympiaden oder Jahren zerstückelte, sondern zu
grösseren Abschnitten nach Kaisern verbunden darstellte. Von dem
fliessenden, nur allzu blumenreichen Stil und der gesinnungstüchtigen
Parteinahme für Julian geben uns die umfangreichen Fragmente einen
vorteilhaften Begriff.») Fragmente bei Müller FHG IV 7—56 und Dindorf
HGM 205-274.
Olympiodoros aus dem ägyptischen Theben setzte mit seinen i^oyot
iiXTOQixoi in 22 B. den Eunapios fort. Die Fortsetzung behandelte die
Geschichte von 407—425; einen Auszug daraus enthält Photios cod. 80.
Aristodemos ist nach der Randglosse tovto iail ro ^tjTovfdsyoy xov 'AqiaxodrjfjLov
der Verfasser eines historischen Abrisses, von dem der bekannte Grieche Minas aus einer
jetzt in Paris befindlichen Pergamenthandschrift (snppl. 607) ein fragwürdiges Fragment
ans licht gezogen hat. Dasselbe umfasst die Geschichte von den Perserkriegen bis zum
Ausbrach des peloponnesischen Krieges und enthält neben mehreren groben Irrtümern doch
auch einige aus anderen Quellen nicht bekannte Thatsachen. Wacbsmcth Rh. M. 23, 303 ff.
erklärt dasselbe mit guten Gründen für einen groben litterarischen Schwindel. Müller
FHG V 1—20; Mathias, Das Fragment des Aristodemos, Gotha 1874.
693. Zosimos^) ist Verfasser einer uns noch erhaltenen und auch
in dem Exzerptenwerk des Konstantinos Porphyrogennetos ausgezogenen
Eaisergeschichte in 6 B. Derselbe ist vielleicht identisch mit dem
Ton Suidas aufgeführten Sophisten Zosimos aus Gaza oder Askalon, der
wegen der Nachschrift iv Tal^i .x. rj iy
*JyTtox^^ vermutet hat; siehe darüber Lcd-
wich Rh. M. 44 (1889) S. 194--206. Ueber
den Anakreontiker loannes von Gaza siehe
Habssbh Philol. Snppl. Y 2, 205.
*) Soidas nnt. 'Aniatv und '^
jQQiityog,
*) In der öfter erwähnten yea exdoais
waren die den Christen anstössigen Stellen
weggelassen, worüber de Boob Rh. M. 47,
321 fF.
') Mendelssohn, De Zosimi aetate, Rh.
M. 42, 525 ff. ^ Prol. der Ausg. p. V sqq.
798
QrieohUohe IdtteraturgoBohiohte. U. Kaohklasaisohe Litieratiir.
zur Zeit des Kaisers Anastasios I (491—518) lebte, von dem aber aller-
dings der Lexikograph nur rhetorische Schriften anführt. Seine Geschichte
behandelt, ähnlich wie die meisten Geschichtswerke jener Zeit, die ältere
Kaisergeschichte bis zum Jahre 270, mit welchem Jahr das Werk sein«
Vorgängers Dexippos abschloss, nur in allgemeinen Umrissen (I 1—36);
von da an wird sie breiter und ausführlicher und schliesst mit den Vei^
handlungen, welche der Einnahme Roms durch Alarich (410) vorhergingen;
an dem vollständigen Abschluss wurde der Verfasser offenbar durch den
Tod oder sonst einen Unfall verhindert. Zur Bestimmung der 2^it, in
welcher Zosimos sein Geschichtswerk abfasste, sind zwei Anhaltspunkte
gegeben: einesteils hat der Chronograph Eustathios aus Epiphania, der
den Zosimos benutzte, sein eigenes Werk bis zum Jahre 503 herabgefiihrt;
anderseits ist die Abschaffung der drückenden Steuer des Chrysargyroa
auf die II 38 angespielt ist, im Jahre 501 erfolgt;^) danach hat Zosimos
nach 501 unter dem Kaiser Anastasios I sein Geschichtswerk geschrieben.
Der Verfasser war ein charakterfester Römer, der den Grund des Nieder*
gangs der römischen Weltherrschaft in dem Abfall von dem Glauben d&
Väter sah.*) Sein Werk ist für uns Hauptquelle zur Geschichte des
4. Jahrhunderts, aber auch über die ältere Kaiserzeit enthält es, wie üh&
die Säkularspiele unter Augustus, manche beachtenswerte Notizen.
Ansgabe von Ihm. Bbkeer in den Scriptores bist Byzant. 1837; von Mbüdelssorv,
Lips. 1887 mit Prolegomenis und kritischem Apparat. Die Ueberliefenmg aller Haitd-
schriften zeigt zwei grosse Lücken, eine zwischen dem 1. und 2. B. und eine andere aa
Schlüsse.
594. Durch Exzerpte sind uns ausserdem bekannt: Praxagoras ans
Athen, der in ionischem Dialekt eine Geschichte Konstantins, Alexanders
d. Gr. u.a. schrieb (Phot. cod. 62) ; Magnus aus Earrae und Eutychianus
aus Eappadokien, die beide unter Julian den Krieg gegen die Perser mit-
machten und eine von Malalas (p. 328, 20 ed. Bonn.) benutzte Geschichte
jenes Krieges lieferten; Pausanias von Damaskos, der ein von dem
Antiochener Malalas vielfach angezogenes Buch über die Gründung and
Geschichte von Antiochia schrieb;^) Priskos aus Panion in Thrakien,
Sophist unter dem jüngeren Theodosios, von dessen hroQia ror&txfj und
Bv^avTiax/j uns noch umfangreiche Fragmente erhalten sind; Malchos
aus Philadelphia in Syrien, der des Priskos Geschichte bis zum Jahr 480
fortsetzte; Philostratos, den Malalas p. 297, 10 als Gewährsmann for
den Perserkrieg unter Yalerian anführt; Eustathios aus Epiphania in
Syrien, der einen Abriss der Geschichte von den ältesten Zeiten bis aaf
das 12. Regierungsjahr des Anastasios (503) verfasste;^) Candidus der
Isaurier, christlicher Geschichtschreiber der Zeit von Leon bis Anastasios
(457 — 491). Alle die genannten Historiker gehen, wenn sie auch noch in
unserer Zeit lebten, doch hauptsächlich die Litteratur des byzantinischen
») RüBL Rh. M. 46 (1891) 146 f.
*) Vgl. II 7 bei Gelegenheit der Säkular-
spiele unter AugustuB. Zur Charakteristik
des Zosimos Rankb, Weltgeschichte IV 2
S. 264-84.
') Ueber die Beziehung zum Periegeten
Pausanias § 501. Wie mein junger Freund
Bourier nachweisen wird, hat Malalas nidit
direkt, sondern durch Yermitteluiig do6 Do-
minicus den Historiker Pausanias benotit
*) Zu den Fragmenten des Eastathks
gehören noch nach einer Vermutung mdse
Freundes Haury die Ezcerpte in Craiis
Anecd. gi-. 11 4—86.
B b) Rom. Periode naoh Eonstantiii. 8. Die Prosa, a) Geographen. (§§ 594^596.) 799
Mittelalters an, da sie zu den Quellen der uns erhaltenen byzantinischen
Historiker Prokop, Malalas, Theophanes, Euagrios u. a. gehören.
596. Zu den Historikern im weiteren Sinn gehört auch der Alter-
tumsforscher Joannes Lydus.^) Derselbe, geboren um 490 in der lydi-
schen Stadt Philadelphia, bekleidete unter Anastasios und Justinian hohe
Hof- und Staatsämter, bis er 552 in Ungnade fiel und seinen Abschied
zu nehmen genötigt wurde. Wahrscheinlich lebte er noch in die ersten
Regierungsjahre des Kaisers Justinus II (565 — 578) hinein, da sich auf
diesen Kaiser, und nicht auf Justinian die Stelle in dem Buch von den
Beamten II 8 zu beziehen scheint.') Derselbe liegt demnach seiner Lebenszeit
nach schon jenseits der uns gezogenen Grenze, verdient aber noch hier
behandelt zu werden, da sein Gesicht ganz nach rückwärts in die Zeiten
der alten römischen Welt gewandt ist. Die Zeit seiner unfreiwilligen
Müsse benutzte er nämlich zu antiquarischen Untersuchungen, nachdem
er früher mit Reden auf den Präfekten Zotikos und den Kaiser Justinian
hervorgetreten und mit der Abfassung einer Geschichte der Perserkriege
des Justinian beauftragt worden war. Die drei Schriften, die von ihm
auf uns gekommen sind und die schon zu Photios Zeiten allein noch be-
kannt waren, sind: tisqI iurjvm' (de mensibus), nsql aQx<^v Tfjg ^Payiiaioav
nohxeiag (de magistratibus reip. rom,), tisqI dioarjusrnv (de ostentis). Von
diesen sind die beiden letzten erst in unserem Jahrhundert vollständig ans
Licht gezogen worden, von der ersten haben wir überhaupt nur Frag-
mente und Exzerpte. Alle drei beziehen sich auf römische Verhältnisse
und haben dadurch grossen Wert, dass ihr Autor noch viele alte, jetzt
verloren gegangene Quellen, wie die Bücher des Nigidius und Labeo, be-
nutzt hat. Ihre Bedeutung wird freilich auf der andern Seite wesentlich
dadurch verringert, dass ihr Verfassser ein abergläubischer, kritikloser
Windbeutel war, der mit Titeln von Büchern um sich warf, die er nie
gesehen, sicher nicht durchgelesen hatte.*)
Codices: Gaseolinus s. X, von dem französischen Gesandten Ghoiseul-Gouffier 1785
bei Konsiantinopel endeckt und nach Paris gebracht (SnppL n. 257); Laurentianus 28, 34
s. XI ein Sammelcodez von astrologischen Traktaten. — Lydi de magistratibus reip. rom.
libri tres ed. Fuss, praefatus est Hase, Paris 1812. — Gesammtaasgabe von Ihm. Bbkkeb
in der Ausgabe der Scriptores Byzantini, Bonn 1837. — Lydi de ostentis ed. G. B. Hase,
Paris 1823; ed. C. Wachsmuth in Bibl. Teubn. 1863, iterum ed. 1897, in vollständigerer Ge-
stalt und mit einem Anhang Calendaria graeca omnia. — Ein Excerpt aus dem Buche de
ostentis von Wünsch, Byz. Ztschr. V (1896) 410 flf.; Wachsmuth Rh. M. 52, 137 flf.
696. Die Geographie ging in den letzten Jahrhunderten des Alter-
tums ebenso leer aus wie die Geschichte. Neue Länder wurden nicht
entdeckt, das Reich wurde kleiner statt grösser; die Handelsverbindungen
*) C. B. Hase, Commentarius de Joanne 1 oroXj ylyyBTai (seil. vTiarog 6 i^/Ä^egog na-
Laurentio Philadelpheno Lydo, in der Pariser
und Bonner Ausgabe; ein magerer Artikel
steht im Snidas, ein ausftihrlicherer in Photios
cod. 180. Bigrichtigungen zu den bisherigen
Annahmen bringt Zachabue von Linoenthal
in Ztschr. fOr Rechtsgeschichte, Romanische
Abt.XII (1891) 77— 80, wonach Laurentii, nicht
Lanrentius zu schreiben und in diesem der
Vater unseres loannes Lydus zu erkennen ist.
*) De magistr. II 8 von Kaiser: ig <W
■trJQ XB lifAci xai ßaaiXevg), örav xoofÄBiy xrjv
TVXV^ ^^sXtjaoi, ßtt&fÄoy avfore^ov ßaaiXeiag
Xfjy vnaxov xifitjy ogiCofisyog, wo das Fu-
turum ii^eXijcoi, wie Zachariae a. 0. bemerkt,
besser auf den neuen Kaiser Justinus II als
den alten Justinian passt.
«) Ueber die Quellen des Buches von
den Vorzeichen der Blitze, Erdbeben, Wetter
liefert eine umsichtige Untersuchung Wachs-
muth, Lydi de ostentis p. XVII sqq.
800 Orieohisohe litteratiirgeMliicht«. IL ffaehklAMdsehe LiiUratiir.
zogen sich infolge der Kriege im Osten und Norden immer mehr in die
Enge; von einem rein wissenschaftlichen Forschungs- und Entdeekungs-
geist war ohnehin nicht mehr die Rede. So haben wir denn hier fast nur
von Kompendien und geographischen Lexicis zu reden.
Marcianus, der um 400 lebte und mit dem Marcianus des Synesios
ep. 100 u. 191, vielleicht auch mit dem JSthoq JvQtjXiog Maqxuxvog o n^og
aQX<^v der Inschrift von Amastris in Paphlagonien GIG 4151 identisch ist,
verfasste eine ^EmTOfJuj toyv h'dsxa xi^g ^Aqtefuddqov %ov ^E^BCiov yerny^fiag
ßtßkion', einen UeQinXovg r^^ M^w ^aXäcar^g dv ßißX. ß\ ein Buch na^ %m
ano '^Poifitfi TiQog %dg eTviar^fiovg zf^g oixov/Aävtfi noXcig Staat MswVy eine 'Em"
to/uitj toiv TQtwr Tov T^$ ivTog d-aXdcarfi ncQinXov ßißXfiar M^vinnov Ub^-
ya/uir^rov. Von diesen Werken ist das zweite und vierte in verstümmelter
Gestalt auf uns gekommen und von Müller, Geogr. gr. min. I 515-— 573
neuerdings herausgegeben. Der bis auf zwei Lücken gut erhaltene Peri-
plus des äusseren Meeres behandelt im 1.6. dias östliche, im 2. das west-
liche Meer, und ist eine Zusammenstellung aus Ptolemaios und einem
gewissen Protagoras, der in der Zeit nach Ptolemaios eine von Photios
cod. 188 skizzierte Geographie in 6 B. geschrieben hatte. Der Periplns
des inneren Meeres ist ein sehr dürftiger Auszug aus dem gleichnamigen
Buche des Menippos aus Pergamon, der ein Freund des Epigrammatikers
Krinagoras ^ war und demnach unter Augustus und Tiberius gelebt haben
muss.
Ein anonymer nsqinXovg ev^sivov novroVy der in drei Teilen durch
einen römischen (Vatic. 143), einen Heidelberger (n. 398) und einen aus
Athos stammenden Londoner Codex (n. 19391) auf uns gekommen ist,
enthält in der Hauptsache nur Auszüge aus Arrians Periplus des Pontus
Euxinus, Marcians Überarbeitung des Menippos und dem geographischen
Gedicht des Ps. Skymnos. Ausgabe in Müller Geog. gr. min. p. 402—23,
ergänzt durch Müller FHG V 174-87.
Agathemeros ist Verfasser eines Abrisses der Geographie (yf«y^-
(piag vTroTvnoyatg), Darin ist, indem Geographie in dem engeren Sinn von
Erdzeichnung genommen ist, eingangs von den älteren Erdkarten (mraxfc),
denen des Anaximander, Hekataios, Demokritos, Eudoxos, Krates, und
dann in dem Hauptteil von den Grenzen und Massen der Meere, der Lange
und Breite der Erde, den Grössenverhältnisssen der Insehi gehandelt. Der
Abriss ist wertvoll, da er zum Teil wie in der Angabe der älteren Karten
und in den Länge- und Breite Verhältnissen auf Eratesthenes, Artemidor
und Poseidonios. zurückgeht.*) Die Übereinstimmungen mit Marcian will
Müller t. II p. Xn aus der gemeinsamen Benützung der Geographie des
Protagoras erklären.
Dem Agathemeros wurden ehedem auch die zwei in denselben Hand-
schriften befindlichen Schriften Jiayvmaig iv imzoiif^ riy^ iv rg a^ai^
y€(üyqa(fiag und ^YTtoxvnoaaig yetay^atpCag iv irntofAfi} zugeschrieben, aber
beide Schriften gehören, wie Müller a. 0. nachweist, anderen anonymen
Verfassern an.
») Anth. Pal. IX 559.
*) RuGB, Quaestiones Artemidoreae, in Comm. Ribbeck. 475—85.
Bb) BOmiache Periode nach Eonstaatin. 8. Die Prosa, a) Geographen. (§597.) gQl
ursprünglich griechisch verfasst, uns aber nur in einer lateinischen,
sklavisch an das Original sich anschliessenden Übersetzung erhalten ist
die periegetische, fiir die Handelsverhältnisse des römischen Reiches wich-
tige Schrift Exposüio totius mundi et gentium. Der anonyme Verfasser
war ein Syrer und schrieb zwischen den Jahren 345 und 348.
597. Stephanos von Byzanz heisst der Verfasser des geographischen
Lexikons, das zum grössten Teil nur im Auszug auf uns gekommen ist.
Dasselbe hatte den Titel 'Eä^'txd und war sehr umfangreich angelegt, da
mit dem Buchstaben 2 bereits das 51. Buch begann.^) Den Auszug hat
nach dem Zeugnis des Suidas Hermolaos, ein Grammatiker aus Eon-
stantinopel, in der Zeit des Justinian gemacht.*) Über die Zeit des Ste-
phanos selbst ist uns nichts überliefert; er scheint indes nach Dexippos
und Marcianus gelebt zu haben, da beide öfters in dem erhaltenen Aus-
zug citiert sind.») Er war nicht der erste, der den Plan eines geographi-
schen Lexikons fasste; aus dem Et. M. 221, 31 erfahren wir, dass schon
der Grammatiker Epaphroditos sich auf ein geographisches Lexikon des
Aegineten Kleitarchos bezog, der demnach sicherlich vor dem zweiten
Jahrhundert unserer Zeitrechnung lebte. Die Anlage des Originalwerkes
können wir noch aus den Artikeln ^Ißr^qia und Jviirj bis Jciviov, die voll-
ständig auf uns gekommen sind,^) ermessen. Danach war das Ganze ein
sehr gelehrtes Werk, in welchem zu den einzelnen Artikeln reiche Belege
aus der älteren und neueren Litteratur, aus Dichtem und Prosaikern an-
geführt und ausser der geographischen Lage auch die Geschichte und die
berühmten Männer der einzelnen Orte berücksichtigt waren. Erkennt man
schon daraus den Grammatiker, so tritt derselbe noch mehr in der starken
Betonung hervor, die derselbe auf die richtige Schreibung der Namen und
die richtige Bildung der abgeleiteten Wörter legt. Hierin wie in allen
grammatischen Fragen folgt er wesentlich der Autorität des Herodian,
den auch zu citieren er nicht unterlässt,'^) wenn er auch direkt nur die jüngeren
'Exh^ixä des zeitgenössischen Grammatikers Oros benutzt zu haben scheint.
In der Sache und den geographischen Angaben stützt er sich auf die
Werke der grossen Geographen und Historiker Hekataios, Herodot, Erato-
sthenes, Ephoros, Polybios, Artemidor, Strabon, Pausanias; zunächst be-
nutzt aber wurden von ihm das Buch des Herennios Philon negi noXetov
xai or^ ixdaxri avtdv evdo^ovg ijveyxev und ein Städteverzeichnis (aray^ayi*
nolemv), ähnlich dem von Müller FHG V p. LXVI ff. publizierten.«) Ohne
Nachlässigkeiten und Irrtümer ging es bei dem Exzerpieren und Zu-
') Steph. ant. IvQtixovam; der Artikel
Tnt»yevf äand ün 52. Buch.
') Suidas: 'EQ/A.öXaog ygafjLfJuxxiniog Kfav-
üjatmyovnoXstag ygd^pas trjy innofAijy ttov
E&yixtiv SxBtpayov yQafJLfjLaxinov, n^oatpayr]'
^Hauv 'lovariyiaytp t^ ßaaiXei. Die Richtig-
keit der Angabe wird bestritten von Saxo-
L0W8KI in PhiloL-histor. Beiträge zu Ehren
Wachsmuths, 1897 S. 107.
') Sakolowsri a. 0. setzt ihn unter Ju-
stin (518—27).
^) Erhalten ist der voUstftndige Artikel
Bandbneh der klut. AltertumswiaBenscbftft. VII.
'ißijQitt durch Konstantinos Porphyrogennetos,
De admin. imperio c. 23. Auch Eustathios
benutzte noch das Originalwerk, s. Westkr-
MANN, Praef. p. XV sqq. und Et. M. 788, 50.
*) Zu weit geht Lemtz, Herod. rell. p.
GXXXYII: fere totum Stephani opus ex
Herodiano exscriptum esse. Dagegen Ben.
NiBSB, De Stephani Byzantini auctoribns,
Kiliae 1873.
•) Steph. unt. ^Ayrio/eia ' 6ixa noXsig
ayay^fpoyxaif eial di nXeiovg,
3. Aufl.
51 .
802
Orieohieohe littoratorgeschiohte. II. KaehklaMiaohe littoratiir.
sammenstellen nicht ab, indem der Lexikograph, durch Varianten des
Textes verleitet, mehrmals dieselbe Stadt zweimal aufführt, wie 'Agiav&T;
und ^JQfv^Tjy Jäifiac(fa und MädfiacfXa, ^Ifiäga und Xeifidga, SeXatfta und
SsXXaaitty femer rX^veg und TXrjteg^ rdßioi und Tdßtoi^ Xofjtipci und Taxffitfm.
Das Ärgste ist, dass er aus der Stelle des Herodot 1 125 eati Sä rdSe, i^ «r
iaXXoi ndvTsg dqzäaxai Uhqacti Uacagyadai Mtxqdiftoi Mdcnioi einen per-
sischen Stamm 'AQxeätai, herausgelesen hat, der sich dem famosen Suato-
tanda des Ptolemaios würdig zur Seite stellt.^)
Hauptaasgabe mit den Noten der Früheren von G. Dihdobf, Lips. 1825, 4 toL —
Kritische Ausgabe von Wbstbrmann, Lips. 1839; von Meinekb, Berol. 1849; der 2. Band
der letzten Ausgabe, der den Kommentar enthalten sollte, ist nicht erschienen. — Bts.
NiBSE, De Stephani Byzantii auctoribus, Kiel 1873. — Gbffgkbn, De Stephane Bjrzantio.
Gott 1889.
b) Die Jüngere Sophlstlk.
598. Einen erneuten Aufschwung nahm die Sophistik im 4. Jahr-
hundert,^) nachdem dieselbe eine Zeitlang den philosophischen Studien der
Neuplatoniker hatte nachstehen müssen. An allen Bildungsstätten des
Ostreichs, besonders in Athen, Antiochia, Konstantinopel stand sie im
Vordergrund des litterarischen Interesses. Die Lehrer derselben hielteo
teils in geräumigen Hörsälen vor einem aus Erwachsenen und Jünglingen
zusammengesetzten Publikum ihre schöngeistigen Vorträge, teils übernahmen
sie die Aufgabe bei festlichen Anlässen die Tugenden und Thaten der
Kaiser und ihrer Statthalter in pathetischen, von Schmeichelei über-
fliessenden Reden zu preisen. Zu ihren Hörsälen drängte sich alles, was
dereinst eine Rolle im Staate oder bei den Gerichten zu spielen gedachte;
auch berühmte Kirchenväter, wie Basileios und Gregorios, haben in ihrer
Jugend zu den Füssen angesehener Rhetoren gesessen. Die Hauptvertreter
dieser Nachblüte der Sophistik, die erst nach dem Tode des Theodosios
unter den fanatischen Kämpfen theologischer Sekten und der einsichts-
losen Schwäche der Kaiser ihrem gänzlichen Verfall entgegenging, warra
Libanios, Himerios, Themistios, Julian. 3) Geschichtschreiber derselben war
Eunapios, der zu Beginn des 5. Jahrhunderts, um 405, die Biih ^loai-
g)(ov xal aoifiaxwv verfasste, welche uns noch erhalten sind und einen
interessanten Einblick in das eitle Getriebe der damaligen Schulhäupt»*
gewähren.
Ennapii Vitae sophistamm rec. Boissonade, Amstelod. 1822, 2 vol.; itemm ed. B»
soNADE, Paris bei Didot 1849, wonach wir citieren. Cod. archetypos ist Laurent. 86, 7. —
Ueber seine Geschichte s. § 592.
*) Ueber ähnliche Irrtümer Atkrstadt,
De Hecataei Milesii fragmentis p. 10 ff.
^) Aus den letzten Jahrzehnten vor Kon-
stantin werden uns genannt die Sophisten
Genethlios ans Paträ, Paulus aus Aegyp-
ten, Andromachos aus Neapolis in Palä-
stina; vgl. Wbstermann, Gesch. d. Bereds.
I§96u. 97. Nur von Kallinikos aus Petra
in Palästina (über ihn ein Artikel des Suidas)
hat sich ein Fragment erhalten *Ex rtüy sig
T« naTQia 'Pw^iyc, gedruckt bei Orblli, Phi-
lonis lib. de sept spect, Lips. 1816.
') Von Eunapios werden noch erwähnt:
Aidesios, Mazimos, Priskos, Jnlianoi
aus Kappadokien, Prohaireaios ans O
sarea (276—368), Epiphanios, Diophan-
tos, Sopolis, Apsines aus LakedfiinoB,
Oreibasios, Chrysanthios n. a. Schäl»
des Aidesios war Eusebios ana Mynd«,
von dem uns Stobaios viele schöne Sprüeke
(zusammengestellt von Mullagh FPQ Ul 7
bis 10) erhalten hat.
B b) BOmische Periode nach Konetantin. 8. Die Prosa, b) Sophietik. (§§ 598—599.) 803
699. Libanios (314 — 393) *) entstammte einer angesehenen und
reichen Familie Antiochia's, der damaligen Hauptstadt Syriens. Da er
bereits in dem Alter von 11 Jahren seinen Vater verlor, so leitete seine
Erziehung die um ihre Kinder überzärtlich besorgte Mutter. Zum Lehrer
hatte der schwächliche Jüngling, den früh seine Natur zur Rhetorik zog,
den Zenobios, einen gefeierten Rhetor seiner Vaterstadt, dem er selbst
später die Leichenrede hielt. Zur Vollendung seiner Ausbildung besuchte
er dann vier Jahre lang die hohe Schule von Athen, wo er bei Diophantos
als Schüler sich einschreiben liess, ohne deshalb sich an diesen oder ein
anderes Schulhaupt Athens enger anzuschliessen. Eine eigene Schule er-
öffnete er zuerst in Eonstantinopel, wo er gleich anfangs noch einmal so
viele Schüler fand, als man ihm in Aussicht gestellt hatte. Aber infolge
der Intriguen seiner Neider war sein Aufenthalt in der Hauptstadt des
Reiches nicht von Dauer, und verpflanzte er bereits im Jahre 344 seine
Schule nach Nikomedia, der aufblühenden, durch Schönheit und gesunde
Lage ausgezeichneten Stadt an der Propontis, in der er hochgeehrt die
fünf schönsten Jahre seines Lebens verbrachte.^) Nachdem er nochmals
auf kurze Zeit nach Eonstantinopel zurückgekehrt war und einen Ruf
nach Athen ausgeschlagen hatte, siedelte er 354 definitiv nach seiner
Vaterstadt Antiochia über, wo er bis zum Ende seines Lebens blieb. Auch
hier wirkte er bis in sein hohes Greisenalter hinein als vielbesuchter
Lehrer der Beredsamkeit. Unter seinen zahlreichen Schülern waren die
namhaftesten Dio Ghrysostomus und Ammianus Marcellinus. Aber auf die
Schulstube beschränkte sich damals ein angesehener Rhetor nicht und am
wenigsten der ehrgeizige, unruhige Libanios. In besonderem Ansehen
stand er bei dem Kaiser Julian, der ihm die Würde eines Quaestorius
verlieh und durch dessen jähen Tod er tief niedergebeugt wurde. Aber
wiewohl er mit Julian seine Hoffiiungen zu Grabe getragen sah und seinem
Schmerz in der Monodie auf den gefallenen Kaiser in leidenschaftlicher
Weise Ausdruck gab, so wusste er sich doch auch bei den nachfolgenden
Kaisern Valens und Theodosios Einfluss zu verschaffen und unterhielt
namentlich mit den Statthaltern von Antiochia und den anderen kaiser-
lichen Würdeträgem der Provinz regsten persönlichen und brieflichen Ver-
kehr. Die Zeit, wo die politischen Kämpfe in der Öffentlichkeit auf dem
Marktplatze sich abspielten, war längst entschwunden; an die Stelle der
Freiheit und der Rednerbühne war die Kanzlei und die Selbstherrlichkeit
der Kaiser und ihrer Beamten getreten. An sie drängte sich alles heran,
was Macht und Einflusss suchte; für das Spiel der Schmeichelei und
Intrigue, das sich hier entspann, war die Rhetorik die beste Waffe. Sie
hat Libanios in zahlreichen Reden und Briefen erfolgreich wie kein zweiter
gehandhabt, so dass er wie die grossen Rhetoren des alten Athen nicht
bloss als Lehrer der Beredsamkeit thätig war, sondern auch praktisch seine
Kunst, nur in anderer Weise wie jene übte.
M Artikel des Suidas; Selbstbiographie
des Libanios, Xoyog negl r^g iavrov rv^r^g.
Ennapios Vit. soph. p. 495 ed. Did. — G. R.
SiBVBBS, Das Leben des Libanios, Berl. 1868.
*) In er. I p. 88 nennt er seinen Anf-
enthalt in Nikomedia rov navxog ov ßeßimxa
XQovov %ttQ fj ay&og.
bV
804
Grieohiache LüteraturgMohichte. U. HaohklaMUche litUratar.
Seiner ganzen Bildung nach war Libanios Hellene ; er hatte die atti-
schen Redner, besonders Demosthenes und von den Späteren Aristides^)
fleissig von Jugend auf studiert, war auch, wenngleich nur in beschränktem
Masse, in den klassischen Dichtern und Philosophen belesen, >) und schrieb
ein gutes Griechisch, was wohl in mannigfachen rhetorischen Farben spielte,
aber sich von Schwulst und überladenem Prunk fern hielt. Dem römischen
Wesen war er entschieden abgeneigt und riet mit Nachdruck denen ab,
die nach Rom ziehen wollten, um dort ihre Studien zu machen. Der
lateinischen Sprache war er so wenig mächtig, dass er eines Dolmetschers
bedurfte, wenn er einen lateinischen Brief erhielt.') In dem engen Ge-
sichtskreis der Rhetorik aufgewachsen, hielt er alles auf Rede und Stil
und drang nirgends tiefer in das Wesen der Dinge ein. Den neuen Ideen
des Christentums blieb er fremd und schwankte auch in jenen Zeiten des
Glaubenswechsels nicht in seiner Anhänglichkeit an die alten Götter
Griechenlands. Gerade darum war der Kaiser Julian sein Ideal und
schmerzte es ihn tief, dass mehrere seiner Schüler und so auch der be-
gabteste, Joannes Chrysostomos, sich dem Christentum zuwandten. Man
erzählte sich die Anekdote, dass er dem Tode nahe auf die Frage, wem
er seine Schule hinterlassen wolle, geantwortet habe: dem Chrysostomos,
wenn diesen nicht die Christen geraubt hätten.^) Von Natur war er
schwächlich und hatte viel über Migräne und in höherem Alter auch über
Podagra zu klagen; doch hatte er immerhin, wie viele derartige Leute,
eine zähe Gesundheit, so dass er es zu einem hohen Alter brachte. Ver-
heiratet war er in rechtmässiger Ehe nie ; *) von einer Geliebten, mit der
er zusammenlebte, hatte er einen Sohn, Kimon, dem er wie einem recht-
mässigen Sprossen sein Vermögen zuzuwenden gedachte, der aber infolge
eines Unfalls schon vor ihm in das Grab sank.
600. Die Schriften des Libanios sind, wenn sie sich auch alle wesent-
lich in einer Richtung bewegen, sehr zahlreich und fanden schon zu Leb-
zeiten des Autors weite Verbreitung. Dafür sorgte der eitle Rhetor selbst,
indem er einen Schwärm von Abschreibern in seinen Sold nahm. Auch
haben sich die meisten seiner publizierten Werke durch das Mittelalter
hindurch erhalten. Aus dem Dunkel der Bibliotheken ans Licht gezogen
und durch den Druck veröffentlicht wurden sie erst allmählich, und noch
steht eine vollständige kritische Gesamtausgabe aus. Von geringstem Wert
sind diejenigen Schriften, welche lediglich der Schule dienten und sich
0 In der Bede für die Tänzer t. II p.
475 sagt er von Aristides: ro yng i^yixa av
noiui koyovgt rtoy iyyaiy e/eadui, 'jQiifteidov
xtti neiQac&ai xovg sfiovg aqtofjioiovp eis öaoy
olov re roig ixeiyov . . atifABtov oluai nnfA-
fjLiyB&eg rov rwy äxQOjy i^yetai^m xov ^tjjoqa.
*) Die Autoren, auf die er Bezug nimmt,
sind aufgezählt von Förster Rh. M. 32, 86 ff.
») Siehe ep. 923. 956. 1241; in dem
zweiten der genannten Briefe verübelt er es
seinem Freunde Postumianus, dass er die
Sprache der Hellenen meide, durch die er
doch seine Seele mit Homer und Demosthenes
erfüllt habe. Aehnlich standen die Yerhilt-
nisse in Rom, worüber Dölluvgeb, Akadem.
Vortr. I 172: Im Anfang des 5. JahrinmdeitB
konnte der römische Bischof einmal nieman-
den in Rom mehr finden, der ein griechi-
sches Schi*eiben hätte abfassen können.
*j Sozom. VIII 2; Cedrenus I 674 ed.
Bonn.
') Echt sophistisch sagt er or. I p. 40
von sich, als er eine reiche Partie aoage-
schlagen hatte: cJf ifjioL yc ovctig nnl y^
yaix6s Ttjs rixytig.
Bb) BOmisohe Periode nach Konstantin. 3. Die Prosa, b) Sophistik. (§ 600.) g05
ganz in dem Rahmen des damaligen rhetorischen Unterrichtes bewegen.
Dazu gehören 47 7iQoyvfivcianai;a^ 36 dirjyrmaTa^ 27 r]x^onouat oder Cha-
rakterskizzen, 33 exfpQccaeig oder Beschreibungen von Kunstwerken, 50 fie-
lerat oder Deklamationen auf fingierte Themata. Eben dahin gehören
auch seine Lebensbeschreibung des Demosthenes und die Inhaltsangaben
{v7iPo^€(f€ig) der demosthenischen Staatsreden. — Dauernden Ruhm aber ver-
dankte er seinen Reden {^oyoi), von denen 68 auf uns gekommen sind.
Dieselben haben mit der Schule im engeren Sinne nichts zu thun und be-
wegen sich auf dem realen Boden der Zeitgeschichte. Reden indes im
strengen Sinne des Wortes sind auch sie nicht, wenigstens nicht alle.
Mehrere haben nur die Form von Reden, sind aber den hohen Herren, an
die sie gerichtet sind, einfach zugeschickt oder direkt durch den Buch-
handel unter die Leute gebracht worden. Hervorgehoben zu werden ver-
dienen: der Ba(nXix6g, Lobrede auf die Kaiser Konstans und Konstantins,
gehalten 348 in Nikomedia, der ^Avtioxixoq^ Preisrede auf die Stadt Anti-
ochia, ihre Salubrität und die Humanität ihrer Bewohner (wahrscheinlich
aus dem Jahre 360), 0 sechs Reden auf den Kaiser Julian, darunter eine
zu seiner Bewillkommnung beim Einzug in Antiochia (nQoa^ayvrjrixog), drei
auf seinen Tod (jiovfjitdia^ iniTa^iog, vnbq rijg ^lovXtavov TifiwQfag)^ fünf
Reden auf den wilden Aufruhr der Antiocheer und die kaiserliche Gnade
des Theodosios (387), femer die Reden auf den verwahrlosten Zustand
der Gefängnisse [negl %£v SefrfKoxwv), über die schlechten Gehalte der
Rhetoren (vti^q tdv j^rjroQtov), für die Tänzer oder Pantomimen {nQogUQ^-
areiifjv vnhQ to)v o^x^ctöJv),») gegen seine Verkleinerer {rtQog Tovg slg trjv
Tiiudsiav avxov unoaxoiyjavTag), Ein altes Thema mit Benutzung der da-
mals noch vorhandenen Reden des Polykrates Xenophon und Lysias be-
handelte er in seiner Apologie des Sokrates.^) — Fast noch interessanter
als die Reden sind die Briefe des schreibseligen und im Empfehlen, Klagen,
Raterteilen unermüdlichen Mannes, die für das Verständnis des Charakters
unseres Rhetors und der ganzen Zeitgeschichte von unschätzbarem Werte
sind. Es sind uns im ganzen 1607 Briefe im griechischen Original er-
halten, neben denen lange Zeit etliche 400 Briefe in lateinischer Über-
setzung einhergingen, die sich aber als Fälschungen eines Humanisten
erwiesen haben.*) Sie sind an alle möglichen Personen gerichtet, darunter
auch an christliche Bischöfe und Gelehrte. Auf solche Weise hat Libanios
durch seine Thätigkeit als Lehrer, Redner, Schriftsteller und seine unab-
lässigen Bemühungen für das Staatswohl und die Interessen seiner Schüler
und Freunde einen grossen Namen und glänzende Auszeichnungen bei seinen
Zeitgenossen gefunden. Man hat ihn den kleinen Demosthenes^) genannt;
*) Vgl. PöHLMAHV, Die üebervölkerang
der antiken Groesst&dte S. 149.
') Diese Rede wird im cod. Yat. gr. 90
intümlich dem Lnkian zugeschrieben, wo-
rflber R. Pöbstbb, Libanii ^ni^ rtay o^xv-
arnSy oratio, Rostochii 1878.
*) Hierüber Schanz, Einleitung zur Apo-
logie Piatons 8. 27-35; vgl. oben § 305.
^) Dieses ist nachgewiesen von R. Fön-
STEH, Franc. Zambeccari und die Briefe des
Libanins, Stattgart 1876.
*) Thomas Magister unt. tv^vt} p. 108,
14; Lexic. Seguer. in Bekkers An. gr. 135,
12; 140, 13; 168, 12; 172, 7; s. Föbsteb Rh.
M. 32, 87.
806
Grieohiflche Litteratiurgesoliiohte. II. Vanhklasfliache litteratar.
dem grossen war er freilich nicht zu vergleichen; dazu waren, wie die
Zeiten zu klein, so auch die Männer, die in ihr lebten.
Libanii soph. orationes et declamaiiones rec. Rbibkb, Altenbuig 1784 — 97, 4 vol.; die
letzten Bände sind von der Frau Reiske besorgt — Libanii epistolae ed. J. Ch. Wolf,
Amstelod. 1788. — Zwei unedierte Deklamationen aus cod. Paris. 2998 u. Matrit gr. 49
heransgegeben von R. Föbstbr in Herrn. 9,22 ff. u. 11,218 ff., andere aus Dozopaten
Kommentar zu Hermogenes gezogene Bruchstflcke in M^l. Graux p. 629-641. Von Irrster
erhoffen wir eine den heutigen Anforderungen der Wissenschaft entsprechende Gesamt-
ausgabe.
601. Themistios (um 330 bis um 390),^ Zeitgenosse des Libanios
und ebenso einflussreich in Konstantinopel wie jener in Antiochia, stammte
aus Paphlagonien. Sein Vater Eugenios, von dem uns der Sohn in der
20. Rede ein anziehendes Bild entwirft, verband mit der Pflege des Land-
baues das Studium der Philosophie und der klassischen Litteratur. Er
selbst im väterlichen Hause und in einer Rhetorenschule des Kolcherlandes
sorgfältig erzogen,^) verfasste bereits als junger Mann Paraphrasen aristo-
telischer Werke. Solche Schriften, welche die präzisen Sätze der alten
Denker breit treten und verwässern, sind bei uns, Gott sei Dank, wieder
ausser Kurs gekommen; damals erblickte man in jener Popularisierung
der grossen Philosophen, durch welche der in dunkle Worte verschlossene
Geist der Meister auch den Nichteingeweihten zugänglich gemacht werden
sollte,^) eine Hauptaufgabe der Lehrer der Philosophie. Speziell Themistios
zog durch seine Paraphrasen die Aufmerksamkeit weiter Kreise auf sich,
so dass er auf einflussreiche Empfehlungen hin nach der Hauptstadt des
Ostreiches, nach Konstantinopel, gezogen wurde.*) Dort trat er als Lehrer
der Beredsamkeit und Philosophie auf, erlangte aber auch bald eine ein-
flussreiche Stellung am Hof. Während 40 Jahren, wie er selbst in einer
seiner spätesten Reden an den Senat ^) sagt, diente er dem Vaterland und
den in rascher Folge sich ablösenden Kaisem Konstantins, Julian, Jovian,
Valens, Theodosius; denn er wollte nicht das Leben eines grübelnden
Philosophen führen, sondern als Familienvater und thätiger Staatsmann
die Sätze der Weisheit in die Praxis des Lebens einfuhren. So wurde
er Senator, Hess sich vielfach als Gesandter verwenden, bekleidete ver-
schiedene Staatsämter und ward zuletzt von seinem Hauptgönner, dem
Kaiser Theodosius, mit der höchsten Würde, der eines Stadtpräfekten (384),
und mit der Ehre zweier eherner Standbilder ausgezeichnet. Den Neidern,
die ihn darob anfeindeten,«) antwortete er kräftig in mehreren Reden,
besonders in der erst durch Angelo Mai an das Tageslicht gezogenen Rede
negi Tr;g aqx^g, Gastrollen als Rhetor gab er in vielen Städten, nament^
lieh in Nikomedia, Antiochia, Rom; aber die Hauptstätte seiner Thätig-
^) Suidas unt. Ssfiiattos. £. Barbt, De
Themistio sophista et apud imperatores ora-
tore, Par. 1858.
») Or. XXVII p. 401 D. Nach der leidi-
gen Gewohnheit der Rhetoren ist der Name
der Stadt seihst nicht genannt.
•) Or. XXmp.355; ififpayl^siy di int-
X^^s^ "foy yovy roy *AQictoxiXovs xai i^dytiy
ix j(oy ^rifAdx(oy, iy olg ixetyog avroy xa-
^siqU TB xal iff^d^ajo xov fjiij inidQOfÄoy
eiyai totg nayranac^y afivtjtoif,
*) Or. XXni p. 356.
^) Or. XXXI p. 426.
•) Palladaa in Antii. XI 292:
*'Jyrvyog ovQayirjg vne^fieyog ig yio^y i^l^tf
ayjvyog dgyvqivig, uttaroq dnciQ^cioy.
^Hif&a noxk XQBiifatoy ' av^ (T fyiyov noiir
oev^^ ayttßri&h xdxto, pvv ydq ayt» Mtefff^-
B b) B5mi8ohe Periode nach Konstantin. 8. Die Prosa, b) Bopldstik. (§§ 601 —602.) 807
keit blieb Konstantinopel. Hier war er der eigentliche Festredner zur
Begrüssung und Verherrlichung der Kaiser; hier suchte er in Lehre und
Rede für die Bildung und Philosophie zu wirken.^) Wie er seinen Beruf
als philosophischer Redner auffasste, hat er am schönsten in der Rede
loffiaxrfi niedergelegt; wie er sich im Anschluss an Piaton das Ideal eines
Kaisers dachte und in Theodosius verwirklicht fand, hat er nicht ohne
einen starken Anflug von Byzantinismus in den Reden auf Theodosius
ausgesprochen. Sein Schlagwort, das er unendlich oft wiederholt, ist die
(fiXav&Qwma, und damit geht Hand in Hand seine Toleranz in religiösen
Dingen, der er besonders in der Begrüssungsrede an den Kaiser Jovian
Worte leiht. Auch bei den christlichen Würdenträgern, wie Oregor von
Nazianz,^) fand er glänzende Anerkennung, aber er lebte doch ganz in
den Werken und Anschauungen der grossen Philosophen und Schriftsteller
der heidnischen Zeit, besonders des Plato, Aristoteles, Herodot, Thuky-
dides, Homer und Pindar.») Aus dem Studium jener Alten schöpfte er
auch die Beredsamkeit und die Eleganz der Sprache, die ihm bei Gregor
von Nazianz (ep. 140) den ehrenden Beinamen eines ßacdsvg Xoywv ein-
trug.^) Geschrieben und hinterlassen hat er ausser Paraphrasen zur
Physik, Analytik und Psychologie des Aristoteles, eine Sammlung von
R^den,^) von denen Photios cod. 74 noch 36 las, wir noch 34 im Original
und 1 (12.) in lateinischer Übersetzung besitzen. Im Mittelalter spielte
er als Vermittler des Aristoteles und der alten Logik eine grosse, über
seine wirklichen Verdienste hinausgehende Rolle.
Themistii orationes ex cod. Mediolanensi emend. Gu. Dindobf, 1832 mit den Noten
der froheren Heransgeber Petavius (1618) und Hardain (1684) und mit Benutzung des
handschriftlichen Apparates von Fb. Jacobs. — Zwei Reden negl uQBx^g (nicht im Original
vorhanden) und nsQl <pikiag aus syrischen Uebersetzungen publiziert von Saohac, Inedita
Spriaca, Wien 1870, wozu erläuternde Bemerkungen von Baumstabk Jahrb. f. cl. Phil. Suppl.
XKI 464 ff. — Themistii paraphrases Aristotelis ed. L. Spbngbl 1866. — Eine aus dem
Hebräischen rfickttbersetzte Paraphrase zu Arist. met. A in der akademischen Ausgabe des
Aristoteles IV 798 — 813. — Ueber das vielleicht auf Themistius Aissende ps.augnstinische
Bach Gategoriae decem ex Aristotele excerptae, s. Pbantl, Gesch. d. Logik I 669 ff. u. 724;
über eine in einem Cod. Paris, erhaltene Schrift Themistius de arte dialectica s. Pbantl,
Michael Psellus u. Petrus Hispanus S. 19.
602. Himerios,«) Sohn des Rhetors Ameinias, war um 315 in der
bithynischen Stadt Pnisa geboren, fand aber seine höhere Ausbildung und
den gewünschten Boden für seine sophistische Thätigkeit in Athen. Vom
Kaiser Julian an den Hof nach Eonstantinopel berufen, kehrte er nach
') Auff&lligerweise hat ihn Eunapios
nicht der Aufnahme in die Biographien der
berOhmten Philosophen und Sophisten seiner
Zeit gewürdigt.
>) Siehe den 139. und 140. Brief des
Gregor von Nazianz.
*) Vom Einweihen in die Mysterien ist
die Rede in einem von StobaioB Flor. 120, 28
unter Themistios Namen überlieferten Frag-
ment; aber dasselbe hat mit Reeht (vage
Einwftnde von Maass, Orpheus 303 ff.) Wvt-
tenbach dem Themistios ab- und dem Plu-
tarch zageechrieben.
4) BezQglich dieses Beiwortes vergleiche
Philostr. vit. soph. U 10 und Lukian, rhet
praec. 11. Von andern erhielt er den Bei-
namen 0 6vq>Qaiffjg. Allzu überschwenglich
urteilt Ano£LO Mai, praef. orat. ne^l aQxvs:
8% perspicue, si copiose, si erudüe, si ornate
verba facere, si praeterea nihil habere moU
lUifie nee ineptiarum perfecti generis ora^
torii est, Themistium aio in optitnorum orct-
torum flore veraari,
') Diese sind bei Suidas unter ^laXä^sig
gemeint nach einem namentlich oft bei Hi-
merios vorkommenden Sprachgebrauch.
*) Suidas unt. 7/u^^oc/ ^Eonap. vit. soph.
p. 494 ed. Didot.
808
Griechische litteratitrgesohiohte. II. Nachklaaeieche litteratur.
dem frühen Tod des Kaisers wieder nach Athen zurück. Ein gewandter
Mann von einnehmenden Formen, wusste er zahlreiche Schüler aus weiter
Feme, darunter auch Oregor von Nazianz und Basilios d. Or., an sich zu
ziehen und an seinen Hörsaal, das kleine ^äargov, wie er ihn selber
nannte, zu fesseln. Nach manchem häuslichen Ungemach, nachdem er
selbst seinem Sohne Rufinus die Klagerede (^ovipdia) hatte halten müssen
und auch seine Tochter ins frühe Grab hatte sinken sehen, starb er hoch-
betagt an der heiligen Krankheit (386). Himerios hatte keine Stellung
im Staat und spielte keine politische Rolle; er ist der reine Repräsentant
der müssigen Sophistik, der höchstens hin und wieder von der Bürger-
schaft zur Begrüssung des neuen Statthalters aufgestellt wurde, im übrigen
aber nur die Aufgabe sich setzte, andere zu einem gleich unfruchtbaren,
tändelnden Thun anzuleiten. So waren denn auch alle seine Reden, die
er veröffentlichte und von denen Photios noch 71 las,i) uns nur 24 voll-
ständig erhalten sind, Schulübungen oder Schaudeklamationen. Ein Teil
derselben gehörte in die Gattung der erdichteten oder fingierten Reden,
so eine, die er den Hypereides zu Gunsten des Demosthenes, eine andere,
die er den Demosthenes für die Zurückberufung des Aischines, eine dritte,
die er einen Ungenannten gegen den der Gottlosigkeit angeklagten Epikur
halten liess. Von diesen haben wir nur Kenntnis durch die Auszüge des
Photios; erhalten ist uns der noXsfiagxixog, der, ähnlich wie der Mene-
xenos des Piaton, zum Preise der für das Vaterland Gefallenen bestimmt
ist und noXsiiaqxixoq heisst, weil dem Archen polemarchos ursprünglich
diese Aufgabe zufiel. Die meisten aber der erhaltenen Deklamationen
sind Gelegenheitsreden, gehalten beim Beginn eines neuen Kurses, oder
bei der Ankunft eines neuen Statthalters, oder bei einem Todesfall, oder
bei dem Besuche einer Stadt.') So liess sich der gern gehörte und gern
sprechende Rhetor auf seiner Reise zu Julian in Thessalonike, Philippi,
Konstantinopel anhalten, um im Vorbeigehen Lobreden auf die genannten
Städte zu halten. Überall entledigte er sich des Auftrages in gefalliger
Weise; denn er war der Hauptrepräsentant des blumenreichen, süssen und
anmutigen Stils. An ihm war ein Dichter, verloren gegangen; da aber in
seiner Zeit Gedichte weniger als Reden geliebt wurden, so übertrug er
die dichterische, von Metaphern überfliessende Sprache ^) auf die rednerische
Prosa. Zur Dichtung hatte er sich auch mehr als zur ernsten Beredsam-
keit vorgebildet: während er sich in Demosthenes und Thukydides nur
wenig belesen zeigt, lässt er überall den vorzüglichen Kenner der Sappho,
des Alkaios, Ibykos, Anakreon, Pindar erkennen.^) Für uns hat dieses
hohen Wert, da er teils ganze, inzwischen verloren gegangene Gedichte
der klassischen Periode in Prosa wiedergibt (or. 14, 10), teils Stellen und
Phrasen aus ihnen wörtlich in seine Reden einflicht, teils neue Reden im
Geiste der alten Lyrik verfasst, wie die Hochzeitsrede auf den Severus
») Photios p. 107—9 und 353-77 Bekk.
^) Mehreren Reden ist eine nQo&eioQia
vorausgeschickt, in der der Rhetor den An-
läse und die theoretische Technik erörtert,
ähnlich wie es Synesios that.
s) noifixtxrj ÜQa von ihm selbst or. I 2
genannt, üeher seinen Stil fiberhaapi Nobdbt,
Die antike Eunstprosa 428—81.
^) TEUBEByQuaestionesJffimerianae^BresL
1882.
Bb)B6iiii8ohe Periode nach Konatantin. 8. Die Prosa, b) Sophiatik. (§603.) 809
(or. 1) nnd die jubelnde Begrüssung des Basileios beim Beginne des Lenzes
(or. 3).
Himerii qnae supersunt rec. Webnsdobf, Grotting. 1790. — Kritische Textausgabe auf
Grund des cod. Roman, von DObnek in der Didot'schen Sammlung, Paris 1849.
603. Julianus Apostata (331—363),^) der bedeutendste Mann der
Zeit, gehörte seiner Bildung und seinen Schriften nach zur Klasse der
Sophisten, war gewissermassen der Sophist auf dem Throne. Seine hohe
Stellung als absoluter Herrscher des mächtigsten Reiches gab natürlich
ihm, ähnlich wie Friedrich dem Grossen in unserer Zeit, eine Bedeutung,
die weit seine Stellung in der Litteraturgeschichte überragt ; aber was er
als Kaiser that und anstrebte, hing auf das engste, noch mehr als bei
dem Helden der preussischen und deutschen Geschichte, mit seinem Bil-
dungsgang und mit seinen Beziehungen zu den Sophisten und Philosophen
seiner Zeit zusammen. Von Geburt gehörte unser Flavius Claudius Julianus
der herrschenden Kaiserfamilie an; sein Vater war Julius Konstantins,
ein Bruder des Kaisers Konstantin. In sein Kindesalter fiel das furcht-
bare Gemetzel (338), durch das nach dem Tode des Kaisers Konstantin
sein Vater und sein Vetter Dalmatius Cäsar nebst zahlreichen Gliedern
des kaiserlichen Hauses auf Anstiften des neuen Kaisers Konstantins hin-
geschlachtet wurden. Er selbst und sein Bruder Gallus blieben verschont,
aber doch entzog sie bald darauf ihr kaiserlicher Vetter den BUcken der
Welt, indem er sie auf längere Zeit (340—6) nach einem einsamen Schlosse
Kappadokiens bringen Hess.') In dieser Zeit wurde Julian unter der Auf-
sicht eines vortreflflichen Pädagogen, des Eunuchen Mardonios, durch christ-
liche Lehrer in Grammatik und Rhetorik eingeführt. In Nikomedia, wo
wir ihn bald nachher treffen, vollzog sich in dem Geiste des jungen Prinzen
die tiefgehende Wandlung, welche ihn dem aufgezwungenen Glauben ent-
fremdete und den alten Göttern Griechenlands zuführte. Von Einfluss auf
seine Entscheidung waren neuplatonische Philosophen 3) und der Rhetor
Libanios, welch letzterer damals in Nikomedia lehrte und dessen Vorträge
sich Julian, da er dieselben selbst nicht besuchen durfte, insgeheim nach-
schreiben Hess. Als bald darauf sein älterer, zum Cäsar erhobener Bruder
Gallus auf unerwiesene Verdächtigungen hin von dem Despoten Konstantins
ermordet worden war (354), ward auch er sieben Monate lang eifersüchtig
bewacht und von einem Ort zum andern geschleppt, bis die mittleidsvolle
Kaiserin Eusebia von ihrem Gemahl erwirkte, dass er nach Athen gehen
nnd dort seiner Herzensneigung folgend den rhetorischen und philosophi-
schen Studien obliegen durfte. Aber nach kurzer Zeit wurde er wieder
den Musen entrissen, indem er an den kaiserlichen Hof nach Mailand ge-
*) Quellen: ein Artikel des Snidas, der
'Ernrdg>io^ des Libanios, zwei Schmfthreden
(or. 2 u. 3) des Gregor von Nazianz, die be-
treifenden Abschnitte in dem Geschichtswerk
des unparteiischen Ammianus Marcellinus.
Tbüftbl, Kaiser Julianus, in Studien und
Charakteristiken S. 147 — 177. Eellbbbaurr,
Kaiser Julians Leben, Jahrb. f. Phil. Suppl.
IX 183—221. W. Schwarz, De vita et scrip-
tis luliani imperatoris, Diss. Bonn 1888, mit
sorgftltigen fasti; dazu Philol. 51 (1892)
623—53.
*) Dieser Aufenthalt des Julian in Ma-
celli fundo ist nicht erwfthnt von Libanios,
wohl aber von Julian selbst ep. ad Athen,
p. 270 D, 271 D.; siehe darüber Teuffel
S. 148 flf.
') Unter diesen spielten Aidesios und
Maximus eine Rolle, indem sie den jungen
Julian in die geheimnisvolle Welt der Geister-
beschwörungen und Mysterien einweihten;
s. Kbllerbaubb S. 187 ff.
810 Chrieohiaohe LitteratnrgMchiohte. IL VaohklaMisohe litUratiir.
rufen und bald nachher als Cäsar nach Gallien geschickt wurde (356).
Hier zeigte sich bald, dass der junge Mann über den philosophischen
Studien nicht die Thatkraft des Mannes und die praktische Tüchtigkeit
eingebüsst hatte: in glücklichen Feldzügen warf er die über den Rhein
vorgedrungenen Horden der Barbaren zurück und brachte der schwer
heimgesuchten Provinz die Segnungen einer geordneten und gerechten
Verwaltung zurück. Aber je glänzender sein Stern zu leuchten begann,
desto mehr steigerte sich die Scheelsucht und der Argwohn seines kaiser-
lichen Vetters, der ihm unter dem Vorwand eines Krieges gegen die
Perser die besten Truppen entzog. Da steigerte sich der Unmut der Sol-
daten zur offenen Empörung, sie weigerten sich, ihren geliebten Feldherm
Julian zu verlassen und riefen ihn zum Augustus aus (Mai 360). Julian,
anfangs zögernd, entschloss sich schliesslich aus Furcht vor dem Lose
seines Bruders Gallus, dem Konstantins den Gehorsam zu kündigen und
denselben mit Krieg zu überziehen. Dieser starb, noch ehe es zum ent-
scheidenden Kampfe kam, in Kilikien auf dem Wege von Edessa zum
Occident, und Julian ward so alleiniger Herr des ganzen Reiches. Nun-
mehr suchte er in seiner kurzen Regierung — denn schon Ende Juni 363
fiel er im Kriege gegen die Perser, ungewiss ob von Feindes oder Meuch-
lers Hand, im 32. Jahre seines Lebens — in den Jahren 361 — 363 also
suchte er mit dem Hochdruck der kaiserlichen Gewalt seine philosophischen
und religiösen Ideen zur Geltung zu bringen. Er hatte auf der einen
Seite im persönlichen Gedankenaustausch mit den gebildetsten Philosophen
und Sophisten seiner Zeit und im geistigen Verkehr mit Homer, Piaton
und Aristoteles die Herrlichkeiten des freien, altgriechischen Geistes kennen
gelernt; er hatte auf der anderen Seite in seiner Jugend nur allzu bitter
erfahren, wie am kaiserlichen Hofe hinter der Maske christlicher Reli-
giosität sich Heuchelei, Grausamkeit, Gemeinheit der Gesinnung verbarg.
So betrachtete er es denn als seine Lebensaufgabe, den Hellenismus und
den alten Glauben wieder zurückzuführen, nicht zwar mit roher Gewalt,
aber doch mit entschiedener Begünstigung der Hellenisten, indem er gleich
bei seiner Thronbesteigung für alle diejenigen, welche wegen ihres Glaubens
unter den vorausgegangenen Regierungen verbannt worden waren, eine
aUgemeine Amnestie erliess und die Christen, welche er selbst mit dem
Namen Hebräer zu bezeichnen pflegte, von den Ehrenämtern am Hof und
von den Lehrstühlen der Rhetorik und Philosophie ausschloss. Riefen ihm
deshalb die Verehrer des Hellenismus und der Philanthropie lauten Beifall
zu, so liess es die Gegenpartei nicht an Anfeindungen aller Art fehlen.
Lange schwankte so bei Mit- und Nachwelt das Bild des merkwürdigen
Mannes, von der Parteien Gunst und Hass verzerrt, bis in unserer Zeit
eine unbefangenere Würdigung anerkannte, dass derselbe wohl an Adel
der Gesinnung und heroischem Mute den grössten Herrschern des römi-
schen Reiches zuzuzählen sei, dass er aber doch der vollen Unbefangen-
heit des Geistes entbehrte und seine Kraft an ein aussichtsloses Unter-
nehmen setzte.
604. Zur schriftstellerischen Thätigkeit fand Julian in seinem kurzen
Leben und bei seiner rastlosen praktischen Thätigkeit nicht viel Müsse;
Bb) fiOmiache Periode nach Konstantin. 8. Die Prosa, b) Sophiatik. (§ 604.) 811
doch übte er schon in seiner Jugend die Kunst der Rede, stand mit Philo-
sophen und Freunden in lebhaftem Briefverkehr und wusste bei seiner
raschen Eonzeptionsfähigkeit auch kurze Mussezeit zu bedeutenden Arbeiten
auszunutzen. 1) Nicht alles, was er schrieb, ist auf uns gekommen: sein
Werk gegen die Christen hat die nachfolgende Zeit unterdrückt; viele
Briefe, welche der Kirchenhistoriker Sozomenos noch las, fehlen in unserer
Sammlung, und auch die erhaltenen Schriften sind durch viele Lücken
verstümmelt.^) Sämtliche Schriften bewegen sich im Oeleise der Sophistik
und berühren sich in Stil und Darstellungsweise vielfach mit Lukian. Auch
Julian befleissigte sich des neumodischen Atticismus, indem er viele ver-
altete Formen der altattischen Litteratur, wie den Dual des Nomons und
teilweise sogar des Yerbums wieder in die Sprache einführte; auch er
liebt es, die prosaische Rede mit Floskeln der Dichtersprache zu schmücken:
Homer und Hesiod sind ihm vertraute Lieblinge, aber auch Verse des
Pindar, Euripides, Aristophanes, Menander führt er gelegentlich an; wie
Lukian verweb er mit Witz sprichwörtliche Wendungen in seine Reden.*)
Der äusseren Form nach besteht der litterarische Nachlass unseres Julian
in Reden, Briefen und Dialogen.
Voran stehen in unseren Handschriften und Ausgaben acht Reden,
nämlich drei konventionelle Lobreden auf Konstantius und Basileia, zwei
theosophische Deklamationen auf Hehos und die Göttermutter im Geiste
des Neuplatonismus, zwei Streitschriften gegen die Verkehrtheiten der
jüngeren Kyniker, und eine an sich selbst gerichtete Trostrede bei der
Trennung von seinem Freunde Salustius. Die Lobreden auf Konstantins
sind nicht frei von unwahrer Schönfärberei; wie er wirklich über jenen
Despoten dachte, enthüllt er in dem interessanten Manifest an seine ge-
liebten Athener, worin er den Schritt offener Auflehnung gegen den Kaiser
zu rechtfertigen sucht. Bedeutender als seine Reden ist seine witzige,
im Geist der römischen Satire *) geschriebene Schrift 2vii7i6aiov rj Kqovia^
von ihrem Hauptinhalt auch Ka(aaQtg benannt, in welcher zu einem an
den Saturnalien im Himmel veranstalteten Gastmahl die vergötterten Kaiser
erscheinen und den Gegenstand einer witzigen, an bitteren Bemerkungen
und Anspielungen reichen Darstellung abgeben. An die griechischen
lambographen knüpft Julian in dem Miaonoiywv an, in welchem er sich
selbst, den von den undankbaren Antiocheern wegen seines Philosophen-
bartes {nwyoov) verspotteten Kaiser, anklagt und dabei allerlei interessante
^) Wie rasch er arbeitete, bezeugt er
selbst in der 4. Rede p. 204, 4: ravtä aoi
. . , ir rquai ^aXiova yv^iy «ic otoy xb ^v
ineX96vta fioi xj fJ^yfjfiJJi xal ygaipai nqos
ae MX^rjaa,
*) Siiidas in dem wirren Artikel über
Julian erwähnt eines rfttselhaffcen Baches
negi jtSy tQtwy axtifJiaxmy, Lydos de mag.
I 47 Mij/ayixa, Julian selbst in den Briefen
Kommentare fiber die Kriege mit den Ala-
mannen.
>) Der Atticismus des Julian und na-
mentlich die Dichtercitate gut behandelt von
BsAMBS, Stadien zu den Werken Julians des
Apostaten, Progr. Eichstätt 1897.
*) Verwandt ist insbesondere des Seneca
Satire ^AnoxoXoxvyroHfts. Verschieden von
dem erhaltenen Buche IvfAitoaioy rj Kqovia
müssen die Kgoyia gewesen sein, welche er
Or. 8 p. 204, 7 erwfthnt und aus denen uns
Suidas unt. ^fJLitB^oxifÄog eine Stelle erhalten
hat. — Mit den KQoyia haben die Satnmalia
des Macrobius nur den Titel und die Voraus-
setzung geschftftsfreier Ferien an den 3 Sa-
tumustagen des Dezember gemeinsam; die-
selben sind ohne Beziehung auf die Schrift
unseres Julian erst später, geraume Zeit nach
385, abgefasst.
812
Oriechisohe LltieratvrgMchiohte. ü. N achklassisohe Litteratur.
Dinge von seinem Wesen und seiner Jugendgeschichte erzählt. Einge-
flochten ist in die Rede auch eine anziehende Schilderung der Hauptstadt
Galliens, in der man schon in nuce das heutige lebenslustige und ver-
gnügungssüchtige Paris vor sich zu haben vermeint.
Die wichtigste Stelle unter den erhaltenen Werken unseres Kaisers
nehmen die Briefe ein. Darunter sind drei, welche in Briefform allge-
meine Fragen behandeln, nämlich das oben schon erwähnte Manifest an
die Athener, ein Brief an den Philosophen Themistios, in welchem der
Kaiser die Besorgnis ausspricht, ob er den in ihn als Regenten gesetzten
Erwartungen auch entsprechen könne, und ein Schreiben an einen Un-
bekannten, das sich in starken Ausfällen gegen die Christen ergeht. Die
übrige Sammlung von im ganzen 84 Briefen umfasst auch die kaiserlichen
Breveni) und Erlasse, enthält aber auch mehrere unechte Stücke.*) Im
allgemeinen lernt man aus den Briefen recht den hochherzigen, von
wärmster Begeisterung für das Hohe und Edle erfüllten Geist des Kaisers
kennen. Herrliche Denkmale seiner schwärmerischen Hingabe für Freunde
und Lehrer sind namentlich seine Briefe an Maximus (ep. 15), Eugenios
(ep. 18), Priscus (ep. 71), Libanios (ep. 3, 44, 74). Für seine Anschau-
ungen über religiöse Toleranz und seine Stellung zu den Christen und
Juden sind besonders wichtig die Briefe 25, 51, 52.
Nicht mehr erhalten sind die drei Bücher gegen die Christen, welche
er auf dem Feldzuge gegen die Perser schrieb, wie einst Julius Cäsar auf
seinem Zug über die Alpen die Bücher de andlogia lingual laünae ge-
schrieben hatte. Wir kennen den Gedankengang der Schrift aus der Ent-
gegnung, welche 60 Jahre später (429) der Bischof Kyrillos verfasste. Da
aber von den 30 Büchern der Gegenschrift nur die 10 ersten auf uns ge-
kommen sind, so werden uns nur aus dem ersten Buch der kaiserlichen
Schrift die betreffenden Sätze, meist in wörtlicher Anführung, mitgeteilt
Man sieht aus denselben, dass der Kaiser ausser den Werken der grie-
chischen Philosophen auch die Schriften des alten und neuen Testamentes
mit kritischem Urteil studiert hatte, so dass er z. B. eine exakte Gegen-
überstellung der Schöpfungsgeschichte des Pentateuch und der Physik des
platonischen Tiraaios zu liefern vermochte. So sehr uns indes auch der
klare Blick des Verfassers, sein begeistertes Lob der Erfindungen des
hellenischen Geistes, die scharfe Verdammung der christlichen Unduldsam-
keit für den Verfechter des Hellenentums einnehmen, so fehlen doch auch
diesem Werke nicht die schwachen Seiten: man kann gegen die Wunder
der christlichen Legende nicht erfolgreich polemisieren, wenn man sich
selbst zum Glauben an die Wahrheit der heidnischen Vorbedeutungen und
Wahrsagungen bekennt. — Auch ein paar poetische Kleinigkeiten des Julian
0 Das lateinische hreve ist bekanntlich
das Original für unser deutsches Brief.
*) Gleich der 1. Brief gehört, wie Heb-
CHKR im Hermes I 474 erkannte, nicht dem
Julian, sondern Prokop aus Gaza an. Sicher
unecht und von einem christlichen Fälscher
herrührend ist der Brief des Gallus an seinen
Bruder, und der in leerer Prahlerei geschrie-
bene 75. Brief. Als unecht erweist W. Schwau
a. 0. 23 ff. auch die an lamblichoe gerich-
teten Briefe. Zu weit geht in der Anzwei-
felung der Herausgeber Heyler; s. Teüffbi
I 162 ff., Fb. Gumont, Sur Tauthencit^ de
quelques lettres de lullen, Gand 1889. Ueber
die chronologische Reihenfolge der Briefe a.
Nabrb Mnem. XI 387 ff.
Bb) Bömisohe Periode nach Konstantin. 8. Die Prosa, b) Sophistik. (§ 605.) gl3
haben sich bis auf unsere Zeit gerettet, darunter ein witziges Epigramm
auf den Bock oder den keltischen Gerstensaft.
Codices: Der beste ist der Yossianus 77, wovon eine Nachlese gibt Gobet, Mnem.
X n. XI. — Juüani quae supersnnt cum notis Pietayii (1630) rec. Spanbemius, Lips. 1696;
rec. 'Hbbtlbih in Bibl. Teubn. 1876 mit kritischem Apparat. — Joliani librorum contra
Christianos qnae sapersnnt rec. G. J. Neuhakn, Lips. 1880; dazu kritische Nachlesen von
GoLLWiTZEB, in Acta sem. Erlang. TV 357—94; Asmrs, Theodorets Hierapentik und ihr Ver-
hältnis zu Julian, Byz. Ztschr. lU 116 ff. — Juliani epistolae ed. Hetleb, Mognnt. 1828. —
Sechs neue Briefe aus dem Kloster Ghalke bei Eonstantinopel teilt Papadopulos, im Rh. M.
42, 15 ff. mit; die Echtheit der drei ersten bezweifelt W. Schwabz, De vita et scriptis Juliani
p. 30. — Ueber die Anregung, die Julians heroische Gestalt auf die Dichtung des Mittel-
alters und der Neuzeit übte, siehe M. Eooh Beilage der Mttnch. Allg. Ztg. 1898 n. 236.
605. Ghorikios von Gaza aus der Zeit des Kaisers Anastasios ist
Verfasser mehrerer Deklamationen und Beschreibungen, die durch Zufall
sich bis auf unsere Zeit erhalten haben. Die Reden, mehrere mit nach-
folgenden Erläuterungen (StaXä^sig), behandeln teils vulgäre Themata der
Rhetorenschulen, wie von dem Tyrannenmörder, dem Geizhals, den Mimen
(vnäf Tciv fiiiuLwv), teils sind sie Lob- oder Grabreden auf hochstehende
und befreundete Männer. Neu ist die Gattung von Hochzeitsreden («tt*-
^alafAioi) an ehemalige Schüler, in denen der Rhetor zur herkömmlichen
Feier des Tages durch Tänze und Gesang auch noch das Angebinde von
Reden fügt, indem er Glück und Kindersegen dem Brautpaar wünscht und
mit dem obligaten Preis des Bräutigams und der Braut fade erotische
Erzählungen verbindet. Ist auch der innere Wert der Reden gering, so
lassen sie uns doch ihren Verfasser als einen gutunterrichteten Litteraten
erkennen. Wie die sophistischen Redner jener späten Zeit überhaupt, so
sucht auch Ghorikios hauptsächlich durch Reminiscenzen an Homer, Pindar
u. a. die Darstellung zu beleben;^) ausserdem ist ihm wie der ganzen Schule
von C^a eine besondere Peinlichkeit in der Vermeidung des Hiatus eigen. ^)
Lehrer des Ghorikios war der Sophist Prokopios (450 — 513),^) ver-
schieden von dem berühmten Historiker der Zeiten Justinians. Derselbe
wird von Photios, Bibl. cod. 160 als Verfasser von Reden und Metaphrasen
Homers gepriesen; auf uns gekommen sind von ihm Briefe und Kom-
mentare zu Schriften des alten Testamentes und eine Entgegnung auf
Proklos, worüber Bardenhewer, Patrologie 504, Erhard in Krumbachers
Byzant. Litt.^ 125 ff., unten § 623. — Ausserdem sind aus jener Zeit
noch auf uns gekommen einige unbedeutende Schulübungen der Rhetoren
Adrianus und Severus.*) Denn die skizzenhaften Aufsätze {fiekäTat)
des Adrianus entbehren zu sehr des Glanzes der rhetorischen Phrase,
als dass man sie mit Walz, dem neuesten Herausgeber derselben, dem
berühmten Sophisten Adrianos aus der Zeit des Kaisers Marcus An-
tonius zuschreiben dürfte. Noch weniger haben dieselben mit dem Kaiser
*) Malchik, De Choricii Gazaei veterum [ ') Die Lebenszeit nachgewiesen von
graecoram scriptorom studiis, Kiel 1884. Dräseke, Byz. Zeitschr. VI 85.
Ueber gleiche Phrasen bei unserem Ghorikios > ^) Suidas unt. Zeß^gog und Damaskios
und dem Historiker Prokop infolge des glei- bei Phot. bibl. cod. 242, wo es p. 340^^ 4
chen Studiums der Vorbilder Herodot und von diesem Rhetor Severus heisst: 'Pwfituog
Thakydides Hauby, Beurteilung des Ge- ^y ovtog xal ^Av^BfAiov (gest. 471) nuQaa-
achichtschreibers Prokop von Cäsarea, Progr. /oVroj iXnidag (ög «J 'PcJ^iy neaovoa naXiv
des Wilhelm-Gymnas. München 1896 S. 10 ff. 5t' nvtov ayaatijaeiat, inl ^Ptofitjy, ratntjg
*) Nachgewiesen von Robdbn, De mundi I nQoayax(OQijattgy inavrjxe xal rifArjg vnwxixrjg
mimculis p. 41. ' hv^Bv,
gl4 Orieohisohe LitteratiirgMchiohte. U. Haohklaasische Littoimtiir.
Hadrian etwas zu thun, wie der Patriarch Photios angenommen zu haben
scheint;^) vielmehr werden sie von demselben Adrianos herrühren, von
dem Photios, Bibl. cod. 2 eine Einführung in die heilige Schrift {shaymyr^
Tfjg yQuffvfi) verzeichnet.*)
Choricii Gazaei orationes declamationes fragmenta cur. Boissokadb, Paris 1846. Nach-
träge lieferten Gbaux, Revue de phil. 1877, und R. Föbstbb, M^l. Granx 639 — 41. Henn.
17, 208 ff. Derselbe Gelehrte veröffentlichte im Ind. lect Vrat 1891 zwei neue Epfcha-
lamien. Zur Würdigung des Mannes vgl. Satbas, JoxlfjiiQv nBQi tov i^eatQov xai r^c
fÄovatxrj^ Ttoy BvCayriyfoy, p. 339 ff. Kirsten, Quaest. Choricianae, Diss. Breslau VII 2 a 1894.
— 'A&Qtttvov TOV fiJTOQog fieXeta$ und 2evfj^ov SiriytjfAaxa xai tj&onouai in Walz, Rhei gr.
1. 1 p. 526-48.
606. Rhetorika. Auch in unserer Periode ging den litterarischen
Werken der Sophistik, den Reden, Briefen, Romanen, die Theorie der
Beredsamkeit zur Seite. Libanios und Themistios waren zugleich Lehrer
der Rhetorik und gaben sich mit Erklärung der alten Redner und Ver-
fertigung rhetorischer Kompendien ab. Ausserdem gehören mehrere be-
reits im vorigen Abschnitt besprochene Commentatoren rhetorischer Schrif-
ten, wie Sopatros, Markellinos, Aphthonios, Nikolaos, ihrer Lebenszeit nach
unserer Periode an. Einen besonderen Namen erwarb sich gegen Ende
des Altertums Lachares, der um 450 in Konstantinopel die Rhetorik
lehrte. 3) Er war Verfasser eines gepriesenen, aber wesentlich aufDiony-
sios und Hermogenes fussenden Werkes tisqI xuHov xal xofi/Aarog xai ticqI'
63ov. Von demselben ist uns ein Auszug erhalten, den im 10. Jahrhundert
zur Zeit des Kaisers Leo des Weisen ein unbekannter Schulmann ver-
fertigte. Bis in neuester Zeit lief dieser Auszug unter dem stolzen Namen
des Rhetors Kastor, den wir oben § 405 als Zeitgenossen Ciceros kennen
gelernt haben. Jetzt ist es durch L. Cohn erwiesen, dass der Name eine
Fälschung ist und dass derselbe erst im 16. Jahrhundert von dem unver^
schämten Fälscher Konstantinos Palaiokappa dem CJod. Paris. 2929 vor-
gesetzt wurde.*)
Erste Ausgabe von Walz, Rhet gr. III 712 — 23; berichtigte von Stddbitukd, Pseudo-
Castoris excerpta rhetorica, Vratisl. 1888. — Ein neues Fragment des Lachares aus einem
Pariser Cod. suppl. gr. 670 teilt mit Gbabven Henn. 30 (1895) 288—313.
c) Der Roman. ^)
607. Auf dem Boden der Sophistik ist auch der Roman entstanden;
die Romane selbst hiessen loyoi iQ<otixoi\ und die Romanschriftsteller
hatten neben dem speziellen Namen iQwnxoi auch den allgemeinen qr;;to^q
oder aoifiazai. Die Sophistik repräsentierte eben die Kunst der poetischen
') Phot. Bibl. cod. 100: dreyywodtj i Mftngel des Textes s. Sohlürbk Jhrb. f. pro-
" " test. Theologie 13 (1887), 136—59.
') Suidas unter AaxaQfjgy Photios, Bibl.
p. 341 Bekk., Marines, vit. Procl. c 11.
*) L. GoHN in Philol. Abhandl. zu £3iieii
von M. Hertz S. 125 f.
^) Chassano, Histoire du roman daos
Tantiquitö, Paris 1862; Nicolai, EntBitefanng
u. Wesen des griech. Romans, BerL 1867;
RoBDE, Der griechische Roman und seine
Yorlftufer, Leipzig 1876, Hauptwerk. Ed.
ScHWABTz, FOnf Vorträge Aber den griechi-
schen Roman, Berlin 1896.
'jdQiayov xov ßaaiXitag fteXhai dia(poQoiy
eig to fAETQtoy ror Xoyov nyrjyfi^yni xai ovx
nrjdsTg, Wahrscheinlich waren das dieselben
fieXäTtttf die uns noch vorliegen, nur scheint
Photios noch ein vollständigeres Exemplar
gehabt zu haben; das unsere ist offenbar am
SchluBS verstümmelt.
*) Diese Isagoge aus 2 Augsburgem,
jetzt in München befindlichen Handschr. (cod.
Mon. 107 u. 477) herausgegeben von Höschel,
Augsb. 1604, wiederholt in Migne^s Patrol.
gr. t. 98. Ueber neue Hilfsmittel und die
B b) fiOnÜBclie Periode naeh Konstantin, d. Die Prosa, o) Der Roman.
-608.) 815
Prosa, und der Koman wollte mit seiner freien Erfindung und seiner ge-
zierten Sprache Ersatz für die verschlungenen Liebesabenteuer der eroti-
schen Elegie und der neuen Komödie bieten. Nachdem einmal das poe-
tische Liebesspiel des Dramas von der Bühne so gut wie ganz ver-
schwunden war und die Freunde des Menander und Diphilos deren Stücke
nur noch aus Büchern kennen lernten, war es den Dichtern nahe gelegt
den Dialog und die Cantica ganz aufzugeben und eine Form zu suchen,
die sich besser zur einfachen Lektüre eignete ; das war aber die des Ro-
mans oder der poetischen Erzählung. Dass dabei auch die metrische Ein-
kleidung der Rede geopfert wurde, darf uns nicht befremden; ward doch
in der Zeit der Sophistik nur auf den rhythmischen Tonfall der prosaischen
Rede Wert gelegt, so dass die Sophisten Himerios und Ghorikios selbst
Epithalamien in Prosa schrieben. Aber ganz und gar eignete sich der
Roman von der Poesie und speziell von der neuen Komödie die schöpfe-
rische Freiheit der Erfindung an, die sich noch mehr wie im Drama der
Fesseln der Wirklichkeit und Überlieferung entschlug und an dem Wunder-
glauben der Zeitgenossen, den fabelhaften Berichten aus fernen Ländern
und dem launenhaften Walten der Göttin Fortuna reiche Nahrung fand.^)
Mehr aber noch als von den Schöpfungen der poetischen Muse galt von
den Romanen der Satz, dass sie lediglich zur Unterhaltung geschafifen
waren, ^) weshalb schon der Kaiser Julian der kräftigen Nahrung wirk-
licher Oeschichtserzählung vor der leichten Ware dieser phantasieerhitzen-
den Erdichtungen den Vorzug gab.*)
608. Als Vorläufer des Romans können die milesischen Fabeln {Mi-
XrjCmxa) des Aristides von Milet und die Erzählungen erotischer Lebens-
schicksale (iQcoTtxd na^rjna%a) des Parthenios angesehen werden. Die
ersteren, die sich einer seltenen Beliebtheit erfreuten,^) sind uns leider
verloren gegangen, doch kann uns von ihrem Ton die hübsche Erzählung
in Petronius Arbiter c. 111 eine gute Vorstellung geben ;^) in der Grazie
der Erzählung und in der schlüpfrigen Anzüglichkeit ihres Inhaltes ver-
gleichen sie sich den altfranzösischen fabliaux und den Novellen Bocca-
cios.*) — 'Die iQwzixd nax>i]iiaTa des Parthenios, die wir noch besitzen, sind
aus Historikern und Dichtern in Exzerptenform zum Zwecke dichterischer
Anleitung zusammengetragen und vom Verfasser seinem Freunde, dem
') In der gleichen Atmosphäre entstan-
den die Wundergeschichten der christlichen
Heiligen, von denen unten ; beachtenswert ist
efg^ dass geradezu 2 Romane späteren christ-
lichen Bischöfen zugeschrieben wurden.
•) Lucian, Wahre Geschichten I 1: roTg
negi xovg Xoyovg ianov^axoaiv riyovfjiai nQoa-
fJMBiv (ABXtt rtjy noXXijy rtSv anovdaiorigwy
aräyymaiy ayt^yai rtjy dufyoiay . . . yiyotxo
cT ay ififieXig ij dyanavaig avxolq, bI roTg
roiovTotg ttav «yayymcftttTfoy ofnXoUy, a firj
fAot^oy ix tov aareiov rs xal /a^cfiio'oc ifftXijy
nagi^et rny ^pv^aytoylny, (iXXd riya xal
^ewQiay ovx dfiowroy inidei^Bxai,
») Julian I 386 H.: Ttqinoi, <r «V ij^r^
Ictoqlaiq iyjvy^dyuyi onocai avyeyQutptjatty
inl nenoifjfiiyoig roTg igyoig, oaa di iaxiy
iy laxogiag stdei nagd xotg ^firiQoa&ey dnijy-
yeXfiiya nXdafxaxay nagaixtjxBoy, igtoxMdg
vno9saevs xal ndyxG dnXfog xd xoiccvxa,
*) Vgl. Plut. Crassus 32, Lucian Amor.
1, Ovid. Trist. II 413.
^) Aus den milesischen Erzählungen
scheint auch die Erzählung bei Aelian fr. 12
zu stammen. Die lateinische Uebersetzung
des Sisenna ist gleich dem Original verloren
gegangen.
*) Erw. Robdr, üeber griechische No-
vellendichtung und ihren Zusammenhang mit
dem Orient, Vhdl. d. 30. Vers. d. Phil. S.
55—70.
816
Grieohisohe litteratargeBohiohte. IL VaohkUMische litterator.
römischen Elegiker Cornelius Qallus, gewidmet, i) Nach dem Verlust der
Originale, aus denen das Büchlein gezogen ist, hat dasselbe für uns grossen
Wert, der noch dadurch erhöht wird, dass die Quellen der einzelnen Er-
zählungen, wenn auch nach Horchers Nachweis*) erst von fremder Hand
angemerkt sind.*) Es sind aber dieselben teils aus den Tragikern, teils
aus alexandrinischen Elegikern, teils aus den Lokalhistorikern namentUch
von Lesbos, Milet, Naxos entnommen. — Auch Asopodoros aus Phlius,
von dem ausser Jamben Athenaios p. 639 auch ein Buch über Liebe er-
wähnt, scheint in diesen Kreis und diese Zeit zu gehören.^)
609. unter den eigentlichen Romanschriftstellern sind die ältesten,
von dem schon oben § 537 besprochenen Lukios von Paträ abgesehen,
Antonios Diogenes, lamblichos und Xenophon.
Der Ninusroman, von dem neuerdings zwei längere Bruchstücke aus
Papyri des Berliner Museums bekannt geworden sind,*) ist wahrscheinlich
noch älter als der Thuleroman des Antonios Diogenes. Denn nach einer auf
der Bückseite geschriebenen Rechnung muss er vor 100 n. Chr. verfasst sein.
Er enthielt die Liebe des assyrischen Eönigssohns Ninus zur jungen Tochter
der Derkeia (Semiramis?); eingeflochten war in die Liebesgeschichte der
Kriegszug des Ninus gegen das wilde Gebirgsvolk der Armenier.
Antonios Diogenes wird von Rohde, Griech. Rom. 258, ins 1. Jahr-
hundert gesetzt; sicher lebte derselbe vor Lukian, der ihn in den wahren
Geschichten und im Ikaromenippos parodiert, wahrscheinlich auch vor
Plutarch, der auf seine fabelhaften Reiseerzählungen in der Geschichte
vom Gesicht im Mond anspielt. Von seinem 24 Bücher füllenden Roman
über die Wunderdinge jenseit Thule's {t€ov vnhQ &ovXf]v ämanav koyw xJ')
sind uns ausser dem Auszug des Patriarchen Photios, noch grössere Stücke
in dem Leben des Pythagoras von Porphyrios erhalten. Die Einkleidung
der Erzählung war eine ähnliche wie in des Diktys Gretensis Tage-
büchern vom trojanischen Krieg. «) Wie diese, in einer Bleikapsel ge-
borgen, zur Zeit des Nero bei einem Erdbeben wieder zum Vorschein
gekommen sein sollten, so erzählt Antonios Diogenes seinen Lesern, dass
der Hauptheld seines Romans, Dinias, seine Erlebnisse auf zwei Tafeln
von Cypressenholz geschrieben habe, die dann bei der Eroberung von
Tyrus durch Alexander in der Grabkammer des Dinias wieder zum Vor-
schein gekommen seien. 7) Jene Erlebnisse aber drehen sich um die Liebe
des Arkadiers Dinias zur schönen Derkyllis, der Tochter eines vornehmen
Tyriers, die derselbe in dem äussersten Thule kennen gelernt hatte.
Unter den Nebenpersonen spielt Astraios, ein Schüler des Pythagoras, eine
') Siehe § 355.
2) Herchbb, Herrn. 12, 306 ff.
») Siehe § 378 über ein Ähnliches Ver-
hältnis bei Antoninus Liberalis.
*) Siehe jedoch Susbmihl, AI. Lit. II 677
Amn. 9.
') M. WiLOKEN, Ein neuer griechischer
Roman, Herrn. 28 (1893) 161 ff. ^
•) Nach Suidas hatten diese 'Eipfj^sQl&eg
9 Bücher, von denen sich nur die lateinische
Bearbeitung des Septimius De hello Troiano
aus dem Anfang des 4. Jahrhunderts er-
halten hat. Ueber die Erhaltung des grie-
chischen Diktys im Mittelalter Noack, Da
griechische Diktys, Philol. Suppl. VI 408-
97; Patzig, Byz. Ztschr. I 131 f.. II 413 ff.
^) So schwindelt auch Flaccius Afri-
cus in dem Traktat von den 7 Planeten-
pflanzen, s. Sathas, Ms. gr. cl. IV n. 57:
inveni in civitcUe Troiana in monumemto
reclusum prciesentem libeüum eum anibw
primi regia Kiranidis.
Bb)Böiiiisoh6PeriodenaoliKoii8taiitin. S.DieProaa. oDerBoman. (§§609—611.) 817
Bolle; in die Liebesabenteuer sind mancherlei phantastische Berichte von
Reisen zu den äussersten Erdwinkeln, ja bis zum Hades und bis zum Mond
eingeflochten.
610. lamblichos von syrischer Herkunft schrieb unter Lucius Verus
Baßvlcaviaxä in35 Büchern. Dieselben enthielten die wunderbaren Ge-
schicke des Liebespaares Sinonis und Rhodanes, das verfolgt von dem
Könige Babylons, der sich in die schöne Sinonis verliebt hatte, aus einem
Abenteuer in das andere gestürzt wurde; erhalten ist uns nur ein trockener
Auszug der ersten 16 Bücher durch Photios.
Xenophon der Ephesier, den Suidas neben zwei anderen Roman-
schriftstellern gleichen Namens, aber verschiedener Herkunft anfuhrt, wird
von den neueren Forschem i) in die Grenzscheide des 2. und 3. Jahr-
hunderts gesetzt und schrieb jedenfalls den uns erhaltenen Roman Ephe-
siaka') noch vor der Zerstörung des berühmten Tempels der Diana in
Ephesos (263). Anlage und Inhalt desselben erinnern an das Liebespaar
Habrokomes und Pantheia der xenophontischen Eyropädie und zugleich
an das alte Epos der Odyssee: zwei Liebende, Habrokomes und die schöne
Antheia, welche gleich der keuschen Penelope allen Verlockungen wider-
standen hatte, erzählen sich, nachdem sie sich nach langen L:rfahrten
endlich in Rhodos wiedergefunden, ihre früheren Erlebnisse. Mit der
Odyssee teilt der Roman auch die Einlage zahlreicher Episoden. Die Er-
zählung ist, wenn auch mitunter knapp, so doch fliessend und anmutig.
611. Heliodoros aus Emesa ist Verfasser des meistgelesenen und
umfangreichsten der uns erhaltenen Romane, des avvtayfia %&v nsQi 0£a-
yävriv xai XaQixXeim' Al&tonix(ov in 10 B. Hauptheldin des Romans ist
die äthiopische Königstochter Charikleia, welche von der Mutter aus Furcht
vor dem Argwohn ihres Mannes ausgesetzt nach Delphi gebracht worden
war, dort bei den delphischen Spielen den schönen Theagenes kennen ge-
lernt hatte und nach vielen und schweren Gefahren endlich, als sie mit
Theagenes bereits zum Opfertode geführt wurde, als Königstochter wieder
erkannt und dem Theagenes feierlich angetraut wird. Der Erzählung eignen
gegenüber der des Xenophon die Hauptvorzüge des Romans, epische Breite,
Anschaulichkeit der Schilderung, Erhaltung der Spannung des Lesers. Wir
werden gleich im Anfang in medias res, in den wilden Kampf der eifer-
süchtigen Piratenführer Trachinos und Peloros an der Mündung des Nil
versetzt und erfahren erst nach und nach aus dem Munde anderer die
früheren Geschicke der Charikleia, die jene Scene der Eifersucht hervor-
gerufen hatte, und die Vorgeschichte des Theagenes, der in jenem Kampfe
schwer verwundet worden war. Im übrigen wird der Vorhang erst nach
und nach weiter aufgezogen und das volle Geheimnis erst am Ende ent-
hüllt, freilich so, dass wir von der Mitte an (IV 8) den weiteren Verlauf
und den schliesslichen Ausgang unschwer erraten. In der Kunst der
*) RoHDE, Griech. Rom. S. 392. Scbkepf, I ') Die uns erhaltenen 'Eq>e<naxtt haben
De imitationis ratione inter Heliodonim et 5 Bücher, Suidas hingegen spricht von 10
Xenophontem Ephesium, Kempten 1887, weist Bttchem, weshalb Rohdb S. 401 an einen
nach, dass Xenophon vor Heliodor, der ihn | Auszug denkt,
nachahmte, gelebt hat. |
Baadlmoh der klaas. AltertnmtwlMeiisohAn. Vn. 8. Aufl. 52
818 Grieoblsohe LittaraiiirgMohiehte. IL Jachkla— iaohe littoimtnr.
lebendigen Schilderung äusserer Dinge, wie der pythischen Spiele und der
Sümpfe an der Niknündung, fordert Heliodor seinesgleichen; weniger ge-
Ungt ihm die Darstellung des inneren Seelenlebens, zumal wir in diesem
Punkte aus der Natürlichkeit antiker Auffassung ganz in die dumpfe
Atmosphäre des Orakel- und Dämonenglaubens versetzt werden. Gleich
die Haltung der beiden Hauptpersonen, die geschworen hatten, sich der
geschlechtlichen Berührung bis zur Aufdeckung der Herkunft der Ghari-
kleia zu enthalten, die sich aber trotzdem in Liebkosungen und Um-
armungen nicht genug thun können, hat etwas Unnatürliches, was am
wenigsten zum hellenischen Wesen passt. Das geringste Lob verdient der
sprachliche Ausdruck ; Heliodor war eben Semite von Geburt, und es war
ihm nicht so gut wie seinem Landsmann Lukian geglückt, sich in das
fremde Idiom hineinzuleben; er verrät sich überdies mehr denn gut als
Schüler der Sophistik nicht bloss in den eingelegten Reden und Gerichts-
verhandlungen, sondern auch in den überkühnen Metaphern und gesuchten
Wendungen. Von den alten Autoren war ihm ausser Homer besondere
Euripides geläufig, dessen Hippolytos er in der weitausgesponnenen Epi-
sode von der Liebe der Demainete zu ihrem Stiefsohn Knemon kopierte. >)
Der Verfasser gibt sich selbst am Schlüsse seines Werkes mit den
Worten kund: avvära^sv ävrJQ ^oTvi^ 'Efxrjaccvog twv d(p* "^Hltov 0€oSotftov
nalq ^HhoScoQog, Damit sagt uns derselbe nicht viel mehr als wir aus
dem Buche selbst erraten würden. Das Priestertum und speziell der
Sonnenkult spielt eben eine Hauptrolle in dem Roman und zeigt sich auch
von seiner vorteilhaften Seite in der reineren Moral, der Scheu vor dem
Selbstmord, der Abwesenheit der Knabenliebe, der strengen Büssung auch
kleiner Vergehen. Leider sagt uns Heliodor nichts von der Hauptsache,
die wir zu wissen wünschten, von der Zeit, in der er lebte. Der wich-
tigste Anhaltspunkt bleibt uns daher die freilich von einem Hauptkenner,
Rohde Griech. Rom. 432 flf. bestrittene Notiz des im 5. Jahrhundert leben-
den Kirchenhistorikers Sokrates, Hist. eccl. V 22, 51, dass der Bischof von
Trikka in Thessalien in seiner Jugend den Roman verfasst habe.^) Auf
der anderen Seite scheinen die siegreichen Kämpfe des Aethioperkonigs
gegen die Satrapen von Oberägypten ein Reflex der wachsenden Macht
der Blemyer zu sein, welche Diokletian mit der Zahlung eines schimpf-
lichen Tributes abfinden musste,^) und demnach unseren Heliodor an das
Ende des 3. Jahrhunderts zu versetzen.
612. Achilles Tatius {'AxiXXevg Tcfreo^) *) aus Alexandria, Verfasser
der Geschichte von Leukippe und Klitophon {zä xatd Asvxinnr^v xal
KkenotfMVTtt ßißX. r/), und neben Heliodor der gelesenste Romanschrift-
steller des Mittelalters, ö) lebte nach Heliodor, den er vielfach plünderte;
*) Heliodor selbst war hinwiederum be-
liebtes Vorbild der französischen Dramatiker,
worüber Tüohkbt, Racine u. Heliodor, Zwei-
brücken Progr. 1889.
') Ein Christ war der Heliodor, der
die 269 holprigen Trimeter ne^i xrjg ttoy
(ptXoa6(f(oy fjivatixrjg re'xyfjg in der Zeit des
Kaisers Theodosios verfasste; aber dieser
an sprachlicher Gewandtheit nachsteht» nichts
zu uiun.
») Procop., Bell. Fers. I 19; beachtens-
wert ist, dass Suidas oder Hesrchius too
Milet den Heliodor ebenso wie Chaiiton und
Longus in seinem Lexikon nicht erwähnt.
*) EoHDB, Griech. Rom. 472.
6) Vgl. Bbkkbb, An. gr. p. 1082. Heber
Heliodor hat mit dem unseren, dem er weit | die Nachahmung durch Eustathios in der Ge-
B b) fiOmisohe Periode nach Konstantin. 8. Die Prosa, c) Der Boman.
-ßl4.) 819
ob auch nach Musaios, lässt sich deshalb nicht mit Sicherheit entscheiden,
weil man mit dem gleichen Recht Benützung des Musaios durch Tatios
als umgekehrt annehmen kann.^) Nach Suidas trat er zum Christentum
über und wurde sogar Bischof. Seinem Roman merkt man nichts von
christlicher Moral an; umgekehrt gehört die Diskussion des Themas, ob
die Mädchenliebe oder die Knabenliebe den Vorzug verdiene (2, 35 — 38),
zu den gemeinsten Stellen der alten Litteratur. Auch in der Kunst der
Komposition steht er dem Heliodor nach; die Charakterzeicbnung und
Scenenschilderung tritt zurück hinter dem sophistischen Beiwerk von
Reden, Briefen und Bilderbeschreibungen, welche die eigentliche Erzählung
in üppiger Fülle überwuchern.
613. Chariten gilt uns als Repräsentant des historischen Romans,
indem er seine Geschichte des Chaireas und der Kallirrhoe in die Zeit des
peloponnesischen Krieges verlegt, wo der Vater der Kallirrhoe, Hermo-
krates als Feldherr der Syrakusaner die Athener besiegte. Auch der Ab-
fall der Ägypter von den Persern, in den das Geschick des Chaireas ver-
flochten wird, hat eine historische Basis, ist aber ohne genaue Beachtung
der Chronologie nur herangezogen, um die Helden des Romans an den
Hof des Perserkönigs kommen zu lassen. Im übrigen ist der Roman des
Chariten der geringste von allen. Der Inhalt lässt überall die kunstlose
Nachahmung des Xenophon und Heliodor erkennen, die Sprache ist ein-
tönig und voll von Solökismen, die eingelegten Volksversammlungen und
Gerichtsverhandlungen verraten einen Mann, der von dem öffentlichen
Leben der alten Zeit kein Verständnis hatte. Von der Zeit und den per-
sönlichen Verhältnissen des Verfassers wissen wir so gut wie nichts. Denn
selbst seine eigene im Anfang und am Schluss seines Werkes wiederholte
Angabe^ dass er aus Aphrodisias stamme und Schreiber des Rhetors Athena-
goras sei, scheint auf Pseudonyme Erdichtung hinauszulaufen.
614. Aus älterer Zeit stammt das ganz in sagenhafte Erzählungen
aufgelöste Leben Alexanders von Pseudo-Kallisthenes,^) dessen Kern
in der Ptolemäerzeit entstanden ist, 3) wie schon die Hervorhebung des
Ptolemaios wahrscheinlich macht, das aber später unter den orientalischen
Kaisem des 3. Jahrhunderts vielfach erweitert und fortgesponnen ward.^)
An der Hand der Widersprüche und durch Beobachtung der abgerissenen
Fäden der Erzählung ist es zum Teil noch möglich, den ursprünglichen
schichte von Hysmine n. Hysminias siehe
Erumbacbbb, Byz. Litt.' 764.
*) Das erstere nimmt Rohdb S. 472
Anm. 2 an.
*) Statt des Eallisthenes werden auch
Aeeopias, Antisthenes, Onesikritos, Aristote-
les, Anian als Verfasser genannt, s. Chri-
STBVSSN, Die Vorlagen des byzantinischen
Alexandergedichtes, Sitzb. d. b. Ak. 1897
S. 43 f.
3) Rohdb, Griech. Rom. 184 ff.
*) Anf die römische Eaiserzeit führt die
Erwähnung des Favorinna. Wie die Ale-
zandersage im 8. Jahrhundert, als die Ale-
xander auf dem Kaiserthron sassen, ins
Wunderbare ausartete, einsieht man aus
Aelian v. h. I 25 ; Lampridius vit. Alex.
Sev. 29. Auf das 8. Jahrhundert weist
der Bau der eingelegten Verse hin, wo-
rüber Deutscbm ANN , De poesis Graecorum
rhythmicae primordiis, Malmedy 1883 p. 17.
Im übrigen s. Zaober,* PseudocaUisthenes,
Forschungen zur Kritik und Geschichte der
ältesten Aufzeichnung der Alexandersage,
Halle 1867 ; Paul Mbtbr, Alexandre le Grand
dans la litt^rature franc. du moyen ftge,
Paris 1886, voll. 2; Hbbtz, Aristoteles in der
Alexandergeschichte des Mittelalters, Abhdl.
d. b. Ak. t. XIX, 1890.
52*
820
Grieohiiohe LitteratiirgMoliiohta. U. HaohklMsisohe Litierainr.
Bestandteil des Romans von seinen späteren Zus&tzen zu sondern;^) namentr
lieh waren es die in der Kaiserzeit so beliebten Stilproben erdichteter
Briefe, welche zur Ausschmückung und Erweiterung der ursprünglich ein-
facheren Erzählung dienten.^) Die romanhaft ausgeschmückte Geschichte
des grossen Königs gefiel so sehr, dass dieselbe ins Lateinische, Syrische,
Armenische, Slavische übertragen wurde.*) In griechischer Sprache sind
nur Bearbeitungen aus dem Mittelalter auf uns gekonmien und zwar zwei
in Versen und zwei in Prosa, worüber Krumbacher Byz. Lit.* 849 f.
Der Alexandergeschichte, und zwar dem dritten Buche derselben ist
des verwandten Inhalts wegen in dem Cod. Paris. 1711 die Schrift des
Palladios über Indien und die Brahmanen {nsQl Toiv tijg 'IvSiag eä-rdv xal
Twv BQaxfiavcjv) eingefügt. Dieselbe besteht aus zwei ursprünglich selb-
ständigen Teilen: der erste enthält in Briefform einen Bericht des Brief-
schreibers über seine Reise nach dem Saume Indiens und über das, was
er dort von einem thebanischen, vielgereisten Sachwalter über die Weisen
Indiens, die Brahmanen oder Gjrmnosophisten erfahren hatte; der zweite
teilt in breiter Ausführung eine moralisierende Unterredung zwischen Ale-
xander und den Brahmanen und deren Lehrer Dandamis mit.*) Der Ver-
fasser des ersten, allein beachtenswerten Teiles ist Palladios, Bischof
von Helenopolis, der 410 oder 418 starb. Die ganze Schrift wurde in
freier Bearbeitung ins Lateinische übertragen und ist uns unter dem fal-
schen Titel S. Ämbrosii, De moribus Brachmanorum erhalten. Verwandten
Inhaltes ist die anonyme, gleichfalls aus dem Griechischen stammende,
aber nur in lateinischer t5l)ersetzung erhaltene Schrift Alexandri magni
regia Macedonum et Dindimi regis Bragmanorum de phäosophia per lükras
facta collatio, welche einen vom Standpunkt eines griechischen Philosophen
fingierten Briefwechsel des Königs Alexander und des Brahmanen Dindi-
mus enthält und im Mittelalter in die lateinische Bearbeitung der Alexander-
geschichte durch den Archipresbyter Leo, die sogenannte Victoria de jpreliw,
eingeschoben wurde.
Nur aus fremdländischen Übersetzungen und Überarbeitungen ist uns
die Geschichte des Apollonius von Tyrus bekannt; die älteste uns er-
reichbare Gestalt des Romans in lateinischer Sprache scheint auf ein grie-
chisches Original des 3. Jahrhunderts zurückzugehen.^)
^) Mit Scharfsinn ist dieser Versuch
unternommen von Ad. Ausfeld, Zur Kritik
des griechischen Alexanderromans; Unter-
suchungen über die unechten Teile der älte-
sten üeberliefemng, Progr. Bruchsal 1894.
^) Diese Briefe selbst erscheinen in den
verschiedenen Fassungen des Romans in den
verschiedensten Formen. Interessant vor
allen ist der Brief Alexanders an seinen
Lehrer Aristoteles, worüber H. Becker, Zur
Alexandersage; Alexanders Brief über die
Wunder Indiens, Progr. des Friedrichs-Eol-
legium Königsberg 1894.
>) Ins Lateinische wurde dieselbe zwei-
mal übertragen, zuerst von Julius Yalerius
im Beginne des 4. Jahrhunderts, und dann
nochmals von dem Archipresbyter Leo im
10. Jahrhundert Ausgabe des letzteren von
Laitdobaf 1885; des ersteren von Küblu
1888. Ihrem Original kommt am nftchsteo
eine armenische Uebersetzung aus 5.— &
Jahrh.
*) Heinr. Broker, Die Brahmanen in
der Alexandersage, Progr. des Friedrichd-
Kolleginm, Königsberg 1889, nach dessen
kundiger Darstellung ich meine früheren
Angaben umgestaltet und erweitert habe,
nimmt noch einen dritten kurzen Zwisdieo-
teil an, der aus dem einen kurzen Kap. H
besteht.
<^) Historia ApoUonii ed. Riese 1871 in
Bibl. Teubn.
Bb) Römische Periode nach Konstantin. 8. Die Prosa, o) Der Boman. (§ 615.) 821
Ebenso ist uns nur in der lateinischen Überarbeitung des Septimius
die romanhafte Erzählung des trojanischen Krieges von Diktys erhalten.
Die griechische Originalfassung lag noch, wie Patzig Byz. Zeitschr. I (1892)
131 flF. und Noack Philol. Suppl. IV (1892) 403 S. nachweisen, dem Malalas
und anderen Schriftstellern des byzantinischen Mittelalters vor. Vgl.
Erumbacher Byz. Lit.* 845.
615. Longos ist der Verfasser des berühmten, namentlich zur Zeit
der Renaissance vielgelesenen Hirtenromans Jd^viq xal Xkorj in 4 B. Von
der Zeit und dem Leben des Verfassers selbst ist uns nichts überliefert;
wahrscheinlich gehörte er noch dem 2. Jahrhundert an, da ihn bereits
Älkiphron in seinen Briefen nachgeahmt zu haben scheint, i) Jedenfalls
lebte er noch mitten im Heidentum und stammte aus der Insel Lesbos.
Denn in Lesbos lässt er seine Erzählung spielen und von den örtlichkeiten
der Insel entwirft er die anschaulichsten, von Autopsie zeugenden Schil-
derungen, etwas was um so mehr auf persönlichen Beziehungen des Autors
beruhen muss, als sonst Sikilien Sitz der bukolischen Poesie war. Die
Hirtengeschichten unseres Longos sind nämlich die letzten Erzeugnisse
der bukolischen Muse *) und unterscheiden sich von den Idyllen nur durch
die prosaische Form und die Einflechtung der Bilder in den Rahmen einer
zusammenhängenden Erzählung, hier von den Geschicken zweier ausge-
setzten Kinder, die von gutmütigen Hirten aufgenommen, schliesslich als
Kinder reicher Eltern von Mytilene erkannt werden, aber die lieblichen
Triften so lieb gewonnen hatten, dass sie dieselben wieder aufsuchen, um
dort ihre Hochzeit zu feiern und fem von der Stadt ein glückliches Leben
zu führen. Bevölkert ist wie in den Idyllen die Scene von den anmutigen
Gestalten der ländlichen Muse, von Nymphen, Eroten und Panen. Nur
wird die Unschuld des Hirtenlebens arg gestört durch die lüsternen Schil-
derungen nacktester Sinnlickeit, wie von der schamlosen Verführerin Ly-
kainion und dem lockeren Päderasten Gnathon. Der Stil des Romans mit
seinen kurzen Sätzen und seiner einfachen Diktion ist trefflichst dem
Charakter des Gegenstandes angepasst und kann uns als wahres Muster
derjenigen Stilgattung gelten, welche die Alten mit dem Namen dg)€kfjg
läSig bezeichneten.
Erotici scriptores graeci ed. Mitbghbblich, 3 vol., Biponti 1794; recogn. Hebghbb in
Bibl. Tenbn. 1858, 2 Bde; rec. Hibbohig-Lb Pas Lapaumb et Boissonadb, Par. 1856. —
Xenophon Eph. rec. Pbeblkamp, Harlem 1818. - Heliodor rec. Mitschbblich, Argent 1798,
2 Bde; rec. Kobaes, Paris 1804; dazu Thbbeianos im Leben Eoraes, Triest 1889 t. I,
p. 382 ff. — Longus ed. Villoisok, Paris 1778 mit reichem Kommentar; ed. Oovbibb, Rom
1810 auf Grund der allein massgebenden Florentiner Handschrift; ed. |8eilbb cum notis
Bnmckii Schaeferi etc., Lips. 1843. — Achilles Tatius rec. et not. adi. Jacobs, Lips. 1821,
2 voL - Chariten ed, d'Obvillb (1750», ed. II cur. C. D. Beck, Lips. 1783.
Gallisthenes ed. Mülleb, Par. 1846; Gbbistbnsbn, Die Vorlagen des byzantinischen
Alexandergedichtes, Sitzb. d. b. Ak. 1897 S. 33 — 118. — Palladius (mit den lat Bearbeitungen)
ed. Bissabub, Lond. 1665; ed. Mülleb in der Ausg. des Gidlisthenes p. 102 — 120 als 1. III
c. 7 — 16; neue kritische Hilfsmittel und eine lateinische Uebersetzung weist nach Bebnhabdt,
Anal, in geogr. gr. min. p. 34—48.
1) Yergl. Long. lY 15 n. Alk. HI 12; DisB. Königsberg 1893, p. 46 ff.
Long, in 3 n. Alk. III 30; Long. lY 8 u. *) Die Anlehnungen des Longos an Theo-
Alk, ni 21 ; die Stellen sind teilweise schon krit nfther ausgef&hrt von Reich a. O. 56
von Rohde verglichen worden, genauer von bis 65.
Hebm. Bkicb, De Alciphronis Longique aetate.
822
ChrieolÜMhe litieratiirgeschiohte. II. HaohklMwlaohe litteratitr.
616. Eine Abart des Romans bilden die erotischen Briefe. Er-
finder der poetischen Epistel ist Ovid, dessen epistidae heroidum bekannt-
lich so viel Anklang fanden, dass sich viele in der gleichen Art poetischen
Spiels versuchten. Mit besonderem Eifer aber griff die griechische Sophistik
diese Gattung fingierter Briefe auf, zumal es schon in älterer Zeit zu den
Lieblingsaufgaben der Rhetoren gehört hatte, grossen Männern, namentlich
berühmten Philosophen und Rednern Briefe zu unterlegen.^) Die Sophistik,
wie sie in der römischen Kaiserzeit zur Blüte kam, hatte es ohnehin vor-
nehmlich mit fingierten Thematen zu thun und pflegte um so eifriger jene
Gattung erdichteter Briefe.*) Die ältesten erotischen Briefe {iQWTixaiim-
(TToAaf'), von denen wir Kenntnis haben,') sind die des Rhetors Lesbonax.
Idyllische Liebespoesie durchweht auch die bereits oben besprochenen
ländlichen Briefe der Sophisten Philostratos und Aelian. Nur durch
Suidas haben wir Nachricht von dem Epistolographen Zonaios, der ercH
tische und ländliche Briefe schrieb,^) sowie von Melesermos, einem
athenischen Sophisten aus ungewisser Zeit, von dem Suidas Hetären-,
Bauern-, Fleischer-, Feldherrnbriefe anführt. Auf uns gekommen sind die
Liebesbriefe von Alkiphron und Aristainetos.
Alkiphron, Nachahmer, vielleicht auch jüngerer Zeitgenosse des
Lukian,^) hat 118 Briefe in 5 B. hinterlassen, die in feingezeichneten, meist
nach Stücken der attischen Komödie oder Dialogen Lukians^) entworfenen
Skizzen verschiedene Verhältnisse des heiteren Genusslebens der hellenisti-
schen Zeit wiedergeben und von schwärmerischer Liebe für Athen und
attisches Leben durchhaucht sind. Ihre Anziehungskraft besteht in dem
poetischen Reiz, der sie umfliesst; einige, wie die zwischen Menander und
seiner Geliebten Glykera (2, 3 und 4), haben noch ein besonderes Inter-
M Das ganze Gewirr der BrieffftLschun-
gen wurde zuerst blossgelegt von Bbntlby,
De epistolis Phalaridis 1697 (ursprünglich
englisch, dann ins Lateinische übersetzt von
Lennep; die lat. Bearbeitung in BenÜeii opusc.
philoL, Lips. 1781, deutsche Bearbeitung von
W. Ribbeck, Leipz. 1857), in der mit be-
wunderungswürdigem Scharfsinn die Unecht-
heit zunächst der Briefe des Phalaris, dann
aber auch der des Themistokies, Sokrates,
Euripides u. a. aufgedeckt ist. Die Unter-
suchungen sind weiter geführt von Westbr-
MANN, De epistolamm scriptoribus graecis,
8 Programme, Leipz. 1860 — 5; Susemihl, AI.
Lii II 579 ff. Scnwer ist im einzelnen zu
bestimmen, aus welcher Zeit die Fälschungen
stammen; schon dem Aiistophanes von By-
zanz lagen unechte Briefe Piatons vor.
^) Den iniiFToXixog /a^axri;^ bespricht
bereits Demetrios de interpr. 228; dann haben
wir über ihn eine eigene Schrift unter dem
Namen des Proklos oder Libanios; s. § 623.
') Schol. Luciani de salt. 69.
^) Diesem Zonaios hat der Fälscher
Palaiokappa in Cod. Paris. 2929 auch die
anonyme Schrift negl axrjfAdrtoy beigelegt,
wie L. CoBN, Phil. Abh. an Hertz S. 128 f.
nachgewiesen hat.
') Als Sioitgenossen scheint ihn Aristei-
netos epist 1 5 u. 22 zu betrachten. Beideo
gemeinsam sind auch die Reminiazenzen von
Versen der Komödie; s. Kogk Rh. M. 43. 29 iL
u. FGG III p. 643 ff. Ob aber AUdphn«
selbständig ohne Lukians Vorbild die atti-
schen Komiker benutzt hat» ist sehr zweifel-
haft, wie Herm. Rbiob, De Aldphroms Lon-
giqne aetate, Diss. Königsberg 1894 bewiesen
hat Der letztere setzt den Alkiphron, indem
er die erotischen Briefe des Aelian ftr echt
hält (s. § 529), in die Zeit zwischen Liüdan,
den Alkiphron nachahmt, und Aelian, von
dem derselbe nachgeahmt wird, also zwiscken
170 und 229.
^) So hat die Beschreibung eines Hoch-
zeitsmahles bei Alkiphron 3, 55 auffallende
Aehnllchkeit mit dem Symposion des Lokian,
und zwar scheint, wie Fritoche in der Ans-
gäbe Lukians urteilt. Alkiphron den Lukian
in den Hauptlinien kopiert zu haben (umge-
kehrt urteilt BoLDBBKANK, Stad. Lacian.40ff.).
Andere auffällige Berührungspunkte bieten
Luc. Tox. 13 u. Ale. 3, 62; Luc. Tox. 15 u.
Ale. 3, 50.
Bb)BömiMlie Periode nach Konstantin. 8. Die Prosa, d) Philosophie. (§§616—617.) g23
esse durch die Mitteilungen über die Lebensverhältnisse grosser Männer
der Litteratur; andere können uns gewissermassen als Kommentar von
berühmten Werken der Kunst gelten, wie der 89. Brief des ersten Buches
von der 'Ag>QoSivri xaXXinvyog.
Aristainetos, der zweite Epistolograph, wurde früher irrtümlich
mit dem Aristainetos aus Nikäa, der im Jahre 858 bei dem Erdbeben von
Nikomedia umkam und an den mehrere Briefe des Libanios gerichtet sind,
identifiziert; er lebte vielmehr nach I 26, in welchem Brief ein zur Zeit
des Sidonius ApoUinaris lebender Mime GamaruUus genannt ist, um die
Wende des 5. Jahrhunderts. *) Seine zwei Bücher erotischer Briefe ent-
halten vollständige Liebesnovellen, eingekleidet in die Form von Briefen,
denen aber nur zu sehr der Zauber attischer Anmut und origineller Sprache
abgeht. Seine Hauptquelle waren die erotischen Elegien der Alexandriner;
80 erzählt er I 10 die Liebe der Kydippe und des Akontios nach den Aitia
des Kallimachos.
Briefe überhaupt gehörten zu den Liebhabereien der Sophisten der
zweiten Periode, indem sie teils den berühmten Männern des Altertums
Briefe an Zeitgenossen unterlegten, teils ihre eigenen Briefe als Stilproben
der Öffentlichkeit übergaben. Ausser den an anderer Stelle angeführten
Briefen des Libanios, Julian, Synesios, Basileios seien hier noch erwähnt
die eleganten kurzen Briefe des Aineias aus Gaza (um 500), eines Schülers
des Sophisten Hierokles,*) und die idyllischen ^EniaxoXal i^x^ixal oyQoixixai
haiQixaC des Theophylaktos Simokattes, der unter Kaiser Heraklios
blühte und demnach schon dem byzantinischen Mittelalter angehört.')
Epiatolographi graeci rec. Hebchbr, Paris bei Didot 1878. — Alciphron ed. Bebolbb,
Leipz. 1715; ed. Waonbb, Leipz. 1878 in zwei BiLnden; ed. Mbikbkb, Leipz. 1853. — Ari-
BtainetoB ed. Boissovadb, Par. 1822. — Eine Sammlung inschriftlicher Briefe wird noch
vermisst. Ein neuer an einen Kaiser gerichteter Brief aus Cod. Laurent, conv. soppr. 84
TerOffenilicht von Vitelli 1893 in Studi ital. di Filol. class. vol. I pag. 380 ff.
d) Die Philosophie.
617. Gegen SchluBs des Altertums raffte sich nochmals die griechische
Philosophie zu kräftigerem Anlauf zusammen, um den alten Besitz gegen
den Ansturm orientalischer, in religiöses Gewand gekleideter Philosopheme
zu verteidigen. Die Religion hatte in dem griechischen Geistesleben der
klassischen Zeit eine untergeordnete Stelle eingenommen. Die bunten Ge-
stalten des griechischen Polytheismus wurden frühzeitig, schon zur Zeit
Homers, von einem Gewebe poetischer Mythen umsponnen; die Qöttervor-
stellungen gewannen dadurch an künstlerischer Schönheit, verloren aber
um so mehr an ehrwürdiger Hoheit. Es kamen dann die Philosophen,
') M BBC1BB in der Ausgabe von Bois-
sonade p. 581. Ueber Nachahmungen des
Achilles Tatius siehe Rohde, Griech. Rom.
473 An.
') Die Briefe bei Hbroheb, Epistologr.
gr. p. 24 — 82. Ausserdem schrieb derselbe
einen Dialog aber die Unsterblichkeit der
Seele, 9e6<p^aaros betitelt, herausgegeben
mit dem Dialog Ufifioipios des Zacharias
b^cholastikos (um 530) Yon Boissonaoe, Ae-
neas Gazaeus et 2^charias Mitylenaeus, De
immortalitate animae et consummatione mun-
di, Paris 1836.
') Die Briefe bei Hebcheb, Epistologr.
gr. p. 768—786; im ftbrigen s. Kbükbacheb,
Byz. lat.-' 248.
824 GrieohiBohe LitteratnrgeBohiohte. IL NaohUaMisohe Litteratnr«
welche teils, unbekümmert um die Lehren der Priester, ihre eigenen Ideen
über Gott und Sittlichkeit aufstellten, teils geradezu die überlieferten An-
schauungen der Menge mit den scharfen Waffen der Dialektik und Satire
bekämpften. Zu den aufgeklärten Geistern, welche sich entweder von den
religiösen Opfern und Gebräuchen ganz fern hielten oder, wenn sie die-
selben mitmachten, nur der Überlieferung der Väter einen erzwungenen
Tribut brachten, zählte nahezu alles, was in Wissenschaft, Kunst oder
Staatsverwaltung eine Rolle spielte. Es ist gerade diese Freiheit des
Geistes, welche der Phantasie der griechischen Dichter und Künstler den
höheren Schwung gab und den Werken der klassischen Autoren ihre geist^
befreiende Anziehungskraft verleiht. Aber übersehen darf man dabei nicht,
dass die menschliche Begehrlichkeit, nicht gezügelt durch Gottesfurcht
und Religion, in nackte Sinnlichkeit sich verirrte, und dass mit dem zu-
nehmenden Verfall des religiösen Glaubens die sittliche Fäulnis immer
mehr die menschliche Gesellschaft zersetzte. Das ebnete den orientaUschen
Religionen, in denen die Gesetze der Sittlichkeit und Menschenliebe durch
Lehren der Religion festgesetzt und an religiöse Gebräuche gebunden
waren, den Weg zu immer weiterer Verbreitung. Die ägyptischen Isis-
priester mit ihrer asketischen Reinheit des Lebenswandels, die Juden mit
ihrem hehren Monotheismus, die Mithrasdiener mit ihren Sühne- und
Reinigungsgebräuchen, die Christen mit ihrer Religion der Bruderliebe und
Menschenwürde begannen seit Anfang des römischen Kaiserreiches, seit-
dem die alten Schranken der Völker gefallen waren, allwärts sich zu
rühren und Anhänger zu werben. Die Griechen, bisher gewohnt, das
Szepter im Reiche des Geistes zu führen, sahen sich allmählich in ihren
Ansprüchen bedroht. Der Spott, wie ihn Lukian über die Geistesbefangen-
heit und den Trug der orientalischen Sektierer ausgoss, wollte allein nicht
mehr verfangen, war auch nicht nach dem Sinne der tiefer und sittlicher
angelegten Naturen. So suchten andere Hellenen das Eindringen fremder
Religionen dadurch hintanzuhalten, dass sie die Rückkehr zu den frommen
Bräuchen der Väter predigten und der heimischen Religion einen höheren
sittlichen Gehalt einzuimpfen sich bemühten. Der Hellenismus, um sich
der barbarischen Religionen zu erwehren, wurde selbst religiös.^) Dieser
Zug übte einen mächtigen Einfluss auf das Geistesleben des untergehenden
Hellenismus aus, stellte aber namentlich der Philosophie, die schon in
früherer Zeit bei den Gebildeten die Stelle der Religion vertreten hatte,
neue und schwere Aufgaben. Die Philosophen versuchten dieselben sof
doppeltem Wege zu lösen: einmal bemühten sie sich, das Höchste, was
die freie Spekulation der Väter geschaffen hatte, die Weisheit des Piaton
und Aristoteles, zu neuem Leben zu erwecken; sodann gaben sie dem
eigenen Denken eine Richtung auf das Göttliche und stellten die Theo-
logie, welche schon Aristoteles mit der ersten Philosophie identifiziert
hatte,*) in den Vordergrund der philosophischen Spekulation. Aber indem
sie die Erforschung der Natur vernachlässigten und unfähig waren, mit
der blossen Dialektik des Geistes über Aristoteles hinauszukommen, ge-
») MüNK, Griech. Litt. II 515. | «) Vgl. §
Bb)aOmisohe Periode nach Konstaatin. 8. Die Prosa, d) Philosophie. (§§618—619.) 825
rieten sie auf die nebelhaften Wege des verklärten Schauens und des
sinneverleugnenden Mysticismus.^) Hatte einst die spekulative Philosophie
befruchtend auf die Einzelwissenschaften, namentlich die Mathematik und
Physik eingewirkt, so erging sich jetzt die Philosophie in geheimnisvoller
Spekulation über die allgemeinen Prinzipien der Mathematik und der Natur-
wissenschaften und hemmte auf solche Weise mehr die Entwicklung der
exakten Einzelforschung, als dass sie zum fruchtbaren Betriebe derselben
hinüberleitete. Das war die Atmosphäre, in der die phantastischen Kosmo-
gonien des untergehenden Altertums entstanden, und in der die Philosophie
des sogenannten Neuplatonismus ihre Wurzeln schlug, die zwar schon vor
Konstantin aufgekommen ist, aber als Ausläuferin der antiken Philosophie
vorzüglich unserer Periode angehört.
618. Vorläufer des Neuplatonismus war Numenios aus Apamea
(2. Jahrhundert n. Chr.), der die platonische Lehre als Ausfluss der pytha-
goreischen zu erweisen suchte und die Gottheit in drei Stufen, als reinen
Geist, als Weltschöpfer {irjfitovQyo^) und als Kosmos zur Entfaltung kommen
liess.*) Als eigentlicher Begründer der neuplatonischen Lehre gilt Ammo-
nios Sakkas (um 175—242), der, von christlichen Eltern entsprossen,
aus einem Sackträger ein grosser Denker und einflussreicher Lehrer der
Philosophie in Alexandria wurde. Zu den Neuplatonikem nimmt derselbe
eine ähnliche Stellung wie Sokrates zu den Sokratikern ein, das ist, er
hat selbst nichts geschrieben, aber den Anstoss zu der umfangreichen neu-
platonischen Litteratur gegeben.^)
619. Plotinos (204—270)*) stammte aus Lykopolis, einer Stadt
Ägyptens, und hörte in schon gereiftem Alter zu Alexandria den Ammonios,
dessen begeisterter Schüler und Anhänger er wurde. Im phantastischen
Verlangen, die Lehre der Magier an der Quelle kennen zu lernen, schloss
er sich 243 dem Zug des Gordian gegen die Perser an, kehrte aber nach
dem unglücklichen Ausgang des Unternehmens bald wieder zurück und
schlug 244 in Rom seine Lehrkanzel auf. Bald sammelte er durch die
Tiefe der Gedanken, den allen Prunk verschmähenden Adel der Gesinnung,
zum Teil auch durch den Schein göttlicher Inspiration einen grossen Kreis
von Schülern und Schülerinnen um sich. Auch an dem Kaiser Gallien
(260 — 8) und dessen Frau Salonina hatte er begeisterte Verehrer; es war
sogar nahe daran, dass der Kaiser ihm zur Verwirklichung seines Ideals,
zur Gründung einer Philosophenstadt in Kampanien, verhelfen hätte. Wie-
wohl körperlich leidend und halb des Augenlichtes beraubt, blieb er un-
^) Die abertriebene Wertschfttzang des
Nenplatonismiis durch Heobl, Gesch. d. PhU.
I 182, m 11 n. 81, der ihn als die Vereöh-
zrang der p^osophischen Gegensätze, als die
absolate Vollenaung der alten Philosophie
bezeichnete, ist anf das richtige Mass za-
rückgeföhrt von Zeu.ee, Phil. d. Gr. III» 2,
419 ff.
') Wir haben yon dem tiefen Denker
nur durch Anftlhrongen der Späteren, nament-
lich des Kirchenvaters Ensebius Kenntnis;
zusammengestellt sind dieselben von Mül-
lach FPG m 153 ff.
*) Von den Vorträgen des Ammonios
ward Mitteilung gegeben von seinem Schüler
Theodotos und des weiteren von Porphyrios
in dessen Sv/nfjuxta Cv^ijfjiata, s. v. Arnim
Rh. M. 42, 276 ff.
^) Ausser dem Artikel des Suidas und
einer kurzen Notiz des Euna^os in Vit. soph.
belehrt uns sein Schüler rorphyrios negl
nXtüTivov ßlov. Ein ausführlicher Artikel von
Stbikhart in Paulys Realencykl.
826
OriMhisohe UtteratiirgMohiohto. n. HaohUMsisdie Lütaratnr.
ermüdlich als Lehrer und philosophischer Schriftsteller thätig, bis er im
Alter von 66 Jahren auf dem Landgut seines Schülers Zethos in Kampanien
starb. Hinterlassen hat er 48 Schriften, die er in späten Lebensjahren,
nach 254, allmählich herausgegeben hatte. Porphyrios im Leben seines
Lehrers gibt uns von allen die Entstehungszeit an, so dass Eirchhoff die-
selben in seiner Ausgabe nach der Zeitfolge ordnen konnte. Nach dem
Tode des Meisters besorgte sein Schüler Porphyrios eine revidierte Ge-
samtausgabe in sechs Enneaden, neben der das Altertum noch eine zweite
von Eustochios hatte. In der Ausgabe des Porphyrios, auf die unsere
Handschriften zurückgehen, waren die Bücher nach dem Inhalt geordnet,
so dass die erste Enneade die ethischen Schriften, die zweite und dritte
die physikalischen, die vierte die über die Seele, die fünfte die über den
vov^^ die sechste und letzte die über das Eins und das Gute enthielt Die
Anordnung hat vielfache Mängel, da sie nicht bloss die Merkmale der
Abfassungszeit verwischt, sondern auch zusammengehörige Aufsätze aus-
einanderreisst. So hat z. B. Plotin selbst durch den Schluss von Y 8 xai'
aXXrjv orfor ndkiv av ist sncX^slv (Sie und den Anfang von H 9 inftii^
tot VW €(pdvrj sattsam angedeutet, dass die drei, jetzt weit auseinander-
gerückten Abhandlungen Y 8, Y 5, II 9 eng zusammengehören und dass
der Bekämpfung der Gnostiker in H 9 die Klarstellung der eigenen Lehre
von dem Urschönen und Urguten vorausgehen sollte. 9
Die 48 Abhandlungen sind von sehr verschiedenem Umfang; einige
sind ganz kleine, zum Teil nur ein Kapitel umfassende Betrachtungen;
andere mussten wegen ihres übermässigen Umfangs von dem Herausgeber
in zwei und drei Teile zerlegt werden, wie die Untersuchung von der
Seele (III 3—5), von den Arten des Seins (VI 1—3), von der Yorsehong
(HI 2 u. 3). Im Inhalt und in der Form gleichen sich alle so sehr, dass
zwischen den früheren und späteren kein wesentlicher Unterschied besteht')
Ihr philosophischer Autor war eben im wesentlichen mit sich fertig, ak
er, bereits ein Fünfziger, seine Anschauungen niederzuschreiben begann.
Seine Schriften wollten keine Kunstwerke fQr sich sein; sie sollten nur
die Vorträge, wie er sie im Kreise seiner Yerehrer ohne systematischen
Plan gehalten hatte, in schlichter, einfacher Form wiedergeben. Keines
der Bücher hat eine eigene Einleitung oder einen förmlichen Epilog: mitten
in eine Frage werden wir, meist durch Aufwerfung von Aporien, hinein-
geführt und allmählich zu immer höheren Stufen emporgehoben. Die Ge-
sprächsform des Piaton hat Plotin aufgegeben, aber seine anregende Art,
*) Man muss eigentlich noch weiter
gehen und die 7 Abhandlungen IV 3, IV 4,
IV 5, IIl 8, V 8, V 5, II 9 zu einem grossen
Ganzen verbinden, wie sich aus dem inneren
Zusammenhang nicht unschwer erweisen
lÄsst. Auch die 4 Abhandlungen VI 4, VI 5,
V 6, II 5 sind nicht bloss in dieser Folge
geschrieben, sondern bauen sich auch die
eine auf die andere auf. Vgl. Eirohhoff,
Specimen novae editionis operum Plotiniano-
nun, Berol. 1847. Zu bedauern ist, dass
Volk MANN den von Kirchhoff gewiesenen
Weg in der neuen Ausgabe wieder Terlasseo
hat. Zum Glück ist uns bei Plotin eine Kunde
ttber die ursprüngliche Folge der Bfieher
überliefert. Man kann sich daraus einen Be-
griff machen, wie unsicher der Boden bei
anderen Schriftstellern, wie Aristoteles, tstir
deren Werke gleichfalls erst nach des Au-
tors Tod von Schülern herausgegeben wurden.
') Einen stArkeren Unterschied zwischen
den früheren und spftteren Schriften will
Porphyrios, Vita Plotmi 6, auüstellen.
Bb)BOiiiiMhe Periode naohKoiMtantin. 8. Die Prosa, d) Plülosopliie. (§620.) 827
den trockenen Lehrton immer wieder durch Fragen zu unterbrechen, er-
innert doch lebhaft an das Vorbild der platonischen Dialoge. Die Sprache
ist kunstlos, lässt sogar hier und da grammatische Korrektheit vermissen,
aber trotzdem ist die Darstellung anziehend und fesselnd. Ähnlich wie
Piaton liebt er den Schmuck der Bilder, Mythen, Allegorien; viele Ver-
gleiche finden sich zuerst bei ihm, so der von dem Jüngling, der sich
durch sinnliche Reize von der Klarheit geistigen Erkennens abziehen lässt,
mit dem schonen Narkissos, den das Schattenbild in die Tiefe des Wassers
hinabzieht (I 6, 18); geistvoll auch und neu hat er das Bleibende im
Wechsel der Erscheinungen mit dem Schauspieler verglichen, der derselbe
bleibt, während er Kleidung und Rolle wechselt (III 2, 5).
620. In der philosophischen Lehre fusst Plotin auf Piaton, den richtig
zu verstehen und weiter zu entwickeln er sich zur Hauptaufgabe gestellt
hatte. ^) Daneben hat er aber auch die Errungenschaften anderer Philo-
sopheme, wie die Lehre des Aristoteles von den Kategorien, den Sphären-
bewegungen, dem thätigen und leidenden Nus, gelegentlich verwertet.^)
Aber trotzdem teilte er nicht die Vielseitigkeit des geistigen Interesses
der grossen Denker der klassischen Zeit; er lebte ganz in der einen Idee
des reinen Guten und Schönen, das im Geiste zu schauen die höchste
Seligkeit und zu dem sich emporzuarbeiten durch Erkenntnis der Abbilder
des Schönen in der Sinnenwelt und durch Entäusserung der unreinen Leib-
lichkeit die oberste Lebensaufgabe des Weisen sei. Dadurch aber, dass
er immer wieder diesen Grundgedanken ausspricht und die Darstellung
ebenso wenig durch die Kunst feiner Ironie als die Schärfe schneidiger
Polemik belebt,^) haben seine Schriften etwas von der Langweile salbungs-
reicher Kanzelreden. Übrigens ist Plotin ein viel zu tiefer Denker und
ein zu gewandter Dialektiker, als dass er einfach nur die Lehren Piatons
reproduzierte. Er geht vielmehr nur von den Lehren Piatons aus, um die
seine Zeit bewegenden Fragen, wie Gott am reinsten zu fassen sei, wie
die Einheit zur Vielheit komme, wie das Schlechte in die Welt gekommen
sei, vermittels des Dualismus und der transcendentalen Ideenlehre Piatons
zu lösen. Zu diesem Behufe nimmt er drei Stufen des wahren Seins (ovaia)
an : das mit dem Guten wesenseine, über allem konkreten Sein und Denken
erhabene üreins {xß-eog ßamlsvg II 9, 9, nqoTidxioQ V 5, 3), den sich selbst
denkenden, auf jenes Eins gerichteten Geist {yoig und vor/mg), die das
1) Plot. V 18: nXätmva ei&ivM ix fxhp
tayaäov tov vovv, ix <f^ yov tijy ^^XV^i
xui €tyai TovV Xoyovq rova&e f4rj xairoüs
fifj&i vvp aXkd ndXni, (Aky slgija&ai fifj
ayanenritfÄiyiog, tovg da vvv Xoyovg i^rjytjrdg
ixelrtoy yeyopivai.
*) Heraklit und Empedokles sind ihm
Denker, welche schon das Richtige ahnten,
es aber nicht zam klaren Aasdmck brachten,
8. IV 8, 1 u. 5; ähnlich urteilt er von Ana-
xagoras lY 1, 9. Beachte, dass der hera-
klitische Satz vom ocfoV dvto und odog xatw
schon von Philon in der Schrift von dem
&b6n der göttlichen Dinge {Tlg 6 xcSy &€la}y
ngay/iättoy xXrjQoyofiog c. 13 u. 38) für seine
Lehre verwertet wurde.
') Von den zeitgenössischen Gregnem
Plotins erfahren wir aus dessen Schriften
keine Namen; selbst die Schulen (al^saeig),
welche er bekämpft, bezeichnet er nur im
allgemeinen, so dass wir. z. B. erst durch
die von Porphyrios hinzugefügte Ueberschrift
TfQog Tovc yyoHTTixovg bestimmt erfahren,
dass das interessante Buch II 9 gegen die
Gnostiker gerichtet ist. Ueber die Beziehun-
gen Plotins zu den Gnostikem s. Zbller,
Phil. d. Gr. UP 2, 438 ff.
828
OrieohiBohe LitteratiirgeMliielite. n. HachkUasiflohe Littttratiir«
Geistige und Sinnliche vermittelnde, den Formen des Seienden {rd xSv
ovT«»» eTSrj) innewohnende Seele (i; tov vorjtov xoCfiov ^vxrj).^) Diesen
drei Stufen des wahren Seins stellt er auf der anderen Seite die Materie
{vlr^ entgegen, die zwar keinen Teil am wahrhaften Sein habe, aber
gleichwohl von Ewigkeit her existiere und Quelle der Notwendigkeit
(arayxj;') und des Schlechten sei. Die diesseitige Welt (o rySe xofffiog)
lässt er dadurch entstanden sein, dass Teile des göttlichen Nus, von der
himmlischen Seele ausströmende Funken, in die Materie drangen und hie-
nieden die unvollkommenen Abbilder (eidfoXa) der göttlichen Ideen (eTSr^)
hervorbrachten. Die Menschenseele ist ihm zwar ein Teil der oberen
Seele, aber gehemmt und verunreinigt durch die Gemeinschaft mit der
Materie, von deren Fesseln sie sich zu befreien und zur Reinheit des göttr
liehen Geistes zurückzukehren habe; so vollziehe sich der Doppel weg, dass
einerseits die Gottheit in die Welt und das Endliche sich ergiesse und
anderseits die Seele des endlichen Menschen sich wieder zur Gottheit er-
hebe. Man kann gegen diesen Lösungsversuch einwenden, dass er die
der platonischen Auffassung entgegenstehenden Schwierigkeiten nicht im
geringsten hebt; man kann des weitern im plotinischen System die Be-
rücksichtigung der realen Verhältnisse vermissen und in der Yoranstellung
des ekstatischen Schauens eine Verkümmerung des verstandesmässigen
Forschens und der praktischen Schaffenslust erblicken;*) aber hohen Seelen-
adel und Tiefe der Auffassung wird man dem letzten der grossen Denker
des Altertums nicht absprechen dürfen. Auch bleibt derselbe bei aller
Überspanntheit doch ,immer noch ein echter, an seinen alten Göttern
hängender Hellene.^) Er zeigt dieses in der Bekämpfung des Aberglaubens
der Astrologie (11 3), in dem edlen Optimismus, mit dem er das Gute und
Schöne wohl ein Hemmnis in der sinnlichen Materie finden, aber schliess^
lieh doch immer im grossen Ganzen obsiegen lässt, ^) in der Befehdung
der finsteren Lebensauffassung der Gnostiker, welche die Welt für eine
Schöpfung des bösen Geistes ausgaben und das Licht offener Diskussion
scheuten (II 9),^) zuletzt und nicht zum geringsten in dem enthusiastischen
Preis des Schönen, das ihm von dem Guten unzertrennlich ist (xaXa/ax^r)
*) Siehe besonders die schöne Abhand-
lung IV 8; ferner IV 1; 11 3, 7; II 9, 1.
') Ueber den hohen Wert, den Plotin
anf das Schauen {&€<oQ€iy) als die Erhebung
zum Höchsten legt, siehe I 2, 3; III 8, 6;
IV 9, 3. In der Abkehr gegen die Sinnlich-
keit geht Plotin so weit, dass er III 5, 1
die Begattung fOr eine Sünde erklftrt («^ ngog
fiUiv exnTioais afAaQxia\ freilich so, dass er
hintendrein selbst die Ehrbarkeit der Ver-
bindung des Mannes mit der Frau zur Er-
haltung des Geschlechtes (ol fiixtop l^tora
iQwyfeg, l'ya xal ro aei) einräumt.
') Siehe Lehbs, GOtter und Dämonen,
in Pop. Aufs.* 163. Die alten Götter des
griechischen Volksglaubens lässt Plotin be-
stehen, stellt sie aber unter dem Namen
tfaifioyeg als göttliche Mächte der diesseitigen
Welt eine Stufe tiefer als den Unrater and
die wahren Götter {»eoi) der jenseitigeB
Geisteswelt; s. III 5, 2.
*) III 2, 3: öXoy yng n inoifjce, sc.
^co;, näyxaXov xal avzoQxes xai fptXoy avim
xal toig fjt6Q€CW avtov. II 3, 18: ii (i^ »«
xax«, dxBUg av ^y x6 ndy ' xai yd^ Z?«*«^
td noXXd avTtoy ij td ndyja na^ix^tai 10
öA^, Xay^ye^ ^k xd nXsiffia dkd tl, V^
II 9, 8; I 7, 1.
^) Gegen die Gnostiker ist auch die
Polemik bezQglich des Logos gerichtet, den
die Gnostiker als Mittler zwischen Gott und
Mensch, himmlischer und irdischer Welt aos
Philon herQbergenommen hatten, dessen Ein-
schaltung aber Plotin als treuerer Interpret
Piatons fOr nicht nötig hielt
Bb)BOmiaohe Periode nach Eonstantin. 8. Die Prosa, d) Piiiloaophie. (§621.) 829
und ihn zu den schönsten seiner Aufsätze (I 6 negl xaXov, III 5 negl
^^E^wTog, V 8 negl rov vor/vov xäXXovg) begeistert hat.
Die €k>diceB, von denen keiner ftlter als das 13. Jahrhundert ist, gehen aof einen
lackenhaften, fehlerhaft geschriebenen Archetypus zurück, so dass der Eonjekturalkritik
ein grosser Spielraum bleibt Aufschluss über die Handschriften und ihr Verhältnis gibt
H. F. MOllbb Herrn. XIV 93— 118. — Eine dem Porphyrios zugeschriebene Paraphrase der
Bücher IV — VI kursierte im arabischen Mittelalter unter dem falschen Titel einer Theologie
des Aristoteles; davon ist der arabische Text des Abdallasch Naima aus Emesa mit
lateinischer üebersetzung publiziert von Dibtebici^ Disputatio prima libri Aristotelis philo-
sophi qui graece vocatur theologia, ezplicatio Porphyrii Tyrii, Lips. 1883. — Im Abendland
ist Plotin zuerst in der lateinischen Üebersetzung des Ficinus bekannt geworden, Florenz
1492. — Erste Ausgabe des griechischen Textes erschien zu Basel 1580. — Kritische Aus-
gabe von Grbuzek, Oxonii 1835, 3 vol., iterum ed. Paris 1855; Textausgabe in der Bibl.
Teubn. von Kibcbhoff 1856; von Volkmann 1883; rec. H. F. Müllbr mit Üebersetzung,
Berl. 1878. — Kibchnbb, Die Philos. des Plotin, 1874; Zbllbb, Phil. d. Gr. IIl» 2, 466—631.
621. Porphyrios aus Tyrus (283 bis ca. 304) i) war der bedeutendste
Schüler Plotins und zugleich Herausgeber seiner Werke. Anfangs widmete
er sich in Athen unter der Leitung des Longin grammatischen und rhe-
torischen Studien ; ^) 262 kam er nach Bom und schloss sich bald ganz der
philosophischen Richtung des Plotin an. Von tiefer Melancholie und Lebens-
flucht befallen, ward er durch seines Lehrers väterlichen Zuspruch wieder
aufgerichtet, war aber zur Zeit von dessen Tod in Sikilien abwesend. Nach
fun^ahriger Abwesenheit kehrte er wieder nach Bom zurück, begann unter
Aurelian eine selbständige Thätigkeit zu entfalten und wirkte bis in die
Zeit der Begierung Diokletians hinein.^) Seine Thätigkeit scheint mehr
die eines Schriftstellers als eines Lehrers gewesen zu sein und erstreckte
sich nicht bloss auf Philosophie, sondern auch auf Grammatik und Historie.
Ein tiefer Denker war er nicht; das sieht man schon an seiner am Äusseren
haftenden Darstellung des Lebens seines Lehrers. Von Eunapios wird ihm
hauptsächlich die Kunst nachgerühmt, durch klare Darstellung die dunkle
Lehre Plotins dem allgemeinen Verständnis näher gebracht zu haben. Auf
das Mittelalter übte er als Vermittler der aristotelischen Logik einen ausser-
ordentlichen Einfluss.
Die zahlreichen Schriften des Porphyrios, von denen uns Suidas ein
Verzeichnis, aber ein unvollständiges, gibt, gehören nur zum Teil der
spekulativen Philosophie an; viele beziehen sich auf die Geschichte der
Philosophie und die Erklärung der älteren philosophischen Werke, andere
faUen ganz in das Gebiet der Grammatik und Geschichte.^) Von den er-
haltenen beschäftigen sich mit Plotin die schon besprochene Schrift ne^i
nkonh'ov ßiou xal Trjg rd^ecog tcov ßißXiiov avrov und die damit zusammen-
hängenden, die Hauptgedanken der Lehre Plotins enthaltenden UifOQfiai
nqoq xd vor/rd.^) — Der Uv&ayoQov ßiog bildete ursprünglich einen Teil
*) Suidas unt. üoQtpvQiog, Eunapios Vit
soph. p. 455 Didot; manches enthält seine
Vit. Plotini. Neuere Litteratnr: Lüoas Hol-
BTEBius, De yita et scriptis Porphyrii, Cant.
1655; Stxinbabt in Pauly's Realencykl. Sein
heimischer Name war Malchos, den seine
Verehrer mit Baa^Xevg wiedergaben.
*) Seinem Lehrer Longin setzt er ein
Denkmal in einem Abschnitt der ^iXoXoyog
Uno^ia bei Eusebios pr. ev. X 3.
*) Suidas: yeyoytSg im ttSv xQoytov Av-
QfjXiavov xal naQaxsiyag itog JioxXrjtiayov
rov ßaaiXidtg.
*) üeber einen Dialog des Porphyrios
siehe Hirzel, Der Dialog II 861.
*) Unter dem nach Volkmann's Urteil
(ed. Plot. vol. II praef.) erdichteten Namen
des Porphyrios ging auch die oben erwähnte,
aus dem Arabischen bekannt gewordene
Paraphrase der 3 letzten Bttcher des Plotin.
830
Qri«obüiohe Littermtitrgeftoliiolite. II. VaohklasBiflohe Litterator.
des 1. Buches der <DU6<Toq>og laxoqla^^) welche aus vier Büchern bestand,
aber bloss bis auf Piaton herabging. Das erhaltene Leben des Pjrthagoras
ist am Schluss verstümmelt; die Übereinstimmungen desselben mit dem
gleichnamigen, umfangreicheren Buche des lamblichos ist auf die Benützung
der gleichen Quellen, vorzüglich des Nikomachos, ApoUonios und Antonios
Diogenes zurückzuführen. — Neben der <DiXiaoq>aq taxoqia schrieb Plotin eine
^DiXoXoyog taxoqia (axqoaaig bei Euseb.), aus der uns der Kirchenvater
Eusebios Praep. ev. X 3 einen interessanten Abschnitt mitteilt, in dem von
der litterarischen Freibeuterei der Alten, wie des Ephoros, Theopomp,
Hypereides, Herodot, Piaton, auf Grund älterer Forschungen gehandelt
ist. — Die Schrift neQi ano%riq ifiipvxünv in 4 B., von denen der Schluss
des letzten fehlt, ist an Firmus Castricius, den Mitschüler Plotins, ge-
richtet und empfiehlt die Enthaltung von Fleischspeisen unter Verwerfung
des Tieropfers. Der Wert der Abhandlung besteht hauptsächlich darin,
dass in ihr die Meinungen der älteren Philosophen meist wörtlich an-
geführt sind und namentlich das Buch des Theophrast nsQl evasßeiaq aus-
giebig benutzt ist.^) — Das Buch nqog MaqxsXXav ist ein Erbauungs-
schreiben an Marcella, die Porphyrios ihres philosophischen Geistes wegen,
wiewohl sie Witwe von sieben Kindern und weder er noch sie mit zeit-
lichen Gütern gesegnet war, zur Frau genommen hatte.*) — In das Gebiet
der Grammatik greift über die Abhandlung negl tov iv ^Odvaasiijt %wy
Nvfi^wv ävTQoVy die den unglücklichen Versuch enthält, die Stelle der
Odyssee von der Nymphengrotte (Od. € 102—112), weil eine solche sich
in Wirklichkeit in Ithaka nicht finde, als Allegorie zu fassen und auf
den Kosmos zu deuten. Ebenso nichtige Ausgeburten verkehrter Inter-
pretation enthalten die VfirjQixd ^rjTrjfiaTa,^) und nicht besser werden die
verlorenen Abhandlungen neql v^g XyfirjQov q>iXo(roq>{ag und ne^l twv na^-
XeXeififievwv Tip noirjTr^ ovofiarwv'^) gewesen sein.*) Allegorien suchte Por-
phyrios auch in der Fabel negi STvyog, wie uns die Bruchstücke bei
Stobaios lehren. — Von den Kommentaren des Porphsrrios ist uns ausser
der Erläuterung zur Harmonik des Ptolemaios die Einleitung zu den
Kategorien des Aristoteles {elttayoayr^ elg tag 'AQiffroTäXovg xctrrjyoQiag
und c^i^yrjaig elg rag *Aqi<tt, xarrjyoqiag xard nevaiv xal arroxQimv) ^) er-
halten. Dieselbe wurde selbst wieder von Ammonios Hermeiu, Joannes
Philoponos, Theodoros Prodromos, Boetius kommentiert und galt im Mittel-
alter als Kompendium der Logik, ^j — Für seinen Piaton gegen die Angriffe
^) Dieselbe wird auch als <pi^X6<ro<pos
XQoroyQatpia citiert.
*) J. Bebnays, Theophrastos Schrift über
Frömmigkeit, Ber. 1866. — Unserem Por-
phyrios wird auch das unter Galens Namen
überkommene Büchlein n€(}i tov tkJ; ifA^it-
XovxM xa IfxßQva zugewiesen von Kalb-
fleisch, Abhdl. der Berl. Ak, 1895.
') Das Schreiben ist eine Mosaikarbeit,
zu der die Steinchen allwärts hergenommen
sind; s. Üseneb, Epicurea p. LVIII sqq.
Durch unverschämte Verleumdung wird der
Edelmut des Philosophen in Habsucht um-
gewandelt in X^tjitfiol rtov *Elkfjyixtay ^ew^
n. 85.
*) Vgl. oben § 43.
&) SchoL Hom. r 250 u. 314.
^) Ueber die ähnliche Schrift ne^ imr
xttttt Illv6aQO¥ tov NeiXov ntiymtf s. BsifiK
zu Pind. fr. 252.
^) Daneben hatte er einen ausführlichen
Kommentar zu den Kategorien in 7 B^ ferner
einen ne^ kgfiifvsiag und zur Physik ge-
schrieben; s. Zbllbb II> 2, 640 f.
8) Vgl. Prartl, Geach. d. Logik 1 626 f.
und oben p. 489.
B b)BömiBo]ie Periode nach Eonstaatin. 8. Die Prosa, d) Piülosophie. (§622.) 831
des Rbetors Aristides trat er in der verlorenen Schrift n^og 'ÄQiarstSrjv in
7 B. ein. — Aus den historischen Studien des betriebsamen Autors waren
die Chronika und die Schrift nQog &ovxvd(iov ngootfxiov hervorgegangen;
von den XQovtxd, einem bis auf 270 n. Chr. herabgehenden Kompendium
der Geschichte, war bereits oben § 592 die Rede.
Den religiösen Fragen, die bei den Neuplatonikern einen Hauptgegen-
stand weniger des Forschens als der ahnenden Spekulation bildeten, ist der
Brief an den ägyptischen Priester Anebon gewidnet; derselbe rief die
Entgegnung des lamblichos hervor und wird häufig von Eusebios, Kyrillos
and Augustin angezogen.^) Interessanter ist die leider nur fragmentarisch,
zumeist durch Eusebios erhaltene Schrift nsgi Ttjg ix XoyCwv (fiXoao(piag, in
der sich Porphyrios zum Glauben an den Humbug der Orakel und den
Hexensahbath der synkretistischen Gotteslehre bekannte, indem er aus an-
geblichen Orakeln des Apoll, der Hekate und anderer Götter Beweise für
seine theosophischen Ansichten zu gewinnen suchte. Vielen Staub hatte
zu ihrer Zeit die oft von den Kirchenvätern erwähnte Schrift xatd X^i-
atiavwv in 15 B. aufgewirbelt; dieselbe enthielt eine scharfe Polemik
gegen das Christentum und rief Gegenschriften des Eusebios, ApoUinarios,
Methodios und Makarios hervor.
Porphyrii opnsc. selecta ed. Nauck, (Vita Pyth., de antro Nymph., de abstin., ad
Marc.) ed. II, Lips. 1886. — Vita Pythag. zusammeD mit des lamblicnoB vit. Pyth. von
KiBssLiNO, Lips. 1816. -^ Porphyrii Quaest. Homer, ed. Sohradeb, Ups. 1880. — Poiph.
atfOQfiai ngog td yotjxtt, in Cbeüzbks Ausgabe des Plotin, Par. 1855 p. XXXI— L. — Die
Kommentare zu Aristoteles Kategorien mit der Uebersetzung des Boethius in Comment. in
Aristot. t. rV 1 ed. Büssb, Berl. 1887. — Porphyrii de philosophia ex oractdis haorienda
librorum reliqniae, ed. Güst. Wolff, Berlin 1856, Hauptwerk, dazu Bbbkats, Ges. Abh. II
286 ff., BuRXSCH, Klares, Ups. 1889. — Eine Gesamtausgabe mit Sammlung der Fragmente
steht noch aus.
622. lamblichos (gest. um 830)«) von Chalkis in Kölesyrien, Schüler
des Anatolios und Porphyrios, lebte unter Konstantin und ist Hauptvertreter
der phantastischen Dämonenlehre, in welche der Neuplatonismus ausartete.
Die unverdiente Bewunderung, welche die Anhänger des untergehenden
Heidentums diesem mystischen Schwätzer und unselbständigen Kompilator
schenkten,») erklärt die Erhaltung so vieler seiner Schriften, für die wir
gern Besseres aus alter Zeit in Kauf nähmen. Erhalten sind uns von ihm
die Schriften negi tov nv&ayoQeiov ßtov, Xoyog nqoxQemixog elg ifikoaoif(av^^)
n€Ql TTig xoivvfi [laxhjfiaTixTJg e7Ti(fti^firjg, negl v^g NixofAccxov dgid firjTixijg
HC^xyviyijgy d'eoXoyovfXBva ccQix^fiTjrix^g^ ^Aßdfifxwvog SiSaffxdXov nqdg trjv Iloq-
^) Der merkwürdige Brief ist aus den
Anfahrungen wieder hergestellt von Thom.
Galb in der Ausg. des lamblichus, De my-
sterüs Aegyptiorum 1878, und Pabthey,
lamblichi de mysterüs lib. Berlin 1857 p.
XXIX sqq.
^) Ausser dem Artikel des Suidas eine
Vita bei Eunapios Vit. soph. p. 457 ff.
•) Pseudo-Iulian ep. 34: cv ye ov niv-
SaQoy fAoyov ov^h Jt^uoxQtioy ij 'Og^ea tov
nakaioiatoVy aXXa xai avfinay ofitHg to 'EX-
Xfjrixoy, oTtocoy sig äxQov ffiXocofpiag iXdsTy
ftyfjfÄoyeverniy xadttneg iy Xv^ijc notxiXmy
(pSoyytoy iyaQfioyi(^ üvctdaBi, ngog to iy-
leXig Tijg fjLovavxrjg xegdaag ex^tg. Nicht
bloss in den untergeschobenen Briefen, auch
in den echten Schriften spricht lulian, wenn
auch in gedämpfterem Ton, von dem xXeiyog
iBQOfpuyxrig *IäfjißXixog.
^) Die Schrift trägt den gleichen Titel
wie eine der populären Schriften des Aristo-
teles (s. § 314). Dass dieselbe von lambli-
chos hier und in dem Brief bei Stob. ecl. II
2, 6 benutzt sei, zeigen Bywatbr Joum. of
philol. II 55 f. und Diels Arch. f. Gesch. d.
Philos. I 477 f.
832
Chneohiflolie LÜteratnrgettoliiolite. H. Hftohklawdsohe littentiir.
ifVQiov TiQog 'Aveßw iniittoXrjv änoxQiifig.^) Am wichtigsten ist das Leben des
Pythagoras; aber auch dieses ist eine unkritische Kompilatien aus älteren
Werken, durch die uns indes manche anziehende Erzählung, wie die von
Dämon und Phintias (c. 33), nach der Schiller seine Bürgschaft dichtete,
erhalten ist. Die beiden Hauptquellen, die lamblichos nebeneinander,
zum Teil mit lästigen Wiederholungen abschrieb, waren Nikomachos und
Apollonios; aus dem ersteren sind auch mehrere wertvolle Notizen aus
älteren Autoren, wie Ps. Aristoteles negi ilv&aYOQeifov^ Aristoxenos und
Dikäarch geflossen.')
Kritiache Ausgabe der Vita Pythagorica von Naück, Petrop. 1884; ttber die hand<
schriftlichen Quellen Pistblli Mob. ital. di antich. class. 11 457 ; der beste Codex ist Laor.
86, 3 s. XIY, wahrscheinlich der Archetypos aller anderen. — Adhort. ad philos. rec. Kins-
UNo, Lips. 1823; ad fidem cod. florentini ed. Pistrlli, in Bibl. Teubn. 1888; von demselben
De mathematica scientia. — De Nicomachi arithm. ed. Tbnhvllius, Devenier 1667; ed.
Festa in Bibl. Teubn. — Theologumena ed. Ast, Lips. 1817. — lamblichi de mysteriia
A6g3rptiorum ed. Pabthey, Berl. 1857.
623. Proklos (410—485),*) der Lykier genannt von der lykischen
Stadt Xanthos, wo er erzogen wurde, ist der angesehenste jener achtbaren
Schar von Philosophen, welche im 5. Jahrhundert die Fahne der alten
Philosophie und Bildung gegen die andrängende Phalanx christlicher
Eiferer aufrecht erhielt. In Alexandria, durch den Aristoteliker Olympio-
doros in die Philosophie eingeführt, ward er in Athen eifriger Anhänger
der Neuplatoniker Plutarch und Syrian und folgte dem letzteren um 450 anf
dem Lehrstuhl der Philosophie in Athen, wovon er den Zunamen Diadochos,
d. h. Nachfolger erhielt. Bei seinen Zeitgenossen genoss er, wie uns sein
Biograph Marines bezeugt, durch seine Gelehrsamkeit, Frömmigkeit und
wunderthätige Kraft ein ausserordentliches, uns schwer begreifliches An-
sehen. Dem religiösen Zug seiner Zeit folgend, hatte er sich auch in die
eleusinischen Mysterien einweihen lassen.^) Den Tod erlitt er 485 in
hohem Alter; seine von ihm selbst verfasste, durch seinen Biographen
Marines und die Anthologie 7, 341 erhaltene Grabschrift lautete:
ÜQOxkog eyci YBVoixrjv Avxtoq yävog^ ov 2vQiav6g
ivx^di' afioißov iijg &Qäip€ diSaaxaktrjg,
^vvoQ d' dfi(poTeQ(üv ods <t(afiaza ii^cno Tvfißog,
ca&€ i^ xai tpvx^cg x^Q^^ ^**S A^Aa^oi.
Seine mehr zahlreichen als inhaltreichen Werke ^) galten zum grösseren
Teil der Erklärung der Dialoge Piatons und der Deutung derselben zu
Gunsten der neuplatonischen Lehre vom Eins und Guten. Auf uns ge-
M Näheres bei Zeller, Philos. d. Gr. HP
2, 681 ff.; über die Zweifel an der Echtheit
der letztgenannten Schrift ebenda p. 715 f.;
Bkrok, Gr. Litt. lY 470 schreibt sie einem ge-
borenen Aegypter und Schüler des lamblichos
zu. Nicht erhalten ist Xak&aXxrj zeXeiotartj
^eoXoyia, von der Damaecius de princ. 43
ein 28. Buch citiert. Eunapios, Vit. soph. hat
unter lamblichos einen breiten Bericnt aus
dessen Biographie des Rhetors Alypios ge-
liefert.
') RoHDB, Die Quellen des lamblichos
in seiner Biographie des Pythagoras, Rh. M.
26, 552 ff, 27, 28 ff.
') Suidas unt. IIqoxXo^ 6 Avxiog, Marines
ÜQoxXog fj negi evdaifjiovlaq ed. Boissonade,
Par. 1850; Frbcdbkthal in Herrn. 16,201 ff.;
R. Scholl in Ausg. der Conunent in PLaL
de rep. p. 4 f. Das von Marinos c 35 mit-
geteilte Horoskop führt anf das Jahr 412 aJs
Geburtsjahr, scheint aber auf fehlerhafter
Rechnung zu beruhen; s. Fbbudbhthal Rh.
M. 43, 486 ff.
^) Maass, Orpheus 8. 15.
8) Siehe Zbllbr, Phü. d. Gr. HI» 2, 778 ff.
Bb)ROmiaohe Periode nach Konstantin. 8. Die Prosa, d) Philosophie. (§§623—624.) 833
kommen und nach und nach auch durch den Druck veröffentlicht sind die
weitläufigen Kommentare zum ersten Alkibiades, zum Parmenides, ^) zur
Politeia, zu Timaios, Eratylos. In freierer Form sind diese Anschauungen
entwickelt in der Schrift Ttegl xfjg xaxd nXdrwva v^sokoyfag. Auch mit
der Erklärung der logischen Schriften des Aristoteles hatte sich Proklos
abgegeben, doch ist nichts davon erhalten.*) Die Hauptsätze der neu-
platonischen Philosophie enthalten die kompendiarischen Schriften 2toi.x€i(oaig
&€oXoyixij in 211 Kapiteln*) und die SToixefcomg (pvaixrj ij nsqi xivi^aecog,
sowie die nur in der lateinischen Uebersetzung des Wilhelm von Mörbecke
auf uns gekommenen Bücher von der menschlichen Freiheit, von der Vor-
sehung, von dem Übel. Auch in Versen hat Proklos seine theosophischen
Gedanken ausgedrückt ia den bereits oben § 587 erwähnten Hymnen. Der
Mangel an klarer Bestimmtheit und schöpferischer Originalität, welcher
des Proklos philosophische Schriften kennzeichnet, findet sich auch in
seinen sonstigen enkyklopädischen Arbeiten, in seinen Kommentaren zu
Hesiod,*) Euklid, Ptolemaios und in dem Buche nsgl aipaiqag. Gehalt-
reicher und exakter ist die grammatische Chrestomathie, die eben deshalb
einem anderen, älteren Grammatiker Proklos anzugehören scheint.^) Nach
Suidas hatte er auch eine Streitschrift gegen die Christen in 18 B. ver-
fasst {inix^iQYiiiaxa tr/ xaxd XQiauavcov), die eine Entgegnung- von Joannes
Philoponos fand. Wahrscheinlich war dieselbe nicht verschieden von der
auf Piaton fussenden aToi^xsmaig x^eoXoyfxr^ gegen die der christliche
Philosoph Prokopios von Gaza eine Erwiderung (avTiQQrjiXig elg %d
IJqoxXov ^eokoytxd x€(pdi,aia) schrieb, welche uns dem Hauptinhalt nach
in der Schrift UvdnTv^ig rijg d^soXoyixrfi axoixsid^ewg UqoxXov des byzan-
tinischen Theologen Nikolaos von Methone (12. Jahrhundert) erhalten
ist.^) Von seinem Kommentar zu den heiligen Schriften (Xoyia) der Chaldäer
sind neuerdings unbedeutende Eklogen ans Licht gekommen. Wenig in
die Richtung unseres Philosophen passt die in anderen Handschriften dem
Rhetor Libanios zugeschriebene elementare Schrift über den Briefstil {ttcqI
imaxoXiiiaiov x^Q^^^fJQog).
Procli opera ed. Cousin, Par. 1820—7, 6 vol., 2. Aafl. in einem Band 1864, enthftlt
die Kommentare zu Piatons Alkibiades I, Parmenides (unvollständig) und die drei latein.
Schriften. — Comment. in Plat. Parm. ed. Stallbaux 1839; in Plat. Timaeum ed. Chr.
ScHHSiDBB 1847; in Plat. de rep. ed. R. Sohöll, Berol. 1886, ed. Pitra Spicil. Solesm. t. V. —
£tmX' ^eoX. in Crkuzkrs Ausgabe des Plotin, Par. 1855 p. LI — CXVII; £toix> (pvaixtj ed. Gry-
9AB1T8, Basil. 1531 ; ns^l rijs xatd JlXäTwya &BoXoyias interpr. Aemil. Portus, Hamb. 1618.
UqoxXov ix T^g XaXSaixijs (piXoaofpiag ed. Alb. Jahn; accedit Hymnus in deum Platonicus,
vulgo Georgio Nazianzeno adscriptus, Halle 1891. ~ negi imaToXtjuaiov /«^«jfrjy^off ed.
Wbbtrbmann, Lips. 1856; auch zusammen mit Demetrii Phalerei rvnoi äniaioXixoL heraus-
gegeben von Hebcrbb, Epistologr. gr. p. 1— 18. Eine kürzere Fassung der Schrift gab aus
*) Der Kommentar umfasst 7 B.; ein 8.
f>e Damaskios hinzu.
*) Pbantl, Gesch. d. Log. I 641 f.
*) Davon ein Auszug ist das von einem
Araber gefertigte, in lateinischer uebersetzung
im Abendland verbreitete ps.-aristoteb'sche
Bach de causis, herausgegeben von Babden-
hbwbr, IVeiburg 1882. Vgl. Hanebbro, üeber
die neuplatonische Schrift von den Ursachen,
Stzb. d. b. Ak. 1863 I 261 ff.
^) Willkommene Gelegenheit, seine Dä-
Hudbnch der klMs. Altertnmswinenachaft. VU. 8. Aufl, 53
monen unterzubringen, gab dem Proklos die
Stelle Hes. Erga 352 rglg yäg fdVQioi shlv
inl x^^oyl TtovXvßoreiQn tt&äv(tTOi Zrjyog q>V'
Xnxsg (^vrjxiav avdQioJitav,
*) Darttber unten § 637.
') Das Verhältnis aufgedeckt von Russos,
TQBig raCmoif 1893, weiter ausgeführt von
Dräbeke, Byz. Zeitschr. VI (1897) 55 ff.; vgl.
§ 692, und über die Gegenschrift des Philo-
ponos § 698.
834 Griechische Lüteratnrgeechiohte. 11. VachklaMiMhe Idtteraior.
Handschriften des Vatikan heraus H. Hinck in Jahrb. f&r Phil. 99 (1869) 537-^562; vgl
Kbumbacbbb Byz. Litt* 452 f. — Ueber den Irrtum, dass bei Suidas dem Syrianus dieeelben
Werke wie dem Proklos beigelegt werden, s. Daub, De Suidae biogr. p. 408.
624. Auf Proklos war gefolgt sein Biograph Marinos, auf diesen
Isidor, Hegias und zuletzt Damaskios, der die Auflösung der Philosophen-
schule in Athen erlebte, und im Jahre 529 mit Simplicius, Diogenes, Her-
meias, Isidoros, Eulalios, Priscianus nach Persien auswandern musste. Von
Damaskios sind uns erhalten ein Buch nsq! xmv rtQciTfov a^x^)',^) Kom-
mentare zu Aristoteles und ein Auszug aus dem Leben Isidors (Phoidos cod.
181 und 242). Von Priscian haben wir in lateinischer Übersetzung
Solutiones eorum de quibus dubitauü Chosroes Persarum rex, in denen unter
anderm die <Dv<Tixai So^ai des Theophrast, die Meteorologika des Geminos
und die JSvfifiixra fijrijjwara des Porphyrius benutzt sind.") Simplicius
haben wir bereits oben als ausgezeichneten Kommentator der physika-
lischen Schriften «des Aristoteles kennen gelernt.
Zeitgenosse des Proklos war Hierokles aus Alexandria, ^) ein an-
gesehener Philosoph, der auch eine Zeitlang in Konstantinopel weilte, dort
aber bei den Machthabern solchen Anstoss erregte, dass er in den Kerker
geworfen und blutig geschlagen wurde. ^) Ausser Kommentaren zu Piatons
Gorgias, die sein Schüler Theosebios herausgab, ^) schrieb er eine weitläufige
Erläuterung zu den Goldenen Sprüchen des Pythagoras. Dieser in kor-
rekter Sprache und in weihevollem Ton geschriebene Kommentar (h^
xXt'ovg Tov (fiXoaoifov slg vd t<3v nv^ayogeicov xqvaä iirr^ vnofivtjfia) stand
bei den Gelehrten des Mittelalters und der Renaissance in hohem Ansehen
und ist vollständig auf uns gekommen.^) Überdies haben wir von Photios
bibl. cod. 214 u. 251 Auszüge aus dem Werke negl nqovoiaq xal elfiOQ-
fisvrjg in 7B., das unser Philosoph als Trostschrift an seinen Gönner Olympio-
dor gerichtet hatte. Mehrere andere seiner Schriften, insbesondere die Streit-
schrift Tiva TQOTiov x^soTg xqi^aräov^ citiert und benutzt Stobaios ecl. phys. c. 7.^)
Zu den Neuplatonikern gehört auch Salus tius, den wir schon oben
als Zeitgenossen und Freund des Kaisers Julian kennen gelernt haben. ^)
Von ihm ist ein Buch neqi x^eäv xal xocfiov auf uns gekommen, das in
21 Kapiteln gewissermassen einen Katechismus der theologischen Lehre der
Neuplatoniker enthält.») In diesem Charakter des Buches ist es begründet,
dass es nicht tief auf die einzelnen Fragen eingeht; aber wer sich über
») Damascius bei Photins Bibl. p. 338^ 35.
*) Abgedruckt ist derselbe von Mullacb
FPG t. I p. 416-484.
') Von einem Hierokles, schwerlich dem
unsrigen, rOhrt auch eine Sammlung Toa
Anekdoten her, worüber s. § 640.
^) Verschieden von diesem ist derRhetor
und Sophist Salustius Syrus, der dem
Anfang des 6. Jahrhunderts angehörte and
als tre£Elicher, ged&chtniastarker Kenner des
Demosthenes und Nonnos in Alezandria das
grosse Wort führte; s. Damaskios bei Photios
cod. 242 und Suidas s. h. y. Von ihm rthrea
wahrscheinlich die Scholien zu Sophokles nnd
Herodot her.
^) Wiederabgedruckt ist dasselbe in
MuLLAOH FPÜ m 80—50.
^) Herausgegeben von Kopp, Frankfurt
1826; aber diese am Schluss verstOmmelte
Schrift und die mit derselben vordem irr-
tümlich vereinigten ano^lai xai iniXvaeis zu
des Proklos Kommentar über Piatons Par-
menides s. E. Hbitz, Der Philosoph Damas-
kius, in Strassb. Abhandl. zur Philos., Frei-
burg 1884 S. 1—25. — Ausserdem erwähnt
Photios cod. 130 von Damaskios nagado^o^
Xoyoi in 4 B.
*) Neubearbeitet von Bywatbb, Aristot.
Bupplem. I 2. Die Schrift des Priscian de
ventis ist von Val. Rosb, An. gr. I 53—58
herausgegeben.
*) Ueber die verschiedenen Hierokles s.
Behr in Pauly's Realenc.
*) Suidas unt. 'Ugoxkijs.
B b) Bömisobe Periode nach Eonetantiii. 8. Die Proea. d) Philoeophie. (§§ 624—625.) 835
die Stellung der Neuplatoniker zum Mythus, zur Lehre vom Kosmos, dem
Nus, dem Bösen, der Seelenwanderung orientieren will, kann es nicht leicht
besser als aus diesem gutgeschriebenen Kompendium.
Vom Neuplatonismus angehaucht ist auch ein christlicher Schrift-
steller, von dem uns ein Dialog "Eqßinnoq rj nsgi äcTQoXoyiag 2. B,, in
korrekter, ja eleganter Sprache erhalten ist. Dialogisch ist an demselben
freilich nur die Einleitung und der Schluss; im übrigen gibt der Haupt-
träger des Dialoges Hermippos, so benannt, wie es scheint nach dem
gleichnamigen berühmten Peripatetiker, in fortlaufender Rede eine phan-
tasiereiche Kosmogonie unter Berücksichtigung des vermeintlichen Ein-
flusses der Planeten. Der Verfasser ist ein Christ, der aber in der alten
Litteratur gut belesen war und uns aus derselben einige sehr wertvolle
Bruchstücke erhalten hat; er lebte nach Proklos in der 2. Hälfte des 5.
oder gar im 6. Jahrhundert.
Ausgabe des Hermippos von Bloch, Kopenhagen 1830, neueste von Eboll u. Yibb-
ECK 1895 in Bibl. Teubn.
Das unter dem Namen des Herennios umlaufende Kompendium der neuplatonischen
Metaphysik (E^tyyiov (piXoa6g>ov i^ijyijaig sig t« fieraipvavxd ed. Mai, Class. auct. t. IX),
das früher irrtümlich als Kommentar der aristotelischen Metaphysik ausgegeben wurde, ist
eine fange Fälschung, wahrscheinlich aus dem 16. Jahrhundert. Die Sache ist aufgeklärt
von J. Bkrnays, Ges. Abb. I 349 f.; E. Heitz Sitzb. d. Berl. Ak. 1889 S. 1167 ff.
Von den tüchtigen Kommentatoren des Piaton und Aristoteles aus dieser letzten Zeit
der alten Philosophie, von Syrianos, Hermeias, Ammonios Hermeiu, Olympiodoros,
David, Simplicius, Asklepios, loannes Philoponos ist bereits oben an ihrer Stelle
die Rede gewesen. — Von dem neuplatonischen Kommentator Dexippos, der im 4. Jahr-
hundert nach lamblichos lebte, haben wir ausser einem Kommentar zu den Kategorien des
Aristoteles einen Dialog über die von Plotin gegen die Kategorien gerichteten Einwände,
herausgegeben von L. Spbhobl in Monum. saecul. d. b. Ak. 1859.
625. Synkretismus und orphischer Mysticismus. Der Neu-
platonismus hatte seine Wurzeln in dem Bestreben einer Verschmelzung
der griechischen Lehre des Piaton mit den zu steigender Bedeutung ge-
langten Religionssystemen des Orients. Dieses Bestreben ist schon bei
Plotin wahrnehmbar, trat aber immer stärker bei den späteren Neupla-
tonikem, namentlich lamblichos und Proklos, hervor. Vorgearbeitet ge-
wissermassen war den Philosophen durch die synkretistische Richtung der
Volksreligion, welche insbesondere seit dem Beginne der römischen Kaiser-
zeit die Reinheit der altgriechischen Götterverehrung durchbrach und all-
gemach auch die denkenden Geister in ihren philosophischen Anschauungen
beeinflusste. Eingewirkt haben die verschiedensten Religionen Asiens und
Afrikas; selbst die Lehren der Druiden Galliens und der Brahmanen Indiens
spielten in diesem Mischmasch eine Rolle ;i) auch die altehrwürdigen Sätze
des Zoroaster gewannen durch den Einfluss der Magier und die Ver-
breitung des Mithraskultus erhöhte Bedeutung in der bunten Völkermasse
des römischen Kaiserreichs, ^) welche die griechische Sprache als Verstän-
digungsmittel der Gebildeten beibehielt, ohne deshalb noch hellenisch oder
auch nur noch hellenistisch zu denken. Vorzüglich aber waren es die
jüdisch-christliche Gnosis und die Weisheit der ägyptischen Priester, welche
*) Belehrend ist in dieser Richtung be-
sonders Diogenes Laert. pro5m.; vgl. Palla-
dio8 Ober Indien § 614.
^) Aus den bezeichneten Kreisen der
orientalischen Neuplatoniker stammten die
erhaltenen Xoyta T^QotiatQov und das von
Clemens Alex., Lactantius u. a. citierte Buch
Hystaspes.
53*
836
Grieehiaoho Litteratnrgesoliiokte. n. HaohklassUMshe litterator.
die Denkweise des in Ägypten entstandenen Neuplatonismus beinflussten
und ähnliche mystische Schriften hervorriefen.
Die Bücher der ägyptischer Weisheit wurden unter dem Namen des
^EQfirjg TQifJiAsyiatoq^ eines fingierten altägyptischen Weisen,^) zusammen-
gefasst und sind uns teilweise noch im griechischen Original, zum TeQ
nur noch in lateinischer und arabischer Übersetzung erhalten. Das haupt-
sächlichste ist der Poimander oder das Buch vom guten Hirten, eine
Sammlung von 14 philosophischen Traktaten, in denen Hermes seinen
Sohn Tat und seinen Schüler Asklepios in der Gottesgelehrsamkeit unter-
richtet. Ähnlicher Art sind die Weisungen des Asklepios an den König
Ammon {oqoi 'AaxXrjniov nQog "Afifim*a ßatfikäa), die zerstreuten Anführungen
bei Stobaios und das nur in der lateinischen Übersetzung des Pseudo-
Apuleius erhaltene Buch Asdepius sive dialogus Hermetis trismegistij ein
Schmerzensruf des seinen Untergang voraussehenden Heidentums.^) Schriften
des Hermes werden bereits von Plutarch de Iside c. 61, Clemens Alex, ström. VI4,
TertuUian de an. H 33 erwähnt; die uns erhaltenen zeigen Einfluss des Neu-
platonismus und sind in den letzten Jahrzehnten des 3. Jahrh. entstanden.')
Der medizinischen Zauberlitteratur gehören die Eyranides an, mit
denen das Büchlein von den Pflanzen der sieben Planeten in Verbindung
steht.*) — In höheres Alter reichen die mystischen Schriften hinauf,
welche aus der Yerquickung orphischer Anschauung mit ägyptischem Aber-
glauben entstanden sind und uns teilweise noch in den Zauberpapyri der
Leydener, Berliner und anderer Bibliotheken vorliegen. Schon seit Mitte
des 1. Jahrhunderts v. Chr. waren die astrologischen und theologischen
Schriften des Priesters Petosiris^) und seines königlichen Oönners Nechepso
aus Aegypten zu den Griechen gekommen und hatten zur Verbreitung der
Scheinweisheit der Astrologie und Magie bei Griechen und Römern beigetragen.
Pabthet, Hermetis trifimegisti Poemander, Berl. 1854. Im Anhang dazo die "0^
'j4axXfjniov n^og "AfjLfjLovtt ßnatXia, Paris 1554. — M^nard, Hermes trimegiste, trad. comp!,
pr^c^d^ d'one ^tode sor Torigine des livres herm^tiques, Paris 1866. — '£^/uof* xw 7^16-
fiByictov nsQi xaTaxXiafotg yoaovytwyy ne^l yvoHftixijq ix xrjg fia&fifunix^g iniifr^fiijf n^
"Jfifjtiova Alyvntiovy in Idblbrs Physici et medici graeci I 430—440.
Die Kyraniden in zwei lateinischen Bearbeitungen stehen in Mysteria physica medica»
1681 ; den Tractatus de Septem herbis Septem planeüs attribntis veröffentlichte Sathas, Ma.
gr. cl. IV, n. 57, wozu berichtigende Ergänzungen liefert H. Haupt Phü. 48, 371 ff.
Parthbt, Papyri Berolinenses, Stzb. d. Berl. Ak. 1865. — Wessblt, Griech. Zauberpapyri
von Paris und London, in Denkschr. der Wien. Ak. 1888 u. 1894. — Lbemahs, Papyri graeeae
musei Lugdunensis töm. II, Leyden 1885. Dibtbbich, Papyrus magica Lugdunenisis Batavi,
denuo edit, commentario critico instruxit, Prolegomena scripsit Alb. Dieterich, Jahrb. f. Phil.
Suppl. XYI (1888) 747—827. — Nechepsonis et Petosiridis fe&gm. magica ed. Ribss, in Philol.
Suppl. VI 325—388.
Von Horapollon aus dem Nomos Panopolis in Aegypten, der nach Soidas in Ale-
xandria und sp&ter in Eonstantinopel unter Theodosius lehrte und ein Buch Teusyixa schrieb^
haben wir lBpoyXv(pi.xtt, mit Kommentar herausgegeben von Lbbxans, Amsterdam 1835.
Ueber den Einfluss der Religion des Zoroaster s. Wi]n>iscHMAHN, Die SteUen der Alten
fiber Zoroastrisches, in Zoroastrische Studien, Berlin 1863, S. 260—318. — Wacbsvittd,
Lactantius kannte.
*) Suidas erwähnt von Petosiiis indo-
yag ix xtov ieQüiv ßißXimy, äar^oXoyopfiera,
ns^ jwy ncr^' Atyvnxioiq fAvaitiqiny.
') Schon Galen, De simpL medic. facul-
tatibus (lY 1) kennt die dem Hermes zöge*
schriebene Schrift Qber die 34 ßoxayta rwr
lü^oaxontay.
*) Aegyptisch Thot; Pibtschmahv, Her-
mes Trismegisthos, Leipz. 1875.
^) Jak. Bernats, Ueber den Dialog As-
klepius, Stzb. d. Beri. Ak. 1871, Ges. W. I
327 ff.; Berok Gr. Litt. IV 569—78.
») Zeller, Philos. d. Griech. IIl* 2 p.
224 ff. Daselbst ist aach nachgewiesen, dass
unseren Poimander bereits der Kirchenvater
B b) BOmiflce Periode nach Konetanün. 8. Die Prosa, e) Grammatik. (§§ 626—628.) 837
Ljrdiia de ostentiB p. XU weist einen Cod. Lanrent. 38, 34 nach, der eine reiche Sammlung
griechischer Astrologen enthält. — In die gleiche Kategorie gehören auch die astrologischen
Lehrgedichte, Orakelsprüche und Zauherverse, von denen oben § 587 die Rede war.
e) Die Grammatik.
626. Die Kritik oder das Vermögen, Wahres von Falschem zu sondern,
war in unserer Periode unter den Nullpunkt gesunken. Damit hatte die
Grammatik und gelehrte Forschung ihre Grundlage verloren; beeinträchtigt
wurden dieselben des weitem durch die Abnahme des Interesses an der
alten Litteratur und die Beschränkung der Lektüre auf wenige Autoren
und Schriften. Die attischen Komiker wurden gänzlich vernachlässigt,
von Piaton fast nur Gorgias, Alkibiades und Phaidros gelesen, von den
Tragikern nur die drei Heroen beachtet und selbst von diesen Aischylos
mehr genannt als studiert. Gleichwohl beanspruchen die verhältnismässig
zahlreichen grammatischen Schriften, die aus der Zeit des untergehenden
Griechentums auf uns gekommen sind, in hohem Grade unsere Aufmerk-
samkeit. Denn dem Streben der Grammatiker unserer Periode, die Ar-
beiten der Früheren in kurze Auszüge zu bringen, verdanken wir die Er-
haltung vieler Sätze der alten Gelehrsamkeit. In dem Kehricht, das uns
hier zu durchstöbern ist, vermischt sich die Grenze zwischen Altertum und
Mittelalter. Denn die Grammatik blieb, wenn man auch im späten Mittel-
alter die grammatischen Regeln zuweilen nach dem Leierkasten bekannter
Kirchenlieder absang, doch ihrem Wesen nach stets von dem Kirchentum
und Glaubensbekenntnis unberührt. Zudem hat nach Herodian kein Gram-
matiker mehr etwas Selbständiges geleistet, und macht es daher keinen
Unterschied, ob ein Heide oder ein Christ die Sätze und Sammlungen einer
besseren Zeit plünderte. Wir fürchten daher keinem Tadel zu begegnen,
wenn wir hier öfters die Grenzscheide der Regierung Justinians über-
schreiten und für solche, die nicht das ausgezeichnete Buch Krumbachers
über byzantinische Litteraturgeschichte nachschlagen können, diejenigen
byzantinischen Werke, deren Kenntnis auch für den klassischen Philologen
absolut notwendig ist, in den Kreis der Besprechung ziehen.
627. Von der empirischen Grammatik, Kritik und Exegese der
Autoren, gilt am meisten, was wir von den grammatischen Studien im
allgemeinen bemerkt haben. Neues wurde hier nichts geleistet; die älteren
gelehrten Scholien wurden in einem schlechten Extrakt dem Texte der
wenigen noch gelesenen Autoren am Rande beigefügt. Hie und da ist
auch der Name desjenigen genannt, der den Auszug gemacht und mit be-
deutungslosen eigenen Zugaben bereichert hat; so wurden die Scholien zu
Sophokles redigiert von Salustios,^) die zu Euripides von Dionysios, die
zu Aristophanes von Phaeinos, die zu Theokrit von Eratosthenes,^)
die zu Demosthenes von Zosimos und ülpian.^)
628. In der grammatischen Theorie beschränkte man sich wesent-
lich auf Kommentierung der kleinen Schulgrammatik des Dionysios Thrax,
auf Exzerpte aus Herodian und Einleitungen in das Studium der Grammatik.
') Üeber Salustios den Sophisten ein Ar-
tikel des Sxiidas ohne Zeitangabe. Unser
Salostins heisst in den Scholien üv^ayogeios
imd dieser war ein Schüler des lamblichos;
8. WiLAMOWiTZ, £nr. Herakl. 1 197 f.; vgl. § 624.
') Eratosihenes Scholastikos kommt unter
den Epigrammatikern vor.
') Ein OvXniayoi aofpicttjs unter Kon-
stantin wird von Suidas erwfthnt.
838
Orieohisohe LüteratiirgeMhichte. IL Haohklaasuiohe Littermtiir.
Theodosios aus Alexandria, der gegen Schlass des 4. Jahrhunderts
lebte, ^) leiht seinen Namen einer Zusanimenstellang von Kommentaren zu
der Schulgrammatik des Dionysios Thrax.') Derselbe ist wirklich Ver-
fasser der Deklinations- und Konjugationsregeln {eicaywyixol xavovsg m^
xUasmq ovoi^iatwv xai ^rjfi(it(ov), die sich bis ins späte Mittelalter grossen
Ansehens in den Schulen erfreuten und von Choiroboskos eines eigenen
Kommentars gewürdigt wurden. 3) Demselben wird mit Wahrscheinlich-
keit auch die Epitome der allgemeinen Prosodie des Herodion {xav6r€^
rrjg xad^olixrjg TiQüaffSiag) zugeschrieben,*) welche auf Grund des minder-
wertigen Zeugnisses eines jungen Cod. Paris. 2102 von Barker (1823) and
M. Schmidt (1860) unter dem Namen des Arkadios, eines angesehenen
Grammatikers von Antiochia,^) veröffentlicht wurde. Von dieser Epitome,
welche sich eng an das Originalwerk des Herodian anschliesst, sind uns
die ersten 19 B. in der Form erhalten, welche der Epitomator ihnen ge-
geben hat; das 20. Buch welches in den älteren Handschriften fehlt, ist
von einem Fälscher des 16. Jahrhunderts aus den anonym umlaufenden
Traktaten ncQi nvevficTiav und ncQl xQoviov^ welche gleichfalls auf Herodian
zurückgehen, ergänzt.^)
Tbeodosii Alex, grammatica ed. Göttlino, Lipe. 1822. — Theodosü Alex, canones,
Georgü ChoeroboBci scholia, Sophronii patriarchae Alex, excerpta ed. Hiloabd, in Gorp.
gramm. gr. pars IV, Lipa. 1889. — Die Ka&oXtxij n^oaadla des Ps. Arkadios ist herus-
gegeben von Barkbr-Boissoraob, Lips. 1820, and verarbeitet von Lentz in Herodiani relL.
worüber s. § 565.
Georgios Choiroboskos (d. i. Georg der Sauhirt) war um 600 Lehrer
an der grossen ökumenischen Schule in Eonstantinopel.'^) Seinen gram-
matischen Vorträgen legte er die Kanones des Theodosios zu grund. Diese
Vorträge, in denen er sich als einen guten Kenner des Apollonios, Herodian,
Orion bewährt, sind nach den Nachschriften {äno (pcovijg) seiner Schüler
auf uns gekommen. Ausserdem kennen wir von ihm ein Buch über Ortho-
^) Derselbe ist wahrscheinlich identisch
mit dem Oav^aciog yQftfufianxof Seodociog,
dem Synesios ep. 4 einen Gniss schickt.
') Ueber die wirklichen Verfasser dieses
Sammelsorinms s. Uhlio, Dionys. Thraz p.
XXXVI.
') Im Mittelalter wurden diese Kanones
in die Form eines Katechismus gebracht und
in Fragen und Antwort zerlegt; der Kate-
chismus ist in der älteren Form erhalten in
cod. Guelf. Gud. 112, der von Moschopulos
verbesserte ist im Druck erschienen 1493
u. Basel 1540.
*) Die besten Codices (Matrii 38, Haun.
1965, Barocc. 179) haben die üeberschrift
Kat^oyeg xrjs xaS^oXixijg rtgoofodittg tov <fo<p<0'-
ttitov 'HQfo&iayov ovg neQUiBfis Seodoaiog 6
yQttfAfjLaxixog (pvXd^ag tov dgi^^fioy xtop ßi-
ßXiojyy aber vor dem Prolog steht die reser-
vierte Fassung Tt^Xoyog oifjLm Seodociov tig
Tot's xayopttg. Galland, De Arcadii qui
fertur auctoritate, Diss. Argent. VII, denkt
an den Grammatiker Aristodemos als Ver-
fasser, von dem Suidas eine inixofxtj r^g
xa^oXov ÜQto&iayov erwähnt. Näheres Cohn
im Artikel Arkadios bei Wissowa.
') Dem Arkadios schreibt Suidas sd:
nsQi og&o/Qafflag, negl avyfd^BtAg twr ror
Xoyov fÄBQtoy, oyofiaiftixoy.
*) Die Ergänzung geschah durch J»k.
Diassorinos, von dem auch der Titel
*j4Qxadiov herrtthrt; s. Cohk, Phil. Abh. xd
Ehren von M. Hertz S. 141. üeber andere
Auszüge der Bttcher des Herodian nf^ nnv-
fiartüy und nsgl /^Vcu»' siehe Egssolff,
Die orthoepischen StDcke der byzantinischeD
Litteratur, Mannh. Progr. 1887 S. 10 ff.
Ueber die dem Theodosios sonst noch ftlack-
lich beigelegten Schriften vergl. Uhli«, DioD.
Thraz, Index p. 208.
') In den Handschriften der Prol ia
Theod. heisst er VewQytog dtunoreg xai /«^
xoffvXtt^, fisyag ygafifÄurixog xttl oixwutn^
xog didaaxaXog. Seine Lebenszeit steht nicht
fest; sicher lebte er nach dem BegiBDe des
6. Jahrb., aber fOr die Zeitgrenze fehlen
sichere Anhaltspunkte; Ernmbacher Byi.
Lit.> S. 583 setzt ihn .näher dem 6. als don
10. Jahrhundert. •
B b) Bömisohe Periode naoh Konstantm. 3. Die Prosa, e) Chrammatik. (§ 628.) 839
graphie (Gramer, An. Ox. 11 167—281 im Excerpt),*) einen Traktat 71€qI
n^oati^dt^v (Bekk. An. gr. 703 — 8), Kommentare zu Hephästion und Diony-
sios Thrax,^) letztere in der abgekürzten Form, die ihnen ein gewisser
Heliodoros gab. Unter seinen Namen gehen auch grammatische Analysen
(SrnfACQ^afioi) zu den Psalmen.*)
Georgii Ghoerobosci Dictata in Theodosii canones et epimerismi in psalmos, ed. Gais-
FORD, Ozon. 1842; nene Ausgabe in dem Corpus gramm. graec. IV von Hilgabd Lipe. 1889.
Andere Grammatiker des untergehenden Altertums waren: Eugenios,
der nach Suidas unter Kaiser Anastasios in Konstantinopel lehrte und ausser
einem attischen Lexikon, welches noch Suidas benutzte, eine metrische
Analyse {xiaXofiBXQia) der melischen Partien von 15 Dramen des Aischylos,
Sophokles, Euripides verfasste;^) Eudaimon aus Pelusium, Zeitgenosse
des Libanios und Verfasser einer xäxvri YQcififiaTixr^ und einer ovofiavutr^
oQd-oy^aqia (Suidas), welche beide verloren gegangen sind; Horapollon
aus Ägypten unter Theodosios ü, der nach Suidas Kommentare zu Alkaios,
Sophokles, Homer schrieb und von dem uns die ^UqoyXvffMd erhalten sind
(s. § 625); Timotheos aus Gaza, Schüler des Horapollon, unter Anastasios I,
der nach Suidas über Wunderdinge in Versen schrieb und unter dessen
Namen elementare Regeln über die Lautverbindungen {xavoveg xax^ohxoi
negi awrä^ciog) auf uns gekommen sind ; ^) loannesPhiloponos aus der
Zeit Justinians,^) ein schreibseliger Kommentator des Aristoteles und Ver-
fasser des Buches nsQi StaXhxTwv (im Anhang von Stephanus' Thesaurus
ling. graec), der %ovixd naQayyäluaxa (ed. Dindorf, Lips. 1825) und des
im Mittelalter oft abgeschriebenen und zuletzt von Egenolff (1880) heraus-
gegebenen Schullexikons nsgl td)v iiatpoQoog tovovfjuivwv xai StatpoQa arjfiai-
rovvav; Theodoretos aus unbestimmter Zeit, von dem uns ein aus Hero-
dian gezogenes Buch nsqi nvsviidxiov in lexikalischer Form erhalten ist;^)
Joannes Charax,«) Verfasser des von Bekker, An. gr. 1149—56 publi-
zierten Traktates neql iyxXivofiävaov fxoQiwv^ sowie einer Schrift neQi o^^o-
1) üeber einen Traktat des Choiroboskos
n%Qt nyevfittTiov im Cod. Matrit. 95 fol. 138 fF.
von zwe^elhafter Echtheit gibt Kenntnis
BesnoLFF, Die orthoepischen Stücke S. 26.
^) Aach zu Apolionios Dyskolos und
Herodian hatte er Scholien geschrieben; vgl.
Hilgard in den Prol. der Ausgabe p. LXIXff.
*) Lehbs, Herodiani scripta tria p. 439
besireitet die Echtheit. Choiroboskos' Namen
trftgt aach eine Figurenlehre in Spenobl's
Rhet. gr. m 244—255.
^) Auf diesen Eugenios gehen wohl die
eiiialtenen metrischen Analysen der Drama-
tiker zurück, die indes ebensowenig Wert
wie die pindarischen haben. Aus der Zahl
dgafjiar<ay te ersehen wir, dass man sich da-
mals, also um 500, bereits beschränkte auf
eine Auslese von 3 Stücken des Aischylos,
3 des Sophokles, 9 des Euripides.
^) Diesen Traktat und Exzerpte aus dem
Wunderbuch publizierte Cbaicer An. Oz. IV
263 ff. u. An. Par. IV 239 ff.; Exzerpte aus
dem Buche von den Tieren veröffentlichte M.
Haupt, Herm. m 1 ff. = Onusc. III 274 ff.
Der gnunmatische Traktat gehörte zur Lehre
von der Orthographie, die nach Herodian in
die 3 Teile zerfiel: cvvta^is, noiottjg^ nocoxrjg.
Vgl. Reitzrnstbin, Gesch. d. gr. Etymol. 296 f.
«) Nach Pbahtl, Gesch. d. Log. I 643
erlebte er als Greis die Einnahme Alexan-
drias durch Omar (640), was sich wenig mit
den Nachrichten über die Polemik des Leon-
tios Monachos gegen Philoponos vereinigen
lässt. Danach gehört vielmehr Philoponos
der Mitte des 6. Jahrhunderts an. Lud wich
De Joanne Philopono grammatico, Ind. lect.
Königsberg 1888/9. Ueber seine theologische
Thatigkeit Erukbacber Byz. Lit.^ 53 u. 581.
') Eine Ausgabe im Corpus gramm. gr.
bereitete Studemund vor; eine vorläufige An-
zeige gibt Ublio in Jahrb. f. Phil. 121, 789 ff.
^) Derselbe war verschieden von dem
Erzieher des Kaisers Theophiloe und gehörte
dem 6. Jahrhundert an; s. Ludwioh, De
Joanne Philopono p. 9; Hilgard Theodosii pro-
leg, p. cxxm.
840
Griechische Litteratnrgeschichte. II. NachkUaeieche Litteratar.
YQatfiag und von Erläuterungen zu den Eanones des Theodosios; Sergios
Anagnostes aus Emesa, schwerlich identisch mit dem um 500 blühenden
Sergius grammaticus/) von dem Hilgard eine emTOfii} %div ovo/narixif
xavovcov AiKov "^Hqfüdiavov veröffentlicht hat (Heidelb. Progr. 1887).
Lexika.
629. Das Beste und Meiste wurde in der Lexikographie geleistet,
zu deren mechanischer Thätigkeit am ehesten noch die Kräfte der arm-
seligen Gelehrten des untergehenden Hellenentums ausreichten.
Ammonios, der nach Zerstörung der heidnischen Tempel Alexandrias
(389) nach Eonstantinopel auswanderte und dort Lehrer des Kirchen-
historikers Sokrates wurde,') ist angeblich Verfasser des synonymischen
Lexikons negl ofiotwv xai diaifoQoav kä^ecov. Auf so späte Zeit passt es,
dass die Glosse inni^riüov des Lexikons auf das Evangelium Lukas 7, 3
Bezug nimmt. Aber der Umstand, dass sonst nur ältere Grammatiker,
wie Didymos, Aristonikos, Tryphon, Aristokles, Neanthes als Gewährs-
männer angegeben werden und dass einmal sogar der Grammatiker Hera-
kleides aus Milet mit dem Zusatz 6 rj^äxeQoq citiert wird, beweist deutlich,
dass der Grundstock unseres Lexikons aus viel älterer Zeit stammt. Val-
ckenaer hat daher in der Einleitung seiner Ausgabe einen neuen Ammo-
nios aus der Wende des 1. und 2. Jahrhunderts in die Litteratnrgeschichte
einfuhren wollen. Da uns aber aus anderen Quellen mehrere Artikel des
Lexikons unter dem Namen Eranios und Ptolemaios überliefert sind und
Eustathios sich in dem Homerkommentar wiederholt auf ^Egewioc ne^
diafpoQcog (frjinaivofiävcov bezieht, so scheint vielmehr Herennios Philo der
eigentliche Verfasser des Lexikons über synonyme Ausdrücke, Ammonios
aber nur der Überarbeiter desselben zu sein.
HauptauBgabe von Valokenaer, LB. 1739 (Nachdruck Lips. 1822); Ton Ammoh, Er
langen 1787. Eine neue Bearbeitong der synonymischen Worfcveneichnisse hat fttr das
Corpus der griechischen Grammatiker Cohk übernommen; die litfcerar-historische Frage ist
ins Reine gebracht von Kopp, De Ammonii Eranii aliorum distinctionibns synonymids,
Königsberg 1883. — Schon Seleukos hatte nach Suidas negl rijs iv cvwtavvfjLoig ^atpo^i
geschrieben. — Hbylbut, Ptolemaeus negl &ta<poQtts Xi^sms, Herrn. 22, 388 ff.
Ein Auszug aus dem Synonymen-Wörterbuch ist das von Boissokadb An. gr. III
262 ff. veröffentlichte Büchlein negi dxvQoXoylagy das der Fälscher PalAokappa in Codd-
Paris 2551 und 2929 dem Herodian zuschrieb.
630. Orion und die Etymologika. Orion aus dem ägyptischen
Theben lehrte um 425 in Alexandria, wo ihn Proklos hörte, ging dann
um die Mitte des 5. Jahrhunderts nach Eonstantinopel, wo seine gram-
matischen Vorträge so beliebt waren, dass dieselben sogar die Kaiserin
Eudokia, die schöngeistige Gemahlin des Kaisers Theodosios II, mit ihrem
Besuche beehrte.^) Den Hauptsitz seiner Thätigkeit aber muss derselbe
in Cäsarea gehabt haben, da er in den Handschriften ygafifiaTixog Kataa-
QBiag genannt wird. Suidas erwähnt von ihm eine Sammlung von Sen-
») Photios p. 288b,
p. 546, 32; Et. M. p. '^
; Choiroboskos
1. üeber den
Jüngeren Sergios Ant. Bauxstarck, Lucubr.
Syro-Graec. Jahrb. f. Phil. Snppl. XXI 869 ff.
«) Sokrates, ffist. eccl. 5, 16.
») Marinus vit. Procl. c. 8; Tzetzes,
Chiliad. X 60. Unterschieden hat von dem-
selben Suidas einen älteren Grammatik»
*Qqliav UXs^aydgev^, dessen Zeit sich dadmd^
bestimmt, dass er ein iyxwfjuoy *aS^ww
%ov Kalca^og schrieb.
Bb)BOiiiiBohe Periode nach KoBBtantin. 3. Die Prosa, e) Qrammatik. (§§629—630.) 841
tenzen, welche er der Kaiserin Eudokia widmete. Erhalten haben sich
von ihm Trümmer seines Hauptwerkes, eines etymologischen Lexikons,
in welchem er die älteren etymologischen Forschungen des Apollodoros,
Herakleides Pontikos, Philozenos, Soranos, Eirenaios, Apollonios, Herodianos
zusammenfasste. — Verwandter Richtung mit Orion war Oros, den
Ritschi, De Oro et Orione (Opusc. I 582 — 673), den grossen Grammatikern
der Antoninenzeit zugesellte, den aber neuerdings wieder Reitzenstein,
Oeschichte der griech. Etymologika 287 — 350, ins 5. Jahrhundert herabzu-
rücken sucht.*) Die Hauptschriften desselben handelten von der Orthographie
(TTsgi oQd-oyQa^iag) und den Völkernamen {tvsqI id-vixCäv)^ unter welchen
aber nicht bloss die Namen der Völker, sondern auch die der Ortschaften
inbegriffen waren. Aus den etymologischen Lexikis des Oros und Orion
gingen durch Vereinigung mit Auszügen aus dem Lexikon des Methodios,
den rhetorischen Lexicis des Aelius und Pausanias, den Grammatiken des
Herodian, Ghoiroboskos und Theognostos, den Epimerismen des Methodios
u. a. die etymologischen Kompilationen des Mittelalters hervor: das echte
Etymologicum magnum oder Etym. genuinum (entstanden zur Zeit
des Photios im 9. Jahrhundert),*) das Etymologicum Gudianum,^) das
erweiterte Etymologicum magnum,*) das Etymologicum Symeonis,«^)
wozu noch kommen das Lexikon des Zonaras oder richtiger des Anto-
nios Monachos, in welches ein älteres Etymologikon mit dem Lexikon des
Kyrillos verarbeitet ist, und die aus anderen Handschriften ans Licht ge-
zogenen Recensionen des ursprünglichen Etymologicum, nämlich das Ety-
mologicum Florentinum, Etymologicum parvum und Etymologi-
cum Angelicanum. Dieselben gehen alle auf eine Grundlage zurück
') Snidas fiOhrt ilm ein mit lO^o^ AXe-
^ttvdgevq ygafÄfiarixog, nai&svcaq iy K<oy-
fftayivov noXei, worin wahrscheinlich eine
VerwechBelong mit Ä^iwv üegt. Im Ety-
mologinm wird er als T^Qog MtXijciog citiert.
Fflr eine ältere Lebzeit des Oros spricht
anch die Stellmig, welche er in dem Kanon
der Grammatiker einnimmt, der hier zur Er-
g&nzong von § 339 seine Stelle haben möge:
Uff Ol yQttfAfitttixol • Jiovvciog 6 Bqu^, * AnoX-
tuviog JvaxoXog^ 'AXi^av^Qog (sc. KoxxvBvg '
"Agog add. BodL), 'Aatväytjg (£2^iyäyijg add. B^,
'AyantjTog {^tXonopoi add. B), IsQyiog 6 veto-
jegog ('loMxyyijg 6 Xdga^ add. B), Av^oviog,
^Adgcurtog, Seayeyt^g, (fort. exe. oaoi neQi nqoa-
lo&iag') 'HQfodiayog (FswQytog 6 Xoi^oßoaxog
add. B), Beodociog. (fort. exe. öffoi negi dia-
X&nwy) T^(fu>y, JidvfAog 6 v^ioxegogj Nuco-
xXßg, EvdalfJiwy, TQ^og^ Atoyvaiog 6 'aXixuq-
voüCBvg (sc. o (jL0vüi,x6g)y TIoQtfVQiogy 'AxMavg,
'AQxädtog, 'SiQajioXXtoy Tiuo^eog 6 Va^evg,
'Öao* n€Qi ÖQS^ayQatpiag ' ^AnoXXuiyiog, 'Hqtodi-
ayog, Ißgog, 'Ptofiayog, Seodociogy 6 ^Mnoyog,
0 XaQai, 6 XoiQoßoaxog» "Oooi negl dixQo-
ymy 'TS^og, UafAnqiniog, Ai&iQiog ^AnafXBvg.
(fori. exe. ocoi neQi i&yixtäy) ^og, Iretpayog
0 KtayatayriyonoXetog ^'Oaoi i&yMioy]^ 'hgiwy
9f]ßaTog, MtjxQodtogog, ^M^eyog, Aoyylvog,
') Dieses echte 'ExvfxoXoyLxoy fieya, aus
dem durch Verschmelzung mit dem "Etv-
^oXoyixoy äXXo, verwandt mit Etym. Gudi-
anum, dos bisher Etym. magn. genannte Lexi-
kon hervorgegangen ist, wird Reitzenstein
aus den Handschriften des 10. Jahrh. Vatic.
gr. 1818 u. Florent. S. Marc. 304 wieder her-
stellen; vorläufige Mitteilungen gibt derselbe
PhiloL 48 (1890) 450 ff., Verh. der 40. Vers,
d. Phil, in Görlitz und Geschichte der griech.
Etymologika, Leipz. 1897.
') Benannt ist dasselbe nach Gude, dem
ehemaligen Besitzer der Wolfenbüttler Hand-
schrift.
^) Dasselbe läuft bis auf unsere Tage
unter dem mit Unrecht ihm verliehenen Titel
Etymologicum magnum. Verfasst ist das-
selbe nach Photios, der benutzt ist, und vor
Eustathios, der dasselbe citiert; s. Naber,
Phot. lex. I 167 ff. Der Verfasser hat auch
eigenes hinzugefügt und bemerkt zum un-
sinnigen Artikel über niog selbstgefällig:
iyto insyotjaa. Nach einer missverstandenen
Beischrift hielt man ehedem den Nikas fOr
den Verfasser; s. Millbb, M^lang. 3 f.
^) Reitzenstein, Gresch. d. gr. Etym. 254
bis 286.
842
OriMhiMhe Utter»tiirgMoliiohte. IL Haohklaanisdie Littorfttor.
and dienen sich zur gegenseitigen Ergänzung; am reinsten liegt die ur-
sprüngliche Grundlage in dem alten Etymologicum magnum vor, das in
der Zeit des Photios im 9. Jahrhundert entstanden ist Wert für die
Wissenschaft der Wortherleitung haben diese Etymologika sämtlich so got
wie keinen; die Alten tappten eben auf diesem Gebiet ganz im Dunkeln,
ohne durch methodische Analyse, Erforschung der Lautgesetze und Ve^
gleichung der verwandten Sprachen den richtigen Boden zu ihren Ver-
suchen zu legen. Aber für die Geschichte der griechischen Grammatik
sind gleichwohl jene Werke von Bedeutung, zumal meistens die Zeugen
für die verschiedenen Sätze beigeschrieben sind. Vgl. Krumbacher Byz.
Litt» 573 flf.
Ed. pr. des Etym. magnam von Mububüs, Venet. 1499, beste Ausgabe bis jetzt yob
Gaibford 1848. — Etym. Gudianum nnd die andern Etymologica von Sturz, ups. 1816—20.
Etym. Florentinnm u. Etym. parvum von E. Miller in Mölanges de litt grecqne, Paris 1868,
p. 1—318 u. 319—340. — Proben aus Etvm. Angelicanmn von Ritschl Oposc. I 674 £L —
Eine Neubearbeitung des ganzen Materiius mit den seither bedeutend vermehrten Hilfr-
mitteln ist ein dringendes Bedürfnis, dessen Abhilfe von Rbitzbnstein erwartet wird. —
Ein byzantinisches Lexikon des Theodoros Ptochoprodromos publizierten aus einer
Handschrift von Smyma Papadopulos u. Miller in Annuaire de Fassociation pour Fencoa-
ragement des ^tudes grecques t. X (1876) p. 121 bis 136; s. Egbnolff Jahresber. d. Alt
XIV 1, 157 flf.
631. Hesychios von Alexandria, wahrscheinlich dem S.Jahr-
hundert angehörig, ist Verfasser des reichhaltigsten der aus dem Alter-
tum uns erhaltenen Lexika. Dasselbe sollte nach dem Brief, den der
Verfasser an seinen Freund Eugenios vorausschickt, eine Neuauflage der
UeQifQyonävTjTsg des Diogenianos sein,^) ergänzt durch Glossen aus den
Homerlexicis des Apion und Apollonios. Ob das zu gründe liegende Werk
des Diogenianos der oben § 556 erwähnte Auszug aus Pamphilos oder ein
davon unabhängiges selbständiges Werk gewesen sei, ist eine zwischen Mor.
Schmidt, dem verdienten Herausgeber, und Hugo Weber, dem tuchtigeD
Sachkenner, lebhaft erörterte, noch nicht definitiv geschlichtete Streit-
frage.') Das erhaltene Lexikon des Hesychios enthält, abgesehen von den
jungen biblischen Glossen, in knappster Form teils bemerkenswerte Les-
arten der Autorentexte ßä^eig), teils ungewöhnliche, nur in einzelnen Dia-
lekten oder Städten gebräuchliche Ausdrücke (yXaxrirm), Die ersteren
haben für die Kritik und Emendation der Autoren schon sehr gute Dienste
geleistet, indem zuerst Ruhnken und dann andere nach ihm aus einzelnen
Artikeln die ursprünglichen, durch die darüber geschriebenen Glossen aus
dem Text verdrängten Lesarten der klassischen Autoren nachwiesen. Die
dialektischen Glossen haben für das Studium der griechischen Dialekte
hohen Wert, wenn dieselben auch vielfach durch die auf Inschriftsteinen
uns erhaltenen Zeugen berichtigt werden.») Eine arge Kopflosigkeit liess
*) Der Titel UegtSQyoTieyijregy den SchluBS
eines Hexametere bildend, scheint zu be-
deuten , Wörterbuch fÄr arme Studenten.*
0 Weber, De Hesychii ad Eulogium
epistula, Weimar 1865; Untersuchungen über
Ä? ,I^««kon des Hesychios, Phüol. Suppl.
?i ^^r^^^' ^"- Zarhckk, Symbolae ad
Jul. Pollucem p. 46 sqq. Auf die Seite von
»chnudt stellt sich auch Reitzbnstbin, Rh.
M. 43, 456 f.
») Dass von. 257 kyprischen Glossen
nur das einzige ßgovxog sich im heatigeo
Kyprischen erhalten hat, bemerken Miun
u. Sathas in der Ausgabe des Leontios
Machaeras, introd. p. XIIl. lieber die latei-
nischen Glossen s. Ihmisch, Leips. Stod. VUI,
266-878.
B b) BömiBohe Periode nach Konstantüi. 3. Die Proea. e) Grammatik. (§§ 631—633.) 848
sich der Lexikograph darin zu schulden kommen, dass er, durch die Ähn-
lichkeit der Buchstaben r und F verleitet, alle mit Digamma beginnenden
Wörter. unter dem Buchstaben y aufführte. Im byzantinischen Mittelalter
wurden in das alte Werk des Hesychios christliche Glossen, insbesondere
Artikel des Eyrill-Qlossars, nicht ohne vielfache Missverständnisse hinein-
gearbeitet.^)
Hesycliii lex. ed. Albbbti, confecit Ruhnken, LB. 1766, 2 vol. — rec. Mob. Schmidt,
Jenae 1858—68, 4 vol.; edit. minor 1867, 1 vol., worin der Versuch gemacht ist, die Artikel
des DiogenianoB von den Zns&tzen des Hesychios zu scheiden.
632. Hesychios von Milet, mit dem Beinamen lUustrius, der im
6. Jahrhundert unter Justinian lebte, war Verfasser des für die griechische
Litteraturgeschichte hochwichtigen litterarhistorischen Lexikons 'Orofiaro-
Xoyog ^ niva^ twv iv naideitf 6roiita<XT(ov, Dasselbe ist uns nicht im Ori-
ginal') erhalten, sondern nur in den Auszügen, die aus ihm Suidas in
sein Lexikon aufnahm.») Hesychios selbst hinwiederum war im wesent-
lichen nur Übermittler älterer Gelehrsamkeit, indem er seine Angaben
zumeist der Movaixr] laxoqia des Aelius Dionysius *) und den litterarhisto-
rischen Werken des Herennios Philon entnahm. 0) Näheres bei Krum-
bacher Byz. Litt.« 323 flf.
Hesychü Milesii Onomatologi quae supersunt ed. Flach Lips. 1882. — Volkmann,
De Suidae biographicis, Bonn 1861; Wachshuth, De fontibus ex quibus Suidas in scriptorum
graecornm vitis hauserit, in Symb. phil. Bonn. I 137 ff.; Daüb, De Suidae biographicomm
origine et fide, Jahrb. f. Phil. Suppl. XI 403 ff.
633. Suidas, der Verfasser des umfangreichsten griechischen Lexi-
kons, welches Sprach- und Reallexikon zugleich ist, gehört seiner Lebens-
zeit nach dem tiefen Mittelalter (10. Jahrh.) an, fusst aber wesentlich auf
lexikalischen und grammatischen Werken des Altertums. Von ihm selbst
werden in dem Proömium als Quellen angeführt:^) Evörj^iog ^i^twq neQi
Ih^soov^'') ^EXXd6iog^^) Evyävioq AvyovtfTOT^o lecog rtjg iv ^Qvyiif, Zwcifiov Fa-
^aiov Xs'^sig ^r/tOQixai\^) KaixiXiov Sixekicitov exkoyrj Xä^eiov, Aoyyivov Kaa-
cfov A«j€i$, AovnsQxov Brjgvtiov ^ÄTtixal Xä^eig,^^) Ovrjaxivov ^lovXiov dnizofirj
Uafi^iXov y^oxrcrwr,!!) Ilaxaxog tisqI avvrix^etag 'ArTixJjg, UaficptXov Xeifiwv
1) Reitzevstein, Die üeberarbeitung des
Lexikons des Hesychios, Rh. M. 48 (1888)
443 ff.
•) Das Bftchlein nfgl tw*' iy nai^eitf
^aXttfM^ayraty aotpöyy (neuerdings heraus-
gegeben von Flach in BT.) ist ein wertloses
Fabrikat der Humanistenzeit, wie erwiesen
von I.EHBS Rh. M. 17, 453 ff.
') Suidas n. 'Hcv^to^ MiXijaiog * fy^a^per
oyofĀttoX6yoy ij nivaxa ttoy iy naideiff oyo-
fAoazmy, ov innofjitj i<ni iwio ro ßißXioy.
^) Suidas u. 'Bgtudiayoi.
») RoBDB Rh. M. 38, 161 ff.
*) üeber die Quellen des Suidas im all-
gemeinen handelt Bernbardy in seiner Aus-
gabe; G. Wkntzel, Beitrftge zur Geschichte
der griechischen Lexikographie, Stzb. d.
preoBs. Ak. 1895 S. 477 ff. Von den meisten
der von Suidas seihet angefahrten Quellen
war bereits im vorausgehenden die Rede.
') Ueber Eudemos ein Artikel des Suidas;
RnsoHL, Opusc. I 669 setzt ihn vermutungs-
weise ins 3. Jahrh. n. Chr. Eine Ausgabe
des Eudemos, unter dessen Name Epitomai
aus Suidas in Handschriften erhalten sind,
stellt in Aussicht Botsen, De Harpocrati-
onis lexici fontibus, Kiel 1876.
*) Helladios lebte unter Theodosios II;
sein Lexikon lag noch dem Photios vor, der
es cod. 145 Xs^ixuiy noXvaxixtüxaxoy nennt.
Suidas hat es direkt benutzt.
^) Dieser Zosimos, verschieden von dem
Historiker, lebte nach Suidas unter Ana-
stasios und schrieb ausser dem Lexikon
Kommentare zu Lysias und Demosthenes;
von ihm rührt das erhaltene Leben des
Demosthenes und wahrscheinlich auch das
des Isokrates her.
^^) Luperkos lebte nach Suidas unter
Claudius IL
^M Ueber Vestinos, Eirenaios Pacatus
und die andern Attikisten s. § 571.
844
Grieohiaohe LitteratiirgeBohiohte. 11. NaohklassiMhe Litteratiur«
Xä^ewv noixiXdüv^ UwUon'og 'Ale^avdqäwc ^Arrixäv Xä^ewv cvvaywyrj. Abw
dieses Quellenverzeichnis hat nur auf den sprachlichen Teil des Lexikons
Bezug; wahrscheinlich hat sogar nicht einmal in diesem Suidas die an-
geführten Werke alle selbst vor sich gehabt, sondern ihr Verzeichnis zum
Teil nur dem Sammelwerk entnommen, das ihm in den sprachlichen Ai^
tikeln als hauptsächlichste Vorlage diente.^) Auserdem benutzte er noch
manche andere, nicht ausdrücklich genannte Quellen, insbesondere gute
Schollen zu Aristophanes, den Tragikern, Homer und Thukydides, ferner
den Onomatologos des Hesychios Milesios, das Elxzerptenwerk des Eon-
stantinos Porphyrogennetos,') die Philosophenbiographien des Diogenes.
Endlich ergänzte er das aus den genannten Quellen Exzerpierte durch
eigene Lektüre der im 10. Jahrhundert noch fleissig in Byzanz gelesenen
Schriften des Aelian, Arrian, Athenaios, Philostratos, Babrios. Die An-
ordnung der Artikel ist in den Handschriften alphabetisch, doch so, dass
unter Berücksichtigung der damals herrschenden Aussprache die Wörter
mit beginnendem ai nicht unter a, sondern nach <f, die mit «f zusanunen
mit denen auf rj und i nach C stehen (xar' avrtatoixtc^v). Der Wert des
Werkes ist treffend mit dem Epitheton vdlus aureum bezeichnet: Suidas
ist für Litteraturgeschichte und Antiquitäten eine unschätzbare, mit Gold
nicht aufzuwiegende Quelle, aber er selbst hat ohne Kritik und ohne Methode
mit wüster Gelehrsamkeit seine Vorlagen ausgeschrieben.
Dem Suidas ward früher gewöhnlich als Appendix das Violarium
(7<üi'icf) der Kaiserin Eudokia (1059—1067) angehängt und von denLit-
terarhistorikem zur Ergänzung einzelner Artikel des Suidas benutzt Jetzt
muss dieses Lexikon aus dem Verzeichnis der alten Quellenwerke ge-
strichen werden, nachdem Nitzsche, Quaestiones Eudocideae (1868) und
Pulch, De Eudociae quod fertur Violario (1880) den Nachweis geliefert
haben, dass dasselbe die Fälschung eines gelehrten Griechen der Renais-
sance ist, welcher seine Auszüge aus Suidas mit einigen aus Athenaeus,
Maximus Tyrius u. a. geschöpften Notizen bereicherte. Der Name des
Fälschers war Konstantinos Palaiokappa aus Kreta, der unter Heinrich II
an den Pariser Bibliotheken thätig war.»)
Codices des Suidas: Paris. 2625 (A), Leidensis Voss. 2 (V). Hauptansgaben vob
Küster, Cambr. 1705; von Gaisford, Oxon. 1834, 3 vol. foL; von Bkbnhabdt, Halis 1853;
2 vol. fol.; von I. Bekkeb, Berol. 1854, handliche Ausgabe, ganz nach dem Alphabet ge-
ordnet. — Eudokia zuerst herausgegeben von Yilloison, Anecd. gr. I, 1781, neuerdings vob
Flach in Bibl. Teubn. 1880. Der einzige Codex derselben ist der Paris. 3057 ans dem
16. Jahrhundert.
Aus einer Epitome des Suidas, welche auf der anderen Seite wieder durch gram-
matische Glossen des Et. M. und Sprichwörtererkl&rungen des Ps.Diogeniano6 erweitert war.
') Zu beachten ist aber dabei, dass
Suidas in dem Lexikon allen diesen Männern
sehr ausfOhrliche Artikel gewidmet hat.
Vgl. Naber, Phot lex. I 164 ff. Drastisch
sagte bereits Valckbnaeb zu Theoer. Adon.
p. 297: Suidam ego quidem iudico nullnm
vidisse lexicorum, quae in fronte libri memo-
rantur. Ueber das Verhältnis zu Photios s.
§ 634.
*) Dass die historischen Nachrichten des
Smdas nicht aus den grossen Originalwerken,
sondern aus dem Exzerptenwerk des Koa-
stantinos Porph3rrogennetos geflossen sind
und Suidas höchstens die Chronik des Geor-
gios Monachos selbst einsah, beweist Db
BooB, Herrn. 21, 1—26.
») PuLOH, Herrn. 17, 176 ff. Näheres ober
diesen Fälscher und seinen Grenossen giW
L. CoHN, Konstantin Palaeokaraa und Jakw
DiassorinoB, in Phil. Abh. zu Ehren von M.
Hertz S. 123—143.
B b) Bömisclie Periode nach Eonatanün. 8. Die Prosa, e) Grammatik. (§§ 684—635.) 845
sind geflossen das Lex. des cod. Coislin. 177 und das Lexikon des Ps.Endemos in cod. Vindob.
gr. 132, Lanr. 59, 38, Par. 2635, worüber Bbbn. Sohneck, Quaest paroemiographicae, Bresl.
1892 Diss.
634. Photios, der einflussreiche Patriarch von Eonstantinopel (858
bis 867 u. 878 — 886),^) ist Verfasser des grossen Exzerptenwerkes -Bi/?A*o-
>jjxi; ij MvQioßißXog und eines Lexikons Aä^emv crvraycoyij. Die Bibliothek
enthält ein reichhaltiges, mit Inhaltsangaben und Auszügen ausgestattetes
Verzeichnis von 280, jetzt zum grossen Teil verloren gegangenen Werken,
welche Photios teils mit seihen Schülern besprochen, teils auf einer Ge-
sandtschaftsreise nach Persien gelesen hatte. Das Buch ist schlecht an-
gelegt, indem die verschiedensten, heidnischen und christlichen Schrift-
steller bunt durcheinander geworifen sind, gibt uns aber einen höchst
erwünschten Ersatz für die verlorenen Originalwerke und enthält zugleich
ein interessantes Zeugnis für den damaligen Bestand der Bibliotheken des
byzantinischen Reiches. — Das Lexikon fusst teils auf Diogenian,*) dessen
Kenntnis dem Verfasser durch die rhetorischen Lexika des Dionysios und
Pausanias (s. § 562) vermittelt war, teils auf Speziallexicis zu Piaton, den
attischen Rednern und Homer;') auf der Gleichheit der Quellen beruht
die häufige Übereinstimmung mit Suidas; benutzt ward es bereits von dem
Verfasser des alten Etymologicum magnum.*)
Hauptcodex der Bibliothek des Photios ist Marc. 450; ed. princ. von Hösohbl, Augs-
burg 1601; Ausgabe mit kritischem Apparat von Bbkker, Berol. 1824, 2 vol. üeber die
dorch dieselbe vermittelte Bereicherung der iJten Litteratur s. Soböll, Gr. Litt. III 209—218.
Der Cod. archetypus des Photios-Lexikons befindet sich zu Cambridge; aus ihm hatten
schon einzelnes BenÜey, Ruhnken, Alberti mitgeteilt, bis G. Hermann den ersten Druck im
Nachtrag zum Lexikon des Zonaras besorgte (1808). Hauptausgaben desselben sind von Porson,
Lond. 1822, 2 vol., und von Nabbr, LB. 1866, 2 vol. mit ausftlhrlichen, die ganze Lexiko-
graphie der Griechen beleuchtenden Prolegomenis.
635. Ausserdem sind uns noch mehrere Lexika ohne Namen oder
unter falschem Namen überliefert. Die wichtigsten sind die sechs Lexika
Segneriana, so betitelt nach dem ehemals im Besitz von Seguier be-
findlichen Cod. Coislinianus 345 der Pariser Bibliothek. Das namhafteste
derselben ist das sogenannte JC^^/cri^cov-Lexikon, mit dem vollständigen
Titel Swaytüfq Xs^etov xqriaiiiwv ix iiatpoQwv aoifiav re xal ^rfüoqdov noXXeov.
Dazu kommen die aus praktischen Bedürfnissen entsprungenen lateinisch-
griechischen und griechisch-lateinischen Lexika, von denen ich das be-
deutendste bereits oben § 573 besprochen habe. — Falsche Namen tragen
die Olossaria des Philoxenus (Konsul 525) und Cyrillus^) und das
Lexikon technologicum des Philemon. Gar nichts mit dem alten Favo-
rinus hat zu thun das zu Rom 1523 gedruckte Lexikon des Varinus Pha-
vorinus (d. i. Guarino's, Bischofs von Nocera). — Aus dem Altertum stammt
vielleicht noch das Lexikon des echten Kyrillos, der nach der Überschrift
KvQiXXov TOI» ctyKordiov a^xteniaxonov ^AXe^avS^siaq Xh^ewv avvayoayq xard
^) Erukbacher Bvz. Lit.' 515 ff.
') Diogenianos seihst ist citiert u. «. tt,
') BILLIG, Quae ratio inter Photii et
Suidae lexicon intercedat, Diss. Hai. VÜI
(1887) 1 ff.; Wentzel, Die attikistischen
Glossen im Lexikon des Photios, Herm. 30
(1895), 367 ff.
*) Reitzbkstein, Geschichte der griech.
Etymologika 60 f.; wenn das Lexikon des
Photios im Etymologicum gewöhnlich unter
dem Titel t6 QtjroQixoy citiert ist, so zeigt
dieses, dass Photios zu seiner Hauptquelle,
einem älteren anonymen Lexikon, nur weniges
selbst hinzufügte.
^) Die Unechtheit erwiesen von Rudorff,
lieber die Glossare des Philoxenus und Cy-
liUus, Abhdl. d. Berl. Akad. 1865.
846 Chrieohisohe LüUratnrgMohiohte. IL HaehklMsiflohe Lüierater.
ctoixeiov eine Person mit dem berühmten Patriarchen von Alezandria war.
Näheres bei Krumbaeher Byz. Lit.» 561 f. u. 571 ff.
Ausgabe der Lexika Segueriana von Bbkkbb Anecd. gr., Berlin 1814. Das 6. auf
p. 319—476 enüiält von dem X^f/^ri/iaif-Lexikon den Buchstaben A (neubearbeitet von
BoTSBir, Marburg 1891); das vollstAndige X^ijaifitoy-Lex. von Bachmann An. gr. 1 1—422.
(Dazu LiBBBBiCH in Abhdl. zu Ehren Christa, Manchen 1891 S. 264 fL) — Das 5. Bekker'acke
Lexikon (An. gr. 195 — 318), dessen Grundstock ein sprachliches und sachliches Lexikon zo
den zehn Rednern bildet, deckt sich vielfach mit dem Lexikon des Photios infolge der Be-
nutzung gleicher Vorlagen. — Von dem auf den Granunatiker Methodios zurackgehenden
JlfKodsiy 'Lejlkon hat Stukz im Anhang des Et Gnd. p. 617 fL ein Exzerpt veröffentlicht;
s. Kopp, Zur Quellenkunde des Et. M., Rh. M. 40, 871 ff. Neue Gesamtausgaben der Lexico-
graphi graeci in 10 Bdn angekündigt von Teubner.
Die Glossaria des Philoxenns und C^rillus haben wir jetzt in kritische Bea^
beitung im 2. Bde des Corpus glossariorum latmorum von GOtz u. Gurdbbxakn, ups. 1888.
Vom Lexikon des Eyrillos (in Cod. Vallicellianus £ 11 s. X und vielen anderen
codd.) wird eine kritische Gesamtausgabe von Rbitzbnstbin erwartet. In dasselbe sind
Artikel aus dem biblischen Stbphanus-Glossab {X^Uü Toiy iv^a^etaty y^aqmr) gekommen,
das im Cod. Coislinianus 394 s. X existiert und seinen Namen davon hat» dass es Stephanns
im Anhang seines Thesaurus veröffentlichte.
Das Lexikon technologicum des Philemon, das sein Herausgeber Osann (1821) in
das 5. Jahrhundert setzen wollte, ist erst im 16. Jahrhundert unter erlogenem Titel &bn-
ziert worden; dieses ist nachgewiesen von Lbhbs Jahrb. f. Phil. 105 (1872), 465 ffL = Die
Pindarscbolien p. 164 ff.; vgl. Cohn, Phil. Abh. zu Ehren von Hertz 133 ff.
Das Lexikon Vindobonense (aus Cod. Vind. 169 herausgegeben von Nauck,
Petrop. 1867) ist nach dem Patriarchen Georgios Kyprios (1283 — 9), der öfters citiert wird,
von Andreas Lopadiotes verfasst, und enth< ausser spftrlichen, meist aus Hsrpokration
geflossenen Glossen der alten Zeit zahlreiche Znsfttze aus den Schriften der sophistiacbeD
Rhetoren Aristides, Libanios, Synesios, Julianos, Gregorios. — Im Anhang gibt Nauck nocb
eine Reihe anderer Lexika und grammatischer Schriften.
Chrestomathien.
636. Die Grammatiker hatten seit alters, in steigendem Masse
aber in der römischen Zeit die Gewohnheit, die alten Autoren nach ge-
wissen Gesichtspunkten durchzulesen und aus ihnen dasjenige auszuziehen
{ExXsyead^m)^ was ihnen fUr die Anlage ihrer Sammlungen und zur Durch-
führung irgend einer Untersuchung von Belang zu sein schien. Schon Dio-
genes III 65 fand in seinem Piaton öfters am Rande ein X ne^etmyiuvw
ngog tag ixXoydg xal xaXXiyQa<f(aq^ und auch wir begegnen noch häufig
in griechischen Handschriften diesem X^ das mit x^iycrro'v oder xQrflipm
gedeutet wird und mit jenen Bestrebungen der Grammatiker und Sophisten
zusammenhängt.!) Eine vollständige Litteratur von Exzerpten (inloyai),
Blütenlesen {av^oloyia)^ Chrestomathien (xQrfl%ofiaO^(ai) entstand gegen Ende
des Altertums, als man sich nicht mehr die Mühe nahm, die grossen Werke
von vom bis hinten durchzulesen, sondern sich mit einer Auswahl der
vorzüglichsten Stellen begnügte. Die Exzerpte haben nicht wenig zum
Untergang der Originalwerke beigetragen, für uns aber haben dieselben,
nachdem nun einmal doch die Originale verloren gegangen sind, eine nicht
zu unterschätzende Bedeutung.
637. Proklos wird von Photios cod. 239 als Verfasser einer K'r
CTOfia^ia YQafijiiaTixfj in 4 B. angeführt. Erhalten sind Auszüge [ixloyai)
aus den 2 ersten Büchern, in denen zuerst kurze einleitende Bemerkungen
über den Unterschied von Prosa {Xoyog) und Poesie (noir^iia) gegeben und
^) Eine ähnliche Bedeutung hatte auch das oft am Rande heigeschriebene m^>-
Bb) BömiMhe Periode naoh Eonstantin. 3. Die ProM. e) Grammatik. (§§ 636-688.) 847
dann ausführlicher vom Epos, der Elegie, dem lambos, den verschiedenen
Arten der melischen Poesie gehandelt ist, und zwar so, dass bei jeder
Dichtgattung die Hauptvertreter derselben aufgezählt, von den Dichtungen
des epischen Eyklos auch Inhaltsangaben beigegen sind.^) Die 2 letzten
Bücher handelten vermutlich von der dramatischen Poesie und den Gat-
tungen der prosaischen Rede. In dem Exemplar des Suidas, der im Gegen-
satz zu Photius nur 3 Bücher anführt, wird die Prosa ganz gefehlt haben.
Suidas schreibt ebenso wie ein Scholiast des Gregor von Nazianz*) diese
Chrestomathie dem Neuplatoniker Proklos des 5. Jahrhunderts zu; dass
dieses ein Irrtum sei und die Chrestomathie einem nüchternen, besser
unterrichteten Grammatiker und wahrscheinlich auch einer älteren Zeit,
dem 2. oder 3. Jahrhundert n. Chr., angehöre, haben Valesius und Welcker,
Ep. Cycl. I 3 ff. richtig erkannt.') Aber schwer ist es, eine bestimmte
Persönlichkeit herauszufinden. Denn mit dem Grammatiker Eutychius
Proklus von Sicca, dem Lehrer des Kaisers Antoninus, darf der Verfasser
unserer Chrestomathie nicht identifiziert werden, da jener nach Capitolinus,
vit. Anton. 2, ein Lateiner war.*) Die solide Gelehrsamkeit unseres Proklos
stimmt auch nicht zu der abergläubischen Manier des Grammatikers Pro-
culus bei Trebellius, vit. Aemil. 22. Der Proclus interpres Pindari des un-
echten Apuleius de orthogr. 43 kommt ohnehin mit der Unechtheit jener
Schrift in Wegfall. Um den Proklos, von dem Alexander Aphrodiensis
zu Arist. soph. el. p. 4 eine ioQtdv anagiO^iAr^mg anführt, mit dem Verfasser
unserer Chrestomathie zu identifizieren, fehlen nähere Anhaltspunkte.
Procli chrestom. ed. Gaisford in der Ausgabe des Hephästdon, Oxon. (1810), ed. III.
1856. Daraus wiederholt von Wsstphal, Scriptores metrici graeci, in Bibl. Teubn.
688. Sopatros, Sophist aus Apamea oder Alexandria, wird von
Photios cod. 161 als Verfasser von ixXoyaX didtfOQoi in 12 B. angeführt.
Derselbe ist wohl eine Person mit dem Rhetor Sopatros, von dem sich noch
langweilige rhetorische Schriften und Kommentare erhalten haben. ^) Sein
buntes Exzerptenwerk begann mit den Göttern, wobei vorzüglich die Schrift
des ApoUodor nsQi &€(ov und ausserdem Juba und Athenaios benutzt waren.
Die beiden folgenden Bücher waren aus den Sammelwerken der Pamphila
und des Favorinus und dem Buche des Artemon aus Magnesia über aus-
gezeichnete Frauen<^) ausgezogen. Den nächsten 3 Büchern lag hauptsäch-
lich die lAovaixrj iaxoQia des Rufus zu gründe, der selbst hinwiederum die
-i^savQixrj taroQia des Juba und die flov(X^xrj latoQta des Aelius Dionysius
*) Diese Inhaltsangaben sind im wesent-
lichen identisch mit denen der vervollstän-
digten Bibliothek des Apollodor (oben § 576);
v^. Bbtbe Herrn. 26, 593 ff.
') Patrol.gr. ed. Migne 36,914 c: l7eoxAo(
6 BXtettoytxog iy fioyoßlßXta negl xvxXov int^
rsrO^fifiiyH,
») WiLAMOWiTZ, Phil. Unt. VU 330 sieht
keine Veranlassung, die byzantinische Tra-
dition za bezweifeln. Aber alles, was wir
von den grammatischen Theorien des Neu-
platonäLera Proklos wissen, spricht, wie einer
meiner Schüler nachweist, gegen die Tra-
dition. Auch ans der Stillehre beweist W.
ScHMiD Rh. M. 49, 161, dass der Verfasser
unserer Chrestomathie im 2. Jahrh. kurz vor
Hermogenes lebte. Es mfisste also nur der
Neuplatoniker Proklos sich geradezu ein
älteres Buch angeeignet haben.
*) Schmidt, Didymi fragm. p. 390.
^) Vergl. oben § 547.
«I S. Wbstbbmann, Paradoxogr. 213—8,
und Val. Rose, An. gr., Berl. 1864, der I,
14 bezüglich der dort publizierten Schriften
Fvyaixeg iy noXifJLOig avyetal xal aydQeiai
und Tiyeg oJxoi ayäatarot did yvyaixag iyä^
poyxo an Sopaters Eklogen erinnert.
848
Griechische Litteratnrgeechiehte. IL HachklaMUiche Litteratur.
geplündert hatte. Das 6. Buch war aus Herodot, die fünf letzten zumeist
aus den Schriften des Plutarch ausgezogen. Me Eklogen sind verloren
gegangen, Reste davon enthält die von Rose, Anecd. gr. I publizierte
Schrift über die klugen und tapferen Frauen.
Helladios aus Ägypten unter Licinius und Maximinianus, wahr-
scheinlich verschieden von dem Lexikographen Helladius, der unter Theo-
dosios dem Jüngeren lebte, i) schrieb in iambischen Versen eine Chresto-
mathie in 4 B. über vermischte, dem weiten Gebiet der grammatischen
Historie angehörende Dinge; einen Auszug davon gibt Photios cod. 279.
639. Joannes Stobaios ist Verfasser eines wertvollen, uns noch
erhaltenen Exzerptenwerkes. Derselbe hatte den Namen Stobaios von
seiner Vaterstadt Stoboi in Makedonien und lebte nach dem Neuplatoniker
Hierokles,2) aus dessen Schrift Tfva tqotiov &€oTg xQ^i^^^'ov er mehrere
Stellen anführt. Aber schwerlich überlebte er lange diesen Philosophen,
da er noch der heidnischen Religion anhing und nirgends christliche
Schriften citiert. Seine Anthologie (äv&okoyiov) in 4 B., aus mehr als 500
Schriftstellern, Dichtem und Prosaikern, zusammengestellt, widmete er
seinem Sohne Septimius, auf dessen Bildung er durch die gesammelten
Blütenlesen einwirken wollte. Dem Patriarchen Photius cod. 167 lag das
Werk noch unverstümmelt in 4 Büchern und 2 Bänden {^evx^j) vor.«) Diese
Zweiteilung scheint der Grund gewesen zu sein, dass dasselbe im Laufe
des Mittelalters in 2 Werke, in die ^ExXoyai (Eclogae physicae et ethicae)
und das ^Av&oXoyiov (Florilegium oder Sennones)^ auseinandergenonmien
wurde. Innerlich ist diese Trennung unberechtigt, da alle Bücher in der
gleichen Weise angelegt sind und das 3. Buch sogar enger mit dem 2.,
als das 2. mit dem 1. zusammenhängt. Gehandelt ist in dem 1. Buch,
nach einer inzwischen verloren gegangenen Einleitung über den Wert der
Philosophie und die philosophischen Sekten, von Fragen der Metaphysik
und Physik; das 2. und 3. Buch ist nach Erörterung einiger Punkte der
Erkenntnislehre {t6 koytxov) ganz der Ethik gewidmet; das 4. Buch end-
lich handelt von der Politik und im Anschluss daran von der Familie und
der Hausverwaltung {oixovof^ita), t)ie Methode ist die, dass regelmässig
ein Beweissatz (60 im 1. Buch, 46 im 2., 42 im 3., 58 im 4.) vorangestellt
und dazu die passenden Belegstellen zuerst aus Dichtern und dann aus
Philosophen, Historikern, Rednern und Ärzten gegeben werden. Hätte
Stobaios die Stellen alle selbst gesammelt, so würde das eine ausserordent-
liche Belesenheit voraussetzen; aber wahrscheinlich hat derselbe vieles
älteren Sammlungen entnommen.*) Unter allen Umständen aber ist uns
das Werk durch die zahlreichen wörtlich angeführten Stellen aus inzwischen
verloren gegangenen Schriften von ausserordentlichem Wert. Um so mehr
ist es zu bedauern, dass dasselbe nicht vollständig und unverfälscht auf
uns gekommen ist; von dem 1. Buch fehlt der Eingang, das 2. hat zwei
grosse Lücken, durch welche mehr als die Hälfte des Buches ausgefallen
*) An eine Identität beider glanbt Na-
BBR, Phot. lex. I 184 ff.
*) Ueber diesen s. § 624.
•) Wachsmuth, De Stobaei eclogis, in
Studien zu den griech. Florilegien, BerL 1^2,
S. 55 ff.; Henbe, Teletis rell. proleg. p.
Vn sqq.
^) Vgl. DiBLS, Rhein. Mus. 30, 172 £
B b) BOmiBohe Periode nach Konetantm. 3. Die Prosa, e) Grammatik. (§§ 639—640.) 849
ist, das 3. und 4. aber sind zu einem Buche unter Veränderung der alten
Abschnitte zusammengezogen.
Die Vulgata berohte auf der Ausgabe von E. Gbsnbr, Turici 1549, der die Reihen-
folge willkttrlich änderte und ausserdem das Anthologion durch selbstgesammelte Eklogen
vermehrte. Die ursprüngliche Ordnung auf Grund der besten Handschriften ist wieder her-
gestellt in der kritischen Ausgabe von G. Waobsmuth u. 0. Hensb 3 Bd., Berol. 1884/94.
Frühere Hauptausgaben von Heeren, Gotting. 1792; von Gaisfobd, Oxon. 1812. Textes-
ansgabe von Meinkke in Bibl. Teubn. — Eine metrische üebersetzung der angeführten
Dichterstellen gab Huoo Gbotius, Dicta poetarum quae apud Stobaeum ezstant, Paris 1623.
— Ein Verzeichnis der angeführten Autoren u. Bücher gibt Photios, abgedruckt bei Meinbke,
praef. p. XXXVil sqq., und danach Scholl, Gr. Litt. IH 399—411. - Der Anteil des Stoikers
Chrysippos an der Spruchlitteratur nachgewiesen von Elteb, De Gnomologiorum graecorum
historia atque origine, Bonn 1893.
640. Sentenzensammlungen. Einer besonderen Beliebtheit er-
freuten sich im Altertum die Aussprüche berühmter Männer, mit deren
Anfuhrung man sowohl die mündliche Rede zu würzen, als die philoso-
phischen und sophistischen Schriften zu schmücken liebte. Sammlungen
von solchen Aussprüchen {dnotpx^äyfiaTa) und Sentenzen {yvwfiai), die man
teils aus der mündlichen Überlieferung über das Leben und die Eern-
sprüche bewährter Männer schöpfte, teils aus den Schriften sentenzen-
reicher Autoren und Dichter auszog, sind frühzeitig gemacht worden.
Derart sind die unter Plutarchs Namen erhaltenen äno^px^syficna von
Königen und Feldherrn ; ^) derart waren auch die verlorenen Gnomologika
des Favorinus und die Anthologie aus Demokrit, Isokrates und Epiktet.^)
Im 5. Jahrhundert hat ein solches 'Avx^oXoyiov yvmii£v der Grammatiker
Orion für die Kaiserin Eudokia zusammengestellt, dessen dürftige Über-
bleibsel im Meineke'schen Stobaios IV 249 — 66 stehen. In metrische Form
gekleidet waren die aus ungefähr gleicher Zeit stammenden, von uns schon
bei anderer Gelegenheit besprochenen Blütenlesen MevdväQou xal (DiXusti-
avog avyxQiaigj Ti3v imd ao(pwv onoffd^äyiiaTa,
Der Philogelos ist eine Sammlung witziger Aussprüche {darsia),
die den Grammatikern Hierokles und Philagrios beigelegt wird^)
und vermutlich im 5. Jahrhundert entstanden ist. Dieselbe enthält in
etwas über 260 Nummern allerlei schlechte Witze, manche gute, meistens
aber wirklich schlechte — facetias vel potius ineptias hat sie ein geist-
reicher Herausgeber genannt — , die teils Charakterpersonen, wie dem
Scholastikos, dem Witzbold, dem Geizhals, dem Weiberfeind, teils den Be-
wohnern gewisser Städte, wie den Abderiten, Sidoniern, Kumäem, in den
Mund gelegt werden. Ein Teil wenigstens derselben stammt aus der Zeit,
in der noch Komödien und Tragödien auf der Bühne gegeben wurden
(n. 246 u. 259); einen bestimmten Zeitpunkt bietet Nr. 62, wo der römi-
schen Säkularspiele im Jahre 246 n. Chr. gedacht ist. Dass der Samm-
lung unserer Handschriften zwei ältere Sammlungen zu gründe liegen,
ergibt nicht bloss der Titel, der die zwei sonst nicht näher bekannten
Verfasser nennt, sondern auch der Umstand, dass öfters derselbe Witz
zweimal an verschiedenen Stellen erzählt wird.
*) WACHSMtJTH, Studien zu den griech.
Florilegien S. 162 ff. Vgl. Useneb, Epicurea
p. LIY f. über ein gnomologium Epicureum
aus Briefezzerpten des Epikur, Metrodor,
Polyän, Hermarchos.
^) Ein 4»iXiaTi<oy NixaBvg wird nach einem
Epigramm des Suidas u. *iXicrlioy als Ver-
fasser des Philogelos bezeichnet.
Bandbuch der klan. AltertumswiaBenflchaft. TU. 8. Aufl. 54
850 OrieohlBohe LüteratorgeMhichte. n. HaohUMsisolia Lltteratar.
Dem Mittelalter, wahrscheinlich der Mitte des 10. Jahrhunderts, ge-
hören die aus profanen und sakralen Quellen gezogenen Parallela des
Joannes Damaskenos an.^) Ihr Verfasser hatte in dem profanen Tdl
seiner Anthologie ausser Stobaios noch manche inzwischen verloren ge-
gangene Sammlung benutzt ; seine Anthologie selbst muss aus den jüngeren,
allein uns erhaltenen Florilegien rekonstruiert werden. Diese sind das
Florilegium des Cod. Parisinus 1168, die ursprünglichste und verlässigste
Quelle, ferner die Eklogai des Mazimus Confessor (in einer Handschrift
des 10. Jahrhunderts), die Melissa des Antonius und des Cod. Augustano»-
Monacensis 429, das Forilegium Laurentianum (Cod. Laur. Y 2).
Wachskuth, Stadien zu den griech. Florilegien, Berlin 1882. Schon vor Plntaich
existierte eine reichhaltige Sammlnng von Apophthegmaten, auch berühmte Anaspilche von
Königen und Feldherm umfassend, aber die uns zwei aus ihr geflossene Anales^ einer
Wiener (dnoq>S'iyfjLafa xal yytüfiai diaipogcty (piXoaoipay xard utoi^^toy) und einer toU-
ständigeren Vatikanerhandschrift nnterrichten. Wachsmcth, Die Wiener Apophtiiegmen-
sammlung, Festschr. zur PhiloLVers. 1882. Sterhbaoh, De gnomologio Vaticano inediio,
Wien. Stud. IX 175—206 u. X 1—49. — Das Verhältnis der Sammlungen bespricht
H. ScBBNKL, Die epiktetischen Fragmente, eine Untersuchung zur Ueberliefemngsgeschiehte
der griech. Florilegien, Sitzb. d. Wiener Ak. 115 (1888), 443—546.
Hieroclis et Pbilagrii facetiae ed. Boxssomadb, Paris 1848 mit Erläuterungen; rec
Ebkbhard, Berol. 1869.
Ueber die byzantinischen Sentenzensammlungen s. Kbümbaohbr» Byz. litt.' 600 £
Aus dem Zeitalter der Renaissance stammt das ehedem oft aufgelegte Veilchenbeet Clnuw)
des Arsenios, Erzbischofs von Monembasia, worüber Kbumbaoher, Byz. Litt.' 603.
^) Fr. Loofs, Studien über die dem Johannes von Damaskos zugeschriebenen Pa-
rallelen, Halle 1892.
Dritte Abteilang.
Anhang.
A. Fachwissenschaftliche Litteratur.^)
641. Die fach wissenschaftlichen Werke nehmen eine untergeordnete
Stelle in der Litteraturgeschichte ein. Sie stehen nicht bloss ausserhalb
des Kreises der allgemeinen Bildung, es tritt auch bei ihnen die künstle-
rische Seite des Stils hinter dem sachlichen Inhalt zurück. Wir hoffen
daher auf Nachsicht, wenn wir sie auch in diesem Buche nur anhangs-
weise und nur summarisch behandeln.^) In der Natur der Sache ist es
auch begründet, wenn wir bei ihnen von der Gliederung nach Perioden
absehen. Denn abgesehen davon, dass durch eine solche Scheidung der
ohnehin magere Stoff noch mehr zerstückelt würde, hat auch die Entvack-
lung der Wissenschaften ihren eigenen Gang genommen, bei dem andere
Faktoren als bei der schönen Litteratur massgebend waren. Alexandria
z. B. war und blieb Hauptsitz der mathematischen Studien so gut zur Zeit
als es noch Hauptstadt eines selbständigen Königreichs war, als zur Zeit
der römischen Weltherrschaft. Im übrigen tritt in dem Ausbau der fach-
wissenschaftlichen Litteratur die schöpferische Kraft des heUenischen
Geistes nicht minder als in der schönen Litteratur hervor. Nur gering
waren die Anregungen, die hier die Griechen von aussen, insbesondere
von Ägjrpten, empfangen hatten; wesentlich waren sie es selbst, welche
die Wissenschaften der Medizin, Mathematik, Astronomie, Naturkunde be-
gründeten.
^) Mbikbbs, Geschichte des UrsprangSi
Fortgangs und Verfalls der Wissenschaften
in Griechenland und Rom, Lemgo 1781,
2 Bftnde. — Güntbbb, Mathematik, Natur-
wissenschaft und Erdkunde im Altertum,
Handb. der klass. Alt. V 1, 2. Aufl. 1894.
M. Schmidt, Jahresb. d. kl. Alt. 1892 (78.
Bd.) u. 1896 (90. Bd.).
') Diese Nachsicht habe ich nicht ge-
fanden bei dem bekannten Reformer Ed.
ScwABcz, Briefe an Prof. Nerrlich Ober die
litteratur der Griechen, Leipz. 1896. Aber
Wel konnte ich an den fest gezogenen Linien
dieses Buches, das eine Geschichte der lit-
terae, keine Kulturgeschichte und keine Ge-
schichte der Wissenschaften sein will, nicht
ändern, zumal in diesem Handbuch der
Naturwissenschaft ein eigenes Buch gewidmet
ist. — Eine Zeitlang habe ich geschwankt,
ob ich nicht auch in gleicher Weise die
Grammatik behandeln solle; es hielt mich
schliesslich davon die Erwägung ab, dass
doch die Grammatik mit der schönen Litte-
ratur viel inniger als die Mathematik und
Medizin verwachsen sei.
54 •
852
Qrieohiaohe LitteratnrgeBohichte. UL Anhang.
Im Anfang bildeten Mathematik, Astronomie, Physik noch einen Td
der Philosophie und waren es zumeist Philosophen, die sieh mit Problemen
der Zahlen und der Naturerscheinungen abgaben. Die Philosophen Demokrit,
Aristoteles, Theophrast haben die Naturwissenschaften mit Eifer kultiviert,
ja schon Thaies beschäftigte sich mit astronomischen Problemen; der
grosse Denker Pythagoras war Begründer der Geometrie und verpflanzte
die Neigung für mathematische Studien auch auf seine Schule; unter den
Pythagoreem war der Krotoniate Alkmaion zugleich als Arzt und als
Philosoph angesehen.^) Zuerst, und zwar schon in der klassischen Zeit
ist die praktischste der Fachwissenschaften, die Heilkunde, aus jenem all-
gemeinen Hintergrund zur selbständigen Stellung herausgetreten. Im
übrigen war es das alexandrinische Zeitalter, das den einzelnen Wissen-
schaften ihre Ausbildung und damit auch ihre selbständige Bedeutung ge-
geben hat. Vor allem hat die Stadt Alexandria zu allen Zeiten den Ruhm
gehabt, Hauptpflegestätte der Wissenschaften zu sein.
1. Medizin.')
642. Hippokrates,') der Vater der Heilkunde, stammte aus einem
alten Asklepiadengeschlecht der Insel Kos;^) geboren ward er Ol. 80, 1
oder 460 v. Chr. In den Zeiten, wo in solchen Geschlechtern zugleich mit
dem Kultus des Gottes sich die Heilkunst und ärztliche Praxis vererbte,
war der Vater der natürliche Lehrer des Sohnes; aber ausser bei seinem
Vater soll der junge Hippokrates bei dem Arzte Herodikos aus Selymbria
in die Schule gegangen sein. Wenn auch die Sophisten Gorgias und Pro-
dikos, sowie der Philosoph Demokrit als seine Lehrer genannt werden,
so deutet das wohl nur auf Beziehungen hin, welche Hippokrates während
seines langen und bewegten Lebens mit jenen Männern unterhielt*) Als
^) Wachtleb, De Alcmaeone Crotoniata,
Leipz. 1896.
^) Medicorum graecomm opera omnia,
graece et latine ed. Eühk, Lips. 1821 — 30,
23 vol. — Eclogae physicae ed. J. G. Schnbi-
DBR, Jena 1800, 2 vol., eine unterrichtende
Chrestomathie aus naturwissenschaftlichen
Werken der Alten. — Physici et medici
graeci minores ed. Ideler, Berl. 1842, 2 vol.,
grösstenteils Byzantiner. — Sprengel, Gre-
schichte der Arzneikunde, 4. Aufl., Wien
1846; Häseb, Lehrbuch der Geschichte der
Medizin, 3 Bde, 3. Aufl., Jena 1875—1881;
Pqschmann, Geschichte des medizinischen
Unterrichtes von den ältesten Zeiten bis zur
Gegenwart, Leipz. 1889. — Im Altertum
hatten Soranus und Herennius Philon
71€qI iccTQMy geschrieben. In den von Mont-
faucon und Gramer veröffentlichten Kanones
(s. § 338) steht folgendes Verzeichnis be-
rühmter Aerzte: Jrj/uoxQiioiy 'InnoxQocrtjgy
//loaxoQidfjSj 'AQXi^yiyrjgy yovg^og, r«Xfjv6g,
* AXi^ttv&Qog TQaXXittvog — JfjfjLoa&ivtjg, Ibv-
riQogy ^iXovfJLevogy JioxXrjgy Aetoyi&rjs, ^Av-
TvXXog, 2(aqav6gj 'O^ißdatog, *Ainog, 'Idxfoßog
IxvnaXog (KtaviSJayxivonoXijrjg corr. Brink-
mann ap. Kroehnert). Vgl. EBOEmrsBT, ۥ-
nonesne p. 54 — 63), wo noch ein Älteres Ver-
zeichnis besprochen. — Ueber die Anfibige
der Medizin bei den Griechen 6oipnz>
Griech. Denker I 221—254.
') Quellen sind ausser einem Artikel
des Suldas und Stephanos Byz. u. tmg eine
bei KöHN m 85Q abgedruckte Vita, die yer-
mutlich aus Soranos' Bloi iat^v exzerpi«ri
ist. Die Briefe, weil unecht, können mir mit
Vorsicht in Betracht gezogen werden. -
Historia litteraria Hippocratis aaf
Grund der Vorarbeiten von Fabbicius und
Ackermann in Eühn's Ausg. I; PBTBBfflft
Hippocratis scripta ad temporis rationem di9>
posita, Hamb. 1839. Vgl. Gompbri, Griedt
Denker I 238 ff.
*) Wie sehr die Heilkunde im Altertom
an den Asklepioskult geknttpft war, h«!»"
insbesondere die in der *E(ßtjfiBQig «?/«*•"
Xoyixij 1885 veröffentlichten Lwchriiten des
Asklepiosheiligtums von Epidanros geleh^
*) Der untergeschobene Briefwechsel des
Demokrit und Hippokrates steht in Hbbchms
Epistol. gr. D. 306—9.
A. FaohwiBseiiBohaftliche Litteratnr. 1. Hedisiner. (§ 642.)
853
berühmter Arzt kam er viel in der Welt herum; er weilte eine Zeitlang
in Thasos, Abdera, Eyzikos, Erannon, behandelte den König Perdikkas
von Makedonien und erhielt eine Einladung an den persischen Hof. Dass
er auch in Athen sich längere Zeit aufgehalten und namentlich in der
grossen Pest zu Anfang des peloponnesischen Krieges seine Kunst gezeigt
habe, nimmt man gewöhnUch an; doch fehlt darüber nicht bloss jegliches
Zeugnis,^) sondern es lässt auch der Umstand, dass Galen unter den
Stätten, denen Hippokrates mit seiner Kunst Hilfe geleistet, wohl Krannon
und Thasos, nicht aber Athen, nennt, eher das Gegenteil vermuten. Den
Tod fand er im thessalischen Larissa ; über das Todesjahr schwanken die
Angaben zwischen 377 und 359. — Unter dem Namen des Hippokrates
ist eine Sammlung von 53 Schriften (in 72 Büchern) in ionischem Dialekt
auf uns gekommen. Hippokrates schrieb also wie sein älterer Landsmann
Herodot nicht in dem Dialekt seiner dorischen Heimat, sondern in der
Sprache, welche vor dem peloponnesischen Krieg in der Prosa herrschend
war.') Die 53 Schriften sind an Gehalt und Stil sehr verschieden und
rühren nur zum kleineren Teil von Hippokrates selbst her.») Eine der-
selben, negl q>vaiog dv^Qoinov, wird von Aristoteles Hist. anim. 3, 3 als
Werk des Polybos, eines Schwiegersohnes des Hippokrates, angeführt;*)
andere wurden von den Kennern, man weiss nicht auf welche Zeugnisse
hin, den Söhnen desselben, Thessalos und Drakon, zugeschrieben; andere
hinwiederum waren erst von jüngeren Ärzten unter dem falschen Namen
des berühmten Asklepiaden den Königen Ägyptens verkauft worden ;<^)
endlich haben auch die alten und echten Werke im Laufe der Zeit viele
Zusätze und Änderungen erfahren. In der Kaiserzeit, als die medizinischen
Studien zu neuem Glänze kamen, bemühten sich daher die philologisch
gebildeten Ärzte das Echte vom Unechten auszuscheiden.^) Der berühmte
Arzt Galen schrieb darüber ein eigenes, nicht auf uns gekommenes Buch
und kommt in den uns erhaltenen Kommentaren sehr oft auf die Echt-
heitsfrage zu sprechen;'') er selbst erkannte nur 13, ein jüngerer Ge-
lehrter, Palladios (7. Jahrb.), nur 11 Schriften als echt an; nicht so weit
ging in der Verwerfung Erotiänos (um 100 n. Chr.), der in der Vorrede
>) Ohne alle Beweiskraft ist die Stelle
m Platons Protagoras p. HIB, wo nur der
Homonymit&i wegen der Eoer Hippokrates
angef&hrt ist.
') Ueber den ionischen Dialekt des Hip-
pokrates O. Hoffmann, Die griech. Dialekte
in p. 192 ff.
*) Schriften des Hippokrates waren schon
za Platons Zeit in Umlauf; s. Plat. Phaedr.
270c, Protag. 311b; aber Piaton nennt uns
keine Titel und Ifisst ans auch bezüglich des
Ursprungs der Rede des Arztes Eryximachos
im Symposion nur raten; siehe indes die Aus-
leger zu p. 186d. Aristoteles benutzte bereits
die meisten Schriften imserer Sammlung, wie
PoscHENBiBDBB, Aristotoles im Verhältnis zu
den hippokratischen Schriften, Bamberger
Progr. 1887 nachwies. Beachtenswert ist das
Urteil des Kenners Gompbrz, Griech. Denker
I 227, „dass kein Bestandteil der sogenannten
hippokratischen Sammlung, von verschwin-
dend geringfügigen Ausnahmen abgesehen,
jünger ist als die Wende des fünften und
vierten Jahrhunderts/
^) Dass aber der Aristoteliker Menon
schon unechte Schriften als hippokratische
citierte, beweisen die latrika Menonea.
») Kühn I p. XX sq.
*) Von den unechten Schriften des Hip-
pokrates im allgemeinen spricht Augustinus
contra Faust. XXII 6.
^) Galen erkannte nur 13 Schriften als
echt an und statuierte auch bei diesen weit-
gehende Interpolationen; s. Ilberg, Studia
Pseudohippocratea, Lips. 1883; Bböokbb, Die
Methode Galens in der litterarischen Kritik,
Rhein. Mus. 40, 415 ff.
854
(hieohisoho LitteratiirgeBchiohte. IQ. Anhang.
seines Glossars ein Verzeichnis von 30 echten Schriften aufstellt. Am
meisten tragen das Gepräge der Echtheit und sind durch Zeugnisse der
Alten verbürgt: nQoyv(oaTixä, ä^ogurfioi^^) nsQi as^wv vSarwv TOTfafv,*) mni
Siaixrfi o^hiov^^) nsqi iynSrjfwSv Buch 1 und 3,*) ne^i zwv iv xsgiaXy f^
fAavmv. In zweiter Linie stehen negl ayfidv, ncQl xvfiäy, neqi isQrjg vocov,^)
negi aq&Qfov (von den Gelenken). Das Buch nfQi tpvaiog av&^nov wird
von Aristoteles, wie wir sahen, dem Polybos, zugeschrieben. Unter den zweifel-
haften Büchern gehen zum Teil in die Zeit vor Hippokrates zurück die
Kfoaxal nqoyvwssi^^ welche kurzgefasste Sätze der Asklepiaden von Ko8
enthalten. Die meisten der unechten Schriften aber stammen aus späterer
Zeit; interessant sind unter denselben besonders die ngoQQrjrixa, deren ün-
echtheit Erotianos nachzuweisen versprach, das Buch von den Muskeln
(ncQi (faQxtav) und die sich daran anschliessende, nur in einer arabiBchen
und lateinischen Übertragung erhaltene Schrift über die Siebenzahl, die
aus der Feder eines vorschnell schliessenden Jüngers der Naturphilosopliie
geflossen sind, die vier Bücher nsgl dtairrjg^ für die Galen ein hsdbes
Dutzend von Verfassern (^t'^v^r (Haupt der knidischen Schule) rj ^amv
j] (Dikiim'(ov fj ^ÄQiaxwv rj %ig alloq %wv naXtxmv) aufführt. •) Gegen Satee
der Schrift der Diät, des weiteren aber gegen naturphilosophische Rich-
tungen der Medizin überhaupt ist gerichtet die besonnene Schrift eines
aufgeklärten Praktikers der alten Schule neq! aqxair^ IrjftQ^xrjqJ) Aus den
Kreisen der sophistischen Physiker stammen die Schriften negl tpvwv (de
flatibus), TiBQi tpvaioq naidtovy negi vovawv 4. B.^) In den Schulen der Rhe-
toren erdichtet sind die Briefe und die Rede am Altar (loyoq imßtipitog)^
in welch letzterer der Redner die Thessalier an dem Altare der Athene
zur Rache gegen die Athener, die Zerstörer ihres Landes, aufruft Dem
Hippokrates als Vater der Arzte wurden auch mehrere Schriften allge-
meinen Charakters zugeschrieben, wie der Eid der Asklepiaden, das Gfesetz
der Ärzte, von der ärztlichen Kunst. Die beiden ersten zeugen von der
hochentwickelten Humanität der alten Asklepiadenschulen und enthalten
manche auch noch heutzutag beachtenswerte Vorschriften. Die Schrift
von der Heilkunst {negl rs'xvijg) hat einen stark sophistischen Anstrich
und ist von Gomperz keinem geringeren als Protagoras beigelegt worden.*)
Unter den unechten Schriften befindet sich auch eine über die Träume
{negt €vv7vvim'), die älteste, welche die Weissagung aus Träumen lehrt
und zu erklären sucht.
^) Auch die dq>oqiafxoiy d. i. firztliche
YorBchnffcen in abgerissenen Sfttzen, ent-
halten viele Interpolationen.
^) Auf diese interessante Schrift, welche
die Elemente der Hygiene enthält, wird in
den Scholien Arist. Nub. 333 Bezug genom-
men; über ihre Bedeutung fOr Ethnographie
8. § 258.
') Daher unser Ausdruck akute Krank-
heiten.
^) Die B. 2 n. 4 — 7 galten schon dem
Galen als untergeschoben.
') Darunter ist die Epilepsie verstanden,
welche heilige Krankheit hiess, weU das
Volk die ^ötzlichen Konvulsionen auf die
Kraft der Dftmonen zurdckführte and mit
den Verzückungen der Priester und Prophe-
tinnen verglich.
*) Ueber die Beeinflussung des Autors
der Schrift nsQi diatTrjg durch Heraklit nnd
Empedokles Gompbrz, Griech. Denk. I i5S,
229 ff.
^) Die Bedeutung dieser Schrift trefflidi
erläutert von Gk>MFBBZ, Griech. Denk. I
238 ff.
•) Vgl. DiBLS Henn. 28 (1898) 426 1
•) Näheres darftber oben § 296.
A. Faohwuseiuiohaftliohe Idtteratnr. 1. Hedisiner. (§ 643.)
855
Ansgaben im Alteitnm: in Alezandria hatte die erste kritiBche Ausgabe der gelehrte
Aizt Mnemon ans Side besorgt, von der aber schon Galen nnr durch Hörensagen etwas
wnsete. Unter Hadrian besorgten neue Ausgaben Artemidorus Capito und Dios-
korides; s. Köhk I p. XXIV sq. und Ilbbrg Rh. M. 45 (1890) 111 ff. — Gedruckte Aus-
gaben: ed. princ. apud Aldum 1526; cum vers. et not ed. Foesius 1595, oft wiederholt; ed.
Chabtibb 1679; ed. Eübn in der Gesamtausgabe der Medici gr., Lips. 1821, 3 Bftnde; ed.
LiTTRE mit kritischem Apparat, Par. 1839^61, 10 Bände; ed. Ebmerivs, Utr. 1859—63,
3 BSade. Eine neue Ausgabe mit kritischem Apparat von Ilberg und Eühlbwein, im Er-
scheinen. — Spezialausgabe ttc^c di^iav v&nxtav r6n<oy von Kobabs (dem berühmten grie-
chischen Arzte und Philologen), Paris 1800, 2 Bde.
Glossare: Twv nag* InnoxQatei Xi^etoy avyaymyij von Erotianos mit einer Wid-
mung an den agxlf^^Qog Uydipo^a/of, Leibarzt des Kaisers Nero (einen jflngeren Andro-
niachoB zu Anfang des 2. Jahrhunderts nimmt Klein an); das Glossar ist in alphabetischer,
nicht vom Verfasser herrOhrender Ordnung auf uns gekommen, neubearbeitet von Klein,
Ups. 1865. — Jüngere Glossare haben wir von Galen, Juiy rov 'InnoxQttjovg yX(oa<F(6y
i^yfjaig, und Herodotos Lykios.
Hauptkommentator ist Galen, der Kommentare zu 17 Schriften des Hippokrates
schrieb. Ausserdem haben wir noch kleinere Kommentare, gedruckt in der Ausgabe Apol-
lonü Citiensis. (um 70 v. Chr.), Stephani (8. Jahrh. n. Chr.), Palladii (7. Jahrb.), Theophili
(7. Jahrh.), Meletii, Damascii, loannis, alioram schoUa in Hippocratem et Galenum ed. Dietz,
KOnigsb. 1834, 2 Bände. — Kommentar des ApoUonius aus Kitium zu Hippocr. ncQl ctQ&Qioy
von Hebm. Schöne, Leipz., im Erscheinen. — Uebersetzung mit Erläuterungen von Fuchs 1895.
Den wissenschaftlichen Bestrebungen des Hippokrates und seiner Schule gingen die
Knrpfoschereien und Wunderkuren in den Heiligtümern des Asklepios zur Seite. Ein merk-
wOrdiges Denkmal derselben sind die Heilungen des Asklepios ('JnoXXtjyos xat 'AaxXrj-
7HOV id^aia, die bereits von Pausanias U 27, 3 erwähnt werden und die neuerdings auf
zwei S&ulen in Epidauros neben dem Tempel aufgedeckt wurden, publiziert in ^Ikpijfx.
aQx^toX. 1883 u. 1885, wiederholt in Colutz, Dialektinschriften HI n. 3339 u. 3340. Dieses
Verzeichnis ist redigiert im 4. Jahrh. v. Chr. Durch das ganze Altertum erhielt sich der
Hambug von Beschwörungen {inaoidai)^ Ober den die Zeugnisse zusammenstellt Rich.
Hbix, Incantamenta magica graeca et latma, Jahrb. f. klass. Philol. Suppl. XIX (1893) 463
bis 576.
648. Mediziner des alexandrinischen Zeitalters. In Alexandria
und Pergamon wurden die medizinischen Studien wie alle Wissenschaften
mit erhöhtem Eifer und grösserem Erfolge betrieben. Der grössere Erfolg
wurde wesentlich durch den Aufschwung der Anatomie und Physiologie
herbeigeführt. In Alexandria bestand ein anatomisches Institut, in dem
nicht bloss menschliche Leichname seciert, sondern auch Vivisektionen von
Verbrechern vorgenommen wurden, i) Der bedeutendste Arzt Alexandriens
war Herophilos,') Schüler des Praxagoras aus Eos; er blühte unter
Ptolemaios I und n und begründete sein Ansehen hauptsächlich durch
anatomische Beobachtungen: er unterschied zuerst die Nerven von den
Sehnen (beide ehedem vbvqu genannt) und erkannte das Wesen der Pulse
{negl {rgjvyfiwv). Mit ihm rivalisierte Erasistratos aus Julis in Keos,*)
der Leibarzt bei König Seleukos I von Syrien war, später aber nach Sa-
mos sich zurückzog, um ganz den theoretischen Studien zu leben: er
unterschied die Bewegungs- und Empfindungsnerven, und beobachtete die
Unterschiede von Tier- und Menschengehim; in der Therapie legte er dss
Hauptgewicht auf die Nahrung und Diätetik. An diese beiden berühm-
testen Ärzte schlössen sich die meisten andern an, so dass sich zwei
grosse Schulen, cdgäaetg (Häresien) wie die Alten sagten,, bildeten, die
^) Plinius n. h. 19, 86; Celsus prooem. I
p. 4, 36 Dar.
2) lieber diesen und die anderen Aerzte
der i^ezandiinischen Zeit 8. Wblljcamn in
Susemihls AI. Lit Kapp. 24 u. 84.
») Strabo p. 486. 580. - R. Fuchs. De
Erasistrato capita selecta, Herrn. 29 (1894)
171—208.
856
Grieohisohe LitteratergMohiehte. m. Anhang.
Herophileer und Erasistrateer,*) zu denen später noch die Empiriker hin-
zutraten, deren Haupt Heraklei des von Tarent (um 100 v. Chr.) war.
Leider hat sich von den Schriften weder der Meister noch ihrer Schüler
etwas erhalten, so dass wir ihre Lehre wesentlich nur aus Galen kennen.
Daneben erhielt in Pergamon die Heilmittellehre ihre Ausbildung; sie
führte zur Beobachtung der Gifte und Gegengifte und rief die oben § 372
besprochenen Gedichte des Nikander, 0tjQiaxd und Ule^i^agfiaxa, hervor.
üeber die Lehren der Aerzte und Natorphilosophen der filteren Zeit bis auf den nnter
AugoBtos lebenden Arzt Alezander Philalethes, von dem Galen VIII 726, 10 ein fOnftes
Buch rwy a^eaxoyttoy anführt, haben wir neuerdings durch einen medicinischen PapyiuB
(jetzt in London n. 137) Aufschluss erhalten. Derselbe enthfilt eine Zusammenstellung der
Ansichten der medizinischen Autorit&ten Ober die Natur und die Ursachen der Terscbiedenen
Krankheiten und geht in der Hauptsache auf die latrika des Menon, eines Schülers des
Aristoteles, zurück. Ausgabe von Dibls, Anonymi Londensis ex Aristotelis latricis Menoneis
et aliis medicis ezcerpta, in Supplementum Aristotelicum lU 1, Berl. 1893. Dazu Dibub,
Ueber die Excerpte von Menons latrik, Herm. 28 (1893) 407—434. Vgl. oben S. 47L
644. Medizin in Rom. Nach Rom verpflanzte die Heilkunde Ar-
chagathos, der nach Plinius n. h. 29, 12 im Jahr 219 v. Chr. aus dem
Peloponnes nach Rom kam und von Staatswegen eine Klinik an der Aci-
lischen Kreuzstrasse angewiesen erhielt. Zu glänzenderem Ansehen kam
die Heilkunst in Rom durch Asklepiades aus Prusa, der zur Zeit des
Pompeius nach Rom übersiedelte und bald Ansehen und Reichtum gewann.
Er war aus einem Rhetor ein gefeierter Arzt geworden ') und galt namenÜicli
den römischen Medicinern, wie Gelsus und Gaelius Aurelianus als Haupt-
autorität. Rom war eben damals die Stadt des Luxus und der Oladia-
torenspiele, wo geschickte Ärzte ein reiches und lohnendes Feld ihrer
Thätigkeit fanden. Hier in Rom entwickelte sich auch in den zwei ersten
Jahrhunderten der Kaiserzeit eine reiche medizinische Litteratur, die sich
an die vier grossen Sekten der Mediziner, die Dogmatiker, Empiriker,
Methodiker, Pneumatiker,*) anschloss und an den ärztefreundlichen Laien
{^iXiazQoi) ein leseeifriges Publikum hatte.*) Weitaus der bedeutendste
Mediziner der römischen Kaiserzeit war Galen. Ehe wir zu ihm über-
gehen, wollen wir in Kürze erwähnen, was sich aus der Zeit vor ihm an
medizinischen Schriften erhalten hat.
In Versen, und zwar in Distichen schrieb Andromachos, Leibarzt
des Kaisers Nero, ein Lehrgedicht GrjQiaxrj dt' exidvwv, das uns durch
Galen t. XVH p. 761 K erhalten ist. — Durch denselben Galen sind uns
mehrere Reste der medizinischen Gedichte des Arztes Damokrates er-
*) Schiller des Erasistratos war Apollo-
mos von Memphis, der in seiner Arzneimittel-
lehre altägyptische Texte benutzte; s. Ebbrs,
Wie Altftgyptisches in die europäische Volks-
medizin gelangte, Ztschr. fOr ägypt. Spr.
XXXIII.
«) Cic. de erat. I 14, 62; Plinius n. h.
26, 12. Plinius n. h. 26, 25; 7, 124 und Cel-
sus 2, 6 erzählen von ihm die Geschichte, dass
er einst einen Leichenzug umkehren hiess und
den als tot Hinausgetragenen zum Leben wie-
der zurflckrief.
') Wbllmank, Die pneumatische Schule
bis auf Archigenes in ihrer Entwicklung dar-
gestellt, Berlin 1895. Die Pneumatiker tnten
in der Zeit des Galen gegenüber den drei
anderen Sekten zurQck, so dass Ps. Galen
nsQi tij^ dgimr^g al^icem^ nur die S Sekten
tuSp Xoyixtuv xai rtüy ^finet^ixtay und rwr
fieS^odixuSy annimmt.
*) Kenntnis der Heilkunde yo^angte
schon Yarro von den Gebildeten; Galen Pro-
trept. c. 14 stellt geradezu unter die aites
liberales {rix*'^'^ cefAval) neben ^ogtr^,
fiovtrix^y ysfOftezQia auch die ^arpixt/. Vergl.
auch Plutarch Mor. p. 122e.
») Plinius n. h. 25, 87.
A. FaohwiMettBehaftliohe Litteratnr. 1. HediEiner. (§ 644.)
857
halten, der kurz vor dem älteren Plinius (N. H. XXV 87) in iambischen
Trimetem über verschiedene Arzneien schrieb. — Von dem Arzte Mar-
kellos Sidetes, der nach Suidas 42 B. 'latQixd in heroischen Hexa-
metern geschrieben hatte, sind durch Handschriften und Steine einige
Bruchstücke über Fische und Menschenscheu {Ivxav&Qtoma) auf uns ge-
kommen.
Poetamm de re physica et medica rell. ed. Bussemakbb Par. 1851. — Eine neue Be-
arbeitang stellte Studbmund in Aussicht, der vorläufig in Ind. lect. Vratisl. 1888 Servilii
Bamocratis poetae medici fragmenta in musterhafter Weise herausgegeben hat. Vgl. § 457,
wo auch das Carmen de herbis in Hexametern berührt ist.
Xenokrates von Aphrodosias ist Verfasser einer Schrift nsQi rfjg
ano %&v evvigwv r^oy^g (Austemernährung), die einen Abschnitt eines
grösseren Werkes negi rrjg ano twv ^(fwv rQog)rjg bildete. Ausgabe in
Ideler's Phys. et med. I 121—133.
Ruf US aus Ephesos, der in der Zeit Traians lebte, ^) war Verfasser
zahlreicher Schriften; davon haben sich erhalten: negi ovoiiaaiag tSv tov
av&Qcinov fiOQiwVy^) negi t(6v iv ve^Qotg xal xvCTSi nad-m^ TtBQi zcov ^a^-
fidxoDv xad^aQTixdv, neg/l oaxäwv. Auf unsichere Vermutung hin hat man
ihm auch ein Lehrgedicht neQi ßotavwv in 215 Hexametern *) und eine
Synopsis ttsqI fSipvyiiSv beigelegt. Hauptausgabe von Daremberg-Ruelle,
Paris 1879.
Soranos aus Ephesos, eine Hauptsäule der sogenannten Methodiker
in der Medizin, lehrte unter Traian und Hadrian*) in Rom und Alexandria.
Erhalten haben sich von ihm nsQi (frjiJ,€i(ov xaTayfiavcov^ nsgl firjTgag xal
aldoiov yvvaixeiovy negl yvvaixeiwv nad^mv. Die beiden ersten Schriften
sind gedruckt bei Ideler, Med. min. I 248 — 260; die letzte wurde erst
von Dietz gefunden und aus dessen Nachlass publiziert, Königsberg
1838; neuerdings hat den griechischen Text zusammen mit einer alten
lateinischen Übersetzung des Muscio aus dem 6. Jahrhundert Val. Rose,
Lips. 1882 herausgegeben. Von dem Hauptwerke des Soranos über akute
und chronische Erkrankungen (nsQi oitwv xal xQovicov nad^dv) existieren
in griechischer Sprache nur spärliche Auszüge (in Handschriften der
Pariser Bibliothek), in lateinischer aber eine vollständige Überarbeitung
von Caelius Aurelianus aus Afrika. Nach Suidas verfasste Soranos
auch, neben einem grossen encyklopädischen Werk algäaeig xal avvvdyfiaTa
in 10 Büchern, Biographien von Ärzten {ßiovg latQdv), aus welchem Buche
vermutlich das erhaltene Leben des Hippokrates geflossen ist.^)
*) Suidas : 'Povtpo^ iar^Sg yeyoywg ini
Tqaiavov,
') Ueber ihre Benützung durch Pollux
8. § 573 und Voigt, Sorani Ephesii liber de
etjinologiis corporis humani quatenus restitui
possit, Greifsw. Diss. 1882.
') Gesners Vermutung stützt sich auf die
Angabe des Galen de compos. medic. t. XX
p. 425 E., dass Rufus ein Gedicht nsqi ßora-
rtuy geschrieben habe; aber metrische Eigen-
tümlichkeiten rflcken unser Gedicht unter die
Zeit des Astrologen Manetho herab; s. G.
Hermann, Orphica p. 717.
^) Suidas unterscheidet einen filteren und
jüngeren Soranos und gibt bei dem ersten nur
die Lebensyerhfiltnisse, bei dem zweiten nur
die Schriften an, so dass ein Irrtum vorzu-
liegen scheint, zumal Galen nur einen So-
ranos kennt.
^) Zwei unechte Traktate des Soranos,
Introductio ad medicinam und De pulsibus,
veröffentlichte Val. Rose, Anecd. gr. 11 243
bis 280.
858
Qrieohuiohe IdtteratiirgeBohiohta. m. Anhang,
Aretaios aus Kappadokien, wahrscheinlich dem 2. Jahrhundert
n. Chr. angehörig, schrieb in dem ionischen Dialekt des Hippokrates ne^
ahiwv xal (fr^fneiwv o^ewv xai XQoviwv naxhav^ ne^i &€Qa7re{ag o^sm' xm
XQoviwv na&£v, in welchen Werken er sich nach dem Urteil der Kenner
als einen scharfen Beobachter kundgibt. Beide Schriften, jede in 2 B.,
sind uns nur in lückenhaftem Zustande erhalten. Ausg. von Kühn, Med.
gr. t. XXIV; Neubearbeitung von Ermerins, Utrecht 1847.
645. Galenos (Claudius Galenus Niconis architecti fil.),0 der frucht-
barste und gebildetste der alten Mediziner, war im Jahre 130 n. Chr. in Per-
gamon geboren. Dort in seiner Heimatstadt lag er zunächst philosophischen
Studien ob, indem er seiner eklektischen Neigung folgend Akademiker wie
Stoiker und Peripatetiker hörte. Mit dem Studium der Medizin begann
er noch in Pergamon und setzte dann dasselbe in Smyrna, Korinth und
Alexandria fort. Eine praktische Thätigkeit entfaltete er zuerst in seiner
Heimatstadt, wo er sechs Jahre lang als Gladiatorenarzt fungierte. Im
Jahr 168 begab er sich nach Rom und blieb daselbst mit einer einzigen
mehrjährigen Unterbrechung bis zu seinem Lebensende. Der Tod traf
ihn im 70. Lebensjahr, nicht vor 201 n. Chr. — Ueber seine litterarische
Thätigkeit berichtet Galen selbst in den Schriften negi trjg ra^coi^ %wv
idmv ßißXiwv TiQog Evyeviavcv und ticqI t(ov Idiiav ßißXifov. Er war einer
der fruchtbarsten und vielseitigsten SchriftsteUer der Eaiserzeit, ') aber
weder ein schöpferischer Forscher noch ein klassischer Stilist. Wir haben
Kenntnis von mehr als 250 Schriften;^) erhalten haben sich von denselben
100 echte und 18 zweifelhafte,^) mehrere nur in arabischer oder lateini-
scher Übersetzung. Die meisten gehören natürlich dem Gebiet der Medizin
an, von diesen der kleinere Teil der Erläuterung des Hippokrates, der
weitaus grössere der selbständigen Bearbeitung der verschiedenen Teile
der Heilkunde. Einen einleitenden propädeutischen Charakter haben die
Schriften von den ärztlichen Schulen und Methoden, tisqI aiQeaewv und ne^
dQi<TT7jg at^eifetag.^) Von den systematischen sind die gelesensten und von
den Kennern am meisten geschätzten folgende: r^x^t] iaTQixrj, ein kurzer
Abriss der Therapeutik, im Mittelalter unter dem Namen Mikrotechni
bekannt, &€Qan€vvixij fie^odog in 14 B., Megalotechni im Mittelalter ge-
*) Suidas u. FaXtjyog; Labb^, Vita Claudii
Galeni, Paria 1660; Pass, Galeni vita eius-
que de medicina merita et scripta, Berol. 1854.
Vieles über persönliche Verhftltiiisse enthält
die Schrift nsQi dtayyaiasuag xai ^eganeias
TcJj/ iy rfi ixätrrov xffvxj idiwy na&wy,
^) Ath. Ic: rnXfjyos o UsQyafÄijyog og
Toaavi^ ixdedoixs üvyyQttfifÄura (fiXocotpa re
xm iaiQixd tog Tiayrag vnegßaXety rovg noo
avxov, xal xaxd trjy kQfAtjvBlay ov&eyog toy
Xioy aQ/altoy ddvyatioxBQoq,
3) Ein Verzeichnis der Schriften gibt
AcKERMANM, Historia literaria Galeni in Fabri-
cius Bibl. gr. V 397 flF., wiederholt von Kühn
im 1. Bande der Ausgabe p. LXVn sqq.; die
zeitliche Folge behandelt Ilbbro, Die Schrift-
steUerei des Klaudios Galenos, Rh. M. 44
(1889) S. 207-239; 47 (1892) 489-514; 51
(1896) 165—196.
^) Zu den unechten gehört auch die
Schrift TiBql svnoglattoy, mit der das too
BuBSiAN, Ind. len. 1873 veröffentlichte Fragm.
medicum der Leipziger Bibliothek im wesent-
lichen flbereinstiinmt
*) Galen hatte aber die aglffifj aSf^a
geschrieben; aber dass die flberliefeite Sdiiift
ausser Zusammenhang mit der fibrigen Scbrift-
steUerei des Galen stehe und von einem m-
verständigen Redaktor aus mehreren nieht-
galenischen Schriften zusammengestQckelt
sei, erweist Iw. Müllbr, Ueber die demCjalen
zugeschriebene Abhandlung nc^ r^c a^ctfr^r
alg^astog (Sitzb. d. b. Ak. 1898 8. 53 ff.) gegen-
Ober dem Verteidiger der Echtheit Ilbbb«,
Rh. M. 52, 603—5.
A. FaohwiBMiisohaftliche Litteratnr. 1. Hedissiner. (§ 645.)
859
nannt; negl xqeiaq rwv iv avd^Qoinov (fcifiazi, fioQitov in 17 B., nsgl aipvy-
fAoSv in 16 B., wozu für die Anfänger ein Abriss und eine Synopsis über
die Pulse in je 1 B. ; tisqI tcSv tictiov&otwv xonwv in 6 B. ; avaTo^iixal
iYX€i^<f€^g in 15 B., von denen aber nur die neun ersten erhalten sind;
7t£Qi xQd<r€(og xai dvvdfxetog twv änXüiv q^agfAaxwv in 11 B.; nsgi üvvO-etSsnag
ffccQikdxwv Tciv xard Tonovg in 10 B.; tisqI avv&saewq (paQfjidxfov tdov xazd
yävT^ in 7 B. ; vytcivwv koyoi, in 6 B. — Von allgemeinerem Interesse waren
die philosophischen und grammatischen Schriften unseres Autors. Dieselben
galten teils der Kommentierung der alten Philosophen, i) teils der Aus-
bildung der Logik,*) der populären Ethik und der philologischen Wort-
erklärung.') Das meiste von dieser Klasse von Schriften ist verloren ge-
gangen, insbesondere fast alle logischen Schriften, worunter auch die um-
fangreiche n€Qi dnodei^eiog in 15 B.;*) erhalten haben sich: Tiqotqsmixdg
irtl xdq Täxvag, negl aQiatrjg didaftxaXiag (gegen Favorinus gerichtet), o%i
xaXg %ov üdfiaxog xQdaeaiv at zijg ipvxrjg Svvdfisig ^novxai^ neQi Siayvwascog
xal x^€Qan€iag twv iv ixdtfzov ipvxfj tSicov nad-dv^ ein goldenes Büchlein,
in dem indes das meiste aus Poseidonios nsql na^cov genommen ist, tisqI
Tov Sid x'qg CfiixQccg Cipaiqag yvfJLvatfioVy negl rSv Jiaqd Ttjv Xe^iv (fotpiff-
fidroov^ nsQl t(ov ^iTinoxQdrovg xal nldrcovog doyfidrwv in 9 B., negi (pvfftxdv
Svväfi€(ov in 3 B. Fälschlich dem Galen beigelegt ist die g)U6(fo^og IfStoQla^
von der der zweite Teil von c. 16 an einfach aus der ps.-plutarchischen
Schrift n€Qi dqscxovttov herübergenommen ist, der erste wesentlich mit
Sextus Empiricus übereinstimmt.*) Seine örundanschauung über die Not-
wendigkeit medizinischer und allgemein philosophischer Bildung vertritt
Galen in der Schrift ort 6 agicxog latQog xal ^ik6(fo(pog, unter Hinweis
auf das grosse Vorbild des Hippokrates. Als bahnbrechender Denker
und Gelehrter zeigt sich auch hier Galen nicht, aber gleichwohl sind uns
diese philosophischen und philologischen Schriften von hohem Interesse
dadurch, dass sie uns in den Betrieb der gelehrten und grammatischen
Studien der römischen Kaiserzeit einen sehr erwünschten Einblick ge-
währen.^)
^) ErwSluit werden von Galen Kommen-
tare zu Piatons Timaios (Fragments du com-
mentaire de Gallen sor le Tim^e de Piaton,
ed. Dabkxbbro, Par. 1848), negl UXajiovixüiv
diaXoyiop üvyo^peiofy negl xuiy iy ^iXijß^
fmaßaaetoy, femer zu Aristoteles negl kgfjifj'-
ysiag, xtnijyoqita, dyaXvrixd, zu Theophrast
nsQl xatafpdcemg xai dnoqxxtretai, zuEudemos
negl Xi^Bd^, zu den logischen Schriften des
Chiyaippos und Eleitomachos. Vgl. Zellbr,
Gesch. d, gr. Phil. IIP 1, 823 ff.
») Pbantl, Gesch. d. Log. I 559 ff. Galen
gilt inshesonders als Begründer der 4. Schluss-
form. Als unecht sucht Prantl p. 591 ff. das
von dem Griechen Minas, Paris 1844, hervor-
gezogene Buch Elaaytoyij dutXexrixtj zu er-
weisen; dagegen tritt für die Echtheit mit
durchschlagenden Grttnden ein Ealbflbisoh,
üeber Gkdens Einleitung in die Logik, Jahrb.
f. Phü. SuppL XXXm (1897) 679—708.
>) Galen schrieb nach seinen eigenen An-
gaben t. XIX p. 48 u. 61 K. ausser über sel-
tene Wörter {yXiSaaixi) des Hippokrates auch
vn^Q oyofAttxtay oQ^oxrjiog in 3 B., Ttsgi rtuy
nag* EvnoXtdij nag* 'jig^notpayei, nagd Kga~
xiyt^ noXixixtjy oyo/nditoy, ei XQV^''l^^^ dyd~
yyoKffxa xoTq nai^Bvofxiyoiq ^ naXaid xto/Lna-
dia. Vgl. Iw. Müller, Galen als Philologe,
Verhdl. d. 41. Philologenvers, in Mttnchen
1891 S. 80-91.
^) üeber die Schicksale und den Inhalt
dieses verlorenen Werkes Iw. Müller, üeber
Galens Werk vom wissenschaftlichen Beweis,
Abh. d. b. Ak. XX (1895) 403-78. Auch der
Auszug, den Galen von jenem Werk machte,
Svyo^ig x^g iitiffeixxixtjs ^Btogias, ist ver-
loren gegangen.
^) Dibls, De Galeni historia philosopha,
Diss. Bonn 1870.
^) Bröoker, Die Methoden Galens in der
litterarischen Kritik, Rh. M. 40, 415 ff.
860
Grieohisohe LitteratiirgMiohiohte. m. Anhang.
Edit princ: Aldina 1525; ed. Chartikb, Paiis 1679; davon abhftngig Eühk in
Medici graeci t. I— XX, Lips. 1821—33. — Galeni scripta minora rec. Marqüabdt, Iw.
Müller, Helkbbich, in Bibl. Teubn. im Erscheinen; Galeni scripta de placitis HippocratiB
et Piatonis, ed. Iw. Müllbr, Lips. 1874; Galeni Protreptici qoae supersont ed. Kaibbi,
Berl. 1894. — lieber die handschriftliche Grundlage der medmnischen BUcher s. Stctdb-
MUND. Ind. lect. Vratisl. 1888. — Unecht sind die überlieferten Massverzeichnisse von Grälen,
worüber Hultsoh, Metr. Script. I 85 ff. — üeber lateinische Ueberarbeitnngen von Werken
des Galen Yal. Rosb, Anecdota graeca et graeco-latina. Ein neues Fragment verOffenÜicht
E. Landgraf, Ein lateinisches medizinisches Fragment Ps. Galens, Progr. Ludwigshafen a. Rh.
1895. — Darbmbbro, Oeuvres de Galien, Par. 1856, üebersetzung mit Erlfluterungen.
646. Mediziner nach Galen. Aus der letzten Zeit des Altertums
haben wir noch ausser den Phantasmagorien der medizinischen und bota-
nischen Zauberlitteratur 1) mehrere enkyklopädische Werke über Medizin
und Naturwissenschaft, die teils durch ihre Einwirkung auf das Mittel-
alter, teils durch Mitteilungen aus älteren Werken von Bedeutung sind.
Oreibasios (v. 1. Oribasios), *) nach Suidas aus Sardes, nach Eunapios
aus Pergamon, war Leibarzt des Kaisers Julian und verfasste auf dessen
Veranlassung eine medizinische Enkyklopädie 'JoTQixal awayonyaC in 72 B.,
von der er selbst eine Epitome in 9 B. anfertigte.») Vom grösseren Werke
sind nach und nach umfangreiche Teile durch Matthäi aus einer Moskauer
und von Mai aus einer römischen Handschrift bekannt geworden. Ihre
Verlässigkeit können wir dadurch kontrollieren, das darin auch mehrere
uns noch im Original vorliegende Werke, wie namentlich Galens, excerpiert
sind. Oeuvres d' Oribase par Boussemaker et Daremberg, Par. 1851—76,
6 vol.
Aetios, gebildet in Alexandria und später kaiserlicher Leibarzt in
Eonstantinopel mit dem Rang eines comes obsequii, gehört der Mitte des
6. Jahrhunderts an. Seine 'larQixd in 16 B. wollten einen Abriss der ge-
samten Heilkunde geben; PhotioS; der in cod. 221 einen ausfuhrlichen
Auszug des Werkes gibt, zieht dasselbe den verwandten Büchern des
Oreibasios vor. Neuere Bearbeitung der Reste in Darembergs Ausgabe
des Rufus p. 85 — 126 und in der des Oreibasios II 90 — 145.
Alexander von Tralles aus der gleichen Zeit ist Verfasser eines
grossen medizinischen Sammelwerkes Ofganevrixä in 12 B. Hauptausg.
von Puschmann, Wien 1879, 2. Bd.; dazu ein Nachtrag in Berl. Stud. V2
(1886), der die alte lateinische Übersetzung von zwei jenem Sammelwerk
angehörigen Abhandlungen des Philumenos (1. Jahrhundert n. Chr.) und
Philagrios (4. Jahrhundert) und zwei griechische Abhandlungen über
Augenkrankheiten enthält.
Paulus Aegineta, der in der Mitte des 7. Jahrhunderts lebte, ist
Verfasser eines seiner Zeit hoch geschätzten, auch ins Arabische über-
tragenen Handbuches der Arzneikunde in 7 B. (iniTofArjg larQixf^g ßißX. ^')
Venediger Ausg. 1528, Baseler 1538, von Ren6 Brian, Paris 1855. Näheres
bei Krumbabher Byz. Lit.« 616.
*) Ueber die dem Hermes trismegistos zu-
geschriebenen KvQayideg und das Buch von
den Pflanzen der 7 Planeten s. § 625; vgl.
Meybb, Gesch. d. Botanik II 348 ff.
') Suidas u. 'O^eißdtnog; Eunapios Vit.
soph. p. 498 f.; Photios cod. 217 u. 218.
s) Nach Photios p. 180a, 3 hat er andi
eine üvrotf/ii n^og Ev^anioy und eine ffvi^^C
t<öy raXrjyov ßißXi(oy geschrieben ; die obige
ist an seinen Sohn Eustathios gerichtet.
A. FaohwiBBenaohaftliohe Litteratnr. 1. Hedisiner.
. 646-648.)
861
647. Auf Anregung des byzantinischen Kaisers Eonstantinos Porphyro-
gennetos wurde im 10. Jahrhundert das medizinische Sammelwerk 'Emrofirj
icrfqixwv x^€taqri(id%(ov von Theophanes Nonnos verfasst. — Gleichfalls
aus dem Mittelalter, aber von einem unbekannten Redaktor stammt das
Excerptenwerk "^JnniaxQixd in 2 B. Dasselbe enthält Auszüge aus Africanus,
Anatolios und dem Hauptveterinärarzt Apsyrtos aus Prusa, der nach
Suidas unter Konstantin d. 6r. lebte. Von Apsyrtos haben wir auch
Kenntnis durch eine unlängst von W. Meyer aufgedeckte lateinische Über-
arbeitung.
Nonnns Theophanes, epitome de curatione morbonun, ed. Bernabd, Gothae 1795,
2 Bde. — Veierinariae medicinae libri duo ed. Qbtkabus, Basel 1537; aus anderen und
vollständigeren Recensionen von E. Miller in Not. et Extr. XXI, 2, Paris 1865; eine neue
Ausg. in Bibl. Teubn. in Aussicht gestellt von Odbb. — Eine lateinische Ueberarbeitung des
Chiron Centaurus und Apsyrtns entdeckte W. Mbybb in einem Cod. lat. 243 der Münchener
Staatsbibliothek; davon gibt der Entdecker vorläufige Notiz m Sitzb. d. b. Ak. 1885 S. 395,
indem er dabei bemerkt, dass der rOmische Yeterinfir Yegetius dieses Werk gekannt und
im wesentlichen nur eine Ueberarbeitung desselben geliefert habe.
648. Heilmittellehre.i) Mit der Heilkunst steht die Heilmittel-
lebre, die Pharmazie und sogenannte materia medica in natürlichem Zu-
sammenhang. Es waren daher vornehmlieh Ärzte, welche von den hei-
lenden Kräutern und Säften und den angrenzenden Gebieten der Gegen-
gifte und Verschönerungsmitteln handelten. Selbst fürstliche Personen,
wie Attalos Philometor und Mithradates haben teils aus Liebhaberei, teils
aus Furcht an dem Anbau von Heilpflanzen und der Erfindung von Gegen-
giften sich beteiligt.*) Von den poetischen Werken über Heilmittel, ins-
besondere den GrjQuxxd und UXs^itpccQfjiaxa des Nikander haben wir bereits
oben § 372 gehandelt. Als eigentlicher Begründer der materia medica
aber gilt Dioskorides.
Dioskorides, mit dem vollständigen Namen Pedanius Dioscorides
aus Anazarbos,') lebte vor Erotianos, der ihn in seinem Hippokrateslexikon
unter xamiuQif anführt, wahrscheinlich gleichzeitig mit dem älteren Plinius,
der in den Abschnitten über Botanik die gleichen Quellen wie er, nämlich
die Werke der Ärzte Krateuas und Sextius Niger benutzte.*) Nach seiner
eigenen Angabe in der Vorrede des gleich zu besprechenden Buches war er
geradeso wie Plinius in seinen jüngeren Jahren Militär und ist erst später
zu schriftsteUerischer Thätigkeit auf dem Gebiete seiner Lieblingsstudien
gekommen. Sein Hauptwerk, das vollständig auf uns gekommen ist, han-
delt von der Arzneikunde, speziell den medizinischen Pflanzen, und trägt
den Titel nsQi vXrfi latQixijg oder de materia medica. Die Autorität des-
selben hat im ganzen Mittelalter, bei den Arabern und im Abendland, die
*) Bersndes, Die Pharmacie bei den alten
Kulturvölkern, Halle 1892, 2 Bde.
«) Plut. Demetr, 20; Justin 36, 4; Plinius
n. h. 25, 5.
*) Spbsngel in der Praef. seiner Ausg.
unterscheidet 4 Dioskorides: Dioskorides den
Herophileer mit dem Beinamen Phakas zur
Zeit der Kleopatra, Dioskorides Anazarbeus
unter Nero und Verfasser unserer Materia
medica, Dioskorides aus Tarsos, endlich Dios-
korides aus Alexandria, der kurz vor Galen
lebte und eine Ausgabe des Hippokrates mit
I Glossar besorgte. Photios 124 a, 12 macht die
nichtssagende Bemerkung iyw di ivetvxov
Tialy oV JlBddyioy aua xctl ^Aya^a^ßsct ratg
iniyQatpeig insxdXovy. Galen im Lex. Hippocr.
p. 64 JioaxoQidfjs ot'x 6 inixXrj&eig *«xf?ff
d 'H^OKplXsiog, «ÄA* 6 vetaiB^og 6 xard na-
tiqag i^fjuov unterscheidet nur 2 Dioskorides.
*) Wbllmanw, Sextius Niger, eine Quellen-
untersuchung zu Dioskorides, Herm. 24 (1889),
S. 530—69. Von anderen Botanikern gibt
Kunde Plinius n. h. 25, 8; s. Mbteb, Gesch.
der Botanik 1 250 ff.
862
Grieohuioh« LittoraturgMobiohte. UI. Anhang.
Wissenschaft in Bann gehalten,^) so dass es eines neuen Auüachwungs
der Botanik im 15. Jahrhundert bedurfte, um über die 600 Pflanzen des
Dioskorides hinüberzukommen. — Den fünf echten Büchern angehängt
fand bereits Photios cod. 178 als 6. und 7. Buch Uke^iqxxQfiaxa und ©r/^
axd, welche Sprengel dem jüngeren Dioskorides aus Alexandria zuweist.
Bezweifelt wird auch die Echtheit der dem Andromachos gewidmeten
Schrift Tiegi einoQiaxfov dnltav %€ xai avvd-ärwv ifaqftdxwv. Nur ein kärg-
licher Auszug aus Dioskorides und Stephanos ist das Lexikon nsQi q>a^
fxdxnav ifiineiQiag.
Erhalten ist daa Hauptwerk des Dioskorides durch viele alte Handschnften, von
denen am berühmtesten ist der mit Bildern versehene Codex der Joliana Anicia s. V,
welchen der Reisende Busbeg zu Eonstantinopel für Kaiser Maximilian II und die Wiener
BiblicÜiek erwarb; derselbe wird in phototypischer Reproduzierung erscheinen in der Lei-
dener Sammlung Codices Graeci et Lafcini von Sijtboff; vom hat derselbe eine TStel-
miniatur, darstellend Dioskorides u. Heuresis, wie in den Aratea des Germanicus in einem
Madrider Cod. ein Titelbild Aratos u. Urania, s. Bbths Rh. M. 48, 99. — Alte lat. Ueber-
Setzung in longobardischer Schrift, daher Dioscorides Longobardus, von Stadlkb, in Roma-
nische Forschungen X (1896) 181 ff. — Ausgabe von Spbihobl, Lips. 1829, als 25. n. 26.
Band der Med. graec. von Kühn.
649. Metrologen. Aus den Bedürfnissen der Ärzte sind grössten-
teils auch die uns erhaltenen Verzeichnisse von Massen und Gewichten
{ncQi fie'iQwv xai aiai^ndn) hervorgegangen. Zu einer förmlichen Wissen-
schaft ist die Metrologie bei den Alten nicht ausgebildet worden: man
hat weder den Ursprung und die Herkunft der Masse und Oeiinchte er-
forscht, noch die verschiedenen Masse in ein System gebracht; man hat
sich wesentlich damit begnügt zu praktischen Zwecken, für die Abwägung
der Arzneien und die Vermessung der Felder Verzeichnisse von Massen
und Gewichten aufzusteUen. Es ist daher auch von einer eigentlichen
Litteratur der Metrologie im Altertum kaum die Bede. Aber jene Ver-
zeichnisse sind für uns als Ergänzung der in Wirklichkeit erhaltenen
Masse und Gewichte von sehr grosser Bedeutung, weshalb in unserer Zeit
die Metrologen und vor allem der Hauptbegründer dieser Disziplin, Fr.
Hultsch, auch diese kleinen Denkmale der alten Litteratur zu sammeln
und erläutern begonnen haben.
Fa. HüLTSCH, Metrologorum ecriptorum reliquiae, Bibl. Teubn. 1864, 2 vol. — Padl
DB Laoabdb gibt den griechischen Text des Arztes AMcanus in den Symmicta I p. 210 bis
225, nnd ebenda II 149 — 216 eine Rttckübei'setzung des Epiphanios nBQi fterguy xai ataSfimv
aus dem Syrischen ins Griechische. - Pbbniob, Galeni de ponderibos et mensmis testimonia,
Bonn 1888 Diss.; von demselben eine neue Tafel des Diodoros n^qi üxa^fuär um
/ÄSTQwy, Rh. M. 44 (1889) S. 569 f., Nachträge zu den griechischen Metrologen aas arme-
nischen Handschriften yerOffentlichte Papadopulns Eerameus, '0 iy Ktjyct. kXXfjr, t^o-
Xoyixde (fvXXoyos t. XV, 1884.
2. Naturkunde und Landbau.
660. Die Medicin ist, wissenschaftlich betrachtet, nur ein Teil der
Naturkunde {(pv<nxjj). Aber während die Heilkunde infolge ihrer grossen
praktischen Bedeutung eine reiche Litteratur hervorgerufen hat, blieb die
Naturgeschichte bei den Griechen in den Anfängen stecken und spielte in
*) Für das 17. Buch der Origines des
Isidor, aus denen zumeist das lateinische
Mittelalter seine Kenntnisse schöpfte, war
der ins Lateinische ttbenetite Dioakorides
eine Hauptquelle, woraber Stadlbb, Archir
fQr lat. Lexik. X 403 ff.
A. FaohwiBBenaobaltliohe litteratnr. 2. Natiirlninde und Landban. (§§ 649—651.) 863
ihrer Litteratur nur eine ganz untergeordnete Rolle. Das lag in der
Richtung des griechischen Qeistes und des Altertums überhaupt. Die Grie-
chen hatten zwar Sinn für scharfe und klare Beobachtung der Aussenwelt,
aber die blosse Beobachtung erregte zu wenig ihr geistiges Interesse, und
das wiederholte Beobachten, um erst allmählich zu einem kleinen, schein-
bar bedeutungslosen Resultat zu kommen, war ihnen zu langweilig. Statt
auf diesem mühesamen Wege vorzugehen, wollten, sie gleich den Orund
der Dinge begreifen und aus wenigen Beobachtungen weittragende Schlüsse
ziehen. Das führte sie zur philosophischen Spekulation über die Natur,
ehe sie durch ausreichende Beobachtungen und experimentelle Proben den
Grund zu einem soliden Wissen gelegt hatten. Dazu kam, dass sie durch-
weg in ihrer Überschätzung der Rhetorik und Politik die Praktiker
und Handwerker über die Achsel anschauten und damit auch den von
jenen in der Praxis gemachten Naturbeobachtungen keine grosse Be-
achtung widmeten. So beobachteten sie wohl die Kraft des Magneteisen-
steins und übten auch in ihren Werkstätten das Legieren, Oxydieren,
Destillieren, aber sie errichteten keine Observatorien und Laboratorien
und erfanden nicht die Kunst, die Natur durch das Experiment zu be-
fragen. Auf solche Weise haben sie in der Naturbeschreibung nur wenig
geleistet und sind in der Naturerforschung nicht über voreilige Theoreme
hinausgekommen. Nur wo sich die Erscheinungen in eine höhere Formel
mathematischer Zahlenverhältnisse bringen liesen, wie in der Mechanik
und Astronomie, da hat auch schon bei den Griechen der mathematische
Scharfsinn glänzende Resultate des Wissens erzielt.
651. Waren so die Leistungen der Griechen in der Naturkunde schon
an sich klein, so sind dieselben noch weniger in die Litteratar eingetreten.
Nur Aristoteles und die Peripatetiker machten unter den griechischen
Schriftstellern eine rühmliche Ausnahme; selbst in Alexandrien, das sonst
so sehr die Wissenschaft begünstigte, beschäftigte man sich lieber mit
den kleinsten Quisquilien der Grammatiker als mit der Erforschung
der Naturreiche. In der römischen Kaiserzeit hat dann ein Römer,
der ältere Plinius, die Naturbeobachtungen und Erkenntnisse der
fi:tlheren Zeit in einem grossen encyklopädischen Werk Naturalis hi-
storia zusammengefasst, infolgedessen die Arbeiten der Griechen noch mehr
in den Hintergrund traten. Unsere Ernte ist daher auf diesem an und
für sich so grossen Gebiete eine sehr kleine. Das meiste ist obendrein
bereits früher von uns an anderer Stelle besprochen worden, so die Tier-
geschichte des Aristoteles, die Pflanzengeschichte des Theophrast,
die Wunderberichte der Paradoxographen, die Tiergeschichte des Aelian,
die naturgeschichtlichen Betrachtungen des Plutarch, die vir} lazQix/] des
Dioskorides. Von einzelnen Teilen der Naturkunde behandelten Dorion
(1. Jahrhundert v. Chr.),*) Sotakos, Sudines, Zenothemis, Haupt-
quellen des Plinius, die Steine,^) Krateuas, Zeitgenosse des Mithradates,
die Wurzeln (^iforojuiWr) , Alexander Myndios die Vögel.*) Der De-
mokriteer {llv&aydfsiog bei Suidas) Bolos aus dem ägyptischen Mendes
») Wellmawi Herrn. 23 (1888) 179 ff. j ») Wkllmanw Herrn. 26 (1891) 481 ff.
>) Odir in SuBemilil AI. Lit. I 680 ff. |
864
QriachMohe litteraturgMohiohta. IIL Anhang.
(sicher vor Columella, der ihn de agric. VII 5, 17 citiert, wahrscheinlich
Zeitgenosse des Eallimaehos) zog den alten naturkundigen Philosophen
Demokritos wieder hervor, indem er ihm zugleich nach der Art der neu-
pythagoreischen Schwindler ein neues Buch von den geheimen Natur-
kräften tk-qI avfinad^tfdv xal avTiiiad^enov unterschob. Ein solcher Traktat
ist uns noch erhalten unter dem Namen des Neptunalios, der im
2. Jahrhundert n. Chr. lebte und ^Pwnxä im phantastischen Sinn seiner
Zeit schrieb (ed. GemoU, Striegau Progr. 1884). Eine allgemeine Samm-
lung der Fragmenta scriptorum rerum naturalinm, wie wir solche von
den Historikern, Geographen und Philosophen haben, hat noch niemand
unternommen.
Lbnz, Zoologie der alten Griechen und ROmer, Gotha 1856. — Gabus, Geschichte der
S^ologie bis auf J. Müller und Darwin, in der Sammlung, Geschichte der Wissenachafteo,
München 1872. - E. Meybb, Geschichte der Botanik, Königsberg 1854. — Lbkz, Minera-
logie der alten Griechen und ROmer, Gotha 1861.
662. Geoponiker. An die Naturkunde schliesst sich die Lehre
vom Landbau an. Dieselbe wurde von den Griechen der klassischen Zeit
als ein Teil der Ökonomik betrachtet. Demgemäss berücksichtigten die
Hauptvertreter dieser im übrigen von den Alten stark vernachlässigten
Wissenschaft, Xenophon und Aristoteles in ihren Otxovofuxd auch die
Landwirtschaft. Grössere Aufmerksamkeit wandte man der Lehre von
dem Landbau in der alexandrinischen Periode zu. Varro de re rust. 1 1, 8
zählt 50 Schriftsteller auf, darunter zwei Könige, Hieron H und Attalos
Philometor, welche über Landbau und Verwandtes, wie Bienenzucht und
Gartenbau, geschrieben hatten. Gegen Ende der alexandrinischen Periode
verfasste ein gewisser Gassius Dionysius ein grosses Sammelwerk, in
dem er zunächst eine Uebersetzung des Karthagers Mago über Ackerbau
und dann Auszüge aus den griechischen Geoponikern gab. Die umfang-
reiche Encyklopädie brachte Diophanes aus Bithynien für König Deio-
tarus in einen Auszug von 6 B., welchen Auszug dann wieder der Sophist
Asinius PoUio aus TraDes um 100 n. Chr. in 2 B. zusammenzog.^) —
Die Schriften der griechischen Geoponiker des Altertums sind sämtlich
verloren gegangen; wir haben nur aus dem Mittelalter Reste dieser Lit-
teratur. Es ist uns nämlich eine Ekloge von Werken über Landbau,
Geoponika in 20 B., erhalten, welche nach dem voranstehenden Widmungs-
schreiben durch den Kaiser Konstantinos Porphyrogennetos im 10. Jahr-
hundert veranlasst wurde. In einer der Handschriften jenes Sanunei-
werkes, dem Cod. Marcianus 524, wird als geistiger Vater desselben
Kaaatavoq Bdaaog axoXaarixoq genannt; es ist dieses aber nicht der ober-
flächliche und lüderliche Schreiber, welcher das Buch für die Exzerpten-
sammlung des Kaisers Konstantin herrichtete, sondern ein älterer, ge-
lehrterer und sorgfilltigerer Schriftsteller, der im 6. Jahrhundert*) aus zahl-
reichen Schriften der besseren Zeit das Werk zusammengestellt hatte. Eine
1) Oder in Sasemihls AI. Lit. I 829 ff.
*) Dahin weist der Name axoXaoxinog
„Sachwalter*, der, wie Oder, dem wir die
Aufkl&nmg dieses ganzen Sachverhftltnisses
verdanken, im Rh. M. 48, 32 nachweist, im
6. Jahrh. ausserordentlich hftufig war, nach
Kaiser Heraclius (t 641) aber anderen Be-
nennungen Platz machte.
A.FaohwiMeiuichaftlioheLitteratiir. 8.][athematik6rn.ABtronomen. (§§652—658.) 865
seiner Hauptquellen war das ältere Exeerptenwerk des Vindanios Ana-
tolios aus Berytos,^) der auf Anregung des Kaisers Julian die Schriften
über Landwirtschaft') zu einer Svvaywyrj yBdoqyixiüv iniTTjäevficcroov in 12 B.
vereinigt hatte. ^)
AnBgabe der Greoponika von Nbbdham, Cantabr. 1704; von Niolas, 4 Bde, Lips. 1781;
kritische Ausgabe mit Beoatzang der syriscliei] Uebersetzong von H. Bkokb, Bibl. Tenbn.
1895; dazu die Vorarbeit De Geoponicorom codicibns, in Acta sem. Erlang. IV 261 ff. — Die
syrische (unyollst&ndige) üebersetzimg des Vindanios ist herausgegeben von P. de Lagabde,
Geoponicomm in sermonem Syriacum versomm quae supersunt, Lips. 1860. Ueber diese
syrische üebersetzung des Sergios und die danach gemachte arabische von Eosta s. Baük-
STABK, Lucubrationes Syro-Graecae, in Jahrb. f. Phil. Suppl. XXI 384 ff. Ueber eine arme-
nische Üebersetzung, veröffentlicht von den Mechitaristen 1877, s. Bbockblmakn in Byz.
Zeitschr. V 385 ff.
8. Mathematiker und Astronomen.^)
653. Die ersten Anregungen zu mathematischen Studien empfingen
die Griechen von den Ägyptern, von denen uns ein Rechenbuch mit ein-
fachen und trigonometrischen Aufgaben aus dem 3. Jahrtausend v. Chr.
erhalten ist Bei den Griechen, die rasch über die erstarrte Kunst der
Ägypter hinausgingen, beschäftigten sich mit mathematischen Problemen
zuerst die Philosophen Thaies und Pythagoras.*) Auch in der Akademie
stand die Mathematik in hohen Ehren: dem, der nicht Geometrie ver-
stand, war der Eingang in die Akademie verwehrt. Nur Aristipp und die
Eyniker trugen in ihrer niederen Gesinnungsart Verachtung der Mathe-
matik zur Schau. Auch brachte schon die klassische Zeit bedeutende
Mathematiker hervor, wie den Geometer Theodoros, den uns Piatons
Theätet kennen lehrt, den Chronologen Meton, der in seinen Zeitberech-
nungen sich bereits der Sonnenuhr bediente, den Pythagoreer Archytas,
den Diogenes 8, 83 Begründer der Mechanik nennt. Der angesehenste
war Eudoxos aus Enidos,^) der neben Piaton in der Akademie lehrte
^) Gegen dessen Identifizierong mit dem
in den Briefen des Libanios vorkommenden
gleichnamigen Juristen aus Berytus erklärt
sich Odbb Rh. M. 45 (1890), 95.
') Ausgezogen waren: Ps. Demokrit, die
yBtoQyixd ßißXia des Pamphüos, die xsütol
des Africanus, die yetagyixd des Morentinus
(aas der Zeit des Kaisers Severus), die Ency-
klopädie des Apuleius, Tarentinus, Leo, Valens;
B. Odeb, Beiträge zur Geschichte der Land-
wirtschaft bei den Griechen, Rh. M. 45 (1890),
58—99. 212—222 und 48 (1893) 1—40.
*) Einen Auszug gibt Photios cod. 163;
fiber seine Person und die Anlage seines
Werkes handelt Gbmoll, Untersuchungen
fiber die Quellen, den Verfasser und die Ab-
fassungszeit der Geoponika, BerL 1883, in
Berliner Stud. I 221 ff.; Krumbagheb, Byz.
Lit« 262 f.
^) Veterum mathematicorum opera omnia
ed. Theyenot, Par. 1693; Opera mathematica
ed. Wallis, Oxon. 1699, 4 vol. — Urano-
loginm sive systema variorum autorum qui
de sphaera sc sideribus eorumque motibus |
Haadtrach der klaai. Altertumswiaaenachaft. YII. 3.
graece commentati sunt. Gemini, Achülis
Tatü, Hipparchi, Ptolemaei, cura Dion. Pbtayii,
Par. 1630, Amstel. 1703. — Dblambbe, Hi-
stoire de l'astronomie ancienne, Paris 1817. —
Cai^tob, Vorlesungen über (jreschichte der
Mathematik P 1894. — Martin, Astronomie
grecque et romaine, Paris 1875. — Tannery,
La g^ometrie grecque, Paris 1887.
^) Ueber die ältere Geschichte der Mathe-
matik verdanken wir sehr willkommene An-
gaben dem Kommentar des Proklos zu Euklid
p. 19 ed. Bas., der selbst wiederum aus des
Eudemos retofÄSXQixi] UsxoQia schöpfte.
«) Ueber Eudoxos s. Böckh, Kl. Sehr, m
343 ff.; Ukgeb Phiiol. 1891 S. 291 ff.; Maass,
Aratea, p. 281—304. Eutokios (6. Jahrh.) zu
Archimedes, De sphaera et cyl. II 2 kannte
noch die mathematischen Schriften des
Eudoxos. Ein stark interpoliertes Stück der
Evdo^ov tex^T] veröffentlichten aus einem
Pariser Papyrus Bbunet de Pbbsle, Notices
et extraits t. XVIII pl. 1—5; vgl. Wachs-
HUTH, Lydi de ostentis et calendaria graeca
p. 272 — 5. Ueber die Verwechselung des
Aufl. 55
866
Qiieohis^he Litteratiirg^Mliiohte. IIL Aiüiang.
und als der grösste Astronom seiner Zeit galt; sehr verbreitet war seine
Oktoeteris, ein Kalender mit Witterungsangaben; seine Bücher Phaino-
mena und Enoptron lagen den Phainomena des Arat zu gründe. Die Sphären-
theorie des Eudoxos verbesserte bald nach ihm der Astronom Eallippos,
über dessen Verhältnis zu Eudoxos uns hauptsächlich Aristoteles Met
IX 8 und des Simplicius Scheuen zu Arist. de coelo 11 12 unterrichten. ^
Einen höheren Aufschwung nahmen die mathematischen Disziplinen unter
den Ptolemäern; auch sind uns erst aus dieser Zeit vollständige Werke
erhalten.
654. Autolykos (um 310) aus Pitane im äolischen Eleinasien,
Lehrer des Akademikers Arkesilaos (Diog. 4, 29), ist der älteste der uns
erhaltenen Mathematiker. Auf uns sind von demselben zwei kurze astro-
nomische Schriften gekommen: ne^i x^vovpiävrjg cqiaiqaq (über rotierende
Kugel) in 1 B. und nsqi imtoX^v xal ivtrswv (über Auf- und Untergänge
der Fixsterne) in 2 B. In denselben steht eine Anzahl von Definitionen
{oQot) der Hauptbegriflfe voran und werden dann die Beweise der Sätze
{rr^oTMeig) in bündiger Klarheit entwickelt. Kritische Ausgabe von
Hultsch in Bibl. Teubn. 1885.
655. Euklid {EvxkeiSrjg), nach den einen aus Gela, nach den andern
aus Tyrus, blühte unter Ptolemäus Lagi und lehrte in Alexandria. *) Das
berühmteste Werk desselben, das lange Zeit bei den Griechen und Arabern
dem Unterricht in der Geometrie zu grund gelegt wurde und durch die
lateinische Übersetzung des Boetius auch im Abendland Verbreitung
fand,') sind die SroixeTa (Elementa) in 18 B. Denselben ist als 14. und
15. Buch ein Anhang angefugt, von dem der erste Teil (14. B.) von
Hypsikles aus Alexandrien (vgl. § 658), der zweite (15 B.) von einem
Schüler des im 6. Jahrhundert lebenden Mechanikers Isidoros Milesios
herrührt. — Das zweite Hauptwerk des Euklid sind die Jsdoiiäva (Data),
eine Art von Einleitung in die geometrische Analysis, die zusammen mit
der Einleitung des Philosophen Marines (vgl. § 624) und reichen Scholien
auf uns gekommen sind. — Ausserdem schrieb Euklid 'O/rrixa, die uns in
einer doppelten Rezension erhalten sind. Später ward die Optik des
Euklid zusammen mit den JsSofiäva, den ^aivofieva und den wahrschein-
lich von dem Erklärer des Euklid, Theon, zugefügten KaTonvQixd^) in den
sogenannten imxQog MtQovovfievog aufgenommen, welcher der fieydli] avr-
rcc^ig des Ptolemaios gegenübergesetzt wurde. ~ Endlich haben wir von
Euklid noch eine Einteilung des musikalischen Kanon {xaraTOfiij xccvörog]^
Astronomen Eudoxos mit dem gleichnamigen
Verfasser der geographischen Jlsgiodoi yijs
B. oben § 406.
') Martin, Memoire sur les hypotheses
astronomiques d'£udoxe, de Gallippe, d'Aii-
stote, Paris 1880; darüber referiert Hultsoh,
Jahrber. d. Alt. XII 3, 50 ff.
') Berühmt wurde der Aussprach des
Euklid an Ptolemaios: /jirj elvai paciUittjv
nx^anov TtQog ystofiex^lav,
•) üeber eine filtere lateinische üeber-
setzimg, von der Reste in einem Yeroneser
Palimpsest n. 40 erhalten, siehe Heibeso
Ausg. V prol. XCIX.
^) Dass die Eatoptrik, die Plnoklos noch
nicht kennt, nicht yon Euklid selber her
rührt, beweist Heibkbo, Literargeschichtliche
Studien zu Euklid p. 151 und Ausg. Vü
prol. XLIX. Man unterschied aber im Alter-
tum und Mittelalter 8 Teile der Optik, die
Optik im engeren Sinn, die Eatoptrik, unserer
heutigen Dioptrik vergleichbar, und die «0^
y^atfia oder ffxtjroygaipia.
A.Fac]iwi«ieiuichaftlio]ieLitieratiir. 8. Mathematiker n.ABtronomen. (§§654—656.) 867
oder die Intervalle der diatonischen Skala auf Grund der Beobachtungen
des Pythagoras. — Die zwei Bücher Tonoi nQog imipavedf, welche Pappos
7, 3 noch las, sind verloren gegangen; ebenso die Koonxd und üoQiaiiaTa
und das Buch ns^l diai^äasiovA) Die EhayfOYV ^Ql^oviictj trägt fälschlich
den Namen des Euklid ; sie rührt von einem Schüler des Aristoxenos her,
vielleicht von Eleonides, der in einigen Handschriften als Verfasser ge-
nannt ist.')
Godd. haben wir von Euklid, dem vielgelesenen Autor, sehr viele und sehr alte ; die
meisten gehen, z. T. nach ausdrücklicher Vormerkung, auf die Recension des Mathematikers
Theon zurück {anS rtjs Bitavog ixdoaeoig); einer, der Yatic. gr. 190 s. X (P), den zuerst
Peyrard in der Pariser Ausgabe 1814 hervorgezogen hat, enthält die vortheonische Re*
cension.
Hanptausgabe mit kritischem Apparat und lateinischer Uebersetzung von Heibebo u.
Menge, in Bibl. Teubn. 1883—96, 7 Bde; über die früheren Ausgaben s. Heiberg Y prol.
c. lY sqq.; Euclidis elementa ed. August, Berl. 1826. — Kommentar des Proklos zum 1. Buch
der Elemente von Fbibdliin, 1873; Scholia zu den Elementa in Ausgabe von Heiberg t. Y,
zu den Data t. YI. — Hbibbbo, Litteraturgeschichtliche Studien über Euklid, Leipz. 1882.
Ich füge hier gleich in Ergänzung zu Euklids Optik an die KetpccXaia rtov onxixiay
v7io&i<f€wy von Damianos, dem Sohne des Heliodor aus Larissa, aus der Zeit nach dem
Kaiser Tiberius.') Dieselbe ist in der Pariser Ausgabe des Bartholinus 1657 zusammen mit
zwei fremdartigen Bestandteilen, einem dürftigen Excerpt aus einer anderen optischen
Schrift (des Geminus, nach Schöne) und einer Auswahl aus der Euklidischen Optik, in
2 B. herausgegeben; das 1. Buch allein nach kritischer Prüfung und mit handschriftlichem
Apparat von R. Schöne, Damianos Schrift über Optik, mit Auszügen aus Geminos, griech.
a. deutsch, Berl. 1897.
Ein neues Bruchstück einer Optik publiziert aus einem Pariser Papyrus Wbssbly
Wien. Stud. Xm (1891) 312 ff.
666. Archimedes (287— 212), Sohn des Astronomen Pheidias, hatte
das dorische Syrakus zur Heimat, machte aber seine Studien in Alexan-
dria, wo er mit den berühmten Mathematikern Eonon und dessen Schüler
Dositheos in nähere Beziehung trat.^) Den Tod fand er im Jahre 212
bei der Einnahme seiner Vaterstadt, angeblich durch einen rohen römi«
sehen Soldaten.^) Seinen Namen hat er unsterblich gemacht durch die
glänzenden Erfindungen in der Mechanik, mit denen er auch lange die
Belagerungsversuche der Römer vereitelte. Aber auch um die Wissen-
schaft der reinen Mathematik hat er sich hervorragende Verdienste er-
worben durch die Kreismessung, ^) die Kugel- und Cylinderberechnung ')
u. a. Die von ihm erhaltenen Schriften sind : negl aipaiQccq xai xvXivdqov
2 B., xvxXov fiezQTja^g^ n€Ql inmädwv hoqqonioSv (vom Gleichgewicht der
Flächen oder Grundzüge der Statik 2 B.), negii xwvoeidäwv xai affaiQosi-
1) GüKTHBB, Handb. d. kl. Alt. V 33.
») C. V, Ja», Die Harmonik des Kleo-
nides, Landsberg a/W. 1870.
*) Erwähnt ist c. 2 der Kaiser Tiberins
als Nachtseher: x6 xivaq xai rvxrtoQ 6q«v
ovdir reSv e^to&ey n^oc&BOfjtivovg ipioTog; olog
ixBiyog 6 Tiß^Qhog yiyovBV 6 'Vtafjiaiojy ßaat-
XsvS' Ben Geometer Heron citiert Damia-
nosc. 14. Vgl. Sneton Tib. 68.
*) In Aegypten erfand er die Wasser-
schraube, Jiyvntiftxog xoxXias, nach Diodor
V 37 3.
») Livins 25, 31; Plut. Marc. 19. üeber
sein Grabdenkmal bei Syrakus s. Cicero,
Tuscul. V64.
^) Die Peripherie des Kreises bestimmte
er auf mehr als 3*®/?! und weniger als 3**'/'/o
Diameter.
^) Zum ehrenden Andenken dieser Er-
findung war auf sein Grabdenkmal, das Cicero
(Tuscul. y 23, 64) als Quästor Sikiliens wieder
aufrichten liess, eine von einem Cylinder um-
schriebene Kugel gesetzt. — Berühmt ist auch
seine Bestimmung des spezifischen Gewichtes
einer für König Hieron verfertigten Krone,
um nachzuweisen, in welchem Yerhftltnis in
jener Krone Gold und Silber gemischt seien;
vgLVitruv rX praef.; Plutarch Mor. 1094 b.
Berühmt auch sein Ausspruch cfoV f^oi ndg
(fTü) xai xiytö Jtjy ytjy.
55*
868
Chrieohisolie litteratiirgMohiohte. HL Anhang.
Jäav, 71€qI eUxfav (von den Schneckenlinien oder Spiralen), tpafifUTrfi (Sand-
berechnung oder von den höheren über 10,000 (ßvQiot) hinausgehenden, in der
Sprache nicht ausgedrückten Zahlen), rsTQaywvuffiog naQaßoXrjg (Quadratur
der Parabel), ne^l twv oxovfiävwv (von den schwimmenden Körpern, Hydro-
statik), i) Die letzte Schrift existiert, von kleinen Fragmenten abgesehen,
nur noch in der lateinischen Übersetzung von Tartalea.') Nur durch eine
arabische Übersetzung ist der nur zum Teil auf Sätze unseres Mathematikers
zurückgehende Liber assumptorum auf uns gekommen. Der ursprüngliche
dorische Dialekt der Schriften des Archimedes ist bei den beiden ersten,
am meisten gelesenen Werken ganz verwischt, bei den andern aber ziem-
lich gut erhalten. >) Zu den Schriften in Prosa kommt noch ein Rätsel
in Distichen über die Rinder des Helios {nQoßXrjfia ßoeixov, problema ho-
vinum), das Archimedes dem alexandrinischen Grammatiker Eratosthen^
zum Lösen aufgab.^)
HanptauBgabe mit kritischem Apparat (der älteste Codex Yallae ist inzwischen Te^
loren gegangen) von Hbibebo, in Bibl. Tenbn. 1880, 3 vol. — Heibebo, Quaestiones Archi-
medeae, Eopenh. 1879; Studien zn griechischen Mathematikern, Jahrb. f. Phil. Snppl. XIII
542—577. — Zu den drei an erster Stelle aufgefOhrten Werken ist uns auch ein alter
Kommentar von Gutokios, einem Mathematiker aus der Zeit Justinians, erhalten, üeber
diesen Eutokios, Schüler des berOhmten Architekten Isidor unter Justinian s. Heibrbo,
Philol. Stud. zu den griech. Mathematikern in Jahrb. f. Phil. Suppl. XI 357 ff.
667, Apollonios von Perge in Pamphylien, der um 200 v. Chr. in
Alexandria und Pergamon thätig war, ^) ist Verfasser des berühmten Werkes
über die Kegelschnitte (Ellipse, Parabel, Hyperbel), Kwvixd (stil. frvoix^ta)
in 8 B., wovon die vier ersten im griechischen Original mit einem Kom-
mentar des Eutokios und den Hilfssätzen (A?;ju/iaTa) des Pappos, die drei
folgenden in arabischer Übersetzung auf uns gekommen sind. Apollonios
war nicht der Entdecker der Kegelschnitte; schon 100 Jahre vor ihm
hatten Aristaios der Ältere und Euklid von den Kegelschnitten gehandelt;
aber Apollonios hat durch seine scharfsinnigen Berechnungen alle froheren
Arbeiten in Schatten gestellt; weshalb er schon von den Alten der grosse
Geometer genannt wurde. Von seinem berühmten Hauptwerk veranstaltete
er selbst eine zweite verbesserte und erweiterte Ausgabe. Ausserdem
hat sich von Apollonios ein Buch tvsqI Xoyov dTvorofArjg in arabischer, von
Halley ins Lateinische übertragenen Übersetzung erhalten. Die zahl-
reichen anderen Schriften des genialen Meisters, darunter auch der arith-
methische Schnellrechner {(oxvtoxiov) und eine astronomische Schrift über
den Stillstand und die rückläufige Bewegung der Planeten, sind ganz ver-
loren gegangen.
^) Andere Schriften sind verloren ge-
gangen, wie negl ^vywyj xaxonxqtxa, atpai^go-
noita.
^) Den Versuch einer Rückflhersetznng
machte Heibeeo, M^l. Grauz p. 689—709.
") Hbibbro, Ueher den Dialekt des Archi-
medes, Jahrh. f. Phü. Suppl. XIII 542—566.
Anstoss erregen die Üherlieferten Donamen
a/AMvs (gegenüber lat. semis) und irxi = ian,
in welch letzterer Form sich die Hand-
schriften des Archimedes mit denen des Theo-
krit begegnen.
*) Ueber die oft behandelten Zweifel an
der Echtheit Eeumbibgel und Aitteob, Das
Problema bovinum des Archimedes, Ztschr.
f. Math., bist. Utt. Abt. XXV, 121 fif. Das Ge-
dicht wurde von Lbssikg in einer Wolfen-
bUUeler Handschrift aufgefunden und 1773
zum erstenmal ediert
*) Dem König Attalos I (247-197) hat
er das 4. Buch seiner Konika gewidmet
A.FaoliwiMeiiaohaftlioheLitt6ratiir. 8.Mftihemfttikera.A8troiiomeii. (§§657—660.) 869
Ausgabe von Hallbt, Ozoil 1710; von Hbibbbg in Bibl. Teubn. auf Gnmdlage des
cod. Vat. 206, Ups. 1888—93; Zbuthen, Die Lehre von den Kegelschnitten im Altertum,
Kopenhagen 1886.
658. Hypsikles aus Alexandria, den man früher in die Zeit der
Antonine setzte, der aber nach Friedleins Nachweis^) nicht lange nach
Apollonios um 170 v. Chr. lebte, hat den schon erwähnten Nachtrag zu
Euklids Elementen verfasst. Von demselben rührt auch der sogenannte
Xiyoq äva^oQixog über das Aufsteigen der Gestirne in der Ekliptik her,
in welcher Schrift zum erstenmal sich der Kreis in 360 Grade eingeteilt
findet.
Der Xoyog äyagfOQucos neubearbeitet von Manitius, Dresden 1888, Programm der
Kreuzschule.
Diokles, der Erfinder der Kissoide (Epheulinie) aus unbestimmter Zeit hat diese
seine Entdeckung in einem Buche ne^l nvgitay (Brennspiegel) niedergelegt, das noch
in arabischer Uebersetzung handschriffclich (cod. Escorialensis 955) vorhanden ist.
659. Aristarchos von Samos (um 280 v. Chr.),^) Schüler des Peri-
patetikers Straten, ist in der Geschichte der Astronomie dadurch bekannt,
dass er zuerst die dann an 2000 Jahre wieder ruhende Entdeckung ge-
macht hat, dass sich nicht die Sonne um die Erde, sondern die Erde um
die Sonne und zugleich um ihre eigene Achse dreht. >) Durch diese Lehre
zog er sich von Seiten des Stoikers Eleanthes den Vorwurf der Gottlosig-
keit zu, wie ähnliches und schlimmeres dem grossen Entdecker Galilei
von Seiten der Theologen begegnet ist. Auch einen verbesserten Gnomon
(Sonnenuhr), das sogenannte Skaphion,^) eine hohle Halbkugel mit einem
Deuter {yvwfAfov) in der Mitte zur Messung der Sonnenhöhe durch den
Schatten nach den auf der Halbkugel angebrachten Teilungslinien, soll
er erfunden haben. Auf uns gekommen ist von ihm nur eine einzige Ab-
handlung ncQl fAcye^äv xal cmaatrificctwv jqUov xal asXrjvrjq^ die in das
kleine astronomische Lehrbuch {iiixQoq MTQovovfievog) der Alexandriner
Aufnahme gefunden hatte (Pappos VI 554 — 68).
Aristarchi Samii de magnitudine et disLantia Solis et lunae, ed. Wallis, Ozon. 1699.
Neue Ausg. von db F(obtia d'Ubbah), Paris 1810; von Nizzb, Stralsund 1856.
Seleukos von Seleukia hat die Theorie des Aiistarch von der Bewegung der Erde
und der Planeten um die Sonne weiter ausgebildet, indem er zugleich in einer Schrift gegen
den Grammatiker Erates von Mallos die Erscheinungen der Ebbe und Flut mit der Stellung
des Mondes zur Erde in Verbindung setzte. Aber ausser gelegentlichen Anführungen ist
uns von diesem erfindungsreichen Kopfe nichts erhalten.
660. Hipparchos aus Nikäa in Bithynien war der gefeiertste Astro-
nom des Altertums^) und zugleich Begründer der Trigonometrie; er lehrte
in Rhodos und Alexandria und blute, nach den von ihm angestellten Beob-
tungen zu schliessen, um 160—125 v. Chr. Seinen Ruf erwarb er sich
durch Erfindung vollkommenerer Instrumente, Abfassung eines Sternkata-
*) FBiBDLBDf, De Hypsicle mathematico,
in Bull. Boncampagni YI 498—529.
'j Im Jahre 281/80 stellte Hipparch eine
Beobachtung des Sonnensolstitiums an.
») Flut, de fade c. 6; Diog. Vü 174;
Aichimedes in der Sandrechnung. Hinge-
worfen war der (bedanke schon von Hera-
kleides Pontikos; s. Bebok, Fünf AbhdL zur
Philos. u. Astron. S. 189—171; Hültsoh, Das
astronomische System des Herakleides von
Pontos, in Jahrb. f. cl. Phü. 1896 S. 305 ff.;
SoHiAFABBLLi, Como i Groci arrivarono al
primo concetto del sistema planetario elio-
centrico, Atene-Roma, 1898 n. 2.
*) So benannt im Gegensatz zur grossen
Syntazis des Ptolemaios.
>) Bei Plinius h. n. TL 26, 95 heisst er:
Hipparchus nunqitam satis latidatus, ut gMO
nemo moffis adprobaverii eognatUmem cum
Kamine siderum animasque nostrae partem
esse caeli.
870
Grieoliuohe Litteimtiirgeaohiohie. m. Anhang.
loges mit 1080 Sternen, Entdeckung des Vorrückens der Nachtgleichen
(in 100 Jahren nur ein Grad); mit Hilfe der Trigonometrie berechnete
er die Parallaxe der Sonne und die Entfernung derselben von der Erde
(1200 Erdradien). Von seinen zahlreichen Schriften ist vollständig nur
eine Jugendschrift, tdv 'Aqotov xal EiSo^ov (paivo^itvoav i^rjyijiTfig in 3 B.
auf uns gekommen. Ausserdem hat uns Ptolemäus Synt. VII 5 sein Stern-
verzeichnis (ixv^etng MreQKffAcov rj 71€qI rdv änXavwv avayQafpai) erhalten^)
und kennen wir aus dem zweiten Buch des Strabon seine Kritik der
mathematischen Geographie des Eratosthenes. — Schüler und Erklärer des
Hipparch war Serapio aus Antiochia, der zur Zeit Giceros lebte und den
Plinius in den Büchern II. IV. V seiner Naturgeschichte benutzte.
661. Etesibios von Alexandria war Begründer der Mechanik und
wandte bereits diese Wissenschaft auf dasjenige, was in jener Zeit der
Eroberungen die Mächtigen der Erde am meisten interessierte, die Er-
findung und Verbesserung von Kriegsmaschinen an. Er war der Erfinder
grosser Wurfgeschosse, welche durch komprimierte Luft in Bewegung ge-
setzt wurden (Philon Belop. 77), und eines mechanischen Apparates, um
ohne Sturmleitern eine Mauer zu ersteigen (Athen, mechan. 29, 9 W.). Er-
halten hat sich von seinen Werken nichts. Seine Lebenszeit bestimmt
sich daraus, dass ihn der Epigrammatiker Hedylos bei Athen. 497 d als
Erfinder eines Trinkhorns im Tempel der Arsinoe preist. Danach lebte er
unter Ptolemaios Philadelphos ') und muss, wenn nicht eine Verwechselung
vorliegt, verschieden gewesen sein von dem Bader Ktesibios, der nach
Athen. 174<^ unter Euergetes II die Wasserorgel erfunden haben soU^)
{ydqavXog).
662. Heron von Alexandria,*) Schüler des Ktesibios, blühte im
2. Jahrhundert v. Chr.*) und war einer der vielseitigsten Mathematiker der
Griechen. Vorzugsweise galten seine Studien der Geometrie und der damit
verbundenen Vermessungskunde (Geodäsie), ausserdem der Optik und Me-
chanik. Erhalten haben sich von geometrischen Werken: "Oqoi t^v yew-
fACTQtag ovofAOTooVy^) recofjiergotfAevay Ehaydayai %wv CT€Q€oii€tQovfX€vm%\ woran
sich die geodätische Schrift nsqi diomQug (eine Art von Theodolith) an-
>) Die Origmalschrift des Hipparch unter
dem lateinischeD Titel de magnitudine et posi-
tione inerrantium stellarum {ne^ f^yi&ovi
xal jd^etoe xtay anXaytav aaiigtoy) liegt auch
den lateinischen Ezcerpten zu grund, welche
Maass Aratea = Philol. ünt. XII 375 f. aus
Baseler Handschriften veröffentlicht hat
*) Zu dieser Zeit stimmt auch die Be-
ziehung des Etesihios zu dem Epikureer
Anaxarchos, worüber J. Bebnats Ges. Abh.
I 128.
•) Da andere wie Vitruv IX 9, 2 und
Trypho bei Athen. 174 e den Mechaniker
Ktesibios zum Erfinder der Wasserorgel
machen, so ist vieUeicht Euergetes U (145
bis 116) mit Euergetes I (247-21) verwech-
Ä 196 ®^*""^^ ^- ^*- I "^^ »»*^ 746
*) Mabtin, Recherches sur la vie et les
ouvrages d'Höron d'Alex.» Par. 1854; Gastob,
Gesch. d. Math., Kap. 18 u. 19, Die rOmiachen
Agrimensoren, Leipz. 1875 S. 1—63. Unter-
schieden werden drei Heron, unser Heron
Otesibii, Heron der Lehrer des Proklos
(5. Jahrb.), der Byzantiner Heron.
^) Die umstnttene Lebenszeit des Heron
hängt von der des Ktesibios ab, wor&ber za-
vor § 661 gehandelt ist
•) CüRTZB, Jahrber. d. Alt XH 3, 28 be-
richtet: Tannkby, L'arithmetique des Grecs
dans H^ron d'Alez. zeigt, dass der Verfi^ser
der sogenannten Definitionen nicht der Ale-
xandriner Heron sein kann, da danmier
solche aufgenommen sind, welche nachweis-
lich Eigentum des Poaidonius sind.
A^FftohwiMBiuoliamiolieLitteratiir. 8. Mathematiker «.ABtronomen. (§§661—663.) 871
reiht. ^) Aus der Geometrie und Geodäsie unseres Heron ist der mit fremden
Zusätzen durchsetzte Traktat negl fiävQoov ausgezogen. Umfangreiche Bruch-
stucke von Herons Mechanik fQllen das 8. Buch des Pappos. In das Ge-
biet der Mechanik gehören auch die kriegswissenschaftlichen Schriften
unseres Autors: BeXonoU'xd (vom Qeschützbau), BaXiaxQag xataaxsvr^ (An-
fertigung der Handschleuder), ferner BaQovXxog (von der Hebewinde, ein
Bruchstück), IIvevfAatixd (von den Druckwerken, darunter auch Feuer-
spritzen),^) ncQt avTOfAaronoirjTixwv (von den von selbst sich bewegenden
Maschinen). Das der Optik angehörige Werk KaTontQMf] ist nur durch
die lateinische Übersetzung des Wilhelm von Mörbecke unter dem falschen
Titel Ptolemaeus de speculis auf uns gekommen.
Heroiiis geometriae et stereometriae reU. ed. Hültboh, Berol. 1864. — Heron negl
dionr^s von Vincent, Notices et extraits t XIX, Par. 1858. — Herons Fragmente der
Mechanik von Hültscb, Comment. in honorem Mommseni p. 114—124. — W. Schxidt, Das
ProOmium der Pneumatik des Heron von Alexandrien, mit kritischem Apparat, Braun-
schweig 1894, Progr. No. 692. — Die Schrift negl fA^xQioy in Hültoob's Metrol. Script.,
ups. 1864. — Die kriegswissenschaftlichen Werke hei Theyenot, Mathem. vet — Die
Katoptrik des Heron in latein. üehersetzung heraosgegehen von Yal. Rose, Anecd. gr. II 290
n. 317—386. — Yiot. Pboü, La chirohaüste d'H^ron d'Alez., Notices et extr. 26, 2 (1877).
Geminus aus Rhodos ist Verfasser der EUrayiayfj eis zd q>my6fi€ya, einer £r-
Unterongsschrift zu den Phainomena des Arat (§ 367). Seine Zeit ward nach der Angabe
aber das Isisfest c. 6 von Petayius und Böckh (Ueber die vierjährigen Sonnenkreise der
Alten S. 203 f.) auf 73—70 v. Chr. berechnet. Nach Simplicius zu Allst. Phys. II p. 291, 11
ed. Diels und nach Priscianus philosophus p. 553 ed. Did. schrieb Geminus auch eine Epi-
tome der Meteorologika des Stoikers Poseidonios, die jedoch Blass, De Gemino et Posidomo,
Kiel 1883, mit guten Gründen fOr eine Schrift h< mit jenem, hauptsächlich auf Posei-
donios fnssenden Kommentar zu den Phainomena. üeber andere maÜLematische Schriften
des angesehenen Mathematikers s. Max C. P. Schmidt Philol. 45 (1886) 63—81; Tittel, De
Gemini stoicis studüs mathematicis, Leipz. Diss. 1895.
Karpos aus Antiochia, der von den einen (M. Schkidt Philol. 45 (1886) 72) nach,
von andern (Tittel, PhiloL-hist. Beitr. zu Ehren Wachsmuths, 161 ff.) vor Geminus gesetzt
wird, hatte als praktischer Mechaniker und Yerfertiger von Astrolabien einen Namen; doch
haben sich von seiner aaxQoyofi^xtj ngay/iareia nur wenige und unbedeutende Fragmente
erhalten.
663. In der römischen Periode ist auch auf dem Gebiete der Mathe-
matik und Astronomie die Selbständigkeit der Forschung zurückgegangen;
erst gegen Ende des Altertums erfolgte in Alexandria ein neuer Aufschwung.
Den bedeutendsten Astronomen der Eaiserzeit Ptolemaios haben wir
bereits oben § 498 besprochen. Ausserdem haben wir aus den ersten
Jahrhunderten unserer Aera von Menelaos aus Alexandria (unter Traian)
Sphairika in lateinischer Übersetzung; von dessen Zeitgenossen Theo-
dosios aus Tripolis in Lydien 3 Bücher 2(paiQMa^) und zwei nur in latei-
nischer Übersetzung erhaltene astronomische Schriften ttcqI rfieQwv xal
vvxTcSv und nsQl otxijtrewv (ed. Nizza, Berl 1852); von Serenos aus Anti-
noeia in Ägypten 2 Bücher negl TOfxfjg xvXivdQov xal xcivov (gedruckt in
der Ausgabe des ApoUonios von Halley, gesondert herausgegeben von
Heiberg, 1896 in Bibl. Teubn.); von Kleomedes eine KvxXixrj ^ewQi'a twv
lAsxiWQwv im Sinne der stoischen Schule, welche sich seit Poseidonios auch
*) Vgl. Caktob a. 0. und dazu Cubtzb ! in kteinischer Üehersetzung erhalten, heraus-
Jafarber. d. Alt Y 8, 169 ff.
') Davon auch eine alte lateinische Üeher-
setzung von selbständigem Werte.
*) Die Sphairika des Menelaos sind uns
gegeben von Halust-Gostabp, Ozon. 1758.
Schollen zu den Sphairika des Theodosios ver-
öffentlichte HuLTSCH, Abh. d. sAchs. Ges. X 5.
872
Orieohiaohe LitterfttargMohiohte. m. Anhang.
mit Fragen der Meteorologie und Himmelskunde beschäftigte (rec. Bake
LB. 1820; ed. Ziegler 1891 in Bibl. Teubn.).
Eine hervorragendere Stellung nahm weniger durch den Gehalt seiner
Arbeiten als durch das Ansehen, dessen sich der Vermittler griechisch-
orientalischer Weisheit im Altertum und Mittelalter erfreute, der Neu-
pythagoreer Nikomachos aus Gerasa im peträischen Arabien (um 150
n. Chr.) ein.1) Von demselben existiert ein 'AQi^firjrixfj eüfaywyrj^ gewisser-
massen eine Metaphysik der Zahlenlehre (ed. Hoche, Lips. 1864), und ein
^EfxsiQidiov ägfjLovtxfjg (gedruckt in Mus. graec. von Meibom und von C. Jan)
in je 2 B. Von diesen Werken fand namentlich das erstere ungeheueren
Anklang, so dass es um die Wette von lamblichos (ed. Tennulius, 1667),
Philoponos (ed. Hoche, Wesel 1864), Soterichos (ed. Hoche, Elberf. 1871)
kommentiert und von Apuleius und Boetius ins Lateinische übertragen
wurde. Photios cod. 187 erwähnt von Nikomachos auch 'AQi^fxijvixd ^fo-
XoyovfJLsva im Geiste des pythagoreischen Mysticismus, aber die erhaltenen
(ed. Ast, Lips. 1817) rühren nicht von Nikomachos, sondern von lamblichos
her. Ausserdem verspricht Nikomachos selbst in dem Kompendium über
Harmonik eine ausführlichere Darstellung des Gegenstandes in einem Werk
über Musik, von dem sich nur Exzerpte erhalten haben, das aber noch
vollständig Boetius benutzt zu haben scheint.^) — In einem ähnlichen Fahr-
wasser bewegt sich die Schrift des der gleichen Zeit angehörenden Inter-
preten des Piaton, Theon Smyrnaeus negl %wv xa%d %6 fir^&r^jÄcnixov
XQTjffifjLmv slg rrjv IlXdxwvog ärayvoitsiv (ed. Hiller in Bibl. Teubn.).
Aus dem 4. Jahrhundert stammen das Kompendium der Astrologie
(neQl xaraQxoiv 3 B.) von Hephästion aus dem ägyptischen Theben
(381 n. Chr.), von dem das 1. Buch Engelbrecht, Wien 1887, an das Tages-
licht gezogen hat, und die eltyayfoyTJ elg aTioreXecfjLaTixrjV des Paulus aus
Alexandria (378 n. Chr.), das von Schato, Wittenberg 1586, ediert wurde.
664. In den letzten Jahrhunderten des Altertums, als die Kultur
Roms und Italiens unter den Einfällen der Barbaren zerixeten wurde und
auch Konstantinopel immer neuen Bedrohungen von der Donau her aus-
gesetzt war, entstand in Alexandria von neuem den Studien ein von
wüstem Waffenlärm ungestörter Sitz. Wie diese friedlichen Verhältnisse
dem Wiederaufblühen der epischen Poesie und Romanschriftstellerei zu-
gute kamen, haben wir bereits kennen gelernt. Insbesondere aber ge-
diehen unter dem Schutze des Friedens diejenigen Studien, welche von
jeher in dem Nilthal eine besondere Pflege gefunden hatten, die mathe-
matischen und astronomischen. Grosse neue Entdeckungen wurden zwar
nicht gemacht, die Kommentierung der alten Werke bildete wie in der
Philosophie so auch in der Mathematik den Hauptgegenstand der gelehrten
Thätigkeit, aber dem nochmaligen Aufleuchten der Sonne der Wissenschaft
über den Hallen und Museen Alexandriens verdanken wir die Erhaltung
^) Des Nikomachos Lebenszeit bestimmt
sich dadurch, dass er den Thrasyllns dtiert
und Apnleius seine Arithmetika ins Latei-
nische abertrug ; vgl. C. ▼. Jan, Mus. Script,
gr. p. 211 flf.
*) Siehe darüber ▼. Jak, Mus. Script, gr.
p. 228 ff. — Dass Nikomachos auch ein Leben
des Pythagoras geschrieben habe und daas
dasselbe eine Hanptqnelle der gleichnamigen
Schrift des Jamblichus gewesen sei, Ter-
mutet RoHDB Rh. M. 26 (1871), 563.
A. FaohwisBenachaftliche Litteratiir. 3. Mathematiker und Aetronomen. (§ 664.) 873
der grossen Entdeckungen des alten Oriechenlands und die Hinüberleitung
der exakten Wissenschaften in das Reich der Araber.
Diophantos von Alexandria, wahrscheinlich aus der Zeit des Kaisers
Julian,^) ist Verfasser der 'AQi^fir]rixd, welche für die Arithmetik und Al-
gebra eine ähnliche Bedeutung haben wie die Elemente des Euklid für
die Geometrie. Namentlich ist es die Potenzenlehre, die wir durch ihn
kennen lernen; der Ausdruck Potenz, griechisch Svvafitg, stammt von ihm.
Von den 13 Büchern der Arithmetika sind nur 6 erhalten, zu den zwei
ersten auch Schollen von Planudes. Ausserdem ist von ihm die Abhand-
lung TrsQi noXvywvfov aQi&fjioiv auf uns gekommen und haben wir durch
ihn selbst Kenntnis von seinem Buche Iloqiaiiata,
Die 6 Bücher Arithmetica sind zuerst in lateinischer Uebersetzung herausgegeben
worden, von Xylandbb, Basel 1575. Griechischer Text in der Ansg. von Bachbt de Mezibiac,
Paris 1621; von Fsbmat, Toulouse 1670; cum graecis commentariis ed. Tannery 1895 in
Bibl. Teubn., 2 vol. — uebersetzung mit erläuternden Anmerkungen von Webthbim, IVank-
fnrt 1890.
Papp OS aus Alexandria, der nach Suidas gleichzeitig mit Theon
unter Theodosius I (379— -395) lebte, aber nach einem von Usener, Rh. M.
28, 403 ans Licht gezogenen Scholion vielmehr unter Diokletian (284—305)
blühte, ist Verfasser des im Anfang verstümmelten Sammelwerks IvvayiDyrj
lAa&TjfiaTiKij,^) welches äusserst wertvolle Excerpte aus älteren Mathe-
matikern enthält. Hauptausg. auf Grundlage des Yatic. 218 von Hultsch,
Berl. 1876—8.3)
Theon von Alexandria,*) Vater des Hypatia, war der Hauptlehrer
der Mathematik im 4. Jahrhundert. Aus seinen Schulvorträgen, die sich
wesentlich an die berühmten Mathematiker und Astronomen der Ver-
gangenheit anschlössen und mit guter Sachkenntnis philologische Methode
verbanden, sind die uns noch erhaltenen Recensionen und Schollen zu
Arat, Euklid, Ptolemäus hervorgegangen, von denen bereits oben die Rede
war. Aus seinen Kommentaren zu den Handtafeln des Ptolemaios (s. § 498)
ist das Verzeichnis der römischen Konsuln ("YnaToi 'Pw^aiwv) von 138—372
n. Chr. hervorgegangen, das Usener auf Grund des Cod. Leidensis gr. 78
in Mommsens Chronica minora HI p. 359—381 veröffentlicht hat.
Hypatia, die gefeierte Tochter des Theon, die 415 bei einem Auf-
stand des christlichen Pöbels umkam,^) hat ihre Hauptrolle als feurige
Vertreterin der heidnischen Philosophie gespielt, sich daneben aber auch
^) Sicher lebte er nach Hypsikles, auf
den er sich bezieht, und vor Hypatia, die
ihn kommentierte. Die Araber setzten ihn
unter Julian; ob er mit dem Diophantos, den
Soidas als Lehrer des Khetors Libanios an-
fahrt, identisch sei, ist mehr als zweifelhaft.
•) Der Znsatz /ia^f4artxij fehlt in den
Handschriften; auch handelt das 8. Buch von
der Mechanik. Ausserdem erwfihnt Suidas
von Pappos x^Q^Q"9>^^ oixovfxeyixijy eig td
<r {ly corr. Hultsoh) ß^ßXia rijg IlxoXBfjialov
fieydXijs avyrdieios vitofxvrifxa (Fragm. bei
HuLTSOB t HI p. XVn sqq.), noxafxoi ol iy
Aißvu, ovBiQoxqmxd. Ueber einen Kom-
mentar desselben zu Euklid s. Hültsgh t. UI
p. IX.
') Im Anhang des 3. Bandes gibt Hultsch
noch: Anonymi camment. de figuria planis
isoperimetris, Scholia in Pappum, Zenodori
(der nicht lange nach Archimedes lebte) negl
laofthQ(oy axijf^dtmy.
*) Sitoy 6 ix tov fxovüBiov heisst er bei
Suidas; verschieden ist er von dem Mathe-
matiker Theon aus Smyrna.
^) HooHE, Hypatia, die Tochter Theons,
Phil. 15, 435 ff. Romanhafte Dichtung von
EiNOSLET, Hypatia or new foes wiüi an
old face.
874
Grieohisohe litteratorg— chiohte. IIL AwhMig.
wie ihr Vater mit Mathematik und Astronomie abgegeben. Soidas e^
wähnt von ihr Kommentare zu Diophantos und ApoUonios und eineo
astronomischen Kanon; aber diese Schriften sind sämtlich verloren ge-
gangen, wir haben nur einige Briefe an sie in der Sammlung des Synesios.
Schon in das beginnende Mittelalter flUlt der Mechaniker und Aidä-
tekt Anthemios von Tralles, nach dessen Plänen Kaiser Justinian die
Sophienkirche erbauen liess. Von ihm ist ein Bruchstück der Schrift ftsgi
nagado^wv ^Jixavtjixdxwv (Westermann, Paradox. 149 — 158) auf uns ge-
kommen, mit dem sich einige Pergamentblätter des Cod. Bobiensis der
Ambrosiana L 99, Über den Brennspiegel, berühren. Dasselbe hat neuere
dings Beiger Herm. 16, 261 ff. herausgegeben und Wachsmuth Herrn. 16,
637 vollständiger hergestellt.
4. Taktiker.')
(i65. Die Kriegskunst, die als Wissenschaft wesentlich auf Mathe-
matik fusst, hat bei dem tapferen, kriegstüchtigen Volk der Hellenen schon
in der klassischen Zeit einzelne litterarische Produkte hervorgerufen. Von
den betreffenden Büchern des Xenophon über Reiterei und des Aineias
über Taktik ist bereits oben § 249 u. 252 die Rede gewesen. Aber ihre
eigentliche Ausbildung erhielt die Kriegswissenschaft doch erst, nachdem
aus der republikanischen Bürgerwehr ein Berufsheer geworden war und
unter Alexander und den Diadochen die Fortschritte der Mechanik in der
Belagerung und Verteidigung der Städte ihre praktische Anwendung fanden.
Ein Werk über Mechanik haben wir bereits unter dem Namen des Aristo-
teles kennen gelernt; von den Mathematikern haben insbesondere Archi-
medes, Ktesibios und Heron auch in der angewandten Mathematik, der
Mechanik, bedeutende Entdeckungen gemacht. Von speziellen Taktikern
sind zu erwähnen:
Philon aus Byzanz, Schüler des Ktesibios und älterer Zeitgenosse
des Heron,«) verfasste um 200 v. Chr. ein grosses Werk über Mechanik,
Mr^X^nxrj avvra^ig, das er einem gewissen Ariston widmete. In diesem
war der erste hauptsächlichste Teil dem Militärwesen gewidmet Davon
ist das 4. Buch, welches von den Wurfgeschossen {BelonoU'xd) handelt,
vollständig erhalten. Das 5. oder vielmehr 5. — 8. Buch, welche vom
Festungsbau, Verproviantierung, Verteidigung und Angriff handelten, sind
in einem Auszug auf uns gekommen. Von einem anderen Teile des Werkes,
das die Luftdruckwerke (nvsvfiaTtxa) betrifft, existiert eine nach dem
^) Sammelansgaben : Thkybnot, Mathe-
matici veteres, Par. 1693; Köchly u. Rüstow,
Griech. EriegBSchrifteteller, griech.-deatBch
mit krit. a. erklär. Anin., Leipz. 1853 — 5,
2 Teile. — Wbsobeb, Poliorc^tiqne des Grecs,
Par. 1867. — Eine kritische Gesamtausgabe
wurde geplant von Fr. Haase, dessen Vor-
arbeiten m den Besitz E. Müllers über-
gegangen sind, von dem wir eine Aosgabe
erwarten. — Handschriftlich sind die b^Og-
lichen Schriften vereint in dem Laurent 55, 4.
*) Philon bezieht sich einerseits p. 67 o.
68 anf Ktesibios und wird anderaeitB yoo
Heron, Autom. p. 268, erwAhnt; vgl K(kau.Y,
Kriegsschriftsi I 199; Gbbaux, Bevne philo-
logique IH (1879) p. 91 ff.; Süsemihl AI. Tit. I
744. Ueber seine Beziehungen zu dem Philo-
sophen Anazarchos s. Bbrkats, Ges. Abh.
I 128.
A. FaohwisselUiohftftliohe Litteratnr. 4. Taktiker. (§ 665.)
875
Arabischen angefertigte Übersetzung {de ingeniis spirüualibus), die Yal.
Rose, Anecd. gr. 11 299—313 veröffentlicht hat.
SpezialAosgabe: Philonis Mechanicae syntaxis libri quaiiuB et quintos rec. Rice. Soböke,
BerL 1893, auf Grund der massgebenden codd. Paris. 2442, Vatic. gr. 1164, Escorial. E. —
Frohere Veröffentlichung des 5. Buchs vom Festungsbau (tetxonoiXxd) durch Rochas und
Gkxaux m Revue philol. JII 91—181.
Biton ist Verfasser einer Schrift über den Bau von Kriegsmaschinen
und Katapulten (Kataffxsval noXsfAixwv oqyavwv xai xataneXxixwv), Seine
Zeit bestimmt sich dadurch, dass er sein Werk dem König Attalos (I. oder
n.?) widmete.
Athenaios hat eine kleine Schrift über den Bau und Gebrauch von
Kriegsmaschinen (n€Ql firjxavrjfiarwv) hinterlassen; gewidmet ist dieselbe
einem gewissen MarceUus, unter dem man früher ohne sicheren Anhalt
den berühmten Eroberer von Syrakus verstanden und demnach die Schrift
an das Ende des 3. Jahrhunderts v. Chr. gesetzt hat. Er selbst gibt
nach seinem eigenen Geständnis nur dasjenige wieder, was er bei Hegesi-
stratos, einem Schüler des Mechanikers Apollonios, gelesen hatte ;^) ausser-
dem bezieht er sich auf Ktesibios und Philon (p. 15, 3 u. 29, 9). Diels,
Stzb. d. pr. Ak. 1893 S. 111 setzt ihn wegen seines Rokokostiles in die
Zeit Hadrians.^) Die mit interessanten Angaben ausgestatteten Beispiele
sind aus der Diadochenzeit genommen.
Asklepiodotos, Schüler des Philosophen Poseidonios,^) ist Verfasser
des aus nur 12 Kapiteln bestehenden Grundrisses Taxtixd xstpdXaia. Das
systematische Kompendium, das wohl die Hauptsätze der Vorträge des
vielseitigen Philosophen Poseidonios über Kriegswissenschaft enthielt, ist
von Aelian in seiner Taktik ausgiebig benutzt worden.
Der Platoniker Onasandros*) unter Nero verfasste ein kriegs wissen-
schaftliches Werk n€Qi arQaTrjyrj/idTooVj das er dem Veranius, der im Jahre
49 Konsul war und im Jahre 59 starb, widmete. In demselben handelt er
mit Verständnis und Geschick, aber ohne den Reiz historischen Details
von den verschiedenen Aufgaben des Feldherrn. In der Sprache und in
dem naiven Glauben an Wahrzeichen erinnert er an sein Vorbild Xenophon.
Apollodoros aus Damaskos, der unter Traian die Bauten des Forum
Traianum leitete und die erste Donaubrücke baute (105), schrieb eine dem
Kaiser Hadrian gewidmete Schrift noXioQxrjrixd. Von ihr sowie von den
Schriften des Biton und Athenaios haben wir Auszüge, welche Wescher
a. O. bekannt machte.
Aelian unter Kaiser Trajan, verschieden von dem gleichnamigen
Verfasser der Bunten Geschichten, schrieb in Anregung eines von Fron-
tinus, dem berühmten römischen Baumeister und Feldherm, hingeworfenen
Gedankens eine Taxuxrj ^sooQta^ welche die griechisch-makedonische Taktik
*) Auf die Zeit des Wiederaufblühens
der Rhetorik weist namentlich die Stelle
p. 6, 6 ed. Wesch. did xovg eito&orag ev&v-
yeiy Ttixguig ras cvy^icetg taiy X^^ewy, Da
er aber den Heron nicht erwähnt, so h< es
HuLTSCH bei Pauly-Wissowa nicht für rät-
bch, die Schrift in das 1. Jahrh. v. Chr. oder
später zu setzen.
') Seneca nat. quaest. 11 26: Aaclepio-
dotus auditor Posidonü. Vgl, oben § 405.
*) 'OyaaaydQog =^ gemeingriechisch 'Oi^iy-
aay^QQg ist die Namensform in den besten
Hdschr.; 'Oyooaydqog heisst unser Autor bei
Snidas. — Von Onosandros führt Suidas an :
jaxTixä, negi argaxijytj/Aättayy inofjtyrjijuxtn
eis Zfjy IlXaitayog nohtsiay.
876
Qrieohisohe Litteimtnrgesohiolite. EI. Anhang.
im Gegensatz zur römischen darstellen sollte. Dieselbe stimmt mit der
Taktik des Historikers Arrian infolge der Benützung der gleichen Quelle
(Asklepiodot) derart überein, dass Köchly die letztere nur für eine ver-
schiedene Redaktion des Aelian erklären wollte.^) Merkwürdigerweise nennt
Aelian jene seine Hauptquelle gar nicht, rühmt sich aber, die älteren und
berühmteren Schriftsteller über Taktik, wie Aineias, EQearch, Polybios,
Poseidonios benutzt zu haben.
Sext. Julius Africanus, der bekannte Eirchenhistoriker, hat in
seinem enkyklopädischen Werk Kearoi auch dem Kriegswesen mehrere Ab-
schnitte gewidmet, die im byzantinischen Mittelalter in grossem Ansehen
standen.^) Kaiser Leo der Weise (886 — 911) hat dieselben in seine Samm-
lung taktischer Schriften, Const. 18—20 aufnehmen lassen.
Von Polyän, dem Verfasser der JStQatrjyijfiaTa, ist wegen des
wesentlich historischen Charakters jener Schrift bereits oben § 493 die Bede
gewesen.
5. Kunstschriftsteller.
666. Die Römer haben ihren Vitruv, die Griechen, welche doch die
Hauptbaumeister waren und deren Schriften Vitruv, wie er selber bekennt
(1. Vn praef ), hauptsächlich benutzt hat, haben uns weder über die Archi-
tektur noch über die übrigen Künste ein spezielles Werk hinterlassen.
Denn was wir aus Epigrammen und dem Periegeten Pausanias über grie-
chische Künstler und Kunstwerke erfahren, ist zunächst in anderer Ab-
sicht geschrieben und soll in erster Linie den Zwecken poetischer Schil-
derung oder Wegweisung dienen. Wir sind daher, wenn wir uns über
die Leistungen griechischer Schriftstellerei auf diesem Gebiete unterrichten
wollen, lediglich auf gelegentUche Anführungen, namentlich auf Vitruv de
archit. VII praef. und Plinius nat. bist. XXXIV— XXXVI angewiesen. —
Aus diesen Anführungen ersehen wir, dass die Griechen eine sehr reiche
und alte Litteratur über Kunsttechnik und Kunstgeschichte hatten, und
dass sich an derselben mit Vorliebe ausübende Künstler beteiligten. So
schrieb, abgesehen von dem Dichter Sophokles, von dem uns eine Prosa-
schrift über den Chor genannt wird,*) Agatharchos, der für Aischylos
die Theaterdekorationen malte, auch Kommentare über diese Kunst, und
haben auf seine Aufmunterung hin Demokritos und Anaxagoras über
die Perspektive in der Malerei geschrieben.*) Unter den grossen Bild-
hauern der klassischen Zeit schrieb Polyklet im Anschluss an eine Kanon
genannte Statue, vermutlich den sogenannten Doryphoros, eine Schrift
über die Proportionen oder das Verhältnis der Körperteile, von deren In-
halt durch gelegentliche Anführungen noch manches auf uns gekommen
ist.*) Von Architekten des 6. — 4. Jahrhunderts zählt Vitruv in der En-
^) EöoHLY, Eriegsschriftst. 11 2, 5 ff.; vgl.
§ 487.
') Ausg. in Theybnots Math. vet. p. 275
bis 316; Meursii opera ex rec. Lami t. VII
p. 897—984.
') Vgl. oben § 175. Aach von dem
älteren Muedker Lasos von Hennione erwähnt
Suidas einen Xoyog nsgl f^ovaixijg.
*) Yitrav VII praef.: Namque j^nmam
Agatharehus Athenis Aesehylo daeente tra-
goediam, seenam feeit et de ea commentarium
reliquit. Ex eo monüi Democritus et Amaxa-
garcLs de eadem re scripserunt etc.
^) PliniuB n. h. 34, 55; vgl. Bsuim, Ge-
schichte der griechischen Künstler I 219 ff.
A.7aohwiueiuioli.Liit6ratiir. S.KunaUohriftsteller. 6. Juriaprudenz. (§§666-667.) 877
leitung des 7. Buches seiner Architektur eine ganze Reihe von Schrift-
stellern auf, welche über ihre Bauten und die dabei beobachteten Gesetze
des Ebenmasses {de symmetriis) geschrieben hatten, wie Theodoros, der Er-
bauer des Heraion in Samos, Iktinos und Earpion, die berühmten Bau-
meister der perikleischen Zeit, Philon, der ausser Tempeln auch das Arsenal
(axevo&T^xtj) im Piräus erbaute,^) Satyros und Phytios, die Erbauer
des Mausoleums in Halikarnas. — In der alexandrinischen Zeit haben
gleichfalls mehrere Künstler, wie Xenokritos aus Sikyon, Antigenes
ans Karystos, Pasiteles aus Neapel mit der Ausübung der Kunst die
schriftstellerische Thätigkeit über Kunst und Künstler verbunden. Ausser-
dem haben Polemon, Heliodor, Anaxandrides u. a. vom technischen
und antiquarischen Standpunkt aus zum Ausbau der Kunstgeschichte bei-
getragen. >) Was sodann in der römischen Zeit von dem Periegeten Pau-
sanias und den Sophisten Philostratos in der Beschreibung von Kunst-
werken geleistet worden, ist bereits oben § 501 und 526 unter anderen
Gesichtspunkten dargethan worden.
Obersbck, Die antiken SchriftqneUen zur Greschichte der bildenden Künste bei den
Griechen, Leipzig 1868, eine Sammlung von SteUen ttber Künstler und Kunstwerke. —
n. L. Ublichs, üeber griechisclie KunstschriftsteUer, Diss. Würzburg 1887. — Miss Sellers,
The eider Pliny's chapters on the historj of arts, London 1896, mit einer über die griechische
Kunstgeschichte gut orientierenden Introduction.
6. Jurisprudenz.
667. In eine Litteraturgeschichte gehört nach dem Begriffe des
Wortes alles, was in Buchstaben und Schriften niedergelegt ist, also auch
das Staats- und Rechtsleben, insoweit es in Schriften bekundet oder
von Schriftstellern dargelegt worden ist. In der römischen Litteratur-
geschichte nehmen denn auch thatsächlich die Juristen einen ziemlich
breiten Raum ein; wenn wir in unserem Werke mehr nur durch eine
Überschrift das Fach andeuten als durch litterarische Angaben die Linea-
mente desselben ausführen, so hat dieses seinen natürlichen Grund in der
Dürftigkeit des Stoffes. In dem Ausbau des Rechts waren die Römer
Meister und nur bei ihnen hat sich eine förmliche Litteratur der Rechts-
wissenschaft entwickelt. Die Griechen haben zwar auch ihre Gesetzgeber
gehabt und es haben sogar die Gesetze des Selon dem Zwölftafelgesetz
der Römer zum Vorbild gedient, aber von jenen alten Gesetzesbüchern
sind ausser dem Recht von Gortyn nur ganz spärliche Reste auf uns ge-
kommen, und als man in Rom an die grosse Codification des Rechts ging,
hatte das griechische Volk schon längst aufgehört, sich staatlicher Selb-
ständigkeit und nationalen Einflusses auf die Gesetzgebung zu erfreuen.
Wenn daher auch aus der römischen Eaiserzeit sich mehrere Testamente,
Kontrakte, Kaufurkunden in griechischer Sprache erhalten haben, so sind
dieselben doch mehr Zeugen römischen als griechischen Rechtes. In der
klassischen Zeit, die demnach für das griechische Recht allein in Betracht
kommt, hat sich bei den Griechen weder in Athen noch sonstwo ein eigener
*) Die auf diesen Arsenalbau bezügliche 1 und publiziert von Meletopulos, Athen 1882.
grosse Inschrift wurde neuerdings gefanden | ') Siehe oben § 484.
878 Orieohische Litteratlirgeaohiohte. m. Anhang.
Stand von Rechtslehrem entwickelt: in die Aufgabe, das Recht zu deutot
zu verbessern, aufzuzeichnen, teilten sich die Philosophen und RhetoreB.
Von den einschlägigen Schriften der Philosophen, namentlich den zefao
Büchern Nofioi des Piaton und der 'Ax^rivamv nohreia des Aristotdes
haben wir bereits oben an ihrer Stelle gehandelt. Die Reden der Rfae>
toren, von denen uns ja ziemlich viel aus der besten Zeit erhalten ist
liefern an sich für die Kenntnis des Rechts kein gerade ausgiebiges oi&
verlässiges Material, da sie ja ihre Hauptkunst darin sahen, das Gesetz
und Recht zu ihren oder ihrer Klienten Gunsten zu deuten und zu ver-
drehen, i) Aber sehr wichtig für uns sind die Aktenstücke, Gesetze, Volks-
beschlüsse, Klageschriften, Eide, Zeugnisse, welche in mehrere Reden
(Antiphon de mysteriis, Aeschines in Timarchum, Lycurg in Leoeratem.
Demosthenes de Corona, in Midiam, in Aristocratem, in Timocratem, in
Lacritum, in Pantaenetum, in Macartatum, in Stephanum I. H, in Neaeran)
eingelegt sind. Freilich lassen sich dieselben, nachdem mehrere derselben,
wie insbesondere die der Kranzrede und der Midiana des Demosthenes
und die der Timarchea des Aischines als unverschämte Fälschungen
späterer Grammatiker erwiesen sind (§ 285), nicht mehr so leichthin als
sichere Rechtsquellen verwerten. Aber wenn auch nur zu wenigen Reden
(Antiph. de myst.. Dem. in Macart., in Steph., in Pantaen., Ps. Dem. in
Neaeram) die Aktenstücke von vornherein mit dem Texte der Rede seM
veröffentlicht zu sein scheinen, so sprechen doch auch bei den Gesetzen i&
anderen Reden innere Gründe dafür, dass sie nicht von Grammatikern ganz
willkürlich fingiert, sondern teilweise aus den Archiven oder dem Urkunden-
werk des Krateros (§ 394) genommen sind, so dass sie zusammen mit den ai^
der gleichen Quelle geflossenen Angaben der Lexikographen Harpokration
und Pollux eine nicht verächtliche Grundlage des griechischen Staa^
und Privatrechtes bilden. Das verlässigste Material bieten aber immerhin
die Inschriften auf Stein und Erz, durch die uns namentlich an Volks-
beschlüssen eine grosse Zahl, freilich in der Mehrheit Ebrendekrete, er-
halten sind. Diese inschriftlichen Dokumente des alten Rechts, die bei
dem rühmlichen Wetteifer der Epigraphiker aller Nationen fast ta^eh
noch Zuwachs erhalten, sind jetzt auch in einem grossen Spezialwerk
zur bequemen Benutzung zusammengestellt.
Von Drakons Blatgesetzen ein Fragment CIA I 61. — Das Recht von Gortyn § 22ä:
Dabestb, le leggi di Gortyna e le altre isciizioni arcaiche cretesi, Pans 1893. — Recneil de»
inscriptions juridiqnes grecques par Darbste Hausoullieb Rbikach, Paiie 1891 — 5, in t
Fase, eine weitere Serie von Skiavenbefreinngen, Testamenten, Käufen etc. ist in Aib-
sieht gestellt. — Ueber griechische Urkunden aus Aegypten s. § 337 u. 343; Th. lloxasa
Aegyptisches Testament v. J. 149 n. Chr. (= Aeg. Urk. d. Mus. zu Berlin n. 326) in Sit^ i
Berl. Ak. 1894 III 47—59; Habtel, Ein griech. Papyrus aus d. J. 487, Wien. Stad. V I £ -
Zum juristischen Wert der Berliner Papyri insbesondere Mitteis, Zur Berliiier Pi^ji»-
Publikation, Herm. 30 (1895) 564—618. — Corpus papyrorum Rainen archiducis Aostr. toi
Wbssely 1. 1, Rechtsurkunden. — Leges Graecorum sacrae e titulis coUectae ed. lo. Dit Ptorr
et Lud. Ziehen, Lips. bei Teubner, im Erscheinen.
^) So urteilt von den Tetralogien des 1 Tetralogien scheiden ans der Zahl der QoeUa
Antiphon Dittenbeboeb Herm. 31, 277: die | für das attische Recht ans.
B. ChrifltUohe BohrifbsteUer. (g 668.) 879
B. Christliche Schriftsteller.
668. Die Zugehörigkeit zur griechischen Litteratur bemisst sich nicht
danach, dass ein Buch bloss in griechischer Sprache geschrieben ist; die
Schriften, welche hier zur Sprache kommen sollen, müssen auch auf dem
Boden der hellenischen Kultur gewachsen und von hellenischem Geiste
durchweht sein. Da aber der Hellenismus vom Christentum bekämpft
wurde und nach jahrhundertlangem Kampfe der Macht der sittlichen Ideen
des Christentums erlag, i) so gehören an und für sich die Werke der christ-
lichen Schriftsteller nicht mehr in den Rahmen einer griechischen Lit-
teraturgeschichte. Wenn ich dieselben aber doch hier im Anhang zur
Sprache bringe, so geschieht dieses nach einem speziellen Gesichtspunkt
und mit einer bestimmten Beschränkung. Der Eintritt des Christentums
in die Weltgeschichte bedeutete eine Erneuerung des Menschengeschlechtes,
hervorgegangen aus einer vertieften Auffassung der Menschenwürde und
einer reineren Anschauung von Gott und dem Verhältnis des Menschen
zur Gottheit. Diese sittliche Wiedergeburt der Menschheit war bestimmt
auch auf dem Gebiete der Kunst, der Poesie und Wissenschaft mit der
Zeit eine höhere Kulturstufe zu zeitigen. Aber eingeführt und verbreitet
wurde die neue Lehre durch einfache, ungebildete Männer, die ihren hohen
Erfolg zum grossen Teil gerade dem Umstände verdankten, dass sie den
Glanz der äusseren Bildung hinter den höheren Aufgaben des sittlichen
Menschen zurücktreten liessen. Als aber dann im Laufe der Zeit die
neuen Ideen der Nächstenliebe und Sittenreinheit aus den niederen Kreisen
des Volkes in die Paläste der Vornehmen und die Hallen der Gelehrten
vorzudringen begannen, änderte sich auch die Stellung und Aufgabe der
christlichen Lehrer ; sie mussten mit einer hochentwickelten, auch in ihrem
Verfall noch vielvermögenden Kultur den Kampf aufnehmen, sie mussten
sich zu diesem Behufe die Schlagfertigkeit der Dialektik, die Gewandtheit
der Rhetorik, die Eleganz der poetischen Diktion aneignen. Diese aber
erwarben sie sich in den Hörsälen und Museen der Griechen, im 4. Jahr-
hundert ganz gewöhnlich an der Seite heidnischer Jünglinge. Die Werke
der Kirchenväter sind daher nach ihrer formalen Seite dem Boden des
Hellenismus entsprossen und tragen das Gespräge der zu jener Zeit herr-
schenden Richtung in Philosophie und Rhetorik. Wenn die kirchlichen
Schriftsteller in der Dogmatik die abstossende Seite der Streitsucht und
Wortklauberei herauskehren, wenn sie in den Predigten die hohle Phrase
und den breiten Wortschwall lieben, wenn sie in der Exegese Präzision
und nüchternen Scharfsinn vermissen lassen, so treten darin dieselben
Mängel zutag, die wir an den profanen Erzeugnissen des absterbenden
Griechentums auszusetzen hatten. Ein zweiter Grund, der uns in diesem
Anhange die griechische Patristik kurz zu behandeln veranlasst, liegt
darin, dass uns diese Schriftsteller, eben weil sie in der heidnischen Weis-
^) G^radeza entgegengesetzt werden bei 1 Hellenismus anch in Stil and litterarischen
Zonaras m 344 ed. Dind. ov ydq XQiüxiayog, \ Principien ebenso wie Aber die Berübnmgs-
ovx "^Xkfip, ovx 'iovdaios hvyx^^^^ ^^' ~ 1 Punkte Ed. Nordek, Die antike Knnstprosa,
Ueber den Gegensatz von Christentoni und | Leipz. 1898, S. 452 ff.
880
Grieohisohe Idtteratargesoliiohte. IH Anhang.
heit gross gezogen waren, eine Fülle von Nachrichten aus der griechische
Litteratur, namentlich der philosophischen und litterarhistorischen erhaltoi
haben, die uns aus direkter Quelle entweder gar nicht, oder doch niclit
in gleicher Vollständigkeit zugekommen sind. In dieser Beziehung sind
auch dem Philologen die Kirchenväter eine reiche, noch immer nicht ganz
ausgeschöpfte Quelle der Erkenntnis. Gehören aber auf solche Weise
zunächst nur die Schriften der gelehrten Kirchenväter der letzten Jahr-
hunderte in eine griechische Litteraturgeschichte, so habe ich doch der
Vollständigkeit und des Zusammenhangs halber auch die älteren christ-
lichen Schriften, wenn sie gleich fast gar keine Beziehungen zum Helle-
nismus haben, nicht ganz übergeben wollen.
Harnaok, AlichrisÜiche LitieratargeBchichie bis Gusebius, in 3 Abteilungen: 1. Die
üeberlieferung nnd der Bestand der altcbristlichen Litteratur, erschienen in 2 Bden 189S,
2. Die Chronologie d. altchr. Lit., im Erscheinen, 3. Charakteristik und innere £ntwickliiii^
geschichte, in Aussicht gestellt. - Holtzmakk, Lehrbach der historisch-kritischen Einleitm^
in das neue Testament, liVeiburg 1885, 3. Aufl. 1892. — Jülichsr, Einleitang in das New
Testament, im Grundriss der Theologischen Wissenschaft, Freibarg 1894. — Erdobs, Ge-
schichte der altchristlichen Litteratur bis auf Eusebius, Freiburg-Leipzig 1895. — Gbbbabot-
Härnack, Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Litteratiir, nod
fortlaufend.
1. Die Sehriften der altchristliehen Kirche.^)
669. Das neue Testament. Die ältesten in griechischer Sprache
verfassten Schriften der Christen sind die 27 Schriften des neuen Testa-
mentes. Die aus einer grösseren Anzahl von Schriften seit Mitte des
2. Jahrhunderts allmählich ausgesonderte, als kanonisch bezeichnete Samm-
lung*) umfasst: 1) die vier Evangelien (evayyäha), an welche sich die
Apostelgeschichte {ngd^eig roSv anoaroliov) des Lukas anschliesst, 2) die
13 paulinischen Briefe und die 7 sogenannten katholischen d. i. allge-
mein anerkannten Briefe des Jakobus, Petrus (2), Johannes (3) und Judas.
3) die Offenbarung (anoxdXvipig) des Johannes.')
Von diesen heiligen Urkunden sind am ältesten die Briefe des
Paulus, die dieser glaubensstarke, frühe über die Engherzigkeit der
jüdisch-christlichen Gemeinde hinausgehende Heidenapostel an die Galater.
^) Eosebios Hist. eccl. DI 25 unterschei-
det 4 Arten altchristlicher Schriften: 1. kano-
nische, 6f4oXoyovf46fity darunter ^ rcSy evayys-
klioy jBTQaxTvgy ngd^eig xwv dno<rr6X(oy, ini-
axoXal IlavXov, ausserdem mit einem Aus-
druck des Zweifels dnoxdXvipig 'Itoayyovy
2. angezweifelte, dyrtXeyofxeya, wie die Briefe
des Jakobus, Judas, der 2. Brief Petri und
der 2. u. 3. Johannis, 3. unechte, y6^ay
zu den dynXsyo/jtya im weiteren Sinne ge-
hörend, darunter der Hirt, der Brief des
Bamabas, IlftvXov nod^etg^ ruiy dnoaioXojy cfi-
cTa/a/, nach einigen auch das Evangelium der
Hebräer, 4. häretische, rd ovofxaxv twy dno^
aroXioy ngog tcJv ((lQ6tix(oy nQO(peQ6f46ya,
darunter die apokryphen Evangelien des
Petrus, Thomas, Matthias und «l cJj 'Ay-
6q^ov xal 'Icadyyov xal jwy dXXtoy dnooioXoiy
Tigd^eig.
*) Haupturkunde für den Kanon ist afis
dem Altertum das sogenannte Fragm. Mara-
t o r i a n u m (genannt nach dem ersten Heraie-
geber Muratori 1740, der dasselbe in «aer
ehemals dem Kloster Bobbio angehSri^pa
jetzt in Mailand befindlichen Miacellanhairf-
Schrift entdeckte). Das jetzt verst&madk
Verzeichnis begann ehedem mit dem Evmage-
lium Matthaei. Die 85 uns erhaltenen Ze&t
reichen von Lukas bis auf den Hirten moi
die antimontanistischen Schriften. — Neoerr
Untersuchungen ttber den Kanon: Tbk»
Zahn, Greschichte des neutestamentl. Kanflss,
in 3 Bänden, Erlangen 1888; HABKA(x,Alt
chrisÜ. Lit. 11 1, 681 ff.
') 0. Pfleidbrsb, Das ürchriatentan.
seine Schriften u. Lehren, Berl. 1887; Wib-
SÄCKBB, Das apostolische Zeitalter der chiiit-
liehen Kirche, 2. Aufl., Freiburg 1^9.
B. Chriatliche Sohriftateller. t Die Sohriften der altohrietliohen Kirohe.
9.) 881
Philipper, Thessalonicher, Korinther, Römer, Kolosser und Epheser ge-
richtet hat. Von diesen Briefen ist der älteste der an die Qalater, im
Jahre 50 n. Chr. geschrieben ; ^) die übrigen gehören der Zeit vor 64 an,
in welchem Jahre der Apostel in Rom den Märtyrertod erlitt. *) Alle
tragen ein individuelles, die jeweiligen Verhältnisse getreu widerspiegeln-
des Kolorit. Griechische Bildung besass der Apostel wenig, so dass seine
Sprache nichts von hellenischer Eleganz verrät; doch citiert er in einem
der Briefe an die Korinther I 15, 33 einen Vers des Menander fpx^etQovtriv
i]x^rj xqria^' o/^Mai xaxaL^) Gewissermassen einen Kommentar zu den
Briefen bildet das Tagebuch des Begleiters des Apostels, Timotheos, im
zweiten Teil der Apostelgeschichte des Lukas. — Zeitlich zunächst steht
die Apokalypse, geschrieben im judaischen Geiste nach dem Vorbild der
alttestamentlichen Prophezeiungen im Buch Daniel und Henoch. Als Ver-
fasser derselben nennt sich im Vorwort 1 9 Johannes, Diener Jesu von
der Insel Patmos. Dieselbe gehört der phantastischen Welt des Orients
an, wenn sie auch einige Züge den mystischen Vorstellungen der heid-
nischen Orphiker entnommen hat.^) Gesetzt ist sie unter den 6. der römischen
Kaiser, wahrscheinlich unter Vespasian,^) noch vor die totale Zerstörung des
Tempels von Jerusalem;^) geschrieben ist sie nach Titus. Aufnahme in die
kanonische Sammlung des neuen Testamentes fand das Buch erst im 3. Jahr-
hundert, woraus sich seine Stellung am Schlüsse der Sammlung erklärt."^)
Von den vier Evangelien bilden die des Markus, Lukas, Matthäus
eine enger zusammenhängende, im wesentlichen übereinstimmende Gruppe
(synoptische Evangelien). Die vier Evangelien gehören alle dem letzten
Drittel des ersten Jahrhunderts oder dem Anfang des zweiten Jahrhunderts
an; wenn zwei von ihnen, die des Matthäus und Johannes, den Namen
von Aposteln tragen, so kann dieses höchstens nur so erklärt werden,
dass ihr Inhalt auf die Überlieferung jener Apostel zurückgeht.^) Die
^) Nach den Angaben des Briefes selbst»
in dem der Apostel einen Abriss seines bis-
herigen Lebens gibt.
') Ueber das Jahr 64, statt dessen Euse-
bios 68 angibt, s. Harnack, Altchristi. Lit.
n 1 240 flf.
') In der Rede, welche der Verfasser der
Apostelgeschichte den Paulus in Athen auf
dem Areopag halten liess, Act. apost. 17, 28
kommt der Vers des Arat vor tov yag xai
yiyog hfxiy. Das beweist f&r die helleni-
schen Studien des Paulus nichts Sicheres.
Ueber diese Rede handelt vom archäologi-
schen Gesichtspunkt E. Curtius, Paulus in
Athen, Ges. Abb. II 527 ff. Ueber den Stil
der Paulinischen Briefe und den Grad der
griechischen Bildung des Briefschreibers
Norden, Die antike Kunstprosa S. 492 ff.
*) Ueber die orphischen Elemente in der
christlichen Apokalyptik Maass, Orpheus
S. 249 ff.
*) Apok. 17, 10: ßafftXeTs hnr« eiaiy ol
nivxs Bneaay, 6 elg laxiv, 6 äXXog oviku tjX^s
Ttal oxav iXl^fi, oUyov avtoy du sivai. Es
fragt sich dabei nur, ob Julius Cftsar in die
Handbuch der klaas. Altertumawiasenflohaft. VII.
Zahl der Könige mit einzurechnen ist oder
nicht; das letztere scheint das Wahrschein-
lichere zu sein; vgl. unten über den Brief des
Bamabas.
^) So möchte man schliessen aus Apok.
11, 2. MoMMSEN, Rom. Gesch. V 520 f. und
ebenso Pflbi derer a.O. gehen auf die letzten
Regierungsjahre Vespaaians herab, wozu
besser die Andeutung der von den Parthem
drohenden Gefahr (9, 14) stimmt. Irenaios
V 30, 3 setzt das Buch nqdg t(p leXet t^g
JofjLBXiavov (XQXVSy worau neuerdings Har-
NACK, Altchristi. Lit. II 1, 245 festhält; Jüli-
CHBR Einl. 179 setzt es um 100.
^) Noch im 2. Jahrb. wurde aus der Mitte
der katholischen Kirche von Gaius die Apo-
kalypse als ketzerisches Werk verworfen;
s. Euseb. bist. eccl. III 25; Zahn a. 0. 220 ff.
8) Harnack, Altchristi. Lit. II 1, 654 stellt
folgende Vermutungen über die Entstehungs-
zeit der einzelnen Evangelien auf: Markus
65-70, Matthäus 70-75, Lukas 78-93, Jo-
hannes um 110. Die Datierungen sind nicht
sicher; vor der rückläufigen, jetzt auch von
I Hamack geteilten Bewegung in der Bibel-
8. Anü. 56
882
Orieohüiohe Lüteratargosohiolite. m. Anhang.
Abfassung in griechischer Sprache beweist, dass damals bereits das Christen-
tum gemäss seiner universellen Natur sich über die Grenzen von Judäa
hinaus verbreitet und in den hellenistischen Provinzen und Conventikeln
des römischen Reiches Eingang gefunden hatte. — Der Evangelist Markus
war ein Schüler und Begleiter des Apostels Petrus^) und schrieb sein
Evangelium sicher noch im 1. Jahrhundert, aber nach Zerstörung von Jem-
salem,^) um das Jahr 70. Dasselbe zeichnet sich vor den andern durch den
gemütvollen Ton der Erzählung und den poetischen Reichtum an Bildern
und Gleichnissen aus; auch der grammatische Ausdruck ist verhältnis-
mässig gut. Der Schluss (16, 9—20) fehlt in guten Handschriften und
wurde erst zugesetzt, nachdem der echte Schluss verloren gegangen oder
vielmehr unterdrückt worden war. s) — Lukas, der sein Evangelium und
seine Apostelgeschichte einem gewissen Theophilos gewidmet hat, war
nach der Überlieferung des Hieronymus ep. 19 ein litterarisch ge-
bildeter Arzt und bezeugt selbst im Eingang des Evangeliums, dass er
viele Vorgänger hatte.^) Dass darunter auch Markus war, kann nach
den zahlreichen wörtlichen Übereinstimmungen nicht zweifelhaft sein.*)
Derselbe Lukas verfasste auch als Ergänzung seines Evangeliums eine
Apostelgeschichte {nQti^eig tmv änoaToXwv)^ die bis zum Tode des Apostels
Paulus (denselben nicht einbegriffen) reicht, in ihrem zweiten Teile aber
wesentlich nur die Aufzeichnungen eines Reisebegleiters des Paulus, viel-
leicht des Timotheos, den sich der Apostel in Lystra zu seinem Begleiter
ausgewählt hatte, ^) in treuer Kopie wiedergibt.^) Zu welcher Zeit der
Evangelist Lukas geschrieben habe, darüber gehen die Urteile der Kenner
weit auseinander. Die moderne Kritik hat in dem überall hervortretenden
Bestreben, das Christentum gegen die an die römischen Beamten ge-
brachten Denunziationen zu verteidigen, ein Anzeichen gefunden, dass
Lukas zur Zeit der erneuten Christenverfolgung unter Trajan gelebt habe.^)
Auf der anderen Seite spricht die Benutzung der Schriften des Markus
forschung ging man mit der Entstehung
weiter herab, bis auf Trajan.
*) Im Briefe des Petrus 5, 13 heist er
MttQxos 6 vlos fiov. Aber auch in dem deutero-
paulinischen Brief an Timotiieus II 4, 11
kommt ein Markus vor, den Timotheus mit
nach Rom bringen soll.
') Das folgt aus 13, 2. 24, was indes
Hamack bezweifelt.
•) üeber die Gründe der Unterdrückung
s. Habnack II 1, 696.
*) Luk. 1, 1: inei^rj ncQ noXXol inexel-
Qtjaay dvaxd^aa&ai dtijyrjiny nsQi x(ov ne^
TtXrjQotpoQfjfji^vbiy iy ^fjiTy n^ayfidttov, xaSwg
TtaQiSocay i^fAiy ol an* ^qxV^ avTonrai xai
vTir^Qhai yeyofisyot rov Xoyov, edo^e xdfiol
TtaQtjxokov&fjxoti dy(o^9ey ndaiy dxQ^ßüig
xcf^efiyf aot yodxffai, xQuiurre BsofpiXe, l'ya
iniyyt^g neQt tjy xtnijxij^s Xoytay trjy daipd-
Xsiay, Vorganger war wahrscheinlich auch
Matthäus.
^ *) Nicht im Weg steht, dass in dem Spruch
ftty cf^ To dXag f4(0Qay»n, iy reVt dXia^ij-
<f^rai; (Matth. 5, 13; Luc. 14, 34) Marc. 9, 40
I statt fitJQtty&g die interpolierte Form dyaXor
yiytjttti hat. Die Interpolation wird sich
eben erst später in den Text eingeachUchen
haben.
^) Act. apost. 16, 1 ff.; im Briefe des
Paulus an die BOmer heisst er 16, 21 Tiftö^
&eos 6 avycQyog fjiov. Auch 2 Briefe des
Paulus an TimoÜieus haben wir, deren Echt-
heit aber bezweifelt wird.
') Davon zeugt die häufige Beibehaltung
der 1. Pers. plur. (der Wir-Bericht) und das
gute Griechisch, das diesen 2. Teil der Apo-
stelgeschichte vor dem ersten und dem in
hellenistischer Vulgärsprache geschriebenen
Evangelium auszeichnet Timotiieos fthrt
einen Halbvers Homers an (27, 28) und be-
zieht sich auf Demosthenes in der Schilde*
rung der nur nach Neuigkeiten verlangenden
Athener (17, 21).
^) So auch UsENER, Religionsgeschiditl.
Untersuch. I 152: Unsere heutige Apostel-
geschichte kann kaum früher entstanden sein
als zur Zeit des Kerinthos, um 120.
B. ChriBtUohe Bohriftsteller. 1. Die Schriften der altohrisüichen Kirche. (§ 669.) 883
und Timotheus für die alte Annahme, dass auch unser Evangelist in dem
Kreise der Verehrer des Apostels Paulus zu suchen sei; die Tradition
hat ihn geradezu mit dem getreuen Lukas, der allein in Rom bei
Paulus ausharrte (ad Timoth. II 4, 11), identifiziert, i) — Das Evan-
gelium Matthäus enthält neben vielen, mit Markus und Lukas über-
einstimmenden Partien auch manches Neue, wie vom Stammbaum Jesu,
von der Flucht nach Ägypten, von den drei Königen aus dem Morgenland.
Als Vorlage dienten dem Redaktor, dessen Lebenszeit jedenfalls nach
Markus anzusetzen ist,^) die von dem Apostel Matthäus in hebräischer
Sprache geschriebenen Sprüche {koyia) des Herrn. ») Aus dieser Vorlage
flössen namentlich die vielen Aussprüche und Verschilften Christi, die in
dieses Evangelium eingelegt sind. Doch hat sich der Verfasser nicht mit
einer einfachen Übersetzung begnügt, sondern mit der Anführung der
Sprüche auch einen historischen Abriss des Lebens Christi, wesentlich
nach dem Evangelium des Markus, verbunden.^)
Einer anderen Richtung gehört das Evangelium Johannes an, das
weniger ein schlichtes Geschichtsbuch als eine christologische Lehrschrift
ist und uns gleich mit dem Eingang €v dQxfj ^^ o Xoyog xal 6 Xoyog r^v
nqoq rov d'sov xal &€6g Vjv 6 loyog in eine ganz andere Atmosphäre ver-
setzt. Aber wenn dasselbe auch einen theosophischen Charakter trägt ^)
und in Einzelheiten auf jüngere Zeit hinweist, 0) so muss doch der Grund-
stock desselben auf alte Aufzeichnungen eines Augenzeugen zurückgehen.
Dafür sprechen die vielen neuen Momente aus dem Leben Jesu, die ge-
naue Ortskenntnis, das Fehlen von Erzählungen aus der Geburt und Kind-
heit Jesu ; auch tragen die meisten der von Johannes angeführten Wunder
ein einfacheres und deshalb altertümlicheres Gepräge. Nach der alten
Überlieferung des Papias hatte der Apostel Johannes seiner Gemeinde ein
Evangelium hinterlassen;*^) aber in seiner heutigen Gestalt rührt das
Evangelium Johannes sicher nicht von dem Liebesapostel selbst her, son-
>) JüLiCHEB, Eml. in das N. T. Ifisst
Um das Evangeliiun 80—100, die Apostel-
geschichte 100 — 105 geschrieben haben.
*) Entscheidend ist, dass erst Matthäus,
keiner der übrigen EvangeUsten, Maria als
Jungfrau den Herrn gebftren Iftsst, indem er
z^ar 1, 18 nach alter Ueberliefenmg Maria
und Joseph als Eltern desselben anftthrt, aber
mit dem Zusatz ngiy tj avvBXd^slv avxovg.
Wichtig fttr das Zeitverh<nis ist auch der
berOhmte Ausspruch Christi über Petrus als
Fels der Kirche Matth. 16, 18 f., von welchem
Ausspruch keiner der übrigen Evangelisten
etwas meldet. Derselbe weist offenbar auf
die Zeit des beginnenden Vorrangs der römi-
schen Kirche hin, ebenso wie das Anhängsel
zum Evangelium Joh. 21, 15—19.
*) Papias bei Euseb. bist. eccl. IIl 39:
JUarSaiog fikv ovv ^Eßgatdi, dtaXixrta i« Xnyta
avyeyQd^axo^ i^Q/atj^evas cf' avra wg tjy dv-
yatog ixaarog. Früher also übersetzte der
Presbyter jedesmal aus dem Stegreif die be-
treffenden Abschnitte jenes Buches; jetzt
trat an ihre Stelle die authentische griechi-
sche Uebersetzung.
^) So urteilte insbesondere Schleier-
macher; Zahn a. 0. 894 ff. plädiert für eine
einfache Uebersetzung.
'^) Nicht nur war die Logoslehre von dem
alexandrinischen Philosophen Philon vorbe-
reitet; es sagte auch bereits Heraklit im
Anfang seines Werkes tov di Xoyov rovde
ioytog aBt.
«) Wichtig ist der Vergleich der Stellen
über Lazarus bei Lucas 16, 20 — 31, der die
Wiederauferweckung des Lazarus noch nicht
kennt, und Johannes c. 11, der in Weiter-
fUhrung einer Andeutung jener ersten Stelle
die Erzählung ausschmückt. Hauptsächlich
mit Rücksicht darauf setzt Pfleiderer a. 0.
720 das Evangelium Johannes in das 2.
Viertel des 2. Jahrhunderts. Einen sicheren
Terminus post quem bildet die Anspielung
auf den Tod des h. Petrus 21, 18.
^) Cod. Vat. Reginensis 14 bei Zahn
a. 0. 898.
56*
884
ChriachiBch« LÜteratnrgeschicht«. m. Anhang.
dem von einem jüngeren Redaktor, wahrscheinlich dem Presbyter Johannes,
dessen überarbeitende Hand noch an vielen Stellen deutlich zu erkennen
ist.^) Mit der Apokalypse hat es nicht bloss den Autornamen gemein,
es sind auch beide Schriften an der gleichen Stelle, in den christlichen
Gemeinden Kleinasiens, entstanden und teilen die gleiche Bezeichnung
Christi als Lamm Gottes. Die Stellung unseres Evangeliums hinter den
übrigen Evangelien erklärt sich daraus, dass es am spätesten allgemeine
Anerkennung unter den Christen fand. Das geschah warscheinlich erst
infolge eines Kompromisses zwischen den Kirchen, welche die synop-
tischen Evangelien, und denen, welche das Johannesevangelium dem
Gottesdienst zugrunde legten.^) Alle Gemeinden indes hatten sich
nicht angeschlossen ; wenigstens bezeugt der Bischof Epiphanios, Panar.
II 51, 3, dass die Sekte der Alogoi die Echtheit des Evangeliums und der
Apokalypse des Johannes bestritten und beide dem Cerinthus, einem
Gnostiker aus der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts, zuschrieben.
Endlich bilden einen Teil des neuen Testamentes die jüngeren, den
alten nachgebildeten Briefe, nämlich der Brief an die Hebräer, verfasst
unter dem Eindruck einer Christenverfolgung, wahrscheinlich der unter
Trajan im Jahre 115,^) die deuteropaulinischen Briefe, insbesondere die
sogenannten Pastoralbriefe an Timotheos, Titus*) und Philemon,*) endlich
die unechten Briefe des Jakobus, Petrus, Johannes, «) Judas. Schon durch
die Sprache erweisen sich die meisten dieser Briefe, namentlich der des
Jakobus, der an die Hebräer und die an Titus und Philemon, als Pro-
dukte einer jüngeren Zeit, als die christlichen Lehrer sich bereits die Fein-
heiten des rhetorischen Stiles und die Korrektheit der griechischen Gram-
matik anzueignen begonnen hatten.*^) Dass aber auch fingierte Briefe in
das neue Testament gekommen sind, darf uns nicht allzu sehr wunder
nehmen; sind dieselben doch in einer Zeit entstanden, in der sich auch
M Es liegt die Yermutang nahe, dass
dieser Redaktor identisch ist mit dem Pres-
byter loannes, der nach dem Zeugnis des
Papias bei Euseb. Hist. eccl. III 39 im Be-
ginne des 2. Jahrhunderts in Ephesus lebte
und dem auch einer der johanneischen Briefe
angehört. Beachtung verdient, dass Johannes
in dem Evangelium selbst nur als 2^uge
angeführt wird (19, 35: o itogaxws fiefiag^
jv^xe xal (xXf]&iyij aviov iüxiv iq fiaQxvqia),
in dem falschen Schlüsse aber als Zeuge und
Verfasser (21, 25: ovtog [seil. 'Itadvyrjgl iciiy
6 fAadrjxrjg 6 fioQivQtSy tebqi xovrtoy xal
yQätpag javra,
*) Der Streit um den Vorrang der ein-
zelnen Evangelien hallt nach in dem inter-
essanten Kapitel des Eusebius Hist. eccl. III
24 7f€Qi jtjg T€(^eo}g rtoy evayyeXiuty,
«) Vgl. 10, 32 u. 12, 1. Dagegen setzt
ihn Harkack, Altchr. Litt. II 1, 475, weil
ihn Clemens Rom. reichlich benutzt habe, in
das J. 95, so dass an die Christenverfolgung
unter Nero zu denken sei.
*) Im Brief an Titus findet sich 1, 12
sogar ein Vers des Homer dtiert
') Es gab noch mehrere dem Paulas za-
geschriebene Briefe; 2 unechte Paulasbriefe
werden erwfihnt und zurückgewiesen in dem
muratorischen Fragment; Markion (um 150]
hatte nur 10 Briefe des Paalus in seine
Sammlung aufgenommen. Ueber den theo-
sophischen Epheserbrief s. Pflkioerib, He-
raklitische Sparen auf theologischem, insbe-
sondere altchristlichem Boden, Jahrb. f. prot
Theol. XHl (1887) 192-212.
^} Von den 3 Briefen des Johannes
rühren die beiden letzten laut der Anfschiift
nicht von dem Apostel, sondern dem Pres-
byter Johannes her.
^) Vom Hebräerbrief bemerkt dieses be-
reits Origenes bei Euseb. hist eccL VI 28:
Oll 6 /a^crxri;^ rijg Xs^Sfag ii^g TtQoc 'Eß^iwg
iTnyeygafifieytjg iniaroX^g ovx 1/« i6 h
Xoyfp idimxucoy xov dnoaxoXov ofjLoXoyrfCarfg
iavxoy iduoxtjy eivai ri^ Ao/^, xovti^i rj
(pQoaei, ccXXd iaxiy ^ inurxoXij avySioei x^
Xe^Ciog iXXtjyixütx^Qa, nag 6 inurxfifiet^ x^-
yeiy ipgäcewy duttpoQttg 6fioXayijca$ ar.
B. Christliche Sohriftsteller. 1. Die Schriften der altchrietlichen Kirche. (§ 670.) 885
die fiellenen darin gefielen, Briefe im Geiste eines Themistokles, Xeno-
phon, Aristoteles zu verfertigen und dieselben dann jenen Grössen der
Vergangenheit unterzuschieben.
Die Codices der Bibel gehen in mehrere Familien auseinander: die ftltesten sind der
Sinaiticns s. IV (jetzt in Petersbarg), Alexandrinas s. V (jetzt im britischen Museum), Yati-
canus s. IV, Ephraemi rescriptus s. Y (in Paris), Cantabrigiensis s. VI. Eine syrische
üehersetzung der 4 Evangelien ward 1893 in einem Cod. rescr. des Klosters Sinai von
Harris gefunden. Vgl. Bibeltext und Bibelfibersetzungen in Realencyklopädie ffir protestan-
tische Theologie, 3. Aufl. 1897.
Ausgaben auf kritischer Grundlage: von Griesbacb ed. II, Halle 1796—1806; von
Lachxann, Berl. 1831, ed. maior 1842 — 50; von Tisohbnbobf mit den reichsten handschrift-
lichen Hilfsmitteln, Lips. 1842; ed. octava crit. maior 1864 — 72. — Acta apostolorum secun-
dum formam quae videtur Romanam ed. Fa. Blass 1896; Evangelium secundum Lucam ed.
Fb. Blass 1897.
WiHBB-SoHMiEDBL, Grammatik des neutestamenthchen Sprachidioms, 7. Aufl., 1896;
Fb. Blajbs, Grammatik des neutestamenthchen Griechisch, Göttingen 1896; Wilkb-Gbimm,
Clavis novi testamenti philologica. ed. III, Lips. 1888; Cbbmeb, Wörterbuch der neutestament-
lichen Grftcität, Gotha 1895. — Uebrigens weisen die Schriften des neuen Testamentes sehr
grosse unterschiede in Stil und Sprache auf, worauf erst neuere Forscher grössere Aufmerk-
samkeit gerichtet haben, besonders Nobdbn, Die antike Eunstprosa 480 ff. Schon früher
hatte man beobachtet, dass in dem ganzen Evangelium Johannis kein Optativ vorkommt.
670. Ausserkanonische Schriften. Ausser den in den Kanon ^)
aufgenommenen heiligen Schriften gab es noch eine Anzahl apokrypher,^)
in die Apostelzeit zurückdatierter, aber von der Kirche nicht als authen-
tisch anerkannter Schriften. «) Nur ein kleiner Teil derselben hat sich
erhalten, darunter ein Brief des Barnabas,*) geschrieben in Ägypten
unter Hadrian,^) als die Juden sich Hoffnung machten, dass der Tempel
in Jerusalem wieder aufgebaut werde (16, 4); femer die Thaten {TtQccS^ig) des
Barnabas und der Apostel Thomas, Johannes, Andreas, Paulus und Petrus (aus
Anfang des 3. Jahrh.) ; ^) endlich die neulich aufgefundenen umfangreichen
Bruchstücke der Apokalypse und des EvangeUums Petri, welche verwandter
Art mit den zwei für kanonisch gehaltenen Briefen Petri und der aus Citaten be-
^) Gewöhnlich nimmt man an, dass um
170 ein solcher Kanon aufgestellt ward, und
statzt sich dabei auf Eirenaios Uli u. 11. Dort
ist allerdings vorausgesetzt, dass die jetzt in
unser Testamentum novum aufgenommenen
Evangelien und Briefe als authentisch von
der katholischen Kirche anerkannt wurden.
Aber weder ist fiberliefert, wer einen solchen
Kanon aufgestellt hat, noch durch welche
kirchliche Autorität derselbe allgemein re-
zipiert worden ist, so dass man nur sagen
kann, dass im 2. Jahrh. sich allmählich durch
den Gebrauch im Gottesdienst eine feste
Praxis über die zulässigen Schriften heraus-
gestellt hat; s.Zahk, Gesch. des neutest. Kanon
436 ff. Dabei hat offenbar neben Rom« wo die
synoptischen Evangelien entstanden, die klein-
asiatische Kirche, in der das Evangelium und
die Apokalypse des h. Johannes besonders in
Ehren gehalten wurden, einen massgebenden
Einfluss geübt; es war ja auch Eirenaios, der
erste Hauptzeuge des Kanon, als Schüler
des Polykarp ein Kind der kleinasiatischen
Kirche.^
*) 'Jnox^vtpa ßißXia bedeutet secreta et
recondita scripta.
>) Eusebius Hist. eccl. m 25 fOhrt als
nichtkanonische Schriften auf: xdq orofzau
t(oy änoaroXioy TtQog xtav ai^suxuiy ngo-
fpSQofi^yag ygatfdg ijtoi tag JlitQov xal Saifjiä
xal Mard-la rj xctl xirtav naqd rovtovg «Xktiv
evayydXia naQBxovaag, tj tag *Jv^qiov xai
'loiävpov xai rcSy dXXcjy d-noatoXtov nQcc^eig,
*) Barnabas war Mitarbeiter des Paulus
im Weinberg des Herrn; später trennte er
sich von demselben und suchte mit Markus die
Provinz Kypem auf; s. Act. apost. 15, 35 ff.
^) Ha^an ist 4, 3 als 11. Kaiser be-
zeichnet, indem ähnlich wie in der Apokalypse
gezählt ist: 1. Augustus, 2. Tiberius, 3. Gaius
Caesar, 4. Claudius, 5. Nero, 6. Yespasian,
7. Titus, 8. Domitian, 9. Nerva, 10. Trajan,
11. Hadrian. Funk und Hilgenfeld nehmen
den Nerva heraus.
^) Epiphanios Panar. 30, 16 p. 108, 25 er-
wähnt ausser unserer Apostelgeschichte noch
ngd^sig aXXag dnottToXtav ; ein gewisser
Leukios Charinos hat eine Geschiente der
Apostel Johannes, Thomas, Andreas ge-
schrieben, worüber Näheres gleich nachher.
Ueber die Zeit Habnagk H 1, 492 n. 548 f.
886
GriaohiBoha Lütaratargasohiclite. in. Anhang.
kannten Verkündigung {xrJQvyfAo) Petri sind und in die erste Hälfte des
2. Jahrhunderts gesetzt werden.^) — Eine kompendiöse Zusammenfassung
der alten, auf die Apostel zurückgeführten Eirchenlehre enthält die un-
längst von dem Metropoliten Bryennios aus einer Eonstantinopolitaner
Klosterbibliothek ans Tageslicht gezogene Lehre der zwölf Apostel
{SiSaxt} xvQiov Siä tdv SwSexa a/rocnroAaii'), von welcher der erste Teil
(c. 1—6) allgemeine Sittengebote, der zweite (c. 7 — 15) speziell kirchliche
Vorschriften über Taufe, Gebet, Heiligung des Herrntages, Eucharistie,
Beicht enthält. Das Kompendium wird schon von Clemens Alex, ström.
I 20 citiert; seine Abfassung setzt Hamack aus inneren Gründen in die
Zeit von 130—160. Mit der Didache hängen zusammen die etwas jüngeren
Kavovtg ixxXi^aiaHTixoi twv dyiwv anoaxohov (Canonea apostolici)^ welche
die ägyptische, gleichfalls auf die Apostel zurückgeführte Kirchenordnung
enthalten. Zu einem umfangreichen, die Lehre und heiligen Bräuche
umfassenden Handbuch sind jene Überlieferungen angewachsen in den um
300 entstandenen Anordnungen der heiligen Apostel (at xwv dytwr
anoatoliav Siard^eig^ Constitutiones apostolicae) in acht Büchern.*) — End-
lich der Zeit nach Eusebius gehören an das I^otoevangelium von der Kind-
heit Jesu {ybvvrflig MaQiaq rrjg ayiag &€ot6xov) und die Aufzeichnungen
des Nikodemos von dem Tode Christi (oder Acta Pilati vnopLVTjiicna twv
Tov XVQIOV rfi(ov *Irj<rov XQiaxov ngaxv^^i'^tov im DovTiov niXdrov),^)
unter den ausserkanonischen Schriften sind für die Geschichte, auch
die allgemeine, am wichtigsten die Apostellegenden, die zwar von Wundem,
Visionen und phantastischen Erzählungen überströmen, aber auch manche
historische Erinnerungen*) und wertvolle Reste altchristlicher Hymnen, Ge-
bete und Zeremonien enthalten. Auf diese Weise bilden dieselben eine
äusserst erwünschte Ergänzung zu . den kanonischen Ttgä^sig dnoaiohav
des Lukas, indem sie uns über die Gründungssagen der einzelnen Kirchen
und die Verbreitung des Christentums über die verschiedenen Länder der
Erde unterrichten. Denn wie einstens von den Städten Griechenlands und
Italiens jede ihren Heros oder Archegeten sich schuf, womöglich einen
aus dem Kreis der troianischen Helden, so bildeten sich in den christ-
lichen Gemeinden bunte, mehr oder minder auch historisch begründete
Sagen von der Gründung der einzelnen Kirchen durch einen der zwölf
Apostel oder 70 Jünger. Indien ward so das Missionsgebiet des Thomas,
der Pontus und der kimmerische Bosporus das des Petrus und Andreas,
Vorderasien und Phrygien das des Johannes und Philippus, Parthien und
Äthiopien das des Matthäus, Kypern das des Bamabas. Noch mehr haf-
teten in dem Gedächtnis der Gläubigen die Erinnerungen an den Tod und
«) Harnaok, Altchr. Lit. II 1, 456 flf. Das
Evangelium des h. Petras lässt derselbe 110
bis 130 in Aegypien entstanden sein; in ihm
allein, in keinem der kanonischen Evange-
lien spricht der Verfasser mit „ich* mid »wir".
') Interessant für die Stellung der Chri-
sten zu der alten Litteratur ist 1,6, wo von
der Beschäftigung mit den heidnischen Schrif-
ten, den aoipunixa und noitjtcxd, abgemahnt
wird.
') Pilatusacten erwfihnt bereits Eusebius
Hist. eccl. 9, 5 nach Tertnllian Apolog. 5, aber
die uns erhaltenen werden von den Kennern
für jttnger gehalten; s. Harhack, Altchr. Lit
I 21 f.
^) Hanptnachweise von Gctschhid, Die
Königsnamen in den apokryphen Apostel-
geschichten, Rh. M. 19 (1864) 161 fF. = Kl.
Sehr, n 332 ff. — üeber das Romanhafte in
jenen Erzählungen s. § 607.
B. ChriBtUcha SchriftsteUar. 1 Dia Schriftan der altchristliohen Kirche. (§ 67 1.) 887
die Grabstätte der Gründer der Gemeinden, so dass man in Ephesos das
Andenken an Johannes, in Hierapolis das an Philippus, in Rom das an
Paulus und Petrus nicht bloss bewahrte, sondern auch mit bestimmten
Örtlichkeiten in Verbindung brachte. Von den unter diesen Umständen
entstandenen Legenden hat sich ziemlich viel bis auf unsere Tage erhalten,
zum Teil freilich nur durch lateinische, syrische,^) koptische, slavische
Übersetzungen. Als Verfasser der dnoazoXwv nsQiodoi^ welche die nqu^eiq
näxQov '1(odvvov ^Avdqäov Gcofia UavXov umfassten, wird Leukios Cha-
rinos, ein Manichäer, also ein Nichtkatholik, genannt;^) aber ihr Inhalt
erregte so lebhaftes Interesse, dass sich dieselben trotz ihres ketzerischen
Ursprungs zum grossen Teil erhalten haben, wenn auch vielfach nur in
orthodoxer Umgestaltung als katholische Akten. Ausserdem sind aus
anderer Quelle auf uns gekommen die Acta des Barnabas, Philippus, Mat-
thäus, Petrus und Thekla.
TiscHBivDORF, Evangelia apocrypha, Lipe. 1843. Derselbe, Acta apost apocr. 1851.
Derselbe, Apocal. apocr. 1866. — Lifbits-Boknet, Acta apost. apocrypha^ Lips. 1891. —
R. A. Lipsiüs, Die apokryphen Apostelgeschichten und Apostellegenden, ein Beitrag zur alt-
christlichen litteraturgesctüchte, Braunschweig 1883—91, 3 Bde.
Fragmente eines neuen apocryphen Evangeliums aus den Papyri von Fajjum von Bickell,
Mitteilungen aus der Sammlung der Papyri Erzherzogs Rainer, 1887, 1 53—61, und von
Habnack in Texte und Unters. Bd V, Leira. 1889. — Petri neuentdecktes Evangelium und
Apokalypse, von Harnack 1893; dazu Dietkbich, Beiträge zur . Erklärung der Petrus-
apokalypse, Leipz. 1893. — üeber das Evayy^Xioy xar« Maqiäfx in einer koptischen Pap3niis-
handschrift C. Schmidt in Sitzb. d. pr. Ak. 1896 p. 839 ff. — Von den Acta Pauli eine neue
Recension neuerdings entdeckt in einem Heidelberger Papyrus. — Aus einem Papyrus-
blatt allemeueetens ans Licht gezogen Aoyia 'Itjitov by Grenfell-Hunt, London 1897.
Jtdttxtj taiy ^ixa anofftoXioy ed. Bbyenkios, Eonstantinopel 1883; zusammen mit
den Canones apostolici, von Hasnagk in Texte und Unters. 1884; von IVnck in Opera
patnun apostoL vol. 1, Tübingen 1887. — Constitutiones apostolornm ed. Lagarde, Lips.
1862; dieselben in einer älteren Fassung syrisch herausgegeben von Laoardb, DidascaJia
aposiolorum syriace, Lips. 1854. — Didascaliae apostolorum latine redditae fragmenta Vero-
nensia ed. Hauleb, Lips. 1897 (von 80 Palimpsestseiten).
671. Apostolische Väter. Eine dritte Klasse altchristlicher
Schriften bilden die Bücher der apostolischen Väter, d. i. der ehrwürdigen
Lehrer und Eirchenvorstände aus der nächsten Zeit nach dem Tode der
Apostel. Zu ihnen gehören vor allen:
Clemens Romanus, römischer Bischof in der späteren Regierungs-
zeit des Kaisers Domitian (88 — 97). Erhalten ist von demselben ein Brief
an die Gemeinde von Korinth aus dem Jahre 93 — 95, geschrieben zur
Schlichtung innerer Zerwürfnisse der dortigen Gemeinde. Angehängt ist
dem ersten, echten Brief ein zweiter unechter an die gleiche Gemeinde
aus der Mitte des zweiten Jahrhunderts. Später wurden unserem Clemens
Romanus weiter untergeschoben zwei Briefe über die Jungfräulichkeit und
20 Homilien und Rekognitionen;») auch als Verfasser der oben besprochenen
Satzungen und Anordnungen der heil. Apostel wurde derselbe ausgegeben.
^) Wright, Apocryphal acta of the
apostles, edited from syrian manuscripts,
Lond. 1871.
jfoy
») PhotioB Bibl. cod. 114: al Xe^ofieym
,joy dnootoXtay nsQiodoi, iv als nsQieixoyto
nQd^Btf UitQOv *Tiodyyov 'jy^giov Saud
JlavXav. ygtx^Si «tt avjdg log drjXoZ xo (tvi6
ßhßXiw Aevxios Xdgtyog. Im Verlauf nennt
er sie als Orthodoxer ndarjg atgioBtog nriyrjy
xal ui]T^Qa, Vgl. Habnack, Altchr. Lit. I
116 flf.; 11 1, 491 flf.
') Die Recognitionen {dyayytoQiafAol) sind
1861 dnrch Lagaadb aus dem Syrischen ans
Licht gezogen worden, üeber ihr Verhältnis
zu den Homilien s. Habnack, Altchr. lit. I
213 ff.
888 GrieohiBohe Litteratorgesohlohte. m. Anhang.
Die Anrufung des römischen Bischofs von seilen der korinthischen Ge-
meinde zur Schlichtung kirchlichen Streites wurde in der Folgezeit zum
Ausgangspunkt genommen, um daraus die Superiorität des römischen
Bischofs über die anderen Kirchen zu beweisen und den alten Inhaber
des römischen Stuhles zum Urheber der allgemeinen, katholisch-apostoli-
schen Kirchenordnung zu machen.
Zu den apostolischen Vätern gehören ferner:
Ignatius, Bischof von Antiochia, der bei der Christenverfolgung
unter Trajan im Jahre 115 den Märtyrertod fand. Von ihm sind sieben
feurige Briefe auf uns gekommen, die er auf seiner Reise nach Rom, wo
er für den Herrn sterben sollte, an die Gemeinden von Ephesos, Magnesia,
Tralles, Rom, Philadelphia, Smyma und an Polykarp richtete. Dieselben
haben in späterer Zeit umfangreiche, auch durch handschriftliche Mittel
auszuscheidende Interpolationen erfahren. Die erweiterte Sammlung liegt
der alten lateinischen Übersetzung zugrund.
Polykarpos, Lehrer des Irenäus und Bischof von Smyma, der am
23. Februar 154 (nach andern 166) durch den Prokonsul Statins Quadratus
hingerichtet wurde und als Märtjrrer noch heute in der griechischen Kirche
verehrt wird. Von ihm haben wir einen langen, vollständig aber nur in
lateinischer Übersetzung erhaltenen Brief an die Presbyter und Diakone
der Gemeinde von Philippi.
Papias, Bischof von Hierapolis und Freund des Polykarp, angeblich
Hörer des Johannes. Derselbe war Verfasser der ältesten, nur bruch-
stückweise uns erhaltenen Erklärung der Sprüche des Herrn {Xoyfatr xvQut-
xMv €^ijyT}aig) in fünf Büchern.
Der Verfasser des Briefes an Diognetos, einen hochgestellten
Heiden, über die Göttlichkeit der christlichen Religion, aus der Mitte des
2. Jahrhunderts.
Opera patrum apostoliconun ed. Hbfele, neubearbeitet von Fukx, Tübingen 1878, in
2 Bden; rec. Gebhardt-Habnack-Zahit, Lips. 1876 — 8, ed. mai. in 3 Bdn, ed. min. in 1 Bd. —
Neue Papiasfragmente von De Boob in Texte und Unters. Bd. Y 165-184.
672. Hermas. Dem Zeitalter der apostolischen Väter und der
Evangelienlitteratur steht zunächst der Hirt {noifir^v^ pastor) des Hermas.
Seinen Namen hat das Buch von dem Hirten in Engelsgestalt, der dem
sündigen Menschen in einer Vision erscheint und ihn in Vorschriften und
Oleichnissen über die Hauptsätze der christlichen Lehre unterrichtet. Das
Buch ist nicht aus einem Guss, sondern setzt sich aus mehreren, erst
durch Hermas zu einem Ganzen verbundenen Teilen zusammen, ^j Der
Name Hirt kommt eigentlich nur dem mittleren Hauptteil zu, der mit der
fünften Vision beginnt. Der Hirt ist die personifizierte Kirche und hängt
mit der in den christlichen Schriften und in den Bildern der Katakomben
oft wiederkehrenden Vorstellung von Christus als Hirt der Christengemeinde
zusam^men. Die Anschauungen und die Sprache des Buches gehen auf die
apokryphe Litteratur der Apokalypsen zurück. Der Mysticismus des Werkes
hat früh auch den Verfasser in ein mystisches Halbdunkel gehüllt. Schon
Origenes im Kommentar zu den Briefen des Paulus war geneigt, ihn mit
^) üeber diese einzelnen Teüe und ihr zeitliches Yerhftltnis zu einander s. Habhack,
Altchr. Lit. II 1, 263.
B. Christliche Sohriftsteller. 2. Die Eirohenvftier. (§§ 672—673.)
889
dem Hermas des paulinischen Briefes an die Römer 16, 14 zu identifizieren.
Aber daneben erhielt sich die andere glaubwürdigere Überlieferung, i) dass
ein um 140 lebender Hermas, ein Bruder des römischen Bischofs Pius I,
Verfasser des merkwürdigen Buches sei. Dasselbe ist uns vollständig in
zwei alten lateinischen Übersetzungen erhalten; 2) daneben kamen in
unserem Jahrhundert Blätter des griechischen Originaltextes in Hand-
schriften von Sinai und vom Berge Athos zutag.
üeber die Geschichte der üeberliefemng s. Haknack, Altchr. Lit. I 49 ff. Von dem
cod. Athous brachte zaerst Simonides 3 Blätter nach Leipzig, wo sie sich jetzt noch auf
der Bibliothek befinden; später entdeckte Lambros im Gregoriuskloster von Athos 6 weitere
Blätter (publiziert von Robinson, Cambr. 1888), von denen bereits Simonides eine nicht ge-
naue Abschrift nach Leipzig gebracht hatte; vgl. Byz. Zeitschr. 11 (1893) 79 f. u. 610 f. Ueber
einen Papyras Berol. Wiloken, Tafehi z. Paläogr. 1891 Nr. 111.
Hermae ed. princ. von Akoeb u. Dinoobf, Lei^. 1856. — Berichtigte Ausg. mit der
Yersio lat. von Gebhardt-Harnack, Lips. 1877; von Hiloenfbld ed. IIl, Ldps. 1887.
2. Die Kirchenväter.
673. Die Kirchenväter (patres ecclesiae) werden als Träger und
Zeugen der reinen christlichen Lehre aus dem allgemeinen Kreis der
Eirchenschriftsteller ausgeschieden. Voran stehen unter ihnen die Apolo-
geten oder die Verteidiger der christlichen Lehre, deren Blüte noch in das
2. Jahrhundert unserer Zeitrechnung fallt. Ihnen folgt mit Clemens von
Alexandrien die Klasse der gelehrten Kirchenschriftsteller, welche teils
zur Begründung des christlichen Glaubens tiefer auf die altgriechische
Philosophie und Poesie eingingen, teils sich selbständig an der historischen
Litteratur vom christlichen Standpunkte aus beteiligten. Die dritte Stelle
nehmen die in den Schulen der Sophistik gebildeten Kirchenväter Basileios,
Qregorios von Nyssa, Gregorios von Nazianz, Johannes Chrysostomos u. a.
ein, welche christliche Reden, Briefe, Aufsätze den ähnlichen Werken der
heidnischen Sophisten in glücklicher Rivalität gegenüberstellten. Die ersten
waren schlichte Männer, deren Bedeutung in der Festigkeit des Glaubens
und der Überzeugung von der Wahrheit der christlichen Lehre wurzelte ;
die zweiten knüpften an die Gelehrkamkeit und die litterarischen Studien
der Alexandriner an, aber ohne von ihnen das Beste, die Unbefangenheit
und Klarheit des kritischen Urteils, gelernt zu haben; die dritten waren
Kinder ihrer Zeit und teilten mit ihren heidnischen Rivalen die Vorzüge
und Fehler der Sophistik; zwischen den zweiten und dritten stehen die
Dogmatiker, welche mit theosophischer Bildung ausgerüstet, die Ausprägung
der Kirchenlehre in bestimmten Sätzen ((foy/iarcr) bewirkten. In den ersten
Jahrhunderten wurden die christlichen Schriften fast durchweg in griechischer
Sprache abgefasst; selbst in Rom bediente sich in der älteren Zeit die Christen-
gemeinde des griechischen Sprachidioms; erst gegen Schluss des 2. Jahr-
hunderts begann sich mit Minucius Felix und TertuUian eine lateinisch-
christliche Litteratur allmählich der griechischen zur Seite zu stellen. ')
1) Muratorisches Fragment in Mione
Patr. gr. X 36: pastarem nuperrime tempo-
ribus nostris in urbe Roma Herma conscri-
psU sedewte cathedra urbis Romae ecclesiae
Pio episcopo fratre eius.
*) Hausleitbb, De yersionibus pastoris
Hermae latinis, Acta sem. Erlang. III, 399
bis 477.
') Dieses ist im einzelnen nachgewiesen
von 0. P. Caspari, Zur Gesch. des Tauf-
symbols, Christiania 1875, Bd. Hl, 8. 267
bis 465.
890 Griechische Idtieratnrgoschichte. in. Anhang.
Sacra bibliotheca Banctonun Patrum, per MiiBOABiNini db la Bignb, Paria 1575,
8 Bde. — Maxima bibliotheca vetemin patmm (laianomin et graeconim), LB. 1677, 27 Bde. —
Bibliotheca veterum patrnm ed. Galland, Yen. 1765 ff., 13 Bde. — Gursos completos potro-
logiae ed. Miqnb, Paris 1857 ff., t. 1 — 104 die Griechen umfassend. - Berliner Corpus
oder kritische Aasgabe der griechischen christlichen Schriftsteller der ersten 3 Jahrhunderte,
mit literarhistorischen Einleitungen, in ca. 50 Bftnden, geleitet von der prenss. Akademie;
davon 1896 ausgegeben 1. Band, enthaltend Hippolytos.
Corpus apologetarum christianorum saeculi secundi, ed. Otto, 9 Bde, Jena 1842—61;
ed. II seit 1876; auf Grundlage des von Arethas, Bischof von Eaisarea, am 919 yenur
lassten Cod. Paris. 451. — Tatian und Athenagoras von Sohwartz, Lipe. 1888, Anfang einer
neueu Ausgabe der Apologeten in Texte und Unters, von Gbbhabdt-Harnack Bd lY.
MöHLEB, Patrologie, Regensb. 1840; Alzoo, Qrundriss der Patrologie, f^ibotg, 4. Anfl.
1888. — Fk8slkii, Institutiones patrologiae, Innsbr. 1850, 2 tom. — Babdbnhbwer, Fatrth
logie, Freiburg 1894, Hauptwerk. — Einzelne Artikel in der Realencykl. f. proi TheoL 3. Aofl.,
seit 1897.
Die Apologeten.
674. Justinus Martyr,^) von heidnischen Eltern in der samari-
tanischen Stadt Flavia Neapolis geboren, hörte in der Jugend griechische
Philosophen und behielt auch noch nach seinem Übertritt zum Christen-
tum den Philosophenmantel bei, woher er den Ehrennamen philosophus
Christianus erhielt. Als Verteidiger der christlichen Lehre gegen Heiden
und Juden, besonders gegen den Kyniker Crescentius, trat er in verschie-
denen Städten, wiederholt in Rom und Korinth auf. Den Tod fand er
unter Marc Aurel zwischen 163 und 167 als standhafter Zeuge (jntQU"^)
seines Glaubens. Von seinen Schriften (acht enthält der Katalog des
Eusebios Hist. eccl. IV 18, 11, zum Teil verschiedene nennen die Hand-
schriften) sind am bedeutendsten die zwei zusammengehörigen Ver-
teidigungsreden {anoXoyiai vntQ XQKfriavm'), gerichtet an Kaiser und Senat
zu Gunsten der Christen. Angeredet werden im Eingang der Kaiser An-
toninus Pius und seine Söhne Marcus und Lucius Verus, wonach dieselben
mit Wahrscheinlichkeit in das Jahr 150 gesetzt werden. Justinus tritt
darin, seine Sache mehr von der praktischen und politischen als der theo-
retischen und philosophischen Seite auffassend, als warmer Anwalt der
Christen auf, indem er ihren tugendhaften Lebenswandel und ihre Loyalität
als Bürger und ünterthanen hervorhebt. — Seinen eigenen Bildungsgang
legt er in dem Zwiegespräch mit dem Juden Tryphon dar. Bestritten- ist
die Echtheit der Rede an die Hellenen (loyog TtQog^EkXtjvag oder cifyx®?)»
der Mahnrede an die Hellenen (loyog naQuiverixog ngog "Eklr^vag i) und des
Buches von der Gotteinheit (negl piovaQxtag), Verloren gegangen ist ausser
anderem seine von Irenäus 1, 6 citierte Schrift gegen den Gnostiker Markion
{avvTayiÄft uQog MaQxmva),
Aristides, Philosoph aus Athen, hat noch vor Justinus eine Ver-
teidigungsrede der Christen (nsql ^eoasßeiag) an die kaiserlichen Macht-
haber gerichtet. Früher nahm man, gestützt auf das Zeugnis des Eusebios
Hist. eccl. IV 3 an, das offene Sendschreiben sei an den Kaiser Hadrian
während seines Aufenthaltes in Athen 125/6 gerichtet worden. Das ist
aber ein aus der Flüchtigkeit des Eusebios hervorgegangener Irrtum, da
die Zueignung der Schrift nach der syrischen Übersetzung lautete Ävto-
xQccTOQi KaiaaQi TtTtp ^ASQiar^ ^AvTCDveCvfj) 2€ßa(ftfp Evaeßst Maqxiavig 'A^i-
^) Habnaok, Altchr. Lit. I 99 ff.; ü 1, 274 ff.
B. GhriBtliohe SohriftsteUer. 2. Die Kirchenvftter.
I 674-675.)
891
CTCiSrjg q>iX6(fo(pog \4&r]vaTog. Demnach muss dieselbe ebenso wie die des
Justinus an Antoninus Pius (vollständig T. Aelius Hadrianus Antoninus
Pius) gerichtet sein.^) Auf uns gekommen ist die Schrift auf dreifachem
Wege: in einer syrischen Übersetzung, von R. Harris 1889 im Katharinen-
kloster des Sinai aufgefunden, in einer armenischen, nur den Anfang
enthaltenden Übersetzung, von den Mechitaristen Venedig 1878 heraus-
gegeben, und endlich in griechischer Originalsprache, in der sie, wie
Robinson entdeckte, in das mittelalterliche Erbauungsbuch Barlaam und
loasaph Aufnahme gefunden hatte.
Ausgabe von Edgab Henneckb, Die Apologie des Aristides, Recension und Rekon-
staruktion, Leipz. 1893 (= Texte und Unters. iV 3); von Sbbbbbg in Zahn, Forschungen V
159 — 414, Erlangen 1893. — Ausser der Apologie ist die armenische Uebersetzung einer
unter dem Namen des Anstides gehenden Predigt, De latronis clamore et crucifizi respon-
aione, von den Mechitaristen 1878 publiziert.
In der Chronik nennt Eusebios neben Anstides einen gewissen Qua-
d rat US, der Hörer der Apostel gewesen sein soll, als ältesten Apologeten.
Von seiner dem Kaiser Hadrian überreichten Verteidigungsschrift ist uns
aber so gut wie nichts erhalten.*) — Aus der gleichen Zeit stammte ein
von Ariston aus Pella verfasster Dialog zwischen dem Judenchristen
Jason und dem alexandrinischen Juden Papiskos (Idaovog xal Damaxov
avxiXoyia negl XQiatov),^) in dem nachgewiesen war, dass die Prophezei-
ungen des alten Testamentes zu der Person Christi stimmen. Die
Schrift selbst ist verloren gegangen, aber erhalten ist uns eine ihr nach-
gebildete Ältercaüo Simonis Judaei et Theophili Christiani aus dem 5. Jahr-
hundert, herausgegeben von Harnack in Texte u. Unters. I 1, 3.*)
675. Tatianos aus Syrien war im Heidentum geboren und in Rom
durch Justinus für das Christentum gewonnen worden ; in seinem späteren
Leben fiel er wieder von der Kirche ab und wirkte, in seine Heimat nach
Mesopotamien zurückgekehrt, für die Irrlehre der Enkratiten, welche in
ihrer Strenge {iyxQaTeia) jede fleischliche Vereinigung, auch die eheliche,
als sündhaft verwarfen. In Rom schrieb er um 152 die Rede an die Hel-
lenen (Xoyog TVQog '^ElXrjvag) in 42 Kapiteln, aus der mehr der Sohn der
Sophistik als der philosophische Denker spricht. Er wendet sich darin
gegen die sittlichen Ausartungen der Hellenen und Römer seiner Zeit,
insbesondere gegen die Grausamkeit der Gladiatorenspiele und die Unsitt-
lichkeit der Theater, weist die Versuche, mit Hilfe der Dämonenlehre und
der Allegorie dem alten Götterglauben aufzuhelfen, zurück und macht zu
Gunsten des Christenglaubens das geringere Alter der griechischen Philo-
sophie und die Uneinigkeit der sich selbst gegenseitig befehdenden Philo-
sophen geltend. <^) In der Sprache trägt er geradezu Geringschätzung der
Regeln der Attikisten zur Schau, indem er verlangt, dass einer spreche,
wie ihn die Natur, nicht wie ihn die rhetorischen Schulmeister lehren
») Harwaok, Altchr. Lit. II 1, 271 f.
«) Haenaok, Altchr. Lit. I 95 f.; H 1,
269 f.
») Habnack, Altchr. Lit. I 92 ff.; II 1,
268. Die Hauptstelle aber die Schrift steht
bei Origenes c. Gels. IV 51.
^) üeber den von Eusebios öfters citierten
dogmatischen Dialog des Caius und Proculus
aus der Zeit des römischen Bischofs Zephyrin
um 218 s. Harnack, Altchr. Lit. I 601 f.
*) üeber die geringe Zuverlässigkeit des
Tatian in seiner Galerie plastischer Kunst-
werke (c. 33—35) s. Ealkxank, Tatians
Nachrichten über Kunstwerke, Rh. M. 42, 489
bis 524.
892 Griaohüiohe LitieratnrgMohiohte. m. Anhang.
(c. 26). Von seinen späteren häretischen Schriften war am bekanntesten
To Sid TtffifäQiav evayyähov^ worin er, einem sehr praktischen Gedanken
folgend, die 4 Evangelien in 1 zusammenzog, dabei aber auch manches,
was sich nur bei einem Evangelisten fand, wegzulassen sich erlaubte.
Von lateinischen Kirchenvätern schrieb einen Apologeticus Tertullian
unter Severus im Jahre 197 ;i) derselbe war so angesehen, dass er nach
Euseb. Hist. eccles. II 2 auch in das Griechische übersetzt wurde ; von der
Übersetzung hat sich aber nichts erhalten.
676. Athenagoras aus Athen war vom Piatonismus zum Christen-
tum übergetreten; über seine sonstigen Lebensverhältnisse schweben wir
im Dunkel ; ansprechend indes ist die Vermutung von Zahn (Forschungen
III 60), dass er eine Person sei mit dem Athenagoras, dem der Platoniker
Boethos sein Buch nsQl tdov naqd nidtonvi dnoQovpikvaiv Xä^scov gewidmet
hat (Photius cod. 155). Von Alexandria aus richtete er im Jahre 177 an
den Kaiser M. Aurel und dessen Sohn Commodus eine wohl disponierte
und gut geschriebene Schutzschrift {nQBcßeia nsql XQKfTiavtoVy supplicatio
pro Christianis, in 37 Kapiteln), in der er in ruhigem Ton und mit über^
zeugender Kraft die gegen die Christen erhobenen Vorwürfe des Atheis-
mus, der ödipodischen Verbindungen (Blutschande) und der thyestischen
Mahle (Verzehrung der Kinder) zurückweist. Eine andere Schrift des-
selben von der Auferstehung der Toten {loyog ncQi dvaa%da€wg %wv vsTt^mv)
sucht die Lehre der christlichen Kirche dialektisch zu begründen. Athena-
goras zeichnet sich vor allen Apologeten des 2. Jahrhunderts durch Kor-
rektheit der Form und Schönheit der Sprache aus.
677. Eirenaios (Irenaeus), aus Kleinasien stammend, war Schüler
des Polykarp und starb als Bischof von Lugdunum (Lyon) den Märtyrer-
tod bei der Christenverfolgung unter Severus 202. Von einem Empfehlungs-
schreiben, welches ihm, der damals noch Presbyter war, die Bekenner von
Lyon und Vienne an den römischen Bischof Eleutheros mitgegeben hatten,
berichtet uns Eusebios in der Kirchengeschichte V 4. Eirenaios war einer
der hauptsächlichsten Vermittler der Kirchen Roms und Kleinasiens, indem
er die durch den ehrwürdigen Polykarp festgesetzte Kirchenordnung des
Ostens nach dem Westen und der Hauptstadt des Reiches brachte. Seine
schriftstellerische Thätigkeit war eine reiche und mannigfaltige. Die
meisten der 16 Schriften, von denen wir Kenntnis haben, betreffen die
Erklärung von Büchern des alten und neuen Testamentes. Aber sein
grösstes und berühmtestes Werk war die apologetische oder vielmehr
polemische Schrift ^'Elsyxoq xal ävarQonr] Ttjg xp€vdwi'vp.ov yr<ii<r€o)g in 5 B.
Dieselbe war, wie schon der Titel ansagt, nicht gegen die Heiden, son-
dern gegen die gnostische Sekte der Valentinianer gerichtet; im griechi-
schen Original sind uns von derselben nur Bruchstücke erhalten, so dass
wir wesentlich auf die alte lateinische Übersetzung angewiesen sind. Von
dem dogmatischen Brief, den Eirenaios unter Kaiser Commodus an einen
gewissen Plorinus in Kleinasien richtete, Ttsgi liovaqxiaq fj nsqi %ov /*ij «rai
^sov noir^xf^ xaxiov, haben wir ein Fragment bei Eusebios Hist. eccles. 5, 20.
*) ScHAKz, Rom. Lit. III 248.
1
B. ChriBtliohe Bohriftstoller. 2. Die Eirohenvater. (§§ 676—679.)
893
Von seinen verschiedenen Sendschreiben betriift das uns teilweise erhaltene
an den Papst Victor die strittige Frage über die Zeit der Osterfeier.
Gesamtausgabe von Harvey in 2 Bdn, Cambridge 1857.
678. Theophilos, der gleichfalls von heidnischen Eltern geboren
war und nach Eusebios als sechster Bischof der Kirche von Antiochia
vorstand/) ist Verfasser der drei Streitschriften gegen Autolykos. Dieser
Autolykos war ein früherer Bekannter des Bischofs, gegen dessen Be-
spöttelungen des Christentums die zu Anfang der Regierung des Commodus,
nach 180, geschriebenen drei Schriften gerichtet sind. Auch hier werden
die Christen gegen die Beschuldigungen der Blutschande und die aus der
Abendmahlsfeier (Eucharistie) entstandenen Gerüchte von Menschenmahlen
in Schutz genommen ; seine Weisheit schöpfte der Apologet nicht aus der
Lektüre der klassischen Autoren, sondern aus der Kompilation landläufiger
Florilegien.^) Theophilos hatte ausserdem katechetische Bücher und pole-
misch-dogmatische Schriften gegen den Gnostiker Markion und die Sekte
des Hermogenes verfasst, die aber frühzeitig verschollen sind.
Ungefähr der gleichen Zeit gehören an ApoIIinaris, Bischof von
Hierapolis in Kleinasien, und Melito, Bischof von Sardes, die gleiehfalls
Apologien für die Christen an den Kaiser (Apollinaris an M. Aurel) ge-
richtet und die Wahrheit des Glaubens {tisqI ahj&slag) gegen Anders-
denkende verteidigt hatten.')
Undatiert, aber doch wahrscheinlich der Zeit der Apologeten ange-
hörend ist die Schrift eines gewissen Hermeias JiaavQfiog xtöv €^w (fi^
Xoaoipwv in 10 Kapiteln. Dieselbe ist mit Witz in der Absicht geschrieben,
die Nichtigkeit der heidnischen Philosophie aus dem Widerstreit der Mei-
nungen darzuthun. Aber sein Wissen verdankte der Verfasser nicht einem
tieferen Studium der alten Philosophen selbst, sondern den landläufigen
Kompendien der Lehrsätze der Philosophen über das, was Seele, was
Gott, was Welt ist.*)
Die gelehrten Kirchen?ftter bis Konstantin.
679. Seit dem 3. Jahrhundert trat in der christlichen Litteratur eine
weittragende Wendung dadurch ein, dass Rom und das Abendland von dem
griechischen Einfluss sich allmählich emanzipierte, und nunmehr die Abend-
länder in dem Gottesdienste und in der Litteratur ihre eigene Sprache,
die lateinische, zu gebrauchen begannen. Schon gegen Ende des 2. Jahr-
hunderts hatten die lateinischen Kirchenväter Minucius Felix und Tertullian
diesen Umschwung vorbereitet; namentlich hatte das Ansehen des letzteren
viel dazu beigetragen, die Selbständigkeit des lateinischen Idioms zum Durch-
bruch zu bringen. Auf der anderen Seite änderte sich im 3. Jahrhundert
der Charakter der christlichen Litteratur dadurch, dass Asien mit
seiner Vorliebe für Reden und Apologien in den Hintergrund trat, dafür
aber Alexandrien mit seiner altererbten Gelehrsamkeit steigenden Einfluss
^) Bezüglich der Zeit, welche Eusebios
falsch angibt, steht nur so viel fest, dass
Theophüos nicht vor 181 gestorben ist; s.
Harhack, Altchr. Lit. U 1, 211.
«) DiBLS Rh. M. 30, 174 ff.
») Habnack, Altchr. Lit. I 243 ff. 246 ff.
*■) DiBLS, Doxographi graeci p. 259 ff.
894
Qrieohiflche LitteratiirgeBoliichte. m. Anhang.
gewann. Die bedeutendsten Eirchenschriftsteller des 3. und teilweise des
4. Jahrhunderts, mochten sie nun griechisch oder lateinisch schreiben,
waren eben in Afrika geboren. Aber während f&r die Lateiner das feurige
Blut der Nachkommen der Altkarthager den Antrieb gab, nährten sich die
griechischen Kirchenväter an der Gelehrsamkeit der alten Schulen Ale-
xandriens. So fanden nunmehr die gelehrten und historischen Studien,
in welche zu Alexandrien infolge alter Tradition die Gebildeten eingeweiht
wurden, auch in die kirchliche Litteratur der Griechen Eingang.
680. Hippolytos hatte die Vorträge des Eirenaios in Gallien ge-
hört^) und war dann in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts in Rom
als Erzpriester {aQxitQsvg) thätig. Mit dem römischen Bischof Kallistus 11
entzweite er sich in Sachen der kirchlichen Disziplin, indem er sich den
Grundsätzen der Noetianer zuneigte.*) Im Jahre 235 musste er nach Sar-
dinien in die Verbannung wandern. In der Ghristenverfolgung des Kaisers
Decius starb er in Rom den Märtyrertod, nachdem er sich zuvor mit der
Kirche wieder ausgesöhnt hatte. Ein Gedicht auf ihn als Märtyrer ver-
fasste der Papst Damasus und später Prudentius, Peristeph. XI de passione
5. Hippolyti.') Mit dem geistesverwandten Origenes stand er nach dem
Zeugnis des Photius cod. 121 in intimem Gedankenaustausch. Eine sitzende
Statue von ihm befindet sich im Lateran ; auf dem Stuhle derselben steht
ringsum ein leider verstümmeltes und unvollständiges Verzeichnis seiner
Werke,*) ähnlich wie bei der sitzenden Statue des Euripides. Die zahl-
reichen, zum grössten Teil verlorenen Schriften, bestanden in Kommentaren
zu Büchern des neuen und namentlich des alten Testaments, in dogmati-
schen Streitschriften und historischen Abrissen, endlich in metrischen Auf-
schriften zu den heiligen Büchern {(pial etg ndaag %äg y^ayxig),^) Von
den historischen Schriften sind die XQovixd, in denen nach dem Vorgang
des Julius Africanus zur profanen Geschichte der alten Chronographen
auch noch die jüdische und christliche gestellt war, uns teilweise in latei-
nischen Bearbeitungen, namentlich in dem sogenannten Liber generationis
erhalten.^) Zu den historischen Schriften im weiteren Sinne gehört auch
die chronologische Schrift über die Osterzeit mit dem Anhang einer Oster^
tafel {dnoSsi^ig xQ^'ov tov ndaxa xal tu iv %^ nlvaTu).'^) Das Hauptwerk
fjia^Tijg EiQijyaiov
*) Photios cod. 121:
6 'InnoXvTog,
*) DöLLiNOER, Hippolytus und Kallistus,
Regensbnrg 1853.
•) Die metrische Inschrift auf ihn im
Cosmeterium Hippolyts von Damasus, in Da-
masi epigr. ed. Ihm n. 37.
*) CIG 8613; genauere Abschrift bei
Habnack, Altchr. Lit. I 607.
*) Die Lesart eis beruht auf Ergänzung
der lückenhaften Stelle; Habnack 1 609 wollte
dafür i^dai ü = (^idai diaxooiai lesen; dann
würde aber ndaag rag yQatfdf ganz in der
Luft schweben. Vermutlich waren die tadai
metrische Aufschriften zu den einzelnen
Schriften des Testamentes, ähnlich den litte-
rarischen Distichen des Varro und Kalli-
machos. So deutete die üeberüeferung schon
J. Scaliger, De emend. tempor. p. 729: qn-
grammaia in omnea libros aacros, quae sunt
quasi neQioxai et, ut vulgo loquuniur, argu-
menta librorum.
«) Das Verhältnis klar gestellt von C.
Fbick, Chronica minora, Lips. 1893, vol. I;
dazu vgl. Harnaok, Altchr. Lit. I 626 f. und
645 f.; Schanz, Rom. Lit ni 404 f . — Ueber
den mit dem Liber generationis verbondeoeo
JittfABQiafiog rijg yijg Gdtschmid Kl. Schr.V
613 flf.
^) Aus der Zeit nach Hippolytos stammt
die verwandte Schrift über das Ostemfest
von Anatolius, Bischof von Laodicea [aäi
286), die uns nur in lateinischer Ueber-
Setzung unter dem Titel Anatoli de ratione
paschali erhalten ist; vgl. Harrack, Altchr.
Lit. 1 436; Sohamz, Rdm. Lit Ul 405.
B. ChristUolie SohriftoteUer. 2. Die Kirohenvftter. (§§ 68()--681.)
895
unseres Autors war gegen die Irrlehren gerichtet und hatte den Titel
^'EXeyxog xata nacwv aiQäaswv in 12 B., wofür Photius bibl. 123 kurzweg
sagt (fviTayfia xard cdqsaewv iß\ Das Werk war nach den in demselben
enthaltenen Anzeichen um 230 verfasst. Von demselben kannte man früher
nur das erste Buch mit dem Spezialtitel <S>iXoaoifovfx€va^ und dieses unter
dem falschen Namen des Origenes.^) Im Jahre 1842 wurden durch den
Griechen Minas auch die Bücher 4 — 10 aus einem jetzt in der Pariser
Bibliothek befindlichen Codex ans Licht gezogen. Am wichtigsten für die
Kenntnis des Altertums ist der erste Teil des Werkes oder Buch 1 — 4.
Derselbe handelte, wie der erhaltene Eingang des fünften Buches angibt,
von der Religion und der Philosophie der alten Griechen. Leider fehlen
gerade von diesem Teil die Bücher 2 und 3; von dem, was auf uns ge-
kommen ist, bezieht sich das erste Buch auf die Systeme der alten Philo-
sophie,^) das vierte auf den Aberwitz der Astrologen und Magier. Das
erste bleibt zu sehr auf der Oberfläche, als dass wir aus ihm etwas Neues
von Bedeutung lernen könnten, das vierte aber enthält viele interessante,
wenn auch wenig erfreuliche Angaben über den herrschenden Aberglauben
des Volkes.
Ed. princ. des Hauptwerkes von Miller, Paris 1851; Hanptausg. von Dunckbr und
ScHNBiDEWiN, Gött. 1859. — Die Fragmente der Übrigen Werke gesammelt von Paul
DK Laoardb, Hippolyti Romani ^uae feruntur onmia, Lips. 1858. Dazu Bradkk, Das neu-
entdeckte vierte Buch des Damel-Commentars von Hippolyt, Bonn 1831. — Die Philo-
Bophomena neuerdings herausgegeben von Diels, Doxogr. gr. 551—576. — Der Unechtheit
verdfichtig ist die unter seinem Namen erhaltene Predigt, wenn echt, die ftlteste ihrer Art,
Xoyoq €ig ta ayia »sotpayeia. — Hauptausgabe der Gesamtwerke im Berliner Corpus 1. 1.
681. Clemens Alexandrinus, mit vollem Namen T. Flavius
Clemens, eröfihet die Reihe der gelehrten Kirchenväter Alexandriens. Der-
selbe war Presbyter von Alexandria und ein Zögling der um die Mitte des
2. Jahrhunderts gegründeten Katechetenschule von Alexandria. Dort hatte
er als begeisterter Schüler den Pantainos gehört, der selbst von der Stoa
zum Christentum übergetreten war.») An dessen Seite wirkte er dann selbst
seit 189 an jener Schule, verliess aber 202 die bisherige Stätte seiner
Thätigkeit, um sich der Christenverfolgung unter Septimius Severus zu
entziehen. In hohem Alter zwischen 211 und 218 starb er eines natür-
lichen Todes. Clemens ist der erste unter den Kirchenvätern des Orients,
der, über die schüchternen Anfänge kleiner Verteidigungsschriften hinaus-
gehend, eine ausgedehnte und selbständige Schriftstellerei entfaltete. Von
seinen zahlreichen Schriften sind uns drei erhalten, welche in engerem
Zusammenhang zu einander stehen und gewissermassen eine Trilogie im
platonischen Sinne bilden,*) nämlich der llQOTQsmixdg Xoyoq TtQOQ^'EXXrjvag^
der in einleitender Weise die Griechen für die christliche Lehre zu ge-
^) üeber die bestrittene Autorschaft des
Hippolytos s. ÜEBBBWBO, Grundriss IP 56,
Caspabi, Taufsymbol III 377 ff., und das
Hauptwerk von G. Yoleji ab, Hippol^tus und
die römischen Zeitgenossen oder die Philo-
sophumena und die verwandten Schriften,
nach Ursprung, Komposition und Quellen
untersucht, Zürich 1855.
*) DiBis, Doxogr. gr. 144—156.
») üeber Pantainos Habnack, Gesch. d.
altchr.Lit. I 291-6.
^) Ausgesprochen ist der Zusammenhang
im Eingang des Paidagogos; er war es ge-
wiss auch im Anfang der Strom ateis, der aber
verloren gegangen ist. Das 4. Werk der Tetra-
logie scheinen die verlorenen 'YTiortmaSaet^
gewesen zu sein.
896
Grieohüieha littoratnrgMohiohte. lEL Anhang.
winnen sucht, der naidayfoyog in 3 B., der die Hauptsätze der ehrisÜiclien
Sittenlehre enthält,^) die 2tQ(a^a%eig in 7 B.,^) welche von ihrem bunten
Inhalt Teppiche (vollständig xa%tt %i]v äXfi&fj <p$Xo(ro<f(av yvwaux^v vnofivri-
fioTwv arQODfiareTg ström. I 29 extr., Phot. cod. 111) genannt sind.') Verloren
gegangen sind die "^Ynoxvnoiaeig^ welche im Anschluss an Schriftstellen des
alten und neuen Testamentes die Hauptsätze (Umrisse) der christlichen Lehre
enthielten,^) und mehrere kleinere Schriften, die schon Photios cod. 111 nur
mehr vom Hörensagen kannte. Für den Philologen ist von den erhaltenen
Werken weitaus am wichtigsten das letztgenannte, welches durch die Fülle der
Citate und gelehrten Notizen an das ungefähr zu gleicher Zeit entstandene
Sophistenmahl des Athenaios erinnert. Stützt sich Clemens in den ge-
lehrten Erörterungen auch nicht auf eigene ausgedehnte Belesenheit und
lässt er auch nur zu oft die Unbefangenheit kritischen Urteils vermissen,^)
so verdanken wir ihm doch die Erhaltung einer Fülle interessanter Be-
obachtungen der Gelehrten Älexandriens. Keiner der übrigen Kirchen-
väter kommt ihm an Kenntnis und allgemeiner Bildung gleich. Eusebios,
der den Schein gleicher Gelehrsamkeit zu Schau trägt, hat das Beste
einfach ihm abgeschrieben. Der leitende Gedanke seiner Schriften ist
derselbe, den schon die alexandrinischen Juden, insbesondere Aristobulos
im Anschluss an Piaton Tim. p. 22 ausgesprochen hatten, dass nämlich die
Philosophie und die ganze Wissenschaft der Griechen jünger als die der
anderen Völker sei, und dass dieselben das Beste von den Juden entlehnt
hätten. <^) Im übrigen steht Clemens der griechischen Philosophie und Bil-
dung freundlich gegenüber, da nach ihm zwar erst das Christentum die
Wahrheit gebracht hat, aber doch die Schriften der alten Griechen dazu
beitragen, den Geist zu veredeln, und so als nQonaideviiata ^) ihn zur Auf-
nahme und zum Verständnis der christlichen Lehre empfanglich machen.^)
*) Ueber die Benützung des Paidagogos
durch Teitullian de spectaculis Noblbeghkn
Phüol. Suppl. VI 762.
') Ein achtes, aus verschiedenen TeUen
zusammengesetztes Buch ist von fremder
Hand zugefügt. Dass mit dem 7. Buch das
Werk schüessen sollte, sagt Clemens aus-
drücklich YIl 18. Der Schlusssatz xal dtj
fÄBxd Toy ißdofAoy rovioy ^fjuv axQiafJiaxia
tmy i^fjg an' ccXXfjg ff'p/^c noirja6fA6&a toV
Xoyoy ist natürlich interpoliert.
«) Strom. IV p. 204: larw cf^ ^/aty ra
vno/nytjfiara TtoixlXa, tog avto Tovyofid (ptjai.,
öiBütQfofjLiytt, ähnlich am Schluss des 7. Buches.
Vgl. die ähnlich benannten KbotoL des Julius
Africanus und den ninXog des Aristoteles.
Den Titel stromaton hatte bereits Caesellius
Vindex (Priscian I 210, 17; 230, 11 ed. Hertz)
seinem Buche gegeben; auch von Plutarch
erwähnt ZrQfofiateig Euseb. pr. ev. T 7, 16.
*) Nach Photios cod. 109 enthielten die
YnoTvntoaeig viele gottlose Annahmen (eis
aceßerg xai fiv9(o66ig Xoyovg ixg)iQetai), Dar-
aus erklärt sich ihr frühes Verschwinden,
üebngens hat sich ein Teil des Buches in
latemischer üebersetzung erhalten unter dem
Titel Adumbrationes in epistolas caiMicai,
angefertigt von Gassiodor, in neuer Beacbei-
tung von Zahk, Forschungen lü 79—103.
<) .Clemens ist ein Schiifteteller, der die
Gepflogenheiten seiner Zeit, das Erbeachehi
einer profunden Gelehrsamkeit und YersteckeD
der sehr trivialen Handbücher, aus denen sie
stammt, aus dem Grunde versteht.' Wila-
MOWiTZ, Eur. Herakl. 1 171. Ueber die Qaelleo
s. Ad. Scheck, De fontibus Clem. Alex., Progr.
Augsb. 1889; Dbbbkwbg, arundriaa IV 70 £
') Die Kenntnis von den Schriften der
alexandrinischen Juden schöpfte Clemens ans
Alexander Polyhistor; s. Cobbt, *EQfi^g 1 170.
— Die Stelle des Piaton lautet: xm tim
einety rtöy IsQ^toy sv fjUtXa TiaXatoy e» JSo2«r,
£6X(oy, ISXXrjyeg dei naideg icri, yiqmr di
"^Xtjy ovx hfxiy.
^) Vgl. Norden, Die antike Kunstprosa
S. 673 £f., wo auch der Zusammenhang mit
dem alexandrinischen Juden Philo gut be-
tont ist.
») Strom. I 16 p. 133: dXT W x«i fiV
XttXttXafAßdyst 9/ "^EXXrjyixt) ffnXoaoipia x6 fU-
ys&og xfjg dXi]&€lag, hidk iiaa&ByBi n^xxeu^
xdg xvQiaxdg iytoXdg, dXX' ovy ye ji^owfTff-
B. Chriatliche Schriftsteller. 2. Die Eirchenvftter. (§ 682.) 897
Die christlichen Zeloten der folgenden Jahrhunderte haben ihn vielfach
geradezu verketzert, weil er namentlich in dem Buche '"YnorvTiciffBig Ge-
danken aussprach, die über die engherzigen Schranken der von Atha-
nasios und Kyrillos ausgeklügelten Dogmen hinausgingen. Für die Ge-
schichte der griechischen Litteratur sind besonders wichtig die Abschnitte
von den Erfindungen der Alten (ström. I 16, p. 76—80), von der Lebens-
zeit Homers (ström. I 21, p. 117), von den Werken der Orphiker (ström.
I 21), von den Stellen der griechischen Philosophen und Dichter, welche
aas der jüdisch-christlichen Lehre gestohlen sein sollen (ström. Y 14), oder
in denen dieselben einander selbst bestohlen haben (ström. VI 2).
Ausgaben: von Sylbürg, Heidelberg 1592, nach ihren Seiten wird von ans citiert;
von PoTTEB, Ozonii 1715, in 2 Bden; von Dikdobf mit den älteren Kommentaren, Oxonii
1869, in 4 Bden; Texiansgabe von Klotz in der Bibliotheca patmm ecclesiae graec, Lips.
1831. — lieber die handschriftliche Grundlage (Paris. 451 Hauptcod., im Auftrag des lärz-
bischofs Arethas im J. 914 geschrieben; Laurent. 5, 3) erstattet vorläufigen Bericht Stahlin,
Obs. crit. in dem. Alex., Erl. 1890; von demselben wird eine neue kritische Ausgabe des
ganzen Origenes erwartet. — Ad. Scbbck, De fontibus ClementiB Alexandrini, Progr. von
St Stephan in Augsburg 1889.
682. Origenes ist der grosse Polyhistor der griechischen Kirche,
den schon Hieronymus mit dem römischen Polyhistor Varro zusammenstellte,
und der von seinen Zeitgenossen wegen seines andauernden Fleisses den
Beinamen 6 ädafidvziog erhielt. Er war 185 zu Alexandria als Sohn
christlicher Eltern geboren und machte seine Studien unter der Leitung
des Clemens Alexandrinus. Daneben soll er auch mit dem Neuplatoniker
Ammonios Sakkas verkehrt haben. ^) Zum Lehrer und Gelehrten geschaffen,
hielt er nach Clemens' Weggang (202) in Alexandria und später, seit 216
nach dem Blutbad, das Caracalla in Alexandrien angerichtet hatte, im
palästinischen Cäsarea Vorträge und beteiligte sich auch anderwärts, in
Arabien, Antiochia,^) Athen an Disputationen über Fragen der Lehre und
der Disziplin der Kirche. Dadurch wurde er in den Strudel der kirchlichen
Streitigkeiten gezogen und sogar von der Synode zu Alexandria exkom-
muniziert (232). 3) Nach einem bewegten Leben starb er im Jahre 254 in
Tyrus bei der Christenverfolgung. — Von den Werken des Origenes gab der
lateinische Kirchenvater Hieronymus in der Vorrede zum Kommentar des Ori-
genes über die Genesis ein Verzeichnis , das zum grossen Teil , zusammen mit
dem der varronischen Schriften, in einer Handschrift von Arras auf uns ge-
cxeväCei irjy odoy xj ßaaiXixtoTttTn Macxakitjc
ttfÄijyäni] coD^QoyiCovaa xal ro rjdog tiqo-
Ttmovoa xal ngoatvfpovaa eig naQuSoxrjy xrjg
aXfi^eiag trjy nQoyoiay. Wichtig fttr die philo-
sophische Auffassung des Clemens sind auch
die Sätze: nXioy de ian lov matevaai td
yytoyai Strom. VI 14 p. 283, und dia r^g
yytuaewg xeXeioviai 17 niang tag teXeiov rov
niaxov xavxn fioyatg yiyyofiiyov Strom. VII 10
p. 310. Ganz anders sagt schon Basileios
d. Gr. hei Migne 30, 104 nlaxig ijyeia&<o xcSy
nBQi ^Bov Xoytoy. Freilich von einer kon-
sequenten Durchfuhrung des Vemunftprinzips
ist auch hei Clemens keine Rede.
*) 80 herichtet Porphyrios hei Eusehios
Hist. eccl. VI 19, 7; eine Verwechselung des
christlichen Origenes mit dem gleichnamigen
heidnischen Schüler des Ammonius vermutet
Zblleb, Phil. d. Gr. III» 2, 459 f.
') Nach Antiochia herief den Origenes
Julia Mammaea (Euseh. Hist eccl. VI 21),;,die
Mutter des nachmaligen Kaisers Alexander
Severus, und die Nichte der Julia Domna,
welche den Philostratos zur Abfassung des
Lebens des ApoUonios von Tyana bewogen
hatte.
•) Unter anderem warf ihm sein neidi-
scher Gegner vor, dass er sich in der Jugend,
um den Versuchungen zu entgehen, unter
Berufung auf Matth. 19, 12 Bvyoyxioay iav-
xovg dtd xYJy ßaaiXeiay xtoy ovqaydiy ent-
mannt habe; s. Euseb. h. e. VI 8.
Handbuch der klan. AltertunuiwiaseiiBchAft. VII, 3. Aafl. 57
898 Qrieohiaoho LitteratnrgMchiohte. m. Anlumg.
kommen ist.^) Die Zahl der Schriften war dadurch ins ungemessene ge-
stiegen, dass er nicht bloss selbst rasch mit der Feder arbeitete, sondern
auch, ähnlich wie später der Sophist Libanios, zu seinen Vorträgen Steno-
graphen zuziehen Hess, die seine gesprochenen Worte zu Papier brachten
(Eus. bist. eccl. VI 36). Von seinen zahlreichen Schriften haben später
Basileios und Gregor von Nazianz eine Auslese unter dem Namen 0ilo-
xaXia veranstaltet. Diese ist uns erhalten; ausserdem aber auch noch
vieles andere teils im griechischen Original, teils in lateinischer (von Bu-
finus und Hieronymus) oder syrischer Übersetzung, teils endlich auszugs-
weise in den Gatenen der jüngeren Bibelerklärer. Am bedeutendsten ist
Origenes als Bibelerklärer, so dass er von den Theologen als der eigent-
liche Begründer der gelehrten Exegese der heiligen Schriften gepriesen
wird. Doch genügt er auch hier nicht den strengeren Anforderungen
nüchterner Methode, zumal er durch Unterscheidung der wörtlichen (irw/ia-
xixmg) und der sinngemässen (nvsviiaxixbäq) Deutung der Allegorie und
leeren Phantasterei Thür und Thor öffnete. — Das heidnische Altertum und
allgemeine Fragen berühren vornehmlich die nur durch die Exzerpte des
Photios und die lateinische Überarbeitung des Rufinus auf uns gekommene
Schrift n€Qi aqxiov, von den Qrundlehren des Christentums in 4 B., und
die acht Bücher gegen Celsus {nqoq %ov iTnyeyQaniAävov Käixtov dXrj&ij Xoyov).
Die letzteren verfasste er 248 auf Anregung seines Freundes Ambrosius
als Erwiderung auf den fast 100 Jahre zuvor erschienenen aXr^O-i^g Xojoc
des Celsus.') Dieser hatte den Ursprung des Christentums aus dem Juden-
tum behauptet, den Sätzen der Bibel solche des Piaton gegenübergestellt
(Orig. VI 1 — 22), die Lehre von der Abstammung und dem Leiden Christi
als unglaubliche Fabeln verspottet und überdies den Christen Mangel an
Patriotismus und Kunstsinn vorgeworfen. Die Art der Widerlegung, dass
nämlich den Wundern der christlichen Lehre die viel unglaublicheren
Wunder der heidnischen Mythen entgegengestellt und gegenüber dem For-
schungseifer der Gebildeten das Glaubensbedürfnis des niederen und unge-
bildeten Volkes geltend gemacht wird, stösst natürlich die Grundsänlen
des wahren Wortes des heidnischen Philosophen nicht um. In den philo-
sophischen Anschauungen des Origenes, namentlich in seiner Lehre von
dem Logos als dem Mittler zwischen Gott und Welt und von der Pril-
existenz der mit der Inkorporation aus dem vollkommeneren Zustand ge-
fallenen Seele zeigt sich ein entschiedener Einfluss des Neuplatonismus
und der Logoslehre des Philon.») Infolgedessen konnte es nicht fehlen,
') RiTSOHL, Opusc. m 425 ff. Hierosy- | Philo!. Abhdl. zu Ehren von Mart HerU,
mns hatte dabei die Materialien des Eiisebios 1888 S. 197—214 zu erweisen; vgl. oben
benützt, der ein besonderer Verehrer des § 538. Zwischen Origenes und Celsna be-
Origenes war und auch eine Sammlung seiner { stand ein ähnliches Verhältnis wie zwischen
Briefe veranstaltet hatte (Euseb. h. e. VI 36).
^) Das Werk des Celsus ist aus Origenes
rekonstruiert von Th. Keim, Celsus wahres
Wort, älteste Streitschrift antiker Welt-
anschauung gegen das Christentum vom Jahre
178 n. Chr., Zürich 1873. Dass unser Celsus
Eyrill und Julian. — Ueber das Abfassungs-
jahr s. K. J. Neumanit, Der rOm. Staat u. d.
allgem. Kirche bis auf Diokletian. Leipz. 1890,
S. 265 flF.
*) J. Denis, De la philosophie d'Orig^ne,
Paris 1884; Schnitzer, Origenes über die
ein Platoniker und verschieden von dem Epi- i Grundlehren der Glaubenswiasenschaft, Stntt-
kureer Celsus des Lukian war, sucht 0. Heine, | gart 1835.
B. Chriatliohe Sohriftsteller. 2. Die KircheiiYäter. (§ 683.) 899
dass viele seiner Sätze schon seinen Zeitgenossen anstössig erschienen und
später von der Synode zu Konstantinopel im Jahre 543 und dem allge-
meinen Konzil des Jahres 553 förmlich censuriert wurden. — Eine inter-
essante philologische Arbeit lieferte unser Kirchenvater in den sogen.
Hexapla, in welchen er in sechs Kolumnen die griechische Übersetzung
der Septuaginta mit zwei hebräischen Originaltexten und drei anderen
Übersetzungen (des Aquila, des Symmachus und Theodotion) zusammen-
stellte und mit kritischem Urteil Fehler der Septuaginta teils durch kri-
tische Zeichen anmerkte, teils direkt auskorrigierte. Diese Erstlingsarbeit
biblischer Kritik hat auf die Textgestaltung der Septuaginta weittragen-
den Einfluss geübt. 1) — Von den verloren gegangenen Schriften des viel-
schreibenden Autors verdienen noch besondere Erwähnung die zehn Bücher
ffr^fiara, in denen er, ähnlich wie sein Lehrer Clemens von Alexandrien
in den (jTQWfiaTeTg^ die christliche Lehre mit den Sätzen der alten Philo-
sophen, des Plato, Aristoteles, Numenius und Gomutus zusammenstellte.
Gesamiansgabe: OrigeniB opera omnia ed. C. de la Rue, Paris 1738 -—59, 4 vol. foL;
wiederholt und vermelirt von Mignb t. XI — XVU. — Spezialansgabe der Schrift gegen Celsus
von HoBSCHBL, Augsb. 1605; mit lat. üebers. und Noten von Spenobb, 2. Aufl., Cantabr. 1677;
neue Ausg. in Vorbereitung von Koetschau; vgl. dessen Abhandl., Die Textesttberlieferung
des Origenes gegen Celsus in den Handschriften dieses Werkes und der Philokalia, Leipz.
1889, in Gbbhasdt-Harnaok, Texte und Unters. Bd VI, H. 1. — Origenis de principiis ed.
Rbobfbnnino, Lips. 1836. — Philocalia ed. Robinson, Cambridge 1898. — Uebersetzungen
ins Lateinische von Ruflnus (gest. 410) zusammengestellt bei Mione XXI 37 If. — Ueber
die frflher fälschlich dem Origenes zugeschriebenen ^iXoaotpovueya s. § 679.
688. Nachfolger des Origenes an der Katechetenschule Alexandriens
war in zweiter Folge Dionysios (248—264/5), der in einer philosophi-
schen Schrift TtsQl ifvaewg, von welcher uns sein Verehrer Eusebios, praep.
ev. 14, 23 — 7 ein umfangreiches Stück erhalten hat, den epikureischen
Atomismus bekämpfte. Derselbe behandelte ausserdem in zahlreichen
Briefen Fragen der christlichen Glaubenslehre. Viele dieser Briefe hat
Eusebios in seine Kirchengeschichte aufgenommen; sie zeugen von den
grossen formalen Fortschritten, welche inzwischen die christlichen Schrift-
steller in den Schulen der Rhetoren und Sophisten gemacht hatten.
Schüler des Origenes war auch Gregorius der Wunderthäter
{^avfiatovgydg), gestorben als Bischof von Neocäsarea in Pontus um 270.
Seinem geliebten Lehrer hat er eine uns erhaltene Lobrede gewidmet
[slg ^Qqiyävifpf 7iQO(f(f(ovrjTix6g xai navrjyvQixog ^oyog), in welche er auch die
Schilderung seines eigenen Bildungsganges einflocht. Zu dieser Bede und
anderen kleineren dogmatischen Schriften sind neuerdings noch Homilien
aus einer syrischen Übersetzung gekommen.
In die Fusstapfen des Origenes trat in der Exegese und Lehre Di-
dymos der Blinde aus Alexandria, angesehener Vorstand der Katecheten-
schule in Konstantinopel (gest. 395). Den Beinamen des Blinden hatte
er davon, dass er in früher Jugend, im fünften Lebensjahr, das Augenlicht
verlor und nun nach den Worten des Rufinus Hist. eccl. II 7 quod aliis
Visus hoc Uli conferebat auditus. Mit seinem grossen Lehrmeister Origenes
^) Die Ueberiaragung der hexaplasischen
Recension ins Syrische mitsamt den Obelen
und Asterisken findet sich in einem Codex
der Ambrosiana in Mailand und ist photo-
typographisch vervielfältigt von Cbriant, Mai-
land 1872.
57*
900 Gkieohiaohe litteratnrgesoliiolite. in. AnhAiig.
teilte er das Geschick, dass über seine Lehrsätze das Konzil von 553 das
Anathema aussprach. — Gleichfalls als Origenist ward verdächtigt Euag-
rios Pontikos (gest. um 400), von dessen Schriften nur dürftige
Reste sich erhalten haben.
Simon de Magi8tbi8, S. Dionysü Alexandrini quae sapersunt, Romae 1796. Neaere
Bereicherungen verzeichnet Bardbnhsweb Patrol. 165 f. - Die Schriften des Grregorios
Thaumatnrgos bei Migne X 963—1232; dazu Babdehhbweh PatroL 170. — Die erhaltenen
Schriften des Didjrmos bei Migne XXXIX; eine lateinische Uebersetzung des Baches Tk
spiritu sancto von Hieronymus.
684. Eusebius Pamphili, so benannt von seinem geistigen Nähr-
vater Pamphilos, stammte aus Palästina. Bei der Ghristenverfolgung des
Jahres 309 war er nach Ägypten geflüchtet; später aber nach Herstellung
des kirchlichen Friedens ward er auf den Bischofsstuhl von Gäsarea in
Palästina erhoben, den er von 314 bis zu seinem Ende, 340, inne hatte.
In den gehässigen Streitigkeiten der Arianer und Athanasianer über die
Trinität ward ihm eine schwankende Halbheit zur Last gelegt, die aus
seiner Abneigung gegen dogmatische Zänkereien und aus seinen vertrauten
Beziehungen zum kaiserlichen Hofe entsprang. In der christlichen Litte-
ratur nimmt er eine hervorragende Stelle ein, wenn auch seine umfang-
reichen Werke mehr auf Kompilation als feinem Urteil und kritischem
Quellenstudium beruhen. Die Hauptwerke des Eusebius sind, abgesehen
von den unten zu besprechenden historischen Schriften und der schon oben
§ 526 berührten Streitschrift gegen Hierokles, llQOTtaQaaxevT] {Praeparatio
evangelica) in 15 B. und die daran sich anschliessende EvayyeXixi] aTtoist^ic
(Demonstratio evangelica), die ehedem mindestens auch 15 B. umfasste, von
der aber nur 10 auf uns gekommen sind. In der zweiten Schrift wird
die Vorausverkündigung des Herrn aus den Schriften des alten Testamentes
nachgewiesen, in der ersteren wurden die Irrtümer der heidnischen Philo-
sophie, insbesondere der griechischen, widerlegt, um auf solche Weise den
Übertritt der Heiden und Juden zum Christentum zu rechtfertigen. In
diesem Sinne bringt der Kirchenvater eine Menge von Stellen griechischer
Philosophen und Dichter zur Besprechung. Dabei zeigt er aber keine
Kenntnis der grossen Autoren selbst und ist kritiklos genug, viele falsche
Stellen heranzuziehen, welche der fromme Betrug den griechischen Geistes-
heroen angedichtet hatte, um dieselben als Zeugen der monotheistischen
Gotteslehre anführen zu können. Statt der Originalwerke dienten dem
Eusebius als hauptsächlichste Quellen Clemens von Alexandria, Porphyrios,
Alexander Polyhistor, i) Von den zahlreichen Kommentaren und dogmatischen
Streitschriften des Kirchenvaters ist das meiste verloren gegangen oder
ruht noch ungedruckt in den Bibliotheken. Nähere Nachweise bei Harnack
Altchr. Lit. I 572 flf.
Eusebios' sämtliche Werke bei Migne XIX— XXIV. — Eusebü Praep. evang. ed.
G AISFORD, OxoD. 1843; Prodromus einer neuen kritischen Ausgabe von Heikel, De praep.
evang. Eusebü edendae ratione, Helsingfors 1888. — Eusebii opera (praep. ev., demonstr. ev.,
bist, eccl.) ed. G. Dindorp, 1867—71, 4 Bde in Bibl. Teubn.
*) Vgl. Frküdbnthal, Hell. Stud. I 3-10.
B. Ghriatliohe Schriftsteller. S. Die EirohenTäter. (§§ 684—685.) 901
Die rhetorigierenden KirchenTäter des 4. Jahrhanderts.
686. Nachdem das Christentum zur Staatsreligion erhoben war und
die kirchliche Lehre in bestimmten Glaubenssätzen sich konsolidiert hatte,
nahm die christliche Litteratur eine andere Richtung. Der apologetische
Charakter und die Bekämpfung des heidnischen Altertums traten zurück,
das Streben, sich den Meistern der hellenischen Litteratur in Gewandtheit
des Ausdrucks und der Dialektik ebenbürtig zu zeigen, überwog. Wie die
gleichzeitigen Rhetoren und Sophisten, so verschmähten auch die kirch-
lichen Schriftsteller dieser Richtung die Exaktheit der Gelehrsamkeit und
ergingen sich dafür um so mehr in pathetischen Deklamationen.^) Dem
ungeheueren Ansehen, in dem sie, voran die drei Eappadokier, bei ihren
Zeit- und Glaubensgenossen standen, entspricht nicht der innere Wert
ihrer Schriften. Wir können uns mit einer kurzen Erwähnung um so
mehr begnügen, als wir aus ihnen ausserordentlich wenig für unseren
nächsten Zweck, die Erkenntnis des klassischen Altertums, lernen.
Basileios der Grosse (um 330—379) war Sohn eines Rhetors in
Neocäsarea in Pontus und erhielt seine Bildung an den Rhetorenschulen
erst seiner Heimat, dann von Eonstantinopel und Athen. In letzter Stadt
kam er mit Gregor von Nazianz zusammen, mit dem er fürs ganze Leben
einen Bund inniger Freundschaft schloss. In seine Heimat zurückgekehrt,
trat er zuerst als Rhetor auf, Hess sich aber bald darauf taufen, um z u-
nächst in der Einöde bei Cäsarea in Gemeinschaft mit anderen gleich-
strebenden Männern das zurückgezogene Leben eines Eoinobiten (nicht
Anachoreten) zu führen. Später von dem Metropoliten Eusebios nach Cä-
sarea gezogen, um ihn in der Verwaltung der Diözese zu unterstützen,
wurde er nach dessen Tod (370) selbst auf den bischöflichen Stuhl von
Cäsarea erhoben, in welch hervorragender Stellung er als entschiedener
Verteidiger des orthodoxen Glaubens gegen die häretischen Arianer bis
zu seinem Tode (377) erfolgreich wirkte. — Die grosse Bedeutung des
Basileios, die ihm schon zu seinen Lebzeiten den Beinamen des Grossen
verschaffte, bestand wesentlich darin, dass er die rechte Glaubenslehre
(Orthodoxie), wie sie Athanasios begründet hatte, durch Schrift und
Eorchenordnung befestigte. Durch Einführung eines bis ins Einzelne ge-
regelten Gottesdienstes {Isnovgy^'^) und durch Aufstellung von bestimmten
Ordensregeln (ogoi, regulae) gab er dem kirchlichen Leben der orthodoxen
Kirche diejenigen Formen, welche sie im wesentlichen bis auf den heutigen
Tag bewahrt hat. Die dogmatischen Streitschriften über die Trinitäts-
lehre, die Schriften über das Mönchsleben {acxijTixa) und die Liturgie
bilden auch den Grundstock der hinterlassenen Werke des Basileios, in
welche sich indes viele unechte, den Namen des grossen Kirchenlehrers
erheuchelnde Zuthaten eingeschlichen haben. Von grösserem allgemeineren
Interesse sind die Homilien, 74 an der Zahl, und die Briefe, 365, mit
deren Sammlung bereits Gregor von Nazianz (s. ep. 53) begonnen hatte,
unter den Homilien, welche teils dogmatische, teils ethische Gegenstände
1) Ihre Reden wurden durch Tachy- { worfiber Gregor Naz. or. 42, 26 p. 767 C; vgl
graphen in den Kirchen nachgeschrieben, | über die Stenographen des Origenes § 682.
902 Grieohuioho Litteratiirgeschiolite. in. Anhang.
behandeln, ragt hervor die Rede an die studierende Jugend über den
aus der Lektüre der klassischen Autoren zu ziehenden Gewinn {loyog
TiQog rovg veovg oncog äv «f ^Ekkr^vixuiv (i(p€loTvTO loycov). Von der Philo-
calia, einer Auswahl aus den Schriften des Origenes, welche er mit Gregor
von Nazianz gemeinsam besorgte, war bereits oben die Bede.
Gesamtwerke in der Benedikimerausgabe besorgt von Garnier 1721, wiederholt 1889,
3 Bde; bei Migne t. 29—32; über neuere Nachträge zu den Gesamtausgaben und über die
Uebersetznngen einzelner Werke des Basileios ins Lateinische durch Rufinus, ins Syrische,
Armenische und Koptische Bardmnhewee, Patrol. 26] f. — ^»ezialausgabe der Rede an die
Jünglinge über den Gebrauch der heidnischen Schriften von Lotholz, Jena 1857 ; von Wak-
dingrr, München 1858; Sommer, Paris 1894. — Erabikger, Basilius d. Gr. auserlesene
Homilien, Uebersetzung von 14 Homilien mit kritischen Erläuterungen, Landshut 1839.
Alb. Jahn, Basilius M. platonizans, Bern 1838.
686. Gregorios von Nyssa, jüngerer Bruder des Basileios, war
gleichfalls anfangs Rhetor, liess sich aber später von Gregor von Nazianz
zu dem höheren Dienste eines Priesters der Kirche bestimmen. Im Jahr
371 zum Bischof von Nyssa, einer kleinen Stadt Eappadokiens, erhoben,
ward er 375 in den Streitigkeiten der Arianer und Athanasianer durch
eine unter dem Einfluss des Statthalters Demetrios stehende, zum Arianis-
mus hinneigende Synode abgesetzt. Später nach dem Tode des Kaisers
Valens (378) durch Theodosios wieder zu Ehre und Würde gebracht,
starb er nach thatenreichem Leben um 394. — In der Litteratur hat er
die zweifelhafte Ehre, ein sehr fruchtbarer Schriftsteller auf sehr unfrucht-
barem Boden zu sein. Denn in den zahlreichen exegetischen und dog-
matischen Schriften sucht er teils durch allegorische Deutungskünste den
einfachen Erzählungen der Schrift ethische Absichten unterzulegen, teils
durch gewundene Argumentation die metaphysischen Sätze der orthodoxen
Trinitätslebre aus den schlichten Berichten der Evangelien herauszulesen.
Unter den dogmatischen Schriften sind besonders namhaft der x^ty^xi^-
rixog loyog und die umfangreiche Entgegnung (12 B.) auf die Recht-
fertigungsschrift des Arianers Eunomios {TiQog Evvofiiov ävzig^/tixog loyog).
Ein dauernderes Interesse gewähren seine Homilien und Briefe. Diese
beiden Formen des schriftstellerischen Verkehrs waren damals bei Christen
und Heiden so ausserordentlich beliebt, weil man durch sie am leichtesten
ohne tiefe Forschung über die Dinge und Gedanken, welche die Zeit be-
wegten, sich aussprechen konnte. Die Homilien und Briefe des Oregorios
stehen zwar an Zahl und Gehalt denen seines thatkräftigeren Bruders
nach, sind aber doch von mannigfacher Bedeutung für die Kenntnis der
kirchlichen und sozialen Verhältnisse jener Zeit, wie die gegen die Wu-
cherer {xazd T<ov Toxi^ovKov)^ an diejenigen, welche das Taufen hinaus-
schieben (nQog tovg ßQadvvovxag slg iro ßamiffiia)^ über die Wallfahrer nach
Jerusalem {nBqi toov äniovrfüv eig ^IsQOiTolvfid), Interessant sind auch die
Lebensbeschreibungen seiner Schwester Makrina und des Wunderthäters
Gregorios, sowie die apologetische Schrift ngog "EXlrit'ag ix lon- xwvmv
ivvomv, und der Dialog negl ipvxrjg xal avaa%aa€iag, in welchem der Ver-
fasser seine Schwester Makrina auf dem Sterbelager die christlichen An-
schauungen von der Wiederauferstehung und dem Wiedersehen nach dem
Tode entwickeln lässt.
B. ChriflUiolie Sehriftateller. 2. Die Kirohonyater.
f 686-687.) 903
Gesamtwerke bei Migne t 44 — 46; eine neue Bearbeiiong haben begonnen, aber
nicht ausgefOhrt Fobbbs, Burntisland 1855, und Oehleb, Halle 1865. — Speziidausgabe des
Dialogs neQt tpvxfjs xai dyaataaetog von Krabingbr, laps. 1837, Xoyog xaxtjxv^i'Xog von
demselben, München 1838, tibqI svxrjs von demselben, Landshufc 1840. Zur Schrift über
Moses Papvmsfragmente aus Faijum veröffentlicht von Landwehr Philol. XLIY (1885)
7 — 19. — J. Baubb, die Trostreden des Gregorius von Nyssa in ihrem Verbfiltnis zur
antiken Rhetorik, Marburg 1892.
Mit den Homilien des Gregor von Nyssa berühren sich und wurden teilweise mit
ihnen konfimdiert die Homilien (21) des hl. Aster ios, der Metropolit von Amasia in Pontus
gegen Ende des 4. Jahrhunderts war.
687. Gregorios von Nazianz (um 330—390), o d^eoloyog genannt,i)
erhielt seine Ausbildung anfangs in Cäsarea, später in Alexandria und
Athen, in welch letzterer Stadt er mit Basileios Freundschaft för's Leben
schloss. Wie jener, so Hess auch er sich erst nachdem er in seine Heimat
zurückgekehrt war (360), taufen, um dann zunächst seiner Neigung zur
beschaulichen Askese nachzugehen. Aus der stillen Zurückgezogenheit,
wohin ihn nebst der Liebe zur religiösen Betrachtung sein poetischer
Natursinn zog, durch das Drängen der Freunde herausgerissen, verwaltete
er seit 372 anfangs als Eoadjutor seines greisen Vaters, dann in selb-
ständiger Stellung das Bistum Nazianz in Eappadokien. Unter Theodosios
auf den Patriarchenstuhl von Konstantinopel berufen (380), verliess er
bald wieder, des kirchlichen Haders überdrüssig, Konstantinopel, um von
neuem in stiller Einsamkeit der asketischen Übung und der litterarischen
Müsse zu leben. Auf seinem heimatlichen Landgut Arianz verschied er um
390. — Die Stärke unseres Gregor von Nazianz bestand in der rhetorischen
Kunst und formalen Gewandtheit: mit leichter Feder schrieb er gleich
gut in Prosa und Vers; auch seine Prosa hatte durch die Kühnheit der
Bildersprache und die starke Anwendung der Redefiguren einen poetischen
Anflug.*) Hinterlassen hat er Reden (45), Briefe (242) und Gedichte.
Von seinen Reden oder Homilien standen die 56 Reden (27 — 31), in denen
er die Trinitätslehre der orthodoxen Kirche auseinandersetzt (o* ttsqI &€<h
Xoytag koyoi), und die ihm den Beinamen des Theologen eintrugen, in be-
sonderem Ansehen. Für uns sind anziehender als diese dogmatischen
Reden die historischen, in denen er Zeitverhältnisse und einflussreiche
Persönlichkeiten darstellt, wie insbesondere die Lobrede auf Basileios und
die zwei Verdammungsreden {arrjkiTsvTixoi Xoyoi) auf Julian. In den
letzteren verfolgte er mit grimmem Hass das Andenken des Kaisers,
welcher den Christen dadurch, dass er ihnen den Zutritt zu den Bildungs-
stätten wehrte, mehr als andere durch blutige Verfolgungen geschadet
hatte. Die Briefe stammen fast alle aus der Zeit, in der sich Gregor
von der Bühne des öffentlichen Lebens der Kirche zurückgezogen hatte;
mehrere derselben, besonders der 30., sind wichtig für die Zeitgeschichte
und die Stellung der Christen zur heidnischen Litteratur.^) Aus seinen
Gedichten spricht wahre Naturempfindung und tiefe, von philosophischem
Geiste erleuchtete Religiosität, wodurch er sich weit über die leeren
>) Ullmann, Gregorins von Nazianz, 2.
Aofl., Gotha 1867.
') NoBDBVjDie antike Eonstprosa, S. 562 ff.
s) Der Üieologische Brief (Nr. 243) ngdg
KvdyQioy fioya^oy ns^i ^Boxi^xog^ von dem
nns auch eine syrische üehersetzimg erhalten
ist, wird von anderen dem Gregorios von Neo-
cfisarea zugeschrieben, worüber J. Dbasekb,
Patristische Untersuchungen S. 103—8.
904
Griechische Litteratnrgeachichte. IIL Anhang,
Tiraden und kalten Tändeleien seiner Zeitgenossen erhebt. Durch seinen
Inhalt erregt als biographische Quelle ein besonderes Interesse das lange, an
2000 Verse umfassende Gedicht über sein Leben. Viel gelesen und nach-
geahmt wurden wegen ihres ethischen Oehaltes die Tetrasticha {yviofuxa
rsTQtiauxce), die den Monosticha des Menander verwandt sind und davon ihren
Namen haben, dass sie in je vier Versen (iarabischen Trimetem) eine
Lebensregel oder Sentenz darlegen. Der grösste Teil der Gedichte ist
nach den Gesetzen der alten Prosodie, in Hexametern, Distichen, Jamben,
und Anakreonteen, abgefasst;^) zwei, ein Abendlied (vfirog ianeQirog) und
eine Mahnung zur Jungfräulichkeit {ngog naQ&ävov na^atverixog) folgen
den neuen Gesetzen der rhythmischen Poesie. Eine Auswahl von Epi-
grammen auf seinen Freund Basileios, seine Mutter Nonna, seinen Bruder
Eaisarios u. a. hat Aufiiahme in die griechische Anthologie (Buch 8) ge-
funden. Fälschlich hat man ihm auch die mittelalterliche Tragödie Xgiciog
7idax(jov beigelegt.*) — Die Werke des formgewandten Kirchenvaters erfreuten
sich im byzantinischen Mittelalter eines besonderen Ansehens, so dass
ihnen auch die Ehre zu Teil wurde, durch exegetische Kommentare er-
läutert zu werden. Schon im 6. Jahrhundert schrieb Nonnos abbas Scholien
zu den Reden; ihm folgten die Kommentatoren Elias von Kreta (um 900),
Basilius Minimus, Maximus Gonfessor, Niketas von Serrä, Georgios Akro-
polites. Die Gedichte versah mit Kommentaren der berühmte Melode
Kosmas von Jerusalem.^)
Gesamtausgabe der Werke Gregors von Nasdanz durch die Mauriner in 2 B&nden
1778—1840; bei Mignb t. 85—38. — E. Dronkb, Gregorii Naz. carm. selecta, Gdtt. 1840. —
Die rbyihmiscben Gedicbte am besten bei W. Mbybb, Anfang und Ursprung der lat und
griech. rhythmischen Poesie, in Abhdl. d. b. Ak. 1885 S. 400 ff,; dazu Hanssbn Philol. 44«
133 ff. — Ein Auszug, den Gregor von den logischen Schriften des Aristoteles machte, ist
noch ungedruckt, s. Pbantl, Gesch. d. Log. I 667.
Die Scholien sind zum grossen Teil gedruckt bei Mione t 36 u. 38; neue veröffent-
lichte ans florentinischen Handschrift Piogolomini in Annal. delle Univers. Toscane XVl
(1879), und Norden, Scholia in Gregorii Nazianzeni orationes inedita, Herm. XXYIII (1892)
606 ff. — Uebersetäsung von 10 Reden ins Lateinische von Rufinus.
688. Johannes Chrysostomos (347 oder 344—407)*) war ein
Syrer von Geburt und hörte in seiner Vaterstadt Antiochia den Rhetor
Libanios, der seiner rednerischen Begabung auch noch, nachdem derselbe
zum Christentum übergetreten war, das glänzendste Zeugnis ausstellte.^)
Durch den Bischof Meletios von Antiochia in die christliche Lehre einge-
führt und getauft, gab er die Stellung eines Sach Verwalters auf und
wandte sich anfangs einem beschaulichen Leben zu. Dann zum Priester
geweiht, nachdem er zuvor den Versuch gemacht hatte, sich durch Flucht
der Priesterweihe zu entziehen, spielte er als hinreissender Eanzelredner,
namentlich in der Zeit des Aufruhrs und der Zerstörung der kaiserlichen
^) Stoppbl, Quaestiones de Gregorii Naz.
poetarum scen. imitatore et arte metr., Ro-
stock 1881. Nach dem Muster des Gregor
hat im Mittelalter Ignatius die äsopischen
Fabeln in Tetrasticha gebracht.
*) Siebe darüber Braxbs in seiner Aus-
gabe der Tragödie, Leipz. 1885. Dass Gregor
in seinen echten Gedichten viele Floskehi den
früheren Dichtem, wie selbst dem Empe-
dokles, entlehnte tuid anderseits dem Nonnos
Vorbild war, zeigt Ludwich, Nachahmer und
Vorbilder des Gregor von Nazianz, Rh. M.
XULI (1887) 233 ff.
>) Näheres in EBUHBAcasB Byz. lit^
137 f. und 680.
^) Nbandbb, Der b. JoL Chrysostomas,
3. Aufl., Berl. 1848.
B) Siehe oben § 599.
B. Chriatlioho Schriftsteller. 2, Die KircheiiYäter. (§ 688.) 905
Bildsäulen (387), eine grosse Rolle in Antiochia. Später im Jahre 397
ward er zum Patriarchen von Konstantinopel erkoren, musste aber 404
den Anfeindungen der Gegenpartei und der Missgunst des Kaisers Arka-
dios und dessen Gemahlin Eudoxia weichen; er starb, nachdem er
zum zweitenmal den Wanderstab hatte ergreifen müssen, in der Ver-
bannung 407. Unter dem Patriarchen Proklos im Jahre 438 wurden
seine Gebeine als die eines Heiligen nach Konstantinopel zurück-
gebracht und in der Apostelkirche beigesetzt. — Johannes war der
grösste Kirchenredner der Griechen; zu seinem Preise ergingen sich die
Zeitgenossen und die nachfolgenden Geschlechter in überschwenglichen
Ausdrücken; einer der Ehrennamen, die man ihm beilegte, XQvaoatoiioQ
„Goldmund", hat sich erhalten und hat seit dem 6. Jahrhundert geradezu
die Bedeutung eines Eigennamens angenommen. Dadurch, dass er die
Laufbahn eines griechischen Rhetors aufgab, und sich dem Dienste der
christlichen Kirche weihte, hat er für seine Beredsamkeit, namentlich nach-
dem er zum Patriarchen der Reichshauptstadt erhoben worden war, einen
ungleich grösseren Wirkungskreis erlangt. Die Kanzel der Patriarchen-
kirche in Konstantinopel hatte damals keine geringere Bedeutung wie ehe-
dem die Rednerbühne des athenischen Marktes. Und Johannes benutzte
sie nicht bloss, um die Gläubigen über den Sinn der heiligen Schriften zu
belehren und dieselben zu gottesfürchtigem Leben anzuhalten, er zog auch
in seinem heiligen Eifer die Ereignisse des Tages in den Kreis seiner
Kanzelreden und scheute sich nicht, gegen die Habgier des allmächtigen
Eunuchen Eutropios und nach dessen Sturz selbst gegen die Kaiserin und
deren eitle Prunksucht zu Felde zu ziehen. Der kühne Sittenprediger zog
zwar in jenem Kampf zwischen Imperium und Sacerdotium den Kürzeren,
indem die weltlichen Machthaber in kluger Politik gegen den unbequemen
Kirchenfürsten seine geistlichen Rivalen und namentlich den Patriarchen
von Alexandria, Theophilos, aufriefen; aber immerhin gab der sittliche Mut
und das Hineingreifen in das wirkliche Leben den Reden des Johannes
ein ganz anderes Relief als den Deklamationen der Sophisten über abge-
droschene Schulthemata. — Hinterlassen hat Johannes viele Hunderte von
Homilien und zahlreiche Briefe; die meisten Homilien sind Predigten über
Stellen des alten und neuen Testamentes; auf die Zeitgeschichte beziehen
sich die Reden über die Zerstörung der kaiserlichen Standbilder, die zwei
Reden gegen Eutrop, nachdem derselbe gestürzt war und an dem Altar
der Kirche Schutz suchte, die Reden vor und nach seiner ersten Verban-
nung. Von seinen Reden auf kirchliche Festtage^) und Institutionen der
Kirche sind am berühmtesten die noch in Antiochien gehaltenen sechs
Reden über die Würde und Bürde des Priesteramtes (n€Qi IsQiaainvfi),
Gesamtausgabe von Saviles, 8 Bde., Eton 1612. — Montfaucon, 13 Bde., Paris
1718—38; von Mignb t. 47—54. Opera selecta ed. Dübvsb, Par. 1861. — Spezialausgabe
nBQi UQWüvyrjs von Bekoel, Stuttgart 1725; von Seltmann, Paderborn 1887. — Auswahl
VCD Matthat, Novae ex Joanne Gluysostomo eclogae LH, Moskau-Leipzig 1807. — Ueber
neue Bereicherungen und über Schoben Babdemheweb PatroL 327.
^) Die Zeit der einzelnen Reden hellt auf Usbkeb, ReligionsgeschichÜ. Untersuchungen
I 227 ff.
906 Grieohische latteraiiirgesoliiohte. HL Anhang.
Mit Johannes Chrysostomos war Schüler des Rhetors Libanios Theo-
doros von Mopsuestia, so zubenannt von der Stadt Mopsuestia in Kili-
kien, wo er 36 Jahre lang Bischof war. Wie Johannes so hat auch
Theodoros sich erst in spateren Jahren taufen lassen; aber die Richtung
seiner Thätigkeit war eine andere: er wandte sich vorzüglich der Exegese
zu und übte dieselbe in selbständigem kritischen Geiste. Das meiste von
ihm ist nur durch syrische Übersetzungen auf uns gekommen; in beson-
derem Ansehen stand er bei den Nestorianern, welche ihre Lehre in seinen
Schriften begründet fanden.
3. Christliehe Theosophen und DogmaÜker.
689. Jede Religion hat von Natur aus Beziehungen zur Philosophie:
das Wesen Gottes, das Verhältnis Gottes zur Welt, die Gebote der Sitt-
lichkeit sind Objekte, die beide gemeinsam angehen; verschieden ist nur
die Weise, wie sie dieselben erfassen und behandeln. Aber wenn auch
die Religion, gestützt auf die Lehre von einer göttlichen Offenbarung, Mch
unmittelbar an den Glauben ihrer Anhänger wendet, so führt doch bei den
Gebildeten der von Natur den Menschen eingepflanzte Forschungstrieb von
selbst dahin, dass sie nachträglich wenigstens die Sätze des Glaubens zu
begreifen und dialektisch sich zurecht zu legen suchen. Dieser Fortgang
vom Glauben {maTiq) zur Gnosis oder denkenden Erfassung der religiösen
Wahrheiten trat zuerst und in besonders lebhafter Weise, wenn auch stark
mit Aberglauben und Magie vermischt, bei den Gnostikem auf.^)
Ausgegangen ist die Gnosis von Syrien, wo Simon der Magier ihr
ältester Repräsentant war und Markion in der ersten Hälfte des 2. Jahr-
hunderts eine einflussreiche Sekte gründete. Neue Nahrung fand dieselbe
in Ägypten, wo schon Philon platonische Ideen in die reliösen Schriften
der Juden hineinzutragen begonnen hatte (s. § 505), und im 2. Jahrhundert
Basileides und Karpokrates mit ihren theosophischen Spekulationen die
schlichte Einfachheit der christlichen Lehre entstellten. Schon im Briefe
des Barnabas und in den untergeschobenen Briefen des Paulus an Timo-
theos (1, 1. 4) und Titus (3, 9) blicken die Störungen durch, welche jene
dunkeln, vielspaltigen Theosopheme in den christlichen Gemeinden hervor-
riefen. Heftig entbrannten dann in der zweiten Hälfte des 2, Jahrhunderts
die Kämpfe gegen die gnostischen Lehren der Yalentinianer, Basilidianer,
Noetianer. Die altchristliche Lehre ging als allgemeine oder katholische
siegreich aus jenen Kämpfen hervor, aber die Gnostiker behaupteten sich
als mächtige Sekte noch im 3. und 4. Jahrhundert, und ihre Richtung
blieb nicht ohne Einfluss auf die weiteren Versuche einer philosophischen
Ausgestaltung des christlichen Glaubens. In ihren Lehren gingen die-
selben von einer dualistischen, weltfeindlichen Auffassung aus und erhoben,
auch darin den Einfluss platonischer Philosophie nicht verleugnend, die ein-
zelnen Stadien des Denkens (i'Oyog^ ^^XVi <^^<P^^) zu wirklichen Wesen
^) AuBLiNBAv, Le gnosticisme, ses deve- den Einfluss der Gnosis auf die kirchlicfae
loppements et son origine ^gyptienne, in Lehre und Ueberliefening s. Ussvbr, ReL
Armales du mus^e Guismet t. XIV, Par. 1887. ünt. I 27 f. — Alb. Dibtebich, Abraxas oder
Ueber das Hereinspielen der alexandrinischen Studien zur Religionsgeschicbte des spAtereo
Mysterien, in denen die Köre als Jungfrau- Altertums, Leipa. 1891.
üche Mutter des Aion verehrt wurde, und
B. Christliche Sohriftsteller. 3. Christliche Theosophen.
689-690.) 907
{vnoardiTeig). Auf diesem Wege gelangten sie in der Sittenlehre zu fin-
sterem Pessimismus und zu rigoroser Bekämpfung der fleischlichen Ver-
einigung.^) Grösser und phantastischer waren die Abwege, auf welche sie
im Gebiete des Überirdischen gerieten, indem sie eine Unzahl von Engeln
und Äonen als Stufen des Geistes annahmen und auch die Person Christi
zu einem Wesen mit einem blossen Scheinkörper verflüchtigten.
690. Auch unter den Lehrern der katholischen Kirche rührte sich
mit der Zeit immer mehr das Bestreben nach einer philosophischen Be-
gründung der kirchlichen Lehre. Da dieselben sich ihr geistiges Rüstzeug
zum grössten Teil in den Schulen der Philosophen und Sophisten geholt
hatten, so war es natürlich, dass sie in den Versuchen einer nachträg-
lichen Begründung der Glaubenssätze an die zu ihrer Zeit herrschende
Richtung der Philosophie anknüpften. Das trat hauptsächlich nach zwei
Seiten hervor: seit dem 3. Jahrhundert war es der Neuplatonismus , der dem
Drange der Menschen nach Erkenntnis des Göttlichen am meisten entsprach
und die älteren Philosopheme fast ganz in den Hintergrund drängte ; an seine
unklaren Anschauungen und an die mystischen Sätze der Orphiker, des
Syrers Pherekydes und des Heraklit hielten sich um so eher die chris1>-
lichen Denker, je leichter sich- mit ihnen der Monotheismus und die Trans-
cendenz der christlichen Lehre vereinigen Hessen. Schlimmer wirkte der
Einfluss, den die etwas weiter zurückreichende Scheidung der philosophi-
schen Lehren nach Schulen und Sekten geübt hat. Die Divergenzen,
welche auch bei den Versuchen philosophischer Feststellung der christ-
lichen Glaubenslehre nicht ausbleiben konnten, spitzten sich gleichfalls zu
schroffen Gegensätzen und Anfeindungen zu; es wurden sogar die ab-
weichenden Lehrmeinungen unter den Christen mit dem gleichen Namen,
aiQtaeiq, wie bei den heidnischen Dogmatikern bezeichnet.^) Bildete aber
schon das heidnische Sektierertum, wie es uns Lukian so drastisch ge-
schildert hat, eine der unerquicklichsten Seiten des hellenistischen Alter-
tums, so wirkten unter den Christen diese dogmatischen Spaltungen noch
viel verhängnisvoller, da die sich befehdenden Theologen nun auch den
ganzen Schwärm der gläubigen Anhänger mit in den Strudel fanatischen
Streites hineinzogen, woraus bei der Zähigkeit religiöser Gegensätze die
von Geschlecht zu Geschlecht sich vererbenden, selbst in unserer Zeit noch
nicht ausgeglichenen Spaltungen der Christengemeinde hervorgingen. Inso-
fern hängt auch die christliche Lehre, insbesondere die Zusammenfassung
derselben in feste Glaubenssätze {doy/xata) und der Häresienstreit der
christlichen Theologen mit der Philosophie der Griechen zusammen. Aber
ich begnüge mich, diesen Zusammenhang bloss anzudeuten, da die dog-
matischen Zänkereien der Christen im einzelnen nicht bloss des Zusammen-
hangs mit dem griechischen Altertum entbehren, sondern auch jeder kriti-
schen Voruntersuchung über Wissensquellen und Wissensgrenzen er-
*) Gegen ihre Lehre, dass die Welt eine
Schdpfong des bösen Geistes sei, wandte sich
der Neuplatoniker Plotin; s. § 619.
') Die Neigung, sich in Sekten (alQdcsig)
zn sdieiden, nahm in der nachklassischen
Zeit immer mehr Ausdehnung an. Die Zänke-
reien der algeasig finden wir in der Kaiser-
zeit nicht bloss bei den Philoso^en, sondern
auch bei den Medizinern und Khetoren ; s.
Register unt- Sekten.
908
Qrieohische litteratorgeBchiolite. m. Anhang.
mangeln, ohne die in der Wissenschaft verschiedene Meinungsänsseningeii
kein allgemeines Interesse beanspruchen können. Ohne daher auf die
Dogmen selbst einzugehen, werde ich nur die hauptsächlichsten Verb-eter
der kirchlichen Parteien und die namhaftesten dogmatischen Streitschriften
des 4. u. 5. Jahrhunderts in aller Kürze erwähnen, um dann am Schlüsse
dieses Abschnittes noch einige christliche Schriftsteller von philosophi-
scher Richtung zu besprechen.
lieber die patristische Philosophie s. Uebkbwbg, GruDdriss der Geschichte der Ffafle-
Sophie IP, 3 — 127; Jon. Hubeb, Die Philosophie der Kirchenväter, München 1859. — Die
Quellen unserer Kenntnis der Gnosis sind ausser der in koptischer Uebersetzong uns er-
halten Pistis Sophia (ed. Pbtebmann, Berl. 1851) die Schriften ihrer Bestreiter, namenilidi
des Eirenaios und Hippolytos, von denen wir bereits oben gesprochen haben, und die Ab-
handlung des Plotin II 9. — Ad. Harnaok, Lehrbuch der Dogmengeschichte, 2 Bde^ Frei-
burg 1886, 3. Aufl. 1894.
691. Dogmatische Streitschriften. In dem streitlustigen und
schreibseligen 4. Jahrhundert loderte der Funken dogmatischen Streites,
welcher in dem vorausgehenden Jahrhundert unter der Asche des Gnosti-
cismus fortgeglommen hatte, wieder zur hellen Flamme auf. Dieses Mal
war es die transcendentale Trinitätslehre und das Verhältnis der beiden
Naturen, der göttlichen und menschlichen in Christus, welche die Kirche
spaltete und die heftigsten, durch weltliche Interessen genährten Fehdes
hervorrief. Arius und Athanasius waren die beiden Führer im Streit;
von Athanasius, der Säule der siegreichen orthodoxen Kirche, sind uns
auch die Schriften erhalten, während von der gegensätzlichen Litterator
nur sehr wenig auf uns gekommen ist.
Athanasios, geboren um 295 in Alexandrien, ward bereits 326
(nach andern 328) als noch ganz junger Mann nach dem Tode seines
Gönners Alexander auf den Patriarchenstuhl von Alexandrien erhoben.^)
Nachdem er fünfmal in jenen Zeiten kirchlichen Haders den Anfeindungen
seiner arianischen Gegner hatte weichen müssen, starb er nach dem sieg-
reichen Ausgang der Kämpfe als Hirte seiner Diözese im Jahre 373. Ifi
seinen jungen Jahren, noch ehe er als Patriarch in den Strudel der Partei-
kämpfe hineingezogen ward, schrieb er gegen die Heiden, oder Helleneiu
wie man höflicher im Osten sagte, zwei apologetische Schriften, den Ufoc
xaid '^ElXr^rcov und den Xcyog 7T€qI trjg ivavK^QioTrdaewg tov Xoyov^ in dena
er die Nichtigkeit des Polytheismus und die Wahrheit der Menschwerdung
Christi mit beredtem Munde darlegte. Die beiden Schriften gehören zu-
sammen und werden schon von Hieronymus De vir. ill. 87 als ein Werk
unter dem Titel Ädversiim gentes duo libri angeführt. Die übrigen zahl-
reichen Schriften des hl. Athanasios sind fast alle gegen die Lehren des
alexandrinischen Presbyters Areios (gest. 336) gerichtet oder dienen der
Verteidigung seiner Handlungsweise gegenüber seinen Gegnern. In des
ersteren verfocht er die göttliche Wesensgleichheit {ofioovma) von Vater
und Sohn gegenüber dem Areios, der den Logos oder Sohn als Geschöpf
und Werkzeug von Gott Vater, dem einzigen wahren Gott, dargestellt
^) Zeitbestimmungen für Athanasios von
GuTBOHMiD El. Sehr. II 428 ff., woza Artikel
Athanasius von Loofs in 3. Aufl. der Real-
encyklopftdie fOr protestantische Tlieolop«
1896.
B. Christliche Bohriftsteller. 8. Christliche Theoeophen. (§§ 691—692.) 909
hatte. Durch sie, mehr aber noch durch sein standhaftes, entschiedenes
Auftreten erwarb er sich den Ruhm, Begründer der durch das Konzil von
Nikäa (325) festgestellten Orthodoxie zu sein; aber das Symbolum Atha-
nasianum, in welchem die rechtgläubige Lehre in kurzen Sätzen zusammen-
gefasst ist, rührt nicht von Athanasios selbst her, sondern ist erst aus
dem Lateinischen ins Griechische rückübersetzt worden. Die Verteidi-
gungsschriften änoXoytjTixoi xatcc UQeiavdv, anoXoyia nqoq xov ßaaiXta KcoV'
oTamor, anoXoyia n€Qi Tt^q g>vYrjg avrov sind wichtig nicht bloss für die
Lebensgeschichte des Verfassers, sondern auch für die allgemeine Zeitge-
schichte. Von den sonstigen Schriften des fruchtbaren Kirchenvaters ver-
dient die Biographie des hl. Antonius, Stifters des Koinobitenklosters aut
dem Berge Kolzion am Roten Meer, hervorgehoben zu werden, da ihr
warmer Ton viel zu der im 4. Jahrhundert so ausserordentlich wachsenden
Neigung zum Klosterleben beitrug. Untergeordnet sind des Athanasios
exegetische Schriften, interessanter seine Briefe und bischöflichen Oster-
sendschreiben {intaToXai soQxaaxixai),
Gesamtausgabe der Werke des hl. Athanasios von Montfaucon, Paris 1698, in 3 Bde.
2^; vermehrt bei Migne, t. 25 — 28. — Die Vita Antonii ins Lateinische übersetzt von
Eoagrias aus Antiochien (gest. 893) findet sich neben dem griechischen Originaltext bei
Montfaucon. — The Festai letters of Athanasios, discovered in an ancient Syrian version, by
CüRETON, London 1848. — Möhleb, Athanasins der Grosse und die Kirche seiner Zeit,
Mainz 1827, 2 Bde.
Die Schriften der Gegner der orthodoxen Kirche sind zum grössten
Teil mit dem Untergang ihrer Sache zu Grunde gegangen. Von Areios
selbst hat sich ausser zwei Briefen und dürftigen Resten seines poetischen
Buches Thalia nichts erhalten, von Eunomios, der im Jahre 360 wegen
ketzerischer Gesinnung seines Episkopats in Eyzikos entsetzt wurde,
ist die erste Verteidigungsrede (anoXoyiixtxog) vollständig auf uns gekom-
men (Migne vol. 30), und haben wir von der zweiten (in 3 Büchern nach
Photios bibl. cod. 138) aus den Entgegnungen des Gregor von Nyssa Kenntnis.
Schlecht ist es auch bestellt mit der Überlieferung der schriftstellerischen
Leistungen des angesehenen, zum Arianismus hinneigenden Bischofs von
Laodicea in Syrien, Apollinarios (v. 1. Apollinaris, gest. 390), der zu-
gleich als Exeget und Dichter christlicher Stoffe in hohem Ansehen stand, i)
und des Nestorios (seit 428 Bischof von Konstantinopel), der an Kyrillos
und dem Papste Cölestinus seine Gegner fand.
In häretische Streitigkeiten des dritten Jahrhunderts greifen zurück
die nur in lateinischer Übersetzung erhaltenen Ada disputationis Archelai
ejnscopi Mesopotamiae et Manetis haeresiarchae (Migne X 1405 — 1528) von
Hegemonios, die gegen den Dualismus der Manichäer gerichtet sind.
692. Erwiderungen auf heidnische Angriffe. Im 4. und 5.
Jahrhundert gaben drei heidnische Schriften der Philosophen Porphyrios
und Proklos und des Kaisers Julian den Christen Ärgernis und Anlass zur
Entgegnung«) (siehe §§ 603 und 621). Gegen Porphyrios, der haupt-
sächUch den Zorn der Christen erregte und von dem sie daher nicht
anders als von dem Gottlosen sprachen, wandte sich der eben genannte
') J. Dbabbke, Apollinarios von Laodi- | n. Unt. von Gebhardt-Harnack Bd. VII (1892).
cea, sein Leben und seine Schriften, in Text | >) Siehe oben §§ 604. 621. 623.
910
Grieohischo Litteratargeflehiohte. tll. Anhang.
Apollinarios von Laodicea in 30 B.,*) der Kirchenhistoriker Eusebios
in ebenfalls 30 B.,^) ferner Methodios von Oljrmpus') und Makarios
von Magnesia (um 410). Alle diese Yerteidigungeschriften sind ebenso
wie die AngrifTsschrift des Philosophen Porphyrios verloren gegangen.
Erhalten dagegen haben sich von der den Angriffen des Julian Schritt
auf Schritt folgenden Verteidigung des hl. Kyrillos {vrt^Q ttjc ttov X^iStt-
av<av evayovg d-qr^axeiag nqoq xd toi iv ad-soiq in 30 B.), die ersten 10
Bücher. Kyrillos, Patriarch von Alexandria (412—444), war einer der
angesehensten aber auch zanksüchtigsten Kirchenfürsten seiner Zeit;
ausser gegen den damals schon längst verstorbenen Kaiser Julian eiferte
er in mehreren Schriften gegen die Lehre der Nestorianer, welche die
Einheit der zwei Naturen in Christus läugneten und es daher für einen
Frevel erklärten, die Mutter des Herrn als Qottesgebärerin {^foxoTtog) zo
bezeichnen. Auch exegetische Schriften, Homilien und Briefe haben sich
von ihm erhalten. Gesamtausgabe von Aubert, Paris 1838 in 6 Bänden,
Migne t. 68—77.*)
Auch die Entgegnung des christlichen Rhetors Prokopios von Gaza
auf die Lehre des Neuplatonikers Proklos (§ 623) hat sich zum grössten Teil
erhalten. Die Entgegnung trug den Titel 'AvriQqrjaig slg rä HqoxXov ^to-
Xoyixd xfffdXaia und war um 470 abgefasst.*) Von derselben war schon
früher durch Ang. Mai Glass. auct. IV 274 ein versprengtes Bruchstück
aus einer vatikanischen Handschrift an das Tageslicht gezogen worden.
Jetzt ist durch den Scharfsinn eines Griechen^) aufgedeckt worden, dass
ein byzantinischer Theolog des 12. Jahrhunderts, Nikolaos von Methone,
die ganze Schrift des Gazäers in sein neues Buch 'Avdmv^ig %ffi ä'soXoyixr^g
aroix^iwasiag JIqoxXov'^) aufgenommen hat, ohne auch nur mit einer Silbe
des eigentlichen Autors zu gedenken.
Unabhängig von einer bestimmten Anklageschrift^) ist das Buch:
Die Heilung der heidnischen Krankheiten (EXXrjvixwv ^eganevtixt} na^if
fidviov ij evayyeXix^g dXr]&€iag i$ *EXXr]vtxfjg (piXoaoifiag iniyvwaig in 12 B.)
von Theodoretos aus Kypern (um 386—458), desselben, von dem uns
auch eine Kirchengeschichte und mehrere Exegesen, Homilien und Briefe
erhalten sind. Gesamtausg. von Schulze, Halle 1774 in 5 Bänden, Migne
t. 80 — 84; Theodoreti ^EXXrjvixdv na&tjfjidt(ov d'BQanevt^xfi^) rec. Gaisford,
Oxon. 1839.
») Hieronymns De vir. ill. c. 104; Snidas
unt. AnoXkivfi^og.
*) Hieronymns De \Tr. ill. c. 81.
•) HieronymuB c. 83.
^) Verschieden von dem Alexandriner ist
der Hierosolymitaner Kyrillos, Bischof
von Jerusalem (350—381), der als Antd-
arianer und Verfasser von 24 Katechesen (Tauf-
reden) einen Namen hat; Migne t. XXXIII.
^) So angesetzt von DbIseke, Prokopios'
von Gaza Widerlegung des Proklos, Byz.
Zeitschr. VI (1897) 55 flF.
•) DemosÜienes Russos, Tgstg FaCwoi,
Constant. 1893.
^) Ausgabe von Yöwsl, Frankfurt 1825.
— Prokopios schrieb auch einen KommenUr
zum Hohenlied, wovon Mitteilung gibt Axo.
Mai, Glass. auct. t. IX, eine Lobrede auf
Kaiser Anastasios und eine fior^^m 'Awn»-
/«('a; auf das Erdbeben von 458 (?).
^) Dass indirekt der Kaiser Julian be-
kämpft wird, weist nach Asmus, TheodoretB
Therapeutik und ihr Verh<nis zu Julian,
Byz. Zeitschr. 3, 116 ff.
*j Der Titel der »Schrift nachgebildet den
Xoyoi ScQixnsvTtxol ttSv na^wy des Dioo
Chrysostomos.
B. Christliche Schriftsteller. 3. Christliche Theosophen. (§693.) 911
698, Epiphanios (367—403) von Eleutheropolis in Palästina,
Bischof von Konstantia in Kypern seit 367^) ist der Geschichts-
schreiber der Heräsien geworden durch das umfangreiche, aus 3 Büchern
und 7 Abschnitten (tojiio«) bestehende Werk IlavccQiov xard naaon* twv
cuQhaemv „Arzneikasten gegen alle Ketzereien*', das die Widerlegung von
80 Irrlehren enthält, unter denen die christlichen und gnostischen Sekten
die Mehrzahl bilden, zu denen aber auch die verschiedenen philosophischen
Systeme der Griechen und Juden zählen. Das Werk, von dem der Ver-
fasser selbst einen Auszug {dvaxsipaXaioaaig) machte, ist für uns die Haupt-
quelle der Geschichte der dogmatischen Streitigkeiten, gibt aber für die
ältere Zeit im wesentlichen nur die Angaben des Hippolytos wieder.
Dem Epiphanios wird ausserdem ein Buch über die Masse [neql
^uxQün'^ s. § 649) und in den besten Handschriften auch die Überarbeitung
des sogenannten Physiologus zugeschrieben {^Enifpaviov ix twr 'Agiazo-
TbXovq ifvaioXoyov tisqi i^won»).«) Das Buch enthält in 49 Kapiteln wunder-
bare Erzählungen aus dem Naturreich, vom Löwen, Pelikan, Phönix, Ein-
horn u. a., so angelegt, dass die wunderbaren Eigenschaften der Tiere
auf die christliche Lehre gedeutet werden, wie auf die Auferstehung von
den Toten der aus seiner Asche neu entstehende Phönix, auf die christ-
liche Liebe der seine Jungen mit seinem eigenen Blute nährende Pelikan.^)
In seinem Kerne gehört das Buch zur Wunderlitteratur (negji ^avßaamv)
und hat mit dem Tierbuch des Sophisten Aelian manche Berührungs-
punkte. Epiphanios ist, wenn ihm überhaupt mit Recht das Buch beige-
legt wird, nicht Urheber, sondern nur Überarbeiter des Buches. Das
Original stammte aus früherer Zeit, da es bereits von Origenes, Homil.
117, 5 citiert wird, und ist in Alexandria im Kreis der hellenistischen
Juden entstanden, wohin insbesondere auch die ägyptischen Monatsnamen
führen; es ist ein Produkt ägyptischer und hebräischer Tiersymbolik aus
der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts n. Chr., in das aber Stücke aus
noch viel älterer Zeit, bis aus dem 2. Jahrtausend v. Chr. aufgenommen
wurden. Mit Aristoteles hat das Buch nichts zu thun; der Name des be-
rühmten Philosophen wurde demselben nur vorgesetzt, weil derselbe als
der erste Naturkenner {q^vaioXoyoq) galt. Im Mittelalter, das an solchen
wunderbaren Dingen und Allegorien ein besonderes Gefallen hatte, gehörte
der Physiologus zu den gelesensten Büchern; wir haben von demselben
lateinische, äthiopische, syrische, deutsche Übersetzungen.
Epiphanü opera ed. Peiavius 1622; ed. G. Dindobf, Lips. 1859; Migne t 41—43.
— Aus dem Panarion gibt Diels, Doxogr. gr. 585—93 den die alte Philosophie betrefFen-
den Abschnitt. — R. A. Lipsius, Zur Quellenkunde des Epiphanios, Wien 1865, wo nach-
gewiesen ist, dass die Uebereinstimmungen unseres Epiphanios, der um 377 sein Panarion
1) ßiV 'Ertitparlov im 1. Bde der Aus-
gabe von Dlndorf.
') In den Ausgaben des Epiphanios findet
sich das Buch nicht, in den Siteren so wenig
wie in der neuesten von Dindorf ; wohl aber
steht in denselben eine Schrift über die 12
Edelsteine in dem Gewände des hohen Prie-
sters {nsgl roiv ißf^ Xi9foy rtor ovttor iy tot^ \ im symbolischen Sinne verwendet.
axoXiüfjtolq ror ^AaQtäv\ das durch die Schil-
derung von der Wunderkraft jener Steine
einige Verwandtschaft mit unserem Physio-
logus zeigt.
*) In verwandter Weise sehen wir in den
Katakomben antike Figuren, wie den Hermes
Eriophoros und den tierbändigenden Orpheus,
912
GriechiBche litteratiirgeschichte. III. Anhatig.
schrieb, mit den latemischen Antoren Philastrius (f B87) und Ps. Tertallian, U-
bellus adv. omnes haereses, aus der Benützung der gleichen Vorlage zu erklären ist und
dass die Eetzergeschichte zunächst auf Hippel jtos und dann weiter auf Irenäns und Jusiinas
zurückgeht.
£xcerpta ex Epiphanii libro de mensuris et ponderibus, in Hültsch's Metrologiconun
scriptorum reliquiae 1. 1 p. 259 — 276 ; vollständiger mit einer für die alten Bibelfibersetzungeii
wichtigen Einleitung nach dem Syrischen von Paul db Lagabdb, Symmicta II (1880) p. 149
bis 216; das Buch sollte zur Erklärang der Masse in der Bibel dienen.
Physiologus. Der Text im Laufe der Zeit vielfach erweitert und durch Umstellungen
getrübt, geht zurück auf den Wiener cod. theolog. 128 und Pitras cod. A. — Laughert,
Geschichte des Physiologus, mit kritischer Ausgabe des griechischen Textes, Straasborg
1889. — Goldstaub, Die Entwicklung des lateinischen Phvsiologos, in Verh. d. Philol.
Vers, in München (1891) S. 212 ff.. Ueber den viilgärgriechischen Physiologus in politischen
Versen Krumbachrb, Byz. Lit. ' 874. — Deutsche Cebersetzung mit kritischen und sadi-
kundigen Anmerkungen von Em. Pbtbrs, Der griechische Physiologus und seine orientalischen
Uebersetzungen, Berlin 1898.
694. Synesios,!) geboren um 370, stammte aus einer vornehmen
heidnischen Familie der kyrenäischen Pentapolis. In Alexandria wurde
er durch Hypatia, die berühmte Tochter des Mathematikers Theon, in die
geheimnisvolle Welt der neuplatonischen Philosophie eingeführt. Noch
als junger Mann erhielt er im Jahre 397 von seiner Vaterstadt den Auf-
trag einer Gesandtschaft an den kaiserlichen Hof von Konstantinopel.
Später lernte er auch, nicht ohne starke Enttäuschung, Athen, die Lehr-
stätte seines Piaton und Zenon, kennen.') Aber der mystische Zug seiner
Natur und der Einfluss seiner Frau machten ihn immer mehr der Lehre
des fleischgewordenen Logos zugänglich, bis er schliesslich im Jahre 410
sich von dem alexandrinischen Bischof Theophilos taufen und zum Priester
ordinieren liess, um die auf ihn gefallene Wahl zum Metropoliten der
Pentapolis annehmen zu können. 8) Er starb jung, nicht viele Jahre, nach-
dem er die schwere Last eines Bischofs übernommen hatte; keine Spur
in seinen Briefen führt über das Jahr 413 hinaus. — Die Schriften unseres
Synesios stammen zum grössten Teil noch aus der Zeit vor seinem Übei^
tritt zum Christentum und atmen sogar zum Teil einen feindseligen Geist
gegen das Mönchtum und den Bildungsmangel christlicher Priester; aber
sie gehören zu dem Besten, was die Vereinigung philosophischer und
sophistischer Bildung in jener Zeit hervorgebracht hat. Voran stehen an
Bedeutung die 155 an verschiedene Freunde, darunter auch an Hypatia
gerichteten Briefe,*) die uns einen anziehenden Einblick in die Zeitver-
hältnisse, die weltlichen wie geistlichen, und das leicht erregbare Gemüts-
leben des philosophischen Schwärmers gestatten ; dem byzantinischen Mittel-
alter galten sie als Muster des Briefstiles, weshalb Suidas im Artikel über
Synesios sie als &avfia^ofitvag inioroXdg bezeichnet und Thomas Magister
den Synesios wiederholt als Vertreter des Attikismos anführt. Von Adel
*) Volkmann, Synesiiis von Cyrene,
Berl. 1869 ; Schneider, De vita Synesii, Diss.
Grimma 1876; 0. Serck, Studien zu Synesios,
Philol. LH (1893) 442 ff.
^) Synes. ep. 54 u. 186,
■) Seine Zweifel, ob er, der mit seiner
Gattin in glücklicher, kindergesegneten Ehe
zusammenlebte und nicht in allem die Dogmen
der Kirche mit seiner philosophischen üeber-
zeugung in Einklang bringen konnte, die
Wahl annehmen solle, entwickelt er in dem
schönen, offenbar zur VeröffenÜichnng und
persönlichen Rechtfertigung bestimmten Brief
an seinen Bruder Euoptios (ep. 105).
^) Die Ordnung der Briefe ist nicht die
gleiche in allen Handschriften; die in des
Drucken überlieferte, die das Zosammen*
gehörige vielfach auseinandeireisBt, ist kaum
die richtige. Eine Untersuchung dieses Punktes
thäte not
B. GluriBiliche Sohriftsteller. 8. Chriatliche Theosophen. (§§ 694—695.) 913
der Gesinnung und männlichem Freimut zeugt die schöne Rede über das
Königtum {nagl ßaaiXeiag), die er im Jahre 398 bei einer Gesandtschaft
vor dem Kaiser Arkadios hielt, i) Von den Verhältnissen des Ostreiches
in jener Zeit handeln die noch in Konstantinopel entworfenen Alyvmtoi
Xiyoi rj negi nqovoiag^ worin sich unter der Hülle der mythischen Kämpfe
des Osiris und Typhos allegorische Anspielungen auf die Zeitgeschichte,
insbesondere auf die Geschicke des Präfekten Aurelius und dessen Bruders
bergen.^) Ein interessantes Zeugnis von seiner eigenen Stellung zur So-
phistik und dem Mönchtum enthält die um 405 abgefasste litterarhistorische
Schrift Dion, in der er die in jenem Manne so glänzend hervorgetretene
Verbindung von Philosophie und Redegewandtheit seinem noch nicht ge-
borenen, aber nach einem Traumgesicht erwarteten Sohne als Muster vor-
hält. Eine Ausgeburt einerseits der spielenden Sophistik, anderseits des
träumerischen Mysticismus sind seine frostige Lobrede auf die Kahlköpfig-
keit {ifaXaxQccq iyxaifxiov) ») und seine unklare Abhandlung über die Träume
{negl ivvnvmv), — Christliche Ideen sind mit den Anschauungen des Neu-
platonismus verquickt in den zehn zu verschiedenen Zeiten entstandenen
Hymnen.^) Dieselben sind noch nach den Gesetzen der alten Prosodie
gedichtet ; aber von einer Zusammenfassung der kleinen Kola zu Perioden
oder Strophen ist ebensowenig mehr die Rede wie von einem Wechsel in
den Versformen und dem Rhythmus: in dem ermüdenden Einerlei des ana-
pästischen oder ionischen Leierkastens geht es vom Anfang bis zum Schluss
fort. Der Dialekt ist der dorische, derselbe also, der in der Pentapolis
seit alters gesprochen wurde; aber Synesios wird denselben nicht dem
Volksmund abgelauscht, sondern der alten Lyrik Pindars nachgebildet
haben.
Gesamtausgabe von Pbtayiub, Paris 1612, nnd danach von Migkb t. LXYI. — Synesii
Cyrenaei orationes et homiliarom fragm. rec. Kbabinger, Landsbut 1850 (unvollendet). Eine
nene Ausgabe der Briefe mit kritischem Apparat vorbereitet von W. fVitz in Nördlingen.
— Synesii hymni ed. Flach 1875, iivozu Rh. M. 32, 538 ff. Dieselben stehen auch in
Cbrist-Pabanikas' Anthol. carm. christ. p. 3—23. — Briefe bei Hbecheb, Epistologr. p. 638
bis 739. — Schollen von Nikephoros Gregoras zu tisqI iyvnyiwp bei Peiavius.
695. Methodios, Bischof von Tynis, der um 312 als Märtyrer starb,
erhielt von seiner Nachahmung des Piaton den Ehrennamen platonizans.^)
In den verloren gegangenen Dialogen negl yevr^Twv und negl ävaazdaewg
bekämpfte er die Lehre des Origenes von der Ewigkeit der Welt und der
Nichtauferstehung des Leibes, in dem Dialog vom freien Willen {nsgi avre^
^ova(ov) den Determinismus der Qnostiker. In dem uns noch erhaltenen Qast-
mahl {avinnociov tmv dtxa TinQd^eriov nsql trjg ayyelofufxt^tov naQ^sviaq xal
ayv€tag) behandelt er die Liebe vom christlichen Standpunkte, indem er
die beim Mahle versammelten Jungfrauen in Prosa und Vers die Keusch-
) Vgl. Gt. Barner, Comparantur inter se
Graeci de regentium hominum virtutibns auc-
tores, Marb. 1889 p. 47 ff.
') Darfiber unterrichtet die der Rede
vorausgeschickte Ttgoffstogia (vgl. Himerios
§ 602 Anm.). Dem entgegen will Eug.
Gaiser, Des Synesius von Cyrene ägyptische
ErzAhlungen, Wolfenbfittel 1886, in dem
Typhos den Gotenffihrer Gainas erkennen.
Handbuch der kiMs. Alterttunswlssenschaft. Tu. 8. Aufl. 58
Synesius selbst hielt, wie man aus
dem hfibschen Begleitbrief ep. 1 sieht, sehr
viel auf dieses Machwerk.
*) Den 3. Hymnus dichtete er noch in
Eonstantinopel, den 8. um 405, den letzten
wahrscheinlich als Bischof.
^) Alb. Jahn, Methodius platonizans,
1865.
914 Ghrieohische LitteratorgMoldohte. IIL Anhang.
heit und Jungfräulichkeit verherrlichen lässt. Ausgabe von Alb. Jahn,
Halis 1865 ; vermehrt durch den Fund einer altslavischen Übersetzung von
Bonwetsch, Methodius von Oljrmpus, Erlangen 1891.
696. Nemo si OS, Bischof von Enoesa in Phönizien (um 400), ist
Verfasser einer theosophischen Schrift über die Natur des Menschen (negl
ipvaetoq äv&Q<6nov), welche die christliche Lehre von der Unsterblichkeit
der Seele, der Freiheit des menschlichen Willens, dem Walten der gött-
lichen Vorsehung und ähnlichen Dingen mit der neuplatonischen Philo-
sophie verquickt.^) Das im Mittelalter vielgelesene Buch wurde frühzeitig
auch ins Lateinische übertragen. Einige Kapitel desselben sind unter dem
Titel Tti-Qi ipvxrjg unter die Werke des Gregor von Nyssa (Migne XLV 188
bis 221) geraten.
Ausgabe des Nemesios yon Mattbat, Halle 1802; eine neue in der Bibl. Tenbn. an-
gekflndigt von Burkhard, der in Wien. Stnd. X 93 ff., XI 143 ff., XV 192 ff. vorllnfige Mit-
teilung von seinen Hilfsmitteln gibt. Die eine der lateinischen Uebersetznngen wurde im
12. Jflubrbundert von dem Pisaner Burgundio gemacht, herausgegeben von Burkhard, Wien
1892, 1896 Progr. ; eine andere Verbalflbersetzung wurde aus einer Bamberger Handachrifl
neuerdings herausgegeben von Holzinobr, Wien 1887; über deren Verfaftltnis s. Ditthbybr,
Blfttter f. b. Gymn. 1888 S. 868 ff. Weitere handschriftliche Mittel f&r diese 2. üebersetzung
weist nach Babuhckbb Woch. f. kl. Phil. 1896.
697. Von Aineias, einem feingebildeten Sophisten aus Gaza, der
den heidnischen Philosophen Hierokles*) gehört hatte, selbst aber Christ
war, haben wir einen in eleganter Sprache geschriebenen Dialog öfo-
^Qaarog über die christliche Lehre von der Unsterblichkeit der Seele. Die
Hauptträger des Dialogs sind Theophrastos, der die Lehren der alten
Philosophen, des Heraklit, Empedokles, Piaton, Aristoteles, von der Seele,
insbesondere von der Präexistenz der Seele und von der Seelenwanderung
vertritt, und Euxitheos, der die Widersprüche und Ungereimtheiten jener
Lehren nachweist und ihnen die christliche Jichre von der Fortdauer der
Seele und ihrer Wiedervereinigung mit dem verklärten Leibe entgegen-
stellt.') Das mit Scharfsinn und ohne allen Fanatismus geführte Gesprach
endigt damit, dass sich Theophrastos von der Wahrheit der neuen Lehre
überzeugen lässt und ihr mit den Worten beitritt: nsiv^ofiai • tjörj yägvffi
€Vfi€vstag ttlad-dvofxai xov x^eov • dkkd xaiqbtco /liv dxadjjfiiay nqog ixeirov
S^ lüdfxev • avxog ydq 6 nXdrfov ixexQi rovtov xeXsvsi nai^aad^ai nXdtatn,
k'wg äv avTov ao(f<6t€Qog dva^avfj. Geschrieben ist der Dialog, den ich
nicht anstehe, das beste philosophische Werk des untergehenden Altertums
zu nennen, bald nach dem Jahre 484, auf dessen Ergebnisse p. 75 ed.
Boiss. angespielt ist.
Aeneas Gazaeus et Zacharias Myiilenaens de immortaütate animae et consummatioiie
mundi ed. Boissonade, Par. 1836. — Briefe desselhen Aineias bei Hkbcheb, Epist gr.
p. 24—32. — Demosthbnbs Rusbos, Tgetg Fa^aioi, Diss. Leipz. Konstantinopel 1893.
^) Benatzt sind besonders im 2. und 3. | lieber das Leben nnd die Schriften des
Kapitel die ZiyriJ^irr« <ri»^^txTa des Porphy- ; Aeneas selbt handelt Werhsdorf, Dispo-
nos; s. V. Arnim Rh. M. 42, 278 ff.; über i tatio de Aenea, wiederabgedruckt bei Bois-
die Benutzung des Aetios s. Diels, Doxogr. | sonade p. IX -XXV; vgl. § 616.
p. 49. lieber die Benutzung des Stoikers Phi- ») Die Namen sind gut gewählt; Theo-
lopator, der in dem Buche negl elfÄaQfn^yrjg phrast war die Hauptquelie fQr die (beschichte
die Lehre des Chrysipp verarbeitete, s. l von den Lehrsätzen der Philosophen; Euxi-
v?fr*' n«;. Chrysippea in Jhrb. f. Phil. Suppl. theos bedeutete den zu Gott betenden christ-
,?^?T ?• I Wehen Philosophen.
«) üeber diesen Hierokles s. § 624. — |
B. Christliche Schriftsteller. 8. Christliche Theosophen. (g§ 696—699.) 915
698. Eine plumpe Nachahmung ist der Dialog Ammonios des Scho-
lastikers (Rechtsgelehrten) Zacharias, der später, in der Mitte des
6. Jahrhunderts, Bischof von Mytilene wurde. Der Dialog hat den Namen
davon, dass der Neuplatoniker Ammonios^) die Hauptrolle in demselben
spielt. Derselbe vertritt die heidnische Anschauung von der Ewigkeit der
Welt und bekämpft die christliche Lehre von der Erschaffung der Welt
durch Gott und von ihrem dereinstigen Vergehen; ihm gegenüber ver-
teidigt mit siegenden, aber stumpfen Waffen der christliche Sprecher die
biblische Erzählung von der Erschaffung der Welt, indem er die Sterb-
lichkeit des Menschen und die dazu stimmende Vergänglichkeit der Welt
aus dem Sündenfall des ersten Menschen erklärt.^) — Das gleiche Thema
behandelte der philosophisch gebildete Grammatiker und schreibselige
Kommentator des Aristoteles, Johannes Philoponos, gegenüber dem
Neuplatoniker Proklos, aber nicht in der gefälligen Form eines Gesprächs,
sondern mit der Spitzfindigkeit dialektischer Polemik, indem er die 18
Sätze, mit denen Proklos die Ewigkeit der Welt als platonische Lehre zu
erweisen suchte, einer scharfen Kritik unterzieht. Vgl. § 623.
loannes Philoponns contra Proclum de mundi aetemitate ed. Tbincavellus, Venet.
1535, am Anfang nnd Schlnss verstümmelt.
699. Dionysios Areopagites nennt sich der apokryphe Verfasser
der vier zusammenhängenden Bücher ticqI oiqaviaq tsqaqx^ctg^ ttcqI ixxXrj-
ciafrTixrjg teqaQxtciq^ nsQi d^eicov ovofiatwv, negl fivanxfjg ^eokoyCag^ und von
zehn in der gleichen öeistesrichtung sich bewegenden Briefen. 5) Die vier
Bücher, welche an den Presbyter Timotheos gerichtet sind, und in denen
sich der Verfasser auf seinen Lehrer Hierotheos beruft,*) geben unter An-
lehnung an die neuplatonische Lehre von dem Eins und Guten und der
von jenem Eins ausströmenden Vielheit der Dämonen*) eine Darlegung
und mystische Begründung des öottesstaates, des himmlischen und irdischen.
Die von Gott, dem Inbegriff des Eins und Guten, ausstrahlenden Kräfte
sind im Himmel die Engel, auf Erden die Priester, beide in streng ge-
gliederter Ordnung. — Dass der Athener Dionysios, der Schüler des
Apostels Paulus, der Verfasser des Buches sei, daran ist unter keinen
umständen zu denken. Fraglich kann es nur sein, ob ein jüngerer gleich-
namiger Dionysios des 4. oder 5. Jahrhunderts das Buch geschrieben habe,^)
oder ob auch der Name des Verfassers eine Fälschung sei, gemacht, um
der in diesen Schriften begründeten Hierarchie das Ansehen einer altehr-
^) Gemeint ist offenbar der jflngere Am-
monios, mit dem Beinamen d ^E^/neTog, den
loannes Philoponos als seinen Lehrer nennt.
') Derselbe Zacharias Rhetor hat eine
Eirchengeschichte yerfasst, die uns noch teil-
weise in syrischer üeberarbeitung erhalten
ist, Land, Anecd. Syriaca in, Leyden 1870.
*) Der Verfasser erwähnt auch noch 7
andere Schriften von sich, negl ipvxrjg, deo-
koytxai vnoxvntoneig etc., aber ob er solche
wirklich geschrieben hat, ist sehr zweifel-
haft; vielleicht wollte er damit nur den Ver-
dacht einer F&lschung verwischen. \ s. Pflbidbrkr, Urchristentum, S. 828.
58*
^) Die Benützung des Proklos ist nach-
gewiesen von Jos. Stiolhatr, Der Neuplato-
niker Proklos als Vorlage des sog. Dionysins
Areopagita in der Lehre vom üebel, Bist.
Jahrb. 1895 S. 253 ff. Die sprachlichen Nach-
ahmungen bespricht, ohne das Verhältnis zu
Proklos ins äare zu bringen, Alb. Jahn,
Dionysiaca, Alt. 1889.
^) Ueber den ähnlichen Zweck des Fäl-
schers der Briefe des Ignatius, welcher die
Begründung des monarchischen Episkopats
auf eine hohe Autorität zurückführen wollte,
916 Qriaohiioho LitteraiiirgeMhiolite. m. Anhang.
würdigen, in die Zeit des Apostels Paulus hinaufreichenden Institution zu
geben. ^) Das letztere ist weitaus das Wahrscheinlichere; denn wenn man
auch leicht im 4. oder 5. Jahrhundert einen Kirchenschriftsteller Dionysios
finden kann, so doch nicht leicht einen, der zugleich einen Timotheos zum
Schüler und einen Hierotheos zum geistigen Nährvater hatte. Vor der ein-
fachen Lösung des Problems scheute man nur zurück, solange man von
den Fälschungen, auf welche sich die ganze Hierarchie des Mittelalters
stützte, keine Ahnung hatte. Entstanden sind die Schriften erst nach
Verbreitung des Neuplatonismus, wahrscheinlich erst gegen Ende des
5. Jahrhunderts, nach dem Neuplatoniker Proklos, auf dessen Lehre sich
der Fälscher hauptsächlich stützt.*) Erwähnt werden dieselben zuerst in
dem Religionsgespräch von Eonstantinopel aus dem Jahre 531 ; nach
diesen soll bereits der Bischof Kyrillos derselben gedacht haben. Allge-
meines Ansehen erlangten dieselben seit dem Lateranconcil vom Jahre
649. In dem Mittelalter spielten sie in der griechischen Kirche und noch
mehr in der lateinischen des Abendlandes eine sehr grosse Rolle. Auch in
das Syrische wurden sie frühzeitig übertragen.
Gesamtausgabe von Morel, Par. 1562; von Balte. Gobdesius, 2 Bde., Ant. 1684,
wiederholt Ven. 1756, Mione t. III u. IV. — Dionys. de mystica theol. et de div. nominibDa^
mit lat. Uebers. u. Erkl&r. von Ficinus, Ven. 1538. — Ekqelhabdt, Die angeblichen
Schriften des Axeopagiten Dionysius, Sulzbach 1823. — Ein lateinischer Brief des Dionysins
an Timotheos ttber den Tod der Apostel Petras und Paulus, gedrackt in Mohbbitius,
Sanctnarium II 194 — 6, ist im 9. Jahrhundert in St. Denis bei Paris erdichtet worden, wo
834 der Abt Hüdoin durch gef&lschte Mftrtyrerakte die Identität des h. Dionysius Ton Paiis
mit dem Dionysius Areopagita zu erweisen suchte.
700. Wie der neuplatonische Philosoph Porphyrios ein Buch über die
aus den Orakeln zu schöpfende Philosophie geschrieben hatte, so haben um-
gekehrt nun auch christliche Theosophen die heidnischen Orakel benützt,
um nachzuweisen, dass in ihnen bereits durch göttliche Eingebung christ-
liche Gedanken den Menschen offenbart worden seien. Eine solche An-
schauung, welche auf den jüdischen Peripatetiker Aristobulos zurückgeht, ')
lag der Oeocotpia eines anonymen christlichen Schriftstellers aus der Zeit
des Kaisers Zenon (474—491) zu grund, von der uns ein Auszug unter
dem Titel X^ijC^ol %<ov eXXtjvixiav &€c5v erhalten ist. Die vollständige
^) HiPLBR, Dionysius der Areopagite, I in die christliche Litterator bis zum Lateran-
Regensburg 1861, sucht in Timotheos und | konzil 649, Progr. des Gymn. an der Stella
Hierotheos historische Persönlichkeiten des matutina zu Feldkirch 1895. Seine Meinung
schliessenden 4. Jahrhunderts. Jon. Dräsekb
will in seinen gesammelten patristischen Ab-
handlungen, Altona 1889, zweite Abhandlung,
Dionysios von Rhinokolura, S. 25—77, die
hier behandelten Schriften und das flÜsch-
lieh dem Hippol3rtos beigelegte Bruchstück
neQi &eoXoyiag xal auQXiuostog dem Mönche
Dionysios von Rhmokolura, angeblichem
Freunde des Theologen Apollinarios, zu-
weisen.
^) In den Ausgang des 5. Jahrh. setzt
unsere Schrift auf Grund sorgfältiger, vor-
urteilsfreier Untersuchung Jos. Stiolhayb,
Der Neuplatoniker Proklus als Vorlage des
sog. Dionysius Areopagita, Hist. Jahrb. 1895
S. 253 ff., und Das Aufkommen der Pseudo-
Dlonysischen Schriften und ihr flindringen
hält derselbe Gelehrte gegenüber Einwen-
dungen Drasbkes (Dionysische Bedenken, in
Theol. Stud. u. Krit. 1897 S. 381 ff. und Des
Prokopios von Gaza Widerlegung des Prokloe,
in Byz. Zeitschr. 1897 S. 85 ff.) sowie gegen
Langen und A. Jahn siegreich aufrecht in
dem Aufsatz, zur Lösung Dionysischer Be-
denken, Byz. Zeitschr. YII (1898) 91 ff.
>) In unserer Theosophie selbst heisst es
c. 10 nach Euseb. Praep. ev. XTTT 12: owi
'jQiajoßovXoSy 6 i| 'Eßgaltay neQinaifjiixof
(ptX6ao(pogy innTxeXXmtf JTioile/ucrc^ ^vrttfAo^
Xoytjaey, ix lijs ißQaixfg ^Boco^ing rijy ikXa^-
yixrjy toQ/biijc&tti * (payegoy yd^ iaur^ or«
xaxrjxoXov9fia6v 6 flXätiay iß xa^ i^fiag ro^».
^Heaiif, xrct dijXog icri ne^is^Qyaafiiyog Ixmrr«
j(oy iy avtj.
B. ChriatUche Sohriftsteller. 4. Kirohenhistoriker. (§§ 700-702.)
917
Theosophie umfasste 4 B., denen selbst wieder sieben Bücher nsQl rrjg
oQ&f^g m'ifrcwg vorausgeschickt waren. Der Verfasser benutzte aber für
seine These nicht bloss Orakel, die er zumeist dem obengenannten Werke
des Porphyrios entnahm, sondern auch orphische und sibyllinische Verse
und schöne Aussprüche der alten Dichter und Philosophen, namentlich des
Menander, Piaton und Heraklit. Kritische Prüfung sucht man vergeblich
bei ihm ; umgekehrt hat er offenbarste Fälschungen, wie ganz junge Verse
der Orphika, für alt und echt ausgegeben.
Die Exzerpte waren vollstftndig nur durch eine jetzt verloren gegangene Strass-
barger Handschrift auf unsere Zeit gekommen; von dieser machte im Jahre 1580 Bemh.
Hansius eine Abschrift für Professor Crusius in Tübingen. Diese Abschrift entdeckte un-
Iftngst Prof. Neümann; eine Ausgabe danach veranstaltete Bubbsch, Klaros, Leipz. 1889,
im Anhang S. 89—126.
4« Kirchenhistoriker.
701 . Die Anfänge der christlichen Historie sind in den bereits oben
erwähnten Erzählungen von den Thaten ier Apostel {n^d^eiq rwv anoaxo-
Xcav) zu erblicken. Nachrichten über die christliche Kirche und ihre Vor-
stände (imaxonot), die christlichen und jüdischen Sekten und die Verfol-
gungen der Christen stellte zuerst Hegesippos zusammen.^) Derselbe
lebte unter Antoninus Pius und Marc Aurel und schrieb jedenfalls nach
dem Tode des Lieblings des Kaisers Hadrian, Antinoos, über dessen Ver-
götterung er sich skandalisierte.^) Seine Beziehungen zu Ägypten und
seine guten Kenntnisse der jüdischen Schriften lassen vermuten, dass er
mit der Klasse der alexandrinischen Juden in Verbindung stand ; aber von
seiner Heimat aus hatte er viele und grosse Reisen unternommen ; speziell
erwähnte er seinen Besuch bei der Christengemeinde in Korinth und seinen
längeren Aufenthalt in Rom.^) Seine historischen Aufzeichnungen {vTiofi^r»-
fAccra in 5 B.) benutzte Eusebios als Hauptquelle für die ältere Zeit; der-
selben gedenkt noch der Patriarch Photios bibl. p. 288 b, 10.
702. Geschichtsbücher (Xqovixcc) allgemeiner Natur, aber mit spezieller
Berücksichtigung der biblischen und kirchlichen Ereignisse verfassten
Hippolytos und Sext. Julius Africanus.*) Der letztgenannte war
Presbyter in Alexandria zu Anfang des 3. Jahrhunderts. Seine Chrono-
graphie in 5 B., Jl€%^dßißlov xQovoXoytxov von den Neueren genannt, stellte
hebräische und griechisch-römische Ereignisse chronologisch geordnet
nebeneinander; sie ging von Erschaffung der Welt oder 5500 v. Chr. bis
auf 221 n. Chr. herab und war eine Hauptquelle nicht bloss des Eusebios,
sondern auch der älteren Chronikenschreiber von Byzanz. Durch Eusebios
ist uns auch aus dem Werke seines Vorgängers das wertvollste Stück,
die 'OXvfimädtav avayqa^>i!^^ erhalten, ö) welche Rutgers in einer vorzüg-
lichen Sonderausgabe (Leyden 1862) bearbeitet hat. Julius Africanus war
ausserdem Verfasser eines enkyklopädischen Werkes KbctoL (d. i. gestickter
0 Habnack, Altchr. Lii 11 1, 311.
») Eußeb. ffist. eccl. IV 8.
») Euaeb. ffist. eccl. IV 22.
^) Gelzer, Sext. JnliuB AfricaniiB und die
byzantinische Chronologie, Leipz. 1885, 2 Bde.
') Zuerst aufgefonden von Casaubonus
und dem grossen Scaliger, als er an seinem
Thesaums tempomm arbeitete, zurVerfttgung
gestellt, jetzt vollständig herausgegeben aus
Cod. Par. 2600 von Crameb, An. Par. II 115 ff.
918
Qrieohisohe Litteratargeschiohte. ni. Aiiliang.
Gürtel, von der Mannigfaltigkeit des Inhaltes) in 14 (24 nach Said.) B.,
aus dem uns Auszüge der auf das Kriegswesen und den Ackerbau bezüg-
lichen Abschnitte erhalten sind.^) Auch zwei interessante Briefe des Afri-
canus haben sich auf unsere Zeit gerettet, einer an Origenes über die
apokryphe Geschichte der Susanna, und ein anderer an Aristides über die
Genealogie Christi.^)
703. Eusebios, von dem ich bereits oben § 684 als Kirchenlehrer
gehandelt habe, hat den Ehrennamen eines Vaters der Kirchengeschichte
wie Herodot den eines Vaters der allgemeinen Geschichte.^) Er ist in
der That der bedeutendste christliche Historiker, von unschätzbarem Wert
nicht bloss für die Kirchengeschichte, sondern auch die Profangeschichte.
Von ihm sind drei historische Werke auf uns gekommen, das Leben
Konstantins in 4 B., die Kirchengeschichte {'ExxlrjCiaaTixfj lazoQia)
in 10 B., und die Ghronika in 2 Teilen. Das Leben Konstantins,
verfasst nach dem Tode des Kaisers, ist eine Verherrlichung Konstantins
mit stark tendenziösem Anstrich.^) Schon zuvor hatte Eusebius auf ihn
bei Gelegenheit seines 30 jährigen Regierungsjubiläums einen Panegyrikus
verfasst {elg Ktovatavurov rov ßaaikäa TQiaxovTaeTtjQixog), der natürlich
noch überschwenglicher gehalten ist. Die Kirchengeschichte, an und für
sich bedeutend als erste Zusammenstellung der Entwicklung der christ-
lichen Kirche vom Anfang bis zum Jahr 324 oder bis zur Alleinherrschaft
Konstantins, erhält noch besondere Bedeutung dadurch, dass ihr Verfasser
aus älteren, verloren gegangenen Büchern, wie Papias, Dionysios, Apollo-
nios, ganze Seiten wörtlich herübergenommen hat. Ins Lateinische ist das
Werk übertragen von Rufinus.^) Mit der Kirchengeschichte in Zusammen-
hang stand die leider verloren gegangene Sammlung der alten Glaubens-
zeugnisse {Svvaywyr] to)v aqxadav fiagzvQicov). Am wichtigsten, und nicht
bloss für die Theologen, sondern mehr noch für die Philologen und Histo-
riker ist die kurz vor der Kirchengeschichte herausgegebene, uns leider
nur teilweise erhaltene Chronik. Zu ihrem Verständnis muss ich etwas
weiter ausgreifen.
Unter Chronik verstand man im Altertum einen zumeist für den
Unterricht und die Selbstunterweisung bestimmten Abriss der zeitlich (xawd
XQfvov) geordneten Hauptereignisse der Geschichte. Begründer dieser Art
von Geschichtsschreibung war ApoUodor aus dem Ende des 2. Jahrhunderts
V. Chr.; seitdem hatten viele Gelehrte das Unternehmen mit erweitertem
Plan, unter Hereinziehung der orientalischen und hebräischen Geschichte
weitergeführt. Die Chronika des Eusebios in zwei Teilen (avv%a^€ic;) ent-
hielten eine allgemeine synchronistische Geschichte von den ältesten histo-
risch greifbaren Zeiten bis auf das Jahr 325. Der erste Teil (xQovoy^^ta)
*) GrExoLL, Die Quellen der G^oponika
p. 78-92; vgl. oben § 665.
*) Spitta, Der Brief des Julius Africanus
an Aiißtides, Halle 1877. Der andere Brief
und die sonstigen Fragmente bei Mignb X
37-94. Vgl. Euseb. bist. eccl. 6, 31.
') F. Chb. Baus, Gomparatur Eusebius
bistoriae ecclesiasticae parens cum parente
bistoriarum Herodoto Halic. Tubing. 18S4.
<) Rankb, Weltgeschicbte IV 2, 249 ff.;
P. Meybb, De vita Constaniüii Eusebiana,
Bonn 1882.
^) Eine nacb einer syrischen Vorlage ge-
machte armenische üebersetrauig, gedruckt
Venedig 1877.
B. Chrüitlioho Sohriftsteller. 4. Eirchenhistoriker. (§ 708.)
919
gab in zusammenhängendem Text einen kurzen, aus mannigfachen Excerpten
zusammengelesenen Abriss der Geschichte ; ^ der zweite, für uns wichtigste
Teil (x^orfxog xavciv), bestand in chronologischen Tafeln, in welche die
Jahreszahlen der Hauptären und dazu die Hauptereignisse in fortlaufender
Reihe eingetragen waren. Zugrunde gelegt waren und standen in der ersten
Reihe die Jahre Abrahams, 2017 v. Chr. bis 225 n. Chr.; zu diesen kamen
die später einsetzenden Jahre der jüngeren Ären, zunächst der assyrischen,
argivischen, spartanischen Könige, dann der Olympiaden (seit 1240 Abra-
hams) und der Gründung Roms (seit 1264 Abrahams). Zur Rechten und
zur Linken dieser Zeitkolumnen waren in Worten die historischen Data
angemerkt (spatium historicum), und zwar getrennt die der profanen und
die der heiligen Geschichte. Da aber zu den einen Jahren nichts oder
nur weniges, zu anderen sehr vieles anzumerken war, und der Raumer-
sparung wegen die Jahreszahlen nicht weit genug auseinanderstanden, so
mussten früh in den Abschriften Verwirrungen eintreten, indem dieselbe
Sachangabe bald zum mittleren, bald zum vorausgehenden oder nachfolgenden
Jahr bezogen wurde. — Im Original ist das Werk des Eusebios nicht auf
uns gekommen; wir haben nur Fragmente, und zwar ziemlich zahlreiche
in griechischer Sprache aus den späteren Chronographen, welche den Eu-
sebius ausgeschrieben haben, besonders aus Synkellos (800 n. Chr.); des
weiteren Übersetzungen des Kanon in drei Sprachen, eine lateinische von
dem Kirchenvater Hieronymus, der in freier Überarbeitung des Originals
Data aus der römischen Geschichte und Litteratur (bis 378) hinzufügte,*)
eine armenische, welche getreuer das Original wiedergab und erst im An-
fang unseres Jahrhunderts aus einer Handschrift des Klosters der Mechi-
taristen in Venedig ans Licht gezogen wurde (ed. Aucher, Yen. 1818), und
endlich eine noch später bekannt gewordene syrische (ed. Siegfried und
Geizer, Leipz. 1884), welche der Patriarch Dionysios von Telmahar im
Jahre 775 angefertigt hatte. Mit diesen Hilfsmitteln haben die Gelehrten
das wichtige Werk nach und nach zu rekonstruieren versucht. Das
Riesenuntemehmen nahm zuerst Scaliger in seinem Thesaurus temporum
in Angriff (1606), aber erst in unserem Jahrhundert ist nach Auffindung
neuer Hilfsmittel den Bemühungen von Gutschmid, Geizer, Schöne u. a.
ein annähernder Abschluss der Arbeit gelungen. Jedoch bleiben auch jetzt
noch infolge der oben angedeuteten Fehler in der Anlage des Werkes
viele Zeitangaben unsicher, woher das grosse Schwanken der alten Chrono-
logie in den zahlreichen Fällen, wo wir lediglich auf die Angaben des
Eusebios angewiesen sind.
Die Chronika des Eusebios sind für uns von einziger Wichtigkeit,
da auf ihnen das chronologische Gerüste der alten Geschichte aufgebaut
werden muss; aber Eusebios selbst hat nur ein kleines Verdienst, das
Hauptverdienst gebührt seinen gelehrten Vorgängern, welche die Funda-
mente der alten Chronologie gelegt hatten. Sein nächster Gewährsmann
^) Cliron. 1. n in. : Sp tiJ nQo tavxrjg avy-
ttiiet vXas ixnogi^ttjy ifAuvxi^ jjf^oVoi»' dyayQa-
ipdi avysU^ä/Ätjy nayroias. Daraas etammte
der Nebentitel Uaytodarnj UsxoQla, d. i. All-
gemeine Weltgeschichte.
*) Ueber die zum Teü stark von einander
abweichenden Handschriften des Hieronymus
s. Waohsmuth Einl. 171 S.
920 Orieohisohe Litteratnrgeschichte. III. Anhang.
war der christliche Presbyter Julius Africanus. Überdies hielt er sich in
der jüdischen Geschichte hauptsächlich au Josephos, in der profanen as
Alexander Polyhistor, Abydenos' Geschichte der Assyrer und Meder, Ma-
netho's Aigyptiaka, die Chronographen Kephalion, Cassius Longinus, Phle-
gon, Kastor, Thallos, Porphyrios, welch letztere er selbst in dem Eingang
des von der römischen Geschichte handelnden Abschnittes als seine Haupt-
quellen aufführt. Also meistens nur Kompendien, und Kompendien der
späteren Zeit waren es, aus denen Eusebios sein neues Buch zusammen-
stöppelte; von den grossen Geschichtswerken der klassischen Zeit hatte
er nichts gelesen, selbst von den Begründern der Chronologie, von Era-
tosthenes und Apollodor hatte er keine direkte Kenntnis.
Eusebii opera ed. Gr. Dikdobp in Bibl. Tenbn.; vgl. § 684. —- Ensebii acripU histor.
(Kirchengeschichte und Leben Konstantins) ed. itemm Hbinioubn, Lips. 1868. — Ensebii Qu^
nica ed. Alfb. Schöne 1875; dazu die fortlaufenden Besprechungen von Gutschmib, jetzt
in dessen Ges. Sehr. I 417 ff.
Eusebios hatte in der Chronologie seine Nachfolger und Konkurrenten. An der
Spitze derselben stehen zwei alexandrinische Mönche, Panodoros und Annianos (am
400), aus deren Bttchem sich gleichfalls vieles durch byzantinische Schriftsteller, nament-
lich Synkellos erhalten hat; s. Wachsmütb Einl. 177 ff.; KauiiBAceBB, Byz. Litt* 340 f.
— Ein griechisches Original lag auch den lateinischen Chronica von 334 und den so-
genannten Excerpta Barbari zu Grunde; vgl. § 680.
Eine grosse Rolle in der chronologischen Litteratur der Christen spielen die Oster-
tafeln, die bis auf Hippolytos zurQckgehen und sich um die Berechnung des Osterfestes
drehen. Ihnen waren öfter auch Abrisse der Weltgeschichte angehängt Eine solche
Ostertafel ist das Chronicon paschale mit einem Geschichtsabriss von Adam bis auf den
Kaiser Heraklios (627), in welchen die Konsularfasten des Jahres 354 eingelegt sind. Haupt-
werk : C. Fbick, Chronica minora, in Bibl. Teubn. 1893.
704. Die Kirchengeschichte haben nach Eusebios bis auf Justinian
fortgesetzt vier Historiker: Sokrates Scholastikos, d. i. Sachwalter, der
in 7 B. die Kirchengeschichte bis zum Jahre 439 herabfuhrte ; i) Sozo-
menos, welcher in seinem am Schluss verstümmelten Werk in 9 B. den
gleichen Zeitraum mit starker Benutzung des Sokrates und des auch von So-
krates benutzten Quellenwerkes des Sabines SvvayfOYV ^*^*' cvvodwv behan-
delte;*) Theodoretos, welcher eine Kirchengeschichte bis zum Jahre 428 in
5 B. verfasste») und darin die Werke seiner Vorgänger ergänzen wollte/)
in der That aber dieselben nur ausschrieb und mit einigen leeren Zier-
raten bereicherte; Theodoros der Vorleser (o avayvwatrjg)^ der in
seiner dreiteiligen Geschichte {historia tripartüa) die Zeit von Konstantin
bis 518 behandelte. Die Exzerpte des letztgenannten Werkes bilden drei
Teile, von denen aber nur der erste Teil, welcher von Thedosius II bis
auf Justinus I geht, unzweifelhaft echt ist. Etwas älter als die genannten
Kirchenhistoriker war Philostorgios, welcher spätestens 365 geboren
war«^) und in 12 B. vom Standpunkte eines Arianers die Geschichte von
300—425 schrieb. Die Heterodoxie des Verfassers hat in jenen streitr
süchtigen und engherzigen Zeiten den Untergang des Werkes herbei-
>) Jbbp, Quellenuntersncbungen zu den
griechiscben Eircbenhisfcorikem, Jahrb. f. Pbil.
Suppl. XIV 57—178, speziell S. 137. Siehe
Sokrates selbst II 1.
^) Zum Beweise dient Sozom. I 22 nach
Socr. 1 10; s. Jekp a. 0. 138 ff. Vgl. Batiffol,
Sozom^ne et Sabines, Byz. Ztschr. VII 265—85.
•) Jebp a. 0. 154 ff. Güldenfennikg, Die
Kirchengeschichte des Theodoret von KjttIios,
Halle 1889. Ueber des Theodoreioe Schiift
'EXXtjvixtxiy na^fidxiay ^eganet^un} (ed.GAJS-
FOBD, Oxon. 1839) s. oben § 692. — Die 6e^
samtwerke bei Migne t. 80—84.
^) Theod. bist. eccl. prooem.: rtj^ ixxh^
aiaanx^g (atogias tot Xemofura ^vyy^mfm,
») Jbbp a. 0. 57 ff.
B. ChriBtliohe SohrifUiieller. 4. Eirchenh storiker.
i 704-705.) 921
geführt, doch haben wir von ihm Exzerpte und einen Auszug bei Photios
cod. 40. Die Eirchengeschichte der Zeit nach Eusebios ist auch behandelt
von Euagrios in seiner taxoqia ixxXrfiiaaxMT^ in sechs Büchern; doch
gehört derselbe seiner Lebenszeit nach schon dem 6. Jahrhundert und so-
mit nicht mehr unserem Zeiträume an; über ihn siehe Erumbacher Byz.
Lit.» 245 flf.
Eist, eccles. Eiisebii Socratis Sozomeni Theodoreti ed. Valesius, Par. 1673, bei
Migne t. 67. — Tillehont, Memoires ponr servir ä rhistoire eccl^siastique des six premiers
si^cles, Ven. 1732. — Fragmente des Theodoros bei Craüer, An. Par. 11 87 — 114, und
E. MiLLKR, Rev. arch^ol. 26 (1873) 273 ff. 396 ff. — Jeep, Quellenuntersuchungen zu den
griecb. Kirchenhistorikern, Jahrb. f. Phil. Suppl. 14 (1885) 53—178, wo S. 158 auf eine
ungedruckte Tollstftndige Handschrift des Theodoros Anagnostes in der Marciana no. 344
hingewiesen ist. — Ueber einen vollstftndigeren Cod. des Sokrates auf dem Athosberge
Lambros Byz. Ztschr. IV 481—6.
Chronicon paschale Alexandrinum ed. Radbb, Monachii 1615; ed. Du-Gange, Par.
1688; ed. Diroorf mit Zugrundelegung der Haupthandschriffc der Yaticana, Bonn 1832.
705. Martyrien und Legenden. Die Entwicklung der christlichen
Kirche war eng mit den Verfolgungen der Christen durch die römischen
Kaiser und Statthalter verbunden. Die sechs grossen Christenverfolgungen
unter Nero (64), Trajan (112—15), Septimius Severus (202), Maximin (235—8),
Decius (249 — 51), Diocletian (303),^) die strengen kaiserlichen Edikte, die
Quälereien einzelner Präfekten und Statthalter vermochten nicht die Kreuzes-
lehre zu unterdrücken, trugen umgekehrt viel zum standhafteren Zusammen-
halten der Christen und zur grösseren Verbreitung des neuen Glaubens
bei. Aber viele Glieder der Christengemeinden, namentlich viele der Vor-
steher,*) hatten bei jenen Verfolgungen als Bekenner ((xaQTvqsg) ihres
Glaubens unter schrecklichen Martern das Leben lassen müssen. Das
Andenken dieser Märtyrer wurde von den Gemeinden bei dem Sinn für
Pietät, der die Christen auszeichnete, hoch in Ehren gehalten und all-
jährlich an dem Gedächtnistag ihres Todes erneuert. Daraus entstanden
die fiaQTVQia oder die Aufzeichnungen des Lebens und des Todes der Be-
kenner, welche an den Erinnerungstagen zur Erbauung und Aneiferung
der jüngeren Generation vorgelesen wurden. Da dieselben trotz ihrer
wunderreichen Ausschmückungen eine Hauptquelle für die Geschichte der
Kirche und ihrer einzelnen Gemeinden bildeten, so hat sie für seine Kir-
chengeschichte Eusebios gesammelt und in einem umfangreichen Werke
Svvayuiyr] %wv dgxaicov fjia(ftvQi(ov in 21 B. herausgegeben. Dieses grosse
Werk des Kirchenvaters ist verloren gegangen, 3) aber auf dasselbe gehen
zwei erhaltene Sammlungen des 5. Jahrhunderts zurück, das Syrische
Martyrologium von 411 und das sogenannte Martyrologium Hierony-
mianum (um 440). Ausserdem erhielten sich neben den Sammelwerken
auch viele der alten Einzelakten, die in unserer Zeit besonders üsener
wieder aus dem Staube der Bibliotheken hervorgezogen und in muster-
haften Ausgaben veröffentlicht hat. Dieselben haben ein besonderes Inter-
') Ueber diese Ghristenverfolgungen und
die rechtliche Stellung der Christen im römi-
schen Staat s. ScHAKZ Rom. Litt, m 205
bis 225.
') Speziell die a^x^^^"^ ^^^ Christen, die
Bischöfe, Presbyter und Diakone, liess Ma-
ximin verfolgen nach Eusebios h. e. 6, 28.
') Erhalten ist das SvyygafXfjta nsQt xtav
xad-^ avToy fjiaQivQYi<sdyxtoyy bei Migne XX
1457-1520.
922 Orieohisohe Litteratargesohiohte. IIL Anhang.
esse dadurch, dass sie von den späteren Interpolationen frei geblieben
sind und noch manche Spuren alter Vermischung heidnischer und christ-
Ucher Wundererzählungen an sich tragen. — In den letzten Jahrhunderten
des Altertums, als mit der Anerkennung des Christentums als Staatsreligion
die gewaltsame Bedrückung der Bekenner Christi aufgehört hatte, ge-
sellten sich zu den Martyrologien die Heiligengeschichten {ßm zoiv d/im),
die im byzantinischen Mittelalter von Symeon Metaphrastes (10. Jahrhun-
dert) zu einer grossen Legendensammlung verarbeitet und in den litur-
gischen Menäen, den nach Monaten geordneten Gebetbüchern, auf die ein-
zelnen Tage des Jahres verteilt wurden.
Habnack, Altchr. Lit. I 807 ff., Aber MArtyrerakten ans den 3 ersten Jahrhunderten
sowie dem 1. Viertel des 4. Jahrhunderts. — Syrisches Martyrologium ed. Wright, im Journal
of Sacred literature, London 1865/6. — Mar^rrium Hieronymi&num ed. Rossi-Düchxshe in
Acta Sanctorum 1894. Dazu Duchesne, Les sources du Martyrologe Hi^ronjmien, Borne
1885. — Hagiographie des byzant. Mittelalters, von Ebbbard in Krumbacher Byz. JAL*
176 ff.; derselbe Über filtere, dem Simon Metaphrastes vorausgehende Menfien in 5 Hand-
schriften, in der Abhandlung Forschungen zur Hagiographie der griechischen Kirche, Roma
1897. — Rdinart, Acta primorum martyrum sincera, Paris 1689; ed. H 1713, Neudruck
Augsburg 1802, Regensburg 1857; Supplement von £. lb Blant, Paris 1883. — Acta
Sanctorum der Bollandisten (nach dem Jesuiten Holland, der 1643 das Werk unter-
nahm) bis jetzt in 62 Folianten bis zum November geführt.
Neue Ausgabe der Acta Timothei, der Legende der Pelagia, der Acta 8. Ma-
rinae et S. Ghristophori von Usbnbr, Bonn 1877--86; der Acta des Karpas Pa-
pylus und der Agathonike aus der Zeit M. Aureis von Habnack in Texte u. ünteis.
III 2 (1888) 433—66; Akten zum Leben des h. Spyridion von Theodoros, von Usbnbb
in Jhrb. f. prot. Theol. XIII (1887) 219—59; die Acta des Justinus Martyr aus einem
Codex von Grotta Ferrata herausgegeben von Pafebroch 1695, und mit Ausnahme des
Anfangs und Schlusses als zuverlässig erwiesen von Harnack, Texte und Unters. I 193 ff.;
Acta Nerei et Achillei von Albr. Wirth 1890; Acta Perpetuae et Felicitatis ed. Harris
1890; Acta Anthissae, Athanasii episcopi, Charisioni et Neophyti von üsrner in AnaL
Holland. 1893; Acta Anastasii Persae von Usener 1894; Callinici vita Hypatü von den
Mitgliedern des Bonner Seminars 1895; Marci diaconi vita Porphyrii episcopi Gazensis von
M. Haupt 1874, von der philologischen Societät Bonn 1895.
706. Listen. Von hoher Bedeutung für die Eirchengeschichte war
die Aufzeichnung der Eirchenvorstände auf den hauptsächlichsten Bischofs-
stühlen. Wie die Profangeschichte der Griechen mit den Eöniga- und
Priesterlisten (ävayQa^af) beginnt, und wie in den Philosophenschulen die
Nachfolge der Schulhäupter sorgfältig aufgezeichnet zu werden pflegte
{diaioxcci)^ SO haben auch die Christen in den Hauptgemeinden Aufzeich-
nungen der Gründer der Gemeinde und der ihnen nachfolgenden Bischöfe
veranstaltet. Solche Listen hatte Eusebios bei der Abfassung seines Cfaroni-
kons und seiner Eirchengeschichte vor sich liegen; natürlich wurden die-
selben auch nach Eusebios fortgesetzt; später wurden dann auch einzelne
von ihnen herausgegeben. Dass es dabei nicht ohne Interpolationen und
namentlich nicht ohne vermutungsweise eingesetzte Zeitbestimmungen ab-
ging, lag in der Natur der Sache und in der Mangelhaftigkeit der alten
Aufzeichnungen. Erhalten sind uns die Listen der Bischöfe von Rom vom
Apostel Petrus an, von Antiochia von Euodios an, von Alexandiia vom
Apostel Marcus an, von Jerusalem vom Apostel Jacobus an.
Auf Dorotheos, Bischof von Tyros im 4. Jahrhundert, geht zurück
das cvyyQafifia ixxlrjetaatixov ncQi zdov o fiad-r/rciv rov xvQtov. Dasselbe
hat zur Hauptquelle das 5. Buch des verloren gegangenen Werkes ^Ynorth
noiceig des Clemens Alexandrinus und ist nach einer Schlussbemerkung
B. ChriBtliche Sohriftateller. 5. Christliche Dichtungen. (§§ 706—708.) 923
der Handschrift von dem Presbyter Prokopios (525) aus den historischen
Werken (tatoQixd avy^qd^iiiata) des Dorotheos exzerpiert. — Von Hippo-
lytos, nicht dem römischen, sondern dem ägyptischen aus Theben, der
dem 4. Jahrhundert angehört und von dem auch Beste einer Chronik er-
halten sind, existiert in äthiopischer Übersetzung ein Verzeichnis der
Patriarchen von Alexandria bis zum Jahr 384.
Kritische Bearbeitung der ältesten Bischofslisten yon Harnack, Altchr. Lit II 1,
70 ff. ; Das Patriarchenverzeichnis von Alezandrien von Gutsohmid Kl. Sehr. II 395 ff. —
Das Syngramma des Theodoros ist gedruckt im Appendix zum Chroniken paschale von
Du-Gange, ed. Bohnbt U p. 120 ff. ; eine Sonderansgabe wird erwartet von Gblzbb. — lieber
Hippolytos gibt nach Mitteilungen Dillmann's Kunde Gütschuid bei Lipsius, Die apokryphen
Apostelgeschichten 11 2, 416 Aiim.
707. Armenische Geschichte. Durch armenische, zum Teil wieder
ins Griechische rückübersetzte Übersetzungen sind uns die historischen
Werke zweier christlicher Annalisten des 4. Jahrhunderts, des Agathangelos
und Faustus Byzantinus, erhalten. Agathangelos, angeblich aus Rom,
der bei dem armenischen König Tiridates II die Stelle eines Sekretärs
versah, ist Verfasser einer Geschichte jenes Königs, der ein Abriss der
älteren Geschichte Armeniens und der Gründung des Reiches der Arsaciden
vorausgeht. Den hauptsächlichsten Inhalt des Geschichtswerkes bildet die
Verfolgung der Christen durch den vom Kaiser Diokletian aufgestachelten
König Tiridates und die in romanhafter Weise erzählte Bekehrung des
Königs, die durch dessen leidenschaftliche Liebe zur keuschen Märtyrin
Rhipsime eingeleitet und durch Gregorios, den grossen Apostel der Ar-
menier, ins Werk gesetzt ward. Der überlieferte bilingue, armenische
und griechische (der letztere verkürzt) Text enthält eine spätere Redak-
tion des Originalwerkes, in dem vieles weggelassen und das Ganze in die
Form einer Heiligenlegende umgearbeitet ist. — Nur in armenischer Über-
setzung haben sich die Annalen des sonst nicht näher bekannten Faustus
von Byzanz erhalten. Dieselben knüpfen an die Geschichte des Königs
Tiridates an und erzählen unter starker Betonung der Heiligenlegenden
die Geschichte Armeniens in den nächsten 50 Jahren von Chosroes II an
bis zur Teilung Armeniens durch den Perserkönig Sapor und den byzan-
tinischen Kaiser Arcadius. Der bekannte Historiker der justinianischen
Zeit Prokop hat dieselben in seinem Perserkrieg 1, 5 benutzt.
Ausgabe und Uebersetzung der beiden Annalen von Langlois in Müllbb, FH6. V 2.
P. DB Lagarde, Agathangelus und die Akten Gregors von Armenien, GOttingen 1887. —
GuTSCHUiD, Agathangelos, in Ztscbr d. deutsch. Morgenl. Ges. XXX (1877) 1—60 = El.
Sehr. III 339—420. Gblzbb, Die Anfänge der armenischen Kirche, Bericht der sächs. Ges.
d. W. 1895 S. 111-21.
5. Christliche Dichtunsren.
708. Die christliche Litteratur begann im Zeitalter der Prosa und
war so, trotz des hohen poetischen Gehaltes, der in der Lehre und in der
Geschichte des Christentums lag, auf die ungebundene Form der Rede
hingewiesen. Die apostolischen Konstitutionen 1, 6 verweisen die Christen,
welche nach poetischen Werken Verlangen tragen, einfach auf die Psalmen
des alten Testamentes, i) Das Absingen von Psalmen wird auch wie vom
^) Vgl. Const. apost. n 57: npd &vo Xeyo^ 1 ^aXX^tcj vfivovg xoc o Xaog xd dxQWStlxM
IJLivmv dyayyüxffddrmy irsQog rig toi» Jaßid \ vnotffaXXhto»
924
Oriechisoha LitteratiirgeBohiolito. m. Anhaag.
Apostel Paulas so nachher von Clemens Alexandrinus den Christen vor
dem Essen und dem Schlafengehen anempfohlen.^) Eigene Gedichte in
griechischer Sprache begegnen uns bei den katholischen Christen erst im
3. Jahrhundert. Hippolytos dichtete, wie wir oben § 680 sahen, fiSag
Hg TTiiaag rag yQa(fag, das waren aber nichts weiter als einleitende me-
trische Inhaltsangaben zu den Schriften des Testamentes. Aus derselben
Zeit stammen die Lieder {ipalfitpÜM) des ägyptischen Bischofs Nepos
(ca. 230 — 250), an denen sich, wie Dionysios, der Gewährsmann des Eu-
sebios Hist. eccl. 7, 24 erzählt, noch nach dessen Tod die Brüder erfreuten
und erbauten.*) Was das für Psalmen waren, wird uns nicht gesagt;
man wird aber, nach dem Ausdruck tpakfitpitai zu schüessen, an gesungene
Lieder zu denken haben, wie sie nach Clemens Alex, ström. YII 7 von den
Christen während des Mahles und vor dem Aufstehen und Schlafengehen
gesungen wurden. Auch im Abendland tauchten gegen Ende des 3. Jahr-
hunderts christliche Gedichte in lateinischer Sprache auf, von denen die
Unterweisungen (Instructiones in 2 B.) und das Apologeticum des Commo-
dian die ältesten sind. Zur Blüte aber, oder doch zur kräftigeren Ent-
wicklung kam bei den Orthodoxen die Poesie erst im 4. Jahrhundert.
Nur bei den häretischen Gnostikern hatte sich, wie wir nachher sehen
werden, schon früher eine selbständige christliche Poesie entfaltet.
709. Gregor von Nazianz und Synesios sind die hervorragend-
sten Vertreter der christlichen Poesie in griechischer Sprache. Aber die
Gedichte beider Männer, von denen wir bereits oben gesprochen haben,
wandeln in der metrischen Form und im Gedankenausdruck noch wesent«-
lich die alten Pfade der hellenischen Dichter; sie sind Kunstprodukte, die
sich zum kirchlichen Gesang nicht eigneten und nicht den Weg zum Herzen
des Volkes und der christlichen Gemeinde nahmen. Das Gleiche gilt von
dem Hymnus des Clemens von Alexandrien, der am Schlüsse von
dessen Ilmdaycoyog steht ^) und ebenso wie die grösseren Hymnen des
Synesios in anapästischen Monometem und Dimetern abgefasst ist. —
Noch weniger Eingang in das Volk fanden die versifizierten Paraphrasen
oder Metaphrasen, wie sie gegen Ende des Altertums von Nonnos, Apol-
linarios (gest. 390), Eudokia u. a. gedichtet wurden. Des Nonnos Über-
setzung des Evangeliums des h. Johannes haben wir bereits oben § 585
kennen gelernt. ApoUinarios schrieb eine Metaphrase der biblischen Psalmen
in Hexametern; auch mehrere Epigramme der Anthologie tragen dessen
Namen. Eudokia, die berühmte Gemahlin des Kaisers Theodosios H
schrieb in Hexametern Paraphrasen des Oktateuchs und der Prophezeiungen
^) Paulos ad Goloss. 3, 16: tlmXfjioig
viAvoiq xai (pdaTs nvBVfjitttvxalg iv x^qitc
ffdoyteg. Giern. Alex, paedag. 11 4 p. 194: 17
eig ^Boy di* evj^aQKTTi'ag xal \^aXfA(^dlag ys-
viüB^ta (fiXotpQoavytj, ström. VII 7 p. 309: ^aX-
fjLol dh xal vfAvoi na^d re trjp ifftiaocy ngo te
XTJg xo'iTvjg. Darauf auch zu deuten die An-
gabe des jüngeren Plinius epist. 10, 96 von
den Gbristen: ante lucem convenire Carmen-
que Christo dicere,
») Euseb. Hist. eccl. 7, 24, 4: iy aXkoig
fjikv noVioig dnodäxofjiai xai ayanm Ntnmwa. .
xai rijg noXX^g iJ/aXf^iftdiagy m f*^X9^ ^^
noXXol xiäy adeXgmy ev&vfxovytai. üeber
Nepos s. Habnaok, Altchr. Lit I 427. — Aach
in dem Katalog der Schriften des Jnstiniffi
wird ein VfäXtfjg angeführt (Hainack 102);
ob er aber eigene Lieder enthalten hat, ist
sehr nngewiss.
') Zu beachten ist, daas derselbe in den
codd. Par. P u. Oxon. N fehlt
B. Chriiiliohe Schriftsteller. 5. Chrietliche Dichtungen. (§§ 709--711.) 925
des Zacharias und Daniel neben dem Martyrium des h. Cyprian (s. § 586).
Auch von Am mi an OS ist handschriftlich eine versificierte Psalmen-
metaphrase auf uns gekommen.
Apollinarii metaphraslB psalmomm ed. Ludwich, Ind. lect. Regiom. 1880; dazu Lud-
wich Herrn. 13 (1878) 335 ff., und Königsb. Studien I (1887) 80 ff. DrXsekb, Zur Psalmen-
metaphrase des ApollinarioB, Ztschr. f. wiss. Theol. 31 (1888) 177 ff.
£udociae Augustae canninum reliquiae ed. Ludwich, in Bibl. Teubn. 1897; dazu
Lüdwich, Eudokia als Dichterin Rh. Mus. 37 (1882) 206 ff.; vgl. oben § 586.
Ammianos Psalmenmetaphrase in Cod. Laur. 5, 37; davon eine Probe von Bandini,
Catalogus bibliothecae Mediceae Laurentianae I 64 ff.
710. Einen volkstümlicheren Charakter trägt das Parthenion oder
der Jungfrauengesang des heil. Methodius (gest. um 312), der so an-
gelegt ist, dass in den Gesang der Vorsängerin Thekla nach jeder der
24 Strophen der Chor mit einem Refrain einfällt (vTtaxovti), Denn das
war die Form des heiligen Gesangs der Therapeuten, wie ihn Philon in
dem Buche ncQi ßiov &€(üQrjTtxov beschreibt und wie er sich zur Zeit des
Athanasios und Ghrysostomos über die christlichen Gemeinden ausgebreitet
hatte. ^) Nur hielt sich auch Methodios noch an die Regeln der alten
quantitierendeu Poesie, welcher er auch das trochäische Metrum entnahm.
Denn in dem Volksmund war damals bereits die Quantität entschieden
hinter dem Accent zurückgetreten, so dass es nur der mächtige Einfiuss
der altgriechischen Kunstpoesie war, der den Methodios zur Beibehaltung
des Quantitätsprinzips veranlasste.
Volkstümlich waren auch des Areios lebensvolle, angebUch nach
dem Muster des Sotades (ob in Sotadeen?) gedichtete Müller-, Schiffer-,
Reiselieder, die einen Teil seines berühmten, Prosa und Poesie mischenden
Buches Thalia {i^äXeia = satura) bildeten, dem die Orthodoxen eine ähn-
liche Sammlung Antithalia entgegensetzten.^)
Der Jungfrauengesang der Methodios in Gbrist-Paranikas, Anthol. graeca carm.
Christ, p. 33—7. Dazu W. Meyer, Abh. d. bay. Ak. XVÜ (1885) 309 ff.
711. Eine vollständige Umgestaltung der metrischen Form ging von
Ägypten und Syrien aus, wo sich am frühesten im Anschluss an die
hebräische Psalmendichtung und das Hohelied eine selbständige, für den
Kirchengesang bestimmte religiöse Poesie entwickelte. Durch Hippolytos,
Elench. V 2, 10 ist uns ein griechischer Psalm der Naassener in freien
melodischen Rhythmen erhalten, der in hochpoetischer Sprache die Mysterien
der Gnosis von dem unsteten Wandel {nXdvr^) der Seele besingt. 5) Das ist
nur einer von den vielen und mannigfaltigen Hymnen, welche nach Hippo-
lytos Elench. V 6 die Naassener auf Adam hatten. Auch von den Gno-
stikem Basilides, Valentin und Markion gab es Anrufungen und Psalmen.'^)
Zur Blüte aber kam in S)rrien das heilige Lied durch die Meloden Bar-
*) Ein alter Hymnus in Acta loannis ed.
Zahn p. 220 enthält eine Dozologie und einen
Bittgesang, gesungen vom Vorsänger, dem
der Chor in den einzelnen Absä&en mit
«^171^ antwortet; der Schluss '17 X"9^^ x^Q^^'^^9
avXijaat, &i'Aio, o^/iy<ra<rÄe nnyzBg. uurjy,
»^9r^aai S^iXia, xoipaa^e ndyxeg. ufArjy. er-
innert lebhaft an die alten Hyporchemen und
Threnen.
*) Harnack, Altchr. Ut. I 532.
*j Christ-Paranikas, Anthologia graeca,
carminum christianorum p. 32; gute Verbesse-
rungen dazu von Usbnbr, Altgriech. Vers 94.
Das anapästisch-logaödische Versmass gleicht
dem eines in Athen gefundenen Päan CIA
m 1, 171 ^
*) Harnack, Altchr. Lit. I 161. 177.
92ß
Orieohisohe Litteratorgesohichte. IIL Anhaiig.
desanes (geb. 154) und Ephraem (gest. 373). Von dem letzteren sind
die religiösen Gesänge in syrischer Sprache uns noch erhalten.^) Von
Bardesanes stammt vermutlich der phantasiereiche Hjrmnus von den Schick-
salen der Seele, welche von der himmlischen Heimat herabgesandt ward,
um die von der Schlange behütete Perle zu holen. Derselbe ist in sechs-
zeiligen Rhythmen gedichtet und uns nur dadurch erhalten, dass er nebst
der Ode auf die Weisheit (cxoyia) und zwei Weihgebeten in die Akten
des Apostels Thomas aufgenommen wurde.')
712. Durch die hebräische und syrische Poesie angeregt und durch
den Wandel der Aussprache infolge der Übermacht des expiratorischen
Accentes unterstützt, entwickelte sich gegen Ende des Altertums auch
bei den katholischen Gemeinden eine neue Gattung rhythmischer Poesie.
Es vollzog sich der Umschlag von der alten, lediglich durch die Quantität
bestimmten Weise zur neuen rhythmischen, durch den Accent regulierten
Poesie auf gleiche Weise im lateinischen Abendland wie im griechischen
Morgenland. Vorangegangen sind wohl die griechischen Meloden, aber
aus dem lateinischen Altertum sind uns von dieser neuen Liedergattung
etwas mehr Reste erhalten. Aus dem Griechischen gehören hieher der
Abendgesang (vfivog iiXTieQn'og) des Gregor von Nazianz und einige andere
für die Andacht am Morgen und Abend, beim Frühstück und der Licht-
anzündung bestimmte Lieder unbekannter Verfasser. Der gegen Ende des
Altertums ausgestreute Samen ging zur vollen Saat erst im byzantinischen
Mittelalter auf, wo sich im Anschluss an die entwickeltere Liturgie und
unter dem Einfluss der Formen der syrischen Poesie ») eine reiche Lit-
teratur rhythmischer Kirchengesänge entfaltete.
Die Texte der altchriBtlichen Gedichte sind yeröffentlicht und dnrch ProlegomeDS
erläutert von Christ-Paranikab, Anthologia graeca carminom christianomm, ups. 1871.
Dazu W. Mbybr, Anfang und Ursprung der lai u. griech. rhyÜunischen Dichtung, Abhdl.
d. b. Ak. XVII (1885) S. 309 ff.; Derselbe, Pitra Mone und die byzantinische Strophik,
Stzb. d. b. Ak. 1896. S. 49 f. ; Boüvt, Etudea sur les origines du rhythme tonique. Nimes
1886. Weiteres bei Erümbachbb Byz. Litt' 660 ff.
^) Macke, Syrische Lieder gnostischen
Ursprungs, Tüb. theol. Quartalschr. 1874 S. 1
bis 70. — Hüb. Grikme, Der Strophenban
in den Gedichten Ephraems des Syrers, Coli.
Friburg. II 893.
') R.A.LiP8rcs, Die apokryphen Apostel-
geschichten I 292 ff., wo auch eine metrische
Uebersetzung gegeben ist. Vgl. ELarhacc,
Altchr. Lit. II 1, 546.
') Die Litteratur ttber diese strittige Frage
bei Erümbachbb Byz. lit* 657. — Nordsv,
Die antike Eunstprosa S. 827 ff., nimmt wenig-
stens für den Reim Ursprung aus Griechen-
land, aus dem o/AoioTäXevroy der Rhetoren in.
Register.
Die elnfkohen Zahlen bedeuten die Selten, der naohgeiietzte Stern die Hauptatelle.
AbariB, Hyperboreer 108.
AbydenoB, Historiker 920.
Achaer 13.
Achaios, Tragiker 277.
Achilles Statins, Astronom
532.
Achilles Tatios , Roman-
schreiber 618.
Acta aposiol. s. Apostel.
Adamantios, Sophist 734.
Adonisfeier 528.
Adraatos, Aristoteliker 489.
Adrianos, Sophist 729, 813*.
Aeneas etc. s. Aineias etc.
Aegyptische Einflüsse 159,
439, 835 f., 856 Anm. 2,
865; ägyptische Sitte 311;
Urkunden 501; Aigvptiaka
des Manetho 559; des He-
kataios 559.
Aeolisches Versmaass 178.
Aesop s. Aisopos.
Aetios, Philosoph 710.
AetioB, Arzt 860.
Aetna bei Hesiod 90 Anm. 3.
Afrikanus, Arzt 862.
Afrikanns, s. Julius Afric.
Agathangelos, Historiker 923.
Agaiharchides, Geograph 571.
Agatharchos, Ettnstler 224
Anm. 4, 876.
Agathemeros, Geograph 800.
Agathias, £pigranmiatUcer515,
794 f.
Agathodaimon, Geograph 689.
Agathokles, Grammatiker 595.
Agathokles, Historiker 554
Anm. 3.
Agathon, Tragiker 277 f.,
300, 441.
Agias, s. Hagias.
Aglaosihenes, Historiker 554.
Agone, lösche 120 f., 155;
dramatiBche 199; musische
544; Agon der Komödie
284; nationale Wettkftmpfe
176 Anm. 5; Preise 202;
Agonothet309; litterarische
Agone in Rom 615 f.; auch
fttr Reden 712 Anm. 3.
Agrippas Reichskarte 682.
Aiantides, Tragiker 539 Anm.2.
Aidesios, Sophist 802 Anm. 3.
Aiginetika 554.
Ailianos, Sophist 730 ff.;
anim. bist. 731 f.; var. bist.
732; Bauembriefe 732 f.
Ailianos, Taktiker 875.
Ailios Dionysios s. Dionysios.
Ailios Harpokration s. Harpo-
kration.
Aineias von Gaza, Sophist
823, 914*.
Aineias, der Taktiker 358.
Ainesidemos, Skeptiker 585.
Aischines , Redner , Leben
405 f.; Porträt 405 Anm. 3;
Reden 407; Briefe, unechte
407; Scholien 407.
Aischines, Sokratiker 420*,
433.
Aischrion, lambograph 137.
Aischylos, Tragiker, Leben
209 ff.; Reisen nach Sikilien
210 ff.; Bild 212 Anm.2 u.
6; Neuerungen in der dra-
matischen Kunst 223 f.;
Charakteristik 224 f.; Dich-
tungen 212 ff.; Schutzfle-
hende 213 ff.; Perser 214 f.;
Sieben 216 f.; Prometheus
217 ff.; Orestie289ff; ver-
lorene Dramen 222 f.; Ver-
hftltnis zu Pindar 219, 225;
zu Sophokles 228; Hand-
schriften 226; Scholien 226.
Aischylos, alex. Dichter 535
Anm. 2, 539 Anm. 2.
Aisopos, Fabeldichter 139 f.
Aithiopis, Epos 80.
Akademie 426, 455, 574 f.
Akakios, Komiker 741 Anm. 2.
Akesandros, Historiker 555.
Akusilaos, Logograph 102,
323*.
Albinos, Platoniker 456.
Alexamenos, Dialogschreiber
428 Anm. 2.
Alezander von Aigai, Aristo-
teliker 489.
Alezander Aetolus, Dichter
508 f., 538.
Alezander Aphrodisiensis, Ari-
stoteliker 489, 702*.
Alexander von Kotyaion ,
Grammatiker 336, 720.
Alezander der Lttgenprophet
745.
Alexander Lychnos , Lehr-
dichter 538, 691.
Alexander Myndios 610, 863.
Alexander Numenii, Rhetor
752.
Alexander Peloplaton, Sophist
729.
Alexander Polyhistor 609 f.
Alexander, Arzt 856, 860.
Alexanderroman 819 f.
Alexandria 494, 716, 781, 872.
Alexandrinisches Zeitalter
491 ff.
Alexes(v.l. Alexias), Kinäden-
dichter 546.
Alexion, Grammatiker 763.
Alexis, Komiker 311 f.
Alkaios, Lyriker 147 f.
Alkaios, Epigrammatiker 514.
Alkaios, Koiniker 303 Anm. 3.
Alkibiades, Epiker 784 Anm. 2.
Alkidamas, Rhetor 385*; über
Hesiod 88, 101.
Alkimenes, Komiker 288.
Alkiphron, Sophist 822 f.
Alkmaion, Arzt 852.
Alkmaionis, Epos 104.
928
Register.
Alkman, Lyriker 155 f.
Allegorische Deutung 66 ; theo-
sopfaische Allegorie 95
Amn. 1, 898.
Alpheios, Epigrammatiker 622.
Alypios, Musiker 771, 832
Anm. 1.
aXtantj^ aus dem Indischen
138 Anm. 6.
Amarantes, Scholiast 763; zu
Theokrit 527.
Ameinias, Dramatiker 539.
Ameipsias, Komiker 290, 295
Anm. 3, 298 Anm. 1.
Amelasagoras, Logograph 324.
Amerias Glossen 761.
Amerika 662 Anm. 1.
Ammianos, christl. Dichter
925.
Ammianos, Epigrammatiker
622.
Ammonios, Epiker 784.
AmmonioB Hermeiu, Neu-
platoniker 489, 915.
Ammonios, Akademiker 648.
Ammonios, Grammatiker 605,
758 Anm. 2.
Ammonios, Lexikograph 840.
Ammonios Sakkas, Philosoph
825.
Amphikrates, Grammatiker
612 Anm. 3.
Amphis, Komiker 312.
Amyklftischer Thron 49.
Amynthianos, Historiker 679.
Anagraphai 7, 319.
Anakreon, Lyriker 151 f.;
Statue 151 Anm. 8.
Anakreontea 152 f., 624.
Analogie und Anomalie 593.
Ananios, lambograph 137.
Anatolius, Bischof 894 Anm. 4.
Anaxagoras, Philosoph 414.
Anaxandrides, Komiker 311.
Anaxandrides, Perieget 601.
Anaxarchos, Demokriteer 415
Anm. 3.
Anaxilas, Komiker 312.
Anaximander, Philosoph 323.
364, 411 f.
Anaximenes, Philosoph 411 f.
Anaximenes, Historiker 362,
363*; Rhetorik 483 f.
AnaxippoB, Komiker 317.
Andokides, Redner 370 f.
Andriskos, Historiker 554.
Andromachos, Arzt 630, 856.
Andromachos, Rhetor 802
Anm. 2.
Andren, Historiker 557 Anm. 5;
Androns Tripus 129 Anm. 4.
Andronikos, Epigrammatiker
796.
Andronikos, Grammatiker 280
Anm. 6.
Andronikos, Peripatetiker460,
477 Anm. 1, 488.
Androsthenes, Geograph 364.
Androsthenes, Historiker 364.
Androtion, Historiker 553.
Annubion, Astrolog 631.
Antagoras, alex. Dichter 514,
529 Anm. 1 u. 7.
Antandros, Historiker 550.
Antheas, Dichter 281.
Anthemios, Architekt 874.
Anthologie 512, 849; Palatina
515; Planudea 515; klei-
nere syllogae 516.
Antigenes, Dithyrambiker 188.
Antigenes Karystios, Gram-
matiker und Epigramma-
tiker 598*, 621; Kflnstler
877.
AntigonoB, Historiker 561
Anm. 5.
Antikleides, Historiker 555.
Antimachos aus Tees, Epiker
84.
Antimachos ' aus Kolophon,
Epiker 107 f.
Antiochia 499, 781, 805.
Antiochos , Epigrammatiker
622.
Antiochos, Grammatiker 310
Anm. 4.
Antiochos, Historiker 357,
685.
Antiochos, Philosoph 575.
Antiochos, Sophist 729.
Antipater , Epigrammatiker
514, 621.
Antipater, Stoiker 579, 593.
Antiphanes, Anekdotenschrei-
ber 552.
Antiphanes, Epigrammatiker
621.
Antiphanes, Komiker 310 f.*,
393 Anm. 2.
Antiphiles, Epigrammatiker
621.
Antiphon, Redner 368 f.;
Lehrer des Thukydides 337.
Antiphon, Sophist 368 Anm. 2.
Antiphon, Tragiker 280.
Antisthenes, Historiker 555,
709.
Antisthenes, Philosoph 349,
380, 384, 421*, 717.
Antoninus Liberalis, Mytho-
graph 778.
Antonius Diogenes, Roman-
schriftsteller 816.
Antonios Monachos 841, 850.
Antonios Polemon s. Polemon.
Antyllos, Scholiast des Thu-
kydides 337 Anm. 4, 344
Anm. 9.
Anyte, Dichterin 512.
ApWeus, Tragiker 280.
Aphihonioe, Rhetor 753.
Apion,Grfunmatiker 647, 761 f.;
homerische Glossen 66
Anm. 3.
Apokalypse 881.
Apokryplie Schriften des d. T.
885 f.
ApollinarioB, christl. Dichter
796.
ApoUinarios, Epigrammattker
622.
ApoUinarios, Kirchenvater 8,
909*, 910.
Apollinaris, Apologet 893.
ApoUodor von Artemita, Hi-
storiker 570, 684.
Apollodor von Athen, Gram-
matiker 607 f., 684; Chro-
nika 568, 608*; ApoUodofs
BibUoÜiek 777 f.
Apollodor, Epikureer 709.
Apollodor von Erythrft, Histo-
riker 555.
Apollodor, Komiker 317.
Apollodor, Rhetor 750.
Apollodor, Taktiker 875.
Apollonides, Scholiast 546.
ApoUonios Archibii 763; Ho-
merlexikon 60.
Apollonioe, Arzt 855, 856
Anm. 1.
Apollonios Dyskolos« Gram-
matiker 766.
Apollonios eidographoe 173
Anm. 6, 175 Anm. 1.
Apollonios, Historiker 555.
Apollonios , Paradozograpfa
733.
Apollonios, Mathematiker 868.
Apollonios Rhodioe, Epiker
529, 532 ff.; Argonantika
532 f.; Kommentare dazu
534 f.
Apollonios, Scholiast des He-
rodot 336; des Aischines
404 Anm. 3. 407.
Apollonios, Stoiker 593.
Apollonios von Tyana 699, 725.
Apollonios von Tyms, Roman
820.
Apologeten 890 ff.
Apostelgeschichten 882, 885f.;
Lehre der Apostel 886;
Anordnungen der Apostel
886.
Apostolische Väter 887.
Appian, Historiker 673 f.
Apsines, Rhetor 755*, 802
Anm. 3.
Apsyrtos, Arzt 861.
Apuleius de deo Socntia661
Anm. 5; metamorph. 746.
Araber, Erklärer des Plato
456; des Aristoteles 490;
des Ptolemäns 688.
Register.
929
Araros, Komiker 312.
Arat von Soli, Dichter 499,
520 f., 529 ff.; Büd 529
Amn. 5, 531; Werke 530;
Kommentare zn den Phai-
nomena 531.
Arat von Sikyon, Historiker
552.
Archagathos, Arzt 856.
ArcheboloB, Dichter 516.
Archedikos, Komiker 317.
ArchelaoB, Dichter 515, 733
Anm. 3.
Archelaos, König von Make-
donien 338.
Archemachos, Historiker 555.
Archestratos, Parodiendichter
547, 737.
•Archias, Dichter 529, 622.
Archibios za Kallimachos
508.
Archilochos, Dichter 134 ff.,
138; nach Kallmos 125;
Büste 135 Anm. 6.
Archimedes , Mathematiker
867 f.
Archimelos, Dichter 514.
Archippos , Komiker 290,
292 Anm. 4, 298 Anm. 4,
312.
Archytas, Pythagoreer 413,
865.
Areios (Anns), Christ 909;
Lieder 925.
Areios Didymos, Philosoph
456, 710* 696.
Areios, Homeriker 497 Anm. 5.
Aretaios, Arzt 858.
Argas, Dithyrambiker 189.
Ai^ntarins, Epigrammatiker
622.
Argolika 554, 601.
Argonaatensage 24; Argonan-
tika 790.
Arimaspeia, Epos 106.
Arion 157*, 206.
Ariost 39.
Aiiphron, Dith3rrambiker 189,
624 Anm. 1.
Aristagoras, Geograph 364.
Aristagoras, Komiker 290.
Arifitainetos, Erotiker 823.
Ariatarch, A^stronom 571, 662,
869*.
Aristarch, Dramatiker 276.
Aristarch, Grammatiker 603 f.,
Porträt 604 Anm.; zu Ho-
mer 64; gegen Ghorizonten
32; zn Hesiod 89 Anm. 3;
zu Pindar 184.
Aristarcheer 605.
Aristeas, Epiker 106.
Aristeas, Tragiker 208.
Aristeas Aber die Juden 497,
648.
Aristides, Apologet 890 f.
Aristides Milesius 815.
Aristides Quintilianus, Musiker
770 f.
Aristides, Rhetor 718 ff.; Por- ^
trat 719; Techne 719; Re-
den 720 ff.; gegen Plato
720.
Aristippos, Philosoph 422;
Statue 422.
Aristobulus, Historiker 363,
670.
Aristobulos, Peripatetiker497,
643, 916 Anm. 3.
Aristodemos, einer der sieben
Weisen 129.
Aristodemos , Grammatiker
605.
Aristodemos, Historiker 797.
Aristokles, Dichter 733 Anm. 1.
Aristokles, Grammatiker 611.
Aristokles, Sophist 729.
Aristokrates, Historiker 555.
Aristomenes, Komiker 290,
294 Anm. 2, 303 Anm. 3.
Ariston, Apologet 891.
Ariston, Historiker 570 Anm. 2.
Ariston, Philosoph 578.
Ariston, Tragiker 276.
Aristonikos, Grammatiker 605,
763; zn Homer 65; zn He-
siod 102 Anm. 4.
Aristonoos, Dichter 511.
Aristonymos, Komiker 290.
Aristophanes von Byzanz,
Grammatiker 602 f.; zn Ho-
mer 64; zn Pindar 173,
184; zu Sophokles 251; zu
Aristophanes 307 ; zu Plato
429 Anm. 3.
Aristophanes, Historiker 554.
Aristophanes, Komiker, Leben
290 f.; Werke 292 ff.; Cha-
rakteristik 304 ff.; Achamer
293; Ekklesiazusen 301,
444 Anm. 3; Frieden 297;
Frösche 302 ; Lysistrate
299; Plntos 303; Ritter
294 ; Thesmophoriazusen
299; Vögel 298; Wespen
296; Wolken 295; Frag-
mente 304; Kokalos und
Aiolosikon 292 Anm. 1 ;
Handschriften und Schollen
307 ; Verhältnis zu Sokrates
296; zu Euripides 300; zu
Aischylos und Euripides
302 f., 805 f.; üri»il des
Galen und Plntarch 293
Anm. 1 665.
Aristoteles, Historiker 554.
Aristoteles, Philosoph, Leben
457 ff.; Statue 451; Lehrer
Alexanders 458; Kataloge
der Schriften 459 f.; exote-
Baadbvcb der klau. Altertnnuwiasenaohaft. YII. 3. Aufl.
rische Schriften 461; Dia-
loge 461 f.; Sammlungen
462 f.; Pythionikai 463;
Didaskalien 462, 484; sy-
stematische Schriften 463 ff.;
Chronologie derselben 464 ;
logische Schriften 464 ff.;
naturwissenschaftliche 466 ;
de anim. 471 f.; Parva na-
turalia 472 f.; Metaphysik
473 ff.; Ethik 475 ff.; Poli-
tik 477 ff.; Politeiai 480;
*j49-tjynl(üy noXitBia 480 f.;
Poetik 481 f.; Rhetorik
482 f.; Briefe 484; Gedichte
484; Peplos 484; un-
echte Schriften: de mundo
468 f.; Physiognomik 469;
Oekonomik 481; de admi-
raculis470; Probleme 470;
Rhetorik an Alexander 483;
untergeschobene Schriften
im Mittelalter 488; theo-
logia 829; de causis 883;
Gesamtcharakter 468, 485ff.;
Verhältnis zu Tsokrates 458,
483; zu Plato 449 Anm. 1,
457, 483; Stü 463, 464,
485 ; Schule des Aristoteles
487 ff., 552; Kommentare
489; Handschriften 490.
Aristoxenos, lambograph 282
Anm. 1.
Aristoxenos der Musiker 589 f.,
654 Anm. 1, 665.
Arkadios, Grammatiker 838.
Arkesilaos, Philosoph 574.
Arktinos, Epiker 80, 81, 82.
Armenische Geschichte 923.
Arrian, Epiker 626.
Arrian, Historiker 669 ff.; phi-
losophische Schriffcen 670;
Anabasis 670 f.; Periplus
672, 800; Taktik 672.
Arsenios, Erzbischof 850.
Artemidor, Geograph 572, 694,
800.
Artemidor, Grammatiker 603 ;
Sammler derBukolika 519;
zu Theokrit 527.
Artemidor, Traumdeuter 734.
Artemon, Grammatiker 606.
Asinius Pollio von Tralles
554, 570, 864; vgl. Pollio.
Asinius Quadratus 745 Anm. 3.
Asios, Epiker 105.
Asklepios, Dialog 836.
Asklepiades, Arzt 706 Anm. 2,
856*.
Asklepiades, Epigrammatiker
513, 514.
Asklepiades Myrleanus, Gram-
matiker 606 f.
Asklepiades' Schollen zu Thu-
59
930
kydides 344 Anm. 9; m
ApolloniM 535.
ABklepiades TragüenaiB 206
Anm. 3, 363*.
ABklepios' Heilungen 855;*
AflUepioe an Ammon 836.
Afiklepios zn Ariatoteles 489.
ABklepiodotoB, Taktiker 569,
875 ♦.
Asopodoroe, Sophist 816.
Aspaaios, Scholiaatdea Aischi-
nea 407; des Ariatoteles
489.
Aaterios, Christ 908.
AstrampaychoB, Traomdenter
734.
Astrologie 680 f., 688, 794,
836.
Astronomen 687, 865 ff.
Astvdamas, Rhetor n. Tragiker
279.
Asynarteten 135 Anm. 8.
Athanas, Historiker 360.
Athanasios, Kirchenvater 908.
Athen und Attika 127; att.
Drama 194 f.; att. Lyriker
184 ff.; att. Redner 367 ff.;
att. Philosophie 416 ff.; Phi-
losophenschulen in Athen
574 ; Mittelpunkt der griech.
Renaissance 711; nach Kon-
stantin 781.
Athenagoras, Apologet 892.
Athenaios, Sophistenmahl
734 ff.
Athenaios, Taktiker 875.
Athenodoros aus Tarsos 569
Anm. 6, 593*.
Athenodoros, Stoiker 593, 696.
Attalos, Scholiast zu Arat
531.
Atthis, Epos 105.
Atthidenschreiher 553 f.
Attikisten 771 ff.
Attischer Dialekt 14; des
Dramas 191; seine Vor-
züge 195 Anm. 2, 318
Anm. 2; attische Lyriker
184 ff.
Attikos, Platoniker 456.
Attikusausgaben 404.
Aurelius s. Marc Aurel.
Ausgabe von ixtfttfoyai HO.
Autolykos, Mathematiker 866.
Automatentheater 542.
Automedon, Epigrammatiker
621.
Avien, Ora maritima 361, 561,
791 Anm. 4.
Babrios, Fabeldichter 627 ff.
Babyloniaka 556.
Bakcheios, Musiker 771.
Bakchylides, Dichter 164 ff.
Barbarismus 12 Anm. 1.
Bardesanes, christl. Diditer
925
Bamabas, Christ 885.
BartholomaeusMessanios, Ari-
stoteliker 490.
Basileioe, Kirchenvater 901 f.
Basileios, Dichter 152.
Baten, Historiker 555.
Baten, Komiker 817.
Batrachomyomaehie, Epos 75 f.
Beredsamkeit s. Redner.
Berosos, Historiker 558.
Berytos 782.
Bianor, Epigrammatiker 621.
Bias, einer der sieben Weisen
129.
Bibelabersetzung 496 f.
Bibliothek des Peisistratos
63; in Alexandria 495; in
Pergamon 498 ; in Rom
615; in Konstantinopel 780.
Biographien 6, 552.
Biologos 625 Anm. 3.
Bion, Bukoliker 527 f.
Bion Borysthenites 547, 584,
703.
Bion der Prokonnesier 323
Anm. 2.
Biton, Taktiker 875.
Blaisos, Phlyakendichter 544.
Boethos, Epigrammatiker 622.
Boethos zu Plato 456; zu
Aristoteles 489; zu Arat 531.
Boios, alex. Dichter 588.
Boiotika 554.
Boiotos, alex. Dichter 548.
Boiskos, alex. Dichter 516.
Bolos, Arzt 863.
Bolos aus Mendes, Demokriteer
415.
Briefe 699, 822 f.; des neuen
Test.884 f.; untergeschobene
383, 451.
Brontinos, Orphiker 109, 792.
Bryson, Sophist 418.
BAcher 16, 321; Buchhandel
16, 385; in Sikilien 385
Anm. 3; Widmungen 493.
Bühne, Teil des Theaters 198;
in hellenistischer Zeit 309.
Bukolische Poesie 517 ff.; An-
fänge bei Stesichoros 159 f.,
518; Bukoloi des Kratinos
287.
Buntschriftstellerei 730 ff.
Byzanz 691 f.; s. Konstanti-
nopel.
Caecilius, Rhetor 642 f.
Caesarea 782.
Calvisius Taurus, Platoniker
456.
Candidus, Historiker 798'.
Cassianus Bassus, Geoponiker
864.
Cassius Dio, Historiker 675 £
CatnU 505, 506, 528, 608.
Celsus, Philosoph 745, 898.
Chairemon, Stoiker 648.
Chairemon, Tragiker 279, 280.
Chairephon, Aiihftnger des
Sokrates 437.
Chairis, Grammatiker 605.
Chalcidins, Platoniker 456.
Chamaileon, Peripatetik^ 587
f.; über Pindar 168; Ober
Komödie 280 Anm. 6.
Charax, Grammatiker 839.
Charax, Historiker 679.
Chares zu ApoUonioe 534.
Chares, Historiker 363.
Charilaos, Diihyrambikerl89.
Charisios, Redner 410.
Chariten, Romansdireiber819.'
Charon, Logograph 324.
Chersias, Epiker 105.
Chilon, einer der sieben Weisen
129.
Chionides, Komiker 286.
Chironis praecepta 101.
Choirilos von lasos, Epiker
107, 528.
Chohilos von Samos, Epiker
107, 368 Anm. 1.
Choirilos, Tragiker 209.
Choiroboskos , Grammatiker
752 Anm. 6, 769.
Choliamben 137.
Chor, Bedeutung des Ntmens
120; Mftdchenohare 156;
Skiische 144; Zahl der
<veuten 201, 234; Auf-
stellung 202; Chor gesang
119f., 140; Arten desselben
203; Stellung bei Sophokles
236; chorische Lyriker 154ff4
Choregie 201 Anm. 2; Ver-
stummen des Chors 808 f.,
539.
Chorikios, Sophist 813.
Chorizonten 82.
Chrestomathien 846 ff.
Chrien (/^r«*) 541.
Christus 646; Christentum
verdrtngt Heidentom 782 f.;
christliche Schriftsteller
879 ff.; christliche Philo-
sophie 906 ff.; chxistlidie
Poesie 923 ff.; Christenv«^
folgungen 921.
Christodoros, Dichter 515,
784, 795.
Christophoros, byz. Rhetor 754.
Chronika 319 f., 568, 678 f.;
Chronicum Partum 557;
Chronicum paschale 921.
Chronologie , Epochen 596
Anm. 1.
Chrysanthios , Sophist 802
Anm. 3.
Begister.
931
Chryaippos, Stoiker 578, 580*,
593,787; Bild580 Aiim.5;
Tafel.
GhrysippoB, Scholiast Pinda»
184, 593.
Chrysothemis, Sänger 20 Anm.
8; 118 Anm. 2.
Chrysofltomos siehe Joannes
Chrys.
Cicero Academica 575; de
officiis 569; de divinaüone
569, 575; de nat. deonun
583; de rep. u. de leg. 449.
Circe n. Girceinm prom. 89
Amn. 6.
Gimbii = KifAfxi^ioihl Anm. 2.
Claudian, Epiker 789 ff.
Claudius Didymus, Gramma-
tiker 763.
Clemens Romanus 887 f.
Clemens Alexandrinns 895 f.
Cornelius Nepos 608.
Comutus, Rhetor 755.
Oomutas, Stoiker 702.
Crescentins, Philosoph 890.
Dftmonenglauben 660, 700 f.,
828 Anm. 3.
DaidaloB, EflnsÜer 556.
Daimachos, Historiker 560.
Daktylo-Epitriten 178.
Dama8kios,Neuplatoniker 456,
833*.
Damastes, Logograph 6, 326*.
Damianos, Optiker 867.
Damocharis, Epigrammatiker
796.
Damokrates, Arzt 856.
Damophile, Dichterin 151
Anm. 1.
Damozenos, Komiker 317.
Danais, Epos 85.
Daphidas, Grammatiker 717
Anm. 3.
Dares nnd Diktys 768; siehe
Diktys.
David der Armenier zu Ari-
stoteles 489.
DeJicationen 493.
Deikelisten 281.
Deinarchos, Redner 409 f.
Deiniaa, Historiker 554.
Deinoloehos, Komiker 283.
Deinon, Historiker 363.
Deiochos, Logograph 324.
Deipnographen 547 f.
Delphi, Wettkftmpfe 121;
8oterien 539 Anm. 3.
Demades, Redner 410; Dema-
deia 410.
Demetrios von Byzanz, Histo-
riker 549.
Demetrios Ixion. Grammatiker
606.
Demetrios flher die Juden
592, 643.
Demetrios Magnes, Gramma-
tiker 610 f.
Demetrios von Phaleron 494,
591 f.; Sammlung derFaheln
140; nBQi i^/irjyelag 591 f.
Demetrios von Skepsis 555.
Demochares, Redner u. Histo-
riker 409, 410*, 469.
Demodokos, Elegiker 130.
Demodokos, Epigrammatiker
514.
Demodokos, Sfinger 23 Anm. 3.
Demokies, Logograph 324.
Demokrates, Philosoph 698.
Demokritos, Künstler 876.
Demokrit, Philosoph 415*;
flher die Sprache 441 Anm.
1; üher Homer 63 Anm. 7;
Sentenzen 415.
Demon, Historiker 553.
Demon zu Homer 67 Anm. 4.
Demonax, Philosoph 743.
Demophilos, Historiker 360.
Demophilos, Komiker 316
Anm. 8.
Demophilos, Philosoph 698.
Demosthenes, alex. Dichter
529 Anm. 2.
Demosthenes, Lehen 386 ff.;
Schaler des Isaios 387,
397; Tod 396; Portr&t 398,
400, 402 Anm. 5; Werke
401 f.; öffentliche Reden
3881; Leptinea 388, 720;
Aristocratea 389; Midiana
389; Demegorien 389 f.;
olynthische Reden 390;
philippische 390, 393; Pa-
rapresli>eia 392, 398; Aber
Halonnesos 393; gegen den
Brief des Philipp 393;
erotikos 401 ; Kranzrede
394 f., 398; epitaphios 394;
Privatreden 387, 401 f.;
Yormundschaftareden 387,
402; Reden gegen Aristo-
geiton 401; gegen Neaira
401; Prooimia 401; Briefe
401; Lehrthfttigkeit 388;
Studien zu Demosthenes
402 f.; eingelegte Urkunden
403; Attikusausgabe 393,
399. 404; Schollen 404;
Hypothesis 403 f.; Hand-
schriften u. Ausgaben 404;
Charakter 396 f., 399 f.;
Vorwurf der Doppelzüngig-
keit 387 f.; Kunst 396 ff.;
Stil 398; Verhältnis zu
Thokydides 397.
Demostratos , Naturforscher
732.
Derkyllides, Platoniker 429
Amn. 3.
Derkylos, Historiker 554.
Dens ex machina 271.
Dezippos, Historiker 679.
Dexippos, Philosoph 489, 679,
835.
Di. . 8. Dei. .
Diadochai der Philosophen-
schalen 708 f.
Diagoras, Dithyrambiker 187.
Dialekte der Griechen 12 ff.;
litterarische Dialekte 15;
Homers 17; keine dialektos
493.
Dialektik 418, 447;. diaX^^etg
418.
Dialog 427 f.
Didaktische Poesie s. Lehr-
gedicht.
Didaskalien 203.
Didymos Areios s. Areios.
Didymos der Blinde, Christ
899 f.
Didymos, Grammatiker 611 ff.;
zu Homer 65, 68; zu He-
siod 102; zu Pindar 184;
zu Aischylos 226; zu So-
phokles 251; ZQ Euripides
275; zu Aristophanes 807;
zu Demosthenes 403.
Didymus Claudias, Gramma-
tiker 768.
Didymos, Masiker 690, 771.
Dieuchidas, Historiker 554.
Digamma bei Homer 52 Anm.
2, 58; bei Hesiod 90 Anm.,
99 ; bei Eomelos 103
Anm. 3.
Dikaiarchos , Peripatetiker
588 f.
Dikaiogenes, Tragiker 280.
Dikiys Cretensis 816, 821*.
Dinarch s. Deinarchos.
Dio Cassius s. Cassias Dio.
Dio Chrysostomos , Rhetor
247, 715 ff.; Reden u. Dia-
loge 716 ff.; Getika 716;
Euboikos 718; Stil 718.
Diodor, Arzt 862.
Diodor, Epigrammatiker und
Grammatiker 603, 621, 772.
Diodor, Epiker 82 Anm. 2.
Diodor, Historiker 631 ff.; Stil
u. Quellen 635 f.
Diodor, Perieget 600.
Diodor 862; zu Arat 531.
Diodotos, Historiker 363.
Diogene8,Romanschreiber 816.
Diogenes von ApoUonia, Philo-
soph 415.
Diogenes, Epikareer 584.
Diogenes Laertius , Philo-
sophenbiograph 707 f.; Epi-
grammatiker 622 f.
59*
932
Begiatar.
Diogenes von Sinope, Philo-
soph 421; Dichter 280.
Diogenes, Stoiker 575, 579.
Diogenianos, Epigrammatiker
622, 623.
Diogenianoe, Epikureer 583.
Diogenianos, Lexikograph 761,
776, 842.
Diokles, Botaniker 577 Anm. 1.
Diokles, Historiker 561.
Diokles der Magnesier 709.
Diokles, Mathematiker 869.
Diomedes zu Dionysios Thrax
609.
Diomos, Bnkoliker 518.
Dion s. Dio.
Dionysiades, Tragiker 538.
Dionysien s. Dionysos.
Dionysins Areopagita 915 f.
Dionysios, Ailios, Attikist 765.
Dionysios Chalkns, Elegiker
133.
Dionysios von Chalkis, Histo-
riker 555.
Dionysios, Christ 899.
Dionysios 630; angeblicher
Verfasser von Hymnen 623
Anm. 2.
Dionysios Halicamassensis,
Rhetor n. Historiker 637 ff.;
römische Archäologie 637 f.;
rhetorische Schriften 639 ff.;
überDemosthenes 386 Anm.
2, 403, 641*; angeblicher
Verfasser der Schrift vom
Erhabenen 757.
Dionysios Halicam., Masiker
765, 771.
Dionysios lambos, Gramma-
tiker 602 Anm. 2.
Dionysios von Kalliphon, Geo-
graph 589.
Dionysios, Kyklograph 77,
557.
Dionysios von Milet, Logo-
graph 324.
Dionysios von Milet, Sophist
470, 729.
Dionysios der Perieget 691.
Dionysios von Phaseiis, Gram-
matiker 612 Anm. 3.
Dionysios zu Enripides 275,
837.
Dionysios Sidonios, Gramma-
tiker 605.
Dionysios Skytobrachion 557*.
776.
Dionysios Thrax, Grammatiker
608 f.
Dionysios, Tyrann u. Dichter
279.
Dionysodoros , Grammatiker
605.
Dionysodoros, Sophist 418.
Dionysodotos, Dichter Spartas
156 Anm. 2.
Dionysos, Grott der Zeugnng
191 f.; Dionysien 199; dio-
nysischer EflnsÜ erverein
232, 511, 544 f.
Diophanes, Geoponiker 864.
Diophantos, Historiker 555;
Sophist 802 Anm. 3, 803.
Diophantos,Maihematiker 873.
Dios, Historiker 648.
Dioskorides, Arzt 861 f.
Dioskorides, Epigrammatiker
514.
Dioskorides, Grammatiker 746
Anm. 2; Ober die Sitten bei
Homer 66 f., 737.
Diotimos, EiMgrammatiker
514.
Diphilos, angeblicher Epiker
105.
Diphilos, Komiker 316.
Diple, kritisches Zeichen 65
Anm. 1.
Dithyrambus 144; jüngerer
Dithyrambus 185 f.
Diyllos, Historiker 327 Anm. 5
549.
Dogmatiker der Christen
908 ff.
Dorion, Mineraloge 863.
Dorotheos, Tragiker 539.
Dorotheos, Astrolog 631.
Dorotheos, Grammatiker 763.
Dorotheos, Kirchenhistoriker
922 f.
Dosiadas, Hofdichter 516
Anm. 2.
Dositheos, Grammatiker 774.
Doxographen 709 f.
Doxopatres, byz. Rhetor 754.
Drakon, Gesetzgeber 320.
Drakon, Historiker 554 Anm. 2.
Drakon, Metriker 770.
Drama 3, 190 ff., 538 ff., 624 f.;
Name 191 ; Arten des Dra-
mas 192 f.; Teile des Dra-
mas 203; Lesedramen 279,
386; lyrische Dramen 166,
173 Anm. 6, 206 Anm. 6.
Duris, Historiker 549.
Echembrotos, Musiker und
Elegiker 119.
Eid der Hellenen 405.
Eirenaios, Apologet 892 f.
Eirenaios (Pacatus), Gramma-
tiker 763, 772, 843.
Eiresione Bittlied 74.
Ekphantides, Komiker 286.
Elegie 123 ff.; Ursprung 124;
Vortragsweise 124; Arten
der Elegie 125; alexandri-
nische 501 ff.
Eleusis bei Aristides 722.
Embateria fjtiXfj 126.
Emmenides , Komiker 288
Anm. 8.
Empedokles, Philosoph 111*,
414.
Enkomien 147.
enkyklisch 77 Anm. 3.
Ennius' Sota 546; Hedypha-
getica 547; Euemems 556.
Epaphroditos 645, 647, 70S
Anm. 3, 763; zu Kallima-
chos 508.
Epeisodien 205, 249.
Ephippos, Komiker 312.
Ephoros, Historiker 360 f.;
über Homer 53 Anm. 6, 63
Anm. 6; benutzt von Dio-
dor 636; von Aristides 721.
Ephraem, christl. Dichter 926.
Epicharmos, Komiker 282 ff.
Epigenes, Kritiker 21.
Epigenes, Tragiker 207.
Epigonoi, kyklisches Epos 84.
^igramme 163, 511 ff., 620 ff.,
794 ff.; vgl. Anthologie.
Epiktet, Phüosoph 670, 703 f.
Epikur 582 f., 736; Epikureer
581 ff., 702.
Epimenides aus Kreta 108 f..
531 ; Argonautika 53S
Anm. 2.
Epinikien 147; des Archi-
lochos 136 Anm. 4.
Epinikos, Komiker 317.
Epiparodos 203.
Epiphanios, Kirchenvater 911.
Epiphanios, Sophist 802 Anm.8.
Epithalamien 143.
Epoden 135, 160.
Epos 10 ff., 528 ff., 626 f.;
Etymologie 3; heroisches
Epos 23 ff.; didaktisches
Epos 91 ; philosophische
Epen 109 ff.; genealogisches
Epos 103 ff.; Kunstepos
106 ff.; 528 ff.
Epischer Kyklos 49, 76 ff.,
778, 784.
Erasistratos, Arzt 855.
Eratosthenes, Grammatiker n.
Geograph 492, 595 ff.; Ge-
dichte 597; Katasterismoi
597.
Eratosthenes zu Theokrit 527,
837.
Eiinna, Dichterin 154.
Erotianos, Aizi 853, 855.
Erykios, Epigrammatiker 622.
Et^ologika 840 ff.; etymo-
logische Versuche des PUto
441; der Stoiker 593.
Euagrios , Kirchenlustoriker
921.
Euagrios Pontikos 900.
Euboios, alex. Dichter 548.
Beguiter.
933
Enboloe, Komiker 312.
Eudaimon, Grammatiker 889.
Endemos, Logograph 824.
Endemos, Lexikograph 848.
Elldemos, Philosoph 475, 488,
865 Anm. 5.
Endokia, Kaiserin u. Dichterin
69, 790*, 824.
Eadokia, Kaiserin, angeblich
Leadkograph 844.
Eadoros zu Arat 581.
Eudoxos, Astronom 580, 865*.
Eudoxos, Historiker tmd Geo-
graph 570.
Endoxos, Komiker 817.
Eaenos, Elegiker 188.
Euenoe, EpigrammatUcer 621.
Eugammon, Epiker 88.
Eugenikos 728 Anm. 6.
Eugenios, Grammatiker 288
Anm. 1, 889.
Engeon, Logograph 824.
Enhemeroe, Mythograph 556.
Ellkleides, Grammatiker 607.
Eokleides, Sokratiker420,424.
Enkles, Dithyrambiker 189.
Euklid, Mathematiker 866 f.
Eumelos, Epiker 82 Anm. 6,
103 f., 328 Anm. 7.
Enmenes, Historiker 868.
Enmolpoe, alter Sänger 19, 82
Anm. 2.
Ennapios, Sophist und Histo-
riker 714, 797, 802.
Eunomios, Christ 909.
Euphanes, Dichter von Epl-
nikien 179 Anm. 2.
Euphantos, Tragiker 589
Anm. 2.
Enphorion von Chalkis, Dich-
ter 499, 585 f.
Euphorien (y. 1. Ennhronios)
yon Chersones, Dicnter 586.
Enphorion, Tragiker 228, 276.
Enphron, Komiker 817.
Euphronios , Tragiker 589
Anm. 2.
Eupolemos, Historiker 648.
EuDolis, Komiker 288 f., 298
Anm. 3, 306; die Schmeich-
ler 297 Anm. 8, 486 Anm. 8;
Baptai 295 Anm. 2.
Enripides, Leben 252 ff.; Bild
255 Anm. 7; ^lilosophische
Stadien 258; Pamilienleben
254 ; dichterische Knnst
271 f.; Siege 256; Kunst-
stodien 258 Anm. 8, 278
Anm. 1; Verhältnis zu den
Eoinikem256f.,818; Werke
255 ff.; zeitliche Folge der
Werke 257, 258 Anm. 8;
Alkestis 264; Andromache
265 ; Archelaos 255 ; Bacchae
265; Elektro 266; Hekabe
265; Helena 266; Herakles
267; Herakleidai 266 ; Hippo-
Mos 259 f., 261 f.; Ion 268;
fphigenia Aul. 268; Iphi-
genia Taur. 261; Kyklops
268; Medea258f.; Orestes
269, 539; Phaethon 270;
Phönissen 249, 268 f.; Rhesos
269; Supplices267; Troades
269; Fragmente 270; Hand-
schriften und Schollen 275;
Melodien 275.
Euripides der Jüngere 276.
Ensebios, Dichter 784.
Ensebios, Kirchenvater 726,
900; Chronika 918 f.
Ensebios aus Myndos 698, 802
Anm. 8.
Eustathios, Historiker 798.
Eustathios, zu Homer 68; zu
Pindar 168; zu Dionysios
691.
Eustratios, Kommentator des
Aristoteles 489.
Euteknios, Grammatiker 587.
Enthydemos, Sophist 418.
Eutokios, Mathematiker 865
Anm. 6, 868.
Eutychianos, Historiker 798.
Euzoios, Bischof 701.
Evangelien 881 ff.
Ezechiel, Dichter 541.
Fabel 187 ff.; milesische Fa-
beln 815.
Fachwissenschaften 851 ff.
Faustus Byzantius , Histo-
riker 923.
Favorinus, Sophist 649 Anm. 5,
668,696Anm. 1,705*, 737;
korinthische Rede 716
Anm. 5; var. bist. 732
Anm. 5.
Feste 711; s. Agone.
Festspiele 120 f.
Figuren bei Isokrates 888;
bei Demosthenes 898, 408.
Figurenlehre 751 f.; figurata
carmina 516; figurata oratio
642, 755.
Flaccius Africus, Botaniker
806 Anm. 7.
Flöten 115; Flötenvirtuoeen
116 Anm. 5; Rivalität mit
Sänger 185 Anm. 1.
Florentinus, G«oponiker 865
Anm. 2.
Fremde Einflüsse in Musik
115 f.
Fronte, Epigrammatiker 622.
Qätulicus, Epigrammatiker
622.
Galen, Arzt 707, 785, 858 ff.
Galenos, Diakonos 102.
Galliamben 506.
Gaudentius, Musiker 771-
Gaza 782.
Gellius zu Arrian 670 Anm. 5.
Geminus, Mathematiker 582.
569, 871*.
Geminus,Epigrammatiker622.
Genethlios, Rhetor 756, 802.
Geographen 364 f., 570 ff.,
595 f., 681 ff., 799 ff.
Geoponiker 864.
Georgios Ghoiroboskos, Gram-
matiker 838 f.
Georgios Diairetes , Rhetor
754.
Gephyrismoi 284.
Germanicus, Epigrammatiker
622.
Gesetee 870 f., 877 f.; von
Gortyn 820 f., 878.
Gitiades , Dichter Spartas
156 Anm. 2.
Glauke, Kitharodin 517.
Glaukos (Glaukon), Gramma-
tiker 6, 68, 214 Anm. 5,
326*.
Globus in Pergamon 498.
Gnostiker 827 Anm. 8, 828
Anm. 5, 906 f.
Goethe 81, 153, 262, 265,
270, 298, 307 Anm. 3, 487
Anm. 2, 546 Anm. 4, 678
Anm. 4, 728 Anm. 4.
Gatter , althellenische und
fremde 11 f., 94 Anm. 2.
Gorgias, Rhetor und Sophist
866 f.*, 416 f, 487; Lehrer
des Isokrates 883 Anm. 6.
Gorgias, Rhetor, über Figuren
751.
Gorgos, Dichter 511.
Gorfyn, s. Gesetze.
Grammatiker 585 ff., 758 ff.,
887 ff.; grammatisches Lehr-
gebäude 609; yQafifdatixij
= litteratura 1; Aufgaben
der Grammatik 586, 594,
607 Anm. 2, 609.
Gregoras, byz. Musiker 690.
Gregorios von Korinth, byz.
Grammatiker 754.
Gregor von Nazianz 515, 883,
903 f.
Gregor von Nyssa 902 f.
Gregor Thaumaturgos 899.
GryUos s. Xenophon.
Hadrian, Epigrammatiker 622.
Hadrian, der Kaiser 618, 711.
Hadrianos, Sophist s. Adnanos.
Hagias (Agias), Epiker 82.
Harmonik 589.
Hanno, Geograph 570.
Harpokration, Grammatiker
335, 773.
934
Bsgistor.
Harpokration, Platoniker 456.
Hedyle, Dichterin 512.
Hedylofl, Epigrammatiker 5 1 4.
Hegemon, alex. Epiker 529
Anm. 8.
Hegemon, Dichter von Paro-
dien 290.
HegemonioB, Christ 909.
Hegesander, Perieget 601.
Hegesianax, alex. Dichter 530
Anm. 3.
Hegesianax, Historiker 555.
Hegesias, Philosoph 422.
Hegesias, Rhetor 750.
Hegesinos, Epiker 80, 105.
Hegesippos, Komiker 817.
Hegesippos, Redner 393, 410.
Hegesippos, Eirchenhistoriker
917.
Hekateios von Milet, Logo-
graph 323, 828 Anm. 7.
Hekataios von Abdera, Hi-
storiker 559.
Helikonios, Historiker 797.
Heliodor, didaktischer Dichter
630.
Heliodors Optik s. Damianos:
Heliodor, Metriker 762; zu
Aristophanes 307.
Heliodor, Perieget 601, 630.
Heliodor, Romanschreiber
817 f.
Helladios, Grammatiker 843,
848.
Hellanikos,Dith7rambikerl89.
Hellanikos, der Chorizont 32,
• 595.
Hellanikos, Logograph 325 f.
Hellenen, erstes Vorkommen
12.
Hellenismos 491 ff.
Heniochos, Komiker 212.
Hephaistion, Astrolog 872.
Hephaistion, Metriker 769 f.
Heptachord 114, 117.
Herakles 106; Herakleiai 105,
106, 107.
Herakleides, Arzt 856.
Herakleides, Historiker 549 f.
Herakleides Kretikos (y. 1.
Kritikos) 589.
Herakleides Lembos, Gram-
matiker 587, 709.
Herakleides Milesios, Gram-
matiker 763.
Herakleides Pontikos, Philo-
soph 208, 586 f., 589 Anm. 1.
Herakleides Pontikos der
Jüngere 624.
Herakleides aus Tarent 737.
Herakleitos, Mythograph 778;
Allegorien zu Homer 66.
Herakleitos, Philosoph 412;
Briefe, unechte 412.
Herakleon, Grammatiker 763.
' HerennioB Dexippos, Histo-
riker 679.
Herennios, Neuplatoniker 885.
Herennioe Philon, Grammati-
ker 764, 801, 840.
Hermagoras, Rhetor 750.
HermarchoB, Epikureer 583.
Hermas, Christ 888 f.
Hermeias, Imbograph 137.
Hermeias, Neuidatoniker 456.
Hermeias, chnstl. Philosoph
893.
Hermes Trismegistos 885 f.
Hermesianax, Elegiker 503.
HerminoB, Aristoteliker 489.
Hermippos, astrologischer Dia-
log 834 f.
Hermippos, Komiker und lam-
bograph 137, 288.
Hermippos Berytios, Gram-
matiker 379, 764 f.
Hermippos, der Kallimacheer
508, 599*; zu Aristoteles
und Theophrast 460 Anm. 3.
Hermippos, Epikureer 709.
Hermodoros, Epigrammatiker
515.
Hemodoros, Platoniker 430
Anm. 3.
Hermogenes, Historiker 680.
Hermogenes, Rhetor 7 19, 753,
754 f.
Hermokles, Dichter 510.
Hermolaos, Geograph 801.
Herodes Attikos , Sophist
729.
Herodas s. Herondas.
Herodian, Grammatiker 737,
766 ff., 770; zu Homer
66.
Herodian, Historiker 677 f.
Herodian, Rhetor 752.
Herodikos, Grammatiker 280
Anm. 6, 606 ♦, 888.
Herodoros, Logograph 326.
Herodot, Historiker, Leben
326 f.; Reisen 828 f.; Ge-
schichtewerk 330 ff.; die
'JeifvQioi loyot 331; Bild
328 ; über vorhomerische
Dichter 21; über Homer
32, 328 Anm. 8; Verhält-
nis zu Sophokles 229, 328
Anm. 2; Dialekt 382 f.;
historische Treue 888 f.;
Schollen 336; angeblicher
Verf. einer Vite Homeri
29 Anm. 8
Herodotos Lykios, Arzt 855.
Heron, Mathematiker 870 f.
Heron, zu Herodot 336; zu
Thukydides 844.
Herondas (Herodas), Mimen-
dichter 542 f.
Herophilos, Arzt 855.
Hesiod 86 ff., 1 88, 41 1 , Quellen
der Biograplde 86; Ab-
stammung 86; Lebenszeit
88 f.; Tod 88; Büd 88;
hesiodischer Charakter 91 f.;
Erga 92 ff.; Theogonie 94 ff.;
Schild 99 f.; Eöen und Ka-
talog 97 f., 503; Certamen
Heaiodi 86, 101 ; hemodisehe
Schule 100 f.; Dialekt 91;
strophische Gliederung 91,
95 Anm. 4; Studien zo
Hesiod 102.
Hestiaia, alex. Gelehrte 556.
Hesychios aus Alexandrieii,
Lexikograph S42 f.
Hesychios Hlustrius aus Milet
843*, 844.
Hiatus, gemieden von Ibo-
krates 888; selten bei De-
mosthenes 398; bei Aristo-
teles 464 Anm. 4; bei Po-
lybios 567; Diodor 635;
bei Plutarch 668.
Hieratische Poesie 18 f., 21 f.
Hierax, Musiker 117.
Hierokles, Grammatiker 849.
Hierokles, Philo6oph698, 834*,
Hieronymos,Kirchenvater919.
HieronymoB von Kardia, Hi-
storiker 548 f.
Hieronymos von Rhodos, Peri-
patetiker 552 f.
Hilaroti^agOdie 544.
Himerios, Sophist 807 ff.
Hipparch, Astronom 531, 571,
869 f.
Hipparch, Komiker 317.
Hipparch der Peisistratide 60,
183.
Hippias, Sophist 826, 416 f.*
Hippiatriker 861.
Hippobotos, Philosoph 709.
Hippodamos, Architekt 477.
Hippodromos, Soplust 729.
Hippokrates, Arzt 864. 415,
688, Anm. 3, 852 ff.; Sdio-
lien 855.
Hippolytus Aegyptius 923.
Hippolytus Romanus 894 f.,
916 Anm. 1.
Hippen, Philosoph 412 Anm. 1.
Hipponax, lambograph 137,
542.
Hippostratoe, Historiker 680.
Hippys, Logograph 326.
Historiker 822 ff., 548 ff.
796 ff.; tatf^iff 826 Anm. 7.
Homer 26 ff. ; Biographie 29
Anm. 3 ; Name 31 ; Leb«s>
zeit 81, 48 ff.*; Heimat
80, 52, 54f.; Bild 29 f.;
blind 80 Anm. 2; Apo-
theose 80 Anm. 1, 62,
Anm. 8, 75 Anm. 6; vw-
Begiater.
935
homerische Poeaie 16 ff.;
Ilias 26 f., 42 ff."; Ein-
teilung 27, 65; Doloneia35;
Schilbkatalog 35, 44, 49 f.,
56; Preebeia 38, 44; Pa-
tnikleia 87, 88 Anm. 1, 42;
Odvssee 27 f., 44 ff.*; Ein-
teilnng 29 ; Ortsknnde 55 f. ;
Nostos Od. 39, 44 f.; Al-
kina apologoa 29 Anm. 1;
Telemachie 40, 45*; Ne-
kvia 45 f., 51; Hymnen
70 ff.; Batiachomyomachie
75 f.; Paignia oder Epi-
gramme 74; Margites 74;
epischer Kyklos 30, 76;
homerische Frage 31 ff.;
homerische Sprache 17,
41 f., 52 ff.*; Liedertheorie
88, 85 f.; Chronologie der
Gesftnge 37 f.; Diaäeaast
89 f.; Kunst des Homer
46 ff.; Nichtgebrauch der
Schrift 56 ff. ; erste Nieder-
schrift 60; Homeriden 80,
59, 60*; Homerschulen 54,
59; Rhapsoden 58 f., 60;
Redaktoren des Peisistra-
tos 82, 60 f.*; Einfluss
Homers auf die Nation
62 ; Homerstudien in Attika
60, 68; in Alezandria 64 f.;
Chorizonten 32 ; Einfluss auf
Rom 69; auf Abendland 69;
auf neuere Zeit 69; Hand-
schriften 64, 67; 69; Scho-
lien 67 f.; Lexika 66, 70;
Studien im Mittelalter 68;
Paraphrasen 68; Centonen
68; über die Philosophie
Homers 67, Anm. 8, 704,
Anm., 705, 756; üeber-
setEungen 69.
Homerus latinus 69.
Homeros, Tragiker 538.
Horapollon 886, 889.
Horatius carm. I 8, 8: 508
Anm, 3; I 12, 27: 527;
I 12, 57: 717 Anm. 1; I
15: 167; III 3. 17: 266;
epod. 14, 12: 152 Anm.
1; cann. saec: 508; sat.
I 6, 12: 86 Anm. 5; 1 7,
24: 512 Anm.; epist. I 19,
28: 149 Anm. 9.
Hymnus, Etymologie 11; ho-
merische Hymnen 70 ff. ; ly-
rische 143, orphische 71,
791 f.; des Eallimachos
506 f. ; alexandrinische
509 ff.; christliche 923 ff.
Hypatia, Philosophin 873.
Hypereides, Redner, Leben
407 f.; Reden 408 f.
Hyporchem 145 f., 204.
Hypotheseis oder Argumenta
7, 625.
Hypsikles, Mathematiker 866,
869*.
Hypsikrates, Historiker 683
Anm. 7.
lambische Poesie 134 ff.;
lambyke 136.
lamblichos, Neuplatoniker
831 f., 872.
lamblichos, Romanschreiber
817.
lambulos, Historiker 560.
Ibykos, Lyriker 160 f.
Idaios, Homeriker 75 Anm. 1.
Idomeneus, Historiker 583
Anm.
Idyll, Etymologie 518.
Ignatius 888.
Dias 26; kleine Ilias 81 f.
Iliupends, Epos 87; des Ste-
sichoros 159.
Indien 358; Indika 560, 672.
Indogermanische Elemente
des Griech. 10 f.
Inschriften Sammlungen 318f.,
557.
loannes Charax, Grammatiker
839.
lohannes Ghrysostomos 804,
904 f.
loannes Damaskenos 850.
lohannes, Evangelist 883 f.
loannes von Gaza, Dichter 796.
loannes Lvdus, Antiquar 799.
loannes Philoponos, Gramma-
tiker 839, 872; zu Aristo-
teles 489; gegen Proklos
833, 915.
loannes Stobaeus 848 f.
Ion, Tragiker 277.
lonier 13 ; ionische Philosophen
411 f.; ionische Verse 545.
lophon, Tragiker 230, 276*.
losephos, Historiker 645 ff.
Irenaeus 892 f.
Isagoras, Sophist 626.
Isaios, Redner 877.
Isaios, Sophist 729.
Isidoros, Geograph 692.
IsigonoB, Paradoxograph 738.
Isi^Lrates, Redner , Leben
377 f.; Porträt 379; Reden
379 ff.; gerichtliche 880 f. ;
Tte^i avttd6(f€a>g 881; so-
phistische 381 f.; parftne-
tische 382 ; epideiktische
382 f.; Briefe 383; Techno
380; Stil 383; Schule 878 f.;
VerhAltnis zu Piaton 877 f.,
438 Anm. 2, 439, 440; zu
Aristoteles 458.
Isokrates von Apollonia 382.
Istros aus Kyrene, Gramma-
tiker 551, 599*.
Istros aus Kallatis, Gramma-
tiker 206 Anm. 3, 599.
IsvUos, Dichter 510.
IthyphaUoi 510.
Juba,Grainmatiker684 Anm.3,
697 Anm. 1, 759 f.
Juden in Alexandria 496; im
rönuschen Reich 643; bei
Diodor 6§4; jüdische Hi-
storiker 643 ff.; üeber-
setzung jüdischer Schriften
496;£nthaltungvomSchwei-
nefleisch 666.
Julia Balbilla, Dichterin 623.
Julianus Apostata 809 ff.; Re-
den 811; Briefe 812; gegen
die Christen 812; Verse
812 f.
JuUanus, Dichter 158 Anm. 2,
796, 802 Anm. 3.
Julius Africanus 876, 917 f.
Julius Pollux 8. Pollux.
JuliusPolyftn, Epigrammatiker
622.
Julius Vestinus, Grammatiker
772.
Juristen 877 f.
Justinus, Martyr, Apologet
890.
Justus von Tiberias, Histo-
riker 648.
Kadmos von Milet, Logograph
321, 323*.
Eallias, Dramatiker 244 Anm.
3, 289.
Eallias, Historiker 550.
Eallimachos 503 ff., 516, 534
Anm. 1; Elegien 505; Hekale
505; Ibis 506; Epigramme
506 ; Hymnen 506 f.; Pinakes
504; Schriften in Prosa 504;
Verhältnis zu ApoUonios
506.
Eallinikos, Rhetor 756, 802*.
Eallinos, Elegiker 125.
Eallinos, Rhetor 802 Anm. 2.
Eallippos, Astronom 467 Anm.
4, 866.
Eallisthenes, Historiker 368*,
459; Ps.Ealli8thenes 819 f.
Eallistos, Epiker 784.
Ealli8tratos,Grainmatiker 603.
E[allistrato8, Eomiker und
Schauspieler 292.
Eallistratos, Sophist 728.
Eallixenos, Perieget 601.
Eanon 7, der Alexandriner
495 f., der Historiker 822
Anm. 1, der Redner 368,
643, der Sophisten 714, der
Grammatiker 841 Anm. 1,
der Mediziner 852 Anm. 2.
936
Begüiter.
Kanon des neuen TestamentB
880, 885.
Karer 13.
Karkinos, Epiker 104.
KarkinoB, Tragiker 277.
Kameades, Philosoph 574 f.
Kameen, Apollofest 117.
Karpos, Mathematiker 871.
Kastor, Ghronika 568.
Kastor, Rhetor 404, 814.
Kastorion, alex. Dichter 509.
xatttXiyHtf and xtttaXoyddrjy
yeyQttftftdva 2.
Kataloge von Agonen 3 1 9, von
Büchern 495, 498.
Kebes, Philosoph 585.
Kephalion, Historiker 555, 678.
Kephisodoros, Historiker 363.
Kerinthos, Gnostiker 884.
Kerkidas, lambograph 137.
Kerkops, Epiker 85, 101.
Kerkops, Orphiker 109, 791.
Kerkopes, Epos 75.
Kinftdenpoesie 545.
Kinaithon, Epiker 82 Anm. 2,
84, 104 f.*
Kineas, Historiker 554.
Kineas, Taktiker 359.
Kinesias, Dithyrambiker 188.
Kirchenväter 889 ff.
Kirchenhistoriker 917 ff.
Kitharistik 114.
Kleainetos, Tragiker 280, 539
Anm. 2.
Kleanthes, Stoiker 578; Hym-
nos 511, 580.
Klearchos, Peripatetiker 590.
Kleisthenes, Tragiker 539
Anm. 2.
Kleitarchos, Geograph 801.
meitarchos, Historiker 363.
Kleitodemos (v. 1. Kleidemos),
Historiker 553.
Kleobulos, einer der 7 Weisen
74 Anm. 3, 129.
Kleobulina, eine der Weisen
130.
Kleomachos, Dichter von lo-
nika 546.
Kleomedes, Mathematiker 569
Anm. 5, 871*.
Kleomenes , Dithyrambiker
189.
Kleonides, Musiker 867.
Kleophon, Tragiker 276 Anm.
1, 279.
Kleostratos, Astronom 530.
Klitomachos, Philosoph 575.
Klonas, Musiker 119.
Kokondrios, Rhetor 752 Anm.6.
Kolluthos, Epiker 788.
Kolotes, Epikureer 582, 657;
gegen Piaton 434 Anm. 2.
Kommoi der Tragödie 205.
KomoB 175 Anm. 3.
Komödie 193 f., 280 ff., 541 f.; I
2^it der Aufführung 200; .
Anftnge der Korn. 280 ff.;
attische 284 ff.; mittlere I
308 ff.; neue 312 ff.; mitt- '
lere von der neuen unter-
schieden 309 Anm. 3.
Konnis, Fabeldichter 138
Anm. 5.
Konon, Mythograph 778.
Konstantin 779 ff.
Konstantinopel 779 f., 782.
Konstantinos Kephalas, Ord-
ner der Anth. Pal. 515.
Konstantinos Porphyrogenne-
tos 564.
Korax, Rhetor 366.
Korinna, Dichterin 153; Ver-
hältnis zu Pindar 170.
Korinth 103, 157.
Kosmas von Jerusalem 904.
Krantor, Philosoph 455, 659.
KrateroB, Epigraphiker 557.
Krates, Akademiker 445.
Krates, Grammatiker 498,
605 f.; zu Homer 65.
Krates, Komiker 287 f.
Krates, Kyniker 138, 547,
584*; Dichter 280.
Krateuas, Arzt 863.
Kratinos, Komiker 287, 293
Anm. 3, 294 Anm. 2, 295
Anm. 3, 306.
Kratippos, Historiker 388, 889
Anm. 3, 351 Anm. 2.
Kratylos, Herakliteer, über die
Sprache 441.
Kreophylos, Epiker 84.
Kretal20, kretischeT&nzer 120.
Krinagoras, Epigrammatiker
509, 621.
Kritias, Politiker und Dichter
133, 279, 356.
Kritik 495 f. ; kritische Zeichen
64 f., 404, 604.
Kritolaos, Philosoph 575.
Ktesias, Historiker 358.
Ktesibios, Mathematiker 879.
Kunstschriftsteller 600f.,876 f.
Kybissos, Fabeldichter 138
Anm. 5.
Kykliker s. Epischer Kyklos.
Kyklographen 557.
Kynaitiios, Homeride 60, 72.
Kyniker 584.
Kypria, Epos 79 f.
Kypseloskasten 101, 103.
Kyranides , Zauberlitteratur
836.
Kyrenaika 555.
Kyrillos, Bischof 812, 910*.
KyriUos, Lexikograph 845.
Kyros, Epiker 789.
Kyzikenische Epigramme 515.
Lachares, BJietor 404, 814.
Laertius Diogenes s. Diogenes
Laert
Lakonika 555.
Lamprias, Brader des Plutarch
662; Katalog des Platarch
651.
Lamprokles, Dithyrambiker
187.
Lasos von Hermione, Dithy-
rambiker 187, 876 Anm.3;
Lehrer Pindars 170.
Legenden, christliche 921.
Lehi^edicht 528 ff., 626 f.
Lehrstühle 711.
Leleger 13.
Lenften, Fest 199; Ableitung
199 Anm. 5; auch für Tra-
gödien 200 Anm. 8.
Leodamas, Redner 410.
Leon der Akademiker 747.
Leon Byzantios, Historiker
555.
Leonidas von Tarent, Epi-
grammatiker 514.
Leonidas Alexandrinus, Epi-
grammatiker 514 Anm. 1 u.
4, 622.
Leontios, Astronom 532.
Leontios , Epigrammatiker
796.
Lesbiaka 555 ; lesbische
Sänger 117, 147.
Lesbonaz, Rhetor 714, 822.
Lesbonaz über Figuren 752.
Lesches, Epiker 82*, 101.
Leschides, Ejnker 528.
Lesedramen 625 f.
Leukios Charinos, Christ 885
Anm. 6, 887*.
LeukippoB, Philosoph 415.
Leukon, Komiker 290, 296
Anm. 3, 297 Anm. 3.
Lexika 771 ff., 840 ff.; i«<.
^ritOQtxoy l^h\ Lex. Segue-
riana 845; Lex, Vindobo-
nense 846.
Libanios, Sophist 803 ff.; zu
Demosthenes 886 Anm. 2,
404; für Sokrates 433 Anm.
2, 805.
Likymnios , Dithyrambiker
189, 279.
Lines, Liedweise 20 f.
Listen von Siegera 819, von
Priestern 319, der Apostel
und Jünger 922.
Utteratur, Ursprung des Na-
mens 1 ; Gattungen der Litt
2 f.; Perioden der griech.
Litt. 4; littenirhistorische
Studien im Altertum 6 f-,
in neuerer Zeit 7 f.
Livius und Dionysins 638 f.,
640.
Begiater.
937
Lobon, Grammatiker 130 Anm.
1, 709 Amn. 1.
Logographen 822 ff. ; Xoyos 2,
41 Anm. 4, 200 Amn. 1,317
Anm. 4, 700 Anm. 5; Logos
und Apolog- Fabel 138
Anm. 7; Logoslehre 700 f.
LoUianns, Sophist 729.
Lollios Bassos, Epigrammati-
ker 622.
Longin, Rhetor 756 f.; Kom-
mentar zn Plato 456; zu
Hephftstio 709.
Longus, Erotiker 821.
Lukas, Evangelist 882.
Lukian, Epigrammatiker 622.
Lukian, Satiriker, Leben 738 ff ;
Verhältnis zu Piaton 439
Anm. 2; Schriften 741 ff.;
Chronologie der Schriften
741; Deklamationen 739,
742; Dialoge 740, 742 ff.;
Briefe 745; Romane 746;
Gedichte 741 ; unechte
Schriften 747; Philopatris
747; Macrobioi 747; Cha-
rakteristik 748 ; Schollen
749.
Lukilios (Lukillos), Epigram-
matiker 622.
Lukillos von Tarra, Gram-
matiker 535, 622, 764*, 775.
Lukios von Paträ, Roman-
Bchreiber 746.
Lucreüns 582.
Lupercus, Grammatiker 843.
Lydus 8. Joannes Lydns.
Lykon, Peripatetiker 575.
Lykophron, alex. Dichter 538,
540 f.
Lykophron, Rhetor 384.
Lykophronide8,Dithyrambiker
189.
Lykos, Historiker 554, 733
Anm. 3.
Lykurgos brachte die Gedichte
Homers nach Sparta 59
Anm. 6.
Lykurgos , Redner 404 f. ;
Statue 405 Anm. 1.
Lynkeus. Komiker 817.
Lyra 114.
Lyriker 3, 112 ff., 140 ff.,
503 ff.; Arten der Lyrik
141 ff.; Melik und Chor-
gesang 141; lyrische Sprünge
182.
Lysanias, Grammatiker 555
Anm. 4, 595.
Lysiades, Dithyrambiker 189.
Lysias, Redner, Leben 371 ff.;
Reden 873 f.; Rede für So-
krates 375, 433; Rede über
die Liebe 373, 438; Epi-
taphios 375; Verhältnis zu
Piaton 374, zu Isokrates
380.
Lysimachos, Verfasser eines
Kyklos 77.
Lysimachos, Historiker 361
Anm. 3, 723 Anm. 3.
Lysippos, Komiker 290.
Lysis, alex. Dichter 546 Anm. 1 .
Machon, Komiker 317, 541*.
Macrobius benutzt Plutarch
666.
Magnes, Komiker 286 f.
Magnus, Historiker 798.
Magodie 543.
Maiandrios, Historiker 554.
Maison, Komiker 281.
Makarios, Christ 910.
Makedonios, Epigrammatiker
796.
Makedonios, Päanendichter
624, 796.
Malchos, Historiker 798.
Manetho, Astrolog 630.
Manetho, Historiker 558 f.
Marc Aurel, Kaiser und Philo-
soph 704.
Marcellinus zu Thuky dides 336
Anm. 2, 754.
Marcellus, Arzt und Dichter
630, 857.
Marcian, Geograph 800.
Margites, Epos 74.
Marianus, Grammatiker 508,
527, 534, 796*.
Marinus, Geograph 689.
Marinus, Neuplatoniker 833,
866.
Markus, Evangelist 882.
Marmor Parium 557.
Marsyas, Historiker 363, 553.
Martyrologien 921.
Mathemata = ailes liberales
707.
Mathematiker 865 ff.
Matris, Rhetor 636.
Matron, parodischer Dichter
547.
Matthäus, Evangelist 883.
Maximus, Astrolog 631.
Maximus Confessor 850.
Maximus, Sophist 802 Anm. 3.
Maximus Tynus, Sophist 705 f.
Mediziner 852 ff.
Megara, komische Spässe 281 ;
Megarika 554.
Megasthenes, Historiker 560.
Melampodie, Epos 101.
Melampus, Grammatiker 609.
Melanippides, Dithyrambiker
188.
Melanopus, Hymnendichter 20
Anm. 6, 86 Anm. 4.
Melanthios, Tragiker 276.
Melanthios, Historiker 553.
Meleagros, Kyniker und Epi-
grammatiker 512, 515*.
Melesermos , Sophist 733
Anm. 1, 822.
Meletos, Ankläger des Sokrates
279
Meliker 147 ff.
Melinno, Dichterin 517.
Melissos, Philosoph 414.
Melito, Apologet 893.
Meliton, mstoriker 554 Anm. 2.
Melodien 511, 623, 624, 640
Anm. 1.
Memnon, Historiker 680.
Memoirenschreiber 552 f.
Menaichmos, Historücer 554.
Menander, Historiker 560, 648.
Menander, Komiker 314 f.;
Monosticha 315.
Menander, Rhetor 755 f.
Menedemos, Philosoph 421.
Menekrates, Dichter, vom
Laudbau 538.
Menekrates, Geograph 571
Anm. 2.
Menekrates, Grammatiker 529.
Menelaos, Mathematiker 871.
Menexenos, Rede 451, 462.
Menippos, Geograph 800.
Menippos, Kyniker 547, 584,
742.
Menodotos, Historiker 552.
Menon, Arzt 856.
Mesomedes, Lyriker 623.
Metagenes, Komiker 290.
Methodios, Bischof 910, 913 f.,
925.
Methodios, Lexikograph 846.
Meton, Astronom 865.
Metriker 768 ff.
Metrodoros, Epigrammatiker
796.
Metrodoros, Historiker 569.
Metrodoros, Homeriker 63.
Metrodoros, Philosoph 582.
Metrologen 862.
Metrophanes, Rhetor 737, 754.
Michael Ephesios zu Aristo-
teles 489.
Milesiaka 554; milesische Fa-
beln 815.
Mimnermos, Elegiker 127.
Mimus 283, 542 f., 625; Pan-
tomimus 288.
Minos, Herkunft 24 Anm. 2.
Minucius Pacatus s. Eirenaios.
Minukianos, Rhetor 755.
Minyas, Epos 84.
Mnasalkas , Epigrammatiker
514.
Mnaseas, Geograph 571; Peri-
eget 601.
Mörbecke, Übersetzer des Ari-
stoteles 490.
Molen, Rhetor 750 Anm. 3.
938
Bagiirtmr.
Moiris, Attikist 772.
Morsimos, TVagiker 276.
Moschion, Tragiker 280.
Moschion, Pythagoreer 698.
Moschopulos zu Pindar 184;
zu Philostratos 728 Anm. 2.
Moschos, Bukoliker 528.
Munatins zu Theokrit 527.
Muratorianom frag;m. 880
Anm. 2.
MusaioB, alter Sftnger 19 f.,
531.
Musaios, alter Epiker 83.
Musaios Ephesios, Dichter 528,
529 Anm. 1, 788 f.
Mnsa, Etymologie 11 Anm. 3,
18 Anm. 3; olympische Ma-
sen 18; helikonische 18;
Zahl der Musen 18 Anm. 2 ;
ihre Priester die Dichter 22.
Museum in Alexandria 497.
Musik verbunden mit Poesie
112; musikalische Instru-
mente 114 f.; musici scrip-
tores 771.
Musonius, Stoiker 703.
Mykenische Kultur 25; Schrift
16 Anm. 2.
Myllos, Komiker 282.
Mymas, Sophist 418.
Myro (Moiro), Dichterin 512.
Myron, Historiker 694.
Myrsilos, Historiker 555.
M3rrti8, Dichterin 153.
Myson, einer der sieben Weisen
129.
Mystas, Sophist 418.
Mythen 23 f.; Mythos = fa-
bula 138 Anm. 7; Mythen
bei Plato 454.
Mythographen und Mythen-
deuter 556 f., 776 S.; der
Stoiker 702.
Naassener 925.
Naupaktia, Epos 104.
Neanthes, Historiker 552.
Nearch, Admiral 364.
Nechepso 836.
Nemesios, christlicher Philo-
soph 914.
Neophron, Tragiker 259, 277.
Neoptolemos, alex. Dichter
537 f.
Nepos, christl. Dichter 924.
Neptunalios, Arzt 864.
Nestor von Laranda 631.
Nestorios, Christ 909.
Neues Testament 880 ff.
Neuplatoniker 825 ff.
Nigrinus, Philosoph 739.
Nikainetos, alex. Dichter 99
Anm. 6, 515, 529 Anm, 4.
Nikander, alex. Dichter 529
Anm. 2, 536 f.*
Nikanor, Grammatiker 765;
ttber Inteipunktion bei Ho-
mer 66; Kallimachos 508;
Theokrit 527.
Nikas , Grammatiker 841
Anm. 4.
Niketes, Sophist 714.
Nikias, Arzt und Dichter 514.
Nikias von Elea, Orphiker 109.
Nikias aus Nikaia 709.
Nikochares , Komiker 303
Anm. 3.
Nikokles, Dithyrambiker 189.
Nikolaos Damaskenos, Histo-
riker und Philosoph 469,
489, 625, 645 f.
Nikolaos aus Myra, Rhetor
753.
Nikomachos, Epigrammatiker
622.
Nikomachos, Mathematiker
872.
Nikomedia 782.
Nikophon 303 Anm. 3.
Nikostratos, Komiker 312.
Nikostratos, Rhetor 627, 728,
729, 753*.
Ninus-Roman 816.
Nomos 113 ff.; Ursprung des
Namens 113; Arten 113 f.;
Teile des Nomos 118, 178 f.;
polykephalos 117; pythikos
119; in Attika 185 f.
Nonnos, Epiker 785 ff.; Dio-
nysiaka 786 ff.; Metaphrase
des Evang. Johannes 788.
Nossis, Dichterin 512.
Nostoi, kyklisches Epos 82 f.
Notenschrift 119 Anm. 4.
Numenios, alex. Dichter 538,
548, 737.
Numenios zu Thukydides 344.
Numenios, Neuplatoniker 825.
Numenios, christl. Philosoph
914.
Nymphis, Histwiker 549.
Nymphodoros, Historiker 733
Anm. 3.
Obelos, Zeichen der Unecht-
heit 65 Anm. 1.
Oichalias halosis, Epos 84.
Oidipodeia, Epos 84.
Oinomaos, Kyniker 506 Anm.8,
626, 704.
Oinopides , Astronom 687
Anm. 3.
Okellos, Pythagoreer 698.
Ölen, Sftnger 20.
Olymp, Musensitz 18.
Olympiadenrechnung 551.
Olympiodoros, Historiker 797.
Olympiodoros, zu Plato 456,
zu Aristoteles 489.
Olympoe, Musiker 16 f.; Ele-
giker 124 Anm. 6.
Onasandros, Taktiker 875.
Onesikrates, Arzt 649.
Onesikritos, Historiker 364.
Onomakritos, Orphiker 109;
Fftlscher 21; Redaktor des
Homer 61.
Oppian, Dichter 629 f.
Opramoas, Dekrete 730.
Orakel, delphische 108; my-
stische 792, 794; chiisir
liehe 916 f.
Orchestra 197.
OreibaaioB, Arzt 860.
OreibasioB, Sophist 802 Anm. 3.
Organen in der Philosopliie
465.
Origenes, Kirchenvater 897 f.
Orion, Grammatiker 840, 849.
Gros, Grammatiker 772, 801,
841*.
Orpheus 19, 21 f.; Eiymolagie
19 Anm. 5; Orphika 790 ff.
Orpheus aus Kroton zu Homer
61.
Ovid 505, 506, 513, 523, 536,
537, 621 Anm. 3.
Pacatus s. Eirenaios.
Pftane 144 f., 510 f., 623 f.;
Pftone 178.
Paignia 74, 516.
Palaiphatos, Mythograph 556 f.
Palamedes, Grammatiker 184.
Palladas, Epigrammatiker 795.
PaUadios, Arzt 853, 855.
Palladios über Indien 820.
Pamphüa, Grammatikerin 327,
358 Anm. 5, 761*.
Pamphilos, Grammatiker 760,
843.
Pamphos, Dichter 20, 21.
Panaitios, Phüoeoph 579. 581*.
Pankrates, Didaktiker 538.
Pantomimus 283, 625, 744,
805.
Panyassis, Epiker 107, 327.
Papias, Christ 883, 888*.
Pappos, Mathematiker 873.
Papyri 501, 836.
Parabase der Komödie 204 f.,
286.
Paradoxographen 733 f.
Parakataloge 135 f., 204.
ParaUela des loannes Dam.
850.
Paraphrasen 806.
Parische Marmorchronik 557.
Parmenides, Philosoph HO*,
413 f., 448.
Parmenion, Epigrammatiker
621.
Parmeniskos , Grammaüker
605.
E^gistor.
939
Parodie 290, 545 f.
Parodos des Dramas 203.
Parßmiographen 775 f.
ParÜienien 146; des Alkman
156.
ParÜienios, Elegiker 509, 815.
Parthenios, Homeride 60
Amn. 1.
Pasikles, Aristoteliker 475.
Paaiteles, EttnsÜer 601, 877.
Patroinos, Hynmendichter 792
Amn. 4.
Patrokles, Geograph 365, 560.
Paulos, Apostel 880 f.
Paulus, Arzt 860.
Paulus, Asürolog 872.
Paulus von Gerene, Rhetor
374 Amn. 3.
Paulus, Rhetor 802 Amn. 2.
Paulus Silentiarius, Epigram-
matiker 795 f.
Pausanias, Historiker 695, 798.
Pausanias, Lexikograph 765.
Pausanias, Perieget 692 ff.;
Quellen derPeriegese 693 f.
Pausanias, Sophist 694 f., 729.
Tte^og Xoyog 2 Anm. 2.
Peisandros, Epiker 106.
Peisandros der Jüngere, Epi-
ker 106 f., 626.
Peisistratos, Redaktor Homers
60 f.; Grttnder einer Bihlio-
üiek 63 Anm. 1.
Pelasger 13; pelasgische In-
schriften 13 Anm. 3.
Pella in Makedonien 499.
Peplos des Aristoteles 484.
Peregrinus, Kyniker 745.
Pergament 498.
Pergamon 498 f.
Periander von Eorinth 129.
Perioden der Litteratur-
geschichte 4 f.
Peripatetiker 575 ff.
Periplus 364, 691 f.; des roten
Meeres 672; des schwarzen
Meeres 672, 800; des Hos-
poms 691; des mittelländi-
schen Meeres 692; des äus-
seren Meeres 800.
Persaios, Stoiker 578, 580.
Petofliris 836.
Peiams, Apostel 885 f.
Phaeinos, Grammatiker 307,
887.
Pfahlbauten 364 Anm. 2.
Phaidimos, Epigrammatiker
514.
Phaidon, Sokratiker 421.
Phaidros, Epikureer 583.
Phaistos, alex. Dichter 529
Anm. 2.
Fhalaikos, Epigrammatiker
514, 516.
Phaleas, Politiker 477.
Phallika 198, 280 f.
Phanias, Peripatetiker und Hi-
storiker 555, 590*.
Phanodemos, Historiker 553.
Phanokles, Elegiker 503.
Phemios, S&nger 23.
Pherekrates, Komiker 288 ; die
Wilden 298 Anm. 4; 436
Anm. 3.
Pherekydes von Leros oder
Athen 824 f.
Pherekvdes von Syros 321,
411.
Pherenikos, Lehrdichter 538.
Phidias 62, 716.
Philagrios, Arzt 860.
Philagrios, Grammatiker 849.
Philammon, Sänger in Delphi
20.
Phileas, Logogi^aph 326, 365
Anm. 3.
Fhilemon, Komiker 316.
Philemon, Lexikograph 771
Anm. 3, 845.
Philetairos, Komiker 800 Anm.,
312.
Philes zu Ailian 731.
Philetas, Elegiker 502 f.
Philinos, Historiker 561.
Philippides, Komiker 317.
Philippos, Epigrammatiker
620, 621 f.
PhilippoB, Platoniker und
Herausgeber der Nomoi 449 ;
Verfasser der Epinomis 451 ;
Aber Plato 422 Anm. 6.
Philiskos, Isokrateer 550, 552.
Philiskos, alex. Dichter 516,
538*.
Philistion, Komiker 315, 625,
849 Anm. 2.
Philistos, Historiker 359 f.
Philochoros, Historiker 553 f.
Philodemos, Epikureer 583.
Philodemos, Epigrammatiker
621.
Philogelos, Sammlung 849.
Philokalia aus Origenes 898.
Philokles, Tragiker 245, 276.
Philolaos, Pythagoreer 412 f.
Philologie 447 Anm. 2, 595,
756.
Philon, Akademiker 575.
Philon, Architekt 877.
Philon Byzantios 734.
Philon, Dichter 529 Anm. 2,
700 Anm. 1, 622.
Philon ludaeus, Philosoph
699 ff.
Philon, Mathematiker 874.
Philonides, Komiker und
Schauspieler 288, 292.
Phüophron , Dithyrambiker
189.
Philoponos s. loannes Philop.
Philosophen 410 ff., 572 ff.,
695 ff., 823 ff.; philos. Ge-
dichte 109 f.; Philosophen-
schulen 574; Philosophen-
vertreibung 499, 574, 697;
Christi. Philosophie 906 ff.
Philostephanos, Grammatiker
508.
Philostorgios, Kirchenhistori-
ker 920.
Philostratoi 625, 723 ff.; der
Dialog Nero 724, 747; Leben
des Apollonios 725 ; Heroik os
726; Sophistenleben 714,
726*; Gymnastikos 727;
Imagines 727 f.; Briefe 727.
PhilostratoB, Historiker 648,
754 Anm. 1, 798.
Philoxenos, Dithyrambiker
188.
Philoxenos, Grammatiker 763.
Philoxenos, Lexikograph 845.
Philumenos, Arzt 860.
Phlegon, Historiker 678*, 733.
Phlyaken 543 f.
Phokais, Epos 84.
Phoibammon, Rhetor 752, 754;
zu Thukydides 344 Anm. 9.
Phönikides 317.
Phönikische Elemente im Grie-
chischen 12; phönikische
Schrift 16.
Phönix, lambiker 137.
Phokvlides, Elegiker 130 ; Pho-
kyüdea 130.
Phorminx bei Homer 112 f.;
Herkunft 114.
Phormis, Komiker 282.
Phoronis, Epos 105.
Photios, Patriarch 845.
Phrynichos, Attikist 772.
Pl^rynichos, Komiker 289, 298
Anm. 1.
Phrynichos, Tragiker 208 f.,
214 Anm. 5.
Phrynis, Musiker 188 f.
Phylarchos, Historiker 551.
Physiognomiker 469 f., 730.
Physiologos 911.
Pigres, Dichter 74 f., 76.
Pindar, Leben 168 ff.; Werke
173 ff.; Epinikien 174 ff.;
Dithyrambus auf Athen 171 ;
Threnoi 174; Vortrag und
Metrum 177; Melodienreste
177;Metra770;Kun8tl80ff.;
Religiosität 181 ; Sprache
und Stil 181 ff.; Verwandt-
schaft mit Aischylos 183,
219; Handschriften 184;
Scholien 184.
Pistis Sophia, der Gnostiker
908.
Pittakos, einer der sieben
Weisen 129.
940
Bsgistor.
Planudes, byz. Grammatiker
515, 754.
Piaton, Komiker 289*, 306
Anm. 1.
Platoii,Phi]o8oph,Leben 422 ff.;
Namen 423; Bild 426 Anm.
4; Stadien 423 f.; militä-
rische Dienstleistnng 424;
Reisen 424 f.; Schulgran-
dang 426; Verhältnis za
Isokrates 378, 439, 440, za
Xenophon 354 f., za Aristo-
teles 449 Anm. 1, 453, 462
Anm. 5, 485, 487; Werke
427 ff.; dialogische Form
427 ff.; Tetralogien 429;
Arten der Dialoge 432 f.;
Zeitfolge derSchriften 430 ff.;
Alkibiades 450 ; Alkyon
450; Apologie 433; Axi-
ochos 450; Charmides 434;
Epinomis 451 ; Erasfcai 451 ;
Eathyphron 434; Eathydem
439; Gorgias 437, 721;
Hermokrat^ 446 ; Hipparch
450; Hippias, kleiner 435;
Hippias, grosser 435, 450;
Ion 435 ; Klitophon 451, 717
Anm. 2; Eratylos 441; Kri-
tias 446 ; Kriton 433 ; Laches
435; Lysis 434; Menezenos
451; Menon 437; Minos
451; Nomoi 449; Panne-
nides 448; Phaidon 440;
Phaidros 438, 665; Philebos
449; Philosophos 429, 444,
447; PoHteia 301, 442 ff.*,
565 Anm. 2; PoHtikos 447 f.;
Protagoras 436; Sophistes
447; Symposion 354, 441 f.*;
Theätet 446 f.; Theages
450; Timaios 445 f.; Briefe
451 f.; Definitionen (oqoi)
430; anechte Schriften 439,
450 f.; Dichtangen 423;
Diaireseis 430; Philosophi-
sches System 452 ff.; M3rtnen
432 Anm. 4, 54 Anm. 1;
Mangel an historischer Kri-
tik 455; Kunst and Stil
454 f. ; Sprache 431 Anm. 5,
455; Konunentatoren 455 f.;
Scholien456; Codices 456;
der junge Sokrates 447.
Platomos, Grammatiker 280
Anm. 6.
Plautus überarbeitet griech.
Komödien 314; Amphitruo
312, 544; Asinaria 316;
Bacchides 315; Captivi 311
Anm. 2, 312 Anm. 4; Ca-
sina 316; Cistellaria 315;
Menaechmi 317 Anm. 3;
Mercator 316; Mostellaria
815 Anm. 4; Poenulus 315
Anm.3; Rnden8316; Stichos
315; Trinummas 316; Vidu-
laria 316.
Pleias der Tragiker 538.
Plethon, byz. Geograph 687.
Plotin, Neuplatoniker 825 ff.
Platarch, Leben 468 ff. ; Schale
650, 662 ; Katalog derWerke
651; Biographien 651 ff.;
Apophthegmen 655; Über
Parteilichkeit Herodots 655 ;
griechische and römische
Fragen 655 f.; Moralia656ff.;
Declamationen 656; einlei-
tende Schriften 656; Plato-
nische Untersachangen 456,
657; gegen Epikureer und
Stoiker 657; Über Ethik
658 f.; Trostreden 659; Trost-
rede an Apollonios 659;
religiöse Sehr. 659 ff.; del-
phische Dialoge 660 ; de sera
numinis vindicta 661; das
Daimonion des Sokrates 661;
Isis and Osiris 650, 661*;
physikalische Sehr. 661 ff.;
das Gesicht im Mond 662;
Fleischenthal tnng 662; hy-
gienische Vorschriften 668;
politische Sehr. 663 f.; poli-
tischeVorschriften 663; über
Liebe 664; eheliche Vor-
schriften 664 ; Erotikos 664 ;
litterarische Sehr. 665; über
Aristophanes und Menander
665; Musik 665; Sprich-
wörter 776; Symposiaka
665 f.; Gastmahl der sieben
Weisen 666 ; unechte Schrif-
ten: parailela minora 656;
de fluviis 656, 667; de pla-
citis philoBophorum 667; vit.
decem oratorum 365, 667;
de vita Homeri 29 Anm. 3,
667; Gedichte 651; Kom-
mentare zu Hesiod 86, 665;
Ober Pindar 168; zu Arat
631, 665; Plutarch benutzt
von Apuleius 66 1 ,yon Macro-
bius 666 ; Charakteristik
667 f.; Synkretismus 660;
Stil und Sprache 668.
Poesie, Wesen der Poesie 2;
Etymologie 1 12 ; Arten der
Poesie 3; hieratische Poesie
18 ff.; Volks- und Helden-
poesie 22 ff.; Poesie der
Alexandriner 501 ff.; Poesie
der römischen Periode 620ff.,
783 ff.
Poimander 836.
Polemon, Historiker 680.
Polemon, Perieget 551, 600 f.
Polemon, Philosoph 455.
Polemon, Sophist 729 f.
PoUianns, Epigrammatiker 77
Anm. 2.
Pollio, Granmiatiker 530, 772,
844; vgl. AsiniuB PoUio.
Pollio, Philosoph 703.
Pollux, Lexikograph 746,773f.
Polos, Rhetor 384, 437.
Polyän, Epigrammatiker 622.
Polyän, Historiker 680 f., 876.
Polybios, Historiker, Leben
562 f.; BUd 563 Anm. 2;
Geschichtswerk 563 ff.; über
den numantiniscben Krieg
563; Taktik 563; geogra-
phisches Werk 563; prag-
matische (reschichte 564;
Geographie 565; Stil 562.
Polybios, Rhetor 752.
Polybos, Arrt 853.
Polyeidos, Sophist und Tra-
giker 189, 280.
Polygnot, Maler 227, 247.
Polykarp, Bischof 888.
Polyklet, Künstler 876.
Polykrates, Sophist 418; Rede
gegen Sokrates 352, 433.
Polykritos, Epik^ 529.
Polynmastos, Musiker 119.
Polyphradmon, Tragiker 209.
Polystratos, Epikureer 583.
nounai Alexandriens 544.
Pompeius Capito 626.
Porphyrios aus Gaza 782
Anm. 6.
Porphyrios, Neuplatoniker 797,
829 ff.; gegen Christen 909 f.;
zu Homer 67; zu Plato 456;
zu Aristoteles 489; zu Pto-
lemaios 690.
Poseidippos, Epigrammatiker
513.
Poseidippos, Komiker 317, 408
Anm. 4.
Poseidonios, Aristarcheer 605.
Poseidonios, Stoiker 532, 568 f.,
579, 690; Portr&t auf Tafel.
Potamon, Platoniker 456.
Pratinas, Dramen und Dithy-
ramben 168, 187, 208*.
Praxagoras, Ifistoriker 798.
Praxilla, Dichterin 153.
Praxiphanes, Peripatetiker S38
Anm. 4, 504, 592*.
Priapeia 517, 536.
Priskian, Neuplatoniker 834.
Priskos, Historiker 798, 802
Anm. 3.
Proagon der Dramatiker 202.
Prodikos, Epiker 84.
Prodikos, Sophist 416 f.
Progymnasmata 752 f.
Prohairesios , Sophist 802
Anm. 3.
Proklos, Neuplatoniker 882 f.:
zu Plato 456; Hymnen 792;
Register.
941
Entgegnungen der Christen
910.
ProkloB' Chrestomathie 78,
846 f.
ProkopioB aus Gaza, Rhetor
812 Anm. 2, 813, 838, 910*.
Prokopios, Presbyter 923.
Prolalia der Rhetoren 740.
Prolog des Dramas 205; bei
Aischylos 2 1 9 ; bei Eoripides
271.
Promathidas, Dichter 516.
Prooimia 70, 722 Anm. 2.
Prosa, Etymologie 2; Unter-
schied von Poesie 2 f. ,.660;
Prosaiker 317 ff., 548 ff.,
631 ff., 796 ff.; prosodischer
Rhythmus 144; prosodische
Zeichen 603.
Prosodien der Lyrik 143 f.
Protagoras, Geograph 800.
Protagoras, der Sophist 416 f. ;
dytiXoyixd 416 Anm. 4, 446
Anm. 1.
Protogenides, Historiker 552
Anm. 5.
Proxenos, Historiker 554.
Psaon, Historiker 549.
Psellos, byz. Gelehrter 456,
589.
Ptolemfter, Könige Aegyptens
494.
Ptolemaios, Askalonita, Arist-
archeer 605, 763.
Ptolemaios, Astronom und Geo-
graph 687 ff., 800; Alma-
gest 687 f. ; Tetrabiblos 688 ;
Kanon 689 ; Geographie 689 ;
Hannonik 690; philosophi-
sche Schriften 690.
Ptolemaios Chennos 626, 762 f.
Ptolemaios Epithetes, Gram-
matiker 65.
Ptolemaios Euergetes Ü, Hi-
storiker 553.
Ptolemaios, Historiker 363,
670.
Ptolemaios, Lexikograph 840.
Ptolemaios Pindarion, Gram-
matiker 605.
Ptolemaios Philopator, Dra-
matiker 539 Anm. 2.
Ptolemaios, Sophist 729.
Pyres, Kmftdendichter 545.
lynche, Tanzart 120.
I^rrrhon, Skeptiker 584.
I^thagoras 412 f.; Leben von
Porphyrios 829 f., von lam-
blictios831 ; goldene Sprüche
697.
Pythagoreer 412 f. ; Neapytha-
goreer 662, 697 f.
Pythainetos, Historiker 554.
Pytheas, Historiker 560 f.
Pytheas, Redner 410.
Pythermos, Lyriker and Mu-
siker 122 Anm. 2, 151, 545.
P3rthiadenrechnang 169 Anm.
8, 176 Anm. 5.
Pytiion, Tragiker 280.
Quadratus, Apologet 891.
Quintilian inst. erat. X 640.
718.
Quintus Smymaeus 784 f.
Racine 260, 297.
Redegattungen 2 ff.
Redeteile 593.
Redner 365 ff.; Kanon der
Redner 368.
Religion der Griechen 10 f.,
12; bei Hesiod 94 ff.; bei
Polybios 564; bei den Neu-
platonikern 823 f.; fremde
Götter 94 Anm. 2; religiöse
Epen 108 ff.; Heroenkulte
159 Anm. 1 ; Verhältnis zum
Schicksal 222.
Remmius Pal&mon, Gramma-
tiker 609.
Rhapsoden 435 ; von Epen 58 f.;
von lamben 136 Anm. 1.
Rhetorik 366 f., 749 ff., 814.
Rhianos, alex. Dichter 529
Anm. 1, 535*, 694.
Rhinthon, Dichter von Phlya-
ken 544.
Rhodos 499, 568; Rhodiaka
555
Rhytii^en 117, 121.
Römische Periode der griech.
Litt. 613 ff.; Griechenlands
Einfluss auf Rom 613 f.;
römische Geschichte bei
griech. Historikern 561 ff.;
Griechen in Rom 615; grie-
chisch gesprochen und ge-
schrieben in Rom 561 f.,
614 Anm. 4, 615 f.; Biblio-
theken in Rom 615 Anm. 2;
Stellung der römischen Kai-
ser zur griech. Litt. 615,
617 f., 710 f.; Büdungs-
Stätten des römischen Rei-
ches 619; römische Kultur-
bestrebungen 685 Anm. 3.
Roman 814 ff.
Rufos, Arzt 774, 857.
Rufns, Rhetor 755.
Rutilius Lupus 751.
Babinins PoUio s. PoUio.
Sabinus,Kirchenhi8toriker 920.
Sage oder Mythos 23; Sagen-
noesie 22 ff. ; Sagenkreise 24.
Sakadas, Musiker 119.
Salier 120.
Salustius, Neuplatoniker 834.
Salustius zu Sophokles 251,
837; Herodot 336; Kalli-
machos 508.
Sanchuniathon, Historiker 764.
Sappho 148 f., 706; Statue 148
Aimi. 5.
Satumischer Vers 17.
Satyros , Aristarcheer 595
Anm. 9, 605.
Satyros, Peripatetiker 600.
Satyrspiel 194.
Schauspieler 208 Anm. 4, Zahl
201, 233; Schauspieler-
partien 205; Wettkämpfe
der Schauspieler 279.
SchiUer 160, 222, 537, 546
Anm. 4.
Schrift 15; bei Homer 57;
phönikische Buchstaben 16,
altes Alphabet bei Pindar
183 Anm. 1; Notenschrift
119; Schreibmaterial 16;
vgl. Bttcher.
Secundns, Pythagoreer 698.
Seikilos, Dichter 624.
Sekten der Philosophen 574;
der Rhetoren 750 f.; der
Mediziner 855, 856; der
Christen 907.
Seleukos, schenhafter Dichter
546.
Seleukos, Grammatiker 605,
667.
Seleukos, Astronom 869.
Semonides s. Simonides.
Semos, Perieget 601.
Seneca tragoedus 526.
Sentenzensammlungen 849.
Septuaginta 496.
Serapio, Mathematiker 870.
Serenus, Mathematiker 871.
Sergios, Grammatiker 840.
Severus, Platoniker 456.
Severus, Rhetor 753, 813.
Sextius Niger, Botaniker 861.
Sextus Julius Africanus s.
Julius Afr.
Sextus von Chäronea 707.
Sextus Empuicus 706 f.
Sextus (Sextius) , Spruch-
sammlung 698.
Shakespeare 245 Anm. 3.
Sibyllen 540, 792 f.; Sibyl-
Imische Orakel 792 ff.
Sieben Weisen 129*, 411, 591,
666.
Sieben Weltwunder 504 Anm.
7, 734.
Sikilischer Buchhandel 385
Anm. 3; sikil. Historiker
550 f.
Sikyonische Tafel 320, Si-
kyonika 554.
Silenos, Historiker 561.
Silloi, Spottgedichte 546.
942
Eegictor.
Simias (v. 1. Simmias), Epi-
grammatiker 513, 516.
Simmias, Philosoph 418, 425
Anm.
Simodie 543, 546 Anm. 1.
Simon, Aber Reiterei 356.
Simon ladftua 891.
Simon, Sokratiker 418, 421.
Simonides (Sem.) von Amor-
gos, lambograph 136 f.
Simonides von Keos, Lyriker
161 ff., 852.
Simonides Magnes , alex.
Dichter 515, 528.
Simos, alex. Dichter 543, 546
Anm. 1, 548*.
Simplicius, Anstoteliker 489.
Skene im Theater 197 f;
Skenenmalerei 235.
Skeptiker 584 f.
Skiras, Phlyakendichter 544.
Skolien 142 f.; attische 154.
Skopelianos, Sophist 626, 729.
SkyJax, Geograph 365.
Skymnos, Geograph 361, 572 *.
Skythinos, lambiker 137.
Sokrates, Historiker 570.
Sokrates, Eirchenhistoriker
920.
Sokrates, Komiker 288 Anm. 8.
Sokrates, Perieget 601.
Sokrates, Philosoph 352,418 ff.;
dichtete Fabeln 140; 2a>-
xQatixol Xoyot 424; der
junge Sokrates 447 Anm. 9.
Selon, Staatsmann n. Dichter
127 ff.; Gesetze 320; Ahn-
yater des Plato 423 Anm. 1,
446.
Sopater, Phlyakendichter 544.
Sopater, Rhetor 723, 754, 847 f.
Sophainetos, Historiker 348.
Sophisten 416 ff.; die neue
Sophistik 710ff.; cofpiüxrjgn,
^ijTWQ synonym 712 Anm. 1.
Sophokles Leben 227 ff.; Stra-
tegenamt 228 ff.; Bild 231;
Werke 232 f.; Siege 232;
Aias 238 f.; Antigene 228,
240ff.;Elektra242ff.; Oe-
dipus Rex 244 f.; Oedipus
Coloneus 233 Anm. 6, 249 f.;
Philoktet 247 ff.; Trachiniai
246 f.; Chryses 263; Trip-
tolemos 227; Phaidra 260;
Fragmente 250 f.; PÄan230;
Prosaschrift über den Chor
234, 251; Neuerungen in
der Tragödie 233 ff,; Kunst-
Charakter 235 f.; Metrum
237 f.; sophokleisches Sche-
ma 238; Verhältnis zu
Aischylos 228 Anm. 3; zu
Herodot 229; Schule des
Sophokles 276; Hand-
Schriften 251 ; Schollen
251.
Sophokles der Jüngere 280,
I 249 Anm. 2, 276*.
Sophokles, alex. Tragiker 539.
Sophokles zu ApoUonios 535.
Sophonias zu Aristoteles 489.
Sophron, Mimendichter 283.
Sophronios, bp. Dichter 153.
Sopolis, Sophist 802 Anm. 3.
Soranos, Arzt 857.
Sosibios, Grammatiker 555.
Sosibios, Historiker 555.
Sosikrates, alex. Dichter 99
Anm. 6; Komiker 317.
Sosikrates aus Rhodos 709.
Sosilos, Historiker 561.
Sosipater, Komiker 317.
Sosiphanes, Tragiker 538.
Sositheos, Tragiker 538.
Sotades, alex. Dichter 545.
Soterichos, Epiker 626, 686.
Soterichos, Mathematiker 872.
Sotion, Geoponiker 733 Anm. 5.
Sotion, Philosoph 709, 733.
Sozomenos, Kirchenhistoriker
920.
Sparta in Litteratur 156, vgl.
Lakonika.
Spenden, Dichter Spartas 156
Anm. 2.
Speusippos, Philosoph 455;
gegen Isokrates 379 Anm. 4 ;
über Plato 709.
Spiele s. Agone.
Sporos zu Arat 531.
Sprache griechische, indoger-
manische Elemente 10 f.
fremde 12; lateinische 780
Dialekte 12 ff.; Vorztige 15
Vulgärsprache 495 Anm. 1
Griechisch im christl. Rom
889; Abnahme des Lateins
804.
Sprichwörter 154, 775.
Stasima im Drama 204.
Stasinos, Epiker 80.
Stenographen 804, 898, 901
Anm. 1.
Stephanos Byzantios , Geo-
graph 695, 801 f.
Stephanos, Komiker 312.
Stephanos zu Aristoteles 489.
Stemsagen 531.
Stesichoros, Lyriker 158 ff.;
Bild 158 Anm. 5.
Stesimbrotos , Historiker 6,
326*; über Homer 63.
Stilpon, Philosoph 421, 573.
Stobaios' Anthologie 848 f.
Stoa 578 ff., 702 f.; stoische
Grundsätze 579; stoische
Grammatiker 592 f.
Strabon , Geograph, Leben
682 f.; Gesehichtfiwerk 683;
Geographika 684 ff.; Stü
686.
Stratoklea, Redner 410.
Straten, Epigrammatiker 622.
Straten, Peripatetiker 469, 575.
Strattis, Komiker 310.
Sueton 774; Prata 761.
Suidas, Lexikograph 843 f.
Suidas, Historiker 554.
Susarion, Komiker 281.
Symmachos zu Aristof^anes
307.
Synesios, Bischof 912 f.
Synkellos, byz. Chronist 919.
Synkretismus 660, 700, 835*.
Syrakus 161, 171, 282, 499.
Syrianos zu Plato 456; zu
Aristoteles 489; zu Hermo-
genes 754.
Tabula Diaca 78.
Tadtos Germania 7 16 Aiun. 8,
748 Anm. 6.
Taktiker 874 f.
Tanz 119 f., 122; im Diania
404, s. Pantomimus.
Tarraioe s. LnkiUos.
Tarsos 499.
Tatianus, Apologet 891 f.
Teiaias (Tisias), Rhetor 366;
Lehrer des Lysias 372.
Telegoneia, Epos 83.
Telekleides, Komiker 28a
Telephos, Grammatiker 190
Anm. 1, 772.
Teles, Philosoph 584.
TelesUla, Dichterin 153.
Telestes, Dithyrambiker 189.
Terentius ahmt nach Menander
315; Diphilos 317; ApoUodor
817.
Terpander, Musiker u. Lyrikar
117 f.; terpandiische Nomoi
178 f., 510,
Tertullian 892.
Testament, neues 880 ff
Tetralogie der Tragödie 199 f.,
234; der Reden des Anti-
phon 369; der Werke De-
mokrits 415; der Dialoge
Piatons 429.
Thaies, PhUosoph 129, 411f.
Thaletas, Chorlyriker 120.
Thallos, Epigrammatiker 622.
Thallos, Historiker 648.
Thamyris, Sftngw 20.
Theagenes, Historiker 290
Anm. 11, 680.
Theagenes, Homeriker63,324.
Theano 697.
Theater 195 ff.; Teile 197; am
hellenist Zeit 309, 539; zn
Volksyersammlungen be-
nutzt 620 Anm. 2.
Thebais, Epos 83.
BegUiUr.
943
Themistios, Philosoph und
Sophist 806 f.; za Aristo-
teles 489.
Themistogenes^Hisioriker 848,
557 Anm. 2.
Theodektes, Rhetor 483.
Theodektes, Tragiker u. lUietor
279 f.
Theodoretos, Grammatiker
889.
Theodoretos , Kirchenhisto-
riker 710, 910*, 920.
Theodoridas, Epigrammatiker
514.
TheodoroB Anagnostes, Kir-
chenhistoriker 920.
Theodoros, Historiker 554
Amn. 2.
Theodoros , Verfasser eines
Kyklos 78.
Theodoros, Mathematiker 424,
865.
Theodoros von Mopsaestia,
Christ 906.
Theodoros, Rhetor 873 Anm. 2,
750*.
Theodoros , Sotadeendichter
546 Anm. 1.
Theodosios, Grammatiker 838.
Theodo6ios,Mathematiker 87 1 .
Theodotos, fiher Juden 529
Anm. 2.
Theodotos, Nenplatoniker 825
Anm. 8.
Theodotos, Sophist 729.
Theognetos, Komiker 317.
Theognis, Elegiker 180 fF., 847
Anm. 9.
Theognis, Tragiker 279.
Theogonie Hesiods 94 ff.; ky-
klische 79; des Epimenides
109; orphische 792.
Theokies, Dichter 510.
Theokrit, Lehen 519 ff.; Dich-
tungen 528 ff.; Bukolika
523 f.; Gedichte in der Art
des Sophron 524; E^llien
524; unechtes 525; Kunst-
charakter 525 f.; falsche
Sprachformen 525 Anm. 3;
Scholien 527.
Tfaeokritos, Historiker 863.
Theokritos, Rhetor 520 Anm. 1.
Theologen, philosophische 41 1 .
Theolykos, Epiker 529 Anm. 1.
Theon, Grammatiker 612 Anm.
2,760 *; zu Eallimachos 508;
zu Theokrit 527; zu Arat
581; zu ApoUonios 535; zu
Nikander 537; zu Lyko-
phron 541.
Theon Smym&us, Platoniker
456.
Theon , Mathematiker 688
Anm. 2, 872, 873.
Theon, Rhetor 753, 758 Anm. 4.
Theophanes, Historiker und
Epigrammatiker 569, 622,
684.
Theophanes Nonnos, Arzt 861.
Theophüos, Apologet 893.
Theophilos, Dichter 796.
Theophilos, Grammatiker 595.
Theophrast,Philo8oph 488,530,
576 ff.; Schriften 576 f.;
Botanik 576; ^vxtixioy do^ai
577, 710; Gharakteres 313
Anm. 4, 577*; Dialog Theo-
phrastos 914.
Theophylaktos Simokattes
823.
Theopomp, Historiker 861 ff.
Theopomp, Komiker 310 *, 440.
Theosophia, Orakelsammlnng
916 f
Theotimos, Historiker 555.
Theseis, Epos 105.
Thespis, Tragiker 207 f.
Thesprotis, Epos 83, 105.
Thestorides , Homeriker 82
Anm. 2.
Thomas Magister 184.
Thrakische Sftnger 19 f.
Thrasylos, Platoniker 429
Anm. 8, 696 Anm. 6.
Thrasymachos, Sophist 366,
418, 443.
Threnoi, Totengesftnge 146 f.
Thukydides Lehen 336 ff.; Bild
828, 337 Anm.2 ; Geschichts-
werk 338 ff.; Einteilung in
Bücher 339 Anm. 7; das
8. Buch 339; Pentekontae-
tie 340, 343; eingelegte
Reden 342; Charakter 341 f.;
historische Treue 341 ; Stil
837 Anm. 5, 343; Ansehen
hei den Späteren 344, 641 ;
nachgeahmt you Demos-
thenes 397; Scholien 344,
845.
Thuros, Fabeldichter 138
Anm. 5.
Thymele, Teil des Theaters
197.
Tiberius, Kaiser 615.
Tiberius, Rhetor 403, 752;
zu Herodot 336.
Thyrrhenier 324.
Timachides, parodischer Dich-
ter 547.
Timocharides, Sotadeendichter
546 Anm. 1.
Timagenes, Historiker 570.
Timaios, Historiker 388, 550 f.*
Timaios, Lexikograph 456.
Timaios, Pythagoreer 413,
446.
Timokles, Komiker 312.
Timokreon, Lyriker 168.
Timokritos , Lyriker 179
Anm. 2.
Timon, Philosoph und Sillo-
graph 546 f., 584, 743.
Timosthenes, Geograph 571.
Timotheos, Musiker 188 f.
Timotheos aus Gaza, Gram-
matiker 889.
Tisias s. Teisias.
Tonarten 122, 177.
Topoi und Topik 465.
Tragödie 192, 206 ff.; Ursprung
des Namens 192; Defini-
tion 192; lyrische Trag. 206
Anm. 6; Tragödie im spä-
teren Sinn 541; tragische
Pleias 538; traidsche Ironie
237, 244.
Traianus,Epigrammatiker 622.
Triklinios zu Pindar 184; zu
Aischylos 226; zu Sopho-
kles 251.
Trilogie im Drama 199 f.; im
philosophischen Gespräch
429.
Trinklieder 154.
triumphus griech. Ursprungs
176 Anm. 8.
Troianischer Sagenkreis 24 f.;
Troika 555, 556.
Troilos, Rhetor 754.
Tropenlehre 751.
Tryphiodor, Epiker 788.
Tryphon, Grammatiker 760.
Tryphon, Rhetor 752.
Tumus Laureas, Epigramma-
tiker 621.
Tynnichos, Päanendichter 145.
Tyrannion, Grammatiker 460,
6n.
Tyrtaios, Elegiker 125 f.
Tzetzes zu Homer 68; über
Tragödie 190 Anm. 1; zu
AiristophaneB 280 Anm. 6,
307; zu Lykophron 541.
ülpian, Jurist bei Athenaios
735.
Ulpian zu Demosthenes 404,
887.
Unterricht 116, 295, 712, 781.
Valerius Diodorus, Gramma-
tiker 772.
Valerius Pollio, Grammatiker
772.
Varro sat. 362 Anm. 4.
Vegetius, Veterinär 861.
Vergilius Bukolika 518; Geor-
gika 537; Katalekta 530
Anm. 2; Moretum u. Ciris
509.
Verzeichnisse s. Kataloge.
Vestinus, Grammatiker 761,
772.
944
Eegiater.
Vettius Valens, Ajatrolog 689
Anm. 1.
Vindanios Anatolios, Geopo-
niker 865.
Volksgesang 23; Volkslieder
154.
Vorhomerische Poesie 16 ff.
Volgftrsprache 493.
Wettkämpfe s. Agone.
Widmungen 493.
Wilhelm von MOrbecke 490.
X&nthos, Logograph 324.
Xanthos, Dichter 158.
Xenarchos, Mimendichter 283.
Xenarchos, Sotadeendichter
546 Anm. 1.
Xenodamos, Musiker 120.
Xenokles, Tragiker 277.
Xenokrates, Arzt 857.
Xenokrates, Eunstschriftstel-
1er 601.
Xenokrates, Philosoph 455.
Xenokritos, Musiker 120, 158.
Xenomedes, Logograph 324.
Xenon, alex. Grammatiker 32.
Xenophanes , Philosoph und
Dichter 64, 110*, 413.
Xenophon, Romanschreiber
817.
Xenophon, Historiker, Leben
345 f.; Charakter 347;
Schriften 347 f.; Verhftltnis
zu Plato 442 Anm. 1 ; Ana-
basis 348; Kyropädie 349,
444 Anm. 3; Hellenika
350 f.; Memorabilien 352 f.;
Apologie 354; OekonomJkos
353; Symposion 354*, 442;
Agesilaos 35 1 f.; Hieron 352 ;
Staatsverfassung der Lake-
dftmonier 355; der Athener
355 ^ 428 Anm. 2; über
Einkünfte 356; Yon der
Reiterei 356; Kynegetikos
357; Briefe 357; Stil 347;
sein Sohn Gryllos 346 Anm.
4, 382 Anm. 2, 462; der
junge Xenophon 354 Anm. 2.
Xiphilinos, byz. Historiker 676.
Zacharias Scholastikos 823
Anm. 2, 915.
2^1eukos, Gesetzgeber 320.
Zauberlitteratur 836.
Zeichnen 478 Anm. 2.
Zeitrechnung s. Chronologie.
Zenobios, Sophist 766 Anm. 5,
775*, 803.
Zenodoros, Grammatiker 66.
Zenodoros, Mathematiker 873
Anm. 3.
Zenodot aus Ephesos, Gram-
matiker 532, 594 f.^ 606;
zu Homer 64.
Zenodot aus Malloa, Grfamma-
tiker 504 Anm. 6.
Zenon, Grammatiker 611.
Zenon, Historiker 555.
Zenon, eleatischer Pfailoeoph
414.
Zenon, stoischer Philosoph 57d.
Zenon, Rhetor 733 Anm. 1.
Zeuxis, Maler 742.
Zoiloa, Sophist 64.
Zonaios, Rhetor 752, 822.
Zonaras, byz. EQstoiiker 676.
Zonaras, Lexikograph 841.
Zenas, Epigrammatiker 621.
Zopyrion, Lexikograph 761.
Zopyros aus HeraUea, Re-
dactor des Homer 61.
Zopyros ans Magnesia, Gram-
matiker 53 Amn. 1, 105.
Zopyros, Orphiker 109.
Zoroastrisches 794.
Zosimos, Ifistoriker 797 f.
Zosimos , Grammatiker zo
Demosthenes 404, 837,843*.
Zosimos, Rhetor 377 Ajim. Z,
404.
Verzeichnis der Abbildungen.
1. Homer, Idealbüste des Museo Capitolino.
2. Aesop, Halbfignr der Villa Albani.
3. Sappno, angebliche, Kopf der Villa Albani.
4. Anakreon, Idealbfiste im neuen kapitolinischen Mnsemn.
5. Aischylos (?), nach unsicherer Vermutung, Büste des Museo Capitolino.
6. Sophokles, Statue des Museum Lateranense.
7. Euripides, Büste des Vatikan.
8. MenandroB, nach Vermutung von Stndniczka, Büste des Vatikan.
9. Poseidipnos, Sitzende Statue des Vatikan.
10. Dichter der neuen Komödie, Sitzende Statue des Vatikan.
11. Herodot, Doppelherme (mit Thukydides) in Neapel.
12. Thukydides, Doppelherme (mit Herodot) in Neapel.
13. Lysias, Büste in Neapel.
14. Isokrates, Büste der ViUa Albani.
15. Demosthenes, Statue des Vatikan.
16. Aischines, Statue in Neapel.
17. Sokrates, Büste der Villa Albani.
18. Posidonios, Büste des Museo nazionale in Neapel.
19. Piaton, Büste des Vatikan.
20. Aristi(ppos), ehedem für Aristoteles ausgegeben, sitzende Statue des Palastes
Spada in Rom, mit fremdem Kopf.
21. Antisthenes, Büste des kapitolinischen Museum.
22. Epikur, Bronzebüste in Neapel.
23. Hippokrates (?), nach unsicherer Vermutung, Büste der Villa Albani.
24. Theophrast, Büste der Villa Albani.
25. Chrysippos, Büste in ijondon.
26. Arat, nach Münze von Soloi oder Pompeiopolis.
27. Aristides Rhetor, Kopf der sitzenden Statue des Vatikan.
28. Julianus Apostata, nach einer Pariser Goldmedaille.
H»ndbtieh der klass. AlterttimswlflscDBchAft. Vn. 3. Aufl 60
Homeros.
Aisopos.
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Aischylos (?).
Sophokles.
et
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Demosthenes.
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Piaton.
Aristi[ppos]
(ehedem für Aristoteles ausgegeben).
DD
^
OD
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Chrysippos.
Aratos.
Aristides Rhetor.
Julianus Apostata.
J 1.
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