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Full text of "Handbuch der klassischen Altertums-Wissenschaft in systematischer Darstellung, mit besonderer Rüksicht auf Geschichte und Methodik der einzelnen Disziplinen"

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HARVARD  UNIVERSITY 

UBRARY  OF  THE 

FOGG  ART  MUSEUM 


THE  BEQUEST  OF 

JOS.EPH  CLARK  HOPPIN 

CLASSOF  1893 


diadJflsJj!i4!3ra5"-£!2raS>l^-toslb«L5i"tL3sL?a:sid5 


HANDBUCH 

DER 

KLASSISCHEN 


AETEKTÜMS-WISSENSCHAFT 

in  systematischer  Darstellung 

mit  besonderer  Rücksicht  auf  Oeschichte  und  Methodik  der  einzelnen 

Disziplinen. 


In  Verbindung  mit  Gymn.-Rektor  Dr.  Autenrieth  (Nürnberg),  Prof.  Dr.  Ad. 
Bauer  (Graz),  Prof.Dr.Blass  (Halle),  Prof.  Dr.  Brugmann  (Leipzig),  Prof.  Dr. 
Busolt  (Kiel),  Geh..Rat.  Dr.  v.  Christ  (München),  Prof.  Dr.  Gleditsch  (Berlin), 
Prof.  Dr.  0.  Gruppe  (Berlin),  Prof.  Dr.  Günther  (München),  Prof.  Dr.  Heerdeg'en 
(Erlangen),  Prof.  Dr.  Hommel  (München),  Prof.  Dr.  Hübner  (Berlin),  Priv.-Doz. 
Dr.  Judelch  (Marburg),  Prof.  Dr.  Jul.  Jung  (Prag),  Prof.  Dr.  Krumbacher 
(München),  Prof.  Dr.  Larfeld  (Remscheid),  Dr.  Lollingr  t  (Athen),  Prof.  Dr. 
Niese  (Marburg),  Geh.  Regierungsrat  Prof.  Dr.  Nissen  (Bonn),  Prof.  Dr. 
Oberhummer  (München),  Priv.-Doz.  Dr.  Öhmiehen  (München),  Prof.  Dr. 
Pöhlmann  (Erlangen),  Gymn.-Dir.  Dr.  0.  Richter  (Berlin),  Prof.  Dr.  Schanz 
(Würzburg),  Geh.  Oberschulrat  Prof.  Dr.  Schiller  (Giessen),  Gymn.-Dir. 
Schmalz  (Rastatt),  Prof.  Dr.  Sittl  (Würzburg),  Prof.  Dr.  F.  Stengel 
(Berlin),  Prof.  Dr.  Stolz  (Innsbruck),  Priv.-Doz.  Dr.  Traube  (München),  Prof. 
Dr.  Ungrer  (Würzburg),  Geh.-Rat Dr.  v.  Urlichs  t  (Würzburg),  Prof.  Dr.  Moritz 
Voigt  (Leipzig),  Gymn.-Dir.  Dr.  Volkmann  f  (Jauer),  Prof.  Dr.  Windelband 
(Strassburg),  Prof.  Dr.  Wissowa  (Halle) 

herausgegeben  von 

Dr.  Iwan  von  Müller, 

ord.  Prof.  der  klassischen  Philologie  in  München. 


Siebenter  Band. 
Geschichte  der  griechischen  Litteratur. 


DHtte  vermehrte  und  verbesserte  Auflage. 


MÜNCHEN  1898 

C.  H.  BECK'SCHE  VERLAGSBÜCHHANDLUNG 

OSKAR  BECK. 


GESCHICHTE 


DER 


GRIECHISCHEN  LITTERÄTÜR 

BIS  AUF  DIE  im  mmmi 


VON 


WILHELM  CHRIST, 

ORD.  PROFEBSOB  AN  DEB  ÜNIVEBSTTÄT  MÜNOHEN. 


DRITTE  VERMEHRTE  UND  VERBESSERTE  AUFLAGE. 


MIT  28  ABBILDUNGEN. 


MÜNCHEN  1898 

C.  H.  BECK'SCHE  VERLAGSBUCHHANDLUNG 

OSKAR  BECK. 


FOGG  ART  MUSEUM 
HARVARD  ÜNIVERSITY 


% 


Alle  Rechte  vorbehalten. 


C.  H.  Beok'sohe  Buchdruckerci  Id  Mördliugen. 


Vorrede. 

Wenn  man  mit  Recht  von  dem  Verfasser  eines  Buches  zu  hören 
wünscht,  was  ihn  bestimmt  habe,  den  alten  Darstellungen  des  gleichen 
Gegenstandes  eine  neue   zur  Seite   zu  stellen,   so  kann  ich  mich   im 
vorliegenden  Fall  einfach  auf  das  grosse  Unternehmen,  von  dem  dieses 
Buch  nur  einen  Teil  bildet,  beziehen.    Denn  es  ist  ja  selbstverständ- 
lich, dass   in  einem  Handbuch   der  klassischen  Altertumswissenschaft 
die  klassische  Litteratur  und  diejenige,  welche  vor  allen  diesen  Ehren- 
namen verdient,   die  griechische,   nicht  fehlen  darf.     Ich  selbst  wäre 
aus  eigenem  Antrieb  schwerlich  je  dazu  gekommen,   eine  griechische 
litteratui^eschichte   zu  schreiben;    es   bedurfte    der  ehrenvollen  Auf- 
forderung der  Leiter  jenes  Unternehmens   und  der  ermunternden  Zu- 
rede lieber  Freunde,   um  in  mir   den  Entschluss  zu    reifen   und   die 
eigenen  Bedenken  zurückzudrängen.    Die  Bedenken  betrafen  nur  meine 
Person   und   das   Missverhältnis   der  Schwierigkeit    der  Aufgabe    zum 
Masse  meiner  Kräfte;   dass   an   und  für  sich   eine   zusammenfassende 
Darstellung    der  griechischen    Litteraturgeschichte,    die   den    heutigen 
Anforderungen  der  kritischen  Forschung  entspreche,  äusserst  wünschens- 
wert sei,    darüber  besteht  ja  nirgends  ein  Zweifel,   nachdem  die  ge- 
priesenen Werke  von  Bemhardy,  Müller,  Bergk  unvollendet  geblieben 
sind  und  auch  das  neueste  Buch  von  Sittl  nur  bis  Alexander  reicht. 
Auch  die  Beschränktheit  des  Raumes,  der  durch  den  Plan  des  Gesamt- 
untemehmens  gegeben  war,  schreckte  mich  nicht  ab.    Zwar  würde  ich 
ja  lieber   eine   Litteraturgeschichte   in    4  Bänden   geschrieben  haben, 
um   auf  die  Begründung    meiner  Ansichten   tiefer   eingehen   und   die 
litterarischen   Hilfsmittel    ausführlicher   vorführen   zu   können.      Aber 
ich  habe  frühe  gelernt,  meine  Neigungen  den  gegebenen  Verhältnissen 
unterzuordnen,    und  über   einen  umfangreichen  Gegenstand   ein  Buch 
von  kleinem   Umfang   zu  schreiben   ist   auch   eine   Kunst,    die    ihren 


VI  Vorrede. 

Mann  fordert.  So  bin  ich  also  nach  einigem  Zögern  auf  das  freund- 
liche Anerbieten  eingegangen  und  habe  mich  nach  Kräften  bemüht, 
dem  in  mich  gesetzten  Vertrauen  zu  entsprechen.  Freilich  erst  während 
der  Arbeit  lernte  ich  so  recht  die  Schwierigkeiten  der  Aufgabe  kennen, 
und  mehr  wie  einmal  drohten  die  Flügel  mir  zu  erlahmen;  aber  die 
Liebe  zur  Sache  und  die  Ermunterung  der  Freunde  hoben  mir  immer 
wieder  den  Mut,  so  dass  ich  schliesslich  doch  mit  Gottes  Hilfe  zur 
festgesetzten  Zeit  zum  Ziele  ham. 

Was  die  Anlage  des  Buches  anbelangt,  so  war  mir  schon  durch 
den  Plan  des  gesamten  Handbuches  die  Auflage  gemacht,  mich  nicht 
nach  Art  Ottfr.  Müllers  auf  die  Darlegung  des  Entwicklungsganges 
der  griechischen  Litteratur  zu  beschränken,  sondern  auch  Nachweise 
über  die  gelehrten  Hilfsmittel  beizufügen.  Mir  selbst  ward  so  in 
erwünschter  Weise  die  Möglichkeit  gegeben,  den  Urhebern  derjenigen 
Auffassungen,  denen  ich  mich  in  meiner  eigenen  Darstellung  anschloss, 
die  Ehre  der  Erfindung  zu  wahren,  wie  es  den  Benutzern  des  Buches 
erwünscht  sein  wird,  durch  jene  philologischen  Schlussbemerkungen 
über  die  Handschriften,  Ausgaben  und  den  jetzigen  Stand  der  For- 
schung in  Kürze  orientiert  zu  werden.  Ausser  am  Schlüsse  der 
einzelnen  Absätze  habe  ich  aber  auch  gleich  unter  dem  Text  zu  den 
einzelnen  Sätzen  die  litterarischen  Belege  und  die  Hauptzeugnisse 
aus  dem  Altertum  angemerkt,  die  letzteren  meist  im  vollen  Wortlaut. 
Trotzdem,  fürchte  ich,  werden  viele  nicht  alles  finden,  was  sie  von 
gelehrter  Litteratur  suchen  und  wünschen;  aber  zugleich  hoflfe  ich, 
dass  die  Knappheit  des  zugemessenen  Raumes  mich  entschuldigen  wird, 
wenn  ich  den  Fortschritt  in  der  Textesbearbeitung  nicht  historisch 
verfolgt  und  bezüglich  der  ins  Unendliche  anwachsenden  Programmen- 
und  Aufsätzelitteratur  auf  Engelmann  und  andere  Hilfsmittel  im  all- 
gemeinen verwiesen  habe.  Bei  der  Ausarbeitung  im  einzelnen  kam 
es  mir  zunächst  darauf  an,  einen  gedrängten  Lebensabriss  der  Autoren 
und  ein  Verzeichnis  ihrer  Werke  mit  kurzer  Bezeichnung  des  Inhaltes 
und  des  ästhetischen  Wertes  derselben  zu  liefern.  Aber  bei  Ent- 
werfung dieses  Grundgerüstes  bin  ich  doch  nicht  stehen  geblieben, 
ich  habe  mich  auch  bemüht,  die  Stellung  der  Autoren  in  ihrer  Zeit 
zu  zeichnen,  eine  Charakteristik  der  einzelnen  Perioden  zu  geben  und 
die  äusseren  Bedingungen  des  litterarischen  Lebens,  die  musischen 
Agone,  die  Organisation  der  Bühne,  die  Gunstbezeugungen  der  Könige 
und  Musenfreunde  zu  schildern.  Ich  gestehe,  dass  ich  diese  durch 
die  Sache  gebotene  Gelegenheit  gerne  ergriff,  um  hie  und  da  auch 
über   den   engen   Kreis   der  gelehrten   Forschung   hinauszugehen  und 


Vorrede.  VII 

meine  Gedanken  über  die  Weltstellung  des  Hellenismus  und  das  Ge- 
heimnis seiner  Macht  anzudeuten.  Nahe  hätte  es  gelegen  im  Anschluss 
daran,  auch  öfters  Exkurse  in  die  vergleichende  Litteraturgeschichte 
zu  machen  und  das  Fortleben  der  griechischen  Litteratur  in  der 
modernen  anzudeuten.  Doch  einer  solchen  Aufgabe  fühlte  ich  mich 
nicht  gewachsen;  in  diesen  Fragen  gehe  ich  lieber  selbst  bei  meinen 
lieben  Freunden  Bernays  und  Carriere  in  die  Lehre. 

Auch  bezuglich  der  Ausdehnung  der  Litteraturgeschichte  möchte 
ich  mich  gern  in  dieser  Vorrede  über  einige  Punkte  mit  meinen 
Lesern  auseinandersetzen.  Vor  allem  handelte  es  sich  hier,  wie  weit 
soll  herabgegangen  werden?  An  imd  für  sich  schien  mir  der  Vor- 
gang von  Fabricius,  SohöU,  Nicolai,  die  auch  die  byzantinische  Zeit 
mit  hereingezogen  hatten,  äussert  nachahmenswert  zu  sein.  Aber  da 
ich  selbst  auf  diesem  schwierigen,  erst  allmählich  sich  aufhellenden 
Gebiete  viel  zu  wenig  bewandert  bin,  so  musste  auf  anderem  Wege 
Ersatz  gesucht  werden.  Der  fand  sich  in  erwünschtester  Weise  da- 
durch, dass  mein  junger  Freund  Dr.  Krumbacher  sich  bereit  finden 
liess,  einen  Abriss  der  byzantinischen  Litteratur  als  Ergänzung  dieser 
Geschichte  der  altgriechischen  Litteratur  auszuarbeiten.  Derselbe  ist 
bereits  so  weit  gediehen,  dass  sein  Erscheinen  im  Laufe  des  nächsten 
Jahres  in  Aussicht  gestellt  werden  kann.  Ich  führte  also  mein  Buch 
nur  bis  auf  Justinian  oder  bis  auf  die  Aufhebung  der  Philosophen- 
schule Athens  herab.  Innerhalb  dieses  Zeitraums  mussten  aber  alle 
litterarischen  Grössen,  also  auch  die  Philosophen  herangezogen  werden. 
Zwar  ist  in  diesem  Handbuche  ein  eigener  Abschnitt  von  Professor 
Windelband  der  Geschichte  der  alten  Philosophie  gewidmet  worden, 
so  dass  einige  Wiederholungen  nicht  vermieden  werden  konnten. 
Aber  Piaton  und  Aristoteles  haben  nicht  bloss  für  die  Geschichte  der 
Philosophie  Bedeutung;  wollte  man  ohne  Piaton  eine  griechische  Lit- 
teraturgeschichte schreiben,  so  hiesse  dieses  die  Litteratur  eines  ihrer 
schönsten  Juwele  berauben;  auf  Aristoteles  Schultern  aber  ruht  so 
sehr  die  gelehrte  Thätigkeit  der  Alexandriner,  dass  ohne  jenen  diese 
nicht  begriffen  werden  kann.  Ich  persönlich  habe  mit  Eifer  diese 
Seite  des  griechischen  Geisteslebens  aufgegriffen,  da  ich  mich  mit  ihr 
seit  meinen  Studentenjahren  mit  Vorliebe  beschäftig  thatte.  Des  Gleichen 
kann  ich  mich  nicht  bezüglich  der  Fachwissenschaften  und  der  christ- 
lichen Schriftsteller  rühmen;  aber  beide  gehören,  wenigstens  in  der 
ihnen  von  mir  gegebenen  Begrenzung,  zur  griechischen  Litteratur,  so 
dass  ich  mich  entschliessen  musste,  in  einem  Anhang  auch  diese 
Partien  in  den  allgemeinsten  Umrissen  zu  behandeln. 


VIII  Vorrede. 

Einen  den  bisherigen  Handbüchern  fremden  Schmuck  hat  dieses 
Buch  noch  am  Schlüsse  durch  die  Abbildung  von  21  (24)  Köpfen  oder 
Statuen  griechischer  Autoren  erhalten.  In  unserer  Zeit,  wo  sich  die 
litterarischen  und  graphischen  Darstellungen  überall  die  Hand  reichen, 
lag  die  Beigabe  von  solchen  Abbildungen  gewissermassen  in  der  Luft, 
zumal  durch  den  Kunstsinn  der  Griechen  auch  nach  dieser  Seite  ihre 
Litteratur  vor  der  anderer  Völker  in  entschiedenem  Vorteile  ist.  Ich  habe 
daher  von  vornherein  diese  artistische  Beilage  in  den  Plan  meines  Werkes 
gezogen  und  durfte  deshalb  im  Text  mir  die  Charakteristik  der  Ge- 
stalt der  griechischen  Geistesheroen  erlassen.  Für  die  Auswahl  der 
Köpfe,  wobei  in  erster  Linie  auf  inschriftlich  bezeugte  Porträte  Wert 
gelegt  wurde,  und  für  die  sorgfältige  Aufnahme  der  Originale  oder 
Gipse  bin  ich  meinen  verehrten  Kollegen  Prof.  Heinr*  v.  Brunn  und 
Dr.  Julius  zu  besonderem  Danke  verpflichtet. 

So  möge  denn  das  mit  Liebe  gepflegte  Werk  hinausgehen  in  die 
Welt,  sich  und  seinem  Verfasser  Freunde  werben,  vor  allem  aber  dazu 
beitragen,  dass  die  Liebe  und  Begeisterung  für  die  Werke  des  klassi- 
schen Hellenentums,  diese  unersetzbare  Grundlage  jeder  echten  Bildung, 
lebendig  erhalten  werden. 

München,  im  Oktober  1888. 


Vorrede  zur  zweiten  Auflage. 


Schneller  als  mir  lieb  war  ist  die  Anforderung,  eine  neue  Auf- 
lage vorzubereiten,  an  mich  herangetreten.  Denn  ein  längerer  Ge- 
brauch des  Buches  hätte  voraussichtlich  in  mehr  Fällen  mich  auf 
Mängel  und  Irrtümer  desselben  aufmerksam  gemacht.  Aber  auch  so 
habe  ich  mir  angelegen  sein  lassen,  nach  Kräften  das  Werk  zu  ver- 
vollkommenen,  und  habe  dabei  die  Urteile  und  Winke  meiner  Re- 
zensenten, mochten  dieselben  in  freundlichem  Tone  gegeben  oder  mit 
Wermut  gemischt  sein,  gewissenhaft  berücksichtigt.  Zu  einer  tiefer- 
greifenden Änderung  der  ganzen  Anlage,  wie  sie  von  Herrn  Cr usius 
und  Dräseke  gewünscht  wurde,  habe  ich  mich  nicht  entschliessen 
können.  Namentlich  musste  ich,  wollte  ich  nicht  meiner  ganzen  Auf- 
fassung von  der  Stellung  des  Hellenismus  zu  den  neuen  Ideen  des 
Christentums  untreu  werden,  die  Verweisung  der  christlichen  Schrift- 


Vorred«.  IX 

steller  in  den  Anhang  aufrecht  erhalten.  Doch  habe  ich  mich  be- 
müht, diesen  am  meisten  verbesserungsbedürftigen  Teil,  auf  dessen 
Boden  ich  mich  am  wenigsten  heimisch  fühle,  so  viel  als  möglich  zu 
verbessern  und  zu  erweitern.  Im  ganzen  ist  auf  solche  Weise  der 
umfang  der  neuen  Auflage  um  etwas  über  6  Bogen  gewachsen.  Den- 
jenigen Herren,  welche  mich  auf  einzelne  Versehen  privatim  aufmerksam 
gemacht  haben,  fühle  ich  mich  zu  warmem  Danke  verpflichtet;  nament- 
lich sei  meinen  jüngeren  Freunden  Krumbacher,  Römer,  Wey- 
man,  Zollmann  für  die  vielen  wertvollen  Beiträge  auch  öffentlich 
hiemit  mein  Dank  ausgesprochen. 

München,  im  Juni  1890. 


Vorrede  zur  dritten  Auflage. 


Die  landläufigen  Klagen  der  Bücherkäufer,  dass  gerade  von  den 
beliebtesten  Büchern  die  früheren  Auflagen  infolge  von  weitgreifenden 
Änderungen  bei  ihrem  neuen  Erscheinen  so  rasch  veralten,  kenne 
ich  und  weiss  ich  wohl  zu  würdigen.  Aber  was  thun,  wenn  inzwischen, 
ohne  eigenes  Zuthun,  der  Stoff  durch  neue  Funde  und  neue 
Untersuchungen  sich  vergrössert  hat?  Man  wird  doch  nicht  im  Jahre 
1898  eine  griechische  Litteraturgeschichte  liinausgeben  sollen,  in  der 
von  den  Mimiamben  des  Herondas,  der  athenischen  Politeia  des  Aristo- 
teles, den  Oden  des  Bakchylides  und  all  den  anderen  seit  1890  ge- 
machten Funden  nichts  zu  lesen  ist.  Ebensowenig  aber  könnte  ein 
Litterarhistoriker  auf  Nachsicht  rechnen,  wenn  er,  unbekümmert  um 
die  inzwischen  erschienenen  Werke,  die  alten  und  nun  zum  Teil  wirk- 
lich veralteten  Angaben  von  1888  und  1890  unverändert  stehen  Hesse. 
Und  wahrlich,  nicht  klein  ist  der  Ertrag,  den  so  vortreffliche  Werke 
wie  Susemihls  Geschichte  der  griechischen  Litteratur  in  der  Alexandriner- 
zeit, Hamacks  Altchristliche  Litteraturgeschichte  bis  Eusebius,  Wachs- 
muths  Einleitung  in  das  Studium  der  alten  Geschichte,  Reitzensteins 
Geschichte  der  griechischen  Etymologika  dem  Verfasser  einer  all- 
gemeinen Geschichte  der  griechischen  Litteratur  geliefert  haben.  Selbst- 
verständlich waren  auch  die  neuen  Ausgaben,  deren  in  den  letzten 
Jahren  auch  viele  von  der  allgemeinen  Heerstrasse  weiter  abliegende 
Autoren  sich  zu  erfreuen  hatten,  zu  berückzichtigen  und  nachzutragen* 


X  Vorrade. 

Und  nachdem  nun  einmal  die  alten  Linien  nicht  mehr  eingehalten 
werden  konnten,  habe  ich  mich  nicht  mehr  gescheut,  auch  überall 
sonst  die  bessernde  und  erweiternde  Hand  an  das  alte  Buch  anzu- 
legen, so  dass  schliesslich  dasselbe  zu  meinem  eigenen  Erstaunen 
um  mehr  als  zehn  Bogen  grösser  wurde.  Nur  an  den  Grundlinien 
des  Werkes  habe  ich  nichts  geändert;  ich  glaubte  dies  schon  den 
alten  Freunden  des  Buches  schuldig  zu  sein,  es  entsprach  dies  aber 
auch  meiner  eigenen,  mit  der  Zeit  immer  mehr  gefestigten  Über- 
zeugung: ich  wollte  eben  kein  Bepertorium  aller  möglichen  litterarischen 
Erscheinungen  auf  dem  Gebiete  der  griechischen  Autoren  liefern,  und 
ich  wollte  ein  Buch  für  Philologen  und  Freunde  der  klassischen 
Litteratur,  nicht  für  Theologen  und  wissenschaftliche  Spezialforscher 
schreiben.  Hat  auch  in  diesen  Grenzen  das  Buch  an  Umfang  und 
hoffentlich  auch  an  innerem  Gehalt  nicht  unerheblich  zugenommen,  so 
verdanke  ich  dieses  zum  grossen  Teil  den  alten  wie  neuen  Freunden, 
die  mich  teils  durch  briefliche  Mitteilungen,  teils  durch  Übersendung 
ihrer  Abhandlungen  freigebigst  unterstützt  haben.  Ihnen  allen  sei  auf 
diesem  Wege  auch  ohne  Nennung  von  Namen  der  wärmste  Dank  ge- 
sagt! Mit  Namen  sei  nur  meines  leider  über  der  Arbeit  erkrankten 
jungen  Freundes  Jos.  Hirmer  gedacht,  der  mit  unverdrossenem  Eifer 
die  Korrekturbogen  durchzusehen  und  zu  bessern  die  aufopfernde 
Güte  hatte. 

München  im  Mai  189S. 

Wilh.  Christ. 


Inhaltsverzeiclmis. 


Rotte 

Ein lei taug.    Begriff  und  Gliedenmg  der  LiUeraturgesohichte        ....  1 

Erste  Abteilung. 

Klassische  Periode  der  grrieehisehen  Litteratur. 
I.  Poesie. 

A.  Das  fi|>og  10 

1.  Elemente  nnd  Yorstofen  der  griechiachen  Poesie 10 

2.  Homers  Dias  ond  Odyssee 26 

3.  Die  homerischen  Hymnen  und  Scherze 70 

4.  Der  epische  Kyklos 76 

5.  Hesiodos         .        .        : 86 

6.  Die  spftteren  Epiker 103 

B.  Die  Lyrik 112 

1.  Anfänge  der  Lyrik,  Nomendichtung 112 

2.  Die  Elegie 123 

3.  Die  iambische  Poesie  und  die  Fabel 134 

4.  Arten  der  Lyrik  im  engeren  Sinn 140 

5.  Liederdichter  oder  Meliker 147 

6.  Ghorische  Lyriker 154 

7.  Pindar 168 

8.  Die  attischen  Lyriker 184 

C.  Das  Drama 190 

1.  AnHlnge  nnd  ftossere  Verhältnisse  des  Dramas            190 

2.  Die  Tragödie 206 

a)  Die  Anfänge  der  Tragödie  bis  auf  Aischylos 206 

b)  Aischylos 209 

c)  Sophokles 227 

d)  Euripides 252 

e)  Die  flbrigen  Tragiker 276 

8.  Die  Komödie 280 

a)  Die  Anf&nge  der  Komödie  in  Griechenland  und  Sikilien  280 

b)  Die  altattische  Komödie 284 

c)  Aristophanes 290 

d)  Mittlere  und  neue  Komödie 308 

II.  Prosa. 

1.  Anftoge  der  Prosa 317 

2.  Die  Geschichtschreibung 317 

a)  Die  Logographen            326 

b)  Herodotoe 336 


XIT  InhaltsTerseiohnifl. 

Seite 

c)Thnkydideg 836 

d)  Xenophon 345 

e)  Die  kleineren  und  verlorenen  Geschichtswerke 357 

3.  Die  Beredsamkeit 365 

a)  Anfänge  der  Beredsamkeit 365 

b)  Antiphon  und  Andokides 368 

c)  Lysias  and  Isaios 871 

d)  Isokrates  und  die  sophistische  Beredsamkeit 877 

e)  Demosthenes 385 

f)  Die  Zeitgenossen  des  Demostiienes 404 

4.  Die  Philosophen 410 

a)  Anfänge  der  Philosophie 410 

b)  Die  attische  Periode  der  Philosophie 416 

c)  Piaton  422 

d)  Aristoteles 457 

Zweite  Abteilung. 

Nachklassische  Litteratur  des  Hellenismus. 

A.  Alexandrinisches  Zeitalter 491 

1.  Allgemeine  Charaktieristik 491 

2.  Die  Poesie 501 

a)  Die  Elegie,  Hymnen,  Epigramme 501 

b)  Die  bukolische  Poesie  517 

c)  Das  Eunstepos  und  das  Lehrgedicht 528 

d)  Dramatische  und  parodische  Poesie 538 

3.  Die  Prosa 548 

a)  Die  Geschichtschreibnng 548 

b)  Die  Philosophie 572 

c)  Grammatische  und  gelehrte  Litteratur 585 

B.  Btfmisehe  Perlode  613 

a)  Von  Augostos  bis  Konstantin 613 

1.  Allgemeine  Charakteristik 613 

2.  Die  Poesie 620 

3.  Die  Prosa 681 

a)  Historiker  und  Rhetoren  aus  dem  Beginne  der  Eaiserzeit    .  631 

b)  Jüdische  Historiker 643 

c)  Plutarch 648 

d)  Die  Historiker  der  griechischen  Wiedergeburt 669 

e)  Chronographen  und  historische  Sammler  des  2.  und  3.  Jahrhunderts    .  678 

f)  Die  Geographen 681 

g)  Die  Philosophie 695 

h)  Die  Sophistik 710 

i)  Buntschriftstellerei 730 

k)  Lukianos 738 

1)  Die  Rhetorik 749 

m)Die  Grammatik 758 

b)  Von  Konstantin  bis  Justinian 779 

1.  Allgemeine  Charakteristik 779 

2.  Die  Poesie 783 

3.  Die  Prosa 797 

a)  G^chichtschreiber  und  Geographen 797 

b)  Die  jüngere  Sophistik 802 

c)  Der  Roman 814 

d)  Die  Philosophie 828 

e)  Die  Grammatik 837 


InhaltsTerseichnis.  XIII 

ficlto 

Dritte  Abteilnng. 

Anhangr. 

A.  Fachwissenaebaftliche  Litteratur 851 

1.  Mediziner 852 

2.  Naturkunde  und  Landbau 862 

3.  Mathematiker  und  Astronomen 865 

4.  Taktiker 874 

5.  Kunstschriftsteller 876 

6.  Jurisprudenz 877 

B.  Christliehe  Sehriftsteller 879 

1.  Die  Schriften  der  altchristUchen  Kirche 880 

2.  Die  Kirchenväter            889 

3.  Christliche  Theosophen  und  Dogmatiker 906 

4.  Kirchenhistoriker 917 

5.  Christliche  Dichtungen 923 


Register 927 

Verzeichnis  der  Abbildungen 945 


Einleitung. 


Begriff  und  Gliederung  der  Litteraturgeschichte. 

1.  Das  Wort  Litteratur,  das  jetzt  in  alle  Kultursprachen  überge- 
gangen ist,  stammt  aus  dem  Lateinischen,  ist  aber  selbst  einem  grie- 
chischen Ausdruck  nachgebildet.  Mit  litteratura  übersetzten  nämlich  die 
Lateiner  wortgetreu  das  griechische  yqaiißaTtxrj  i)  und  verstanden  darunter 
im  allgemeinen  Kenntnis  der  lUterae  oder  y^dfiiiccxc^.  Ward  dabei  litterae 
in  dem  ursprünglichen  Sinne  genommen,  so  bezeichnete  litteratura  die 
niedere  Stufe  der  Grammatik  oder  die  Kenntnis  der  Buchstaben  beim 
Lesen  und  Schreiben.  Mit  dieser  niederen  Grammatik,  welche  im  Alter- 
tum die  Aufgabe  des  yqaiifiaxiüTxiq  (nicht  y^afifiarixog)  bildete,  haben  wir 
es  hier  nicht  zu  thun.  Wir  gebrauchen  Litteratur  in  dem  höheren  Sinn 
von  Inbegriff  alles  dessen,  was  in  Schrift  niedergelegt  ist,  im  Gegen- 
satz zu  dem,  was  in  Marmor  oder  Farbe  seinen  Ausdruck  gefunden  oder 
in  den  staatlichen  Einrichtungen  und  im  Leben  des  Volkes  sich  verkörpert 
hat.  Alle  Schriften  in  griehischer  Sprache  gehören  daher  zur  griechischen 
Litteratur;  eine  eingehendere  Betrachtung  aber  fordern  naturgemäss  die- 
jenigen, welche  dem  Kreise  der  allgemeinen  Bildung  und  damit  der  ganzen 
Nation  angehören,  und  bei  welchen  auf  die  Form  oder  den  kunstvollen 
Ausdruck  der  Gedanken  ein  besonderer  Nachdruck  gelegt  ist.  Eine  Lit- 
teraturgeschichte soll  aber  zugleich,  wie  der  zweite  Teil  des  Namens  an- 
zeigt, einen  geschichtlichen  Charakter  haben;  sie  darf  sich  daher  nicht 
mit  einer  blossen  Aufzählung  der  litterarischen  Denkmale  eines  Volkes 
begnügen,  sie  muss  zugleich  die  Entwicklung  nachweisen,  welche  bei 
einem  Volke  die  geistigen  Ideen  und  insbesondere  die  Kunst,  geistige 
Ideen  in  der  Sprache  niederzulegen,  im  Laufe  der  Zeiten  genommen  haben. 

Damit  sind  die  Hauptlinien  der  Aufgabe,  die  uns  in  diesem  Buche 
gestellt  ist,  bezeichnet.  Dazu  kommen  aber  noch  mehrere  andere  Punkte: 
Kunst  ist  von  Künstler,  /ro/Vy^ua  von  noirjTi^g  unzertrennbar,  und  so  werden 
wir  von  selbst  dazu  geführt,  neben  den  Schriften  auch  den  Verfassern 
derselben  und  ihrem  Leben  unsere  Aufmerksamkeit  zuzuwenden.    Sodann 


^)  Quint.  n  1,  4:  grammatice,  quam  in  Jatinum  transferentes  litteraturam  vocaverunt, 
Bcndbfach  der  Maas.  AltertnmtwlneTiflchaft.    YII.    8.  Aufl.  1 


Griechische  Litteratnrgeschichte.    Einleitung. 


stehen  zwar  die  erhaltenen  Schriftwerke  im  Vordergrund  der  Betrach- 
tung; aber  da  uns  verhältnismässig  nur  weniges  erhalten  ist  und  die  er- 
haltenen Schriftien  nur  einzelne  Glieder  in  der  grossen  Eette  der  Entwick- 
lung bilden,  so  dürfen  auch  die  Fragmente  und  diejenigen  Autoren,  von 
denen  uns  nur  durch  andere  Kenntnis  zugekommen  ist,  nicht  ausser  acht 
gelassen  werden.  Endlich  haben  die  einzelnen  Autoren  und  Werke  selbst 
wieder  ihre  Geschichte,  und  auch  diese  erheischt  Berücksichtigung:  es 
verlohnt  sich,  nachzuweisen,  welche  Auftiahme  die  grossen  Autoren  bei 
den  nachfolgenden  Generationen  gefunden  haben  und  durch  welche  Kanäle 
ihre  Schriften  auf  uns  gekommen  sind.  Die  Scholien  und  Handschriften 
verlangen  also  ihren  Platz  in  einer  Litteraturgeschichte  des  Altertums, 
und  wenn  ich  denselben  in  beschränktem  Masse  auch  bibliographische 
Angaben  über  Hauptausgaben  und  wichtige  Erläuterungsschriften  beige- 
fügt habe,  so  fürchte  ich  damit  vielen  des  Guten  eher  zu  wenig  als  zu 
viel  gethan  zu  haben. 

2.  Die  Darstellung  der  Litteraturgeschichte  kann  sich  entweder  rein 
an  dem  Faden  der  zeitlichen  Folge  abspinnen  (synchronistische  Methode) 
oder  von  den  verschiedenen  Gattungen  der  Litteratur  («rfi/  t(öv  avyyqaii- 
liatoav)  ausgehen  und  nur  innerhalb  dieser  die  zeitliche  Folge  berücksich- 
tigen (eidologische  Methode).^)  Welche  von  diesen  beiden  Methoden  den 
Vorzug  verdiene,  lässt  sich  nicht  im  allgemeinen  festsetzen;  das  richtet 
sich  vielmehr  nach  dem  jeweiligen  Charakter  der  darzustellenden  Litteratur. 
Ehe  wir  jedoch  diese  Frage  bezüglich  der  griechischen  Litteratur  zur  Entr 
Scheidung  bringen,  müssen  wir  zuerst  die  Grundlinien  beider  Methoden  an 
und  für  sich  betrachten. 

3.  Die  Gattungen  der  Litteratur.  Die  obersten  Gattungen 
der  Litteratur  sind  Poesie  {noirjcic)  und  Prosa  {i^yog^  bestimmter  ne^og 
A.6yog  oder  t«  xaTaXoydJrjV  yeyQu/ifieva),^)  Äusserlich  sind  dieselben  so 
unterschieden,  dass  die  Werke  der  Poesie  durch  das  Versmass  gebunden 
sind  {oratio  vimta),  die  der  Prosa  einer  solchen  Fessel  entbehren  {oralio 
soluta)y  somit  frei,  ohne  Rückkehr  zum  gleichen  Gefüge  vorwärts  schreiten 
{prosa  i.  e.  proversa  oratio)  J)  Aber  Versmass  und  Vortragsweise  sind  nur 
äussere  Unterscheidungszeichen;  der  Unterschied  geht  tiefer  und  berührt 
das  innere  Wesen  der  beiden  Litteraturgattungen:  die  Poesie  wendet  sich 
an  die  Phantasie  oder  die  sinnliche  Vorstellungskraft,  die  Prosa  an  den 
Verstand    und    das    abstrakte   Denkvermögen.^)     In   der   Poesie   spielen 


>)  BöcKH,  Encvklopttdie  d.  Philol.  615  ff., 
wo  auch  eine  Gliederung  der  Litteratur  nach 
etift]  gegeben  ist. 

^)  T«  xnraXoyttdfjv  schon  bei  Plat. 
sympos.  p.  177  b  und  Isokr.  2,  7.  Ueber  ne^og 
Xoyog  =  oratio  pedestris  Strabon  p.  18:  xal 
«rro  (f^  ro  ticC«*'  >lf/i9j;i^at  loy  uvbv  rov 
fASTQOv  Xoyoy  iu^ttivsi  roy  ano  vtffovg  »tivog 
xaTaßuvTtt  xai  o/i7^«rof  cig  jovdtttpog.  Schon 
Plat.  Sophist,  p.  237  a  neCo  *"'  ^^^"  fiergtoy. 
Als  Gegensatz  mochte  den  Gelehrten  der 
Wagen  des  Parmenides  im  Eingang  seines 
philosophischen  Gedichtes  vorgeschwebt  ha- 


ben. Danach  sang  auch  Pindar  I  2,  1  ol 
fiky  naXai^  cJ  9Qacvßot'Xey  (ptüieg,  ot  xQvcafA- 
nvxüiv  ig  di(pQoy  Moicny  eßaiyoy  xXvi^  fpoQ- 
fiiyyi  üvyaytofjiBvM.  Vgl.  Gregor  Naz.  or. 
20  p.  332  a  ed.  Colon.  neCoc  fjfiBy  naqd  Aviioy 
ÜQfÄtt  &eoyTsg. 

»)  Donat.  ad.  Terent  Enn.  II  8,  14: 
prorsum  est  porro  versum  . . .  hinc  et  prorsa 
oratio,  qtuim  non  inflexit  cantilena, 

*}  Oft  angeführt  wird  dafür  die  Weise, 
wie  Homer  B  128  die  Grösse  des  Heeres 
bezeichnet.  Interessant  und  einer  nftheren 
Untersuchung  wert  ist  die  Umgestaltung  der 


Begrüf  und  Gliederimg  der  Litteratargeaohiohte.    (§§  2—4.) 


3 


daher  die  äusseren,  in  die  Sinne  fallenden  Elemente  der  Darstellung,  die 
Wortverbindung  und  der  Rhythmus,  eine  grössere  Bolle  als  in  der  Prosa. 
Da  nun  die  Litteraturgeschichte  nicht  den  Inhalt  an  sich,  sondern  den 
in  kunstvolle  Form  gegossenen  Inhalt  betrachtet,  so  steht  ihr  die  Poesie 
im  Vordergrund  des  Interesses  und  widmet  sie  denjenigen  Werken  in 
Prosa,  die  ihre  Bedeutung  lediglich  im  Inhalt  haben,  wie  den  Schriften 
über  Mathematik,  Mechanik  etc.,  nur  eine  untergeordnete  Aufinerk- 
samkeit. 

4.  Die  Poe^e  pflegt  man  in  Epos,  Lyrik,  Drama  einzuteilen,  und 
diese  Einteilung  werden  auch  wir  unserer  Darstellung  zu  Grunde  legen, 
müssen  aber  gleich  hier  bemerken,  dass  diese  Terminologie  nicht  ganz  auf 
die  Arten  der  griechischen  Poesie  passt  und  dass  die  griechischen  Gelehrten 
eine  teilweise  abweichende  Einteilung  aufgestellt  haben.  Dieselben  unter- 
schieden nämlich,  ausgehend  von  einer  Stelle  Piatons,  ^)  zunächst  zwischen 
dem  yävog  fiifirivixov  oder  Sgafiarixor  und  dem  /«Vog  itrjYrjfJLaTixov  oder 
caiayyekTixov^  und  fügten  denselben  dann  noch  ein  vermittelndes  yävoq 
xotvov  oder  fuxTov  hinzu.*)  Zu  dem  letzteren  stellten  sie  Hias  und  Odyssee, 
weil  in  diesen  bald  der  Dichter  erzählt,  bald  Agamemnon,  Achill  oder  ein 
anderer  in  direkter  Rede  spricht,  während  ihnen  die  Erga  des  Hesiod,  in 
denen  nie  eine  Person  redend  eingeführt  wird,  das  reine  y*Vo$  dirjy^jiiiaTixov 
repräsentierten.  Aber  gerade  diese  Beispiele  stellen  die  Mangelhaftigkeit 
der  antiken  Theorie  in  grelles  Licht  und  empfehlen  die  heutzutag  übliche 
Gliederung.  In  ihr  hat  das  Epos  seinen  Namen  von  dem  Gegensatz  der 
gesprochenen  {irrrj)  und  gesungenen  Gedichte  {^(rfiata)  und  von  dem  für  das 
Epos  bei  den  Griechen  typisch  gewordenen  Versmass,  dem  daktylischen 
Hexameter,  der  bei  den  Metrikem  den  Namen  Inog  hatte.®)  Der  Name 
Lyrik,  d.  i.  «das  von  der  Lyra  begleitete  Lied",  ist  insofern  nicht  ganz 
bezeichnend,  als  er  nur  auf  einen  Teil  der  lyrischen  Poesie,  die  eigentlichen 
fiüri,  passt,  während  wir  unter  demselben  auch  die  iambische  und  elegische 
Poesie  begreifen. 

Den  drei  Arten  der  Poesie  stehen  in  der  Prosa  gegenüber  Ge- 
schichtschreibung,  Rhetorik,  Philosophie.  Von  diesen  entspricht  in  mehr- 
facher Beziehung  die  Geschichte  dem  Epos:  beiden  eignet  die  erzählende 
Form  der  Darstellung,  und  beide  sind  von  den  loniern  in  Kleinasien  aus- 
gegangen. Insbesondere  schliessen  sich  die  Städtegründungen  {xriffeig) 
der  Logographen  aufs  engste  an  das  genealogische  Epos  des  Eumelos  und 
Asios  an.  Auch  das  Drama  und  sein  Gegenstück,  die  Redekunst,  sind  in 
derselben  Stadt,  in  Athen,  zur  Blüte  gelangt,  und  die  Verteidigungs-  und 


Sprache  infolge  des  stllrkeren  Hervortretens 
der  Prosa,  namentlich  die  Vermehrung  der 
Abetrakta  auf  «tk,  ia,  cvyrj, 

*)  Plato  de  rep.  m  p.  394  b:  trj^  noiij- 
cetöf  xe  xal  fiv&oXoyiag  fj  fjihy  dia  /dif4ijo6(ag 
oXri  ioTiy  .  .  tgaytodia  le  xal  xfofiatdiay  17 
(fl  dl*  «nayyeXiag  avtov  rov  Tioitjtov  '  ei'Qoic 
<r  av  aviijy  fiaXior«  nov  iv  diBvQdfAßoLg  '  ij 
9  av  Ä'  afitpotcgtay  Iv  xe  rp  rw»*  inaiy  notij- 
ff»  noXXaxop  dd  xal  aXXo^i.  Dieselben  drei 
Hanptarten  hat  Aristoteles  poet.  1. 


*)  Proclus  ad  Hes.  p.  4  G.;  Proclus 
ehrest,  p.  230  W.;  Proleg.  ad  Theoer.  VI; 
Schol.  ad  Hom.  A  16,  Z  46,  Eur.  Phoen.  1225; 
Sueton  de  poetis  3;  Probus  ad  Verg.  Bucol. 
7,  12  K.  vgl.  Rbifferschbid,  Suetoni  rell. 
p.  4. 

»)  Plat.  rep.  111  p.  386  c  und  Arist.  me- 
taph.  N  6.  Mi^ewirkt  haben  bei  Feststel- 
lung der  Terminologie  die  homerischen  Wen- 
dungen enea  meQOBvta  n^oütjvda,  fjietXixl'Oioi 
Mrteaoi  u.  ä, 

1* 


4  ChriechiMhe  Idttaratorgesohiohte.    EiBleiinng. 

Anklagereden  haben  in  dem  Wortstreit  and  den  langen  Gegenreden  {^^asig) 
des  Dramas  ihr  Analogen.  Weniger  fallen  die  Berührungspunkte  der  Lyrik 
und  Philosophie  ins  Auge.  Doch  kann  auch  hier  geltend  gemacht  werden, 
dass  beide  in  gleicher  Weise  bei  allen  Stämmen  Griechenlands  vertreten 
sind  und  beide  von  der  Aussenwelt  den  Blick  in  das  Innere  lenken. 

5.  Die  Perioden  der  griechischen  Litteratur.  Die  chronologische 
Darstellung  muss  sich  von  selbst,  will  sie  übersichtlich  werden  und  sich  nicht 
mit  einer  kunstlosen  Aneinanderreihung  begnügen,  nach  grossen  Wende- 
punkten umsehen.  Einen  solchen  Hauptwendepunkt  bezeichnet  der  Untergang 
der  Freiheit  und  Selbständigkeit  der  griechischen  Staaten  durch  Philipp  und 
Alexander  d.  Gr.  Derselbe  hat  nicht  bloss  politische  Bedeutung,  er  scheidet 
auch  die  Zeit  des  fröhlichen,  produktiven  Schaffens  in  Kunst-  und  Wissen- 
schaft von  der  Periode  mühsamen  Sammeins  und  trockner  Gelehrsamkeit. 
Innerhalb  der  ersten  Periode  bilden  wieder  die  Perserkriege  einen  Haupt- 
markstein, weniger  wegen  der  Besiegung  des  Nationalfeindes,  als  weil  in- 
folge des  hervorragenden  Anteils  der  Athener  an  dem  Siege  nunmehr  Athen 
in  den  Vordergrund  des  politischen  und  geistigen  Lebens  der  Nation  tritt. 
Denn  während  zuvor  die  einzelnen  Stämme,  jeder  für  sich  und  in  seiner 
Sprache,  an  der  Entwicklung  der  Litteratur  sich  beteiligt  hatten,  reisst 
nun  Athen  die  geistige  Führung,  ja  das  Monopol  der  Bildung  an  sich. 
Das  bedeutete  aber  mehr  als  einen  blossen  Ortswechsel:  die  Litteratur 
gewinnt  eine  universellere  Richtung^)  und  nimmt  das  Gepräge  des  atheni- 
schen Volkes  an,  d.  i.  den  Charakter  geistiger  Aufklärung,  praktischer  Ver- 
ständigkeit, schwungvollen  Freiheitssinnes.  In  der  zweiten  Hauptperiode 
bezeichnet  der  völlige  Untergang  der  aus  Alexanders  Weltmonarchie  hervor- 
gegangenen hellenistischen  Reiche  einen  wichtigen  Abschnitt;  er  fällt  zu- 
sammen mit  der  Schlacht  von  Aktium  (31  v.  Chr.)  und  dem  Untergang  des 
Ptolemäerreiches.  Denn  von  nun  an  bilden  die  Griechen  nur  dienende  Glieder 
der  grossen  römischen  Weltherrschaft.  Wir  lassen  diese  letzte  Periode  bis 
auf  den  Regierungsantritt  des  Kaisers  Justinian  (527)  oder  bis  zur  völligen 
Aufhebung  der  altgriechischen,  nunmehr  heidnisch  gescholtenen  Philosophen- 
schulen reichen.  Es  Hessen  sich  innerhalb  dieser  4  Perioden,  namentlich 
innerhalb  der  letzteren,  noch  leicht  mehrere  Unterabteilungen  gewinnen, 
aber  es  werden  uns  für  unsere  Darstellung  jene  grossen  Scheidungen  vor- 
erst genügen.*) 

6.  Kehren  wir  nun  zur  Frage  zurück,  ob  die  Darstellung  nach  Lit- 
teraturgattungen,  oder  die  nach  der  zeitlichen  Zusammengehörigkeit  für  eine 
griechische  Litteraturgeschichte  die  angemessenere  sei,  so  springt  uns  so- 


*)  Ueber  die  universelle  Natur  Athens, 
das  die  Kultur  loniens  und  Eorinths  in  sich 
aufnahm,  gute  Gedanken  bei  Wilahowitz 
Hom.  Unters.  256  ff.;  über  die  attische  Sprache 
Isoer.  15,  295;  über  die  Stämme  der  Griechen 
und  ihre  Stellung  im  Geistesleben  der  Nation 
überhaupt  Bbrgk  El.  Sehr.  II  365  ff. 

*)  F.  A.  Wolf  und  nach  ihm  Bemhardy 
schicken  diesen  vier  Perioden  eine  Periode 
von  den  poetischen  Anfängen  der  griechischen 
Nation   bis   auf  Homer  voraus   und   lassen 


ihnen  eine  sechste  Periode  ,von  Justinian 
bis  zur  Einnahme  von  Konstantinopel*  nach- 
folgen. Die  letzte  Periode,  die  byzantinische, 
ist  in  diesem  Handbuch  selbständig  von 
meinem  jüngeren  Freunde  Kbumbacheb  be- 
handelt; die  erste  erscheint  bei  uns  als  Vor- 
halle zum  ersten  Teil.  Eine  Zeit,  aus  der 
uns  nichts  erhalten  ist,  verdient  es  kaum, 
eine  eigene  Periode  der  Litteratur  zu  bilden. 
Mehr  Unterperioden  stellt  Bbrgk  Gr.  Litt.  I 
302  ff.  auf. 


Begriff  und  Gliedemng  der  latteratnrgeschiohte.    (§§  5->6.)  5 

fort  ein  grosser  Unterschied  der  griechischen  Litteratur  von  der  modernen, 
und  innerhalb  der  griechischen  Litteratur  zwischen  der  Zeit  vor  und  nach 
Alezander  in  die  Augen.  Unser  Schiller  und  6oethe  haben  in  Prosa  und 
in  Versen  geschrieben,  haben  Lieder,  Epen  und  Dramen  gedichtet;  eine 
Darstellung  nach  Litteraturgattungen  würde  daher  dieselbe  Persönlichkeit 
nach  den  verschiedensten  Seiten  auseinanderreissen.  So  etwas  ist  in  der 
griechischen  Litteratur  nicht  zu  besorgen,  am  wenigsten  in  der  klassi- 
schen Zeit  vor  Alexander.  Hier  zerteilte  sich  die  Kraft  eines  Mannes 
nicht  nach  verschiedenen  Seiten,  hier  machte  die  Beschränkung  den 
Meister.  Femer  begegnen  wir  im  Eingang  unserer  deutschen  Litteratur 
einem  Werk  in  Prosa,  und  tritt  uns  in  der  römischen  Litteratur  als  erster 
Schrifteteller  Livius  Andronicus,  ein  Dichter  von  Tragödien  und  Komödien 
entgegen;  das  ist  eine  Verkehrung  der  natürlichen  Ordnung,  herbeigeführt 
durch  die  Einwirkung  fremder  Kultur.  Bei  den  Griechen  hat  sich  die 
Litteratur  fast  ohne  jeden  fremden  Einfiuss,  lediglich  aus  sich  entwickelt; 
es  folgten  sich  daher  auch  die  Litteraturgattungen  in  naturgemässer  Ab- 
folge.^) Zuerst  im  Jugendalter  der  Nation,  als  es  noch  keine  Schrift  und 
keine  Bücher  gab,  erblühte  die  heitere,  leichtgeschürzte  Poesie,  die  im 
Kreise  jugendfroher  Sinnlichkeit  erwuchs  und  von  der  lebendigen  Stimme 
des  Volkes  getragen,  keiner  schriftlichen  Aufzeichnung  bedurfte.  Erst  gegen 
die  Zeit  der  Perserkriege,  als  die  Nation  den  schönen  Traum  der  Jugend 
schon  hinter  sich  hatte  und  bereits  in  das  denkende  Mannesalter  einge- 
treten war,  entwickelten  sich  die  Anfänge  der  Prosa,  die,  losgelöst  von  dem 
sinnlichen  Reize  des  Metrums  und  der  Bildersprache,  sich  von  vornherein 
an  den  Verstand  wendete  und  zu  ihrer  Portpflanzung  die  Fixierung  durch 
die  Schrift  erheischte.  Und  von  der  Poesie  selbst  hinwiederum  entwickelte 
sich  zuerst  das  Epos,  wie  auch  der  Mensch  in  seiner  Kindheit  zuerst 
Märchen  und  Erzählungen  liebt.  Es  folgten  sodann  die  verschiedenen  Arten 
der  Lyrik,  die  von  der  reizvoll  entfalteten  Aussenwelt  in  die  Tiefe  der 
inneren  Empfindungen  und  Betrachtungen  hinabstieg  und  zum  Ausdruck 
mannigfacher  Gefühle  auch  einer  kunstvoller  verschlungenen  Form  bedurfte. 
Und  erst  als  das  Epos  und  die  Lyrik  ihren  Höhepunkt  bereits  überstiegen 
hatten,  folgte  das  Drama,  das  jene  beiden  Elemente  in  sich  aufnahm  und 
die  alten  Mythen  in  einer  neuen,  dem  attischen  Geiste  mehr  entspre- 
chenden Form  gleichsam  wiedergebar.  Innerhalb  der  Prosa  ist  die  Reihen- 
folge nicht  eine  gleich  regelmässige;  doch  bleibt  es  immerhin  bezeichnend, 
dass  die  ersten  Denkmäler  der  Prosa  der  dem  Epos  entsprechenden  Historie 
angehören,  und  dass  die  Rhetorik  später  als  die  Historie  und  Philosophie 
zur  Entfaltung  kam.  So  empfiehlt  sich  also  für  die  klassische  Periode 
der  griechischen  Litteratur  unbedingt  die  Darstellung  nach  Litteratur- 
gattungen, die  nach  dem  Gesagten  ungesucht  auch  die  richtige  zeitliche 
Ordnung  im  Gefolge  hat.  —  Minder  günstig  stellen  sich  die  Verhältnisse 
fär  die  Zeit  nach  Alexander.  Hier  ist  von  jener  natürlichen  Folge  ohnehin 
keine  Rede  mehr,  da  ja  in  Alexandria  der  Kreislauf  der  Litteratur  nicht 
wieder  von  neuem  begann.    Aber  auch  die  Arten  scheiden  sich  nicht  mehr 

*)  hl  dieser  Beziehung  hat  die  griechi-  1  der  indischen,  deren  Analogie  wir  noch  öfter 
sehe  litteratur  die  grOeete  Aehnlichkeit  mit  |  anziehen  werden. 


Qrieohisohe  LitteratnrgeBohiohte.    Einleitimg. 


in  gleich  scharfen  Linien  von  einander.  Apollonios  und  EallimachoB  schreiben 
als  Gelehrte  in  Prosa,  verzichten  aber  dabei  nicht  auf  den  Ruhm,  als 
Dichter  von  Elegien  und  Epen  zu  glänzen;  Plutarch  zeigt  zwar  keine  dich- 
terische Ader,  aber  in  der  Prosa  tritt  er  zugleich  als  Historiker,  Philosoph 
und  Rhetor  auf.  Hier  werden  wir  also  Modifikationen  anbringen  und  die 
Gleichzeitigkeit  mehr  berücksichtigen  müssen.  Wie?  Das  wird  sich  später 
passender  erörtern  lassen.  Ohnehin  werden  wir  nicht  dem  System  zu  lieb 
uns  dem  Vorwurfe  praktischer  Unzweckmässigkeit  aussetzen.  Wir  werden 
also  z.  B.  den  Xenophon  an  nur  einer  Stelle  behandeln,  wiewohl  er 
historische  und  philosophische  Schriften  geschrieben  hat,  und  werden 
die  Dichter  der  neueren  Komödie  nicht  von  einander  trennen,  wiewohl 
die  Blüte  mehrerer,  ja  der  meisten  derselben,  in  die  Zeit  nach  Alexanders 
Tod  fällt. 

7.  Die  litterarhistorischen  Studien  im  Altertum.  Die  Studien 
zur  griechischen  Litteraturgeschichte  reichen  bis  in  das  Altertum  selbst 
zurück.  1)  Sie  waren  zunächst  biographischer  Natur,  indem  man  über  die 
Abkunft  {ysvog)  und  das  Leben  (ßiog)  der  grossen  Dichter  und  Autoren 
Bestimmteres  zu  ermitteln  suchte.  Schon  aus  dem  5.  Jahrhundert  v.  Chr.  wird 
uns  eine  Schrift  des  Stesimbrotos  über  das  yävog  'Ofn]Qov  genannt  und 
hören  wir  von  den  litterarhistorischen  Versuchen  des  Qlaukon  von  Rhegion 
n€Qi  Twv  uQxamv  noirjTwv  xal  fiovaixSv  und  des  Damastes  negi  noirjfcmv 
xai  aoifiaxmv.  Lebhafter  ward  das  Interesse  für  biographische  Unter- 
suchungen in  der  Zeit  nach  Alexander.  Auch  hier  gab,  wie  auf  so  vielen 
anderen  Gebieten,  Aristoteles  die  Anregung  und  ihm  zur  Seite  der  geistes- 
verwandte Schüler  Piatons,  Herakleides  Pontikos.  Die  Peripatetiker  De- 
metrios  von  Phaleron,  Aristoxenos,  Phanias,  Praxiphanes,  Chamaileon, 
Satyros  traten  in  die  Fusstapfen  ihres  grossen  Meisters.  Aus  den  Hallen 
der  Philosophenschulen  verpflanzte  sich  dann  die  Neigung  für  derartige 
Studien  auf  die  grammatischen  Schulen  in  Alexandria  und  Pergamon: 
Antigenes  der  Karystier,  die  Kallimacheer  Hermippos  und  Istros  sind  hier 
die  Hauptvertreter  der  biographischen  Forschung  geworden.  Was  von 
diesen  Philosophen  und  Gelehrten  über  das  Leben  der  hervorragenden 
Dichter  und  Philosophefl  erforscht  oder  erfabelt  worden  war,  ging  mit 
Neuem  vermehrt  teils  in  die  den  Ausgaben  der  Autoren  vorausgeschickten 
Abrisse  neQl  rov  yävovg  xal  ßiov,  teils  in  die  grossen  zusammenfassenden 
Werke  eines  Demetrios  Magnes,  Hermippos  Berytios,  Herennios  Philon, 
Alius  Dionysius,  Hesychios  Milesios  über.  Auf  uns  gekommen  sind  ausser 
den  zerstreuten  biographischen  Notizen  der  Scholien  und  den  Spezialwerken 
des  Diogenes  und  Plutarch  über  die  Philosophen  und  Redner  das  grosse 
Lexikon  des  Suidas  (10.  Jahrhundert)*)  und  die  Chronika  desEusebius.»)  Wir 
würden  uns  den  Zugang  zu  unserer  eigentlichen  Aufgabe  übermässig  er- 
schweren, wollten  wir  gleich  hier  auf  die  einzelnen  Namen  und  Schriften 


^)  EoEPKB,  Quid  et  qua  ratione  iam 
Graeci  ad  litteranun  histoiiam  condendam 
elaboraverint,  Berol.  1845. 

')  Die  litterarhistorisclieii  Artikel  des 
Suidas  aasgezogen  nnd  bearbeitet  von  Flach, 


Hesycliii  Müesii  Onomatologi  relL,  Lips.  1882. 
')  Eusebii  Chronica  ed.  Schöne,  Berol. 
1875.  Dazu  aus  älterer  Zeit  (Ol.  129)  Chro- 
nicon  Parium  (parische  Marmorchronik),  neu- 
bearbeitet  von  Flach,  Tüb.  1884. 


Begriff  nnd  Gliederung  der  Litteratiirgeeohiohte. 


7-8.) 


80  eingehen,  wie  es  eine  kritische  Beleuchtung  der  biographischen  Studien 
des  Altertums  verlangte.  Daher  genüge  hier  die  allgemeine  Bemerkung, 
dass  schon  von  den  Peripatetikern  und  Alexandrinern  die  wenigen  sicheren 
Notizen  über  das  Leben  grosser  Männer  mit  einer  Fülle  wunderreicher 
Fiktionen  und  Anekdoten  versetzt  wurden,  und  dass  die  chronologischen 
Angaben  aus  der  älteren  Zeit  meist  auf  fingierten  Stammtafeln  und  syn- 
chronistischen Kombinationen  beruhen,  so  dass  viele  der  auf  ein  bestimmtes 
Jahr  lautenden  Angaben  sich,  auf  ihre  Quelle  zurückgeführt,  in  eine  vage 
Allgemeinheit  verflüchtigen,  i) 

Zu  den  biographischen  Forschungen  gesellten  sich  in  der  alexandri- 
nischen  Periode  repertorienmässige  Aufzeichnungen  (ävayQaipat)  der  Schriften 
der  Autoren.  Schon  bald  nach  Gründung  der  Bibliothek  in  Alexandrien 
verfasste  der  gelehrte  Bibliothekar  Eallimachos  Verzeichnisse  {mvaxeg)  der 
Autoren  und  ihrer  Schriften  mit  genauen  Angaben  des  Titels  und  der 
Zeilenzahl  der  einzelnen  Bücher.  Später  wurden  ähnliche  Kataloge  auch 
von  der  Bibliothek  in  Pergamon  angelegt  und  veröffentlicht.  An  die  Pi- 
nakes  des  Kallimachos  schlössen  sich  dann  litterarbistorische  Erläuterungen 
des  Aristophanes  von  Byzanz  und  anderer  Gelehrten  an,  welche  zur  Auf- 
stellung von  Verzeichnissen  der  Schriften  in  den  einzelnen  Sparten  und 
im  weiteren  Verlauf  zur  Festsetzung  eines  Kanon  mustergiltiger  Autoren 
führten.  Die  daher  stammenden  Charakteristiken  der  hauptsächlichsten 
Autoren  sind  durch  Quintilian  Inst.  or.  X  auf  uns  gekommen.  Tiefer  ins 
einzelne  gingen  die  Inhaltsangaben,  {ynod'äaeig)  einzelner  Werke,  nament- 
lich der  Tragiker  und  Komiker,  mit  deren  Abfassung  sich  vornehmlich 
Dikäarch  und  Aristophanes  von  Byzanz  beschäftigten.')  Sind  uns  dieselben 
auch  nur  teilweise  und  in  stark  verstümmelter  Form  erhalten,  so  bilden 
sie  doch  mit  ihren  gelehrten  Notizen  über  die  Abfassungszeit  und  die  be- 
nutzten Mythen  eine  Hauptquelle  unserer  litterarhistorischen  Kenntnisse. 
Endlich  verdanken  wir  noch  mannigfache  Belehrung  über  Werke  der  grie- 
chischen litteratur,  die  uns  nicht  vollständig  erhalten  sind,  den  Exzerpten, 
welche  gegen  Ende  des  Altertums  und  im  byzantinischen  Mittelalter  ge- 
lehrte Männer  veranstalteten.  Dahin  gehören  die  Chrestomathie  des  Pro- 
klos, die  Anthologie  des  Stobaios,  die  Bibliothek  des  Patriarchen  Photios 
und  die  historischen  Exzerpte  des  Kaisers  Konstantinos  Porphyrogennetos. 

8.  Die  neueren  Werke  über  griechische  Litteratur.  In  der 
neuen  Zeit  nach  dem  Wiederaufleben  des  klassischen  Altertums  hatte  man 
anfangs  die  Hände  so  vollauf  zu  thun  mit  der  Herausgabe,  Verbesserung, 
Übersetzung  der  griechischen  Schriftsteller,  dass  man  zu  einer  systemati- 
schen Darstellung  der  griechischen  Litteraturgeschichte  wenig  Zeit  fand. 
Das  oft  aufgelegte  Büchlein  von  Gyraldus,  De  historia  poetarum  tam 


^)  Die  richtige  Schfitzimg  der  alten  Nach- 
richten ist  in  unserer  Zeit  besonders  klar^- 
stellt  und  zur  Berichtigung  der  herkömmlichen 
Nachrichten  verwertet  von  Erw.  Robde  in 
verschiedenen,  später  anzuf&hrenden  Auf- 
sttten  des  Rhein.  Mus.;  schon  zuvor  wurden 
^  Angaben  der  Alten  auf  ihren  richtigen 


Wert  zurttckgefOhrt  von  Lbhrs,  Wahrheit  und 
Dichtung  in  der  griechischen  litteraturge- 
schichte, in  Pop.  Aufs.  2.  Aufl.  Leipz.  1875. 
')  SoHNBiDEWii?,  De  hjpothesibus  tra- 
goediarum  graec.  Aristophani  Byzantio  vin- 
dicandis,  in  Abhdl.  d.  Gott.  Ges.  VI  3—37; 
vgl.  WiLAHOwiTZ,  Eur.  Herakl.  I  145  f. 


Griechische  Litteratargeachiohie.    Einleitung. 


graecorum  quam  latinorum  dialogus  (1545)  ging  nicht  viel  über  eine  Zu- 
sammenstellung der  biographischen  Überlieferungen  des  Altertums  hinaus. 
Von  selbständigerer  Bedeutung  waren  die  Einzeluntersuchungen  von  G.  J. 
Voss,  De  historicis  graecis  (1624) i)  und  von  Ruhnken,  Historia  critica 
oratorum  graecorum  (1768).*)  Den  Versuch,  das  weitschichtige  Material 
zur  griechischen  Litteraturgeschichte  mit  Einschluss  der  Kirchenväter  und 
Byzantiner  zu  einem  grossen  Sammelwerk  zu  vereinigen,  machte  im  vorigen 
Jahrhundert  Fabricius  in  seiner  Bibliotheca  graeca.  .Wertvolle  Beiträge 
lieferten  um  dieselbe  Zeit  die  Zweibrücker  Ausgaben  (Bipontinae),  indem 
in  denselben  den  Texten  der  Autoren  die  Nachrichten  (testimonia)  über 
die  betreffenden  Werke  und  eingehende  Lebensbeschreibungen  (vitae)  voraus- 
geschickt wurden.  Die  methodische  Behandlung  der  Litteraturgeschichte 
datiert  von  Fr.  A.  Wolf,  der  hier  wie  in  anderen  Disziplinen  der  Philo- 
logie die  bloss  stoffliche  Anhäufung  verschmähend,  auf  systematische  An- 
ordnung und  organische  Entwicklung  drang.  Seine  in  Halle  gehaltenen 
Vorlesungen  über  die  Geschichte  der  griechischen  Litteratur  wurden  erst 
nach  seinem  Tod  von  Gürtler  (1831)  herausgegeben.  Auf  seinen  Schultern 
steht  Bernhardy,  der  in  seinem  leider  unvollendet  gebliebenen  Grundriss 
der  griechischen  Litteratur  mit  reicher  Gelehrsamkeit  die  Fächer  ausfüllte, 
zu  denen  Wolf  die  Lineamente  gezogen  hatte.  Unvollendet  blieben  auch 
die  Werke  der  beiden  Männer,  welche  neben  Bernhardy  sich  das  meiste 
Verdienst  um  unsere  Wissenschaft  erworben  haben  und  jenen  an  lebens- 
voller Frische  der  Auffassung  weit  übertreffen,  Otfr.  Müller  und  Th. 
Bergk.  Mehr  aber  noch  zur  Förderung  der  Sache  trugen  die  Untersuchungen 
über  einzelne  Zweige  der  griechischen  Litteratur  bei.  Allen  voran  leuchten 
in  dieser  Richtung  drei  Männer,  Fr.  Jakobs,  der  im  13.  Bande  seiner 
Ausgabe  der  griechischen  Anthologie  und  in  den  Nachträgen  zu  Sulzers 
Theorie  der  schönen  Wissenschaften  den  Weg  gelehrter  und  geschmack- 
voller Behandlung  litterarhistorischer  Fragen  wies,  Aug.  Meineke,  dessen 
unvergleichliche  Sorgfalt  in  der  Sammlung  und  Ordnung  der  Fragmente, 
namentlich  der  Komiker,  die  Lücken  der  erhaltenen  Litteratur  glücklich 
überbrückte,  und  Fried r.  Gottl.  Welcker,  der  vornehmlich  durch  seine 
Werke  über  den  epischen  Cyclus  und  die  griechischen  Tragödien  neue 
Bahnen  unserer  Wissenschaft  brach  und  das  Band  zwischen  Litteratur 
und  Kunst  neu  knüpfte. 

Fabricii,  Bibliotheca  graeca  sive  notitia  vetenun  scriptoram  graecorum,  Hamburg 
1705—28,  14  Bde.  4.,  ed.  IV  von  Habless,  Hamb.  1790—1810,  12  Bde.  4.  -  Bernhardt, 
Grandrifls  der  griech.  Litt.,  1.  TeU  Imiere  Gesch.,  2.  Teü  in  2  AbteU.  Gesch.  der  griech. 
Litt  (nur  die  Poesie  enthaltend),  Halle  I«  1876,  <^  besorgt  von  Yolkmann  1892,  H*  1880. 
—  0.  MüLLBR,  Gesch.  d.  griech.  litt,  bis  auf  das  Zeitalter  Alexanders,  Breslau  1841,  2  Bde., 
neubearbeitet  von  Heitz  mit  Fortsetzung,  4.  Aufl.  1882—4;  in  England  wurde  das  Werk 
fortgeführt  bis  auf  die  Einnahme  Eonstantinopels  durch  die  Türken  von  Donaldson,  Lond. 
1858,  2  Bde.  —  Fr.  Scholl,  Histoire  de  la  littärature  grecque,  Paris  1813,  deutsch  be- 
arbeitet von  Schwarze  und  Pivdbr,  Berlin  1828—80,  3  Bde.  —  Berok,  Griech.  Litteratur- 
geschichte, 1.  Band  vom  Verf.  selbst  besorgt,  Berlin  1872,  die  8  folgenden  Bände  aus  den 
Papieren  Bergks  herausgegeben  von  HnmiCHS  und  Peppmüller  1888—7,  umfasst  nur  Enos, 
Lyrik,  Drama  bis  Euripides,  Anfänge  der  Prosa.  —  Nicolai,  Geschichte  der  griechiscnen 


*)  Neubearbeitet  von  Wbstermank,  lips. 
1838,  womach  wir  citieren. 

')  Erschienen  als  Einleitung  zur  Ausgabe 


des  lateinischen  Rhetors  RutOius  Lupus,  auf- 
genommen in  Ruhnkenii  Opnsc.  I  810—92. 


Begriir  imd  Qliedemng  der  Litteratnrgesohiohte.    (§  8.)  9 

Litieratiir,  neue  Bearbeiiimg,  Magdeburg  1873,  8  Bftnde  mifc  Einachlass  der  byzantinisclien 
Litt,  Auszug  in  1  Bd.  1883.  —  Sittl,  Geschichte  der  griechischen  Litt,  bis  auf  Alexander 
d.  Gr.,  Mlinchen  1887,  3  Bde.  —  Mure,  Histonr  of  lang,  and  litt,  of  ancient  Greece,  London 
1857,  2.  Aufl.  1860  5  toI.  nur  bis  Alezander  ohne  Drama  und  Redner.  —  Mahafft,  History 
of  classical  greek  literature,  London  1883 — 95,  2  vol.  in  je  2  Teilen.  —  Croibet  Alfr.  et 
Maüb.,  Histoire  de  la  litt,  grecque,  Paris,  im  Erscheinen  seit  1887. 

Kompendien:  Passow,  Grundzttge  d.  griech.  n.  röm.  Litteraturgesch.  u.  Eunstgesch., 
2.  Aufl.,  Breslau  1829.  —  Münk,  Gesch.  der  griech.  Litt  mit  vielen  Auszügen  in  Ueber- 
setzung,  3.  Aufl.  besorgt  von  Yolkjiann,  Berlin  1880,  2  Bde.  —  Bbrgk,  Griech.  Litteratur, 
Abriss  in  Ersch  und  Grubers  Encykl.  1863.  —  Kopp,  Gesch.  der  gr.  Litt.  (fOr  Gymnasiasten), 
4.  Aufl.  besorgt  von  Hubert,  Berlin  1886,  5.  Aufl.  besorgt  von  G.  J.  Müller  1893.  ~ 
Mahlt,  Gesch.  der  antiken  Litteratur,  Leipz.  1880,  2  Bde.,  ^  weitere  Kreise  der  Ge- 
bildeten bestimmt.  —  Bender,  Gesch.  d.  giiech.  Litt,  bis  auf  die  Zeit  des  Ptolem&er,  1886 
in  der  bei  Friedrich  in  Leipzig  erscheinenden  Gesch.  d.  Weltlitteratur,  ohne  gelehrtes  Bei- 
werk. —  Sitzler,  Abriss  der  griech.  Litteraturgeschichte,  Leipzig,  1.  Bd.  1890.  —  Krokbr, 
Geschichte  der  griechischen  Litteratur,  Leipzig  1895.  —  Haberlin,  Jahresbericht  ttber  die 
Geschichte  der  griechischen  litteratur  fOr  1879—1893,  in  Jahresbericht  über  die  Fortschritte 
der  klass.  Altertumswissenschaft,  Heft  85. 

Hilfsmittel:  Westrbmann,  Bio^phi  graeci  seu  vitarum  scriptores  graec.  min.,  Brunsv. 
1845.  —  Clinton,  Fasti  hellenici  civiles  et  litterarias  Graecorum  res  ab  ol.  45  ad  ol.  124 
ezplicantes,  ex  altera  anglici  exemplaris  edit  conversi  a  Krüegbro,  Lips.  1830.  —  Engbl- 
XANN,  Bibliotheca  scriptorum  classicorum,  8.  Aufl.,  Leipzig  1880,  die  in  Deutschland  seit 
1700  erschienenen  Bttcher  und  Abhandlungen  umfassend.  —  Hoffmann,  Lezicon  bibliographicum, 
Lips.  1832,  3  vol.,  umfasst  auch  die  Altere  und  die  ausserhalb  Deutschlands  erschienene 
Litteratur.  —  HObneb,  Bibliographie  der  Gesch.  u.  Encykl.  d.  klass.  Phil.,  2.  Aufl.  Berl.  1889.^ 
—  Bibliotheca  philol.  classica,  m  Jahrb.  f&r  Phil,  und  seit  1877  als  Anhang  zu  Bursian- 
Müller,  Jahresbericht  der  Fortschritte  der  klass.  Altertumswissenschaft.  —  Paüly,  Real- 
encyklopftdie  der  klass.  Altertumswissensch.,  Stuttg.  1839—52,  6  Bde.;  1.  Bd.  neubearbeitet 
unter  der  Redaktion  von  Teüffel.  Das  ganze  Werk  in  neuer  Bearbeitung  unter  der  Re- 
daktion von  WissowA  im  Erscheinen. 

Ein  Quellenbuch  zur  griech.  Litteraturgeschichte,  das  ausser  den  in  den  Schollen 
erhaltenen  ßioi  und  vno&^csig  die  litterarischen  Artikel  des  Suidas,  Eusebius  und  der  pa- 
rischen Chronik,  femer  die  Kanones  der  Alexandriner  und  die  litterarischen  Inschriften  ent- 
halte, gehört  noch  zu  den  frommen  Wünschen  der  Philologen  und  Litteraturfreunde. 


Erste  Abteilung. 

Klassische  Periode  der  griechischen  Litteratur. 

I.  Poesie. 

A.   Epos. 
1.  Elemente  und  Vorstufen  der  griechischen  Poesie. 

9.  Die  griechische  Sprache.  Der  Tempel  der  Gottheit  erhebt 
sich  auf  der  Grundlage  eines  Fundamentes;  auch  der  Tempel  der  Litteratur 
hat  ein  solches,  Jahrhunderte  vor  seinem  Aufbau  gelegtes  Fundament,  das 
ist  die  Sprache.  Wir  müssen  daher  auch  in  der  griechischen  Litteratur- 
geschichte  zuerst  der  griechischen  Sprache  oder  der  Form,  in  der  die 
Dichter  und  Schriftsteller  des  Hellenenvolkes  ihre  Ideen  niederlegten, 
unsere  Betrachtung  zuwenden. 

Indogermanische  Elemente.  Es  gilt  heutzutag  als  eine  allge- 
mein anerkannte  Wahrheit,  dass  die  Griechen  mit  Unrecht  sich  Kinder 
ihres  Landes  {avroxv^ovsg)  nannten,  dass  sie  vielmehr  als  Zweig  des 
indogermanischen  Stammes  in  grauer  Vorzeit  durch  die  nördliche  Balkan- 
halbinsel in  ihre  späteren  Sitze  eingewandert  waren  und  aus  ihrer  alten 
Heimat  in  Asien  oder  Osteuropa  eine  reich  ausgebildete  Sprache  und 
eine  vielgegliederte,  aus  der  Vergöttlichung  der  Naturkräfte  entwickelte 
Religion  mitgebracht  hatten,  i)  Und  da  nun  jede  Poesie  in  der  Sprache 
ihr  sinnliches  Organ  pnd  in  dem  religiösen  Volksglauben  ihre  kräftigste 
Wurzel  hat,  so  werden  wir  auch  die  Anfänge  der  griechischen  Poesie  auf 
jenen  indogermanischen  Stamm  zurückzuführen  berechtigt  sein.  Das  will  ich 
aber  nicht  so  genommen  sehen,  als  ob  die  Griechen  aus  Asien  vollständige  Ge- 
sänge oder  auch  nur  ganze  Verse  mitgebracht  hätten;  wenigstens  fehlen 
uns  zu  einer  solchen  Annahme  jedwede  Belege.*)    Wohl  aber   begegnen 

')  üeber  das  Yerh&ltms  des  Griechischen  1  die  Indogermanen  vor  ihrer  Trennmig  emen 
zur  indogermanischen  Grundsprache  und  den  |  Vers,  den  Achtsilber,  und  den  aus  zwei  Acht- 
Sprachen  der  benachbarten  Völker  Europas  '.  silbern  bestehenden  Doppelvera  ausgebildet 
und  Eleinasiens  nach  dem  jetzigen  Stand  der  i  hatten,  yertritt  Westphal,  Zur  ältesten  Me- 
Forschung:   Ebetschmab,    Einleitung  in   die  |  trik   der   indogermanischen   Völker,    KZ.   9, 


Geschichte   der   griech.  Sprache,    Göttingen 
1896. 

')  Die  entgegengesetzte  Meinung,  dass 


487  ff.,  und  in  seinem  letzten  Werk,   Allge- 
meine Metrik,  Berlin  1893. 


A.  Bpos.    1.  Elemente  nnd  Yorstafen  der  grieohisohen  Poeaie.    (§  9.)        H 


ODS  in  der  ältesten  Poesie  der  Griechen  poetische  Worte  und  Wortver- 
bindungen, die  in  den  ältesten  Liedern  der  Inder,  den  Yeden,  wiederkehren 
und  die  wir  deshalb  als  ein  altes,  gemeinsames  Erbe  beider  Völker  be- 
trachten dürfen.  Dahin  rechnen  wir  in  erster  Linie  eine  Reihe  von  Götter- 
namen,  wie  Zev  nareg  =  skt.  dyaus  püar  =  lat.  Juppiter,  Jicivrj  =  lat. 
Diana  aus  ursprünglichem  diväna  =  die  Leuchtende,  Ovqavog  =  skt.  Va- 
runas,  der  Umfasser,  *H(6g  *=  skt.  t^äs  =  lat.  Aurora,  die  Brennende  oder 
Leuchtende,  "Hhog  =  skt.  süryas  (aus  svaryas)  =  lat.  Sol,  Kqovog  =  skt. 
hranas,  vgl.  ital.  Cerus,  der  Vollbringer,  XaQivsg  =  skt.  harita^,  die 
strahlenden  Sonnenrosse,  i)  IlQOfArj^evg  =  skt.  pramanthasj  der  feuerbe- 
reitende Reiber,  T\&wv6g  =  skt.  didhj/anas,  der  Flammende,  vielleicht 
auch  x^eog  =  skt.  dSvas  =  lat.  deus,  der  Leuchtende.  In  den  gleichen 
Bereich  religiöser  Anschauungen  gehören  die  hochpoetischen  Wörter 
aßßQoafa  =  skt.  amrtam,  Speise  der  Unsterblichkeit,  neben  ßgorog  =  skt. 
mrtas,  sterblich,  nort'ta  =  skt.  patnT,  Herrin,  ayiog  =  skt.  yagya^,  der 
zu  verehrende,  iqeßog  =  skt.  ragas  =  got.  riquis,  Finsternis,  diog  =  lat. 
diu8  =  skt.  deivyas,  hinmilisch,  Soqtij  und  ßqäxctg  verwandt  mit  skt.  vratam^ 
Gelübde,  Verehrung.  Mehr  in  das  Gfebiet  der  Stäatenbildung  schlagen  ein 
nohg  =  skt.  pwm,  Stadt,  deancTTjg  =  skt.  gaspaiis,  Geschlechtsherr, 
xv^og  =  skt.  Miras,  starker  Held.  Dazu  kommen  dann  Wörter,  welche 
von  der  Anrufung  der  Götter  zur  Verkündigung  des  Ruhmes  der  Helden 
hinüberführen.  In  diesem  Sinne  sind  namentlich  mehrere  Bildungen  der 
sonst  auf  griechischem  Boden  fast  ganz  abgestorbenen  Wurzel  kru  „hören" 
zu  fassen,  wie  xlv&i  =  skt.  srudhi,  xXvzpg  =  skt.  srutds  =  lat.  inclutus, 
xXäfog  =  skt.  sravas,^)  xXäog  a(p&iTov  =  skt.  sravas  ak§itam.  Andere  den 
Griechen  selbst  nicht  mehr  recht  verständliche  Wörter  Homers  erhalten 
Licht  aus  Namen  und  Wortverbindungen  der  verwandten  Sprachen:  zum 
homerischen  doTrjgeg  eäcov  stellt  sich  das  vedische  datäras  vasünäm,  Geber 
von  Schätzen,  das  Beiwort  TQitoyeveia  enthält  als  erstes  Element  den 
Gott  Tritas  der  Inder  und  Thraetaonö  der  alten  Baktrer,  wxsavog  ist  nach 
Ad.  Kuhn's  geistvoller  Deutung  (K.  Z.  IX  240)  ursprünglich  der  die  Erde 
gleich  einer  Schlange  umgebende  Strom.  Endlich  weisen  auch  einige  direkt 
die  Poesie  berührende  Wörter  auf  altarischen  Ursprung  hin:  nachdem  es 
geglückt  ist,  für  das  lat.  Casmma  das  Urbild  im  vedischen  gasman  „Anruf, 
Lob''  zu  finden,  wird  es  auch  nicht  zu  gewagt  sein,  vfivog  zu  vedisch 
sumnam  „freudevolle  Gtötteranrufung"  zu  stellen,*)  und  fiavtig,  sowie  das 
verwandte  Moiaa  (aus  montja)  mit  skt.  mantram  „Spruch"  in  Verbindung 
zu  bringen.*) 


')  Diese  von  Max  Müller  herrühreDde 
GleichstelluDg  kann  als  yollkommen  ge- 
aehert  gelten,  nur  muss  man  dabei  beachten, 
dass  haritas  nicht  zunftchst  Sonnenrosse, 
sondern  Glänzende  bezeichnet;  die  Bedeutung 
«Dank*  von  x^9^  ^uid  gratia  ist  natürlich 
eine  abgeleitete  und  somit  spätere. 

')  Zorn  Helden^esang  fOhrt  hinüber  der 
Ausdruck  «€/«f€  iT  a^a  xXia  ayJ^tSy  I  189, 
▼gl.  *  73  u.  Hes.  Theog.  99. 

')   Von    den    einheimischen    Gelehrten 


wird  das  vedische  sumnam  (wahrscheinlich 
aus  aumanam)  als  Wort  für  Glück  erklärt; 
Benfey  im  Glossar  zum  Sama-Veda  gibt  ihm 
die  Bedeutung  Hynmus,  Roth  im  Peters- 
burger Wörterbuch  die  von  Andacht,  Gebet. 
FicK,  Wörterb.  der  indogerm.  Sprachen  I* 
230  gibt  die  Zusammenstellung  von  skt. 
sumnam  u.  griech.  vfÄt/og^  aber  mit  dem  Zu- 
satz „zweifelhaft". 

*)  Vielleicht  hängt  auch  vedisch  Stomas 
(Loblied)    und    stötä  (Lobsänger)    mit   dem 


12 


Grieohisohe  Litteratnrgeschiohte.    L  Elassisohe  Periode. 


Aus  der  Fremde  hat  die  Sprache  der  Griechen  nur  ausserordent- 
lich wenig  aufgenommen;  haben  sich  die  Hellenen  schon  in  der  Entwick- 
lung ihrer  Kultur  rasch  von  den  Einflüssen  der  älteren  Kulturvölker  Asiens 
und  Ägyptens  emanzipiert,  so  haben  sie  noch  mehr  darauf  gesehen,  ihre 
schöne  Sprache  von  dem  Misslaut  fremder,  barbarischer  Wörter  rein  zu 
erhalten.^)  Was  sie  von  den  Kai*em  und  Lykiern  entlehnten,  lässt  sich 
bei  der  mangelhaften  Kenntnis,  die  wir  von  der  Sprache  jener  Völker 
haben,  nicht  mehr  festsetzen;  über  einige  Götternamen,  wie  ^rjTci,  AijSa, 
'AnoXXiüv^  wird  die  Entlehnung  kaum  viel  hinausgegangen  sein.  Mehr  ent- 
nahmen sie  der  Sprache  jenes  Volkes,  das  ihnen  vorzugsweise  die  Kultur 
Ägyptens  und  Innerasiens  vermittelte,  der  der  seefahrenden  Phönikier. 
Nicht  bloss  die  Eigennamen  MehxtQTtjg,  2d/iog^  Maqad^wv  stammen  aus 
Phönikien,  auch  die  Appellativnamen  SäXrog,  ßvßKov^  xddog^  ^dxmqcc^  /i^- 
yaQov^  XiTciv^  dqqaßmv^  dQaxfi^j  liva^  nalkaxig,  (fVQty^,  xivvqa^  vielleicht 
auch  ohog^  vs'xzaQ,  XQ^^^^j  iXbfpag^  oi^ovtj^  YQ^^  waren  zugleich  mit  der  Sache 
durch  die  Phönikier  den  Griechen  übermittelt  worden.*)  Aber  auch  diese 
fremden  Sprachelemente  mussten  es  sich  ebenso  wie  die  aus  der  Fremde 
überkommenen  Kunstformen  gefallen  lassen,  mit  griechischem  Stempel  ver- 
sehen und  nach  der  Analogie  vaterländischer  Wörter  umgemodelt  zu  werden. 
Bedeutsamer  als  die  sprachlichen  Bereicherungen  waren  die  neuen  Ideen, 
namentlich  die  religiösen,  welche  die  Griechen  in  den  älteren  Zeiten  von 
den  .fremden  Völkern  entlehnten.  Nur  ein  Teil  der  Götter  des  griechi- 
schen Olymp  war  altgriechischen  Ursprungs,  die  Mehrzahl  derselben  war 
fremder  Herkunft.  Namentlich  ^die  Anfänge  des  Qötterkultus  waren  den 
Griechen  aus  den  Religionen  Kyperns,  Asiens,  Ägyptens  durch  den  Ver- 
kehr mit  fremden  Kaufleuten  und  Priestern  übermittelt  worden,  indem 
sie  dieselben  teils  direkt  aus  der  Fremde  herübemahmen,  teils  aus  den 
bei  ihnen  importierten  Bildern  auf  Ringen  und  Goldplättchen  in  selb- 
ständiger Weise  entwickelten.  Aber  auf  dieses  dunkle,  durch  die  Ent- 
deckung der  mykenischen  Kultur  nur  teilweise  aufgehellte  Gebiet  näher 
einzugehen,  können  wir  uns  um  so  eher  ersparen,  als  die  bezüglichen 
Fragen  mehr  die  Mythologie  und  Archäologie  als  die  Litteraturgeschichte 
angehen. 

10.  Dialekte  des  Griechischen.  Jener  Zweig  des  indogermani- 
schen Vdksstammes,  der  sich  später  den  gemeinsamen  Namen  Hellenen 
gab,«)  setzte  sich,  in  verschiedene  Stämme  geteilt,  viele  Jahrhunderte  vor 


faomerisclien  <Tt€vtai  Medium  zu  altind.  stöti, 
er  rühmt,  zusammen.  Wahrscheinlich  ist 
auch  xotis  (altgr.  xo/ftje)  und  &vo<ix6og  mit 
skt  kavis  (Seher,  weiser  S&nger),  lat  catUus 
verwandt. 

^)  Der  ßaQßa^tfffiof  oder  der  anstössige 
Laut  lallender  Barbaren,  im  Gegensatz  zu 
iXXrjyta/uo^,  galt  in  der  Sprachlehre  der  Grie- 
chen als  Fehler,  vor  dem  zu  allen  Zeiten  die 
Grammatiker  eindringlich  warnten. 

')  A.  Müller,  Semitische  Lehnwörter 
des  Griech.,  in  Bezzenbergers  Beitr.  I  273  ff.; 
Lewy,  Die  semitischen  Fremdwörter  im  Grie- 


chischen, Berlin  1895;  Müss-Abnoldt,  On 
semitic  words  in  Greek  and  Latin,  in  Trans- 
actions  of  the  American  Philol,  Association 
XXni  (1892)  35-156. 

')  Jlay/XXtjysg  kommt  zuerst  im  Schiff- 
katalog B  530  und  bei  Hesiod  Op.  528  vor. 
Ueber  die  spätere  Ausdehnung  des  Namens 
'"EXXrjyef,  der  anfangs  nur  einem  kleinen 
Stamm  Thessaliens  zukam,  ist  die  Haupi- 
stelle Thuk.  1  3,  wozu  Homerscholien  bei 
Lehrs,  Aristarch  p.233  kommen.  Vgl.  Wila.- 
MOwiTz,  Hellas  vor  der  Völkerwanderung, 
in  Euripides  Herakles  I  258  ff. 


A.  Spos.    1.  Elemente  und  Vorstufen  der  grleohisohen  Poesie.    (§  10.)        13 


dem  troisclien  Kriege  in  seinen  europäischen  Sitzen  fest.  Stammesunter- 
schiede  traten  zwar  gewiss  im  Laufe  der  Zeit  infolge  der  lokalen  Tren- 
nung starker  hervor,  aber  die  hauptsächlichsten  waren  doch  schon  bei 
der  ersten  Niederlassung  in  Europa  vorhanden.  Von  Nordgriechenland 
und  Thessalien  aus,  vermutlich  dem  ältesten  gemeinsamen  Sitz,^)  ver- 
breiteten sie  sich  in  verschiedenen  Verstössen  nach  Süden  und  Westen 
über  ganz  Hellas,  von  der  älteren  Bevölkerung  die  fremden  Bestandteile 
aufsaugend,  die  verwandten  sich  angliedernd.  So  gingen  die  alten  Be- 
wohner des  Landes,  die  Pelasger,  Karer  und  LelegjBr,^)  von  denen  sich 
ausser  der  neuerdings  aufgefundenen  Doppelinschrift  der  Insel  Lemnos 
noch  Erinnerungen  in  alten  Berg-  und  Ortsnamen  erhielten,  fast  spurlos 
in  der  neuen  Bevölkerung  der  Hellenen  auf.»)  Von  diesen  gelangte  der 
Stamm  der  Dorier,  welcher  zuletzt  die  Wanderung  nach  Süden  antrat,  in 
den  dauernden  Besitz  des  grössten  Teils  der  Pelopsinsel.  Die  früher  süd- 
wärts vorgedrungenen  und  früher  dort  zu  höherer  Kultur  emporgestie- 
genen Stämme  der  Achäer  und  lonier  mussten,  so  weit  sie  sich  nicht  den 
neuen  Herren  unterwarfen,  teils  neue  Wohnsitze  auf  den  Inseln  und  in 
Eleinasien  aufsuchen,  teils  sich  zu  den  alten  Sitzen  ihrer  Stammesgenossen 
zurückziehen.  Denn  die  lonier  und  Achäer  waren  nicht  insgesamt  nach 
dem  Peloponnes  ausgewandert,  vielmehr  war  ein  grosser  Teil  derselben 
in  den  früher  von  ihnen  okkupierten  Ländern  Mittel-  und  Nordgriechen- 
lands zurückgeblieben.^) 

Die  Sonderung  des  Volkes  der  Hellenen  in  verschiedene  Stämme  ist 
am  deutlichsten  in  den  Dialekten  ihrer  Sprache  ausgeprägt.  Die  alten 
Grammatiker  unterschieden,  indem  sie  wesentlich  nur  die  litterarischen 
Denkmale  in  Betracht  zogen,  4  Dialekte,  den  äolischen,  dorischen,  ioni- 
schen, attischen.    Die  neueren  Forscher  sind,  indem  sie  von  den  sprach- 


^)  Entgegen  dieser  Annahme  hat  E. 
CüBTius,  die  lonier  vor  der  ionischen  Wan- 
derung, 1855,  die  haltlose  Hypothese  aufge- 
stellt, dass  die  lonier  gesondert  von  den 
flbrigen  Hellenen  ans  Eleinasien  Über  die 
losein  nach  den  Kflstenlftndem  der  griechi- 
schen Festlande  gekommen  seien.  Darüber 
B.  PöHLMAinr,  Gnindriss  der  griech.  Gesch. 
2.  Aufl.  S.  10  ff. 

*)  Strab.  p.  661:  ol  Kdgsg  vno  Miyto 
irärrovTo,  rois  AiXeyeg  xaXovfieyot,  xai  Tag 
njcovf  mxovv  fii*  rjneiQwtm  ysyofieyoi  7t oX- 
Xi^y  r^f  TitiQaXitti  xai  rrjg  (jtecoyaiag  xaxicyoy, 
lovg  nffoxarix^yrag  ä(peX6fieyor  xai  ovtoi 
9*  rfluy  ol  TtXBtovg  AiXeyH  xai  TleXaayoij 
TtäUy  Sk  TovTOug  atpeiXoyro  fi^Qog  or'EXXrjyegy 
*lmyig  ib  xai  JtaquTg.  Vgl.  Strab.  p.  221  n. 
321  f. 

')  Die  zwei  auf  einem  Steinblock  der 
ehedem  von  Pelasgem  bewohnten  (Strab. 
D.221)  Insel  Lemnos  i.  J.  1885  gefundenen 
Inschriften  sind  in  griechischer  Schrift  ge- 
schrieben und  gehören,  nach  dem  Schrift- 
cbarakter  zn  schliessen,  dem  7.  Jahrhundert 
an.  Die  Sprache  der  Inschrift  ist  nicht  grie- 
chisch und  zeigt   offenbare  Verwandtschaft 


mit  der  Sprache  der  Etrurier,  welche  ja 
gleichfalls  für  Pelasger  galten.  Pauli,  Eine 
vorgriechische  Inschrift  von  Lemnos,  Alt- 
italische Forachungen  II  1,  1886;  11  2,  1894; 
Deecke,  Die  tyrrhenischen  Inschriften  von 
Lemnos,  Rh.  M.  41  (1886)  460  ff. 

^)  In  Mittelgriechenland  war  Attika  seit 
alters  von  loniem,  die  mit  Pelasgem  zu- 
sammensassen,  bewohnt,  ebenso  ein  Teil  der 
Insel  Enbüa.  Auch  die  Graoi  im  Asoposthal 
sind  als  lonier  durch  eine  Inschrift  aus  dem 
Amphiaraosheiligtum  von  Oropos  erwiesen 
(s.  Wilamowitz  Herm.  21,  98).  lonier  er- 
hielten sich  femer  in  den  Küstengebieten  des 
Peloponnes,  wie  in  Kynuria,  wo  sie  zur 
Amphiktionie  von  Eelaurea  zusammentraten. 
Für  das  Gebiet  um  lolkos  in  Thessalien  ist 
eine  ältere,  voräolische  Bevölkerung  bezeugt 
durch  Pindar  N:  IV  54.  Ob  das  aber  laoner 
waren,  wie  E.  Cürtius,  Die  lonier  vor  der 
ion.  Wanderung,  An.  33  annimmt,  oder  Pe- 
lasger, die  in  Thessalien  wie  in  Attika  den 
jugendkrftftigeren  Stämmen  der  Hellenen 
weichen  mussten  (Schol.  Hom.  B  591),  steht 
dahin. 


u 


firieohisohe  LitteraiiirgasohlohU.    t.  KUssisohe  Periode. 


liehen,  am  deutlichsten  in  den  Inschriften  ausgeprägten  Unterschieden 
ausgingen,  zu  wesentlich  anderer  Einteilung  gekommen.^)  Danach  sind 
zunächst  zwei  Oruppen  zu  unterscheiden,')  das  Ionische  und  das  Nicht- 
ionische. »)  Von  dem  Ionischen  zweigte  sich  infolge  lokaler  Trennung  das 
Attische  als  eine  besondere  Mundart  ab>)  In  der  nichtionischen  Gruppe 
reichen  die  Unterschiede  des  Dorischen  (in  Lakonien,  Argos,  Kreta)  und 
Äolischen  (in  Thessalien,  Böotien,  Lesbos)  in  die  älteste  Zeit  hinauf.^) 
Diese  vier  Dialekte,  Ionisch,  Attisch,  Dorisch,  Äolisch  haben  zugleich  im 
Laufe  der  Zeit  hohe  Bedeutung  für  das  litterarische  Leben  Griechenlands 
gewonnen.  Hingegen  ist  nicht  in  die  Litteratur  eingetreten,  zum  grossen 
Teil  schon  vor  Erwachen  des  litterarischen  Strebens  untergegangen  der 
Dialekt  der  Achäer  oder  der  alten  Bewohner  des  Peloponnes,  von  dem 
inschriftliche  Reste  im  Arkadischen  und  Kyprischen  erhalten  sind.  Ebenso 
kennen  wir  nur  aus  Inschriften  und  nur  ganz  mangelhaft  die  lokalen 
Schattierungen  des  Nordwestgriechischen  (in  Phokis,  Akamanien,  Epirus), 
des  Eleischen  und  des  Pamphylischen.^) 

Die  Dialekte  spielten  in  der  griechischen  Litteratur  eine  grössere 
Rolle  wie  in  irgend  einer  andern  der  alten  oder  neuen  Zeit.  Die  scharfe 
Sonderung  der  hellenischen  Stämme  und  die  Eifersucht  der  einzelnen  Staaten 
auf  ihre  Selbständigkeit  brachten  es  mit  sich,  dass  bis  über  die  Zeit  des 
peloponnesischen  Krieges  hinaus  nicht  bloss  die  Privaten  und  Behörden 
sich  in  den  öffentlichen  Urkunden  und  Inschriften  des  einheimischen  Dia- 
lektes bedienten,  sondern  auch  die  Dichter  und  prosaischen  Schriftsteller 
die  Sprache  ihres  speziellen  Stammes  redeten.  So  sind  in  allen  Litteratur- 
gattungen  die  ältesten  Denkmale  nicht  in  der  gemeingriechischen  Sprache, 
sondern  in  irgend  einem  Dialekte  geschrieben.  Auch  als  die  Autoren  von 
der  Mundart  ihrer  Landsleute  abzuweichen  begannen,  gingen  sie  nicht 
gleich  zu  einer  gemeinsamen  Sprache  über,  sondern  hielten  sich  zunächst 


^)  Ahbens,  De  graecse  lingnae  dialectis, 
Gott.  1889—43;  voUständig  neubearbeitet 
von  Meister,  Die  griech.  Dialekte,  noch  un- 
vollendet; 0.  Hoffmann,  Die  griech.  Dia- 
lekte in  ihrem  historischen  Zusammenhang, 
Gott.  1893,  unvollendet;  H.  W.  Smith,  The 
Sounds  and  Inflections  of  the  Greek  Disilects, 
Oxford  1894,  unvollendet;  Gu.  Mbybr,  Griech. 
Gramm.»  p.  XI— XII  u.  S.  6  ff.;  Collitz,  Die 
Verwandtschaft  der  griech.  Dialekte,  Gott. 
1885.  —  Dialektische  Inschriftensammlungen 
von  Collitz,  Sammlung  der  griech.  Dialekt- 
inschriften, Göttingen  1888,  Hauptwerk; 
Gauer,  Delectus  inscriptionum  graecamm 
propter  dialectum  memorabilium,'^ed.  1 1,  Lips. 
1883. 

^)  Schon  im  Altertum  hat  Strabon  p.  333 
die  vier  Dialekte  auf  zwei  reduziert,  indem 
er  die  Atthis  zur  las,  und  die  Doris  zur 
Aiolis  stellte. 

»)  Hauptunterschiede  sind,  dass  das  Io- 
nische massenhaft  altes  ä  in  17  verwandelte, 
das  Digamma  frühzeitig,  sicher  schon  im  7. 
Jahrhundert  aufgab,  zum  Ausdruck  des  dubi- 
tativen  Verhältnisses  «v  statt  xe  verwandte. 


^)  Hauptzeugnis  fttr  die  Stammesver- 
wandtschaft ist  Thukyd.  II  15:  jd  aQ^ato- 
rega  Jiovvcia  tß  ^(adsxäin  noiBirai  iy  fJitjyl 
'Jy&eatTjQUiiyi,  alaneg  xai  ol  an*  '^&i]yaitay 
"lioyeg  sti  xal  yvy  youl^ovaiy. 

^)  Hauptunterschiede  sind,  dass  das 
Aeolische  durchweg  baryton  ist  und  den 
weichen  Hauch  {iplXtaaig)  liebt,  den  alten 
Laut  des  v  =  u  wenigstens  teilweise,  nament- 
lich im  Böotischen,  bewahrte  und  häufig  ein 
0  in  v  (ähnlich  wie  die  Lateiner)  verwan- 
delte. Dazu  kamen  später  die  Unterschiede 
der  Ersatzdehnung  und  Kontraktion,  ver- 
möge derer  äol.  MoTca,  dor.  MnHaa^  ion. 
Movaa  aus  altem  Movtia,  äol.  raig,  dor.-ion. 
Tag  aus  altem  rayq  gegenübertraten. 

^)  Der  elische  Dialekt  ist  stammver- 
wandt dem  von  Nordwestgriechenland,  aus 
welcher  Gegend  die  Aetoler  und  Epeer  in 
Elis  eingewandert  waren.  Das  Famphyliscbe 
erinnert  durch  den  Namen  an  die  dorische 
Tribus  der  IlctfjKpvXoiy  deren  Grundstock  wohl 
die  alten  Bewohner  der  von  den  Doriem 
okkupierten  Länder  bildeten. 


l.Epos.    1  Elemente  und  Vontafen  der  grieohisohen  Poesie.    (§  11—12.) 


15 


an  die  Sprache  und  den  Dialekt  ihres  Vorbildes.  So  entstand  in  Griechen- 
land eine  neue  Art  von  Dialekten,  die  man  die  litterarischen  im  Gegen- 
satz zu  den  lokalen  oder  Stammesdialekten  zu  nennen  pflegt.  Schon  die 
Sprache  Homers  gibt  nicht  rein  die  Formen  und  Wörter  eines  einzelnen 
epichorischen  Dialektes  wieder,  verdient  vielmehr  bereits  den  Namen  eines 
EuDstdialektes,  des  sogenannten  epischen  Dialektes.  Schwer  aber  ist  es 
bei  ihm  und  fast  noch  mehr  bei  den  späteren  Dichtern,  wie  Pindar,  zu 
Dnterscheiden,  wie  viel  sie  aus  der  Mundart  ihrer  Stammesgenossen,  wie 
viel  aus  der  Sprache  ihrer  Vorbilder  herübergenommen  haben. 

11.  Vorzüge  der  griechischen  Sprache.  Die  griechische  Sprache 
überhaupt  hatte  von  vornherein  für  die  Entwicklung  der  Litteratur  ausser- 
gewöhnliche  Vorzüge:  der  Wohllaut  ihrer  Vokale  und  die  Weichheit  ihrer 
Konsonantenverbindungen,  verbunden  mit  der  Freiheit  der  Wortstellung 
machten  sie  zu  einem  vorzüglichen  Instrument  des  musikalischen  Vortrags; 
der  Reichtum  ihrer  Flexionsformen  führte  von  selbst  zum  klaren,  die  ver- 
schiedenen Beziehungen  scharf  scheidenden  Gedankenausdruck;  die  jung- 
fräuliche Reinheit  des  Sprachschatzes  Uess  den  nationalen  Charakter  in 
voller  Starke  hervortreten;  die  Mannigfaltigkeit  der  Mundarten  endlich 
ermöglichte  eine  den  Stilarten  sich  anschmiegende  Modifizierung  der  all- 
gemeinen Sprachmittel.  ^)  Waren  so  in  der  sprachlichen  Form  den  grie- 
chischen Dichtem  und  Rednern  ausgezeichnete  Mittel  für  den  Ausdruck 
ihrer  Gredanken  gegeben,  so  kam  nun  noch  der  reiche  Inhalt  an  mytho- 
logischen und  kulturellen  Ideen  hinzu,  die  teils  schon  in  der  Grundsprache 
der  Griechen  Ausdruck  gefunden  hatten,  teils  durch  Anregungen  von 
Aussen  neu  befruchtet  eine  wachsende  Fülle  von  Vorstellungen  und  Sagen 
erzeugten. 

12.  Die  Schrift.  Neben  der  Sprache  und  den  in  der  Sprache  aus- 
geprägten Ideen  bildete  ein  drittes  Element  der  Litteratur  die  Schrift; 
sie  ist  es,  welche  zumeist  dazu  beiträgt,  den  Schöpfungen  des  Geistes  blei- 
bende Dauer  zu  verleihen.  Die  Griechen  und  Römer  dachten  sich  sogar 
80  sehr  die  Schrift  mit  der  Litteratur  verwachsen,  dass  sie  beide  mit  dem 
gleichen  Wort,  ygafifiaray  lüterae  bezeichneten.  Darin  indes  gingen  die- 
selben zu  weit;  denn  die  Dichter  der  alten  Zeit  hatten  bereits  herrliche 
Werke  der  erzählenden  Dichtung  geschaffen,  ehe  sie  zur  Verbreitung  der- 
selben von  der  Schrift  Gebrauch  machten.  Erst  mit  dem  Anfang  der 
Olympiaden  begann  man  schriftliche  Aufzeichnungen  von  Listen  zu 
machen,  und  erst  im  7.  Jahrhundert  fanden  es  die  Gesetzgeber,  wie  der 
Lokrer  Zaleukos,  für  gut,  schriftlich  fixierte  Gesetze  an  die  Stelle  münd- 
licher Spruch  Weisheit  {^rjzQai)  zu  setzen.*)  Den  Listen  und  Gesetzen  folgten 
die  Bacher  zur  Aufzeichnung  dichterischer  Schöpfungen.  Aber  wenn  wir 
solche  auch  bereits  für  die  Zeit  des  Archilochos  voraussetzen  müssen,»)  so 
hat  doch  auch   später  noch   die  Mehrzahl   der  Griechen  lieber  durch  den 


')  Jacobs,  lieber  einen  Vorzug  der  grie- 
eliiscben  Sprache  in  dem  Gebrauche  ihrer 
Mundarten,  Yermiechte  Schriften  III  375  ff. 

*)  8tnd).  Vi  p.  259:  n^ioi  di  v6/4otg 
^yy^nioif  Xqrjaaa&ai  nenicxBvfjiiyoi  Biüiv  sc. 


ol  AoxQol  ol  'ETiiCefpvQtoi, 

')  Archilochos  fr.  89  erwähnt  bereits  die 
axvtttXrjy  den  um  einen  Stab  gewickelten 
Lederriemen  zum  Behufe  brieflicher  Mit- 
teilung. 


16 


Qrieohisohe  Litteratargeschiohte.    I.  KlaMisohe  Periode. 


Vortrag  von  Rhapsoden  und  den  Gesang  von  Chören  als  durch  das  Lesen 
von  Büchern  die  Werke  der  alten  Dichter  kennen  gelernt.  —  Die  Schrift 
haben  die  Griechen  nicht  selbst  erfunden,  sondern  aus  der  Fremde, 
von  den  Phönikiern  herübergenommen,  und  dieses  zu  einer  Zeit,  als  die- 
selbe bereits  durch  eine  jahrhundertlange  Entwicklung  aus  einer  ursprüng- 
lichen Bilderschrift  zu  einer  Lautschrift  sich  umgestaltet  hatte.  Die  Grie- 
chen waren  sich,  wenn  sie  auch  nebenbei  den  Palamedes  als  Erfinder  der 
Schrift  priesen,  des  fremden  Ursprungs  dieses  wichtigen  litterarischen  Hilfs- 
mittels wohl  bewusst,  indem  sie  die  Buchstaben,  wie  Herodot  5,  58  be- 
zeugt, ^oivixr;ia  ygafifiava  nannten.^)  Die  Zeichen  der  Schrift  müssen 
bereits  im  10.  Jahrhundert  recipiert  worden  sein;^)  der  Gebrauch  der 
Buchstaben  zur  Niederschrift  ganzer  Dichtungen  erfolgte  erst  einige 
Jahrhunderte  später.  Bei  Anfertigung  von  Büchern  gebrauchten  die 
Griechen  ebenso  wie  die  alten  Perser  das  imförmliche  Material  von 
Ziegen-  und  Schafhäuten  {iig>&€Qai).^)  Seit  Psammetich  (656—617)  kam 
infolge  der  zunehmenden  Erleichterung  des  Verkehrs  mit  Ägypten  der 
Bast  der  Papyrusstaude  (ßvßlog)  fast  ausschliesslich  zur  Anfertigung  von 
Rollen  in  Verwendung,  bis  um  200  v.  Chr.,  zunächst  in  Pergamon,  wieder 
das  besser  präparierte  Pergament  dem  Papyrus  Konkurrenz  machte. 
Aus  dem  Abschreiben  von  Büchern  entwickelt  sich  dann  zur  Zeit  des 
peloponnesischen  Krieges,  zuerst  in  Sikilien  und  Athen  ein  lebhaft  be- 
triebener Buchhandel,  der  zugleich  die  Anlage  von  Bibliotheken  er- 
leichterte.*) Doch  damit  sind  wir  unwillkürlich  in  viel  jüngere  Zeiten 
gekommen;  kehren  wir  also  wieder  zurück  zu  der  Zeit,  wo  es  noch  keine 
Bücher  gab  und  alle  Schöpfungen  des  Geistes  auf  mündliche  Fortpflanzung 
angewiesen  waren. 

13.  Vorhomerische  Poesie.  An  der  Schwelle  der  griechischen 
Litteratur  stehen  zwei  Dichtungen  unerreichter  Grösse  und  Vollendung, 
die  nias  und  Odyssee  des  Homer.  Der  Dichter,  der  so  grosses  und  voll- 
endetes schuf,  der  mit  solcher  Leichtigkeit  und  Meisterschaft  die  Sprache 
handhabte,  kann  nicht  der  erste  gewesen  sein;  er  muss,  auch  wenn  er 
nicht  die  ganze  üias  und  Odyssee,  sondern  nur  einzelne  Gesänge  derselben 
gedichtet  hat,  eine  ganze  Reihe  von  Vorgängern  gehabt  haben,  durch  die 
erst  der  sprachliche  Stoff  geformt  und  der  Boden  geebnet  wurde,  auf  dem 
sich  der  stolze  Bau  der  grossen  homerischen  Dichtungen  erheben  konnte. 
Zunächst  leuchtet  ein,  dass  die  Litteratur  nicht  mit  grossartig  angelegten, 
in  behaglicher  Breite  sich  ergehenden  Werken  begann,  dass  denselben 
vielmehr  eine  Periode  kurzer  Erzählungen  und  kleiner  Heldenlieder  voraus- 


^)  Die  weitere  Bestätigung  liegt  in  den 
Namen  der  Buchstaben,  der  Reihenfolge  und 
der  Form  derselben;  s.  Kibchuoff,  Studien 
zur  Geschichte  des  griechischen  Alphabets, 
4.  Aufl.,  Berlin  1887. 

*)  So  Ed.  Meyer,  Geschichte  des  Alter- 
tums II  380.  —  Dass  die  Kyprier  ihre  von 
der  der  übrigen  Griechen  abweichende  Syl- 
labar-Schrift  nicht  von  den  Phönikiern  ent- 
lehnten, macht  Meister,  Griech.  Dial.  II 130. 
plausibel.  —  Auch  bei   den  Mykeneem  hat 


man  den  Gebrauch  von  Schriftzeichen  ver- 
mutet, aber  diese  sind  sehr  unsicher  und 
jedenfalls  für  die  Litteratur  ohne  Bedeutung. 

')  Herodot  5,  58;  vgl.  Blass,  Palfto- 
graphie  im  Handbuch  der  Altertumswissen- 
schaft I  2',  333  ff.  Auch  die  Aegypter  ge- 
brauchten vor  dem  Papyrus  Leder  zum 
Schreiben. 

*)  BiRT,  Das  antike  Buchwesen  in  seinem 
Verhältnis  zur  Litteratur,  Berlin  1882. 


A.  Epofl.    1.  Elemente  und  Vorstafen  der  grieohisohen  Poesie.    (§§  13—  H  )     17 

ging.  Die  homerischen  Gedichte  tragen  noch  die  deutlichsten  Spuren  jener 
alteren  Sangesübung  an  sich,  ja  sie  haben  zweifellos  viele  jener  älteren 
kleinen  Lieder  in  ihren  neuen  Rahmen  aufgenommen.  Sodann  sind  dem 
altionischen  Grundton  des  homerischen  Dialektes  viele  ältere  Formen,  wie 
Genetive  auf  oio  und  acor,  Instrumentale  auf  9)^,  Infinitive  auf  fisvM^  bei- 
gemischt, die  nach  Äolien  und  zum  Teil  über  das  äolische  Eleinasien 
hinaus  weisen  und  in  die  homerischen  Gedichte  nur  aus  älteren,  nicht- 
ionischen Dichtungen  gekommen  sein  können.  Ebenso  macht  es  die  Form 
des  heroischen  Hexameters  wahrscheinlich,  dass  er  nicht  das  älteste  und 
ursprüngliche  Yersmass  der  Griechen  war,  sondern  erst  aus  anderen  For- 
men hervorgegangen  ist.  Die  Zusammenfassung  von  6  Füssen  zu  einem 
Vers  ist  für  einfache  Zeiten  und  volkstümliche  Lieder  zu  gross,  und  die 
bei  Homer  vorherrschende  Cäsur  nach  dem  3.  Trochäus  in  Verbindung 
mit  Resten  asynartetischer  Zusammenfügung  der  beiden  Elemente,  wie  in 
dXX'  äxhovaa  xdt^rjco,  \  €f.i(^  d'ininsid^eo  fivi^(i)  (A  565), 
rvv  aye  vija  fjiäXaivav  j  fS€Qvaaofi€v  tig  dXa  6Tav  (A  141) 
lasst  uns  vermuten,  dass  der  Hexameter  erst  aus  der  Vereinigung  zweier 
kleineren,  ehedem  selbständigen  Tripodien  entstanden  ist,  dass  also  der 
epischen  Poesie  mit  ihren  langen  Zeilen  eine  andere  vorausging,  die  kür- 
zere Verse  liebte  und  sich  demnach  mehr  dem  Charakter  der  lyrischen 
Poesie  näherte.  Der  Annahme  von  dreifüssigen  Verselementen  ist  aber 
nebst  dem  deutschen  Nibelungenvers  insbesondere  die  Analogie  des  latei- 
nischen Nationalverses  günstig,  da  auch  der  Saturnius  sich  in  2  Tripodien 
zerlegt  und,  vom  Umfang  der  Senkungen  abgesehen,  sich  nur  dadurch 
vom  griechischen  Hexameter  unterscheidet,  dass  in  ihm  die  Glieder  mit 
und  ohne  Auftakt  in  umgekehrter  Reihe  aufeinander  folgen: 

malum  dabunt  Metelli  \  Naevio  poetae 

Tov  d'cog  ofir  iv6i]<ssv  \  ^AXä^avÖQoq  d^soeidr.q, 
14.  Zu  der  an  die  Form  der  ältesten  Poesie  anknüpfenden  Erwä- 
gung^) kommt  noch  eine  andere  aus  dem  Inhalt  geschöpfte  hinzu.  Die 
homerische  Poesie  entstand  in  Kleinasien,  in  den  vom  europäischen  Fest- 
land ausgegangenen  Kolonien.  Die  Verhältnisse 'des  wohlhabenden,  mit  der 
reichen  Küstenentwicklung  in  den  Weltverkehr  hinausreichenden  Landes 
und  die  befruchtende  Nachbarschaft  der  älteren  Kulturvölker  Phrygiens, 
Lydiens  und  Lykiens  mochten  hier  der  aufstrebenden  Entwicklung  beson- 
ders günstig  gewesen  sein.*)  Aber  soll  das  Mutterland  den  Auswan- 
derern nur  den  kräftigen  Arm  und  die  nautische  Geschicklichkeit,  nicht 
auch  den  Samen  höherer  Kultur  und  mit  den  religiösen  Ideen  und  Bräu- 
chen nicht  auch  einen  Schatz  heiliger  Gesänge  und  volkstümlicher  Lieder 
mitgegeben   haben?    Das  werden   wir   von    vorneherein  nicht  leicht   be- 


')  Bkbgk,  üeber  das  ftlteste  Versmass  der 
Griechen,  Kl.  Sehr.  II  392  ff.;  Usenisk,  Ali- 
griechischer  Versbau,  Bonn  1887,  der  über- 
blies den  Versuch  wagt»  die  Tripodien  auf 
nreprüngliche  Tetsrapodien  zurückzuführen; 
Allih,  Ueber  den  Ursprung  des  hom.  Vers- 


masses,  in  K.  Z.  XXIV  556  ff. 

')  Olympos,  der  halbmythische  Flöten- 
spieler, war  ein  Phrygier;  Hanpttonarten  der 
Griechen  waren  die  phrygische  und  lydische; 
lykische  Baumeister  bauten  die  alten  Burgen 
der  Achfter  in  Argos  und  Mykenä. 


Bandboch  der  klaw.  Altertnmawiciienflchaft.    VII.    8.  Aufl. 


lg  Orieohisehe  Litieratargeeohichte.    L  Klassische  Perlode. 

zweifeln  woUen;  aber  wir  brauchen  uns  nicht  mit  blossen  Wahrscheinlich- 
keiten zu  begnügen;  wir  haben  bestimmte  Zeugen  einer  aus  der  europäi- 
schen Heimat  mitgenommenen  Poesie.  Die  Thaten  der  Ilias  spielen  sich 
wohl  auf  asiatischem  Boden  ab;  aber  daneben  klingt  durch  Ilias  und 
Odyssee  ein  reicher  Nachhall  von  thebanischen,  thessalischen,  argivischen 
Sagen,  und  diese  haben  alle  einen  solchen  Zauberklang,  dass  man  auch 
für  sie  nicht  die  trockene  Fortpflanzung  durch  Erzählungen  von  Bauern, 
sondern  die  Verklärung  durch  den  Zaubermund  der  Poesie  voraussetzen 
darf.  Und  wo  thronen  die  Götter,  wo  singen  die  Musen  zur  Phorminx 
des  Apoll?  auf  dem  Olymp, i)  dem  hochragenden  Berge  Thessaliens.  Hier 
in  Thessalien,  an  den  Abhängen  des  Olympos,  im  romantischen  Thale  des 
silbersprudelnden  Peneios  werden  wir  auch  mit  Zuversicht  die  Wurzeln 
der  griechischen  Poesie  suchen  dürfen.  Wir  dürfen  also  nicht  mit  Homer 
die  griechische  Litteraturgeschichte  beginnen,  wir  müssen  weiter  hinauf- 
steigen zu  ihren  Anfängen  in  dem  europäischen  Festland. 

Von  diesen  Anfilngen  der  griechischen  Poesie  und  dem  Inhalt  der  alten 
vorhomerischen  Lieder  können  wir  uns  wesentlich  nur  aus  dem,  was  die 
homerischen  Gesänge  uns  lehren,  eine  Vorstellung  machen.  Denn  die 
überlieferten  Namen  der  alten  Sänger  und  die  Erzählungen  von  ihrem 
Leben  sind  nur  geeignet,  uns  in  die  Irre  zu  führen,  einmal  weil  mehrere 
der  Personennamen,  wie  Lines,  Musaios,  Eumolpos,  erdichtet  sind,  und 
dann  weil  auch  an  echte  Namen,  wie  Orpheus,  sich  Vorstellungen  aus 
Verhältnissen  späterer  Zeit  angeschlossen  haben.  Das  aber  lässt  sich  un- 
schwer erkennen,  dass  die  ältere  vorhomerische  Poesie  eine  doppelte  war, 
eine  hieratische,  die  hauptsächlich  in  Anrufungen  und  Verherrlichungen 
der  Götter  bestand,  und  eine  mythische,  die  von  den  Geschicken  der 
einzelnen  Stämme   und  ihrer  Königsgeschlechter  handelte. 

15.  Hieratische  Anfänge  der  Poesie.  Die  ersten  Anfänge  der 
griechischen  Poesie  gingen  aus  dem  Dienste  der  Musen  hervor.  Die  Musen 
selbst,*)  die  wie  alle  Götter  der  alten  Zeit  in  quellreichen  Hainen  verehrt 
wurden,  8)  hatten  ihre  ältesten  Sitze  am  Olymp  in  Thessalien  und  am  Helikon 
in  Böotien.*)  Vom  Olymp  und  Pierien,  wo  sie  an  der  Quelle  Pimpleia  und 
in  der  Grotte  von  Leibethron  wohnten,  hatten  sie  die  Beinamen  'OXv/n- 
niiiSfg  und  UiegfSsg,  und  dass  dort  ihr  ältester  Sitz  war,  zeigt  sich  auch 
darin,  dass  Hesiod,  der  böotische  Sänger,  neben  dem  neuen  Beinamen  ^EXixw- 
vidSfg  noch  jene  alten  beibehielt.  Diener  der  Musen  waren  in  grauer  Vorzeit 

*)   Allerdings    heissen   erst   im    jungen  stelle  Paus.  IX  29,  2 ;    nach  ihr  hiesaen   die 

Schiffkatalog  die  Musen  'OXvfjinuidtg  Movata  |  drei    alten    Musen    Mektitj^    Afytj/At^,   'AoiJ^, 

(B  491),    aber  auf  dem  Olymp,    im   Hause  I  was  auf  die  Zeit  hinweist,  wo  bei  dem  Mangel 

des  Zeus,  singen  sie  schon  ^  604  und  Movaat  I  schriftlicher    Aufzeichnung    die   Oedächtaiis* 


VXvjuTiift  ifuifinr^  e/orcrat  heissen  sie  schon 
^218,  ^508,  i7  112.  Dass  aber  "OAr^/iof 
im  echten  Homer  nicht  die  verblasste  Be- 
deutung ,  Himmel,  Götterwohnung *,  sondern 
die  konkrete  eines  Berges  in  Thessalien  hatte, 
bemerkte  bereits  Aristarch;  die  Echtheit  der 
Verse  Od.  C  42 — 7,  in  denen  eine  verwa- 
schenere Bedeutung  hervortritt,  ist  zweifel- 
haft. 

')  lieber   die   Zahl  der   Musen   Haupt- 


übungen eine  Hauptsache  waren;  die  Zahl 
von  neun  Musen  zuerst  Od.  ai  60. 

»)  Bekgk,  Gr.  Litt.  I  320  will  g^eradezu 
die  Musen  mit  den  Nymphen  identifizieren 
und  ihren  Namen  auf  lydisch  fotiv  '  rö  vöio^ 
(Hesych.)  zurückfahren.  Eher  liesse  ich  es 
mir  gefallen,  .zu  dem  partizipialen  juovaM  das 
Nomen  yvfiqai  in  dem  Sinne  .sinnende  Mftd- 
chen*  zu  ergänzen. 

*)  Paus.  IX  29;  Strab.  p.  410  u.  471. 


A.  Spofl.    Elemente  und  Voretafen  der  grieohisohen  Poesie.    (§  15.) 


19 


die  sogenannten  thrakischen  Sänger,  die  in  Pierien,  Böotien  und  Phokis 
ihren  Sitz  hatten.^)  Namen  solcher  thrakischen  Sänger  sind  uns  viele 
überliefert.  Der  gefeiertste  derselben  war  Orpheus.  Als  seine  Heimat 
galt  Pieria  am  Olympos;*)  dort  an  alten  Sitzen  orphischer  Verehrung, 
in  Pimpleia,  Leibethron,  Dion  zeigte  man  sein  Grab.^)  Die  Sagen, 
dass  er,  ein  Sohn  der  Muse  Kalliope,  mit  seinem  Saitenspiel  die  Bäume 
und  Felsen  nach  sich  gezogen  habe,  dass  er  in  die  Unterwelt  hinab- 
gestiegen sei,  um  seine  Gemahlin  Eurydike  zurückzuholen,  dass  er 
als  Sänger  an  der  Argonautenfahrt  teilgenommen  habe  und  schliesslich 
von  ekstatischen  Frauen  zerrissen  worden  sei,  haben  seine  Person  so  in 
mythisches  Dunkel  gehüllt,  dass  Aristoteles  nach  Cicero  de  nat.  deor.  I  38 
seine  Existenz  förmlich  leugnete^)  und  in  kritischen  Kreisen  früh- 
zeitig die  Echtheit  der  unter  seinem  Namen  umlaufenden  Gedichte  be- 
stritten wurde.  ^)  Wahrscheinlich  war  Orpheus  Repräsentant  des  Zagreus- 
oder Dionysoskultus  und  rühren  die  ihm  beigelegten  Verse  von  jüngeren 
Anhängern  jenes  im  6.  Jahrhundert  zum  Geheimdienst  umgestalteten,  mit 
dem  Unterweltsglauben  eng  verbundenen  Kultes  her.^)  —  Als  Schüler  des 
Orpheus  galt  Musaios;')  er  war  von  Pierien  am  Olymp  mit  den  Thrakern 
nach  Böotien  an  den  Helikon  gewandert  (Strab.  471)  und  hatte  in  Athen 
sein  Grab  gefunden  (Paus.  I  25,  7);  er  und  sein  Sohn  Eumolpos  sind  mit 
dem  eleusinischen  Geheimdienst  der  Demeter  enge  verknüpft.  Die  von 
den  Musen  und  dem  Gesang  gebildeten  Namen  der  beiden  Sänger  erwecken 
wenig  Vertrauen  auf  die  persönliche  Existenz  ihrer  Träger.  Pausanias 
I  22,  7  verwirft  alle  damals  umlaufenden  Gedichte  des  Musaios  mit  Aus- 


*)  Solche  Thi-aker  finden  wir  in  Phokis 
bei  Thuc.  II  29,  im  böotischen  Anthedon  bei 
Ljkopbron  754  und  Steph.  Byz.,  in  Delphi 
beiDiodor  XVI  24;  im  übrigen  s.  0.  Möller, 
OrchomenoB  379  ff.;  Bode,  Hell.  Dichtk.  I 
99  ff.  Unterschieden  werden  sie  von  den 
Hstorischen  Thrakern  von  Thuc.  11  29.  Die 
Späteren  folgten  der  seit  Euripides  verbreiteten 
AJusehaunng  von  der  Identität  der  thrakischen 
Sänger  und  des  barbarischen  Yolkes  der  Thra- 
ker;  daher  die  Sage,  dass  die  Leier  des  Orpheus 
TOD  der  thrakischen  EtLste  nach  Antissa  auf 
Usbos,  der  Vaterstadt  des  Terpander,  ge- 
acbwommen  sei;  siehe  Stob.  Flor.  64,  14; 
Bode,  Hell.  Dicht.  1 143  ff.  Riese,  Jahrb.  f. 
kL  Phü.  1877  S.  225  ff  Aus  11.  /  5  suchte 
man,  wie  Strabon  p.  28  lehrt,  abzunehmen, 
dass  Homer  Thrakien  vom  Hellespont  bis 
nach  Thessalien  reichen  liess.  Nach  den 
Tbrakem  in  Phokis  und  Böotien  Ifisst  irrig  die 
atamnivenrandten  nördlichen  Thraker  be- 
nannt sein  Kbbtzscbmeb,  Einleitung  in  die 
Gesch.  der  griech.  Spr.  171  u.  242. 

»)  Eur.  Bacch.  561  ff.  (vgl.  Ale.  967  ff, 
Blies.  944);  ApoU.  Arg.  I  23  ff.;  Paus.  IX  30. 

*)  Paus.  IX  30;  nach  Dion  liess  man 
die  Gebeine  des  Orpheus  gebracht  sein,  nach- 
dem dort  zur  Zeit  des  makedonischen  Königs 
Aichelaos  mnsische  Agone  eingerichtet  waren. 

^)Vg].  Suidas:  'O^evs  *0&^af]g  iiionoiog. 


Jiovvaiog   Sk   rovToy   ovS^   yeyoysyat   Xs'ysi. 

^)  Piaton  als  ältester  Zeuge  führt  Ptot. 
316  d  teXerdg  xal  x9V^f^H^^^«Si  Crat.  402  b 
(vgl.  Legg.  IV  p.  715  d  und  dazu  die  Scholien; 
femer  Phileb.  66  c,  Phaed.  69 c,  Ion  536 b)  zwei 
kosmogonische  Verse  von  Orpheus  an;  s. 
LoBBCK,  Aglaoph.  529  ff.;  0.  Gruppe,  Die  rhap- 
sodische Theogonie  und  ihre  Bedeutung  inner- 
halb der  orphischen  Litteratur,  Jahrb.  f.  Phil. 
Suppl.  17  (1890)  687—747.  Die  unter  Orpheus 
Namen  auf  uns  gekommenen  Gedichte  '^^- 
yoyavtixd,  Ai^ixa,  vfjtvoi,  sind  Fälschungen 
aus  der  Zeit  n.  Chr.  und  werden  unten  im 
Kapitel  von  den  Orphica  §  587  zur  Sprache 
kommen.  Ueber  die  Unechtheit  der  übrigen 
Orphika  und  über  Orpheus  selbst  brachte 
zuerst  Licht  Lob  eck,  Aglaophamus  (Regim. 
1829)  lib.  II  p.  233  ff.  —  Der  Name  'Qg^evg 
ist  alt  und  stimmt,  wie  schon  Lassrn,  Ztschr. 
für  Kunde  des  Morgenlandes  III  487  bemerkt 
hat,  lautlich  genau  zu  vedisch  Ribhus,  womit 
die  göttlichen  Künstler  im  Veda  bezeichnet 
wurden. 

«)  Maass,  Orpheus,  München  1895,  be- 
sonders S.  76  ff.  Diener  des  Apoll  hingegen 
war  Orpheus  den  Aelteren,  Pindar  P.  IV  176 
und  Aischylos  in  den  Bassariden. 

')  Suidas:  MovaaTog  fia^rjxfjg  'ÖQffimgy 
fittXXoy  d^  TTQSüßvreQog  •  ijx^atle  ydq  xatd 
toy  devTCQoy  Kixqona, 

2* 


20 


Qriechisohe  Litteratnrgesohiobte.    I.  Klassisohe  Periode. 


nähme  eines  einzigen  auf  die  Demeter  fUr  die  Lykomiden  gedichteten 
Hymnus.  1)  —  Mit  dem  Demeterkultus  in  Attika  stund  auch  der  alte  Hymnen- 
dichter Pamphos  in  Verbindung,  der  nach  Pausanias  VIH  37,  6  vor  Homer 
lebte  und  verschiedene  Hymnen,  darunter  auch  solche  an  Eros  (Paus.  IX 
27,  2)  dichtete.  —  Der  jüngste  der  thrakischen  Dichter  war  Thamyris 
(oder  Thamyras),  dessen  Blendung  durch  die  Musen,  die  er  zum  Wett- 
gesang herausgefordert  hatte,  der  Dichter  des  Schiffskataloges  (IL  B  595) 
erwähnt»)  Er  wird  von  dem  Scholiasten  und  Suidas  ein  Sohn  des  Phi- 
lammon  genannt,  dem  die  Tradition  für  den  Tempeldienst  in  Delphi  eine 
ähnliche  Bedeutung  wie  dem  Musaios  für  den  in  Eleusis  beilegte.^)  Am 
ehesten  ist  bei  ihm  an  eine  bestimmte  Dichterpersönlichkeit  zu  denken,  mit 
der  man  dann  jedenfalls  über  die  Zeit  des  Schiffskataloges  oder  über  den 
Schluss  des  7.  Jahrhunderts  hinaufgehen  muss. 

Nach  einer  anderen  Richtung  weist  uns  Ölen  aus  Lykien,  dem  Pau- 
sanias VIII  21,  3  die  ältesten  Hymnen,  darunter  einen  an  die  Eileithyia  zu- 
schreibt, und  auf  den  Herodot  IV  35  die  alten  in  Delos  gesungenen  Hymnen 
zurückführt.*)  Pausanias  X  5,  7  macht  den  Ölen  zu  einem  Hyperboreer 
und  berichtet,  dass  nach  den  einen  dieser  Ölen,  nach  andern  Phemonoe, 
die  Prophetin  in  Delphi,  den  Hexameter  erfunden  habe.*)  Sehen  wir  von 
dem  Ursprung  aus  dem  Lande  der  Hyperboreer  ab,  der  ohnehin  erst  nach 
Aristeas  aufgebracht  sein  kann,  so  scheint  Ölen  Vertreter  des  aus  Lykien 
stammenden  Apollodienstes  zu  sein  und  mit  der  Einführung  der  Kreter  in 
den  delphischen  Apollodienst  zusammenzuhängen;  er  war  demnach  kaum 
vor  dem  7.  Jahrhundert  in  Griechenland  bekannt  geworden,  ß) 

Lines  war  nachweislich  keine  individuelle  Person,  sondern  nur  Re- 
präsentant einer  alten  Liedweise.  Denselben  machten  zwar  der  Historiker 
Charax  bei  Suidas  und  der  Verfasser  des  Agon  zu  einem  Ahnen  des  Or- 
pheus und  somit  auch  des  Homer;'')  aber  trotzdem  uns  auch  noch  Verse 
unter  dem  Namen  des  Lines  durch  Stobaios  aufbewahrt  sind  und  man 
sein  Bild  in  einer  Grotte  am  Helikon  zeigte,®)  kann  es  doch  nicht  zweifel- 
haft sein,  dass  es  nie  einen  Dichter  Lines  gegeben  hat,  und  dass  ihn  nur 
die  Mythenbildner  aus  dem  Verse  der  Ilias  2  570  l/nsgoev  x^d^ägi^e^  Xhov 


1)  Aristoteles  PoHt.  VIII  5  p.  1339»*  22 
führt  aus  Musaios  den  Halbvers  ß^oroi^  rj6ia- 
Toy  (ieidsiy  an.  Im  3.  Jahrhundert  n.  Chr. 
treffen  wir  auf  einer  eleusinischen  Inschrift 
CIG  401  einen  Hierophanten  og  xeXerag 
avBfftjve  xal  ogyi«  ntiyyv/a  fjtvaxaig  EvfioX- 
7701'  TiQoxetJjy  Ifnegoeaaay  ona. 

*)  Die  Blendung  Iftsst  Homer  bei  dem 
Städtchen  Dorion  in  ELis  geschehen;  wahr- 
scheinlich aber  nannte  die  alte  Sage  Dotion 
in  Thessalien,  wohin  die  Verbindung  mit 
Oichalia  weist;  s.  Steph.  Byz.  u.  Juiiioy,  und 
NiESK,  Der  hom.  Schiffskatalog  22.  Verse 
des  Thamyris  erwähnt  Piaton  Ion  533  b  und 
Legg.  829  e. 

')  Eusebius  setzt  den  Philammon  1292 
V.  Chr.;  nach  Pausaniaa  X  7,  2  folgte  Phi- 
lammon selbst  auf  Chrysothemis  aus  Kreta. 
Erwähnt  ist  Philammon  zuerst  in  einem  neu- 
aufgedeckten Vers  des  Hesiod:    rj  (seil.  4>i' 


I  Xo}yig)  xiney  JvroXvxoy  j€  ^tXafji^ovd  re 
xXvtoy  avdijy.     Vgl.  Schol.  ad  Od.  r  432. 

*)  Nach  Kallimachos  hymn.  IV  304 
scheint  man  damals  noch  in  Delos  einen 
NomoB  des  Ölen  unter  Tanzbegleitung  ge- 
sungen zu  haben. 

^)  Nach  andern  galt  Orpheus  als  Erfinder 
des  Hexameters;  s.  Lobeck,  Aglaoph.  II 233. 

®)  Auch  von  Melanopus  in  Kyme,  den 
die  Logographen  in  das  Ahnenstemma  des 
Homer  und  Hesiod  aufnahmen,  hatte  man 
nach  Paus.  V  7,  8  Hymnen.  Im  übrigen  lese 
man  die  Hauptstelle  für  diese  alten  hiera- 
tischen Dichter  aus  Heraklides  Pontikos  bei 
Plut.  de  mus.  3. 

^)  Die  Stammtafel  gibt  Sbnobbüsch,  Dies. 
Hom.  prior  p.  159. 

»)  Paus.  IX  29,  6;  nach  Paus.  II  19,  8 
befand  sich  in  Argos  sein  Grab;  bei  Suidas 
heisst  er  XaXxnfevg.  Vgl.  Flacb,  Gr.  Lyr.  1 5  ff. 


A.  Epo0.    1.  Elemente  and  Vorstnfen  der  griechisohen  Poesie.    (§  16.)         21 


d'  vno  xalov  auSe  seil.  na7<;  herauslasen,  indem  sie  das  Wort  Xivov  in 
dem  Sinne  eines  Eigennamens  fassten.^)  Angeblicher  Schüler  dieses  Lines 
war  der  oben  schon  genannte  Pamphos. 

16.  Bei  dem  heutigen  Stand  der  kritischen  Forschung  bedarf  es  nicht 
erst  langen  Nachweises,  dass  nicht  bloss  sämtliche  Verse,  die  unter  den 
Namen  jener  hieratischen  Dichter  auf  uns  gekommen  sind,  sondern  auch 
alle  diejenigen,  welche  die  Alten  kannten,  von  jüngeren  Fälschern  her- 
rühren. Das  Richtige  sah  bereits  der  Vater  der  Geschichte,  der  sonst 
so  leichtgläubige,  in  litterarischen  Fragen  aber  sehr  richtig  urteilende 
Herodot,  indem  er  II  53  sagt:  oi  nqoteQov  notr^xal  Xsyofievoi  tovtcov  tcov 
avigdv  (Ofjir^Qov  xal  ^HaioSov)  yaväGx^ai^  vatsQov  i/ioiys  ioxäeiv  sy^rorTO,^) 
Später  hat  dann  ein  sonst  nicht  näher  bekannter  Gelehrter  Epigenes,  der 
nach  Harpokration  unter  "/wv  vor  Kallimachos  gelebt  haben  muss,  in  einer 
Schrift  7r€Ql  %rjg  sig  'Oq^psa  ävag)€Qo^ävrjg  Ttoir^aawg^)  die  überlieferten  Ge- 
dichte einzeln  geprüft  und  den  grösseren  Teil  derselben  dem  Schwindler 
Onomakritos  zugeschrieben,  der  nach  Herodot  VII  6  von  dem  Musiker 
Lasos  aus  Hermione  über  der  Fälschung  von  Orakelsprüchen  des  Musaios 
ertappt  worden  war.  Es  drücken  sich  daher  auch  die  guten  Autoren,  wo 
sie  von  Gedichten  des  Orpheus  und  jener  alten  Sänger  sprechen^  mit  zwei- 
felnder Vorsicht  aus,  wenn  sie  nicht  geradezu  den  Namen  des  Orpheus 
durch  den  des  Onomakritos  ersetzen.*)  Aber  wenn  wir  uns  auch  bezüg- 
lich der  apokryphen  Litteratur  ganz  dem  ablehnenden  Urteil  der  alten 
und  neuen  Kritiker  anschliessen,  so  muss  doch  daran  festgehalten  werden, 
dass  es  vor  Homer  eine  ältere  Periode  hieratischer  Poesie  gegeben  hat, 
deren  Andenken  in  Thessalien,  Böotien  und  Attika  fortlebte  und  an  die 
jene  Fälschungen  der  seit  dem  6.  Jahrhundert  auftauchenden  Sekte  der 
Orphiker  anknüpften.  Homer  und  Hesiod  schweigen  allerdings,  wenn  wir 
von  der  Stelle  des  jungen   Schiffkataloges  B  595  und  den  zweifelhaften 


^)  Der  Vers  steht  in  der  jungen  Schüd- 
beBchreibnng  im  Abschnitt  von  der  Wein- 
lese. Linos  als  personifizirter  Klagegesang 
erBcheint  schon  bei  Hesiod  fr.  132;  s.  Garm. 
pop.  2.  Es  war  aber  die  Linosmelodie  orien- 
talischen Urspnings  und  nach  Herodot  II  79 
(vgl.  Pans.  IX  29,  7)  über  Phönikien,  Kypros, 
Aegypten  (vgl.  Plutarch  de  Iside  17)  yer- 
breitet;  s.  Bbdgsch,  Die  Adonisklage  nnd  das 
Linoslied,  Berlin  1852;  0.  Gruppe,  Die  griech. 
Kulte  und  Mythen  I  543  ff.;  Wilaxowitz  zu 
Eur.Herc.  II  119ff. 

')  Ebenso  Joseph,  c.  Ap.  I  2:  oXfos 
nttQa  TOff  'yUXrjciy  ovökv  ofJtoXoyovfXSVov 
tvQiifjieTai  r^g  'Ofiij^ov  noitjaetog  ngeaßv- 
UQoy,   Sext.   Emp.   adv.   granim.   I   20,   3: 

yag  ovöky  ngeaßvZBQoy  fjxey  eis  Vf*"^  ^^^ 
txiiyov  fioiijaeiof,  Schol.  DionjB.  Thrac.  p.  785 
Bekk.:  ei  xai  UnoQovoi  riyeg  noirftdi  ngo- 
ytyey^ird'ai  *Ofiijgov  Movoaloy  re  xal  'Ogtp^a 
tat  Aiyoy,  d3iX'  ofitog  ov&ky  rtgecßvtegoy  r^s 
*Üui6of  xal  'Odwscelag  ffti^eif&ai  noLrjfia  '  dXX* 
igu  ug,  ntäg;  inei  ygaufiata  ato^oytat  ngeü- 


ßvreQa;  xai  fpafdey  ort  t«  fjiiy  rovtaty  i\pev~ 
Ofjiiyovg  l/ovfTi  xovg  XQ^^^^^i  ^^  ^^  vetaxiqtay 
riytov  ixoyTuiy  ofKoyv/niag  Xüiy  naXaicay  rag 
hnyqatpdg  e^ovat.  Das  war  eben  die  Mei- 
nung Aristarchs  und  der  alexandrinischen 
Kritiker. 

8j  Clem.  Alex,  ström.  I  p.  397  u.  V  p.  675  P; 
▼gl.  LoBBOK,  Aglaophamos  p.  340  f. 

^  *)  Aristot.  de  an.  gen.  II 1  p.  734«»  19:  iy 
rofV  xaXov/Lisyotg  "OQffitag  tneaiy,  ebenso  de 
an.  I  5  p.  410^  28,  und  dazu  Philoponos: 
ineidtj  /4ij  doxet  'Ogtp^tog  elyai  rd  etiij,  vig 
xal  avrog  iy  roTg  negl  fpiXuaofflag  Xiyei  ' 
avxov  fÄ^y  ydg  eiat  td  öoy^ata,  xavxa  ^i 
qifiaty  uyojudxgixoy  iy  eneat  xaxaxelvai  Sext. 
Empir.  p.  126,  15  und  462, 2  B.  sagt  schlecht- 
weg 'OyofidxQixog  iy  xotg  *OQ(pixoTg.  Weder 
Zweifel  noch  Zustimmung  enthält  der  Aus- 
druck Piatons  de  rep.  II  p.  364e:^  ßlßXmy 
ofnadoy  Trflrp^/oiTffr»  Mowraiov  xai  'Ogtp^tog. 
Der  Sophist  Hippias  scheint  nach  Clemens 
Alex.  Strom.  VI  p.  745  die  Echtheit  der  Ge- 
dichte des  Orpheus  und  Musaios  nicht  be- 
zweifelt zu  haben;  s.  Lob  eck  a.  0.  336  f. 


22  Grieohisohe  LitteratnrgeBohichte.    I.  KlaBsisohe  Periode, 

Versen  des  Hesiod  fr.  132  absehen,  von  jenen  älteren  Dichtern,  aber  das 
darf  nicht  allzuhoch  angeschlagen  werden;  die  neue  Richtung  des  epischen 
Heldengesangs  stand  so  hoch  über  jenen  hieratischen  Anfängen  und  war 
von  ihnen  so  grundverschieden,  dass  ihre  Vertreter  leicht  jene  älteren 
Sänger  völlig  ignorieren  konnten.  Sicher  aber  kannte  Homer  Päane,  die 
unter  Tanz  und  Gesang  zur  Versöhnung  des  Gottes  Apoll  gesungen  wurden 
{A  473.  X  397),  und  machen  es  auch  allgemeine  Erwägungen  wahrschein- 
lich, dass  dem  Heldenepos  eine  ältere  Poesie  von  hieratischem  Charakter 
voranging:  auch  in  Indien  gingen  dem  Mahabharata  die  Veden  voraus; 
auch  in  historischer  Zeit  noch  war  Thessalien  Hauptsitz  der  religiösen 
Zaubersprüche;  der  daktylische  Hexameter  eignete  sich  wegen  seiner  gra- 
vitätischen Länge  und  seines  feierlichen  Rhythmus  vorzüglich  zum  hei- 
ligen Lied  und  kitharodischen  Nomos,^)  während  derselbe  für  die  erzäh- 
lende Poesie  des  Heldenepos  zwar  nicht  unpassend,  aber  doch  keineswegs 
ausschliesslich  geeignet  war;  vollends  die  Begleitung  einfacher  Erzählungen 
mit  dem  Saitenspiel  der  Phorminx  war  eine  fast  unbequeme  und  deshalb 
früh  aufgegebene  Erbschaft  aus  der  älteren  Poesie,  in  der,  wie  in  den 
Götterhymnen,  das  lyrische  Element  vorherrschte.  Wenn  sich  endlich  die 
Götter  mit  ihren  Beinamen  so  ganz  ungezwungen  dem  daktylischen  Rhyth- 
mus fügen,  wie  (PoTßog  ^AnoXXcoVy  Movaa  Xiyeia^  q)iXo^^€iSrjg  'A(pQoitTrj, 
yceiijoxog  ^Evvoaiyaioq^  Zev  %6  ndxeq  xai  *A&r]vair]  xal  ^AnoXXwv,  und  wenn 
sich  gerade  unter  den  heiligen  Formeln  so  viele  Spuren  älteren  Sprach- 
tums,  wie  noTvia  lEfpij,  vsfpeXriyeQsza  Zsvg^  iXa  xß-edcav,  SotrJQeg  sdaiv,  "Ep- 
fietag  axccxr^ra,  SidxtOQog  'AQyeiipovtiqg^  xviiaTJj  Tgiroyäreia^  jYiiirjtsQog  oxti^', 
X&ova  ßü)tidv€iQav,  rjego^otrig  *EQivvg  finden,  so  dient  auch  dieses  zur  Be- 
stätigung dessen,  worauf  uns  die  alte  Überlieferung  mit  Fingern  hinweist. 
Es  bewahrte  aber  auch  in  der  Folgezeit  die  griechische  Poesie  etwas  von 
jenem  heiligen  Charakter  ihrer  Anfänge.  Auch  Homer  und  Hesiod  be- 
trachteten sich  als  Priester  der  Musen  und  in  dem  religiösen  Kult  wur- 
zelte wie  die  chorische  Lyrik  so  die  ganze  dramatische  Poesie.  Insbe- 
sondere verschmähten  zu  aller  Zeit  gerade  die  besten  der  griechischen 
Dichter  den  blossen  Sinnenkitzel,  sie  wollten  den  Lesern  und  Hörern  nicht 
bloss  einen  vorübergehenden  ästhetischen  Genuss  bereiten  (^'vxccY^Y^''^')^ 
sondern  auch  sittigend  und  belehrend  auf  ihr  Volk  einwirken.«) 

17.  Anfänge  der  Sagenpoesie. 3)  Über  jenen  beschränkten  Kreis 
von  religiösen  Anrufungen  und  Gesängen  traten  die  Dichter  hinaus,  als 
sich  im  heroischen  Zeitalter  ein  lebhafter  Thatendrang  der  Nation  be- 
mächtigte und  die  Wanderungen  der  Stämme  zu  heftigen  Kämpfen  und 
mutigen  Wagnissen  führten.  Die  Kämpfe  jener  ritterlichen  Helden,  die 
Ruhmesthaten  der  einzelnen,  wie  die  gemeinsamen  Unternehmungen  zu 
Land   und  zu  See  boten   der  Sage   reiche  Nahrung,    wobei  es  bei  dem 


^)  Orpheus  wird  mit  der  Leier  darge- 
stellt; ebenso  spielt  Thamyris  die^  Kithara, 
und  heisst  es  bei  Hesiod  nr.  132  äotdol  xal 


eben,  Brannschweig  1852;  Müllenboff,  Dent- 
scbe  Altertumskunde  I  8—73,  wo  indes  all- 
zusehr die  phönizische  Sage  als  Grundlage 


xi&ttQicrai.  '  der   griechischen   betont  ist;    Usener,    Der 

')  Vgl.  Aristoph.  Ran.  1009.  1080  ff.  I  Stoff  des  griechischen  Epos,  Sitzb.  d.  Wiener 

»)  G.  W.  NiTzscH,  Sagenpoesie  der  Grie-      Ak.  1897. 


A.  Epos.    1.  Elemente  und  Vorstiifeii  der  griechischen  Poesie. 


17-18.)      23 


mythenbildenden  Zuge  der  Zeit  nicht  fehlen  konnte,  dass  die  historischen 
Thaten  und  Persönlichkeiten  durch  Hereinziehung  verwandter  Erzählungen 
und  Niederschläge  der  Göttermythen  erweitert  und  ausgeschmückt  wurden. 
Schon  auf  dem  Festland  hatte  sich  auf  solche  Weise  ein  Hort  von  Mythen 
gebildet;  er  ward  wesentlich  bereichert,  als  im  11.  und  10.  Jahrhundert 
vor  unserer  Zeitrechnung^)  infolge  des  Vordringens  thessalischer  Völker- 
schaften nach  Böotien  und  der  Wanderung  der  Dörfer  nach  dem  Pelo- 
ponnes  die  alten  Bewohner  der  bedrängten  Länder  nach  Eleinasien  aus- 
wanderten und  dort  unter  mannigfachen  Kämpfen  neue  Reiche  und  Nieder- 
lassungen gründeten.  Solche  Sagen  gestalteten  sich  von  selbst  bei  einem 
begabten  Volke,  das  an  Saitenspiel  und  poetische  Sprache  gewöhnt  war, 
zum  Gesang,  und  der  Gesang  selbst  hinwiederum  verklärte  die  Sage  und 
gab  ihr  reichere  Gestalt  und  festere  Dauer.  Das  ganze  Volk  zwar  dich- 
tete nicht,  immer  nur  ein  einzelner  gottbegnadeter  Sänger  schuf  den 
Heldengesang;  aber  indem  jener  einzelne  Dichter  nur  die  im  ganzen  Volke 
lebende  Sage  wiedergab  und  sich  in  seinem  Singen  und  Dichten  mit  dem 
Volke  selbst  eins  fühlte,  ward  sein  Gesang  zum  Volksgesang  und  trat 
seine  Person  ganz  hinter  dem  volkstümlichen  Inhalt  seiner  Dichtung 
zurück.  In  solchem  Sinne  reden  wir  von  einem  Volksepos  und  verzichten 
auf  scharfe  Scheidung  von  Sage  und  Epos.  Bei  den  Griechen  aber 
kam  so  gut  wie  bei  den  Germanen,  Indem  und  Spaniern  jenes  Helden- 
epos in  der  Zeit  zur  Blüte,  wo  das  Volk  aus  ruhmloser  Vergangenheit 
unter  Kämpfen  und  Ruhmesthaten  in  das  Halbdunkel  seiner  ersten  Ge- 
schichte einzutreten  und  seiner  nationalen  Stellung  sich  bewusst  zu 
werden  begann. 

18.  Das  heroische  Epos  ging  naturgemäss  von  der  Dichtung  kleinerer, 
balladenartiger  Lieder  aus,  von  denen  wir  Deutsche  in  unserem  Hilde- 
brandslied noch  ein  hübsches  Beispiel  haben.  Der  Dichter  von  solchen  Liedern, 
die  wie  vordem  sich  als  Diener  der  Musen  ausgaben,  ^)  gab  es  natürlich  viele 
vor  Homer;  ja  es  hat  grosse  Wahrscheinlichkeit,  dass  die  Äolier  und 
Achäer  schon  aus  ihrer  europäischen  Heimat  derartige  Heldenlieder  mit 
nach  Asien  brachten.  Die  Namen  jener  älteren  Dichter  sind  uns  unbe- 
kannt; selbst  der  Phemios  und  Demodokos  der  Odyssee  können,  wenn  sie 
überhaupt  historische  Namen  sind,^)  nach  den  Gesängen,  die  sie  vortrugen. 


^)  Die  alten  Chronologen  Eratosthenes 
und  Apollodor  setzten  die  Eroberung  Troias 
11S4,  die  dorische  Wanderung  1104,  die 
Aoswanderong  der  lonier  aus  Attika  140 
post  Tr.  oder  1044  v.  Chr.,  was  wir  einfach 
annehmen,  wiewohl  der  Ansatz  zu  hoch  ge- 
griffen zu  sein  scheint,  üeber  den  verschie- 
denen Ansatz  der  Troika  selbst  s.  Flagb, 
€Shron.  Par.  p.  X  f. 

<)  Daher  riefen  sie  die  Musen  im  Ein- 
gange an;  der  formelhafte  Vers  Bcnere  yvy 
fioi  Moööai,  *OXvfjinia  doifjiaT*  l/ovaort  stammt, 
wie  das  vorionische  eaners  und  die  Erwfth- 
mmg  des  Olymp  zeigt,  ans  alter,  vorhome- 
nseher'Zeit.    Ihr  Gesang  gilt  so  als  Einge- 


bung der  Gottheit;  vgl.  Od.  q  518,  x  347. 

*)  Demodokos,  der  blinde,  gottbegeisterte 
Sänger  (^eToc  «onfog  Od.  ^  44,  j'  28)  der 
Phftaken  scheint  eine  hiBtorische  Persönlich- 
keit gewesen  zu  sein,  da  der  Name  nichts 
Fingiertes  an  sich  hat  Misstrauen  hingegen 
erregt  der  Name  des  Sängers  in  Ithaka,  Phe- 
mios Terpiades,  der,  wie  eine  Abstraktion 
von  (prjfjiy  «erfreuende  Sage"  aussieht.  Jeden- 
falls geht  es  nicht  an,  den  Phemios  zu  einem 
Ithakesier  und  zum  Verfasser  eines  'Axauay 
vöifxoq  zu  machen,  wie  z.  B.  Bodb,  Hellen. 
Dichtk.  I  207  that.  In  der  Ilias  übt  den 
Gesang  auch  einer  der  Helden,  Achill  11.  IX 
186  ff. 


24  Grieohisohe  Litteratargesohiohte.    I.  ElasBisohe  Periode. 

nur  als  Repräsentanten  der  jüngeren  Entwicklung  des  epischen  Gesanges 
gelten.  Aber  die  Sagenkreise  kennen  wir  durch  die  Epen,  welche  aus 
ihnen  den  Stoflf  nahmen,  und  durch  die  Andeutungen,  welche  Homer  über 
sie  uns  aufbewahrt  hat.  Sie  waren  geteilt  nach  den  Landschaften,  da  fast 
jede  Landschaft  ihre  Stammeshelden  und  ihre  sagenhafte  Geschichte  hatte, 
so  dass  man  von  einem  thessalischen,^)  thebanischen,  argivischen,  elischen, 
attischen,  ätolischen,  kephallenischen,  kretischen  Sagenkreis  spricht.  Die 
Sagen  der  meisten  Landschaften  und  Städte,  wurden  auf  einen  Stammes- 
gründer zurückgeführt,  wie  die  der  Athener  auf  Kekrops,  der  Thebaner  auf 
Kadmos,  der  Argiver  auf  Danaos,  der  Peloponnesier  auf  Pelops,  der  Kreter 
auf  Minos.  Diese  Stammesgründer  spielten  aber  keine  Rolle  in  der  alten 
Sage,  da  ihnen  meistens  etwas  Fremdes,  die  Herkunft  aus  Phönikien,  Ägypten, 
Phrygien,  anklebte;  statt  ihrer  traten  in  den  Vordergrund  des  allgemeinen 
Interesses  und  der  volkstümlichen  Erzählung  die  nationalen  Helden  und 
die  mächtigen  Stammeskönige  der  Vorzeit  wie  die  Atriden  und  Peliden 
bei  den  Achäem,  die  Labdakiden  bei  den  Thebanem,  Theseus  bei  den 
Attikern,  Herakles  bei  den  Doriern.^)  Gelegenheit,  die  Helden  und  Könige 
verschiedener  Stämme  zusammenzuführen,  boten  die  gemeinsamen  Unter- 
nehmungen. Diese  wurden  recht  eigentlich  der  Punkt,  an  welchem  das 
griechische  Epos  ansetzte,  das  griechische,  dem  von  vornherein  ein  starker 
Zug  zur  nationalen  Gesamtheit  eigen  war.  So  wurden  Lieblingsgegenstände 
der  Sage  und  des  Heldengesangs  die  Kämpfe  der  Sieben  gegen  Theben 
und  die  Einnahme  der  Stadt  durch  die  Epigonen, »)  die  Fahrt  der  Arge 
vom  Hafen  lolkos  am  pagasäischen  Meerbusen  nach  dem  Hellespont  und 
dem  fernen  Kolchis,*)  der  zehnjährige  Kampf  um  Ilios,  die  Veste  des 
Königs  Priamos.  Diese  grossen  gemeinsamen  Sagenkreise  nahmen  die 
einzelnen  Stammessagen  in  ihren  Rahmen  auf  und  führten  von  selbst  über 
den  Horizont  kleiner  Einzellieder  hinaus  zu  grossen  Epen  oder  Lieder- 
zyklen. 

19.  Der  troische  Sagenkreis.  Von  den  verschiedenen  Sagen- 
kreisen erhielt  im  Verlaufe  der  Zeit  der  jüngste,  erst  in  Asien  infolge  der 
Kolonisation  ausgebildete,  der  troianische,  die  grösste  Beliebtheit.  Er  war 
nicht  bloss  der  neueste,^)  er  bot  zugleich  das  meiste  Interesse  für  die 
Abkömmlinge  der  alten  Geschlechter,  da  er  mit  den  neuen  Ruhmesthaten 


>)  Von  der  tiiessaliÄchen  Sage  wurden  I  »)  ErwÄlmt  IL  J  378,  405  ff.;  E  801  ff.; 

insbesondere   frOh   besungen  die  Fahrt  der  i  Z  222  ff. 

Argonauten   und    der   Efunpf  der   Lapithen  ^)   Od.   fji   69   an  ^iner  jungen    Stelle: 

und  Kentauren;  auf  die  erstere  geht  Hom.  •  *        "      ' 


fi  69,  auf  den  letzteren  Hom.  A  213—8  u. 
Ps.Hesiod  Scut.  178—190. 

')  Das  Fremde  und  Einheimische  ist 
dabei  cum  grano  saUs  zu  verstehen,  da  auf 
der  einen  Seite  Minos  durch  die  Verwandt- 
schaft mit  skt.  Manus,  ahd.  manisco  sich  als 
indogermanisch  erweist  (er  gehörte  wohl  zu  den 
^EreoxQrjre^  im  Gegensatz  zu  den  später  ein- 
gewanderten ^Axaioi  und  Jtogieeg  Od.  r  175) 
und  auf  der  anderen  Herakles  viele  Züge  des 
phönikischen  Melkart  angenommen  hat. 


'Agyta  naai  fAiXovca,  Die  Ausdehnung  der 
Fahrt  his  nach  Eolchis  stammt  natürlich 
aus  späterer  Zeit.  Auf  die  Argonautensage 
geht  auch  die  Stelle  E  467 — 75  von  Enenos, 
dem  Sohne  des  lason  und  der  Hypsipjle, 
femer  x  137—9,  fi  61—72,  X  14—19,  welche 
Stellen  jedoch  zum  Teil  der  Interpolation 
verdächtig  sind. 

*)  Was  die  Neuheit  des  Gesangs  aus- 
macht, deutet  'Homer  Od.  <x  351  an:  ri/r 
yaQ  doiSrjv  fjtäXkov  inixXeiovo^  itV^itf/rM,  17 
Tig  axovovTBifCh  reaTtirrj  dfiKpiniXtixat, 


A.  Epos.    1.  Elemente  nnd  Vorstiifen  der  grieohischen  Poesie.    (§  19.)         25 

der  Äolier  in  Eleinasien  die  Erinnerung  an  die  alten  Geschlechter  der 
europäischen  Heimat  verband;  er  trat  überdies  früh  mit  seiner  Verbreitung 
über  die  ionischen  Kolonien  aus  dem  Rahmen  einer  äolischen  Lokalsage 
heraus,  indem  er  auch  die  Helden  der  Achäer  des  Peloponnes,  der  lonier 
Attikas  und  zuletzt  selbst  den  dorischen  Heraklessohn  Tlepolemos  an  dem 
Kampfe  gegen  Troia  sich  beteiligen  Hess.  Wie  alle  volkstümlichen  Sagen, 
so  hatte  natürlich  auch  die  troianische  einen  historischen  Hintergrund. 
Derselbe  bestand  in  den  Siedlungen,  welche  im  11.  Jahrhundert  v.  Chr.  Äolier 
aus  Südthessalien  und  Böotien  an  der  nordwestlichen  Küste  von  Kleinasien 
unternahmen.  Die  Griechen  fanden  hier  eine  ältere  Bevölkerung  vor,  und 
die  neuen  Ansiedler  werden  den  Boden  nicht  ohne  schwere  Kämpfe  den 
alten  Einwohnern  abgerungen  haben.  Diese  Kämpfe  gaben  der  Sage  und 
dem  Liede  Stoff  und  wurden  nach  der  alten  berühmten  Hauptstadt  der 
Landschaft,  der  Veste  des  Priamos,  verlegt,  wenn  dieselben  auch  that- 
sächlich  um  die  von  den  Äoliern  zuerst  eingenommenen  Inseln  Lesbos  und 
Tenedos  und  die  kleineren  Städte  am  adramyttenischen  Meerbusen  statt- 
gefunden hatten.  Von  dem  wirklichen  Schauplatz  der  Kämpfe  haben  sich 
noch  Andeutungen  in  Episoden  der  Ilias  von  den  Unternehmungen  des 
Achill  gegen  Lesbos  (/  129)  und  die  Städte .  Lyrnessos,  Pedasos,  Chryse 
{V  92.  A  431)  erhalten.  In  unserer  Zeit  hat  man  durch  die  Ausgrabungen 
von  Mykene  Kenntnis  von  dem  Hauptsitz  einer  älteren,  der  äolischen 
Kolonisation  um  drei  bis  vier  Jahrhunderte  vorausgehenden  Kultur  Griechen- 
lands erhalten;  und  da  in  der  Ilias  Agamemnon,  der  Heros  Mykenes,  Ober- 
könig der  Griechen  ist,  und  da  die  Wagenkämpfe  und  Rüstungen  der 
troianischen  Helden  unverkennbare  Ähnlichkeiten  mit  bildlichen  Dar- 
stellungen Mykenes  haben,  i)  so  lag  es  nahe,  die  troische  Sage  mit  der 
mykenischen  Kultur  und  dem  alten  Reiche  auf  der  Pelopsinsel  in  Verbindung 
zu  setzen.  Der  Verfasser  der  Geschichte  des  Altertums,  Ed.  Meyer  II  §  133, 
hat  diese  Kombination  gewagt,  indem  er  die  ganze  troianische  Sage  aus 
einem  Heereszug  peloponnesischer  Fürsten  oder  des  Königs  von  Mykene 
und  seiner  Mannen  hervorgehen  Hess.  Aber  von  einem  alten  Zug  der 
peloponnesischen  Herrscher  nach  dem  Nordwesten  Kleinasiens  wissen  wir 
absolut  nichts,  und  der  Hauptheld  der  Ilias  ist  nicht  Agamemnon,  sondern 
Achill,  der  König  der  südthessalischen  Äolier,  wie  auch  in  Aulis  und  nicht 
in  einer  Hafenstadt  des  Peloponnes  sich  die  Schiffe  der  Achäer  zum  Heeres- 
zug nach  Kleinasien  sammeln.^)  Wir  werden  also  bei  der  alten  Annahme 
bleiben,  dass  nicht  Unternehmungen  der  Mykenäer  den  Ausgangspunkt 
der  troischen  Sage  bildeten,  sondern  dass  nur  der  Ruhm  des  altberühmten 
Herrscherhauses  von  Mykene  in  die  jüngere  äolische  Sage  eingeflochten 
wurde. 


^)  S.  WoLFG.  RsrcHRL,  üeber  homerische      sondern  ihessalische  Argos  verstanden  habe, 
Waffen,  Abh.  d.  archftol.  Sem.  in  Wien  1894.      verfehlt  ist.  —  Dass  der  Dichter  auch  einer 


*)  Gegen  Ed.  Meyer  hat  die  alte  An- 
schauung von  dem  äolischen  Hintergrund 
der  trojanischen  Sage  gut  verteidigt  F.  Gaübb, 
Grandnugen  der  Homerkritik,  Leipz.  1895 
8.  138,  wenn  auch  seine  Hypothese,  dass 
Homer  unter  Argos  nicht  das  peloponnesische, 


späteren  Zeit  noch  Formen  einer  älteren 
Kultur  heihehalten  konnte,  hat  mit  Bezug  auf 
die  mykenische  und  homerische  Frage  gut 
ausge  Ahrt  Hblbio,  Sur  la  question  myc^nienne, 
M^m.  de  Pacad.  des  inscr.  35  (1896)  291  ff., 
besonders  p.  338. 


26 


Grieohisohe  LitteratiirgeBohiohte.    I.  Klasaisohe  Periode. 


2.  Homers  Ilias  und  Odyssee. 

20.  Ilias.  Aus  dem  troischen  Sagenkreis  sind  die  zwei  grossen, 
weltberühmten  Dichtungen  Homers  hervorgegangen,  die  Dias  und  Odyssee, 
von  denen  die  eine  kriegerische  Scenen  aus  den  Kämpfen  vor  Bios,  die 
andere  friedliche  Bilder  der  Seefahrt  und  des  Lebens  an  den  Fürstenhöfen 
im  Anschluss  an  die  Heimkehr  der  Helden  enthält.  Der  Name  Ilias  der 
ersten  Dichtung  ist  nicht  ganz  passend  und  stammt  gewiss  nicht  von  dem 
Dichter  selbst  her.  Die  kleine  Dias  begann  mit  'Ikiov  aeiifo  xal  Jagiavir/v 
€vnü)lov,  und  sie  wird  zuerst  von  jenem  Vers  den  Namen  Ilias  erhalten 
haben.  Aber  der  Ruhm  der  Helden  vor  Uios  knüpfte  sich  an  das  ältere, 
grössere  und  berühmtere  Werk,  und  so  werden  die  Homeriden  das  kleine 
Gedicht  'ihdg  fjuxQa,  das  grosse  des  Homer  hingegen  'iXidg  schlechthin 
genannt  haben.  In  der  That  erzählt  die  Ilias  nicht  den  ganzen  zehn- 
jährigen Krieg  um  die  Veste  Dies,  sondern  nur  einen  Teil  aus  dem  letzten 
der  10  Jahre,  der  sich  um  die  Entzweiung  des  Oberkönigs  Agamemnon 
und  des  tapfersten  Recken  der  Achäer,  des  Achill,  gruppiert.  Mit  fir^tiv 
aeide  xß^ed  IlißrjidSsü)  Uxii-tjog  hebt  das  Proömium  der  Dias  an,  und  Mrjvig 
'AxMrjog  oder  'Axi^^ig  wäre  wohl  auch  das  Gredicht  überschrieben  worden, 
wenn  es  nicht  in  seinen  Rahmen  Gesänge  aufgenommen  hätte,  welche 
zwar  auch  den  Zorn  des  Achill  zur  Voraussetzung  haben,  aber  ganz  dem 
Preise  anderer  Helden  gewidmet  sind.  Mit  glänzender  Meisterschaft  aber 
hat  der  Dichter  nicht  den  ganzen  Krieg  zu  besingen  sich  vorgenommen, 
sondern  nur  eine  Handlung  desselben  herausgegriffen,^)  die  sich  in  wenigen 
Tagen  (51)^)  abspinnt  und  dem  Ganzen  einen  einheitlichen  Mittelpunkt 
gibt.  Diese  eine  Handlung  ist  aber  dann  auch,  wie  es  Aristoteles  verlangt, 
vollständig  besungen,  so  dass  das  Ganze  Anfang,  Mitte  und  Ende  hat. 
Ohne  langweilige  Orientierung  über  den  Stand  des  Krieges  und  die  Kämpfe, 
die  vorausgegangen,  werden  wir  mitten  in  die  Sache,*)  in  den  Ausbruch 
des  Streites  zwischen  Achill  und  Agamemnon,  hineingeführt.  Mit  der 
Beilegung  des  Zwistes  und  dem,  was  davon  untrennbar  war,  der  Rache, 
die  Achill  an  Hektor,  dem  Überwinder  seines  Freundes  Patroklos  nimmt, 
schliesst  das  alte  Gedicht.  Die  Mitte  umfasst  die  Leiden,  welche  der 
verderbliche  Hader  den  Achäem  gebracht  hat.  Da  aber  der  Nationalstolz 
einem  griechischen  Sänger  verbot,  auch  nur  in  einer  Phase  des  Krieges 
die  Barbaren  stets  siegreich  sein  zu  lassen,  so  werden  der  schweren 
Niederlage  der  Achäer  und  dem  Sturm  auf  das  Schiffslager  glänzende 
Siegesthaten  des  Agamemnon,  Diomedes,  Aias  gegenübergestellt,  und  um 
die  Handlung  nicht  allzu  einfach  verlaufen  zu  lassen  und  die  Aussöhnung 
des  Achill  zugleich  aufzuhalten  und  zu  motivieren,  kommt  zuerst  Patroklos 
mit   den  Myrmidonen  des  Achill  den   bedrängten  Achäem  zu  Hilfe  und 


')  Arist  Poet  23:  &$<miaio^  av  (paysifj 
"OfÄffQOs  nagti  jovs  äXXovs  rto  fitj^k  xov  n6~ 
XefAov  XttinsQ  l/ovr«  '^QXV^  ^''^  teXos  inir- 
XBiQrjCai  Tioiety  oXop  '  Xlav  ytiQ  av  fzfya  xal 
ovx  Bvavvontoy  ifieXXey  eaea&ai  ij  no  f4eyed€i 
f4etQniCoy  xaxanBitXByfjtfvov  t^  noixiXitf  *  vvy 
di  iy  fd^QO^  dnoXttßioy  inetffodiotg  xexQtjToi 
TioXXolf, 


')  Zenodot  rechnete  1  Tag  weniger  als 
Aristarch,  woranf  mehrere  Scholien  gehen; 
darüber  Lachxank,  Betrachtungen  Aber  Ho- 
mers Ilias  S.  90  ff.;  Bbbok,  El.  Sehr.  H 
409  ff. 

*)  Trefflich  erkannt  von  Horaz  a.  p.  148: 
in  medias  res  non  seeus  €lc  notas  audUorem 
rapit. 


A.  £po8.    2.  Homers  lUas  nnd  Odyssee.    (§§  20—21.)  27 

überwindet  in  der  Brast  des  edlen  Helden  der  Schmerz  über  den  Fall  des 
Freundes  den  Groll  über  die  schmähliche  Zurücksetzung.  Das  sind  die 
Hauptzüge  der  Handlung,  die  dem  Oeiste  des  Dichters  von  Anfang  an 
v?)r8chwebten;  denn  gewiss  nicht  ohne  Vorbedacht  lässt  derselbe  den  Achill 
schon  im  ersten  Gesang  A  240  drohen: 

fj  not'  'Axi^i'fjog  no&ri  l'^srai  vfag  'Axaiwv 
cvfiTiavTag  •  t6t€  d*  ov  %i  Svvt](f€ai  dxvvfji€v6g  Tteg 
XQ€eiafA€tv^  evt'  av  nolXol  v(p'  "Exxoqog  dv3Qog>6i'oio 
d^vfflxovtsg  niTiTcoai. 
Aber  jene  Hauptzüge  sind  nur  die  Angelpunkte  der  Handlung;   reichere 
Ausschmückung  und  Erweiterung  brachte  die  Ausführung  des  Planes.    Da 
sind  teils  Episoden  eingewoben,  wie  der  Abschied  Hektors  von  Andromache, 
das  nächtliche   Kriegsbild  der  Doloneia,   der  Tod   des  Lykierfürsten  Sar- 
pedon,  die  Bethörung  des  Zeus,  der  Flusskampf,  teils  ist  für  einen  weicheren 
Ausklang  des  wilden  Kampfgetümmels  durch  die  Leichenspiele  des  Patro- 
klos  und  die  Lösung  Hektors  gesorgt,  teils  endlich  ist  die  Haupthandlung 
selbst  durch  die  Einlage  einer  Gesandtschaft  an  den  hartherzigen  Achill 
komplizierter  gestaltet.^) 

Nach  der  heutigen,  von  den  alexandrinischen  Gelehrten  herrührenden 
Einteilung  zerfällt  das  Ganze  in  24  Bücher  oder  Rhapsodien.  Dieser  Ein- 
teilung liegt  ein  ganz  äusserliches,  von  der  Zahl  der  Buchstaben  herge- 
nommenes Motiv  zu  gründe,  wodurch  teils  ganz  Verschiedenartiges,  wie 
die  Volksversammlung  und  der  Schififkatalog,  in  einen  Gesang  zusammen- 
geworfen, teils  Zusammengehöriges,  wie  die  Bethörung  des  Zeus  {Jiog 
aTtdrij)  und  ihre  Folgen,  in  zwei  Gesänge  auseinander  gerissen  wurde.  Dem 
Plane  des  Homer  und  der  Vortragsweise  der  Rhapsoden  führen  uns  die 
alten  Namen  der  Ilias  näher,  von  denen  mehrere  Älian  V.  H.  13,  14  er- 
halten hat:  td  ^OfiTjQOV  iTtrj  tiqotsqov  SirjQrjfiäva  f^dov  ot  nalaioi  '  olov  eXs- 
yov  Tfiv  eiri  vavai  fidxrjv  (üf)  xal  JoXoivstdv  rira  (K)  xal  'AQiCTSiav  'Aya^ 
fikfivovog  {A)  xal  Necov  xatdXoyov  {B  484 — 760)  xal  HatQoxXeiav  (H  P)  xal 
Avr^a  (Q)  xal  'Eni  JJaTQoxXti)  at^Xa  (^  262 — 897)  xal  ^Oqxiwv  d(pdnaiv 
{J  1—222).«) 

21.  Odyssee.  Der  Name  der  Odyssee  ('Orfvtro'««)  kommt  von  Odys- 
seus,  dem  Träger  der  Handlung  her  und  ist  wahrscheinlich  durch  den 
ersten  Vers  des  Proömiums  "Av^Qa  fxoi  svvene  Movaa  noXvtgonov  veran- 
lasst. Aber  eine  Odyssee  im  vollen  Sinne  ist  auch  dieses  Gedicht  nicht. 
Manches  ist  zwar  aus  dem  früheren  und  späteren  Leben  des  Helden  ver- 
mittelst der  Kunst  episodischer  Einlage  herangezogen,  wie  seine  Verwun- 
dung auf  der  Jagd  bei  seinem  Grossvater  Autolykos  (r  392—466),  die  List 
des  hölzernen  Pferdes  (^  491—520,  (f  271—289),  der  Streit  um  die  Waffen 
des  Achill  (X  545-567),  die  Ausspionierung  Troias  (rf  242—264),  der 
friedhche  Tod  des  Helden  in  hohem  Alter  {X  119—137),  aber  die  Haupt- 
erzählung dreht  sich  doch  um  nur  eine  Handlung,  die  Heimkehr  des  Odys- 


^)  Die  Gesandtschaft  des  Baches  i  machte  I  fddxv  des  Baches  S,  notwendig, 
mdenini  die  Einlage  eines  dritten  nnglttck-   |  ')  Näheres  im   1.  Kapitel  meiner  Pro- 

hdi  verlaufenden  Schlachttages,   die   xoXog  \  legomena  zor  Ilias. 


28  GrieohiBche  Litteratargeschiehte.    I.  Elassisohe  Periode. 

seus.^)  Indes  so  einfach  und  kurz  war  an  sich  diese  eine  Handlung  nicht, 
da  Odysseus  10  Jahre  umhergeirrt  war  und  bei  der  Heimkehr  an  den 
übermütigen  Freiern  der  Penelope  neue  Feinde  in  seinem  Hause  gefunden 
hatte.  Aber  der  Kunst  des  Dichters  gelang  es,  die  Handlung  trotzdem  auf 
die  kurze  Zeit  von  41  Tagen  zusammenzudrängen,  indem  er  uns  gleich 
im  Eingang,  ähnlich  wie  in  der  Dias,  in  das  letzte  Jahr  der  Irrfahrten 
versetzt  und  den  Odysseus  seine  früheren  Erlebnisse  in  dem  Hause  des 
Alkinoos  nacherzählen  lässt.  Er  erlangte  damit  zugleich  den  Vorteil,  länger 
bei  der  Schilderung  des  Königshofes  im  Lande  der  Phäaken  verweilen  zu 
können  und  die  lieblichen  Scenen  von  der  Königstochter  Nausikaa,  den 
Gärten  des  Alkinoos,  dem  blinden  Sänger  Demodokos,  den  ritterUchen 
Spielen  am  Hofe  des  Alkinoos,  der  Erzählung  von  Odysseus  Abenteuern 
in  sein  Gedicht  einzulegen.  Weniger  wahrte  er  die  Einheit  des  Ortes. 
Denn  nicht  bloss  treffen  wir  Odysseus  anfangs  bei  der  Kalypso,  dann  bei 
den  Phäaken,  dann  bei  dem  Sauhirten  Eumaios  und  schliesslich  in  seinem 
eigenen  Hause,  sondern  es  gehen  auch  bis  zur  Hälfte  des  Epos  zwei 
Fahrten  nebeneinander  her,  die  des  Haupthelden  und  die  seines  Sohnes 
Telemachos,  indem  kurz  vor  der  Rückkehr  des  Odysseus  Telemachos  auf 
die  Spähe  nach  seinem  Vater  auszieht  und  beide  auf  ihrer  Rückkehr  bei 
dem  Sauhirten  Eumaios  zusammentreffen.  Dies  hatte  das  Gute,  dass  so 
der  Dichter  uns  gleich  in  den  ersten  Gesängen  über  die  Zustände  im 
Hause  des  Odysseus  orientieren  und  über  die  Geschicke  auch  der  übrigen 
Führer,  namentlich  des  Nestor,  Menelaos,  Agamemnon,  aufklären  konnte; 
aber  dadurch  wurde  zugleich  die  Erzählung  der  Odyssee  bunter  und  ver- 
flochtener, was  nicht  ganz  ohne  Unzukömmlichkeiten  abging,  indem  Tele- 
machos zwischen  dem  4.  und  15.  Gesang  aus  den  Augen  verloren  wird 
und  weit  länger  als  er  wollte  und  sollte  (s.  d  594—599)  bei  Menelaos  zu 
verweilen  in  die  Lage  kommt.  ^)  Aber  diese  Unzukömmlichkeiten  werden 
durch  die  grössere  Spannung  der  Erzählung  und  die  Überraschung  der 
Erkennungsscenen  wieder  reichlich  aufgewogen, 3)  zumal  der  Dichter  gerade 
diese  Scenen,  wie  die  von  der  Fusswaschung  des  verkleideten  Odysseus 
durch  die  alte  Amme  Eurykleia  (t  357—504),  mit  unvergleichlicher  Zart- 
heit zu  behandeln  verstand.*) 

Der  Held,  von  dem  das  ganze  Epos  den  Namen  hat,  Odysseus,  steht 
im  Gegensatz  zu  Achill,  dem  Helden  der  Ilias:  in  ihm  war  die  Klugheit 
und  verschlagene  List  verkörpert  wie  in  jenem  der  Heldenmut  und  die 
jugendliche  Kühnheit;  beide  zusammen  repräsentierten  den  Griechen  das 
Ideal  eines  hellenischen  Mannes.    Die  Klugheit  wiegt  auch  im  Kriege  etwas, 


>)  Dabei  beachte,  dass  all  die  anfge- 
zfthlten  Odysseiisepisoden  jOngeren  Partien 
der  Odyssee  angehören  und  zum  Teil  sicher 
erst  nachträglich  eingelegt  sind. 


7ia&rjrix6yy  iq  de  *0dvaa6M  nenXey/jiäyoy  {dya- 
yyiOQiireis  yaQ  dV  oXov)  xal  tj^ixov.  Ueber 
die  grössere  Beliebtheit  der  Odyssee  schol. 
Find.  N.  4,  68 :  f4nXXov  r^g  *lXiadoc  1}  *Odvaa$ia 


*)  Störender   noch  ist  die  Wiederkehr  '   ^atpütdehai..    Später  in  der  römischen  Kaiser- 


der  Scene  des  Anfangs  der  Odyssee  im  Ein- 
gang des  5.  Gesangs,  aber  die  Partie  e  1 — 27 
ist  elendes  Flickwerk,  das  in  dieser  Gestalt 


zeit  kehrte  sich  das  Verhältnis  um. 

*)  Auch  die  Kunst  hat  sich  dieses  herr- 
lichen Motives  bemächtigt,  wie  wir  noch  aus 


nicht  von  dem  alten  Dichter  herrührt.  '  einem  Relief  der  Sammlung  Campana  t.  71 

*)  Treffend  urteilt  auch  ttber  diesen  Punkt  |  sehen. 
Aristoteles  Poet.  24:  rj  (abv  'iXiag  dnXovv  xai   j 


A.  Epos.    3.  Homers  lüas  und  Odyssee.    (§  22.) 


29 


und  schön  hat  uns  der  Dichter  der  Doloneia  an  Diomedes  und  Odysseus 
gezeigt,  wie  kühne  Beherztheit  und  schlaue  Klugheit  zum  Gelingen  einer 
kriegerischen  Unternehmung  zusammenwirken  müssen.  Aber  mehr  kommt 
doch  dieselbe  in  den  Fahrten  zur  See,  in  dem  Kampf  mit  den  Gewalten 
der  Natur,  in  den  Schicksalen  des  privaten  Lebens  zur  Geltung.  Es  war 
daher  ein  guter  Griff  des  Dichters  der  Odyssee,  dass  er  den  Stoff  zu  seinem 
Epos  aus  dem  Sagenkreis  von  der  Heimkehr  der  ilischen  Helden  nahm 
und  in  denselben  die  wundervollen  Mären  von  den  Bewohnern  femer  Länder 
und  den  Abenteuern  kühner  Seefahrer  verflocht.  Er  hat  so  zu  dem  Helden- 
gedicht der  Ilias  eine  vortreffliche  Ergänzung  geschaffen,  die  um  so  mehr 
Anziehungskraft  üben  und  andächtig  lauschende  Zuhörer  finden  musste, 
als  inzwischen  auch  die  Bestrebungen  der  Nation  sich  mehr  der  Schiffahrt 
und  den  friedlichen  Beschäftigungen  zuzuwenden  begonnen  hatten. 

Die  Einteilung  der  Odyssee  in  24  Bücher,  die  man  jetzt  mit  den  Buch- 
staben des  kleinen  Alphabets  zu  bezeichnen  pflegt,  rührt  gleichfalls  aus 
der  aiexandrinischen  Zeit  her.  Auch  hat  der  gleiche  Älian  Y.  H.  13,  14 
mehrere  ältere  Namen  einzelner  Teile  uns  erhalten,  wie  Td  iv  nvX((i  (y), 
Ta  iv  AaxsdaCfiovi  (J),  Kakvipovg  ccvtqov  {b  1 — 281),  Td  negl  Tt]v  ax^öiav 
{€  282—493),  'Ahcirov  anoXoyog  (*-iu),i)  Kvxlwneia  {&),  Näxvia  (A),  Td  tf^g 
KiQXTjg  (x),  NtntQa  (t),  MvijffTTJQcov  ifovog  (x),  Td  iv  dyqtT}  xal  td  iv  Aaiqtov 
(o)  205 — 548).  Aber  weit  mehr  als  die  kleinen  Gesänge  treten  in  der 
Odyssee  die  grösseren  Abschnitte  hervor,  wie  die  Irrfahrten  des  Odysseus 
(^—li)^  die  Reise  des  Telemachos  (a — (J),  die  Heimkehr  des  Odysseus  und 
der  Freiermord  (v — xp),  so  dass  innerhalb  dieser  Gruppen  die  einzelnen 
Gesänge  sich  nicht  mehr  gleich  gut  wie  in  der  Ilias  zum  Einzelvortrag 
eigneten  und  die  selbständigen,  breit  ausgeführten  Episoden  fast  ganz 
fehlen.«) 

22.  Die  Person  des  Homer,  dem  die  beiden  Dichtungen  beigelegt 
werden,  verflüchtigt  sich  um  so  mehr,  je  näher  man  derselben  zu  treten 
sacht.  Wir  haben  9  teils  längere,  teils  kürzere  Lebensbeschreibungen 
Homers;  aber  diese  sind  nur  späte,  zum  Teil  geradezu  erlogene  Fabrikate 
von  Grammatikern,  welche  örtliche  Fabeleien  für  alte  Überlieferungen  aus- 
geben oder  das,  was  ursprünglich  nur  Vermutung  und  Schlussfolge  war, 
als  feste  Thatsache  hinstellen.  5)    Wir  besitzen  mehrere  Büsten  des  Homer 


^)  iv  *AXxiyov  dnoXoyta  kommt  ebenso 
wie  iy  xoTg  NItitqois  schon  bei  Aristoteles 
in  der  Poetik  c.  16  vor.  Wie  ich  in  den 
Proleg.  Iliadis  p.  4  nachwies,  ist  der  Aos- 
dinck  verkürzt  aus  änoXoyog  iy  ^AXxiyov  sc. 
fofitp  pErzfthlnng  im  Hanse  des  Alkinoos" 
im  Gegensatz  znr  «Erzählung  beim  Sauhirten ". 

'}  Kleinere  Episoden  innerhalb  eines  Ge- 
sanges finden  sich  öfter,  wie  das  Liebes- 
abenteuer des  Ares  und  der  Aphrodite  (^  266 
bis  366),  die  Handelslist  der  phönikischen 
Seefahrer  (o  403 — 484),  die  Verwundung  des 
Odysseus  auf  der  Jagd  (r  399—466).  —  In 
^  fiberlieferten  BucheinteUung  erkennt  man 
den  Qranunatikerwitz  darin,  dass  mit  dem  Ende 
der  Infahrten   die  erste  Hälfte  des  Werkes 


(n — /4)  abschliesst  und  dass  die  Telemachie 
gerade  soviel  Gesänge  {a — (f)  enthält  wie 
der  Nostos  des  Odysseus  (e — /u). 

•)  Auf  uns  gekommen  sind  9  Vitae,  ab- 
gedruckt in  Westermanns  Biographi  gr. 
und  besprochen  von  Sengebusch  Dissertationes 
homericae;  die  Vit.  6  ist  jetzt  vollständiger 
aus  Cod.  gr.  6  der  Vittorio-Emanuelebibl. 
mitgeteilt  von  Sittl,  Stzb.  d.  b.  Ak.  1888  II 
274  f.  Von  diesen  9  Vitae  reicht  keine  über 
die  Zeit  des  Augustus  hinauf.  Die  erste  ist 
in  ionischem  Dialekt  geschrieben  und  trägt 
den  Namen  des  Herodot,  ist  aber  eine  plumpe 
Fälschung  aus  der  Zeit  nach  Strabon,  wie 
aus  dem  Vergleich  von  c.  20  mit  Strabon 
p.  596   hervorgeht;    sie    setzt   nämlich   den 


30 


Grieohisohe  LitteratargeBohiokte.    t.  Slassisohe  Periode. 


aus  dem  Altertum,  i)  aber  diese  sind  Idealschöpfungen,  hervorgegangen 
aus  der  Vorstellung  von  einem  blinden  Sänger,  welche  Vorstellung  selbst 
wieder  auf  der  irrigen  Voraussetzung  beruht,  dass  der  Dichter  der  Dias 
und  Odyssee  mit  dem  Verfasser  des  Hymnus  auf  den  delischen  Apoll  iden- 
tisch sei.*)  Wir  hören  von  einem  Vater  unseres  Dichters,  Maion  aus 
Smyrna,  und  einem  Geschlecht  der  Homeriden  in  Chios;  aber  der  Smymäer 
Maion  muss  sich  mit  dem  Flussgott  Meles  in  die  Ehre  der  Vaterschaft 
teilen,^)  und  der  sorgfaltige  Artikel  des  Harpokration  über  die  Homeriden*) 
belehrt  uns,  dass  die  Zurückfiihrung  jenes  Geschlechtes  auf  den  Dichter 
Homer  als  Ahnherrn  desselben  bestritten  und  zweifelhaft  war.  Wir  sehen 
seit  Piaton  und  Aristarch  den  Homer  als  Verfasser  der  Ilias  und  Odyssee 
an,  aber  in  der  Zeit  vor  Herodot  galt  Homer  vielen  als  Kollektivname 
für  den  Dichter  der  alten  Heldengesänge  überhaupt.*)  Wir  haben  be- 
stimmte Angaben  über  das  Vaterland  und  die  Lebenszeit  des  Homer,  aber 
ihr  Ansehen  wird  durch  den  Widerspruch  der  Überlieferung  geschwächt 
und  zum  grossen  Teil  auf  die  Bedeutung  von  blossen  Kombinationen  herab- 
gedrückt; 7  Städte,  Kyme,  Smyrna,  Chios,  Kolophon,  Pylos,  Argos,  Athen, 
und  noch  andere  mehr  stritten  sich  um  die  Ehre,  Homers  Heimat  zu 
sein.ß)    Nicht  weniger  gehen  die  Angaben  über  die  Zeit  des  Dichters  aus- 


Homer in  die  iiächsten  Jahre  nach  der  dori- 
schen Wanderung,  während  ihn  der  echte 
Herodot  H  58  in  der  Mitte  des  9.  Jahr- 
hunderts leben  Iftsst.  Die  Schrift  UlovraQ- 
Xov  nsQi  lov  ßlov  xal  r^g  noitjaecog  'Ofii^Qov 
ist  aus  zwei  Schriften  zusammengesetzt,  von 
denen  die  erstere  sicher  nicht  von  Plutarch 
herrührt,  und  auch  die  zweite,  welche  R. 
Schmidt  dem  Prophyrios  zuschrieb,  nur  Ex- 
cerpte  aus  Plutarch  enthält.  Am  wertvoll- 
sten sind  die  aus  Proklos  Chrestomathie  ge- 
zogene Vita  und  das  Certamen  Hettiodi  et 
Homerij  beide  aus  Hadrians  Zeit. 

*)  Siehe  die  beigegebene  Tafel.  Vergl. 
Bauheister,  Denk.  d.  kl.  Alt.  I  698  und 
FurtwXnglbr,  Denkmäler  griech.  Skulpt. 
Ausw.  n.  37.  Die  Studien  der  alexandrinischen 
Grammatiker  leuchten  hervor  aus  dem  be- 
rühmten Relief  Apotheose  des  Homer  von 
Archelaos  aus  Prione  (um  100  v.  Chr.),  ge- 
funden in  Bovillä  zusammen  mit  der  soge- 
nannten Tabula  lliaca. 

*)  Hymn.  Apoll.  Del.  172  sagt  vom  Dich- 
ter des  Hymnus  Tvg>X^g  txyijg  oixsi  di  Xiut 
§yi  TititnaXoecau,  Indem  man,  wie  schon 
Thukydides  III  104,  Homer  für  den  Dichter 
dieses  Verses  annahm,  kombinierte  man  da- 
mit den  blinden  Sänger  Demodokos  in  Od. 
^  64  lud  den  geblendeten  Kitharisten 
Thamyris  in  11.  B  599.  Dagegen  gut  Proklos 
p.  232  W.:  Tvg)Xöv  d^  oaoi  tovtov  anBtfrj- 
vavxo^  avioi  fjioi  doxovtn  xrjv  didvoiav  tbxv- 
(pXaia&tti,  ähnlich  Vell.  I  5,  wahrscheinlich 
nach  einem  Epigramm.  Scherzend  Plato 
Phaedr.  243*. 

■)  Als  MeXfjaiyey^g  wird  Homer  gedacht 
von  dem  alten  samischen  Dichter  Samios  bei 


I  Ath.  125  d.  Daneben  ist  Phemios  als  Nähr- 
vater genannt  von  Ephoros  in  Ps.  Plutarch 
vita  Hom.  2. 

*)  '0/iijQLdai '  y4yog  iv  Xi'y,  onsQ  ^Jxovai- 
Xaog  iv  y',  'EXXdv^xog  iy  rj  'AxXavxldi  äno 
xov  noirjxov  fptjacy  dyofjida&M,  £iXevxog  <fd 
iy  ß'  7I€qI  ßl(oy  afia^xdyBiy  tpipriy  KQatijra 
vofjii^ovxa  xovg  iy  xalg  leQonoitaig  VfÄtjQL^ 
dag  dnoyoyovg  eiym  xov  noirjtov  *  aiyofidc&fj^ 
aay  yaQ  dnd  xvSy  ofiiJQfoy,  inel  al  yvyo,Tx4g 
noxB  Xiüv  Xiixiv  iy  Jioyvffioig  naQag)Qoytj<rafra^ 
eig  fJtdj^rjy  tjX&oy  xoTg  dydgdin  xal  doyreg 
dXXijXotg  ofATjQtt  yvfAfpiovg  xal  yvfjiq>ag  inctV' 
caytOy  my  xovg  dnoyoyovg  'Ofxijgidag  Xiyovaiyy 
vgl.  Strab.  p.  645. 

')  Proclus  p.  233  W. :  yiyqatps  di  noitj^ 
aeig  dvoy  'iXidda  xal  *Odvaaeiay,  rjy  Siytay 
xal  'EXXdyixog  d(paiQovvxai>  avxov,  ol  /ACyroi 
y  dg^a'ioi  xai  xoy  xvxXov  dyatpif^owsiy  eig 
avroy.  Vergl.  mdes  über  die  Kontroverse 
unten  §  52. 

«)  Anth.  Plan.  297,  wozu  Anth.  Pkn.  295. 
296.  298.  299;  Gellius  IH  11;  Epiphan.  adv. 
haer.  I  326;  Tzetzes  ChU.  XUl  621—646. 
Nach  ihnen  erhoben  auch  los,  Eypem,  Ithaka, 
selbst  Phrygien  und  Aegypten  Ansprüche,  so 
dass  Antipater  (Anth.  Plan.  296,  ähnlich 
CIG  6092)  witzig  von  Uranos  und  der  Muse 
Ealliope  den  Homer  entsprossen  sein  liess. 
Für  Smyrna  erklärten  sich  die  meisten  der 
alten  Gewährsmänner,  Pindar,  Stesimbrotos, 
Ephoros,  Hellanikos,  Charax  (siehe  Rohdb, 
Rh.  M.  36,  388),  für  Athen  Aristarch,  indem 
er  von  der  Kolonisation  Smymas  durch  At- 
tika  ausging  und  diese  durch  die  Attikismen 
Homers  bestätigt  fand  (s.  Aristides  rhet.  I 
317  Dind.).    Chios  wird  sich   auf  das  Ge- 


▲.  Epos.    t.  Homen  Ilias  imd  Odyssee,    (t  29.) 


31 


einander:  Hellanikos  setzte  ihn  in  die  Zeit  des  troischen  Krieges  (1194 
bis  1184),  Erates  zwischen  die  Einwanderung  der  Böotier  und  den  Auszug 
der  HerakUden  (1130 — 1104),  Aristarch  in  die  Zeit  des  ionischen  Auszugs 
(1044),  ApoUodor  100  Jahre  (914),  Cornelius  Nepos  4  Menschenalter  nach 
der  ionischen  Wanderung  (910),  Ephoros  und  Sosibios  in  die  Zeit  des 
Lykurg  (866),  Theopomp  in  die  des  Einfalls  der  Kimmerier.*)  —  Löst 
sich  so  schon  angesichts  der  Unsicherheit  der  Überlieferung  die  Gestalt 
des  Homer  in  Nebel  auf,  so  sind  neuere  Gelehrten  noch  weiter  gegangen, 
indem  sie  sogar  dem  Namen  Homers  die  Bedeutung  eines  Individualnamens 
absprachen,  da  mit  demselben  nicht  eine  bestimmte  historische  Person 
benannt,  sondern  nur  in  genereller  Weise  der  Zusammenordner  älterer 
Gesänge  oder  der  Genosse  einer  Sängerzunft  bezeichnet  worden  sei.^)  Das 
letzte  ist  nun  zwar  eine  entschiedene  Verirrung  der  Zweifelsucht:  EvfioX- 
nog  *der  schön  Singende'  und  MovaaXoq  *der  Musensohn'  sind  fingierte 
poetische  Namen,  aber  wer  hätte  den  Mann,  der  eine  Ilias  und  Odyssee 
schuf  und  an  dessen  Vorbild  sich  eine  ganze  Generation  von  Dichtern 
bildete,  mit  einem  so  niederen  Namen  wie  Zusammenordner  oder  Zunft- 
Bänger  zu  bezeichnen  wagen  dürfen?  Auch  sollte  sich  die  Kritik  nicht 
erlauben,  dem  göttlichen  Sänger  Homeros  deshalb,  weil  ihm  später  allerlei 
Fabeln  angedichtet  wurden,  nun  gewissermassen  zur  Sühne  auch  noch  das 
Leben  abzusprechen.  Aber  immerhin  ist  durch  die  wissenschaftliche  Kritik 
der  Glaube  an  den  historischen  Homer  stark  erschüttert,  und  wäre  nament- 
lich der  nicht  so  leicht  zu  widerlegen,  der  den  Namen  Homer  nicht  von 
dem  Schöpfer  des  alten  Kerns  der  Ilias,  sondern  von  einem  jüngeren,  die 
älteren  Epen  zum  Abschluss  bringenden  Dichter  getragen  sein  liesse. 

23.  Homerische  Frage,  ihre  Geschichte. »)  Die  Zweifel  sind 
bei  der  Person  und  dem  Namen  des  Homer  nicht  stehen  geblieben;  die 
Kritik  ist  auf  die  dem  Homer  beigelegten  Werke  selbst  übergegangen. 
Diese  Kritik   begann   bereits  im  Altertum  in  der  Zeit  des  Herodot;  sie 

Zeitalter  und  Vaterland  des  Homer,  Halberst. 
1832;  Lauer,  Gesch.  der  hom.  Poeaie,  Berl. 
1851  S.  69  u.  124. 

^)  Die  erste  Deutung  vorgeschlagen  und 
durch  die  Analogie  des  Vyasa,  Sammler  des 
Mahabharata,  gestützt  von  Holtzmann,  die 
zweite  begründet  von  G.  Cürtiüs,  De  no- 
mine Homeri,  Kiel  1855.  Die  ganze  Frage 
von  neuem  einer  umsichtigen  Kritik  unter- 
zogen von  DüNTZBB,  Die  homerischen  Fragen, 
Leipz.  1874  S.  13—33. 

»)  Zusammenfassende  Schriften  von  W. 
Möller,  Homerische  Vorschule,  Leipzig  1836, 
jetzt  veraltet;  Minckwitz,  Vorschule  Homers, 
Leipzig  1863;  Bonitz,  üeber  den  UrspruDg 
der  hom.  Gedichte,  ursprünglich  ein  Vortrag, 
5.  Aufl.  von  Neubauer  besorgt,  1881;  Niese, 
Die  Entwicklung  der  homer.  Poesie,  Berlin 
1882;  Christ,  Homer  oder  Homeriden,  2. 
Aufl.,  München  1885.  Vieles  Einschlägige  bei 
DDntzbr,  Hom.  Abhandlungen,  Leipz.  1872; 
WiLAMowiTz,  Hom.  Untersuchungen,  Philol. 
Unters.  11.  Heft;  Jül.  Erhardt,  Die  Ent- 
stehung der  homerischen  Gedichte,  Leipz.  1894. 


schlecht  der  Homeriden  und  den  Hymn.  Ap. 
Bei.  172.  spftter  auch  auf  den  ehrwürdigen 
Steinsitz  Homers  gestützt  haben  (s.  E.  Hoff- 
üAVK,  Homeros  und  die  Homeridensage  von 
Ghios  1856).  Eolophon  berief  sich  auf  den 
f&r  homerisch  gehaltenen  Margites;  für  Eo- 
lophon war  der  Eolophonier  Nikander  in  dem 
Buch  Über  die  Dichter  von  Eolophon  einge- 
treten. In  loB  opferte  man  nach  Aristoteles 
bei  Gellius  UI  11  am  angeblichen  Grab  des 
Homer,  was  auf  eine  Sftnger-  oder  Rhapsoden- 
scfaule  in  los  hinweist.  Dass  jedenfalls  in 
Eleinasien  die  Wiege  Homers  stund,  hat  zu- 
erst Wood,  On  the  original  genius  of  Homer, 
siegreich  erwiesen. 

M  Die  Zeitangaben  verdanken  wir  ausser 
den  Vitae  zumeist  den  christlichen  Schrift- 
steilem  Clemens  Alex,  ström.  I  21  und  Ta- 
tian  ad  Graec.  31  (abgedruckt  bei  Ssnoe- 
BDscH,  Hom.  diss.  I  14  ff.).  Unsere  nftchste 
Aufgabe,  die  Gründe  der  verschiedenen  An- 
gaben zu  ermitteln,  behandelt  Rohde,  Studien 
znr  Chronologie  d.  gr.  Litt  im  Rh.  M.  86, 
380  ff.  Vgl.  aus  älterer  Zeit  Bkrnh.  Thikrsch, 


32  Grieohisehe  Litteratargesehichte.    L  KlaBsische  Periode. 

sprach  zunächt  dem  Schöpfer  der  Dias  und  Odyssee  die  Gedichte  des 
epischen  Kyklos  ab.  Wie  man  dabei  verfuhr,  ersieht  man  aus  Herodot 
II  117,  wo  zum  Beweise  dafür,  dass  die  Kyprien  nicht  von  Homer  her- 
rühren, auf  den  Widerspruch  zwischen  den  Kyprien  und  der  Ilias  hinge- 
wiesen wird,  indem  Paris  in  dem  ersteren  Gedicht  in  3  Tagen  direkt  von 
Sparta  nach  Ilios  heimfuhr,  nach  der  Ilias  ^291  hingegen  lange  umher- 
irrte und  bis  nach  Sidon  verschlagen  wurde.  Weiter  gingen  in  der  ale- 
xandrinischen  Zeit  die  sogenannten  Chorizonten,  Xenon  und  Hellanikos, 
welche  für  Ilias  und  Odyssee  verschiedene  Verfasser  annahmen.  Sie 
befolgten  dabei  die  gleiche  Methode,  indem  auch  sie  von  den  Widersprüchen 
zwischen  Odyssee  und  Ilias  ausgingen.  So  betonten  sie,  dass  in  der  Ilias 
2  382  Charis,  in  der  Odyssee  ^  267  Aphrodite  Frau  des  Hephaistos  ist, 
dass  Nestor  in  der  Ilias  A  692  elf  Brüder,  in  der  Odyssee  i  286  nur  zwei 
hat,  dass  die  Dias  den  Aiolos  als  Herrscher  der  Winde  nicht  kennt  und 
ebenso  wenig  davon  etwas  weiss,  dass  Hebe,  die  jungfräuliche  Dienerin 
der  Götter,  dem  dorischen  Nationalhelden  Herakles  angetraut  ist.^)  Aber 
die  Ansicht  der  Chorizonten  drang  nicht  durch:  Aristarch,  dem  die  Über- 
einstimmung der  beiden  Gedichte  im  grossen  Ganzen,  namentlich  gegenüber 
dem  epischen  Eyklos  und  den  Neueren  {ot  vscotsqüi),  mehr  bedeutete  als 
die  paar  nebensächlichen,  obendrein  zum  Teil  leicht  zu  beseitigenden  Un- 
ebenheiten,^) hielt  an  der  Einheit  fest,  und  seine  Autorität  behauptete  im 
Altertum  die  Oberhand,  so  dass  man  an  Homer  als  Dichter  der  Bias  und 
Odyssee  festhielt  und  sich  höchstens  nur  dazu  verstand,  die  Bias  dem 
jugendlichen,  die  Odyssee  dem  gealterten  Homer  zuzuschreiben.') 

24.  Einen  stärkeren  Ansturm  unternahm  F.  A.  Wolf  mit  den  Pro- 
legomena  ad  Homerum  1795,*)  worin  der  bahnbrechende  Gelehrte  aus  den 
Widersprüchen  und  den  Mängeln  der  Komposition  zu  erweisen  suchte,  dass 
auch  jedes  der  beiden  grossen  Epen  nicht  das  Werk  eines  einzigen  Dich- 
ters, sondern  mehrerer  Sänger  sei,  und  dass  die  Zusammenfügung  der  alten 
Gesänge  zu  einem  einheitlichen  Ganzen  erst  viele  Jahrhunderte  später 
von  unbedeutenden  Geistern,  im  wesentlichen  von  den  Redaktoren  des 
Peisistratos  vollzogen  worden  sei.  Die  kühne  Hypothese  stützt  sich  auf 
die  grossen  Anstände,^)  zu  denen  die  Komposition  der  Bias  und  Odysse 
als  Ganzes  Anlass  gibt,  und  die  um  so  auffälliger  erscheinen,  je  weniger 
die  Vollendung  der  beiden  Werke  im  Einzelnen  bestritten  werden  kann. 
Aufgebaut  aber  ist   dieselbe   weniger  auf  einer  sorgsamen  Analyse  der 


*)  Gbppbrt,    Ursprung   der   homer.  Ge-  ]           *)    Ed.  III    curavit   Pkppmüllbr,    Halle 

dichte,    Berlin  1840,    I  1—62,    und   Chbist,  I    1884  mit  dem  Briefwechsel  zwischen  Heyne 

Homer  oder  Homeriden^  8 — 15,   besprechen  :   und  Wolf, 

die  Divergenzen  im  einzelnen.  ')  So  erscheint  Pylaimenes,  nachdem  er 

'^)   Ein  Hauptanstoss   A   603   gegenüber  K  576  gefallen  ist,  S  656  wieder  unter  den 

£  905  ward  durch  Athetese  von  X  565—627  Lebenden  und  wird  es  an  dem  3.  Schlacht- 


glücklich behoben. 

')  Ps.  Longin  de  sublim.  9.  Spöttelnd 
bemerkt  Seneca  de  brev.  vitae  13:  Grae- 
corum  inte  morhuH  fuit  quaerere,   quem  nu- 


tag  zweimal  (A  83  u.  B  777)  Mittag;  anderes 
mehr  s.  unten.  Wolf  hat  indes  die  Wider- 
sprüche nicht  zuerst  bemerkt;  wie  man  aus 
den  Scholien  sieht,  waren  dieselben  grossen- 


tnerum    ü/uices    retnigum    hahuissetj    prior      teils   schon  den  alten  Grammatikern  anfge- 
scripta  esset  Ilias  an  Odyssea,  praeterea  an      fallen. 
eiusdetn  esset  auctoris.  . 


A.  Epos.    2.  Homera  Ilias  nnd  Odyssee.    (§  24.) 


33 


beiden  Dichtungen,  als  auf  dem  Boden  der  Zeugnisse  des  Altertums  von 
der  Vereinigung  der  zuvor  zerstreuten  Gesänge  durch  Peisistratos  und 
auf  dem  Grunde  zweier  äusserer  Momente.  Denn  einmal  sei  zur  Zeit 
Homers  die  Schrift  noch  nicht  bekannt  gewesen,  sei  aber  ohne  Schrift  die 
Dichtung  so  umfangreicher  Werke  nicht  denkbar,  und  dann  habe  in  jener 
Zeit  zur  Abfassung  so  grosser  Epen  kein  Anlass  bestanden,  da  damals  die 
Sänger  nur  kleine  Gesänge  vorzutragen  pflegten.  Der  von  dem  grossen 
Philologen  angeregte  Streit,  der  die  Geister  nicht  bloss  der  zünftigen  Ge- 
lehrten, sondern  aller  Gebildeten  und  nicht  zum  wenigsten  unserer  grossen 
Dichterfftrsten  Goethe^)  und  Schiller  mächtig  ergriflf,  hat  im  Laufe  der 
Zeit  wesentlich  zur  Klärung  der  Sache  und  zum  richtigeren  Verständnis 
des  Volksepos  beigetragen,  hat  aber  noch  nicht  seinen  Abschluss  in  einer 
allseitigen  Verständigung  gefunden.  >)  Einesteils  haben  die  Unitarier,  auf 
deren  Seite  sich  gleich  anfangs  Schiller  und  Voss  stellten  und  deren  Sache 
in  gelehrter  Ausführung  besonders  Nitzsch^)  verfocht,  die  Haupt  Voraus- 
setzung der  Wolf  sehen  Hypothese,  den  Nichtgebrauch  der  Schrift,  be- 
stritten und  den  ganzen  Gedanken  von  einem  Flickhomer  als  barbarisch 
verschrieen.  Anderseits  haben  sich  die  Wolfianer  nicht  dabei  beruhigt, 
nur  im  allgemeinen  die  Existenz  des  einen  Homer  zu  leugnen,  sind  aber, 
indem  sie  den  von  Wolf  aufgeworfenen  Gedanken  zu  Faden  schlugen,  auf 
verschiedene  Wege  gekommen,  welche  sie  teils  den  Unitariem  näherten, 
teils  zu  dem  Extrem  einer  unbestimmten  Menge  von  Homeriden  führten. 
Am  konsequentesten  hat  die  Liedertheorie  Wolfs  E.  Lachmann  ver-: 
folgt.*)  Er  war  durch  Untersuchung  der  epischen  Poesie  unserer  Vor- 
fahren zur  Überzeugung  gekommen,  dass  bei  allen  Völkern  die  Zeit  des 
Volksepos  nur  einzelne  kleinere  Lieder  hervorgebracht  habe,  und  hat  dem- 
nach an  der  Hand  innerer  Kriterien  wie  aus  dem  Nibelungenlied  20,  so 
aus  der  Hias  15  oder  16^)  Einzellieder  herausgeschält.^)  Er  wollte  damit 
nur  den  alten  volkstümlichen  Liederschatz  wieder  gewinnen,  aus  dem 
erst  mehrere  Jahrhunderte  nachher  die  grossen  Epen  entstanden  seien; 
die  Frage,  wer  und  wie  viele  Sänger  jene  16  Lieder  gedichtet,  liess  er 
ganz  beiseite.  Erst  spätere  Anhänger  der  Lachmann'schen  Liedertheorie, 
wie  Benicken,  haben  geradezu  für  jedes  der  16  Lieder  einen  besonderen 
Dichter  in  Anspruch  genommen.   Nur  eine  Konsequenz  dieser  Anschauung 


>)  VgL  M.  BfERHAYS,  Goethes  Briefe  an 
Ft.  A.  Wolf,  1868;  Cbbibt,  Homer  und  Hö- 
rnenden S.  84. 

*)  YoLEXAKir,  Geschichte  und  Kritik  der 
Wolf  sehen  Prolegomena,  Leipzig  1874,  wo 
zugleich  aber  die  Vorgeschichte  der  Pro- 
legomena  gehandelt  ist,  d.  i.  über  die  Männer, 
welche  schon  vor  Wolf  fthnliche  Gedanken 
ansgeoprochen  haben,  wie  Yico  (1686—1744) 
imd  Wood,  Ueber  das  Qriginalgenie  Homers 
(1769). 

')  G.  W.  NiTzscB,  Meletemata  de  histo- 
ria  Homeri  1830,  Sagenpoesie  der  Griechen 
1852,  Beiträge  zur  Geschichte  der  epischen 
Poesie  1862.  Einen  fthnlichen  Standpunkt 
vertreten  Bauxlein,  Gomment.  de  Homero 
in  Tanchn.  Ausg.  1854;  Nutzhobm,  Ent- 
Baadbnch  der  klasa.  AltertnmBwlHenaobaft.   YU. 


stehungsweise  der  hom.  Gedichte,  Leipz.  1869. 

^)  Lacbxann,  Betrachtungen  über  Ho- 
mers Dias  (1846)  2.  Aufl.  mit  Zusätzen  von 
Moritz  Haupt,  Berlin  1865. 

'^)  Die  Diskrepanz  entsteht  dadurch,  dass 
Lachmann  wohl  einmal  S  84  von  einem 
grossen  16.  Liede  spricht,  thatsächlich  aber 
nur  15  kleinere  Lieder  gewinnt  und  schon 
mit  dem  17.  Buch  seine  alte  Hias  schliesst. 

^)  Lachmanns  Lehre  brachte  mit  kleinen 
Modifikationen  zum  Ausdruck  im  Text  Köchly, 
Iliadis  carmina  XYI,  Lips.  1861  in  BibL 
Teubn.,  wozu  die  trefflichen  Dissertationes 
de  Iliadis  carminibus  und  de  Odysseae  car- 
minibus  im  1.  Band  von  Eöchlys  Opusc. 
kommen. 

8.  Aufl.  3 


34  Griechische  litteratorgeBchichte.    I.  Klassische  Periode. 

war  es,  dass  andere  in  Homeros  gar  nicht  mehr  den  Individualnamen 
eines  gottbegnadeten  Dichters,  sondern  nur  den  Repräsentanten  der  Flick- 
arbeit eines  Zusammenordners  erblicken  wollten.  —  Einen  anderen  Weg  hatte 
schon  vor  Lachmann  G.  Hermann  in  der  klassischen  Abhandlung  De 
interpolationibus  Homeri  (1832)  ^)  eingeschlagen.  Er  ging  davon  aus,  dass 
sich  die  Oegensätze  einer  unleugbaren  Einheit  des  Gesamtplanes  und  der 
Widersprüche  und  Abweichungen  im  Einzelnen  nur  erklären  liessen,  wenn 
man  eine  Urilias  und  eine  Urodyssee  von  massigem  Umfang  in  den  An- 
fang setze  und  diese  erst  allgemach  durch  Zu-  und  Eindichtungen  zu  den 
grossen  Epen  des  Peisistratos  anwachsen  lasse.  ^)  Aber  jene  UriUas  und 
Urodyssee  hat  Hermann  nicht  selbst  wieder  herzustellen  versucht;  er  schien 
sogar  zu  glauben,  dass  dieselben  später  durch  jüngere  Überarbeitungen 
und  Erweiterungen  vollständig  überwuchert  und  verschüttet  worden  seien. 
Darüber  sind  die  neueren  Forscher  hinausgegangen;  sie  hielten  die  Ho- 
meriden  für  zu  treue  Bewahrer  des  alten  Schatzes  ihres  Stammeshauptes, 
als  dass  sie  denselben  irgendwelche  Unterschlagung  des  kostbaren  Ver- 
mächtnisses zutrauten;')  sie  suchten  daher  nach  Mitteln  und  Wegen,  um 
die  verschiedenen  Schichten  der  homerischen  Poesie  von  einander  zu 
scheiden.  Auf  solche  Weise  ist  die  homerische  Frage  allmählich  der  Sphäre 
allgemeiner  Erwägungen  entrückt  worden  und  hat,  wenn  auch  bis  jetzt 
noch  vieles  zweifelhaft  geblieben  ist  und  wohl  auch  in  Zukunft  bleiben 
wird,^)  doch  immerhin  eine  fassbarere  Gestalt  angenommen. 

25.  Stand  der  homerischen  Frage.  Es  wäre  vermessen,  die  all- 
gemach zu  einer  grossen  Litteratur  angewachsene  homerische  Frage  hier 
in  diesem  kurzen  Abriss  lösen  oder  nur  vollständig  diskutieren  zu  wollen. 
Gleichwohl  werden  einige  resultierende  Schlusssätze  am  Platze  sein.  Kein 
vernünftiger  Mensch  ist  heutzutage  noch  reiner  Unitarier  oder  reiner  Wol- 
fianer.  Die  Verfechter  des  einen  Homer  und  unter  ihnen  nicht  bloss  die 
Königsberger, ^)  sondern  selbst  Nitzsch  haben  nach  und  nach  zugegeben, 
dass  unsere  Ilias  und  Odyssee  viele  jüngere,  nicht  von  Homer  herrührende 
Bestandteile  enthalten,  und  zwar  nicht  bloss  kleine,  aus  wenigen  Versen 
bestehende  Interpolationen, ö)   sondern  auch   grössere  Erweiterungen^)  und 


^)  Jetzt  in  Oposc.  V  52—77.  |   diesem  Gebiet  passt  der  schöne  Aussprach 

')  p.  15:  Homenim  duo  non  magni  am-  \   des    geistvollen    Emperius    Rh.  M.   I   447: 

Homeri  carminum  qnalis  fnerit  antiqnissima 
forma,  quaeritur  et  quaeretor  qnonsque  phüo- 
logia  erit  inter  aequales. 

^)  Das  Verdienst,  die  Einheit  des  Planes 
energisch  vertreten  zu  habeo,  gebfihrt  dem 
Haupte  der  Eönigsberger,  Lbbbs;    aber  da- 


bitus  carmina  de  ira  AchilHs  Ulixisque  re- 
dUu  compo8ui88e,  quae  deinceps  a  multia 
cantata  pauUadmque  aucta  atque  expoHta 
Homeri  nomen  ad  posteroa  ut  poetae  vettis- 
tissimi  propagaverint. 

»)  Ich  will  damit  nicht  gesagt  habeu, 


dass  die  alten  Lieder,  als  sie  durch  jüngere  '  neben  nahm   doch  auch  er  oft  den  Namen 

Dichtungen  erweitert  wurden,  nicht  kleinere  Interpolation  in   den  Mund;    weiter  gingen 

Aenderungen  am  Anfang  und  Schluss  erlitten  1  auf  dem   letzteren   Weg  Fbibdlander   und 

haben.   Aber  wie  sorgsam  man  das  alte  Gut  besonders    Kammbb  ,    Einheit    der    Odyssee, 

wahrte,  ersieht  man  namentlich  aus  ^  227  ff.,  I  Leipz.  1873.   Unter  den  Neueren  tritt  Roudb 

Si  728,  71  23—29,  wo  sich,  nachdem  eine  Er-  '  mit  Entschiedenheit  für  die  Einheit  im  gros- 

weiterung  aufgenommen  war,  eine  kleine  Um-  sen  Ganzen  ein. 

Wandelung  des  alten  Textes  empfohlen  hätte,  ®)    Verschiedene    Arten    solcher    Inter- 

aber  aus  heiliger  Scheu  vor  der  alten  üeber-  polationen  von  mir  nachgewiesen  in  Proleg. 

lieferung  nicht  vorgenommen  wurde.  §§  12 — 18. 

*)  Als  Motto  für  jede  Forschung  auf  ^)  S.  meine  Proleg.  §  19  u.  20. 


A.  fipoB.    2.  Homers  lUaa  und  Odyssee.    ($25.) 


35 


selbst  ganze  Gesänge,  wie  den  ScUuss  der  Odyssee  (ip  297 — «  fin.),  den 
schon  die  Grammatiker  Aristophanes  und  Aristarch  als  unecht  verwarfen, 
die  Doloneia,  welche  nach  einem  alten  Scholion  erst  Peisistratos  in  die 
Hias  einlegte,^)  den  läppischen  aus  Reminiszenzen  zusammengestoppelten 
Zweikampf  des  Aeneas  und  Achill  ( V  75—352),  den  Schiflfkatalog  {B  484 
bis  779  mit  der  Ergänzung  II  168—199).  Ebensowenig  wird  es  heute 
noch  jemand  Wolf  oder  Lachmann  nachreden,  dass  Peisistratos  erst  die 
Hias  und  Odyssee  als  Ganzes  geschaffen  habe.  Umgekehrt  hat  der  grosse 
Historiker  Englands,  Grote,  der  im  2.  Bande  seiner  Geschichte  Griechen- 
lands der  homerischen  Poesie  einen  trefflichen  Abschnitt  gewidmet  hat,*) 
allgemeinen  Beifall  mit  der  Bemerkung  gefunden,  dass  unmöglich  ein  Werk 
mit  faktisch  bestehender  Einheit  aus  Atomen  von  nicht  aufeinander  be- 
rechneten Liedern  entstanden  sein  könne.  Noch  handgreiflicher  beweist 
die  Sprache,  deren  Entwicklungsstadien  man  seit  Wolf  viel  schärfer  zu 
unterscheiden  gelernt  hat,  dass  alle  Gesänge  Homers  in  derselben  Sprach- 
periode entstanden  sind  und  nicht  um  zwei  Jahrhunderte  auseinander  liegen 
können.  Über  150  Jahre  vor  Peisistratos  war  Dias  und  Odyssee  fertig, 
die  Redaktoren  Attikas  haben  zu  den  alten  Gedichten  nicht  100  Verse 
hinzugethan  oder  weggenommen.  So  oder  noch  ungünstiger  für  die  Wolf- 
sche  Theorie  lautet  jetzt  das  allgemeine  Urteil  der  Sachverständigen.') 

Es  hat  femer  der  Grundgedanke  Lachmanns,  dass  auch  bei  den 
Griechen  der  Zeit  grosser  Epen  eine  Periode  kleiner  balladenartiger  Helden- 
lieder vorausgegangen  sei,  und  dass  sich  in  den  ältesten  Bestandteilen  der 
Hias  noch  viele  Anklänge,  selbst  Reste  jener  alten  Lieder  finden,  bei 
Freunden  und  Gegnern  Lacbmanns  immer  mehr  Boden  gewonnen.  Jeder 
wird  es  Lachmann  und  seinen  Anhängern  Dank  wissen,  dass  sie  die  will- 
kürlichen Schranken  der  späteren  Einteilung  in  24  Bücher  niederrissen 
und  die  alten  Lieder,  wie  sie  Homer  und  die  Homeriden  in  dem  Männer- 
saal und  der  Festversammlung  sangen,  wiederzugewinnen  und  abzugrenzen 
suchten.  Das  Verständnis  der  kunstvollen  Komposition  der  alten  Gesänge 
hat  dadurch  wesentlich  gewonnen,*)  und  es  ist  damit  zugleich  den  Ver- 
ständigen unter  unsem  Schulmännern  ein  bedeutsamer  Fingerzeig  für  die 
richtige  Auswahl  bei  der  Homerlektüre  gegeben  worden.  Aber  an  allem, 
was  darüber  hinausgeht,   halten  heutzutage  nur  eingefleischte  Lachmann- 


^)  Das  ist  freüich  nur  so  za  deuten, 
dass  einige  Rhapsodenschfiler,  vielleicht  auf 
Gnrnd  alter  Traiditioo,  die  Doloneia  nicht  in 
den  Gj^klns  der  Gesftnge  der  Ilias  aufge- 
nommen hatten.  Denn  nicht  erst  in  der  2^it 
des  Peisistratos  im  6.  Jahrh.  ist  die  Doloneia 
entstanden. 

^)  Yergl.  Fbiedlakdeb,  Die  homerische 
Kritik  von  Wolf  his  Grote,  Berlin  1853. 

')  Palbt,  Homeri  quae  nunc  extant  an 
nliquis  cycli  carminibus  antiquiora  iure 
hibita  sint,  London,  Ifisst  freilich  noch  im 
Jahre  1878  die  Ilias  in  der  Zeit  des  Anti- 
machos  und  Platon  entstanden  sein. 

*)  So  begreift  man  bei  der  Annahme 
Ton   Einzelliedem    leicht   den   heitern   Ab- 


schluss  des  Gesangs  yom  Zweikampf  des 
Paris  und  Menelaos  durch  die  ergötzliche 
Gardinenscene  zwischen  Paris  und  Helena; 
so  versteht  man  es  auch,  wie  der  Gesang 
von  den  Grossthaten  des  Agamemnon  {A  1 
bis  595)  im  entscheidenden  Wendepunkt  der 
Handlung  mit  grossartiger  Perspektive  ab- 
bricht und  der  folgende  Gesang  {M)  mit 
Uebergehung  der  wenig  anziehenden  Zwischen- 
fälle gleich  mit  einem  neuen  Knotenpunkt 
der  Handlung,  dem  Kampf  um  die  Schiffe, 
anhebt.  Die  Zwischenverse  und  Zwischen- 
scenen  sind  alle  erst  spftter  eingelegt  und 
ich  hätte  hier  in  meiner  Ausgabe  weiter 
gehen  und  z.  B.  ^  306—317  und  X  385  bis 
390  nicht  als  alt  bezeichnen  sollen. 

3* 


36  Oriechisohe  Litteratnrgeaohieht«.    I.  Klassische  Periode. 

ianer,  und  selbst  diese  nur  mit  gewissen  Einschränkungen  fest.  Wenn 
Homer  vom  Sänger  Demodokos  %>  499  sagt  (paire  d'  äoidtjvy  iv&€v  ihav 
(og  oi  fx^v  ivaatXiiwv  im  vrjwr  ßcivveg  anbnksiov^  so  hat  er  damit  selbst 
ein  Zeugnis  daf&r  abgelegt,  dass  die  Praxis  des  Vortrags  einzelner  Lieder 
nicht  die  Dichtung  mehrerer,  zu  Gliedern  eines  grösseren  Ganzen  bestimmter 
Gesänge  ausschliesst.  Der  3.  Gesang  der  Dias  vom  Zweikampf  des  Paris 
und  Menelaos  ist  zwar  sehr  hübsch  in  sich  abgerundet  und  eignet  sich 
vortrefflich  zum  Einzelvortrag,  aber  derselbe  kündigt  sich  doch  zugleich 
als  Vorläufer  einer  Reihe  grösserer  Eampfesscenen  an,  und  der  4.  Gesang 
bildet  dazu  den  natürlichen  Schluss  (die  oqxi(ov  avyxvaig  zu  den  oQMa\ 
nicht  eine  für  sich  bestehende  Dichtung.  Und  wollten  wir  auch  das 
Proömium  der  Ilias  als  nachträglichen  Zusatz  preisgeben,  so  ist  doch  der 
ganze  erste  Gesang,  und  selbst  schon  der  erste  Teil  des  ersten  Gesangs 
(A  1 — 305),  so  breit  angelegt,  dass  man  ihn  nicht  als  Eingang  einer  kurz- 
gefassten  Erzählung,  sondern  als  Ankündigung  eines  grossen,  weit  aus- 
gesponnenen Epos  ansehen  muss.  Wenn  daher  auch  noch  so  sehr  Einzel- 
lieder, die  für  sich  singbar  waren,  der  Ilias  zu  gründe  liegen,  so  muss 
man  doch  daran  festhalten,  dass  jene  Einzellieder  zu  einander  vom  Dichter 
selbst  in  Beziehung  gesetzt  und  auf  ein  grosses  gemeinsames  Ziel  gerichtet 
waren.  Also  auch  über  die  Bedeutung  des  Liedes  im  alten  Epos  lässt  sich 
eine  Verständigung  finden. 

Auf  der  anderen  Seite  hat  die  Lehre  Hermanns  von  einem  ursprüng- 
lichen kleineren  Kern,  der  sich  allmählich  durch  Einschaltungen  zu  einem 
grossen  Epos  entwickelt  habe,  im  Laufe  der  Diskussion  solche  Gestalt 
angenommen,  dass  sie  mit  der  Liedertheorie  leicht  in  Einklang  gebracht 
werden  kann.  Alle  nämlich,  welche  den  Gedanken  Hermanns  weiter  ver- 
folgt und  aus  unserer  Ilias  den  ursprünglichen  Kern  wieder  herauszuschälen 
versucht  haben,  kamen  auf  eine  Urilias  nicht  von  einigen  Hunderten, 
sondern  von  vielen  Tausenden  von  Versen.  Ein  so  umfangreiches  Gedicht 
eignete  sich  aber  nicht  mehr  zum  Vortrage  auf  einmal,  sondern  musste 
notwendig  in  mehrere  Teile  oder  Lieder  zerfallen,  so  dass  wir  also  auch 
auf  diesem  Wege  in  den  Anfang  einen  Zyklus  von  mehreren  zusammen- 
hängenden Liedern  setzen  müssen,  wie  wenn  wir  den  Kern  der  Ilias,  die 
Achilleis,  aus  Mrjugy  ^Aqiaxeia  'Ayaintjxrorog,  UaTQoxXua^  Extogog  dvaf(}€<xig, 
und  die  erste  grosse  Einlage,  den  Kampf  um  Ilios  {ohog  'iXtov),  aus  *Ayoqd^ 
"Ogxia,  MsveXäov  xal  'Akf^dvdQov  fnorofiaxtcc,  Teixoaxonia^  ^ÖQxfoiv  ffvyxvctg^ 
'EmTKäkr^atg,  Jio^rjdovg  dgicxsta^  Exroqog  xal  *AvSQOfAaxf/C  ofiikta,  Ätawog 
xal  "ExioQog  ftorofiaxfa  bestehen  lassen. 

26.  Auf  solche  Weise  kann  man  nicht  sagen,  dass  die  homerische 
Frage,  wie  so  manche  andere,  vollständig  im  Sand  verlaufen  sei;  vielmehr 
hat  man  sich  von  verschiedenen  Seiten  die  Hände  gereicht  und  ist 
über  mehrere  Hauptpunkte  zu  einer  gegenseitigen  Verständigung  ge- 
kommen. Aber  freilich  gehen  innerhalb  dieser  Grenzen,  wenn  es  zur 
Entscheidung  im  einzelnen  kommen  soll,  die  Meinungen  noch  stark  aus- 
einander. Es  sind  hauptsächlich  drei  Punkte,  in  denen  weniger  infolge 
prinzipieller  Meinungsverschiedenheit  als  infolge  verschiedener  Beurteilung 
des  einzelnen  Falles  die  Stimmen  der  Forscher  sich  scheiden.    Es  handelt 


A.  EpoB.    2.  Homers  Dias  nnd  Odyssee. 


►.) 


37 


sich  erstens  um  solche  Partien,  von  denen  zugegeben  wird,  dass  sie  nicht 
von  vomlierein  in  dem  ursprünglichen  Liederzyklus  stunden.  Hier  fragt 
66  sich,  wer  hat  dieselben  zugedichtet,  derselbe  Dichter  oder  ein  anderer? 
Nichts  nämlich  nötigt  uns  zur  Annahme,  dass  Homer  die  Gesänge  der  Ilias 
und  Odyssee  so  nacheinander  dichtete,  wie  sie  jetzt  hintereinander  stehen. 
Jeder  moderne  Schriftsteller  erlaubt  sich,  nachdem  er  den  Plan  seines 
Werkes  im  Geiste  entworfen  hat,  je  nach  Stimmung  und  äusserem  Anlass 
bald  eine  vordere,  bald  eine  spätere  Partie  herauszugreifen  und  zur  Aus- 
arbeitung vorzunehmen.  Weit  mehr  noch  wird  dieses  der  Dichter  in  jener 
Zeit  der  Yolkspoesie  gethan  haben,  wo  ein  grösseres  Epos  nie  als  Ganzes 
zum  Vortrag  kam,  wo  immer  nur  einzelne  Lieder  verlangt  und  gesungen 
wurden.  Wenn  nun  z.  B.  in  der  Patrokleia  B  366  nur  von  einem  Graben 
um  die  Schiffe  der  Achäer,  nicht  auch  von  einer  Mauer  die  Rede  ist,  die 
Oesänge  M  N  8  O  aber  sich  um  die  Mauer  als  Mittelpunkt  des  ganzen 
Kampfes  drehen,  so  muss  man  daraus  allerdings  schliessen,  dass  die  letzt- 
genannten Gesänge,  auch  wenn  sie  vor  der  Patrokleia  stehen,  doch  erst 
nach  derselben  gedichtet  wurden.^)  Aber  konnte  nicht  derselbe  Dichter 
mit  der  Zeit  sein  Werk  selbst  erweitern  und  nachträglich  auch  eine  Mauer 
in  den  Plan  seiner  Dichtung  aufnehmen?  Dieselbe  Frage  vnederholt  sich 
bezüglich  der  Lykier  am  fernen  Xanthos  neben  den  Lykiern  am  nahen 
Ida,  bezüglich  der  Kämpfe  der  ersten  zwei  Schlachttage,  bezüglich  der 
Unterweltscene  in  der  Odyssee,  bezüglich  der  Telemachie  und  vieler  anderer 
Partien.  Mit  allgemeinen  Prinzipien  ist  aber  da  nicht  viel  anzufangen, 
sondern  es  wird  die  Entscheidung  der  Frage,  ob  die  betreffende  Partie 
vom  Originaldichter  selbst  oder  von  einem  fremden  Nachdichter  herrühre, 
immer  von  einer  sorgfältigen  Untersuchung  des  einzelnen  Falles  abhängen. 
So  ftüUt  z.  6.  die  Episode  vom  Zusammentreffen  des  Diomedes  und  Glaukos, 
Z  119—236,  vortrefflich  die  Zeit  zwischen  dem  Weggehen  des  Hektor 
(Z  116)  und  seiner  Ankunft  am  skäischen  Thore  {Z  237)  aus,  und  da 
dieselbe,  von  den  südlichen  Lykiern  abgesehen,  gar  nichts  enthält,  was 
gegen  die  Sprache  und  den  Mythus  der  alten  Partien  der  Dias  verstiesse, 
so  nehme  ich  trotz  der  zweifelweckenden  Bemerkung  des  Scholiasten  A 
ßFioTiO^taai  tireg  aXXaxotse  Tavtijv  xrjv  avataaiv^  unbedenkUch  an,  dass 
Homer  selbst  diese  Episode  nachträglich  eingelegt  habe,  um  den  Lykier- 
f&rsten  Glaukos,  dem  er  im  2.  Teil  seines  Epos  eine  so  grosse  Rolle  zu- 
wies, doch  auch  einmal  in  den  Kämpfen  des  ersten  Schlachttages  auftreten 
zu  lassen.  Die  gleiche  Entschuldigung  kann  ich  aber  für  die  ähnliche 
Episode  vom  Kampfe  des  Sarpedon  und  Tlepolemos,  E  628—698,  nicht 
gelten  lassen,  und  zwar  aus  drei  Gründen  nicht,  einmal  weil  der  Gang  der 


')  Die  Chronologie  der  homerischen 
Gesinge,  wie  ich  sie  für  die  Hias  in  meinen 
Proleg.  p.  55  -  78  und  731—733  festgestellt 
habe,  wird  den  Angelpunkt  der  weiteren 
Untersnchmigen  über  die  homerische  Frage 
bilden  müssen.  Wenn  ich  dazu  den  Boden 
gelegt  nnd  an  den  Hauptsätzen  auch  heute 
noch  unverbrüchlich  festhalte,  so  nehme  ich 
dodi  im  einzelnen  manches  zurück.  So  yer- 
biiide  ich  jetzt  A  306-611  mit  B  1-52  und 


lasse  diese  Fortsetzung  von  A  1—305  nicht 
unmittelbar  nach  dem  1.  Lied  gedichtet  sein. 
Femer  gebe  ich  die  Wahrscheinlichkeit  zu, 
dass  H  8—312  unmittelbar  nach  Z  h—H  7 
und  dass  M-^0  vor  S  248—335,  T  1—139, 
357—424,  y  375— #  227  gedichtet  seien. 
Hingegen  ist  mir  zweifelhaft,  ob  ich  mit 
Recht  Hektors  Tod  oder  den  Kern  von  # 
526— X  394  zum  Bestände  der  ältesten  Achil- 
leis  rechnete. 


38 


Griechisohe  Lüteratnrgeschichte.    I.  Klassisohe  Periode. 


Erzählung  keine  gleich  passende  Zwischenzeit  lässt,  dann  weil  die  dorische 
Sage  von  dem  Herakliden  TIepolemos  dem  ionischen  Sänger  fremd  war, 
und  endlich  weil  von  der  in  dieser  Episode  geschilderten  schweren  Ver- 
wundung des  Sarpedon  im  folgenden  {M  101  ff.)  gar  keine  Notiz  genommen 
ist.  Auch  möchte  ich  zwar  nicht  von  kleinen  sprachlichen  Unebenheiten, 
die  sich  durch  Erweiterung  der  alten  Gesänge  ergaben,  allzuviel  Aufhebens 
machen;  aber  schwer  glaublich  ist  es  doch,  dass  der  Dichter  der  Presbeia, 
wenn  er  selbst  den  beiden  Abgesandten  der  Achäer,  Odysseus  und  Aias, 
nachträglich  als  dritten  den  greisen  Phönix  beigegeben  hätte,  die  Duale 
ßcnrjv,  €vxofJL€va),  ictov  (/  182.  183.  192.  198)  der  alten  Erzählung  hätte 
stehen  lassen.^) 

Ein  zweiter  Streitpunkt  dreht  sich  um  die  Widersprüche  innerhalb 
der  beiden  grossen  Dichtungen.*)  Viele  derselben,  welche  schon  die  alten 
Grammatiker  beschäftigten,  sind  unbestreitbar;  aber  wie  gross  ist  die  Trag- 
weite derselben?  muss  man  immer  zum  Äussersten,  zur  Annahme  ver- 
schiedener Verfasser  schreiten?  Ich  bin  nicht  so  leicht  geneigt,  zu  dem 
horazischen  quandoque  bonus  dormüat  Homerus  meine  Zuflucht  zu  nehmen; 
aber  doch  glaube  ich,  dass,  wenn  Diomedes  im  5.  Gesang  verwegen  auf 
die  Aphrodite  eindringt,  im  6.  dagegen  in  heiliger  Scheu  sagt  ovo'  av  iyw 
liaxaQfaai  &€oTa  i&tlotfui  fidxea&ai  (Z  141),  dieses  nicht  zur  Annahme 
verschiedener  Dichter  nötigt,  sondern  an  der  Verschiedenheit  der  Situation 
und  dem  Vorkommen  in  verschiedenen,  nicht  notwendig  hintereinander  zu 
singenden  Gesängen  seine  ausreichende  Entschuldigung  hat.  Und  selbst 
wenn  in  dem  1.  Teile  des  1.  Gesangs  der  Ilias  die  Athene  von  dem  Olymp 
zum  Lager  der  Achäer  herabsteigt  [A  195),  im  2.  Teile  hingegen  {A  424) 
mit  allen  Olympiern  tagszuvor  zu  den  Äthiopiern  abgereist  ist,  so  durfte, 
denke  ich,  sich  der  Dichter  auch  dieses  in  der  Voraussetzung  erlauben, 
dass  seine  andachtsvoll  lauschenden  Zuhörer  den  Widerspruch  nicht  mer- 
ken, und  wenn  sie  ihn  merkten,  keinen  Anstoss  an  demselben  nehmen 
würden.  Aber  wenn  Pylaimenes,  nicht  ein  gemeiner  Soldat,  sondern  ein 
König  der  Paphlagonier  im  5.  Gesang  [E  576)  im  Kampfe  mit  Menelaos 
fällt,  im  13.  hingegen  (N  656)  die  Leiche  seines  Sohnes . begleitet,  so  er- 
regt dieses  schon  schwerer  zu   beseitigende  Zweifel   an  der  Einheit  der 


^)  Vergleiche  meine  Proleg.  p.  29  und 
Note  zu  /  168.  Oft  kann  man  schwanken, 
oh  eine  Partie  ganz  einer  jüngeren  Periode 
des  epischen  Gesangs  znzuschreihen,  oder 
nach  Ausscheidung  der  jüngeren  Teile  in  ein 
höheres  Alter  hinaufzurücken  ist.  So  ist 
z.  B.  der  zweite  Teil  des  11.  Gesangs  der 
Ilias  A  596 — 838  samt  der  einleitenden 
Partie  A  499 — 510  jedenfalls  erst  nach  der 
Patrokleia  gedichtet,  indem  dieselbe  A  604 
und  796  die  Patrokleia  ankündigt,  die  Patro- 
kleia aber  und  insbesondere  der  Anfang  der- 
selben den  zweiten  Teil  des  11.  Gesangs 
vollstftndig  ignoriert.  Aber  ob  derselbe  noch 
von  Homer  oder  einem  älteren  Homeriden 
herrührt  oder  erst  in  jüngerer  Zeit,  als  be- 
reits in  Olympia  der  Wagenkampf  einge- 
führt war  {A  699—702)  gedichtet  worden 


ist,  hängt  wesentlich  davon  ab,  ob  man  die- 
jenigen Partien,  welche  Spuren  jüngeren 
Alters  tragen  und  hauptsächlich  Anstoss  er- 
regen {A  668—763  und  806—838  mit  O  390) 
ausschneiden  will  oder  nicht.  Ich  selbst 
neige  mich  jetzt  zur  Ausschneidung,  da  an 
und  für  sich  die  Verbindung  einer  kriege- 
rischen Scene  mit  einem  friedlichen  Aus- 
gang ganz  im  Greiste  der  alten  homerischen 
Poesie  gelegen  ist. 

^)  Gute  Gedanken  entwickeln  bezüglich 
der  Widersprüche  Pbby,  Zur  Poetik  Homers, 
Bern.  Progr.  1881  S.  23  ff.;  C.  Rothe,  Die 
Bedeutung  der  Widersprüche  für  die  home- 
rische Frage,  Progr.  des  Berliner  coU^ge 
francais  1894;  JELiifSK,  Hom.  Ünt«^,  Wi- 
dersprüche im  zweiten  Teil  der  Odyssee, 
Wien  1896. 


▲.  Epos.    2.  Homers  Ilias  und  Odyssee.    (§  26.) 


39 


Terfasser.  Doch  ist  auch  hier  noch  zuversichtliches  Absprechen  wenig 
am  Platz,  da  auch  bei  anderen  Dichtem  ähnliche  Ungenauigkeiten  vor- 
kommen und  z.  B.  selbst  der  sorgsame  Ariosto  im  Orlando  furiose  18,  45 
den  Ballustrio  fallen,  40,  73  aber  und  41,  6  wieder  unter  den  Lebenden 
weilen  lässt.^)  Aber  wenn  selbst  auch  in  diesem  Punkte  noch  das  operi 
Umgo  fas  est  obrepere  somnum  seine  Geltung  hat,  so  darf  doch  unter  keinen 
Umstanden  der  Widerspruch  auf  die  leichte  Achsel  genommen  werden, 
wenn  er  auf  einem  Missverständnis  der  Situation  oder  des  sprachlichen 
Ausdrucks  beruht.  Ein  solcher  liegt  in  dem  Gesang  von  der  Mäxrj  naqu- 
notdfuog  (<I>)  vor,  wo  sich  der  ältere  Dichter  den  Achill  von  der  rechten, 
der  Fortsetzer  von  der  linken  Seite  des  Skamander  kommend  {<P  245) 
dachte,  und  noch  offenkundiger  im  Eingang  des  12.  Gesanges  der  Odyssee, 
wo  wir  plötzlich  vom  westlichen  Meer  in  das  östliche  versetzt  werden.^) 
Einen  dritten  Streitpunkt  bildet  die  Frage  nach  dem  Umfang  der 
Thätigkeit  des  Zusammenordners  oderDiaskeuasten.  Derselbe  spielt  nament- 
lich bei  Bergk,  aber  auch  bei  KirchhoflF,  Fick  und  Wilamowitz^)  eine  sehr 
grosse  Rolle,  indem  diese  Gelehrten  von  der  Voraussetzung  ausgehen,  dass 
die  alten  Bestandteile  der  Dias  und  Odyssee  eine  ganz  selbständige  Stellung 
inne  hatten,  eigene  Epen  für  sich  waren,  und  dass  erst  in  viel  jüngerer 
Zeit  ein  Diaskeuast  durch  Schneiden,  Zudichten,  Umdichten,  Versetzen 
aus  denselben  die  uns  vorliegenden  Werke  Hias  und  Odyssee  zu  stände 
brachte.  Einen  entgegengesetzten  Standpunkt  vertritt  Bened.  Niese, 
indem  er  die  Erweiterer  und  Fortsetzer  immer  selbst  die  Verbindung 
mit  den  älteren  Gesängen  herstellen  lässt,  so  dass  für  den  Zusammen- 
ordner  weniges  mehr  zu  thun  übrig  blieb.  Ich  neige  mich  entschieden 
auf  die  letztere  Seite,^)  muss  aber  doch  zugeben,  dass  der  Gedanke  Eirch- 
hoffs,  der  alte  Nostos  sei  ursprünglich  in  der  3.  Person  geschrieben  ge- 
wesen und  erst  später  in  die  1.  umgesetzt  worden,  ^)   etwas  bestechendes 


*)  Darauf  machte  mich  M.  Bemays  auf- 
merksam. Noch  Arger  steht  die  Sache,  wie 
mich  Max  Koch  lehrte,  hei  dem  Englftnder 
lliakeray,  der  sich  in  dem  Roman  New 
eomes  am  Schlüsse  seihst  entschuldigt,  dass 
er  die  Matter  des  Brftutigams  küled  at  one 
page  and  hraught  to  life  at  an  other. 

')  Zu  den  Stellen,  in  denen  yom  Nach- 
dichten ein  sprachlicher  Ausdruck  seines 
Vorgängers  missverstanden  wurde,  gehört 
Tor  allem  /  234  gegenüber  M  107—126  (den 
veischiedenen  Gehrauch  der  gleichen  Phrase 
hält  indes  fßr  möglich  £o.  Göbbl,  Progr. 
Falda  1891  [Nr.  380]  13—15).  Oh  das  gleiche 
auch  hezOglich  0  196  gegenüber  B  190  ov 
9e  |o»e  xaxoy  tSc  deidlaaea^at.  anzunehmen 
sei,  ist  eine  wichtige,  aber  schwer  zu  ent- 
Kheidende  Frage.  Die  Wiederholung  formel- 
bafter  Ausdrücke  führte  zu  Missverstftnd- 
mssen  «r  424  dtj  xoxb  xaxxeioyre?  eßar  oixov^B 
txttgjog  (sc.  fiyrjar^ites  und  fthnlich  a  428),  da 
&  Freier  aas  Bolicliion,  Same,  Zakynthos  doch 
nicht  zum  Schlafen  in  ihr  Haus  gehen  konnten; 
».MiHtT,  Bay.  GymnJBl.  25  (1889),  266. 

*)  Berok,    Griech.  litt  an   ziüilreichen 


Stellen;  Eibchhoff  in  Ausg.  der  Odyssee,  und 
in  Abhängigkeit  yon  diesem  Fick  in  Ausg. 
der  Odyssee  und  Ilias,  wo  die  ganze  Ai^- 
fassung  vom  Ursprung  der  homerischen  Dich- 
tungen in  jenem  Diaskeuasten  ihren  Angel- 
punkt hat;  WiLAMOWiTZ,  Hom.  Unters.,  be- 
sonders S.  228;  Ed.  Mbybr,  Gesch.  d.  Alter- 
tums n  406  ff.,  der  wesentlich  von  Kirch- 
hoff und  Wilamowitz  abhängig  ist. 

*}  Dabei  nehme  ich  aber  doch  auch  ein- 
zelne Zusätze  von  der  Hand  der  späteren  Re- 
daktoren an.  Auch  mögen  spätier  einzelne 
Partien  versetzt  worden  sein;  so  zweifle  ich 
nicht,  dass  die  Proömien  S  1 — 27  und  a  1 
bis  87  in  der  Hauptsache  altes  Gut  sind, 
aber  erst  von  den  jüngeren  Erweiterem  an 
ihre  heutige  Stelle  gesetzt  wurden. 

^)  Eibchhoff  im  2.  Exkurs,  hauptsäch- 
lich gestützt  auf  /Ä  374—390.  Ist  es  aber 
nicht  denkbar,  dass  der  Dichter  unwillkürlich 
in  den  ihm  geläufigen  Ton  des  Erzählens  in 
3.  Person  hineingeriet  und  dann,  nachdem  er 
auch  Dinge  den  Odysseus  hatte  erzählen  lassen, 
die  zu  wissen  nur  dem  Hanvg  aot&öq  zukam,  die 
entschuldigenden  Verse  fi  389  f.  zufügte? 


40 


Qriechiaohe  Litteraturgeschichte.    I.  KlasBische  Periode. 


hat,  und  dass  vorerst  noch  keine  Sicherheit  darüber  erzielt  worden  ist, 
ob  in  der  Odyssee  die  Partien  a  88 — 144  und  o  1 — 300  von  dem  Dichter 
der  Telemachie  selbst  herrühren,  oder  ob  dieselben  erst  von  einem  Dias- 
keuasten,  der  die  Telemachie  mit  der  alten  Odyssee  zu  einem  Ganzen 
verband,  zum  Behufe  des  besseren  Zusammenschlusses  zugefügt  wurden.^) 
27.  Im  vorstehenden  habe  ich  die  Stellung  bezeichnet,  zu  der  man 
aus  der  geschäftigen  Diskussion  der  homerischen  Frage  allmählich  gelangt 
ist.  Viele  Forscher,  wie  z.  B.  Gebet,  bleiben  bei  diesen  allgemeinen  Sätzen 
stehen  und  halten  die  Versuche,  die  ursprünglichen  Bestandteile  der  ho- 
merischen Dichtungen  herauszufinden,  für  eine  Danaidenarbeit,  von  der 
sich  ein  besonnener,  der  Grenzen  seiner  Kunst  bewusster  Kritiker  fern- 
halten solle.*)  Andere  hingegen  gehen  von  der  Überzeugung  aus,  dass 
der  Prüfstein  für  die  Richtigkeit  der  allgemeinen  Sätze  in  ihrer  Durch- 
führbarkeit im  einzelnen  zu  suchen  sei,  und  wagen  daher  eine  Zerlegung 
der  Gedichte  in  ihre  Elemente,  eine  Rekonstruktion  der  alten  Ilias  und 
Odyssee  und  eine  Scheidung  der  verschiedenen,  älteren  und  jüngeren  Zu- 
sätze. Ausgeführt  ist  dieses  Wagnis  in  der  Art,  dass  auch  durch  den 
Druck  die  verschiedenen  Bestandteile  bemerkbar  gemacht  sind,  von  Kirch- 
hoff in  seiner  Homerischen  Odyssee  (2.  Aufl.  1879)*)  und  von  mir  in  der 
Ausgabe  Homeri  Diadis  carmina,  Lips.  1884.^)     Auf  das  ähnliche  ünter- 


Mählt  in  der  Rezenmon  der  ersten  Auflage 
dieses  Werkes  m  Bayer.  GymnJBl.  25  (1889), 
267  f.  weist  dieses  höhere  W  issen  des  Dichters 
durch  weitere  Beispiele  nach,  verdftchtigt  aber 
dann  die  jenes  unmittelbare  Wissen  beschrän- 
kenden Verse  (i  389  f.  als  Interpolation. 
Auch  Gaübb,  Homerkritik  295  erklärt  sich 
schliesslich  gegen  Eirchhoffs  Hypothese.  Sach- 
lich schliesst  sich  fJi  391  ff.  leicht  an  fjt  373 
an,  so  dass  man  auch  zur  alten  Athetese 
von  fJL  370—390  seine  Zuflucht  nehmen  kann. 

^)  Die  Entscheidung  wird  schliesslich 
von  sprachlichen,  metrischen  und  stilistischen 
Erwägungen  abhängen,  und  die  scheinen 
mir  vorerst  der  Ansicht  von  Eirchhoff,  dem 
hier  Hbnninos,  Ueber  die  Telemachie,  Jahrb. 
für  Phil.  Suppl.  III  135  ff.  vorangegangen  ist, 
nicht  günstig  zu  sein.  Die  Verse  cf  613 — 9 
kehren  o  113 — 9  wieder,  was  jedenfalls  so 
zu  erklären  ist,  dass  ehedem  die  jetzt  620 
abgebrochene  Erzählung  in  den  Versen  o 
121  ff.  ihre  Fortsetzung  hatte.  —  In  ähn- 
licher Weise  fragt  es  sich,  ob  nicht  die  Er- 
gänzung des  Scäffskatalogs  Jl  168—199  ur- 
sprünglich einen  Teil  des  Schiffskataloges 
gebildet  hat  und  erst  der  Diaskeuast  die  Ver- 
setzung jener  Verse  aus  B  in  17  vornahm. 

^)  GoBET,  Miscell.  crit.  p.  402:  quo  sae- 
pius  carmina  lonica,  quae  Homeri  nomine 
feruntur,  relego  et  diligenter  omnia  con- 
sidero,  eo  magis  magisque  mihi  confirmatur 
sententia  eorum,  qui  haec  non  unius  tioidov 
carmina  esse  arbUrantur,  sed  a  compluribus 
cantorihus  neque  aetatis  eiusdem  neque  patriae 
eii  tfjy  avti^y  ^no&eatv  olim  composita  et 
cantata  fuisse,   deinde   in  unum  coUecta  et 


ordine  disposita,  ut  eis  ir  amfuxnoy  eoaU- 
scerent .  . .  plura  non  addo,  quia  taJia  omnia 
sentiri  posaunt,  sed  demonstrari  non  possunt, 
et  nolo  ffideri  ultra  Lycurgi  aetatem  inda- 
gando  procedere  velle,  Aehnlich  ist  der 
Standpunkt,  den  Mahly,  Bayer.  Gymn.Bl.  25 
(1889),  263  einnimmt. 

*)  Vielfach  weicht  von  Eirchhoff  die 
neuere  Rekonstruktion  von  Wilamowitz, 
Homer.  Unters,  ab,  namentlich  in  der  An- 
nahme, dass  von  den  3  Epen,  die  dem  Konta- 
minator  vorgelegen  haben  sollen,  das  dritte, 
vom  Sieg  des  Odysseus  über  die  Freier, 
jünger  als  die  Telemachie  gewesen  sei.  Den 
Boden  unter  den  Füssen  verliert  Sebck,  Die 
Quellen  der  Odyssee,  Berlin  1887,  indem  er 
die  Quellenforschung  der  Historiker  auch 
auf  die  Dichtung  der  Odyssee  zu  übertragen 
wagt. 

^)  Lineamente  zur  Scheidung  zog  schon 
Nabeb,  Quaestiones  Homericae,  Amstel.  1877; 
ein  neuer  Versuch  ohne  strenge  Beweis- 
führung von  £.  H.  Meter,  Indogerm.  Mythen, 
2.  Bd.  Achilleis,  Berlin  1887.  Beachtens- 
werteres bietet  E.  Bbandt,  Zur  Geschichte 
und  Eomposition  der  Ilias,  Jahrb.  f.  PhiL 
1885/89.  Eine  Scheidung  nach  kulturhisto- 
rischen Gesichtspunkten  verlangt,  führt  aber 
nicht  im  einzelnen  durch  P.  Gaueb,  Homer- 
kritik (1895)  S.  168.  Nach  Versuchen,  die 
ich  selbst  angestellt  habe,  zweifle  ich  an 
ihrer  Durchführbarkeit,  da  Homer  Eulturzu- 
stände,  wie  er  sie  für  die  ältere  Lebenszeit 
seiner  Helden  voraussetzte,  und  wie  er  sie 
in  der  eigenen  Umgebung  fand,  nebeneinander 
zu  stellen  keinen  Anstand  nahm.    Es  zeigt 


A.  EpoB.    2.  Homere  Dias  and  Odyssee,    (gg  27^28.) 


41 


nebmen  Ficks  werde  ich,  da  es  von  einem  ganz  speziellen,  erst  später 
za  besprechenden  sprachlichen  Gesichtspunkt  ausgeht,  weiter  unten  zurück- 
kommen. Ausserdem  ist  die  Stellung  einzelner  Gesänge  und  Gesangspaitien 
in  zahh-eichen  Abhandlungen  diskutiert  worden;  die  Hauptgedanken  der- 
selben sind  durch  die  sorgfältigen  Referate  in  dem  Anhang  von  Hentze's 
Ausgabe  auch  dem  Femerstehenden  jetzt  leicht  zugänglich  gemacht.  ^ 

28.  Suchen  wir  schliesslich  unsere  Gesamtauffassung  in  ihren  Eern- 
ponkten  darzulegen,  so  stellen  wir  zuerst  einige  allgemeine  Sätze  auf  und 
geben  dann  eine  Analyse  der  Dias  und  Odyssee  nach  den  Ergebnissen 
der  homerischen  Frage. 

1.  Dias  und  Odyssee  beruhen  auf  nationalen,  bereits  von  älteren 
äolischen  Sängern  poetisch  gestalteten  Sagen,  die  durch  die  Kämpfe  äoli- 
scher  und  achäischer  Ansiedler  Asiens  mit  den  ehemaligen  Herren  des 
Landes  und  durch  die  kühnen  Wagnisse  der  Äolier  und  lonier  zur  See 
ihre  Hauptnahrung  empfangen  hatten.^)  Durch  die  Sage  und  die  älteren 
Sänger  waren  dem  neuen  Dichter  Homer  die  Gestalten  der  Haupthelden, 
des  Agamemnon,  Achill,  Aias,  Nestor,  Odysseus,  bereits  vorgezeichnet. 

2.  An  den  neuen  grossen  Schöpfungen  der  Dias  und  Odyssee  haben 
sicher  mehrere  Dichter  gewoben,  aber  der  Gedanke,  den  Streit  zwischen 
Achill  und  Agamemnon  in  seinem  ganzen  Verlauf  zum  Mittelpunkt  der 
Dichtung  zu  machen,  ist  sicher  nur  in  dem  Kopfe  eines  einzigen  reich- 
begabten Sängers  entstanden,  ebenso  wie  der  Plan,  den  Odysseus  in  dem 
Pbäakenland  seine  früheren  Irrfahrten  erzählen,  und  dann  nach  seiner  Heim- 
kehr die  übermütigen  Freier  seiner  treuen  Gattin  erschlagen  zu  lassen, 
nur  von  einem  Manne  ausgegangen  ist. 

3.  Beide  Dichtungen  sind  aus  derselben  Sängerschule  hervorgegangen, 
und  es  mögen  auch  manche  der  jüngeren  Partien  der  Dias  und  Odyssee 
denselben  Dichter  zum  Verfasser  haben.  Aber  um  mit  Zuversicht  die 
Odyssee  demselben  Dichter  wie  die  Dias  zuzuweisen,  dazu  reicht  die  all- 
gemeine Übereinstimmung  in  Sprache  und  Kunst  nicht  aus. 

4.  In  Sprache  und  Versbau  stimmt  ebenso  wie  im  Mythus*)  die  Odyssee 
mit  der  Dias  im  wesentlichen  überein;  namentlich  behauptet  in  beiden 
Dichtungen  das  Digamma,  welches  frühzeitig  bei  den  loniern  zu  schwinden 
begann,  noch  seine  Kraft,  und  stehen  die  ehedem  durch  s  vj  getrennten 
Vokale,  wie  in  i<o  hms  TeXäofiev^  unkontrahiert  nebeneinander.*)    Doch 

ach  dieses  namentlich  in  dem  Nebeneinander 
▼on  Waffen  ans  Erz  (xc^xog)  und  solchen 
US  Eisen  [ffidpgog);  s.  Od.  IX  391. 

')  Statt  die  Utteratur  im  einzehien  an- 
mgehen,  begnüge  ich  mich  anf  Hentze  zu 
▼erweisen. 

')  Es  fehlen  anch  nicht  mythologische 
Kiederscfall^e  in  der  troischen  Sage;  die- 
selben sacht  im  Üebermass  Osk.  Meteb, 
Qoaestiones  Homericae,  Bonn  1846,  and  £. 
H.  MsTiR,  Indogerm.  M^en  Bd.  II.  Za 
weit  in  der  Annahme  ethischer  Ideen  in  der 
AdiiQ-  and  0d}rs8eas8age  geht  Carrtbrb,  Die 
Sonst  im  Zosammenhang  der  Ealtarentwick- 
famg  II 49  ff.  Üeber  die  Odyssenssage  speziell 
B.M€iuniHOFr,  Deutsche  Altertamsk.  1 30—58. 


*)  So  ist  Herakles  durchweg  gedacht 
/Äi^  yBvs^  ttoy  Tgaixwy  nQoyBviaxsQog  (s.  0 
638,  (f  21)  und  findet  sich  nicht  bloss  von 
den  Söhnen  des  Priamos,  sondern  auch  von 
denen  des  Laomedon  und  Antenor  Überall  die 
gleiche  Anschauung. 

^)  Das  Nähere  lehren  insbesondere  Enös, 
De  diganmio  Homerico,  ups.  1872,  und 
Mbkrad,  De  contractionis  et  synizeseos  usu 
Homerico,  Monachii  1886.  So  gebraucht 
Homer  noch  nicht  das  später  und  schon  bei 
Hesiod  oft  vorkommende  ^oyog^  sagt  durch- 
weg fiagrvgog,  nicht  wie  die  Späteren  uaQ- 
TVQj  wendet  7iQoq>vyBTv  im  Sinne  von  vjibx- 
(pvyeTy  an,  gebraucht  bloss  je  einmal  in  Tlias 
(142)  und  Odyssee  (^21)  das  konsekutive  diäte. 


42  Qrieohisohe  Litieratnrgeschiohte.    I.  Klassische  Periode. 

sind  daneben  kleine  Unterschiede  nicht  zu  verkennen;  so  findet  sich  von 
olvog  das  Digamma  in  der  Odyssee  und  in  den  jüngeren  Gesängen  der 
nias  öfters  vernachlässigt^)  und  kommen  nur  in  diesen  Partien  die  jüngeren 
Formen  ixsTvog  statt  xeTvogj  rji.i€ag  statt  a/Uju«,  vfttag  statt  vfufie  vor;  ebenso 
hat  die  Caesura  hephthemimeres  ohne  einen  Einschnitt  im  3.  Fuss  ge- 
ringere Verbreitung  in  der  Odyssee  als  in  der  Dias.*) 

5.  Dias  und  Odyssee  sind  nicht  erst  nachträglich  dadurch  zustande 
gekommen,  dass  ein  Redaktor  alte,  ursprünglich  selbständige  Lieder  oder 
Epen  zu  einheitlichen  Werken  umschuf;  vielmehr  haben  von  Anfang  an 
die  alten  Dichter  die  einzelnen  Lieder  in  Bezug  zu  einander  gesetzt,  und 
haben  auch  die  jüngeren  Homeriden  die  Einlage  ihrer  Zudichtungen  an 
ganz  bestimmten  Stellen  von  vornherein  ins  Auge  gefasst.  Kleine  Stö- 
rungen des  ursprünglichen  Zusammenhangs,  von  denen  die  Überlieferung 
der  Scholien  zu  Z  119  und  K  1  meldet,  mögen  in  der  Zeit  vor  Peisistratos 
durch  die  Freiheit  einzelner  Rhapsoden  eingetreten  sein. 

29.  Entstehung  der  Ilias.  Den  Kern  der  Rias  bildet  das  Gedicht 
vom  Zorn  des  Achilles  (ju^rrg  'Axi^^og);  denselben  hat  Homer  in  4  Ab- 
teilungen besungen,  von  denen  die  erste  den  Ausbruch  des  Streites  zwi- 
schqji  Achill  und  Agamemnon  und  im  Anschluss  daran  die  Bitte  der  Thetis 
um  Rache  für  die  Entehrung  ihres  Sohnes  enthält  (Gesang  Ä),  die  zweite, 
die  Uyafis^vovog  ägiareta^  den  schlimmen  Ausgang  erzählt,  den  der  Ver- 
such des  Agamemnon,  ohne  Achill  den  Kampf  gegen  Hektor  und  die  Tro- 
janer zu  führen,  nahm  {A  1—595  und  O  592—746),  die  dritte,  die  IlaTQo- 
xXhia^  die  Hilfeleistung  durch  Patroklos,  den  Tod  dieses  Helden  und  den 
Kampf  um  seine  Leiche  umfasst  (II— 2  242),  die  vierte  (Teile  von  TV  ^ 
und  (P  526— X  393) »)  den  speziellen  Namen  UxtXktjtg  insofern  verdient, 
als  sie  sich  um  Achill  allein  gruppiert  und  mit  der  Erlegung  des  Hektor 
durch  Achill  abschliesst.  Ob  Homer  diese  4  Teile  des  Heldengesanges  vom 
Zorn  des  Achilles  ununterbrochen  nach  einander  gedichtet  hat,  dieselben 
also  auch  zeitlich  den  ältesten  Bestandteil  der  Ilias  ausmachen,  ist  mehr 
als  zweifelhaft.  Zunächst  wohl  hat  der  Dichter  nach  dem  Gesang  vom  Aus- 
bruch des  Streites  die  Agamemnonos  Aristeia  gedichtet  und  dieselbe,  also 
den  11.  Gesang  unserer  jetzigen  Rias,  zur  unmittelbaren  Anreihung  an  den 
ersten  Gesang  {A  1 — 305)  bestimmt.  In  diesem  11.  Gesang  nun  werden 
rasch  hintereinander  Agamemnon,  Diomedes,  Odysseus,  Eurypylos  ver- 
wundet und  ausser  Kampf  gesetzt,  so  dass  nur  Aias  mit  Mühe  dem  Ein- 
dringen der  Troer  in  das  Schiffslager  der  Achäer  widersteht.  Damit  war 
für  eine  breitere  Schilderung  der  Heldenthaten  der  Achäer,  welche  das 
Nationalgefühl  der  Griechen  verlangte,  kein  Platz  gegeben.  Daher  scheint 
Homer,   noch  ehe  er  zur  Achilleis,   vielleicht  selbst  ehe  er  zur  Patrokleia 

(1892)  91  flf. 

*j  Ueber  die  Aasscheidnng  der  Teile 
jener  vier  Gesftnge,  welche  zur  alten  Achilleis 
gehörten,  sowie  auf  die  ähnliche  Ausschei- 
dung der  Patrokleia  aus  den  Ges&ngen  DP£ 
verweise  ich  auf  meine  Ausgabe.  Daneben 
vergleiche  man  die  im  einzelnen  abweichende, 


')  Belege  geben  die  Proleg.  meiner  Ilias- 
ausgabe  p.  163.  Ueber  das  allmähliche  üeber- 
handnehmen  der  Eontraktion  in  den  jtlngeren 
Partien  der  Odyssee  siehe  mein  Buch,  Homer 
u.  Homeriden  .").  60. 

2)  Lbhrs,  Aristarch.«  p.  394—419.  — 
Seymoub,   On  the  homeric  caesura  and  the 

close  of  the  verse  as  related  to  the  expression      aber  im  ganzen  doch  übereinstimmende  Aus- 
pf  thougt,  Havard  Studies  in  class.  philol.  lU  ,   Scheidung  bei  Fick,  Ilias  S.  18—75. 


A.  Epos.    2.  Homers  Ilias  und  Odyssee.    (§  29.) 


43 


überging,  einen  zweiten  Schlachttag  hinzugedichtet  und  die  Erzählung 
desselben  dem  Gesang  von  Agamemnons  Thaten  vorausgeschickt  zu 
haben.  Es  sind  dieses  die  Gesänge  B—E  oder  B—-H  312,  in  denen 
in  breiter  Ausführung  und  trefflicher  Exposition  die  Volksversammlung 
vor  der  Wiederaufnahme  des  Kampfes,  der  Zweikampf  der  Eriegs- 
stifter  Paris  und  Menelaos,  die  Mauerschau  und  die  Musterung  des 
Heeres,  die  Heldenthaten  des  Diomedes,  der  Abschied  des  Hektor  von  der 
Andromache,  der  Abschluss  des  ersten  Schlachttages  durch  den  Zweikampf 
des  Hektor  und  Aias  besungen  sind.  Es  hat  Orote  und  nach  ihm  Düntzer 
und  Fick  diese  6  Gesänge  als  ein  eigenes  Epos  vom  Schicksal  Trojas 
(okoq  ^iXiov)  i)  fassen  wollen,  das  ursprünglich  eine  ganz  selbständige  Stel- 
lung gehabt  habe  und  erst  nachträglich  in  das  Epos  vom  Zorn  des  Achilles 
eingelegt  worden  sei.  Aber  der  Umstand,  dass  an  den  Kämpfen  jenes 
ersten  Schlachttages  Achill  keinen  Anteil  nimmt,  beweist  sonnenklar,  dass 
jene  6  Gesänge  mit  Bezug  auf  den  Streit  des  Achill  und  Agamemnon  ge- 
dichtet sind  und  von  vornherein  zur  Einlage  zwischen  dem  1.  und  11.  Ge- 
sang bestimmt  waren.  Richtig  ist  allerdings,  dass  in  denselben  der  Zorn 
des  Achill  ganz  in  den  Hintergrund  tritt*)  und  Zeus  seines  der  Thetis 
gegebenen  Versprechens  ganz  zu  vergessen  scheint.*)  Aber  das  ist  in 
der  retardierenden  Stellung  dieser  zwischengeschobenen  Gesänge  begründet 
und  auch  bei  dem  zyklusartigen  Charakter  des  älteren,  mit  einem  aus 
einzelnen  Perlen  zusammengesetzten  Halsband  vergleichbaren  Heldenepos 
nicht  allzu  auffallend. 

Die  breite  und  umfangreiche  Schilderung  des  ersten  Schlachttages 
hatte  zur  Folge,  dass  der  Dichter  nun  auch  den  zweiten  Schlachttag  zur 
Herstellung  des  Gleichgewichtes  erweiterte;  er  that  dieses,  indem  er  zwi- 
schen die  Verse  A  525  und  O  592,  die  ehedem  unmittelbar  aufeinander 
folgten,  mehrere  Gesänge  einschob.  Dabei  erweiterte  er  zugleich  den 
Hintergrund  der  Dichtung,  indem  er  einesteils  das  Schiffslager,  statt  wie 
zuvor  nur  durch  einen  Graben,  nun  auch  noch  durch  eine  Mauer  umgeben 
dachte,  und  andemteils  den  Kriegsscharen  der  Troer  und  nächsten  Nachbar- 
völker auch  noch  die  südlichen  Lykier  unter  Sarpedon  und  Glaukos  zu- 
gesellte. So  kamen  zu  den  allmählich  einförmig  gewordenen  Schilderungen 
von  Kämpfen  in  der  Ebene  neue  Bilder  in  dem  Mauerkampf  {Tsixoiiaxicc 
in  M)  und  in  dem  Kampf  an  den  Schiffen  (i;  inl  vaval  fidxrj  in  N)  hinzu. 
Keubelebt  aber  wurde  insbesondere  die  Darstellung  durch  die  bezaubernde 
Dichtung  von  der  Überlistung  des  Zeus  durch  seine  Gemahlin  Hera  {Jiog 
ijtdxTj)  und  die  damit  herbeigeführte  Veränderung  der  Situation  zu  Gun- 
sten der  Achäer.  —  Die  Patrokleia  und  Achilleis  waren  von  vornherein 
breiter  angelegt,  so  dass  sie  weniger  der  Erweiterung  bedurften;  doch 
nahmen  auch  sie  neue  Kampfesepisoden  in  den  ursprünglichen  Rahmen 
auf,  und  erfuhr  insbesondere  die  Achilleis  einen  versöhnenden,   auch  das 


^)  Ffir  den  Namen  war  den  Gelehrten 
besimimend  der  Vers  der  Odyssee  9  578 
^^yeiwy    Jaratov   fj&*  'JXiov    oixov    axoviav, 

')  Die  Bezagnahme  auf  Achill  am  Schlusse 
d^Bede  des  Theraiies  B  239— 42  ist  sicher 
interpoliert,  aber  nicht  der  versteckte  Hin- 


weis in  B  876. 

')  Der  letztere  Umstand  ist  ohnehin  von 
geringem  Belang,  da  der  2.  Teil  des  1.  Ge- 
sanges A  306—611  nicht  unmittelbar  nach 
dem  ersten  gedichtet  zu  sein  scheint. 


44 


Qrieohisohe  Litteratiirgesohiohte.    I.  Klassisohe  Periode. 


religiöse  Gef&hl  befriedigenden  Abschluss  durch  die  Zudichtung  von  der 
Bestattung  der  Leiche  des  Patroklos  (^  1 — 256)  und  von  der  Lösung  des 
Hektor  {Avtga  in  Ä).  Denn  mit  Recht  lehnte  es  Köchly  ab,  diesen  letzten 
Gesang  der  Dias,  wiewohl  er  in  Sprache  und  Ton  vieles  mit  der  jüngeren 
Odyssee  gemeinsam  hat,^)  der  alten  Dichtung  abzusprechen  und  so  den 
Homer  eines  der  schönsten  Blätter  seines  Ruhmeskranzes  zu  berauben.') 

Was  wir  bis  jetzt  von  der  Ilias  besprochen  haben,  rührt  wohl  alles 
von  einem  Dichter  her;  dazu  kamen  aber  später  noch  mannigfache  Zu- 
sätze von  Homeriden,  die  sich  nicht  auf  die  Einlage  einzelner  Verse  be- 
schränkten, sondern  auch  ganze  Gesänge  hinzudichteten.  Die  bedeutsamste 
Zudichtung  stammt  von  einem  begabten  Dichter,  welcher  den  geschickten 
Einfall  hatte,  eine  Gesandtschaft  mit  demütigen  Bitten  an  den  grollenden 
Achill  abgehen  zu  lassen  (/).  Da  aber  zu  einer  solchen  Demütigung  sich 
Agamemnon  nicht  verstehen  konnte,  wenn  er  nicht  zuvor  in  die  trost- 
loseste Lage  versetzt  war,  so  legte  der  Dichter  vor  der  Presbeia  einen  andern 
Schlachttag  (KoXog  /ia^i?  in  0)  ein,  der  mit  vollständiger  Niederlage  der 
Achäer  endete.  Um  auf  der  anderen  Seite  das  Selbstgefühl  der  Achäer 
wieder  zu  heben  und  einen  passenderen  Übergang  zu  der  *AyaiJL€firoro^ 
dgiaieia  herzustellen,  schob  dann  der  Dichter  der  Presbeia  oder  ein  an- 
derer jüngerer  Dichter  zwischen  den  9.  und  11.  Gesang  die  Doloneia  ein, 
welche  zugleich  den  Vorteil  der  Neuheit  eines  nächtlichen  Streifzuges  bot 
Ausserdem  sind  von  jüngeren  Dichtern  zur  alten  Dias  noch  hinzu- 
gedichtet die  Schmiedung  der  Waffen  des  Achill  (OnXonoua  2  369—617), 
die  Götterschlacht  (0  383—514),  die  Leichenspiele  zu  Ehren  des  Patro- 
klos CA^la  im  naxQoxhn  qi  257—817),  der  Schiflfekatalog  {B  484—759 
mit  einem  Nachtrag  /7  168—199).  Die  letztere  Dichtung  hängt  mit  Böo- 
tien,  wovon  sie  selbst  den  Namen  Boionia  erhielt,  zusammen  und  fuhrt 
uns  so  zur  katalogisierenden  Richtung  der  hesiodischen  Schule  hinüber. 

30.  Entstehung  der  Odyssee.  Die  Odyssee  ist  eine  jüngere 
Schöpfung  als  die  Ilias.  Das  beweisen  zur  vollen  Evidenz  die  zahlreichen 
Nachahmungen  von  Stellen  der  Ilias;  8)  das  zeigt  sich  aber  auch  in  dem 
entwickelteren  Kulturleben  der  Odyssee  und  in  der  ganzen  Anlage  des 
Gedichtes.  Denn  in  der  Odyssee  tritt  das  Einzellied  zurück  und  haben 
wir  statt  eines  gradlinigen  Fortschrittes  der  Erzählung  eine  kunstvolle 
Ineinanderflechtung  der  einzelnen  Teile.  Der  Mythus  knüpft  zwar  an  die 
Sage  vom  trojanischen  Kriege  an,  hat  aber  seine  Wurzel  in  den  SchiflF- 
fahrtsmären  der  Kephallenier  und  weist  somit  nach  Samos,  das  nach  Strabo 
p.  637  von  Kephalleniern  besiedelt  worden  war.  —  Den  ältesten  Bestand- 
teil   der    Odyssee    bildet    das  Gedicht    von    der    Irrfahrt    des   Odyssens 


^)  Zu  sehr  ist  dieses  betont  und  der 
Wert  der  letzteren  herabgedrdckt  von  Pepp- 
MÜLLER  in  seiner  Sonderansgabe  des  24.  Ge- 
sangs. 

*)  Ohne  diesen  Abschluss  wäre  es  wohl 
auch  der  Ilias  wie  später  der  Aeneis  (darüber 
s.  Kebk,  Supplemente  zur  Aeneis;  Progr. 
Nürnberg  N  G.  1896)  begegnet,  dass  ihr 
andere  Dichter  abschliessende  Supplemente 
zugedichtet  h&tten. 


')  SiTTL,  Die  Wiederholungen  in  der 
Odyssee,  München  1882.  Die  Nachahmungen 
zeigen  indes,  dass  das  oben  Gesagte  nur  von 
den  alten  Partien  der  Ilias  und  Odyssee  gilt 
Die  jüngsten  Gesänge  der  lUas  sind  unge- 
fähr gleichzeitig  mit  der  Odyssee  enistanden, 
so  dass  sogar  in  der  Doloneia  und  Hoplopoiie 
einzelne  Stellen  begegnen,  welche  Verse  der 
alten  Odyssee  zum  Vorbild  gehabt  zu  haben 
scheinen. 


A.  Epoa.    2.  Homers  Dias  and  Odyaaee.    (§  80.)  45 

(vwrtog  'OfviXixijogj  i  x  fi).  Der  eigentümliche  Charakter  jenes  alten 
Epos,  das  vielleicht  der  Dichter  der  Odyssee  schon  vorfand  und  nur 
mit  geringen  Veränderungen  in  sein  neues  Oedicht  einlegte,  besteht  in 
der  märchenhaften  Natur  der  Abenteuer  und  in  der  Knappheit  der  schlichten, 
auf  die  poetischen  Mittel  der  Gleichnisse  und  Göttermaschinerie  fast  ganz 
verzichtenden  Erzählung.  —  Das  neue  Epos  knüpft  vermittelst  einer  Götter- 
versammlung (a  1—87)  an  den  alten  Nostos  an,  indem  es  zunächst  (« — »5^) 
den  edlen  Dulder  von  der  Insel  der  Kalypso^)  in  das  Land  der  Phäaken  ge- 
langen und  dann  dort  seine  früheren  Irrfahrten  erzählen  lässt.  Mit  dem  Lied 
von  der  Heimkehr  (r  ^)  schlägt  sodann  der  Dichter  die  Brücke  zu  dem 
zweiten  Hauptteil  der  Odysseussage,  der  Rache,  welche  der  heimgekehrte 
Held  unter  mancherlei  Listen  an  den  übermütigen  Freiern  der  treuen  Pene- 
lope  nimmt  {n — j^').  Laufen  auch  hier  neue  Erfindungen  des  Dichters 
neben  altüberlieferten  Motiven  her,  so  sind  doch  die  Diskrepanzen  so  ge- 
ring und  ist  alles  so  gut  ineinander  gearbeitet,  dass  sich  eine  glatte  Ausson- 
derung und  scharfe  Scheidung  verschiedener  Epen  nicht  durchführen  lässt.  ^) 
Zur  Odyssee  im  engeren  Sinne  ist  später  die  Telemachie  [a  ß  y  S, 
0  1—557)  gekommen,  welche  den  Irrfahrten  des  Odysseus  die  Er- 
kundigungsreise seines  Sohnes  Telemachos  zur  Seite  stellt.  Dieselbe 
ward  erst  von  der  jüngeren  Hand  eines  Homeriden  dem  alten  Gedichte 
zugefugt;  sie  ist  nicht  bloss  ärmer  an  Schönheiten  der  Erfindung  und 
Darstellung,  sie  verrät  auch  den  Charakter  einer  fremden  Zudichtung 
durch  das  geringe  Geschick  der  Einfügung.^)  Aber  von  einem  ganz 
selbständigen  Epos  der  Telemachie  kann  keine  Rede  sein;  dieselbe  ist 
vielmehr  von  vornherein  gedichtet,  um  eine  Ergänzung,  und  somit  einen 
Teil  der  Odyssee  zu  bilden.  —  Endlich  haben  auch  hier  jüngere  Dichter 
durch  Einlage  neuer  Gesänge  das  alte  Epos  erweitert.  Eine  solche  Ein- 
lage ist  die  Nekyia  oder  Hadesfahrt  (x  490— iit  30),  die  von  vornherein 
unnütz  war,  weil  Odysseus  dasjenige,  was  ihm  in  der  Unterwelt  der  Seher 
Teiresias  weissagt,  in  dem  alten  Nostos  schon  von  der  Kirke  erfahren 
hatte.*)  Noch  jünger  ist  der  schon  von  den  alten  Grammatikern  ver- 
worfene Schluss  der  Odyssee  {\p  297 — w  fin.),  indem  eine  jüngere  Nekyia 


M  Die  Gestalt  der  Ealypso  selbst  ist 
eine  Yariante  der  alten  Zauberin  Kirke,  wie 
man  noch  hübsch  aus  »  29 — 33  ersehen 
kann. 

')  AnsBcheidimgen  versuchten  Eirchhoff, 
Wilamowitz,  Niese,  Jelinek;  aber  selbst 
Cauer,  der  jenen  Männern  so  gerne  entgegen- 
kommt, erkennt  schliesslich  (Homerkritik 
307  i  an,  dass  sich  eine  sichere  Grenze  zwi- 
schen den  beiden  Hauptteilen  der  Odyssee 
nicht  finden  lässt  und  wir  besser  thun,  dieses 
einzugestehen,  als  mit  einem  gewaltsamen 
Schnitt  den  Knoten  zu  durchhauen.  Damit 
soll  aber  die  Möglichkeit  des  Nachweises 
einiger  jüngerer  Zusätze  wie  der  SchUderung 
▼on  den  Gärten  des  Alkinoos  (17  103—131), 
der  Reminiszenzen  aus  der  Argonautensage 
(f  3—4.  61 — 72),  der  Visionen  des  Sehers 
Theoklymenos  (0  256—286.  508.  549.  q  151 
bis  167.  V  347—385;,  nicht  in  Abrede  gestellt 


werden.  Die  Verwandlung  des  Odysseus 
X  397  ff.  braucht  nicht  erst  erfunden  zu  sein, 
um,  wie  Kirchhoff  annahm,  die  verschiedene 
Erscheinung  des  Helden  im  ersten  und  zweiten 
Teil  der  Odyssee  in  Einklang  zu  bringen. 

')  Siehe  oben  §  21.  Schon  in  dem  alten 
Epos  kamen  Odysseus  und  Telemachos  bei 
dem  Sauhirten  Eumaios  zusammen,  aber  Tele- 
machos war  dort  (n  27—9)  nur  zufüllig  von 
der  Stadt  auf  das  Land  gekommen.  Erst 
der  Einfüger  der  Telemachie  brachte  durch 
eine  noch  deutlich  erkennbare  Interpolation 
(71  24.  26)  einen  Hinweis  auf  die  Telemachie 
in  das  alte  Gedicht. 

^)  Es  wiederholen  sich  geradezu  die- 
selben Verse  A  110—114,  fji  137-144.  Im 
übrigen  siehe  die  meisterhafte  Darstel- 
lung von  der  Entstehung  und  Erweiterung 
der  Nekyia  von  Rohde,  Rh.  M.  50  (1895) 
600  ff. 


46  Oriechisohe  LitteratargMohichte.    t.  Ilaasiaohe  Periode. 

(o)  1 — 202)  jener  älteren  nachgedichtet  ist.  Auch  diese  Einlagen,  ins- 
besondere die  Nekyia,  haben  später  noch  bei  dem  flüssigen  Charakter  der 
ganzen  alten  Poesie  allerjüngste  Erweiterungen  erfahren;  solche  sind  z.  B. 
der  von  einem  Dichter  der  hesiodeischen  Schule  herrührende  Frauenkatalog 
(A  225 — 337)  und  die  Schilderung  des  inneren,  von  Odysseus  nicht  be- 
tretenen Totenreiches  (A  565—627). 

31.  Die  dichterische  Kunst  des  Homer. i)  Die  Kunst  Homers 
steht,  so  sehr  sie  auch  an  sich  betrachtet  zu  werden  verdient,  doch  auch 
mit  der  eben  behandelten  homerischen  Frage  in  Zusammenhang.  Genies 
wie  Homer,  hat  man  gesagt,  sieht  die  Welt  alle  tausend  Jahre  einmal, 
und  das  kleine  lonien  sollte  auf  einmal  ein  Dutzend  solcher  Genies  hervor- 
gebracht haben?  Fragt  man  aber,  worin  das  Genie  und  die  Kunst  Homers 
besteht,  so  wird  man  finden,  dass  die  einen  der  Vorzüge  nicht  allen  Teilen 
der  homerischen  Dichtung  gemeinsam  sind,  und  dass  andere  nicht  speziell 
dem  Homer  eignen,  sondern  in  dem  Volkscharakter  ihre  Wurzel  haben. 
Der  geniale  Gedanke,  uns  mitten  in  die  Sache  zu  versetzen  und  um  eine 
Handlung  voll  spannender  Kraft  alle  Erzählungen  zu  gruppieren,  ist  unserer 
Darlegung  nach  in  der  Ilias  gewissermassen  von  selbst  aus  der  Erweiterung 
des  Grundepos  herausgewachsen ;  schon  die  Komposition  der  Odyssee  verrät  in 
diesem  Punkt  eine  bewusste,  wenn  auch  in  selbständiger  Weise  durchgeführte 
Nachahmung  der  Ilias.  Anders  steht  es  mit  den  nächstbewunderten  Schön- 
heiten Homers,  der  jugendlichen  Kraft  und  erfinderischen  Klugheit  der  Helden, 
der  heiteren,  menschlich  fassbaren  Vorstellung  vom  Walten  der  Gotter,  dem 
Adel  und  der  Tiefe  der  Empfindungen  in  ihrer  ganzen  Skala  vom  zarten  Liebes- 
traum der  Königstochter  bis  zum  lührenden  Abschied  der  Gattin,  von  der 
zornigen  Aufwallung  ob  erlittener  Schmach  bis  zum  wehmutsvollen  Mitleid  mit 
dem  greisen  Vater  des  erschlagenen  Feindes.  Das  sind  allerdings  die  Saiten, 
die  an  jedes  fühlende  Herz  anschlagen,  die  Schwungfedern,  die  heute  noch 
bei  der  Lektüre  Homers  unsere  Seele  über  die  gemeine  Wirklichkeit  er- 
heben; aber  diese  Vorzüge  sind  nicht  speziell  dem  Homer  eigen;  sie  gehören 
dem  hellenischen  Volke  in  jener  Zeit  jugendfrischer  Entfaltung  an.  Homer 
bewährt  sich  hierin  nur  als  echter  Volksdichter,  der  aus  dem  Herzen  und 
in  dem  Sinne  seines  Volkes  spricht  und  in  seinen  Dichtungen  gleichsam 
seine  Zeit  und  die  Art  seines  Volkes  widerspiegelt.  Das  thut  der  Be- 
deutung und  dem  Zauber  seiner  Poesie  keinen  Abbruch,  lässt  uns  aber 
einen  Hauptvorzug  derselben  auf  Rechnung  nicht  seiner  Person,  sondern 
seines  Volkes  und  seiner  Zeit  setzen.  Auch  der  melodische  Fluss  der 
Verse  und  die  biegsame  Schönheit  der  Sprache  darf  nicht  als  spezielles 
Eigentum  eines  einzigen  Dichters  angesehen  werden.  Diese  herrlichen 
Mittel  der  Darstellung  waren  durch  lange  Übung  und  durch  das  Zusamjnen- 
wirken  vieler  Dichter  gereift  worden;  sie  anzuwenden  stand  allen  oflFen, 
und  die  Kunst  leichter  Versifikation  wird  damals  ebenso  verbreitet  ge- 
wesen sein,  wie  heutzutage  das  Vermögen,  eine  gute  Prosa  zu  schreiben. 

Andere  Vorzüge  sind  allerdings  speziell  dem  Dichtergenie  Homers 
zuzuschreiben,   die   ruhige   Objektivität  der  Erzählung,   die   des  Dichters 


»)  Bbbgk,  Gr.  Litt.  I  780—873. 


A.  Spoa.    d.  Homers  Iliaa  und  Odyssee.    ($  dl.)  47 

Person  ganz  in  den  Hintergrund  drängt  und  nur  die  Sache  reden  lässt, 
die  klare  Anschaulichkeit  («'la^/^ca)  der  Schilderung,^)  durch  die  wir  alles 
mit  eigenen  Augen  zu  schauen  und  das  Erzählte  mitzuerleben  vermeinen, 
der  belebende  Wechsel  im  Tone  der  Erzählung,  der  uns  nach  aufregenden 
Kämpfen  wieder   in  Scenen   gemütvollen  Stilllebens   aufatmen   lässt,   der 
dem  beflügelten  Charakter  der  Sprache  entsprechende  Fluss  der  Erzählung, 
der  alles  im  Werden  und  Fortschreiten  erfasst  und  auch   die  Bilder  auf 
dem  Schilde  des  Achill  vor  unseren  Augen  entstehen  lässt,  nicht  als  bereits 
fertig  beschreibt,  endlich  die  Fülle  und  Schönheit  der  Vergleiche,  die  Kunst 
der  dem  Charakter  der  Sprechenden  angepassten  Rede,  die  Ebenmässigkeit 
und  das  schickliche  Mass  in  allem.    Das  sind  allerdings  individuelle  Vorzüge, 
die  aus  dem  allgemeinen  Wesen  der  Volkspoesie  nicht  abgeleitet  werden  kön- 
nen.   Denn  die  Volksepen  anderer  Völker,   selbst  unsere  Nibelungen  und 
der  Mahabharata  der  Inder  halten  darin  keinen  Vergleich  mit  Homer  aus. 
Aber  nach  dieser  Seite  zeigt  sich  auch  ein  erheblicher  unterschied  zwi- 
schen nias  und  Odyssee,  indem   die  Dias  wohl  die   grössere  Zahl  ausge- 
f&hrter  Gleichnisse')  und  den  Glanz  heldenmässiger  Schlachtenbilder  voraus 
hat,  der  Dichter  der  Odyssee  aber  in  Erfindung  wundervoller  Mären  und 
in  gemütvoller  Erfassung  des  Menschen-  und   Tierlebens   überlegen   ist. 
Wohl  entlockt   auch  in  der  Ilias  uns  Thränen   der  Rührung  die  herrliche 
Scene,  wo  Hektor  beim  Abschied  von  Andromache  den  kleinen  Astyanax, 
der  sich  vor  dem  Helmbusch  und  der  ehernen  Rüstung  des  Vaters  fürchtet, 
nach  Herabnabme   des  Helmes  herzt  und  küsst  (Z  466—496),   aber  noch 
einen  tieferen  Blick  in    das  Seelenleben   selbst  der  Tiere  lässt  uns  der 
17.  Gesang  der  Odyssee  an  jener  Stelle  (290-— 327)  thun,  wo  den  Odysseus 
beim  Eintritt  in  das  Heimathaus  sein  Hund  Argos,  der  dem  Verenden  nahe 
auf  dem   Misthaufen  liegt,    allein,   vor  Frau  und  Dienern  wiedererkennt 
und  sterbend  mit  dem  Schweife  wedelt,   sein  Herr  aber  sich  die  Thräne 
der  Rührung  abwischt.')    Grössere  Unterschiede  noch  zeigen  sich  zwischen 
dem  alten  Kern  der  beiden  Dichtungen  und  ihren  jüngeren  Erweiterungen. 
Wohl  zeichnen  sich   mehrere   der  Gesänge,   welche  wir  für  jüngere  Ein- 
lagen halten,  wie  die  Gesandtschaft,   die  Lösung  Hektors,  der  Schild  des 
Achill,  durch  grosse  poetische  Schönheiten  aus,   und  wir  müssen  schon 
zugeben,  dass   auch   noch  manchem  der  Homeriden  ein  glücklicher  Wurf 


^)  Sehr  hübsch  hat  mehrere  dieser  Vor-  ■  gangen, 
dge  Aristot  Poet.  24  verzeichnet:  "O/iijQOf  \  >)   Die  Ilias  hat   182,    die  Odyssee  39 

cU«  I«  noXXtt  S^toq  inmyeiOt^M  xai  &rj  *ai  i  ansgef&hrte  Gleichnisae;  meist  begnügt  sich 
ort  fioyoi  ttöy  noiijiiuy  ovx  tiyyoBT  ö  ösl  ,  der  Dichter  der  Odyssee  mit  einem  ein- 
nrntty  avtow  '  avtoy  yuQ  ifei  joy  Jtoirjiijy  fachen  Hinweis  auf  den  zur  Vergleichung 
^/i^r«  Xiyeiy  '  ov  yag  iaji,  xard  tavju  '  herangezogenen  Qegenstand.  Indes  auch  die 
/tt^f^ri^V  '  ol  fAky  ovy  aXXoi  avjoi  uiy  di'  |  einzelnen  Gesänge  der  Ilias  und  selbst  die 
öioo  «ymyi^oytttt,  fiifiovyiai  &^  oMytt  xw.  \  inhaltlich  auf  einer  Stufe  stehenden  weichen 
^5 — :_.,  r  »i  _M.'...  ? _'«->_  '  hierin  je  nach  der  Situation  stark  von  ein- 
ander ab;  an  jugendlichem  Bilderreichtum 
zeichnet  sich  vor  allen  die  Aristeia  Aga- 
memnonos  (Ä)  aus.  Vgl.  Arn.  Passow,  De 
««  r«  iy  'oi^itaaiitji  uXaya  .  .  xolg  aUoig  comparationibus  Homericis,  Dias.  Berl.  1852. 
iy«9oif6notijTrjgd(payiCeiijdvyioyj6ttXoyoy.   ,  *)  DargesteUt  ist  diese  Scene  auf  einer 

hl  diesem  Urteil  war  dem  Philosophen  der   '  Gemme  bei  Ovbrbbck,  Gal.  her.  Bild.  7, 33, 10. 
IKchter  Pindar  Nem.   YII  20  ff.   vorange-   i 


»hyaxig,  6  äi  oXiya  (fQotfuaadfAcyog  €v9vs 
tkayei  dy&ga  ij  yvyaTxa  jjf  dlXo  n  xai  ovdiv* 
«17^17  .  .  .  d€dtdaj[£  di  fidXiata  "OfitjQog  xai 
t99g  aXXovg   iffivSfj   Xeyeiy  tag   dei  ...  ^71« 


48  Qrieohisohe  Litteratnrgeachiohte.    I.  iQasaisohe  Periode. 

gelungen  ist^  Aber  die  meisten  der  Zudichtungen  erkennt  man  doch 
als  solche  eben  auch  aus  dem  geringeren  Vermögen  des  Dichters  und  dem 
Ungeschick  des  Nachahmers.  Die  Verse  von  Achill  und  Aeneas,  die  vor 
dem  Kampfe  lange  und  langweilige  Reden  halten  ( Y  75 — 380),  sind  nicht 
carmina  Homeri  setnper  ad  eventum  festinantis,  die  unruhige  Hast  der  Kolog 
fiaXi]  (0)  verrät  nichts  vom  Dichter  der  alten  Dias,  der,  wenn  alles  Eile 
hat,  ruhig  seiner  Wege  geht,  die  trockene  Aufzählung  der  Schiffe  der 
Achäer  und  der  Namen  ihrer  Führer  hat  nichts  von  dem  belebenden 
Wechsel  in  Situation  und  Ausdruck,  der  in  den  anderen  Gesängen  uns 
ununterbrochen  gefesselt  hält. 

Von  besonderer  Bedeutung  sind  in  dieser  Beziehung  die  Nachahmungen 
und  Wiederholungen.  Die  öftere,  oft  drei-  und  viermalige  Wiederkehr  der 
gleichen  Verse  ist  eine  Eigentümlichkeit  der  homerischen  Poesie;  sie  ist 
nicht  an  sich  ein  Anzeichen  verschiedenen  Ursprungs,  sie  hängt  vielmehr 
mit  der  Objektivität  der  Erzählung  und  den  stehenden  Epitheton  zusammen. 
Wenn  die  Sonne  von  neuem  in  der  Natur  aufzugehen  beginnt,  so  singt 
auch  der  Dichter  von  neuem  ohne  Variation  rjiuiog  S'rjQiytveia  (pavr;  ^oio' 
iäxTvkog  rj(agy  wie  er  immer  von  neuem  das  Bild  des  Schiffes  durch  das 
Epitheton  ivaaeXfiog  oder  fih'Xaiva  uns  anschaulich  vor  die  Seele  fuhrt. 
Aber  das  Epitheton  kann  nicht  bloss  unnötig,  es  kann  auch  unpassend 
werden;  der  Vers  oder  die  Verse  können  in  unpassendem  Zusammenhang 
und  in  missverstandenem  Sinne  wiederholt  sein;  eine  ganze  Stelle  kann 
aus  zusammengestoppelten  Versen  und  Halbversen  bestehen.  Solche  Gen- 
tonen  kommen  auch  schon  in  unserem  Homer  vor,  wie  in  dem  Füllstück 
zwischen  dem  ersten  und  zweiten  Schlachttag  (H  313—482),*)  rühren  aber 
gewiss  nicht  von  dem  göttlichen  Homer,  sondern  von  einem  Spätling  unter 
den  Homeriden  her.«) 

3*2.  Zeit  des  Homer.  Erst  jetzt  können  wir  auf  mehrere  Fragen 
zurückkommen,  die  wir  oben  nur  gestreift  haben,  so  zuerst  auf  die  Enfc- 
stehungszeit  der  homerischen  Dichtungen.  Da  offenbar  die  Alten  von  der 
Zeit,  in  der  Homer  lebte  und  Ilias  und  Odyssee  entstanden  sind,  keine 
bei^immte  Überlieferung  hatten,  so  sind  auch  wir  wesentlich  auf  Kombi- 
nationen angewiesen.  Diese  müssen  von  dem  zeitlichen  Verhältnis  der 
altgriechischen  Epen  zu  einander  ausgehen.^)    Nun  gilt  es  jetzt  als  aus- 


*)  Otfb.  MClleb,  Gesch.  der  gr.  Litt  I 
84  niteilt  von  der  Scene  der  Zusammenkunft 
des  Achilleus  und  Priamos  im  letzten  Gesang 
der  Hias,  dass  sie  mit  keiner  andern  in  der 
ganzen  alten  Poesie  verglichen  werden  könne, 
und  Schiller  sprach  einmal:  «wenn  man 
auch  nur  geleht  hätte,  um  den  *23.  Gesang 
der  Ilias  zu  lesen,  so  könnte  man  sich  über 
sein  Dasein  nicht  beschweren*.  Von  den 
Dichtem  jener  Gesänge  galt  eben  auch  schon 
im  Altertum  der  Goethe'sche  Spruch  „denn Ho- 
meride zu  sein,  auch  nur  als  letzter,  ist  schön*. 


haft  geworden,  ob  die  Gemeinverse  ans  der 
Odyssee  und  nicht  aus  älteren  hieratischen 
Gedichten  entlehnt  sind. 

*)  Dieser  Punkt,  schon  von  Eöchly  und 
Kirchhoff  beachtet,  ist  von  mir  besprochen 
in  dem  Aufsatz,  Die  Wiederholungen  glei- 
cher und  ähnlicher  Verse  in  der  Ilias,  in 
Sitzb.  d.  b.  Ak.  1880,  S.  221—271. 

*)  Davon  ans  habe  ich  die  Frage  be- 
handelt in  dem  Aufsatz,  Zur  Chronologie  des 
altgriechischen  Epos,  im  Sitzb.  der  b.  Akad. 
18^  S.  1—60,  wo  auch  die  auf  ägyptischen 


^)  In  der  Ghryseisepisode  J  430—492  Kombinationen  beruhende  Datierung  Glad- 
scheint  man  gleichfalls  einen  solchen  Cento  |  stones  zurückgewiesen  ist.  Vgl.  D&ivtzsr, 
vor  sich  zu  haben,   doch  ist  es  mir  zweifei-  j  Die  homerischen  Fragen,  Leipzig  1874. 


A.  Epos.    2.  Homera  Iliaa  und  Odyssee.    (§  32.) 


49 


gemachte,  durch  Anzeichen  der  Nachahmung  erwiesene  Thatsache,  dass 
Hesiod  jünger  als  Homer  war  und  nicht  bloss  die  Ilias,  sondern  auch 
schon  die  Odyssee,  wenigstens  in  ihren  älteren  Bestandteilen,  vor  Augen 
hatte;  mit  Hesiod  dürfen  wir  aber  nicht,  wenigstens  nicht  viel  unter  700 
herabgehen.  Ferner  liegt  es  in  der  Natur  der  Sache  und  lässt  sich  aus 
Sprache  und  Mythos  erweisen,  dass  die  Gedichte  des  epischen  Kyklos  erst 
zur  Zeit,  als  die  zwei  grossen  homerischen  Epen  bereits  fertig  waren, 
entstanden  sind.^)  Nun  wird  Arktinos,  der  Dichter  der  Aithiopis,  in  die 
1.  oder  9.  Olympiade  gesetzt,  und  wenn  diese  Ansätze  auch  nicht  ganz  ausser 
Zweifel  stehen  und  vermutlich  etwas  zu  hoch  gegriffen  sind,  so  dürfen  wir 
doch  mit  Zuversicht  den  Beginn  des  kyklischen  Epos  noch  in  das  8.  Jahr- 
hundert setzen.  Einen  dritten  Vergleichungspunkt  bilden  die  Werke  der 
bildenden  Kunst.  Auf  dem  amykläischen  Throne  waren  bereits  Scenen 
der  Dias  und  Odyssee,  wie  der  singende  Demodokos,  Menelaos  in  Ägypten, 
Proteus,  dargestellt.')  Damals  waren  also  schon  die  jüngsten  Gesänge  der 
Odyssee  allgemein  bekannt;  schade  nur,  dass  sich  die  Zeit  jenes  Thrones 
selbst  nicht  genau  fixieren  lässt,  und  dass  die  Angabe,  der  Thron  sei  aus 
dem  Zehnten  des  messenischen  Krieges  gestiftet  worden,  nicht  als  zuver- 
lässig gelten  kann.  3) 

Zu  der  durch  Vergleichung  gewonnenen  Zeitgrenze  stellen  sich  meh- 
rere äussere  Zeugnisse  und  historische  Anzeichen  im  Homer  selbst.  Im 
Schiffskatalog,  der  die  Ilias  mit  Einschluss  der  Leichenspiele  zur  Voraus- 
setzung hat,  wahrscheinlich  auch  vor  der  Telemachie  und  den  jüngeren 
Partien  der  Odyssee  gedichtet  ist,*)  wird  die  Blüte  Megaras,*^)  die  mit  der  Be- 
freiung der  Stadt  (Ol.  10)  begann,  völlig  ignoriert;  ja  selbst  der  Name  Megara 
ist  noch  unbekannt,  und  Nisa  erscheint  noch  als  Teil  Böotiens  (B  508),  ge- 
radeso wie  Korinth  noch  als  Teil  von  Argos  (B  570).  Das  führt  also  auf  eine 
Zeit,  wo  entweder  die  neuen  Verhältnisse  noch  gar  nicht  eingetreten  waren 
oder  doch  die  alten  noch  in  der  Erinnerung  der  Leute  fortlebten.  Auf  der 
anderen  Seite  kennt  der  Schiffskatalog  kein  Messenien  mehr  und  lässt  die 


^)  Im  einzelnen  erwiesen  von  Wblckeb, 
Der  epische  Cyklns;  vgl.  Niksb,  Entwicklung 
d.  hom.  Poesie  27  ff  und  225  ff.  Anspielungen 
auf  die  entwickelten  Mythen  des  Kyklos 
finden  sich  allerdings  auch  in  der  Ilias, 
aber  nur  an  interpolierten  Stellen  T326  -837, 
ß  28— 30,  9  230-2  (B  699-709.  721—8). 
Die  in  der  Odyssee,  in  der  Telemachie  und 
Nekyia,  vorausgesetzten  Gesäuge  vom  Falle 
nions  durch  das  hölzerne  Pferd,  vom  Streit 
am  die  Waffen  des  Achill,  von  der  Heran- 
ziehung des  Philoktetes,  Neoptolemos,  Eurypy- 
los,  von  der  Heimkehr  der  Könige  imd  der 
Rache  des  Orestes  herOhren  sich  mit  den  Dich- 
tmigen  des  Arktinos,  Lesches,  Hagias, 
brauchen  aber  nicht  notwendig  aus  denselben 
geflossen  zu  sein,  da  auch  deren  Epen  Einzel- 
Heder  vorausgegangen  waren.  Dass  indes 
Arktinos  vor  dem  Dichter  der  jüngsten  Par- 
tien der  Odyssee  lebte,  scheint  mir  auch  heute 
noch  wahischeinlich  zu  sein. 

^)  Paus,  in  18;  es  fanden  sich  auf  dem- 
selben auch  schon  Scenen  aus  den  Kyprien 

Bavdlroch  d«r  klan.  AltertuioswiaMDsohaft.    VII. 


und  der  Aithiopis,  wie  das  Parisurteil  und 
der  Kampf  des  Achill  und  Memnon. 

')  Bbukn,  Gesch.  der  griech.  Künstler  I 
52  f.  setzt  seine  Verfertigung  um  Ol.  60; 
andere  gehen  höher,  580—540  v.  Chr.  hinauf; 
8.  OvKBBBCK,  Gcsch.  der  griech.  Plastik 
I*  68.  Neuestens  setzt  Wolfo.  Rbichel, 
Ueber  vorhellenische  Qötterkulte,  Wien  1897 
8.  15,  die  Statue  des  ApoUon,  die  als  Sieges- 
zeichen aufgestellt  worden  sei,  in  das  siebente 
Jahrhundert,  den  Thron,  den  Bathykles  für 
jene  Säule  herrichtete,  erheblich  später. 

^)  Es  passen  allerdings  die  Epitheta  xoiXijy 
AttxidaifAoya  xt]i(osaaay  gut  zum  Land  (ß  581), 
schlecht  zur  Stadt  (cf  1);  aber  es  kann  doch 
auch  die  letztere  Stelle  auf  die  Landschaft 
Lakedämon  gedeutet  werden.  Zu  beachten 
ist  auch,  dass  in  dem  Schiffskatalog  unter  den 
böotischen  Städten  Askra,  die  Heimat  Hesiods, 
nicht  vorkommt.  Das  kann  aber  auch  aus  der 
Unbedeutendheit  des  Ortes  erklärt  werden. 

^)    Schon    zu   Ol.    15   wird   ein   Sieger 
"O^cmnoq  MeyaqBvg  angeführt. 
3.  Aufl.  4 


50 


Grieohiaohe  Litteratnrgeachiohtd.    I.  Slaaaiaohe  Periode. 


Landschaft  Lakedämon  bereits  die  Städte  Pharos,  Amyklai,  Helos  {B  582~-4) 
umfassen,  die  erst  durch  die  Könige  Teleklos  und  Alkamenes  in  der  zweiten 
Hälfte  des  8.  Jahrhunderts  unterworfen  worden  waren,  i)  Nehmen  wir  dazu, 
dass  der  Schiffskatalog  sich  nicht  bloss  im  Fahrwasser  der  hesiodischen  Dich- 
tungsart bewegt,  sondern  auch  bereits  auf  Sagen  anspielt,  die  wie  der  Fall 
des  Protesilaos  und  die  Zurücklassung  des  Philoktetes  in  den  Kyprien  und  der 
kleinen  Ilias  erzählt  waren, ')  so  werden  wir  denselben  allerdings  kaum  vor 
650  ansetzen  dürfen,  aber  dann  auch  jedenfalls  annehmen,  dass  sicher  da- 
mals bereits  die  ganze  Ilias  in  allen  ihren  wesentlichen  Teilen  fertig  war.  — 
Femer  verrät  die  Ilias  und  insbesondere  der  Eingang  des  13.  Gesangs 
noch  gar  keine  Kenntnis  von  dem  schwarzen  Meere  und  der  an  seinen 
Gestaden  im  8.  und  7.  Jahrhundert  von  den  Milesiern  gegründeten  Kolo- 
nien; ihre  Entstehung  muss  also  über  die  Zeit  der  Gründung  von  Trape- 
zunt  und  Sinope  hinaufgerückt  werden.  —  Für  die  Abfassung  des  letzten 
Gesangs  der  Odyssee,  also  eines  der  allerjüngsten,  gibt  der  Yers  w  88 
^oivvvvTai  re  väoi  xal  iirevTvvovTai  äe&Xa  einen  annähernden  Terminus 
ante  quem  an  die  Hand.  Denn  da  in  der  15.  Olympiade  die  Wettkämpfer 
in  Olympia  den  Gurt  ablegten  und  die  Einführung  der  nackten  Ringkämpfe 
so  ziemlich  gleichzeitig  in  aUen  Teilen  Griechenlands  erfolgt  sein  wird, 
so  muss  jener  Vers  vor,  kann  sicher  nicht  lange  nach  715  gedichtet  sein.^) 
In  ähnlicher  Weise  fuhrt  die  Erwähnung  der  sizilischen  Dienerin  in  den 
jüngeren  Partien  der  Odyssee  (i;  388.  w  211.  866.  889)  auf  die  Zeit  der 
Kolonisation  Siziliens  (Ol.  9),  und  scheint  die  Erwähnung  der  Quelle  Ar- 
takie  Od.  x  108  mit  der  Gründung  von  Kyzikus  (756  oder  680  v.  Chr.  nach 
Euseb.)  zusammenzuhängen.^)  Damit  bleiben  wir  also  in  der  Zeit  vor 
Schluss  des  8.  Jahrhunderts;  nur  mit  den  kleinen  Interpolationen  der  Dias 
und  Odyssee  werden  wir  noch  weiter  herabgehen  müssen.  Zwar  die  Verse 
yi  699  ff.  brauchen  nicht  auf  die  in  der  25.  Olympiade  in  Elis  eingeführten 
Wettkämpfe  mit  Viergespannen  bezogen  zu  werden,  ^)  aber  die  Stelle  in  der 
Odyssee  q>  15—41  geht  von  der  Unterwerfung  Messeniens  unter  Lakedämon 


0  Im  Gegensatz  zum  Schiffskatalog  setzt 
die  nias  i  149 — 156  voraus,  dass  die  See- 
städte, wenigstens  die  messenischen,  noch  im 
Besitze  der  alten  achäischen  Fürsten  und  noch 
nicht  den  dorischen  Eroberem  unterthan  waren. 

')  Ich  wage  jetzt  nicht  mehr,  wie  ich  in 
meiner  Ausgabe  der  lUas  that,  die  betreffenden 
Stellen  ß699— 709  und  «791—728  einem  spä- 
teren Interpolator  zuzuweisen;  übrigens  wird 
auch  dann  an  der  Zeitrechnung  wenig  geändert. 

»)  Kirchhoff,  Hom.  Od.  288  ff.;  Ein- 
wendungen von  Niese,  Entwicklung  der 
homerischen  Poesie  223  ff.  lieber  die  Zeit 
(Ol.  15,  nicht  32)  handelt  Böckh,  Ges.  Sehr. 
IV  137  ff.  Noch  weiter  geht  Eirchhoff 
S.  340,  indem  er  aus  oi  417  schliesst,  dass 
Eugammon,  der  Dichter  der  Telegonie  (um 
Ol.  53),  den  Schluss  der  Odyssee  noch  nicht 
gekannt  habe,  und  so  ähnlich  auch  Wila- 
xowiTz,  Hom.  Unt.  185.  Aber  einfacher  ist 
die  Lösung,  dass  entweder  Proklos  oder  der 
Exzeiptor  bei  ol  finjaroqeg  vno  ttör  ngo^jf]- 


xoyxfüv  ^anroyiai  die  Freier  mit  den  am 
Schlüsse  {<o  523)  gefallenen  Ithakesiem  yer- 
wechselt  habe,  oder  dass  die  Worte  unseres 
Odysseetextes  atovxsg  itfoltiov  {ia  415)  bis 
ii9ivtBg  (o)  419}  einer  jungen  Interpolation 
entstammen. 

^)  Ich  habe  mich  etwas  zurückhaltender 
gefasst  mit  Rücksicht  auf  die  Einwände  yon 
Roths  in  Jahresb.  d.  Alt.  XIII  1,  182.  Noch 
weiter  zu  gehen  und  die  Hälfte  der  Odyssee 
mit  WiLAMowiTZ  dem  7.  Jahrh.  zuzuweisen, 
verbietet  schon  die  Sprache,  namenÜich  das 
Digamma. 

»)  Vgl.  Aüo.  MoMMSBN,  Phü.  8,  721  ff.; 
aber  notwendig  ist  es  durchaus  nicht 
an  die  Pferdewettkämpfe  der  olympischen 
Spiele  zu  denken;  eines  spricht  sogar  da- 
gegen, dass  die  Stelle  A  700  Dreifüsse  als 
Preise  erwähnt,  in  Olympia  aber  schon  mit 
der  7.  Oly^mpiade  der  Wertpreis  durch  den 
Ehrenpreis  eines  Kranzes  ersetzt  wurde. 


A.  Spos.    2.  Homers  Uiaa  und  Odyaaee.    (§  82.) 


51 


aus,^)  kann  also  erst  nach  dem  Ausgang  des  ersten  messenischen  Krieges 
geachtet  sein.     In  der  ganzen  Frage  aber  müssen  wir  uns  gegenwärtig 
halten,  dass  einzelne  Oesänge,   wie  die  Doloneia,   der  Schiffskatalog,    die 
zweite  Nekyia,  insbesondere  aber  kleinere  Interpolationen,   wie  die  Er- 
weiterungen in  der  Schildbeschreibung  {2  590 — 606),  den  Leichenspielen 
{9  788—897),    der  Beschreibung  der  Gärten   des  Alkinoos  {rj  103—113), 
der  Nekyia  (A  565—617),  die  Rekapitulation  der  Irrfahrten  des  Odysseus 
{ip  310—343)  leicht  noch  von  Homeriden  und  Rhapsoden  zugefügt  werden 
konnten,  nachdem  die  Ilias  und  Odyssee  in  ihrem  Grundgerüste  längst  fertig 
waren,  dass  aber  die  Ausführung  des  Grundplanes  der  beiden  Dichtungen 
sich  kaum  durch  mehr  als  2  bis  3  Generationen  hingezogen  haben  wird.') 
Sollen  wir  zum  Schluss  bestimmte  Zahlen  geben,  so  scheint  uns  aus 
den  angedeuteten  Kombinationen  zu  folgen,  dass  die  Ilias  um  850 — 780, 
die  Odyssee  um   800 — 720   entstanden  ist,   und    dass    nach   dieser  Zeit, 
vom  Schiffskatalog  abgesehen,  keine  ganzen  Gesänge  mehr,  sondern  nur 
noch   kleine    Interpolationen,    zum    Teil    zur    besseren    Verbindung    der 
Teile  und  in  Zusammenhang  mit  der  schriftlichen  Fixierung  des  Textes 
hinzukamen.     Im  allgemeinen  pflichten  wir  so  Herodot  bei,   wenn  er  den 
Homer  400  Jahre  vor  seiner  Zeit,  also  um  840,  gelebt  haben  lässt.^)   Nur 
müssen  wir  dem  noch  hinzufügen,  dass  der  Ursprung  der  Sagen,   welche 
in  Homer  widerkUngen,  und  teilweise  auch  die  Anschauung,  welche  Homer 
von  der  aussergriechischen  Welt  hatte,  in  frühere  Vergangenheit  zurück- 
reichen. Merkwürdig  ist  in  letzterer  Beziehung  namentlich,  dass  der  Dichter 
noch  Sidon,   nicht  schon  Tyrus  die  Meere  beherrschen,   und  noch  nicht 
Memphis,  sondern  das  ältere  Theben  Hauptstadt  Ägyptens  sein  lässt.^) 


^)   Dafür    sprechen    die   Verse    18—15 

*lqfiTog  EvQvtidf]^  inielxeXog  a9ayäjoi<ny  '  rw 
«T  4p  Mecaijyfi  ivf^ßkijaxo  aXXfjXoityy  aber  mit 
y.  15  beginnt  die  Interpolation. 

')  Weiter  zn  gehen,  missrät  schon  der 
geringe  Unterschied  der  Sprache  namentlich 
im  Gebraach  des  Digamma  und  in  der  Ab- 
neigong  gegen  EontralLtion.  Die  historischen 
Eimmerier,  welche  um  660  in  Lydien  und 
lonien  einbrachen,  beweisen  nichts  f&r  die 
Zeit  Homers,  da  es  umgekehrt  grössere 
Wahrscheinlichkeit  hat,  dass  diese  rftube- 
risehen,  aus  dem  dunklen  Norden  kommenden 
Horden  von  den  Zeitgenossen  mit  den  home- 
rischen Ejmmeriem  (Od.  X  14)  verglichen 
und  nach  ihnen  KtfifitQioi  benannt  wurden, 
Ihnlieh  wie  spftter  die  germanischen  Völker 
des  Nordens  den  Namen  Cimbri,  das  ist  eben 
Ktiifji4Qio&,  erhielten.  Uebrigens  stammt  der 
Name  Kifdfi^^oi  aus  Innerasien,  da  in  assy- 
rischen Eeilinschriften  die  nordischen  Sky- 
then Gimiral  heissen,  so  dass  sowohl  £e 
KifißiiQioi  a  14)  als  die  Krjreioi  (X  520),  d.  i. 
Chethiter,  der  Odyssee  ein  Beweis  sind,  wie 
die  Griechen  IQeinasiens  allmfthlich  mit  den 
grossen  Reichen  am  Orontes  und  Euphrat 
Ffihlung  bekamen. 

')  Herod.  II 53 :  *Balo&oy  ydq  xal  "Ofit^Qoy 


ijXixirjy  xBxqaxwiioiai  hsin  doxim  fjiev  n^ea- 
ßvjsgovg  yey^a&at  xal  ov  nXelocw. 

*)  n.  J  381 :  ovV*  Off*  ig  'ÖQxofjiByoy  noji- 
yiaffSTM,  otJcf  o'ff«  Si^ßttg  Aiyvntiae,  o&i  nXeicta 
dofiotg  iy  xtijfiaTa  xeitaiy  aX  d-*  ixaTOfinvXoi 
eiin,  ^ifjxoaiot  (f  dy^  kxdaxag  dysgeg  i^oixyevat 
avy  Vnnoiffiy  xal  oxeatpvv.  Eral,  Diodor  u. 
Manetho,  Stzb.  d.  österr.  Ak.  96  (1880)  381 
sieht  darin  eine  dunkle,  im  Lied  fortlebende 
Erinnerung  an  die  Zeit  der  Ramessiden,  wo 
griechische  Stämme  (eher  Earier)  mit  Ae^^p- 
ten  und  seiner  damaligen  Hauptstadt  Theben 
in  BerUhrung  kamen.  —  Von  Aegypten  aus 
drang  zu  Homer  auch  die  Eunde  von  den 
Zwergen  Afrikas  r6,  die  in  unserer  Zeit 
Stanley  in  den  ürwUldem  südlich  der  Nil- 
quellen wiedergefunden  hat.  Mit  Aegypten 
scheinen  ausserdem  zusammenzuhängen  die 
Göttertriade  Zevg  xal  'jS^yalij  xal  'AnoXXav 
(vgl.  Isis,  Osiris,  Horus),  die  Seelenwägung 
X  209  ff.  und  die  Vorstellungen  von  der 
Unterwelt.  —  Die  Aegypter  und  ihre  Fabri- 
kate lernten  die  Griechen  durch  die  Yer- 
mittelung  phönikischer  Eaufleute  kennen. 
Von  Bedeutung  für  die  Sache  ist  es  daher 
auch,  dass  Helbiq,  Ein  ägyptisches  Grab- 
gemälde und  die  mykenische  Frage,  Sitzber. 
d.  b.  Ak.  1896,  zwei  Perioden  des  eindringen- 
den Einflusses  Phönikiens  auf  Griechenland 


52  Qriechiache  Litieratnrgeachiohte.    L  Klasaisohe  Periode. 

33.  Sprache  und  Heimat  des  Homer.  Die  Frage  nach  der  Heimat 
des  Homer  und  seines  Geschlechtes  hängt  eng  mit  seiner  Sprache  zusammen. 
Die  Sprache,  in  der  uns  die  homerischen  Gedichte  durch  die  Alexandriner 
überliefert  sind,  hat  das  Gepräge  des  ionischen  Dialektes,  geradeso  wie 
sich  auch  in  dem  ganzen  Ton  der  Dichtung  loniens  heiteres  Leben  wider- 
spiegelt.^) Wenn  jenes  Gepräge  vielfach  von  dem  der  Sprache  des  Herodot 
abweicht,  so  fand  man  dieses  ehedem  durch  die  Grösse  des  zeitlichen  Ab- 
standes  sattsam  erklärt.  Aber  so  leicht  darf  man  sich  mit  jenem  Unter- 
schied nicht  mehr  abfinden,  nachdem  wir.  durch  Bentley  belehrt,  wissen, 
dass  der  Dichter  der  Ilias  und  Odyssee  noch  das  Digamma  gesprochen  und 
in  einigen  Wörtern,  wie  im  Pronomen  der  3.  Person  ov  ol  i'  og,  ferner  in 
«»'«f,  ^O^vog,  ^Tog  regelmässig  zur  Geltung  gebracht  hat.*)  Denn  diesen 
Laut  hatten  im  7.  Jahrhundert  die  ionischen  Landsleute  der  Elegiker  und 
lambographen  schon  vollständig  abgeworfen,  so  dass  sie  ihn  schwerlich 
im  9.  und  8.  Jahrhundert  noch  in  dem  Umfange  gesprochen  haben  werden, 
den  wir  für  die  Landsleute  und  Zeitgenossen  des  Homer  voraussetzen 
müssen.  Auch  mit  der  Annahme,  dass  Homer  vieles  aus  der  Sprache 
seiner  Vorgänger  könne  herübergenommen  haben,  8)  reichen  wir  zur  Er- 
klärung jenes  sprachlichen  Unterschiedes  nicht  aus.  Denn  aus  älteren 
Dichtungen  können  wohl  einzelne  formelhafte  Ausdrücke,  wie  rscfskriyegita 
Z€vg,  InTVora  NtatmQ^  not  via  '^HQrj,  ttqoc&sv  &akdfioio  O^vgcLtav^  fiavTig 
dfjivfKov,  herübergenommen  sein,  aber  in  dem  Gebrauch  eines  ganzen  Lautes, 
wie  es  das  Digamma  ist,  in  der  Diärese  oder  Synizese  der  Vokale,^)  in 
den  Formen  der  Pronomina*»)  und  der  Worte  des  Alltagslebens  richtet  sich 
jeder  Volks-  und  Naturdichter^)  nicht  nach  der  Sprache  firüherer  Jahr- 
hunderte, sondern  nach  der  seiner  Zeit  und  seiner  Umgebung.  Die  Sprache 
der  Ilias  und  Odyssee  verbietet  uns  daher,  die  Landsleute  Homers  in  dem 
Lande  des  Archilochos  oder  Kallinos  zu  suchen,  sie  führt  uns  ebenso  wie 
die  Sage  vom  troianischen  Krieg  nach  Äolien  oder  doch  nach  einem  nörd- 
licheren, äolisierenden  Teile  loniens.  Denn  nicht  alle  Bewohner  loniens 
redeten  die  gleiche  Sprache,  vielmehr  unterscheidet  Herodot  1 142  ausdrück- 
lich vier  verschiedene  Dialekte  der  lonier.^)    Geradezu  zum  Äolier  stempelte 

nachweist,  in  der  Art,   dass  der  ältere  Ein-  1  seos  usu  Homerico,  Monachii  1886. 

fluss  in  der  my kenischen  Periode  durch  die  |  ^)  In  unseren  Texten  stehen  von  den 

Wanderung  und  Eroberung  der  Dorer  unter-  |  Pronomina   ftolische   und   ionische   Formen; 

brochen  wurde,  dann  aber  im  7.  Jahrhundert  |  die   ftolischen   fiberwiegen   und   lassen   sich 

einen  neuen  Aufschwung  nahm.  i  mit  Sicherheit  noch  weiter  ausdehnen;  aber 

^)   Die  anderen  Züge  der  homerischen  '  auch  die  ionischen  können  nicht  ohne  Ge- 
Poesie,   welche   auf  lonien   hinweisen,    hat  |  waltsamkeit  ganz  ausgetrieben  werden, 
gut  MüLLEß,   Gr.  Litt.  I^  72  ff.  besprochen,  i  ^)    Ich   betone    „Naturdichter*,    da   die 
ohne  von  Neueren  widerlegt  worden  zu  sein.  '  nachi^menden  Dichter  der  sp&teren  Zeit  einer 

*)    Auf  die    durchwegige    Geltung   des  1  anderen  Uebung  folgten. 
Digamma  gewisser  Wörter  ist  ein  Haupt-  ^)  Es  hängt  diese  Verschiedenheit  der 

gewicht  zu  legen,   da  damit  die  Erklärung  Sprache   mit   der  Verschiedenheit   der   Ein- 


des  Gebrauchs  jenes  Lautes  infolge  konven- 
tioneller Vererbung  wegfällt.  Zur  Sache 
Enös,  De  digammo  Homerico,  Ups.  1872, 
und  meine  Proleg.  lliadis  carm  p.  150  sqq. 

")  Diesen  Standpunkt  vertritt  Hinrichs, 
De  Homericae  elocutionis  vestigiis  Aeolicis, 
Jenae  1875. 

*)  M  EKB  AD,  De  contractionis  et  sjnize- 


wanderer  zusammen;  so  hatten  sich  in  Prione 
Thebaner  unter  Philotas  (Strab.  633),  in 
Teos  Minyer  unter  Athamas  (Anakr.  fr.  114, 
Paus.  VII  3  6,  Steph.  Byz.)  angesiedelt;  nach 
Kolophon  waren  ausser  Kretern  Manto  und 
Mopsos  (Paus.  VII  3,  1  und  Schol.  Apoll. 
Rhod.  III  74)  gewandert,  in  Milet  waren  die 
Thaliden  phönikischen  oder  kadmeischen  Ur- 


A.  Epoa.    8.  Homers  Ilias  und  Odyssee.    (§  33.) 


53 


den  Homer  in  unserer  Zeit  August  Fi ck,  indem  er  die  ganze  ältere  Dias 
und  Odyssee  ursprünglich  in  äolischer  Sprache  gedichtet  und  erst  später 
in  den  Mischdialekt  der  jüngsten  Zusätze  umgesetzt  sein  lässt.^)  Aber 
die  glänzende  Hypothese  hat  nicht  nur  kein  Analogen  in  der  griechischen 
Litteratur,  da  umgekehrt  jüngere  Dichter,  auch  wenn  sie  einem  anderen 
Stamme  angehörten,  den  Dialekt  des  älteren  Vorbildes  beizubehalten 
pflegten,  sie  lässt  sich  auch  nur  mit  grossen  Willkürlichkeiten  und  ge- 
waltsamen Änderungen  durchführen,  indem  sich  ebenso  wenig  die  festen 
lonismen  auf  die  jüngeren  Gesänge,  wie  die  festen  Äolismen  auf  die  älteren 
einschränken  lassen.^)  Ich  halte  mich  daher  nach  wie  vor  an  den  anderen 
Ausweg,  dass  Homer  und  seine  Schule  nicht  in  Südionien  blühte,  sondern 
dort,  wohin  auch  die  besten  Zeugnisse  des  Altertums  uns  führen,^)  auf 
dem  Grenzgebiet  von  lonien  und  Äolis.  Dabei  möchte  man  zunächst  an 
Smyma  denken,  was  ehedem  von  Äoliem  besiedelt  worden  war,  später 
aber  dem  ionischen  Städtebund  sich  anschloss.  Aber  auf  einen  anderen 
Punkt  führen  uns  zwei  Stellen  der  Dias  ^  227  und  Si  13,  welche  die  Sonne 
über  dem  Meere  aufgehen  lassen.^)  Der  Dichter  dieser  Stellen  lebte  also 
nicht  auf  dem  Festlande  Asiens,  sondern  auf  einer  der  Inseln,  welche  im 
Westen  der  kleinasiatischen  Küste  lagen.  Als  solche  bietet  sich  im  nörd- 
lichen lonien  einzig  Chios,*)  auf  welcher  Insel  obendrein  nach  dem  Geo- 
graphen Stephanos  von  Byzanz  ein  Städtchen  Bolissos  lag,  welches  eine 
äolische  Kolonie  war  und  wo  Ephoros  den  Homer  verweilen  liess.^)  Wer 
sein  Gefallen  an  Kombinationen  der  Phantasie  hat,  mag  es  den  Alten 
glauben,  dass  Homer  im  äolischen  Smyma  geboren,*^)  dann  aber  nach  Ghios 
ausgewandert  sei,  auf  welcher  Insel  sich  neben  einer  nordionischen  Haupt- 


Bpnmgs  (vgl.  Herod.  I  170);  s.  0.  ImmibcBi 
KlaroB,  in  Jahrb.  f.  Phil  Snppl.  XYII  129  ff. 

^)  FicK,  Die  homerische  Odyssee  1883 
(Sapplementband  von  Bbzzevbrrgebs  Bei- 
trftgen  znr  Kunde  der  indogerm.  Sprachen), 
Die  homerische  Ilias  1886,  Das  Lied  vom 
Zorne  Achills,  Beiträge  znr  Kunde  der  indo- 
germ. Sprache  1895.  Vorausgegangen  war 
ihm  teilweise  schon,  aber  ohne  die  nö- 
tigen sprachlichen  Kenntnisse  und  ohne  Klar- 
heit des  Standpunktes  der  Engländer  Patne- 
KsfOBT  in  seiner  Ausg.  von  1820.  Schon  im 
Altertom  verlangten  einige  Grammatiker 
einen  äolischen  Homer,  worfiber  Anecd.  Rom. 
von  Osann  p.  5 :  rijy  ^i  uoitjaiv  dyayiytoa- 
xea9ai  et  (toi  Ztonvgo^  6  Mayvrig  AioXidt  dia- 
Icrrni,  to  d*  avio  Jixaiagxot:.  Bezüglich  des 
iolisciien  Ursprungs  der  troischen  Sage  siehe 
mdes  SiTTL,  Die  Griechen  im  Troerland  und 
das  homerische  Epos,  Philol.  44,  201  ff. 

*)  Meine  Einwände  habe  ich  entwickelt 
in  der  Besprechung  von  Ficks  Odyssee  in 
Phil.  Anz.  XIV  90  ff.,  worauf  Fick  in  der 
Einleit.  seiner  Dias  p.  III  sqq.  mit  nicht  be- 
weiskräftigen Analogien  antwortete.  Dass 
mdes  im  Laufe  der  Zeit,  namentlich  durch 
den  EinfloBS  der  alezandrinischen  Gramma- 
tiker manche  nichtionische  Form  getilgt 
worden   sei  und  von  uns  wieder  zurückge- 


führt werden  dürfe,  gebe  ich  vollständig  zu. 
Zu  den  sprachlichen  Einwänden  kommen  aber 
noch  die  aus  den  sachlichen  Verhältnissen 
genommenen  hinzu,  welche  im  nächsten 
Paragraphen  ihre  Besprechung  finden. 

')  Diese  führen  eben  nach  Smyma  zu- 
meist und  dann  nach  Chios;  vgl.  Döntzer, 
Hom.  Fragen  33  ff. 

*)  ff  227  XQoxonenXog  vneig  aXa  xitf" 
vtcriu  "^oSg,  ß  13  lywV  g>aiyofi^ytj  Xij&eoxsy 
vneiQ  ttXtt  1^10 yag  re.  Die  Verse  stehen  aller- 
dings nicht  in  den  allerältesten  Partien  der 
Dias;  das  thut  aber  ihrer  Bedeutung  wenig 
Eintrag,  da  die  alte  homerische  Schule 
schwerlich  an  einem  anderen  Orte  sich  be- 
fand als  Homer  selbst.  Die  Bedeutung  dieser 
Stellen  für  unsere  Frage  wru-de  erkannt  von 
Bkbok,  Gr.  Litt.  1451;  leichthin  widerspricht 
DüNTZBR,  Hom.  Frag.  81. 

^)  An  Lesbos,  das  keine  der  alten  Ueber- 
lieferungen  für  die  Heimat  Homers  ausgab, 
wollte  FiGK,  Ilias  S.  108  denken. 

^)  Steph.  Byz. :  BoXXiaaos  '  -noXig  JioXixij 
in*  äxQov  Xiov  nXrjffiov  .  .  .  xai  €p€tai,y  ort 
"OfiTjQog  iy  xovr(^  rdc  dunQißdg  inwehOf  tag 
"Ecpogog. 

7)  Vgl.  BöCKH  zu  Find.  fr.  ine.  86  und 
den  Rhetor  Alkidamas  bei  Arist.  rhet.  11  23 
p.  1398  »>  2. 


54 


Qrlechische  Litteratargeachichte.    I.  Klaaaiaohe  Periode. 


bevölkerung  auch  äolische  Siedelungen  befanden.  Früh  aber  sind  die 
homerischen  Gesänge  über  das  äolisch-ionische  Grenzland  hinausgetragen 
worden  und  haben  an  den  Eönigshöfen  loniens  eine  zweite  Heimatstatte 
gefunden.  Dort  in  lonien  wird  auch  die  Sage  neue  Nahrung  gewonnen 
haben,  und  wird  namentlich  Samos,  das  frühe  weite  Fahrten  nach  dem 
Westen  unternommen  hat,i)  von  Einfluss  auf  die  Ausbildung  der  Odyssee- 
sage gewesen  sein.*) 

84.  Dass  Homer  von  seiner  Heimat  aus  als  wandernder  Sänger  viel 
im  Lande  herumgekommen  sei,  versteht  sich  bei  den  damaligen  Verhält- 
nissen der  Gesellschaft  und  Dichtkunst  von  selbst.  Die  Orte  lassen  sich 
zum  Teil  noch  aus  den  Umhüllungen  der  Dichtersage  herausfinden,  wenn 
auch  dieselben  mehr  auf  die  Homeriden,  als  Homer  selbst  Bezug  haben 
sie  sind  Phokäa,  wo  Homer  bei  Thestorides  Aufnahme  fand,*)  Neonteichos- 
bei  Kyme,  wo  er  um  des  lieben  Brotes  willen  seine  Gedichte  vorlas,*) 
Kolophon,  wo  er  den  Margites  dichtete,^)  Samos,  wo  er  von  Kreophylos 
gastlich  aufgenommen  wurde,«)  los,  wo  man  sein  Grabmal  zeigte. 7)  Also 
über  Äolis  hinaus  nach  den  ionischen  Kolonien  Kleinasiens  war  frühzeitig 
die  homerische  Poesie  gedrungen  und  war  Homer  selbst  auf  seinen  Wan- 
derungen gekommen.  Ähnliches  lehren  uns  die  Dias  und  Odyssee  selbst. 
Ihr  Dichter  feiert,'  indem  er  die  Kämpfe  besingt,  welche  die  achäischen 
Ansiedler  mit  den  alten  Herren  des  Landes  zu  bestehen  hatten,  zugleich 
die  Stammesheroen  der  äolischen  Kolonien  Kleinasiens ;  ^)  er  schmeichelt 
daneben  mit  dem  Preise  des  Nestor  und  der  Lykierfürsten  Sarpedon  und 
Glaukos  den  ionischen  Königen,  welche  von  jenen  Heroen  ihr  Geschlecht 
ableiteten;»)  er  flicht  mit  der  Verherrlichung  der  Heldenthaten  des  Ido- 
meneus  die  Sagen  der  alten  kretischen  Ansiedler  Kleinasiens  in  den  Kranz 
der  äolischen  Stammessage.  ^^)     Seine  Gleichnisse   nimmt  er  mit  Vorliebe 


^)  Strabo  p.  637  IftBst  geradezu  das 
kleinaaiatisclie  Samos  von  JÜiaka  und  Ee- 
phallenia  kolonisiert  sein. 

')  Vgl.  H.  D.  Müller.  Historisch-mytho- 
logische Untersuchungen  8.  49  f.  u.  129  ff. 

»j  Ps.  Herod.  vit.  Hom.  15.  üsbheb,  De 
Iliadis  carmine  quodam  Phocaico,  Bonn  1875 
sucht  nachzuweisen,  dass  IL  XI  mit  der  Be- 
schreihung  der  Waffen  des  Agamemnon 
(A  15  his  42)  und  dem  Vergleich  des  den 
Hirsch  zerreissenden  Löwen  {A  474-82)  auf 
die  Stadt  Phokäa  hinweist,  welche  lebhafte 
Verbindung  mit  den  Ph5nikiem  unterhielt 
und  deren  Kolonie  Velia  als  Stadtwappen  auf 
ihren  Münzen  eben  jene  Bewältigung  eines 
Hirsches  durch  einen  Löwen  zeigt. 

*)  Ps.  Herod.  vit.  Hom.  9. 

*)  Cert.  Hes.  et  Hom.  p.  313  G. 

^)  Strab.  p.  638  nach  Kallimachos;  an- 
gedeutet von  Plato  de  rep.  X  p.  600  b.  Ein 
Nachkomme  des  Kreophylos  war  Hermo- 
damas,  den  nach  Diog.  8, 2  Pythagoras  hörte. 

T)  Aristoteles  bei  Gellius  Hill. 

')  In  Lesbos  herrschten  die  Nachkommen 
des    Penthilos,    des    Enkels    Agamemnons 


Arist.  Pol.  V  8,  13),  in  Tenedos  neben  Böo- 
tiem  Nachkommen  des  Peisandros  aus  Amyklä 
(Pind.  N.  11,  34),  das  Gros  der  äolischen  Be- 
völkerung war  aus  Böotien  eingewandert 
und  hatte  die  Sage  der  Myrmidonen  und 
ihres  Königs  Achill  mitgebracht. 

»)  Herod.  I  147.  Auf  den  Pylier  Nestor 
führten  ihr  Geschlecht  zurück  die  alten  Kö- 
nige von  Kolophon  (Mimnermos  fr.  9)  und 
Miiet  (Strab.  633);  vgl.  Töpffeb,  Att.  Genea- 
logie 235  ff.  Die  dorischen  Sagen  hingegen 
sind  dem  Homer  fremd;  die  Episode  vom 
Zweikampf  des  Sarpedon  und  des  Herakliden 
Tlepolemos  (£  628—98)  sieht  ganz  wie  ein 
auf  einen  fremden  Baum  gepfropftes  Reis 
aus  imd  kann  glatt  ausgeschnitten  werden; 
die  übrigen  Stellen,  an  denen  des  dorischen 
Nationalheros  Herakles  Erwähnung  geschieht, 
T  95 -136,  0  639—44,  «^363,  A  601-27,  sind 
teils  interpoliert,  teils  gehören  sie  den  jüng- 
sten Partien  der  homerischen  Gesänge  an. 

^^)  Die  Kreter  als  ältere  Bewohner  der 
Gegend  von  Milyas,  Milet  und  Kolophon  be- 
zeugen Herodot  1 173;  VH  171  und  Pausanias 
VII  2,  5;  Vn  3, 1. 


▲•  Bpo8.    2.  Bomers  Dias  und  Odyssee.    (§  34.) 


55 


von  den  Natur-  uBd  Eulturverhältnissen  der  mittleren  Eüstenlandschaffc 
Eleinaaiens,  von  dem  Geschnatter  der  Gänse  in  der  asischen  Wiese  am 
Kaystros  {ß  459),  ^)  von  dem  Wirbelsturm  der  aus  Thrakien  her  wehenden 
Winde  Boreas  und  Zephyros  (/  4),  von  dem  Stier,  der  dem  Poseidon  im 
Panionion  geopfert  wird  ( V  404).  Er  zeigt  sich  wohlbewandert  in  den 
Küsten  des  adramytteischen  Meerbusens  und  kennt  die  hochragenden  Grab- 
hügel, die  man  beim  Vorbeifahren  am  weiten  Gestade  des  Hellespont 
gewahrte  {H  86).')  Seine  Schilderungen  von  dem  Berge  Ida,  der  Ebene 
des  Skamander  {E  773),  der  hohen  Warte  Samothrakiens  {N  10)  zeigen 
so  viel  Naturwahrheit,  dass  man  zuversichtlich  annehmen  darf,  er  habe 
den  Schauplatz  der  Thaten  seiner  Helden,  den  Schliemanns  Ausgrabungen 
jetzt  wieder  der  gebildeten  Welt  erschlossen  haben,  mit  eigenen  Augen 
geschaut.')  Wenn  er  daneben  entgegen  der  Wirklichkeit  die  Priamos- 
veste  auf  einem  ringsumlaufbaren  Hügel  gelegen  und  vor  ihren  Mauern 
zwei  Quellen,  eine  warme  und  eine  kalte  emporsprudeln  lässt  (X  143),  so 
sind  das  Freiheiten,  die  sich  Homer,  so  gut  wie  jeder  andere  Dichter,  er- 
lauben durfte,  zumal  in  der  Schilderung  einer  Stadt,  die  inzwischen  vom 
Erdboden  verschwunden  war  und  deren  Lage  nur  wenige  seiner  Zuhörer 
aus  eigener  Anschauung  kannten. 

Nach  einer  anderen  Richtung  führen  uns  die  Irrfahrten  des  Odysseus 
und  die  Lokalitäten  der  Odyssee.  Die  Person  des  Königs  von  Ithaka  und 
die  Kunde  vom  alten  Reiche  der  Kephallenier  waren  dem  Dichter  wohl  aus 
der  alten  Sage  der  nach  Kleinasien  ausgewanderten  Pylier  und  Kephallenier 
überkommen;  aber  Farben  und  Leben  erhielt  das  Bild  erst  durch  die 
Fährnisse,  welchen  die  ionischen  Landsleute  des  Dichters  auf  ihren  See- 
fahrten begegneten.  Homer  selbst  indes  scheint  nicht  weit  nach  Westen 
gekommen  zu  sein:  er  hatte  von  Sikilien  und  dem  Westmeer,  wohin  er 
die  Irrfahrten  des  Odysseus  in  märchenhafter  Ausschmückung  verlegt, 
nicht  aus  eigener  Anschauung,  sondern  nur  aus  den  fabelhaften  Erzäh- 
lungen aufschneidender  Landsleute  und  phönikischer  Seefahrer  Kenntnis.  ^) 


0  Einen  Eaystaios  gibt  es  mchi;,  sondern 
nur  einen  Eaystros,  weshalb  B  461  Kavarqoo 
(nicht  KawfjQiov)  dfiipi  ^h&Qa  zu  lesen  ist. 

*)  Offenbar  weil  er  wohl  noch  Trfimmer 
von  Troia,  aber  nichts  mehr  vom  achftischen 
Lager  am  Hellespont  sah,  erdichtete  er  die 
ToUstftndige  Zerstörong  des  Lagers  durch 
Poseidon  H  459—63  u.  M  1—34. 

')  Die  Kenntnis  aas  Autopsie  stellt  mit 
flbertiiebener  Skepsis  in  Abrede  Hbbcbbr, 
Ueber  die  homeiiscne  Ebene  yod  Troia,  Abhdl. 
der  Berl.  Akad.  1876.  FQr  die  gauze  Frage 
vurde  erst  ein  sicherer  Grund  geschaffen 
durch  die  weltberfihmten  Ausgrabungen 
ScBLiBMANiiB,  dargelegt  in  dessen  Werken: 
nies,  Stadt  und  Land  der  Troianer  1881; 
Troia  1884;  Mykenfi  1878.  Schon  vor  Schüe- 
mami  hatte  das  Richtige  getroffen  G.  v. 
EccEiiBRBCHER,  Die  Lage  des  hom.  Troia, 
Dfiaseldorf  1837;  die  Lage  von  Troia,  1875. 
hd  die  Wahrheit  der  Naturschilderungen 
Homers  hatte  zuerst  aufmerksam  gemacht 


Wood,    On  the   original  genius   of  Homer, 
Lond.  1769. 

^)  Der  Streit  tlber  die  Lokalität  der  Irr- 
fahrten des  Odysseus  ward  schon  im  Alter- 
tum mit  Heftigkeit  gefCÜirt,  wie  man  beson- 
ders aus  dem  1.  Buch  des  Strabon  sieht. 
Die  einen  suchten  die  Irrfahrten  um  Sizilien 
und  Italien  (Polybios),  andere  fanden  Plätze 
der  homerischen  Schilderung  am  Pontus  und 
selbst  im  nördlichen  Ozean  (Erates),  andere 
hinwiederum,  wie  Eratosthenes,  zogen  sich  auf 
den  vorsichtigen  Standpunkt  der  poetischen 
Fiktion  zurück  und  warnten  nur  vor  einem 
Hinausgehen  über  das  Mittelmeer.  In  neuerer 
Zeit  verirrte  sich  wieder  der  grosse  Natur- 
forscher K.  V.  Babb,  Die  hom.  Lokalitäten 
in  der  Odyssee  (1873)  nach  dem  schwarzen 
Meer,  Jarz  in  Ztschr.  für  wiss.  Geogr.  U  10  ff. 
und  Fr.  Soltaü,  Die  Mythen  und  Sagen- 
kreise in  Homer,  Berl.  1887,  nachTenariffa. 
Den  vorsichtigen  Standpunkt  des  Erato- 
sthenes nimmt  auf  Hebqt,   Quam  vere  de 


56 


Chrieohisohe  Litteratnrgeaohiohte.    I.  Klassiaohe  Periode. 


Selbst  Ithaka  hatte  höchstens  der  Dichter  der  jungen  Telemachie,  nicht  auch 
der  des  alten  Nostos  mit  eigenen  Augen  gesehen.  ^)  Daraus  erklärt  sich, 
dass  das  Bild,  welches  wir  uns  nach  den  Schilderungen  der  Odyssee  von 
der  Heimat  ihres  Helden  machen,  ungleich  weniger  als  das  der  troischen 
Ebene  zur  Wirklichkeit  stimmt.  Selbst  das  griechische  Festland  kannte 
Homer  schwerlich  aus  Autopsie ;  dieses  hatte  auch  inzwischen  so  gewaltige 
Umänderungen  erfahren,  dass  dem  Dichter  die  alte  Sage  bessere  Kunde 
von  den  Königsburgen  in  Mykenä,  Tiryns,  Orchomenos  brachte  als  ein 
eigener  Besuch  jener  Gegenden. 

So  fuhren  uns  also  auch  die  homerischen  Dichtungen  nach  dem 
äolischen  und  ionischen  Kleinasien  und  zeigen  uns  die  Sage  auf  der  Stufe, 
die  sie  auf  ihrer  Wanderung  von  Äolis  in  den  ionischen  Niederlassungen 
des  mittleren  Küstenlandes  eingenommen  hatte,  bevor  sie  noch  weiter 
nach  Süden  gedrungen  und  auch  von  dort  durch  Einmischung  dorischer 
Elemente  bereichert  worden  war.  —  All  das  Gesagte  gilt  indes  nur  be- 
züglich des  eigentlichen  Kerns  der  homerischen  Dichtungen.  Die  Ein- 
dichtungen  und  Zusätze  sind  vermutlich  nicht  bloss  in  späterer  Zeit, 
sondern  auch  an  verschiedenen  Orten  entstanden ;  ')  aber  über  das  ionische 
Kleinasien  hinaus  zum  griechischen  Mutterland  führt  nur  der  SchiflEskatolog, 
der  den  Charakter  der  böotischen  Dichterschule  an  sich  trägt  und  wobi 
auch  in  Böotien  entstanden  ist.') 

35.  Mündliche  Fortpflanzung.  Wenn  Homer  die  Sänger  Demo- 
dokos  und  Phemios  ihre  Lieder  vom  Ruhm  der  Helden  zur  Phorminx  vor- 
tragen lässt,  so  dürfen  wir  uns  unter  diesen  den  göttlichen  Homer  selbst 
vorstellen.  Homer  also  hatte  seine  Lieder  im  Kopf  und  sang  sie  in  der 
Versammlung  des  Volks  oder  beim  Mahl  der  Fürsten,  ohne  beim  Vortrag 
eines  Blattes  oder  einer  schriftlichen  Aufzeichnung  zu  bedürfen.  Aber  wir 
müssen  weiter  gehen  und  dem  Homer  überhaupt  den  Gebrauch  der  Schrift 
absprechen.  Dieser  Ansicht  waren  bereits  die  alexandrinischen  Gelehrten;^) 


Ulixis  erroribns  Eratosthenes  iudicaverit, 
Landshut  1887,  nnd  Blätter  f.  bayer.  Gymn. 
28  (1892)  83  ff.;  ebenso  Breusimg,  Die  Irr- 
fahrten des  Odysseus,  Bremen  1889.  Zu 
beachten  ist,  dass  die  Meeresströmung  vom 
Hellespont  um  den  Peloponnes  herum  nach 
dem  westlichen  Griechenland  (Ithaka,  Eorfu) 
und  von  da  nach  Sfiditalien  und  Sizilien 
führt. 

^)  Gegen  Autopsie  spricht  deutlich  die 
verkehrte  Ansicht  von  Ithakas  Lage  Od.  i 
25  f.  Der  von  frflheren  Gelehrten  zur  de- 
taillierten Ausmalung  des  homerischen  Ithaka 
missbrauchte  Glaube  an  die  Autopsie  Homers 
wurde  mit  nfichtemem  Urteil  zerstört  von 
Hercbeb,  üeber  Ithaka  in  Herm.  I  265  ff. 
Ob  die  Sage  von  der  Versteinerung  des 
heimkehrenden  Schiffes  der  Phäaken  (>"  156  ff.) 
wirklich  durch  das  Felsriff  vor  dem  Hafen 
von  Eorfu  veranlasst  sei,  lasse  ich  dahinge- 
stellt 

')  Ftck  in  seiner  Ilias  und  in  Hesiods 
Gedichte  S.  124  f.  sucht  zu  erweisen,  dass 


speziell  in  Kreta  die  Telemachie  und  TisiB 
und  von  der  Ilias  die  Gesftnge  N  3  0 
entstanden  seien.  Das  sind  luftige  Ver- 
mutungen, aber  genaue  Kenntnis  von  der 
Sage  der  Pylier  und  Epeer  zeigt  die  Episode 
11.  A  668->763,  von  Attika  die  interpoÜerten 
Verse  Od.  17  80  f.  u.  z  518—24. 

>)  Der  Schiffskatalog  hatte  den  Titel 
Boitoxia,  weil  er  von  Böotien  ausgeht,  was 
mit  dem  Sammelplatz  der  Schiffe  in  Aulis, 
wahrscheinlich  aber  auch  mit  der  Heimat  des 
Dichters  zusammenhängt.  —  Mit  dem  Schiffs- 
katalog stimmt  im  Stil  der  Frauenkatalog 
in  der  Nekyia  Od.  X  225—337. 

*)  Joseph  c.  Ap.  I  2:  xai  tfaaty  ovdl 
"OfjirjQov  iy  yQafifiaai  rtjy  avrov  noitjGty  xa- 
TaXinety,  aXXd  &iaf4yi]fioyevo/jieytjy  ix  rwy 
tfüfidTtoy  varegoy  avyre^ynt  xai  &ia  rovro 
TtoXXds  iy  avTtj  ax^Ty  rag  &tn<pogas.  Ari- 
starch  setzte  eine  Diple  zu  H  175  ol  dk 
xX^Qoy  ifffjfujyayjo  ixaatog  tmd  P  599  y^mpsr 
6i  ol  ooxiov  aj^Qig  ^^Xf^V  ^ovXv&n fMteyrnc. 
um  anzudeuten,  dass  ygaq:eiy  im  Sinne  von 


▲.  Epo8.    2.  HomerB  Ilias  und  Odysaee.    (§  35.)  57 

in  neuerer  Zeit  ist,  wie  wir  oben  sahen,  F.  A.  Wolf  von  diesem  Satz  in 
seiner  ganzen  Anschauung  vom  Wesen  der  homerischen  Poesie  ausgegangen. 
Aach  hat  er  damit  bei  den  meisten  Homerforschem  Beifall  gefunden  ;i) 
doch  fehlte  es  auch  nicht  an  Widersachern.    Nicht  bloss  Nitzsch  in  seiner 
Historia  Homeri,  sondern  neuerdings  auch  Bergk  ^)  nahmen  an,  dass  wohl 
die  homerischen  Gedichte  für  den  mündlichen  Vortrag  bestimmt  waren, 
dass  sie  aber  gleichwohl  der  Dichter  auch  niedergeschrieben  habe.     Die 
Frage  muss  zunächst  aus  Homer  selbst  beantwortet  werden.     Nun  kann 
an  der  Stelle  H.  H  175  ff.  keine  Bede  davon  sein,  dass  die  Helden,  welche 
sich  zum  Zweikampfe  mit  Hektor  erboten,   ihren  Namen  mit  Buchstaben 
aaf  das  Täfelchen  schrieben;   sonst  hätte  es  ja  des  Herumreichens  des 
herausgesprungenen  Loses  nicht  bedurft,    sondern   hätte   einfach   Nestor 
oder  der  Herold  den  Namen  verlesen  und  ausgerufen;  es  waren  also  nur 
allgemeine  Zeichen  ((DJfAata),  nicht  gerade  Buchstaben,  welche  die  Helden 
auf  ihr  Täfelchen   einritzten.»)    Dass  aber  dem  Dichter  selbst  der  Ge- 
brauch der   Schrift  zur  Kundgabe   der  Gedanken  nicht   ganz  unbekannt 
war,  bezeugen  in  der  Episode  vom  Zusammentreffen  des  Dioraedes  und 
Glaukos  die   Worte   näfjtn^e   da  fiiv   yivxCrjvde,   koqsv   d'oys   (Xrjfiara  kvyQcc, 
yqdipaq  iv   mvaxi   mv^nif   x^vfioip^oga   noXXd   {Z  168  f.).     Denn  danach 
musste  der  Dichter  schon  etwas  von  einem  brieflichen  Verkehr  mit  ab- 
wesenden Personen  gehört  haben  ;^)  aber  auch  hier  scheint  er  sich  unter 
den  Zeichen    (atjfAava)   keine   Buchstaben,   sondern  symbolische   Zeichen, 
wie  Chimäre,   Amazone  etc.  gedacht  zu  haben.     Wie  wenig  er  aber  an 
eme  allgemeinere  Verbreitung  der  Schreibkunst  dachte,   erhellt  daraus, 
dass  er,  der  uns  doch  von  der  Kultur  seines  Zeitalters  das  anschaulichste 
Bild  entwirft  und  uns  so  viel  von  Schmieden,  Zimmerleuten,  Schilderern, 
Goldarbeiten!  u.  a.  zu  erzählen  weiss,  nirgends,  auch  nicht  in  den  jüngsten 
Büchern    der    Odyssee,    von    Schreibern    und   Büchern   Erwähnung   thut. 
Direkt  sprechen  gegen  die  ursprüngliche  Fixierung  des  Textes  der  homeri- 
Gedichte  durch  die  Schrift  die  sprachlichen  Erscheinungen  der  Verkürzung 
von  Vokalen,  der  Verdoppelung  von  Konsonanten  (ÄnokXmv  und  ^ÄnoXXmvog, 
'AxiXltvg  und  UxiXrjog)  und   des  völligen  Verschwindens  des  Digamma  aus 
den  Gedichten  Homers.    Allerdings  bezeichnete  auch  die  ältere  Schrift  der 
Griechen    weder   die  Quantität   der  Vokale  noch    die  Verdoppelung   der 


.ritien*  nicht    ^schreiben"   za  nehmen  sei,  *)  Beachtenswert  ist,  dass  dieses  Zeug- 

md   ^rjfifjrarro    auf    eingeritzte    Zeichen,   >   nis  eines  brieflichen  Verkehrs  sich  auf  den 


mcht  anf  Bachstaben  hinweise:  s.  Lbhbs,  De 
Arisi  stod.  Hom.'  p.  95. 

*)  WoLy,  Proleg.  p.  73  sqq.;  Senoebdsch, 
HoBL  disB.  post.  27  ff.;  Düntzeb,  Die  hom. 
Fragen  S.  175  ff.;  FbiedlIkpiib,  Schicksale 
der  homerischen  Poesie  S.  9. 

*}  Bbbok,  Gr.  Litt  I  526—81.  Auch 
WaABowiTz,  Hom.  ünt  S.  293  nimmt  ftir 
die  Odysse«  den  Gebrauch  der  Schrift  in 
io^mch. 

')  Dafls  in  diesem  Sinne  Aristarch  seine 
Zeichen  setacte,  beweist  namentlich  das  Scho- 
lion  ni  ^  168,  wie  Bömbb,  6ay.  Gymn.  Bl. 
HI  (1885)  289  ff.  dargethan  hat. 


Verkehr  mit  einem  fremden,  lykischen 
Fürsten  bezieht,  w&hrend  wir  in  der  Odyssee 
bei  der  Schilderung  heimischer  Verhftlüiisse 
griechischer  Lftnder  gar  nichts  vom  Ge- 
brauche der  Schrift  vernehmen.  Homer 
scheint  damit  auszudrücken,  dass  in  diesem 
Punkte  die  Leute  der  Fremde  den  Griechen 
voraus  waren,  geradeso  wie  er  einen  Tempel 
der  Burggöttin  und  ein  thronendes  Götter- 
bild der  Athene  bei  den  Troianem  voraus- 
setzt (Z  303),  nirgends  aber  in  Griechenland 
einen  derartigen  vorgerflckten  Götterkult  be- 
stehen Ifisst. 


58 


Orieehisehe  LitUnttorgeticIiichto.    L  Dt— lach»  Periode. 


Liquida,  und  konnte  zur  Not  das  Digamma,  auch  wenn  es  ursprünglich 
im  Texte  stand,  spftter  wieder  verschwinden.  ^)  Aber  die  Flüssigkeit  der 
homerischen  Sprache  und  die  grosse  Umgestaltung  des  Textes  infolge  des 
Verschwindens  des  Digamma  erklärt  sich  doch  ungezwungen  nur  durch  die 
Annahme,  dass  der  Text  nicht  gleich  von  vornherein  durch  die  Schrift 
fixiert  war.  Endlich  lässt  die  ganze  Geschichte  des  griechischen  Schrift- 
gebrauches eine  so  frühe  Niederschreibung  umfangreicher  Gedichte  als 
durchaus  unwahrscheinlich  erscheinen.  Mag  immerhin  schon  vor  der  Zeit 
der  Siegestafel  des  Moabiterkönigs  Mesas  (um  850)  die  Schrift  von  den 
Phönikiern  nach  Griechenland  gebracht  worden  sein,  ein  ausgedehnter  Ge- 
brauch von  derselben  wurde  in  Griechenland  erst  nach  dem  Beginn  der 
Olympiaden  gemacht:  erst  im  7.  Jahrhundert  begann  man  Gesetze  schriftr 
lieh  aufzuzeichnen,  und  doch  erheischten  diese  viel  eher  als  Gedichte  eine 
Fixierung  durch  die  Schrift.*) 

36.  Die  Rhapsoden.  Vermittler  der  homerischen  Gesänge  waren 
bis  zu  ihrer  schriftlichen  Abfassung  und  teilweise  noch  Jahrhunderte 
darüber  hinaus  die  Rhapsoden  {^a^oiSot).^)  Dieselben  trugen  mit  einem 
Stab  (qdßSog^  cuaaxoq)  in  der  Hand  und  geschmückt  mit  einem  Kranz  die 
Verse  Homers  in  Festversammlungen  {iv  dywai)  vor.*)  Homer  kennt  weder 
das  Wort  noch  die  Sache;  diejenigen,  welche  bei  ihm  in  den  Hallen  der 
Eönigsburgen  beim  Mahle  von  den  Ruhmesthaten  der  Helden  singen,  heissen 
doidoi  und  führen  die  Phorminx,  ^)  nicht  den  Stab.  Es  war  also  inzwischen 
eine  Wandlung  in  der  Vortragsweise  eingetreten :  das  Saitenspiel,  das  nie 
eine  grosse  Rolle  bei  den  epischen  Sängern  gespielt  hatte,  ^)  war  gänzlich 
weggefallen,  und  an  die  Stelle  der  Laute  war  der  Stab  getreten,  der  den 
Vortragenden  nur  als  Sprecher  in  der  Versammlung  kennzeichnete.  ^  Mit 
der  Zeit  knüpfte  sich  an  die  Namen  auch  noch  ein  tieferer  Unterschied: 
während  die  Aöden  Sänger  und  Dichter  zugleich  waren,  setzte  sich  der 
Stand  der  Rhapsoden  aus  solchen  zusammen,  welche,  ohne  selbst  die  gött- 
liche Gabe  der  Dichtkunst  zu  haben,  nur  als  gedächtnisstarke  Deklamatoren 
die  Gesänge  anderer  vortrugen.    Der  Name  Rhapsode  geht  indes  ziemlich 


*)  Bbbgk,  Gr.  Litt.  I  529  hat  besonders 
auf  Pindar  hingewiesen,  ans  dessen  Gewehten 
infolge  ihrer  Yerbreitong  in  Attika  das  Di- 
gamma verschwand.  Aber  eine  Umgestal- 
tung des  Textes  hat  durch  Verschwinden  des 
Digammas  Pindar  nicht  erfahren. 

')  Vgl.  oben  §  12.  Dass  aber  münd- 
liche Fortpflanzung  selbst  von  Gedichten,  die 
mehrere  Tausend  Verse  umfassten,  nichts 
Unerhörtes  war,  zeigen  die  Inder,  deren 
Veden  auch  zur  Zeit,  wo  man  bereits  die 
Schrift  kannte,  immer  noch  mündlich  fort- 
gepflanzt wurden. 

»)  WßLCKBB,  Ep.  Cycl.  I  335  flf. 

^)  Ueber  die  Tracht  der  Rhapsoden  Hanpt- 
stelle  Plato,  Ion  in. 

*)  Die  zum  Eingang  (dyaßoXij)  des  Vor- 
trags angeschlagene  Phorminx  des  Homer 
vergleicht  sich  der  Gusle,  zu  der  die  alten 
Serben  ihre  Volkslieder  vortrugen.    Den  Vor- 


trag im  hohen  Saale  des  Königspalastes  hat 
auch  Uhland  vor  Augen  in  seiner  Ballade 
vom  blinden  Sänger. 

*)  Erst  später  komponierten  kunstvollere 
Melodien  zu  den  Versen  Homers  Terpander 
(Flut,  de  muB.  3)  und  Stesander  (Ath.  638a, 
620  cd).  Die  Späteren  vermengen  die  Zeiten 
und  Vortragsweisen,  wenn  sie,  wie  H^«- 
kleides  Pontikos  (Ath.  632  d  und  Plnt  de 
muB.  3)  den  Homer  selbst  das  Melos  zu 
seinen  Gedichten  erfinden  lassen.  Indes 
wurden  sicher  noch  zur  Zeit  Plutarchs  (Mor. 
736  E.  743  c)  Verse  des  Homer  und  Hesiod 
zur  Lyra  vorgetragen. 

^)  Der  Sprechende  in  der  Versammlung 
erhält  bei  Homer  r  218,  ^  568,  ß  37  den 
Stab  oder  das  axrjniQoy.  Wblckkb,  Ep.  Cyd. 
I  337  erinnert  an  den  Stab,  den  auch  die 
französischen  Nouvellistes  f&hrten. 


A.  Epos.    2.  Homers  Uias  und  Odyssee. 


I  36-37.) 


59 


weit,  bis  in  die  Zeit  des  Hesiod  hinauf.    Denn  dieser  erwähnt  ausdrücklich 
den  Stab  im  Eingang  der  Theogonie: 

£g  ig^aaav  xovQai  fisyäkov  Jiog  aQTiänsiai 
xm  fioi  axfJTtXQOV  Miov  ddtpvrjg  CQt^rjXäog  o^ov,^) 
Den  Stab,  ^dßSog,  darf  man  aber  nicht  in  dem  Namen  ^aipoMg 
selber  finden  woDen,  vielmehr  enthält  nach  der  Analogie  von  iysQaifiaxog, 
'Ajrfiihiog^  oQaivefpr^g  u.  a.  der  erste  Teil  des  Kompositums  einen  verbalen 
Begriff,  so  dass  die  ursprüngliche  Bedeutung  des  Wortes  genau  wieder- 
gegeben wird  durch  Hesiod  fr.  227:  fiäXnofAev  Sv  veagoTg  vfivoig  ^äipavTeg 

S7.  Da  die  Rhapsoden  verschiedener  Dichter  Werke  vortrugen,  so 
Wessen  diejenigen,  welche  speziell  den  Homer  zum  Vortrag  sich  erkoren, 
'Ofir^^dat,  so  bei  Pindar  Nem.  H  1 :  o&€v  nsq  xal  ^OfjirjQidai  ^amäv  stiscov 
xanoXX  aoidoi  ccQxoy^rat,  wobei  jedoch  die  Möglichkeit,  ja  Wahrscheinlich- 
keit offen  bleibt,  dass  der  Name  ursprünglich  nur  denen  zustand,  welche, 
von  Homer  abstammend,  sich  die  Aufgabe  stellten,  die  Gedichte  des  Ahn- 
herrn ihres  Geschlechtes  vorzutragen.  ^)  Durch  diese  Homeriden  also 
wurden  die  Werke  Homers  fortgepflanzt  und  rasch  über  Hellas  verbreitet. 
In  den  vielgestaltigen  Überlieferungen  von  der  Heimat  des  Homer  hat 
Sengebusch  mit  Recht  Anzeichen  von  den  Sitzen  solcher  Rhapsodenschulen 
erkannt,  wenn  auch  der  scharfsinnige  Gelehrte  zu  weit  ging,  wenn  er  in 
den  betreffenden  Zeitangaben  Zeugnisse  über  die  Zeit  der  Einführung  der 
homerischen  Lieder  in  den  einzelnen  Städten  finden  wollte.^)  So  wurden 
die  Dichtungen  Homers  im  Laufe  des  8.  und  7.  Jahrhunderts  über  ihre 
Heimat  im  äolisch-ionischen  Eleinasien  hinaus  nach  den  Inseln  los,  Rhodos, 
Kypem,  Kreta,  nach  Prokonnesos  in  der  Propontis,  Kenchreä  in  der  Troas, 
ond  des  weitern  von  Kyme  nach  Böotien,  von  Samos  nach  Sparta,  von 
Smyma  nach  Attika  getragen.'^)  Denn  wenn  die  späteren  Schriftsteller 
die  Sache  so  darstellen,  als  ob  Lykurg,  sei  es  von  Samos,  sei  es  von 
Chics,  sei  es  von  Kreta  den  Homer  ^)  nach  Sparta  gebracht  habe,  so 
machen  es  schon  die  von  Maximus  Tyrius  XXHI  5  erwähnten  Rhap- 
sodenwettkämpfe  Spartas  wahrscheinlich,  dass  man  dabei  nicht  an  ein 
geschriebenes  Homerexemplar  zu  denken  hat,  sondern  an  die  öffentliche 
Einrichtung  von  Homerrecitationen,  wozu  man  Rhapsoden  von  den  alten 
Sitzen  des  homerischen  Gesanges,  zunächst  von  dem  befreundeten  Samos, 
hatte  kommen  lassen.  7)    Genaueres  erfahren  wir  über  die  Verpflanzung 


*)  Auf  Homer  selbst  ist  die  Sitte  der 
Bliapeoden  abertragen  yon  Pindar  Isth.  III 
55:  l)utj^og  xatd  ^dßSot^  ItpQaoBv.  Ebenso 
S»b  der  KfinsÜer  Arcbelaos  in  der  Apotheose 
Homers  dem  Homer  einen  Zweig  in  die  Hand. 

')  AofflUlig  ist  nur  die  Betonung,  die 
^er  auf  den  Begriff  ^ntuiy  aotdo^  fthren 
vMe;  indes  kium  Her  die  yermeintUche 
Okiehbeit  von  avXwdog,  xtSagm^og  etc.  zur 
Betcmimg  der  Scblnsssilbe  geftUurt  haben. 

*\  an  verwandter  Name,  der  aber  keine 
Gescideehtazagehörigkeit  mehr  bezeichnete, 


war  nach  Aristoteles  bei  Ath.  620^  'O/urjQiaiaL 

^)  Die  diesbezdgliche  Tabelle  bei  Semge- 
BUBCH,  Hom.  diss.  post.  p.  85  f. 

»)  AeUan  V.  H.  XIII  14. 

•)  Diese  Nachrichten  bei  Plut.  Lykurg 
4,  Ephoros  bei  Strab.  p.  482  und  Dio  Chrys. 
n  45  betrachtet  Wilamowitz,  Hom.  Unt. 
271  als  erdichtete  Dubletten  der  Solon- 
legende. 

')  Flach,  Peisistratos  S.  17  nimmt  ein 
geschriebenes  Exemplar  an,  ohne  irgendwie 
zwingende  Beweise  zu  erbringen. 


60 


Grieohisohe  LitteratnrgeBohiehte.    I.  KlasBisohe  Periode. 


des  homerischen  Gesanges  nach  Sizilien  durch  ein  altes  Scholion  zu  Pindar 
Nem.  n  1,1)  wonach  der  Rhapsode  Eynaithos  aus  Ghios,  dem  man  auch 
den  Hymnus  auf  Apoll  beilegte,  in  der  69.  Olympiade,  504/1  v.  Chr.  den 
homerischen  Gesang  nach  Syrakus  brachte.  Leider  aber  ist  die  Zeit- 
angabe unsicher,  da  es  wenig  glaublich  ist,  dass  Homer  so  spät  erst  bei 
den  poesie-  und  kunstliebenden  Syrakusanern  sich  eingebürgert  haben  soll. 
Bestimmte  Nachrichten  über  rhapsodische  Vorträge  und  Wettkämpfe  haben 
wir  überdies  von  Salamis  inKypern,*)  von  Sparta,  Sikyon,»)  Epidauros,^) 
Brauron  in  Attika,*)  Athen.  ^)  Am  berühmtesten  wurden  die  Vorträge  in 
letztgenannter  Stadt  an  dem  alle  vier  Jahre  wiederkehrenden  Feste  der 
Panathenäen.  Dieselben  waren  nach  dem  Zeugnis  des  Redners  Lykurg 
durch  ein  Gesetz  angeordnet, ')  welches  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  auf 
Selon  selber  zurückging.  Zweifelhaft  ist  es,  ob  die  weitere  Anordnung, 
dass  bei  dem  Vortrag  die  einzelnen  Gesänge  in  richtiger  Ordnung  auf- 
einander folgen  sollten,  gleichfalls  schon  von  Selon  ausging  und  nicht  viel- 
mehr erst  unter  Peisistratos  durch  dessen  Sohn  Hipparch  getroffen  wurde.*) 
38.  Niederschrift  Homers.  Die  erste  schriftliche  Aufzeichnung  und 
Zusammenordnung  der  Uias  und  Odyssee  soll  von  Peisistratos  (560 — 527) 
veranstaltet  worden  sein.  Die  Hauptnachricht  darüber  steht  bei  Cicero  de 
erat.  HI  34,  137 :  primus  Homeri  libros  conftisos  antea  sie  disposuisse  dicitur^ 
nt  nunc  habemus.^)  Damit  stimmen  im  wesentlichen  das  Epigramm  in  Anth. 
XI  442  und   die  schon   oben  angeführte  Stelle  des  Aelian  V.  H.  18,  14 


ano  xof  'OuiJQOv  ytyovg,  oi  xal  tijy  noirjaiy 
avrov  ix  diado^^g  ^doy  *  fiera  d^  ravra  xai 
ol  ^a\f)(f)&ol  ovxeri  to  yivog  6ig"Of4i]Qoy  dva- 
yovtes  '  iniffayBig  di  iyiyoyjo  ol  ne^l  Kv- 
V(tt,9ov,  ovq  (faoi  noXXa  rtSy  incSy  noitioavtag 
ifjißaXuy  Big  rijy  'OfiiJQov  noltjüiy  '  rjy  de  6 
Kvvtti&og  Xiog,  og  xal  TcSy  irtcygatfofiiyoty 
'OfiiJQov  noifjfAdxioy  xoy  eig  'AnoXXtDya  yS' 
yottfifAdvoy  vfiyoy  Xeyerai  neTiottjx^yai  '  oviog 
ovy  6  Kvyaid^og  Ttgtotog  iy  IvQaxovoaig  ig- 
gtt\p(^dTjae  r«  'Of^ijgov  inrj  xard  Xfjy  e^tjxo- 
ati^y  iyydttjy  'OXvf^nidda,  cJc  'Innoaigaiog 
fpfjaiy.  Die  wahrscheinlich  verderbte  Olym- 
piadenzahl wollte  Welcker,  wenig  glaublich, 
in  exjfjy  17  rrjy  ivvdxtjyy  DOntzer  in  6ixo<fXf}y 
iyydxrjy  ändern.  Aasserdem  erwähnt  Snidas 
einen  Parthenios,  Sohn  des  Thestor  nnd 
Abkömmling  des  Homer  aus  Chios. 

«)  Hom.  hymn.  VI  19  u.  X  4. 

')  Herodot  V  67:  KXeio*9iyTjg  'Jgyeloig 
•noXifitjcag  ^ailfwdovg  enavoty  iy  Zixvioyi 
tty(oyi^e<r9tti  xtoy  'OfiijgtxcSy  irtetoy. 

*)  An  den  Asklepien  nach  Plat.  Ion  in. 

^)  Hesychios  u.  Bgavgoiyioig  und  Athen, 
p.  275^ 

*)  Nachdem  musische  Agone  hinzuge- 
kommen waren,  behielten  doch  die  rhap- 
sodischen die  erste  Stelle,  was  die  In- 
schriften von  Oropos  Eph.  arch.  III  128,  5, 
von  Orchomenos  CIG  1583  u.  1584  und  Ath. 
538  bezeugen. 

')  Lykurg  in  Leoer.  102:    yofjioy  e^sy 


xo  (sc.  vfAüiy  ol  naxigeg)  xa&*  kxdatrjy  ney- 
xaejtjglda  xtay  JIaya9tjyal<ay  /jioyov  (ÖfAiJQov) 
xujy  dXX<oy  TtoiijTtSy  (tt\p<^deTa&ai  xd  hiij. 
Vgl.  A.  MoMMSBN,  Heortologie  138. 

^)  Dem  Solon  wird  die  Anordnung  zu- 
geschrieben von  Diog.  I  57  auf  Grund  der 
Angabe  des  Historikers  Dieuchidas,  der  in 
der  Zeit  Alexanders  lebte:  xd  xe  'Ofiijgov  i^ 
vnoßoXijg  yiygatpe  ^a\pt^d$ic&at,  oioy  önov 
6  ngaixog  iXtj^eyi  ixst^ey  «p/fa*a(  xoy  i^d- 
fAsyoy,  dem  Hipparch,  welcher  überhaupt 
nach  Herodot  VII  6  seinen  Vater  Peisistra- 
tos in  seinen  wissenschaftlichen  üntemeh* 
mungen  wesentlich  unterstützte,  von  Fa. 
Plato  Hipp.  p.  228 B:  xd'Ofiijgov  inrj  ngwxog 
ixof^iaey  elg  xtjy  y^y  xavttjyif  xal  ijydyxtrae 
xovg  ^atpmdovg  JlayaStjyaloig  i^  vnoXtj^ffem^ 
diTeyati  tacneg  yvy  oVde  noiovai.  Zwischen 
i£  vnoßoXijg  .nach  Anleitung*  und  ii  vrro- 
Xfjipetag  .nach  der  Reihe*  mag  ursprünglich 
ein  Unterschied  bestanden  haben,  Hier  aber 
sind  die  beiden  Ausdrücke  offenbar  gleich- 
bedeutend gebraucht.  Die  Bedeutung  i(  vtio- 
ßoXfjg  .nach  Vorschrift  oder  Anleitung*  steht 
fest  durch  eine  Inschrift  der  Insel  Teos  C16 
3088,  wo  der  Gegensatz  ist  i^  dyxanodoaewg  * 
8.  NiTzscH,  Sagenpoesie  413  ff. 

")  DüNTZER,  Peisistratos  und  Homwos, 
in  Jahrb.  f.  Phil.  1865  S.  729  ff.  sucht  zu  er- 
weisen, dass  Dikäarch  der  Gewährsmann  des 
Cicero  gewesen  sei.  Dagegen  erhebt  Ein- 
wendungen VoLKXANN,   WolfB  Proleg.  348  f. 


A.  Epos.    d.  HomerB  üias  und  Odyssee.    (§  88.)  61 

überein.  In  neuerer  Zeit  haben  wir  auch  durch  ein  Scholion  des  Byzan- 
tiners Tzetzes^)  Kenntnis  von  den  vier  Gelehrten  bekommen,  deren  Bei- 
iiilfe  sich  Peisistratos  bei  jenem  Unternehmen  bediente.  Drei  derselben 
waren  Onomakritos  aus  Athen,  den  wir  als  Fälscher  von  Gedichten  des 
Musaios  schon  früher  §  16  kennen  gelernt  haben,  Zopyros  aus  Heraklea 
und  Orpheus  aus  Kroton ;  der  Name  des  vierten  ist  verderbt  und  scheint 
überhaupt  auf  einem  Missverständniss  zu  beruhen.^)  Das  ganze  Unter- 
nehmen des  Peisistratos  hängt  mit  der  ersten  Anlage  einer  Bibliothek  durch 
den  kunstliebenden  Fürston  zusammen,  und  mit  der  durch  dessen  Sohn  Hip- 
parch  getroffenen  Anordnung  des  vollständigen  und  geordneten  Vortrags  der 
homerischen  Gedichte  an  den  Panathenäen.*)  Schwerlich  aber  wird  Peisistratos 
der  erste  gewesen  sein,  der  etwas  von  Homer  niederschrieb  oder  nieder- 
schreiben liess.  Schon  100  Jahre  vor  dem  athenischen  Tyrannen  gab  es 
bei  den  loniern  Bücher,  und  es  wäre  sonderbar,  wenn  die  Ehre  der 
schriftlichen  Aufzeichnung  einem  lambographen  oder  Elegiker  früher  als 
dem  grossen  Nationaldichter  zu  Teil  geworden  wäre.  Auch  besagen  die 
Zeugnisse  nur,  dass  erst  unter  Peisistratos  eine  Gesamtilias  und  eine  Gesamt- 
odyssee hergestellt  wurde.  Damit  ist  es  aber  wohl  verträglich,  dass  schon 
zuvor  von  Bhapsoden  einzelne  Gesänge,  wie  insbesondere  der  Schiffskatalog  ^) 
oder  die  Initien  der  einzelnen  Rhapsodien  und  Absätze  zur  Unterstützung 
des  Gedächtnisses  waren  niedergeschrieben  worden.  Noch  weniger  natür- 
lich durfte  aus  den  angeführten  Zeugnissen  geschlossen  werden,  dass  erst 
Peisistratos  die  Dias  und  Odyssee  geschaffen  habe.*)  In  dieser  Annahme 
sind  Wolf  und  Lachmann  entschieden  zu  weit  gegangen ;  darüber  sind  heut- 
zutage alle  einig.  Aber  zu  skeptisch  sind  auch  nach  der  anderen  Seite 
neuere  Gelehrte,  wie  namentlich  Lehrs  und  Ludwich,  wenn  sie  deshalb, 
weil  Aristarch  von  Peisistratos  schweigt,  nun  gleich  der  ganzen  Über- 
lieferung den  Glauben  absprechen.*^)  Auch  ist  es  nur  natürlich,  wenn  bei 
dieser  ersten  Herstellung  einer  Gesamtausgabe  des  Homer  die  Redaktoren 
teils  einigen  Episoden,  wie  Z  119 — 236,  die  richtige,  das  ist  vom  Dichter 


')  Proleg.  in  Aristoph.  (s.  La  Roche,  Hom. 
Texikr.  p.  10,  Ritschl,  Opnsc.  I  1  flf.):  einoy 
9vv9urm  xov  *'OfAriQov  irtl  Ueiaiatgarov 
ißSofujxoyra  ifro  ao(povg,  tjy  iß&ofirjxoyra 
ivo  ityai  xeel  loy  Ztjyodoxov  xni  top  ^Agi-^ 
viaQxov^    xaijoh  xeaaaQiav  oytmv  inl  Ileiai- 


Gedächtnissttltze  fühlbar  geworden  sein.  Auch 
das  Fehlen  von  Messenien  scheint  nicht  auf 
einen  Gedächtnisfehler,  sondern  auf  den  auch 
in  der  Ausschmttckung  der  Tlepolemos-Sage 
B  658—70  ersichtlichen  Einfluss  von  Sparta 
zurückzugehen,   da  man   dort  ein  Interesse 


97Q<aovavydiyfiüyr6y''Oju7iQoy,  oVnyeg  shiy      ^atte,    die   politische    ünselbsttndigkeit   der 
..%«:    'E..x6yxvXo,    (verderbt    aus     ,^.e.o,      fr^-^i^,^;.^^^ 


xrxXog)^  'OyofdUXQiXog  'j4*itjyatog ,  ZüiitvQog 
'HfUixXftoxrj^  xeel  'Ogeptv^  KQOxufyieixrjg.  Die 
72  Gelehrten  sind  natürlich  eine  konfuse 
Reminiszenz  an  die  Uebersetzer  des  alten 
Testamentes.  Auch  die  4  Redaktoren  gibt 
ftr  eine  späte  Ausmalung  aus  Wilamowitz, 
Hom.  ünt.  254.  Flach,  Peisistr.  S.  12  führt 
ae  Bach  einer  Beischrift  der  Pariser  Hdschr. 
ftof  den  pergamenischen  Gelehrten  Atheno- 
^oros  Koidylion  zurück. 

*)  Lycorg  adv.  Leoer.  102. 

')  Bei  den  vielen  Eigennamen  des  Schiffs- 
^ataloges  wird   zuerst  das  Bedürfnis  einer 


(E  542,  r  488,  o  186)  stammte,  durch  Homer 
besiegeln  zu  lassen. 

^)  Allerdings  heisst  es  schon  bei  Aelian 
V.  H.  XIII  14:  vaxßQoy  *fk  IJstaicxQnxoe  av- 
yayaytüy  dnfq)tjyB  xrjv  'fkiada  xal  'Odvaemety, 

^)  Lehrs,  Zur  homerischen  Interpolation, 
in  Arist*  430—54;  dagegen  Düntzer  a.  0. 
und  Wilamowitz,  Hom.  ünt.  235  ff.  Dagegen 
überbieten  Lehrs  noch  Flach  a.  0.  u.  Lud- 
wich, Arist.  hom.  Textkr.  II  390  ff.,  welch 
letzterer  nur  mehr  von  einer  Peisistratos- 
legende  spricht. 


62 


Grieohioche  Litteratnrgesohiohie.    1.  KlasBisohe  Periode. 


beabsichtigte  Stelle  wieder  anwiesen,  teils  jüngere  Rhapsodien,  wie  die 
Doloneia,  welche  nicht  alle  Bomeriden  als  echt  anerkannten,  in  die  Reihe 
der  Gesänge  förmlich  aufnahmen,  teils  einzelne  Verse,  wie  A  265,  A  631, 
B  558,  r  144,  M  372  zusetzten  oder  zu  Gunsten  attischen  Ruhmes  um- 
gestalteten.^) 

39.  Einfluss  der  homerischen  Gedichte.  Homer  war  den  Hel- 
lenen ihr  allgemein  anerkannter  Nationaldichter;  in  den  Helden  der  lUas 
und  Odyssee  fanden  dieselben  die  schönsten  Eigenschaften  ihres  Volkes, 
die  heldenmässige  Tapferkeit  und  die  erfinderische  Klugheit  verkörpert 
Mit  der  allgemeineren  Verbreitung  der  Gedichte  durch  die  Schrift  gewami 
auch  ihr  Einfluss  auf  das  ganze  Geistesleben  der  Nation.  Homers  An- 
schauungen von  den  Göttern  blieben  neben  denen  des  Hesiod  massgebend 
für  den  Volksglauben,  so  dass  auf  sie  Herodot  H  53  die  ganze  griechische 
Götterlehre  zurückführen  konnte.^)  Aus  seinen  Mythen  sog  die  chorische 
Lyrik,  insbesondere  aber  die  Tragödie  ihre  beste  Nahrung,  wie  denn 
Aischylos  seine  Dichtungen  Brosamen  von  der  reichbesetzten  Tafel  des 
Homer  nannte.*)  Die  von  ihm  in  Worten  gezeichneten  Typen  der  Götter 
und  Heroen  schwebten  den  Künstlern  bei  ihren  Schöpfungen  als  Norm 
vor,  wie  Pheidias,  um  die  Majestät  des  olympischen  Zeus  auszudrücken, 
sich  die  Verse  des  ersten  Gesangs  der  Dias  A  528  ff.  vorhielt: 

r  xai  xvavtr^aiv  en    6<fQV<n  revae  Kqoviwv 
dfißQoaiai  d'aqa  xaXrat  insQQiaaavxo  avaxTog 
xQarog  an'  äO^avccTOiOy  fiäyav  3'ikh'h^sv  'OkvfiTiov,^) 
Es  schwanden  so  vor  dem  Lichtblick  homerischer  Idealgestalten  die 
fratzenhaften   und    abergläubischen  Vorstellungen    der  älteren    Zeit   und 
durchdrang  unter  dem  Einfluss   der  Sonne  Homers   ein    hochstrebender, 
idealer  Sinn  die  ganze  Nation.     Auch   dem  Unterricht  und  den  Übungen 
im  Lesen,  Memorieren  und  Erklären  wurden  frühzeitig  homerische  Verse 
zu  Grunde  gelegt,   so  dass  es   nicht  wenige  gab,   welche   die  ganze  Hias 
auswendig  wussten.     Kurz    nach   allen  Seiten  drang  Homer,   der  Dichter 
xat'  s^oxijv,   in   das  Nationalbewusstsein  der  Griechen  ein,  so  dass  selbst 
Piaton,  der  sonst  den  Dichtern  wenig  hold  war,  unumwunden  den  Homer 
Griechenlands  Erzieher  nannte.*^) 

40,  Anfänge  der  homerischen  Studien.  Nachdem  einmal  unter 
Peisistratos  die  homerischen  Gedichte  durch  die  Schrift  fixiert  waren,  hat 
die  darauf  folgende  Zeit  bis  zu  den  Alexandrinern  weder  in  der  Gestaltung 
des  Textes  wesentliche  Änderungen,  noch  bedeutende  Leistungen  für  das 
Verständnis  und  die  Erklärung  des  Dichters  gebracht.  Das  Exemplar  des 
Peisistratos  sebst  ist  im  Laufe  der  Zeiten  untergegangen;  ob  es  mit  der 
übrigen  Bibliothek  durch  Xerxes  weggeführt  wurde,  darüber  lässt  sich  bei 


M  Vgl.  meine  Proleg.  p.  17  f. 

*)  Vgl.  den  zu  §  65  citierten  Anssprnch 
des  Simonides. 

^)  Arisiot.  poet.  4  f&hrt  die  Tragödie  auf 
Ilias  und  Odyssee  zurück.  In  der  Apo- 
theose des  Homer  huldigen  dem  Homer  die 
allegorischen  Figuren  der   Jloirjaig,  laroglit, 


*)  Ueber  den  Einfluss  Homers  auf  die 
Bildung  der  Götierideale  Brunn,  G riech. 
Götterideale,  München  1893. 

*)  De  rep.  X  p.  606 :  rtjy  'EXXd&a  Ttsnai- 
Sevxey  oitos  6  noirjxijs.  Protag.  p.  839: 
71  ni.^eiag   fi^yiütov   fidqog  nsQi    intoy  detyoy 


A.  £poB.    fi.  Homers  IUm  und  OdyBBee.    (§§  89-40.)  63 

der  Padenscheinigkeit  der  Überlieferung  *)  nichts  sicheres  aufsteDen.  Nicht 
unbedeutend  muss  hingegen  die  Thätigkeit  derjenigen  gewesen  sein,  welche 
nach  den  Perserkriegen  den  in  alter  Schrift  abgefassten  Text  in  die  neue 
umschrieben  (ol  fieraxaQaxtr^Qfaavtsg),  Manche  bis  auf  unsere  Zeit  fort- 
vererbte Fehler  des  Textes  sind  auf  den  Irrtum  und  die  Unsicherheit 
jener  Männer  zurückzuführen.  *)  Den  Homer  zu  kommentieren  fand  man 
in  dieser  Zeit  noch  nicht  für  notwendig ;  man  stand  noch  dem  Dichter  zu 
nahe  und  lebte  noch  zu  sehr  in  der  Periode  des  frohen  Schaffens,  als  dass 
man  schon  an  die  Peinlichkeit  der  Textesverbesserung  und  fortlaufenden 
Kommentierung  gedacht  hätte.  Doch  geschah  schon  etwas  nach  dieser 
Richtung  hin ;  teils  suchte  man  Näheres  über  die  Person  des  Homer,  sein 
Geschlecht  und  das  Schicksal  seiner  Werke  zu  ermitteln,  teils  versuchte 
man  seinen  Witz  an  der  Beanstandung  eines  und  des  andern  Ausdrucks, 
teils  endlich  bekämpfte  man  dessen  Ansichten  über  die  Götter  oder  legte 
den  diesbezüglichen  Worten  einen  geheimnisvollen  Sinn  unter.  Dahin 
gehörten  im  allgemeinen  die  Arbeiten  der  alten  Homeriker,  von  denen 
Aristoteles  ^)  den  bekannten  Ausspruch  that,  dass  sie  die  kleinen  Ähnlich- 
keiten sahen,  die  grossen  übersahen.  Namen  gibt  Piaton  im  Eingang  des 
Ion;*)  zu  den  dort  genannten,  Metrodoros,  Stesimbrotos,  Qlaukon,  *)  kommt 
noch  Theagenes  von  Bhegion  aus  der  Zeit  des  Eambyses,  der  zuerst  über 
Homer  geschrieben  haben  soll  und  deshalb  auch  der  erste  Grammatiker 
genannt  wird.«)  Etwas  verschiedener  Art  waren  die  Bemerkungen  der  Philo- 
sophen und  Sophisten,  die  sich  zwar  zum  Teil  auch  an  die  einzelnen  Worte 
hielten,  hauptsächlich  aber  Widersprüche  und  Schwierigkeiten  im  Homer 
aufstöberten  und  dieselben  in  ihrer  Weise  zu  lösen  suchten  {^rit^fnata  xal 
ivüstg).  Von  den  älteren,  Demokritos,  Anaxagoras,  Hippias,')  ist  uns 
nichts  erhalten,  hingegen  liegen  uns  noch  viele  derartige  Streitfragen  oder 
Spielereien  bei  Aristoteles  Poet.  25  vor.  Grossen  Respekt  flösst  uns  die 
Interpretationskunst  jener  Männer  nicht  ein,   wie  wenn  der  Widerspruch 


»)  Gelliufl  Yn  17:  Libro8  Aihenis  dis- 
eipUnarum  liberalium  publice  ad  legendum 
praebendos  primus  posuisse  dicitur  Pisi- 
rtratus  iyrannua.  Deinceps  studiosius  ac- 
curatiusque  ipsi  Atheniensea  auxerunt;  sed 
<mnem  iUam  postea  librorum  copiq,m  Xerxes 
Ätkenarum  patitus,  urbe  ipsa  praeter  arcem 
incensa,  abstulit  asportavitque  in  Persas. 
Eos  porro  Ubros  univeraos  multis  post  tetn- 
pe$taiihus  Sel^urus  rex,  qui  Nicanor  appel- 
faiiu  e«t,  referendos  Athenas  curavit. 

*)  So  r  201  T^iffj  für  jgiiffBy,  H  434 
f^e«To  für  fjyQcxo,  fAaxrjcofiat  neben  fittxfc- 
9fuUj  teSrtjaic  neben  re&vetwf.  Siehe  meine 
poleg.  p.  104 — 115.  Jene  ümschreibnng  wird 
in  Abrede  gestellt  Ton  Wilamowitz,  Hom. 
unten.  286  ff.  und  Ludwicb,  Arist.  hom. 
Teztkr.  U  420  ff.     Siehe    dagegen   CAUkB, 


6)  Für  Glaukon  ist  im  Schol.  zu  A  636 
Glaukos  verschrieben. 

«)  Schol.  ad  n.  r  67  p.  533  a  30:  ovrog 
fiiv  ovy  TQonog  änoXoyiag  d^x^^^^  "'*'  TiaVt» 
Xttl  dno  ßeayeyovg  jov  *Priyivov^  oq  nQvÜTog 
llyQatpB  tibqI  *OfÄfJQov^  Tatian  adv.  Graecos 
c.  31:  nsgi  ydq  xrjg  Ttoiijaeatg  rov  'OfiiJQov, 
yivovg  TS  tti'jov  Xttl  xQoyov  xtt&*  ov  fjxfiaaey, 
nQOYiQBvvrjaav  oi  ngsaßvraroi  Seayeyrjg  re  6 
'Pijyiog  jf«r«  Kftfißvarjy  yeyoywgy  SxrjaifAßQO- 
TÖg  T€  6  Sdaiog  xal  *4vti[Anxog  6  KoXo(pwyiogj 
'HgodoTog  rs  6  UXixaQyaaevg  xai  Jioyvaiog 
6  'OXvy&iog,  fiBx'  ixelyovg  ^Ekfogog  6  Kv^nTog, 
Vgl.  Sekgebüsch  a.  0.  p.  210  ff.  In  weiterem 
umfang  gehören  hieher  auch  noch  die  Logo- 
graphen Hellanikos,  Charax,  Damastes. 

^)  Unter  den  Werken  des  Demokritos 
erwähnt   Diogenes    IX  48:    Ttegi   'O/utjgov   ^ 


Homerkritik  69  ff.  ^  I  oQ&oensirjg  xai  yXütaüiiov.    Vgl.  Senoebusch 

^    *)  Metaph.  iV  6  p.  1093  a:  öfAotoi  6rj  xttl  |  a.  o.  p.  135.    Anaxagoras  war  der  Lehrer 

o»?öi   TOfV    a>;|faio*5   'OfitjQixoTg,    oV   fAi.xQttg  '  des  oben  genannten  Metrodoros  und  vertrat 

^\tOi6rfitttg  Sgwffi,  fXByaXag  6k  nagogtoaiy.  1  schon  die  allegorische  Erklärung. 

*)  Vgl.  SiCHOKBusoB,  Hom.  diss.  prior  1 33  f.  | 


64 


QrieohiBohe  Litieratnrgeschiohte.    I.  KlasaiBche  Periode. 


im  Eingang  der  Doloneia  zwischen  ndvxeq  fxev  ^a  d-soi  xs  xal  aväqsg 
InnoxoQvaTai  evdov  na%n*vxioi  {K  \)  und  i;  toi  ox'  ig  nsdiov  to  TQfoixov 
d&Qr-asi€v^  avXSv  (TVQiyyiov  &'ofia3ov  {K  11)  mit  der  Annahme  gelöst  wird, 
dass  ndvxsq  metaphorisch  für  nolXo(  stehe,  i)  Einige  gingen  dabei  bis 
zur  Feindseligkeit  gegen  Homer,  wie  Xenophanes  aus  Eolophon,  der  dem 
Homer  und  Hesiod  vorwarf,  den  Göttern  alle  Gottlosigkeiten  angedichtet 
zu  haben,  und  der  Sophist  Zoilos,  der  von  seiner  Polemik  den  Beinamen 
^OfiTjQOfidan^  erhielt.*)  Daneben  aber  fuhr  Homer  fort,  den  mächtigsten 
Einfluss  auf  die  ganze  Nation,  auf  das  Sinnen  und  Handeln  der  Gebildeten 
wie  der  Leute  aus  dem  Volk  zu  üben. 

41.  Homer  bei  den  Alexandrinern.^)  Das  schulmässige  Studium 
Homers  beginnt  mit  dem  alexandrinischen  Zeitalter.  Auch  hier  hat  sich 
die  Bedeutung  Homers  darin  gezeigt,  dass  von  ihm  die  gelehrten  Studien 
Alexandriens  überhaupt  ausgingen  und  an  ihm  die  philologische  und  kri- 
tische Kunst  ge Wissermassen  sich  emporrankten.  Die  drei  hervor- 
ragendsten Grammatiker  Alexandriens,  Zenodot,  Aristophanes  und 
Aristarch,  haben  nach  einander  kritisch  berichtigte  Texte  {dioQd^foceiq) 
Homers,  der  letzte  sogar  zwei  besorgt.  Zu  dem  Zweck  der  Herausgabe 
notierten  sich  dieselben  als  Grundlage  ihrer  eigenen  kritischen  Thätigkeit 
die  Lesarten  alter  Ausgaben  (ixdoasig).  Wir  hören  von  zwei  Arten  von 
Handschriften,  von  solchen,  die  im  Besitze  von  Städten  gewesen  waren 
{xaxd  noXsig),  und  von  solchen,  die  einzelne  Männer  besessen  und  beim 
Gebrauch  verbessert  hatten  (xard  avögag).  Zur  ersten  Klasse  gehörten 
die  Ausgaben  von  Massilia,  Chios,  Sinope,  Kypern,  Kreta,  Aiolis,  Argolis, 
zur  zweiten  die  von  Antimachos,  Euripides  (dem  Jüngeren  nach  Suidas), 
Aristoteles.*)  Von  hohem  Alter  und  besonderer  Güte  waren  jene  Hand- 
schriften nicht. '^)  Das  beste  thaten  die  Gro-mmatiker  selbst  durch  Fest- 
setzung der  Bedeutung  verschollener  Wörter  und  Aussonderung  des  Un- 
echten (.  .*/« r^rr).  Weit  überragte  hierin  seine  Vorgänger  Aristarch, «)  der 
mit  unerreichtem  Scharfblick  und  feinstem  Verständnis  der  poetischen 
Kunst  das  Wahre  vom  Falschen  zu  scheiden  und  die  Eigentümlichkeiten 
des  Homer  im  Gegensatz  zu  den  späteren  Dichtern  herauszufinden  ver- 
stand.  Seine  Ausgabe  versah  er  am  Rand  mit  kritischen  Zeichen  (erij/iera),  7) 


\)  Ariafc.  Poet.  25  p.  1461  «^  16.  Die 
Schwierigkeit  ist  in  unseren  Texten  gelöst 
durch  die  Lesart  äXXov  fjiky  naQn  ytjvaiy  aQl- 
axrjBg  Tlaraxonaiv  '  s.  Römer,  Die  Homercitate 
und  die  hom.  Fragen  des  Aristoteles,  Sitzb. 
d.  b.  Ak.  1884  S.  264-314. 

^)  üeber  diesen  Zoilos,  einen  Zeitgenossen 
des  Isokrates,  ein  Artikel  bei  Suidas,  wo  er 
^ijtiüQ  xal  <fiX6ao(fog  heisst  und  von  ihm 
angeführt  wird  xatd  rrjs  'OfjirJQov  noirjaecug 
Xoyoi  »',  Bei  Heraklit  Alleg.  Hom.  c.  14 
heisst  er  von  seiner  Heimat  Amphipolis  ^ga- 
xixoy  ay^ganodov.  Näheres  Ulr.  Fried- 
linder,  De  Zoilo  alüsque  Homeri  obtrecta- 
toribus,  Diss.  Königsberg  1895. 

')  La  Roche,  Die  homerische  Textkritik 
im  Altertum,  Leipzig  1866. 

^)  Vielleicht  war  dieselbe  identisch  mit 


der  berühmten,  von  Aristoteles  revidierten 
'IXius  Y)  ix  Tov  ydg^xog,  welche  Alezander 
in  einer  kostbaren  Kapsel  (yetgS^fj^)  aufbe- 
wahrte;  s.  Plut  Alex.  8  und  Strab.  p.  594. 

^)  Römer,  Homerrecension  des  Zenodot, 
Abh.  der  bayer.  Akad.  XVll  662  ff.  Ueber 
Aristarchs  handschriftlichen  Apparat  handelt 
Ludwich,  Aristarchs  hom.  Textkr.,  Kap.  1. 

^)  Lehrs,  De  Aristarch!  studüs  iiome- 
ricis,  2.  Aufl.  1865,  3.  unveränderte  Aufl. 
1886,  Hauptwerk  für  Homerstndien;  Lud- 
wich, Aristarchs  hom.  Textkritik,  Leipzig 
1884,  2  Bde. 

'')  Die  Zeichen  stehen  noch  heutEutag 
im  cod.  Yen.  A,  wovon  zuerst  La  Rochb, 
Text  Zeichen  und  Scholien  des  berühmten 
Cod.  Yenetus  der  llias,  Wiesbaden  1862,  Mit- 
teilungen machte.   Ueber  die  kritischen  Zei- 


A.  Spoa.    2.  Homers  Ilias  und  Odyssee.    (§§  41—42.) 


65 


unter  denen  besonders  der  Obelos  and  die  Diple  viel  genannt  sind.^) 
Ausserdem  hinterliess  er  Kommentare  {vTtofivtjfiata)  zur  Dias  and  Odyssee 
in  48  B.  und  besondere  Abhandlungen  über  einzelne  Punkte,  wie  über  das 
SchifEslager  {TreQi  vavaxdd^iiov).  Dass  von  ihm  auch  die  Einteilung  der 
Sias  und  Odyssee  in  je  24  Gesäuge  herrühre,  ist  eine  unbeweisbare  und 
nicht  sehr  wahrscheinUche  Behauptung.  Beweisen  lässt  sich  nur,  dass  er . 
dieselbe  kannte;  vermutlich  aber  war  sie  schon  von  Zenodot  eingeführt 
worden;  Aristoteles  hat  sie  noch  nicht  gekannt.*)  —  Die  drei  be- 
röhmten  Rezensionen  von  Zenodot,  Aristophanes  und  Aristarch  waren 
nicht  die  einzigen;  es  gab  noch  welche  von  Aratos  (nur  Odyssee), 
Rhianos,  Phüemon,  Sosigenes,  Eallistratos  dem  Aristophaneer.^)  Haupt- 
gegner des  Aristarch  war  der  Pergamener  Erat  es,  der  eine  dioQ^waig 
*lhd3oq  xal  'Odvaasiag  schrieb  und  nicht  bloss  in  der  Wahl  einzelner  Les- 
arten dem  Aristarch  entgegentrat,  sondern  auch  in  der  Methode  der 
Mythenerklarung  und  der  geographischen  Auslegung  der  Irrfahrten  des 
Odysseus  einen  verschiedenen  Standpunkt  vertrat. 

42.  Was  in  den  nächsten  Jahrhunderten  auf  dem  Gebiet  der  Homer- 
kritik geleistet  wurde,  geht  fast  alles  von  Aristarch  aus  und  bedeutet 
keinen  nennenswerten  Fortschritt.  Zunächst  gehen  direkt  auf  Aristarch 
die  Schriften  zweier  Grammatiker  aus  der  Zeit  des  Cicero  und  Augustus 
zurück,  denen  wir  zumeist  unsere  Kenntnis  der  aristarchischen  Kritik 
verdanken,  nämlich  des  Didymos  ncQi  rijg  ^QKXTaQxsiov  dioQd-iifS^wq^*)  und 
des  Aristonikos  nsqi  atjfxeifov  T^g  ^Ihddog  xai^Oivtsaaiccg.^)  In  dem  ersten 
Buche  war  über  die  bereits  damals  schon  vielfach  verdunkelten  Lesarten 
des  Aristarch  auf  Grund  seiner  zwei  Ausgaben  und  seiner  Kommentare 
weitläufig  gehandelt,  in  dem  zweiten  waren  die  Gründe  der  von  Aristarch 
gesetzten  kritischen  Zeichen  kurz  und  bündig  entwickelt.^)  Selbständiger, 
aber  nicht  bedeutender  waren  die  Arbeiten  derjenigen,  welche  zu  den 
Lesarten  und  Erklärungen  Aristarchs  Stellung  nahmen,  teils  abwehrend, 
teils  verteidigend.  Die  Polemik  gegen  Aristarch  hielten  nach  Krates  auf- 
recht Kallistratos,  der  sich  gegen  die  Athetesen  Aristarchs  wandte,  und 
Ptolemaios,  ein  Schüler  des  Ghorizonten  Hellanikos,  der  von  seinen  An- 
griffen  auf  Aristarch  den  Beinamen  6  ijri&sTrjg  erhielt.     Für  Aristarch, 


eben  Oberhaupt  siehe  Rbipvbbschsii},  Säet. 
reH  p.  137  ff.  und  Osasn,  Anecdotum  Ro- 
manam  de  notis  veteram  criticis,  inprinuB 
AriBtarchi  Homeiicie,  Gissae  1851. 

^)  Mit  dem  Obeloe  (Spiess)  —  wurde 
da  Vera  ala  unecht  bezeichnet  {oßeXiCeiy, 
tt^etiiv);  mit  der  Diple  (sc.  yQafjifiijf  Doppel- 
linie)  >  wurde  angedeutet,  dass  die  be- 
treffende Stelle  fOr  Lteung  einer  kritischen 
Fnge  oder  zur  Erkenntnis  einer  homerischen 
Eigentflmlichkeit  von  Bedeutung  sei. 

')  Jedenfalls  datiert  die  Stauung  in 
24  Gesänge  aus  der  Zeit  nach  Einführung 
des  ionischen  Alphabets,  da  die  24  Gesänge 
nadi  den  24  Buchstaben  des  neuen  ionischen 
Alphabeies  benannt  sind;  von  der  älteren 
finteilnng  in  eine  kleinere  Zahl  von  Rhap- 
sodien ist  oben  §  20  u.  21  gesprochen. 


*)  Aus  unbestimmter  Zeit  sind  i^  xvxhxij, 
17  ix  Mowrsiov,  rj  noXvct^x^ig,  lieber  die 
grössere  Yerszahl  der  gemeinen  (xotva/), 
nicht  durchgesehenen  und  von  unnützen 
Versen  gereinigton  Exemplare,  worQber  uns 
neuere  Papyri  Auskunft  geben,  s.  Mbnbad, 
Sitzb.  d.  bayer.  Ak.  1891  S.  551. 

^)  Ludwich,  Aristarchs  hom.  Textkritik 
nach  den  Fragmenten  des  Didymos,  Leipzig 
1884,  2  Bde.,  dazu  die  Einwände  von  Maasb, 
Herm.  19,  565  ff. 

^)  Aristenici  nsgi  atj/neioDy  'iXuxdog  rell. 
ed.  FbibdlXkdbb,  Götting.  1853,  zur  Odyssee 
von  Carnuth,  Leipz.  1870. 

«)  Daher  hat  man  das  Eigentum  des 
Aristonikos  an  dem  Kennzeichen  öti  aus  der 
Masse  der  homerischen  Schollen  herausge- 
funden. 


Hndboch  der  klan.  AltertniiMwlaBeiiflchift.    VII.    S.  Aufl. 


66 


Chrieohisohe  Litteimtlirgesohiohie.    I.  KlaMiache  Periode. 


das  gefeierte  Schulhaupt,  traten  besonders  ein  die  Aristarcheer  Dionysios 
Thrax,  Ammonios,  Parmeniskos,  Dionysios  Sidonios,  Chairis,  Seleukos  und 
Apollodor.  Alle  diese  lebten  und  schrieben  vor  Didymos ;  nach  ihm  spannen 
die  alten  Fragen  fort  Tryannion  der  Jüngere,  Herakleon  der  Ägyptier, 
Alexion,  Philoxenos,  Apion,  Epaphroditos.  Mehr  eigene  Wege  gingen 
Nikanor  unter  Hadrian,  der  die  Fälle  strittiger  Interpunktion  bei  Homer 
besprach,  ^)  und  der  berühmteste  Grammatiker  der  römischen  Periode, 
Herodian,  der  im  Anschluss  an  Aristarch  über  die  Prosodie  (Accent, 
Hauch,  Quantität)  bei  Homer  handelte.*) 

43.  Lexikalische  und  erklärende  Arbeiten  zu  Homer.  Erklä- 
rungsbedürftige  Wörter  des  Homer  bildeten  schon  bei  Zenodot  einen 
Gegenstand  der  Untersuchung.  Auf  uns  gekommen  ist  neben  unbedeuten- 
den Exzerpten  aus  Apion  ')  und  Zenodoros  ^)  ein  homerisches  Speziallexikon 
von  dem  Aristarcheer  Apollonios  Sophistes  (um  100  n.  Chr.),  in  welchem 
die  Kommentare  des  Aristarch  und  die  Lesarten  (Ac^^ig)  des  Apion  be- 
nutzt sind.^)  —  In  Gegensatz  zur  grammatischen  Erklärung  trat  schon  seit 
alter  Zeit  die  allegorische.  Sie  fand  auch  bei  Grammatikern  Eingang, 
wie  insbesondere  bei  Erates  von  Mallos,  galt  aber  immer  als  eine  spezielle 
Domäne  der  Philosophen.  NamentUch  hatten  die  Stoiker  sich  auf  dieses 
Gebiet  geworfen,  und  in  der  Zeit  des  Augustus  ward  die  allegorische 
Deutung  in  ein  förmliches  System  gebracht.  <')  Daraus  ist  das  uns  er- 
haltene Buch  'AlXrjoQiai  Vfir^Qixai  von  Herakleitos  (nicht  Herakleides) 
hervorgegangen.')  Manches  darin  ist  zutreffend,  wie  wenn  c.  14  der 
Vers :  oifQtjag  fitv  nQdoTov  in((}x^xo  xai  xvvag  aQyovg  {A  50)  auf  den  natür- 
lichen Verlauf  der  Seuchen  zurückgeführt  wird.  Das  Meiste  aber  ist 
verkehrt,  wie  dass  die  Besiegung  der  Aphrodite  durch  Diomedes  in  der 
Inferiorität  der  Unvernunft  der  Barbaren  {äXoyiatia  ßagßaQwv)  gegenüber 
der  kriegerischen  Tüchtigkeit  der  Griechen  ihren  Grund  haben  soll  (c.  30). 
Daneben  wandte  man  in  den  schreibseligen  Kreisen  der  Grammatiker  und 
Philosophen  auch  der  antiquarischen  Seite  der  homerischen  Gedichte  seine 
Aufmerksamkeit  zu.  Besonderes  Ansehen  erlangte  das  Buch  eines  ge- 
wissen   Dioskorides,    Über  die  Sitten  bei  Homer,    welches  fleissig  von 


*)  Nicanoris  nsQi  'iXtaxtj?  ajiyfjLrjg  rell. 
ed.  FrirdlUndbr,  Regiom.  1850;  nsQi  ^O^wt- 
aeiaxijg  atiyfiijg  ed  Carnuth,  Berl.  1875. 

')  Das  Bnch  Herodians  hatte  den  Titel 
'OßiTjQixij  TtQoafinfia  und  war  geteilt  nach  Ilias 
und  Odyssee;  es  verfolgte  die  kontroversen 
Stellen  Huch  für  Buch.  Hauptausgabe  von 
Lrntz,  Horodiani  technici  rell.,  Lips.  1867. 

■)  Apions  rXoiaaM  'O^i/piar«/,  von  Sturz 
im  Anhang  des  Et.  Gud.  p.  601  publiziert, 
sind  ein  elendes  Exzerpt;  dass  dasselbe  aber 
doch  auf  Apion  zurückgeht,  beweist  Kopp, 
Herrn.  20,  l«l  flf  Ein  Exzerpt  *Ex  rov  'Ani^- 
voi  im  Cod.  Vind.  169  veröffentlichte  Kopp, 
Rh.  Mus.  42,  118—121. 

*)  Von  diesem  Zenodoros,  der  nach  Dio- 
nysios Halic,  den  er  citiert,  lebte,  und  den 
E'orphyrios  und  Eustathios  öfters  anführen, 
gibt  MiLLBB,  M41.  407  -411,  eine   Enirofi^ 


Ttav  7t€Qi  avyij9eiae  (in  10  B.),  worin  die  Ab- 
weichungen Homers  vom  gewöhnlichen  Sprach- 
gebranch behandelt  sind. 

*)  'JnoXXmyiov  aotpurrov  Xe^txoy  (er- 
halten in  einem  cod.  Sangermanensis}  rec. 
Imm.  Bbkkbr,  Berol.  1883.  Dass  das  Lexi- 
kon in  verdünnter  Gestalt  auf  uns  gekommen 
ist,  weist  nach  Lbydb,  De  Apollonii  sophistae 
lex.  Homerico,  Leipz.  1855;   vgl.  Kopp  a.  0. 

•)  DiELS,  Dox.  gr.  p.  88  ff.  Ihre  Blüte 
erreichte  diese  Spielerei  allegorischer  Deutung 
im  Mittelalter,  worüber  Kaufmakv,  Gesch. 
d.  deutschen  üniversitftten  I  25  f. 

')  Heracliti  Allegoriae  Homericae  ed. 
Mbhler,  LB.  1851;  es  sind  in  dieser  Ausg. 
vollständigere  Handschriften  als  in  den  frü- 
heren benutzt;  neue  kritische  Beiträge  gibt 
Ludwich,  Arisi  Textkr.  II  642  ff. 


A.  Epos.    2.  HomerB  Dias  lud  Odyssee. 


i  43-44.) 


67 


Athenaios,  *)  daneben  aber  auch  von  Plutarch  und  dem  Rhetor  Dion  Chry- 
sostomos  benutzt  wurde.*)  Noch  später,  im  3.  Jahrhundert  kehrte  die 
Homererklärung  teilweise  wieder  zu  der  voralexandrinischen  Manier  zurück. 
Es  geschah  dieses  durch  die  Neuplatoniker,  bei  denen  die  Philosophie 
Homers  ein  stehendes  Thema  bildete,  ^)  und  aus  deren  Betrachtungen  uns 
die  X)firjQixä  ^rjTijfiata  des  Porphyrios  erhalten  sind.*)  Dort  werden 
nach  alter  Weise  Fragen,  oft  recht  läppische,  aufgeworfen  und  in  der 
Art  klügelnder  Grammatiker  und  Sophisten  gelöst.^) 

44.  Scholien.  Die  Arbeiten  der  alten  Grammatiker  sind  nicht  im 
Original  auf  uns  gekommen,  sondern  nur  in  Auszügen.  Der  hauptsäch- 
lichste Auszug  eines  anonymen  Grammatikers  aus  den  Viermännern  Ari- 
stonikos,  Didymos,  Herodian,  Nikanor  ist  uns  bezeugt  durch  die  Unter- 
schriften des  Cod.  Yenetus  A  der  Dias:  naQaxeixai  xd  ^ÄQiaxovixov  ariiieXa 
xal  Ttt  Jidviiov  7t€Qi  TTJg  'ÄQiaxaQXsiov  dioQ&oiacwgy  rivd  3^  xal  ix  TTJg  ^Ihaxfjg 
nqwSf^Siag  ^Hgoodiavoi  xal  ix  tcov  NixdvoQog  Ttegl  atiyfirjg,^)  Dazu  waren 
in  der  nachfolgenden  Zeit  noch  Scholien  aus  anderen  Grammatikern,  be- 
sonders aus  den  ZijX'qfAaxa  des  Porphyrios  gekommen.  Auf  diese  Auszüge 
gehen  die  Scholien  unserer  Handschriften  zurück;  dieselben  sind  uns  am 
besten  in  dem  Yenetus  454  {Ä)  erhalten,  und  zwar  in  doppelter  Fassung 
als  ausführlichere  Rand-  oder  Hauptscholien,  und  als  kürzere  Zwischen- 
oder Textscholien.'^)  Aus  derselben  Quelle  stammen  die  Scholien  des 
Townleianus,  mit  dem  der  jüngere  Yictorianus  übereinstimmt,  ®)  und  die 
des  Yenetus  453  (E),^)    Mehr  die  Erklärung  berücksichtigten  die  fälsch- 


^)  Bei  Athenaios  I  15  Iflaffc  die  Schrift 
JTf^t  rov  tmr  xa&*  "O/jltjqov  ßiov  anonym. 

*)  R.  Th.  Wbbkb,  De  Dioscnridis  negl 
imy  nag*  'OfÄiJQio  rofnov,  Lipß.  Dias.  1888. 
Ehedem  identifizierte  man,  durch  Suidaa  unt. 
't)ufiQoq  irregefOhrt,  unseren  stoischen  Gram- 
matÜEer  mit  dem  Isokrateer  Dioskurides.  In 
Wahrheit  lebte  derselbe,  der  auch  anofjiyfj- 
fiQpevuara  und  über  den  lakonischen  Staat 
Bchrieb,  nach  Aristarch,  dem  er  folgte,  und 
Tor  Dion  Chrysostomos,  der  ihn  exzerpierte; 
Weber  setzt  ihn  160—60  v.  Chr. 

')  Schon  der  Epikureer  Philodem 
seiirieb  über  das  Fürstenideal  bei  Homer 
(8.  BücQBLBB  Rh.  M.  42,  198  ff.),  Longinos  ei 
^pcAoffo^fK  "OfifjQogj  Porphyrios  negi  r^f 
Ufüj^ftv  tptXoco(fias. 

^)  Porphyrii  Quaestionum  Homericarum 
ad  Diadem  pertuientium  rell.  ed.  Herm. 
ScBBADBB,  Ups.  1882,  mit  Nachträgen  im 
Herm.  20  (1885),  380  ff.;  Porphyrii  Quaest. 
Hom.  ad  Odysseam  perünentinm,  ed.  Hbbm. 
ScBULDBB,  liipfi.  1890.  Erhalten  ist  der  1. 
Teil  des  Buches  mit  dem  Widmungsbrief  im 
Tai  305,  das  Gkmze  exzerpiert  in  den  Homer- 
echoUen,  Eustathios  und  Tzetzes.  In  die 
Foastapfen  der  allegorischen  Erklärung  des 
Neuplatonikers  Porphyrios  trat  im  5.  Jahr- 
Irandert  die  gleichfalls  von  den  kosmo- 
gonischen  Ideen  der  Neuplatoniker  ausgehende 
Schoüastin  Dbmo,  worüber  Ludwich,  die  Homer- 
dcQterin  Demo,  Leipz.  1895. 


*)  So  zu  ^  298:  M  tl  6  '-^/iJUw  Tf/y 
fi^v  Bgiofjtda  (ptjal  dtSaety,  xdiv  cT  äXkiay  ov6kv 
TfQotea&ai  qtrjaiv  ävev  noXäfiov;  ^rjtioy  ovv, 
Ott  onag  firj  dnqttxtjg  sivtti  ioxj.  Einen  spe- 
ziellen Versuch  allegorischer  Deutung  lieferte 
derselbe  Porphyrios  in  dem  Büchlein  negi 
tov  iv  *Odv<ra€i(f  ttäy  Nvfiquoy  äyxQov, 

^)  Bbcoabd,  De  scholiis  in  Hom.  Iliadem 
Yenetis,  Berlin  1850. 

^)  Römer,  Die  Werke  der  Aristarcheer 
im  Cod.  Yen.  A,  in  Sitzb.  d.  b.  Ak.  1875,  und 
LuDwiOH,  Arist  I  83  ff. 

^)  Dass  der  Yictorianus  in  München  di- 
rekt aus  dem  Townl.  abgeschrieben  sei,  be- 
zweifelt SiTTL,  N.  Phil.  Rundschau  1889 
S.  194;  vgl.  auch  Römbb,  De  schol.  Yicto- 
rianis,  Münch.  1874  S.  24  f. 

^)  Die  Scholien  zuerst  bekannt  gemacht 
durch  YiLLoisoN,  Yen.  1788  fol.  —  Neuere 
Ausgabe :  Scholia  in  Homeri  Iliadem  ex 
rec.  Bbkkerf,  Berol.  1825.  —  YoUstftndigste 
Ausgabe  nach  Handschriften  gesondert: 
Scholia  graeca  in  Homeri  Iliadem  ex  codi- 
cibus  ancta  et  emendata  ed.  Gu.  Dindobf, 
t.  I-IY  Ox.  1875;  t.  Y— YI  die  SchoUa 
Townleiana  enthaltend,  besorgt  von  Maas, 
Ox.  1888.  Die  Scholia  codicis  Lipsiensis, 
welche  Bachmann,  Lips.  1835—8  herausge- 
geben hat,  haben  keinen  selbständigen  Wert, 
da  sie,  wie  Maass,  Herm.  19,  264  ff.  nach- 
gewiesen  hat,    aus   Yen.  B,  u.  Townl.  ge- 

5* 


68 


Griechiftehe  LitteratnrgeBehiohte.    1.  KlaMisehe  Periode. 


lieh  dem  Didymus  zugeschriebenen,  schon  von  Aldus  herausgegebenen 
Scholia  minora.^)  Dürftiger  sind  die  Scholien,  namentlich  die  kritischen, 
zur  OdysseO;  vornehmlich  erhalten  durch  den  Harleianus  5674  des  bri- 
tischen Museums  (H)  und  den  Venetus  613  (-W).*)  Ausser  den  Auszügen 
der  Viermänner  und  den  Abschnitten  aus  Herakleitos  und  Porphyrios  ent- 
halten diese  Scholien  manche  zum  Teil  sehr  beachtenswerte  exegetische 
Bemerkungen  B)  und  viele  Notizen  aus  dem,  was  man  historia  fabularis 
nennt.*) 

45.  Homer  im  Mittelalter.  Das  Mittelalter  hat  nichts  neues  und 
standhaltendes  in  der  Kritik  und  Exegese  Homers  geleistet ;  die  Eustathios 
und  Tzetzes  haben  wesentlich' nur  breitgetreten,  manchmal  auch  entstellt, 
was  ihnen  aus  dem  Altertum  überkommen  war.  Der  früher  überschätzte 
Kommentar  des  Eustathios  (12.  Jahrhundert),*)  UaQexßolal  €ig  tiJv 
X)fi7]Qov  ""OSvaasiav  xai  "'iXiüda^ «)  findet  jetzt,  nachdem  uns  durch  Villoison 
die  alten  Scholien  selbst  zugänglich  gemacht  worden  sind,  wenig  Be- 
achtung mehr.  Sein  Wert  besteht  wesentlich  nur  in  dem,  was  Eustathios 
aus  alten  Quellen,^)  einem  Auszug  des  Kommentars  der  Viermänner,  den 
Lexeis  des  Aristophanes,  den  rhetorischen  Wörterbüchern  des  Dionysios 
und  Pausanias,  dem  enkyklopädischen  Lexikon  des  Apion  und  Herodoros,  ^) 
den  Paralipomena  des  Porphyrios  aufgenommen  hat.  Noch  unbedeutender 
ist  die  von  Tzetzes  in  seiner  Jugend  (1143)  verfasste  Exegesis  Diados.^) 
Neben  den  Kommentaren  spielten  in  den  Studien  der  Byzantiner  die  Para- 
phrasen eine  Rolle,  von  denen  uns  mehrere  in  Handschriften,  teilweise 
auch  in  Drucken  vorliegen,  ^o)  —  Schon  gegen  Ende  des  Altertums  kam  die 
Spielerei  auf,  Verse  und  Halbverse  des  Homer  zu  neuen  Gedichten  zu 
verbinden;    solche    Centonen    (Ofir^goxsvTQa)    sind    uns    von   der   Kaiserin 


nommen  siod.  Ueber  den  Cod.  Laur.  32,  3 
8.  ScHRADBR  Heim.  22,  282  ff. 

^)  Ein  alter  Cod.  Moreti  in  der  Bibl. 
Yitt.  Eman.,  nachgewiesen  von  Maass  Herrn. 
19,  559. 

^)  Scholia  antiqua  in  Homeri  Odysseam 
ed.  Ph.  BüTTMANir,  Berol.  1821.  —  Scholia 
graeca  in  Homeri  Odysseam  ex  codicibus 
aucta  et  epaendata  ed.  Gu.  Dimdorf,  2  vol. 
Ox.  1855.  Ueber  die  Ambrosianischen  Odyssee- 
Bcholien  Scrrader  Herm.  22,  337  ff. 

')  Rom  RR,  Die  exegetischen  Scholien 
der  llias,  München  1879.  Dieselben  stehen 
fast  alle  in  Cod.  B. 

*)  Ed.  Sohwartz,  De  scholiis  Homericis 
ad  historiam  fabularem  pertinentibus,  in  Jahrb. 
f.  Phü.  Suppl.  XU  405  -  463. 

^)  Eustathios,  der  anfangs  Diakon  und 
Maistor  rhetoron  zu  Eonstantinopel  und  seit 
1175  Erzbischof  von  Thessalonike  war,  hat 
den  Kommentar  zu  Homer  vor  seiner  Er- 
nennung zum  Erzbischof  veröffentlicht;  dass 
er  den  zur  llias  vor  dem  zur  Odyssee  be- 
arbeitete, wiewohl  er  sich  wechselweise  in 
dem   einen  auf  den  andern  bezieht,  macht 


wahrscheinlich  Fr.  Kuhn,  Quo  ordine  et 
quibus  temporibus  Enstathius  commentarios 
suos  composuerit,  in  Comment.  in  hon.  Stade- 
mundi  p.  249—57. 

^)  Die  älteste  Ausgabe  zu  Rom  1542;  die 
neueste  ohne  neue  Hilfinnittel  Lips.  1825 — 30. 
2  vol. 

»)  La  Roche,  Hom.  Textkritik  S.  151  flf.; 
Max  Nbumann,  Eustathios  als  kritische  Quelle 
für  den  Iliastext,  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  XX 
145  ff.;  CoHN,  De  Aristophane  Byzantio  et 
Suetonio  Tranquillo  Eustathü  auctoribus,  in 
Jahrb.  f.  Phü.  Suppl.  XII  285  ff. 

®)  Neben  Herodoros  kommt  auch  die 
Variante  Heliodoros  vor,  der  Naber  ad  Phot. 
lex.  I  119  den  Vorzug  gibt. 

^)  Zu  A  1 — 102  gedruckt  in  Hermanns 
Ausg.  des  Drako.  Ausserdem  verfasste 
Tzetzes  Allegorien  zur  llias  und  Odyssee, 
worüber  Krumb achbr,  Byz.  Litt.  2.  Aufl. 
S.  529  ff. 

^®)  Eine  Paraphrase  veröffentlichte  Bbk- 
KBR,  Scholia  in  Homeri  Iliadem,  am  Schluss. 
Neue  Mitteilungen  über  Homerparaphrasen 
gibt  LuDWicu,  Arist.  hom.  Textkr.  II  486  ff. 


A.  Spos.    2.  Homers  Ilias  and  Odyssee.    (§§  45—46.) 


69 


Eudokia,  dem  Bischof  Patrikios,    dem  Philosophen  Optimus  und  dem  Me- 
loden  Kosmas  erhalten,  i) 

46.  Homer  bei  anderen  Nationen.  Homer,  der  schon  von 
Alexandria  aus  zu  fremden  Völkern  bis  nach  Indien  gedrungen  war  und 
in  Rom  gleich  beim  ersten  Erwachen  des  litterarischen  Lebens  an  Livius 
Andronicus  (Odyssee)  und  Matius  (Dias)  Übersetzer  gefunden  hatte,  *)  war 
im  Mittelalter  den  Völkern  des  Abendlandes  nur  durch  eine  metrische 
Epitome  der  Ilias,  den  sogenannten  Homeruft  latinus,  bekannt.  Zu  neuem 
Leben  erblühte  er  in  der  Zeit  der  Wiedergeburt  der  Wissenschaften:  8)  im 
Jahre  1488  erschien  zu  Florenz  die  erste  Ausgabe ;  zuvor  schon  hatte  für 
Boccaccio  der  Calabrese  Pilato  eine  lateinische  Übersetzung  der  Ilias  an- 
gefertigt. Aber  wiewohl  auch  schon  1542  der  weitläufige  Kommentar  des 
Eustathios  gedruckt  wurde,  so  dauerte  es  doch  noch  Jahrhunderte,  bis 
Homer  volles  Verständnis  und  gerechte  Würdigung  fand.  Es  überwog 
eben  infolge  des  romanischen  Einflusses  die  von  Jul.  Cäs.  Scaliger  (gest. 
1558)  in  seiner  Poetik  vertretene  Anschauung,  dass  nur  dem  Vergil  die 
Fahne  des  klassischen  Dichters  gebühre,  dem  gegenüber  die  homerische 
Poesie  die  Rolle  einer  plebeia  ineptaque  muliercula  spiele.  Die  richtige 
An£Fassung  ging  von  England  aus,  wo  Pope  1715  seine  berühmte  Homer- 
fibersetzung dichtete  und  der  in  Oriechenland  selbst  vielgewanderte  Wood 
mit  seinem  Buche,  On  the  original  genius  of  Homer  (1719),  das  Ver- 
ständnis der  Natur-  und  Volkspoesie  erschloss.  In  Deutschland  fanden 
die  Anschauungen  der  Engländer  bei  Gottsched,  Lessing,  Winckelmann, 
Heyne  lebhaften  Anklang.  Mit  der  Übersetzung  von  Voss*)  ist  dann  bei 
ims  Homer  in  den  weitesten  Schichten  des  Volkes  populär  geworden,  wie 
sonst  es  nur  Werke  nationaler  Dichter  zu  werden  pflegen,  und  mit  den 
Prolegomena  von  Fr.  A.  Wolf  (1795)  begann  für  die  Homerforschung 
und  die  ganze  Philologie  eine  neue  Epoche  kritischer  Studien  und  tieferer 
Erkenntnis. 

Codices  fliadis:  Zu  den  bereits  §  40  genannten  kommen  noch:  ein  syrischer 
PaUmpsest  (ed.  Curbton  1851);  Papyri  (zu  den  älteren  schon  von  Bekker  benutzten 
kommen  mdirere  neue  Bmchstacke,  worflber  Landwehr,  Philol.  44,  585  ff.;  Mbnrad,  Sitzb. 
d.  bayer.  Äkad.  1891,  539  ff.,  1897,  IT);  Cod.  Mediolanus  mit  Miniaturen  (Iliadis  antiquissima 
fragm.  com  picturis  ed  Ako.  Mai,  Mediol.  1819,  Romae  1835).  —  Codd.  Odysseae:  ausser 
den  oben  §  ^  erwähnten  noch  die  Laurentiani  F  u.  G  des  kritischen  Apparates  von  La 
RocHB  u.  Ludwich. 

Schollen  s.  oben  §§  42.  44. 

Ausgaben:  ed.  princ.  ex  rec.  Dsiostrii  Chalcondtlae,  Flor.  1488;  mit  gelehrtem  Kom- 
mentar von  Clark b-Ernbsti,  1779,  4  vol.;  Ilias  cum.  vers.  lat.  et  annot.  cur.  Heyne,  Lips.  1802, 
9  vol.  Berichtigter  Text  mit  epochemachenden  Proleg.  von  F.  A.  Wolf,  Hai.  1795.  —  Tumul- 
tuarischer  Versuch  der  Herstellung  eines  Urhomer  von  Paywb-Knioht,  Lond.  1820.  —  Ilias  rec. 
Spiizeer,  1835, 4  voL  mit  kritischen  Noten  u.  Exkm-sen.—  Kritische  Hauptausgabe  mit  Digamma 


*)  Eodociae  Augustae  fragm.  ed.  Lud- 
wicB  in  Bibl.  Teubn.  p.  79  ff. 

^  ToLXiEHK,  De  Homeri  auctoritate  in 
c«tidiana  Romanorum  vita,  Jahrb.  f.  kl.  Phil. 
Sappi.  TYin  1896. 

')  Fbibdlahdbr,  Schicksale  der  home- 
liachen  Poesie,  in  der  Deutschen  Rundschau, 
^Aniarheft  1886. 

*)  Die  Odyssee  erschien  1781  in  erster 


Gestalt,  die  Dias  folgte  1793.  Vgl.  M.  Bbb- 
nays,  Einleitung  zu  Voss  Homers  Odyssee. 
Stuttg.  1881.  Die  erste  deutsche  üebersetzung 
der  Odyssee  lieferte  im  JiJire  1537  ein  Mttn- 
ebener  Beamte  Schaidenraisser,  worüber 
REnraABDSTÖTTNBB,  Jahrb.  f&r  MOnch.  Gesch. 
I  511  ff.,  die  erste  der  Dias  der  Augsburger 
Meistersftnger  Spreng,  worüber  Kbinz,  Siäb. 
d.  b.  Ak.  1893,  I  675, 


70 


Orieohisohe  Litteratargesohiohte.    I.  ElassiBohe  Periode. 


im  Text  und  dem  Anfang  eines  kritiBchen,  wesentlich  auf  den  Schollen  basierten  Kommentars 
von  Imm.  Brkkbb,  Bonnae  1858;  dazu  dessen  Homerische  Blätter,  Berl.  1868,  2  Bde.  —  Homeri 
Odyssea  ad  fidem  librorum  optimorum  ed.  La  Rocbb,  Lips.  1867,  Ilias  1873,  mit  einem 
reichen,  aus  Scholien  und  Handschriften  geschöpften  kritischen  Apparat  —  Ilias  u.  Odyssea 
ed.  A.  Nauck.  Ber.  1877  mit  kritischem  Apparat  und  einschneidender,  die  von  Bekker  em- 
geschlagenen  Wege  weiter  verfolgenden  Recensio.  —  Ilias  und  Odyssea  cum  apparata 
critico  rec.  Leevweh  et  Mendes  da  Costa,  Lugd.  Bat.  ed.  alt.  1897.  —  Homeri  carmina 
rec.  et  selecta  lectionis  varietate  instruzit  Arth.  Ludwich,  Lipe.,  davon  Odyssea  1889. 
—  Textausgaben  der  Bibl.  Teubn.  von  Dxndobf  mit  Sengebuschs  Hom.  Dissertationes 
1861;  der  Bibl.  Schenkeliana  von  Rzach  Dias,  von  Gauer  Odyssea.  —  Ausgaben,  welche 
die  homerische  Frage  berficksichtigen:  Iliadis  carm.  XVI  ed.  Eöchly,  lipsiae  1861;  Die 
homerische  Odyssee  von  Eircbhoff,  2.  ed.  Berlin  1879;  Iliadis  carmina  seiuncta  emendata 
ed.  Christ,  Lipsiae  1884;  Die  homerische  Odyssee,  Die  homerische  Dias,  in  der  ursprüng- 
lichen Sprachform  hergestellt  von  Ficx,  Göttingen  1883  u.  1886.  —  Schulausgaben  mit  er- 
klärenden Anmerkungen  von  Ameis-Hentzb  mit  gelehrtem,  unentbehrlichen  Anhang;  toh 
Fasi-Feancke;  von  La-Kochb;  von  Düivtzeb.  —  Einzelausgaben:  Erklärende  Anmerkungen 
zu  Homers  Odyssee  von  Nitzsch,  Hann.  1826,  3  vol. ;  Dias  1.  XX  et  XXI  ed.  Hoffkabk, 
Clausthal  1864;  Anmerkungen  zu  II.  ^  0  r  von  Näoelsbach,  neubearbeitet  von  Autbnsibth, 
Nürnberg  1864;  Pepfmüller,  Eommentar  des  XXIV.  Buches  der  Dias,  Berlin  1874;  Bs- 
NicKBN,  Der  12.  u.  13.  Gesang  vom  Zorn  des  Achilleus,  Innsbruck  1884. 

Hilfsmittel,  lexikalische:  Index Homericus  studio  Sbbbbi,  ed. Oxon.  1780  (verdiente 
eine  Neubearbeitung);  Index  Homericus  compos.  Auo.  Gbhbuvo,  Lips.  1891;  Lexicon  Homericam 
ed.  Ebelino,  Lips.  1885,  3  vol-,  Haupthilfsmittel;  Parallelhomer  von  C.  Ed.  Schmidt,  G5tt. 
1885.  —  Realien:  Friedbbich  (Mediziner),  Die  Realien  in  der  Iliade  und  Odyssee,  ErL 
1851;  Buchholz,  Die  homerischen  Realien,  Leipz.  1871—85,  3  Bde.;  Helbig,  Das  home- 
rische Epos  aus  den  Denkmälern  erläutert,  2.  Aufl.,  Leipzig  1887;  Reicbbl,  Ueber  home- 
rische Waffen,  Wien  1894.  —  Archäologisches:  Overbegk,  Gallerie  historischer  Bild- 
werke der  alten  Eunst,  Braunschw.  1853;  Brunn,  Troische  Miscellen  in  Sitzb.  d.  b.  Akad. 
1868  u.  1880;  Wörmann,  Die  antiken  Odysseelandschaften  vom  Esquilin,  Mflnchen  1876; 
R.  Enoblmann,  Bilderatlas  zum  Homer,  Leipz.  1889.  —  Yölkbr,  Hom.  Greographie,  Hann. 
1830  (bedarf  einer  Neubearbeitung);  Eofhiniotes,  'OfAfjQ^xtj  yetoyQatpia,  Athen  1884.  — 
Nagelsbach,  Homerische  Theologie,  3.  Aufl.  von  Autenbieth,  Nfimberg  1884.  —  Sprach- 
liches: Buttmann,  Lexilogus,  4.  Aufl.,  Berlin  1865,  2  Bde.;  Hoffmank,  Quaest.  Hom.,  Claus- 
thal 1842;  Enös,  De  digammo  homerico.  Ups.  1872;  Classen,  Beobachtungen  aber  homer. 
Sprachgebrauch,  Frankf.  1867;  Hartel,  Hom.  Studien,  aus  Sitzungsb.  d.  Wien.  Ak.  1871—4; 
Mbnbad,  De  contractionis  et  synizeseos  usu  Homerico,  München  1886.  —  Grammatiken: 
MoNBo,  Grammar  of  the  hom.  dialect,  Oxf.  1882,  2.  Aufl,  1890;  Leeuwen  u.  Mbndbs  da 
Costa,  Enchiridium  dictionis  epicae,  Leiden  1892;  Yoobinz,  Grammatik  des  homerischen 
Dialektes,  Paderborn  1889;  W.  Ribbeck,  Hom.  Formenlehre,  2.  Aufl.,  Berlin  1880;  Hartel, 
Abriss  der  Grammatik  des  homerischen  und  herodotischen  Dialekts,  Wien-Prag  1887. 

Litteratur  Aber  homerische  Biographien  oben  §  22,  über  homerische  Frage  §  23  u.  24, 
über  die  Lebenszeit  Homers  §  32,  über  Ortskimde  Homers  §  34. 


3.  Die  homerischen  Hymnen  und  Scherze. 

47.  Hymnen.  Unter  Homers  Namen  ist  ausser  Ilias  und  Odyssee 
eine  Sammlung  von  Hymnen  und  scherzhaften  Kleinigkeiten  (Ttmyria)  auf 
uns  gekommen.  Der  homerischen  Hymnen  sind  es  84,  darunter  5 
grössere.  Mit  ihrem  eigentlichen,  noch  von  Thukydides  HI  104  und  Pindar 
Nem.  II  2  gebrauchten  Namen  hiessen  sie  ngooi^ua^  so  genannt,  weil  sie 
bestimmt  waren,  dem  Vortrage  homerischer  Heldengesänge  {o^iim  Od. 
^  481,  X  347)  voranzugehen.^)  Es  schliesst  demnach  der  31.  Hymnus  auf 
Helios  mit  ix  aäo  d'aq^d^svoq  xkr^ata  fisgortcov  yhvoq  avdqm'^  und  mehrere 
andere  mit  amaq  iyco  xai  asTo  xai  aXXrjq  [x^^tjaoiii'  doiSrjg.  Es  stehen  nam- 


')  Ausser  den  daktylischen  Prooimien 
gab  es  auch  lyrische  und  kitharodische.  Vgl. 
Rhet.  anon.  bei  Spengel  I  427,  6  n^ooifua 


iXsyoy  ol  naXaiol  rd  rdSy  m&aQ^dwy.     YgL 
Find.  P.  I  4,  0.  VI  88,  Suidas  u.  nfto&eog. 


A.  Epos.    8.  Die  bomerisohen  Hymnen  und  Soherse. 


\  47-48.) 


71 


lieh  die  Hymnen  mit  den  Götterfesten  in  Verbindung  und  hängen  mit  der 
nachhomerischen  Sitte  zusammen,  die  Heldenlieder  nicht  mehr  in  den 
Männersälen  der  Eönigsburgen  vorzutragen,  sondern  in  den  öffentlichen 
Versammlungen  bei  den  Festen  der  Götter,  i)  an  welchen  selbstverständ- 
licher Weise  der  Gottheit,  welcher  das  Fest  galt,  auch  die  erste  Gesanges- 
spende dargebracht  wurde.')  So  waren  die  Hymnen  auf  Apollo  bestimmt 
in  Delos  und  Delphi,  der  auf  Demeter  an  den  Panathenäen  in  Athen,  der 
9.  bei  dem  Artemistempel  in  Klares  bei  Eolophon,  der  6.  und  10.  beim 
Aphroditefest  im  kyprischen  Salamis,  der  17.  und  33.  an  dem  Fest  der 
Dioskuren  in  Lakedämon  oder  Sikilien  vorgetragen  zu  werden,  s)  Wie  auf  solche 
Weise  die  Hymnen  an  sehr  verschiedenen  Orten,  wohin  nur  immer  Home- 
riden  den  homerischen  Gesang  trugen,  gesungen  wurden,  so  sind  sie  auch  in 
sehr  verschiedenen  Zeiten  entstanden.  Während  die  älteren  bis  in  das 
7.  Jahrhundert  hinaufreichen  und  an  die  alten  Götter  Apollo,  Zeus,  Hermes, 
Aphrodite  gerichtet  sind,  wenden  sich  andere  an  Halbgötter  wie  Herakles 
(15.),  Asklepios  (16.),  Dioskuren  (17.  und  33.)  und  stammen  aus  viel 
jüngerer  Zeit.  Der  19.  auf  Pan  ist  erst  nach  der  Schlacht  von  Marathon 
entstanden;^)  andere,  wie  insbesondere  der  auf  Ares  (8.),  weisen  in  den 
Kreis  der  jüngeren  Orphiker.^)  Im  allgemeinen  steht  die  daktylische  Hymnen- 
poesie in  Zusammenhang  mit  der  Vertiefung  des  religiösen  Geistes,  der 
mit  dem  Schluss  des  7.  Jahrhunderts  ganz  Griechenland  ergriff  und  in 
der  Verherrlichung  der  Götterfeste  zunächst  an  die  damals  allein  aus- 
gebildete Form  des  epischen  Gesanges  anknüpfte. 

48.  Der  älteste  und  schönste  der  Hymnen  ist  der  auf  den  delischen 
Apoll,  der  ehedem,  in  den  Handschriften  und  Ausgaben,  mit  dem  auf  den 
pythischen  Apoll  zu  einem  Hymnus  vereint  war.<^)  Aber  beide  Hymnen 
smd  für  verschiedene  Kultstätten  bestimmt  und  tragen  ganz  verschiedenen 
Charakter.   Der  zweite  stammt  aus  der  hesiodischen  Schule,  7)  der  Dichter 


*)  Auf  dem  Markte  wird  Bchon  bei 
Homer  die  jnnge  Emdichtnng  von  der  Liebe 
des  Ares  und  der  Aphrodite,  ^  266-866, 
Torgetragen.  An  die  Gottheit  wendet  sich 
aach  beim  Anbeben  des  Gesangs,  ähnlich  wie 
Homer  selbst  im  Anfang  der  Ilias  and  Odyssee, 
Demodokoe   der  Sfinger  in^Od.  »  499:    cüc 

dtH^y.  Ein  aytay,  ein  Preisbewerb  bei 
solchen  Yolksversammlnngen  ist  erwähnt 
Hymn.  6,  19. 

*)  Plut.  de  mns.  6:  t«  ydo  nQog  rovg 
d§ovs  dipoaitüCiifÄeyot  i^äßaiyoy  ev&vg  im  rtjy 
\)^f;^ov  xtel  ttoy  aXXtay  nolijaiy  '  SrjXoy  Sh 
rotto  iaxi  did  raSy  Te^Ttayd^v  ngooifiitoy, 
Vergleiche  auch  Find.  Ol.  3,  wo  von  der 
kurzen  Erwähnung  der  Tyndariden,  denen 
das  Fest  galt,  zum  Preise  des  Siegers  über- 
g^angen  ist. 

»}  Nach  Find.  iV  11  in.  "O&eyneQ^  xai 
'0/iil^idiu  fanxiüy  htitor  td  noXX*  dot&ol 
ii}TQyT4u  Jiog  i*  nQooitAiov  fingen  die  Rhap- 
soden in  der  Regel  mit  dem  F^eis  des  Zeus 
•n.  AufßÜligerweise  ist  uns  aber  in  unserer 


Sammlung  nur  ein  einziger  (n.  23)  und  dazu 
recht  kurzer  Hjmmus  auf  Zeus  erhalten. 

*)  Der  Hymnus  ist  nämlich  für  Attika 
bestimmt,  dort  aber  wurde  nach  der  Erzäh- 
lung des  Herodot  VI  105  erst  in  den  Perser- 
kriegen die  Einführung  des  Pankultus  ver- 
anlasst. 

^)  Baumbistbb  in  der  Ausgabe  schreibt 
geradezu  den  Vers  15,  8,  der  nach  dem  un- 
echten Vers  der  Od.  X  603  gedichtet  ist,  dem 
Onomakritos  zu;  aber  dazu  fehlen  bestimmte 
Zeugnisse. 

*)  Die  Scheidung  wurde  vorgenommen 
von  RuHMKiN  in  ep.  crit.;  Ath.  22^  iy  xolg 
eig  'AnoXXtova  vfxyoig  hatte  noch  in  seinem 
Exemplar  2  Hymnen.  Vergl.  Lehrs,  P<^. 
Aufs.«  428  flf. 

')  Auch  das  Haften  des  Digamma  weist 
auf  nichtionischen  Ursprung.  Als  hesiodisch 
wird  der  Hjmmus  citiert  schol.  Hom.  B  522. 
Anzeichen  des  hesiodischen  Stils,  der  euro- 
päischen Heimat  des  Dichters  und  der  Nach- 
ahmung des  älteren  delischen  Hvmnus  weist 
nach  Baumeister  in  Ausg.  115  f. 


72  Orieohisohe  LitteratargMohiohie.    I.  Klassische  Periode. 

des  ersten  bezeichnet  sich  selbst  (V  172)  als  blinden  Sftnger  von  Chics, 
der  Heimstätte  des  homerischen  Oesangs.  Den  verschiedenen  Eultorten 
entspricht  auch  der  verschiedene  Inhalt  der  beiden  Hymnen:  der  delische 
erzählt  die  Niederkunft  der  umherirrenden  Leto  und  die  Geburt  des 
Zwillingspaares  Apollo  und  Artemis  auf  der  Insel  Dolos;  der  pythische 
handelt  von  der  Gründung  des  Heiligtums  in  Delphi  durch  Apollo  nach 
Erlegung  des  Drachen  Pytho  und  von  der  Einsetzung  der  kretischen 
Fremdlinge  als  Tempeldiener  des  pythischen  Gottes.  Den  alten  Homer 
nahmen  ohne  Bedenken  Thukydides  IE  104  und  Aristophanes,  Vögel  575, 
als  Dichter  des  älteren  delischen  Hymnus  an.  Dagegen  ward  nach  dem 
Scholion  zu  Pindar  Nem.  U  1  bereits  von  einigen  Alexandrinern  der  Ho- 
meride Eynaithos,  welcher  die  homerische  Poesie  in  Syrakus  eingeführt 
hatte,  als  Verfasser  ausgegeben.^)  Diese  Meinung  gründete  sich  o£Fenbar 
auf  die  Verse  14 — 18,  in  denen  der  Artemis  in  Ortygia  gedacht  ist;  aber 
diese  sind  unecht,  wie  G.  Hermann  erkannt  hat,  und  der  Bhapsode  Ey- 
naithos kann  daher  nur  als  Interpolator,  nicht  als  Verfasser  des  Hymnus 
gelten.  >)  Auf  die  Abfassungszeit  des  pythischen  Hymnus,  der  offenbar 
dem  delischen  nachgebildet  ist,  scheinen  die  Schlussverse  362  bis  365, 
welche  eine  Veränderung  in  der  Stellung  der  alten  aus  Ereta  stammenden 
Tempelpriester  prophezeien,  eine  Vermutung  zu  gestatten.  Dieselben  be- 
ziehen sich  nämlich  auf  den  dominierenden  Einfluss,  den  damals  der  Bund 
der  Amphiktyonen  auf  die  Satzungen  des  delphischen  Apollofestes  ge- 
wonnen hatte,  und  weisen  demnach  auf  die  Zeit  unmittelbar  vor  Grün- 
dung der  Pythien  durch  die  Amphiktyonen  hin  (586).  —  Umfangreich 
und  alt  ist  auch  der  Hymnus  auf  Hermes,  in  dem  die  Geburt  und 
die  ergötzlichen  Schelmereien  des  Gottes,  die  Verfertigung  der  Schild- 
krotleier  und  der  Diebstahl  der  Rinder  Apolls,  hübsch  in  der  Art  der 
ionischen  Sänger  erzählt  sind;  in  dem  jüngeren  Schluss  507—580  einigen 
sich  dann  die  Brüder  Hermes  und  Apollon  über  die  Verteilung  ihrer 
Rechte.  Auch  dieser  Hymnus  wird  dem  Homer  von  einem  der  ältesten 
Grammatiker  Antigenes  von  Earystos,  Parad.  7,  beigelegt.  In  der 
That  aber  stammt  derselbe  aus  der  Zeit  nach  Terpander,  da  er  bereits 
V.  51  die  siebensaitige  Eithara  erwähnt.  —  Der  Dichter  des  Hynmus  auf 
Aphrodite  hing  ganz  von  Homer  ab,  aus  dem  er  eine  Masse  von  Versen, 
Halbversen  und  Wendungen  genommen  hat, ')  verstand  es  aber  im  übrigen 
gut,  das  Liebesabenteuer  der  Göttin  mit  Anchises  recht  anmutig  zu  erzählen. 
—  Der  grosse  Hymnus  auf  Demeter  ward  erst  im  vorigen  Jahrhundert 
aus  einer  Moskauer  Handschrift  ans  Licht  gezogen.  Derselbe  gibt  der 
Einführung  der  eleusinischen  Mysterien  die  poetische  Weihe:  er  schildert 

)  Für  die  Stellung  des   Aristarch  zur      Schluss  des  Hymnus  herleitet.    Sittl,  Phil. 


Frage  ist  beachtenswert,  worauf  mich  mein 
Freund  Römer  aufmerksam  machte,  dass  in 
den  Scholien  kein  einziger  Vers  der  soge- 
nannten homerischen  Hymnen  als  homerisch 
angefahrt  ist. 

•)  Ueber  Eynaithos  siehe   oben   §  37. 


Anz.  1887  S.  346  will  aus  Strabon  p.  23,  wo 
fOr  die  Erwähnung  von  Ortygia  als  ftitester 
Gewährsmann  Hesiod  angefoibirtist,  schliessen, 
dass  derselbe  unsere  Verse  14 — 18  noch 
nicht  kannte. 

')    Dieses   Yerhfiltnis    anschaulich    ge- 


FiOK,  Hom.  Odyssee  S.  280  widmet  dem  |  macht  in  der  Ausgabe  von  Stbbrbtt,  Boston 
Hymnus  eine  eingehende  Besprechung,  indem  i  1881.  Vgl.  Thiblb,  Proleg.  ad  hymn.  in 
er  die  fraglichen  Verse  aus  einem  doppelten  |  Venerem  Homericum,  Halle  1872. 


A.  Epos.    8.  IMe  homerisohen  Hyinxieii  niid  Scherse.    (§  48.)  73 

die  EntfahruDg  der  Persephone  durch  den  Unterweltsgott  Pluton  und  das 
lange  Suchen  der  Mutter  Demeter  nach  ihrer  Tochter,  bis  sie  sich  end- 
lich in  Eleusis  niederlässt  und  dort,  fQr  zwei  Drittel  des  Jahres  mit  ihrer 
Tochter  wiedervereint,  die  heiligen  Weihen  stiftet.  Der  Hymnus  ist,  wie 
Voss  in  seiner  trefflichen  Ausgabe  (1826)  auch  aus  sprachlichen  Anzeichen 
nachwies,  in  Attika  zu  Anfang  des  6.  Jahrhunderts  in  der  Zeit  des  Selon 
entstanden.^)  Leider  ist  das  Verständnis  des  Gedichtes  durch  zahlreiche 
Lücken  der  einzigen  Handschrift  arg  gestört.  Auch  ist  nicht  zu  ver= 
kennen,  dass  ein  älterer  Mythus  vom  Raube  der  Persephone  erst  nach- 
träglich mit  der  Eultsage  von  Eleusis  in  Verbindung  gebracht  wurde, 
aber  die  Mehrheit  der  Mythen  rechtfertigt  nicht  die  Annahme,  dass  der 
Hymnus  selbst  aus  Fetzen  mehrerer  älterer  Hymnen  zusammengeflickt  sei. 
—  Aus  Attika  stammt  wahrscheinlich  auch  der  7.  Hymnus  auf  Dionysos, ') 
in  dem  das  bekanntlich  auch  am  choragischen  Denkmal  des  Lysikrates 
dargestellte  Abenteuer  des  von  tyrsenischen  Seeräubern  gefangen  genom- 
menen Gottes  und  die  Verwandlung  der  Seeräuber  in  Delphine  hübsch  und 
anschaulich  erzählt  sind.^) 

Wann  und  von  wem  die  Sammlung  unserer  Hynmen  veranstaltet 
wurde,  wissen  wir  nicht.  Der  Redaktor  ging  offenbar  von  den  grossen 
Hymnen  aus  und  liess  denselben  die  kleineren  nachfolgen;  aber  auffallig 
ist,  dass  Hymnen  auf  dieselbe  Gottheit  auseinander  gerissen  sind,  ohne 
dass  immer  der  später  gestellte  kleiner  wäre  oder  jüngeren  Ursprung  ver- 
riete,*) ein  Umstand,  der  zur  Vermutung  führt,  dass  unsere  Sammlung 
erst  allmählich  durch  Vereinigung  mehrerer  älterer  Sammlungen  ent- 
standen ist. 

U  eberlief  er  nng:  im  Certamen  Hesiodi  ist  vom  Hymnus  auf  den  delisclien  Apoll 
Wzahlt,  dass  ihn  die  Delier  auf  einer  Tafel  im  Tempel  der  Artemis  aufbewahrten,  wie  die 
Rhodier  das  Siegealied  Pindars  auf  Diagoras.  Unsere  Ueberlieferung  geht  auf  zwei  Quellen 
zorack,  von  denen  die  eine  durch  den  Mosquensis  s.  XIY  repräsentiert  wird  (ein  Facsimile 
in  BGcHSLSBS  Ausgabe  des  Hvmn.  Cer.,  Lips.  1869),  die  andere  aus  einem  von  Aurispa 
1423  in  Konstantinopel  gefundenen  Codex  stammt,  von  dem  selbst  nur  Abschriften  von 
Abeehrifien  auf  uns  gekommen  sind;  über  diese  Hollandes,  Die  handschriftliche  Ueber- 
lieferung der  homerischen  Hymnen,  Progr.  Osnabr&ck  1886,  mit  Nachtrag  von  Ludwich, 
Jahrb.  f.  Phil.  145  (1892)  239  f.  —  Ausgaben:  Homeri  hymn.  et  epigr.  ed.  G.  Hermann, 
lipsL  1860;  Die  homer.  Hymn.  herausgeg.  von  Gemoll,  Leipz.  1886;  Homeri  hynm.  epigr. 
Bairachom.  ed  Abbl  in  Bibl.  Schenk.  1886.  —  Sonderausgabe  des  Demeterhymnus  von 
BücHXLKK,  Lips.  1869;  von  Puntoni,  Livomo  1896,  wo  der  Hymnus  in  verschiedene  Teile 
(3  Hymnen  und  Redaktorenerweiterungen)  zerstückelt  wird.  —   ErlAuterungsschriften: 


>)  Voss  pflichtet  bei  K.  Fbanke,  De 
hymni  in  Cererem  Homerici  compositione, 
&1  1881:  ut  passe  Carmen  compositum  esse 
post  Hesiodum,   Ua  non  posse  post  SoUmem. 

*)  Beziehungen  zu  Attika  und  zu  den 
religitoen  Brftuchen  und  Agonen  von  Brauron 
vennutete  schon  Wblckeb,  Ep.  Cycl.  I  391. 
Gegen  Ladwich,  der  den  Hymnus  in  die  Zeit 
der  Orphiker  herabrflcken  wollte,  wendet  sich 
Cbcsivs,  Philol.  N.  F.  II  193  ff.  Ein  Zeugnis 
ftber  den  alten  Ursprung  des  Hymnus  ent- 
bilt  nach  wahrscheinlicher  Ergänzung  Philo- 
demoB  nsQi  svaeßsia^  48 :  KJMwaoy  tf^  \  u.  11 
Oftriqoi  ir  totg  vfAvoif  vnoy  Xrjcx(o¥  dX<ii)yat>    \ 


j^g  Xrjaisiai. 

>)  Die  Erzählung  geben  auch  Ovid.  met. 
III 576  ff.  und  Nonnos  Dion.  XLV  105  ff.  Eine 
bildliche,  eng  an  unseren  Hymnus  sich  an- 
schliessende Darstellung  bei  Philostr.  Imag. 
I  19.  Auf  eine  altattische  Amphora  mit 
Dionysos  und  Satyrgefolg  in  einem  Zwei- 
ruderer macht  au&ierksam  Maass,  Ind.  Gryph. 
1889  p.  9. 

*)  Jfinger  sind  wohl  2.  3.  10  gegenüber 
1.  6.  18,  kaum  aber  28  u.  29  gegenüber  24 


l 


74 


Qrieohisohe  Liiteratargesohiohte.    I.  KlasBisohe  Periode. 


Eberhard,  Die  Sprache  der  hom.  Hymnen  verglichen  mit  derjenigen  der  Dias  und  Odyssee, 
Husum  Progr.  1873  und  1874;  Güttmank,  De  hymin.  Homer,  historia  critica,  Greifsw. 
Dies.  1869. 

49.  Homerische  Epigramme.  In  der  fälschlich  den  Namen  des 
Herodot  tragenden  Vita  des  Homer  sind  uns  noch  ein  paar  poetische 
Kleinigkeiten  überliefert,  die  hinter  den  Hymnen  als  'Eniyqd^fuxra  ^Oiir^^ov 
den  älteren  Ausgaben  der  Odyssee  angehängt  sind ;  darunter  ein  Abschieds^ 
gedieht  an  die  undankbare  Vaterstadt  Smyrna,  eine  Bitte  an  die  Eymäer 
um  freundliche  Aufnahme,  ein  Gebet  an  Poseidon  um  günstige  Fahrt  von 
Ghios  zum  Fusse  des  Waldgebirges  Mimas,  eine  Anrede  an  die  reiche 
Stadt  der  Erythräer,  ein  Epigramm  fUr  die  eherne  Jungfrau  auf  dem 
Grabe  des  phrygischen  Königs  Midas  (gest.  Ol.  21),  ein  anmutiges  Bettler- 
lied {€lQ€ai(6Yr)^)  für  samische  Singknaben,  welche  am  Feste  des  Apoll 
von  Haus  zu  Haus  zogen,  um  Gaben  einzusammeln,  ein  scherzhaftes  Bitt- 
gedicht  für  das  Geraten  des  Töpferbrandes,  das  bekannte  Rätsel  oaa' 
i'Xofifv  kinofieay,  oaa  d'ovx  i'^ofxev  (fSQopLBad^a^  welches  heimkehrende  Fischer, 
die  keine  Fische  gefangen,  aber  von  Läusen  sich  bestmöglich  gereinigt 
hatten,  dem  Homer  aufgaben.  Dass  von  diesen  Spielereien,  die  nur  zum  Teil 
gute  volkstümliche  Poesie,  meistens  aber  elendes  Machwerk  sind,  >)  nicht« 
auf  Homer  zurückgeht,  ist  selbstverständlich.  Beachtenswert  ist,  dass  das 
Epigramm  auf  Midas,  welches  die  Homerbiographen  dem  Homer  beilegen, 
bei  Piaton  noch  anonym  geht.^) 

60.  Margit  es.  Auch  Spottgedichte  wurden  dem  Homer  beigelegt. 
Das  berühmteste  und  älteste  war  der  Margites,  so  benannt  nach  dem 
Helden  des  Stückes,  einem  linkischen  Tölpel,  der  trefflich  durch  den  Vers 
gezeichnet  wird  noXX'  rjmaTaTo  iQyccy  xaxtag  d'rjmaxaTo  jiavra.  Das  Ge- 
dicht spielte  nach  dem  erhaltenen  Eingang  in  Kolophon  und  gab  Anlass, 
den  Homer  selbst  zu  einem  Kolophonier  zu  machen.  Denn  dem  Homer 
schrieb  dasselbe  schon  Archilochos  *)  zu,  und  an  dieser  Überlieferung 
hielten  ohne  Bedenken  Piaton  und  Aristoteles  fest;  der  letztere  stellt 
dasselbe  sogar  neben  Ilias  und  Odyssee,  indem  er  von  ihm  die  Komödie, 
wie  von  jenen  die  Tragödie  ableitet.*)  Erst  später  kamen  Zweifel;  man 
half  sich  aber  mit  Ausflüchten,  indem  man  den  Margites,  wie  die  Odyssee, 
von  Homer  im  gereiften  Alter  gedichtet  sein  liess.«)  Nur  der  Gewährs- 
mann des  Suidas  macht  den  Karer  Pigres  aus  Halikarnass,  den  Bruder 
der  Artemisia,  zum  Verfasser.  Das  ist  aber  wahrscheinlich  so  zu  deuten, 
dass  Pigres  nur  die  iambischen  Epoden  einlegte,  wie  er  sich  in  ähnlicher 


*)  Benannt  von  dem  mit  Wolle  um- 
wundenen Oelzweig,  den  die  untrer  den  Schutz 
des  Gottes  sich  stellenden  Knaben  trugen. 
Peppmüller,  Drei  bei  Umgängen  in  Griechen- 
land gesungene  Bittlieder,  Jahrb.  f.  kl.  Phil. 
1894  S.  15  ff. 

')  Das  meiste  ist  von  dem  Fälscher,  der 
in  der  Vita  die  Maske  des  Herodot  annahm, 
selbst  gedichtet.  Sonderbarerweise  will  Berok, 
Gr.  Litt.  I  77  auch  in  diesen  Knittelversen 
Reste  echter  Poesie  finden. 

■)  Plato  Phaedr.  p.  264 d:  intyQu/nfAutos, 


Diog.  I  89  f&hrt  Verse  des  Simonides  dafür 
an,  dass  das  Epigramm  nicht  von  Homer, 
sondern  von  Kleobnlos  ans  Lindos  herrOhre. 

^)  Nach  Enstratios  zu  Arist.  Eth.  Nie. 
VI  7. 

«)  Plato  Hipp.  II  147  c.^  Arist  Poet.  4: 
o  yttQ  MaQyirrjg  dydXoyoy  l/«t  äane^  *lXid^ 
xai  17  'Odvaaeia  nQog  Ttts  TQayt^ifLag,  ovrm  xal 
ovxog  TfQog  rag  xü)f4(f>diag.  FOr  die  Eoxnddie 
passten  allerdings  viele  Stellen  des  Gedichtes, 
wie  wenn  Margites  heiraten  soU  and  nicht 
weiss,   wie  er  es  anfangen  soll. 

•)  Dio  Chrys.  or.  53  p.  275  B, 


A.  Spo8.    8.  Die  homeriBohen  Hymnen  nnd  Soherse. 


1  49—51.) 


75 


Weise   den  Spass   machte,  den  Homer  durch  eingelegte  Pentameter  zu 
interpolieren.^)    So  lautete  bei  ihm  der  Eingang  der  Ilias: 
Mip'iv  asiöe  x^sd  IlrjXrjidisa}  ^Axti-^jog 

Movaa  •  ai  ydq  ndarjg  nsiqav  ^x^ig  (Xog>hjg' 
und  der  des  Margites: 

HXd-ä  %ig  ig  KoXoifciva  ysqwv  xai  ■d'sXog  äoidog, 
Movüdwv  ^iqdnoav  xai  ixTjßoXov  ^ÄnoXXfüvog^ 
(piXrjg  M%(üV  iv  xeqaiv  €Vif&oyyov  XvQtjv. 
Ein  anderes  durch   die  Metopen  von  Selinunt  berühmt  gewordenes 
Gedicht  waren  die  KäQxwneg^  worin  die  Schelmereien  der  bübischen  Brüder 
und  ihre  Bezwingung  durch  Herakles  im  Anschluss  an   das  dem  Homer 
zugeschriebene  Epos  OlxaXiag  äXaoatg  erzählt  waren.  ^) 

51.  Batrachomyomachia.  Erhalten  hat  sich  das  scherzhafte  Ge- 
dicht BccTQaxofivofiaxtct  (v.  1.  BazQaxofiaxia) »)  Froschmäuslerkrieg,  wie  wir 
im  Deutschen  nach  der  Übersetzung  von  Stolberg  sagen.^)  Es  ist  eine 
Parodie,  angelehnt  an  die  Tierfabel,  ^)  mit  harmlosem  Scherz  ohne  bissige 
Seitenhiebe,  wenn  auch  ohne  jenes  gemütvolle  Verständnis  des  Tierlebens, 
das  uns  in  unserem  Reinecke  Fuchs  entzückt.  Die  Maus  Psicharpax  wird 
von  dem  Froschkönig  Physignathos,  dem  Sohne  des  Peleus,  eingeladen, 
sich  von  ihm  auf  dem  Kücken  zu  seinem  gastlichen  Hause  tragen  zu 
lassen.  Anfangs  geht  die  Fahrt  ganz  gut  von  statten;  da  lässt  sich 
plötzlich  eine  Wasserschlange  blicken;  darob  grosser  Schrecken  bei  den 
beiden;  der  Frosch  taucht  unter,  die  Maus  ertrinkt.  Infolge  dessen 
grimmer  Krieg  zwischen  den  Mäusen  und  Fröschen,  dem  schliesslich  der 
Eronide  Zeus  ein  Ende  macht,  indem  er  mit  dem  Blitzstrahl  dreinfahrend 
die  Streitenden  von  einander  trennt,  und  als  auch  dieses  noch  nicht  fruchten 
will,  das  Heer  der  Krebse  mit  ihren  Scheren  über  die  Mäuse  schickt. 
Ergötzlich  sind  die  Namen  gebildet,  der  Lecker,  der  Brotnager,  der  Käse- 
fresser, der  Lochschlüpfer  unter  den  Mäusen,  der  Lautschreier,  der  Wasser- 
freund, der  Kotwater  unter  den  Fröschen.  In  witziger  Parodie  ist  auch 
die  Rüstung  der  beiden  Heere  geschildert,  und  wenn  gleich  die  Kämpfe 
nach  Art  der  KoXog  fJtdxrj  der  Ilias  rasch  und  ohne  viele  Episoden  ver- 
laufen, so  begreift  man  doch,  dass  das  Gedicht  viele  Leser  und  im  Alter- 
tum wie  im  Mittelalter  viele  Nachahmer  fand.  Vom  alten  Homer  rührt 
aber  diese  Parodie  sicher  nicht  her,^)  wahrscheinlich  ist  sie  das  Werk 


>)  Weuckxr  kl  Sehr.  lY  27  ff.;  Hillbb 
Jahib.  f.  Phü.  135  (1887)  13  ff.  verwirft  den 
Zottis  der  iambischen  Trimeter  durch  Pigres 
ond  bezweifelt  fiberhanpt  die  Echtheit  des 
ProGminiiis.  Von  anderen  metrischen  Inter- 
polationen des  Homer  dnrch  Idaios  und 
Timolaoe  berichtet  Suidas. 

>)  Vgl.  LoBBOK,  Aglaoph.  1296  ff.  Ausser- 
dem  nennen  Suidas,  Proklos  und  die  Vita 
des  Fb.  Herodot  noch  die  Scherze  'Enxenax- 
ww  (fort.  *Bnaxiioy),  *Aqaxyo(A«x^^i  Fegayo- 
t^Z^t  ^ugoftaxia,  KegafAis,  von  denen  die 
Xtgafuf  mit  dem  schon  erwähnten  Töpfer- 
lied identiflch  zu  sein  scheint. 

*)  Ueber  die  Variante  der  Aufschrift  s. 


LuDwioH  in  Ausg.  p.  11;  derselbe  entscheidet 
sich  fOr  Bajgaxofiaxia, 

^)  Schon  BoUhagen  (gest.  1609)  ge- 
braucht in  seiner  Nachdichtung  den  Namen 
,  Froschmäuseier  * . 

B)  Ein  ähnliches  Motiv  wie  unser  Frosch- 
mäuslerkrieg enthält  die  äsopische  Fabel 
n.  298  Halm  -  Babrius  195;  doch  ist  wohl 
diese  Fabel  erst  xmserem  Tierepos  nachge- 
bildet, nicht  umgekehrt  das  Tierepos  aus  der 
Fabel  herausgewachsen,  üeber  das  ver- 
wandte Gedicht  KatofAvo/naxia  des  Ptodromos 
s.  Ebümbaohbb,  Byz.  Litt.^  p.  51. 

')  Auf  dem  bekannten  Marmorrelief 
«Apotheose  Homers"   sollen  der  Frosch  und 


76 


Qrieohisohe  Liiteratnrgeaohiohie.    I.  Klassisehe  Periode. 


des  Pigres  aus  Halikarnass,  eines  angeblichen  Bruders  der  karischen 
Königin  Artemisia,  dem  sie  Suidas  und  Plutarch  De  Herodoti  malign.  43 
zuschreiben,  und  auf  den,  wie  wir  oben  §  50  sahen,  auch  andere  Spiele- 
reien der  Art  zurückgeführt  wurden.  Aut  die  Zeit  der  Perserkriege  passt 
auch  gut  die  Bezugnahme  auf  den  Schriftgebrauch  (iv  dälTotg  V.  3)  und 
die  Erwähnung  des  Hahns  (Y.  193),  der  erst  zur  Zeit  des  Theognis  von 
Persien  nach  Griechenland  kam.^)  Aus  sprachlichen  und  metrischen 
Gründen  indes  erklärt  sich  Herwerden  Mnem.  X  163  gegen  die  Annahme 
eines  so  hohen  Alters  und  nimmt  lieber  zu  einem  anonymen  Dichter  aus  der 
Zeit  Alexanders  seine  Zuflucht.  Crusius  Philol.  54  (1886)  734  hält  den 
Namen  Pigres  für  eine  Erfindung  des  Aufschneiders  Ptolemaios  Ghennos. 

Codices  sehr  zahlreiche,  darunter  stark  interpolierte;  ein  Stemma  versacht  aufco- 
stellen  Ludwich  in  seiner  Ausg. ;  die  ältesten  sind  Baroccianus  n.  50  in  Oxford  s.  X/XI  und 
Laurentianus  32,  3  s.  XI.  —  Scholien,  wertlose  aus  dem  Mittelalter  von  Moschopolos.  — 
Ausgaben:  ed.  princ.  besorgt  von  dem  E[reter  Laonikos  Ven.  1486;  mit  Hymnen  von 
Ilobn,  Dedikation  an  Goethe;  kritische  Ausg.  von  Baumeister,  Gott  1852;  Hanptaus- 
gäbe  von  Lud  wich,  Die  homerische  Batrachomyomachia  des  Earers  Pigres  nebst  Scholien 
und  Paraphrase,  Leipz.  1896.  Das  Gedicht  auch  aufgenommen  von  Brandt  in  Corpusculum 
poesis  epicae  graecae  ludibundae,  Bibl.  Teubn. 


4.   Der  epische  Kyklos. 

52.  Die  Werke  des  sogenannten  epischen  Eyklos  wurden  in  alter 
Zeit  dem  Homer  als  dem  Repräsentanten  des  alten  Heldengesangs  zu- 
geschrieben;  *)  später,  seit  der  Zeit  der  Perserkriege,  setzte  sie  eine 
bessere  Einsicht  geradezu  in  Gegensatz  zu  den  Schöpfungen  Homers  und 
nannte  als  Verfasser  der  einzelnen  Gedichte  andere,  freilich  vielfach 
zweifelhafte  Namen.  Ilias  und  Odyssee  waren  eben  die  beiden  mächtigsten 
Äste  an  dem  kräftigen  Baum  der  epischen  Poesie,  der  daneben  -noch  viele 
kleinere  Zweige  trieb,  die  alle  als  Schösslinge  desselben  Stammes  an- 
gesehen wurden.  Der  Name  Smxog  xvxXog  für  diese  Sammlung  alter 
epischer  Gedichte  lässt  sich    erst  aus  der  Zeit  nach  Christi  Geburt  aach- 


die  Maus  am  Fussschemel  des  Dichters  die 
Autorschaft  Homers  andeuten;  s.  Ludwich 
in  Ausg.  S.  15. 

M  Hbhit,  Kulturpflanzen  und  Haustiere 
S.  282  ff. 

2)  Ppo^i  ehrest.  233  W.:  ol  fAe'yjoi  f 
a^/flrrot  xai  xdy  xvxXoy  ayarpegovaty  sig 
"O/LtfjQoy,  ehenso'Philoponos  ad  Arist.  an.  post. 

I  12,  soph.  el.  10  und  ähnlich  Suidas  unt. 
"OfjLfjQog  und  Ps.  Herodot  vit.  Hom.  9.  Spe- 
ziell erzählte  Pindar  nach  Aelian  V.  H.  IX  15, 
dass  Homer  die  Kypria  seiner  Tochter  als 
Mitgift  gegeben  habe  (die  Stelle  Isth.  III  55 
braucht  nicht  notwendig  auf  die  Aithiopis 
oder  kleine  Ilias  bezogen  zu  werden).  Ausser- 
dem legte  Eallinos  nach  Paus.  IX  9,  5  dem 
Homer  die  Thebais  bei,  und  bezeugt  Herodot 

II  117  u.  IV  32  (vgl.  V  67),  dass  einige  fttr 
die  Kypria  und  Epigonoi  Homer  als  Ver- 
fasser ausgaben.  Auch  Simonides  fr.  53  be- 
schränkt den  Namen  Homer  nicht  auf  Ilias 
und  Odyssee,   und  Aischylos  mnss  in  dem 


bekannten  Ausspruch,  dass  seine  Dramen 
T€f4((Xfj  6siny(ay  'Of^iJQov  seien,  den  Homer 
als  Dichter  des  ganzen  Kyklos  angesehen 
haben.  In  Ps.  Demosth.  epitaph.  29  wird 
Homer  als  Dichter  der  Kyprien  und  der 
kleinen  Ilias  gedacht,  und  von  Antigonoe 
Caryst.  Parad.  25  wird  ein  Vers  des  Homer 
citiert,  der  nicht  in  Dias  und  Odyssee  steht. 
R.  VoLKMANK,  lieber  Homer  als  Dichter  des 
epischen  Kyklos  (Jauer  1884)  und  Hxi.lsb, 
Homer  als  Kollektivname  (Rh.  M.  42,  321 
bis  361)  leugnen,  ohne  zu  überzeugen,  daas 
Homer  ehedem  allgemein  als  Dichter  des 
epischen  Kyklos  gegolten  habe.  Dagegen 
Kjbllbero,  De  cyclo  epico,  Upsala  1890.  Im 
übrigen  ist  das  Verhältnis  ähnlich  wie  bei 
den  orphischen  Gedichten,  die  von  dem  Volk 
alle  dem  Orpheus  beigelegt,  von  den  Ein- 
sichtsvolleren auf  bestimmte  Persünlichkeiten 
zurückgeführt  wurden.  Auch  das  Corpus 
der  Schriften  des  Hippokrates  bietet  * 
logien. 


A.  Spos.    4.  Der  episohe  Kyklos.    (§  52.) 


77 


weisen.^)  Zwar  gebrauchte  schon  Kallimachos  den  Ausdruck  xvxh- 
xor  Ttotr^fAu,  aber  noch  nicht  in  einem  Sinne,  der  die  Vereinigung  der  epi- 
schen Oedichte  zu  einem  Corpus  notwendig  voraussetzte.')  Denn  wenn 
derselbe  sich  unter  einem  xvxhxov  noitjfia  ein  triviales  Gedicht  vorstellte, 
und  wenn  danach  Horaz  a.  p.  136  nee  sie  incipies  ut  scriptor  cyclicus  olim 
mit  dem  Namen  cyclicus  scriptor  den  Nebenbegriflf  des  Geringschätzigen 
verbindet,  so  kann  er  dabei  von  der  gewöhnlichen  Bedeutung  des  Wortes 
iyxvxltog  .dem  allgemeinen  Kreis  der  Bildung  angehörig''  ausgegangen 
sein.«)  Im  Sinne  einer  umfassenden  Sammlung  begegnet  uns  das  Wort 
xvxlog  sicher  erst  bei  den  jüngeren  alexandrinischen  Gelehrten,  aber  auch 
diese  dachten  dabei  zunächst  nicht  an  eine  Sammlung  von  Gedichten, 
sondern  von  Mythen,  Der  berühmteste  von  den  Verfassern  solcher  mytho- 
logischer Sammlungen  war  der  vom  xvxkog  beigenannte  Eyklograph  Dio- 
nysios,  welcher  um  100  v.  Chr.  einen  xvxlog  tatoqixoq  in  7.  B.  herstellte, 
der  die  Mythen  oder  alten  Geschichten  in  geordneter  Folge  umfasste  und 
in  welchem  bei  jedem  einzelnen  Mythus  auf  die  Stellen  und  Verse  der 
alten  Dichter  und  Mythologen  verwiesen  war.*)  In  diesem  Mythenkyklos 
hatten  auch,  wie  im  epischen  Eyklos  des  Proklos,  die  Erzählungen  des 
Bomer  ihre  Stelle,  wie  denn  Athen,  p.  481  e  aus  dem  6.  Buch  desselben 
das  Kyklopenabenteuer  anführt.*^)  Aber  auch  jüngere,  von  den  älteren 
ionischen  Epikern  nicht  behandelte  Mythen,  wie  von  den  Argonauten,  von 
Herakles,  von  Dionysos,  hatten  in  demselben  Aufnahme  gefunden.  Der- 
artige Eykloi  gab  es  gewiss  mehrere ;  der  des  Dionysios  war  nur  der  ge- 
lehrteste und  umfangreichste.     Ein  anderer  war  der  des  Lysimachos,^) 


')  Philoetr.  ep.  73:  6  twy  knonoidiv  xv- 
tkoq,  und  Proklos  a.  0. 

*)  Kallimikchos  in  Anth.  XII  43: 
ix^ui^  rö  noLtifjut  x6  xvxAixoV  ovSk  xbX$v9(^ 

X«iQ^,  *j  TioXXov^  wde  xal  at^e  ip^Q€^, 
Vgl.  Merxbl,    Apoll.  Argon,  prol.  1.  1  c.  2. 
Aelndich  ist  von   der  Schule  des  Aristarch 
xvtXtxmg  , trivial*    in  den  Scholien  zu  11.  Z 
825,   I  222,    Od.  <f  248,    i?  115    gebraucht. 
Direkt  an  den  Vers  des  Kallimachos  schliesst 
neb  an  Pollianos  (aus  Hadrians  Zeit)  in  Anth. 
XI130: 
TöTf  xvxXiovs  toviovg  rovs  avtaQ  inena 
Xeyoyjag 

fucm  Xtanodvt€ig  äXXoTQttoy  in^toy. 
Aefanlich  sagt  Statius  Süy.  II  7,  51:    trita 
vatüms  orbita  sequantur, 

*)  Arist  £th.  Nie.  I  3:  Ixayas  ydq  xal 
iw  ToTp  iyxvxXioif  ei^xat  negi  rovTtoy,  wo- 
Büt  Aristoteles  auf  die  populäre  Darstellung 
d^  Sache  in  seinen  Dialogen  hinweist.  Arist 
ie  eaelo  I  9  p.  279a  30;  xa^ansQ  iv  toig 
iyxvxXioif  ^iXoaoipij/jiaat  negl  ni  d^eia  tioX'- 
inxt^  n^fHpuivetui,  wozu  Simplicius:  iyxvxXi« 
Ü  xnUi  tptXocoifrjfÄitta  xa  xaxd  tijy  xäiiy 
^  «Viri^  ^^^  ^oJiXoig  TtQoxiSefzeya,  äncQ  xai 
ümii^xd  xttXety  etto^ey.  Hftngt  wirklich 
mit  dieser  Bedeutung  von  iyxvxXia  der  Name 
iniMoi  xvxXos  oder  xvxXog  [cxoQixog  zusammen, 
aowiren  die  bekannten  MyÜien  der  Alteren 


Dichter  den  ausgesuchteren  der  alexandri- 
nischen Elegiker  entgegengestellt.  —  Verkehrt 
ist  die  Deutung  in  den  Scholien  zu  Clem. 
Alex,  protr.  II  30:  xvxXixol  ^^  xaXoijyxai 
noiTjxai  ol  xä  xvxXf^  x^g  ^iXuidog  ij  xd  n^tata 
rj  xd  fÄSxayeyecxega  i^  avuoy  ttoy  'OfÄtjQixtoy 
üvyygdtpayxeg.  Durch  den  Inhalt  der  Ge- 
dichte ist  allerdings  diese  Definition  be- 
gründet, wie  Bethb  Herm.  26  (1891)  628  ff. 
betont. 

*)  Diodor  III  66:  Jioyvaito  x(o  cvyxa- 
^audy<^  xdg  naXaidg  fjtv^onouag'  ovxog  ydq 
xa  xe  7i€Qi  xoy  Jioyvaoy  xal  X€tg  'JfjLul^ovag, 
frt  &e  xovg  'AQyoyavxag  xal  xd  xaxd  xoy 
*lXiax6y  noXefdoy  nga/S^yta  xal  noXX*  eiega 
avyxiraxxai,  naQaxidBig  xd  nottjfiaxa  xujy 
aQX^^^^  ^^^  ^^  fjiv&oXoytoy  xal  xtjy  noitj- 
xißy.  Vgl.  Ed.  Schwabtz,  De  Dionysio  Scy- 
tobrachione,  Bonn  1880. 

^)  Ausdrücklich  ist  eine  kyklische  Aus- 
gabe des  Homer  erwfihnt  in  Schol.  zu  Od. 
71  195  u.  ^  25.  Spuren  derselben  im  Schlüsse 
der  Ilias  wies  0.  Möller,  Gr.  Litt.  I*  106 
nach;  ebenso  sollte,  wie  Hbitz  S.  113  An.  2 
gut  bemerkt,  das  aus  Aristoxenos  im  Anecd. 
rom.  erwähnte,  von  unserem  Text  abweichende 
Proömium  die  Ilias  mit  den  Kyprien  ver- 
knüpfen. 

^)  Lysimachos  aus  Alexandria  lebte  unter 
Augustus;  s.  G.  Möllbb  FHG.  III  334  ff. 


78 


GrieohiMhe  LitUratiirgescliiehie.    t,  KUuMisehe  Periode. 


ein  dritter  der  des  Theodoros,  welch  letzterer  den  Bildern  der  bei  Bo- 
villae  aufgefundenen,  nachher  ins  kapitolinische  Museum  verbrachten  Tabula 
Uiaca  zu  Grunde  lag.^)  Aus  dem  früheren  Vorkommen  des  xvxlog  taro^xo^ 
möchte  man  schliessen,  dass  nach  ihm  erst  die  Sammlung  epischer  Gedichte, 
welche  den  Stoff  zu  jener  Mythengeschichte  lieferten,  den  Namen  imxog 
xvxXog  erhalten  habe.  Aber  das  ist  bei  dem  trümmerhaften  Zustand  der 
uns  erhaltenen  Litteratur  keineswegs  sicher.  Es  lässt  sich  auch  recht  wohl 
denken,  dass  schon  früher  in  Alexandria  durch  Zenodot,  den  Ordner  des 
epischen  Teiles  der  alexandrinischen  Bibliothek,  und  vielleicht  sogar  schon 
noch  früher  in  Athen  zur  Zeit  der  Tragiker  die  alten,  durch  die  homeri- 
schen Rhapsoden  überkommenen  Gedichte  unter  dem  Namen  xvxlog  inwv 
zu  einer  Einheit  zusammengefasst  worden  waren. 

58.  Die  Gedichte  des  epischen  Kyklos  sind  bis  auf  wenige  Bruch- 
stücke verloren  gegangen;  aber  über  ihren  Inhalt  sind  wir  noch  ziemlich 
gut  unterrichtet  durch  die  erhaltenen  Exzerpte  aus  der  grammatischen 
Chrestomathie  des  Proklos,  ^)  die  uns  der  Patriarch  Photios  Bibl.  cod.  239 
erhalten  hat.     Im   Eingang  bemerkt  derselbe:    „der  sogenannte  epische 
Kyklos  beginnt  mit  der  Heirat  des  üranos  und  der  Ge,  aus  der  die  Dichter 
ihm  die  drei  Hunderthänder  und  die  drei  Kyklopen   geboren  sein  lassen; 
alsdann  geht  er  alles  durch,  was  sonst  Fabelhaftes  die  Hellenen  von  ihren 
Göttern  erzählen  und  was  in  alter  Zeit  sich  ereignet  hat,  bis  zur  Landung 
des  Odysseus  in  Ithaka."     Es  ging  danach  in   dein   epischen  Kyklos  eine 
Göttergeschichte  voraus   und    folgten  dann    die  nach  alter  Tradition  dem 
Homer  zugeschriebenen  Epen  der  Heroensage,  vornehmlich  die  des  troja- 
nischen Sagenkreises.     Von  den  letzteren  sind  Inhaltsangaben  auch  durch 
Iliasscholien *)  auf  uns  gekommen;  illustriert  und  bereichert  werden  die- 
selben ausserdem  durch  bildliche  Darstellungen  insbesondere  auf  der  Tab. 
niaca  und  Borgiana,   sowie  durch    die  Mythen  der  Lyriker  und  Tragiker, 
denen  die  Gedichte  des  epischen  Kyklos  eine  sehr  erwünschte  und  eifrig 
ausgenutzte  Fundgrube  waren.   Leider  können  wir  aber  trotzdem  kein  ganz 
verlässiges  Bild  von  dem  Inhalt  jener  Gedichte  gewinnen,  da  es  unserem  haupt- 
sächlichsten Gewährsmann  Proklos  mehr  darum  zu  thun  war,  seine  Leser 
in   die  Mythenwelt  der  Griechen  im   allgemeinen   einzuführen,   als  ihnen 
ein  genaues  Exzerpt  jener  Gedichte  zu  liefern.     Daher  folgte  er  der  ge- 
wöhnlichen Form  des  Mythus  auch  da,  wo  das  exzerpierte  Gedicht,    wie 
wir   aus   anderen  Quellen   wissen,   eine  bedeutsame  Variante  hatte.      So 
lässt  er  im  Excerpt  der  Kyprien  den  Paris  mit  der  geraubten  Helena  auf 
der  Heimfahrt   nach  Sidon   kommen,    während   wir   aus   Herodot   H   117 
erfahren,  dass  der  Dichter  der  Kyprien  im  Gegensatz  zu  Homer  den  Paris 
von  Sparta   in    drei   Tagen   bei   günstigem    Fahrwind    direkt   nach    Hios 


')  Die  Tafel  trägt  die  Inschrift  ä  tpiXe 
not  Seod^iogrjoy  fiaSe  idiiy  'OfAfJQOv,  o(fga 
daeig  ndatji  fxexQoy  ?/pf  ao<piag. 

*)  Wblckbb,  Ep.  Cycl.  I  3  fF.  unter- 
scheidet entgegen  der  Ueberlieferung  der 
Alten  diesen  Grammatiker  Proklos  von  dem 
Neuplatoniker  Proklos  und  weist  ihn  dem 
2.  Jahrh.  n.  Chr.  zu.  In  der  That  weicht  die 
präcise  Sprache  unserer  Chrestomathie  stark 


von   der  breiten,  verwaschenen  Diktion   des 
Philosophen  ab. 

>)  Im  Yen.  454  (A);  die  Inhaltsangabe 
der  Kyprien  fehlt  in  demselben  (s.  Wissowa, 
Herm.  19,  198  fT.)  und  ist  uns  in  einem 
Codex  des  Eskurial  erhalten,  in  den  sie  mr 
Zeit,  als  das  fehlende  Blatt  in  A  noch  -vor- 
handen war,  gekommen  ist. 


▲.  fipos.    4.  Der  epische  Syklos. 


53-54.) 


79 


kommen  liess.  Ebenso  scheint  er  in  der  Erzählung  vom  Streite  de:  Dios- 
kuren  Kastor  und  Pollux  mit  den  Apharatiden  Lynkeus  und  Idas  der 
jüngeren,  durch  Pindar  aufgebrachten  Sage,  nicht  der  des  alten  Epos  ge- 
folgt zu  sein.^)  Doch  gehen  wohl  die  neueren  Kritiker  zu  weit  mit  der  An- 
nahme, dass  Proklos  jene  alten  Gedichte  gar  nicht  mehr  im  Original  ge- 
lesen, sondern  sich  nur  mit  schlechten  Exzerpten  beholfen  habe.') 

Die  einzelnen  Gedichte  des  epischen  Kyklos  waren  folgende:  &€oyo- 
tia,*)  Ti%avofia%(a^  Olömodsia^  Otjßatg,  ^Ernyoroi,  KvnQia,  ["Ihdg^,  Aiv^ionig, 
Tlidg  fn^xQÜy  'iXiov  ntQiXig,  Ncatoi^  ['OSvaaeia]^  Tr^Xeyovsia.  Wir  besprechen 
von  ihnen  zuerst  die  auf  den  troischen  Sagenkreis  bezüglichen,  da  sich 
diese  am  meisten  an  Dias  und  Odyssee  anschliessen  und  auch  der  Zeit 
nach  jenen  Dichtungen  am  nächsten  stehen.  Auch  ihnen  war  so  gut  wie 
der  nias  die  Ausbildung  des  Sage  durch  Einzellieder  vorausgegangen,  da 
bereits  die  Dias  Achills  Fall  {X  359),  die  Fahrt  des  Paris  (Z  290),  die 
Versammlung  der  Schiffe  in  Aulis  {B  303)  u.  a.  an  Stellen  erwähnt,  welche 
den  Verdacht  nachträglicher  Interpolation  ausschliessen. 

54.  Die  KvnQia  (sc.  irirj)  in  11  B.  umfassten  die  der  Ilias  voraus- 
gehenden Ereignisse.  Sie  begannen  unter  offenbarer  Anspielung  auf  das 
Proomium  der  Ilias  ^)  mit  dem  Entschlüsse  des  Zeus,  die  übervölkerte  Erde 
dorch  Erregung  des  ilischen  Krieges  zu  erleichtem.  Sie  erzählten  dann 
das  Parisurteil,  den  Baub  der  Helena,  die  Versammlung  der  Heerführer 
in  Aulis,  den  ersten  irrtümlichen  Feldzug  nach  Teuthrania,  dem  Reiche 
des  Telephos,^)  die  Zerstreuung  der  absegelnden  Schiffe  durch  einen  Sturm. 
Hiemit  endete  der  erste,  6  Gesänge  umfassende  Teil  des  Gedichtes,  ^)  der 
ehedem  ein  Ganzes  für  sich  gebildet  zu  haben  scheint.  7)  Daran  schloss 
sich  eine  Fortsetzung  in  5  Gesängen,  welche  die  zweite  Unternehmung 
gegen  Ilios,  die  Zurücklassung  des  von  einer  Schlange  gebissenen  Philoktet 
in  Lemnos,^)  die  Landung  der  Achäer  und  die  ersten  Kämpfe  vor  Troja 
enthielt.  Mit  einem  Katalog  der  Bundesgenossen  der  Troer  schloss  das 
Gedicht  nach  der  Angabe  des  Proklos.  ^)     Die  Kyprien  setzten  also  die 


0  Vgl.  schol.  Find.  N.  X  60  und  meine 
Änmerkmigen  zur  Stelle. 

*)  Nach  WilamowitE  und  Robert,  BUd 
und  Lied,  hat  besonders  Bethe  Herrn.  26 
(1891)  593  ff.  n.  Theb.  HeldenUeder  33  ff.  die 
TerUteigkeit  des  Proklos  angegriffen. 

f)  Ath.  277  d  nennt  als  Verfasser  der 
kjkliscben  Tbeogonie  den  Eumelos  oder 
AriLtinoB,  wahrscheinlich  den  einen  so  wenig 
mit  Recht  wie  den  andern. 

*)  Dabei  ward  von  dem  jOngerdn  Dichter 
der  Halbyers  Jiog  d*ii$X€ii7o  ßovXij  falsch 
▼erstanden  oder  doch  falsch  gewendet.  Den 
Kyprien  folgt  Eorip.  Hei.  29  f. 

*)  Auch  dieser  Enfthlnng  lag,  wie  bereits 
Aiiattrch  erkannte,  ein  Missrerst&ndnis  des 
Versea  A  59  yvy  afÄfie  ndXiy  nXayx^fytaq 
(statt  nakiitnX.)  otm  a%ff  dnovoax^aiy  zn 
Snmd. 

*)  Die  einzelnen  Gesftnge  lassen  sich, 


mm  Teil  nach  sprachlichen  Anzeichen,  noch 
sicher  abteilen. 

')  Bei  selbständiger  Stellung  des  ersten 
Teils  erkl&rt  sich  leichter  der  grosse  Zwi- 
schenraum zwischen  dem  ersten  und  zweiten 
Feldzug,  der  notwendig  ist,  um  den  Neopto- 
lemos  heranwachsen  zu  lassen  und  die  20 
Jahre  in  II.  i2  765  zu  gewinnen. 

^)  Auffällig  ist  die  Angabe  des  Aristo- 
nikos  zu  II.  B  722:  on  iv  Ai^fjLVia  efisye 
xatttXsXsififjieyoi  6  ^iXoxiijirjfy  ol  di  ycoitegoi 
iv  vtjaidifo  igijiÄto.  Ob  hier  ein  Missver- 
ständnis des  sopnokleischen  Philoktet  vor- 
liegt? 

*)  Dass  dieser  Katalog  nicht  ein  Teil 
der  Kyprien  selbst,  sondern  einer  des  mytho- 
logischen Handbuchs,  aus  dem  die  Exzerpte 
des  Proklos  geflossen  sein  sollen,  gewesen 
sei,  sucht  nachzuweisen  Bbthb  Herm.  26 
(1891)  61. 


80 


Grieohische  Litieratargeaohiohte.    I.  KlaMisohe  Periode. 


Bekanntschaft  mit  der  ganzen  Dias,  einschliesslich  des  Schiffiskataloges  ^) 
voraus.  Das  Werk  ward  nach  Herodot  II  117  von  einigen  dem  Homer 
beigelegt,  aber  derselbe  Herodot  erkannte  richtig  aus  sachlichen  Gründen 
die  Verschiedenheit  der  Verfasser  der  Ilias  und  der  Kypria.*)  Andere 
schrieben  das  Gedicht  teils  dem  Stasinos  aus  Kypern,  teils  dem  Hegesias 
(oder  Hegesinos)  aus  Salamis  oder  Halikarnass  zu.  Soviel  scheint  schon 
aus  dem  Namen  Kvnqia  und  dem  erotischen  Charakter  der  Mythen  her- 
vorzugehen, dass  das  Gedicht  auf  Kypern  entstanden  ist  und  dort  an  dem 
Feste  der  kyprischen  Göttin  zum  Vortrag  kam.  Es  hatte  aber  Kypern, 
das  zwar  weit  entlegen  war,  aber  als  Vermittlungsstation  zwischen  der 
innerasiatischsn  und  griechischen  Kultur  in  den  Anfängen  der  griechischen 
Geschichte  eine  grosse  Bolle  spielte,  seit  alter  Zeit  enge  Beziehungen  zu 
dem  Volk  der  Achäer  und  den  Ansiedlern  der  Troas.  Das  zeigen  einer- 
seits die  Verse  der  Dias  XI  21  f. 

nevd-sto  yccQ  KvTiqovds  fis'ya  xleog,  ovv€x'  *AxccioCy 

ig   TQoiTjV  vijeaaiv  avanXsvasa&ai  sinsklov^ 
andererseits  die  Ähnlichkeit  der  ältesten  Töpferwaare  von  Hissarlik-Troja 
mit  der  von  Kypern  und  die  Sage  von  der  Gründung  der  Stadt  Gergitha 
in   der  Troas   durch   den  kyprischen  Stamm   der   Gerginer   (Klearch  bei 
Athen.  256  b). 

65.  At&io7i.tg  in  5  B.  von  Arktinos  aus  Milet,  wohl  das  älteste 
der  kyklischen  Epen,  hat  von  dem  Äthiopier  Memnon  seinen  Namen. 
Dasselbe  begann  mit 

'SIg  Ol  y'  äfi^ienov  td<fov  ^ExTOQog,  rjXO^s  d'  ^Afia^aiVy 
schloss  sich  also  ganz  eng  an  den  letzten  Gesang  der  Dias  an.  Die  fünf 
Bücher  hatten  durchweg  den  Charakter  geschlossener  Einzellieder,  die 
nach  der  Inhaltsangabe  des  Proklos  sich  noch  mit  Sicherheit  rekonstruieren 
lassen.  Der  1.  Gesang  enthielt  die  Ruhmesthaten  der  Amazone  Penthesi- 
leia  und  ihren  Fall  durch  Achill ;  er  endete  mit  der  Bestattung  der  Toten 
und  erhielt  ein  Nachspiel  im  2.  Gesang,  worin  Achill,  von  Thersites  ob 
der  Liebe  zur  gefallenen  Heldin  beschimpft,  den  Lästerer  tötet  und  dann 
nach  Lesbos  segelt,  um  sich  von  der  Blutschuld  entsühnen  zu  lassen.  Im 
3.  Gesang  trat  Memnon,  der  Sohn  der  Eos,  als  Bundesgenosse  der  Troer 
auf  den  Schauplatz  und  tötete  bei  erneutem  Zusammenstoss  der  Heere  den 
Antilochos,  den  jugendlichen  Freund  des  Achill.  Der  4.  Gesang  liess  dann 
den  Achill  in  ungestümem  Zorn  auf  die  Feinde  eindringen,  den  Memnon 
erschlagen  und  die  Troer  zu  Paaren  treiben ;  er  endete  mit  dem  Tod  des 
Achill,  der,  als  er  schon  in  die  Stadt  eindrang,  vom  Pfeile  des  Paris  ge- 
troffen, nur  mit  Mühe  von  Aias  und  Odysseus  ins  Lager  zurückgebracht 
wurde.  Den  Schluss  des  Ganzen  bildete  die  Bestattung  des  Achill  mit  den 
der   Ilias    nachgebildeten    Leichenspielen    und    der   Streit   des   Aias    und 


^)  Aus  den  Kyprien  ist  wahrscheinlich 
der  Anhang  zum  Schififskatalog  der  Ilias 
B  816—876  ausgezogen,  wofür  auch  das 
Fehlen  des  Asteropaios  in  jenem  Verzeichnis 
spricht;  s.  Mülleb,  Gr.  Litt.  I^  91.  Leider 
lassen  uns  über  diesen  Punkt  die  SchoHen 
im  Stich. 


')  Die  Kyprien  Hessen  nftmlich  den 
Paris  nicht  nach  Sidon  kommen  wie  Homer 
Z  291,  sondern  in  drei  Tagen  nach  Troja 
zurücksegeln ;  vgl.  oben  §  58.  —  Bei  dem 
Grammatiker  Glaukos  in  SchoL  Eur.  Hec.  41 
läuft  das  Gedicht  anonym. 


A.  Epos.    4.  Der  epische  Kyklos. 


I  55  -57.) 


81 


Odysseus  um  die  Waffen  des  Helden.  Als  Verfasser  des  spannenden, 
durch  ritterliche  Romantik  ausgezeichneten  Epos  galt  Arktinos,  Sohn 
des  Teles,  aus  Milet,*)  der  von  Eusebios,  wir  wissen  nicht  mit  welcher 
Berechtigung,  in  die  1.,  von  Suidas  in  die  9.  Olympiade  gesetzt  wird,*) 
und  wohl  noch  dem  8.  Jahrhundert  angehört.  Der  hochpoetische  Stoff 
hat  in  unserer  Zeit  Goethe  angezogen,  um  als  letzter  der  Homeriden  das 
leider  unvollendete  Epos  Achilleis  zu  dichten. 

66.  'li,iov  näQiXtg  in  2  B.  von  dem  gleichen  Arktinos,  stand  im 
epischen  Eyklos  wegen  der  zeitlichen  Folge  erst  hinter  der  kleinen  Dias. 
Im  ersten  Gesang  behandelte  das  Gedicht  die  Vorbereitungen  der  Er- 
oberung Trojas,  die  List  des  hölzernen  Pferdes  mit  den  aus  Vergil  be- 
kannten Geschichten  von  Laokoon  und  Sinon.  Der  2.  Gesang  enthielt 
das  düstere  Gemälde  von  der  Einnahme  der  Stadt  mit  all  ihren  Greueln 
und  schloss  effektvoll  mit  der  drohenden  Gestalt  der  zürnenden  Göttin 
Athene.  •)  Wahrscheinlich  ging  den  von  Proklos  exzerpierten  zwei  Büchern 
noch  ein  anderes  Buch,  wenn  nicht  mehrere  Bücher,  voraus,  worin  die 
Zhnmerung  des  hölzernen  Pferdes,  der  verstellte  Abzug  der  Achäer, 
die  Abholung  des  Neoptolemos  und  die  Entwendung  des  Palladiums 
geschDdert  war.*)  Robert,  Phil.  Unt.  V  223,  nimmt  geradezu  an,  dass 
die  Iliupersis  mit  der  Aithiopis  ursprünglich  ein  einziges  zusammen- 
hängendes Epos  gebildet  habe.^) 

57.  'iXidg  fiixgd  in  4  B.  war  die  inhaltreichste  der  troischen  Dich- 
tungen. Nach  dem  Auszug  des  Proklos  begann  sie  mit  dem  Streit  um  die 
Waffen  des  Achill  und  endete  mit  der  Aufnahme  des  hölzernen  Pferdes 
in  die  Stadt.  In  der  That  aber  war  sie  umfangreicher  und  enthielt  nicht 
bloss  auch  die  Einnahme  der  Stadt,  welche  Proklos  lieber  nach  Arktinos 
erzählte,  sondern  holte  auch  im  Anfang  etwas  weiter  aus,  wie  uns  schon 
der  erhaltene  Eingang  lehrt: 


')  DasB  Arktinos  Verfasser  der  Aithiopis 
ad,  scheint  nie  bestritten  worden  zu  sein. 
Bern  Homer  ward  das  Gedicht  nor  von  denen 
Bigeschrieben,  welche,  weU  einzelne  Gedichte 
des  episdien  Eyklos  anf  Homer  zurtLckgeftQirt 
wurden,  nnn  den  ganzen  Kyklos  in  Bansch 
und  Bogen  dem  Homer  zoscnrieben. 

*)  Die  2.  Angabe  des  Eusebios,  die  ihm 
in  die  4.  Ol.  setztj,  scheint  aus  der  Yer- 
wechselang  von  A  und  J  herzurfihren.  Bei 
Suidas  'J^xxiyos  yeyoyotg  xatä  ifjy  &"  6X. 
fiiTa  x6TQ€cx6aia  sjfj  rwy  TQtoixiiy  ist  ent* 
weder  xatd  xijy  a  oX.  oder  /ieitt  v/n'  htj 
kerzustellen.  Weiter  herab  wflrde  uns  der 
angebliche  Wettstreit  des  Arktinos  mit  Le- 
sches  f&hren,  wenn  demselben  Glauben  bei- 
BunesseD  wSre.  Von  Wichtigkeit  fOr  die 
Chronologie  und  das  hohe  Alter  des  Arktinos 
ist  der  Umstand,  dass  er  den  Achill  zwar 
nach  der  Insel  Lenke  im  schwarzen  Meer 
eairflckt  werden,  aber  die  Amazonen  aus 
Tfankien,  noch  nicht  aus  dem  Kaukasus 
komnien    läset.     Die  Milesier   hatten   also 


damals  schon  ihre  Seefahrten  nach  dem  Pontus 
ausgedehnt,  waren  aber  noch  nicht  bis  nach 
Eolchis  gekommen.  Da  auf  die  durch  Ark- 
tinos verbreiteten  Sagen  in  der  Odyssee 
Rflcksicht  genommen  ist,  so  lebte  Arktinos 
wahrscheinlich  vor  Abschluss  der  Odyssee, 
d.  i.  vor  dem  Dichter  der  Telemachie  und 
derNekyia.  Auf  dem  Kypseloskasten  fanden 
sich,  wie  bereits  oben  §  32  bemerkt,  bereits 
Scenen  aus  der  Aithiopis  (Achilleus  u.  Mem- 
non)  und  den  Eyprien  (Parisurteil). 

')  Wir  folgen  der  von  Lehrs  vorgeschla- 
genen Umstellung  der  Schlusssätze  des  Ex- 
zerptes. 

^)  Die  Entwendung  des  Palladiums  fand 
noch  in  dem  vollständigen  Exemplar  des 
Arktinos  der  Rhetor  Dionys.  Hai.  Ant.  I  69. 

^)  Auf  beide  Gedichte  zusammen  geht 
die  Angabe  der  Tab.  Borg.,  dass  das  Gedicht 
des  Arktinos  9500  Verse  gehabt  habe;  auch 
diese  Zahl  weist  auf  mehr  als  7  (5  +  2) 
Bücher. 


Baodlnich  der  klan.  Altertamswlnenflchaft,  Yn.    3.  Aufl, 


6 


82 


Grieohisohe  Idtieratiirgeaehiohie.    I.  KUssisoh«  Periode. 


^'iXiov  äe(S(a  xm  JaQSavfrjv  evnmXov, 
rjq  nägi  nolld  ndd^ov  Javaoi  d'sqdnovTcq  ^'AQtjog. 
Das  ganze  Werk  wird  also  mindestens  sechs  Bücher  umfasst  haben,  von 
denen  aber  Proklos  nur  vier  zu  exzerpieren  seinen  Zwecken  angemessen 
fand.^)  Dieselben  enthielten  den  Streit  des  Aias  und  Odysseus  um  die 
Waffen  des  Achill,  die  Herbeiholung  neuer  Streitkräfte  von  Seiten  der 
Achäer  und  Troer,  den  Tod  des  Paris  durch  den  Pfeil  des  Philoktet  und 
den  Fall  des  Eurypylos  durch  Neoptolemos,  den  Führer  im  neuen  Kriege. 
Das  Gedicht  setzte  in  der  von  Proklos  angegebenen  Begrenzung  die 
Aithiopis,  wie  diese  die  Ilias,  voraus;  ob  dasselbe  nach  den  Eyprien,  oder 
umgekehrt  vor  denselben  gedichtet  sei,  lässt  sich  nicht  mit  Bestimmtheit 
sagen.  Als  Verfasser  des  Epos  ward  so  ziemlich  allgemein  Lasches 
(ältere  ionische  Namensform  Aeax^wg)^  der  Sohn  des  Aischylinos  aus  Pyrrha 
in  Lesbos  angegeben,^)  den  zu  einem  blossen  Repräsentanten  der  Er- 
zählung in  der  Halle  (l^ax^j)  zu  verflüchtigen  der  mythenbildenden  Schein- 
kritik unserer  Zeit  vorbehalten  war.«)  Nach  Eusebios  lebte  derselbe  in 
der  30.  Olympiade;  der  Peripatetiker  Phanias  bei  Clemens  Alex,  ström. 
I  p.  144  setzt  ihn  in  die  Zeit  des  Archilochos,  lässt  ihn  aber  zugleich 
einen  Wettkampf  mit  dem  Dichter  Arktinos  bestehen.  Die  letztere  An- 
gabe macht  Schwierigkeiten  und  würde  uns  nötigen,  entweder  den  Lesches 
weiter  hinauf  oder  den  Arktinos  weiter  herab  zu  rücken.  Wahrscheinlich 
aber  ist  jener  Wettkampf  nur  eine  Fiktion,*)  hervorgegangen  aus  der 
richtigen  Beobachtung,  dass  der  jüngere  Lesches  mit  dem  älteren  Arktinos 
in  der  Behandlung  des  gleichen  Stoffes  rivalisieren  wollte.^) 

68.  Noaxot  in  5  B.,  von  Hagias  aus  Trözen,<^)  schlössen  sich  an 
den  Ausgang  der  Iliupersis  des  Arktinos  oder  an  den  durch  den  Frevel 
der  Sieger  hervorgerufenen  Zorn  der  Göttin  Athene  an.  7)     Sie  enthielten 


')  Aristot.  Poet.  23  las  in  seiner  kleinen 
Ilias  noch  die  Zerstörung  der  Stadt,  worans 
er  die  Erzählung  von  den   gefangenen  Tro- 

i'anerinnen  anführt.  Das  Gleiche  gilt  von 
Tansanias,  wenn  er  X  25  den  Polygnot  in 
seinem  Gemälde  vom  Untergang  Trojas  dem 
Lesches  folgen  lässt. 

^)  Ps.  Herodot  vit.  Hom.  tischt  uns  die 
Märe  auf,  Homer  hahe  die  kleine  Ilias  in 
Phokäa  gedichtet  und  dem  Schulmeister 
Thestorides,  der  ihm  gastliche  Aufnahme 
gewährte,  zum  Ahschreihen  überlassen.  Das 
Scholion  zu  £ur.  Troad.  821  nennt  nehen 
diesem  Thestorides  den  Lakedämonier  Kinai- 
thon  oder  den  Erythräer  Diodoros  als  mut- 
massliche Verfasser,  und  stützt  sich,  was 
beachtenswert,  für  Kinaithon  auf  das  Zeugnis 
des  Hellanikos;  s.  Robert,  Phil.  Unt.  V  326  f., 
der  die  These  aufstellt,  dass  der  Kyklograph 
Lysimachos  den  Lesches  als  Verfasser  nicht 
anerkannt  habe. 

')  Die  Deutung  aufgestellt  von  Wblcker, 
Ep.  Cycl.  I  254,  und  von  andern  nachgebetet. 
Bei  Plut.  Conv.  sept.  sap.  10  wird  auch  das 
Certamen  Hesiodi  et  Homeri  dem  Lesches 
zugeschrieben;  aber  dieses  ist  ein  offenbarer 


Irrtum,  wahrscheinlich   aus  einer  interpolie- 
renden Randbemerkung  hervorgegangen  (s. 
I  Rh.  M.  25,  535  f.),   da  ein  Homeride  sicher 
I  nicht  den  Homer  von  Hesiod  hätte  besiegt 
I  werden  lassen. 

I  ^)  Zu  derselben  mögen  die  Dichterweti- 

I  kämpfe  in  Mytilene  Anlass   gegeben  haben, 

die  noch  Pompeius  dort  sah,  wie  zu   lesen 

bei  Plut.  Pomp.  42:    rov  tiywya  x6v  nax^tor 

i&enaaro  ttoy  noiijttäy. 

^)  So  liess  nach  Paus.  X  27  Arktinos 
den  Pnamos  von  Neoptolemos  auf  dem  Altar 
des  Zeus  ermordet  werden,  während  Lesches 
einen  solchen  Frevel  von  dem  griechischen 
Helden  fem  hielt. 

')  Eustathios  zu  Od.  n  118  nennt  den- 
selben einen  Kolophonier,  was  vielleicht  da- 
von herkommt,  dass  in  dem  Gedichte  Kolo- 
phon  und  sein  Orakel  eine  grosse  Bolle 
spielte.  In  den  Schol.  Pind.  Ol.  XIII  18  ist 
ein  Noüto^  rtSy  'EXXijytoy  des  Eumolpos  (kor- 
rigiere: Eumelos)  erwähnt 

^)  unklar  ist  das  Verhältnis  des  letzten 
Buches  zu  dem  von  Ath.  281b  und  895  d 
erwähnten  Epos  'Jrgenfuiy  xa^o6og,  worüber 
WiLAMowiTz,  Hom.  Unt  157. 


A.  EpoB.    4.  Der  epische  Kyklos. 


I  58-60.) 


83 


die  Geschicke  des  heimkehreDden  Heeres  der  Achäer :  des  Ealchas,  Leon- 
teos  und  Polypoites,  welche  über  Eolophon  längs  der  kleinasiatischen 
Küste  zogen,  der  Hauptmacht  der  Achäer,  welche  den  Seeweg  einschlug, 
aber  an  den  kaphereischen  Felsen  Euböas  Schiffbruch  litt,  des  Neopto- 
lemos,  der  zu  Land  quer  durch  Thrakien  und  Makedonien  in  das  Gebiet 
der  Molosser  gelangte,  um  die  Teile  des  Gedichtes  nicht  ganz  aus- 
einanderfallen zu  lassen,  kehrte  der  Verfasser  im  letzten  Buch  wieder  zu 
Agamemnon  und  Menelaos  zurück  und  erzählte  die  Rache,  welche  Orestes 
an  den  Mördern  seines  Vaters  nahm,  und  die  gleichzeitige  Rückkehr  des 
Menelaos.  Das  Gedicht  sollte  somit  den  Raum  zwischen  üiupersis  und 
Odyssee  ausfüllen;  sein  Verfasser  hat  ausdrücklich  auf  die  Odyssee  und 
den  Aufenthalt  des  Odysseus  bei  dem  Priester  Maren  im  Lande  der 
Kikonen  (Od,  i  197)  Bezug  genommen,  aber  gewiss  nicht  eine  Dias  post 
Homerum  geschrieben  und  nicht  die  Heimkehr  des  Odysseus  von  neuem 
erzählt.  1) 

69.  TrjXeycvsia  in  2  B.,  von  Eugammon  (Eugamon  bei  Clem.  AI.) 
aus  Kyrene  (nach  Eusebius  in  Ol.  53),  war  das  jüngste  und  schlechteste  der 
kyklischen  Gedichte,  das  in  loser  Gestalt  gewissermassen  zur  Ergänzung  der 
Odyssee  die  letzten  Geschicke  des  Odysseus  und  seines  Hauses  erzählte; 
den  Namen  hatte  dasselbe  von  dem  zweiten  Teil,  welcher  den  tragischen 
Znsanunenstoss  des  Odysseus  mit  seinem  von  Kirke  geborenen  Sohne 
Telegonos  enthielt  und  in  romanhafter  Weise  mit  der  Heirat  des  Telegenes 
und  der  Penelope  einerseits  und  des  Telemachos  und  der  Kirke  andrerseits 
schloss.  Im  ersten  Teil  benützte  der  Erzähler  vornehmlich  die  heimischen 
Sagen  des  Thesproterlandes,  die  er  nach  Clemens  Alex,  ström.  VT  266 
aus  der  Thesprotis  eines  sonst  nicht  näher  bekannten  Dichters  Musaios 
schöpfte. 

60.  Ausserdem  gehörten  zum  epischen  Eyklos  noch  folgende,  dem 
thebamschen  Sagenkreis  angehörende  Dichtungen:') 

Gr^ßatg  in  7000  Versen,')  auch  kyklische  Thebais  im  Gegensatz  zu 
der  Thebais  des  Antimachos  genannt,^)  enthielt  die  Geschicke  des  Lab- 
dakidenhauses  und  insbesondere  den  Zug  der  Sieben  gegen  Theben;  sie 
berührte  sich  also  im  Inhalt  mit  dem  Epos  i^sXaaiq  ^Äfxifiaqdov^  so  dass 
man  an  verschiedene  Titel  desselben  Gedichtes  denken  möchte.^)  Von 
Pausanias  IX  9,  5  wird  die  Thebais  hoch  geschätzt  und  neben  Dias  und 
Odyssee  gestellt.  Nach  demselben  Gewährsmann  hat  der  Elegiker  Eallinos 
das  Gedicht    als    homerisch    anerkannt.^)     Suidas   und   Ps.   Herodot    im 

^)  Das  Umgekehrte  behauptet  Eirobhoff 
im  Exkors  seines  Baches  über  die  Odyssee; 
flan  tritt  Wilamowitz,  Hom.  Uni  176  f.  bei, 
todem  er  zugleich  die  Nostoi  für  ein  Eon- 
^bmerat  von  Versen  der  verschiedensten 
Diehter  und  Zeiten  ansieht. 

')  Bktbb,  Thebanische  Heldenlieder, 
Leipz.  1891. 

•)  Gert.  Hes.:  o  ^h  "O/iijgog  oTioTV/aiV 
»^  rinjg  7r€^4€^/o^€A'o;  eXeye  td  7ioiijf4araf 
npMToy  fiiy  ttiv  Sfjßatifa,  Inrj  ,C  .  •  .  sita 
'Entyorovf,  htrj  X  Nach  der  Tab.  Borg,  ist 
^ie  ZiOü  7000  abgerundet  für  6600.    Auch 


Properz  1  7,  3  schreibt  das  Gedicht  dem 
Homer  zu;  hingegen  stimmt  die  Darstellung 
in  der  Odyssee  o  244  ff.  nicht  mit  der  der 
Thebais  überein. 

*)  Vgl.  Ath.  465  e,  Asklepiades  in  Schol. 
Find.  Ol.  VI  17,  Schol.  Soph.  Oed.  Col.  1375. 

»)  Immisch  Jahrb.  für  Phil.  Suppl.  XVII 
171  f.  sucht  nachzuweisen,  dass  die  i^eXcccig 
^AfjLtpittQoiov  ein  eigenes  Gedicht  neben  der 
Thebais,  nicht  bloss  ein  Gesang  derselben, 
wie  Welcker  annahm,  gewesen  ist. 

')  Auch  die  Angabe  des  Herodot  V  67, 
dass  der  Tyrann  Eleisthenes  von  Sikyon  die 

6* 


84  Grieohisohe  Litteratargesohiohte.    I.  KlassUche  Periode. 

Leben  Homers  lassen  dasselbe  von  Homer  nach  seiner  Vertreibung  aus 
Smyrna  in  Neonteichos  bei  Eyme  gedichtet  sein;  aber  schon  gleich  der 
erste  Vers 

"Agyog  aeiScy  &€dy  noXvSiipiov^  iv^ev  avaxteg 
weist  mit  der  Vernachlässigung  des  Digamma  von  äva^  auf  spätere  Zeit 
hin.i) 

'Eniyovoi,  gleichfalls  in  7000  Versen,  behandelten,  wie  man  schon 
aus  dem  Titel  abnehmen  kann,  die  Einnahme  der  Stadt  Theben  durch 
die  Nachkommen  der  beim  ersten  Zug  vor  Thebens  Mauern  gefallenen 
Helden.  Dass  Homer  das  Epos  gedichtet  habe,  bezweifelt  bereits  Herodot 
IV  32;  der  Scholiast  zu  Aristoph.  Pac.  1270  schreibt  dasselbe  einem  ge- 
wissen Antimachos  aus  Teos')  zu. 

Oldmodeia  in  6000  Versen  enthielt  die  Geschicke  des  Königs 
Oedipus  nach  der  gleichen  Sage,  die  dem  Dichter  der  Nekyia,  Od.  X  271 
bis  280  vorlag.  Neu  war  in  der  Erzählung  nur  das  päderastische  Ver- 
hältnis des  Laios  zu  Ghrysippos,  dem  Sohne  des  Pelops,  und  der  daraas 
abgeleitete  Zorn  der  eheschützenden  Göttin  Hera.*)  Das  Gedicht  wird 
auf  der  borgiaschen  Tafel  dem  Lakedämonier  Einaithon  zugeschrieben, 
den  Eusebios,  man  weiss  nicht  mit  welchem  Recht,  in  Ol.  5  setzt. 

61.  Andere  aus  der  alten  Zeit  des  Heldenepos  stammende,  aber 
nicht  mit  Sicherheit  dem  epischen  Eyklos  zuzuweisende  Epen  waren: 

OixaKag  alwaig.  Das  Gedicht  behandelte  die  Einnahme  von 
Oichalia  durch  Herakles  und  stand  mit  dem  troischen  Sagenkreis  insofern 
in  Verbindung,  als  Odysseus  seinen  Bogen  von  Iphitos,  dem  Sohne  des 
Eönigs  Eurytos  von  Oichalia,  erhalten  hatte  (Od.  (p  37).  Nach  einem 
Epigramm  des  Eallimachos*)  war  dasselbe  ein  Werk  des  Homeriden 
Ereophylos  aus  Samos.  Da  eine  andere  Überlieferung  dasselbe  dem 
Homer  zuschrieb,  so  haben  ausgleichende  Litterarhistoriker  beide  Angaben 
in  der  Art  vereinigt,  dass  sie  den  Homer  das  Gedicht  dem  Ereophylos 
als  Lohn  für  die  gastliche  Aufnahme  schenken  liessen. 

(Po)xaig  hatte  nach  Ps.Herodot  im  Leben  Homers  den  Namen 
davon,  dass  Homer  das  Epos  in  Phokäa  gedichtet  hatte.  Nach  Welckers 
feiner  Eombination  (Ep.  Cycl.  I  237)  war  dasselbe  identisch  mit  der 
Mivvag^  welche  nach  Pausanias  IV  33,  7  den  Phokäer  Prodikos  zum 
Verfasser  hatte.    Diese  Minyas  behandelte  den  Fall  des  minyschen  Orcho- 


Rhapsodenvorträge     T(6y    'Ofxrjgeltoy    inim'  |  Alex,  ström.  VI  2,  12.    AnfHÜlig  ist  die  An- 

hinderte,  weil  in  ihnen  die  Argiver  und  Argos  I   gäbe  des  Scholiasten  Porphyrion  za  Horas 

gepriesen  seien,  hat  Gbote,  History  of  Greece  '   s.  p.  146:  AntimachuB  fuU  cyclictAs  poetci.  hie 

IP  129   mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  auf  ,   adgressus  est  materiam,   quam  sie  extendU^ 

die  Thebais  bezogen,  weil  in  dieser  weit  mehr  ut  viginii  quatuor  polumina  impleverü,  ante^ 

als  in  der  llias  von  Argos  die  Rede  war.  qtiam  Septem  duees  ad  Thebas  duceret, 

*)  Brrgk,  Gr.  Litt.  II  40  setzt  die  The-  >)  Den  Inhalt  des  Gedichtes  findet  Beäie 

bais  vor  den  Anfang  der  Olympiaden,    da  a.  0.  wieder  in  dem  Exzerpt  des  Peisandros 

dieselbe  in  der  6.  Ol.  von  dem  Teier  Anti-  in  Schol.  Eur.  Phon.  1760. 

machos  fortgesetzt  worden  sei;  aber  diese  |           ^)  Strabon  XIV  688,  Suidas  unt.  IC^aJ- 

letzte  Kombination  ist  ganz  unsicher.  j   ffvlo^,   Schol.   Plai  de   rep.   p.  600  b   na<^ 

*)  Dieser  'Avrlfittxog  6   Trjtog  inonoUg  der  gemeinsamen  Quelle  des  Hesychios  Mi- 

ist  genannt  von  Plut.  Rom.  12  und  Clemens  j   lesios. 


A.  Epos.    4.  Der  epische  Kyklos.    (§§  61—62.)  85 

menoB  durch  Herakles;  in  ihr  kam  auch  eine  ünterweltsscene  vor,  aus 
der  Polygnot  die  Figur  des  Fährmanns  Gharon  entnahm  (Paus.  X  28,  2). 
Javatg,  in  5500  Versen  nach  der  borgiaschen  Tafel,  handelte  von 
den  Gfeschicken  des  Danaos  und  seiner  Töchter.  Da  der  Dichter  der 
Nostoi  Hagias  aus  Trözen  stammte,  so  werden  wir  auch  den  Verfasser 
dieses  argivischen  Epos  in  Argos  suchen  dürfen;  nach  ApoUodor  11  6 
faiess  er  vielleicht  Kerkops. 

68.  Über  den  inneren  Wert  und  den  Kunstcharakter  der  kyklischen 
Epen  iSsst  sich  bei  der  Spärlichkeit  der  Fragmente  nicht  sicher  urteilen. 
]^ge  von  ihnen  scheinen  an  Anschaulichkeit  der  Schilderung  und  Helden- 
haftigkeit  der  Gharakterzeichnung  den  homerischen  Gedichten  nicht  viel 
nachgestanden  zu  sein;  doch  überwog  im  allgemeinen  in  ihnen  das  stoff- 
liche Interesse,  dem  gegenüber  die  künstlerische  Anordnung  und  die  aus 
der  Konzentration  der  Handlung  entspringende  Spannung  zurücktraten.  In 
der  Vorliebe  für  erotische  Motive  und  schwärmerische  Romantik  erkennt 
man  das  nahende  Wehen  der  lyrischen  Dichtung  und  das  Absterben  der 
naturwüchsigen  Kraft  des  alten  Heldengesangs.  Auch  in  den  religiösen 
Torstellungen  macht  sich  der  wachsende  Einfluss  des  Orakelwesens  und 
der  Priesterlehren  geltend.  Von  den  Namen  und  den  Persönlichkeiten  der 
Verfasser  der  einzelnen  Epen  hatte  man  offenbar  schon  zur  Zeit  der  Perser- 
kriege keine  genaue  Kenntnis  mehr.  Doch  kann  man  immerhin  aus  den 
spärHchen  Fragmenten  und  den  dürftigen  Nachrichten  über  die  Dichter 
des  Kyklos  entnehmen,  dass  zur  Zeit  der  Kykliker  im  7.  Jahrhundert  der 
epische  Gesang  sich  über  die  Gegend  von  Smyrna  und  Chios  hinaus  nicht 
bloss  nach  den  übrigen  Städten  des  ionischen  und  äolischen  Kleinasiens, 
wie  Kolophon,  Milet,  Lesbos,  sondern  auch  weiter  bis  nach  Kypern,  Argos, 
Lakedämon,  Kyrene  verbreitete,  i)  Aber  das  Interesse  für  epische  Dich- 
tung nahm  im  7.  Jahrhundert  bei  dem  raschen  Aufblühen  der  iambischen 
und  lyrischen  Poesie  immer  mehr  ab,  so  dass  kein  Gedicht  des  Kyklos 
gleich  der  Dias  und  Odyssee  eine  nationale  Bedeutung  erlangte.  Gleich- 
wohl wurden  von  den  Künstlern  und  den  späteren  Dichtern  die  kyklischen 
Gedichte  wegen  des  Reichtums  ihres  Inhaltes  viel  mehr  als  selbst  die  Ilias 
und  Odyssee  benutzt,  in  welchem  Sinne  schon  Aristoteles  Poet.  23  be- 
merkt, dass  die  Ilias  nur  zu  einer  oder  zwei,  die  kleine  Ilias  aber  aUein  zu 
acht  Tragödien  den  Stoff  hergegeben  habe. 

C.  W.  MOllbb,  De  cyclo  Graecorom  epico,  Lips.  1829.  —  Wblcker,  Der  epische 
Cyclns,  Bonn  1885  (1864),  2  Bde.,  Hauptwerk.  -  0.  Jahn,  Griecliische  Bilderchroniken, 
Mch  des  Verf.  Tod  heransgegeben  von  Micbablis,  Bonn  1873.  —  Kinkel,  Epicorum  grae- 
eomm  fragm.,  Lij».  1877.  —  Wilamowitz,  Der  epische  Cyclus,  in  Hom.  Ünt.  328—380.  — 
BoBBST,  Bild  n.  Lied,  in  Phil.  ünt.  Heft  5.  —  Luckbnbach,  Das  Verhältnis  der  griechischen 
VaMDVQder  zu  den  Gedichten  des  epischen  Kyklos,  in  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  XI  491— 637, 
wo  namentlich  das  freie  Schalten  der  Kfinstler  mit  den  Ueberliefenmgen  der  Dichter  her- 
Torgeboben  wird.  Seit  Welcker  nnd  Jahn  sind  neu  hinzagekommen  Homerische  Becher, 
henosgegeben  von  RoBBBT,  Winckelmanns-Programm  1890,  nnd  die  Relief darstelinngen  des 
Heroons  Ton  Gj5lbaschi  in  Lykien  (jetzt  in  Wien)  ans  dem  5.  Jahrb.  y.  Chr.,  welche  einen 
9mzen  Cyklns  von  Darstelinngen  des  thebanischen  und  troischen  Krieges  und  überdies  von 
Perseos-  und  Thesensthaten  enthielten;  s.  BEiiiri>0BF-NiBMA5ir,  Das  Heroon  von  Gjölbaschi- 
Trysa,  Wien  1889. 


^)  Za  beachten,  dass  nach  Pindar  P.V83  die  Antenoriden  nach  Kyrene  kamen. 


86 


Griechische  Litteratnrgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 


5.  Hesiodos. 

63.  Die  Person  Hesiods.  Der  epische  Gesang,  dessen  Samen  der- 
einst die  Ansiedler  aus  Europa  nach  Asien  mitgenommen  hatten,  wurde, 
noch  ehe  er  in  der  neuen  Heimat  verblühte,  von  dort  infolge  des  lebhaften 
Verkehrs  mit  dem  Mutterland  wieder  nach  dem  Festland  und  speziell  nach 
Böotien  zurückgebracht,  um  hier  in  neuer  Eigentümlichkeit  sich  zu  ent- 
wickeln. Die  neue  Richtung  lehrhafter  Poesie  wai*d  von  Hesiod  inauguriert, 
an  den  sich  dann  ähnlich  wie  an  Homer  eine  ganze  Schule  von  Dichtern 
gleicher  Richtung  anschloss.  Auch  vom  Leben  des  Hesiod  haben  wir  keine 
ausführlichen  Nachrichten,  aber  seine  Person  ist  doch  weit  davon  entfernt, 
in  Nebel  zu  zerfliessen.  Dafür  hat  er  selbst  gesorgt,  indem  er,  durch  den 
Charakter  des  didaktischen  Epos  veranlasst,  öfters  seiner  Lebensverhältnisse 
gedenkt.^)  Das  was  er  selbst  sagt  und  die  erhaltenen  Werke  uns 
lehren,  ist  aber  auch  so  ziemlich  das  einzige,  was  wir  von  ihm  wissen. 
Denn  nicht  bloss  ist  das  uns  erhaltene  Leben  Hesiods  ^Haiidov  yävoq) 
von  Tzetzes  eine  geringwertige  Kompilation  des  Mittelalters,^)  sondern 
auch  Proklos  und  Plutai-ch  und  selbst  die  alexandrinischen  Gelehrten  3) 
ermangelten  besseren  Wissens.  Die  wertvollste  Überlieferung  enthalt, 
von  den  eigenen  Dichtungen  des  Hesiod  abgesehen,  der  ^Ayuiv  "^Haiodov 
xal  ^Ofii]Qov,  der  zwar  erst  aus  der  Zeit  des  Hadrian  stammt,  aber  in 
seinen  Elementen  auf  den  Rhetor  Alkidamas,  einen  Schüler  des  Gorgias, 
zurückgeht. 

64.  Die  Familie  des  Hesiod  stammte  aus  dem  äolischen  Kyme,  wo 
Strabon  p.  622  denselben  auch  geboren  sein  lässt.*)  Der  Vater  des  Dich- 
ters^) hatte  aus  Not  die  Heimat  verlassen  und  sich  am  Fusse  des  Helikon 
in  dem  elenden  Dorfe  Askra,  nahe  bei  dem  musenfreundlichen  Städtchen 
Thespiä  niedergelassen.^)  Dort  ward  Hesiod  geboren  und  weidete  als  Knabe 


')  Velleius  I  7:  vitavit  (Hesiodus)  ne  in  I 
id   quod  Homerus  incideret,  patriamque   et   \ 
parentes  testatus  est.     Die   Nachrichten   zu  | 
einer  Vita  zusammengestellt  von  Robinson 
und  von  Göttling-Flach   in   ihren  Ausgaben. 

')  Das  r^yog,  ehedem  fälschlich  dem 
Proklos  zugeschrieben,  trägt  in  mehreren 
Handschriften  den  Namen  des  Tzetzes;  siehe 
Flach  p.  LVIÜ. 

')  Proklos  berührt  manches  aus  dem 
Leben  des  Dichters  in  dem  uns  erhaltenen 
Kommentar;  Plutarch  hatte  einen  uns  ver- 
loren gegangenen  Kommentar  in  4  B.  zu 
den  Werken  seines  Landsmannes  geschrieben, 
den  Proklos  und  überdies  Gellius  XX  8 
bezeugen.  Von  älteren  Grammatikern  hatten 
über  Hesiod  geschrieben  Herakleides  Pont. 
(Diog.  Y  92),  Kleomenes  (Clem.  Alex,  ström. 
I  p.  129),  Antodoros  aus  Kyme  (Crambb,  An. 
Ox.  IV  310). 

*)  Vgl.  Ephoros  in  Ps.  Plut.  vit.  Hom.  2 
und  Steph.  Byz.  nnt.  Kv/nij,  Auf  Lokalsagen 
von  Kyme  geht  es  auch  zurück,  wenn  Me- 
lanopos  aus  Kyme  (Paus.  V  7,  8)  bei  Suidas 
u.  Ps.  Plutarch  zum  Ahnen  des  Hesiod  und 
Homer  gemacht  wird. 


'^)  Der  Name  des  Vaters  war  nach  der 
Ueberlieferung  Dies,  aber  dieser  ist  wahr- 
scheinlich^nur  erschlossen  aus  Op.  299  i^yd^ev 
nigari  dioy  yiyog^  wo  Ruhuken  geradezu 
JLov  yivog  nach  Analogie  von  Laevinwn 
Valeri  genus  bei  Hör.  öat.  I  6,  12  und  Vergil 
Aen.  VI  792  Atigustus  Caesar  Divi  genus  her- 
stellte und  vielleicht  auch  schon  Velleius 
I  7  und  der  Verfasser  des  Agon  lasen.  Aber 
das  dtov  ye'yog  des  Hesiod  scheint  aus  Homer 
IL  IX  538  herübergenommen  sein.  Noch 
weniger  Verlass  ist  auf  den  Namen  der 
Mutter  des  Dichters,  Pykimede,  da  derselbe 
sich  auf  keine  Stelle  des  Hesiod  stützt  und 
ganz  wie  eine  etymologische  Fiktion  aus- 
sieht. Auch  den  Namen  Hesiod  haben  Neuere, 
wie  Wblckbb,  Hes.  Theog.  5  im  generellen 
Sinn  =  Ulg  wdrjy  , Sänger*  gedeutet;  aber 
dagegen  erhebt  schon  die  Grammatik  Ein- 
sprache^ da  zu  Hesiods  Zeit  der  Gesang  doMj^ 
mcht  oitfi;  hiess,  also  ein  ^Baidoidog  zu  er- 
warten gewesen  wäre. 

•)  Hes.  Op.  633  flf.  ^  Den  Namen  ^Aifx^ 
statt  des  überlieferten  "A^f^  hatte  Zenodot 
in  den  homerischen  Text  B  507  bringen 
wollen.  • 


A.  Epos.    5.  Henodoa.    (§§  63—64.) 


87 


aaf  den  waldigen  Triften  des  Helikon  die  Herde.  ^)  Nebst  dem  Vater  und 
Heimatsort  ist  es  der  Bruder  des  Dichters,  Perses,  der  durch  seine  Ge- 
dichte bekannt  geworden  ist.  Derselbe  hatte  nach  dem  Tode  des  Vaters 
in  einem  Rechtsstreit  über  das  hinterlassene  Vermögen  den  Hesiod  durch 
Bestechung  der  Richter  um  sein  Erbteil  gebracht,*)  war  aber  dann  selbst 
darch  Arbeitsscheu  in  Not  gekommen,  so  dass  er  hintendrein  wieder 
seinen  Bruder  um  Hilfe  angehen  musste.  Hatte  Hesiod  durch  die  Un- 
gerechtigkeit der  Richter  Haus  und  Hof  verloren,  so  hatten  ihm  die 
Musen  dafür  eine  andere  Gabe,  die  Kunst  des  Gesanges  verliehen.  Seine 
glänz-  und  farblose  Poesie  war  zwar  weniger  geeignet,  ihn  zum  gesuchten 
Sänger  an  den  Fürstenhöfen  zu  machen;  aber  nicht  bloss  haben  seine 
hausbackenen  Wirtschaftsregeln  bei  den  Bauern  und  Schiffern  offenes  Ohr 
gefunden,^)  auch  für  die  Kreise  religiöser  Festgenossen  eigneten  sich 
trefflich  seine  Hynmen  und  mythologischen  Dichtungen,^)  die  jetzt  seinen 
grösseren  Werken  einverleibt  sind,  aber  so,  dass  man  ihre  ehemalige 
selbständige  Stellung  noch  unschwer  erkennen  kann.  Dass  diese  Gedichte 
nicht  alle  für  das  armselige  Dorf  Askra  bestimmt  waren,  versteht  sich 
von  selbst;  vielmehr  wird  Hesiod  ähnlich  wie  Homer  als  fahrender  Sänger 
in  dem  Lande  umhergezogen  sein,  und  nicht  bloss  in  den  Städten 
Böotiens,  wie  Thespiä  und  Orchomenos,  '^)  fand  er  Anklang,  auch  über  die 
Grenzen  seiner  engeren  Heimat  hinaus  drang  der  Ruhm  seiner  Muse.  In 
den  Werken  650  ff.  lesen  wir,  dass  der  Dichter  einst  von  Aulis  nach 
Chalkis  in  Euböa  zu  den  Leichenspielen  des  Amphidamas  gefahren  sei,^) 
bei  diesen  im  Hymnus  gesiegt  und  den  Dreifuss,  den  er  als  Siegespreis 
errungen,  den  Musen  des  Helikon  geweiht  habe.  Zwar  ist  auf  diese  Nach- 
richt kein  sicherer  Verlass,  da  die  Echtheit  der  ganzen  Stelle  (Op.  646 
his  662)  schon  von  den  alexandrinischen  Grammatikern  beanstandet  wurde.  7) 
Aber  auch  die  Nachrichten  von  dem  Tode  des  Dichters^)  weisen  darauf 


*)  Hes.  Theog.  22  f. 

«)  Hes.  Op.  27—39;  213  ff.;  248  ff. 
274  ff. 

'}  So  eignete  sich  fOr  Schiffer  Op. 
618-94,  für  Bauern  Op.  383-617,  fttr 
Richter  Op.  213—69,  als  guter  Rat  beim 
Heiraten  Op,  695—705. 

*)  So  die  Erzählung  yom  Titanenkampf 
TL  617-819,  die  Prometheussage  Th.  535 
bis  610,  der  Pandoramythus  Op.  42—89,  die 
fünf  Weltalter  Op.  109-201,  die  Hymnen 
auf  die  Musen  und  Hekate  Th.  36—104  u. 
413-49. 

')  In  Orchomenos  zeigte  man  das  Grab 
des  Hesiod  auf  dem  Marktplatz  der  Stadt; 
8.  Cert  Hes.,  Paus.  IX  38,  3,  Vit.  Hes.  Die 
Nachricht  geht  auf  Aristoteles  if  rß  O^/o- 
fuyitoy  7ioXiTfi<f  zurQck  (s.  Vit.  Hes.  und 
Proklos  zu  Op.  631);  vgl.  Boss,  Arist.  pseudep. 
PL  505  ff. 

*)  Von  jenem  Amphidamas  lesen  wir  bei 
Flntarch  Ccfnv.  sept.  sap.  c.  10,  wahrschein- 
lich nach  Aristoteles:  ^»^  ^i  *Jfi<pMfÄag  ayiJQ 
nohnxos    xai    noXXa    nqayfiaxa    naqaüx^y 


^EQBXQiBvaiy  ev  raig  negl  ArjXaf^tov  fiaxa^ 
hieasy,  woran  Bbbok,  Gr.  Lii^.  I  930  die  von 
RoHDE,  Rh.  M.  36,  421  ff.  bekämpfte  Ver- 
mutung knfipfte,  dass  derselbe  nicht  vor 
Ol.  29,  1  gestorben  sei.  Nach  Rohdes  Be- 
rechnungen hätten  die  Alten  vielmehr  den 
Amphidamas  160  nach  den  Troika  leben 
lassen. 

')  Proklos  fand  zu  V.  649  ein  kritisches 
Zeichen:  arjfÄeiovTM  6  ^rxixog  ovtog  '  eintoy 
yaQ  Bivai  aneigog  vavnXlfcg  n<ag  vnoTt&erai 
avjijy;  der  Athetese  war  nach  Proklos  z.  St. 
auch  Plutarch  beigetreten,  ebenso  der  Ge- 
währsmann des  Pausanias  IX  31,  3.  Vgl. 
Procl.  ehrest,  p.  232,  20  W. :  änioi,  dk  ol 
ro  «XviygAa  (corr.  iniyQttfjifAa)  nXdaayxeg  xovto 
'Halodog  Movaaig  ^Xixcjylat  toVcT  ayä&ijxey^ 
vfiyiü  vixrjaag  iy  XaXxldv  dioy  "Ofitjgoy, 
dXXd  yuQ  inXavij&fjatty  ix  ttoy  'Haioökitoy  tj- 
fASQtay  '  ixBQoy  ydg  xt  (corr.  xiya)  <fr]f4.alyei. 
Neuerdings  schreibt  Eirchhoff  in  seiner  Aus- 
gabe S.  72  ff.  die  Stelle  wieder  dem  alten 
Hesiod  zu. 

*)  Es  gab  zwei  Ueberlieferungen  über 


88 


Griechische  Litieratargeschichte.    I.  ElaeBisohe  Periode. 


hin,  dass  derselbe  von  seiner  böotischen  Heimat  nach  Westen  über  Delphi 
hinaus  bis  nach  Naupaktos  ins  Tiand  der  ozolischen  Lokrer  gekommen 
war.  Vom  Orakel,  in  Delphi,  so  erzählten  die  Alten,  gewarnt,  den  Hain 
des  nemeischen  Zeus  zu  betreten,  da  dort  ihm  zu  sterben  bestimmt  sei, 
hatte  er  sich  nach  Oineon  in  Lokris  gewandt,  ohne  eine  Ahnung  zu 
haben,  dass  auch  dort  ein  dem  nemeischen  Zeus  geheiligter  Ort  war.^) 
In  Oineon  also  kehrte  er  bei  den  Söhnen  des  Phegeus,  Amphiphanes  und 
Ganyktor,  *)  ein,  geriet  aber  in  den  Verdacht,  die  Schwester  seiner  Gast- 
freunde, Klymene,  verfuhrt  zu  haben.  Die  Brüder,  darüber  ergrimmt, 
erschlugen  ihn  und  warfen  seinen  Leichnam  in  das  Meer.  Delphine  brachten 
den  Toten  ans  Land,  wo  er  in  einem  Felsengrab  bestattet  wurde.  Die 
Sage  ist  natürlich  poetisch  ausgeschmückt;  aber  ein  historischer  Kern 
wird  ihr  zu  gründe  liegen,  wahrscheinlich  der,  dass  Hesiod  im  Lande  der 
Lokrer  gestorben  ist.  Denn  dort  in  Naupaktos  erbte  sich  auch  die  hesio- 
dische  Sangesart  fort,  wofür  schon  der  Name  Navnaxtia  ^Ttrj  einer  Dich- 
tung der  hesiodischen  Schule,  zeugt.  Wenn  auf  der  anderen  Seite  auch 
Orchomenos  auf  dem  Markt  das  Grab  des  Hesiod  zeigte,  so  ward  dies 
früh  so  gedeutet,  dass  die  Orchomenier,  einem  Orakelspruch  zufolge,  die 
Gebeine  des  Dichters  aus  dem  Lande  der  Lokrer  nach  ihrer  Stadt  über- 
geführt hätten.^)  Einfacher  wird  es  sein  anzunehmen,  dass  sich  auch  an 
Orchomenos,  die  alte  Hauptstadt  Böotiens,  Erinnerungen  aus  dem  Leben 
des  Hesiod  knüpften.  Später  errichteten  ihm  auch  die  Thespier  auf  dem 
Markt  ein  ehernes  Standbild,^)  und  zeigte  man  auf  dem  Helikon  einen 
sitzenden  Hesiod  mit  der  Kithara  auf  den  Knieen,  welche  Darstellung 
Pausanias  tadelt,  da  dem  Hesiod  nach  seinen  eigenen  Worten  im  Eingang 
der  Theogonie  der  Lorberstab,  nicht  die  Kithara  zukomme.^) 

66.  Lebenszeit  des  Hesiod.  Verwickelt  ist  die  Frage  nach  der 
Lebenszeit  des  Hesiod,  in  der  schon  die  Alten  zwiespältiger  Meinung 
waren.  Es  handelt  sich  hiebei  zunächst  um  das  Verhältnis  des  Hesiod 
zu  Homer.  Herodot  H  53  nahm  beide  als  gleichzeitig  an  und  Hess  sie 
400  Jahre  vor  seiner  Zeit  gelebt  haben.  Ephoros  nach  Ps.  Plutarch  vit. 
Hom.  2  hielt  den  Hesiod  für  etwas  älter,  indem  er  dessen  Vater  zum 
Grossonkel    Homers    machte,*')    welches   Verhältnis    das   Marmor    Parium 


den  Tod  des  Dichters,  eine  yon  Alkidamas 
und  eine  von  Eratosthenes;  s.  Friedel,  Die 
Sage  von  Hesiods  Tod,  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl. 
X  235  ff. 

*)  Thucyd.  HI  96 :  iy  rw  rot;  Jiog  xov 
NsfAemov  Uqw  'HaioSog  6  nMijtijs  Xiystiii 
vno  Xüiv  xavxf^  ano&ayety,  XQV^^^*^  oor^  iy 
N€fÄd<f  Tovxo  •nadeiy.  Damit  stimmen  überein 
Gert.  Hes.,  Plut.  Conv.  sept.  sap.  19,  Paus.  IX 
31,  5  u.  38,  3,  Vit.  Hes.,  Anth.  VIF  55. 

')  So  nannte  sie  Alkidamas;  Antiphos 
und  Ktimenos  hingegen  hiessen  sie  bei  Era- 
tosthenes  (und  Suidas)  nach  dem  Zeugnis 
des  Certamen. 

')  Die  Deutung  wäre  sehr  alt,  wenn 
auf  die  Angabe  Verlass  wäre,  dass  Pindar 
mit  Bezug  auf  jenes  Doppelbegräbnis  das 
Epigramm  gedichtet  habe: 


XaiQB  &ig  vßrjcag  xal  dig  tatpov  dvtißoXtjaagy 

'Haio&'i  ay^Qüinoig  (jiixqov  e^ioy  <rotpitjg. 
Das  darauf  bezügliche  Sprichwort  'HaUieioy 
yrJQoig   erwähnte  nach   den   Parümiographen 
I    456    schon    Aristoteles    iy    'Og^o/ueyliay 
noXixelq, 

*)  Paus.  IX  27,  4. 

*)  Paus.  IX  30,  2. 

•)  Vgl.  Sbngebüsch,  Hom.  diss.  I  160; 
dass  vor  Ephoros  schon  Simonides  Ceus  die 
gleiche  Meinung  geäussert,  erweist  Stern- 
bach, Comm.  Ribbeck.  358  aus  dem  Gno- 
mologium  Vaticanum:  lifAtayLdrjg  roV  'Haio- 
&oy  xfjnovQoy  ^keye,  xoy  dk^OfjLrjqoy  axeKpayfi- 
nXoxoy^  xoy  fx^y  (6g  (pvxevaayxa  xag  ttbqI 
t^fo/v  xal  iJQtotay  fivS-oXoyiag,  xoy  <f^  tog  }( 
ecvxtay  avjunXd^ayxa  xoy  'iXtadog  xal  'Odvc-' 
aeiag  oxdq>ayoy. 


A.  EpoB.    5.  HMiodoB.    (§  65.) 


derart  in  Zahlen  umsetzte,  dass  es  den  Hesiod  30  Jahre  älter  als  Homer 
sein  liess.^)  Dem  entgegen  schlössen  die  alexandrinischen  Kritiker  Era- 
tosthenes  und  Aristareh  aus  der  Erweiterung  der  geographischen  Kennt- 
nisse^) und  Mythen  bei  Hesiod,  ^)  dass  derselbe  nach  Homer  gelebt  haben 
mös8e>)  Die  Beweiskraft  der  in  diesem  Sinne  verwerteten  Stellen  steht 
zwar  nicht  ganz  ausser  Zweifel,  da  dabei  nicht  allein  die  ältesten  und 
zweifellos  echten  Werke  des  Hesiod,  die  Erga  und  Theogonie,  sondern 
auch  jüngere  Gedichte  und  Verse  von  zweifelhafter  Echtheit  in  Betracht 
gezogen  wurden.  So  kann  z.  B.  die  Fortbildung  des  Mythus  nicht  leicht  besser 
illustriert  werden,  als  durch  Vergleichung  der  Stelle  der  Odyssee  y  464, 
wo  die  jüngste  Tochter  des  Nestor,  die  schöne  Polykaste,  dem  Gaste 
Telemachos  die  Füsse  wäscht,  mit  den  Versen  des  Hesiod  bei  Eustathios 
zu  Od.  71  118,  welche  aus  jenem  harmlosen  Brauch  der  alten  Gastfreund- 
schaft eine  geschlechtliche  Verbindung  des  Telemachos  und  der  Polykaste 
ableiten,  deren  Frucht  der  Heros  Persepolis  gewesen  sei.*^)  Aber  die  Verse 
stehen  nicht  in  dem  echten  Hesiod,  sondern  gehörten  zu  dem  aus  der 
Schule  des  Hesiod  stammenden  Frauenkatalog.  Ebenso  finden  sich  die 
meisten  der  geographischen  Namen  an  Stellen,  deren  Echtheit  von  der 
modernen  Kritik  in  Zweifel  gezogen  wurde.  Indes  wenn  auf  solche  Weise 
auch  viele  Belegstellen  wegfallen,  so  bleiben  doch  noch  genug  zum  Be- 
weise, dass  zur  Zeit  Hesiods  die  geographische  Kenntnis  des  Westens  in- 
folge der  fortgeschrittenen  Seefahrt  und  der  Kolonisation  der  euböischen 
Chalkidier  weit  ausgebreiteter  war,  ^)  und  dass  Hesiod  nicht  bloss  die  Färbung 
des  Dialektes  aus  Homer  entlehnt,  sondern  auch  in  zahlreichen  Versen 
Stellen  des  Homer  nachgeahmt  hat.*^)    Den  Werken  des  Hesiod  also  ging 


')  Aehnlich  Tzetzes  in  Vit.  Hes.,  wenn 
er  den  Hesiod  in  den  Anfang  nnd  den  Homer 
an  das  Ende  des  35  Jahre  dauernden  Archen- 
tftts  des  Archippos  setzt.  Dem  Ephoros 
folgten  Accins  bei  Gellius  UI  11  und  Philo- 
steates  fleroic.  p.  162,  5.  Nach  Vit.  Hom.  6 
liielt  schon  Herakleides  den  Homer  fttr  älter 
als  Hesiod. 

')  Strab.  p.  23  n.  29,  wo  richtig  hervor- 
gehoben ist,  dass  Hesiod  bereits  den  NU 
(Th.  388),  den  Aetna  (Th.  860),  die  Thyrsener 
(Th.  1016)  und  Ortygia  kenne,  die  bei  Homer 
noch  nicht  vorkommen.  Man  kann  diesen 
Namen  noch  hinzuf&gen  den  Latinos,  den 
Sohn  der  Eirke  (Th.  1013),  den  Eridanos 
und  IstroB  (Th.  338  f.),  die  Insel  Erytheia 
mit  den  Hes^teriden  (Th.  290  u.  518). 

')  AristfU'ch  setzte  in  diesem  Sinn  seine 
Zeichen  K  4dl  -riQog  rd  negi  ijXtxla^  'Hauidov, 
I  246  oTi  jrjp  oXijy  UeXonoyyt^oy  ovx  oidey 
ö  itMijjfjg,  'Haio^os  di,  A  75()  Ott  ivxBv^Bv 
'fhiodog  "Axxa^og  xar*  inlxXijaiy  xttl  MoXlovog 
tirjovg  yeyeysaXoyrjxsy ,  femer  zu  M  22, 
5119,  9^683,  ß527. 

^)  An  Aristareh  schloss  sich  sein  Schüler 
Apollodoros  an  bei  Strabon  p.  299  und  370. 
Ueberifieben  drückt  sich  Cicero  de  senect.  XV 
54  ans:  Hamerus  qui  muliis  ut  mihi  videtur 
^nU   Hesiodum    saeculis    fuit.     Schon    vor 


den  Alexandrinern  hatte  Xenophanes  nach 
Gellius  III  11  die  gleiche  Meinung  vertreten. 

^)  EiRCHBOFF,  Die  hom.  Odyssee  315  ff. 

^)  Auf  die  von  den  Chalkidiem  ge- 
gründete Kolonie  Eyme  weist  insbesondere 
die  Erwähnung  des  Latinos  in  Theog.  1013 
KiQxrj  yelyar*  'Odvaatjog  xaXaaltpQoyog  iy 
fpiXoTijti  ^AyQioy  tjdh  Attxlyoy,  Denn  be- 
kannt ist  der  Einfluss  von  Oumft  auf  Rom 
nnd  Latium;  auch  die  Verlegung  der  Kirke 
in  jene  Gegend  ist  wohl  aus  dem  Anklang 
von  Klqxi]  an  das  Promontorium  Circeium  ent- 
standen. Ob  auch  "Ayqiog  aus  "A^giog  ent- 
standen ist  und  mit  dem  Avemersee,  dem 
Sitz  der  Sibylle,  zusammenhängt? 

^)  Eine  Ausgabe  mit  genauem  Nachweis 
der  parallelen  Stellen  Homers  haben  wir 
noch  nicht;  gute  Vorarbeiten  dazu  lieferte 
Ed.  Rausch,  Quatenus  Hesiodi  elocutio  ab 
ezemplo  Homeri  pendeat,  Regiom.  1876  und 
Elbing  1878,  Martin,  De  Od^ssea  et  Theo- 
gonia,  Speirer  Progr.  1889.  Die  Nachahmung 
selbst  steht  ausser  Zweifel,  und  es  fragt  sich 
nur,  inwieweit  auch  Stellen  der  jüngsten 
Partien  homerischer  Gesänge  nachgeahmt 
sind.  In  dieser  Beziehung  ist  von  Wichtig- 
keit die  Vergleichung  von  Op.  403  inätoy 
yofiog  und  y249;  Op.  721  und  7  250;  Op. 
299  ^toy  yeyog   und    l  538;    Op.  648  fi^rga 


90 


Orieehiaohe  Litteraturgesehlohte.    I.  KlaMisdhe  Periode. 


die  Dichtung  der  ganzen  Ilias  mit  Einschluss  des  letzten  Gesangs  und 
ebenso  die  Odyssee,  wenigstens  die  älteren  Teile  derselben  voraus.  Auch 
die  Umsetzung  des  ursprünglichen  äolischen  Textes  des  Homer  in  den 
ionischen  Mischdialekt  muss  jedenfalls  der  Zeit  des  Hesiod  vorausgegangen 
sein,  da  es  sonst  unerklärlich  bliebe,  wie  der  im  äolischen  Böotien  ge- 
borene Dichter  sich  des  ionischen  Dialektes  der  keinasiatischen  Epiker 
bedienen  mochte.  —  Auf  der  anderen  Seite  steht  ebenso  fest,  dass 
Hesiod  den  lambographen  Simonides  und  Archilochos  bereits  bekannt  war. 
Denn  gewiss  waltet  nicht  blinder  Zufall  im  Zusammentreffen  von  Hes. 
Op.  702 

ov  fi^v  ydq  %i  yvvmxoq  dvrJQ  Xrjt^er'  a^isivov 
TTJg  dya&rjg,  rrjg  d'avts  xaxijg  ov  ^lyiov  allo 
und  Simonides  fr.  6. 

yvvaixog  ovd^v  XQW'  ^'^Q  Xrjt^evai 
ia&Xijg  iifieivov  ov6^  ^iyiov  xaxfjgA) 
Auch  der  korinthische  Epiker  Eumelos,  der  von  den  Alten  in  die  6.  oder 
9.  Olympiade  gesetzt  wird,  lebte  sicher  erst  nach  Hesiod;  ebenso  ist  der 
homerische  Schiffskatalog  aller  Wahrscheinlichkeit  nach   der  hesiodischen 
Theogonie  eher  nachgefolgt  als  ihr  vorausgegangen. 

Demnach  lässt  sich  für  die  Zeit  des  Hesiod  sowohl  ein  terminus 
post  quem  als  einer  ante  quem  mit  Sicherheit  feststellen.  Die  Versuche 
darüber  hinaus  zu  einer  engeren  Abgrenzung  zu  kommen,  schlugen  in  der 
Mehrzahl  fehl.*)  Nur  das  eine  äussere  Anzeichen,  das  in  der  Schilderung 
vom  Ausbruch  des  Ätna  (Th.  820—80)  liegt, »)  liefert  den  sicheren  Beweis, 
dass  die  Theogonie  in  der  Zeit  nach  Gründung  der  Kolonien  Sikiliens  durch 
Chalkis,  die  Mutterstadt  von  Naxos,  Leontinoi  und  Katane,  gedichtet  wurde. 


&aXdaarjg  und  fiixQa  xeUv»ov  d  389,  x  589, 
ferner  von  Op.  318  und  Ä45;  Th.  128—9 
(mit  kontrahiertem  vvfifptav)  nnd  Sl  615 — 6; 
Th.  341-  2  und  Af  20—1.  In  die  Telemachie 
a  56  kam  alf^vXioiai  Xoyoiai  aus  Theog.  890, 
wahrscheinlich  auch  in  a>  12  dtjfioy  ovBiQiav 
aus  Theog.  212  q)vlov  oveiQtoy.  Auch  die 
hftufigere  Vemachlfissigung  des  Digamma 
bei  Hesiod  beweist  die  spätere  Zeit  der  Ab- 
fassung, zumtd  bei  ihm  ausser  Zweifel  steht, 
dass  seine  Landsleute  noch  das  Digamma 
sprachen. 

M  Aehnlich  Archil.  fr.  88  nach  Op.  202  ff. 
und  213;  Alcaeus  fr.  39  nach  Op.  584  ff.; 
Alkman  fr.  106  nach  Th.  961.  Vgl.  Stbitz 
in  seiner  Ausgabe  der  Erga  S.  3. 

^)  Die  astronomischen  Berechnungen  aus 
den  Stemdeklinationen  sind  in  Seifenblasen 
aufgegangen;  wichtig  scheint  besonders  zu 
sem  Op.  566  f.  u.  610  über  den  Aufgang  des 
Arkturus;  s.  Robinson,  Vit.  fles.  p.  LIX  ff.; 
Ideler,  Handb.  d.  Chronologie  1 246;  Gallbn- 
MÜLLBR,  Progr.  d.  alten  Gymn.  in  Regensburg 
1885.  Die  Angabe  femer,  dass  Stesichoros 
ein  Sohn  des  Hesiod  und  der  Elymene  sei 
(s.  schol.  ad.  Op.  271  u.  Vit.  Hesiodi)  sieht 
ganz  wie   eine   leere,   aus   der  Mythenver- 


wandtfichaft  abgeleitete  Fiktion  aus.  Des 
weitem  statzt  sich  der  Ansatz  des  Zeitalten 
des  Amphidamas  (Op.  650  ff.)  auf  1020—980 
y.  Chr.  (s.  Rohdb  Rh.  M.  36,  421  ff.)  auf  die 
schlechten  und  unverl&ssigen  Hilfsmittel  der 
alten  Chronologen.  Endlich  die  Erwähnung 
eines  nackten  Ringkampfes,  der  uns  in  die 
Zeit  nach  Ol.  15  fCLhren  würde  (s.  schol.  Hom. 
2^683  =  Hes.  fr.  127;  vgl.  Voss,  Mythol. 
Briefe  2)  findet  sich  nicht  m  den  echten 
Werken  des  Hesiod,  sondem  stand  in  irgend 
einem  der  untergeschobenen  Epen. 

')  Th.  860  0VQ60S  iv  ßtjcanair  ^Aijyfiq 
nainaXoeaarj^y  wo  SchOmann  mit  glücklichem 
Scharfblick  'Mryrjg  für  das  überlieferte  mS^jg 
herstellte.  Homer  selbst  (nicht  der  Verfasser 
des  Schiffskataloges,  wie  gewöhnlich  ange- 
nommen wird)  hatte  bereits  in  dem  2.  Ge- 
sang der  üias  B  783  den  Typhoeus,  den 
Repräsentanten  feuerspeiender  berge,  im  Land 
der  Arimer  erwähnt.  Er  hatte  aber  dabei 
nicht  an  den  Aetna,  sondem  an  den  Vulkan 
Argaios  in  Eappadokien  gedacht,  wie  Pabtsgh, 
Geologie  u.  Mythologie  in  Eleinasien,  Philol. 
Abb.  zu  Ehren  von  Hbbtz  S.  105—122  nach- 
gewiesen hat. 


A.  Epos.    6.  HesiodoB.    (§  66.) 


91 


Danach  hat  denn  auch  in  unserer  Zeit  Fick,  Hesiods  Gedichte  S.  4,  indem 
er  auch  noch  die  Fabel,  dass  Stesichoros  ein  Sohn  des  Hesiod  und  der 
Elymene  gewesen  sei,  zur  Zeitbestimmung  heranzog,  die  Blüte  unseres 
Dichters  auf  675  angesetzt.  Wir  begnügen  uns  mit  der  runden  Zahl  700 
V.  Chr. 

66.  Charakter  der  hesiodischen  Poesie.  Hesiod  ist  Vater  und 
Hauptvertreter  des  didaktischen  Epos,  wie  Homer  des  heroischen.  Diese 
neue  Richtung  der  Poesie  hing  zunächst  mit  der  individuellen  Anlage 
unseres  Dichters  zusammen:  Hesiod  war  eine  hausbackene,  verständig 
beobachtende,  des  kühnen  Fluges  der  Phantasie  wie  der  tieferen  Erregt- 
heit des  Gremüts  entbehrende  Natur,  geboren  zum  Dichter  für  Bauern, 
wie  Homer  zum  Dichter  für  Könige.  Es  hatte  aber  auch  die  neue  Rich- 
tung ihre  Wurzeln  in  dem  Naturell  seiner  Landsleute  und  dem  Zustand 
seines  Heimatlandes:  dort  in  Asien  eine  frisch  aufblühende  Entwicklung 
auf  dem  Boden  älterer,  vorgeschrittener  Kultur,  ein  leicht  bewegliches, 
durch  die  See  in  die  Ferne  gewiesenes  Volk,  Hörer  voll  Lust  und  Freude 
an  Mären  und  Abenteuern;  hier  in  Böotien  ärmliche,  im  Rückgang  be- 
findliche Verhältnisse,  eine  wesentlich  auf  Ackerbau  und  Viehzucht  an- 
gewiesene Bevölkerung,  wenn  auch  nicht  gerade  stumpfsinnig,  so  doch 
ohne  Schwung  und  geistige  Beweglichkeit.  Dem  Inhalt  nach  enthält  also 
die  hesiodißche  Poesie  verständige  Belehrung  über  Hauswesen  und  Acker- 
bau, zusammenfassende  Unterweisung  über  alte  Sagentraditionen,  fromme 
Einführung  in  den  öötterglauben,  doch  alles  dieses  so,  dass  die  eigent- 
liche Grundlage  des  Epos,  der  Mythus,  nie  ganz  verleugnet  wird,  vielmehr 
öfters  in  ausgesponnenen,  lebhafteren  Pulsschlag  verratenden  Episoden  die 
lehrhafte  Darstellung  durchbricht.  Der  Form  nach  knüpfte  die  Poesie  des 
Hesiod  teils  an  das  homerische  Epos  an,  dem  sie  in  Versmass,  ^)  Dialekt^) 
und  sprachlichem  Ausdruck  folgte,  teils  trat  sie  in  Gegensatz  zu  ihm 
durch  den  Charakter  einfacher  Aufzählung  und  lockerer  Aneinanderreihung, 
verbunden  mit  der  Neigung  zur  strophischen  Gliederung. »)   Von  den  alten 


^)  Yom  daktylischen  Hexameter  haben 
aoch  die  Gedichte  des  Hesiod  den  Namen 
inrj  erhalten. 

')  Dem  homerischen  Grandton  der  Spra- 
che sind  nur  einige  lokale  Eigentümlich- 
keiten beigemischt,  wie  die  Acc.  plnr.  auf  äg 
(delphisch  und  thessalisch),  die  3.  Fers.  plur. 
Ulf  oy  {iditfoy  Op.  139,  6&oy  Th.  30),  *Txa 
statt  Itffiyya  (bdotisch);  s.  Förstemaitn,  De 
äalecto  Heeiodea,  Hai.  1863;  Rzach,  Der 
Dialekt  des  Hesiod  in  Jhrb.  f.  Ph.  Suppl.  8. 
Dem  üebergang  des  homerischen  Dialekts 
ffl  die  hesiodiache  Poesie  steht  der  Gebrauch 
des  gleichen  Dialektes  in  den  delphischen 
Orakel^irachen  zur  Seite.  Fick  nimmt  auch 
ftr  Hedod  spfttere  Umdichtung  an  und  gibt 
in  seiner  Odyssee  S.  397  ff.  eine  Probe  seines 
vr^rBngUchen  Hesiod  in  altthessalischem, 
in  Bezzenbergers  Beitr.  XU  (1886)  1-37 
eine  solche  in  delphischem  Dialekt.  Diese 
•eiiie  Anschauungen  hat  jetzt  der  ingeniöse 
Gelehrte  in  dem  Buche,  Hesiods  Gedichte 


(1887),  dahin  ausgeführt  und  modifiziert,  dass 
er  die  Theogonie  im  delphischen,  die  Erga 
im  altftolischen,  die  Zusfttze  beider  Dichtungen 
zum  grösseren  Teil  im  ionischen  Misch- 
dialekt verfasst  sein  lässt.  Von  der  Zu- 
stimmung hält  mich  nicht  bloss  die  über- 
lieferte Form  des  Textes,  sondern  auch  die 
geringe  Wahrscheinlichkeit  einer  späteren 
Umschrift  ab.  Vgl.  Mbnbad,  Philol.  Anz. 
1887  n.  8. 

*)  Solche  Gruppen  von  meistens  drei, 
mitunter  auch  fünf  und  vier  Versen  sind 
unverkennbar  in  den  aufzählenden  Partien, 
namentlich  der  Theogonie,  wenn  man  auch 
eine  strenge  Durchfährung  des  strophischen 
Prinzips  vermisst  Aufgesucht  sind  sie  von 
Gbtjppb,  Ueber  die  Theog.  des  Hes.  1841 
und  G.  Hbrmann,  De  Theog.  forma  antiquis- 
sima  1844  (Op.  VIH  47  ff.),  im  Texte  ange- 
zeigt von  EöoHLY  in  seiner  Ausgabe  (vgl. 
dessen  Akad.  Vortr.  I  387  ff.);  neuerdings 
stellte  Fick  sechszeiüge  Strophen  her.    Zu 


92  Ghriechisohe  LitUratnrgesohichte.    I.  Klassisohe  Periode. 

Kunstkritikern  wurde  diese  Stilform  *^H<n6d€iog  xccQaxti^Q  genannt  und  daher 
z.  B.  das  trockene  Verzeichnis  des  Nereidenchors  in  der  Dias  2  39—49 
verworfen  cHg  'Haiodeiov  ixov  x^Q^^VQ^-^)  Daniit  verband  sich  die  gleich- 
falls von  den  Alten  schon  erkannte  Neigung  zur  gnomischen  und  alle- 
gorischen Darstellung,^)  welche  den  Gegensatz  zur  heiteren  Phantasie  und 
plastischen  Naturwahrheit  Homers  bildete.  Wird  man  in  allem  dem 
einen  starken  Abfall  von  der  Herrlichkeit  homerischer  Poesie  finden  müssen, 
so  darf  man  doch  nicht  den  grossen  und  wohlthätigen  Einfluss  verkennen, 
den  der  sittliche  Gehalt  der  hesiodischen  Poesie  und  die  Mahnung  zu 
rühriger  Thätigkeit  auf  die  Entwicklung  des  griechischen  Volkes  übte. 
Der  geistige  Genuss  an  Meisterwerken  der  Schönheit  übt  zwar  auch  an 
und  für  sich  einen  veredelnden  Einfluss  auf  Sitten  und  Anschauungen 
eines  Volkes  aus;  aber  zur  Erziehung  der  Jugend  und  Durchsittigung  der 
Massen  bedarf  es  direkter  ethischer  Nahrung,  und  glücklich  ein  Volk,  dem 
dieselbe  gleich  in  seinen  Anfängen  durch  den  Honigmund  eines  Dichters 
gereicht  wird. 

Mit  den  Werken  des  Hesiod  ist  es  ähnlich  gegangen  wie  mit  denen 
Homers;  auch  dem  Hesiod  ist  vieles  zugeschrieben  worden,  was  von 
seiner  Schule  ausging,  und  auch  seine  echten  Werke  haben  viele  Inter- 
polationen erfahren,  die  um  so  eher  Eingang  finden  konnten,  je  lockerer 
das  umschlingende  Band  war.  Vorangestellt  wird  von  den  Werken  Hesiods 
gewöhnlich  die  Theogonie  als  das  ältere  Gedicht;»)  wir  beginnen  lieber  mit 
den  Erga,  weil  deren  Echtheit  am  wenigsten  Zweifeln  unterliegt. 

67.  Die  "Egya  waren  nach  der  Tradition  der  Böotier  am  Helikon 
das  einzige  echte  Werk  des  Hesiod;*)  jedenfalls  sind  sie  dasjenige,  in 
welchem  seine  Persönlichkeit  am  klarsten  uns  entgegentritt.  Dasselbe 
ist  gerichtet  an  den  Bruder  des  Dichters,  Perses,  und  hat  den  Doppel- 
titel "Egya  xai  n^fnegai  {Opera  et  dies),  weil  es  eine  Anweisung  zur  Ver- 
richtung der  Arbeiten  und  im  Anhang  dazu  einen  Arbeitskalender  nach  den 
Tagen  des  Monats  enthält.  Eine  vollkommene  Einheit  bilden  die  828  Verse 
des  Gedichtes  in  keinem  Fall;  es  bestehen  nur  hier,  ähnlich  wie  bei  Homer, 
zwei  Möglichkeiten,  dass  entweder  der  Dichter  selbst  ein  Ganzes  überhaupt 
nicht  beabsichtigte,  so  dass  nicht  Hesiod,  sondern  ein  späterer  Ordner  als 
eigentlicher  Vater  des  Gesamtgedichtes  zu  gelten  hätte,  oder  dass  die  Mangel 


vergleichen  sind  die  strophenartigen  Absätze  scheinen  zu  lassen.    Noch  bestimmter  weist 

in   der  lyrischen  Totenklsge  an  der  Bahre  der  Vers  659  auf  Theogonie  als   das  filtere 

des  Hektor   IL  Sl  725—75,   worüber  zuletzt  i  Gedicht   zurück;    aber  die  Echtheit   dieses 

Seibbl,  Die  Klage  um  Hektor,  Progr.  München  Verses  ist  bestritten.  Nach  Lucian,  de  salt  24 

1881  gehandelt  hat.  '  stand  in  den  Handschriften   des  Hesiod  die 

^)  Schol.  A  zu  i?  39,  .ß  614.  |  Theogonie  voran.    Den  alten  Grammatikern 

^)  Scholien  zu  IL  0  21  p.  410,  12  B.  u.  folgend  setzen  auch  Eirchhoff  und  Fick  die 

Od.  o  74.    Mit  dem  Mangel  an  plastischer  |  Theogonie  als  das  filtere  Epos  vor  die  Erga. 

Darstellung  hfingt  es  auch  zusammen,   dass  ,  *)  Paus.  IX  31,  4:    Botwtwr  ol  negl  iw 

Hesiod    der  Kunst,    namentlich   der   älteren  I  'Ehxwya  oixovyreg  TtaQBiXrjfifÄäva  doS^  Xfyoih' 

Vasenmalerei,    sehr    wenig    Anregung    bot,  i  aiytog  äXXo'HaMo^  noiijaai  ot'dey  ^  rdT^ya. 

worüber  Bbuvn,  Stzb.  d.  b.  Ak.  1889,  H  73.  |  Ob  aber  diese  Leute  am  Helikon  nicht  die 

')  Der  Vers  Op.  11    ovx  «qu  (ehedem  |  Meinungen  der  gelehrten  Chorizonten  wieder- 

vielleicht  ov  xoi)  fiovvov  irjy  'EQidtjy  y^vog  \  gaben,   wie   Pausanias  VI  22,  6   auch   den 

scheint  auf  Theog.  225  zurückzuweisen,   die  i  Eleem  Dinge  in  den  Mund  legt,  welche  die 

Theogonie  also  als  das  filtere  Gedicht  er-  ,  Gelehrten  ermittelt  hatten? 


A.  Epos.    6.  HeaiodoB.    (g  67.) 


93 


der  Ordnung  erst  durch  Zusammenfügung  mehrerer,  zu  verschiedener  Zeit 
gedichteten  Teile  und  durch  Einlage  fremder  Zusätze  entstanden  sind.  Die 
auflösende  Kritik  hat  auch  hier  in  unserer  Zeit  ihre  geschäftige  Thätigkeit 
entfaltet;  1)  aber  so  anregend  und  fruchtbar  auch  die  Nachweise  mangelnden 
Zusammenihanges  einzelner  Teile  gewesen  sind,  so  überwiegen  doch  auch 
hier  die  Anzeichen  der  Zusammengehörigkeit  der  Hauptteile.  Die  Anrede 
an  Perses  rührt  unzweifelhaft  nicht  von  einem  späten  Diaskeuasten, 
sondern  von  Hesiod  selbst  her.  Da  nun  diese  sich  an  mehreren  weit  aus- 
einanderliegenden Stellen  des  Werkes  findet,  so  spricht  von  vornherein 
fOr  alle  diese  die  Wahrscheinlichkeit,  dass  sie  vom  Dichter  als  Teile  eines 
Ganzen  gedichtet  waren.  Eher  hingegen  sind  diejenigen  Partien,  in 
denen  der  Name  Perses  gar  nicht  vorkommt,  dem  Verdachte  nachträg- 
b'cher  Eindichtung  ausgesetzt.  Solche  sind  das  Anhängsel  der  Tage 
(765  828),  die  beiden  Sentenzensammlungen  317—382  und  695—764, 
die  Schilderung  der  fünf  Weltalter  (109—201),  der  Pandoramythus  (49  bis 
104).  In  der  That  sind  alle  diese  Partien,  wenn  sie  auch  mit  dem  Grund- 
gedanken des  Gedichtes,  dass  in  der  gegenwärtigen  Zeit  vor  allem  Arbeit 
und  Thätigkeit  not  thue,  in  idealem  Zusammenhang  stehen,  doch  nur  äusserst 
locker  mit  dem  übrigen  Gedicht  verbunden,  so  dass  man  den  Eindruck  em- 
pfangt, als  seien  sie  ursprünglich  für  sich  bestanden  und  erst  später,  vielleicht 
von  Hesiod  selbst,  den  Erga  einverleibt  worden:*)  Von  dem  Proömium  an  die 
Musen  (1 — 10)  ist  ohnehin  die  spätere  Zudichtung  durch  Pausanias  IX 
31,  4  bezeugt.  3)  Was  nach  Ausscheidung  dieser  Einlagen  und  einiger 
kleineren  Zusätze^)   übrig  bleibt,    ist  aber  auch  noch   kein   geschlossenes 


M  TwESTEN,  Conunent.  crit.  de  Hesiodi 
carmiiie  qaod  inscribitor  Opera,  Kiel  1815; 
Lehbs,  Qnaest.  ep.  179—252,  wo  die  Anord- 
oang  der  Sprflche  nach  dem  Alphabet  er- 
wiesen wird;  Thibbsch,  De  gnomids  carmi- 
nibus  Graecornm,  Acta  phil.  Mon.  III  402  ff. 
Dagegen  konservativ  Hakkb,  De  Hesiodi 
openbos  et  diebus,  Gott.  1838;  Vollbbhb, 
Hesiodi  Opera  et  dies,  Kiel  1844;  vennit- 
tebd  Stbitz,  De  Operom  et  dieram  com- 
pofiitione,  forma  pristina  et  interpolationibus 
Gott  1856;  Hbtzel,  De  carminis  quod  0.  et 
B.  inscribitor  compositione  et  interpolatio- 
rnbus,  Weüburg  1860.  Vgl.  Süsbmihl,  Zur 
Lttteratnr  des  Hesiod,  in  Jahrb.  f.  Ph  89, 1  ff. 
Eine  Zerlegung  in  die  einzelnen  Teile  stellt 
Fiek  in  seiner  Ansgabe  auf.  Eirchhoff  in 
seiner  Ansgabe  macht  den  Versuch,  den 
alten,  dem  Hesiod  zuzuschreibenden  Grund- 
bestandteil von  den  späteren  Znsätzen  durch 
verschiedene  Schrift  zu  scheiden  und  das 
alte  Gedicht  in  acht  einzelne,  sehr  ungleiche, 
lieder  za  zerlegen. 

')  Am  meisten  noch  hängt  der  Pandora- 
mythoa  mit  dem  Grundstock  des  Gedichtes 
zusammen  und  ist  im  engen  Anschluss  an 
dessen  Grundgedanken  gedichtet,  da  ja  die 
Sendung  der  Pandora,  wie  die  Sünde  der  Eva 
im  alten  Testament,  die  Nötigung  zur  Arbeit 
gebracht   hat.     Auch  die  EemsprQche  und 


die  Dichtungen  von  den  Weltaltem,  deren 
Anklänge  an  altindische  Poesie  Roth,  Der 
Mythus  von  den  fQnf  Menschenaltem  bei 
Hesiod  und  die  indische  Lehre  von  den  vier 
Weltaltera,  Tüb.  1880,  nachgewiesen  hat, 
machen  den  Eindruck  echter  hesiodischer 
Poesie.  Spätere  werden  sie  den  Erga  einge- 
legt haben,  damit  sie  nicht  in  ihrer  Ver- 
einzelung zu  gründe  gingen. 

*)  Das  Proömium,  das  auch  Aristarch 
und  Plutarch  Sympos.  IX  1,  2  verwarfen,  ist 
ein  elendes  Plickwerk,  von  dem  man  sich 
nur  wimdem  kann,  dass  es  bei  Eirchhoff 
in  seiner  Ausgabe  Gnade  fand.  Nach  den 
Schollen  des  PSroklos  hat  noch  Praxiphanes, 
der  Schüler  Theophrasts,  eine  Ausgabe  der 
Erga  ohne  dieses  Proömium  gefunden,  so 
dass  dieselben  gleich  mit  dem  Verse  Ovx 
liga  fiovvov  evjv  ^Egidcay  yt'yog  begannen. 
Wie  Mabtik,  Das  Proömium  zu  den  Erga 
des  Hesiod,  Diss.  München  1897,  wahr- 
scheinlich macht,  ist  das  Proömium  erst  im 
Beginne  der  Alexandrinerzeit  hinzugedichtet 
worden  von  stümperhaften  Grammatikern, 
welche  an  dem  abrupten  Eingang  der  echten 
Erga  Anstoss  nahmen. 

*)  Solche  Interpolationen  sind  die  Verse 
504  536  von  den  Leiden  des  Winters,  in 
denen  der  ionische  Monatsname  Aijvmoiv 
(504)  und  der  Name  Hav^XXtjyeg  auf  späten, 


94 


Grieohisohe  Litieratnrgeschiohte.    1.  KlasBisohe  Periode. 


Ganze,  sondern  besteht  aus  zwei  gleichmässig  an  Perses  gerichteten  Teilen, 
einem  Rtigegedicht  (11— -48,  203—316),  worin  Hesiod  seinem  Bruder  und 
den  bestochenen  Richterkönigen  ihr  unrecht  vorhält,  und  einem  Lehr- 
gedicht, das  in  leidenschaftslosem  Tone  Anleitung  zum  Ackerbau  und  zur 
Schiffahrt  gibt  (383—616  u.  618—694).  Diese  beiden  Teile  sind  nicht 
zur  gleichen  Zeit  entstanden,^)  aber  sie  sind  doch  zur  Zusammenfugung 
zu  einem  Ganzen  bestimmt:  es  findet  sich  nur  ein  abrundender  Schluss 
(V  694  xcMQog  d*inl  naaiv  agiarog),  und  die  Aneiferung  zur  Arbeit  zieht 
sich  als  roter  Faden  durch  beide  Teile  hindurch.  Denn  sie  spricht  gleich 
aus  dem  Eingang  von  der  doppelten  Eris,  der  bösen  (Zank)  und  der  guten 
(Wettstreit),  und  sie  schlägt  die  Brücke  vom  ersten  zum  zweiten  Teil, 
indem  Perses  ermahnt  wird,  statt  durch  ungerechte  Rechtshändel,  durch 
redliche  Arbeit  sein  Auskommen  zu  suchen  (286 — 302,  315  f.). 

68.  Die  &€OYovia  in  1022  Versen  ist  ein  ehrwürdiger  Versuch,  die 
bunten  Gestalten  der  hellenischen  Götterwelt  in  ein  System  zu  bringen, 
wobei  die  alten  und  heimischen  Götter  mit  neuen  und  fremdländischen 
zusammengebracht^)  und  die  in  religiösen  Kulten  und  alten  Hymnen  über- 
lieferten Mythen  mit  Sätzen  theosophischer  und  kosmogonischer  Spekulation 
zu  einem  halb  poetischen,  halb  philosophischen  Lehrgedicht  vereinigt  sind.') 
Mit  gutem  Griff  hat  der  Dichter  seinen  Plan  so  durchgeführt,  dass  er  treu 
dem  Wesen  epischer  Poesie  die  Dinge  im  Werden  erfasste  und  so  eine 
Geschichte  der  Weltschöpfung  und  der  Göttergenerationen  dichtete.  Unter- 
stützt ward  er  in  der  Ausführung  dieses  Planes  durch  den  Charakter  des 
griechischen  Mythus,  der  überall  von  Vater  und  Sohn  oder  Tochter  sprach 
und  auch  schon  bei  dem  ionischen  Sänger  zur  Einkleidung  kosmischer 
Vorgänge  in  poetische   Umhüllung   geführt    hatte.*)     Auch    mochten    die 


nichtböotischen  Ursprung  hinweisen,  die  Pa- 
rallelrezension 60—68  und  zahlreiche,  lose 
angefügte  Spruchverse;  vielleicht  auch  die 
Verse  646-662  von  den  Leichenspielen  des 
Amphidamas.  Sehr  weit  geht  in  der  An- 
nahme von  Zusätzen  Fick  S.  43  ff.,  so  dass 
ihm  für  die  echten  Werke  nur  144  Verse  übrig 
bleiben. 

0  Vgl.  V.  34  ff.  mit  396. 

^)  Manche  Gottheiten  bei  Hesiod,  die 
Homer  nicht  kennt,  erweisen  sich  durch  die 
vergleichende  Mythologie  als  uralt  und  arisch, 
wie  yAJila  =  lat.  Vesta,  ^'O^Sgog  —  skt. 
Vrtras,  'PeTa  =  skt.  urm  (breite  Erde),  KeQ- 
ßegog  —  skt.  sarvaras,  woraus  sabalas,  der 
scheckige  Hund  Yamas,  nach  Bknfey,  Vedica 
149  ff.  Hingegen  weist  auf  Eleinasien  hin 
die  XifiaiQa  und  der  Tr^wci»?,  auf  Aegypten 
die  2(piy^,  auf  die  Semiten  'läneiog  und 
Kd^fiog.  Diese  fremden  Bestandteile  der 
Theogonie  dürfen  uns  angesichts  des  ägyp- 
tischen Namens  Srjßai  und  der  ägyptischen 
Omamentmuster  in  der  von  Schliemaun 
ausgegrabenen  Schatzkammer  von  Orcho- 
menos  nicht  auffallen.  Selbst  bei  Homer 
finden  sich  schon  einige  orientalische  Namen, 
wie  Tvfffoevqy  Kififiigioij  W/^^wr,  andere 
später   verbreitete,    wie    KdßeiQoi,   "AdwyiS: 


MsXixiQxrjSy   ygvnes,    finden   sich    auch   bei 
Hesiod  noch  nicht. 

")  Hesiod  heisst  ^eoXoyog  und  o  ngtotor 
^eoXoyijactg  bei  Aristoteles  Met.  p.  983^  29 
u.  1000^  9.  Dass  es  vor  Hesiod  schon  Theo- 
gonien  gegeben  habe,  ist  sehr  unwahrschein- 
lich, wenn  auch  einzelne  Stellen  des  Homer, 
namentlich  die  Jiog  dnaitj,  zeigen,  dasa 
schon  vor  Homer  theogonische  Anschauungen 
und  Hymnen  in  Umlauf  waren;  s.  Schömahn, 
Comparatio  theogoniae  Hesiodeae  cum  Ho- 
merica,  Opusc.  U  25 — 29. 

*)  So  sind  zu  fassen  die  Fesselung  des 
Zeus  in  der  Luft  und  seine  Befreiung  durch 
die  Wassergottheiten  Thetis  und  Briareos 
in  J  397  ff.,  die  350  schwaizen  Rinder  (Nächte) 
und  die  350  weissen  Schafe  (Tage)  des 
Sonnengottes  /u  128  ff.  Diese  kosmogonischen 
Ideen  des  Mythus  gehen  in  die  indogermanische 
Vorzeit  zurück;  der  in  den  Veden  geschil- 
derte Kampf  des  Vrtras  und  die  Erbeutung 
der  Rinder  beziehen  sich  auf  die  Gewitter- 
wolke und  die  von  ihr  verdeckten  Sonnen* 
strahlen;  die  Giganten-  und  Titanenkämpfe 
der  Griechen  berühren  sich  mit  dem  Kampf 
des  Indras  und  der  Rakshasas  bei  den  Indem 
und  des  Donar  und  der  Riesen  bei 
Altvordern. 


A.  Epos.    6.  HesiodoB.    (§  68.) 


95 


Legenden  der  Tempelpriester  dem  Dichter  noch  manche  andere  allegorische 
DDd  philosophische  Idee  an  die  Hand  gegeben  haben,  wie  insbesondere 
die  hohe  Stellung,  die  Hesiod  in  seiner  Theogonie  dem  Eros  anweist  (Y 
120  f.),  mit  dem  Kultus  dieses  Gottes  in  Thespiä  zusammenzuhängen 
scheint.^)  Durchgeführt  ist  der  Plan  in  folgender  Weise:  In  der  Ein- 
leitung (1 — 115),  welche  aus  der  Verschmelzung  von  zwei  Ehapsoden- 
proömien ,  einem  an  die  helikonischen  und  einem  an  die  olympischen 
Uusen,  entstanden  ist,»)  wird  die  Anrufung  der  Musen  mit  der  Dichter- 
veihe  des  Sängers  sinnig  in  der  Art  verbunden,  dass  die  nachfolgenden 
Ferse  nur  als  Nachklänge  des  Musengesangs  erscheinen.  Mit  Vers  116 
beginnt  das  alte  Gedicht,  welches  anfangs  lediglich  mit  gestaltlosen  Ab- 
straktionen von  Naturkräften  operiert  (Kosmogonie),  aber  im  weiteren 
Verlauf  auch  altertümliche  Gestalten  der  Mythenwelt  und  Personifikationen 
ethischer  Begriffe  hereinzieht  (116—452).  Im  Anfang  war  dem  Hesiod  das 
Chaos  (die  Leere  oder  der  gähnende  Schlund),  sodann  die  breitstimige  Erde 
{raTa)^  die  dunklen  Abgründe  ( Tagraga,  ursprünglich  Westland  bei  Tartessus) 
and  der  Allbezwinger  Eros  (Liebesgott);  aus  dem  Chaos  entstanden  die  Finster- 
nis CE^ßog)  und  die  Nacht  (iVvJ),  aus  der  Erde  der  Himmel  {OvQavog),  die 
Berge  und  das  Meer  (Ilortog),  Von  diesen  ürelementen  werden  im  folgenden 
als  göttererzeugende  Kräfte  nur  verwandt  Erde  und  Himmel  (152 — 210),  die 
Nacht  (211—232),  der  Pontes  (233—370),  so  dass  aus  ihnen  mit  oder  ohne 
Liebesvereinigung  neben  abstrakten  Wesen  wie  Themis,  Thanatos,  Eris, 
Nike,  Nemesis,  auch  Gestalten  der  Mythologie,  wie  Eyklopen,  Erinyen, 
Moiren,  Gorgonen,  Kronos,  Nereus,  Kerberos,  hervorgehen.  Angehängt  ist 
diesem  ersten  Abschnitt  der  Theogonie  ein  Nachtrag  von  den  Abkömm- 
lingen der  Kinder  der  Gäa  und  des  Uranos,  der  Thetys,  Theia,  Krios, 
Koios,  Phoibe')  (211 — 276).  Der  trockene  Ton  dieser  Partien,  der  durch  die 
parallele  Anordnung  der  Sätze  mehr  an  Durchsichtigkeit  als  eigentlicher 
Schönheit  gewinnt,*)  wird  angenehm  unterbrochen  durch  die  breiter  aus- 
geführten Erzählungen  von  der  Entmannung  des  üranos  (154 — 210),  von 
der  Bezwingung  des  Geryoneus  und  der  lernäischen  Schlange  durch  He- 
rakles (288 — 318),  von  der  feuerschnaubenden  Chimäre  und  ihrer  Erlegung 
durch  Bellerophon  mit  dem  Pegasos   (319—325).   —   Von  Vers  453  an 


*)  Die  theosophische  Allegorie  ist  älter 
ils  Hesiod.  Die  XaQtreg  oder  Holdgottiieiten 
sind  ans  den  sinnlichen  Gestalten  der  falben 
Sonnenpferde  (harüas)  entstanden  (s.  G.  Cüb- 
TIU8,  Etjm.^  p.  121),  und  der  menschenfreund- 
liehe  Fenergott  Prometheus  hat  sich  aas  der 
Anachannng  eines  Werkzeugs  der  Feuerberei- 
tong  entwickelt  (s.  Ad.  Kubk,  Herabkunft  des 
Feuers).  Nach  Mfillers  Vermutung  bedeutete 
auch  der  thespische  Eros  ursprQnglich  den 
SoimeDsirahl,  skt.  artisha. 

*)  Dass  das  1.  Prodmium  in  seiner  ur- 
^rtnglichen  Gestalt  (1—4.  9—12.  22—24. 
26—34)  nachhesiodisch  sei,  wage  ich  nicht 
lait  der  Zuversicht  der  neueren  Kritiker  zu 
^whanpten;  bekannt  war  dasselbe  schon  dem 
Interpolator  der  Erga  V.  659.  Nach  Plutarch, 
QoMiL  conv.  9, 14  wurde  ein  Teil  des  Pro- 
,  V.  36—67,  als  besonderer  Hymnus 


gesungen.  Drei  Prodmien  und  drei  Theo- 
gonien  will  0.  Gruppe,  Die  griech.  Kulte  I 
597  ff.  herausfinden,  deren  Zusammenstellung 
in  Korinth  unter  dem  Tyrannen  Periander 
erfolgt  sein  soll. 

')  Der  Nachtrag,  der  eigentlich  schon 
nach  V.  136  erwartet  wurde,  enthält  Götter- 
namen, die  man  schwer  entbehrt,  wie  Helios, 
Eos,  Leto,  so  dass  man  ihn  wohl  dem  Hesiod 
selbst  beilegen  muss;  aber  sehr  verdächtig 
ist  der  in  diesen  Anhang- wieder  hineingelegte 
Anhang  von  dem  Styx  383—403. 

*)  Namentlich  in  dem  ersten  kosmogoni- 
sehen  Teil  (116—152)  lässt  sich  durch  Aus- 
scheidung leicht  erkennbarer  Interpolationen 
(122.  128.  130.  136.  138.  144  f.  215  f.  218  f.) 
eine  Anordnung  in  dreizeilige  Strophen  sicher 
herstellen. 


i 


96  GriMhisohe  Litteratiirgeaohiohte.    I.  KlaMUsche  Periode. 

treten  wir  in  den  Olymp  der  lichten  Gottheiten  ein:  wir  hören  zuerst  von 
der  Geburt  des  Allvaters  Zeus  und  seiner  Geschwister  Hestia  Demeter 
Hera  Hades  und  Poseidon  (453 — 500),  im  Anschluss  daran  von  der 
gegenseitigen  Befehdung  der  mächtigen  Kroniden  und  des  listigen  Pro- 
metheus (501—616),  von  den  gewaltigen  Kämpfen  des  Zeus  mit  den 
Titanen  jjnd  deren  Verstossung  in  den  Tai-tarus  (617—819),  von  den 
Frauen  und  Kindern  des  Zeus  und  der  übrigen  Kroniden  (886—962).  In 
diesem  Teile  des  Gedichtes  erhebt  der  reiche  Stoff  den  Dichter  von  selbst 
über  die  sterile  Form  langweiliger  Aufzählung  und  Belehrung.  Nament- 
lich in  dem  Titanenkampf  wetteifert  er  nicht  ohne  Glück  mit  Homer, 
freilich  mehr  in  grossartigen  Entwürfen  und  gigantischen  Ausdrücken  als 
in  anschaulicher,  farbenreicher  Schilderung.  —  Den  Schluss  des  Gedichtes 
bildet  ein  locker  angereihter  Anhang  von  den  Göttinnen,  welche  mit 
sterblichen  Männern  Heroen  und  Heroinnen  geboren  haben  (963  bis 
1022);  derselbe  sollte  den  Übergang  der  Theogonie  zu  dem  Katalog  der 
Frauen  anbahnen. 

Ein  einheitlicher  Faden  zieht  sich  auf  solche  Weise  wohl  durch  das 
ganze  Gedicht,  aber  deshalb  ist  dasselbe  doch  noch  weit  entfernt  von 
einem  kunstvollen  Ganzen  mit  einheitlichem  Ton.  Die  Vereinigung  von 
trockenen  Aufzählungen  und  breitausgeführten  Kampfesscennen  ist  störend  ^) 
und  von  den  1022  Versen  ist  ein  guter  Teil  auf  späte  Interpolation  zurück- 
zuführen.*) Von  später  Hand  rührt  vor  allem  der  Anhang  (963 — 1022) 
her,  der  sich  schon  durch  die  Namen  der  Tyrrhener  (1016)  und  des  La- 
tinus  (1013)  und  die  Anspielung  auf  die  Aithiopis  (984)  und  die  Kypria 
(1008 — 1010)  als  eine  jüngere  Dichtung  kund  gibt.')  Sodann  unterbricht 
die  Typhonsage  (820 — 880)  in  störender  Weise  den  Zusammenhang  und 
war  daher,  wenn  sie  auch  von  Hesiod  herrührt  und  durch  einen  Ausbruch 
des  Ätna  zur  Zeit  des  Dichters  veranlasst  war,  nicht  für  diese  Stelle  und 
schwerlich  für  die  Theogonie  überhaupt  bestimmt.  Des  weiteren  ist  entr- 
schieden  jüngeren  Ursprungs  die  zu  weit  ausgedehnte  Stelle  über  Hekate 
(411 — 452),  die  wahrscheinlich  aus  einem  gesonderten  Hymnus  auf  diese 
Göttin  herstammt.  Zweifelsohne  ist  endlich,  um  kleinere  Interpolationen 
nicht  weiter  zu  berühren,  das  Proömium  durch  Einschiebung  von  Hymnen- 
resten auf  die  olympischen  Musen  erweitert.*)  Was  den  Verfasser  der 
Theogonie  anbelangt,  so  hat  das  ganze  Altertum,  mit  Ausnahme  der  Ge- 
währsleute des  Pausanias  IX  31,  4^)  dieselbe  für  ein  Werk  des  Hesiod  an- 
gesehen, inbesondere  der  Geschichtschreiber  Herodot,  wenn  er  II  53  sagt: 


^)  Ein  Mangel  ist  es  auch,  dass  V.  935 
(8.  y.  121)  plötzlich  Menschen  auf  der  Bild- 
fläche erscheinen,  ohne  dass  zuvor  von  ihrer 
Erschaffung  die  Rede  gewesen;  auch  begreift 
man  nicht,  wie  die  Sterblichen  sich  fort- 
pflanzten, ehe  Zeus  die  Frau  zum  Unheil  der 
Menschen  schuf. 

'^)  A.  Meter,  De  compositione  Theo- 
goniae,  Berl.  1887. 

»)  Der  fehlerhafte  Vers  1014  Trj'keyoyov  re 
tiixxe  diu  jjfptxrfiyK  U(pQodirt]y  fehlt  in  dem 
massgebenden  Cod.  Mediceus,  kann  also  nicht 


Telegonie  herabzudrücken.  Natürlich  ist  mit 
Anfügung  des  Anhanges  zugleich  der  alte 
Schluss  der  Theogonie  nach  962  oder,  wie 
andere  annehmen,  nach  955  weggefallen. 

*)  Die  alte  Theogonie  Ifisst  auf  einen 
oder  vielmehr  zwei  kleine  strophisch  kom- 
ponierte Teile  zusammenschrumpfen  Köcblt, 
De  diversis  Hesiodeae  Theogoniae  partibua 
(1860),  in  Opusc.  p.  244—288.  Fick  nimmt 
drei  ältere  Gesänge  der  Theogonie  von  je  144 
Versen  an. 

^)  An  einer  anderen  Stelle  VIII  18,   1 


verwendet  werden,  um  den  Anhang  unter  die  ,  unterdrückt  Pausanias  selbst  den  Zweifel. 


A.Epo8.    S.Hemodos.    (§69.)  97 

"B^Mog  xai  "OfAr^^  stciv  oi  noifjaawsg  ^coyorir^v  'EXXf^at  tuxI   voict  &€oi(n 

rag  imavvfiiag   iovteg   xal   nfiag  %€  xal  xtyiyttg    StsXovreg   xai   &iea  avvdiv 

af^fiffVttvregJ)    In  unserer  Zeit  hat  Schömann  die  Zweifel  des  Pausanias 

wieder  aufgenommen  und  die  Theogonie   für  eine  Komposition   aus  dem 

pisistratischen  Zeitalter  erklärt.^)    Von  einer  so  späten  Zeit  kann  nun  gar 

keine  Kede  sein;   dagegen  spricht   schon   ein  untrügliches  Zeugnis,   die 

Sprache  und  das  Digamma.    Aber  überhaupt  die  Theogonie  dem  Hesiod 

abzusprechen,    ist    übertriebener   Skeptizismus.     Für   die    Gleichheit    des 

Dichters  der  Theogonie  und  der  Werke  sprechen  die  wesentlich  gleiche 

Sprache  und  der  Eünweis  auf  die  gleiche  Heimat  am  Helikon  (Th.  2,  Op.  ! 

639)  in  der  Nähe  von  Thespiä  (Th.  120  ff.).    Die  Abweichung  des  Mythus  i 

Ton  der  Erschaffung  des  Weibes,  indem  in  der  Theogonie  570 — 612  das  | 

Weib  im   allgemeinen,   in    den   Werken    47 — 104    das    bestimmte   Weib  I 

Pandora  geschaffen  wird,  ist  ohne  Belang;  überdies  ist  die  betreffende 

Stelle  der  Erga  durch  Interpolationen  stark  verwirrt.') 

69.  Fvvaixwv  xatdXoyog  hiess  das  dritte,  leider  nicht  erhaltene 
Hauptwerk  des  Hesiod.  Mit  demselben  scheint  die  Aufzählung  der  be- 
rühmten Frauen  der  Unterwelt  in  Homers  Nekyia  Od.  XI  235—327  zu- 
saounenzuhängen.  Frauenkatalog  hiess  das  Werk,  weil  es  ein  zum  Her- 
sagen {xttxaXäytiv)  bestimmtes  Verzeichnis  der  sterblichen  Frauen  enthielt, 
welche  mit  Göttern  Heroen  geboren  hatten;  es  bildete  also  gewissermassen 
eine  Ergänzung  derjenigen  Partie  der  Theogonie,  welche  von  Heroen 
bandelt,  die  von  Göttinnen  und  sterblichen  Männern  stammten,  wie  von 
Telegonos,  ^dem  Sohne  der  göttlichen  Eirke  und  des  sterblichen  Odysseus, 
oder  von  Äneas,  dem  Sohne  der  Aphrodite  und  des  Anchises.  Wie  die 
Theogonie,  so  bestand  auch  der  Katalog  aus  kleinen,  locker  aneinander 
gereihten  Absätzen  in  der  Manier  der  hesiodischen  Schule,  und  bildete  in 
einer  Zeit,  wo  es  noch  keine  Staatengeschichte  gab,  ein  versifiziertes  Lehr- 
buch der  Heroengeschichte.  Das  Ganze  bestand  aus  fünf  Büchern,  von 
denen  die  beiden  letzten  den  Spezialtitel  *H6iai,  hatten.  Der  Titel  *Hoiai^^) 
der  sicher  dem  vierten  Buch  des  Werkes,  wahrscheinlich  den  beiden  letzten 
zukam,  ^)  hatte  seinen  Grund  darin,  dass  die  einzelnen  Absätze  mit  ^  oltj 
anfingen,  wie 

^  oirjf»  ^Yq(r^  Boioytiti  itQSifB  xovqtjv» 


')  Bas  älteste  Zeugnis  f&r  den  gleichen 
Yahaßer  der  Werke  und  der  Theogonie  liegt 
in  dem  Vers  Op.  659  ^y^a  fie  16  nQiäxov 
^r^9V^  inäßijöay  aoi^g,  der  offenbar  auf  den 
liiipog  der  Theogonie  hinweist,  und,  wenn 
nch  anecht,  doch  jedenfalls  aus  alter  Zeit 
itBDiiiit.  Auch  in  Op.  48  ist  ein  stillschwei- 
geader  Hinweis  auf  die  ausf&hrliche  Erzäh- 
bnig  vom  Betrog  des  Prometiieus  in  Theog. 
^35->.553  enthalten.  Einen  verschiedenen  Ver- 
fiuner  hat  fOr  die  Theogonie  unter  den  Neueren 
WiLCKXR,  fies.  Theog.  57,  angenommen. 

')  ScBÖMAKN,  De  compositione  Theogoniae, 
in  Oposc.  n  475  ff.,  und  in  seiner  Ausgabe  der 
The^onie  S.  20  ff.  Redaktion  althesiodischer 
md  sonstiger  in  die  Theogonie  einschlägiger 
Bnidistdeke  durch  Onoinakritos  nimmt  an 


Qbbhabd,  Üeber  die  hesiodische  Theogonie, 
in  Abhdl.  d.  Berl.  Ak.  1856. 

»)  Die  ünechtheit  von  V.  69—82  ist  nach- 
gewiesen von  R.  Scholl,  Satura  crit.  Sauppio 
oblata  p.  133—47.  ^ 

*)  MsydXat  ^Hottti  bei  Paus.  II  2,  3  und 
IX  31,  7  und  Schol.  ApoU.  II  181  und  IV  57 
war  nach  Ealkmanns  Vermutung  (Rh  M.  39, 
563)  Titel  des  Gesarotwerks;  anders  Bergk, 
Gr.  Litt.  I  1003  u.  1011. 

')  Arg.  Scuti  III:  xijs  'Aani&og  ij  kqxv 
iv  IM  ö'  xniakoyut  g^eQCiaiy  der  Anfang  des 
Schildes  beginnt  aber  mit  97  ol'tj.  Daher  ver« 
diente  sicher  das  4.  Buch  des  Katalogs  den 
Spezialtitel  'Rotai.  Da  femer  das  3.  Buch 
des  Katalogs  den  Eden  vom  Scholiasten  zu 
Apoll.  II  181  entgegengesetzt  wird,  so  nahm 


Httdbocb  der  klaai.  Altertumswlaseoachaft.    VII.    3.  Aufl.  7 


98 


Grieohiflche  LitUraturgesohiohte.    I.  KlaMÜiohe  Periode. 


Da  die  Angaben  des  Katalogs  und  der  Eöen  nach  dem  Zeugnis  des  gut- 
unterrichteten Scholiasten  zu  Apollonios  11  181  und  IV  57  öfter  sich 
widersprachen,  1)  so  ist  es  wahrscheinlich,  dass  es  ursprünglich  zwei  ver- 
schiedene Werke  gab,  Fvvaixtöv  xardXoyog  und  *HoTai,  und  dass  dieselben 
erst  später,  wahrscheinlich  erst  in  Alexandria,  des  verwandten  Inhaltes 
wegen  zu  einem  Gesamtwerk  mit  dem  Titel  KardXoyog  oder  *HoTat  fieyahu 
vereinigt  wurden. ')  Der  Plan  der  beiden  Werke,  an  dem  Faden  berühmter 
Frauen  eine  Heroengeschichte  zusammenzuweben,  hängt  mit  der  besonderen 
Verehrung  der  Frauen  bei  den  Lokrern  zusammen,  da  bei  diesen  die  Ge- 
rechtsamen des  Adels  von  der  mütterlichen,  nicht  der  väterlichen  Abstam- 
mung abhingen ;  ^)  im  Lande  der  Lokrer  aber  starb  Hesiod,  wie  wir  oben 
sahen,  und  dort  hat  sich  auch  seine  Schule  am  kräftigsten  entwickelt.  Der 
Mythenschatz  der  beiden  Dichtungen,  der  für  die  Lyriker  und  Tragiker  der 
nachfolgenden  Zeiten  eine  unerschöpfliche  Fundgrube  bildete,  reichte  weit 
über  den  Horizont  der  äolischen  und  ionischen  Epiker  Kleinasiens  hinaus, 
er  umfasste  die  Sagen  aller  Stämme,  der  lonier  nicht  minder  als  der  Achier 
und  Äolier.^)  —  An  der  Echtheit  des  Katalogs  haben  selbst  die  besten 
Kritiker  Alexandriens  nicht  gezweifelt.  Philochoros  (Strab.  p.  328)  und 
Apollodoros  (Strab.  p.  370)  führen  unbedenklich  Stellen  daraus  als  hesio- 
disch  an;^)  demnach  scheint  auch  Aristarch,  der  Lehrer  des  Apollodor, 
keinen  Zweifel  an  der  Echtheit  gehegt  zu  haben.  ^)  Nur  Pausanias  IX  31,  4 
spricht  denselben  auf  Grund  der  Aussagen  seiner  Führer  am  Helikon  dem 
Hesiod  ab.  Gegen  die  Echtheit  der  Eöen  haben  eher  die  Grammatiker 
Bedenken  erhoben,  wie  man  aus  der  zweifelnden  Wendung  des  alten 
Scholiasten  zu  Pind.  P.  III  14  iv  toig  slg  ^HafoSov  dvaffsqofihvoic  sneaiv 
ersieht.  Jedenfalls  aber  macht  die  Vertrauensseligkeit  des  Philochoros 
und  Apollodor  ihrem  kritischen  Scharfblick  wenig  Ehre,  da  viele  der  er- 
haltenen Fragmente  nicht  von  Hesiod  herrühren  können  und  einer  jüngeren 
Periode  angehören  müssen.  Uns  selbst  ist  ein  festes  Urteil  erschwert, 
da  wir  nur  Bruchstücke  haben  und  weder  wissen,  in  welchem  Verhältnis 
die  fünf  Bücher  zu  einander  standen,  noch  inwieweit  ihr  ursprünglicher 
Bestand  durch  Interpolationen  alteriert  war.  Denn  dass  Inpolatoren  auch 
hier  ihr  Unwesen  trieben,  lässt  sich  bei  der  Anlage  des  Werkes  von  vorn- 
herein vermuten')   und  wird  durch  sprachliche  Unterschiede   zur  Gewiss- 


Mabckbcheffbl,  Hes.  Eiim.  fragm.  c.  11  an, 
dass  ursprünglich  der  rw.  xnx.  die  3  ersten, 
die  'Holm  die  2  letzten  Bücher  des  spftter  ver- 
einigten Gesamtwerkes  gebildet  haben. 

^)  Marckscheffel  p.  106  fP. 

'^)  Hesychios  'Hoiai,'  6  xarukoyog  '//<rto- 
dov,  und  Et.  Gud.  ^HoTai '  büxi  xatciXoyog 
^Haiodov. 

»)  Polyb.  XII  5  nach  Aristoteles:  oit 
itdyra  t«  iut  -nQoyovfay  eydo^a  7F«(»'  avrotg 
(ino  X(av  ywuixtüv,  ovx  «tio  TcJr  «vdQoiv 
laxoQovVy  olov  svt^eais  svyevelg  naQa  afpiai 
yofAiCeoBai  rovg  äno  roJr  ixmoy  oixtcSy  Af- 
yofjiiyovq  xxX.  Vgl.  Pind.  Ol.  IX  und  Lübbbbt, 
De  Pindaro  Locrorum  Opuntiorum  amico  et 
patronO)  Bonn,  Ind.  schol.  1883. 


^)  Dem  Reichtum  der  Mythen  des  £ata 
logs  und  der  £5en  steht  der  gleiche  Reich- 
tum in  den  Reliefdarstellnngen  der  um  die- 
selbe Zeit  entstandenen  Kypseloslade  zur 
Seite;  auch  dort  stunden  Scenen  aus  den 
Sagen  von  Troja  und  Theben,  Herakles  und 
Theseus,  Pelias  und  Medea  nebeneinander. 

^)  S.  Mabckschbffbl  p.  132  f.  Asklepia- 
des  in  Anth.  IX  64  schreibt  dem  Hesiod  zu 
fjLaxaQOiy  yiyog  (Theog.),  e^ya  (Erga)  und 
yivog  dQ/(tla)y  i^Qoiwy  (Katalogos). 

")  Auch  Lukian  ngog  'Haio&oy  1  erkennt 
das  Werk  unter  dem  Titel  yvymxiJy  d^ertti 
als  echt  an. 

^)  Von  interpolierten  Versen  spricht  Plot 
Thes.  20  und  Paus.  U  26,  6. 


A.Bpo8.    S.HesiodoB.    (§70.)  99 

heit  erhoben.  Während  z.  B.  in  anderen  Fragmenten  das  Digamma  des 
Pronomens  der  dritten  Person  noch  fest  haftet,  ist  dasselbe  Fr.  82,  2 
ganz  vernachlässigt.^)  Stand  Fr.  81,  welches  sich  auf  die  Gründungs- 
geschichte von  Eyrene  in  Afrika  bezieht,  im  alten  Katalog,  so  muss  man 
mit  der  Abfassungszeit  desselben  bis  unter  das  Gründungsjahr  von  Eyrene 
Ol.  37,  2  (630  V.  Chr.)  herabgehen.*)  Übrigens  führt  auch  ein  anderes 
Anzeichen,  das  Fehlen  des  Gürtels  im  Ringkampf  der  Atalante,  das  die 
Scheuen  zu  Hom.  9  683  bezeugen,  auf  die  Zeit  nach  Ol.  15.  Und  da 
auch  die  geographischen  Notizen  und  die  Weiterbildung  der  Mythen ')  auf 
verhältnismässig  späte  Zeit  hinweisen,  so  werden  wir  trotz  des  altertüm- 
lichen Charakters  der  Sprache  ^)  nicht  an  eine  Abfassung  vor  dem  Ende  des 
7.  Jahrhunderts  denken  dürfen.  Von  den  beiden  Gedichten  pflegt  man  die 
Eöen  für  jünger  als  den  eigentlichen  Katalog  zu  halten;  wir  können  nur 
so  viel  mit  Bestimmtheit  sagen,  dass  zunächst  nur  der  letztere  bestimmt 
war,  an  die  erweiterte  Theogonie  angeschlossen  zu  werden.*)  Auch  ver- 
dient es  Beachtung,  dass  die  Stelle,  welche  auf  das  jüngste  Datum,  die 
Gründung  von  Kyrene,  hinweist,  in  den  Eöen  stand.  ^) 

70.  'Aanig  ^HQaxXtovg  in  480  Versen  trägt  den  Namen  des  Hesiod, 
wiewohl  schon  der  Grammatiker  Aristophanes  die  Unechtheit  erkannte.'') 
Das  Proömium  (1 — 56)  ist,  wie  uns  die  alte  Hypothesis  lehrt,  aus  dem 
vierten  Buch  des  Frauenkatalogs  herübergenommen  und  hängt  nur  locker 
mit  dem  Hauptinhalt  des  Gedichtes  zusammen,  so  dass  es  erst  nachträg- 
lich demselben  vorgesetzt  zu  sein  scheint.  An  das  Proömium  schliesst 
sich  in  ganz  äusserlicher  Weise  die  Erzählung  vom  Kampfe  des  Herakles 
mit  dem  Unhold  Kyknos  im  pagasäischen  Hain  des  Apollon  an,  bei  welchem 
Kyknos  unterliegt  und  Ares  selbst,  während  er  seinen  Sohn  beschützt,  ver- 
wundet wird.  Den  grössten  Teil  des  Gedichtes  aber  nimmt  die  Beschrei- 
bung des  Schildes  des  Herakles  ein,  wovon  dasselbe  auch  seinen  Namen 
hat  Dass  damit  der  Autor  ein  Seitenstück  zum  Schild  des  Achill  liefern 
wollte,  hegt  auf  der  Hand,  aber  ebenso  auch,   dass  er  damit  weit  hinter 


)  Fr.  80,  6,  wo  die  gleiche  YemachlAssi-      sprochen    wurde,    was    sich    auch    in    dem 


gong  begegnet,  ist  koirapt;  hingegen  ist  in 
der  E5e  der  AUnnene  das  Digamma  bewahrt 
(8. 8cDt  11.  15.  20.  22.  34.  38.  40.  45). 

')  EiKCHHOFF,  Odyssee  315  ff.  a.  Nibsb, 
hAw.  d.  hom.  Poesie  223  setzen  den  Katalog 
zwisdien  OL  40  n.  50. 

*)  In  beachtenswerter  Weise   stimmen 


2.  Hymnus  auf  Apoll  geltend  macht. 

')  Vielleicht  ist  der  Anhang  der  Theo- 
gonie V.  963—1022  vom  Verfasser  des  Ka- 
talogs selber  gedichtet.  Darauf  führt  die 
erweiterte  Kenntnis  von  Italien  (Th.  1014—6) 
und  die  Benennung  des  Cheiron  nach  der 
Mutter,  *iXvQidrjs,  in  Th.  1002. 


beiQglich  der  Zwölfeahl  der  Kinder  des  Ne-  *)  Aus  der  alezandrinischen  Zeit  werden 


leiis  die  junge  Homerstelle  A  692  und  Hes. 
fr.  45  fiberein.  Die  Erwfthnung  der  Pyg- 
Dien,  Makrokepfaaloi  und  anderer  Wunder- 
menachen  fllhrt  mit  Recht  Marckscheffel 
p.  137  auf  die  von  Herodot  IV  152  erwähnten 


von  Ath.  590  b  erwfthnt  'HoToi  von  Sosikrates 
und  ein  Tvyaixbiv  xaiaXoyoq  von  Nikainetos. 
')  Argum.  IH:  vntanxsvxB  di  'Jquito- 
(fdytjg  6  ygttfAfiajixog  (og  ovx  ovaay  apxrjy 
Hatodovy    (iXX*    irtgov    uyog    xrjv    'O/AtjQixtjy 


fahrten  des  Samiers  Korobioe  (Ol.  30)  zurück.   ;  aanlda  fAifAtjanaf^ai  ngoaiQovueyov.  Die  Echt- 


Avf  der  anderen  Seite  weist  die  Nichter 
wilminig  der  Arimaspen,  Greifen  und  Hyper 
Weer  auf  die  Zeit  vor  Aristeas  aus  Pro 
komiesoe. 

*)  Dabei  ist  aber  zu  beachten^  dass  das 
IHguuna  in   der  Heimat  der  hesiodischen   '   FV  315. 
Sdmle  noch  weit  Ifinger  als  in  lonien  ge-  i 


heit  verfocht  dagegen  mit  Berufang  auf  den 
Katalog  der  Grammatiker  Apollonios.  Zweifel 
an  der  Echtheit  hegen  auch  Ps.  Longin  de 
suhl.  9,  5,  der  anonyme  Grammatiker  in 
Bbkkeb   An.  gl*.  1165  u.  Gramer  An.  Ox. 


i 


100  Qrieohiaohe  LitUratnrgMohiohte.    I.  Klaseisohe  Periode. 

Homer  zurückgeblieben  ist.  Ein  Hauptfehler  besteht,  wie  Lessing  im 
Laokoon  uns  gelehrt  hat,  darin,  dass,  während  Homer  den  Schild  vor 
unseren  Augen  entstehen  lässt,  hier  die  fertigen  Bilder  des  Schildes  in 
ermüdender  Beschreibung  uns  vorgeführt  werden.  Ein  Fortschritt  der 
Kunst  liegt  in  der  Art  der  Schild  Verzierung:  bei  Homer  sind  es  Bilder 
des  Lebens,  genremässige  Scenen  des  Krieges,  der  Weinlese,  der  Hochzeit, 
bei  Hesiod  mythologische  Gestalten,  Herakles  im  Kampf  mit  den  Schlangen, 
Streit  der  Lapithen  und  Kentauren,  Apoll  inmitten  der  Musen,  der  be- 
flügelte Perseus  verfolgt  von  den  Gorgonen  u.  a.  Dieselbe  Stufe  der  Kunst 
treffen  wir  auf  dem  Kypseloskasten  (Paus.  V  17—19),  so  dass  eine  Wechsel- 
beziehung der  Dichtung  und  Bildnerei  unbestreitbar  ist.^)  Auf  der  an- 
deren Seite  lebte  der  Dichter  des  Schildes  vor  Stesichoros  und  Pisander, 
von  denen  der  erste  nach  der  Hypothesis  irgendwo  des  hesiodischen 
Schildes  gedacht  hat,*)  der  zweite  den  Herakles  nicht  mehr  wie  unser 
Dichter  mit  Schild  und  Speer,  sondern  wie  die  ganze  Folgezeit  mit  Keule 
und  Löwenfell  darstellte.  Das  Gedicht  mag  daher  noch  vor  600  ent- 
standen sein.  In  der  Sagengeschichte  nimmt  dasselbe  insofern  eine  be- 
bedeutsame Stellung  ein,  als  in  ihm  alles  sich  um  den  Ruhm  des  Herakles 
dreht.  Es  traten  nämlich  bei  den  Griechen,  wie  in  der  Religion  so  auch 
in  der  Sage  zu  verschiedenen  Zeiten  verschiedene  Personen  in  den  Vorder- 
grund. Herakles,  von  dem  bei  Homer  und  den  äolisch-ionischen  Dichtem 
noch  kaum  die  Rede  war,  ist  als  Stammheros  der  Derer  mit  dem  Wachsen 
des  dorischen  Einflusses  zu  Ehren  gekommen.  Die  Sage  von  seinen 
Heldenthaten  hat  sich  auf  der  Insel  Kypern  durch  Amalgamierung  des 
griechischen  Heros  mit  dem  phönikischen  Gotte  Melkart  entwickelt.') 
Aber  schon  früher  erzählten  die  Derer,  die  zur  Zeit  des  Aufblühens  der 
Chorlyrik  auch  in  der  Litteratur  steigenden  Einfluss  errangen,  von  den 
Thaten  ihres  Stammesheros  im  Peloponnes  und  in  Mittelgriechenland. 

71.  Ausserdem  wurden  dem  Hesiod  noch  mehrere  andere,  aus  seiner 
Schule  hervorgegangene  Werke  zugeschrieben,  von  denen  uns  nur  spär- 
liche Reste  erhalten  sind,  nämlich: 

Krjvxog  ydfiog,  Hochzeit  des  Herrschers  von  Trachis,  welcher  auch 
Herakles  beiwohnte.*)  Die  Echtheit  wurde  schon  von  Athen.  49  b  und 
Plut.  Sympos.  VIII  8  angezweifelt. 

^Enix^ctkufAiov  elg  IltjXea  xal  &6Tiv. 

Qr^abwg  slq  "Aidov  xataßaaig^  erwähnt  unter  den  unechten  Werken 
von  Pausanias  IX  31,  5. 


^)  Bronn,  Die  Kunst  bei  Homer  und 
ihr  Verhältnis  zu  den  Anfängen  der  griech. 
Kunstgeschichte,  Abh.  der  bayer.  Ak.  XI 17  ß.; 
LöscBKE,  Arch.  Zeit  1882,  S.  46  ff.;  Sittl 
ebenda  1887,  S.  182  ff. 

*)  Argum.  III:  waavxcog  d^  xal  Zxrjal- 
XOQog  (ftjaiy  'Haiodov  eiyai,  ro  noirj/na.  Der 
Name  Stesichoros  ist  allerdings  in  dem  Satz 
nicht  ohne  Anstoss  und  vielleicht  aus  dem 


indes  Mabckscheffbl  p.  149  f. 

')  Namentlich  ist  die  Sage  vom  Kampf 
des  Herakles  mit  dem  Löwen  und  der 
Schlange  aus  Kj^m  und  den  Melkartdar- 
stellungen der  dort  neben  den  Griechen 
wohnenden  Phönikier  zu  den  anderen  Orten 
Griechenlands  getragen  worden ;  a.  Furt- 
WANGLBB  in  Röscher,  Mytholog.  Lexikon  I 
2144. 


Namen  eines  Grammatikers  verderbt;    siehe  ,  *)  Vgl.  Scut.  355  f. 


A.  Bpoa.    6.  HesiodoB. 


71-73.) 


101 


Myfiuoc.^  von  anderen  dem  Milesier  Eerkops  beigelegt,^)  der  in  der 
Zeit  des  Onomakritos  lebte  und  dem  Fick  auch  die  jetzige  Fassung  der 
Theogonie  und  der  Erga  zuschreibt.  Das  Gedieht  behandelte  den  Kampf 
des  AJgimios  mit  den  Lapithen. 

MsXafinoSta  in  mehreren  Büchern,  benannt  von  dem  pylischen  Seher 
Melampns,  dessen  Geschlecht  wie  in  die  Telemachie  und  Thebais  so  auch 
in  die  Gründungssage  von  Kolophon  verflochten  war.  Unter  anderem  war 
in  dem  Epos  ähnlich  wie  in  dem  'Ayoiv  ^Hisiodov  xai  ^OfA^gov  ein  Wettstreit 
der  Seher  Ealchas  und  Mopsos  vorgeführt.^) 

XsfQoyrog  v/rov^jjxa»,  ein  griechischer  Ritterspiegel,  der  im  Unterricht 
der  Knaben  eine  grosse  Bolle  spielte,  so  dass  ihn  Isokrates  ad  Nicocl.  43 
mit  Theognis  und  Phokylides  zusammenstellt.  Auch  Pindar  F.  6,  21  ff. 
spielt  auf  ihn  an,  indem  er  aus  ihm  den  an  die  Zehngebote  erinnernden 
Spruch  anführt:  „Nebst  dem  Herrscher  Zeus  ehre  zumeist  die  Eltern." 
Nach  Quintil.  I  1,  15  hat  Aristophanes  Byz.  das  Gedicht  dem  Hesiod  ab- 
gesprochen. 

*O^H&ofAavT€fa,  dem  Schluss  der  Erga  nach  dem  Zeugnis  der  Scholien 
angefügt,  von  Apollonios  Rhodios  aber  verworfen. ») 

MeydXa  iQya^  ^Aaxqovofiia^*')  JdxzvXoi  'iSatot^  Fijg  nsQiodog,  lauter 
apokryphe  Schriften. 

72.  Aufgenommen  ist  in  die  neueren  Hesiodausgaben  auch  der  Uyoiv 
'HfrioSov  xal  VfirJQov,  oder  der  Wettstreit  des  Hesiod  und  Homer  bei  den 
Leichenspielen  des  Königs  Amphidamas  in  Chalkis.  Die  Prosadichtung 
stammt  aus  der  Zeit  des  Kaisers  Hadrian,  dessen  Namen  sogar  in  der- 
selben vorkommt,  <^)  geht  aber  auf  eine  ältere  Erzählung  des  Rhetors  Al- 
kidamas zurück.  Zum  Wettstreit  werden  alte  und  neugeschmiedete  Verse 
der  beiden  Dichter  vorgeführt;  Sieger  bleibt  nach  dem  Schiedsspruch  des 
königlichen  Preisrichters  Hesiod,  der  Begründer  der  lehrhaften  Poesie, 
während  die  Zuhörer  sich  mehr  für  Homer  erwärmen.  Angeknüpft  sind  an 
den  Wettkampf  die  weiteren  Schicksale  der  beiden  Dichter  Hesiod  und 
Homer.  Nach  einer  Stelle  des  Plutarch,  Conv.  sept.  sap.  10  galt  Lesches 
als  Verfasser  des  Wettkampfs,  was  aber  wohl  auf  einer  Konfusion  mit 
dem  Wettstreit  des  Lesches  und  Arktinos  (s.  §  57)  beruhen  wird. 

73.  Die  Gedichte  des  Hesiod  wurden  gewiss  ebenso  wie  die  des  Homer 
anfangs  mündlich  fortgepflanzt;  nur  so  ist  die  Überwucherung  des  Ur- 
sprünglichen durch  fremdartige  Zusätze  erklärlich.  Früh  verbreitete  sich 
£e  Kenntnis  derselben  auch  über  das  griechische  Festland  hinaus  nach 
dem  ionischen  Kleinasien,  wie  die  Einreihung  des  Milesiers  Kerkops  in 
den  Kreis  der  hesiodischen  Dichterschule  und  der  Einfluss  der  Erga  auf 
die  Entwicklung  der  iambischen  Poesie  entnehmen  lassen.  Dass  die  schrift- 


*)  Ath.  p.  50ad;  Diog.  U  46  führt  ans 
Ari8tofcel«6  an:  K^Qxwtff'HcU^i^  Cfi^yri,  ttkev- 

»)  Vgl  Sfcrab.  p.  642. 

*)  So  Proklos  za  Hes.  Erga  824. 

*)  Die  Astronomie,  vor  500  entstanden, 
eodiielt  bereäs  die  Anfinge  der  Stembflder- 
ngen,    worüber   Rbbm,    Mythogr.  Unters., 


Manchen  MGProgr.  1896  p.  86  ff.  Dagegen 
Ifisst  Maass,  Aratea,  Phil.  Unt.  XII  268  sie 
erst  später  „vielleicht  erst  nach  Arat*  ent- 
standen sein. 

*)  p.  858,  19  QOttl.:  önsQ  dxfjxoa/Äer 
int  tov  &eiotdrov  avroxQaroQog  *j4dQiayot 
siQTjjLi^voy  vn6  jij^  BvO-la^  n$Qi  ^OfiiJQOv, 


102 


Grieohisohe  Litteratargesohiobte.    I.  Elassiaohe  Periode. 


liehe  Redaktion  von  Peisistratos  ausging  und  dabei  auch  Onomakritos  be- 
teiligt war,   ist  eine  blosse  Vermutung,    die  sich  hauptsächlich   auf  die 
Nachricht  des  Plutarch  Thes.  20  von  der  Tilgung  eines  Verses  durch  Pei- 
sistratos stützt  und  an  der  Konformität  des  homerischen  und  hesiodischen 
Textes  einen  Anhalt  hat.     Gewiss  cj^er  werden   schon  zuvor  von  Hesiod, 
noch  mehr  als  von  Homer,   Aufzeichnungen   einzelner   Partien  bestanden 
haben.     Die  Leute  am  Helikon  zeigten  dem  Pausanias  IX  31,  4  eine  Blei- 
tafel,  auf  welcher   die  Erga  ohne   das  Proömium  geschrieben  waren.     In 
der  Zeit  nach  Peisistratos  wurden  die  Werke  des  Hesiod,  die  echten,  wie 
unechten,   als   eine  Fundgrube  für  Fabelgeschichten  und  als  ein  Schatz 
von   Lebensweisheit  1)   in  Schule   und   Haus  fleissigst  gelesen   und    aus- 
wendig gelernt.     Von  einer  kritischen  oder  kommentierenden  Behandlung 
des  Dichters  aus  jener  Zeit  hören   wir  nichts;   nur   dass   der  Philosoph 
Xenophanes  ihn  als  den  Begründer  der  falschen  Vorstellungen  von   den 
Göttern  heftig  befehdete,')  und   der  Logograph  Akusilaos  ihn  in  Prosa 
umsetzte   und    berichtigte.  3)    In   der    alexandrinischen   Zeit   ward    neben 
Homer  auch  der  Text  des  Hesiod  von  den  hervorragendsten  Kritikern, 
Zenodot,  Apollonios  Rhodios,   Aristophanes,  Aristarch,  Krates,   Seleukos, 
bearbeitet.     Aristophanes   und  Aristarch  setzten  auch  bei  ihm  ihre  kri- 
tischen Zeichen,   die   dann  in   ähnlicher  Weise  wie   bei  Homer  den  Aus- 
gangspunkt für  die  Kommentare  des  Didymos  und  Aristonikos  bildeten.*) 
Natürlich  bot  sodann  die  Götterlehre   des  Hesiod  den  Stoikern  und  Neu- 
platonikern  willkommene  Gelegenheit  zu  allegorischen  Erklärungsversuchen. 
Plutarch,    der  Landsmann   und   Verehrer   Hesiods,   schrieb    vier   Bücher 
Kommentare  zu  den  Werken,  welche  die  Grundlage  der  erhaltenen  Scholien 
des  Neuplatonikers  Proklos  (5.  Jahrhundert)  bildeten.     Im  byzantinischen 
Mittelalter  fehlte  es  nicht   an  Erklärern  der  Erga  und  der  Theogonie, 
aber  die  Kommentare  des  Tzetzes,  Moschopulos,   Planudes  und  die  Ui.Xt^- 
yoQ(ai  dg  ttjv  tov  "^HaioSov  Geoyoviav  des  lo.  Diakonos  Galenos  (11.  Jahr^ 
hundert)*^)  verarbeiteten  nur  den  überkommenen  Stock  alter  Scholien,  so 
dass  es  die  Aufgabe  der  modernen  Philologie  war,  wieder  den  Kern  alter 
Gelehrsamkeit  aus  der  Umhüllung  byzantinischer  Geschwätzigkeit  heraus- 
zuschälen. 

Codices:  Der  ftlteste  and  beste  Codex  ist  ein  Mediceus  31,  39  s.  XII  (enthält  Hesiodi 
Op.  u.  Oppiani  Halieut.);  ilun  stehen  znnftchst  ein  zweiter  Mediceus  32,  16  s.  XIII  (enth&lt 
Theog.  Scut.  Op.,  Nonnos  etc.)»  Ambros.  C  222  s.  XIII  (Op.  und  Scut.)  und  Messanioa  s.  XIV 
(Op.);  ftir  Theog.  n.  Scut.  2  Pariser  Codd.  vom  Athos  N.  663  u.  679,  besprochen  von  Sittl, 
Stzb.  d.  b.  Ak.  1889,  S.  351  ff.  Kritischer  Apparat  in  den  Ausgaben  von  Köchlt-Kinksl, 
Lips.  1870,  RzACH  in  Bibl.  Schenk.  1884,  Sittl,  Athen  1890.  —  Rzach,  Die  handschriftliche 
Ueberlieferung  der  hesiodischen  Theogonie,  Wiener  Studien  XIX  (1897)  1  ff. 


*)  Der  Elegiker  Hennesianaz  V.  22  nennt 
den  Hesiod  ndatjg  rJQoyoy  laroQirjg. 

<)  Sext.  Emp.  I  289  u.  IX  193;  Athen. 
462  f.;  Diog.  11  46:  K^^xtoif;  'B<ti66i^  C(^yti 
(sc.  iq)iXoyeix6i)t  reXBvrijaayTt'  ifi  6  nQoeiQr^- 
fiivog  Scyofpaytjg, 

»)  Clem.  Alex  ström.  VI  p.  267:  rd 
'Haiodov  fzsTijXXtt^er  ek  neCor  Xoyov,  Joseph. 
c.  Ap.  I  3:  oaa  &k  diioQ&ovto  tov  'Haloaoy 
*j4xovaiXaoi, 

^)  Suidas  erwähnt  von  Aristonikos  eine 


Schrift  negi  rtSy  atjfjLHtoy  rtay  iy  tj  Seoyo^^iif 
'Haiodov.  Die  Fragmente  zusammengestellt 
Yon  Flach,  Glossen  und  Scholien  zur  hesiod. 
Theog.  S.  100  ff.  Did3rmos  benutzte  besonders 
noch  die  ausführlichen  Kommentare  des 
Seleukos,  worüber  ebenda  S.  112  ff. 

')  Die  Zeit  steht  nicht  ganz  fest  und 
hängt  mit  der  Frage  über  die  Identität  des 
Pediasimos  und  (xalenos  zusammen;  siehe 
Eruxbachbb,  Byz.  litt.  557 '  Anm.  3. 


A.  Epos.    6.  Die  späteren  Epiker.    (§  74.) 


103 


Seholien,  Aber  deren  Bestandteile  bereits  §  78  gehandelt  ist,  herausgegeben  yon  Gais- 
roBD  Poetae  graec.  min.  vol  II  des  Leipziger  Druckes  1823.  —  Glossen  und  Scholien  zur 
hesiodischen  l^eogonie  yon  Flach,  Leipz.  1876. 

Ausgaben:  ed.  princ.  Mediolani  1493;  cum  notis  variorum  cur.  Lösner,  Lips.  1778, 
enth&lt  auch  die  Vita  von  Robinson;  rec.  et  commentariis  instrozit  Göttling,  ed.  III.  cur. 
Flach,  Lips.  1878;  ed.  Sittl,  Athen  1890;  Teztausg.  mit  Comment.  crit.  von  Schömann, 
Berol.  1869.  -  Zerlegung  der  Gedichte  in  ihre  Teile  und  ZurUckfOhrung  auf  ihre  ursprüng- 
liche Form  versucht  von  Fick,  Hesiods  Gedichte,  Gott.  1887.  —  Separatausgaben:  '^ya 
eomineni  instr.  van  Leknep,  Amstel.  1843;  Die  Werke  u.  Tage  des  Hesiod  von  Stbitz, 
Leipzig  1869;  von  Eibchhoff,  Berl.  1889  -  Die  hesiodische  Theogonie  von  Welcher, 
£ll)«rfeld  1865;  Sohömahv,  Berl.  1868.  —  Hesiodi  quod  fertur  Scutum  ed.  Ranke,  Quedlin- 
boig  1840;  Dbitbbs,  De  Hes.  scuti  descriptione,  Bonn  1858;  dazu  Lbhbs,  Pop.  Aufs.'  427  £f. 
—  Hesiodi  Eumeli  Cinaeihoms  Asii  et  carminis  Naupactii  fragm.  coli  Marckscheffbl,  Lips. 
1840.  —  Certamen  bearbeitet  von  Nietzsche,  Acta  Lips.  I  1 — 23,  dazu  Rh.  M.  25,  528  £f. 

Erläuterungsschriften:  Schömanns  AbhancUungen  zu  Hesiod,  im  2.  Bde.  seiner 
Oposcacad.,  Berlin  1857;  0.  Gbufpb,  Die  griech.  Kulte  u.  Mythen  I  567—612. 


6.    Die  späteren  Epiker. 

74.  Genealogisches  Epos.  Mit  dem  Hingang  Homers  und  Hesiods 
ging  die  Blüte  des  griechischen  Epos  zur  Neige;  im  7.  und  6.  Jahrhundert 
drängte  die  frisch  aufblühende  Gattung  der  elegischen  und  lyrischen  Poesie 
das  Epos  in  den  Hintergrund.  Doch  fehlte  es  auch  in  dieser  Zeit  nicht 
ganz  an  Gedichten  im  epischen  Versmass.  Ausser  den  Werken  des  epischen 
Eyklos  waren  es  genealogische  Epen,  die  mehr  in  dem  Geleise  der  hesiodi- 
schen  Poesie  sich  bewegten,  aber  zum  grössten  Teil  schon  bestimmt  fass- 
bare, historische  Namen  an  der  Stime  trugen.  Aus  den  Namen  der 
Dichter  und  den  trümmerhaften  Resten  ihrer  Poesien  ersehen  wir,  dass  in 
dieser  Zeit  das  Epos  die  Grenzen  seiner  alten  Heimat  überschritt  und 
auch  im  Peloponnes  Wurzel  zu  schlagen  begann.  Insbesondere  war  es 
Korinth,  das  damals  wie  in  der  politischen  Stellung,  so  auch  auf  geistigem 
Gfebiete  den  Wettkampf  mit  den  übrigen  Staaten  Griechenlands  aufnahm. 
Es  war  eben  die  Zeit,  in  der  die  Stadt  des  Isthmus  unter  der  kräftigen 
Führung  des  adeligen  Geschlechtes  des  Bakchiaden  und  der  volkstümlichen 
lyrannen  Kypselos  (657—627)  und  Periander  (627— -.^87)  zu  ungewöhn- 
licher Macht  emporstieg.  Die  Blüte  der  epischen  Poesie  ging  dort  Hand 
in  Hand  mit  dem  Aufschwung  der  Toreutik  und  Vasenmalerei ;  kann  man 
doch  geradezu  die  berühmten,  mit  metrischen  Beischriften  versehenen 
Darstellungen  der  Kypseloslade  *)  die  älteste  Bilderchronik  der  Griechen 
nennen.     Der  berühmteste  der  korinthischen  Epiker  war 

Eumelos,^)  Sohn  der  Amphilytos  aus  dem  Geschlechte  der  Bak- 
chiaden. Die  Blüte  desselben  wird  von  den  Alten  in  die  Zeit  des  Archias, 
des  Gründers  von  Syrakus,  also  um  740  gesetzt,  *)  wird  aber  kaum  vor 
Mitte  des  7.  Jahrhunderts  gefallen  sein,  da  doch  nach  dem  ganzen  Gang 


')    Wir   kennen   dieselhen  bekanntlich 
M»  der  Beschreibung  des  Pausanias  V  17  — 19. 

*)  WiLiscB,  Die  Fragmente  des  Epikers 
^elo6,  Zittauer  Progr.  1875,  Sporen  alt- 
konnthischer  Dichtungen  ausser  Eomelos, 
Jabb.  f.  Phü.  123,  161  ff. 
^)  So  demens  Alex,  ström.  I  p.  144; 
Soaebios  setzt  ihn  Ol.  5  u.  9.  Zn  diesen  An- 
pben  stimmt    im   allgemeinen   die   Ueber- 


lieferung  (Paus.  IV  4,  1),  dass  er  fOr  den 
König  von  Messenien  Phintas  ein  Prosodion 
gedichtet  habe.  Fttr  sein  zeitliches  Verhält- 
nis zu  den  homerischen  Dichtungen  ist 
wichtig,  dass  er  schon  die  milesischen  Pontos- 
fahrten  bis  an  den  Boiysthenes  (fr.  17)  kennt 
und  das  Digamma  geradeso  wie  der  Dichter 
der  Verse  des  Eypseloskastens  yemach- 
lässigt. 


104 


Griechische  Litteratnrgeschichte.    L  KlasBisohe  Periode. 


der  Dinge  die  korinthische  Dichterschule  erst  nach  der  hesiodischen  oder 
böotischen  zur  Entwicklung  gekommen  sein  kann.  Sein  Hauptwerk  waren 
die  KoQiv&iaxdy  worin  die  sagenhafte  Vorgeschichte  Korinths  behandelt 
war,  darunter  auch  die  Verstossung  der  Medea  und  die  Heirat  des  Jason 
mit  der  Kreusa,  der  Tochter  des  Königs  Kreon  von  Korinth.*)  Dies  Ge- 
dicht wurde  später  in  einen  prosaischen,  von  Tansanias  Hl,!  erwähnten 
Auszug  gebracht.  Ausserdem  dichtete  Eumelos  eine  EvQtonfa,  in  der  die 
Fabel  von  der  Europe,  der  Tochter  des  phönikischen  Königs  Agenor,  vor- 
kam, und  ein  ländliches  Gedicht  Bovyovia.  Auch  ein  Prosodion,  also  ein 
lyrisches  Gedicht  in  Hexametern,  das  er  für  die  Messenier  auf  den  Gott  in 
Dolos  dichtete,  erwähnt  Paus.  IV  4,  1  u.  33,  3.  Die  Vermutung  des  Pen- 
egeten  V  19,  10,  dass  er  auch  die  Verse  auf  dem  Kypseloskasten  verfasst 
habe,  kann  richtig  sein,  stimmt  aber  nicht  zu  den  sonstigen  Angaben  über 
die  Zeit  unseres  Dichters. 

Marckscheffel,  Hesiodi  Eameli  Cinaethonis  Asii  fragm.,  Lips.  1840.  —  Dübhtzbr, 
Die  Fragmente  der  epischen  Poesie  der  Griechen,  Köln  1840,  2  Teile.  —  Kinkel,  Epiconun 
graecoram  fragmenta,  1877  in  Bibl.  Teubn. 

75.  Dem  argivischen  Sagenkreis  gehörte  die  Alkmaionis  an,  deren 
Verfasser  nicht  vor  dem  Schluss  des  7.  Jahrhunderts  lebte,  da  derselbe 
als  Bruder  der  Penelope  den  Leukadios  anführt  (Strabon  p.  452),  der  von 
der  unter  Eypselos  oder  Periander  gegründeten  korinthischen  Kolonie 
Leukas  seinen  Namen  hat.^)  Das  Epos  behandelte  im  Anschluss  an  den 
Zug  der  Epigonen  gegen  Theben  die  Schicksale  des  heimkehrenden  Alk- 
maion  und  die  Gründung  des  amphilochischen  Argos.  In  diese  Gründungs- 
sage waren  auch  die  Geschicke  des  Tydeus  und  Diomedes  verflochten.') 
Die  Mythen  des  Epos  boten  später  den  Tragikern  reichen  Stoff  für  ihre 
Dramen. 

Die  NavTiaxTia  inrj  waren  ein  genealogisches  Epos  auf  berühmte 
Frauen  nach  Art  der  Eöen;  als  Verfasser  derselben  ward  nach  Paus.  X 
38,  11  von  den  einen  ein  Milesier  (Eerkops?),  nach  anderen  Earkinos 
aus  Naupaktos  genannt.  Jedenfalls  hatte  das  Epos  seinen  Namen  davon, 
dass  es  aus  der  hesiodischen  Schule  zu  Naupaktos  hervorgegangen  war. 
Es  war  in  dem  Gedicht  namentlich  auch,  im  Anschluss  an  Medea,  die 
Argonautensage  behandelt,  weshalb  dasselbe  öfters  in  den  Scholien  zu 
ApoUonios  Rhodios  angeführt  wird. 

Kinaithon  aus  Lakedämon,  nicht  zu  verwechseln  mit  dem  chiischen 
Rhapsoden  Eynaithos,^)  wird  von  Pausanias  II  3,  7  als  genealogischer 
Dichter  bezeichnet.  Auf  ein  genealogisches  Gedicht  weisen  auch  die  dem 
Kinaithon  zugeschriebenen  Nachrichten  über  Medea,  Helena,  Orestes,  Talos. 
Namentlich    scheint    er    als  Peloponnesier    die    Genealogie    und    Sagen- 


^)  Die  Medeasage  war  wohl  von  Nau- 
paktas,  von  welcher  Stadt  die  NavTidxrta 
enrj  benannt  sind,  nach  Eorinth  gebracht 
worden.  Zor  Verknflpfang  derselben  mit  der 
heimischen  Sage  von  Korintii  scheint  die 
üeberliefemng  von  einer  korinthischen  Heroin 
Medeia  (siehe  Schol.  Enr.  Med.  10)  nnd  die 
Totenfeier  an  zwei  Kindergrftbera  im  Haine 
der  "ÜQa  Hxgnia  zu  Eorinth  (siehe  Eur.  Med. 


1379  nnd  Paus.  H  3,  6}  Anstoss  gegeben  zu 
haben. 

^)  Oberhummbb,  Akamanien  S.  74. 

')  Siehe  hierüber  Immisch,  Elaros,  Jahrb. 
f.  Phil.  Suppl.  XVII  182—193. 

*)  Verwechselt  von  Weloker,  Ep.  CycL 
I  227.  Die  Etymologie  der  beiden  Namen  ist 
dunkel. 


A.  Epos.    6.  Die  späteren  Epiker.    (§§  75—76.)  105 

geschichte  der  Dorer  und  Herakliden  behandelt  zu  haben  (Paus.  11 18,  6); 
eines  der  ihm  beigelegten  Gedichte  hiess  '^Hgaxkeia.  Andere  machten  ihn 
auch  zum  Verfasser  der  Oldtnödeia  und  der  ^ihdq  fiixQce,  Seine  Zeit  steht 
nicht  fest;  denn  der  Ansatz  des  Eusebios  auf  Ol.  5  ist  zweifelsohne  zu 
hoch  gegriffen;  die  Nachrichten  desselben  über  Medea  bei  Paus.  II  8,  9 
rücken  ihn  unter  Eumelos  herab. 

Chersias  aus  Orchomenos  lebte  um  Ol.  40  zur  Zeit  des  Periander. ^) 
Seine  inrj  konnte  schon  Pausanias  (s.  IX  38,  9)  nicht  mehr  auftreiben.  In 
der  Vita  des  Hesiod  wird  ihm  auch  das  Epigramm  auf  dem  Grabdenkmal 
des  Hesiod  in  Orchomenos  zugeschrieben. 

76.  Asios,  der  Sohn  des  Amphiptolemos  aus  Samos,  hatte  gleich- 
falls Genealogien  gedichtet,  die  noch  Pausanias  häufig  benutzte.  Begreif- 
licherweise behandelten  seine  inf^  zunächst  die  Genealogie  der  Herrscher 
seiner  Heimatinsel  Samos  (Paus.  VII  4),  enthielten  aber  auch  die  Abstam- 
mung anderer  Fürstengeschlechter ,  wie  z.  B.  der  Phoker  (Paus.  II  29). 
Ausserdem  hat  uns  Athenaios  p.  525  e  mehrere  Verse  auf  den  Luxus  der 
Samier  erhalten,  wie  sie  in  langen,  bis  auf  die  Erde  herabwallenden 
Röcken  und  mit  goldenen  Zikaden  im  Haar*)  zum  Tempel  der  Hera  zogen. 
Die  Verse  gehören  aber  schwerlich  dem  genealogischen  Epos  des  Asios 
an,  sondern  einem  anderen  Gedicht  von  satirischem  Charakter.  Auch 
Verse  einer  Spottelegie  auf  die  Hochzeit  des  vom  Flussschlamm  auf- 
steigenden Gottes  Meles  werden  von  Ath.  p.  125  d  angeführt.  Schon  diese 
dienen  zum  Beweis,  dass  man  den  Ausdruck  "A(fiov  tov  nakawr  ixetvov  bei 
Ath.  125  b  nicht  streng  nehmen  darf,  und  lassen  uns  Urlichs  (Rh.  M.  10,  3) 
beistimmen,  wenn  er  unsem  Dichter  auf  Ol.  35 — 40  herabrückt. 

Speziellen  Sagenkreisen  galten  folgende  Epen: 

!^T^rg  des  Hegesinos,  aus  welcher  4  Verse  Paus.  IX  29,  1  anführt, 
ohne  das  Buch  selbst  mehr  zur  Hand  zu  haben. 

(PoQwvtg  von  einem  unbekannten  Verfasser;  das  Epos  benutzten  als 
Quelle  die  Logographen  Hellanikos  und  Akusilaos. 

&€iT7tQwtig,  angeführt  von  Paus.  VIU  12,  5  und  wohl  identisch  mit 
des  Musaios  inrj  ntQi  OtaTtgcoTciv ;  vgl.  §  59. 

^HQaxisim^^)  Yon  denen  eine  bald  dem  Kinaithon,*)  bald  einem  gewissen 
Eonon  zugeschrieben  wird. 

Sr^arjt'g,  angeblich  von  Diphilos,  vermutlich  von  einem  ionischen  Dichter 
nach  dem  Muster  der  Herakleen  gedichtet.*^) 

')  Nach  Plut  Conv.  sept.  aap.  p.  156  e.      1   mowitz,  Eur.  Herakles  I  311  hat  die  Eühn- 
*)  Einen  fthnlichen  Haarschmuck  trugen  |   heit,  auch  einen  dorischen,  vor  Hesiod  leben- 
den Dichter  der  zwölf  Thaten  des  Herakles 
anzunehmen. 

B)  Einer  späteren  Zeit  gehörte  Zopyros 
an,  der  nach  Stob.  Flor.  64,  38  im  3.  Buch 
seiner  in  Prosa  geschriebeneu  Theseis  den 
Medeamythus  erzfihlte.  Die  dem  Diphilos 
vom  Scholiasten  zu  Pind.  Ol.  X  83  zuge- 
wiesenen choliambischen  Trimeter  gehören 
vielleicht  dem  Theseus  des  Komikers  Di- 
philos an.  Aus  einer  Theseis  nahm  Bak- 
chyUdes  in  einem  neu  gefundenen  Gedichte 
18  die  Schilderung  der  Thaten  des  Theseus. 


die  alten  Athener  nach  Thuc.  I  6,  Aristoph. 
EqiL  1328,  Schol.  Arist.  Nub.  980.  Ein  Terra- 
kottenköpfchen  mit  solchen  Haarverzierungen 
US  Kleinasien  besitzt  das  Antiquarium  in 
MOnchen  n.  35. 

')  Arist.  Poet.  8:  dio  nayxeq  ioixaai»^ 
ifjui{narety  oca  twy  noitjrüiy  'HgaxXrjtda 
<«f  Srjfftjida  xai  tu  roiavia  noinfiata  nenotij- 
twy  •  oZotrwai  ydg  in  ei  eis  rjy  6  llQttxX^fj 
iwa  xai  toy  fxvdoy  etyai  ngoaijxHy, 

*)  Kiyai,9og  heisat  der  Verfasser  in  Schol. 
a  Apoll.  I  1357,  K6ytoy  zu  I  1165.    Wila- 


106  Chieohweh«  latteraiargMeluelito.    I.  KUMiseh«  Periode. 

77.  Die  ^ÄQifiMnHa  J^nr^  des  Aristeas  aus  Prokonnesos  in  3.  B.  be- 
reicherten die  Mythenwelt  der  Griechen  mit  neuen  Fabeln.^)  Über  den 
Verfasser  und  den  Inhalt  dieser  f/rr^  ist  Hauptquelle  Herodot  IV  13—16 
u.  in  116.  Danach  stammte  Aristeas  aus  einer  angesehenen  Familie  von 
Prokonnesos,  einer  Kolonie  der  Milesier  an  der  Propontis,  und  stand  in 
dem  Rufe  eines  Wundermannes  {^otßoXa/Anzog).  Von  seiner  Heimat  aus 
machte  er  ausgedehnte  Reisen  nach  dem  Norden  bis  zu  den  Issedonen 
und  erzählte  in  seinen  enr^  fabelhafte  Dinge  von  den  Völkern  jener 
fernen  Länder,  von  den  einäugigen  Arimaspen,  *)  den  goldhütenden  Greifen, 
den  Hyperboreern,  Kimmeriem,  Skythen  u.  a.*)  Seine  Blute  setzt 
Suidas  Ol.  50  (58  V)  in  die  Regierung  des  Kyros  und  Kroisos;*)  Herodot  IV 15 
lässt  ihn  240  Jahre  vor  seiner  Zeit,  also  schier  100  Jahre  früher  leben. ^) 

78.  Das  jüngere  Heldenepos.  Das  volkstümliche  Heldenepos  war 
mit  den  letzten  Homeriden  so  gut  wie  verklungen.  Homer  und  seine 
Nachfolger  hatten  aus  dem  Jungbrunnen  der  epischen  Poesie,  der  volks- 
tümlichen Sage,  geschöpft;  sie  waren  dadurch  Volksdichter  im  edelsten 
Sinne  des  Wortes  geworden  und  stunden  mit  ihren  Dichtungen  mitten  in 
ihrem  Volke  und  ihrem  Stamme.  Das  hatte  jetzt  aufgehört:  es  gab  zwar 
noch  Dichter,  welche  immer  von  neuem  sich  an  der  poetischen  Gestaltung 
der  alten  Sagen  versuchten,  aber  das  thaten  sie  für  sich  ohne  Zusammen- 
hang mit  dem  Volk.  Dass  immerhin  auch  so  noch  Gutes  geleistet  wurde, 
zeigt  die  Aufnahme  dreier  dieser  Epiker  in  den  Kanon  der  alexandrinischen 
Kunstrichter.«)     Unter  diesen  ist  der  älteste 

Peisandros,  Sohn  des  Peison  und  der  Aristaichme  aus  Kameiros 
in  Rhodos,')  Verfasser  einer  Herakleia  in  2  Büchern.  Die  Zwölfzahl 
der  Arbeiten,  das  Löwenfell  und  die  Keule  des  Heros  gingen  von 
Peisander  in  die  Fabelgeschichte  über.^)  Die  Kraft  der  Darstellung  und 
die  Konzentrierung  der  Erzählung  auf  eine  Person  verschafiFten  dem 
Gedicht  sein  hohes  Ansehen;®)  erhalten  sind  uns  nur  einige  wenige 
Verse;  vermutlich  aber  enthielt  die  Schilderung  der  12  Athla  des  Herkules 
bei  dem  Mythographen  Apollodor  H  5  Exzerpte  aus  Pisander.  Die  Zeit  des 
Dichters  wird  von  Suidas  Ol.  33  (um  645)  gesetzt;  nach  den  Resten  seines 
Gedichtes  kann  er    kaum  älter  als  das  6.  Jahrhundert  gewesen  sein.^^) 


Danach  dürfen  wir  die  Theseis  vor  die  Perser- 
kriege setzen. 

^)  Suidas  führt  von  ihm  auch  eine  Theo- 
gonie  und  Schriften  in  Prosa  an;  die  Echt- 
heit aller  Schriften  bezweifelt  Dionys.  de 
Thuc.  23;  s.  Tournibb,  De  Aristea  Procon- 
nesio  et  Arimaspeo  poemate,  Par.  1863. 

')  Das  Wort  ist  iranisch  und  bedeutet 
, wilde  Pferde  habend*. 

')  Aristeas  beschrieb  Land  und  Leute 
yom  schwarzen  Meer  bis  zur  Ostsee.  Dass 
in  der  That  griechische  Handelswege  so 
weit  hinaufreichten,  bezeugen  die  Funde  von 
39  altgriechischen  Autonommünzen  an  der 
Netze    und    von    grossen    Goldgerftten    bei 


KvQoy  rXvfjiniddi  v  (vtf  em.  Flach  nach 
Rohde). 

')  Dort  liest  jetzt  Stein  nach  den  besten 
Handschriften  TeaaeQctxoyr«  xai  dirjxoaioun 
statt  des  frflheren  rQtrjxoaioiaiy. 

•)  Procl.  ehrest,  p.  230  W.:    yeyoyaff^  di 

TOV      €7tOVC     TtOltJiai     XQdtUTTOt     (Jikv    "OftfJQO^f 

'Hclo^ogy    Ueiaaydgog,    Jlayvaaig,   'JyTtfiaxog. 

')  Das  f&r  seine  Statue  bestimmte,  dem 
Theokrit  zugeschriebene  Gedicht  steht  in 
Anth.  Pal.  9,  598. 

«)  O.  MüLLBB,  Dörfer  H  475  ff.  Schon 
Pindar  /.  VI  48  u.  0.  HI  setzt  die  Arbeiten 
in  bestimmter  Reihenfolge  voraus. 

•)  Quint.  X  1,  56:   Quid?    Herculis  acta 


Vettersfelde,  worüber  Furtwängler  in  dem      (athla  coni.  Wölfflin)  non  bene  Pisandros? 
43.  Winckebnannsprogr.,  Berl.  1883  handelt,   i  >•)  Wilamowitz,   Euripides  Heraklee   I 

^)  Suidas:    yeyoye  de  xaxil  Kgoiaoy  xai    |    309. 


A.  EpoB.    6.  Die  späteren  Epiker.    (§§  77—81.)  107 

Wohl    ZU    unterscheiden  von   ihm   ist   ein  jüngerer   Pisander,    der   unter 
Alexander  Severus  eine  '^iatoQia  noixflrj  di*  inwv  schrieb. i) 

79.  Panyassis  aus  Halikarnass,  ^)  Oheim  des  Historikers  Herodot, 
der  in  den  Freiheitskämpfen  seiner  Vaterstadt  durch  den  Tyrannen 
Lygdamis  den  Tod  fand,  erweckte  die  epische  Poesie  wieder  zu  neuem 
Leben.  Seine  Berühmtheit  verdankte  er  der  Herakleia  in  14  B.,  in 
welche  er  des  Kreophylos  Otxakiag  äk(oalg  verflocht.*)  Ausserdem  dichtete 
er  in  elegischem  Versmaas  'iiavixa,  in  denen  er  die  Gründungsgeschichte 
der  ionischen  Kolonien  Eleinasiens  erzählte.  Einen  fröhlichen  Sinn  voll 
Weineslust  atmen  die  schönen  Fragmente,   die   sich  uns   erhalten  haben. 

80.  Choirilos  aus  Samos,*)  jüngerer  Zeitgenosse  und  Verehrer  des 
Herodot,  dem  wir  gegen  Ende  des  peloponnesischen  Krieges  zuerst  als 
Begleiter  des  Feldherrn  Lysander*^)  und  dann  neben  dem  Tragiker  Aga- 
then, dem  Komiker  Piaton  u.  a.  an  dem  Hofe  des  Königs  Archelaos  von 
Makedonien  begegnen.^)  Nach  dem  Vorbild  des  Aischylos  wählte  er  zu 
seinem  Epos  ncQar/g  {IJeQaixd  bei  Herodian)  den  Stoff  aus  der  Zeit- 
geschichte. Schön  begründet  er  in  dem  erhaltenen  Proömium  diesen  seinen 
Plan  damit,  dass  dem  Diener  der  Musen,  nachdem  alles  verteilt  sei,  nichts 
übrig  bleibe,  als  einen  neuen  Weg  zu  suchen.  Die  Perseis  hatte  ihren 
Mittelpunkt  in  dem  Sieg  der  Athener  über  den  Perserkönig  Xerxes ;  durch 
Volksbeschluss  der  Athener  erhielt  sie  die  Ehre  mit  den  Gedichten  des 
Homer  öffentlich,  vermutlich  an  den  Panathenäen,  vorgelesen  zu  werden 
(Suidas).  Ein  zweites  Gedicht  des  Choirilos  2afAiaxcc  ist  frühzeitig  ver- 
schollen. Verschieden  von  dem  Verfasser  der  Perseis  ist  der  Epiker 
Choirilos  ans  lasos  in  Karien,  der  Herold  der  Ruhmesthaten  Alexanders, 
welcher  durch  Horaz  Ep.  U  1,  232  u.  3,  357  f.  eine  traurige  Berühmtheit 
erlangt  hat. 

81.  Antimachos  aus  Kolophon,')  der  Dichter  einer  Thebais,  lebte 
zur  Zeit  des  peloponnesischen  Krieges  bis  in  die  Regierungszeit  des  Arta- 
xerxes  II  hinein.  ^)  Bekannt  ist  die  Anekdote  der  von  Piaton  seinen  Dichtungen 
geschenkten  Anerkennung,,  womit  er  sich  über  seine  sonstigen  Misserfolge 
tröstete:  Plato  mihi  nnus  instar  est  milium.^)  Sein  Hauptwerk  war  das 
weit  ausgesponnene  Epos  &rjßatg.  Aber  mehr  Ansehen  bei  den  Späteren 
verschaffte  ihm  das  grosse,  mindestens  2  B.  umfassende  elegische  Gedicht 


')  Auf  den  Mythographen  Peisandros 
beaehen  sich  die  Scholien  zn  Eur.  Phoeniss. 
8a4.  1760  und  zu  Apoll.  Argon.  I  152.  471. 

*)  Der  Historiker  Dnris  bei  SoidaB  nennt 
flin  Sohn  des  Diokles  (andere  des  Polyarchos) 
und  macht  ihn  ans  Lokalpatriotismns  zu 
einem  Sander,  weil  er,  wie  Herodot,  zur 
Zeit  seiner  Verbannung  in  Samos  lebte.  Auf 
Inschiiften  wird  der  Name  nayvang  ge- 
Mfarieben. 

»)  Clem.  Alex,  ström.  VI  p.  266. 

^)  Choerili  Samii  quae  supersunt  coli. 
Kabks,  ups.  1817. 

»)  Plnt  Lysand.  18. 

•)  MaiceUinus  vit  Thuc.  29. 

0  Clarius  heisst  er  bei  Ovid.  Trist.  I 
6, 1  mich  dem  benachbarten  Klares.  —  Üeber 


einen  angeblich  älteren  Epiker  Antimachos 
aus  Teos  s.  In  misch,  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl. 
XVH  129  f. 

®)  Unter  Artazerxes  II  setzt  seine  Blüte 
Diodor  XIII  108  nach  dem  Chronographen 
Apollodor. 

»)  Cic.  Brut.  51;  Plut.  Lysand.  18; 
vgl.  Procl.  in  Plat.  Tim.  p.  28  '\  Dass 
dagegen  andere  chronologische  Bedenken 
erhoben,  ersieht  man  aus  der  Bemerkung 
des  Suidas:  yiyovB  6k  txqo  nXdroiyog.  Hera- 
kleides Pont,  in  den  Scholien  des  Proklos 
zu  Plat.  Tim.  I  p.  28  *'  erzählt  von  einer 
Sammlung  der  Gedichte  des  Antimachos,  die 
er  auf  Veranlassung  seines  Bewunderers 
Piaton  gemacht  habe. 


108 


Grieohisohe  LüteratnrgMoliiohte.    L  EUssisoha  Periode. 


Avdrj^  in  welchem  er  sich  über  den  Tod  seiner  Geliebten  Lyde  durch 
Erzählung  unglücklicher  Liebesverhältnisse  der  mythischen  Vorzeit  weg- 
zudichten  suchte.^)  Die  Grammatiker,  die  ihn  als  Hauptvertreter  des 
kraftvollen,  rauhen  Stils  (aiaxriQd  a^iiovCa)  betrachteten,  *)  gaben  ihm  die 
nächste  Stelle  nach  Homer,  wozu  Quintilian  X  1,  53  die  feine  Bemerkung 
macht:  ut  plane  manifesto  appareat,  quanto  sü  aliud  proximum  esse,  aliud 
secundum, 

82.  Die  religiösen  Inr],  Den  epischen  Hexameter  und  den  home- 
rischen Dialekt  eigneten  sich  die  Orakel  und  Priester  um  so  eher  an,  als 
sich  schon  die  hieratische  Poesie  vor  Homer  des  Hexameters  bedient 
hatte.  Das  Orakelwesen  und  der  Geheimkult  der  Sühnungen  kamen  erst 
nach  dem  8.  Jahrhundert  auf;^)  in  der  Ilias  wird  nur  einmal,  und  zwar 
in  dem  jungen  Gesang  der  Presbeia  /  404  der  Schätze  gedacht,  welche 
die  eherne  Schwelle  des  pfeilentsendenden  Gottes  einschliesse,  und  erst 
in  der  Erweiterung  des  Nostos,  Od.  ^  79  f.,  hören  wir  von  einem  Orakel, 
das  Apoll  in  der  heiligen  Pytho  den  Achäem  gab.  Hesiod  selbst  spricht 
in  seinen  echten  Werken  wohl  von  jener  heiligen  Stätte,*)  aber  erst  die 
späteren  Fälscher  legten  ihm  auch  ^ttt]  fiavTtxa  bei.  In  den  nachfolgenden 
Zeiten  entwickelte  sich  unter  dem  Einfluss  der  delphischen  Amphiktyonie 
und  des  im  6.  Jahrhundert  um  sich  greifenden  Geheimkultus  der  Orphiker 
eine  erhebliche  Litteratur  von  mystischen  Gedichten  im  epischen  Vers- 
mass  und  im  ionischen  Mischdialekt. 

Dahin  gehören  vor  allem  die  Orakelsprüche  ixqria^oi)  von  Delphi, 
die  seit  dem  6.  Jahrhundert  mit  dem  steigenden  politischen  Einfluss  der 
delphischen  Priesterschaft  zahlreicher  und  kunstvoller  wurden;  erhalten 
sind  uns  solche  nur  durch  gelegentliche  Anführungen  bei  Historikern  und 
Grammatikern.  ^) 

Von  dem  Hyperboreer  Abaris,  der  nach  Herodot  IV  36  mit  einem 
von  Apoll  ihm  geschenkten  Pfeil  umherzog,^)  erwähnt  Suidas  skythische 
Orakelsprüche,  ein  Gedicht  von  der  Reise  des  Apoll  zu  den  Hyperboreern, 
Reinigungen  und  eine  Theogonie  in  Prosa.  Oflfenbar  lebte  der  Schwindler 
nach  Aristeas;  Suidas  setzt  ihn  Ol.  53. 

Von  Epimenides  dem  Kreter,  einem  halbmythischen  Hellseher, 
welcher  nach  Diogenes  und  Suidas  in  der  46.  Olympiade  Athen  vom 
kylonischen  Frevel  reinigte,')  nach  Piaton  aber  erst  zehn  Jahre  vor  den 


')  Asklepiades  in  AnÜh.  IX  63  preist 
überschwenglich  das  Gedicht:  xd  qvyoy  Mov- 
adiy  YQcifjifAa  xal  'Avjifjiaxov.  üeber  die  ver- 
schiedenen Urteile  s.  Wentzel  bei  Pauly- 
Wissowa  I  2435. 

^)  Dionys.  Halic.  cens.  vett.  Script.  II  3 
und  de  comp.  verb.  22. 

»)  LoBBCK,  Aglaoph.  304—317. 

*)  Uv&ol  iy  fjya&en  Theog.  499  an  der- 
selben Versstelle,  wie  Od.  &  80,  was  auf 
gegenseitige  Abhängigkeit  der  beiden  Stellen 
hinweist. 

^)  ELbndess,  Oracula  graeca,  in  Dias. 
Hai.  IV  (1877).  Viele  der  angeführten  Orakel 


sind  erst  sp&ter  erdichtet  oder  interpoli^t 
worden;  namentlich  gilt  dieses  von  den 
Orakeln  m  iambischen  Trimetem  and  im 
nichtepischen  Dialekt. 

«)  Nach  Ps.  Plato,  Azioch.  p.  371  haben 
die  mystischen  Lehren  von  der  Unterwelt 
Opis  nnd  Hekaergos  aus  dem  Hyperboreer- 
land  auf  eherner  Tafel  nach  Dolos  gebracht; 
vgl.  Roh  DB,  Psyche  381  Anm.  1. 

')  Diog.  I  110;  bei  Smdas  ist  6k,  fOf 
aberliefert.  Xenophanes  gab  ihm  nach  Dio- 
genes ein  Leben  von  154,  die  Kreter  gar 
von  299  Jahren,  was  mit  dem  weiten  Ab- 
stand der  ihm  zugeschriebenen  Wiederaufer- 


A.  Epos.    6.  Die  späteren  Epiker.    (§§  82—83.) 


109 


Perserkriegen  in  ähnlicher  Eigenschaft  nach  Athen  kam,^)  zirkulierten 
eine  Orakelsammlung,  ^)  eine  Theogonie,  ein  Epos  vom  Argonautenzuge, 
aberdies  Schriften  über  Opfer  und  Reinigungen  in  Prosa ;  ^)  auch  eine  Ge- 
schichte der  fabelhaften  Teichinen  wurde  von  einigen  unserem  Epimenides 
zugeschrieben.  ^) 

Onomakritos,*^)  der  von  Hipparch  aus  Athen  verjagt  wurde,  weil 
er  von  Lasos  aus  Hermione  der  Fälschung  von  Orakeln  überführt  worden 
war,  der  uns  aber  später  wieder  bei  dem  Perserkönig  als  Freund  der  Pei- 
sistratiden  begegnet,^)  liess  sich  nicht  bloss  von  dem  kunstsinnigen 
Tyrannen  Athens  zu  seinen  litterarischen  Unternehmungen  benutzen, 
sondern  dichtete  auch  selbst  ^tti;,  welche  nach  den  Citaten  des  Pausanias 
Vin  31  u.  37  und  IX  35  in  das  Gebiet  der  Theogonie  einschlugen.  Am 
meisten  aber  scheint  er  seine  versifikatorische  Geschicklichkeit  dazu  ver- 
wendet zuhaben,  um  Gedichte  des  Musaios  und  Orpheus  in  die  Litteratur 
einzusch Warzen.  T)  Aber  zu  weit  ging  man  ehedem,  wenn  man  auch  die 
ans  erhaltenen  orphischen  Hymnen  dem  Onomakritos  beilegen  wollte. 

Neben  Onomakritos  werden  noch  Zopyros  aus  Heraklea,  Nikias 
von  Elea  und  die  Pythagoreer  Brontinos  und  Kerkops  als  Verfasser 
solch  mystischer  Dichtungen  genannt,  auf  die  wir  unten  bei  den  Orphika 
nochmals  zurückkonmien  werden.  Wohl  zahlreicher  noch  als  die  auf  einen 
bestinmiten  Namen  zurückgeführten  hieratischen  Gedichte  waren  die  ano- 
nymen, an  den  verschiedenen  Mysterien-  und  Orakelplätzen  (Eleusis,  An- 
dania,  Samothrake,  Delphi,  Dodona)  bei  den  Weihen,  Sühnungen  und  son- 
stigen religiösen  Übungen  gesungenen  Verse.  Auch  astrologische  Gedichte 
erwähnt  schon  aus  jener  alten  Zeit  Herodot  II  82. 

83.  Die  philosophischen  Lehrgedichte  {tpiloaotpa  snr^  waren 
Ausläufer  des  didaktischen  Epos.  Die  Theogonie  des  Hesiod  galt  und  gilt 
auch  jetzt  noch  als  die  Vorhalle  der  philosophischen  Spekulation.  Was 
war  da  natürlicher,  als  dass  auch  die  ersten  Philosophen  zur  Zeit,  als  es 
noch  keine  Prosa  gab  und  die  Philosophie  noch  nicht  in  der  Dürre  ab- 
strakter Darstellung  ihr  Ideal  suchte,  sich  der  poetischen  Form  und  des 
epischen  Hexameters  bedienten?  Die  ersten  Philosophen  indes,  die  Phy- 
siker im  ionischen  Eleinasien^  und  der  Begründer  der  ethisch-mathematischen 


stehongen  znsamineiiliAngt.  Die  EuiiBt  stellte 
ihn  deäalb  als  schlafenden  Seher  mit  ge- 
scUoaBenen  Augen  dar. 

>)  Fiat.  legg.  I  p.  642 d;  danach  fiele 
seine  Blflte  500  v.  Chr.,  in  welchem  Jahre 
nach  einer  Inschrift  CIA  I  475  eine  Seuche 
Athen  heimsuchte;  vgl  Töpffbb,  Att  Geneal. 
140  ff: 

')  Allst.  Rhet  m  17  p.  1418e  24;  Plut. 
de  orac.  def.  1. 

')  Snidas:  iyQtnpe  di  noXXa  inixui(;  xai 
unttXoyadfjy.  Diog.  I  111:  inoirjce  ^k  Kov- 
fijTWK  xai  Koffvßamotf  yiyBüiv  xai  ^eoXoyiay 
hff  ;r<rr«jrMr/fiUa,  *Jgyovs  vavntjyiity  tb  xai 
'lucoro^  eig  KoXj^ovf  anonkovv  intj  i^axia- 
XiXia  nertaxocM  •  cvviyQmpB  dk  xai  xaxaXoyd- 
hfy  negi  Svauoy  xai  rtjg  iv  KQtjip  uoXijeiag 
JUti  n^fn  Mirm  xai  'Pada^äy&vog  eis  Intj  %B- 


xQaxiaxiha.  Ueber  die  geringe  VerlAseigkeit 
der  Angaben  vgl.  Hiller  Rh.  M.  37,  525  f. 
Die  Reste  der  Theogonie  besprochen  Yon 
EsRir,  De  Orphei,  Epimenidis,  Pherecydis 
theogoniis,  Berol.  1888.  Dibls,  Ueber  Epi- 
menides von  Kreta,  Stzb.  d.  pr.  Ak.  1891 
S.  393  ff. 

*)  Ath.  282  e:  6  irjy  TeXxiytaxrjy  taro- 
Qiay  avy^eigj  stte  *E7iifieyidrjg  iüxly  6  Kqijs 
rj  TtjXexXeldijg  ei'r*  aXXog  rig, 

^)  RiTSCHL,  Onomakritos  von  Athen, 
Opusc.  I  238  ff. 

•)  Herod.  VII  6. 

^)  Clemens  Alex,  ström.  I  p.  143:  oi 
{*OyofÄaxQitov)  ja  sig  'OQ<pea  aya^egofABya 
noirjfiaia  Xdyerav  eiyai  .  .  xai  rovg  fAhy 
dl  atpBQOfjLiyovg  eig  Movoaioy  x^V^f^ovg  Wo- 
fAttXQixov    eiyai  Xiyovöiy, 


110  Griacliisohe  Litteratargesohiohte.    L  Klassisohe  Periode. 

Richtung  der  Philosophie,  Pythagoras  in  ünteritalien,  schrieben  überhaupt 
nichts,  sondern  beschränkten  sich  auf  mündliche  Unterweisung  ihrer  Schüler 
und  Anhänger,  weshalb  man  von  der  späteren  Veröflfentlichung  der  Lehre 
durch  Schriften  den  Ausdruck  Hinausgeben  (ixiovrat^  edere)  gebrauchte.  Der 
Brauch,  die  Lehre  zu  veröflFentlichen  und  in  der  einschmeichelnden  Form 
poetischer  Einkleidung  hinauszugeben,  kam  durch  die  Eleaten  im  6.  Jahr- 
hundert auf.  Vollständig  ist  uns  von  solchen  philosophischen  Oedichten 
nichts  erhalten,  wohl  aber  sind  zahlreiche  Fragmente  auf  uns  gekommen, 
die  sich  durch  poetische  Schönheit  fast  mehr  noch  als  durch  gedanken- 
reichen Inhalt  empfehlen.  ^) 

Xenophanes  aus  Kolophon,  Gründer  der  eleatischen  Schule,  blühte 
in   der  2.  Hälfte   des  6.  Jahrhunderts^)  und  brachte   aus  seiner  Heimat, 
die    seit    alters   Sitz    einer   Homeridenschule   war,    die  Übung    des   rhar- 
psodischen  Vortrages  mit.^)    Er  dichtete  selbst  in  der  Manier  der  Genea- 
logen   die    Epen  Koko(fO}vog  xtfaig   und  ^Anoixiafiiq    sig  *Ekäav    zi^g  '/raA/crc. 
Aber  grössere  Berühmtheit  brachten  ihm  das  philosophische  Lehrgedicht 
Tiegi  g  vasmg  und  die  gegen  Philosophen  und  Dichter  gerichteten  Spottverse 
(Silloi).*)   Als  Vertreter  des  Monotheismus  eiferte  er  leidenschaftlich  gegen 
Homer  und  Hesiod,    welche   bei  den  Menschen  die  unwürdigen   Vorstel- 
lungen von  den  Göttern  verbreitet  hätten;  berühmt  sind  die  Verse: 
ndvra  x^eoTg  ävt'O^rjxav  "Ofir^gog  xh*  "^Haiodog  t£, 
Zaaa  naq*  dvO^QWTTonnv  oveidsa  xal  xpoyog  iativ  .   .  . 
(og  nXeiat*  i(p&€y^av%o  O^sSv  ad^efiiaTia  igya, 
xXkTiTHv  fioix^vsiv  %€  xul  aXXrjXovg  dnaTSveiv.^) 
Hohen  Ansehens  erfreuten  sich  auch  seine,  zum  Teil  uns  noch  erhaltenen 
Elegien,  in  denen  er  in  edler  Sprache  den  Vorzug  der  Lehren  der  Weis- 
heit vor  den  thörichten  Anschauungen  des  grossen  Haufens  pries. 

Parmenides,  der  angesehenste  unter  den  eleatischen  Philosophen, 
der  ausser  seinem  Lehrer  Xenophanes  auch  die  Pythagoreer  Ameinias 
und  Diochaites  hörte,  blühte  nach  Diog.  IX  23  in  der  69.  Olympiade.^) 
Sokrates  hat  als  ganz  junger  Mann  (Plat.  Parm.  127  b)  denselben  gehört, 


')  Die  Reste  gedruckt  in  den  Samm-  '  Dichtung    gegeben    Bein    sollte,    überliefert 


lungen  des  Fragmente  der  griechischen 
Philosophen  von  Ritter -Preller,  Karsten, 
Mullach. 

^)  Zrllbr,  Die  Philosophie  der  Griechen 
I^  486;  die  Angaben  der  Alten  gehen  weit 
auseinander:  Diog.  IX  20  setzt  seine  Blüte 
Ol.  60,  ApoUodor  bei  Clem.  Alex,  ström.  1 
130  lässt  ihn  von  Ol.  40  bis  zu  den  Zeiten 
des  Eyrus  und  Darius  leben  (s.  Uno  er  im 
Philol.  43,  209  ff.);  Timaios  macht  ihn  zum 
Zeitgenossen  des  älteren  Hieron  und  Epi- 
charmos  (s.  Plut.  apophth.  reg.  p.  175  c). 
Das  Entscheidende  ist,  dass  er  den  Pytha- 
goras und  ihn  Heraklit  erwähnt. 

•)  Diog.  IX  18  e:  ttvrdg  iggatl^tode^  Jt< 
iavfov. 

*)  Dass  er  solche  Sillen  geschrieben, 
wenn  der  Titel  oiXXoi,  auch  erst  später  der 


Strabo  p.  643  und  erweist  Wachsmütb,  Sillogr. 
gr.  55  ff. 

^)  Darauf  geht  die  Anekdote  bei  Plat 
apophth.  reg.  p.  175  c:  ngog  de  Sevoffui^r 
toy  KoXoffoSyioy  Binotrta  fioUg  oixerag  <fvo 
TQeg^etyj  «ÄX*  "^'O^i/^of,  ciney,  oV  av  <ff aar^e'Cy 
jiXeioyag  tj  fAVQiovg  rgifpei  te&ytjxtäc. 

•)  eßdofÄtjxocTijy  statt  iSr^xoffzrjy  (460  statt 
500)  vermutete  schon  Scaliger,  so  dass  damit 
das  Jahr  bezeichnet  wäre,  an  dem  Panne- 
nides nach  Athen  kam.  Sokrates,  geb.  Ol. 
77,  4,  war  damals  allerdings  erst  8  Jahre 
alt,  aber  das  mochte  dem  Piaton  gentlgea» 
um  eine  Zusammenkunft;  des  ganz  jungen 
{atpodga  y^og)  Sokrates  mit  dem  bereits  g;ran 
gewoiHlenen  Parmenides  anzunehmen;  die  ün- 
genauigkeit  der  Angabe  bemerkte  schon  Athe- 
naios  p.  505  f. 


A.  Epos.    6.  Die  spftteren  Epiker.    (§  83.)  1 1 1 

als  er  65  Jahre  alt  (nach  Plato  Farmen.  127  b  u.  Theaet.  183  e)  von  Italien 
nach  Athen  gekommen  war.  Nach  dem  Vorbild  des  Xenophanes  philo- 
sophierte auch  er  in  Versen.  Im  Eingang  seines  Werkes  nsql  ifvaamg 
schOderte  er  mit  grossartiger  Phantasie,  wie  er,  von  den  Sonnentöchtern 
geführt,  zu  dem  Heiligtum  der  Weisheit  aufgefahren  sei  und  dort  aus 
dem  Munde  der  Oöttin  die  Lehren  der  ewigen  Wahrheit  und  die  trüge- 
rischen Meinungen  der  Sterblichen  erfahren  habe.^) 

Empedokles  (geb.  um  492)  leistete  im  philosophischen  Lehrgedichte 
das  Höchste  unter  den  Griechen,  so  dass  der  römische  Dichter  Lucrez 
voll  Bewunderung  zu  ihm  aufschaute  und  hauptsächlich  an  ihm  sich  bil- 
dete.*) Geboren  war  er  in  Agrigent  aus  vornehmem  Hause  und  wirkte 
für  das  Wohl  seiner  Vaterstadt  in  einflussreicher  Stellung.  Zugleich  ragte 
er  durch  reiches  Wissen  in  der  Heilkunde,  Rhetorik*)  und  Philosophie 
hervor,  endigte  aber  infolge  der  Missgunst  seiner  politischen  Gegner  fern 
von  seiner  Vaterstadt  im  Peloponnes.*)  Schon  im  Leben  nicht  frei  von 
pathetischer  Überhebung*)  und  geheimnissvoller  Wichtigthuerei,  *)  ward 
er  vollends  nach  seinem  Tod  zu  einem  Wundermann  gestempelt.  Nach- 
dem er  einst,  so  erzählten  die  einen,  '^)  ein  totes  Mädchen  zum  Leben 
wieder  erweckt  hatte,  veranstaltete  er  ein  grosses  .Opfermahl,  und  wurde 
dann  in  der  Nacht,  während  die  anderen  schliefen,  von  einer  geheimnis- 
vollen Stimme  ins  Jenseits  abgerufen.  Die  anderen  fabelten,  er  sei  auf 
den  Ätna  gestiegen  und  habe  sich  selbst  in  den  Krater  gestürzt,  um 
seine  Gottahnlichkeit  zu  besiegeln.^)  Seine  Blute  wird  Ol.  84,  d.  i.  gleich- 
zeitig mit  der  Gründung  der  athenischen  Kolonie  Thurii  (444)  gesetzt. 
Hinterlassen  hat  er  zwei  philosophische  Gedichte,  ein  theoretisches  /rf^l 
ifvüswg,  an  seinen  Freund  Pausanias  gerichtet,  worin  er  seine  im  Äther 
der  Poesie  geborene  Lehre  vom  Streit  {Ntixog)  und  der  Liebe  {^il6ti)q) 
entwickelte,  und  ein  ethisches,  KaO^ag^iol  betitelt,  worin  er,  ausgehend  von 
der  Lehre  der  Seelenwanderung,  seine  Mitbürger  zur  sittlichen  Reinigung 
aufforderte.  Von  beiden  haben  wir  leider  nur  Fragmente,  aber  ziem- 
lich zahlreiche  und  solche  von  grösserem  Umfang.^)  Poetisch  schön  ist 
besonders  die  Schilderung  von  dem  goldenen  Zeitalter,  wo  statt  dem 
Kriegsgott  der  mildherrschenden  Kypris  unblutige  Opfer  dargebracht 
werden  (fr.  142). 


^)  H.  Stbih,  Die  Fragmente  des  Par- 
menides  ntgl  tfvaetog,  in  Symb.  philol.  Bonn, 
p.  755  ff.;  DiBLs,  Pannenides  Lehrgedicht 
griecL  n.  deutsch,  Berl.  1897. 

*)  Lucr.  I  716:  Quae  (Sieilia)  cum 
mngna  modis  multis  miranda  videtur,  Nil 
tatnen  hoe  hahuisse  viro  praeelarius  in  se, 
JSee  ganetum  magis  et  mirum  carumque 
videlur;  Carmina  quin  etiam  divini  pectoris 
«*«»  Vociferantur  et  exponunt  praeclara 
reperta,  Üt  vix  humana  videatur  stirpe 
creatu».  Vgl.  das  ürteU  des  Aristoteles  bei 
Diog.  VIU  57. 

>)  Satyros  nach  Diog.  VIII 58  macht  den 
Goigias  zu  seinem  Schüler.  ,   S.  1062  ff. 

*)  Diog.  VIU  67  nach  den  Angaben  des 


Timaios. 

»)  Diog.  Vm  66  führt  zum  Belege  die 
Worte  an:  XttiQei\  iyw  d*  i^fny  ü^eog  clfi- 
ßQotog^  ovxeti  ^yrjtog  THoXevfiai. 

«)  Diog.  VIII  59. 

'j  Diog.  VIII  67  f.  nach  Herakleides 
Pontikos. 

8)  Diog  VIII  69,  Horaz  a.  p.  464.  Schon 
l^mon  in  seinen  Sillen  hatte  die  Qrossthuerei 
des  Empedokles  zur  Zielscheibe  seines  Spottes 
gemacht. 

*)  Aus  einer  Herkulanischen  Rolle  n. 
1012  entzifiPert  ein  neues  Fragment  der  Ka- 
SaQfÄoi  DiELS  Sitzungsb.  d.  preuss.  Ak.  1897 


112 


Grieohiiohe  LittaratiirgMohiolite.    I.  KlMsUohe  Periode. 


B.  Lyrik.*) 
1.    Anfänge  der  Lyrik,  Nomendichtung. 

84.  Die  verschiedenen  Arten  der  lyrischen  Poesie   wurden  von  den 
Alten  noch  nicht  als  Ganzes  mit  einem  gemeinsamen  Namen  der  epischen 
und   dramatischen  Poesie  gegenübergestellt.')     Daran  war  hauptsächlich 
der  Umstand  schuld,  dass  das   unterscheidende  Merkmal   der  Lyrik,  der 
singende  Vortrag  einerseits  auch  dem  Epos  in  ältester  Zeit  eigen  war, 
andererseits  frühzeitig  von  einigen  Arten  der  lyrischen  Poesie,  wie  dem 
Spottgedicht  und  der  Elegie,  aufgegeben  wurde.    Aber  die  Ausbildung  der 
Lyrik  war  bei  den  Griechen  in  noch  höherem  Grade  als  bei  uns  mit  der 
Geschichte  der  Musik  verknüpft.     Diese  Verbindung  fand  ihren  Ausdruck 
darin,    dass   nicht   bloss   die  Thätigkeit    des  Musikers    und  Dichters  mit 
demselben  Worte  nouTv  bezeichnet,  *)  sondern  auch  dem  Texte  des  Liedes 
und  der  Melodie   die   gleiche  Gliederung  {fit'i.og)  zu  gründe  gelegt  wurde, 
indem  der  Dichter  entweder  zugleich  mit  dem  Texte  eine  Melodie  zu  dem- 
selben dichtete  oder  die  Worte  des  Textes  einer  zuvor  erfundenen  Melodie 
anpasste.*)    So  fielen  bei   den  Griechen   die  Anfange  der  Lyrik   mit  der 
Erfindung  von  Musikweisen  zusammen,   und  hingen  die  Fortschritte  der- 
selben  von    der  Entwicklung  kunstvollerer  Rhythmen  und  Melodien  ab; 
diese  ergab   sich   aber  erst,   als  man  von  der   einförmigen  Wiederholung 
des   gleichen  Verses  zum  Wechsel   erst  von  verschiedenen  Formen  des 
gleichen  Rhythmus  (Tetrapodien,  Tripodien,  Dipodien,  mit  und  ohne  Kata- 
lexe)   und    dann    von    verschiedenen    Rhythmengeschlechtem    (Daktylus, 
Anapäst,   lambus,    Trochäus,    Päon)    überging.      Bis   zum   8.  Jahrhundert 
herrschte  in   der  griechischen  Poesie  einzig  der  daktylische  Hexameter, 
erst  vom  7.  Jahrhundert  an  begegnen  uns   neue  und  wechselnde  Formen 
des  Metrums. 

86.  Schon  Homer  und  vor  Homer  die  thrakischen  Sänger  Orpheus 
und  Thamyris  spielten  die  Phorminx,  und  so  reichen  auch  die  Anfänge 
der  Lyrik  über  den  Beginn  der  Olympiadenrechnung  hinauf.  Im  Vortrag 
der  epischen  Gesänge  freilich  bestand  das  Zitherspiel  nur  in  ein  paar 
Accorden,  die  der  Sänger  dem  Gesang  vorausschickte.  Aber  auf  diesen 
unbedeutenden,   nebensächlichen  Gebrauch  hat  sich  sicher  die  Kunst  der 


*)  Welckeb,  Kleine  Schriften,  Bonn  1844, 
3  Bände,  von  denen  die  2  ersten  wesentlich 
den  Lyrikern  gewidmet  sind;  Flach,  Ge- 
schichte der  griech.  Lyrik,  Tüb.  1884,  2  Bde 
ohne  Pindar;  Naoeottk,  Hist.  de  la  po^sie 
lyrique  grecque,  Par.  1889,  2  Bde  bis  Pindar 
incl.  —  Poetae  lyrici  graeci,  rec.  Bbrgk, 
4.  Aufl.,  Leipz.  1878,  3  Teile;  Anthologie  aas 
den  Lyrikern  der  Griechen,  erklärt  von  E. 
Buchholz,  4.  Aufl.,  Leipz.  1887;  Anthol.  lyr. 
praeter  Pindarum  ed.  Hillbb  1890  in  Bibl 
Teubn.,  neubearbeitet  von  Causius,  1897. 

*)  Arist.  Poet.  1:  ij  inonoita  xai  ij  tga 
y(f)dlas  noifjaiq  xai  ij  dtSvgaf^ßirXtj  xai 
avXrjxLxrj  xai  xi^aQiatirXtj,  Procl.  ehrest,  p, 
230,  W,:  10  dif]yr]fiafirx6v  ix<peQeiiti  ÖC  Inovq, 
idfißov  x€  xttl  iXeysiov  xai  fisXovs.    Die  drei 


Arten  lafdßos,  iXeyeioy,  fiiXo^  zusammen 
bilden  dasjenige,  was  wir  mit  dem  Gattungs- 
begriff Lyrik  bezeichnen. 

*)  Plut.  de  mus.  8:  £axddag  mHfjtiji 
fieXuiy  re  xai  iXeysiioy  fiSfjteXonoirjfieywy, 
c.  10:  avXtodtxovf  yofiovg  inolrjasy.  AtiliusFori. 
I  9,  25 :  Graeci  erant  non  tantum  poetae  per- 
fectissimi  sed  etiam  musiei.  Dasselbe  Wort 
fjieXrj  bezeichnet  liedertezte  und  Melodien: 
aber  daneben  sind  auch  beide  unterschieden 
von  Alkman  fr.  17:  inij  läde  xai  fiiXo; 
'AXxiJtttv  evQsy. 

*)  Dieses  letztere  scheint  durch  die 
Präposition  vno  angedeutet  zu  sein  an  der 
Homerstelle  £  570  ifiSQoey  xi&aQiCey.  Xiyoy 
cf'  V7i6  xaXoy  äeidey. 


B.  Lyrik.    1.  Anftage  der  Lyrik,  Komendiohtimg.    (§§84—86.)  HS 

von  Homer  {B  600)  und  Hesiod  (theog.  95)  bewunderten  Kitharisten 
(»i^ttQunai)  nicht  beschränkt.  Nicht  bloss  gab  es  schon  zu  Homers  Zeiten 
Hymnen  und  Päane,  welche  an  den  Götterfesten  und  bei  der  Siegesfeier 
gesungen  wurden,^)  Homer  kennt  auch  schon  die  Vereinigung  von  Tanz 
und  Musik,  oder  Tanz  Musik  und  Gesang,  und  erwähnt  neben  dem  geist- 
lichen Päan  auch  schon  das  weltliche  Lied  bei  der  Hochzeit  und  der 
Weinlese :  ^)  ein  Knabe  in  der  Mitte  des  Zuges  der  Winzer  spielt  die  hell- 
klingende Fhorminz  und  singt  dazu  mit  zarter  Stimme  den  Linosgesang, 
die  anderen  folgen,  unter  Scherz  und  Jauchzen  die  Erde  stampfend;  bei 
der  Hochzeit  ertönen  zum  Hymenaios  Flöten  und  Zithern  zugleich,  wäh- 
rend Jünglinge  im  Tanze  sich  drehen  und  Yortänzer  ein  mimisches  Spiel 
auff&hren.s)  FreiUch  stehen  die  betreffenden  Stellen  in  jungen  Gesängen 
Homers,  zum  Teil  sogar  in  Interpolationen  junger  Gesänge,  aber  immerhin 
bezeugen  sie  für  eine  den  ältesten  Lyrikern  vorausgehende  Zeit  die  Übung 
des  Gesanges  und  Tanzes  bei  den  Götterfesten,  der  Hochzeit  und  der 
Weinlese.  Auch  von  Vorsängern  (^fa^x<>*  ^  721.  2  606)  und  vom  Wechsel- 
gesang der  Musen  {A  604.  co  60)  weiss  uns  schon  Homer  zu  erzählen,  und 
die  Zusammenfassung  mehrerer  Verse  und  Strophen  liegt  uns  bei  ihm 
bereits  ausgeprägt  in  den  Elagegesängen  an  der  Leiche  des  Hektor  vor 
(ß  793—776). 

86.  Nomenpoesie.  Der  Entfaltung  der  lyrischen  Poesie  ging  eine 
Vorstufe  voraus,  die  man  mit  dem  Namen  der  Nomenpoesie  zu  bezeichnen 
pflegt.  Wiewohl  nämlich  Text  und  Melodie  in  der  griechischen  Poesie 
bis  zur  Zeit  des  peloponnesischen  Krieges  eng  verbunden  waren,  so  dass 
in  der  Regel  derselbe,  der  den  Text  dichtete,  auch  die  Melodie  dazu  er- 
&nd,  so  ging  doch  in  dem  geschichtlichen  Verlauf  die  Ausbildung  der 
Musik  der  der  Poesie  voraus  und  fanden  Melodien  für  Zither  und  namentlich 
für  Flöte  in  dem  Volke  Verbreitung,  ehe  zu  denselben  poetische  Texte 
gedichtet  wurden.  So  stehen  im  Eingang  der  griechischen  Lyrik  die 
Nomoi,  bei  denen  die  Melodien  die  Hauptsache  ausmachten,  so  dass  zu 
denselben  teils  gar  keine  Texte  existierten,  teils  nur  solche  von  unter- 
geordneter Bedeutung.  Der  Ausdruck  Nomos,  der  in  diesem  Sinn  bei 
Homer  noch  nicht  vorkommt,^)  weist  auf  die  gleichmässige  Taktordnung 
hin^)  und  hat  dem  Gott,  unter  dessen  Schutz  die  Musik  stund,  den  Namen 
*Än6klwv  vofiiog   eingetragen.    Unterschieden  wurden   Weisen   für  Zither 


>)  D.  j4  472,  X  891.  Aiistarch  bemerkt 
za  d»  ersten  SteUe,  dass  fieXnut  bei  Homer 
nicht  auf  den  blossen  Gesang  beschränkt 
Mi;  vgl.  Od.  C  101,  wo  fAoXntj  vom  Ballspiel 
gebraaclit  ist.  Ueber  die  Vortragsweise  der 
Hymnen  nnd  Pftane  vgl.  hymn.  Apoll.  II  10 
0. 336,  Hes.  Seat  201. 

*)  n.  J?493  u.  569,  Od.  ^  261—5. 

«)  n.  £  494  ff.  u.  604  ff,  Od.  «f  18— 20. 
Als  Vort&nzer  treten  im  Hymnus  des  pythi- 
•chen  Apoll  V.  22  Ares  mid  Hermes   auf. 

*)  rofjiog  bedeutet  bei  Homer  in  der 
Regel  Weideplatz;  die  Bedeutung  Oesetz  findet 
aich  nur  in  dem  Kompositum  ev^ofAirj  Od. 
ei87;  btt  Hefidod  Op.  276  u.  Th.  417  kommt 


auch  das  einfache  yofio^  in  dieser  Bedeutung 
vor.  Die  Verbindung  initav  vofAoc  findet  sich 
in  einem  jungen  Vers  der  llias  V  249  und 
in  Hes.  Op.  403.  Von  dem  Gesang  ist  das 
Wort  vofAog  gebraucht  im  Hymn.  Apoll.  Del. 
20   ndvtrj   yaQ   xoi.,    ^oi߀,    yofxog    ßeßXtjaj' 

*)  Plut.  de  mus.  6:  vo^aoi  nqwstjyoQBv- 
(krjoatv,  4nei&rj  ovx  i^rjv  -naQftßrjvai.  xaff^  ^xaa- 
TOM  yeyofiiafiäyoy  eidog  xfjg  tdaeotg.  Vgl. 
Thucyd.  V  70  AaxsdatfAoyioi  cf^  ßgadiuig 
XiOQovyjBS  xai  V7i6  avXrjtaiy  noXXoiy  yofAto 
iyxa&Baiüitwy^  ov  jov  &biov  X^9^*^i  "^^'  ^'*'" 
6/LinXiug  fABxd  ^vf^fAOV  ßalyoviBg  ngoeX^otsy. 
Alcman  67    oida   ifof^yi^my   yöfi^g   Ttäyraty, 


Budbacfa  der  klav.  AltertTmuwiweiiscbaft.    VU.    3.  Aufl.  8 


114  Grieohische  LitteratargeBohiohte.    L  KlaMisohe  Periode. 

{xi&äfa)  und  Flöte  {avXoi),  und  bei  beiden  für  ein  einfaches  Instrumental- 
spiel [tpUfj  fiovffixrj,  vofxoi  xid-aQKTuxoi  und  avlr^Moi),  und  für  Spiel  mit 
Gesang  {vofioi  xid^aQfpöixot  und  avkftydixot).  Die  aulodischen  Nomen  setzen 
natürlich  zwei  Personen,  einen  Flötenspieler  und  einen  Sänger  voraus; 
bei  den  kitharodischen  war  Sänger  und  Spieler  in  einer  Person  vereinigt 
Ein  Chor  oder  eine  grössere  Anzahl  von  Sängern  war  bei  keiner  Art  von 
Nomen  vorgesehen,  i)  Im  Flötenspiel  gingen  zeitlich  die  auletischen  Weisen 
voraus  und  kamen  die  aulodischen  früh  wieder  in  Abnahme,  so  dass  in 
Delphi  seit  der  2.  Pythiade  nur  das  reine  Flötenspiel  in  den  Wettkampf 
eintrat.  Umgekehrt  gingen  im  Zitherspiel  die  den  Gesang  begleitenden 
Weisen  voraus,  und  brachte  die  kitharistischen  Nomen  erst  Aristonikos 
aus  Argos  zur  Zeit  des  Archilochos  in  Aufnahme  (Ath.  638  ■).  Ehe  wir 
uns  aber  zu  den  Nomendichtem  selbst  wenden,  müssen  wir  zuvor  noch 
einiges  von  den  Instrumenten  und  dem  Einfluss  der  Fremde  auf  die  Ent- 
wicklung der  griechischen  Musik  vorausschicken. 

87.  Musikinstrumente.  Das  alte  Saiteninstrument  der  homerischen 
Zeit  heisst  (pogfAiy^.  Daneben  kommt  schon  bei  Homer  der  Name  xiO^aQa 
oder  xi&aQig  vor;*)  im  Hymnus  auf  Hermes  tritt  dazu  das  später  meist- 
verbreitete Wort  Ivga,  Ein  nachweisbarer  Unterschied  der  Gestatlt  des 
Instrumentes  war  mit  den  drei  verschiedenen  Namen  nicht  verbunden.*) 
Als  Resonanzboden  diente  in  der  Regel  die  Schale  einer  Schildkröte,  wo- 
von auch  das  ganze  Instrument  den  Namen  x^'^^^  (testudo)  erhielt.  Be- 
spannt war  dasselbe  mit  Darmsaiten,  anfangs  mit  vier,  seit  Terpander 
mit  sieben,  wovon  die  Namen  tsxqdxoQdog  und  emdxoQdoq  seil.  Xvga  her- 
kommen. Die  Erfindung  des  Instrumentes  schrieb  die  Sage  dem  heimischen 
Gotte  Hermes  zu,*)  auch  lässt  sich  das  Wort  g^oQfiiy^  aus  der  heimischen 
Sprache  (a  fremendo)  leicht  und  sicher  erklären.  Gleichwohl  ist  eine  Ent- 
lehnung des  Instrumentes  aus  der  Fremde,  speziell  aus  Ägypten,  wo  wir 
ähnliche  Saiteninstrumente  auf  uralten  Denkmälern  finden,  nicht  aus- 
geschlossen. Sicher  kamen  später  zur  alten  Phorminx  infolge  der  grossen 
Verbreitung  ausländischer  Harfenspielerinnen  mehrere  fremde  Saiten- 
instrumente hinzu,  so  die  Pektis'^)  und  Magadis^)  aus  Lydien,  die  drei- 
seitige Harfe  (TQiymog) ')  aus  Syrien,  die  Nebel ®)  und  Kinyra »)  aus  Phö- 


^)  Dass  die  Nomoi  von  einem  Einzelnen, 
nicht  einem  Chor  vorgetragen  wurden,  be- 
zeugt Arist.  Probl.  19,  15.  —  In  den  hesiodi- 
schen  Versen  Theog.  94  f. :  ix  yrig  Movoätoy 
xni  ixTjßoXov  'jnoXXcjyog  ay&QSg  doi&oi  eaaty 
i-ni  x^ot*€(  xtti  x(>^ttQiatttl  hat  man  in  äoidog 
und  xidaQiarijg  nur  zwei  Bezeichnungen 
derselben  Person  zu  suchen,  wie  der  Ver- 
fasser des  Schiffskataloges  B  600  von  dem- 
selben Thamyris  sagt:  at^j ccq  uoiörjy  iV€<r- 
Ttealrjy   u(fiXovto   xai    ixXiXadoy  xi^ccQicrvy. 

*)  Arist.  Polit.  VIII  6p.  1341«  17  ff.  unter- 
scheidet die  einfachen,  fllr  die  Uebung  der 
Freien  allein  geeigneten  Saiteninstrumente, 
und  die  kunstreicheren  Instrumente  der 
Virtuosen. 

•)  Im  Hynmus  auf  Hermes  werden  Xvqij 
und  xi9aQig  ganz  synonym  gebraucht. 


^)  Hymn.  Marc.  30  ff. 

*)  Pnot  Ttfjxtlg  '  naydovQioy  tjroi  Avdiov 
ogyavoy  x^q'^S  nXrjxtQov  \paXX6f4€yoy,  Herod. 
I  17  von  dem  Lvderkdnig  Alyattes:  ioTga- 
tsvaato  v7j6  avQiyytjy  rs  xai  ntjxTidußy  xai 
ttvXov. 

^)  Magadis,  eine  Harfe  mit  20  Saiten 
bei  Anacr.  fr.  18,  schon  erwähnt  bei  Alk- 
man  fr.  91. 

7)  Erwähnt  bei  Sophocl.  fr.  219.  375 
u.  a.;  die  syrische  Herkunft  bezeugt  durch 
Ath.  175  d.  Zu  ihr  singt  das  Mädchen  bei 
dem  Komiker  Plato  (Ath.  665  <*)  ein  fteXog 
ifoyixoy. 

^)  Nebel,  Hauptinstrument  der  Juden. 
kommt  zuerst  bei  Sophocl.  fr.  764  vor:  or 
vdß'Aa  xioxvToTaiy^  ov  XvQa  tfiXrj. 

*)  Dem   hebräischen   Kumor  entspricikt 


B.  Lyxik.    1.  Anfftiige  der  Ljrrik,  Nomendiohtiing.    (§  87.) 


115 


nikien,  endlich  die  asische  Zither,^)  die  Sambyke^)  und  das  Barbiton.^) 
In  der  alten  Zeit  waren  bei  den  Griechen  nur  Saiteninstrumente  in  Ge- 
brauch; Homer  und  Hesiod  kennen  nur  Kitharisten ;  selbst  das  alte  Klage- 
lied, der  Lines,  wird  II.  2  341  zur  Kithara,  nicht  zur  Flöte  gesungen. 
Von  dem  hohen  Alter  der  Lyra  zeugt  auch  der  Umstand,  dass  die  Kreter, 
welche  die  alte  Sitte  der  Derer  am  treuesten  bewahrten,  unter  dem  Klang 
der  Lyra  in  das  Feld  zogen.*) 

Die  Flöten,  die  wir  richtiger  unseren  Klarinetten  vergleichen, 
kommen  bei  den  Griechen  gewöhnlich  nur  im  Plural  vor,  weil  in  der 
Regel  ihrer  zwei  zugleich  geblasen  wurden.  Der  Name  stammt  von 
griechischer  Wurzel,^)  aber  das  Instrument  kam  nicht  bloss  später  als 
die  Phorminx  in  Brauch,  sondern  scheint  auch  aus  der  Fremde,  und  zwar 
aus  Phrygien,  nach  Griechenland  gekommen  zu  sein.  Denn  während  die 
homerischen  Sänger  und  Helden  zur  Phorminx  singen,  hören  wir  den 
Lärm  der  Flöten  und  Pfeifen  nur  im  Lager  der  Troer  (II.  K  13).«)  Auch 
die  Sage  von  Marsyas  und  die  Oberlieferungen  von  Olympos  führen 
nach  Phrygien  als  ursprünglichem  Sitz  des  Flötenspiels,  für  das  die 
Gegend  von  Kelainai  ein  treffliches  Rohr  und  das  berekynthische  Gebirg 
das  treffliche  Holz  des  Buchsbaums  lieferte.*^)  Ausserdem  kommen  von 
ausländischen  Blasinstrumenten  bei  den  Griechen  vor :  die  ßoiißvxeg^  welche 
bei  dem  Kulte  der  thrakischen  Göttin  Kotyto  gespielt  wurden,  ^)  der  ägyp- 
tische Monaulos,  ^)  die  karischen,  bei  den  Adonisfesten  gebrauchten  yCyyQok 
wAoi'.io) 

Der  Einfluss  der  Fremde  und  der  fremden  Götterkulte  auf  die  An- 
finge der  griechischen  Musik  und  Lyrik  ward  schon  von  den  AJten  her- 
vorgehoben (Strab.  471;  dem.  Alex,  ström.  I  p.  132).  Ward  derselbe  auch 
mitunter  übertrieben,  so  ist  doch  sicher,  dass  die  Griechen  auf  keinem 
Gebiete  mehr  als  auf  dem  der  Musik  Anregung  von  aussen  empfangen 
haben:  von  den  hauptsächUchsten  Tonarten  ^dfoQiaxi^  ^QvyKrrt,  kviiati, 
aiokta%i\  iaavi  haben  zwei  von  fremden  Ländern,  Phrygien  und  Lydien,  ihren 


das  grifich.  xivvQa;  dayon  scheint  das  seit 
Aischyloe  in  Griechenland  verbreitete  Yerbum 
nrvQOfiai  herzukommen. 

>)  BmcKSB,  An.  gr.  451  u.  Et.  M.  158,  32. 

')  Sambyke,  vielleicht  aramAisch,  ward 
▼OB  Ibykoe  nach  Ath.  175  e  erwähnt. 

*)  Das  ßä^ßijoy  soll  nach  Ath.  a.  0. 
Äaakreon  erfänden,  d.  1.  in  Gebranch  ge- 
Imeht  haben. 

<)  Ath.  627'!;  Qiem.  Alex,  paedag.  71. 

*)  Die  ursprOngliche  Bedeutung  war  ge- 
hdhlte  Röhre,  in  welchem  Sinn  das  Wort 
noch  bei  Homer  vorkommt  Auf  die  zui* 
Fl5(aianfertigang  yerwendete  Enochenröhre 
veist  auch  das  lat  tiinae  hin. 

*)  Dieses  bemerkte  bereits  Aristarch  zu 
i^  13  u.  ^  495;  dazu  stimmt  Aristot.  Polit. 
Vm7  p.  1342*»  5;  vgl  Her. 1 17.  In  der  jftngeren 
Ho|iIopMie  £  495  freilich  werden  auch  schon 
&  Fldtim  neben  der  Phorminx  bei  dem 
HjmenAns  erwälmt  Vgl.  Telestes  fr.  2: 
*^ya  .  .  avXov  oq  iJQfAoae  n Quitos  Jaogidog 


aytinaXoy  f^ovaijg,  —  In  ähnlicher  Weise 
kennt  Homer  nur  bei  den  fremden  Völkern, 
nicht  schon  bei  den  Griechen,  Tempel  und 
Götterbilder. 

^)  Ueber  das  fttr  die  Flötenzungen 
(yXtiaaat)  geeignete  Rohr  von  Kelainai  s. 
Strab.  p.  578;  dorthin  verlegte  auch  die  Sage 
den  Streit  des  Marsyas  und  Apoll. ;  s.  Herod. 
Vn  26.  Ueber  den  Buchsbaum  vgl.  Hbhn, 
Kulturpflanzen  202  £f.,  und  Ath.  176  f.:  tovs 
yctQ  iXvfjLovg  avXovg,  (oy  fjivrjfjLoyevBf,  lotpo- 
xXvjg  iy  Nioßfi  re  xay  Tvf^nayiaxaig.  ovx 
ttXXovs  xtvag  eiyai  axotfo/ney  ij  toüV  4*Qvyiovg, 

^)  Erwähnt  von  Aischylos  nach  Sterben 
p.  470. 

•)  Ath.  175  f.,  PoUux  IV  75;  nach  der 
ersten  Stelle  kam  er  schon  bei  Sophokles 
vor.  Damit  in  Zusammenhang  steht,  dass 
man  das  Flötenspiel  auch  für  eine  Erfindung 
der  Libyer  ausgab;  s.  Ath.  618c  und  Nonnos 
Dion.  28,  622;  40,  227. 

")  Ath.  174e  u.  618c,  PoUux  IV  102. 
8* 


116 


Griechische  litteratargeachicht«.    I.  Klftssischc  Periode. 


Namen  ;^)  das  älteste  Lied,  dessen  Namen  uns  überliefert  ist,  das  Lino»- 
lied,  stammt  aus  dem  Orient;*)  die  Totenklage,  welche  von  jeher  mit 
Musik,  Gesang  und  ekstatischen  Gestikulationen  verbunden  war,  trägt 
orientalisches  Gepräge;^)  die  orgiastischen,  mit  Pauken  und  Flöten  ge- 
feierten Kulte  der  berekyntischen  Eybele  und  der  thrakischen  Bendis 
kamen  von  den  Barbaren  zu  den  Griechen. 

Der  Gegensatz  zwischen  Flöte  und  Lyra  spielte  nicht  bloss  in  den 
Götterkulten  und  Landschaften,  sondern  auch  in  dem  ganzen  Verlauf  der 
griechischen  Musik  eine  grosse  Rolle;  er  fand  seinen  symbolischen  Aus- 
druck in  dem  Mythus  vom  Streit  des  Marsyas  und  Apoll.  In  der  Vorzeit 
der  thrakischen  Sänger,  aus  der  keine  Melodie  sich  in  die  historische 
Zeit  rettete,  herrschte  einzig  die  Phorminx.  Der  erste  Aufschwung  der 
Musik  ward  der  Flöte  und  dem  Meister  des  Flötenspiels,  dem  phrygischen 
Olympos,  verdankt.^)  Bald  folgte  ihr  die  Vervollkommnung  des  alten 
Saiteninstrumentes  und  die  Dichtung  neuer  Weisen  für  die  Lyra  durch 
Terpander.  Alsdann  hielten  sich  eine  Zeitlang  die  beiden  Musikarten  die 
Wage,  so  aber,  dass  die  Flöte  als  begleitendes  Instrument  bei  den  Aufzügen 
und  der  Chorfeier  allmählich  das  Übergewicht  erhielt,  im  übrigen  aber 
der  saitenlose  Klagegesang  (tälefiog  iikvQog)  im  Gegensatz  blieb  zu  den 
hehren  Zitherweisen  des  Lichtgottes  Apoll. ^)  Im  allgemeinen  gehörte 
die  Pflege  und  Kenntniss  der  Musik  bei  den  Hellenen  zu  dem  Wesen 
des  freien  Mannes,  so  dass  auch  in  dem  Unterricht  der  Knaben  die 
Musik  einen  Hauptgegenstand  bildete,  ohne  den  man  sich  eine  libercUis 
educatio  nicht  denken  konnte;^)  durch  die  Musik  erhielten  dann  auch  die 
verschwisterten  Künste  des  Tanzes  und  des  Gesangs  ihre  Weihe  und  ihre 
Ausbildung. 

88.  Olympos,  der  Begründer  der  auletischen  Nomenpoesie,  im  Gegen- 
satz zu  dem  fabelhaften  älteren  Olympos  der  jüngere  Olympos  genannt,  lebte 
gegen  Ende  des  8.  Jahrhunderts  unter  dem  phrygischen  König  Midas  11 
(734—695).')     Plutarch   de  mus.  11   nennt  ihn  Begründer   {aQx^jyov)   der 


J)  Zwei  Haupttonarten,  die  strenge  ein- 
heimische dorische  and  die  weiche  auslän- 
dische phrygische  unterscheidet  Aristot.  polit. 
IV  3  p.  1290  *  12;  aher  wenn  die  Phorminx 
aus  Aegypten  stammt,  so  wird  auch  die  fOr 
einheimisch  ausgegebene  dorische  Tonart  aus 
der  Fremde,  nur  in  früherer  Zeit  gekommen 
sein. 

^)  ^gl-  §  1^;  dazu  stelle  die/icAi;  Tog^ijßia 
von  der  lydischen  Stadt  Toirebos  bei 
Steph.  Byz. 

'j  MaQiavSvpoq  SQTjyrjtiJQ  bei  Aesch. 
Pers.  992;  vgl.  Kagix^  fiovajj  bei  Plat.  legg. 
VII  p.  880  und  KaQixoy  fieXog  bei  dem 
Komiker  Piaton  in  den  AdxfawBg  1,  12. 

*)  Marsyas  und  Hyagnis,  die  angeb- 
lichen Eltern  des  Olympos,  sind  die  mythi- 
schen Erfinder  des  Flötenspiels.  Olympos 
ward  als  jugendlicher  Knabe  neben  Marsyas 
dargestellt  von  Polygnot;  s.  Paus.  X  30,  9. 

')  Im  4.  Jahrhundert  thaten  sich  be- 
sonders die  Thebaner  im  Flötenspiel  hervor; 


aus  Theben  stammten  die  berOhmten  Flöten- 
virtuosen  Pronomos,  Diodoros,  Antigenidas, 
Timotheos,  Theon,  Dorotheos. 

')  Darüber  belehrt  insbesondere  Aristo- 
teles im  letzten  Buch  der  Politik  und  Piaton 
im  Gastmahl  187  <^,  wo  geradezu  EenntiiiB 
der  Musik  mit  Bildung  (naidBia)  identifiziert 
ist.  Dazu  vergl.  die.  Tusc.  I  4,  Plut  The- 
mist. 2,  Cim.  4.  Bildlich  ist  dieser  edle 
Zweig  der  Jugendbildung  dargestellt  auf  der 
Schale  des  Malers  Duris  (um  450);  s.  Micha- 
elis, Attischer  Schulunterricht  auf  einer 
Schale  des  Duris,  Arch.  Zeit  N.  F.  6  (1873). 

^)  Ueber  beide  je  ein  Artikel  des  Soidas, 
wo  es  von  unserem  Olympos,  dem  histori- 
schen, heisst:  "OXvfxnog  4»gv$  yeiüi€Qog  avkfj- 
Tiyf  yeyoywg  ini  Mi&ov  xov  Fo^diov,  Den 
älteren  mythischen  Olympos  setzt  Soidas 
TtQo  idiy  Tgtjixwv;  Clemens  Alex,  ström.  I 
p.  132  unterscheidet  einen  Mysier  und  einen 
Phrygier  Olympos.  S.  Ritschl,  Olympus 
der  Aulete,  Opusc.  I  258-270. 


B.  Lyrik.    1.  Anftnge  der  Lyrik,  Nomendichtnng. 


f  88  -89.) 


117 


hellenischen  Musik,  was  insofern  seine  Richtigkeit  hat,  als  der  Aufschwung 
der  griechischen  Musik  von  den  Flötenweisen  unseres  Phrygiers  Olympos 
ausging.  Von  Worten,  die  er  zu  seinen  Melodien  gedichtet,  erfährt  man 
nichts.  1)  Natürlich  hat  er  seine  Melodien  nicht  niedergeschrieben,  sondern 
durch  Vorspielen  auf  seine  Schüler  verpflanzt.  Um  so  leichter  konnte  sich 
ein  Streit  über  die  Autorschaft  der  ihm  zugeschriebenen  Nomen  erheben. 
Zugeschrieben  aber  wurden  ihm  mit  mehr  oder  minder  Recht:  der  vofjiog 
nolmagfaXog  auf  Apoll,  nach  Pindar  P.  XII  so  benannt  von  den  vielen 
Köpfen  der  Gorgo,  deren  schrillen  Klageton  er  nachahmte,*)  der  vofiog 
a^fioTHog,  der  dem  Namen  nach  für  den  ritterlichen  Wagenwettstreit  be- 
stimmt war,')  femer  Nomoi  auf  Athene,  Ares  und  die  Oöttermutter.^) 
Er  galt  femer  als  Erfinder  des  enharmonischen  Musikgeschlechtes, ^)  dessen 
Wesen  darin  bestand,  dass  es  bestimmte  Töne  der  diatonischen  Skala  für  die 
Melodie  unbenutzt  liess.  Auch  mehrere  neue  Rhythmen,  wie  der  nqaaod^axog 
( —  v^_v><y-)j  %OQ€iog  (-w_w-w-..)j  ßaxxBiog  (-^^-  _v^^-)^ 
werden  auf  ihn  zurückgeführt. <^)  —  Schüler  des  Olympos  war  Hierax 
ans  Argos,  von  dessen  Erfindungen  Pollux  IV  79  und  Plutarch  de  mus.  26 
berichten. 

89.  Terpandros  aus  Antissa  in  Lesbos,  dessen  Zeit  sich  dadurch 
bestimmt,  dass  er  Ol.  26  =  676/3  v.  Chr.  an  den  Earneen  in  Sparta  siegte,  7) 
hat  den  Ruhm,  Begründer  der  kitharodischen  Nomendichtung  und  der 
lyrischen  Poesie  der  Griechen  zu  sein.  Er  ward  dieses  dadurch,  dass  er 
die  Zitherweisen,  welche  eine  Zeitlang  durch  die  auletischen  Nomen  des 
Phrygiers  Olympos  in  den  Hintergrund  gedrängt  waren,  auf  eine  eben- 
bürtige Höhe  erhob  und  die  Wege  der  alten  Eitharisten  verfolgend,  den 
Weisen  der  Lyra  auch  Texte  unterlegte.  Insbesondere  hat  er  als  Er- 
finder der  siebensaitigen  Lyra  (€n%d%oqdog  Xvqay)  den  alten  4  Saiten  3 
neue  hinzugefügt  und  neben  dem  alten  daktylischen  Rhythmus  mehrere 
neue  Rhythmen  in   die  Poesie  eingeführt.     Er  knüpfte  in  seinen  Nomen 


')  Nichts  beweist  das  Scholion  zu  Ari- 
fltopli.  Eqa.  10:  "OXvf^nog  fygaiffe  avXrjuxovg 
Mm  9^tnjtueovg  yofAovs. 

')  Neuere  laasen  ihn  von  den  vielen  Ab- 
sitzen (xeffaXtti)  benannt  sein.  Die  Erfin- 
dong  des  Pol^kephalos  wird  der  Athene 
selbBt  zugeschrieben  von  Pindar  P.  XII;  nach 
tBdern  soll  Erates,  ein  Schiller  des  Olympos, 
um  erfunden  haben;  s.  Plnt.  de  mus.  7. 

>)  Plnt  de  mns.  7;  anff&lliger  Weise 
wird  derselbe  Nomos  als  £[lageweise  bezeich- 
net yon  Enr.  Gr.  1885. 

*)  Plnt.  de  mns.  29 ;  vgl.  Aristoph.  Eqn.  9. 

*)  Plnt  de  mns.  11. 

*)  üeber  diese  Rhythmen  siehe  meine 
Vebik«  253  n  478.  Ritschl,  Opnsc.  1 260  hat 
las  der  Notiz  des  Alezander  Polyhistor  bei 
Plat  de  mns.  5  XQovfiara  tPXvfATtoy  nQtSxoy 
tis  toig  ISilfjyag  xofucai  geschlossen,  dass 
Olympos  ausser  auletischen  anch  kitharisti- 
sdM  Melodien  gedichtet  habe.  Aber  dagegen 
bricht  die  ganze  ftbrige  üeberliefemng;  yiel- 
oidir  scheint  das  Wort  x^avfiata  hier  in  dem 


allgemeinen  Sinn  von  Tonweisen,  nicht  in 
dem  speziellen  von  Zithermelodien  gebraucht 
zu  sein,  wie  Suidas  sagt  *t)XvfÄ7tog  ^ysfjttay 
trjg  XQovfÄaux'^g  fjLOvaixrjq  lijg  dia  rtoy  x^ov- 
fjiätwy. 

^)  Ath.  635®:  t«  Kagyeia  ngoitog  nay- 
t<oy  Tignaydgog  yi^x^^  tag  TSXXdyixog  IcxoqbI 
ey  te  roTg  ififi^TQOig  xaQyeoyixwg  xdy  roig 
xaraXoyddrjy  '  iyivBJO  6k  ij  &taig  raiy  Kag- 
ysiaty  xatd  Ttjy  ixttjy  xai  eixotntjy  ''OXvfA- 
nid&a.  Danach  war  Terpander  um  etwas 
geringes  Alter  als  Archilochos,  wie  auch 
Glaukos  bei  Plut.  de  mus.  4  bezeugt  und 
Wbstphal,  Vhdl.  d.  17.  Vers.  d.  Phil.  8. 
51 — 66  aus  der  Geschichte  der  Musik  nach- 
weist. Umgekehrt  setzen  den  Terpander 
später  als  Archilochos  der  Peripatetiker  Pha- 
mas  bei  Clemens  Alex,  ström.  I  144,  das 
Mann.  Parium  zu  Ol  33,  4  =  645  v.  Chr., 
und  Ensebios  zu  Ol.  36,  2  =  635. 

«)  Strabo  618:  Td^aydgog  dytl  tijg 
tergaxogdov  Xvgag  inxaxoQdtp  jif^ird/itfi'oc. 
Genaueres  Plut.  de  mns.  28. 


118  Grioohisolie  littorainrgesoliiohte.    L  KlaMisohe  Periode. 

zunächst  an  die  Weise  der  thrakischen  und  delphischen  Sänger  und  Eatha- 
risten  an,  weshalb  die  Sage  das  Haupt  und  die  Leier  des  erschlagenen 
Orpheus  durch  das  Meer  nach  dem  lesbischen  Antissa  schwimmen  liess/) 
und  der  Grammatiker  Proklos  den  Kreter  Chrysothemis  zum  Vorgänger 
unseres  Terpander  in  der  Nomenpoesie  macht.*)  Ausserdem  verwertete 
er  die  musikalischen  Weisen  der  benachbarten  Lydier  zur  Vervollkomm- 
nung der  griechischen  Musik.  So  rühmt  Pindar  fr.  125  von  ihm,  dass  er 
den  Barbiton  zuerst  aufgebracht  habe,  als  er  bei  den  Gelagen  der  Lydier 
das  Widerspiel  der  hohen  Pektis  vernommen.  Epochemachend  für  die 
Verbreitung  der  Musik  nach  dem  griechischen  Festland  war  die  Berufung 
des  Terpander  nach  Sparta,  das  im  7.  Jahrhundert  nach  der  Bezwingung 
Messeniens  eine  Hauptpflegestätte  der  Musik  und  der  Götterfeste  war. 
Spätere  sagenhafte  Ausschmückung  hat  dieser  Berufung  die  politische  Ab- 
sicht einer  Beschwichtigung  der  Parteien  untergelegt.  >)  Sicher  ist,  dass 
der  lesbische  Musiker  in  Sparta  mit  grosser  Auszeichnung  aufgenommen 
wurde,  wodurch  der  sprichwörtliche  Ausdruck  entstand:  fisrd  Aäaßiov  ^dov, 
d.  i.  zuerst  der  lesbische  Sänger  und  d&nn  die  andern.^)  Die  Namen  der 
kitharodischen  Nomen  Terpanders  waren:  Bouovioq^  Aiohoq^  ^Qox^Tog,  o^vg^ 
Kfjmwvy  TsQndvdgwgy  xsxQamdkoq;  ausserdem  hatte  er  kitharodische  Pro- 
oimia,  d.  i.  Melodien  zu  Hymnen  gedichtet.^)  Allen  diesen  Kompositionen 
lagen  Texte  zu  grund;*)  als  Text  benützte  er  teils  Dichtungen  Homers, 
vermutlich  auch  homerische  Hymnen,  teils  dichtete  er  selbst  eigene  Verse 
in  langgedehnten  Rhythmen,  wovon  uns  ein  paar  dürftige  Reste  erhalten 
sind,  wie: 

Zsv  navTwv  dgxdy 

navtanv  €r/7;ra>^, 

Zev  ZeVy  aol  cnäviw 

%av%av  vfivwv  ä^x^v.'') 
Die  grösseren  Nomen  waren  selbst  wieder,  ähnlich  wie  unsere  Symphonien 
und  Kantaten,  in  mehrere  Sätze  gegliedert.  Nach  Pollux  IV  66  hatten 
die  terpandrischen  Nomen  7  Teile:  ccQxdy  fiixuQxdy  xcnatQond^  fAeraxorra- 
TQond^  ofi^aXog  (Westphal  stellte  um:  o/i^aXog^  fisxaxaxaxQond)^  ^9Q^yf'^y 
imXoyog.^)    Wenn  schliesslich  Terpander  von  Plut.   de  mus.  28  auch  als 


*)  Phanokles    bei    Stob.   Flor.   64,   14;   |  Zeit    nichts    Ton   Wettkftmpfen    in   Delphi 
Antig.  bist  mir.  5;  Ovid.  met  XI  50;  Ludan 
adT.  ind.  11. 

")  Procl.  csbreet  p.  245,  2  W. :   Xqvco- 

TtQsnsi  xai  xi&aQay  avaXaßiav  eis  fiifitjciv 
tov  *An6Xkta¥og  /Äoyog  jce  .  .  .  doxil  d^  Teg- 
TtaydQOf  fiky  itQtStof  t€X€^wca^  tov  yofior 
iJQ(oi^  fAhgip  X^ficäfAB¥os.  Bis  auf  den  my- 
thischen Amphion  geht  znrück  Herakleides 
bei  Fiat  de  mos.  3. 

»)  Philod.  de  mos.  XIX  18  n.  XX  2;  Plut. 
de  mos.  42;  Aelian  V.  H.  XII  50;  Zenob.  5, 9. 

*)  Aristot.  fr.  497,  wo  von  Rose  die  ganze 
litterator  zusammengetragen  ist  Die  4  Sdege 
des  Terpander  in  Delphi  scheinen  spätere 
Erfindungen  zu  sein,  da  wir  aus  so  früher  i  hatte  der  berOhmte  Uv&uns  yofsos  de«  8a- 


»)  Plut  de  mus.  4;  Schol.  Aiist  Nub.  595. 

*)  dem.  Alex,  ström.  I  133:  ftiXog  «Tor 
TtQidtog  negii^xs  tois  non^fitun  xai  toi«; 
Attxe6aiuovitti¥  vo/Äovt  ifieXonolijae  Te^na»^ 
^Qos  6  Avxiacaiog.  Plut  de  mus.  3:  Ti^ 
nay&Qoy  .  .  totf  'OfjiiJQov  f*iXrj  nsQ^S^eyra 
^&e^v  iy  roiV  nywoiy.  Die  ^X^  x^&a^t^r^s 
wurde  nach  Atfa.  637  f.  erst  durch  den  Ar- 
giver  Aiistonikos,  Zeitgenossen  des  Archi- 
lochos,  eingef&hrt 

')  Das  Fragment,  eihalten  von  Clem. 
Alex.  Strom.  VI  279,  wird  nur  ▼ermutungs- 
weise  dem  Terpander  zugeschrieben. 

•)  Nach  Poll.  lY  84  und  Strab.  p.  421 


B.  Lyrik.    1.  Anfange  der  Lyrik,  Nomendiohiang.    (§§  90—91.) 


119 


Dichter  von  Trinkliedern  (axoha)  gepriesen  wird,  so  erklärt  sich  dieses 
leicht  aus  der  Beliebtheit  der  Musik  und  des  Gesanges  bei  den  fröhlichen 
Gelagen,  wie  sie  Terpander  nach  dem  oben  angegebenen  Fragment  Pindars 
bei  den  Lydiem  vorfand  und  nach  griechischen  Landen  verpflanzte. 

90.   Elonas,  Polymnastos,   Sakadas,  Echembrotos  waren  die 
Haaptvertreter  der  erst  nach  Terpander  aufgekommenen  aulodischen  Nomen. 
Von  diesen  hat  Elonas,  den  die  einen  zu  einem  Tegeaten,  die  anderen  zu 
einem  Thebaner  machten,^)  die  aulodische  Nomenpoesie  begründet  und  zu 
seinen  Melodien  Elegien  und  Hexameter  gedichtet.^)   Wenn  demselben  auch 
Prosodien  beigelegt  werden,  so  sieht  man  daraus,  dass  schon  damals  aulo- 
dische Rompositionen  auch  zum  Vortrag  bei  Prozessionen  bestimmt  waren.  ^) 
—  Sakadas  aus  Arges,   der  Verfasser   von  fjte^rj   und  iUyeXa  fiefieXonatr^^ 
fi£va,^)  war  der  Schöpfer  des  berühmten  auletischen  vöfiog  nv&^xog,  der 
den  Kampf  des  Gbttes  Apoll  mit  dem  Drachen  Python  darstellte.^)   Seine 
Zeit  wird  dadurch  genau  bestimmt,    dass  er  nach  Paus.  X  7,  4  in  den 
Jahren  586,  582  und  578  bei  den  pythischen  Wettkämpfen   siegte.    Von 
ihm  oder  Polymnastos  rührte  auch  der  vofAog  TgifASQ/jg  (oder  TQifjicXt^g)  her, 
von  dessen  3  Strophen  jede   in  einer  anderen  Tonart  {dtaQiaxi^  ffqvyiaxC, 
Ivdunf)  gesetzt  war.     Vermutlich  war  Sakadas  auch  Erfinder  der  Instru- 
mentalnotenschrift, welche  älter  war  als  die  der  Vokalnoten,  aber  mit  dieser 
darin  übereinstimmte,   dass  sie  die  Lautzeichen   des  Alphabetes  zur  Be- 
zeichnung der  Tonhöhe  in  den  verschiedenen  Tonarten  verwendete.«)  — 
Gleichzeitig  mit  Sakadas  war  der  Arkadier  Echembrotos,  der  bei  den  ersten 
pythischen  Spielen  (586  oder  582)   mit  einem  aulodischen  Nomos  siegte, 
aber  durch  den  traurigen  Charakter  seiner  Dichtung  Anlass  gab,  dass  die 
Gattung  der  aulodischen  Nomen  wieder  aus  der  Liste  der  zulässigen  Dich- 
tungen gestrichen  wurde.  7) 

91.  Orchestik  und  Anfänge  des  Ghorgesangs.  Die  kitharodi- 
schen  und  aulodischen  Nomen  waren  zum  Einzelvortrag  bestimmt.  Es 
bildete  daher  auch  die  Nomenpoesie  zunächst  nur  für  die  eigentliche  Musik 
oder  die  Liederpoesie  den  Ausgangspunkt.  Der  Chorgesang  hingegen  ging 
aas  den  Reigentänzen  hervor,  indem  bei  diesen  Tänzen,  die  selbstverständ- 
lich immer  von  mehreren  aufgeführt  wurden,   die   Tänzer  ihren  Empfin- 


kidas  5  Teile,  worüber  Lübbbbt,  De  Pin- 
dari  carminiiin  compeeitione.  Flut,  de  mus. 
3S  erw&hnt  auch  Kompositionen  von  3  Teilen 
(«rp/i;,  fi€0oy,  ixßrttfif).  Auf  die  Bedentang 
dieser  Teile  f&r  die  spätere  Poesie  werden 
wir  bei  Pindar  rarackkommen. 

>)  Phit  de  mns.  5. 

*)  Plnt  de  mus.  3  n.  8. 

*)  Da  Polymnastos  anch  von  Alkman 
fr.  114  erwähnt  ward,  so  wird  er  in  der 
2.  Hüfte,  Elonas  in  der  Mitte  des  7.  Jahrb. 
geUflht  haben. 

^)  Plnt  de  mns.  8. 

^)  GcBBAüBB,  Der  pythische  Nomos,  eine 
Stadie  zur  griech.  Mnmkgeschichte,  Jahrb. 
1  PbiL  Savpl.  8.  Ath.  eiO«"  ftthrt  von  Sa- 
kidas  aach  eine  'IXiw  ni^^g  an.  Die  ihm 
beigelegten    yofAoi    hieasen    anö&Btoq    und 


*)  Der  Yokalnotenschrift  der  Griechen 
liegt  das  zur  Zeit  der  Perserkriege  ausgebil- 
dete ionische  Alphabet  von  24  Buchstaben 
zu  grund.  Die  iDstrumentalnotenschrift  hin- 
gegen enthielt  nicht  bloss  noch  das  Digamma, 
sondern  auch  das  gebrochene  Jota,  das  nach 
den  Inschriften  nur  in  Ärgos  Verbreitung 
hatte.  Dieser  Umstand  fOhrt  auf  den  Argiyer 
Sakadas;  vgl.  Monbo,  The  modes  of  anc. 
greek  music  p.  75. 

0  Paus.  X  7,  46  hat  die  Aufschrift  des 
ehernen  Dreifusses  erhalten,  den  Echem- 
brotos ob  eines  Sieges  nach  Theben  stiftete: 
'ExifdßQotos  *4Qxdg  i&ijxsy  rto  ^HQaxXet  yixijaag 
Tod* äyaX/Äa,^j4fÄ(pixtv6v{oy  iy  aä&Xoigy'EXXijiHy 
deidtoy  (AiXsa  xiXiyovg» 


120 


Ori«chisolie  litieraiiirgeaohiolite.    I.  KUssische  Periode. 


düngen  auch  in  Worten,  zunächst  in  Ausrufen,   dann  aber  auch  in  ent- 
wickelten Sätzen   Ausdruck   gaben.    Das   Wort  x^Q^   bedeutete   in  der 
älteren  Zeit  und  so    noch   bei  Homer  den  Tanzplatz   (verwandt  dem  lat 
co'hors)  und  ward  dann  erst  auf  die  Gesamtheit  der  Tänzer,  die  auf  jenem 
umfriedeten  Platze  ihre  Reigen  aufführten,   übertragen.     Festliche  Tänze 
waren   bei   allen  Griechen  Üblich;   einer  besonderen   Pflege  erfreuten  sie 
sich  aber  auf  der  Insel  Kreta.  Schon  Homer  schildert  den  Tanzplatz  {x^Qoq) 
der    Ariadne   im   kretischen  Knossos    (2  590  ff.)    und  nennt  den   Kreter 
Meriones  einen  Tänzer  {oQxrfixvfi  li  617).^)   Wie  die  übrigen  Künste,  so  war 
auch  der  Tanz  in  Kreta  in  den  Dienst  der  Gottheit  gestellt;  so  galten  die 
Päane   den  Festen   des  Heilgottes  Apoll   und  die  Waffentänze  {nvq^x^ 
denen  des  Kriegsgottes  Ares.*)  Schwerlich  indes  waren  dies  alte  nationale 
Tänze;  vielmehr  scheinen  dieselben  unter  fremden  Einflüssen  entstanden 
zu  sein.     Dahin  weist  die  Verwandtschaft  der  kretischen  Kureten  mit  den 
phrygischen  Korybanten  und  die  Verbindung  der  idäischen  Daktylen  und 
Kureten  mit  dem  Kultus  der  grossen  Göttermutter.»)     Von  Kreta  ver- 
breitete sich  dann  der  religiöse  Tanz  und  Gesang  nach  dem  griechischen 
Festland,  zunächst  nach  Delphi  und  Sparta.     Von  der  Verpflanzung  nach 
Delphi  haben  wir  ein  litterarisches  Denkmal  im  pythischen  Hymnus  auf 
Apollo.^)     Nach  Sparta  brachte  die  neue  Art  der  Götterfeier  durch  Chor- 
gesang Thaletas  aus  Gortyn.     Derselbe  ward  zur  Zeit  einer  Pest  von 
den  Lakedämoniem   berufen,   um   durch   religiöse   Sprüche   (im^aC)   den 
Zorn  der  Götter  zu  beschwichtigen.*^)  Bei  dieser  Gelegenheit,  wahrschein- 
lich im  Jahre  665,  in  welches  Jahr  Eusebios  die  Einführung  der  Gymno- 
paideia  in  Sparta  setzt,   führte   er  die  in  feierlichem  Tanze  aufgeführten 
Heillieder  an  Apoll,  die  Päane,   und  die  in  raschem  Takte  sich  bewegen- 
den kriegerischen  Tänze  der  Pyrriche  {inoqxw^'^^)  i"  Sparta  ein.«)    Des- 
halb wird  er  von  Plut.  de  mus.  9  zusammen  mit  Xenodamos  von  Kythera 
und  Xenokritos  aus  dem   unteritalischen  Lokris^)  Begründer  der  zweiten 
Musikperiode   in  Sparta    {ßsxntqaq  xatactdasoig  ziav  negl  xrjv  fAovaixtjv  h 
Tjj  Ina^Tj)  genannt.   Die  erste  war,  wie  wir  oben  sahen,  von  dem  Lesbier 
Terpander  ausgegangen.     Der  Einführung  der  Karneen  und  Gymnopädien 
in  Sparta  folgten  bald  ähnliche  mit  Musik  und  Tanz  begangene  Feste  bei 


')  Auch  Sappho  fr.  54  besingt  den  Tanz 
der  Kreteriimeii  um  den  reizenden  Altar. 
Ueber  die  Tänze  der  Ereter  im  allgemeinen 
AristoxenoB  bei  Ath.  630^  und  Sosibios  in 
Scbol.  Find.  P.  II  127.  Von  Kreta  benannt 
ist  der  ^»t^/urc   KQf^ixog    JL   \j  ^    z   v>  _ 

•)  Das  waren  die  MnXioq  oqxv^^  bei 
Strabon  p.  480  und  die  iyonXia  naiyyia  des 
Piaton  Legg.  VII  p.  796  »>. 

»)  Diodor  XVII  7;  Strabon  p.  473.  An 
die  Waffentänze  der  Kreter  erinnern  die 
Tänze  und  Lieder  der  römischen  Salier;  ob 
aber  dabei  an  griechischen  Einflnss  zu  denken 
sei,  ist  problematisch.  —  An  Olympus  knüpfte 
Thaletas  an  nach  Plut.  de  mu».  10. 

*)  Das  Verhältnis  kehrt  umWiLAMowiTz, 
Eur.  Herakl.  I  265:   wenn    der   homerische 


Hymnus  an  Apollon,  der  in  diesen  Teilen 
dem  Ende  des  7.  Jahrh.  angehört,  die  del- 
phischen Priester  aus  Kreta  holt,  so  zeigt 
sich  darin  die  später  so  häufige  Vorstellung, 
da3s  Kreta  der  Sitz  der  reinen  Dorer  ist»  in 
naiver  Umkehrung  des  Verhältnisses,  in 
Wahrheit  waren  die  Dorer  vom  Pamass  nach 
Kreta  gezogen. 

^)  So  sagte  Pratinas  in  irgend  etn^m 
Liede  nach  Plut.  de  mus.  42. 

•)  Plut.  de  mus.  9;  Schol.  Pind.  P.  n  127; 
Strab.  480. 

^)  Auf  die  Bedeutung  dieses  Xenokritos 
in  der  Musik  weist  der  Umstand  hin,  daas 
die  Griechen  auch  eine  lokrische  Humonie 
aufstellten. 


B.  Lyrik.    1.  Anftnge  der  Lyrik,  Nomendichtnng.    (§  92.) 


121 


den  übrigen  Griechen,  die  Apodeixeis  {imdef^sig  era.  Hiller)  in  Arkadien, 
die  Apodymatia  in  Arges,  i)  die  Festspiele  des  Apoll  in  Delphi  (seit  586 
oder  582)  und  Delos,*)  die  Pythien  in  Sikyon,«)  die  Panathenäen  in  Athen,*) 
die  Hyakinthien  in  Samos,^)  die  Museia  und  Erotidia  in  Thespiä.^)  Es 
nahm  aber  diese  Art  von  Festfeier  eine  mittlere  Stelle  in  der  Entwicke- 
luog  der  griechischen  Agone  ein.  Vorausgegangen  waren  die  rein  gym- 
mschen  Spiele,  welche  lediglich  in  körperlichen  Kraftproben  im  Laufen, 
Springen,  Ringen  bestanden.  Weit  später,  gegen  Ende  des  6.  Jahrhunderts 
kamen  die  dionysischen  Festspiele  in  Schwung,  aus  denen  sich  im  Nord- 
peloponnes  und  in  Attika  die  dramatische  Poesie  entwickelte.  In  der 
Mitte  stand  unsere  aus  musikalischen  Vorträgen  und  orchestischen  Schau- 
stellungen (imdst^eig)  bestehende  Festfeier,  welche  sich,  wie  sie  von  den 
Doriem  Kretas  ausgegangen  war,  so  auch  bei  den  Doriem  des  Festlandes 
einer  besonderen  Beliebtheit  erfreute,  während  die  lonier  bei  ihren  Festen 
die  ältere  Weise  des  rhapsodischen  Vortrags  epischer  Heldengesänge  zu 
kultivieren  fortfuhren. 

92.  Blicken  wir  zum  Schluss  nochmals  zurück  auf  jene  älteste,  text- 
arme Periode  der  griechischen  Lyrik  und  Musik,  so  sehen  wir,  dass  sich  im 
Laufe  des  7.  Jahrhunderts  all  jene  Elemente  entwickelten,  die  wir  später 
in  der  Glanzperiode  der  griechischen  Lyrik  vereinigt  sehen.  Zu  dem  ein- 
tönigen, feierlich  ernsten  Rhythmus  des  daktylischen  Taktgeschlechtes  ge- 
sellte sich  der  rasche  Gang  des  spitzigen  lambus  und  rollenden  Trochäus 
sowie  der  energische  Schritt  des  anapästischen  Marschgesanges  (TTQoüodiaxog). 
Neben  dem  Dreitakter  (Tripodie)  und  dem  aus  dessen  Wiederholung  ent- 
standenen Hexameter  kamen  die  ebenmässigeren,  in  geraden  Zahlenver- 
hältnissen  sich  aufbauenden  Sätze,  die  Dipodien  und  Tetrapodien  zu  Gel- 
tung, t)  Dieselben  waren  von  Hause  aus  den  iambischen,  trochäischen  und 
auapästischen  Reihen  eigen,  fanden  aber  mit  der  Zeit  auch  in  die  dakty- 
lischen Verse  Eingang.  Neue  Formen  sodann  entstanden  dadurch,  dass 
die  Katalexis,  welche  ursprünglich  auf  den  Versausgang  beschränkt 
war,  auch  auf  die  Vorderglieder  eines  Satzes  ausgedehnt  wurde.  Auf 
diese  Weise  entwickelte  sich  aus  dem  katalektischen  trochäischen  Dimeter 
der  Creticus  ( ^  w  « )  und  Päon  ( -^  ^  ^,  die,  wie  die  Namen  sagen,  in 
Kreta  und  in  dem  apollinischen  Chorgesang  ihre  Stellung  hatten.  Es  hing 
n&mlich  die  Ausbildung  der  Rhythmengeschlechter  hauptsächlich  mit  der 
Entwickelung  des  dritten  Hauptfaktors  der  griechischen  Lyrik,  des  Tanzes, 
zusammen.  Denn  beide,  Rhythmus  und  Tanz,  gingen  derart  Hand  in  Hand 

»)  Plut  de  muB.  9;  Ath.  626  *>;  Polyb. 
IV  20,  8. 

«)  Hymn.  Ap.  I  150;  Paus.  X  7,  4. 

*)  DieBelben  waren  allinfthllch  erweitert 
na  gymnischen  Wettkftmpfen  za  rhapBo> 
diaclieii,  dann  lyiischeii,  s.  Bbbgk,  Gt  litt. 
II 149. 

*)  Sicher  seit  Perikles  nach  Fiat.  Per.  13. 

»)  Ath.  139«. 

*)  Paus.  IX  31,  3;  von  diesen  freilich 
«ad  den  Hyakinthien  ist  die  Zeit  der  Ein- 
filhnmg  nidit  beetinunbar.  Vgl.  Rbiscb,  De 
■üisidB  Graeeonun  certaminibus,  Vind.  1885. 


')  Die  ZnsammenfÜgang  von  2  Fassen 
zu  einer  Dipodie  nnd  von  2  Dipodien  zn  einem 
Dimeter  ist  von  Nator  emfacher  nnd  erweist 
sich  auch  durch  ihr  Vorkommen  bei  anderen 
Völkern  als  verbreiteter  nnd  ftlter.  Diesem 
Grandgedanken  von  Usbnbb's  ßnch  über  den 
altgriechischen  Versbau  stimme  ich  voU- 
st&ndig  bei;  aber  den  Versuch,  die  Hälften 
des  Hexameters  nun  auch  zu  solchen  Vier- 
taktern zu  machen,  halte  ich  fOr  eiÜe  Liebes- 
mühe: im  Anfang  steht  eben  die  Messung 
nach  der  Zahl  der  Ikten,  nicht  nach  der  der 
Sylben. 


122 


Qriechiaohe  Litteratarg^Bohiehta.    I.  Klasaisohe  Periode. 


bei  den  Griechen,  dass  dieselben  zur  Bezeichnung  der  rhythmischen  Be- 
griffe Takt,  Doppeltakt,  Auftakt  lauter  von  dem  Tanz  und  dem  Schreiten 
hergeholte  Ausdrücke  {7101g,  ßdtng,  nQoaoiiaxoq,  ncQiodog,  trrQo^fjy  ävTiatQog/jj) 
gebrauchten.  Die  Liebe  zu  dem  Tanz,  nicht  dem  einförmigen  Rasen  unserer 
Walzer,  sondern  den  eurhythmischen  Bewegungen  religiöser  Festfeier, 
war  den  Griechen  schon  zu  Homers  Zeiten  in  Fleisch  und  Blut  über- 
gegangen; nicht  bloss  tanzen  bei  ihm  die  Jünglinge  bei  der  Hochzeit  und 
Weinlese,  auch  zur  Versöhnung  des  Apoll  führen  die  Söhne  der  Achäer 
Reigen  auf,  zum  Tanze  den  Päan  singend  (A  472).^)  Glänzendere  Entfal- 
tung fand  dann  aber  erst  in  unserer  Periode,  namentlich  in  den  dorischen 
Staaten,  die  Orchestik,  so  dass  bald  kein  Götterfest,  keine  militärische 
Parade  ohne  Tanz  und  rhythmischen  Aufzug  begangen  wurde. 

An  dem  Aufschwung  der  drei  verschwisterten  Künste  Musik,  Rhyth- 
mik, Orchestik  beteiligten  sich  die  verschiedenen  Stämme  Griechenlands; 
auf  ihre  Entwicklung  haben  aber  ausserdem  auch  fremde  Völkerschaften 
Eleinasiens,  namentlich  Phrygier  und  Lydier,  Einfluss  geübt.  Da  jeder 
der  Stämme  seine  eigene  Art  hatte,  so  bildeten  sich  schon  in  jener  alten 
Zeit  verschiedene  Tonarten  aus,  die  dorische,  äolische,  phrygische,  lydische, 
mixolydische,  ionische.^)  Diese  Tonarten  oder  Harmonien  sind  ihrer  tech- 
nischen Bedeutung  nach  nur  verschiedene  Oktavengattungen  und  Trans- 
positionsskalen, aber  mit  der  verschiedenen  Skala  und  dem  verschiedenen 
Schlusston  hatte  sich  auch  ein  verschiedenes  Ethos  verbunden,  so  dass 
die  dorischen  Melodien  würdevolle  Ruhe,  die  phrygischen  orgiastische  Be- 
geisterung, die  lydischen  zarte  Weichheit,  die  äolischen  ritterlichen  Stolz 
atmeten.^)  Diese  Unterschiede  des  Ethos  erklären  sich  kaum  zur  G^enüge 
aus  der  Natur  der  Skalen;  sie  hatten  wohl  ihren  Hauptgrund  darin,  dass 
von  vornherein  die  in  den  betreffenden  Tonarten  gesetzten  Lieder  einen 
bestimmten  Charakter  in  Stimmung  und  Rhythmus^)  hatten,  und  dass  dieser 
auch  in  der  Folgezeit  in  den  neu  gedichteten  Melodien  und  Gesängen  bei- 
behalten wurde. 

Auf  solche  Weise  hatte  die  griechische  Lyrik  aus  der  älteren  Zeit 
einen  reichen  Fond  von  Melodien  und  Rhythmen  ererbt;   die  Dichter  der 


^)  In  Attika  existierte  ein  (Geschlecht 
EvysTifaty  das  Hesychios  als  ye'yos  oQxrjaxtay 
xai  xi9aQiaTüjy  bezeichnet,  und  das  bei  Staats- 
festen (leQovQyiai)  den  Dienst  von  Tänzern, 
Kitharaspielern  und  Sängern  versah. 

*)  Ptolemaios  Harm.  2,  6  und  Bakcheios 
c.  12  unterscheiden  nur  *S  Haupttonarten: 
JtiQioyj  ^Qvyioyj  Av^ioy,  nur  2  Aristoteles 
Polit.  p.  1290"  12:  dm^iazl,  (pgvyiari  Weniger 
Beachtung  verdient  Herakleides  Pontikos  bei 
Ath.  624  c  (vgl.  Pollux  IV  65),  der  unter 
einseitiger  Betonung  des  Reinhellenischen  3, 
den  8  Yolksstämmen  der  Dorier,  Aeolier, 
lonier  entsprechende  Tonarten  annimmt.  Zu 
den  3  Grundtonarten  des  Ptolemaios  kamen 
das  Hypodorische  oder  Aolische,  das  Hypo- 
phrygische  oder  Ionische,  das  Mixolydische. 
Das  Ionische,  dem  Heraldeides  a.  0.  etwas 
Herbes  und  Stolzes,  Plato  de  rep.  398  rich- 


tiger (vgl.  Aesch.  Snppl.  69)  etwas  Weiches 
und  Trunkenes  beimass,  kam  erst  durch 
Pythermos  auf,  der  nach  Ath.  625  c  vor 
AjDanios  und  Hipponax  gelebt  haben  soll; 
das  Mixolydische  nat  nach  Plut.  de  mus.  28 
zuerst  Sappho  und  dann  die  Tragödie  ge- 
braucht. 

^)  Ueber  das  Ethos  der  Tonarten,  das 
auch  fOr  die  Erziehung  der  Jugend  von  Be- 
deutung war,  handeln  Piaton  de  rep.  p.  398, 
Aristoteles  PoHt  VIH  5—7  u.  Probl.  19,  48, 
Herakleides  Pontikos  bei  Ath.  624  ff. 

^)  So  passten  die  schweren  Daktylo-Epi- 
triten  zur  dorischen  Tonart,  die  Choriamben 
und  Päone  zur  äolischen,  die  Bacchiaci  nnd 
Prosodiaci  zur  phrygischen,  die  Logaöden  zur 
lydischen  und  mixolydischen,  die  loniker  zur 
ionischen. 


B.  Lyrik.    2.  Die  Elegie.    (§  98.) 


123 


nachfolgenden  Periode,  zu  der  wir  uns  jetzt  wenden,  haben  dafür  gesorgt, 
dass  es  nun  auch  nicht  an  Versen  und  Texten  fttr  diesen  musikalischen 
Fonnenreichtum  fehlte.  Es  fiel  aber  die  Blüte  der  neuen  Gattung  der 
lyrischen  Poesie  in  eine  Zeit,  in  der  die  alte  Ordnung  des  patriarchali- 
schen Königtums  in  die  Brüche  ging  und  unter  Kämpfen  und  Parteiungen 
eine  neue  Zeit  republikanischer  Staatsverfassung  und  freierer  Bewegung 
aDw&rts  in  Griechenland  heranbrach.  Zum  Ausdruck  der  subjektiven  Ge- 
f&hle  und  Empfindungen,  die  durch  den  Umschwung  der  politischen  Ver- 
hUtnisse  geweckt  und  genährt  wurden,  eignete  sich  aber  die  lyrische  Poesie 
ungleich  besser  als  die  epische.  Kein  Wunder  also,  dass  im  7.  und  6.  Jahr- 
hondert  die  lyrischen  Dichtungen  sich  des  grösseren  Anklangs  erfreuten 
und  die  litterarische  Produktion  beherrschten. 

Die  griechische  Lyrik  hat  vier  Unterarten,  die  Elegie,  den  lambus, 
das  Helos  und  den  Ghorgesang.  Die  beiden  letzten  heben  sich  von  den 
beiden  ersten  als  höhere  Gattungen  dadurch  ab,  dass  sie  allein  die  kunst- 
volle Form  der  Strophe  kennen.  Die  vier  Arten  kamen  erst  nacheinander 
ZOT  Ausbildung;  erst  in  späterer  Zeit  wurden  dieselben  nebeneinander 
kultiviert,  jedoch  auch  dann  noch  so,  dass  immer  eine  Art  vor  den  andern 
in  höherem  Ansehen  stund.  Danach  wird  sich  auch  unser  Gang  in  der 
Besprechung  der  griechischen  Lyrik  regeln. 


2.  Die  Elegie.') 

93.  Am  wenigsten  entfernte  sich  von  der  alten  Sangweise  der  epischen 
Poesie  die  Elegie.  Im  elegischen  Distichon  wurden  nur  2  Verse  zur  Einheit 
einer  Periode  verbunden,  und  der  2.  Vers  gehörte  dem  gleichen  Rhythmen- 
geschlecht wie  der  erste  an.  Diesem  2.  Vers,  der  aus  2  katalektischen 
Tripodien  bestand,')  gebührte  speziell  der  Name  ^Xeyog.  Denn  iXsyoq  be- 
deutete ursprünglich  ein  Klagelied,')  zur  Klage  aber  eignete  sich  vortreff- 
lich jener  Vers,  mochte  man  nun  durch  Pausen  die  Unterbrechungen  des 
geraden  Ganges  ausfüllen  oder  die  Schlusslängen  zu  langangehaltenen 
Klagetönen^)  anschwellen  lassen: 


KJ<^     LJ      .     v>^     . 


uj     oder 


Vk«A^       .       \^^ 


Ä       •     K^X^     «,     v>\^ 


^)  Havtuvg,  Die  griech.  Elegiker,  griech. 
mit  netr.  üebenetE.,  Leipz.  1859,  2  Bde.  — 
f^BASCKB,  CaUinns  siTe  qusestiones  de  ori- 
gme  canninis  elegiaci,  Altona  1816.  —  Bach, 
De  lognbri  Graecomm  elegia,  Bresl.  1835, 
De  ijrmpoeiaca,  Fnlda  1837.  —  Caesar,  De 
eannisiB  Graeconim  eleaaci  origine  et  noti- 
«e,  Upe.  1887.  —  0.  Imiisce,  üeber  Ur- 
■pnmg  der  Elegie,  Verh.  der  Philologenvers. 
in  Gdiliiz,  1889  S.  372.  —  Rbitzeksteii«, 
llpignunm  und  Skolion,  Giessen  1893  S.  65  ff. 

')  Bnr.  Troad.  119:  tovg  ael  daxgvtoy 
äi'rorf.  Iph.  Taur.  1091:  eXeyoy  oixxgov. 
Hei  85  und  Iph.  Tainr.^146:  aXv^ov  Ue^oy. 
SdioL  Axifli.  Ay.  217:  iXeyoi  ol  ngog  ai*X6y 
4^fi9vci^S^yM.  Ptocl.  242,  15  W.:  rd  y«> 
^^f^of  tXeyor  ixttXovy  ol  nuXtdol.     Ei.  M. 


326,  49:  iX^yo^  '  d-^rjyog  6  roTs  tBf^yetoaty 
imXeyofABvoQ.  Zuerst  kommt  das  Wort  in 
der  Inschrift  des  Echembrotos  (§  90  An.)  vor. 

')  In  der  Regel  kam  dieser  zweite  Vers 
nnr  verbanden  mit  dem  ersten  vor;  doch 
findet  er  sich  aosnahmsweise  auch  in  stichi- 
scher Wiederholung,  so  in  einer  altattischen 
Weihinschrift  bei  Aristoteles  Athen,  polit.  7, 
und  vereinzelt  bei  den  Tragikern,  worüber 
meine  Metrik'  p.  211. 

*)  Die  Elegoi  an  den  angeführten  Stellen 
sind  im  anapästischen  Versmass,  nicht  in 
daktylischen  Pentametern  geschrieben,  teilen 
aber  mit  diesen  die  häufigen  Katalexen, 
welche  ihnen  den  Namen  Elaganapäste  ein- 
tragen. 


124 


Ghri«ehisch6  Uttoraiiirgeaohiohie.    I.  KlaMische  Periode. 


Von  dem  einfachen  flfy^g  ist  das  abgeleitete  ileysTov  sc.  ^tto^i)  oder 
iXcyeia  sc.  t^ii]  gebildet,  um  die  aus  den  zwei  Versen,  dem  daktylischen 
Hexameter  und  dem  elegischen  Pentameter  gebildete  Periode  zu  bezeichnen.') 
Der  Ursprung  des  Namens  Elegos  ist  dunkel;  an  die  von  den  Alten  ver- 
suchte Herleitung  von  sv  Uyeiv,  die  der  Bedeutung  des  lateinischen  elagium 
zu  gründe  liegt,«)  ist  nicht  zu  denken.  Nicht  viel  besser  ist  die  von  Suidas 
und  Et.  M.  326,  57  vertretene  Ableitung  aus  dem  fingierten  Schlusvers  i  Heye 
i  le'ye  i,  auf  den  der  Refrain  mhvov  cahvov  eine  bei  Aischylos  Agam.  121 
geführt  zu  haben  scheint.  Wahrscheinlich  stammt  das  Wort  aus  der  Fremde 
und  kam  aus  Armenien  über  Phrygien  zu  den  loniem  Kleinasiens.^) 

Der  Dichtung  von  Texten  im  elegischen  Versmass  ging  die  Anwen- 
dung und  Ausbildung  des  elegischen  Rhythmus  in  der  Musik  voraus,  und 
da  die  älteste  £legie  threnodisch  und  das  spezifische  Instrument  der  Klage 
die  Flöte  war,^)  so  dürfen  wir  in  der  Überlieferung  des  Suidas,  dass 
schon  Olympos  Elegien  dichtete,^)  einen  Kern  von  Wahrheit  finden. 7) 
Allgemach  erlaubte  man  sich  auch  Dichtungen  im  elegischen  Versmass 
nicht  mehr  nach  einer  Melodie  zu  singen,  sondern  frei  in  der  Weise 
epischer  Gedichte  zu  deklamieren.  Die  Vortragsweise  mit  und  ohne  Gesang 
mochte  sich  lange  nebeneinander  erhalten  haben:  von  den  Elegien  des  Solen 
gebraucht  Piaton,  Tim.  21  c  bald  den  Ausdruck  ^J^ir,  bald  den  ^atpfpieTv; 
die  Elegien  des  Phokylides  wurden  nach  Ghamaileon  bei  Athen.  620  c  ge- 
sungen, nach  einem  anonymen  Metriker  bei  Ath.  632  d  aber  gehörte  Pho- 
kylides mit  Xenophanes,  Selon,  Theognis,  Periander  zu  denjenigen,  die  zu 
ihren  Gedichten  keine  Melodie  mehr  fügten.®) 

Die  Elegie  als  Dichtung  fand  ihre  erste  Ausbildung  im  asiatischen 
lonien,  mag  man  nun,  worüber  die  Alten  stritten,^)  Archilochos  oder  Kai- 
linos  oder  Mimnermos  für  Erfinder  dieser  Dichtgattung  halten.  Sie  ent- 
stand also  in  demselben  Land,  in  welchem  das  Epos  seine  Blüte  erreicht 
hatte;  daraus  erklärt  es  sich,  dass  die  Elegiker  im  grossen  Ganzen  der 
Sprache  Homers  folgten,   und  dass  auch  der  Dorier  Theognis  in  seinen 


')  iXsyeioy  zuerst  bei  Thuc.  I  132  und 
Critiae  fr.  3. 

*)  Der  Gebrauch  des  Femininums  kam 
in  der  Zeit  des  Dionysios  Hai.  auf  und  er- 
zeugte das  lateinische  elegia.  Die  Versuche, 
einen  tieferen  unterschied  zwischen  eXeyos 
und  iXeycToy  zu  statuieren,  werden  zurück- 
gewiesen von  Wblckeb,  El.  Sehr.  I  65  ff. 

»)  Procl.  242,  17;  Et.  M.  326,  52;  Orion 
p.  58,  7  ff.  Die  verschiedenen  Etymologien 
gehen  aufDidymos  negl  7t  oirjrto  y  zaxflck;  s. 
Didymos  bei  Orion.  Eine  neue  Herleitung 
bei  Usbner,  Altgr.  Versbau  S.  113. 

*)  BöTTiCHBR,  Arica  8.  34  geht  auf  arm. 
elegn  =  Rohr,  und  arm.  eiern  =  Unglück 
zurttck,  hat  aber  als  de  Laoabdf,  Armen. 
Stud.  p.  8,  worauf  mich  mein  IVeund  E. 
Kuhn  aufmerksam  machte,  jene  Ableitung 
selbst  wieder  zurückgenommen.  Auf  Earien 
weist  die  Glosse  des  Photios  Kaginfj  (novau  • 
T^  OQtjytüdei,    Phönizischen  Ursprung  sucht 


zu  erweisen   Imhiscb,  Verb.  d.  40  Vers.  d. 
Phil,  in  Görlitz. 

*)  Vgl.  Plut.  de  Iside  p.  394. 

*)  Suidas:  "OXv/atio^  Maioyos  Avd^q  av^ 
XrjTtjg  Xttl  TtoiijTrjg  fjiBXtov  xai  iXsyeitoy.  Plut. 
de  mus.  15:  'bXvfLiTioy  ydg  nQioroy  U^mtto- 
^syog  iy  T^  n^oitfp  negi  fxovoixfjq  int  r^ 
Av6tayi    tprjciy  inucrjdetoy  avXijaai-   AtHfrirre. 

^)  Einer  der  anlodischen  Nomen  des 
Elenas  hiess  ^Xeyoi  nach  Plut  de  mus.  4. 
Das  Singen  dazu  heisst  4^€^y  vn*  avXfjrtj^itg 
bei  Archil.  fr.  122  und  Theognis  583.  Von 
iXeysitt  Ttgoatfifofisya  toig  avXotg  spricht  Paus. 
X7,  5. 

*)  Roh  DB,  Griech.  Roman  140  f.  vor- 
wirft die  Glaubwürdigkeit  des  letzten  Zeug- 
nisses. 

')  Horaz  a.  p.  77:  quis  tarnen  exig^Mos 
elegos  emiserit  auetor,  Grammatiei  cert€tni 
et  adhue  auh  iudice  lis  est.  Vgl.  Didymos 
p.  387  Schm. 


B.  Lyrik.    2.  Die  Blegie. 


I  94—95.) 


125 


Elegien  die  ionische  Sprache  redete.^)  Die  älteste  Art  der  Elegie  war 
Dach  dem  Zeugnis  der  Alten  die  threnodische.^)  Aus  ihr  entwickelte  sich 
im  weiteren  Verlauf  das  Grabepigramm.')  Neben  der  threnodischen  Elegie 
behauptete  sich  schon  in  alter  Zeit  die  sympotische,  welche  unter  den 
neaeren  Forschem  Reitzenstein,  Epigramm  und  Skolion  S.  45  ff.  in  erste 
Linie  gerückt  wissen  will.*)  Vielleicht  hängen  beide  Arten  dadurch  zu- 
sammen, dass  man  auch  der  Toten  bei  dem  Mahle  gedachte,  worauf  ein 
altes  Skolion  Attikas  (bei  Aristot.  Athen,  pol.  20)  hinzudeuten  scheint: 

ei  xQfj  '^otg  aya^otg  avigdaiv  olvoxoeTv, 
Die  sympotische  Elegie  nahm  von  selbst  einen  teils  erotischen,  teils 
paiinetischen  und  politischen  Charakter  an,  da  frohe  Zecher  beim  Weine 
gern  auch  der  Liebe  gedenken  und  herzhafte  Männer  beim  Qelage  zur 
mutigen  Tapferkeit  und  politischen  Thatkraft  sich  gegenseitig  begeistern. 
Durch  Antimachos,  den  Verfasser  der  Lyde,  erhielt  die  Elegie  den  bei  den 
Alexandrinern  weiter  entwickelten  Charakter  romantischer  Erotik  und 
sentimentaler  Gefühlsschwärmerei.  Wir  folgen,  ohne  Unterabteilungen  zu 
machen,  der  zeitlichen  Ordnung,  indem  wir  nur  noch  im  allgemeinen  be- 
merken, dass,  wer  von  dem  lyrischen  Dichter  edle,  hohe  Gedanken  und 
erhebende  Lebensweisheit  in  schöner,  gewählter  Form  sucht,  dieses  Ideal 
in  keiner  Dichtungsart  besser  als  in  der  Elegie  der  Griechen  verkörpert 
findet. 

94.  Eallinos  aus  Ephesos,  älterer  Zeitgenosse  des  Archilochos,^) 
lebte  in  der  1.  Hälfte  des  7.  Jahrhunderts,  als  die  Kimmerier  von  Norden 
her  in  das  Land  der  Phrygier,  Lydier  und  der  griechischen  Kolonien  ein- 
brachen. Auf  diesen  Einfall  und  den  Krieg  seiner  Vaterstadt  mit  Mag- . 
nesia  am  Mäander  beziehen  sich  die  wenigen  und  obendrein  angezweifelten 
Fragmente  unseres  Dichters,  in  denen  er  seine  Mitbürger  zum  ruhm- 
ToDen  Kampf  für  das  Vaterland  anfeuert. 

95.  Tyrtaios,  Sohn  des  Echembrotos,  trat  ganz  in  die  Fusstapfen  des 
EaUinos.  Er  blühte  um  632  <^)  zur  Zeit  des  2.  messenischen  Krieges,  mit 
dessen  Geschichte  seine  eigenen  Geschicke  eng  verbunden  waren.  Nach  der 
Erzählung  der  Athener  hatten  die  Lakedämonier,  als  sie  durch  den  lang  sich 
hinziehenden  Krieg  in  Bedrängnis  gekommen   waren,   sich  Hilfe   von  den 


')  Kleine  Abweichungen  von  Homer  im 
AoBchliias  an  den  Dialekt  seiner  Heimat, 
wie  nif  statt  ntos,  erlaubte  sich  schon  Eal- 
finoe;  aosseidem  gestatteten  sich  die  Ele- 
giker  nicht  mehr  die  altertOmlicben  oder  ftoli- 
Khen  Formen  Homers,  wie  die  Instromentale 
uf  ^  ond  die  Infinitive  auf  fiit'M;  vergl. 
Hmriw,  Qoaestiones  de  dialecto  antiquioris 
GiMcorom  poeais  elegiacae  et  iambicae,  in 
Corttiis  Stad.  1 134  £f. 

*)  Honiz  a.  p.  75:  versibus  impariter 
innetii  querimonia  primum,  post  etiam  in- 
du$a  ewt  voti  sententia  cwnpos. 

')Hesy^ch.  iXeyeia'ta  intidtpitt  noitjfiftr«, 

*)  Beide  Arten  der  Elegie  lässt  Dietrich, 
PhiIoL  51,  1  iL  IL  577  aus  der  gemeinsamen 
Wimel  phrygischer  Kultgesänge  zu  Ehren 


>  der    Göttermutter    Mida    oder    Mise    ent- 
standen sein. 

^)  Nach  Strabon  p.  647  sah  Kallinos  Mag- 
nesia noch  in  Blüte  und  sprach  Archilochos 
schon  von  dessen  Fall;  ähnlich  dem.  Alex. 
Strom.  I  144.  Die  Eroberung  von  Sardes 
durch  die  Kimmerier  geschah  unter  Ardys, 
dem  Nachfolger  des  Gyges  (687  -652),  wie 
Herodot  1  15  angibt;  über  den  Anfang  des 
Einfalls  unter  Gyges  unterrichten  uns  die 
Eeilinschriften,  worüber  Geiger,  De  Callini 
aetate.  Erlangen  1877,  der  die  Blüte  des 
EaUinos  auf  652  setzt;  vgl.  Caesar,  De  Cal- 
lini aetate,  Marburg  1837,  mit  einem  Nach- 
trag 1876. 

^)  So  nach  Eusebios;  nach  Suidas  Ol.  35; 
s.  BusoLT,  Griech.  Gesch.  1^  591. 


126 


Orieohiaohe  Litieratnrgeaohiohta.    1.  Klassische  Periode. 


Athenern  erbeten,  und  hatten  diese  ihnen  einen  lahmen  Schulmeister,  unsem 
Tyrtaios,  geschickt,  der  sie  mit  seinen  Kriegsliedem  so  begeisterte,  dasß 
sie  über  ihre  Feinde  Herr  wurden,  i)  Aber  das  war  wahrscheinlich  nur 
eine  der  Eitelkeit  der  Athener  zulieb  erfundene  Fabel,  zu  der  vielleicht  die 
Überlieferung,  dass  Tyrtaios  aus  Aphidna,  dem  lakonischen  nämlich,  nicht 
attischen,  stamme,  die  Handhabe  geboten  hatte.*)  Denn  wenn  Tyrtaios 
fr.  2  singt 

avTog  ydq  Kgoviutv^  xaXXittxäifavoq  nocig  "Hqt^c, 
Zsvg  ^HQaxXsidjjg  trjvie  iäiwxs  noXtv^ 

oloiv  äfjia  TiQohnovteg  ^Egtveov  rjvsfAoevta 
€VQ€iav  näXonog  vijifov  äq>ix6fie&aj 
so  bekennt  er  sich  damit  deutlich  als  einen  der  Lakedämonier,  und  wenn 
er  gar  in  einer  anderen  Elegie  nach  Strabon  p.  362  von  sich  als  Fuhrer 
im  Kriege  sprach, ')  so  passte  dieses  doch  nicht  auf  einen  fremden  lahmen 
Schulmeister.  Dunkel  ist  die  weitere  Angabe  des  Suidas  Tv^vatog*  Adxfav 
Ij  Miktjaiog;  vielleicht  war  damit  angedeutet,  dass  Tyrtaios  aus  dem  ioni- 
schen Milet  die  Elegie  nach  Lakedämon  verpflanzt  habe.  Die  Gedichte 
desseHben  brachten  die  Alexandriner  in  fünf  Bücher ;  am  gefeiertsten  war 
unter  ihnen  die  Evrofiia,  mit  welcher  er  die  infolge  der  Kriegsnot  ent- 
standene Zwietracht  der  Lakedämonier  beschwichtigte;  berühmt  ist  aus 
ihr  der  Vers 

ä  ^iloxgrjfiaTia  2ndQtav  ölet,  aXlo  S^  ovStv.^) 
Aus  einem  anderen  Teil,  vTto&^xai  überschrieben,  sind  uns  drei  voll- 
ständige Elegien  erhalten,  welche  ganz  im  Geiste  des  Kallinos  zur  Tapfer- 
keit mahnen  und  vor  der  Schande  der  Feigheit  warnen.*^)  Von  den 
Elegien  unterschieden  waren  die  'Eiißatr^Qia^  Marschlieder  im  anapästischen 
Rhythmus,  voll  kriegerichen  Feuers,  von  denen  uns  einige  Verse  erhalten 
sind ; «)  sie  waren  im  dorischen  Dialekt  verfasst,  da  hier  nicht  der  Dichter 
durch  ein  älteres  Vorbild  veranlasst  war,  von  der  heimatlichen  Mundart 
abzugehen.  Auch  nach  des  Dichters  Tod  blieben  seine  Werke  bei  den 
kriegerischen  Doriern  in  hoher  Ehre:  sie  wurden  nicht  bloss  nach  Kreta 
gebracht,^)  sondern  auch  von  den  Lakedämoniern  regelmässig  im  Lager 
nach   dem  Tischgebet  oder  Päan  gesungen,   wobei   der  Polemarch   nach 


*)  Die  ältesten  GewährsmäDner  sind 
Piaton  Legg.  I  p.  269«,  Lykurg  in  Leoer.  28. 
Wiederholt  ist  die  Fabel  von  Diodor  XV  67, 
Paus.  IV  15,  lustin.  UI  6,  Themist.  or.  XV 
p.  197,  Schol.  Plat.  a.  0.  Die  Opposition  des 
Strabon  p.  362  scheint  auf  den  lakonischen 
Lokalforscher  Sosibios  zurückzugehen.  Die  Un- 
richtigkeit der  üeberlieferung  ist  erwiesen  von 
Fb.  Thikrsch,  De  gnomicis  carminibus  Grae- 
corum,  in  Acta  phil.  Mon.  III  587  fl.  Eine 
Ähnliche  Anekdote  bei  Valer.  Max.  I  5  p.  20 
Halm:  Samii  Prienensihua  auxilium  adversus 
Cares petentibus  in  derisum  sihyllam  miserunt, 
hatte  pro  exercitu  ac  classe  offerentes;  qua 
duce  usi  Prienenses  bellum  consummaverunt. 
Widerspruch  von  Berok,  Gr.  Litt  II  244. 

*)  Beide    Aphidna    unterschieden    von 


Steph.  Byz.  unt.  *'Jtpi6va. 

*)  Auch  bei  Tzetzes  Chil.  I  692  heiasfc  er 
TvQjmog  Adxiav  axQaxtjyoq  xal  wotj/riyc. 

*)  Der  Vers  wM  dem  delphischen  Orakel 
unterlegt;  s.  Lykurg  in  Leoer.  28;  Arist.  Polit 
V6,  2. 

'^)  Daher  Horaz  a.  p.  402:  Ttfrtaeusque 
mares  animos  in  Martia  bella  versihus  eano- 
cuit  Es  wird  sogar  vermutet,  dass  bei  Stob. 
Flor.  51,  19  in  der  Lücke  der  Name  r»^- 
Tttiog  ausgefallen  sei  und  so  auch  die  ein- 
zige längere  Elegie  des  Kallinos  dem  Tyr- 
taios angehöre. 

•)  Cic.  Tusc.  disp.  II  16;  Die  Chrys.  I  34; 
Ammian.  Marc.  XXIV  6. 

'j  Plat.  Legg.  I  p.  629b. 


B.  Lyrik.    2.  Die  Elegie.    (^  96-97.) 


127 


alter  Sitte  dem,   der  am  besten  gesungen,   ein  Stück  Fleisch  als  Preis 
gab.i) 

96.  Mimnermos  aus  Eolophon^)  blühte  gegen  Ende  des  7.  Jahr- 
hunderts, ^)  als  die  ionischen  Städte  Eleinasiens,  insbesondere  auch  Smyrna 
und  Kolophon,  den  Angriffen  der  Lyderkönige  unterlegen  waren  und  in- 
folgedessen in  weichlichen  Luxus  verfielen.  In  einer  Elegie,  fr.  14,  knüpfte 
er  noch  an  den  Charakter  der  älteren  Elegie  an,  indem  er  den  Helden- 
mut der  Smyrnäer  in  der  Schlacht  gegen  den  König  Gyges  besang,  ver- 
mnüich  m  der  Absicht,  seine  Landsleute  zu  gleich  mutiger  Ausdauer  gegen 
den  erneuerten  Ansturm  des  Königs  Sadyattes  anzufeuern.  Aber  in  seinen 
anderen  Elegien  schlägt  er  einen  ganz  verschiedenen  Ton  an,  indem  er 
in  schwärmerischer  Sentimentalität  seine  Liebe  zur  schönen  Nanno  besingt 
und  in  wehmütigen  Weisen  das  rasche  Hinwelken  der  Jugend  und  des 
Liebesglücks  beklagt.  Dieser  erotische  Charakter  seiner  Elegien  machte 
ihn  zum  Liebling  der  alexandrinischen  und  römischen  Elegiker.^)  Übrigens 
war  Mimnermos  nicht  bloss  Dichter,  sondern  auch  Flötenspieler  und  Er- 
finder auletischer  Nomen,  unter  denen  der  KgaSiaq  vofAog  einen  besonderen 
Hang  hatte.«) 

97.  Solon  (um  639—559), «)  der  weise  Gesetzgeber  und  grosse 
Patriot  Athens,  ist  zugleich  der  erste  Athener,  der  seine  Vaterstadt  auf 
die  Bahn  poetischen  und  litterarischen  Ruhmes  wies.  Von  dem  7.  Jahr- 
hundert an  zog  sich  überhaupt  das  geistige  Leben  Griechenlands  von 
Kleinaaien,  wo  es  unter  günstigen  Anregungen  zuerst  erblüht  war,  dann 
aber  dem  Vordringen  barbarischer  Despotien  erlag,  allgemach  nach  dem 
griechischen  Festland  zurück.  Athen  insbesondere  begann  damals  sich 
als  See-  und  Handelsmacht  zu  heben  und  hatte  das  Glück,  aus  der  Krisis 
innerer  Parteiungen  mit-  gesteigerter  Kraft  hervorzugehen.  Solon,  der 
selbst  von  dem  Geschlechte  der  Kodriden  abstammte,  aber  einen  besseren 
Adelsbrief  sich  durch  edle  Gesinnung  und  reiche,  auf  Reisen  in  Ägypten 
nnd  Asien ')  vermehrte  Erfahrungen  erworben  hatte,  war  berufen,  in  jenem 


')  PhilochoroB  bei  Aih.  630  f.;  vergl. 
Lykurg  c.  Leoer.  107. 

*)  Soidas:  Mi/Areguo^  Atyrgru^dov,  Ko- 
lo^ttfVioc  rj  IfAVQyaio^  rj  'JatvTiaXaisvs.  Unter 
dem  Namen  Aiyvaciiddrj  redet  Um  Solon 
fr.  20  an.  Er  selbst  besingt  fr.  9  die  Ein- 
i^^^e  Yon  Smyrna  durch  die  Eolophonier. 

')  Snidas  setzt  ibn  Ol.  37,  was  Rohde 
Wi.  IL  33,  201  aufklärt. 

^)  Propertius  I  9,  11:  plus  in  atn&re 
ttrfrf  Mimnermi  versus  Homero.  Charakte- 
riatisch  fttr  ihn  ist  der  Vers  rig  Sk  ßiog,  rl 
<ß  Jtgnydy  äyev  /^t'a/iyf  'AtpQOifhtjg ; 

*)  Plut  de  mns.  8:  xal  äXXog  d^iarly 
e^/tuof  vofiog  xaAOVfisyog  Kga^iag,  oy  (ftjaiy 
Iftntartt^  Mifiy€gfioy  ttvX^ffm  '  iy  ngj^fj  yuQ 
fUyvm.  fiSfieXoJioiTjfieya  ol  m'Xt^doi  ji<ray. 
V^.  Sirabon  p.  643.  Das  Wort  bedeutet 
Pcigenastweise,  worüber  Mölleb,  Gr.  Litt. 
1*175. 

*)  Plotarch,  Leben  Solons;  seine  Haupt- 
Stelle  war  Hermippos,  der  aber  schon  von 


dem  Leben  des  weisen  Mannes,  von  dem 
er  wenig  zuverlässiges  wusste,  eine  halb 
romanhafte  Darstellung  gegeben  hatte.  An- 
dere Quellen  sind  Aristot.  Athen,  pol.  5 — 12, 
Diog.  Laert.  I  45  ff.;  Suidas  vervollständigt 
durch  Schol.  Plat.  de  rep.  X  599. 

^)  Die  Reisen  des  Solon  sind  besonders 
in  Fabeln  gehttllt  worden.  Die  Angaben 
über  die  Veranlassung  derselben  durch  die 
Tyrannis  des  Peisistratos  und  über  die  Grün- 
dung von  Soloi  in  Kilikien  (bei  Hesych.) 
sind  ganz  unhaltbar;  aber  selbst  die  Unter- 
redung mit  KroisoSy  von  der  schon  Herodot 
I  29  berichtet,  erregt  Bedenken,  da  zur  Zeit, 
wo  Solon  in  Asien  war,  Eroisos  noch  nicht 
zur  Herrschaft  gelangt  sein  konnte.  Die 
Bedenken  sucht  zu  zerstreuen  Ungsb,  Jahrb. 
f.  Phil.  1888  S.  383  ff.  Gut  bezeugt  ist  die 
Reise  nach  Aegypten  durch  Herodot  I  29, 
Piaton  Erit.  108d,  Plut.  Sol.  2  und  Solon  selbst 
fr.  28,  ebenso  durch  Solon  fr.  19  die  Reise 
nach    Eypem.      Nach    Herodot   I  29    und 


128 


Qrieohisohe  litteratnrgesohiohte.    1.  KlaMisohe  Poriode. 


politischen  Gärungsprozess  seiner  Vaterstadt  eine  hervorragende  Bolle  za 
spielen.     In    dem  Streit   der  Megarer  und  Athener   um   den  Besitz  von 
Salamis  rief  er  seine  Mitbürger  zu  einer  letzten  Eraftanstrengung  und  zur 
Wiedereroberung    der   schönen    Insel    auf  (604).     Als   Archen   im    Jahre 
594/3  beruhigte  er  den  Groll  der  verschuldeten  Kleinbürger  durch  die  von 
den  Reichen  leichter  ertragene  Massregel   der  Herabsetzung  des  Münz- 
fusses^)  und  unternahm  das  grosse  Gesetzgebungswerk,  das  in  der  Sank- 
tionierung und  Aufstellung  der  hölzernen  Gesetzestafeln  {xvgße^g  oder  a^ovsg) 
auf  der  Akropolis  seinen  Abschluss  fand.*)    Eine  dauernde  Beilegung  des 
Parteihaders  gelang  ihm  freilich  nicht;  er  selbst  verliess,  des  ewigen  Haders 
müde,  Athen  und  suchte  durch  eine  Abwesenheit  von  10  Jahren  dem  Drangen 
der  Parteien  zu  entgehen.    Aber  schliesslich  musste  er  es  noch  erleben,  dass 
Peisistratos,  gestützt  auf  die  demokratische  Gebirgsbevölkerung,  die  Macht 
der  Optimaten  brach  und  sich  der  Tyrannis  bemächtigte  (561) ;  den  Beginn 
der  Tyrannis  überlebte  er  nur  2  Jahre;  80  Jahre  alt  starb  er  in  Kypern,«)  wo 
er  schon  in  früheren  Jahren  Freundschaft  mit  dem  Herrscher  von  Soloi  ge- 
schlossen hatte.  —  Zur  Weisheit  und  Thatkraft  eines  Staatsmannes  war  dem 
Selon  auch  die  schöne  Gabe  der  Poesie  von  der  Mutter  Natur  verliehen.   In 
jungen  Jahren  sang  er  wohl  auch  von  sorgenloser  Lebensfreude  und  aus- 
gelassener  Liebeslust  (fr.   23—26);^)   in   reiferen  Jahren   aber  stellte  er 
die  Poesie  in  den  Dienst  der  Politik,  indem  er  durch  Verse,  wie  Spätere 
durch  Reden,  ^)  auf  das  Volk  einzuwirken  suchte  und  dasselbe  in  seinen 
Elegien  bald  zu  mutigen  Unternehmungen,  bald  zur  Eintracht  und  Gesetz- 
lichkeit aufforderte.     Nach  Diog.  I  69  hatte  man  von  ihm  in  5000  Versen 
Elegien,  lamben  und  Epoden.  Die  einzelnen  Abteilungen  hatten  besondere 
Titel,    wie    2aXafiig^   vnoxJ-r^xai  etg  iavTOV^  nqcq  Kgitiav^    nqiiq  0iX6xv7iQOV. 
In  der  Form  lehnte  er  sich  an  seine  ionischen  Muster  an,  doch  gestattete 
er  sich  in  der  Sprache  auch  einzelne  Eigentümlichkeiten  des  Attischen  ein- 
zuführen.^)  Erhalten  haben  sich  ausser  kleineren  Bruchstüchen  von  lamben, 
trochäischen  Tetrametern  und  Skolien  mehrere  Elegien,  welche  die  schön- 
sten Seiten  der  attischen  Denkweise,  heitere  Lebensweise,  Mass  im  Genuss, 
besonnenes  Handeln,  thatkräftiges  Eintreten  für  den  Staat  und  das  Gemein- 
wohl, in  einschmeichelnden  Versen ')  zum  Ausdruck  bringen.     Nach  Ver- 
dienst haben  daher  die  Athener  die  Gedichte  des  Selon,  wie  die  Spartaner 
die  des  Tjrrtaios,  in  dankbarem  Andenken  behalten.     Am  Feste  der  Apa- 


Aristoteles  Athen,  pol.  11  machte  er  die 
10jährige  Reise  nach  seiner  Gesetzgebung; 
von  Handelsreisen  des  jungen  Solon  spricht 
Plut.  Sol.  2. 

*)  HüLTSCH,  Griech.  u.  röm.  Metrologie, 
2.  Aufl.  S.  200  ff. 

*)  Ueber  diese  Gesetze  gibt  näheres 
Plut.  Sol.  19  -24  und  besonders  Aristot. 
Athen,  pol.  5 — 12,  wo  zum  Belege  auch  Stellen 
aus  seinen  Poesien  angeführt  sind.  Darüber 
WiLAMowiTz,  Aristot.  u.  Athen.  II  304  ff. 

»)  Diog.  1  62;  ebenso  Schol.  Plat.  de 
rep.  X  p.  599,  wo  der  Artikel  des  Hesychios 
Mil.  etwas  vollst-ändiger  wie  von  Suidas 
wiedergegeben  ist.    Das  Todesjahr  €>'  Uys- 


cTQaxov  ci^x^^ ^  S^^t  Phanias  bei  Plut.  Sol. 32. 
Nach  Herakleides  bei  Plut.  Sol.  31  blieb  Solon 
noch  längere  Zeit  in  gutem  Einvernehmen  mit 
Peisistratos.  In  diesem  Sinn  ist  der  unechte  Brief 
des  Peisistratos  an  Solon  geschrieben  Diog.  153. 

*)  Plut.  Sol.  3. 

^)  Diog.  I  61  schreibt  ihm  geradezu 
Demegorien  zu. 

^)  Vielleicht  sind  in  unseren  Texten  die 
Attikismen  teilweise  wieder  durch  die  be> 
kannteren  lonismen  verdrängt  worden,  wor- 
über FicK  in  Beitr.  zur  Kunde  der  indogerm. 
Spr.  XIV  252  ff. 

^;  Strophische  Gliederung  sucht  nachza- 
weisen  Wkil  Rh.  M,  17,  1  ff. 


B.  Lyrik.    2.  Die  Elegie.    (§  98.) 


129 


tarien  sangen  die  Kinder  dieselben  im  Wettgesang,  indem  die  Eltern  dazu 
Preise  gaben,  ^)  und  nicht  bloss  preist  Piaton  den  durch  Eritias  ihm  ver- 
wandten Dichter  in  überschwenglichen  Worten,*)  sondern  auch  Demo- 
sthenes  fand  aufmerksames  Ohr  bei  den  Richtern,  als  er  ihnen  in  der 
Bede  über  die  falsche  Gesandtschaft  §  255  eine  ganze  Elegie  des  grossen 
Volksfreundes  vorlas.  Einfacher  gehalten  sind  seine  lamben,  mit  denen  er 
in  lebhafter,  an  die  Volkssprache  sich  anlehnender  Rede  seine  politischen 
Grundsätze  verteidigte.  In  ihnen  findet  man  bereits  die  Elemente  des 
dramatischen  Dialoges;  aber  was  Plutarch,  Sol.  29  von  dem  Zwiegespräch 
des  Solen  und  Thespis  erzählt,  ist  sophistische  Anekdote,  gegen  deren 
historische  Treue  schon  die  Chronologie  Einsprache  erhebt. 

98.  Selon  galt  zugleich  als  einer  der  Sieben  Weisen;  daher  mögen 
auch  über  diese  einige  Worte  hier  eingeflochten  werden,  wenn  dieselben 
auch  mehr  Männer  der  praktischen  Lebensweisheit  als  der  Theorie  und 
Litteratur  waren.  Die  Namen  derselben  sind  bei  dem  ältesten  Gewährs- 
mann, Piaton  Protag.  p.  343a,  Thaies  aus  Milet,  Pittakos  aus  Mytilene, 
Bias  ausPriene,  Selon  aus  Athen,  Kleobulos  aus  Lindes,*)  Myson  aus 
Chen,  Cheilon  aus  Lakedämon.  Spätere  setzten  an  die  Stelle  des  Myson 
den  Periander  aus  Eorinth;  statt  des  Kleobulos  nannte  Andren  aus 
Ephesos*)  den  Aristodemos  aus  Sparta.*)  Die  Siebenzahl  stand  bereits 
zur  Zeit  Pindars  fest,  da  dieser  danach  im  Siegesgesang  auf  den  Rhodier 
Diagoras  0.  VII  72  sieben  weise  Söhne  des  Sonnengottes  Helios  erdichtete. 
Seit  alters  kursierten  von  diesen  sieben  Weisen  kurze  Kernsprüche,  wie 
yvöi^»  aeavToVy  fxrjd^v  ixyav^  iibTQov  aqiaiov,  eyyva  naqä  S'ena,  ß)  Vermutlich 
hangt  sogar  die  Zusammenstellung  der  sieben  Weisen  mit  einem  alten 
Weisheitsspiegel  zusanmien,  in  dem  zu  Unterrichtszwecken  derartige 
Sprache  unter  Beifügung  des  Automamens  zusammengestellt  waren.  Später 
wurden  denselben  nicht  nur  immer  mehr  Sprüche  und  Sentenzen,  sondern 
einigen  von  ihnen,  wie  dem  Cheilon,  Pittakos,  Periander,  auch  Elegien, 
fifitsel  (Yfiq^oi)  und  Skolien  untergeschoben.  Gegen  die  Echtheit  der  letzteren 


')  Plat  Tim.  p.  21b. 

*)  Ibid.:  TU  TS  aXka  aoq^raroy  yeyo- 
^rtci  ZoXara  xal  xata  trjp  noirjciv  av  twv 
nottjtur  nttvrmv  iXev&SQuJTatov,  .  .  .  Et  ye 
Hij  nage^y^  rß  noitjoBi  xaj€XQ^<fttro  .  .  . 
MTff  yifnjy  ^Q^ay  ovts  *Haiodos  ovre  '^'Ofifj- 
p<K  wji  aiUof  ovdsig  not>rjTfjg  Bvdoxi/ioireQog 
iyiwiro  av  noi*  ttvtov. 

*)  Diesem  Kleobulos  wurde  auch  das 
I^isnmmi  auf  der  Grabs&ale  des  Midas  zu- 
gMchrieben,  wie  Simonides  bei  Diog.  Laert. 
1  89  beseugt. 

*)  Schol.  Find.  Is.  II  17;  Clem.  Alex. 
«<Kmi.  I  p.  143.  Jener  Andron,  den  Wulf  (s. 
Mg.  Anm.i  in  die  Zeit  des  Hellanikos  setzt, 
itttte  in  einem  Bucbe  TQinovq  die  schöne, 
oft  wiedeiiiolie  Geschichte  erzILhlt,  dass  das 
Onkel  in  Delphi  einen  aufgefischten  goldenen 
Oreifaas  dem  Weisesten  zu  geben  befahl, 
▼OD  den  7  Weisen  aber  aus  Bescheidenheit 
keiner  denselben  annehmen  wollte,  sondern 
HiiMibach  der  klan.  AlterttmwwiMeDaebaft.    YII. 


immer  einer  zu  einem  anderen  schickte,  bis 
er  zuletzt  wieder  an  den  Gott  zurückgelangte. 

^)  Ueber  die  yerschiedenen  Namen  der 
7  Weisen  Bohren,  De  Septem  sapientibus, 
Bonn.  Diss.  1867;  Harro  Wulf,  De  fabellis 
cum  coUegii  Septem  sapientium  memoria 
coniunctis  quaestiones  criticae,  Diss.  philol. 
Hai.  XIU  1896. 

•)  Diese  Sprttche  (dnoq>i^iyfjittxa)  wurden 
gesammelt  von  Demetrios  aus  Phaleron,  wo- 
raus Stobäus  Floril.  3,  79,  Anth.  Pal.  IX  866, 
und  spAtere  griechische  und  lateinische 
Spruchsammlungen  schöpften.  Eine  griechi- 
sche in  lamben  publizierte  Wölfflin  in 
Sitzb.  d.  b.  Ak.  1886  S.  287  ff.,  zwei  latei- 
nische Brünco,  Bayreuther  Progr.  1885. 
Ueber  die  Unechtheit  der  den  7  Weisen  zu- 
geschriebenen, durch  Diogenes  zum  Teil  noch 
erhaltenen  Skolien  vergl.  Müller,  Gr.  Litt. 
I  343. 


8.  Aufl. 


9 


130 


Oriechisohe  LitteratnrgMohioliie.    I.  Klassisohe  Periode. 


spricht  schon  das  Yersmass,  das  uns  in  die  Zeit  nach  Euripides  weist.  ^) 
Auch  von  der  Kleobulina,  der  Tochter  des  Kleobulos,  sind  uns  einige 
lUtsel  erhalten.») 

99.  Phokylides  aus  Milet  und  Demodokos  von  der  Insel  Leros 
waren  gleichzeitige  gnomische  Dichter,  die  in  ihren  Versen  sich  gegen- 
seitig neckten.  Die  Blüte  des  berühmteren  von  ihnen,  des  Phokylides, 
wird  von  Suidas  auf  537  v.  Chr.  gesetzt;  er  hatte  Sittenregeln  in  Hexa- 
metern und  Distichen  geschrieben,  die  durch  den  einförmig  wiederholten 
Anfang  xai  rode  (P(axvX{d£(o  in  Absätze  von  wenigen  Versen  zerfielen.*)  Von 
ihnen  sind  nur  wenige,  zumeist  aus  der  Blumenlese  des  Stobäus,  auf  uns 
gekommen.  Dagegen  sind  vollständig  erhalten  die  sogenannter  Phoky- 
lidea,  ein  ehemals  vielgelesenes,  den  zehn  Geboten  gleichgestelltes  Leb- 
gedicht  in  230  Hexametern,*)  das  schon  gleich  im  Anfang  durch  den  Vers 
TiQiOTa  r^€(v  vffia^  fi€t€7T€iTa  dk  asXo  yovfjag  an  die  Gesetze  der  Juden 
erinnert.  Zweifel  an  der  Echtheit  des  Gedichtes  dämmerten  zuerst  dem 
Heidelberger  Gelehrten  Sylburg  auf;  Jos.  Scaliger  wies  dann  bestimmter 
auf  die  Übereinstimmung  einzelner  Sätze,  wie  von  der  Auferstehung  des 
Fleisches  (V.  103)  und  der  Aushebung  der  Vogelnester  (V.  84  f.  =  Deut. 
22,  6),  mit  der  Lehre  der  Bibel  hin  und  liess  die  Wahl  zwischen  einem 
jüdischen  oder  christlichen  Fälscher.  Zum  Abschluss  brachte  die  Frage 
Jak.  Bemays  in  der  klassischen  Abhandlung,  Über  das  phokylideische 
Gedicht  (Ges.  Abh.  1 192—261),  indem  er  nachwies,  dass  der  Fälscher  zu 
den  alexandrinischen  Juden  gehörte,  und  in  der  Zeit  zwischen  dem  2.  Jahr- 
hundert V.  Chr.  und  dem  Kaiser  Nero  gelebt  haben  muss.^) 

100.  Theognis  ist  der  einzige  Spruchdichter,  dessen  Elegien  in 
einiger  Vollständigkeit  auf  uns  gekommen  sind.  Seine  Abkunft  und  seine 
Lebenszeit  war  bestritten:  der  älteste  Zeuge,  Piaton  in  den  Gesetzen  I 
p.  630  a  nennt  ihn  einen  Bürger  des  hybiäischen  Megara  in  Sikilien.^) 
Das  muss  aber  ein  Irrtum  sein;  Theognis  war  wohl  nach  Sikilien  ge- 
kommen und  hatte  in  einem  Gedicht  der  rühmlichen  Thaten  der  hybiäischen 
Megarenser  gedacht;^)  aber  er  bezeugt  selbst  V.  773  u.  782  ff.,  dass  seine 


^)  Freigebig  in  Erdichtung  von  Werken 
war  besonders  der  Grammatiker  Lobon,  zu 
dessen  Zeit  man  aber  lyrische  Metra  wie  die 
den  7  Weisen  zugeschriebenen  nicht  mehr 
machte,  so  dass  dieselben  nicht,  wie  Suse> 
mihi  AI.  Lit  I  510  annimmt,  erst  von  Lobon 
fabriziert  sein  können;  s.  Hillbb,  Die  lii 
Thätigkeit  der  7  Weisen,  Rh.  M.  33,  518  ff. 

2)  Crüsius,  Philol.  LV  1  ff.  lässt  die 
Rätsel  aus  dem  Aesop-Roman  stammen. 

»)  Dio  Chrys.  or.  36,  12. 

*)  Yon^vddaa  genannt  TiaQMyiaeiSi  yya- 
fAaiy  xBfpdXata,  in  der  ed.  princ.  nolfjfÄa  vov- 
&€Jix6y. 

^)  Nur  der  eine  Vers  129  rijg  cTä  ^co- 
nyevatov  aotpiriq  Xoyog  iatiy  ägtarog  scheint 
die  christliche  Logoslehre  vorauszusetzen; 
Bemays  hat  denselben  als  Interpolation  ge- 
strichen. Näheres  über  die  Kontroverse  bei 
Susemihl  AI.  Lit.  U  642  Anm.  63. 


*)  Nach  Piaton  auch  Suidas;  dem  ent- 
gegen trat  Didymos  in  den  Scholien  zu  Pia- 
ton L  1.  fOr  das  nisäische  Megara  ein,  ebenso 
Harpokration  u.  Seoyyig.  Bsloch  Jahrb.  f. 
Phil.  137  (1888)  S.  729  nimmt  seine  Zuflucht 
zur  zweifelhaften  Annahme,  dass  Theognis 
in  dem  sikilischen  Megara  geboren  und  von 
dort  um  490  vertrieben,  in  dem  nisftischen 
Megara  Aufnahme  gefunden  habe.  Rbitzkv- 
STEiN,  Epigr.  277  wül  sich  mit  der  Annahme 
von  2  Dichtern  mit  Namen  Theognis  helfen. 

')  Vermutlich  in  der  von  Suidas  aiige> 
führten  iksyela  eis  rovg  awS^syrag  taiy  Ip^ 
Qaxovaitoy  iy  tß  noXioQxlif.  Piaton  wird  den 
Gelehrten  von  Syrakus,  die  sich  auf  diese 
Elegie  stützten,  gefolgt  sein.  Sitzlbb  in  der 
Ausg.  p.  52  und  Flach,  Griech.  Lyr.  p.  412 
wollen  jene  Elegie  unserem  Theognis  ab- 
sprechen. 


B.  Lyrik.    2.  Die  Elegie.    (§§  99— lOO.j  131 

Wiege  nicht  in  Sikilien,  sondern  in  dem  nisäischen  Megara,  der  Stadt  des 
Alkathoos,  stand.     Nicht  minder  waren  bezüglich  seiner  Lebenszeit  schon 
im  Altertum  falsche  Meinungen  verbreitet.     Eusebios  und  Suidas  setzen 
ihn  Ol.  58,  3;  nun  spricht  aber  Theognis  selbst  an  zwei  Stellen  V.  764  und 
775  von  der  Gefahr,  die  seiner  Heimatstadt  von  den  Modem  drohe.    Das 
kann  man  mit  jener  Überlieferung  nur  vereinigen,  wenn  man  den  Meder- 
krieg  auf  die  Unternehmungen  des  persischen  Heerführers  Harpagos  gegen 
die  ionischen  Staaten  Eleinasiens  deutet.^)    Aber  die  Gefahr  fttr  Megara 
lag  damals  noch  in  sehr  weiter  Ferne ;   die  ward  erst   greifbar  mit  dem 
Zage  des  Mardonios  gegen  das  griechische  Mutterland  (492).     Auf  diesen 
also  deuten  wir  jene  Verse,  und  dieses  um  so  unbedenklicher,   als   auch 
eine  andere  Stelle,  V.  891—4,  von  der  Verheerung  der  lelantischen  Ebene 
durch  die  Ejpseliden,  d.  i.  die  Athener   unter  dem  Eypseliden  Miltiades, 
ans  bis  auf  506  herabführt.     Danach  blühte  Theognis  in   der  2.  Hälfte 
des  6.  Jahrhunderts  und  erlebte  noch  die  Gefahr  eines  nahenden  Kriegs- 
zugs der  Perser.     Sein  Leben  war  ein  ausserordentlich  bewegtes  und  fiel 
in  die  Zeit  heftigster,  innerer  Parteikämpfe.     Es  befehdeten  sich  nämlich 
im  6.  Jahrhundert  in  Megara  wie  in  anderen  Staaten  Griechenlands  aufs 
grimmigste  der  alte  Adel   und  der  mit  Hilfe  von  Tyrannen   oder  dema- 
gogischen Parteichefs  zur  Macht    anstrebende  Demos.     Theognis  selbst 
war  ein   entschiedener  Anhänger   der  Adelspartei   und  schaute  mit  dem 
ganzen  Hochmut  eines  eingefleischten  Junkers  auf  die  Gemeinen   {xaxo() 
herab.  ^)    Aber  er  hatte,  als  die  Volkspartei  zur  Herrschaft  gelangt  war, 
seinen  Hochmut  schwer  büssen  müssen.     Seiner  Güter  beraubt,  musste  er 
lange  das  Brot  der  Verbannung  essen  und  kam   bei  dieser  Gelegenheit 
nach  Sikilien,  Böotien,  Euböa,  Sparta.^)    Später  scheint  er  wieder  in  seine 
Vaterstadt  zurückgekehrt  zu  sein  und  sich  in  die  veränderte  Staatsord- 
nung geschickt  zu  haben,*)    doch  ohne  den  Verlust  seiner  Güter  zu  ver- 
schmerzen mid  ohne  seiner  aristokratischen  Gesinnung  untreu  zu  werden. 
Geschrieben  hat  Theognis  nach  Suidas  eine  Elegie  auf  die  Geretteten 
von  den  Syrakusanem,  ein  Spruchgedicht  in  Elegien    an  seinen  geliebten 
Kymos,  Unterweisungen  an  andere  Genossen.*^)    Auf  uns  gekommen  ist 
eine  Sentenzensammlung  von  694  Distichen  in  zwei  Büchern,   von  denen 
das  erste  (1 — 1230)  politisch-moralische  Sprüche,   das  zweite,   das  nur  in 
dem  Cod.  Mutinensis  und  in  diesem  nicht  vollständig  erhalten  ist,  erotische 
Verse  auf  die  Liebe  zu  schönen  Knaben  {rtaiSixa)  enthält.«)     Den  Grund- 


>)  So  RoBDE  Rh.  M.  33,  170,  der  jene 
Teree  um  540  gedichtet  sein  Iftsst. 

*)  Siehe  besonders  V.  847—50. 

«)  V.  783  ff.,  789,  891,  1209.  Die  Nach- 
lichten  fiber  Kyme,  Eolophon,  Magnesia 
(1103  f.  ü  1024)  entnahm  er  wohl  dem  Eal- 
ÜDoe. 

«)  V.  945  ff.  n.  381  f.  Verlftssige  Schlflsse 
aaf  das  Leben  unseres  Dichters  lassen  sich 
freiUdi  ans  jenen  Versen  nicht  ziehen,  da  es 
ndat  ausgemacht  ist,  ob  sie  wirklich  von 
TheogBO»  herrflhren.  So  werden  gleich  die 
Vene  945  ff.  von  Bergk  und  Festa  dem  Selon 
n^ewiesen. 


*)  Suidas:  fygaxf/ey  iXeyBitty  ei^  tovg 
üotS^yjag  tiüv  £vQttxoai<oy  iy  rp  noXiogxitfj 
yyiüfAaq  dt*  iXeyelag  eig  inrj  ,/J(J,  [xal]  ngog 
KvQyoy  roy  avtov  iQuificyoy  yytofdoXoyiay  «ft' 
iXeyeitoy^  xttl  hi^ag  vTio&ijxag  itaQaiyeTtxdg^ 
xd  ntiyia  inixtog.  Dass  er  ausser  Elegien 
auch  Gedichte  in  anderen  Yersmassen  dich- 
tete, schliessen  Bebgk  Gr.  Litt.  11  309  und 
Reitzbustein  Epi^.  54  aus  Plat.  Men.  95  d. 

^)  Die  Echtheit  des  2.  Buches  bestreiten 
HiLLEB,  Jahrb.  f.  Phil.  1881,  p.  471  f., 
CoüAT,  Le  second  livre  d'614gies  attribu^  a 
Theognis,  Bordeaux  1883,  Abth.  Cobsbnk, 
Quaestiones     Theognideae ,      Geestemünde , 

9* 


132  GrieohiMhe  LitteratiirgMOhiohie.    L  KlAnisohe  Periode. 

stock  der  Sammlung  bildet  das  Spruchgedicht  an  Kyrnos,  den  Sohn  des 
Polypais,  einen  edlen  Jüngling,  den  der  Dichter  mit  väterlicher,  aber  doch 
der  Sinnlichkeit  nicht  ganz  entbehrender  Zuneigung  ^)  in  die  Lebensweisheit 
und  die  Grundsätze  des  aristokratischen  Regimentes  einführen  will.  Ein- 
gelegt sind  Stücke  aus  den  übrigen  vnodf^xat  des  Theognis,  namentlich 
aus  den  Elegien  an  seine  Freunde  und  Zechgenossen  Simonides,  Klearistos, 
Onomakritos,  Damokles,  die  alle,  ebenso  wie  Kymos,  wiederholt  in  den 
Elegien  angeredet  sind.  Aber  es  finden  sich  in  der  Sammlung  auch  Verse 
von  anderen  Dichtern  (von  Selon  153 — 4;  227 — 32;  1253—4;  Minmermos 
795  f.;  1017—22;  Tyrtaios  935—8;  Buenos  472),  die  zunächst  wohl  als 
Parallelen  zu  Sprüchen  des  Theognis  zugefügt  waren.  Aber  auch  damit 
nicht  genug,  begegnen  uns  an  verschiedenen  Stellen  zwei  Fassungen  der- 
selben Sentenz,  eine  getreuere,  ursprüngliche,  und  eine  gekünte,  der 
gangbaren  Sprache  näher  gerückte,  wofür  das  einleuchtendste  Beispiel  die 
Vergleichung  von  V.  213—8  und  1071—4  bietet.*)  Wir  haben  also  offen- 
bar eine  Blütenlese  vor  uns,  die,  da  sie  den  Namen  des  Theognis  an  der 
Stirne  trägt,  offenbar  auch  die  Elegien  des  Theognis,  und  in  erster  Linie 
das  Spruchgedicht  desselben  an  Eyrnos  zur  Grundlage  hat,  die  aber  dann 
nicht  bloss  durch  Kernsprüche  anderer  alter  Elegiker,  sondern  auch  durch 
ümdichtungen  jüngerer  Nachahmer  erweitert  wurde.  Die  Aussonderung 
der  verschiedenen  Bestandteile  bildet  eine  Sisyphusarbeit  für  den  Philo- 
logen, zumal  an  diese  Aufgabe  sich  noch  andere  Fragen  anknüpfen,  ins- 
besondere wann  und  zu  welchem  Zwecke  die  Sammlung  angelegt  wurde.') 
Reitzenstein,  der  in  seinem  Buche  Epigramm  und  Skolion  S.  52  —  86  diese 
Fragen  zuletzt  behandelt  hat,  lässt  die  beiden  Bücher  um  400  v.  Chr. 
entstanden  sein  und  gibt  ihnen,  indem  er  von  jedem  Unterrichtszwecke 
absieht,^)  die  Bestimmung,  als  Kommersbuch  für  attische  Trinkgelage  zu 
dienen.  Jedenfalls  lässt  sich  aus  der  Sammlung  noch  deutlich  die  Per^ 
sönlichkeit  des  Dichters  und  der  Ton  seiner  Poesie  erkennen.  Theognis 
war  ein  verbissener  und  verbitterter  Aristokrat,  aber  dabei  eine  origi- 
nelle Dichternatur,  voll  Lust  an  Wein  und  Gesang,  dazu  von  leidenschaft- 

Progr.  1887.  Neuerdings  tritt  mit  Recht  1  Sprachsammlung,  Rh.  M.  22,  181  ff.  lAsst  die 
wieder  Rbitzbnstbin,   Epigr.  81  ff.  fftr   die   {   Sammlung  zwischen  Piaton  nnd  Ptolemaios 


relative  Echtheit  und  das  gleiche  Alter  des 
2.  Buches  ein.  Da  in  dem  2.  wie  im  1. 
Kymos  sich  angeredet  findet,  so  hat  offen- 
bar erst  der  Anordner  aus  Anstandsrlick- 
sichten  die  erotischen  und  päderastischen 
Verse  in  eine  eigene  Abteilung  verwiesen, 
wie  bekanntlich  ähnliches  in  den  Antiken- 
sammlungen  von  Neapel  geschehen  ist. 

1)  y.  1049:  aol  «f  dyti  old  re  nai&i 
nttxrjQ  v7io%9^ofiM  avxoq.  Das  sinnliche  Ver- 
hältnis erkennbar  aus  V.  253  f.  Gegen  den 
Vorwurf  der  Knabenliebe  den  Theognis  ver- 
teidigen hiesse  einen  Mohren  weiss  waschen. 
Ueber  die  Knabenliebe  der  Megarenser  vgl. 
Theokrit.  XII  27  ff. 

')  M.  ScHAFEB,  De  iteratis  apud  Theo- 
gnidem  distichis.  Diss.  Halle  1891 ;  Studbhund 
Ind.  lect.  Vrat.  1890;  Reitzenstein,  Epigr.  60. 

')  NiETscHB,  Zur  Geschichte  der  Theogn. 


Philadelphos  entstanden,  aber  später  erwei> 
tert  sein.  Vermittelst  subtiler  metrischer 
und  prosodischer  Beobachtungen  sucht  die 
späteren  Bestandteile  ans  der  attischen  und 
alexandrinischen  Zeit  von  den  alten  des 
Theognis  zu  sondern  Sitzlbr  im  Tauber- 
bischofsheimer  Progr.  1885.  Em.  v.  Getso, 
Studia  Theognidea,  Diss.  Strassburg  1892 
unterscheidet  3  Anthologien  von  versus  mo> 
rales,  convivales,  erotici. 

*)  Rücksichten  auf  Erziehungszwecke 
liegen  schon  in  der  Aussonderung  der  päde- 
rastischen Verse  des  2.  Buches  zutage.  Aus 
der  Stelle  des  Isokrates  Nicocl.  44  Ir* 
6* et  TIS  ixXB^ue  xtay  Ti^sxcyvtay  noirjxtiw^ 
rag  xaXovfieyag  yytSfias  gebt  hervor,  dasa 
eine  ixXoyrj,  wie  sie  in  unserem  Theognisbuch 
vorliegt,  damals  zwar  noch  nicht  existierte, 
wohl  aber  schon  in  der  Luft  lag. 


B.  Lyrik.    2.  Die  Elegie.    (§  101.) 


133 


lieber  Liebe  zu  seinem  Liebling.  Seine  Elegien  sollten  nur  indirekt  zur 
sittlichen  und  politischen  Unterweisung  dienen;  zunächst  waren  sie  zum 
Gesang  bei  den  Gastgelagen  bestimmt,  ^)  wie  besonders  aus  V.  241  her- 
vorgeht: 

xal  ae  avv  avXlaxoiai  Xiyvipd-cyyoiq  väoi  avdqsq 
€tW(r/(0)g  igaroi  xald  %€  xai  hyäcc  \  ^aovTai, 

Erst  später  wurden  sie  ohne  Flötenbegleitung  vorgetragen*)  und  unter 
dem  Einfluss  der  Sokratiker,  des  Piaton,  Xenophon  und  Isokrates  in  die 
attischen  Schulen  als  Tugendspiegel  eingeführt.  Ihrer  bis  gegen  Ende  des 
Altertums  andauernden  Beliebtheit  verdanken  wir  die  Erhaltung  unserer 
Sammlung,  durch  die  indes  frühzeitig  die  ursprünglichen  Ausgaben  ver- 
drängt wurden. 

Hsopthandschrift:  Cod.  Mutineneis  (vielmehr  Veronensis)  s.  X  (A)  jetzt  in  Paris;  ihr 
zmiichst  vatic.  915  a  XIII  (neue  MitteUungen  von  Jobdan,  Quaest.  Theognideae,  Regiom. 
1885).  —  Aa8gsl)en  mit  krit  Apparat  von  I.  Bbkkbr,  Berol.  1815  u.  1827.  —  Zibglbb  ed.  II, 
Tnb,  1880.  —  SrrzLBB,  Heidelb.  1880.  —  Daneben  die  einschneidende  Bearbeitung  von  Bbbgk 
in  PL6.  Der  Erklftrong  nnd  Anordnung  gewidmet  ist  die  Ausgabe  von  Wblckbb,  Francof. 
1826.  —  Lateinische  Uebersetzung  der  Distichen  von  Hugo  Gbotius.  —  Guter  Jahresbericht 
von  Leütsch,  Phil.  29,  636--90. 

101.  Elegien  haben  ausserdem  in  der  älteren  Periode  die  von  uns 
an  anderer  Stelle  behandelten  Dichter  Archilochos,  Asios,  Xenophanes,  Par- 
menides  gedichtet,  denen  ich  ehrenhalber  die  epigrammatischen  Spruch- 
verse  des  Hipparch  auf  den  von  ihm  an  den  Landstrassen  gesetzten 
Hennen  anfüge  (Plat.  Hipp.  228  c).  In  der  attischen  Periode,  nach  den 
Perserkriegen  fand  das  Epigramm  und  die  Elegie,  namentlich  die  sympo- 
tische,  eifrige  Pflege,  so  dass  fast  alle  grossen  Dichter,  wie  Simonides, 
Aischylos,  Ion,  Antimachos,  überdies  Piaton  und  Aristoteles  nebenbei  auch 
Elegien  dichteten.  SpezieU  als  Elegiker  machten  sich  einen  Namen  Dio- 
nysios,  der  von  dem  Vorschlag,  kupferne  Münzen  statt  silberne  zu  schlagen, 
den  Beinamen  Chalkus  erhalten  hatte  und  in  einigen  seiner  Elegien  die 
Abgeschmacktheit  beging  den  Pentameter  dem  Hexameter  vorauszuschicken, 
die  beiden  Euenoi  aus  Paros,  von  denen  der  jüngere,  Zeitgenosse  des 
Sokrates,  wegen  seiner  weisen  Sinnsprüche  bei  den  Philosophen  in  beson- 
derer Ehre  stand,  Eritias,  einer  der  dreissig  Tyrannen,  der  ausser  so- 
phistischen Reden  und  Tragödien  auch  Elegien  unter  mannigfachen  Titeln 
schrieb.')  Einer  jüngeren  Periode  gehören  die  weisen  Scherze  {7ia{yvia) 
des  Philosophen  K  rat  es  aus  Theben  an,  der  ein  Schüler  des  Kynikers 
Diogenes  war  und  in  geistreichen  Versen  und  Reden  die  Moral  der  Ein- 
facheit  {fvvikeia)  verkündete. 


*)  Der  Anfang  eines  Distichons  V.  1365 
0  nai^mv  xaXXtüis  auf  einer  Trinkschale 
▼cm  Tanagra  in  Mitt  d.  arch.  Inst  zu  Athen 
IXlff: 

')  Die  Angabe  des  Ath.  682  d,  wonach 
TheogniB  keine  Melodien  filr  seine  Elegien 
gvdidbiei  habe,  ist  der  Üebnng  der  späteren 
Zot  entnommen. 

')  In  einer  der  erhaltenen  Elegien  zählt 


er  die  Erfindungen  der  einzelnen  Völker- 
schaften und  Städte  auf;  in  einem  hexamet- 
rischen Gedicht  (fr.  7)  preist  er  den  Anakreon; 
ob  er  auch  über  Homer  und  Archilochos  in 
Versen  oder  sophistischen  Xoyoi  gehandelt, 
bleibt  ungewiss.  Auch  in  Prosa  schrieb  er 
über  Staatsverfassungen,  s.  Mülleb  FHG  II 
68—71. 


134 


Ghrieelii«ch6  Lüteraturgesohiohte.    I.  KUssisohe  Periode. 


3.  Die  iambische  Poesie  und  die  Fabel. 

102.    Die  iambische  Poesie  (i;  twv  lafAßonotwv  nohfiiq)  hat  ihren  Na- 
men von  dem  iambischen  Rhythmus.    Dieser  Rhythmus,   den  wir  bereits 
in  den  Melodien  des  Terpander  vertreten  fanden,  hat  etwas  Erregtes,  un- 
ruhiges,  das  schon  in  der  rascheren  Aufeinanderfolge   der  Hebungen  des 
*/8  Taktes  {yävoq  imXaaiov)  gelegen  war,  noch  mehr  aber  durch  den  Auf- 
takt iambischer  Reihen  zum  Ausdruck  kam.     Dadurch  entfernte  sich  die 
iambische  Poesie  von  der  Feierlichkeit  daktylischer  Hymnen  und  näherte 
sich   dem   raschen  Ton   der  Umgangssprache.     Wie  aber  überaU   in   der 
griechischen  Litteratur,   so   hatte  auch  hier  die  Eigenartigkeit  der    me- 
trischen Form  einen  ähnlichen  Inhalt  zum  Begleiter:  aus  den  iambischen 
Versen  tönte  der  Streit  des  Lebens  und   der  Lärm  des  Marktes.     Wohl 
kam  dieser  Rhythmus  auch  bei  gottesdienstlichen  Festen  vor,  aber  nicht 
in  den  ernsten  Weisen  der  Priester  des  Zeus   und  Apoll,   sondern  in  der 
ausgelassenen  Festfeier  der  neu  zu  Ansehen  gekommenen  Gottheiten,  des 
lakchos  und  der  Demeter.^)    Der  Kult  dieser  Gtötter  war  bei  den  loniem 
in  Naxos,  Paros  und  Attika  zu  Haus ;  dem  ionischen  Stamme  gehörte  auch 
recht  eigentlich  die  iambische  Poesie  an.     Dem  ionischen  Kleinasien  ent- 
stammten ihre  Erfinder,   und  in   dem  stammverwandten  Attika  hat  sich 
aus  ihr  die  schönste  Blüte  der  Poesie,   die  Komödie  und  Tragödie,    ent- 
wickelt.    Ihre  Anfange  fallen  fast  gleichzeitig  mit  dem  ersten  Auftauchen 
der  Elegie;  ihre  Blüte  hat  aber  weniger  lang  angehalten,  da  ihre  Formen, 
der  iambische  Trimeter  und  trochäische  Tetrameter,   zu   einfach  waren, 
als  dass  die  stete  Wiederholung  derselben  lange  der  rasch  vorwärts  dräng- 
enden Entwicklung   der  griechischen  Musik  und  Rhythmik  hätte  genügen 
können.     Nachdem  sie  ihren  Hauptdienst  geleistet  und  ein  frischeres  Blut 
in  die  Adern  der  griechischen  Litteratur  gebracht  hatte,  machte  sie  me- 
lodischeren Formen  der  Lyrik  Platz  oder  ward  als  belebendes  Salz  in  an- 
dere Litteraturgattungen  aufgenommen.     In  den  Kanon  der  Alexandriner 
erhielten  nur  drei  lambographen  Aufnahme:  Archilochos,  Simonides,  Hip- 
ponax. 

103.  Archilochos  aus  Paros,  jüngerer  Zeitgenosse  des  Kallinos,*) 
blute  um  650,»)  jedenfalls  nicht  vor  dem  Lyderkönig  Gyges  (687—652), 
dessen  Reichtums  er  in  dem  Verse  (fr.  25)  ov  fioi  vd  rvyew  rot  noXvxqvaov 
fiäXev  gedenkt.  Sein  Vater  Telesikles  hatte  von  Paros  eine  Kolonie  nach 
der  Insel  Thasos  geführt;  seinen  Ahnherrn  Tellis  brachte  der  Maler  Po- 
lygnot,   der  selbst  aus  Paros  stammte,   in  der  ünterweltscene  neben  der 


>)  Yergl.  Aristoph.  Ran.  884—444.  Die 
Fabel  machte  die  Dienerin  lambe,  die  mit 
ihren  Spässen  die  am  ihre  Tochter  trauernde 
Demeter  zum  Lachen  brachte,  zur  Erfinderin 
des  lambns;  s.  Procl.  ehrest,  p.  242,  28  W. 

•)  S.  §  94. 

»)  Die  Stelle  bei  Herodot  I  12  Fryp?  • 
Tov  xai  'ÄQxi^ox^^  ^  Udgio^  xaxd  roy  avroy 
XQoyoy  yeyofieyo^  iy  iafißf^  xgif4^TQ<^  inefiyij- 
o9if  ist  interpoliert  Oppolzbb,  Sitzb.  der 
Wien.  Akad.  1882  S.  1  hat  die  von  Archilochos 
fr.  76  geschilderte  Sonnenfinsternis  anf  648 


y.  Chr.  berechnet  Dazu  stimmen  im  wesent- 
lichen Eusebios,  der  ihn  Ol.  28,  4  ansetzt, 
das  Marm.  Parium,  nach  dem  er  Ol.  24,  4 
die  Kolonie  nach  Paros  ftthrte,  und  Cornelius 
Nepos,  der  ihn  nach  dem  Chronographen 
ApoUodor  (Gellius  XVII  21,  8)  unter  Tnllns 
Hostilius  (670—638)  leben  lässt  Vgl.  Gelzsr, 
Zeitalter  des  Gyges  Rh.  M.  35,  230  ff.,  Roboe 
Rh.  M.  36,  557  f.  und  oben  §  93.  Bei  Snidas 
ist?  der  aus  Heaychius  Miledus  stammende 
Artikel  Archilochos  ausgefallen. 


B,  Lyrik.    8.  Die  iambisehe  Poesie. 


102—103.) 


135 


Eleoboia,  der  Stifterin  des  Demeterkultus  von  Thasos,  an  (Paus.  X  28,  3). 

Den  Archilochos  selbst  war  ein  wechselvolles,  an  Kämpfen  und  Drangsalen 

reicbes  Leben  beschieden.     In  einem  Distichon  (fr.  1)   drückt  er  schön 

seine  dopi>elte  Stellung  als  Bürgersoldat  und  Dichter  aus: 

sijul  i*  iyto  ^egccTTiov  fiiv  'Evvalioio  ävaxvog 

xal  Movtfäfov  sgarov  Swqov  iniaTaiisvoq. 

Aas  Not   Verliese  er  seine  Heimat  Faros  und  brachte  seine  Jugendjahre 

aaf  der  rauhen  und  unwirtlichen  Insel  Thasos  zu,^)  auf  der  aller  Jammer 

Griechenlands  zusammengeflossen  war   (fr.  54).    In  den  Kämpfen  gegen 

die  thrakischen  Saier  verlor  er  seinen  Schild,  über  welchen  Verlust  er  sich 

leichten  Sinnes  hinwegsetzte,   da  er  das  Leben  gerettet  habe  und  einen 

anderen  Schild  leicht  erwerben  könne.  ^)     Zu  Hause  in  Thasos  und  Faros 

erlebte  er   manche  Kränkung  und  Zurücksetzung:   ein  parischer  Bürger 

Lykambes  hatte  ihm  seine  Tochter  Neobule  verlobt,  dann  aber  ihre  Hand 

einem  anderen  gegeben,  wofür  sich  der  Dichter  in  beissenden  lamben  an 

seinem  vordem  erhofften  Schwiegervater  und  dessen  ganzer  Sippe  rächte.') 

Dann  führte  er  als  Kriegsknecht  ein  abenteuerliches  Leben,^)   nahm  an 

den  Kämpfen  in  Euböa   teil  und  fand  schliesslich  in  einem  Krieg  mit 

Naxos  den  Tod.«) 

Als  Dichter  wiesen  die  Alten  dem  Archilochos  die  nächste  Stelle  nach 
Homer  an:  wie  jener  das  Epos  geschaffen  und  gleich  auch  zur  Vollendung 
gebracht,  so  er  die  Foesie  der  subjektiven  Empfindung  und  des  beissenden 
Spottes.^)  Als  ein  Hauptverdienst  rechneten  sie  ihm  die  Erfindung  neuer 
metrischen  Formen  an:  7)  ausser  Elegien  dichtete  er  iambisehe  Trimeter 
und  trochäische  Tetrameter;  aber  auch  die  Verbindung  von  Versen  ver- 
schiedener Länge,  eines  iambischen  Trimeter  und  iambischen  Dimeter,  und 
von  Versen  verschiedener  Art,  des  gleichen  und  ungleichen  Rythmen- 
geschlechtes,  zu  einer  Feriode  brachte  er  in  seinen  Epoden  und  Asynar- 
teten^)  auf  und  wurde  so  Begründer  der  eigentlichen  Lyrik.  ^)  Auch  eine 
neue  Vortragsweise,  die  Farakataloge,  die  zwischen  dem  vollen  Gesang 
und  der  einfachen  Rezitation  die  Mitte  hielt,  soll  er  erfunden  haben,   in- 


*)  Aelian  V.  H.  X  13  referiert  aus  dem 
ELegiker  Kritias,  dass  Arch.  selbst  bezeuge, 
Sri  Ttaxaltniov  Uagoy  did  nsvlay  xai  äno' 
ffittv  ^XSey  h  Stiaoy,  Auf  seine  aftaxavia 
geht  Pmdar  P.  11  54. 

')  Fr.  6,  nachgeahmt  von  Alkaios  nach 
Herod.  Y  95,  An^eon  fr.  28  und  Horaz 
Od.  n  7,  10. 

>)  Fr.  27  u.  34,  worauf  Horaz  £p.  I  19, 
25  anspielt. 

*)  Fr.  23:  xai  dtj  'nixovgog  waxB  Kdg 
Me*hJ0Of£ai.  Des  Kampfes  in  Euböa  gedenkt 
er  fr.  4. 

»)  Heracl.  Pont  in  Müllbr's  FHG  II 210. 
D«n  Nftzier  Ealondas  wies  die  delphische 
Pythia  mit  den  Worten  ab:  Movctiwv  ^e^d- 
fforrff  xarixtayes  '  l|*^*  yrjov,  8.  Suidas  u. 
'J^Z^'  nach  Aelian;  Tgl.  Arist.  rhet.  11  28, 
TieOeicht  nach  dem  Moseion  des  Alkidamas. 

*j  YelleiOB  I  5:  negue  quemquam  Mum, 


euius  operis  primus  fuerit  auctor,  in  eo 
perfectissimum  praeter  Homerum  et  Archi- 
lochum  reperiemiM.  Schon  Herakleides  Pont, 
hatte  nach  Diog.  V  87  nagt  'Jqx^^^X^^'  *«i 
'0/ÄiJQov  geschrieben.  Beide  sind  zusammen- 
gestellt von  Antipater  Anth.  XI  20  und  Dio 
Chrys.  33,  11;  vereint  stellte  sie  die  Kunst 
dar,  wie  die  Doppelherme  des  Vatikan;  der 
gestrenge,  bärtige  Kopf  mit  einem  bitteren 
Zug  in  den  Mundwinkeln  bei  Visconti  Icon. 
gr.  pl.  2,  6  und  Bauxbisteb,  Denkm.  d.  klass. 
Alt.  p.  116. 

')  Marina  Vict.  HI  2. 

*)  Die  Asynarteten,  wie  'Egafffiovldij 
XagiXae  XQVf^"^  ^^  yiXoioy,  waren  nur  ftusser- 
lieh  von  den  Epoden  verschieden,  indem  bei 
ihnen  die  2  verschiedenen  {äavydQxtixa) 
Glieder  (rnoXa)  in  1  Zeile  zusammenge- 
schrieben waren. 

•)  Theocrit  epigr.  19. 


136 


Orieohiflche  Litteraturgesohichte.    I.  ElassiBche  Periode. 


dem  er  halbsingend  und  halbsprechend  {^aipMdog  xaraläywv)  sich  nur  an 
den  Hauptstellen  durch  ein  begleitendes  Instrument,  die  lambyke,  im  Vor- 
trag unterstützte.^)  Aber  der  Reichtum  und  die  Vollendung  der  metrischen 
Form  war  es  nicht  allein,  welche  dem  Archilochos  eine  so  hervorragende 
Stelle  in  der  griechischen  Litteratur  verschaflfte;  er  war  auch  ein  gott- 
begnadeter Dichter,  voll  Glut  der  Leidenschaft  und  Klarheit  des  Blickes, 
der  mit  den  Spottiamben  sich  energisch  gegen  die  Unbill  und  Gemeinheit 
seiner  Feinde  zur  Wehr  setzte,*)  daneben  aber  auch  in  lieblichen  Bildern 
sein  Liebchen  besang  (fr.  7.  13).  Mit  Geschick  flocht  er  das  populäre 
Element  der  Fabel  {ahog)  in  seine  Lieder,  3)  erfand  die  schöne  Kunst  mit 
reizender  Aufschrift  den  Wert  des  Weihgeschenks  zu  erhöhen  (fr.  17), 
und  stellte  die  leichtbeschwingten  Weisen  seiner  Poesie  auch  in  den  Dienst 
der  Siegesfeier^)  und  des  volkstümlichen  Kultus  des  Dionysos  und  der 
Demeter  (fv  zoTg  toßdxxoig).  Schade,  dass  von  einem  im  Altertum  so 
hochgefeierten  Dichter,  welcher  der  alten  Komödie^)  und  später  in  Rom 
dem  venusinischen  Dichter  zum  Vorbild  diente,  nur  spärliche  Bruchstücke 
auf  uns  gekommen  sind. 

1Ü4.  Simonides  (Semonides),^)  der  Amorginer  genannt  im  Gegensatz 
zu  dem  Lyriker  Simonides  aus  Keos,  hat  diesen  Zunamen  von  der  kleinen 
Insel  Amorgos,  nach  der  er  selbst  von  Samos  aus  eine  Kolonie  führte. 
Seine  Blüte  fiel  um  625.  ^)  Nach  Suidas  hatten  die  Alten  von  ihm  Elegien, 
von  denen  eine  die  Geschichte  von  Samos  {aQxaioloyfa  rwv  2afuwv)  be- 
handelte, ^)  und  zwei  Bücher  lamben.  Erhalten  ist  uns  ausser  losgerissenen 
Kleinigkeiten  durch  Stobaios  ein  pessimistisches  Gedicht  auf  das  schlimme 
Los  der  Menschen  und  ein  grosses  Spottgedicht  auf  die  Weiber.*)  Im 
letzteren  führt  er  den  auf  Hesiod  Op.  700  zurückgehenden  Gedanken 

yvvaixog  ovdhv  XQVf^*  dvrJQ  Xrji^sTai 

ia&Xijg  aiieivov  ovdk  ^(yiov  xax^g 
näher  aus,  indem  er  das  Weib  der  Reihe  nach  mit  dem  Schwein,   dem 


')  Flut,  de  mus.  28.  üeber  den  Vortrag 
der  Verse  des  Archilochos  durch  Rhapsoden 
8.  Fiat.  Ion.  p.  531a  und  620  b.  Dass  er  da- 
neben auch  Gedichte  zur  Flöte  dichtete,  sagt 
er  selbst  fr.  76,  123. 

')  Quintil.  X  1, 60  rühmt  an  Archilochos: 
validae,  tum  brevea  vibrantesque  sententiae, 
plurimum  sanguinis  atque  nervorum,  adeo 
ut  videatur  quibusdam  quod  quoquam  minor 
estf  materiae  esse,  nan  ingenii  Vitium, 

*)  Fr.  86  u.  88;  vgl.  Julian  or.  VII  p.  207. 
Auch  hierin  knüpft  Archilochos  an  Hesiod  an. 

^)  In  dem  iambischen  Gedicht  auf  die 
Siege  des  Herakles  und  seines  Wagenlenkers 
lolaos,  das  noch  in  Pindars  Zeit  den  Siegern 
zu  Ehren  in  Olympia  gesungen  wurde,  s. 
Find.  Ol.  IX  1  und  Sybbl  Herrn.  V  192  ff. 

^)  Eratinos  schrieb  '^^/lAo/o»,  Alexis 
einen  *^qx^^X^^j  Aristophanes  entlehnte  ihm 
die  schönsten  Versmasse;  nur  Findar  F.  II 
55  spricht  tadelnd  von  dem  iffoysQog  'j4qx^- 
XoxoSi  und  in  Sparta,  wo  man  keinen  Spass 
verstand,  waren  seine  Gedichte  verpönt;  s. 
Flut.  Inst.  Lac.  34;  Val.  Max.  VI  3  extr. 


*)  Der  Unterscheidung  halber,  aber  ohne 
genügende  Berechtigung  ward  schon  von  alten 
Grammatikem  (E.  M.)  der  lambograph  Semo- 
nides  mit  e,  im  Gegensatz  zu  Simonides  dem 
Lyriker,  geschrieben. 

^j  Mann.  Farium  und  Suidas  setzen  ihn 
gleichzeitig  mit  Archilochos,  das  erstere 
Ol.  28,  4,  der  zweite  490  post  Troica.  Wenn 
die  Gründung  von  Thasos  Ol.  15  oder  18, 
die  von  Amorgos  Ol.  22  angesetzt  wurde,  so 
spiegelt  sich  darin  der  Zeitunterschied  zwi- 
schen Archilochos  und  Simonides  wieder. 
Froklos  ehrest,  p.  243,  21 W.  setzt  den  Archi- 
lochos unter  Gyges,  den  Simonides  unter  die 
Regierung  des  makedonischen  Königs  *Ayayiots^ 
was  aus  'JQyaiov  korrumpiert  scheint  and 
auf  640    610  führt. 

^)  Unserem  lambographen  Simonides 
gehört  wohl  auch  die  unter  den  Fragmenten 
des  Simonides  Ceus  fr.  88  stehende  Elegie, 
deren  pessimistische  Anschauung  ganz  sa 
unserem  Dichter  passt 

*)  Die  Fragmente  neu  bearbeitet  von 
0.  Hoffmann,  Griech.  Dial.  II  125^135. 


B.  Lyrik.    8.  Die  iambisohe  Poesie.    (§§  104—106.)  137 

Fuchs,  dem  Hund,  der  Erde,  dem  Meere,  dem  Esel,  Wiesel,  Pferd,  Affen 
vergleicht  und  nur  die  einen,  welche  von  der  Biene  abstammen,  in  Ehren 
bestehen  lässt.^)  Im  ganzen  sind  seine  lamben  weit  zahmer  als  die  des 
Archüochos,  indem  sie  die  allgemeine  Reflexion  an  die  Stelle  des  persön- 
Uchen  Spottes  setzen.*)  Doch  hatten  die  Alten  auch  giftigere  Verse  von 
ihm,  m  denen  er  einen  gewissen  Orodoikides  verfolgte. ') 

105.  Hipponax  von  Ephesos  lebte  zur  Zeit  des  Vordringens  der 
Perser  nach  der  griechischen  Küste  und  musste  um  542  dem  unter  persi- 
schem Schutz  in  seiner  Vaterstadt  eingesetzten  Tyrannen  Athenagoras 
weichen.^)  Er  wandte  sich  nach  Elazomenä,  wo  er  sein  übriges  Leben 
in  Dürftigkeit  als  halber  Bettler  (fr.  16—19)  verbrachte.  In  seinen  Dich- 
tungen verfiel  er  wieder  ganz  in  den  Lästerton  des  Archilochos,  nur  dass 
er  diesen  durch  das  Pöbelhafte  seiner  von  der  Oasse  geholten  Sprache 
noch  übertrumpfte.  Mit  grimmem  Spott  verfolgte  er  namentlich  den  Bild- 
hauer Bupalos  und  dessen  Bruder  Athenis,  welche  die  hagere  und  häss- 
liche  Gestalt  des  Dichters  karikiert  hatten.  Er  wird  Erfinder  der  Parodie 
und  der  Gholiamben  genannt.  <^)  In  hinkenden  lamben  ist  kein  ganzes 
Gedicht  auf  uns  gekommen,  wohl  aber  haben  wir  einzelne  hinkende  Tri- 
meter  und  Tetrameter,  wie  die  famosen 

Sv'  rlfAäQai  yvraixog  elaiv  ridicxai^ 
orav  yccfjt^  xig  xaxiptQy  tev^vrjXvTav, 
Man  fühlt  die  Geschicklichkeit  des  Griffes,   mit  der  Brechung  des  Rhyth- 
mus das  Lahme  und  Hässliche  nachzuahmen. 

Grosse  Vertreter  des  Spottgedichtes  hat  es  ausser  diesen  dreien  nicht 
gegeben.  Kleine  Spielereien  gab  es  von  Ananios,  der  mit  Hipponax 
gleichalterig  war,  Hermippos,  einem  Zeitgenossen  des  Perikles,  der  Ko- 
mödien und  lamben  schrieb,  Skythinos  aus  Teos,  der  nach  dem  Philo- 
sophen Heraklit  lebte,  Kerkidas  aus  Megalopolis,  der  zur  Zeit  des  Philipp 
die  Gattung  des  lyrischen  Spottgedichtes  (Meliamboi)  erfand,  Aischrion 
ausHytilene,  einem  Freund  des  Aristoteles,  von  dem  uns  durch  Ath.  335  b 
eine  witzige  Ehrenrettung  der  Hetäre  Philainis  erhalten  ist, ^)  Hermeias 
aus  Knrion  in  Kypern,  von  dem  Hephästion  p.  67,  11  auch  einen  kre- 
tischen Vers  aufgezeichnet  hat,  Phoinix  aus  Kolophon,  der  um  Ol.  118  zur 
Zeit  des  Königs  Lysimachos  Gholiamben  und  ein  Gedicht  auf  die  Einnahme 
seiner  Vaterstadt  dichtete. 

106.  Die  Fabel  {alvog,  fniO^og,  Xoyog,  ccTioloyog) ')  ist  ihrem  ältesten 
Namen  (alvog)   nach  eine  Erzählung  von  lehrhaftem  Charakter;   speziell 

')  Man  erwartet  in  dem  grossen  Gedicht 
▼on  118  Versen  Gleichheit  der  einzelnen 
Alwehnitte;  diese  sachten  durch  kühne  Eon- 
iektiiren  herzustellen  Eibsslino  u.  Ribbbck, 
Wl  IL  19,  136  «F.  u.  20,  74  flf. 

')  Dahin  gehört  wahrscheinlich  auch 
0  liftariöov  (jLaxgog  Xoyog  (Aiist.  Met.  p. 
1091a  7),  der  nach  Alezander  Aphrod.  z. 
St  die  Entachnldigungsreden  von  Sklaven 
enthielt 

*)  Luc.  Pseudol.  2. 

*)  Ich   beziehe  darauf  den   Ansatz  des 


nius  N.  H.  36,  5  setzt  ihn  Ol.  60. 

')  Die  hinkenden  lamben  haben  nach 
ihm  den  Namen  Hipponactei  versus  erhalten; 
Erfinder  der  Parodie  nennt  ihn  Polemon  bei 
Athen.  698  b,  indem  er  zugleich  4  parodische 
Hexameter  von  ihm  anftihrt. 

')  Aischrion  schrieb  auch  ein  episches 
Gedicht  ^E<pTjfĀQtdeg ;  s.  Suidas  und  Tzbtzbs, 
Chil.  VUI  405. 

7)  alyos  =  Erzählung  in  Od.  14,  508, 
=  Tierfabel  in  Hes.  Op.  202,  Archil.  fr.  86; 

fÄv^og^  wovon  fabtda  die  lat.  Uebersetzung 

Hipponax  in  Marm.  Par.  auf  Ol.  59,  3;  Pli-   i  ist,  fbadet  sich  zuerst  bei  Aeschyl.  fr.  135  u. 


138 


Ghrieohisohe  litteratnrgMohiohte.    L  KlMisisohe  Periode. 


verstanden  schon  Hesiod  und  Archilochos  darunter  eine  Erzählung  aus 
der  Tierwelt.  ^)  Als  Erzählung  fällt  sie  in  die  Sphäre  der  epischen  Poesie; 
sie  aber  hier  zu  behandeln,  mahnt  ihre  häufige  Anwendung  bei  den  iam- 
bischen  Dichtem  und  ihre  Einkleidung  in  iambisches  Yersmass  bei  den 
erhaltenen  Fabeldichtem  Phädrus  und  Babrios.  Märchen  und  Tierfabeln 
pflegen  wie  keine  andere  Gattung  der  Litteratur  von  Volk  zu  Volk  za 
wandern,  und  so  haben  nicht  bloss  die  griechischen  Fabeln  zu  den  Lateinern, 
Deutschen,  Indem  ihren  Weg  gefunden,  sondern  sind  umgekehrt  auch  nach 
Griechenland  aus  fremden  Ländern  viele  sinnige  Beobachtungen  vom  Leben 
der  Tiere  gekommen.  >)  Ist  es  auch  sehr  fragwürdig,  ob  schon  die  In- 
dogermanen,  wie  Jak.  Grimm  in  der  Einleitung  zum  Reinhart  Fuchs  an- 
nahm, einen  Schatz  von  Tierfabeln  in  ihre  späteren  Wohnsitze  mitbrachten, 
so  stammen  doch  unzweifelhaft  viele  Fabeln  der  Griechen  aus  der  Fremde, 
aus  Ägypten,  Indien,  Phrygien,  Earien.  Es  waren  wohl  zumeist  die  fremd- 
ländischen Sklaven,  die  solche  Erzählungen  aus  ihrer  Heimat  mitbrachten 
und  damit  bei  den  Griechen,  die  selber  schon  von  Hause  aus  an  scharfe 
Naturbeobachtung  gewöhnt  waren,  Beifall  fanden.  Mit  der  Zeit  wurden 
auch  Sammlungen  von  Freunden  dieser  volkstümlichen  Poesie  veranstaltet 
Neben  den  äsopischen  Fabeln  kennt  schon  Aischylos  Fr.  135  und  Aristo- 
teles Rhet.  II  20  die  libyschen  Erzählungen;^)  dazu  kamen  später  die 
sybaritischen  Witzfabeln  aus  dem  Kreise  der  menschlichen  Gesellschaft,^) 
und  die  Aufzeichnungen  von  phrygischen,  karischen,  kilikischen,  ägyptischen, 
kyprischen  Tier-  und  Pflanzenfabeln.  ^)  Dabei  darf  man  sich  nicht  wundem, 
wenn  teils  die  Tiemamen  je  nach  dem  Orte  wechselten,^)  teils  dieselbe 
Fabel  früher  im  politischen,  später  im  ethischen  Sinne  gedeutet  wurde. ') 


Plato  Phaedr.  61b,  Rep.  350  e;  Xoyog  bei 
Herod.  I  141  u.  II  184;  apologus  in  der  Be- 
deutung einer  Erzählung  aus  der  Tierwelt 
steht  bei  Quintil.  VI  3, 44  und  Gellius  II  29, 1  ; 
imuvd-ia  und  iniXoyoi  hiessen  die  Nutzan- 
wendungen am  Schluss,  die  erst  in  den 
Schulen  der  Grammatiker  und  P&dagogen 
hinzukamen. 

1)  Heg.  Op.  198—208;  Arch.  fr.  86;  Lud- 
wich in  Einleitung  der  Ausg.  der  homerischen 
Batrachomachie. 

')  Näheres  darüber  in  der  inhaltreichen 
Abhandlung  von  0.  Keller,  Geschichte  der 
griechischen  Fabel,  in  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl. 
IV  309—418,  worauf  ich  bezüglich  der  vielen 
hiebei  in  Frage  kommenden  Kontroversen 
verweise.  Die  Wanderung  der  Fabeln  lehrt 
im  einzelnen  Brnfby  in  der  berühmten  Be- 
arbeitung des  indischen  Fabelbuches  Pantscha- 
tantram,  Leipz.  1859,  2  Bde.  Vgl.  Lessino, 
üeber  die  äsopischen  Fabeln,  Gesamtausg. 
von  Lachmann  V  395  ff.;  Prantl,  Ueber  das 
Tierepos  bei  den  Schriftstellern  des  späteren 
Altertums,  in  PhUol.  VII  (1852)  61—76. 

')  Babrios  im  2.  Proömium  V.  5  nennt  als 
Verfasser  der  libyschen  Fabeln  den  Kibysses. 

*)  Arist.  Vesp.  1259:  AtawnBiov  yiXoiov 
i  IvßoQiiucoy.  Schol.  Arist.  Av.  471:  twy 
cf^  fiv9ioy  ol  fikv  dXoytoy  C^'aiv  eiaiy  AUftonov, 


ol  di  negl  ay&Qoinioy  £vßaQitucol.  Gegen 
diese  Sonderung  polemisiert  Tbeon  in  Rhet 
gr.  ni  73,  9  Sp. 

*)  Theon  Progymn.  c.  8:  ol  Xoytn  xa- 
Xovtrrai-  Aüfaineioi  xal  Aißwruxol  17  Svßtt- 
Qitixoi  TS  xal  ^Qvyioi,  xai  KiXixio&  xai  Ka^- 
xoL  xai  Aiyvnrioi  xal  KvnQioi*  weiter  unten 
werden  als  Verfasser  von  Fabeln  genannt 
JtcioTios,  Koyyig  6  iCtittl,  Sovgof  6  £vßa^ttigf 
Kvßiaaos  ix  Aißvijg,  Eine  Pflanzenfiabel  ist 
die  vom  Streit  des  Oelbaums  und  Lorbeers 
bei  Callim.  fr.  93.  Aug.  Wühsghb,  Die  Pflan- 
zenfabel in  der  orientalischen  und  clasaiBchen 
Litteratur,  Beil.  d.  Allg.  Zeit.  1897  Nr.  59-61. 

*)  Den  Schakal  als  Berater  des  LOwen 
bei  den  Indem  ersetzte  bei  den  Griechen 
der  Fuchs;  s.  Kbllbb,  a.  0.  337  f.,  Tiere 
des  klass.  Altertums  S.  193.  Wahischeinlieh 
kommt  auch  der  Name  dXmntj^  von  l&päsoy 
was  im  Sanskrit  Schakal  bedeutet. 

')  So  erzählte  Stesichoros  die  Fabel  vom 
Pferd,  das,  um  sich  an  dem  Hirsch  zu  rächen, 
den  Zaum  von  dem  Menschen  ftnt>ftliTn  den 
Himeräem,  damit  sie  sich  vor  dem  Tyrannen 
Phalaris  hüteten;  siehe  Arist  Rhet.  II  20. 
Ebenso  warnte  Aesop  selbst  die  Samier  v<tt 
den  Demagogen,  indem  er  ihnen  die  Fabel 
vom  Fuchs,  Blutegel  und  Igel  eR&hlte;  ihn*  ■ 
lieh  ist  die  Erzählung  von  Menenins  Agrippa. '. 


B.  Lyrik.    3.  Die  Umbisohe  Poesie.    (§  107.) 


139 


Die  Griechen  selbst  hatten  nicht  bloss  wie  alle  noch  im  Naturzustand 
lebenden  Völker  grosses  Gefallen  an  solchen  Fabeln,  sie  verwendeten 
de  auch  frühzeitig  zu  pädagogischen  Zwecken,  indem  sie  an  ihnen  das 
jogendliche  Oemüt  bildeten,  i)  Den  Grundstock  der  griechishen  Fabeln 
bildeten  die  äsopischen,  und  von  dem  Vater  derselben  soll  hier  noch  in 
Kürze  gehandelt  werden. 

Vn.  Aesop  (JS^ifwTtog)  war  nach  der  einzigen  glaubwürdigen  Nach- 
richt des  Herodot  11  134  Sklave  des  ladmon  in  Samos  zur  Zeit  des 
Königs  Amasis,  also  um  die  Mitte  des  6.  Jahrhunderts.  Herodot  erzählt 
auch,  offenbar  nach  Erkundigungen,  die  er  während  seines  Aufenthaltes 
in  Samos  eingezogen,  dass  der  Enkel  jenes  ladmon  von  den  Delphiern 
ein  Sühngeld  für  den  erschlagenen  Aesop  empfangen  hatte.  Allgemein 
muss  also  damals  bereits  die  Kunde  von  dem  gewaltsamen  Tode  des 
Fabeldichters  in  Delphi  verbreitet  gewesen  sein.  Die  Veranlassung  des 
Todes  gibt  Herodot  nicht  an;  die  Späteren  wissen  bald  von  der  bösen 
Zunge  des  Aesop  zu  erzählen,  bald  von  der  Unterschlagung  der  Geschenke 
des  Königs  Krösus,  bald  von  dem  Diebstahl  einer  silbernen  Schale.^) 
Zeigt  sich  hier  schon  die  Neigung  der  Alten,  mit  freier  Phantasie  die 
Lacken  der  Überlieferung  zu  ergänzen,  so  noch  mehr  in  all  dem  andern 
Detail,  was  das  spätere  Altertum  von  der  Herkunft,  dem  Leben  und  der 
Gestalt  des  Vaters  der  Fabeldichtung  den  jungen  und  alten  Kindern  auf- 
tischte.*) Herakleides  Pontikos  machte  ihn  zum  Thraker,*)  vermutlich  weil 
seine  Mitsklavin,  die  berüchtigte  Hetäre  Rhodopis,  nach  Herodots  Zeugnis 
eme  Thrakerin  war;  andere  Hessen  ihn  aus  Phrygien  stammen,  vielleicht 
weil  der  Kern  seiner  Fabeln  phrygischen  Ursprung^)  verriet.  Neuere  dachten 
an  äthiopische  Herkunft,  indem  sie  den  Namen  Aisopos  für  eine  Verstüm- 
melung aus  ^«^loi// erklärten.«)  Zusammenkommen  liess  man  ihn  mit  dem 
reichen  König  Krösus  und  mit  den  7  Weisen  Griechenlands.'')  In  Athen, 
dem  Centrum  des  Witzes  und  der  Gescheutheit,  musste  der  witzige  Dichter 
natürlich  auch  gewesen  sein.*)  Selbst  von  dem  Reiche  der  Schatten  liess 
ihn  die  attische  Komödie  wieder  auferstehen.*)     Von  Gestalt  dachte  man 


Vgi  L  Spbkoel  im  Kommentar  za  Arisiot. 
Rbet  n  20,  8.  —  Wie  beliebt  auch  später 
nodi  bei  den  Athenern  die  Tierfabel  war, 
lagen  die  Fragmente  des  Redners  Demades. 

')  Aiistoph.  Av.  471;  Hennogenes  pro- 
Sjvm.  1 :  Toy  ßjtv^oy  ngwtoy  d^iovat  ngood- 
ytiy  Totg  yf<M^j  Öxt  ing  iffv^ng  avtav  ngog 
M  ßünoy  ^Sfii^Hy  dvyatat, 

')  Arist.  Vesp.  1446  bringt  die  Beschol- 
^igong  des  Diebstahls  mit  einer  Fabel  des 
Aewp  vom  Kftfer  nnd  Adler  in  Verbindung; 
flcrAasdmck  Jiawneioy  alfia  wurde  sprich- 
w&tiicb,  8.  Zenob.  I  47,  Ps.  Diog.  I  47,  Himer. 
er.  Xni  5.  Aristoteles  gedachte  der  Sage  in 
fa"  Politie  der  Samier,  fr.  445  Rosb. 

>)  ffinen  vollständigen  Roman  über  das 
I*^  des  Aesop  haben  wir  aus  dem  Mittel- 
•^,  der  fUsclilich  —  wir  haben  ältere 
Huidachiiften    —    anter    dem  Namen    des 


Planudes  geht;  vgl.  Ebumbaghbr,  Byz.  Lit.' 
897.  Mit  dem  alten  Köhlerglauben  hat 
gründlich  aufgeräumt  Bbntlby,  De  fabulis 
Aesopi,  im  Anhang  zu  den  Epist.  Phalarideae. 
Vgl.  Gbaubrt,  De  Aesopo  et  fabulis  Aesopeis, 
Bonn  1825. 

*)  Fr.  3;  danach  Schol.  Arist.  Av.  471. 
SuidaQ  u.  AXawnoq  *  Evyslxfoy  di  MeatjfAßgi- 
ayoy  einsy. 

»)  Die  Chrys.  or.  32  p.  684,  Gellius  II  29, 
Aelian  V.  H.  X  5,  Himer.  XIII  5. 

«)  Wblcker  Kl.  Sehr.  II  254  f ;  Zündel 
Rh.  M.  5,  447  ff.;  dagegen  Keller  a.  0.  375. 

')  Plut.  Sol.  28;  Conv.  sept.  sap.  c.  4. 

^)  Phaedr.  12  u.  II  epil.  Alexis  dichtete 
eine  Komödie  Aiaamog,  worin  ein  Zwie- 
gespräch des  Aesop  und  Selon  vorkam. 

*)  Piaton  der  Komiker  bei  Schol.  Arist, 
Av.  471. 


140 


Grieehisehe  Litieratargesehiohte.    I.  KlMunsohe  Periode. 


ihn  sich  höckerig  und  verwachsen;^)  denn  den  von  Natur  Vernachlässigten 
pflegt  ja  bekanntlich  zumeist  der  Stachel  beissenden  Mutterwitzes  gegeben 
zu  sein.  Eine  ganze  Serie  von  Abenteuern  wurde  ihm  angedichtet,  bis 
er  schliesslich  selbst  fllr  eine  blosse  Fiktion  ausgegeben  wurde.*)  Seine 
Fabeln  erzählte  Aesop  in  schlichter  Prosa,  was  auch  in  den  Namen  Idym 
und  Xoyonoioq  ausgedrückt  ist.')  Dass  er  sie  niedergeschrieben  habe,  hat 
mit  Recht  Bentley  bezweifelt,  da  der  Alte  in  Aristophanes  Wespen  V.  566 
(vgl.  1259)  die  lustigen  Geschichtchen  {yeXoXa)  Aesops  nicht  aus  einem 
Buch,  sondern  aus  den  Unterhaltungen  bei  den  Gelagen  lernt.  Zuerst  soll 
Sokrates  im  Gefängnis  die  zuvor  nur  mündlich  kursierenden  Fabeln  in  Verse 
gebracht  haben.*)  Später  veranstaltete  Demetrios  von  Phaleron  eine  Samm- 
lung äsopischer  Fabeln  in  Prosa  {Xoydnv  Avaoanelwv  awaydoyaC)^  welcher  die 
Sammlungen  libyscher  Fabeln  von  Eybissos,  kilikischer  von  Eonnis,  syba- 
ritischer  von  Thuros  folgten.  Die  Sammlung  des  Demetrios  ist  so  wenig 
wie  eine  der  andern  auf  uns  gekommen ;  erhalten  sind  uns  aus  dem  Alter- 
tum nur  die  poetischen  Bearbeitungen  des  Babrios,  Phädrus,  Avianus.  Aus 
dem  Mittelalter  stammen  prosaische  Metaphrasen  äsopischer  Fabeln,  die 
Fabeln  des  Syntipas,  und  eine  in  choliambischen  Tetrametern  verfasste 
Sammlung  des  Ignatius  Diakonos  aus  dem  9.  Jahrhundert. 

Fabelsammlungen:  Die  zuerst  (1479)  gedruckte  Sammlung  war  die  des  byzantinischeD 
Mönches  Planudes  von  144  Fabeln.  Dazu  kamen  neue  Fabeln  von  Nivolbtti  ex  bibl.  Pala- 
tina,  Frankfurt  1610,  von  Db  Fctria  aus  Florentiner  Handschriften,  Flor.  1809,  von  J.  G. 
ScHNBiDEB  1812  aus  dem  cod.  Augusfcanus  =  Monac.  564,  von  Eköll  1877  aus  dem  cod  Bod- 
leianus  2906,  von  Stebnbach  (Abb.  d.  Erak.  Ak.  pbil.  1894)  aus  cod.  Paris.  690  —  Sammel- 
ausgaben: Mv&üjy  Aitftoneifov  avyaytoyij  von  Korabs,  Par.  1810;  Fabulae  Aesopicae  von 
Halm  in  Bibl.  Teubn.  —  Hausbath,  Untersuchungen  zur  Ueberlieferung  der  äsopischen 
Fabeln  in  Jahrb.  f.  Phü.  Suppl.  XXI  247  ff. 


4.  Arten  der  Lyrik  im  engeren  Sinn.^) 

108.  unter  lyrischen  Gedichten  {fie'Xrj)  im  engeren  Sinn  verstanden 
die  Griechen  solche,  die  gesungen  wurden  und  zum  Singen  von  vornherein 
durch  ihre  Form  angelegt  waren.  Charakteristisch  für  dieselbe  ist  daher 
die  strophische  Komposition  {noirjfia  xazd  ncgfoSor).  •  Denn  für  die  Alten, 
welche  die  musikalische  Komposition  eng  der  Form  des  Textes  anpassten, 
war  die  Vereinigung  mehrerer  Glieder  (xcola)  zu  einem  grösseren  Satz 
(7€€Q{odog)  die  naturgemässe  Voraussetzung  der  Singbarkeit.  Mit  dem  Ge- 
sang hängt  dann  eine  zweite  Eigentümlichkeit  der  Form,  die  Verbindung 
von  daktylischen  und  trochäischen  Füssen  oder  der  Gebrauch  von  logaödi- 
sehen  Reihen  zusammen.  In  solchen  Versen  nämlich  traten  zum  Unter- 
schied von  langen  und  kurzen  Silben  oder  ganzen  und  halben  Noten,  mit 
denen  sich  kaum   eine  einigermassen  klangvolle  Melodie  herstellen  liess, 


^)  Lysipp  nach  Agathias  35,  Aristode- 
mo8,  ein  Schüler  Lysipps,  nach  Tatian  adv. 
Graec.  55,  hatte  ihn  neben  den  7  Weisen  in 
Athen  gebildet. 

'•)  Wblckbr,  Aesop  eine  Fabel,  in  Kl. 
Sehr.  II  228  ff. 

«)  Theon,  Progymn.  p.  73,  27  Sp. 

*)  Als  eine  Fiktion  des  Piaton  betrachtet 


die  Angabe  in  Plat.  Phaed.  60  d  Sghajce, 
Herrn.  29,  597;  die  erhaltenen  Verse  in 
Distichen  sind  aUerdings  Fälschungen. 

*)  Härtung,  Griech.  Lyriker,  Leipsig 
1856.  Der  Name  fÄsXonoioi  ist  ebenso  wie 
/ÄeXto^itt  (schon  bei  Piaton)  falsche  Analogie- 
bildung nach  iafzßonoioi. 


B.  Lyrik.    4.  Arten  der  Lyrik.    (§§  108-109.)  141 

noch  die  Werte  von  IV«,  V«,  3  Zeiten  hinzu.     Solche  logaödische  Verse 
aber,  wie 

dädvxE  fjUv  a  asXdva  /  |  Ji  ^  ^  J"  \  J.  J  7 
haben  einen  so  melodischen  Tonfall,  dass  jeder  unvdllkürlich  zum  Singen 
sich  eingeladen  fUhlt.  Vorgebildet  war  bei  den  Griechen  die  Liederdichtung 
durch  die  Entwicklung  der  Musik,  wie  wir  sie  in  dem  einleitenden  Kapitel 
dargestellt  haben.  Die  Elegie  mit  ihrer  einfachsten  Vereinigung  zweier  Verse 
und  die  Ausbildung  des  iambischen  Rhythmus  neben  dem  daktylischen  waren 
gleichsam  die  Vorstufen,  auf  denen  sich  der  kunstvolle  Bau  der  lyrischen 
Poesie  erhob.  Mit  dem  Epodos  des  Archilochos  war  im  Grund  genommen 
die  lyrische  Strophe  schon  fertig.  An  Archilochos  schloss  sich  denn  auch 
anmittelbar  die  Entfaltung  der  lyrischen  Poesie  an,  die  noch  mit  dem 
7.  Jahrhundert  begann  und  der  Litteratur  des  6.  Jahrhunderts  die  eigentliche 
Sipatnr  gab.  In  dieser  Zeit  hatte  das  ionische  Eleinasien  aufgehört  Aus- 
gangs^ und  Mittelpunkt  des  geistigen  Lebens  zu  sein;  Lieder  wurden  daher 
nicht  bloss  in  lonien,  sondern  allerorts  in  Griechenland,  auf  dem  Festland 
ond  auf  den  Inseln,  in  den  griechischen  Mutterstädten  und  in  den  blühen- 
den Kolonien  von  Sikilien  und  Unteritalien,  im  äolischen  wie  im  ionischen 
ond  dorischen  Hellas  gedichtet.  Eine  allgemein  gültige  [xoivt])  Sprache 
gab  es  aber  damals  noch  nicht,  und  da  auf  der  anderen  Seite  Lieder, 
welche  für  das  Volk  bestimmt  waren,  auch  in  der  Sprache  des  Volkes 
gedichtet  sein  wollten,  so  schied  sich  die  Lyrik,  im  Unterschied  vom  Epos, 
nach  den  Dialekten.  Und  nicht  bloss  entstanden  Lieder  im  äolischen, 
ionischen,  dorischen  Dialekt;  es  nahmen  dieselben  auch  die  Eigentümlich- 
keiten der  Stamme  an,  so  dass  mit  der  Sprache  auch  die  glühende  Leiden- 
schaftlichkeit der  Äolier,  die  lebensfrohe  Genusssucht  der  lonier,  der  feier- 
fiche  Ernst  der  Dorier  zum  Ausdruck  kam.  Schade,  dass  die  Ungunst 
der  Zeiten  von  diesem  vielästigen  Baum  der  Litteratur  nur  wenige  Blüten 
unversehrt  zu  uns  getragen  hat  und  dass  mit  dem  Verklingen  der  alten 
Melodien  auch  die  Texte  der  Lyriker  aus  den  Bibliotheken  frühzeitig  zu 
verschwinden  begannen.^)  Die  Grammatiker  haben  aus  der  grossen  Zahl 
der  lyrischen  Dichter  und  Dichterinnen  9  als  mustergültig  ausgewählt:*) 
Alkman,  Alkaios,  Sappho,  Stesichoros,  Ibykos,  Anakreon,  Simonides,  Pindar, 
BakchyUdes. 

109.  Die  Lyrik  selbst  zerfällt  wieder  in  viele  Arten,  von  denen  das 
Lied  und  der  Ghorgesang  die  obersten  sind.  Das  Lied  {i^iekog), 
zum  Einzelgesang  bestimmt,  dient  vornehmlich  zum  Ausdruck  subjektiver 
Empfindungen,  singt  von  Liebesschmerz  und  Weineslust,  von  jauchzender 
Freude  und  niederschlagender  Trauer,  von  allem,  was  des  Menschen  Herz 
bewegt.  Es  ist  diejenige  Gattung  der  Lyrik,  welche  unserer  sentimentalen 
Stimmung  am  meisten  zusagt  und  deren  liebliches  Spiel,  weil  es  allgemeine 
Saiten  der  menschlichen  Seele  anschlägt,  den  Moment  und  den  Anlass,  der 

')  Im  4.  Jahrh.  las  der  Sophist  Himerios  I  vero  lyricoruin  longe  Pindarus  princeps.    £in 

Mcfa  fleififlig  seine  Lyriker,  so  dass  uns  in  |  unbedeutender   Traktat    ne^i    Xvgixuiy   ver- 

Kba  Reden  viele  prosaische  Paraphrasen  ,  öffentlicht  von   Boissonade,   Anecd.  IV  458, 

tlter  Lieder  vorliegen.  i  M.  Schmidt,  Didymi  fragm.  395  f. 

*)  Änth.  IX  184;  Quinta.  X  1,  61:  novem  | 


U2 


OrieohiBohe  LitteratuFgeBohiohte.    1.  ItlasBittche  Periode. 


es  geboren,  am  längsten  überdauert.  Sie  wurde  bei  den  Griechen  vorzüg- 
lich von  den  Äoliem  und  loniern  gepflegt,  die  sich  schwärmerischen  Ge- 
fühlen und  freier  Lebenslust  ungezwungener  überliessen,!)  und  f&hrte  zum 
erstenmal  auch  die  Frau  in  die  Hallen  der  Litteratur  ein.  Der  Chorgesang, 
der  sich  im  Anschluss  an  die  Feier  von  Götterfesten  und  Siegen  entwickelte, 
war  von  vornherein  mehr  auf  das  Erhabene  und  Grossartige  als  auf  das 
Gemütvolle  und  Zarte  gerichtet.  Sein  kalter  Objektivismus  vertrug  sich 
gut  mit  dem  epischen  Element  der  Götter-  und  Heroenmythen,  deren  Preis 
nach  altem  Herkommen  mit  den  öffentlichen  Festen,  die  ja  zumeist  den 
Göttern  und  Heroen  galten,  unzertrennbar  verbunden  war.  Das  alles 
stimmte  zu  dem  ernsten  Wesen  und  der  innerlichen  Tiefe  des  dorischen 
Charakters,  und  so  verwuchs  der  Chorgesang  derart  mit  dem  dorischen 
Stamm,  dass  der  dorische  Dialekt  für  die  chorische  Poesie  die  typische 
Form  wurde.  Auch  in  der  metrischen  Form  fand  die  verschiedene  Natur 
der  beiden  Dichtungsarten  ihren  Ausdruck:  das  Melos  liebte  kleine  Kola 
und  tändelnde  logaödische  Verse;  der  Chorgesang  baute  die  rhythmischen 
Reihen  zu  langen  Perioden  auf  und  bevorzugte  teils  die  ernstfeierlichen 
Daktylo-Epitriten,  teils  die  beweglichen  Tanzrhythmen  der  Päonen.  Die 
Gegensätze  Lied  und  Chorgesang  waren  indes  keine  absoluten,  so  dass 
auch  manche  Lieder  der  äolischen  Meliker,  wie  die  Epithalamien  der 
Sappho,  nicht  von  einem  Einzelnen,  sondern  einem  ganzen  Schwärm  (xtöfjtog) 
gesungen  werden  konnten.^) 

110.  Ausserdem  wurden  von  den  Alten  noch  mehrere  Unterarten 
lyrischer  Dichtungen  je  nach  Anlass  und  Inhalt  unterschieden. ') 

Skolien*)  waren  Trinklieder,  die  beim  Wein  von  den  Tischgenossen 
gesungen  wurden.  Es  gab  nach  den  Zeugnissen  der  Alten^)  mehrere  Arten 
von  Trinkliedern:  zuerst  wurde  zur  Spende  von  allen  im  Chor  unter  Flöten- 
begleitung ein  Päan,  gewissermassen  ein  Tischgebet,  gesungen;^)  dann 
sangen  beim  Gelage  die  Einzelnen  kurze  Trinklieder,  indem  ein  Myrten- 
oder Lorbeerzweig  in  die  Runde  ging,   den  der  Vortragende,  wie  vordem 


»)  Ath.  624e:  AluiXiiav  fj»og  .  .  i^tjQfie- 
vov  xal  xsdagQTjxog  *  cfto  xal  oixeToy  iüilv 
itvxoU  17  q>i>Xonoaia  xal  id  igtotixa  xal  na<fa 
17  nsQi  xrjv  dlaixay  ayeaig. 

^)  Demetr.  de  eloc.  167  lässt  für  die 
Epithalamien  die  Annahme  des  Vortrags 
durch  die  Dichterin  oder  durch  einzelne,  gegen 
einander  sprechende  Choreuten  ixogog  cftrt- 
Xexxixog)  frei.  Einwendungen  von  Flach, 
Gr.  Lyr.  509  f.  Auf  Chorgesang  weist  auch 
Sappho  fr.  54  und  hezügUch  des  Anakreon 
Eritias  bei  Ath.  600  d. 

«)  Pindar  fr.  139  deutet  folgende 
Arten  an:  aoidai  naiavlde^,  dt^vQnjußoty 
^gijyoi,  'Aivoi,  vfjievaioi^  inXe/Joi.  Procl.  Chrest. 
p.  243  unterscheidet:  t«  eig  9eovs,  xa  eig 
dySgttinovqj  xd  Big  ^eovg  xal  dyffgwTiovg^  xd 
Big  Tag  Ttgoaninrovcag  TtBQiaxdastg,  das  Et. 
M.  690,  41  nQocodia,  tmogj^tjfjiaxaf  axuaifia. 
Ausserdem  zählt  Pollux  IV  53  auf  i»vq>aX- 
Xixdj  iuoxoq>OQixdy  toßaxxoi,  imXrjyia,  iju- 
ßaxfjgia,    ngooifÄia   u.  a.     Vgl.  Bopp,    Leip- 


ziger Stud.  8,  134  ff. ;  Walther,  De  graecae 
poesis  melicae  generibus,  Halle  1866. 

^)  Ilorn,  Scolia,  Jenae  1798;  Enou- 
BRECHT,  De  scoliornm  poesi,  Vind.  1882; 
Reitzenstbin,  Epigramm  u.  Skolion,  Giessen 
1893,  Kap.  1. 

^)  Dikaiarch  u.  Aristoxenos  in  Schol. 
Plat.  Gorg.  541  e  (Suidas,  Photios,  Schol. 
Aristoph.  Nub.  1364)  und  bei  Athen.  694a; 
Plut.  sympos.  I  1,  5  und  Proklos  in  Phot 
bibl.  p.  321  a  nach  Didymos;  Enstathios 
1574,  14;  Schol.  Aristoph.  Vesp.  1222.  Vgl. 
Plat.  Symp.  p.  176. 

^)  Darauf  beziehe  ich  Alcman  fr.  24: 
(poiyaiQ  dk  xal  iy  9idaoi<ny  dydgai^  nagd 
daixvjuöyBOCiy  ngenBi  natdra  xaragj[€iy. 
Dieses  waren  die  nicht  getanzten  Ulane  des 
Athenaios  p.  631 '^.  Hieher  gehört  aach  die 
Stelle  des  Clem.  Alex.  paed.  72:  nnQ€i  tag 
üvfjinoxixdg  Bvot^iag  tfßfia  [ro  xaXot^fäcyor 
oxöXioy]  ijdBXO  xoiyutg  andyxwv  <pwy^  natart- 
Coyfioy. 


B.  Lyrik.    4.  Arten  der  Lyrik.    ($  110.) 


143 


den  Stab  der  Rhapsode,  beim  Oesang  in  die  Hand  nahm;  drittens  gab  es 
auch  kunstvollere  Gedichte,  wie  die  Tischoden  Pindars^),   welche  geübte 
S&nger  beim  Mahle  zur  Lyra  vortrugen.    Die  mittlere  Art  hatte  den  spe- 
zieDen  Namen  cxolta  (läXt),    Über  den  Ursprung  des  Namens  (schon  bei 
Aristoph.  fr.  222),   eigentlich    „krummes    Lied*^,    wurde    schon   von   den 
Alten  gestritten.   Die  Meisten  deuteten  ihn  auf  die  Sitte,  dass  der  Zweig 
nicht  in  gerader  Linie  herumging,   sondern  in  die  Quere  von  einem  dem 
andern  gereicht  wurde.  ^)   Mehr  Wahrscheinlichkeit  hat  die  von  Eustathius 
aufgestellte  musikalische  Deutung,^)   wonach   sich  das  axoXiov  fiäXog  dem 
tiiuiog  ^v&fiag  zur  Seite  stellte.    Denn  war  auch  die  Melodie  der  Skolien 
gegenüber  den  Dithyramben  verhältnismässig  einfach,   so   wich   doch  ihr 
logaödischer  Rhythmus,  die  freie  Behandlung    des    ersten  Fusses   (Her- 
mannische  Basis),   die  Häufigkeit  der  inneren  Eatalexen  von  dem  graden 
Bau  der  alten  daktylischen  und  iambischen  Verse  in  bedeutsamer  Weise  ab. 
Epithalamion  hiess  speziell  das  Ständchen,  welches  am  Abend  den 
Neuvermählten    vor   dem  Brautgemach    {&äXafAog)   dargebracht  wurde.*) 
Im  weiteren  Sinne  verstand   man  darunter   ein  Hochzeitslied  überhaupt, 
auch  dasjenige,  unter  dessen  Gesang  die  Braut  aus  dem  Elternhaus  zu  der 
neuen  Wohnung  geleitet  wurde.     Von  der  ersteren  Art  gibt  das  18.  Idyll 
döB  Theokrit  ^EXävrfi  eni&aXüfi^og  einen  Begriff,   von  der  zweiten  die  der 
Sappho  nachgebildeten  Hymenäen  des  Catull.   Die  Schollen  zu  Theokrit  18 
erwähnen  ausserdem  oQ&Qia  ij  iyequxd^   welche   scherzende  Mädchen  vor 
dem  Hause  der  Neuvermählten  am  Morgen  nach  der  Brautnacht  sangen. 
Hymnen  waren  Gedichte  auf  die  Götter  im  aUgemeinen.     Speziell 
wnrden  so  die  einfachen  Preislieder  genannt,  welche  seit  alter  Zeit  an  den 
Götterfesten   in    daktylischen   Hexametern   vorgetragen    wurden   und   als 
Hauptsache    einen  Mythus   der  betreffenden   Gottheit   enthielten.     Später 
bemächtigten  sich  die  Lyriker,  wie  Alkaios,  Anakreon,  Pindar  auch  dieser 
Gattnng  der  Poesie,  indem  sie  statt  des  stereotypen  Hexameters  kunst- 
vollere Versarten   anwandten  und   zum    Teil    auch   an   die   Stelle    eines 
Rhapsoden  einen  ganzen  Chor  treten  Hessen.   Aber  das  behielten  auch  sie 
von  der  alten  Einfachheit  bei,    dass   sie  die  Hymnen  stets  stehend  (nicht 
tanzend)  zur  Eithara  (nicht  zur  Flöte)  vortrugen.  0) 

Die  Prosodien  {jiQocodia  sc.  ixäXrl)  hatten  ihren  Namen  and  xov 
aSsa^ai  iv  r^  nQoüuvai  toTg  ßcofioTg  rj  vaoTg.^)  Sie  wurden  zur  Flöte  vor- 
getragen, weil  diese  mehr  geeignet  war  einen  schreitenden  und  singenden 
Chor  im  Takt  zu  halten.  Ihre  Ausbildung  erhielten  sie  in  der  chorischen 
Lyrik,  doch  hat  schon  der  alte  Epiker  Eumelos  in  Hexametern  ein  Prosodion 


;j  Find.  fr.  122—8;  besonders  fr.  124 
Tmo  TM  TiifAnm  (ABtaSoQniov  '  iv  ^vyta  xbv 
i^  9Vfin6iaiciv  te  yXvxegoy  xai  Jiiovvaoio 
<>p^  xal  xvXixBcaiv  'j&ayaiaurty  xiyjQOv^ 
ittTtPov  di  Xfjyovrog  yXvxv  tgotyäXioy. 

*)  Beleochtet  '  wird  die  Sitte  durch 
Aristo^.  Vesp.  1217  flf.;  Nub.  1354  flf.  Die 
^  ▼ar  besonders  im  5.  Jahrh.  im  Schwung; 
BIT  Zeit  dernenen  Komödie  kam  sie  ab,  wie 
Aa^phaoes  fr.  85  E  zeigt. 


')  So  auch  Engblbbbcht  p.  40,  der  auf 
Maximus  Tyr.  XXIIl  5  verweist. 

*)  Pind.  P.  IXT  17  aXixsg  ola  naq^vot 
(fiXioiaiy   etaiQai   ianegiatg    vnoxovgiCBa&ai 

*)  Procl.  ehrest.  244:  6  xv^itog  iifdyos 
TtQog  xi&ttQtty  ^deto  ioToittoy. 

«)  Procl.  ibid.,  Et.  M.  690,  43;  vergl. 
Xenoph.  Anab.  VI  1,  11:  iy  tatg  rtQog  lovg 
»eovg  TiQoaodoig,  Arist.  Nub.  307,  Pac.  396. 


144  Chrieohische  LitteratargeBohiohte.    L  KlaBsisohe  Periode. 

für  den  delischen  Apoll  gedichtet,  i)  Für  die  Feierlichkeit  des  religiösen 
Aufzugs  schien  auch  den  Spätem  noch  der  daktylische  Rhythmus  am  ge- 
eignetsten zu  sein,  doch  schickten  sie,  um  mehr  Leben  in  die  Bewegung  zu 
bringen,  den  daktylischen  Reihen  einen  Auftakt  voraus  {^vO-fAog  7€Qo<roiiax6g), 
Für  Prosodien  wie  für  aUe  Marschlieder  eigneten  sich  nur  Verse  mit  dipo- 
discher,  dem  Schritt  der  Sänger  entsprechender  Messung;  ausserdem  mussten 
in  ihnen  emmetrische  Pausen  in  massigen  Zwischenräumen  zur  Erholong 
der  Stimme  vorgesehen  sein.  Aus  den  lyrischen  Prosodien  haben  sich 
später  die  anapästischen  Parodoi  des  Dramas  entwickelt. 

Der  Dithyrambus*)  war  von  Hause  aus  ein  Lied  auf  den  Weingott 
Dionysos,  weshalb  er  zumeist  an  den  Orten,  wo  der  Weinbau  und  der 
Kultus  des  Dionysos  zu  Hause  war,  in  Naxos,  Thasos,  Böotien,  Attika 
gepflegt  wurde.  Seine  eingentliche  Heimat  scheint  Phrygien  gewesen  zu 
sein,  da  er  nach  Aristoteles,  Polit.  VHI  7  den  Charakter  der  phrygischen 
Tonart  hatte.  ^)  Schon  Archilochos  (Fr.  79)  rühmte  sich  der  Kunst,  dem 
Herrscher  Dionysos  einen  Dithyrambus  anzustimmen.  Wie  man  aus  dem 
dort  gebrauchten  Ausdruck  i^aQ^ai  fueXog  schliessen  muss,  war  bereits  da- 
mals beim  Dithyrambus  ein  Chor  beteiligt,  wohl  ein  Chor  schwärmender 
Zecher,  der  mit  jauchzendem  Zuruf  in  die  Worte  des  Vorsängers  einfiel. 
Seine  kunstvolle  Ausbildung  erhielt  er  durch  Arion  in  Korinth,^)  der  um 
600  zuerst  einen  dithyrambischen  Chor  im  Kreisrund  {xvxXiog  x^Q^^)  ^^^f" 
stellte.^)  Seine  hauptsächlichste  Pflege  fand  sodann  der  Dithyrambus  in 
Athen,  wo  er  nicht  bloss  aus  sich  die  Tragödie  erzeugte,  sondern  auch 
fortwährend  neben  dem  Drama  das  Hauptfestspiel  abgab.  Anfangs  war 
auch  dieser  entwickelte  Dithyrambus  noch  strophisch  gegliedert,*)  immer 
mehr  aber  entledigte  er  sich  der  beengenden  Fessel  wiederkehrender 
Strophenbildung,  so  dass  er  schliesslich  der  Hauptrepräsentant  der  freien 
Komposition  {anoXsXvixbvov  fieXog)  wurde.  ^)  Schon  zuvor  war  er  aus  dem 
engen  Kreis  dionysischer  Festlieder  herausgetreten  und  hatte  auch  den 
Preis  anderer  Götter  und  die  Darstellung  anderer  Mythen  in  sein  Gtebiet 
gezogen.«) 

Der  Päan  hatte  seinen  Namen  von  dem  Ausruf  It]  naidv^  mit  dem 
der  Chor  in  den  Gesang  des  Vorsängers  einfiel.  Es  gab  zwei  Arten  von 
Päanen,  das  schon  zuvor  besprochene  choralartige  Tischgebet,  welches 
ohne   Tanz   bei  der  Spende  von   den  Tischgenossen  zur  Flöte    gesungen 


»)  Die  betreffenden  Hexameter  werden  |  Vgl.  Schol.  Find.  Ol.  XIII  25.  lieber  döe 
aber  wohl  nicht  xatd  jgino^ixa  xwXa,  son-  I  Stellung  des  Eoiyphaios  s.  Ath.  125  b.  Eifi 
dem  xcträ  ömotfiay  vorgetragen  worden  sein.   '   Bild  von   einem   solchen  im  Kreis   um  den 


*)  M.  Schmidt.  Diatribe  in  dithyrambum, 
Berl.  1845.  Der  Name  scheint  mit  ^giafißog 
und  doQvßos  zusammenzuhftngen  und  erinnert 
an  den  Ausruf  io  triumpe. 

3)  Nach  Strabon  p.  469  hatte  Pindar 
(fr.  79)  den  Dithyrambus  der  Griechen  den 
Gesängen  der  Phrygier  zu  Ehren  der  Götter- 
mutter gleichgestellt. 

*)  Schol.  Pind.  Ol.  XIIl  25. 

*)  Procl.  ehrest.  244,  26:  roV  cf^  «(>!«- 
fiBvov  t^g  lüdijg  'AgiaxoiiXrjg  'jQioyä  (ptjaiy 
eiyai,    og  n^wrcg   loy   xvxXioy  rjyrtye  ^ogöy. 


Altar  tanzenden  Chor  gibt  uns  Callim.  hymn. 
IV  312  ff. 

^)  Sogar  daktylische  Hexameter  kommen 
in  Dithyramben  der  Praxilla  fr.  1,  2  vor. 
Vgl.  Arist.  poet.  I  p.  1447»»  24. 

')  Procl.  245,  14;  Hör.  Od.  IV  2,  10: 
seu  per  audaces  nova  dithyramhos  vtrba 
devolvit  numerisque  fertur  lege  »olutis.  Die 
herrschende  Tonart  der  Dithyramben  blieb 
die  phrygische  und  hypophrygische. 

®)  Neben  Dithyramben  werden  ioßaxx^ 
genannt;  der  Unterschied  beider  ist  dunkel. 


B.  Lyrik.    4.  Arten  der  Lyrik.    (§  110.)  U5 

wurde,  und  das  Tanzlied  auf  den  Heilgott  Apoll,  das  bei  besonderen  An- 
lässen, besonders   zur  Abwendung  von   Seuche   und  Krankheit  gesungen 
ward.*)    Diese  zweite  Art  von  Päan,   die  vornehmlich  Pflege  und   Aus- 
bildang  in  der  griechischen  Litteratur  fand,  treffen  wir  schon  bei  Homer 
D.  Ä  473  und  im  Hymnus  auf  den  pythischen  Apoll  326.     Weitergebildet 
wurde  derselbe  in  Kreta,  von  wo  er  sich  nach  Delphi,   Sparta  und   dem 
übrigen  Festland  verbreitete.*)  Päane  im  ersteren  Sinne  scheint  Ty  nnichos 
aus  Chalkis  gedichtet  zu  haben,  von  dem  Piaton  Ion  p.  534  d  einen  in 
aller  Mund  lebenden  Päan,  ein  wahres  evQirpd  ti  Moiaär,  erwähnt.*)    ür- 
spränglich  gab  es  nach  Proklos  nur  Päane  an  Apoll  und  Artemis,   später 
kamen  auch  solche  an  andere  Götter  auf,  die  mit  jenen  nur  den  feierlichen 
Sesang  und  den  Vortrag  durch   einen  in  gemessenem  Takte   {ififieleia) 
sich  bewegenden  Chor  teilten.  ^)     Polybios  lY  20  und  Zosimos  II  5  lassen 
sogar  zu  Ehren   von  Menschen,   wie   der  Könige   Antigonus  und   Deme- 
trius  PoUorketes  Päane  gesungen  werden.   Übrigens  gebraucht  schon  Homer 
X  391  das  Wort  auch   von  dem  Siegesgesang,   welchen   die  Söhne   der 
Achäer  bei   dem  Falle  Hektors  anstimmten.     Diese  neue  Art  von  Päan 
scheint  sich  aus  Dankliedern  an  Apoll   nach  glücklicher  Beendigung   der 
Not,  wie  uns  ein  solches  bei  Aristoph.  Vesp.  869—874  erhalten  ist,  ent- 
wickelt zu  haben.     Ein  Hauptversmass  der  Päane  war  der  Päon    -  ^^=^^ 
der  von  dem  Paean  den  Namen  hat.    Die  Dichtung  von  Päanen  hat  sich  bis 
ins  3.  Jahrhundert  v.  Chr.  erhalten,  wofür  wir  neuerdings  in  den  Päanen  aus 
dem  Schatzhaus  der  Athener  zu  Delphi  Beweise  erhalten  haben.     Von  den 
Päanen  der  Glanzzeit  Griechenlands  kann  man  sich  am  besten  aus  Pindars 
Siegesgesängen  0.  H,  P.  V  eine  Vorstellung  machen;  der  Chor  der  Päane 
bestand  in  der  Regel  aus  Männern.     Einen  gemischten  Chor  von  Mädchen 
and  Jünglingen    finden   wir    erst   in   den    römischen   Päanen    bei   Horaz 
Od.  I  21,  IV  1,  25—8,  carm.  saec. 

Das  Hyporchem  war  ein  Tanzlied,  bei  dem  der  Tanz,  und  zwar 
ein  in  lebhafteren  Rhythmen  sich  bewegender  Tanz  die  Hauptsache  war.  ^) 
Aach  er  galt  wie  der  Päan  dem  Gotte  Apollo  und  fand  wie  jener  seine 
Ausbildung  in  Kreta,  ^)  so  dass  man  oft  schwer  beide  auseinander  kennen 


*)  Vgl.  Snidas  u.  i^a^x^ytsg,  und  Ath.  j   ^ai    roTg    nydXfiamv   xoTg    xaiyotg   nQog   td 

Mf  ttber  das  nMuytxoy  ini(p&ey(Aa.  uQxaTa, 

')  ProcloB   chrestom.  p.  244  W.:  o  dk  ,           ')  Ath.  628  a  stellt  deshalb  den  gemes- 

nn«v  icxiy  eidog  y'cftjf  eis  ndyxag  yvy  yQtt-  senen  Pftan  dem  Dith^rrambos  entgegen. 

fifitwov  »eovg.    lo  Sk  naXaioy  idlatg  dnive-  \            •)  Procl.  246;  vnoQXVf^«   ro  fier*  oqxV" 

fitro    ro»    'AnokXatyt    xal    rp    'AQt4fJiidv    inl  <rstog  4d6fÄByoy  fÄsXog^    Atk.  6Slc  i^  tmoQXf]- 

xazejtarcei    XoifKuv    xal     yoatoy    (^dofieyog.  fxattxij  iciiy  iy  ^   ^duy  6  x^Q^S  OQxstrai, 


'•iKx^tjffnxvSg    dk    xal    tä    TiQocodue    tiyeg 
xtuttrag  Xdyovaiy. 

')  Doch  gab  es  auch  einen  lesbischen 
Plan,  vielleicht  von  Terpander  gedichtet; 
^^  Archilocbos  fr.  78  avxog  i^dgx^^  ^9*^^ 
«fior  Aiußioy  Tiaifjoya. 

_  *)  Vgl.  Porphyiins  de  abstin.  U  18:  toy 
Y^y  Ai^xvXoy  <paai,  xtüy  JeXtptay  dhovy- 
'«w  ttg  toy  &e6y  ygd^i  nainyuy  eineiy  ort 
ßi^t€ta  TvyyCxttf  nenoiijiai '  nuQttßaXXofÄsyoy 
«  Tor  aviov  7? ^og  roy  ixeiyov  ruvioy  TtEictc- 

Bwdbocb  di»r  kUmt.  AltortumHWiiiiioii9cb.ift.    VIJ.    3.  Aufl.  10 


Menander  de  encom.  p.  331,  21  Sp.:  rovg  uky 
ydg  eig  'AnoXXtoya  naidyag  xal  vnoQxi^fJiuxtt 
oyofiäCofiey,  tovg  de  eig  Jiöyvcoy  dt&VQafi" 
ßovg  xal  ioßfixxovg.  Näheres  über  diese 
Tänze  gibt  Flut.  Qnaest.  conv.  IX  15. 

^)  Ath.  181b:  x^nxd  xaXovai  xcl  vnog- 
XrjfAttia.  fCgijxa  fAey  xaXiovci  tgoHoy^  x6 
d*oQyayoy  MoXoaaoy.  Simonides  fr.  31:  ona 
dk  yagvaai,  avy  r'  {yvy  codd.)  iXa(pg6y  ogxVf*'' 
otda  nodiay  fiiyyvfjLsy, 


146 


Grieohische  LitteratargMohiohte.    I.  KlMsisehe  Periode. 


konnte.  ^)  Wie  andere  lyrische  Oesänge,  so  hat  auch  das  Hyporchem  seine 
Fortbildung  im  Drama,  und  zwar  zunächst  in  den  kretischen  (besängen  der 
Komödie  gefunden.  Aber  auch  das  in  lebhaftesten  Rhythmen  gedichtete 
Chorlied  an  Apoll  in  Soph.  Trach.  205—224  dürfen  wir  für  die  Nach- 
bildung eines  solchen  kretischen  Tanzliedes  halten.  Daneben  gab  es  eine 
andere  Art  von  Hyporchem,  bei  dem,  während  der  Chor  sang  oder  singend 
nur  einfache  Tanzbewegungen  ausführte,  einige  ausgewählte  Tänzer  sich 
mit  kunstvolleren  Tanzfiguren  produzierten.  Die  Anfänge  eines  solchen 
Spieles  begegnen  uns  schon  bei  Homer  E.  XVin  604  ß. ;  wir  finden  das- 
selbe sodann  ausgebildet  in  der  Exodos  der  Wespen  des  Aristophanes, 
und  genauer  beschrieben  von  Lukian  in  dem  Buche  vom  Tanz  c.  16 :  nai- 
3wv  xo^oi  (TvveX&ovTsg  in  avXtf  xai  xi&aQ^  oi  piiv  ixoqsvoVj  vnfüQ%ovv%o 
dh  ci  aqiaxoi  TTQOXQi&ävteg  €^  avx&v,  ra  yovv  toig  xoQoig  YQag>6fi€va  tovfoiq 
(fCfiaTtt  tTTOQX'^f^f'CC'^cc  ixakeiTO  xai  ifxnsnXrjiXro  tSv  toiovrav  r^  IvQa*) 

Parthenien  waren,  wie  der  Name  besagt,  Lieder  für  Mädchenchöre, 
die  entweder  selbst  tanzend  sangen  oder  zum  Gesang  und  Spiel  eines  An- 
deren ihre  Tanzbewegungen  ausführten.  Sie  waren  vornehmlich  in  Sparta 
zu  Haus,  wo  die  freiere  Stellung  des  Weibes  ihre  Entwicklung  begünstigte.*) 
Unter  den  Lyrikern  haben  ausser  Alkman,  dem  berühmtesten  Parthenien- 
dichter,  Pindar,  Simonides  und  Bakchylides  Parthenien  gedichtet.  In  ihrem 
Geiste  scheinen  die  Tanzlieder  in  der  Exodos  der  Lysistrate  gehalten  za 
sein.  Noch  in  römischer  Zeit  hat  nach  Livius  27,37  der  lateinische  Dichter 
Livius  Andronicus  ein  Parthenien  gedichtet;  doch  war  dieses  ebenso  wie 
das  Säcularlied  des  Horaz  ein  Bittlied,  das  mit  den  griechischen  Parthenien 
nur  das  gemeinsam  hatte,  dass  es  wie  jene  von  Mädchen  gesungen  wurde. 
Eine  Unterabteilung  der  naQd-ävsia  waren  die  iaipvri<fOQi,xd^  bei  deren  Vor- 
trag ein  edelgeborener  Jüngling  {nmq  dfiipid'akijg;)  voranzog  und  ein  mit 
Lorbeerzweigen  geschmückter  Jungfrauenchor  nachfolgte.^) 

Threnoi  waren  Elagegesänge  auf  verstorbene  Krieger  und  Freunde, 
die  an  dem  zu  Ehren  des  Verstorbenen  veranstalteten  Totenmahl  vor- 
getragen wurden.  Dieselben  sind  aus  der  in  die  Zeit  Homers  hinauf- 
reichenden Sitte  der  Totenfeier  erwachsen;  nur  war,  als  die  Menschen 
mehr  zur  geistigen  Feier  neigten,  an  die  Stelle  der  gymnischen  Spiele 
der  musische  Elagegesang  getreten.  Inhalt  aber  gaben  diesen  Elage- 
gesängen  zumeist  die  orphischen  Lehren  von  dem  Fortleben  der  Seele  und 
der  Wiedervergeltung  nach  dem  Tode,  wie  sie  sich  in  Griechenland  seit 
dem  6.  Jahrhundert  verbreiteten.     Das  erkennt  man  zumeist  an  den  kost- 


M  Plut.  de  mus.  9  erkennt  an  der  Me- 
lodie, ob  das  Gedicht  ein  Pton  oder  ein 
Hyporchem  ist. 

')  Zum  Vergleiche  bietet  sich  die  Er- 
zählung von  dem  Verfahren  des  römischen 
Dichters  Livius  Andronicus  bei  Livius  VII  2 : 
suorum  carminum  actor  dicitur,  cum  saepius 
revocatus  vocem  ohtudisset  et  venia  petita 
puerum  ad  canendum  ante  tibicinem  cum 
statuissetf  canticum  egisse  aliqiMnto  magia 
vigente  motu,  quia  nihil  vocis  usus  impediehat, 
inde  ad  manum  cantari  histrhnibus  coepium 


diverbiaque  tantum  ips&rum  voci  reiicta, 
Uebrigens  war  diese  Teilung  der  Aufgabe 
des  Tanzens  und  Singens  gewiss  nicht  auf 
das  Hyporchema  beschränkt.  Auch  die  Par- 
thenien des  Alkman  scheinen  ganz  ähnlich 
vorgetragen  worden  zu  sein. 

s)  Theokrit  18,  22  erwähnt  die  Wett- 
läufe der  Mädchen  am  Gestade  des  Flusses 
Eurotas,  welche  auch  in  Alkmans  Parthenien 
vorausgesetzt  werden. 

^)  Unterscheidung  derselben  bei  Procl. 
247,  16  u.  Ath.  174  c. 


B.  Lyrik.    6.  Liederdiohter  oder  Meliker.    (§  111.) 


147 


baren  Resten,  die  von  pindarischen  Threnen  uns  erhalten  sind.  —  Im 
Gegensatz  zu  diesen  ernstfeierlichen  Threnen  stunden  die  leidenschaftlichen 
Idbfioi,  die  später  in  den  xofifioi  der  Tragödie  wieder  auftauchten.^) 

Ausserdem  kommen  als  Namen  spezieller  Gesangsformen  noch  vor: 
iwnxM  (sc.  vfivoi)  Siegeslieder,  eyxcofAia  Preisgesänge  auf  Könige  und 
Fürsten,  gesungen  beim  festlichen  Mahl  (ev  x&i/if|;),2)  '^Jo^r/Jca  Adonislieder,^) 
«riAijria  Kelterlieder,  iovXoi  Schnitterlieder  (Athen.  618^),  ßavxaXrniaxa 
Wiegenlieder,*)  TQi7io6rj<poQixd  und  waxo(fOQixd^^)  die  von  den  Dreifüssen 
und  Weinranken,  welche  die  Sänger  trugen,  ihren  Namen  hatten. 


5.   Liederdichter  oder  Meliker. 

111.  Alkaios^)  bildet  mitSappho  das  ruhmgekrönte  lesbische  Dichter- 
paar, das  am  Schlüsse  des  7.  und  in  der  ersten  Hälfte  des  6.  Jahrhunderts 
die  neue  Gattung  der  melischen  Poesie  begründete.^)  Das  Geschlecht  des 
AUaios  gehörte  zu  den  altadeligen  Familien  von  Mytilene ;  er  selbst  nahm 
mit  seinem  Bruder  Antimenidas  lebhaften  Anteil  an  den  Kämpfen  des 
Adels  gegen  den  von  der  Demokratie  auf  den  Schild  gehobenen  Tyrannen 
Melanchros  und  dessen  noch  verhassteren  Nachfolger  Myrsilos.  Über  den 
Tod  des  letzteren  jubelte  er  in  wildem  Parteihass  auf  Fr.  20 

vvv  XQ^  fisd-vax^-rjv  xai  xiva  Tiqdq  ßiav 

TToivTjVy  ineiSrj  xcet&avB  MvQüiXoq,^) 
Auch  in  dem  Krieg,  den  seine  Vaterstadt  um  die  Kolonie  Sigeion  im 
Troerland  gegen  Athen  führte,  kämpfte  er  mit,  wobei  er  seinen  Schild 
verlor,  den  dann  die  Athener  im  Athenetempel  in  Sigeion  aufhingen.^) 
Als  die  Mytileneer,  des  ewigen  Haders  müde,  zur  Schlichtung  der  inneren 
Zerwürfnisse  den  weisen  Pittakos  zum  Aisymneten  aufstellten,  verliess 
Alkaios  mit  seinen  Genossen  die  Heimat  ^^)  und  trat  in  fremde  Kriegs- 
dienste,  die   ihn  bis   nach  Ägypten  führten.  ^^)     Den  Abend   des  Lebens 


*)  Schol.  Eur.  Rhes.  892:  tpaal  (T  /«Ae- 
fiw  vaQtoyof4tiaSai  inl  tiuß  'laXifiOv  rov 
Jn6MurOi  xal  KakXtonrjff  aig  <pijai  Jliv^aqo^' 
«  <r  (bc.  doi6d  vfAVBt)  'IdX&ftoy  tjfioßöXif) 
voMTfe)  ne^a&eyra  o^eyog,  vloy  Oidygov, 

*)  Find.  N.  Vm  50:  in^ntüfiiog  vfirog. 

•)  VgL  Anacreontea  57,  8. 

^)  Solche  lünschl&femngslieder  sind  ein- 
gelegt in  Soph.  Phil.  827  ff.  und  Eur.  Or. 
mff. 

*)ProcL248f. 

*)  Der  Artikel  'Ahtalog  ist  bei  Soidas 
iosgefallen;  DikSarch  hatte  ein  Buch  negi 
^JUttiov  geschrieben,  das  Öfters  Athenaios 
düert;  a.  Wblckbb,  AlkäoB,  in  Kl.  Sehr.  1 
126  ff.,  womit  Marm.  Par.  ep.  36  stimmt. 

')  Euaeb.  setzt  ihre  Bifite  Ol.  46,  2  = 
•^do  T.  Chr.  Suidas  setzt  die  Sappho,  die  wir 
ua  als  etwas  jünger  zu  denken  haben,  Ol.  42. 
Kadi  Herod.  II  135,  muss  Sappho  noch  bis 
in  die  Begierangszeit  des  Amasis  (570 — 526) 
Usern  gelebt  haben.  Ueber  die  Stelle  des 
Berodoi  V  95,  die  den  Alkaios  in  die  Zeit 
^«8  Peiastraios  herabzurücken  scheint,  siehe 


Anm.  9.  Das  angebliche  Gedicht  der  Sappho 
an  Anakreon  bei  Athen.  599  d  muss  ganz 
anssser  Betracht  bleiben,  da  es  Athenaios 
selbst  als  untergeschoben  anführt. 

*)  Nachgeahmt  von  Hör.  Od.  I  37;  vgl. 
Strabon  p.  617. 

»)  Herod.  V  95.  Der  Historiker  bringt 
den  Fall  des  Alkaios  in  Verbindung  mit  dem 
Kampfe,  den  Peisistratos  um  Sigeion  führte 
(550 — 40).  Aber  Herodot  hat  offenbar,  wie 
die  Erwähnung  des  Feriander  zeigt,  an  die 
Erzählung  von  den  jüngeren  Kämpfen  um 
Sigeion  episodenartig  den  Fall  des  Alkaios 
in  den  älteren  Kämpfen  der  Athener  und 
Mythilenäer  um  jene  Küste  angeknüpft; 
das  weist  entgegen  Beloch  neuerdings  nach 
Crusius,  Litteraturgeschichtliche  Parerga, 
Philol.  55,  11  ff 

>o)  Arist.  Polit.  III  9  p.  1285«^  35. 

")  Strabon  p.  37.  Sein  Bruder  nahm 
Kriegsdienste  in  Babylon,  von  wo  er  den 
elfenbeinernen  Schwertgriff  zurückbrachte, 
worüber  Ale.  fr.  33. 


10* 


148 


Qrieohisohe  LitteratnrgMohlohie.    I.  KlaBsisohe  Periode. 


brachte   er   wieder  am  heimatlichen  Herde  zu,   indem  ihm  Pittakos  die 
Rückkehr  gestattete   mit   dem  berühmten  Ausspruch  avyyvüifirj  TifKüQiaq 
xQeiaawvA)   Diesem  Leben  entsprechend,  durchweht  ein  kriegerischer  Geist 
die  Lieder  des  Alkaios,  dem  sich  die  äolische  Neigung  zu  rauschenden  Wein- 
gelagen und  leidenschaftlicher  Liebe  verband.^)    Auch  die  veilchenlockige, 
süsslächelnde  Sappho  sang  er  in  seinen  Liedern  an,  ohne  bei  der  schönen 
Dichterin  geneigtes  Ohr  zu  finden.')     Seine  Gedichte,  die  mindestens  10  B. 
füllten,  waren  nach  dem  Inhalt  geordnet;   sie  umfassten  Hymnen  auf  die 
Götter,*)  Streitlieder  {ataaiwuxä)  voll  kriegerischen  Feuers,  darunter  die 
glänzende  Beschreibung  eines  Waffensaales  (Fr.  15),  Trinklieder,  von  denen 
mehrere  der  glückliche  Nachahmer  unseres  Dichters,  Horatius,  nachgebildet 
hat  (Od.  I  9.  18.  37),   endlich  Liebeslieder  (iQiOTixä),   von   denen  uns  die 
Nachahmung  des  Horaz  Od.  IH  12  einen  Begriff  gibt.     Dem  feurigen,  aus 
der  Frische   des  Lebens  genommenen  Inhalt  entsprach  eine  wundervolle 
Vollendung  der  Form.     Die  Gedichte   des  Alkaios  und  der  Sappho  sind 
die  melodischsten   Schöpfungen   der  Griechen;   das  lesbische  Dichterpaar 
hat  die  einschmeichelnden  Logaöden,  wenn  nicht  erfunden,  so  doch  in  die 
griechische  Lyrik    eingebürgert,    daneben    aber    auch  choriambische  und 
ionische  Verse   gedichtet.     In  ihren  Liedern  wiederholt  sich  in  gefälliger 
Weise  dieselbe  Periode  oder  Strophe  (jiovoarqoifu  fiäXrj),  so  dass  dieselben 
leicht  nach  einfacher  Melodie  gesungen  werden  konnten.     Die  meisten  ihrer 
Strophen  bestanden  aus  vier  Gliedern  (tstQdxwkog  aTQotpij) ;  speziell  ist  nach 
Alkaios  die  kräftige  alkäische  Strophe  benannt;  doch  wandte  er  auch  mit 
gleicher  Virtuosität  die  weiche  sapphische  Strophe  an.     Als  Beispiel  der 
nach  ihm  benannten  alkäischen  Strophe  mag  gelten  fr.  18 

'Aavvärrjfxi  r£v  dväfxwv  ardaiv  -  i  >^  ^  ^-^^  ^  \^  ^ 

To  fAh'  yuQ  fvd-sv  xvfia  xvXivdsTcci^  ^  ±  ^   -— A^w_v/ii 

To  d'  ivx^ev  '  aiifxeg  d'  dv  xo  fitaaov 
vai  (fOQTiiis&a  avv  fiuXaivijc 

Die  Lieder  des  Alkaios  fanden  bald  auch  ausserhalb  der  äolischen 
Heimat  des  Dichters  Anklang;  namentlich  bürgerten  sich  seine  Skolien  in 
Athen  ein  und  riefen  dort  die  verwandte  Gattung  der  attischen  Trink- 
lieder hervor. 

112.  Sappho^)  aus  Eresos  (nach  andern  aus  Mjrtilene)  in  Lesbos 
war  die  jüngere  Zeitgenossin  des  Alkaios.     Von  ihren  Lebensverhältnissen 


j.  \j  ^ 


Z     W     _     C7 


-- v^  <j  ~y^  v-»    Z    vy    _    O" 


»)  Diog.  I  76. 

2)  Hör.  Od.  I  32  u.  n  13.  Ath.  429a 
sagt,  Alkaios  und  Aristophanes  hätten  trunken 
{fi€^voyteg)  ihre  Gedichte  geschrieben. 

»)  Arist.  Rhet.  I  9;  Hermesianax  V.  47. 
Daraufhin  sind  beide  vereinigt  auf  einer  Vase 
der  Münchener  Sammlung;  vgl.  Jahn,  Dar- 
stellungen griechischer  Dichter  auf  Vasen- 
bildem  S.  706  ff.  Der  Kopf  des  Alkaios  auf 
einer  Münze  des  Pariser  Eabinets,  worüber 
Baumbister,  Denkm.  unt.  Alcaeus 

*)  Der  auf  Apoll  enthielt  den  Zug  des 
Gottes  in  das  Land  der  Hyperboreer  auf 
einem  von  Schwänen  gezogenen  Wagen;  ihn 
gibt  Himerios  or.  XIV  in  Prosa  wieder;  den 
auf  Hermes  übersetzte  Hör.  Od.  1  10. 


')  Suidas  nimmt  aus  Missverstfindnis 
zwei  Sappho  an.  Manches  über  die  Dichterin 
bei  Ovid.  Heroid.  15.  Ein  Buch  des  Cha- 
maileon  über  Sappho  erwähnt  Ath.  599  c. 
Yergl.  Wblgkbr,  Sappho  von  einem  herrschen- 
den Vorurteil  befreit,  in  Kl.  Sehr.  II  80—144: 
Lbhrs,  Pop.  Aufs.'  399  f.;  A.  SghGnk,  Untei^ 
suchungen  über  das  Leben  der  Sappho,  in 
Symb.  phil.  Bonn.  731-62.  Ausgabe  der 
Fragmente  von  Nbue,  Berol.  1827.  Eine  Erz- 
statue hatte  Silanion  gefertigt  (Cic.  Verr.  IV 
57,  126);  Kopien  derselben  hat  man  in  Mar- 
mor und  Thon  wiedergefunden;  s  GAJccRRin. 
Testa  di  Saffo,  Ann.  deli'  Inst  LI  (1879) 
8.  246  ff. 


B.  Lyrik.    6.  Liederdichter  oder  Meliker.    (§  112.) 


149 


weiss  man  nur  wenig  Sicheres,  da  dieselben  früh  durch  die  Sage  und  die 
Komödie  entstellt  wurden,  i)     Ihr  Vater  war  Skamandronymos,  verheiratet 
war  sie  mit  Kerkylas  aus  Andres;')    von  ihren   drei  Brüdern  lebte   der 
eine.  Charaxos,  längere  Zeit  in  Naukratis  mit  der  verführerischen  Hetäre 
Rhodopis  zusammen.'}     Infolge  der  politischen  Wirren  verliess   auch  sie 
ihre  Heimat  und  floh   mit  anderen  Gesinnungsgenossen  nach  Sikilien.^) 
Das  Glück  der  Liebe  hatte  ihr  eine  Tochter  Kleis  geschenkt,  die  sie  mit 
zärtlichster  Liebe  als  das  Kleinod  preist,  welches  sie  um  ganz  Lydien  nicht 
hergeben  würde.^)     Romantisch  ausgeschmückt  wurde  in  alter  und  neuer 
Zeit  das  Verhältnis  der  Dichterin  zu  dem  schönen  Jüngling  Phaon,  der  ihr 
untreu  wurde  und  dem  in  heisser  Liebe  in  der  Richtung  nach  Sikilien 
nacheilend,   sie  sich  vom  leukadischen  Felsen  in  das  Meer  hinabstürzte. 
Wahrscheinlich  diente   der  romantischen  Erzählung  die  politische  Flucht 
der  Sappho  nach  Sikilien  zur  Folie  und  bot  die  Erwähnung  des  leukadi- 
schen Felsens  in  einem  ihrer  Lieder  ^)  Anlass  zur  speziellen  Ausschmückung 
der  Sage.    Verzerrt  und  ins  Gemeine  herabgezogen  ward   die  Beziehung 
der  enthusiastischen  Dichterin  zu  dem  Kreise  ihrer  Freundinnen.    In  Lesbos 
and  bei  den  ÄoUern  überhaupt  hatte  das  Weib  eine  freiere  SteDung,   die 
den  engeren  Zusammenschluss   gleichgesinnter  Mädchen    und  Frauen  zu 
musischen  und  geselligen  Vereinen   {haiQtai)   ermöglichte.     Auch  Sappho 
versammelte  in  ihrem  Hause,  das  sie  selbst  Musenheim  {iiotaonoXov  olxiav) 
nannte,  7)  schöne  junge  Freundinnen,  mit  denen  sie  dichtete  und  sang  und 
an  denen   sie  mit  der  überschwenglichen  Liebe  einer  heissblütigen  Süd- 
länderin hing.     Es  war  ein  ähnliches  Verhältnis  wie  das  des  Sokrates  zu 
seinen  Schülern.  8)     Hier  wie   dort  spielte  neben   der  geistigen  Begabung 
die  Schönheit  der  Gestalt  eine  Rolle;   aber  erst  die  Ausgelassenheit  der 
Komiker  und  die  schmutzige  Phantasie  der  Römer  haben  aus  den  schwär- 
merischen Versen,  mit  denen  Sappho  ihre  Freundinnen,   die  Atthis,  Tele- 
sippa,  Megara  feierte,  ein  gemeinsinnliches  Verhältnis  herausgelesen,  von 
welchem  Vorwurf  die  liebenswürdige  Dichterin  in  unserer  Zeit  Welcker, 
El.  Sehr,  n  80  ff.,  gründlich  gereinigt  hat. »)     Die  Gedichte  der  Sappho 
waren  in  9  B.  nach  der  Zahl  der  Musen  eingeteilt;  massgebend  war  bei 


^)  DiphUos  Hess  in  seiner  Sappho,  gegen 
die  Zeib-echnnng,  Archilochos  and  Hipponax 
als  ihre  Liebhaber  aufbreien;  s.  Ath.  599^. 

*)  Suidas  uni  SanKpto ;  auch  hierin,  spe- 
zieQ  in  dem  Namen  Andres  (Mftnnerstadt), 
hat  man  einen  Witz  der  Komödie  gefimden. 

')  Herod.  II  135;  eines  zweiten  Bmdera 
Lariehos,  der  Mundschenk  in  Mytilene  war, 
gedenkt  Sappho  bei  Ath.  424  f. 

*)  Mann.  Par.  zwischen  Ol.  43,  4  und 
47,  3  (wahrscheinlich  Ol.  47,  1  oder  47,  2 
oaeh  Schöne):  Sangxo  iy  MitvXijyijg  eis  £i' 
nUay  hilewre  tpvyovaa,  Ihre  Rflckknnft 
und  ihren  Tod  in  der  Heimat  setzen  die 
Gnbsdiriften  Anth.  VIT  14  mid  17  vorans. 

^)  Fr.  85;  möglich  freilich  ist,  dass  eine 
•ädere  Fran  in  1.  Person  spricht. 

')  In  Lenkas,  der  Yom  Festland  loe- 
gctrennten  Insel  Akamaniens,  bestand  ein 


alter  religiöser  Brauch,  einen  Menschen  zur 
Sohne  der  Gottheit  vom  Felsen  ins  Meer 
hinabzustürzen;  ihn  erwähnten  Stesichoros 
fr.  43  und  Anakreon  fr.  19;  Sappho  und 
Phaon  brachte  damit  in  Verbindung  Menan- 
der  bei  Strabon  p.  452;  s.  Müller,  Dorier  I 
233  und  Oberhummer,  Akamanien  S.  226. 

')  Fr.  136.  Herod.  II  135  nennt  dem- 
gemäss  die  Sappho  selbst  fAovaonoiog, 

^)  So  fassite  das  Verhältnis  schon  Ma- 
ximus Tyiius  XXIV  8  auf. 

»)  Ob  bei  Horaz  Ep.  I  19,  28  temperat 
Archilochi  musam  pede  masculn  Sappho  wirk- 
lich pede  mit  mascula  zu  verbinden  sei, 
bleibt  doch  zweifelhaft.  Pedantische  Gram- 
matiker wie  Didvmos  untersuchten  schon  im 
Altertum  allen  Ernstes,  an  Sappho  publica 
fuerit,  8.  Seneca  ep.  88,  87. 


150  Grieohiaohe  LitteratnrgoBohiohte.    I.  Klassische  Periode. 

der  Anordnung  das  Yersmass,  so  dass  z.  B.  das  1.  Buch  Gedichte  in 
sapphischen  Strophen,  das  2.  solche  in  äolischen  Daktylen  enthielt.  Wir 
sind  so  glücklich  ausser  zahlreichen  Fragmenten  noch  2  vollständige  Ge- 
dichte zu  haben,  eine  Anrufung  an  die  buntthronende  Aphrodite  um  Bei- 
stand in  Liebesnot  und  ein  Bekenntnis  eifersüchtiger  Liebe  zur  süssprechen- 
den,  wonniglachenden  Freundin,  i)  Der  Grundton,  der  alle  ihre  Gedichte, 
die  Liebeslieder,  Epithalamien,  Epigramme  durchweht,  ist  der  verzehrender 
Liebesglut,  die  sie  mit  einer  bei  einer  Frau  uns  doppelt  auffallenden  Offen- 
heit ausspricht,  wie  wenn  sie  singt: 

iädvHB  fi^v  d  aeldva  \  xai  UXr/iddeg^  fA^aai  da 
vvxreg,  naQcc  d'  ^QX^'^'  &Qa^  \  iyd  dh  fjiova  xctrsvdw. 
Der  sinnliche  Reiz  gehört  zur  Erotik,  namentlich  bei  den  Alten,  aber 
es  ist  nicht  die  schöne  Gestalt  allein,  die  Sappho  begeistert,  sie  verschmäht 
den  Reichtum  ohne  Tugend  (fr.  81)  und  verweist  in  das  Dunkel  des  Hades 
das  Mädchen,  das  nicht  teilhat  an  den  pienschen  Rosen  (fr.  68).  Alle 
ihre  Gedanken  aber  kleidet  sie  in  die  anmutigste  Sprache,  die  harte  Laut- 
verbinduugen  sorgfaltig  meidet^)  und  liebliche  Bilder,  wie  vom  sonne- 
geröteten einsamen  Apfel  am  hohen  Aste  (fr.  93),  uns  vorzaubert.  An 
Reichtum  und  Zartheit  des  Rhythmus  übertrifft  sie  selbst  ihren  Rivalen 
Alkaios ;  nach  ihr  benannt  ist  die  sapphische  Strophe,  die  mit  ihren  weichen 
Ausklängen  ganz  dem  Wesen  des  liebevollen  Weibes  entspricht,  wie  jeder 
aus  dem  nächst  besten  Beispiel  herausfühlt: 

nal  Jfog,  iokoTtXoxe,  XiaaoiiaC  c«,       zw-— A^v^-w-w 
fiT^  fi*  aaaiGi  firjT*  oviaiat  ddfiva,         -lo-cjA^w-w-c? 

Ausserdem  dichtete  sie  einfache  Systeme  aus  gleichen  Gliedern  {avc%riiia%a 
s$  üfAoifov),  mehrgliederige,  zu  je  zwei  verbundene  Logaöden,  daktylische 
Reihen  mit  einleitender  Basis  {Älohxd  iistqu);  auch  die  Erfindung  einer 
neuen  Tonart,  der  mixolydischen,  wird  ihr  beigelegt.')  Kein  Wunder  also, 
dass  Sappho  auch  früh  hohe  Anerkennung  fand  und  als  zehnte  Muse  von 
den  Epigrammatikern  und  Römern  überschwenglich  gepriesen  wurde.^) 
Die  meisten  der  Lieder  trug  die  Dichterin  selbst  nach  Weise  der  kitha^ 
rodischen  Nomen  zur  Lyra  vor.  Nur  die  Hochzeitslieder  oder  Epithala- 
mien waren  zum  Vortrag  durch  einen  Chor  bestimmt.  In  einem  derselben, 
das  Catull  62  übersetzt  oder  nachgebildet  hat,  kamen  zwei  Chöre,  einer 
von  Mädchen  und  einer  von  Knaben  vor,  und  war  obendrein  dadurch, 
dass  am  Schlüsse  der  einzelnen  Strophen  der  Gesamtchor  mit  jubelndem 
Ephymnion  einfiel,  ein  schöner  Wechsel  in  den  Vortrag  gebracht.  Das  Bildnis 
der  Sappho  erscheint  auf  mytilenischen  Münzen,  und  ihre  Statue  von  Silanion 
wird  von  Cicero  in  Verr.  IV  126  als  unübertroffenes  Meisterwerk  gerühmt. 


^)  Uebersetzt  von  Catull  51,  der  uns 
auch  in  dem  Epithalamion  62  einen  Begriff 
von  den  gleichnamigen  Liedern  der  Sappho 
gibt 

*)  Dionys.  de  comp.  verb.  23,  wo  sie  als 
Muster  der  yXafpvgd  xal  dy^^  irvy^eai^ 
gepriesen  wird;  Demetr.  de  eloc.  166  f.,  wo 


auch  das  Anpassen  der  Worte  an  die  ver- 
schiedenen Personen  in  den  Epithalamien 
hervorgehoben  wird. 

>)  Plut.  de  mus.  16. 

^)  Vgl.  Strabon  p.  617,  der  sie  ^v/ua- 
inoy  Ti  /^^jua  nennt. 


B.  Lyrik.    6.  Liederdiohter  oder  Meliker.    (§  113.) 


151 


Mit  der  Nachahmung  ihrer  Lieder  haben  Gatull  und  Horaz  die  römische 
Lyrik  Qber  die  seelenlose  Künstelei  der  Alexandriner  erhoben.  *) 

113.  Anakreon^)  von  der  ionischen  Stadt  Teos  (Teius  poeta)  schloss 
sich  im  erotischen  Ton  seiner  Dichtungen  ganz  an  die  lesbische  MeUk  an, 
nur  dass  er  dem  weichlichen  Lebensgenuss  noch  mehr  huldigte  und  im 
ionischen  Dialekte  seiner  Heimat  schrieb.  Vorangegangen  war  ihm  in 
letzterer  Beziehung  unter  seinen  Landsleuten  Pythermos,  der  Skolien 
gedichtet  und  nach  Athen,  p.  625  c  die  ionische  Tonart  eingeführt  hatte. 
Infolge  des  Angriffs  des  persischen  Satrapen  Harpagos  auf  lonien  (545) 
wanderte  Anakreon  nach  Abdera,  einer  teischen  Kolonie  in  ThrlEÜsien, 
aus.')  In  diese  Zeit  wohl  fallen  seine  wenig  rühmlichen  Kriegsthaten, 
deren  er  selbst  scherzend  gedenkt  (fr.  28.  29).  Später  treffen  wir  ihn 
neben  Ibykos  am  Hofe  des  Polykrates,  des  mächtigen  und  kunstsinnigen 
Tyrannen  von  Samos  (533 — 522),  bei  dem  er  als  Herold  der  Liebe  und 
des  Lebensgenusses  in  besonderer  Gunst  stand. ^)  Nach  dessen  Fall  zog 
ihn  Hipparch  nach  Athen,  ^)  und  nachdem  auch  dieser  gefallen  war  (514), 
seheint  er  einer  Einladung  des  Echekrates,  eines  thessalischen  Dynasten 
aus  dem  Hause  der  Aleuaden,  gefolgt  zu  sein.^)  Er  erreichte  das  hohe 
Alter  von  85  Jahren,  ^  und  als  lebenslustigen  Greis,  der  trotz  der  ge- 
bleichten Haare  nicht  von  Wein  und  Liebe  liess,  pflegte  man  ihn  mit 
Vorliebe  sich  vorzustellen.®)  Die  Alexandriner  hatten  von  ihm  Elegien, 
Epigramme,  Jamben  und  Mele,  zusammen  in  5  B.  ;^)  auf  uns  sind  von 
denselben  ausser  zwei  vollständigen  Liedern  (fr.  32  u.  70)  nur  ärmliche 
Trümmer  gekommen.  Die  lamben,  namentlich  das  durch  Athenaios  er- 
haltene Gedicht  auf  Artemon  (fr.  21),  beweisen,  dass  Anakreon  auch  den 
bitteren  Stachel  des  Spottgedichtes  zu  führen  wusste;  aber  die  Mehrzahl 
seiner  Lieder  zeigt  den  heiteren  Gesellschafter  und  feinen  Hofmann,  dem 
das  Saitenspiel  beim  Weingelage  über  alles  geht,  der  nur  durch  das  Beil 
des  Eros  verwundb^  ist  (fr.  48),  und  auch  beim  Herannahen  des  grauen 
Alters  mit  Wein  und  Lied  sich  den  Gedanken  an  den  dunklen  Abgrund 
des  Hades  verscheucht.  Auch  seine  Hymnen  an  die  Götter,  wie  an  Ar- 
temis, Eros  und  Dionysos,  scheinen  nur  zur  Einkleidung  des  Gesangs  von 
Liebeslast  und  Liebessehnsucht  gedient  zu  haben.  Dem  spielenden  und 
weichen  Inhalt  entspricht  auch  die  Form  seiner  Lieder;  als  Strophe  ver- 


^)  Philostr.  Tii  Apoll.  I  30  erwähnt  eine 
Pamphylierin  Damophyle^  welche  damals  die 
Sappho  in  der  Lehensweise  und  in  der  Dich- 
tong  nachahmte. 

^)  Eine  dfirftige  Vita  hei  Soidas;  Welokbr, 
EL  Sehr.  I  251  ff.;  L.  Webbb,  Anacreoniea, 
Diss  Gott.  1895. 

')  Strab.  p.  644;  Soidas  spricht  iirtfim- 
lieh  von  Histiaios. 


*)  HerodJII  121,  Strab.  p.  ( 


Plato  Hipp.  228c,  Charm.  157e. 

<)  Geschlossen  aus  Fr.  103  u.  109. 

^)  Lac.  Macroh.  26;  sein  Grab  befand 
flieh  in  Teos  nach  dem  Epigramm  in  Anth. 
VI!  25,  X  599;  siehe  indes  Bbbok,  Gr.  Lit. 
n339. 

")  So   ist    er    aufgefasst    auf   teischen 


Mfinzen  und  in  einer  Marmorstatue  der  Villa 
Borghese;  s.  Baümbisteb,  Denkm.  79;  als 
Sänger  in  halbtrunkenem  Zustand  dargestellt 
sah  ihn  Pausanias  I  25,  1  auf  der  Akropolis 
in  Athen.  Ueber  die  beste  Büste  jetzt  im 
Berliner  Museum  EEKULii  Jahrb.  d.  arch. 
Inst.  1892  tab.  3.  —  Eine  Liebschaft  mit 
Sappho  las  man  irrtümlich  aus  dem  Lied 
auf  die  schöne  Lesbierin  (fr.  14)  heraus  und 
erdichtete  dann  sogar  ein  Lied  der  Sappho 
an  Anakreon,  das  uns  Athen.  599  d  erhalten 
hat,  aber  als  unecht  verwirft. 

»)  Von  Krinagoras  AP.  IX  239  bezeugt 
ßvßXay  -nBvttt^y  citiert  finden  sich  nur  drei 
Bücher  (lihj^  nach  Grusius  bei  Wissowa  1 2041 
enthielten  <He  zwei  übrigen  Bücher  klsysTa 
xai  iäfißovf. 


152 


Grieohuiohe  Litteraturgesohiohte.    I.  Elassisohe  Periode. 


wandte  er  zumeist  die  gefällige,  aber  übereinfache  Form  glykoneischer 

Systeme,  wie  in 

Ü  naX  naqd-äviov  ßXänwv^  i  ^-^  ^^  j.  ^  - 

diXrjfxai  (X€j  av  i'  ov  xXv€$g         jl  ^  ^<j  t  w  _ 
ovx  etdayg  ort  vfjg  sfirjg  -t  —  -^  v^  z  w  « 

daneben  mit  besonderer  Virtuosität  die  zum  Ausdruck  artigen  Liebesspiels 
vorzüglich  geeigneten  loniker.^)  Unter  Verschmähung  der  Tripodien  scheint 
er  in  allen  Versen  die  dipodische  Messung  durchgeführt  und  dieser  auch 
die  Grlykoneen  in  der  Art  angepasst  zu  haben,  dass  er  den  Vorschlag  der 
lesbischen  Dichter,  die  sogenannte  Hermannische  Basis,  in  den  Rhythmus 
hineinzog.  Zum  subjektiven  Ton  seiner  Lieder  passte  nur  der  Vortrag 
durch  einen  Einzelnen.  Wenn  dagegen  Kritias  fr.  7  in  einem  Preislied 
auf  Anakreon  von  nächtlichen  Mädchenchören  spricht 

ovTiOTh  aov  (fiXorrfi  yriqdtfstai  ovdk  x^aveirm^ 
^av*  av  viwQ  oTvtp  avfxfiiyvvfievov  xvXixeaaiv 
natg  SiaTtofXTrevrj,  ngonoaeiq  inida^ia  veofieov, 
navvv%iiaq  x^'  tegdg  xhrXeig  %OQoi  afiifinsawciv, 
so  kann  sich  das  nur  auf  den  Vortrag  einzelner  weniger  Lieder,  wie  ins- 
besondere der  Hymnen,  beziehen.     Wie  Anakreon  im  Leben  als  höfischer 
Dichter  und  heiterer  Gesellschafter  überall  beliebt  war,  so  hörte  man  auch 
nach  seinem  Tode  noch  gern,  besonders  in  dem  lebensfrohen  Attika  >)  beim 
Gelage  und  bei  nächtlicher  Festfeier  seine  liebestrunkenen  Lieder.     Auch 
in  Alexandrien   beschäftigten  sich  mit  ihm  hervorragende  Grammatiker: 
Chamaileon   schrieb   sein  Leben,  Aristarch  und  Aristophanes  von  Byzanz 
besorgten  kritische  Ausgaben.   Aber  in  der  römischen  Zeit  traten  allmäh- 
lich seine   echten  Gedichte  hinter  den  tändelnden  Spielen  seiner  Nach- 
ahmer zurück.') 

114-.  Die  Anacreontea  sind  eine  Sammlung  von  etlichen  60  Ge- 
dichtchen in  der  Art  des  Anakreon  (AvaxQb'ovvog  tov  Trjiov  avfinoaiaxd 
rjiiiaiißa),  welche  der  Anthologie  des  Eonstantinos  Eephalas  angehängt 
sind.  Dieselben  galten  früher  allgemein  als  echt  und  fanden  noch  im  vorigen 
Jahrhundert  bei  unseren  Anakreontikern  Ramler,  Uz  u.  a.  überschweng- 
liche Bewunderung.  Von  diesem  Taumel  ist  man  jetzt  allgemein  ernüchtert, 
nachdem  man  diese  Lieder  mit  den  echten  Fragmenten  des  Anakreon  acht- 
samer verglichen  und  ihre  grosse  Verschiedenheit  in  Versbau,  Dialekt  und 
Ton  erkannt  hat.  Dass  die  Sammlung  Nachahmungen  enthalte,  ist  indes 
früh  bemerkt  worden;  trägt  doch  das  2.  die  Überschrift  tov  aviov  Baaihov, 
und   spricht   das  60.  geradezu   von   Nachahmung   des  Anakreon.     Aber 


^)  Auffftlligerweise  hatte  Anakreon  nach 
Ath.  635  c  nur  die  Indische,  phiygische  und 
dorische  Tonart,  nicht  auch  die  ionische 
in  seinen  Melodien  angewandt.  Die  ge- 
brochene Form  des  lonicus,  welche  sich 
Anakreon  neben  der  regelrechten  erlaubte, 
sahen  Spätere  als  Nachlässigkeit  an,  welche 
Anschauung  sich  in  Horaz  Ep.  14,  12  m>n 
elaboratum  ad  pedetn  ausspricht. 


')  In  Athen  stand  sein  Erzbild  auf  der 
Burg  (Paus.  I  35);  vom  Kultus  des  Ana- 
kreon in  Athen  meldet  uns  das  schöne  Epi- 
gramm des  geistreichen  Oligarchen  Ejitiaa 
fr.  7. 

')  Horaz  hat  noch  Anklänge  an  den  echten 
Anakreon;  so  Od.  I  23  u.  m  11,  9  an  Fr.  51 
und  75;  vgl.  Od.  I  27  u.  Fr.  68. 


B.  Lyrik.    6.  Liederdichter  oder  Meliker.    (§§  114—115.)  153 

Benüey,  Mehlhorn,  Stark,  Welcker^)  begnügten  sich  mit  der  Annahme 
einer  Vermischung  ven  Echtem  mit  Unechtem,  während  heutzutag  allge- 
mein die  ganze  Sammlung  als  spielende  Nachahmung  aus  verschiedenen 
Zeiten  angesehen  wird.  Der  erste  Teil,  welcher  die  20  ersten  Gedichte 
nmfasst  und  mit  einem  Lied  in  Pherekrateen  abschliesst, ')  scheint  schon 
dem  Gellius  XIX  9  vorgelegen  zu  haben,  der  daraus  das  3.  unter  dem 
Namen  des  Anakreon  anfuhrt.  Der  zweite  Teil  (21 — 34)  ist  eine  Doppei- 
grappe von  sieben  Gedichten  in  Hemiiamben  und  sieben  in  gebrochenen 
ionischen  Dimetem,  darunter  das  artige,  von  Goethe  nachgebildete  Ge- 
dichtchen  auf  die  Zikade  (22).  Der  Rest  umfasst  Gedichte  jüngeren  Da- 
toms,  zum  Teil  schon  mit  starken  metrischen  und  prosodischen  Fehlem, 
wie  52,  8  und  58,  2.  In  diesen  jüngeren  Gedichten  tritt  auch  entsprechend 
den  gebesserten  Sitten  der  Zeit  die  Enabenliebe  ganz  zurück.  —  Dem 
aus  dem  Altertum  stammenden  Corpus  Anacreonteorum  lässt  Bergk 
in  der  Ausgabe  der  PLG  noch  aus  der  Publikation  von  Matranga  eine 
Appendix  von  ähnlichen  Nachbildungen  aus  dem  beginnenden  Mittelalter 
folgen,  die  mit  den  christlichen  Anakreonteen  des  Sophronios  ver- 
wandt sind. 

115.  Neben  den  grossen  Meistern  Alkaios,  Sappho,  Anakreon  hat 
Griechenland  noch  eine  Reihe  von  Liederdichtern  und  namentlich  Lieder- 
dichterinnen 3)  in  äolischen  und  dorischen  Landschaften  hervorgebracht. 
Von  ihnen  sind  die  namhaftesten:  Myrtis  aus  Anthedon  in  Böotien, 
Eorinna  aus  Tanagra,  die  beide  zur  Zeit  Pindars  lebten,  die  erstere 
sogar  in  einen  Wettstreit  mit  dem  grossen  Chormeister  sich  einliess. 
Beide  dichteten  in  dem  einheimischen  böotischen  Dialekt  und  verherr- 
lichten hauptsächlich  auch  einheimische  Lokalsagen  in  ihren  Liedern. 
Praxilla  aus  Sikyon,  die  nach  Eusebius  um  455  blühte,  erwarb  sich  be- 
sonders durch  ihre  Trinklieder  Ruhm;  nach  ihr  ist  auch  ein  Metrum 
n(fa^illsMv  genannt,  von  dem  die  Metriker  als  Muster  anführen: 

CO  diä  zcov  &VQiSa)V  xakov  iixßXänoiaa, 
Telesilla    aus   Argos    dichtete    Lieder   in    leichten    ionischen  Dimetem 
a  maiore   oder   wie   die   Neueren   sagen,  in    logaödischen    Tripodien    mit 
schwerem  Auftakt;  Hephästion  gibt  als  Beispiel 

"Ai'  ^ÄQTefjug,  cS  xoQai, 

(fsvyoiaa  Tov  ^AXipsov, 
Gefeiert  war  dieselbe  durch  ihren  Heldenmut,  indem  sie  als  Kleomenes 
die  Argiver  besiegt  und  die  waffenfähigen  Männer  getötet  hatte  (im 
Jahre  510),  die  Frauen  zur  Verteidigung  der  Stadt  aufgerufen  haben  soll.^) 
AuffiLllig  ist  nur,  dass  Herodot,  der  VI  76  ff.  jene  Kämpfe  erzählt,   nichts 


_     •    v>\^    _ 


V.>V--'  _ 


')  Wklcksb,  Die  Anakreonteen,  El.  Sehr, 
n  356  ff. 

*)  Hanssbh,  Ueber  die  Gliederung  der 
Aiakreonteeii  in  Yhdl.  der  36.  Vers.  d.  Phil, 
a  Karifinike  1882;  Anacreonteomm  sylloge 
Pdatina,  Ups.  1884.  In  den  Gedichten  21 
to  31  weist  Cbusivs,  Philol.  N.  F.  1  238  ff.  '  Polybi  VIII  23. 
Aükliiige  an  Wendungen  der  Sophisten  der 


Eaiserzeit  nach.  Nr.  5  trfigt  in  Anth.  Pia- 
nudea  388  die  Aufschrift  'lovhavov  dnd 
vnuQX^^  Aiyvnxov, 

>)  Antipater  Anth.  IX  26  zählt  9  Dich- 
terinnen, 80  viel  wie  Musen,  auf. 

*)  Paus.  II  20,  8;  Plut.  de  virt.  mul.  8; 


154 


Grieohiaohe  LitteratargMcliiohte.    L  EUtBsisohe  Periode. 


von  der  Telesilla  meldet,  wozu  noch  kommt,  dass  auch  Eusebios  dieselbe 
weit  später,  OL  82,  2,  ansetzt.  Noch  weniger  kann  die  Erinna,  die  an- 
gebliche Freundin  der  Sappho,^)  von  der  es  ein  berühmtes  Gedicht  in 
Hexametern,  die  Spindel  {fjXaxdvrj)  gab,  unserer  Periode  zugewiesen 
werden ;  vielmehr  lebte  dieselbe  im  Anfang  der  alexandrinischen  Zeit  und 
ist  nur  dadurch,  dass  sie  mit  Glück  die  Sappho  nachahmte,  zum  Ruhme 
einer  Freundin  der  lesbischen  Dichterin  gekommen.^) 

116.  Volkslieder^)  im  weiteren  Sinn  waren  fast  alle  Dichtungen 
der  klassischen  Lyrik  der  Griechen,  insofern  sie  alle  für  die  weiten  Schichten 
des  Volkes  bestimmt  waren  und  vom  Volke,  von  einzelnen  oder  im  Chor, 
gesungen  wurden.  Speziell  aber  verstehen  wir  unter  Volksliedern  solche, 
deren  Verfasser  unbekannt  war  und  die  man  deshalb  vom  Volke,  das  sie 
sang,  auch  hervorgebracht  wähnte.  Gegenüber  der  enormen  Zahl,  die 
unser  deutsches  Volk  an  solchen  Dichtungen  besitzt,  sind  uns  aus  dem 
alten  Griechenland  nur  wenige  Volkslieder  erhalten.  Die  einfachste  Form 
des  rhythmischen  Volks witzes  ist  das  Sprichwort  (naQoifua),  das  bei  den 
Griechen  meistens  die  Form  des  davon  benannten  Versus  paroemiacus  hatte, 
wie  (fiXei  S^  voTog  fuerd  ndxvr^v  oder  iiXXoi  xdfjLov  ixXXoi  oi'avro.*)  In  ihre 
Klasse  gehören  auch  die  später  den  sieben  Weisen  zugeteilten  Eernsprüche, 
wie  yvm^i  ceavrov,  iiäxQov  aqiaxov^  und  die  in  landläufige  Verse  gekleideten 
volkstümlichen  Rätsel  {yqT<foi).  Kunstvoller  sind  die  aus  mehreren,  meist 
lyrischen  Versen  bestehenden  Volkslieder,  wie  das  Mahllied  (y<fj;  im/^iviiog) 
der  Lesbier,  das  Spinnerlied,  das  Kelterlied,  das  Lied  auf  den  GK)tt  Dio- 
nysos, das  die  Frauen  in  Elis  sangen,  das  Schwalbenlied  der  Rhodier^)  u.  a. 
Das  Schönste  aber,  was  die  Griechen  in  dieser  Gattung  leisteten,  ist  in 
den  attischen  Trinkliedern  enthalten,  in  denen  kerniger  Freiheitssinn 
mit  frohem  Lebensmut  gepaart  ist.  Einen  hübschen  Kranz  von  solchen 
Skolien,  eine  Art  von  Kommersbuch  aus  dem  5.  Jahrhundert,  verdanken 
wir  der  Aufzeichnung  durch  Athenaios  p.  694.«) 


6.  Chorische  Lyriker. 

117.  Über  den  Chorgesang  im  Gegensatz  zur  Melik  und  über  die 
einzelnen  Formen  desselben  habe  ich  bereits  oben  §  110  gehandelt.  Seine 
Blüte  erreichte  derselbe  unter  dem  Dreigestirn  Simonides,  Pindar  und 
Bakchylides,  also  zur  Zeit,  als  bereits  die  Glanzperiode  des  Melos  vorüber 
war ;  aber  die  Anfänge  der  chorischen  Poesie  reichen  über  Alkaios  hinauf 
und  knüpfen  unmittelbar  an  die  musischen  und  orchestischen  Neuerungen 


')  So  Snidas,  der  sie  iraigay  Zantpovg 
xtn  ofAoxQoyoy  nennt,  womit  aber  Eusebios 
nicht  stimmt,  der  sie  auf  352/1  v.  Chr.  setzt. 

')  Reitzenstein,  Epigr.  142. 

')  Bebok,  PLG  unter  Carmina  popu- 
laria;  Ritschl,  Opusc.  I  249  ff.;  Benoist, 
Des  ch^nts  populaires  dans  la  Gr^ce  anti- 
que,  Nancy  1857. 

^)  Zusammenstellungen  von  Meinbke  zu 
Theokrit  524  ff.;  Haupt,  Opusc.  III  520; 
Usenkr,  Altgriech.  Versbau  43  ff.     In  letzt- 


genannter Schrift  ist  zugleich  der  Nachweis 
geliefert,  dass  viele  hexametrische  Senteuen 
der  Eunstdichter  aus  solchen  volkstttmliehen 
Sprichwörtern  erweitert  sind. 

^)  Usenbr  a.  0.  80  ff.  üeber  den  Brauch 
der  mit  einer  Schwalbe  oder  Erfthe  in  der 
Hand  herumziehenden  Bettelknaben  s.  Aih. 
359.  Anklänge  im  Neugriechischen  bei  Pas- 
sow,  Neugr.  Volkslieder  No.  805-8. 

^)  REiTZBHSTBUTy  Epigramm  a.  Skolion 
p.  13  -24. 


B.  Lyzik.    6.  Chorisohe  Lyriker. 


116—118.) 


155 


des  Terpander  und  Thaletas  an.^)     Seine  Entwicklung  hängt   mit   dem 
Glänze  der  musischen    Wettspiele   {aytaveg)  zusammen,  welche   seit   dem 
7.  Jahrhundert   die  Dorier  und  später  die  Athener  im  Anschluss  an  die 
ödtterfeste,  namentlich  des  Apoll  und  des  Dionysos  entfalteten.^)     Voran 
ging  Delphi,  der  altehrwürdige  Eultsitz  des  Apoll,  und  Sparta,   wo,  wie 
Terpander  sang,   der  Lanzenwurf  der  Jünglinge  und   der  helle  Sang  der 
Musen  blühte.    Ihnen  folgten  bald  andere  Städte  im  griechischen  Festland 
und  in  den  Kolonien  mit  ähnlichen  Festen  der  Götter  und  Heroen  nach.   Zu 
den  Götterfesten  gesellte  sich  im  weiteren  Verlauf  die  Feier  der  Siege  in  den 
Nationalspielen,  indem  die  Städte  die  Erfolge  ihrer  Bürger  sich  zur  all- 
gemeinen Ehre  anrechneten  und  dieselben  mit  festlichen  Aufzügen  lohnten. 
Bei  keinem  derartigen  Feste  fehlte  der  Gesang;  der  Inhalt  desselben  hatte 
selbstverständlich  einen   objektiven  Charakter   und   bezog  sich  in   erster 
Linie  auf  den  Anlass  des  Festes,  den  Mythus  des  Gottes  oder  Halbgottes 
und  die  Ruhmesthat  des  Siegers.   Doch  mischte  frühzeitig  der  Dichter  auch 
seine  subjektiven  Gefühle  in  die  erzählende  Darstellung,  und  zwar  so,  dass 
er  den  singenden  Chor  zum  Träger  seiner  eigenen  Empfindungen  machte. 
Es  waren  vorzüglich  die  Partheoien,   die  in  dieser  Beziehung  die  Brücke 
zwischen  Gefühl  und  Erzählung,  Melik  und  Chorgesang  schlugen.   Die  Form 
des  Chorgesangs  war  von  vornherein  ernster  und  feierlicher,  so  dass  statt 
der  spielenden  Logaöden  die  gravitätischen  Daktylo-Epitriten  vorherrschten. 
Die  beseitenden  Tanzbewegungen  riefen  die  Gliederung  in  Strophe,  Anti- 
sta*opbe  und  Epode  hervor;  ebendaher  stammte  der  grössere  Umfang  der 
Strophen  und  die  kunstvollere  Gestaltung  der  Perioden,  deren  Verständnis 
indes  ohne  Hilfe  des  Gesangs  schon  den  Alten  verschlossen  war.^)     Die 
Grundlage  der  Sprache  bildete  das  Dorische  oder  der  Dialekt  der  Heimat 
der  ältesten  Chorlyriker,  der  auch  beibehalten  wurde,  nachdem  die  chorische 
Poesie  zu  anderen,  nichtdorischen  Stämmen  getragen  war.    Doch  blieb  die 
Sprache  der  Ghorlyrik  nicht  so  gleichmässig  wie  die  epische,  indem  dieselbe 
dadurch,  dass  sie  einzelne  Formen  und  Wörter  teils  aus  dem  alten  epischen 
Dialekt  und  der  äolischen  Melik,  teils  aus  der  speziellen  Heimat  der  einzelnen 
Dichter  aufoahm,  zu  einem  Kunstdialekt  mit  dorischem  Grundton  wurde.*) 

118.  Alkman  blühte  in  der  2.  Hälfte  der  7.  Jahrhunderts,  nach  Archi- 
lochos  und  Thaletas  und  vor  Alkaios.*^)    Seine  Heimat  war,  wie  er  selber 


')  Sn  zeitUches  Anzeichen  liegt  darin, 
da»  zu  Delphi  der  Einzelgesang  zur  Kithara 
im  J.  .554  V.  Chr.,  zur  Flöte  schon  582  auf- 
Se^ben  wurde. 

')  RnsGH,  De  mnsicis  Graecorum  certa- 
■inflms,  Wien  1886.  Vgl.  oben  §  92.  Durch 
A'e  neuen  Feste  des  Apoll  und  Dionysos 
surfen  die  alten  Feste,  wie  in  Athen  die 
^MrVur,  K^tfia,  UocsiihSyia,  stark  in  den 
SButergnmd  geschoben. 

*)  Qc.  Or.  183:  a  modis  quibusdam 
«w^K  remoto  soluta  esse  videatur  oratio 
^»oximeque  id  in  optitno  quoque  eorum  poe- 
•■nwi  gut  kvgixoi  a  Graecis  nominantur. 

*)  Absbss,  Ueber  die  Mischung  der  Dia- 
*^  in  der   griechischen   Lyrik,   Vhdl.  d. 


Philol.  in  Gottingen  1852.  Auf  die  lokalen 
Dialekte  will  die  Sprache  der  einzelnen  Ly- 
riker zurückflihren  Fühbeb,  Die  Sprache  und 
Entwicklung  der  griechischen  Lyrik,  Progr. 
von  Münster,  und  Philol.  44,  49  ff. 

^)  Suidas  setzt  ihn  Ol.  27,  Eusebios  Ol. 
30, 4  und  42, 2;  entscheidend  ist,  dass  er  nach 
Suidas  unter  dem  lydischen  König  Ardys 
lebte,  was  wohl  aus  einer  Stelle  seiner  Ge- 
dichte hervorgegangen  sein  wird.  Vergl. 
Bdsolt,  Griech.  Gesch.  P  601.  Im  Kanon 
stand  er  vor  Alkaios.  In  Alexandrien  schrieb 
Sosibios  neQi  'Ahtfjtdvog  in  mindestens  3.  B. 
Danach  Alezander  Polyhistor  nsQi  tcSy  naQ* 
^AXxfiäyi  xonixcSg  ei^fiirtDv. 


156 


GrieohUohe  litteratnrgeBohiohte.    I.  Elassuiohe  Periode. 


Fr.  25  bekennt,  das  lydische  Sardes.^)  Von  dort  brachte  er  die  Kenntnis 
der  lydischen  Musik  und  der  äolischen  Gesangsweisen  mit.  Seine  Thätig- 
keit  entfaltete  er  in  Sparta,  wo  bereits  Terpander  und  Thaletas  den  Grund 
zur  Pflege  musischer  Künste  gelegt  hatten.  >)  Er  scheint  dorthin  als 
Kriegsgefangener  aus  den  Raubzügen  der  Kimmerier  gekommen  zu  sein, 
muss  aber  dann  in  irgendwelcher  Weise  das  lakonische  Bürger-  oder 
Heimatsrecht  erlangt  haben,«)  da  er  bei'Suidas  Adxcov  and  Msacoaq  ge- 
nannt wird  *)  und  in  seinen  Gedichten  ganz  wie  ein  vollberechtigter  Bürger 
Lakedämons  auftritt.  Auch  den  Namen  Alkman  oder  Alkmaion  soll  er 
nach  Alexander  Aetolus  (Anth.  YII  709)  erst  in  Lakedämon  erhalten 
haben.  Den  Tod  fand  er  hochbejahrt,  da  er  Fr.  26  über  das  Alter  klagt, 
das  ihm  die  Kniee  lähme,  und  sich  das  Los  des  Eisvogels  wünscht,  den 
im  Alter  die  Weibchen  über  das  Meer  hintragen.  Die  Pietät  Spartas 
setzte  dem  Dichter  der  Jungfernlieder  an  der  Laufbahn  {dQo^oq)  der 
Mädchenriegen  ein  Denkmal,  das  noch  Pausanias  sah.^)  Seine  Gedichte 
in  6  B.  waren  in  altlakonischer,  mit  epischen  und  äolischen  Elementen 
versetzter  Mundart  geschrieben.^)  Den  Hauptruhm  verdankte  er  seinen 
Parthenien,  welche  mindestens  2  B.  füllten  ^)  und  von  welchen  Mariette 
1855  ein  grosses  Bruchstück  mit  alten  Randbemerkungen  aus  ägyptischer 
Grabesnacht  an  das  Tageslicht  gezogen  hat.  Es  standen  dieselben  in  der 
Mitte  zwischen  dem  geistlichen  und  weltlichen  Lied,  indem  dem  Lobpreis 
der  Gottheit  die  Verherrlichung  des  Liebreizes  der  Chorführerinnen  bei- 
gemischt war.  Damit  stimmt  es,  dass  den  Ghorgesängen  des  Alkman  eine 
sehr  subjektive  Färbung  nachgesagt  wird,  und  dass  Athenaios  p.  600  f  unseren 
Dichter  geradezu  zum  Begründer  der  erotischen  Lyrik  macht.  Bestimmt 
waren  die  Parthenien  zum  Vortrag  durch  Chöre  oder  Riegen  (dyelai)  von 
Jungfrauen,  wie  sie  in  Sparta  für  die  turnerischen  Übungen  der  Mädchen 
in  der  Laufbahn  {igofioq)  gebildet,  dann  aber  auch  zu  Gesängen  und 
gottesdienstlichen  Handlungen  verwendet  wurden.*)  Aber  wie  die  Halb- 
chöre  einander  ablösten,*)  welches  die  Aufgabe  der  Chorführerinnen  war. 


^)  Alexander  Aetolus,  Anth.  YII  709 
bezeichnet  Sardes  nur  als  Heimat  der  Yäter 
des  Dichters. 

^)  lieber  das  liederreiche  Sparta  der 
älteren  Zeit  Plut.  Lyc.  21  und  Ath.  632  f. 
Namen  älterer  Dichter  Spartas  waren  Gitiades 
(Paus.  III  17.  2),  Spenden  (Plut.  Lyc.  28), 
Dionysodotos  lAth.  678  c).  Plutarch  a.  0. 
hat  uns  tlher  das  alte  Sparta  den  berühmten 
Lobpreis  des  Pindar  erhalten:  Bvd^a  ßovXal 
ycQOvxtoy  xal  vi(av  dy&Qtsiv  «giarsvotaiv 
aixfdui  xal  x^Q^'^  *<*^  Motaa  xtcl  'AyXata. 
Cf.  Pind.  fr.  112  u.  Pratin.  fr.  2. 

•)  Heracl.  Pont.  fr.  2:  'JXxfuay  oUett^g 
rjy  *Ayijüidaf  evtpvfjs  6^  wv  i]X€V\^6gij&tj  xal 
7i  oiTjxtjg  an^ßt]. 

^)  Indem  Suidas  dieses  Meaaoa  mit  Mes- 
sene  verwechselte,  nahm  er  einen  zweiten 
Alkman  an. 

s)  Paus,  in  15,  2.  Poetische  Grab- 
schriften, natürlich  jüngere  in  Anth.  VII  18 
u.  19. 


«)  Spibss  in  Gurt.  Stud.  X  331  ff.; 
Schubert  Sitzb.  d.  Wien.  Ak.  1878  S.  517  ff; 
Meister,  Griech.  Dial.  I  20;  Jübenka,  Zqt 
Aufhellung  der  Alkman'schen  Poesie,  Wien 
1896  Progr.  Leider  ist  der  Boden  rar  £r> 
kenntnis  der  sprachlichen  Form  sehr  un- 
sicher, wie  bei  allen  Dichtem,  die  wir  nur 
ans  Gitaten  kennen. 

^)  Steph.  Byz.  u.  'E^tHjt/17. 

*)  Unterrichtet  werden  wir  über  die 
Vereinigung  von  240  Altersgenoasinnen  (oua^ 
Aexe?)  unter  12  Vorsteherinnen  haapts&chlich 
durch  Theokrit  XVIII,  wozu  Eaibel  Herrn. 
27, 255.  Wie  dann  diese  Mädchenriegen  mit 
Reigengesängen  auftraten  und  die  jungirftii« 
liehe  Jagdgöttin  Artemis  feierten,  davon  gibt 
uns  Aristophanes  am  Schluss  der  Lyaistrate 
ein  anschauliches  Bild. 

»)  Auf  Halbchöre  zu  10  und  11  (d.  i. 
10  Ohoreutinnen  und  1  ChorfÜhrerin)  ist  am 
Schlüsse  des  erhaltenen  Parthenion  selbst 
hingewiesen. 


B.  Lyrik.    6.  Chorüiohe  Lyriker.    ($  119.) 


157 


\y^^      ^      \-Aw> 


and  in  welcher  Form  der  Dichter  seine  eigenen  Empfindungen  in  dem 
Gesang  der  Mädchen  zur  Geltung  brachte,  darüber  besteht  noch  grosse 
TJnklarkeit.  Ausser  Parthenien  dichtete  Alkman  auch  Hymnen,  Päane, 
Skolien.  In  den  Rhythmen  schloss  er  sich  teilweise  noch  der  daktylischen 
Art  der  terpandrischen  Nomen  an,  dichtete  daneben  aber  auch  Kretiker, 
lamben  und  leichtflissige  Logaöden  nach  der  Art  des  lesbischen  Dichter- 
paares. Über  seine  Kunst  in  der  Strophenbildung  lässt  sich  schwer 
arteilen,  da  die  Fragmente  zu  dürftig  sind  und  keine  seiner  Strophen 
Nachahmer  gefunden  hat  oder  populär  geworden  ist.  In  dem  erhaltenen 
Parthenion  hat  der  Scharfsinn  von  Blass  und  Ahrens  Strophen  von  14  kurzen 
Versen  nachgewiesen,  die  sich  in  zwei  gleiche,  epodisch  gebaute  Vorder- 
sätze (V.  1—4  =  5 — 8)  und  in  einen  grösseren,  gleichfalls  aus  trochäischen 
und  logaödischen  Elementen  gebildeten  Zugesang  gliedern.  In  anderen 
Gedichten  wandte  er  einfachere  Strophenformen  an,  wie  in  dem  Hymnus 
auf  Zeus  (fr.  1)  dreigliedrige  Strophen,  bestehend  aus  zwei  daktylischen 
Gliedern,  einer  akatalektischen  Tetrapodie  und  einer  katalektischen  Tri- 
podie,  und  einem  iambischen  Epodos: 

M£c'  aysy  Mwca  Xlyeia  noJivfiinei^g 

ätvaoiie  fiäkog 

räoxfiov  aQX€  naqökvoig  aeidev,  ' 

Sitzleb,  Die  Lyriker  EnmeluB  Terpander  u.  Alkman,  E[arl8nilie  1886.  —  Dibls,  Das 
igTptiache  Parthenion  nach  neuer  Vergleichung,  Herrn.  31,  359  fF.  —  Jurenka,  Der  ägyptische 
Papyrus  des  Alkman,  Sitzb.  d.  Wiener  Ak.  1896,  Wiener  Studien  XIX  2,  Philol.  56,  399  ff. 

119.  Arion^)  aus  dem  lesbischen  Methymna  lebte  und  wirkte  an 
dem  Hofe  des  Periander,  des  kunstsinnigen  Tyrannen  von  Korinth  (625 
bis  585).*)  Allbekannt  ist  die  schöne  Legende  von  der  Seefahrt  des 
Meisters  der  Töne  von  Tarent  nach  Korinth,  und  von  seiner  Rettung 
dnrch  den  Delphin,  der  ihn  unversehrt  an  das  Land  nach  Tainaron  trug. 
Aelian,  der  in  der  Tiergeschichte  XII  45  ausführlich  die  Fabel  erzählt, 
teilt  uns  zugleich  den  angeblich  von  Arion  selbst  auf  das  Votivdenkmal 
in  Tainaron  gesetzten  Hymnus  auf  Poseidon  mit.  Dass  derselbe  nicht  von 
Arion  herrührt,  hat  Böckh  erkannt;  Metrum  und  Sprache  weisen  uns  nach 
Attika  und  auf  die  Zeit  des  Euripides  hin.^)  Die  Bedeutung  des  Arion 
besteht  wesentlich  in  dem  Anstoss,  den  er  mit  seinen  Dithyramben  für 
die  Entwicklung  der  Tragödie  gab,  worauf  wir  weiter  unten  zurückkommen 
werden.  Suidas  führt  von  ihm  nqooiixia  elg  ^nr^  ,ß'  an,  aber  diese  Gedichte 
müssen  frühe  verschollen  sein,  wenn  sie  überhaupt  je  existierten.*) 


j.   v>^    _ 


V,.A-»  —  V-^^  — 


W         -i         W         _         W       Jl       ii 


>)  Herod.  I  23  f ;  ein  Artikel  bei  Suidas; 
der  dort  angegebene  Name  seines  Vaters 
Kvxlfrg  (von  xvxXtog  X^9^^)  '8^  offenbar 
fingieit^  findet  sich  aber  schon  auf  der  alten 
fca.  OL  40)  Inschrift  von  Thera  bei  Eaibel 
Ep.  gr-  1086  KvxXeidrjg  K]vxXijog  iide'Afpeno 
*A^»pi,  I   xor  dtXfpif  [atace,  fivrjfjioavvoy  rä- 

*)  Find.  Ol.  XIII  18  von  Korinth:  rat 
Jivrvcov  nöi^^r  iietpayer  avr  ßOfiXaKf»   x^' 


3)  Bbbqk  PLG  unter  Arion;  Lehrs 
Popul.  Aufs.«  385  ff.  Von  Einfluss  war  der 
Münzfcypus  des  auf  einem  Delphin  reitenden 
Taras,  des  Sohnes  des  Poseidon.  Mit  dem- 
selben stimmt  hübsch  die  Zeichnung  Albr. 
Dfirers  ttberein,  welche  den  von  einem  Del- 
phin getragenen  Arion  darstellt;  siehe  Jahn, 
Popul.  Aufs.  S.  351. 

*)  Crüstus  bei  Wissowa  II  840  ver- 
mutet eine  Fälschung  des  Schwindlers  Lobon. 


158 


Chrieohisohe  LitteratnrgeBohichte.    I.  Klassisohe  Periode. 


120.  Stesichoros*)  (um  640—555)*)  stammmte  aus  dem  lokrischen 
Matauros,  wo  damals  die  Pflege  der  Musik  in  hoher  Blüte  stand,  galt  aber 
als  Himeräer,*)  da  er  in  Himera  den  grösseren  Teil  seines  Lebens  zu- 
brachte. Die  Himeräer  warnte  er  auch  vor  den  ehrgeizigen  Plänen  des 
Phalaris,  indem  er  ihnen  die  Fabel  von  dem  Pferde  erzählte,  welches,  um 
sich  an  dem  Hirsch  zu  rächen,  von  dem  Menschen  den  Zaum  annahmt) 
Aber  vergeblich  waren  seine  Warnungen;  er  selbst  musste  fliehen  und 
starb  in  Katane,  wo  man  vor  dem  Thore  sein  Grabdenkmal  zeigte.*)  —  In 
der  Entwicklung  der  griechischen  Poesie  nimmt  Stesichoros  eine  hervor- 
ragende Stellung  ein;  er  war  nicht  bloss  ein  ungewöhnlich  fruchtbarer 
Dichter  (seine  Werke  umfassten  nach  Suidas  26  Bücher),  er  hat  auch 
das  besondere  Verdienst,  neue  Formen  erfunden  und  die  Pflege  der  Poesie 
von  dem  Osten  über  die  Brücke  der  ozolischen  und  epizephyrischen 
Lokrer  nach  Italien  und  Sikilien  getragen  zu  haben.  Vorgearbeitet  war 
ihm  in  diesen  westlichen  Landen  durch  den  alten  sikilischen  Meliker 
Xanthos,  den  er  selbst  in  der  Orestie  nachgeahmt  haben  soll,  •)  femer 
durch  Xenokritos  aus  Lokri,  der  unter  den  Mitbegründern  der  zweiten 
Musikperiode  in  Sparta  genannt  wird,')  und  Arion,  von  dessen  Sänger- 
fahrten nach  Sikilien  die  Sage  erzählt.  In  den  musikalischen  und  rhyth- 
mischen Formen  hat  er  sich  weniger  an  die  lesbischen  Meliker  an- 
geschlossen, als  an  den  Auleten  Olympos, «)  von  dem  er  den  Prosodiakus 
(daktylische  Tripodie  mit  Auftakt),  ein  Hauptelement  der  Daktylo-Epitriten, 
entnahm.  Dem  Inhalt  nach  bezeichnet  den  Charakter  seiner  hauptsäch- 
lichsten Dichtungen  hübsch  Quintilian  X  1,  62  mit  den  Worten:  epici  car- 
minis  onera  lyra  sustinuit,^)  Der  Mythus  mit  seinem  reichen  und  stets 
von  neuem  bereicherten  Inhalt  bildete  wie  bei  Homer  und  Hesiod  das 
Hauptelement   seiner  Muse.     Da  aber   zu  seiner   Zeit  das   Ansehen    der 


^)  Artikel  bei  Saidas;  Wblckkb,  Stesi- 
choros in  Kl.  Sehr.  I  148  ff.;  Rizzo,  Qaestioni 
Stesichoree,  I  Vita  e  scuola  poetica,  Messina 
1895.  Die  zwei  Erwähnungen  eines  Stesi- 
choros in  der  parischen  Marmorchronik  zu 
485  u.  370  V.  Chr.  haben  schwerlich  mit 
unserem  Stesichoros  etwas  zu  thun;  vgl. 
RoHDB  Rh.  M.  33,  198  ff. 

^)  Die  Zahlen  sind  danach  berechnet, 
dass  er  nach  Luc.  Macrob.  85  Jahre  alt 
wurde  und  nach  Suidas  und  Eusebios  Ol.  56,  2 
starb. 

')  Suidas:  ix  noXetog  IfAegag  rryc  ^txeXiag, 
xaXeTjfti  yovy  'IfASQaiogy  ol  6i  ano  Maravgiag 
tfjg  iv  'IraXlify  ol  cf^  ano  IlaXttvxlov  i^g  'Aq^ 
xadiag.  Vgl.  Steph.  Byz.  u.  MaravQog.  Lokroi 
wird  als  Geburtsstadt  des  Stesichoros  auch 
vom  Rhetor  Himerios  bezeichnet  or.  XXEX 
*j4XxaTog  Aiaßop  xai  AoxQorg  iXöyovg  cod., 
em.  Wilamowitz)  xonfisl  IrtjalxoQog.  Von 
einem  den  Lokrem  gegebenen  Rat  berichtet 
Aristot.  rhet.  II  21.  Nach  der  von  Alki- 
damas verbreiteten  Sage  war  er  Sohn  des 
Hesiod  und  der  Elymene,  worüber  oben 
§  65  und  NiETZscHB  Rhein.  Mus.  28,  223  ff. 
Suidas  zählt  f&nf  verschiedene  Namen  seines 


Vaters  auf;    Eukleides  heisst  derselbe  auf 
einer  Herme  IGSI  1213. 

*)  Arist.  Rhet.  II  20.  In  Himera  sah 
acero  in  Verr.  H  85,  87  (vgl.  PoUux  IX  100) 
seine  Statue;  sein  Bild  als  Greis  mit  einer 
Rolle  auf  einer  Mttnze  von  Himera  bei 
Visconti  Icon.  gr.  III  7  und  Baumbisteb, 
Denkm.  S.  1710. 

6)  Suidas  in  der  Vita;  Anth.  VU  75; 
das  Grabdenkmal  hatte  acht  Ecken  und  acht 
Säulen,  war  also  ähnlich  dem  sogenannten 
Grabmal  der  Horatier  in  der  Campagna.  Ent- 
gegen der  Wirklichkeit  gingen  die  Fälscher 
des  uns  erhaltenen  Briefwechsels  zwischen 
Stesichoros  und  Phalaris  von  einem  freund- 
schaftlichen Verhältnis  der  beiden  Männer  aus. 

^)  Ath.  513  a.  Dagegen  verweist  den 
Xanthos  zu  den  Fiktionen  Robebt,  Bild  u. 
Lied  173  ff. 

7)  Oben  §  91 ;  Plut.  de  mus.  10. 
»)  Plut.  de  mus.  29. 

^)  Aehnlich  von  ihm  Antipater  Anth.  VU 
75:  ov  xard  Tlv&ttyoqov  (pvct-xdy  g>ätuf  d 
nQiv  'Ofiijgov  V^i'/ff  iyi  ifrdgvoig  &tut€goy 
(^xiaaio'  ebenso  Anth.  IX  184. 


B.  Lyrik.    6.  Chorivohe  Lyriker,    (g  120.) 


159 


epischen  Dichtung  und  die  Einfachheit  der  daktylischen  Hymnen  im  Er- 
löschen waren  und  insbesondere  bei  den  Doriem  an  den  Festen  der  Götter 
und  Heroen  ^)  Reigentänze  und  Chorgesänge  sich  grösserer  Beliebt- 
heit erfreuten,  so  erzählte  er  die  Mythen  in  lyrischen  Yersmassen  und 
liess  sie  von  Chören  an  den  religiösen  Volksfesten  vortragen.^)  Er  hatte 
dabei  den  grossen  Vorteil,  in  SikiUen  mit  seinen  Mythen  Neues  zu  erzählen, 
da  hier  die  Werke  des  Homer  und  Hesiod  noch  keine  allgemeine  Ver- 
breitung gefunden  hatten.  Aber  auch  viel  Neues  und  Altes  in  neuer  Be- 
leuchtung enthielten  sein  Gedichte,  so  dass  dieselben  auch  in  Attika  viel- 
verbreitet und  namentUch  von  den  Tragikern  vielbenutzt  wurden.')  Den 
Inhalt  seiner  episch-lyrischen  Gedichte,  von  denen  uns  nur  spärliche  Reste 
erhalten  sind,  bezeichnen  die  Titel  aO-Xa  ijü  üeXtf,^)  rrjQvovrjtg^  KsgßcQog^ 
Kvxvogy  Sxvliay  EvQconeta^  ^EQtifvXa^  2vo&rJQat^  *lidov  nägaig,  Noaroi^  'Ogä- 
ffTcia.  In  den  Fragmenten  der  Geryoneis,  in  der  der  Sonnenmythus  eine 
grosse  Rolle  spielte,  finden  sich  merkwürdige  Anklänge  an  ägyptische  An- 
schauungen. Denn  wie  in  Fr.  8  Helios  den  goldenen  Becher  besteigt,  um 
damit  durch  den  Okean  zur  dunklen  Nacht  des  Westens  zu  gelangen,  so 
fährt  der  ägyptische  Sonnengott  Ra  in  einer  Barke  über  den  Himmel. 
Bekannt  durch  Piaton  Phaedr.  243a  ist  seine  Palinodie  auf  Helena;  man 
erzählte,  vermutlich  nach  einer  poetischen  Andeutung  in  seinen  Gedichten, 
er  sei,  weil  er  in  einem  Gedicht,  der  Oresteia  oder  Iliupersis,  die  Helena 
geschmäht  habe,  blind  geworden,  und  habe  dann  sein  Augenlicht  wieder 
erhalten,  nachdem  er  in  einer  Palinodie  die  Schmähung  widerrufen 
habe.  Epochemachend  fQr  die  italische  Sagenentwicklung  war  seine  Iliu- 
persis, weil  darin  die  Mythe  von  Aeneas  Wanderung  nach  Italien  vor- 
kam, ^)  erfolgreich  für  die  Entwicklung  der  tragischen  Poesie  seine  Er- 
zählung von  den  Geschicken  des  Muttermörders  Orestes.  Neben  den 
heroischen  Mythen  des  griechischen  Mutterlandes  berücksichtigte  er  aber 
auch  die  sentimentalen  Volksmärchen  der  Heimat.^)  So  führte  er  zuerst 
die  später  vielgefeierte  Gestalt  des  Hirten  Daphnis  in  die  Poesie  ein,  den 
eine  Nymphe  liebte,   dann   aber,   als  er  die   Treue  in   den  Armen  einer 


^)  Die  Heroenknlte  waren  besonders  in 
den  Kolonien  verbreitet  nnd  beruhten  auf 
den  Sagen  von  deren  Gründung;  gefeiert 
wurden  die  Atriden  in  Tarent,  Philoktet  in 
S^baris,  Diomedes  in  Thurii,  Odysseus  in 
Kyme.  Der  Demeter  galten  die  Anthes- 
phoria,  Theogamia,  Anakalypteria,  Eoreia, 
Theamophoria,  dem  Apoll  die  Eameia,  den 
Dioakuren  die  Tbeoxenia. 

*)  Ob  StesichoroB  all  seine  Gedichte,  auch 
die  rein  erzfthlenden,  durch  Chöre  vortragen 
liees,  bleibt  mir  freilich  sehr  zweifelhaft. 
Auch  das  lange  Gedicht  des  Pindar  P.  lY 
von  der  Argonautensage  kann  ich  mir  trotz 
seiner  Abfassung  in  Strophen,  Antistrophen 
und  Epoden  nicht  leicht-  durch  einen  viel- 
stimmigen Chor  oder  wechselnde  Halbchöre 
vorgetragen  denken.  Der  Wechsel  des  Me- 
trums gegenüber  der  eintönigen  Wiederholung 
desselben  Verses  belebte  den  Vortrag,  auch 


wenn  er  von  Einzelnen  erfolgte. 

')  Sebliorr,  Die  Ueberlieferung  der  grie- 
chischen Heldensage  bei  Stesichoros,  Meissen 
1886;  RoBBRT,  Bild  u.  Lied  149  ff. 

*)  Dieselben  sind  nach  der  Dichtung  des 
Stesichoros  dargestellt  auf  einer  Vase  von 
Cftre,  publiziert  in  Monnm.  Inst.  X  4;  die- 
selben fanden  sich  nach  Paus.  V  17  auch  auf 
dem  Eypseloskasten. 

*)  Auf  der  Tabula  Iliaca,  welcher  des 
Stesichoros,  nicht  des  Arktinos  Iliupersis  zu 
gründe  gelegt  war,  steht  geschrieben  Aivelag 
dnai^mv  ek  'Eaneglap;  merkwürdigerweise 
aber  weiss  Dionysios,  Ant.  1 45  davon  nichts. 
Vgl.  Chadzi  Konstas,  Die  Iliupersis  nach 
Stesichoros,  Leipzig  1876. 

•)  Ath.  601a:  Hirjcixo^og  <f  ot»  fieTgtüt^ 
igmtixos  yepojueyog  avydajijae  xai  xovjop  xop 
XQonoy  Xiüv  (^OfjLaxtay. 


160 


GrieohiBche  LitteraturgeBohiohte.    I.  ElassiBohe  Periode. 


Königstochter  brach,  elend  zu  Grunde  gehen  liess.  In  einem  andern  Idyll 
besang  er  das  traurige  Ende  des  von  dem  schönen  Euathlos  verschmähten 
und  so  in  den  Tod  getriebenen  Mädchens  Kalyke,  in  einem  dritten  das 
blutige  Geschick  der  treuen  Rhadina,  die  dem  Tyrannen  von  Korinth  an- 
getraut, von  der  alten  Neigung  zu  ihrem  geliebten  Vetter  nicht  lassen 
wollte.  — -  In  der  Form  wurde  Stesichoros  der  eigentliche  Begründer  der 
chorischen  Lyrik;  er  stellte  zuerst  in  Sikilien  Chöre  auf,  wovon  er  nach 
Suidas  den  Namen  Itrfli'xoqog  statt  des  ursprünglichen  TcKftag  erhielt. 
Dass  er  auch  die  Dreiteilung  in  Strophe,  Antistrophe  und  Epode  erfunden 
habe,  hat  man  früher  auf  Grund  des  sprichwörtlichen  Ausdrucks  ovd^ 
TQia  Toov  2Tr^aix6gov  yirciaxeig  angenommen;  dass  aber  diese  Deutung  falsch 
sei  und  dass  die  Worte  einfach  nur  bedeuten  „du  kennst  nicht  einmal  drei 
Verse  des  Stesichoros",  hat  0.  Crusius  nachgewiesen. i)  Die  beliebteste 
Form  seiner  Gesänge  war  die  daktylo-epitritische,  die  an  alte  volkstüm- 
liche Kola  anknüpfte  und  trefflich  zur  gemessenen  Gravität  der  dorischen 
Tonart  stimmte.^)  In  der  Sprache  mischte  er  dem  dorischen  Grundton 
viele  ionische  Elemente  bei,  welche  in  der  Hauptsache  auf  das  alte  Epos, 
teilweise  aber  auch  auf  die  ionischen  Gründer  von  Himera  und  Rhegion 
zurückzuführen  sind.^) 

121.  Ibykos^)  aus  Rhegion,  älterer  Zeitgenosse  des  Anakreon,  zog 
trotz  der  angesehenen  Stellung,  die  ihm  in  seiner  Heimat  winkte,  es 
vor,  das  unstete  Leben  eines  Wandersängers  zu  führen.  Er  durchzog  die 
Städte  ünteritaliens  und  Sikiliens,^)  lebte  eine  Zeitlang  an  dem  Hofe  der 
Tyrannen  von  Samos«)  und  kam  schliesslich  auf  einer  Reise  nahe  bei 
Korinth  ums  Leben.  Sein  Tod  ward  später,  ähnlich  wie  der  des  Arion 
und  Hesiod,  durch  die  schöne,  von  unserem  Schiller  verherrlichte  Sage  von 
den  Kranichen  (ißvxeg),  welche  den  versammelten  Festgenossen  die  Mörder 
verrieten,  poetisch  verklärt.  7)  Seine  Gedichte  umfassten  7  B.  und  zeigten 
zwar  in  Dialekt  und  Versbau  den  Einfluss  der  dorischen  Chorlyrik,  näherten 
sich  aber  in  Ton  und  Inhalt  mehr  der  äolisch-ionischen  Melik.  Denn  die 
Liebe  zu  schönen  Knaben  und  Mädchen  bildete  das  Hauptthema  seiner 
Gedichte.     Es  sind  die  naidsToi  fjtfhyaQveg  v/nvoi,  auf  die  Pindar  Isth.  H  3 


^)  0.  Gbüsiüs,  SiesichoroB  und  die  epo- 
dische  Komposition  in  der  griechischen  Lyrik, 
in  Comment.  Ribbeckianae  p.  3—22,  wo  mit 
Recht  die  epodische  Komposition  auf  Alkman 
zurflckgefQhrt  wird.  In  Sparta  führte  znr 
Dreigliederung  die  tgixoQta  oder  der  Gehrauch 
von  3  verschiedenen  Chören,  worüber  Flut. 
Lyc.  21  und  PoUux  IV  107. 

')  Uebrigens  gebrauchte  Stesichoros  auch 
die  phrygische  Tonart  (fr.  34)  und  den 
{iQfÄttteiog  yofAog  des  Ol3rmpo8  (Flut,  de  mus.  7). 

')  Den  einheimischen  lonismus  betont 
RoB.  Hülsten,  De  Stesichori  et  Ibyci  dialecto 
et  copia  verborum,  Greif swald  1884;  dazu 
die  Emwände  von  Hiller,  Jahrber.  d.  Alt. 
XIV  1,  68  ff. 

*)  Ein  Artikel  des  Suidas;  Sobnbidbwin, 
Ibyci  relL,  Gott.  1833  mit  umständlichen 
Froleg.;  Welckbb,  Kl.  Sehr.  I  220  ff. 


^)  Davon  das  Sprichwort  bei  Diogen.  11 
71:  ttQx^ioTSQOc  'Ißvxov  '  ovTog  yag  xvgayyety 
dvyafÄevog  uTiedfjfLirjcey. 

*)  Himer.  XXH  5;  in  Samos  war  er  wahr- 
scheinlich vor  Anakreon,  da  ihn  Suidas 
Ol.  54  setzt  und  zur  Zeit,  als  der  Vater  des 
Folykrates  herrschte,  nach  Samos  kommen 
Iftsst. 

^)  Die  Sage  zuerst  bei  dem  Epigram- 
matiker Antipater,  Anth.  Pal.  VII  745,  dann 
bei  Flutarch  de  garr.  14  und  Suidas;  vgl. 
Wklckbr,  Kl.  Sehr.  I  100  ff.  Dieselbe  spricht 
eine  ewige,  der  Kindesphantasie  aller  Völker 
eingeprägte  Wahrheit  aus,  ist  aber  speziell 
durch  eine  etymok)gische  Spielerei  hervor- 
gerufen. Das  Grab  des  Dichters  in  der 
Heimat  setzt  das  Epigramm  der  Anth.  VII 
714  voraus. 


B.  Lyrik.    6.  Chorisohe  Lyriker. 


121-122.) 


161 


anspielt,^)  und  welche  vielleicht,  nach  Welkers  geistreicher  Vermutung, 
bei  den  griechischen  Schönheitswettkämpfen,  wie  sie  in  Lesbos  üblich  waren, 
von  Enabenchören  gesungen  wurden.  Es  stellen  sich  dann  die  Enaben- 
üeder  des  Ibykos  den  Parthenien  des  Alkman  zur  Seite,  in  denen  ja  auch 
durch  die  Reigentänze  der  schönen  Mädchen  wonnige  Gedanken  der  Liebe 
in  der  Seele  des  Dichters  geweckt  wurden. 

122.  Simonides  (556—468),*)  Sohn  des  Leoprepes,  war  auf  der 
ionischen  Insel  Keos,  die  auch  des  Sophisten  Prodikos  Heimat  war,  ge- 
boren. Schon  auf  der  Heimatinsel,  in  dem  Städtchen  Karthaia  war  er  als 
junger  Mann  mit  der  Dichtung  und  Einübung  von  Chorgesängen  zu  Ehren 
Apollos  beschäftigt.^)  Aber  sein  hochfliegender  Geist  strebte  früh  über  die 
engen  Schranken  seiner  kleinen  Heimat  hinaus.  Es  war  ohnehin  seit  dem 
Anfang  des  6.  Jahrhunderts  Sitte  geworden,  dass  die  Dichter  und  Schön- 
geister ein  Wanderleben  führten:  mit  den  grossen  Zielen  der  Perserkriege 
waren  vollends  die  kleinlichen  Stammeseigentümlichkeiten  einer  grösseren 
Auffassung  der  Dinge  gewichen.  Simonides  aber  war  in  Leben  und  Dich- 
tung so  recht  ein  Repräsentant  jenes  aufgeklärten,  universellen  Zeitgeistes. 
Von  Eeos  kam  er  zunächst  nach  Athen  an  den  Hof  des  kunstverständigen 
Hipparch.*)  Nach  dessen  Ermordung  (514)  ging  er  nach  Krannon  und 
Larissa  in  Thessalien,  wohin  ihn  die  Machthaber  jener  Städte  riefen.  Auf 
Skopas  dichtete  er  ein  berühmtes,  von  Piaton  im  Protagoras  zergliedertes 
Loblied;  dem  Andenken  des  Antiochos  von  Larissa  weihte  er  einen  ge- 
priesenen Trauergesang  ]^)  allbekannt  ist  seine  später  poetisch  ausgeschmückte 
wundervolle  Rettung  bei  dem  Einsturz  des  Saales,  durch  den  Skopas  und 
alle  übrigen  Tischgenossen  verschüttet  wurden.^)  Nach  der  Schlacht  von 
Marathon  treffen  wir  ihn  wieder  in  Athen,  wo  er  in  einer  Elegie  auf  die 
gefallenen  Yaterlandsverteidiger  den  Sieg  über  Aischylos  davontrug.  In 
Athen  gewann  er  auch  im  März  476  mit  einem  Dithyrambus  den  Preis, 
wie  er  uns  selbst  in  einer  poetischen  Didaskalie  meldet.'')  Bald  danach 
ging  er  nach  Sikilien^  wo  er  die  Aussöhnung  des  Gelon  und  Hieron  ver- 
mittelte (476/5)«)  und  sich  an  den  Höfen  der  glanzliebenden  Fürsten  der 
gesegneten  Insel  besonderer  Gunst  erfreute.^)  In  Sikilien  fand  er  auch 
seinen  Tod  (468);  vor  den  Thoren  von  Syrakus  befand  sich  sein  Grab- 
denkmal, das  später  ein  roher  Soldatenhauptmann  zerstörte.*®)    Ob  er  die 


^)  Schol.  Arist.  Thesm.  161  stellt  geradeso 
wie  der  Pindarscholiast  Alkaios,  Ibykos  und 
Anakreon  als  Dichter  von  rtaidix«  neben- 
einander. 

')  Ein  Artikel  des  Suidas;  Chamaileon 
hatte  ein  Bach  über  Simonides  geschrieben. 
ScHUBiDEWiN,  Simonidis  Oei  rell.,  Brunsv. 
1835.  Das  Geburtsjahr  ist  vom  Dichter  selbst 
angedeutet  fr.  147 ;  das  Todesjahr  steht 
Mann  Par.  57.  Die  Lebensdauer  gibt  Suidas 
auf  89  Jahre  an. 

*)  Ath.  456  f.  Auch  Pindar  dichtete  nach 
Is.  I  8  eine  Ode  fttr  Eeos. 

*)  Die  Freundschaft  des  Hipparch  be- 
zeugt Piaton  Hipp.  228  c. 


^)  Auf  die  Verherrlichung  des  Antiochos 
und  der  Skopaden  durch  unseren  Eeier  weist 
Theokrit  16,  34  hin. 

8)  Cic.  de  or.  II  86;  Phaedrus  IV  25; 
Valer.  Maximus  I  8,  7;  Aelian  fr.  63  u.  78; 
Quint  XI  2,  11 ;  vgl.  Lehbs,  Popul.  Aufs.« 
S.  393  f. 

'0  Der  Schluss  des  Epigramms  Fr.  147 
lautet:  dfdqtl  didaaxaXiii  de  ZifAtoyidg  iansro 
xvdoc  'Oydtüxoyjaejsi  natdi  Aetüngerteos, 

8)  Schol.  Pind.  0.  2,  29. 

^)  Xenophon  lässt  ihn  in  dem  Dialog 
'leQtoif  mit  dem  Tyrannen  ein  Gespräch  über 
das  Los  des  Herrschers  fCLhren. 

")  Callim.  fr.  71;  Aeüan  fr.  63. 


Ba&dlmch  der  klMs,  AltertmuswIflseDochaft,   VIL    8.  Aafl. 


11 


162 


Orieohisohe  Litteratnrgesoldohie.    L  Slassisohe  Periode. 


ganze  Zeit  über  (476—468)  in  Sikilien  verweilte,  ist  nicht  ausgemacht;^) 
sicher  hatte  er  dort  nach  476  die  hochfahrenden  Anfeindungen  seines  grossen 
Rivalen  Pindar  zu  bestehen,  den  gleichfalls  Hieron  an  seinen  Hof  berufen 
hatte.  Im  übrigen  liess  er  sich  durch  die  vielen  Aufträge,  welche  ihm  für 
Siegeslieder,  Choraufführungen  und  Aufschriften  zu  teil  wurden,  bald  hier- 
hin, bald  dorthin  ziehen.  Sein  poetisches  Talent  und  seinen  feinen  Witz 
stellte  er  eben  in  den  Dienst  aller,  die  ihn  verlangten  und  bezahlen  konnten. 
Denn  für  seine  Gedichte  sich  honorieren  zu  lassen,  betrachtete  er  als  eine 
selbstverständliche  Sache.*)  Dadurch  freilich,  sowie  durch  die  Wahl  der 
Themata  verweltlichte  er  die  Poesie,  indem  er  unter  den  Dichtem  eine 
ähnliche  Stellung  wie  die  Sophisten  unter  den  Philosophen  einnahm:')  den 
griechischen  Voltaire  hat  ihn  Lessing  im  Laokoon  genannt.  Zur  Frau  des 
Hieron  sagte  er  einst  mit  witziger  Unverfrorenheit:  Reichtum  gebt  vor 
Weisheit;  denn  die  Weisen  kommen  zu  den  Thüren  der  Reichen.*)  In 
unseren  Augen  hat  so  Simonides  die  Poesie  von  ihrer  erhabenen  Höhe 
herabgezogen,  und  in  der  That  finden  wir  auch  in  seinen  zahlreichen 
Fragmenten  nicht  dasjenige,  was  wir  von  einem  Lied  in  erster  Linie  ver^ 
langen,  Wärme  der  Empfindung  und  schwungvolle  Idealität.  Aber  gleich- 
wohl verdient  sein  formales  Talent,  das  namentlich  in  den  geistreichen 
Epigrammen  seinen  rechten  Boden  fand  und  ihm  zahlreiche  Siege,  den  56. 
im  80.  Lebensjahre  eintrug,^)  alles  Lob;  besonders  gerühmt  wird  von  den 
Alten  seine  Kunst  in  der  ergreifenden  Schilderung  und  in  Erregung  des 
Mitleides.^) 

Die  Dichtungen  des  Simonides  waren  sehr  mannigfaltig  und  zahlreich ; 
den  grösseren  Raum  nahmen  die  chorischen  Gesänge  ein,  religiöse  und 
weltliche.  In  diesen  behielt  er  den  für  diese  Gattung  typisch  gewordenen 
dorischen  Dialekt  bei,  wiewohl  er  von  Geburt  ein  lonier  war  und  der  Qeist 
seiner  Dichtung  mehr  die  weltmännische  Feinheit  eines  Attikers  als  die 
Gemütstiefe  eines  Doriers  verriet.  Wir  haben  Fragmente  von  Hymnen,  Päa- 
nen,  Skolien,  Epinikien,^)  Enkomien,  Dithyramben,  Hyporchemen,Threnen.«) 


*)  Dass  er  noch  nach  468  Aihen  zu  Ehren 
ein  Epigramm  auf  die  Sieger  am  Enrymedon 
verfasste,  ist  man  nicht  berechtigt  anzu- 
nehmen, da  das  betreffende  Epigramm  unter- 
geschoben und  sicher  nach  423  geschrieben 
ist,  wie  Br.  Kbil,  Herm.  20,  341  ff.  nach- 
gewiesen hat. 

*)  Soidas:  ovros  HQtöxog  doxei  fAixgoXoyiay 
BÜreyeyxeiy   eig   rd   ^afia  xai   ygäipm  ^ofAa 

fJllO&OV, 

*)  Bezeichnend  für  das  sophistische 
Wesen  des  Dichters  ist  der  Vers  fr.  76 :  to 
doxeTy  xai  raV  aXäSetay  ßiatai. 

*)  Arist.  rhet.  II 16;  vgl.  Plat.  Prot. 346b. 
Die  andere  Anekdote  von  den  2  Kästchen 
bei  Stob.  Flor.  10,  39  (vgl.  Callim.  fr.  77) 
iRsst  sich  nur  griechisch  erz&hlen:  lifjuoyidrjg 
nttQttxaXovvroq  jiyoq  iyxwmoy  noifjam  xal 
X«Qiv  €|mv  UyovTO(:,  aQyvQioy  dk  fiij  dtdoy- 
rog,  ovo,  etney^  l^^  xißmotg,  ttjy  fi^y  ^ttgl- 
Tfoy,    xrjy  dk  d^yv^iov,   xai  jtQog  tag  /^e/a; 


tijy  (Aky  ttSy  x^9^^^^  xByrjy  BVQUrxta  orer 
ayoiitOf  ifjy  dk  x^V^^^V^  fxoytjy,  Ctegen  die 
Geldgier  des  Simonides  ist  auch  gerichtet 
Thuk.  II  44  und  Arist.  rhet  111  2. 

»)  Fr.  145  und  147. 

*)  Quint.  X  1,  64:  praeeipua  eius  in 
commovenda  miseratüme  virtus,  ut  quidam 
in  hac  eum  parte  Omnibus  eius  aperis  an^ 
toribus  praeferant,  Dionys.  Cenfi.  vet.  scnpt. 
6:  ZifÄioyidov  naQaTijget  rtjy  ixXoyijr  rtiy 
oyofAixrtayy  trjg  cvy&eaemg  xrjy  tixQißetayy 
TtQog  tovfotg  xa&^  o  ßeXtiay  sv^Urxejai  xttl 
[JtydäQOV  ro  oixriCeif&ai  fitj  /uisyaXon^entig, 
(6g  ixsryog,  dXXa  na^fjzixaig, 

^)  Geordnet  waren  dieselben  nach  Kam- 
pfesarten. 

^)  Nach  Suidas  schrieb  er  auch  eine  Tra- 
gödie, worunter  Böckh  den  Meninon,  welch^i 
Strabon  p.  728  einen  DithyramboB  nennt, 
verstehen  wollte;  vgl.  LObbbkt,  Ind.  Bonn. 
1885  p.  16.     Dagegen   nahm   G.  Hkbmaxv, 


B.  Lyrik.    6.  Ghorisohe  Lyriker.    (§  122.)  163 

In  den  beiden  letzteren  Gattungen  erfreute  er  sich  im  Altertum  eines  be- 
sonderen Rufes:  in  den  Tanzliedern  verstand  er  sich  am  besten  auf  male- 
rische Wirkung  durch  das  Ineinandergreifen  von  Wort,  Melodie  und  Be- 
wegung;^) in  den  Klageliedern  entfaltete  er  in  glänzender,  der  Tragödie 
vorgreifender  Weise  die  Kunst,  das  Mitleid  der  Hörer  und  Leser  zu  er- 
regen. Der  Rhetor  Dionysios  de  comp.  verb.  26  hat  uns  ein  herrliches 
Fragment  eines  solchen  Threnos  erhalten,  in  welchem  Danae,  die  in  einer 
Eiste  mit  ihrem  Kindlein  Perseus  in  die  wogende  See  geworfen  war,  die 
Gefahren,  welche  sie  und  ihr  Kind  bedrohten,  in  ergreifender  Weise  be- 
singt. Vereinzelt  in  der  griechischen  Lyrik  steht  sein  melisches  Gedicht 
auf  die  Seeschlacht  bei  Artemision.  Ausserdem  glänzte  er  als  Dichter  von 
Elegien,  wie  auf  die  Siege  von  Marathon,  Salamis,  Platää,  besonders  aber 
als  Epigrammatiker.*)  In  der  grossen  Zeit  des  nationalen  Aufschwungs 
wetteiferten  Gemeinden  und  Private  in  der  Errichtung  von  Siegestrophäen 
und  in  der  Ehrung  des  Andenkens  tapferer  Yaterlandsverteidiger.  Auf 
den  Statuen,  Grabsteinen,  DreifQssen,  Tempeln  wollte  man  aber  auch  in 
Worten  die  Erinnerung  an  die  grossen  Ruhmesthaten  festgehalten  wissen, 
and  dieses  nicht  in  nackter  Prosa,  sondern  in  schönen  Versen.  Zur  Dich- 
tung solcher  poetischer  Aufschriften  war  aber  keiner  geeigneter  als  der 
geistreiche  Simonides,  der  in  wenigen  Zeilen  die  Hauptpunkte  zusammen- 
zufassen und  der  Erwähnung  des  Thatbestandes  irgend  eine  feine  Fassung 
zu  geben  verstand.  Überall  wurde  daher  seine  Kunst  in  Anspruch  ge- 
nommen, und  auch  bei  den  Nachkommen  so  hoch  in  Ehren  gehalten,  dass 
die  Grammatiker  schon  frühzeitig  einen  besonderen  Eifer  auf  die  Samm- 
lung dieser  Aufschriften  {imyQafifiara)  verwandten.  Auf  solche  Weise 
sind  uns  viele  seiner  Epigramme  erhalten,  wahre  Perlen  der  alten  Poesie, 
wie  das  auf  die  Gefallenen  von  Thermopylä 

xeffiex^a  toTg  xtivmv  ^ijfiaai  neid-ofjievoi. 
Auch  sonst  knüpfte  sich  an  den  Namen  unseres  Simonides  der  Ruhm 
erfinderischen  Geistes:  er,  der  bis  in  sein  90.  Lebensjahr  sich  ein  wunder- 
voll frisches  Gedächtnis  erhielt,  galt  zugleich  als  Erfinder  der  Mnemotechnik ; 
in  den  Ausgaben  seiner  Werke  verbreitete  er  die  für  die  Deutlichkeit  des 
Gedankenausdrucks  wichtige,  zuerst  von  den  loniern  aufgebrachte  Unter- 
scheidung der  langen  und  kurzen  Vokale  e  und  o ;  über  die  verschiedensten 
Dinge  zirkulierten  von  ihm  geitreiche  Aussprüche  {artoffd^äyiiaxa),  wie  z.  B. 
der  von  Plutarch  de  glor.  Athen,  uns  überlieferte  Tryv  fihv  ^((tyquifiav  €ivai 
^oitfliy  auonwaaVj  trjv  i^  noirjinv  ^(fyqa<f(av  kcckovtxav. 

OpQsc  VII  214  eine  wirkliche  Tragödie  an.  1  in  BiblioÜi^qne  de  la  facultö  des  lettres  de 
Flach  hat  jenes  xal  iQayi^diai  mit  Recht  als   |  Paris,  1896;  dazu  die  Recension  von  Preger 


Interpolation  eingeklammert:  s.  Immisch  Rh. 
M.  44,  556. 

^)  Plat  Symp.  IX  15    von    Simonides: 
A^W  (T  o  fÄftJUara  xaitoQ^iaxeyai   do^ag    iy 


in  Neue  phil.  Rundschau  1897  n.  9.  Schwer- 
lich hat  Simonides  selbst  schon  eine  Samm- 
lung seiner  Epigramme  gemacht;  denn  sonst 
hätten   nicht   so   leicht   fremde  Epigranmie 


tnoQi^fiuci     xai     yeyoyivai     nidaytuxaxoq      unter  seinem  Namen   eingeschwärzt  werden 
iorror.  <   können.   Aber  schwer  ist  es  zu  sagen,  wann 

*)  Vgl.  Pkeobb,  De  epigrammatis  graecis,  |  und  von  wem  nach  dem  Tode  des  Autors 
Monachü    1889    p.  3  sqq.     Hautettr,   De      die  Sammlung  veranstaltet  wurde, 
ranthenticit^  des  epigrammes  de  Simonide,  , 

11* 


164 


Qrieohische  Lütoratargesohlohta.    I.  KlaMisohe  Periode. 


128.  Bakchylides  (um  505  bis  um  430)^)  der  jüngste  der  drei  grossen 
Dichter  der  chorischen  Lyrik  stammte  gleichfalls  aus  der  ionischen  Insel 
Keos.')  Er  war  Schwestersohn  des  Dichters  Simonides;  sein  gleichnamiger 
Gross vater  war  Athlet;  so  wies  ihn  Abstammung  und  Verwandtschaft 
auf  die  chorische  Lyrik  und  den  Preis  der  Sieger  an  den  Nationalspielen. 
Seine  Blüte  setzt  Eusebius  Ol.  78  =  468  v.  Chr.,  in  welchem  Jahre  er  das 
Preislied  auf  den  olympischen  Wagensieg  seines  Gönners  Hieron  dichtete. 
Schon  vor  der  Schlacht  von  Salamis  war  er  als  Dichter  von  Epinikien 
aufgetreten:  481  oder  483  feierte  er  zugleich  mit  Pindar  den  nemeischen 
Sieg  des  Aegineten  Pytheas,  und  um  dieselbe  Zeit  wird  er  auch  den 
Siegesgesang  auf  den  Phliasier  Automedes  gedichtet  haben.  3)  Wann  er 
geboren  und  wann  er  gestorben  ist,  darüber  mangeln  uns  verlässige  Angaben. 
Eusebius  zwar  lässt  ihn  Ol.  87,  2  =  430  v.  Chr.  bekannt  sein,  also  sicher 
in  jener  Zeit  noch  leben,  aber  es  ist  nicht  sehr  glaubhaft,  dass  sein  Leben 
bis  zu  diesem  späten  Jahre  herabreichte.  Auch  von  seinen  Lebensverhält- 
nissen sind  uns  nur  zwei  Punkte  überliefert,  sein  Aufenthalt  an  dem  Hofe 
des  Königs  Hieron  von  Syrakus^)  und  sein  Exil  im  Peloponnes.^)  Sein 
Aufenthalt  in  Sikilien  muss  vor  476  fallen,  da  er  zu  den  von  Hieron  in 
den  Jahren  476  und  468  errungenen  Erfolgen  bei  den  olympischen  Spielen 
Siegeslieder  aus  seiner  Heimatinsel  Keos  sandte  (5,  10  u.  3,  98);  wahr- 
scheinlich hielt  er  sich  477/6  an  dem  Hofe  des  Hieron  auf,  da  in  dieser 
Zeit  einerseits  sein  Oheim  Simonides  den  Streit  zwischen  den  Herren  von 
Agrigent  und  Syrakus,  Theron  und  Hieron,  durch  glückliche  Vermittelung 
beilegte,  ^)  und  andererseits  Pindar  in  dem  Siegesgesang  auf  Theron  O.  2,  96 
seine  Rivalen  Simonides  und  BakchyUdes  als  kreischende  Raben  bezeichnete, 
die  sich  nicht  messen  dürften  mit  dem  göttlichen  Vogel  des  Zeus.^)  üeber 
seine  Verbannung  geben  uns  weder  die  Reste  seiner  Dichtkunst  noch  an- 
dere Zeugnisse  des  Altertums  näheren  Aufschluss.  Wir  können  nur  aus 
dem  Zusammenhang,  in  welchen  Plutarch  unseren  Bakchylides  mit  Thuky- 
dides  und  Xenophon  bringt,  vermuten,  dass  seine  Verbannung  längere  Zeit 
dauerte  und  in  seine  spätere  Lebenszeit  fiel.  Sicher  weilte  er  noch  im 
Jahre  468  in  Keos,  wie  wir  jetzt  aus  seinem  in  diesem  Jahr  aus  Eeos  nach 
Syrakus    gesandten  Siegeslied    auf  Hieron  (3,  98)   nachweisen   können.^) 


^)  Ein  dürftiger  Artikel  des  Suidas  — 
MiCHELANGBLi,  Della  vita  di  Bacchilide, 
Messina  1897. 

'}  Seiner  Heimatinsel  Eeos  gedenkt  er 
3,98;  5,  10;  17,  130;  19,  11;  fr.  71. 

')  Auch  m  diesem  Gedichte  9,  50  ff. 
folgte  er  der  von  Pindar  Isth.  18,  17  um 
478  gegebenen  Sage,  dass  Thebe  und  Aegina 
Töchter  des  Flussgottes  Asopos  seien. 

*)  Aelian  V.  H.  IV  15 :  'le'giüy  avyrjy  It/Äm^ 
yidg  T^  Keio)  xai  Uiy^ägip  toJ  Stjßaiip  xcti 
BaxxvXldn  tüJ  VorAijyrfl.  Vgl.  Schol.  Find. 
0.  II  154. 

*)  Plutarch  negl  fpvy^i  14,  wo  unter 
den  grossen  Männern,  welche  aus  ihrem 
Vaterland  verbannt  in  der  Feme  grosse 
Werke  schrieben,  auch  Bwx/rAtcfiyj  6  7ioifjitj(: 


iy  UeXonoypijirfp  genannt  wird. 

•)  Siehe  Schol.  Pind.  0.  2,  29. 

^)  Schon  von  den  alten  Scholiasten 
wurde  in  den  Werken  Pindars  0.  2,  96 
XdßQoi  nayyXüHfalif  xogaxeg  tSg  ax^rra 
yaQV€Toy  der  Dual  yttQvexoy  auf  die  rivali- 
sierenden Dichter  Simonides  und  Bakchylides 
gedeutet.  Wir  ersehen  jetzt  aus  Bakch. 
5,  16  ff.,  dass  der  angegriffene  Dichter  mit 
einer  Retourchabe  antwortete,  indem  er  sich 
selbst  dem  Adler  verglich,  vor  dem  aus 
Furcht  sich  die  anderen  Vögel  ducken. 

^)  Zu  einer  Verbannung  des  Bakchylides 
in  höherem  Alter  stimmt  es  auch,  dass  sich 
die  Keier  i.  J.  459  ein  Chorlied  bei  Pindar 
bestellten  (siehe  meine  Einleitung  za  Pind. 
Is.  I).     Denn  das  war  begreiflich,  wenn  da- 


B.  Lyrik.    6.  Ghoriaohe  Lyriker.    (§  123.) 


165 


Aach  hinderte  der  Aufenthalt  in  dem  dorischen  Peloponnes  unseren  Dichter 
nicht,  mit  Athen  gute  Beziehungen  zu  unterhalten  und  an  den  Festen  der 
Eephissosstadt  den  ionischen  Nationalheros  Theseus  zu  feiern.  Überhaupt 
scheint  Bakchylides,  auch  darin  grundverschieden  von  seinem  grossen 
Rivalen  Pindar,  an  den  politischen  Kämpfen  seiner  Zeit  und  selbst  an  den 
Geschicken  seiner  Heimatsstadt  wenig  Anteil  genommen  zu  haben:  seiner 
qoietistischen  Natur  sagte  es  mehr  zu,  die  schönen  Mythen  der  Vergangen- 
heit im  Liede  zu  feiern,  als  sich  in  die  Kämpfe  der  rauhen  Gegenwart  zu 
mischen. 

Die  Dichtungen  des  Bakchylides  bewegten  sich  in  allen  Formen  der 
chorischen  Lyrik;  erwähnt  werden  von  ihm  Epinikien,  Hymnen,  Päane, 
Dithyramben,  Prosodien,  Parthenien,  femer  Tanz-,  Wein-  und  Liebeslieder 
and  Epigramme.  Eines  besonderen  Ansehens  erfreuten  sich  seine  Hymnen, 
da  der  Rhetor  Menander  (Rhet.  gr.  HI  333—6  Sp.)  seine  Theorie  der 
Hymnendichtung  und  insbesondere  die  Unterscheidung  von  vfivoi  xXrjftixoi 
und  viivoi  dnoneftmixoi  wesentlich  auf  Bakchylides  stützt.  Aber  auch 
seine  Parthenien  werden  mit  Auszeichnung  von  Plutarch,  De  mus.  17 
neben  denen  des  Alkman,  Pindar  und  Simonides  genannt.  Bisher  hatte 
man  von  allen  Dichtungsarten  des  Bakchylides  nur  spärliche  Fragmente; 
jetzt  sind  wir  so  glücklich,  neben  Bruchstücken  auch  mehrere  ganze  Gedichte, 
damnter  solche  von  grösserem  Umfang,  zu  besitzen.  Dieselben  stammen 
ans  einem  ägyptischen,  jetzt  im  britischen  Museum  befindlichen  Papyrus, 
der  bei  einer  Länge  von  17  Fuss  ungefähr  45  Kolumnen  umfasst.  Durch 
mfihselige  Zusammensetzung  der  geretteten  Stücke  der  Rolle  haben  sich 
ausser  ein  paar  Dutzend  von  Bruchstücken  zwanzig  zusammenhängende 
Gedichte  zum  Teil  in  vorzüglicher  Erhaltung  ergeben.  Voran  stehen 
auf  dem  Papyrus  vierzehn  Epinikien,  zwei  an  einen  Landsmann  des 
Dichters,  drei  an  König  Hieron,  die  übrigen  an  verschiedene  Sieger  aus 
Eeos,  Phlius,  Athen,  Metapont,  Aegina  und  Thessalien.  Ein  bestimmtes 
Prinzip  der  Anordnung  lässt  sich  nicht  erkennen.  Sicher  war  nicht  wie 
bei  Pindar  die  Rangordnung  der  vier  grossen  oder  heiligen  Spiele  mass- 
gebend, nur  dass  ganz  an  den  Schluss  dasjenige  Epinikien  gesetzt  ist, 
das  zu  keinem  der  vier  Nationalspiele  in  Beziehung  steht,  sondern  einem 
an  den  thessalischen  Spielen  des  Poseidon  Petraios  gewonnenen  Siege  gilt, 
hn  übrigen  sind  die  Epinikien  auf  den  gleichen  Sieger  zusammengestellt 
und  stehen  unter  diesen  die  auf  den  glänzendsten  Sieg,  den  mit  Pferden 
ijnniu^)  oder  mit  dem  Viergespann,  voran. i)  Höchst  interessant  ist,  dass 
sich  unter  den  neuen  Epinikien  zwei  befinden,  welche  die  gleichen  Siege 
feiern,  die  uns  schon  aus  der  Verherrlichung  Pindars  bekannt  sind.  Es 
feiern  nämlich  Rnd.  0.  1  und  Bakch.  5  den  Sieg  des  Hieron  mit  dem 
Renner  Pherenikos  zu  Olympia,  und  Pind.  N.  5  und  Bakch.  13  den 
nemeischen  Sieg  des  Aegineten  Pytheas  im  Pankration;  beachtenswert  ist 


mal»  nidit  bloes  Simonides  bereits  tot,  son- 
dern such  Bakchylides  ans  seiner  Heimat 
KeoB  Teibaimt  war. 

')  Zu    den  Epmikien  des  Bakchylides, 
^,  wie  die  des  Pindar,  bei  den  Grammatikem 


mehr  Interesse  wie  die  religiösen  Lieder 
fanden,  schrieb  Didymos  einen  Kommentar, 
wie  wir  aus  einer  Bemerkung  des  Ammonios 
De  differentüs  p.  97  ersehen. 


166  Qrieohisohe  LüteratnrgMohichta.    L  Klassische  Periode. 

dabei,  dass  in  dem  letzteren  Falle  beide  Dichter  in  gleicher  Weise,  wohl 
infolge  eines  Winkes  des  Bestellers,  mit  dem  Preise  des  Siegers  Pytheas 
den  seines  Turnlehrers  Menandros  verbinden.  Die  Art  des  Siegesliedes 
ist  im  wesentlichen  die  gleiche  wie  bei  Pindar:  es  wird  in  allen  Tonarten 
die  Tugend  gepriesen,  die  mehr  wert  ist  als  Geld  und  Macht;  es  wird 
mit  der  Verherrlichung  des  gegenwärtigen  Sieges  auch  die  rühmende  Er- 
wähnung früherer  Ruhmesthaten  verbunden;  es  wird  endlich,  um  dem  Ge- 
dichte mehr  Inhalt  zu  geben,  in  das  Preislied  meistens  die  Erzählung  irgend 
eines  Mythus  eingelegt;  einmal,  in  dem  Epinikion  auf  den  olympischen 
Wagensieg  des  Hieron  (3,  23—62),  muss  dazu  das  aus  Herodot  I  87 
bekannte  Wunder  der  Errettung  des  Königs  Krösus  durch  den  auf  den 
Scheiterhaufen  herabströmenden  Regen  herhalten.  Bestimmt  sind  von 
den  Epinikien  die  einen  zum  Vortrag  an  dem  Orte  des  Sieges  selbst,  die 
mehreren  zur  Verherrlichung  des  Siegers  nach  seiner  Rückkehr  in  die 
Heimat.  Zu  letzterem  Zwecke  wurde  zumeist  ein  Feiertag  ausersehen,  so 
dass  das  ganze  Volk  an  dem  Feste  teilnehmen  und  der  eingelegte  Mythus 
zugleich  zur  Verherrlichung  der  Gottheit  dienen  konnte;  oder  es  wurde 
in  mehr  privater  Weise  dem  heimgekehrten  Sieger  ein  musikalisches  Ständ- 
chen gebracht  (6,  14). 

Der  zweite  Teil  des  Papyrus  umfasst,  so  weit  er  lesbar  ist,  sechs 
für  Götter-  oder  Heroenfeste  gedichtete  Oden.  Sie  haben  eigene  auf  den 
Inhalt  bezügliche  Titel,  wie  ©r^frcv^,  76),  'Mag;  zwei  derselben  (16  und  17) 
tragen  im  Metrum  und  Inhalt  den  deutlichen  Charakter  von  Päanen;  andere 
scheinen  eher  in  die  Klasse  von  Dithyramben  (19)  oder  Hymnen  zu  gehören. 
Alle  erregen  in  besonderem  Grade  unser  Interesse,  weil  wir  das  Siegeslied 
schon  früher  aus  Pindar  kannten,  hier  uns  aber  ganz  neue  Beispiele  für  die 
Formen  der  chorischen  Lyrik  geboten  werden;  schade  nur,  dass  mehrere 
dieser  Lieder  stark  verstümmelt  sind  und  so  plötzlich  abbrechen,  dass  wir  von 
dem  Gang  derselben  keine  klare  Vorstellung  bekommen.  Besonders  anziehend 
ist  das  lange  und  gut  erhaltene  17.  Gedicht 'H/'^£Oi  xai  Qr^aevq,  welches  die 
schöne,  bisher  nur  aus  Mythographen  und  Vasenbildern  bekannte  Mythe  er- 
zählt, wie  Theseus,  um  den  Spott  des  Minos  zurückzuweisen  und  sich  als  Sohn 
des  Poseidon  zu  legitimieren,  in  das  Meer  springt  und  den  vom  Minos  in 
die  Salzflut  geworfenen  Ring  aus  dem  im  tiefen  Meeresgrund  befindlichen 
Hause  der  Amphitrite  zurückbringt.  Durch  seine  Form  beansprucht  unsere 
besondere  Aufmerksamkeit  das  18.  Gedicht  Otjasvg.  Dasselbe  ist  ein  Zwie- 
gespräch in  vier  Strophen,  so  angeordnet,  dass  auf  Frage  und  Antwort 
immer  je  eine  Strophe  kommt.  Der  eine  der  Sprechenden  ist  der  König 
Aigeus,  der  von  dem  Nahen  des  siegreichen  Theseus  bereits  Nachricht  er^ 
halten  hatte,  der  andere  ein  Bürger  Athens  (nach  Kenyons  Vermutung 
Medea),  der  bestürzt  fragt,  was  das  Signal  der  ehernen  Trompete  bedeute 
und  was  man  von  dem  nahenden  Fremdling  zu  erwarten  habe.  Jedermann 
sieht,  dass  wir  hier  das  lange  vermisste  Beispiel  eines  lyrischen  Dramas 
vor  uns  haben,  und  dass  die  Reden  der  beiden  Sprechenden,  mögen  wir 
uns  dieselben  nun  als  Führer  zweier  Halbchöre  oder  als  zwei  einzelstehende 
Personen  denken,  uns  den  Uebergang  des  Dithyrambus  zur  Tragödie  vor 
Augen  führen.  —  Unser  Papyrus  umfasste,   auch  als  er  noch  unversehrt 


B.  Lyrik.    6.  Ghoriaohe  Lyriker.    (§  123.) 


167 


war,  nicht  den  ganzen  Bakchylides,  da  er  von  mehreren  oben  aufgezählten 
Qattongen  der  Poesie  unseres  Dichters  gar  kein  Exemplar  aufweist.  Jeden- 
faUs  also  gehörte  zu  der  neu  aufgefundenen  Rolle  noch  eine  zweite,  wenn 
nicht  noch  eine  dritte  und  vierte.  Selbst  das  ist  zweifelhaft,  ob  von  den 
vertretenen  Gattungen  alle  Gedichte  erhalten  sind.  Von  den  Epinikien 
zwar  möchte  man  das  glauben,  und  steht  auch  nichts,  so  viel  ich  sehe, 
dieser  Annahme  entgegen;  aber  bezüglich  der  Oden  des  zweiten  Teils 
wird  man  im  Ungewissen  bleiben,  so  lange  es  nicht  gelingt,  einen  gemein- 
samen Gattungsnamen  filr  dieselben  aufzustellen. 

Bakchylides  reicht  weder  an  Originalität  noch  an  Grossartigkeit  der 
Diktion  oder  Tiefe  der  Gedanken  an  Pindar  heran.  Manchmal  sogar  hat  es 
den  Anschein,  dass  der  jüngere  Dichter  den  älteren  kopiert  habe,  und  zwar 
nicht  bloss  im  Gebrauch  von  Epitheton,  sondern  auch  in  der  Wiederholung 
ganzer  Sätze,  wie  z.  B.  die  Worte  t(og  vvv  xal  ifioi  fivQia  TrcfvT^  xäXevd'oq 
i^xtgav  ä^eiav  vfiveTv  xvavonXoxdfiov  ixa%i  Nfxag  (Bacch.  5,  31,  ge- 
dichtet 476)  auffallig  anklingen  an  Pindar  Isthm.  4,  1  (gedichtet  478) 
ian  /lof  ^smv  i'xaTt  fivgfa  ndvrif  xäXevd'Og,  (o  Mshtra,  evfiaxaviav 
fOQ  lifavctq  'la^fuoig  vfi€T6Qag  agsrag  vfAV((i  dmxeiv.  Auffällig  besonders  ist 
die  Naivität,  mit  der  Bakchylides  auch  nach  der  derben  Abfertigung  von 
Seiten  Pindars  O.  2,  96  fortfährt  die  Pfade  seines  Rivalen  zu  wandeln.  Die 
ganze  Art  seiner  Mythenerzählung  hat  etwas  Konventionelles,  so  dass  sich 
manchmal  bei  ihnen,  ähnlich  wie  bei  den  eingelegten  Ghorliedern  (i(iß6X^ia) 
der  jüngeren  Dramatiker,  schwer  ermitteln  lässt,  wie  sie  mit  dem  gewonnenen 
Sieg  oder  dem  Sieger  und  dessen  Yolksstamm  zusammenhängen.  Aber  eine 
edle,  von  Liebe  zur  Tugend  erfüllte  Seele  spricht  aus  seinen  Versen,  und  die 
leichtverständliche  Sprache  macht  uns  die  Lektüre  seiner  Gedichte  zum  Ge- 
nies; die  Einfachheit  der  Metra  und  die  Weisheit  der  Sentenzen  erinnern 
vielfach  an  Euripides  und  sind  ebenso  frei  von  dem  Bombast  des  Aischylos, 
wie  der  Dunkelheit  pindarischer  Wendungen,  haben  freilich  aber  auch 
nichts  von  dem  Gedankenflug  und  dem  Bilderreichtum  der  Meister  des 
erhabenen  Stiles.  Gefeiert  ist  mit  Recht  der  begeisterte  Hymnus  auf  den 
Frieden  (fr.  13  Be.),  aber  auch  den  Vergleich  des  Dichters  mit  dem 
Vogel  des  Zeus  hat  Bakchylides  in  dem  Siegeslied  auf  Hieron  (5,  16  ff.) 
mit  grosserer  Kunst  als  selbst  Pindar  durchgeführt.  0  Die  schönen  Sen- 
tenzen und  die  ausgleichende  Seelenruhe  haben  wohl  auch  zumeist  den 
Dichter  der  Lebensweisheit,  Horaz,  angezogen,  der  nach  dem  Zeugnis 
der  Scholien  in  der  Ode  I  15  mit  der  Mahnrede  des  Meergreises  Nereus 
an  den  flatterhaften  Paris  ein  Gedicht  des  Bakchylides  nachgebildet 
hat')  und  auch  in  dem  berühmten  Ausspruch  Epist.  I  4,13  omnem  crede 
dim  tibi  düuxisse  supremum  einen  Gedanken  des  Bakchylides  3,  80  wieder- 
gibt Noch  in  später  römischer  Eaiserzeit  haben  jene  Vorzüge  unserem 
keischen  Dichter  einen  Freund  auf  dem  Throne  erworben  in  dem  Kaiser  Julian, 
von  dem  uns  der  Historiker  Ammianus  Marcellinus  XXV  4  berichtet :  recolebcU 

')  Besser  anch  ist  dem  Bakchylides  9,  Ib.  2,  41  f. 
41  f.  die  Hennziehimg  des  Nil  und  Ther-  ')    Eine    ähnliche    Moralrede    wird    in 

noditt   tnr    Bezeichnung    der    weiten  Ver-  einem  ans  erhaltenen  Gedichte  15,  50—68 

Mtaag  des  Rahmes  des  Herkales  gelangen  dem  Menelaos  in  den  Mond  gelegt. 
^  dem  Pindar  an  der  verzwickten  SteUe 


168 


Qriechische  Littaratargesohiohte.    I.  Klaasisohe  Periode. 


saepe  dictum  lyrici  Bacchylidis,  quem  legebat  iucunde  id  adserentem  quod  ut 
egregius  pictor  vuUum  spedosum  effingit,  ita  pudicüia  celsius  consurgetUem 
vüam  exornat, 

Nbub,  BacchylidiB  Cei  fragmenta,  Berlin  1822.  —  Ebnyok,  The  poems  of  Baocl^lides 
from  a  papyros  in  the  British  Museum,  London  1897;  dazu  Christ  Sitzb.  d.  b.  Ak.  1898  S.  3  ff. 

1:24.  Timokreon  aus  lalysos  in  Rhodos  ist  durch  seine  Beziehungen 
zu  Simonides  bekannt  geworden.  Der  letztere  war  mit  Themistokles,  dem 
grossen  Feldherrn  und  Staatsmann  Athens,  gut  befreundet;  der  erstere  er- 
ging sich  in  bitteren  Schmähungen  über  denselben,  weil  er  ihn,  der  wegen 
des  Verdachtes  medischer  Gesinnung  aus  seinem  Vaterland  verjagt  worden 
war,  nicht  wieder  in  seine  Heimat  zurückgeführt  hatte,  i)  Dafür  strafte 
ihn  Simonides  mit  dem  sarkastischem  Epigramm:*) 

UoXXd  Ttiwv  xai  noXkd  tpaydv  xal  noXXd  xdx    elTiciv 

dvx^Qainovg  xeT/jiai    Ti/jioxgäwv  ""PoSiog. 

Die  Stärke  des  Timokreon  war  das  Trinklied,  das  er  ganz  entgegen  dem 

Charakter  der  dorischen  Lyrik  zum  Spottgedicht  umwandelte;  Suidas  nennt 

ihn  geradezu  einen  Dichter  der  alten  Komödie. 

Einzelne  Fragmente  sind  uns  noch  erhalten  von  Pratinas,  Diagoras, 
Eydias  und  den  unten  zu  besprechenden  attischen  Dithyrambikern. 


7.  Pindar  (522-442). 

126.  Leben.  Von  dem  grössten  und  gefeiertesten  Lyriker  der 
Griechen  sind  wir  so  glücklich  noch  eine  grosse  Anzahl  von  Oden,  an  50,  zu 
besitzen,  so  dass  wir  uns  aus  seinen  Werken  selbst  ein  Bild  von  seiner  Kunst 
und  seinem  Schaffen  bilden  können.  Auch  an  direkten  Nachrichten  über  seine 
Abstammung  und  sein  Leben  fehlt  es  uns  nicht.  Aber  wie  es  bei  einem 
grossen  Manne  und  der  phantasiereichen  Natur  der  Griechen  begreiflich 
ist,  ward  frühzeitig  die  nackte  Wirklichkeit  seines  Lebens  mit  poetischen 
Sagen  umrankt.  So  erzählte  man,  dass  eine  Biene  dem  gottbeschirmten 
Knaben,  als  er  vor  Müdigkeit  auf  dem  Helikon  eingeschlafen  war,  Honig 
auf  die  Lippen  geträufelt  habe,^)  dass  dem  göttlichen  Sänger  auf  den 
Triften  der  Waldflur  der  gehörnte  Pan  und  die  Mutter  Demeter  erschienen 
seien,  um  ihn  zum  Verkünder  ihres  Preises  zu  weihen.*)  Solche  Sagen, 
vermischt  mit  bestimmten  Angaben  über  seine  Abkunft  und  sein  Leben, 
erzählten  bereits  die  ältesten  Biographen  des  Dichters,  Chamaileon  und 
Istros.<^)  Aber  deren  Biographien  sind  ebenso,  wie  die  seines  Landsmannes 
Plutarch^^)  verloren  gegangen:  auf  uns  gekommen  sind  nur  ausser  einem 
Artikel  des  Suidas  ein  alter  in  seinem  Grundstock  wahrscheinlich  auf  den 
Grammatiker  Didymos  zurückgehender  Lebensabriss')  und  eine  zweite  Bio- 
graphie aus  dem  Kommentar  des  Eustathios,  in  welche  ein  älteres,  aus 


»)  Flut.  Them.  21. 

«)  AntJb.  VIT  348;  Ath.  416a.  Auch 
Simon.  £r.  57  ist  gegen  Timokreon  gerichtet. 

')  Eine  ähnliche  Vorstellung  bei  Piaton 
Ion.  p.  534  a,  Theokrit  7,  82,  Horaz  Od.  3,  4. 

*)  Etwas  Aehnliches  erzählt  Pausanias  IX 
23,  3  von  der  Persephone.  Man  denke  auch 
an  Hesiod  Theog.  22  ff. 

•)  Lbutsch,   Die   QueUen   für   die  Bio- 


graphien des  Pindar,  in  Phüol.  XI  1  ff . 

')  Bezeugt  von  Ehistathios  im  Leben  des 
Dichters  und  von  Photios  Bibl.  p  104b, 
3  Bekk. 

')  Ehedem  Vita  YratislaTiensia  genannt 
nach  dem  Codex,  aus  dem  sie  zuerst  ans 
Licht  gezogen  wurde.  Sämtliche  Yitae  Ter- 
einigt  in  meiner  Ausgabe  Prol.  C  8b. 


B.  Lyrik.    7.  Pin  dar.    (§§124-126.)  169 

dem  5.  Jahrhundert  n.  Chr.  stammendes  Gedieht  von  Pindars  Geschlecht 
eingelegt  ist.^)  Aus  den  dürftigen  Nachrichten  der  Alten  und  den  Werken 
des  Dichters  selbst  haben  in  neuerer  Zeit  mehrere  Gelehrte  eine  zusammen- 
hlogende  Darstellung  vom  Leben  Pindars  zu  geben  versucht,  am  aus- 
fthiiichsten  Leop.  Schmidt,  Pindars  Leben  und  Dichtung,  Bonn  1862.^) 
In  diesem  Buche  sucht  der  feinsinnige  Verfasser,  indem  er  der  zeitlichen 
Folge  der  erhaltenen  Gedichte  nachgeht,  uns  ein  Bild  der  geistigen  Ent- 
wicklung des  Dichters  zu  entwerfen.  Sehr  farbenreich  ist  dasselbe  nicht 
ausgefallen;  von  einem  Vergleich  mit  ähnlichen  Darstellungen  des  Geistes- 
ganges der  grossen  Dichter  unserer  Nation  kann  ohnehin  nicht  die  Rede 
sein;  dafür  war  einem  antiken  Dichter  der  Typus  seiner  Kunst  zu  fest 
von  vornherein  vorgezeichnet  und  der  Freiheit  individueller  Empfindung 
ein  zn  kleiner  Spielraum  gestattet.^) 

126.  Pindar  hatte  das  siebenthorige  Theben  zur  Vaterstadt,  wie  er 
selbst  in  einem  Liede  (fr.  198:  ovtoi  fie  ^tvov  ovS*  ädaijfiova  Moiaav 
inaiiiwsav  xlvrai  &ijßai)  bezeugte.  Seine  eigentliche  Heimat  aber  war 
das  Dorf  KynoskephsJai  bei  Theben,  in  dem  sein  Geschlecht  seit  Alters 
begütert  war.  Aus  der  Stelle  P.  5,  76  Alyetdai  Sfioi  naTäget;  schliesst 
man,  dass  seine  Familie  zu  dem  Geschlecht  der  Aigiden  gehörte,  von  dem 
ein  Teil  zur  Zeit  der  dorischen  Wanderung  nach  Lakedämon  und  später 
nach  Thera  und  Kyrene  ausgewandert  war.*)  Von  dem  Musenquell  Dirke 
in  der  Nähe  Thebens,  den  er  wiederholt  in  seinen  Liedern  feiert,'^)  erhielt 
er  den  Namen  des  dirkeischen  Schwanes.  Sein  Vater  hiess  nach  den 
einen  Daiphantos,  nach  den  andern  Pagondas,<^)  seine  Mutter  Eleodike. 
Ein  Bruder  des  Dichters  war  Eritimos  (Erotion  bei  Suidas),  der  als  guter 
Jäger  und  Faustkämpfer  bekannt  war.  Der  Geburtstag  Pindars  fiel  auf 
dasFest  des  Gottes  in  Delphi,^)  woraus  wir  entnehmen,  dass  er  im  dritten 
Jahr  einer  Olympiade  geboren  war.  Nach  Suidas  war  dieses  die  65.  Ol. ; 
das  ist  aber  nicht  wahrscheinlich,  wenn  anders  er  schon  Ol.  69,  3  als 
Dichter  des   10.  pythischen  Siegesgesanges  auftrat.^)    Deshalb   lassen  ihn 

')  Der  Kommentar  selbst  ist  bis  auf  die  1   allerdings  auch  auf  dieThebaner  überhaupt  ge- 

Vitt  Terloren  gegangen;  das  eingelegte  Fivoc  \   deutet  werden.  Entgegen  dem  Sprachgebrauch 

HiMqov  in  31  Hexametern  zeigt  den  Vers-  Pindars  deutet  Studniczka,  Kyrene  S.  73  ff.  das 

Itta  des  Nonnos  und  seiner  Schule;  s.  Lud-  i/^oi  natsQs^  auf  die  Vorfahren  der  Kyreneer. 

WICH  RL  M.  34,  357  ff.  —  Eine  Vita  des  -            *)  Isth.  6,  74:   niao)  aipe  JiQxtt<;  tiyvov 


lliamas  Magister  aus  dem  byzantinischen 
Mittelalter  enthalt  gleichfalls  einige  uns  sonst 
Bidit  fiberkommene  Nachrichten. 


fioüvyac  dvBxeiXav  nttq'    evreix^aiv  Kdäfiov 
nvXavg, 


')  Ausserdem    behandelten    neueidings  ,  ')  Daiphantos  hiess   der  Sohn  Pindars, 


^  Leben  unseres  Dichters  T.  Mommsen, 
Pindaioe,  Kiel  1845;  Lubbbert,  Pindars  Le- 
W  1878  u.  1882;  dazu  Christ,  Zur  Chrono- 
logie nndariacher  Siegesgesftnge,  Stzb.  d.  b. 
AL  1889  S.  1—64. 

*)  Siehe  Fb.  Mbzgbb,  Disput.  Pindaricae, 
Angab.  Progr.  1873. 

*)  In  Anaphe,  einem  Annex  von  Thera, 
Sndet  sich  Öfters  inschriftlich  der  Name 
P^adan»;  siehe  Luebbbrt,  In  Findari  locum 


woraus  vielleicht  Daiphantos  als  Grossvater 
bloss  vermutet  ist. 

')  Vit.  A  zitiert  dafür  eine  Stelle  Pin- 
dars fr.  193:  TievjaetijQig  iogra  ßovnofinog, 
iy  if  TiQüijoy  evytiadfjy  äyanaros  vtjo  OTtag- 
yayoic. 

8)  Uebrigens  darf  ich  nicht  verschweigen, 
dass  der  Ansatz  von  P.  10  auf  Ol.  69,  3  Be- 
denken unterliegt,  da  einerseits  in  jener 
Pvthiade   der  gefeierte  Knabe  auch  im  Sta- 


^  Aegidis  et  sacris  Cameis,  Bonn  1883.  '  dion  siegte,  dessen  Pindar  in  jener  Ode  nicht 
Dagegen  Eiowftnde  von  BoaKBMAinr,  PhiloL  i  gedenkt,  und  anderseits  die  nftchsten  Siegee- 
^^t  "9  ff.    Das  Aiyitdfu  ifiol  naiigeg  kann  |   öden  Pindars  P.  6  u.  12  erst  8  Jahre  nach 


170  Grieohiftche  Lüteraturgesohiolita.    I.  KlmssLiohe  Periode. 

die  Neueren  schon  Ol.  64,  3  =  522  geboren  sein,  also  nahezu  in  derselben 
Zeit,  in  welcher  sein  grosser  Geistesverwandter,  der  Tragiker  Aischylos, 
das  Licht  der  Welt  erblickte. 

Das  Wort  poeta  nascUur  gilt  nur  zum  Teil  von  einem  Lyriker  der 
Griechen;  der  chorische  Lyriker  dichtete  zugleich   die  Melodie  und  übte 
den  tanzenden  Chor  ein;  Musik  und  Tanz  aber  wollen  gelernt  sein.     So 
hatte  auch  Pindar  seine  Lehrmeister  in  den  verschiedenen  Zweigen  seiner 
Kunst.     Das  Flötenspiel  lehrte  ihn  in  früher  Jugend  sein  Oheim  Skopelinos; 
tiefer  führten  ihn  in  die  Kunst  der  Aufstellung  kyklischer  Chöre  die  Athener 
Agathokles  und  ApoUodoros  ein.     Auch  Lasos  von  Hermione  wird  als  sein 
Lehrer  genannt,^)  aber  wahrscheinlich  nur  weil  die  Grammatiker  es  liebten, 
bedeutende  Zeitgenossen   zu   einander  in  Beziehung   zu   setzen.     In   der 
Dichtkunst  hatte  er  an  der  älteren  Dichterin  seiner  böotischen  Heimat 
Myrtis  ein  Vorbild.    Zu  Korinna  stund  er  mehr  auf  dem  gespannten  Fuss 
eines  Rivalen;  Pausanias  IX  22,  3  sah  im  Gymnasium   von  Tanagra  ein 
Bild  der  mit  der  Siegesbinde  geschmückten  Dichterin  und  deutete  dies^ 
auf  einen  Sieg,   den  dieselbe  im  Wettkampf  über  Pindar  davongetragen 
habe.  •)  Und  als  Pindar  einst  einen  Hymnus  auf  Theben  mit  den  Versen  begann 
7<r/*i;idv  rj  x^i;<raAaxaTOV  MeXiav^ 
fj  KaSfioVy  Tj  anaQX(ov  tegov  ysvog  &vdQSvj 
7]  xdv  xvavdfinvxa  Otjßav^ 
f-  t6  ndvrokfxov  ad'svog  ^HqaxXBog^ 
rj  rdv  Jimvvcfov  noXvyax^äa  xifidv^ 
^  ydiiov  Xevxatlävov  Ugfiovfag  vfivrjffofiev ;  *) 
soll   ihn  Korinna  witzig  mit  der  Bemerkung  zurechtgewiesen   haben  rg 
X«^i  iSTiei^Biv  fiTjd'  oXrp  rrp  x^vXaxt,^) 

Schon  früh  ist  Pindar  sich  seiner  hohen  Sendung  bewusst  geworden 
und  als  Dichter  selbst  aufgetreten.  Wir  können  das  zunächst  nur  an 
seinen  Siegesliedem  nachweisen.  Das  älteste  derselben,  P.  10  auf  einen 
siegreichen  Knaben  aus  dem  Geschlechte  der  Aleuaden  fällt  nach  der  An- 
gabe der  Scholien  in  Ol.  69,  3  oder  in  das  20.  Lebensjahr  des  Dichters. 
Schon  im  frühen  Lebensalter  ist  er  auch,  wie  dieses  die  5.  nemeische  und 
6.  isthmische  Ode  bezeugen,  mit  der  Insel  Aigina,  zu  der  ihn  die  Stammes- 
verwandtschaft **)  und  die  Gleichheit  des  aristokratischen  Regimentes  hin- 
zog, in  Verbindung  getreten.  6)  Sein  Mannesalter  fiel  in  die  grossartige  Zeit, 

Ol.  69,  3  =  .502  V.  Chr.  fallen.  Wilamowitz,  tikerwitz.  Gleich  f&nfmal  iSsat  Pindar  vim 
Aristot.  u.  Athenen  302  bleibt  bd  518  als  !  Korinna  besiegt  werden  Aelian  V.  H.  XIH 
'^  ''''""'' '         "  '         --  '   •  25  und  Snidas  u.  KoQiyya, 

')  Dieselbe  Ueberschwenglichkeit  findet 
sich  Isth.  YII  in.  and  N.  X  in. 

*)  Plut.  de  glor.  Athen,  c.  4  p.  347  f. 
^)  Das  ist  Is.  8,  16  dadurch  ausge^i&ckt, 
dass  Theba  und  Aigina  als  die  Eeasgeliebten 
Töchter  des  Asopos  bezeichnet  werden.  Auch 
in  dem  Preis  des  WaffenbOndnisses  zwischen 
Telamon  aas  Aegina  and  Herakles  ans  Hieben 
(N.  4,  25,  Is.  6,  31)  gibt  sich  das  gleiche  Be- 
streben kund. 


Geburtsjahr  des  Dichters  stehen.  Uebrigens 
scheint  der  Streit,  ob  Ol.  65  oder  64,  mit 
dem  verschiedenen  Ansatz  des  Beginns  der 
Pythiaden  zusammenzuhängen. 

M  Nur  von  Eustathios,  aber  weder  in 
dem  metrischen  TeVo?  noch  in  der  Vit.  A. 

*)  Die  Deutung  wird  dadurch  zweifel- 
haft;, dass  Korinna  fr.  21  die  Myrtis  tadelt, 
weil  sie,  ein  Weib,  mit  Pindar  in  einen 
Wettkampf  sich  eingelassen  habe.  Auch  der 
Grund,  dass  die  Preisrichter  sich  durch  den 

heimischen  Dialekt  der  Lieder  der  Korinna   i  ^)   Zu    den   ältesten    Epinikien    Piodan 

bestimmen  Hessen,  schmeckt  nach  Gramma-   |  gehören    ausserdem    P.  6    auf    Xenokrates 


B.Lyrik.    7.  Pindar.    (§127.)  171 

in  der  Hellas  unter  schweren  und  harten  Kämpfen  die  nationale  Läuterungs- 
probe bestand  und  die  Überlegenheit  des  freien  Geistes  über  barbarische 
Despotie  flir  immer  begründete.  Auf  Pindars  Geist  wirkten  die  helden- 
mäfa'gen  Kämpfe  der  Perserkriege  nicht  so  gewaltig  wie  auf  Aischylos  und 
Smonides  ein.  Das  hängt  mit  der  Politik  seiner  Vaterstadt  zusammen, 
die  mit  kurzsichtiger  Engherzigkeit  in  einem  Kampf,  in  dem  es  sich  um 
die  Ehre  und  den  Bestand  der  Nation  handelte,  neutral  bleiben  wollte, 
dafOr  aber  auch  nach  der  Schlacht  von  Platää  schwer  die  Sünden  treu- 
losen Yaterlandsverrats  büssen  musste.  Polybios  IV  31,  der  unparteiische 
Historiker,  der  sonst  so  schlecht  auf  die  Anmassungen  athenischer  Hege- 
monie zu  sprechen  ist,  macht  es  doch  dem  Pindar  zum  bitteren  Vorwurf, 
dass  er  jener  Politik  der  Neutralität  und  Ruhe  das  Wort  geredet  habe 
mit  den  Versen: 

TO  xoivov  tig  dat(or  iv  evdi^  ti&eig 
SQ€V%'aad%ia  ixsyaXdvoqoq  "^Havxiaq  ro  (faidgov  (pdog. 
h  der  Stunde  der  Gefahr  vermochte  eben  Pindar  ebensowenig  wie  seine 
Landsleute  die   kleinen  Rücksichten  des  Partikularismus  zu   überwinden. 
Später  nach   den   glänzenden   Siegen   der  Athener  über   die   Perser  hat 
auch  er,  ausgesöhnt  mit  der  Vergangenheit,  die  hohen  Verdienste  Athens 
am  die  Freiheit  von  Hellas  voll  anerkannt,  ^)  so  dass  er  in  einem  Dithy- 
rambus der  Stadt  den  niewelkenden  Ruhmeskranz  flocht: 
(o  Tal  hnaQai  xai  loattifavoi  xai  doidifioi 
^EXXddoq  igeitTfia,  xkBivai  'Ad'ävai. 
Die  Athener  ehrten  ihn  dafür  mit  der  Proxenie  und  einer  Ehrengabe  von 
10,000  Drachmen,')  welche  Spätere  als  eine  Entschädigung  für  eine  an- 
geblich von  Theben  über  ihn  verhängte  Strafe  ansahen,  s) 

127.  Inzwischen  war  auch  der  Ruhm  des  Dichters  weit  über  die 
Grenzen  der  Heimat  und  der  benachbarten  Gebiete  gedrungen,  so  dass  er 
in  gleicher  Weise  wie  Simonides  das  Ansehen  eines  hellenischen  National- 
dichters erlangte.  Viel  trugen  dazu  die  Verbindungen  bei,  welche  ihm  die 
grossen  Nationalspiele  der  Hellenen  verschafften.  Durch  sie  trat  er  in  Be- 
ziehung zu  den  vornehmen  Geschlechtem  von  Rhodos^  Tenedos,  Korinth, 
zu  Arkesilas  von  Kyrene,  *)  zu  König  Alexander  von  Makedonien,  ^)  und 
vor  allem  zu  den  fürstlichen  Höfen  des  Theron  von  Akragas  und  Hieron 
von  Syrakus.  Pindar  liebte  es,  regelmässig  den  Spielen  in  Olympia,  Delphi 
und  anderen  Orten  beizuwohnen,  und  ging  öfters  auch  mit  den  heim- 
kehrenden Siegern,  wie  mit  Diagoras  aus  Rhodos,  in  ihre  Heimat,  um 
selbst  die  Aufführung  des  Festzuges  zu  leiten.«)     Sikilien  und  die  Könige 


aoB  Agiigent,  P.  12  auf  Midas  aus  Agrigeot, 
0. 10  auf  Ageaidamos  ans  Lokris. 

^)  Anaser  in  dem  gleich  za  erwähnenden 
IKdiyraiiiboa  fr.  76,  besonders  noch  in  P.  1, 
73n.N.4,19. 

')  Isoer.  de  antid.  166:    Uivdagoy  fihv 


*)  Aeschines  ep.  4.  Nach  Paus.  I  8,  4 
haben  ihn  die  Athener  auch  mit  einem  Stand- 
bild geehrt;  vergl.  Böckh  zu  fr.  46. 

*)  Des  Arkesilas  Sieg  im  J.  466  feiert 
P.  4  u.  5. 

^)  Fr.  120  stammt  aus  einem  Enkomion 


^•r  aoiijt^r   ol  ngo   tj^mv   yeyoyoreg    vjiig  auf  Alexander. 

i^  fioror  ^/uaroc,  ori  iijy  noXiy  igew^a  [          «)  Dass  Pindar  selbst  mit  Diagoras  nach 

»p  'BJkXados    loyofLttOBP,    ovTtog    itlfivjaay^  Rhodos  ging,  lÄsst  das  Wort  xttxißuy  0.  7,  13 

•Tf  Ktti  Tigo^eyoy  notijcaa^ai  xai  iftogeay  '   yeimnten.     Auch  nach  Kyrene   war  er  zur 

M«e««f  avrt^  dovyat  dgaxfiäg.  ,  zweiten  Siegesfeier  des  Arkesilas  gekommen, 


172 


Oriechiaohe  littoratiirgeBohiohta.    I.  Klftssiaohe  Periode. 


Theron  und  Hieron  besuchte  er  um  474,  *)  um  dieselbe^  Zeit  wie  Aischy- 
los,  mit  dem  er  in  der  Beschreibung  des  Ausbruchs  des  Ätna  wetteiferte.*) 
Während  aber  andere,  wie  Simonides  und  Bakchylides,  auf  längere  Zeit 
ihren  Sitz  an  den  Fürstenhöfen  aufschlugen,  kehrte  Pindar  bald  wieder 
nach  Hellas  und  Theben  zurück;  er  wollte  eben,  wie  er  zu  sagen  liebte, 
lieber  sich  als  andern  leben.') 

In  andere  Beziehungen  brachte  Pindar  seine  Stellung  als  Dichter 
religiöser  Festgesänge.  In  jener  Zeit  des  allgemeinen  Aufschwungs  wurden 
auch  die  Feste  der  Götter  allwärts  mit  erhöhtem  Glänze  gefeiert,  und 
Pindar  war  der  verehrte  Dichter,  den  die  Priesterschaften  von  nah  und 
fern  um  eine  poetische  Spende  für  die  Gottheit  angingen.  So  dichtete  er 
nicht  bloss  für  Chöre  der  Götterfeste  Thebens  und  der  nächsten  Um- 
gegend heilige  Lieder,  sondern  sandte  selbst  den  Priestern  des  Zeus 
Ammon  einen  Hymnus,  den  auch  noch  die  späteren  Generationen  so  in 
Ehren  hielten,  dass  ihn  Ptolemäus  Lagi  auf  eine  dreieckige  Säule  neben 
dem  Altar  des  Gottes  eingraben  liess.^)  Besonders  nahe  aber  stand  er 
den  Priestern  in  Delphi,  deren  Weisheit  er  in  den  Eemsprüchen  seiner 
Gedichte  verkündigte  und  von  Seiten  deren  er  sich  mannigfacher  Auf- 
merksamkeiten erfreute.  Noch  in  später  Zeit  war  es  Brauch,  dass  bei 
den  Theoxenien  in  Delphi  der  Herold  in  dankbarer  Erinnerung  an  die 
ehemalige  Beteiligung  des  Dichters  an  dem  Feste  ausrief:   nivdaqog  inl 

Den  Tod  fand  Pindar  in  hohem  Alter,  wahrscheinlich  im  Jahre  442.^) 
Sein  letztes  datierbares  Gedicht  ist  P.  8,  gedichtet  450  (nach  Berges 
Berechnung  446),'')  aus  dem  wohl  eine  schwermütige  Stimmung  heraus- 
klingt, ^)  das  aber  nichts  von  geistigem  Siechtum  verrät.  Er  verschied 
fern  von  der  Heimat  in  Argos,  wie  die  Sage  erzählt  im  Theater,  in  dem 
Schosse  seines  Lieblings  Theoxenos.     In  Theben,   wohin  seine    Töchter 


wie  die  Worte  aeßlCo/Asy  KvQccvag  dyaxTi- 
fjiiyav  noXiv  (V.  80)  bezeugen. 

')  Die  1.  olymp.  Ode  anf  den  Sieg  des 
Hieron  mit  einem  Rennpferd  (xiXrixi),  er- 
rungen 472  (n.  a.  476)  v.  Chr.,  trug  er  selbst 
in  Sjrakus  vor,  wie  man  aus  V.  17  u.  106 
sieht.  Wahrscheinlich  leitete  er  auch  die 
Aufführung  von  P.  1  anf  den  Sieg  von  474 
(n.  a.  470)  in  der  neugegrOndeten  sikilischen 
Stadt  Aetna. 

2)  Zur  Zeit  des  Ausbruchs  (478  oder  475) 
des  Aetna  war  er  noch  nicht  in  Sikilien,  wie 
die  Worte  P.  1,  27  (gedichtet  474  nach 
65ckh,  470  nach  Bergk)  ^avua  d^  xal  ntiQ^ 
Idovttoy  {TiaQtoyTOjy  vel  Ttageoyrayy  codd.,  em. 
Gebet)  bezeugen.  Der  Ausbruch  ist  besungen 
von  Pindar  P.  1,  21  fF.  u.  Aischylos  im  Prom. 
379  ff.  Die  Palme  trägt  dabei  entschieden 
Pindar  davon,  wiewohl  in  einem  Punkte,  in  dem 
Bilde  von  den  FeuerstrOmen  {notafiol  nvgog) 
Aischylos  glflcklicher  als  Pindar  war.  Ge- 
naueres darüber  habe  ich  ermittelt  in  dem 
Aufsatz,  Der  Aetna  in  der  griechischen  Poesie, 
Stzb.  d.  b.  Ak.  1888  S.  359  ff. 

^)  Apophth.  Pind.  und  Eust.  vit.  Pind.  : 


nlydagog  igtarrj^eig,  ffui  xi  lifuoyitftjg  f^ 
TiQog  Tovg  tvQayyovg  {IneifijfÄrjaey  eig  Z&xsXiavj 
avToe  ffe  ovx  i&^Xetf  etpijf  dtor»  povXofiM 
ifiavtfü  C^y  ovx  aXXt^. 

*)  Paus.  IX  16,  1.  AehnUch  ward  nach 
den  Schollen  die  7.  ol.  Ode  auf  Diagoras 
mit  goldenen  Buchstaben  in  dem  Tempel  der 
lindischen  Athene  aufgeschrieben. 

^)  Vergl.  den  Heroldsruf  fAeta  Aäcßioy 
(pdoy  zu  Ehren  des  Terpander  §  89.  Nach 
Paus.  X  24,  4  stand  zu  Delphi  nahe  bei  dem 
Opferherd  der  ^goyog  üiydagov,  auf  den 
fr.  90  anzuspielen  scheint. 

'j  Das  Todesjahr  steht  nicht  ganz  fest 
Nach  dem  rtyog  starb  er  80  Jahre  alt,  wae 
aber  vielleicht  eine  abgerundete  Zahl  ist; 
Eustathius  Iftsst  ihn  80  oder  66  Jahre  alt 
werden  und  setzt  seinen  Tod  unter  den 
Archen  Bi(oy  (korrupt).  Die  Lebensdaaer 
von  ye  Jahren  bei  Suidas  ist  offenbar  verderbt 

^)  So  nach  der  Ueberlieferang,  die  icii 
gegen  die  Zweifel  neuerer  Gelehrten  gestützt 
habe  Stzb  d.  b.  Ak.  1889  S.  1  ff. 

«)  P.  Vni  9b:  inafAegoi  '  ti  &e  r^,  W 
<r  ov  ng :  axiag  oyag  aydgotTtog. 


B.Lyrik.    7.  Pindar.    (§128.) 


178 


Protomache  und  Eumetis  die  Aschenume  brachten,  stand  noch  zur  Zeit 
des  Pansanias  (IX  23,  2)  sein  Grabdenkmal.  Der  Perieget  (IX  25,  3)  sah 
auch  noch  jenseits  der  Quelle  Dirke  die  Trümmer  seines  Hauses  und  da- 
neben ein  Heiligtum  der  Göttermutter  Dindymene,  in  das  der  fromme 
Dichter  ein  Götterbild  gestiftet  hatte.  ^)  Von  dem  Hause  erzählte  man 
sich  bekannthch,  dass  es  Alexander  allein  von  der  Stadt  Theben  verschont 
habe,  indem  er  darauf  schreiben  Hess :  lIirSdQov  rov  fiovaanotov  Tr;i'  atäyr^v 
fir^  xatitej)  Er  hinterliess  neben  den  zwei  genannten  Töchtern  einen 
Sohn  Daiphantos,  den  er  selbst  noch  als  Reigenführer  eines  apollinischen 
Mädchenchors  in  die  musische  Kunst  eingeführt  hatte. 

128.  Die  Werke  Pindars  lagen  den  Grammatikern  und  Biographen 
in  einer  Gesammtausgabe  von  17  Büchern  vor.  Die  Ausgabe  war  wahr- 
scheinlich von  Aristophanes  von  Byzanz  angefertigt  worden,  auf  den 
wenigstens  Dionysios  de  comp.  c.  22  die  herkömmliche  Verseinteilung  zurück- 
fuhrt*) Nach  der  Vita  waren  in  derselben  enthalten:  vfivoi,  naiäveg 
iiitvQafißoi  in  2  B.,  ngoifodia  in  2  B.,  nagO-tna  in  3  B.,  vnoqxw^^^  ^^ 
2  B.,  eyKüifua,  x^QTJvot,  inivixoi  in  4  B.  Das  3.  Buch  der  Parthenien  hatte 
den  speziellen  Titel  td  xexooQifXfieva  tmv  TtagO^evitov,  woraus  man  zu 
scUiessen  berechtigt  ist,  dass  die  Parthenien  ursprünglich  den  Schluss 
der  Sammlung  bildeten,  und  dass  in  das  letzte  Buch  ausser  dem  Rest  der 
Parthenien  allerlei  Gedichte,  welche  unter  den  andern  Titeln  nicht  wohl 
untergebracht  werden  konnten,  zusammengefasst  waren.^)  Suidas  fügt  zu 
den  erwähnten  Gedichtarten  noch  hinzu  r*^)  ivd^QoviafjLof,  ßaxxixd,  daipvij- 
90^xa,  axoXia^  ÖQdfxata  Tgayixd,  iniyqd^fiaxa^  naQaivstXsig.  Aber  diese 
Titel  stammen  wahrscheinlich  nicht  aus  einer  anderen  älteren  Ausgabe, 
wie  Böckh  und  Bergk  vermutet  hatten  (dagegen  spricht  schon  die 
gleiche  Zahl  von  17  Büchern  bei  beiden  Gewährsmännern),  sondern  aus 
der  Aufzeichnung  {drayQaifr/}  der  Werke  Pindars  von  Seiten  eines  Litterar- 
historikers  des  4.  oder  5.  Jahrhunderts  n.  Chr.,  der  neben  die  alten  Namen 
der  einzelnen  Dichtungsarten  auch  die  neuen,  in  seiner  Zeit  gebräuch- 
licheren,   wie   S^d^aia   tgay^xd   neben    dtä^vQafißoi,^)    sv&Qovurfioi    neben 


*)  Schol.  zu  P.  3,  137  erzählt,  dass 
Pindar  ein  iiyaX^a  ^tjiQos  ^etov  xal  Uavog 
üben  seinem  Hanse  gegründet  hatte. 

')  Von  Alexander  erzählen  dieses  Plinins 
H.  N.  VII 29,  109  mid  Arrian,  Anab.  I  9  und 
tons  Smdas,  yon  Pansanias,  dem  König 
Jer  Lakedimonier,  die  Vita  A  and  Enst.,  von 
Men  die  Vita  des  Thomas  Magister. 

')  Aosserdem  berichtet  Thomas  Mag.  in 
^«rVit  Find,  von  der  Ode  0.  1:  ngoifiaxtat 
M«  J^tnoqayovf  lov  avyia^ayTog  Tti  Uiy^ 
^^'v.  Tünaioe  scheint  nnsere  Ausgabe 
*odi  nicht  gekannt  zu  haben,  da  er  sonst 
tckwerlich  ein  nemeisches  Siegeslied  mit 
^Bcm  olympischen  verwechselt  hätte,  wie 
^M  von  den  Scholien  zu  Nem.  1  inscr. 
«•gt  ist;  vgl.  auch  schol.  zu  P.  2  inscr. 

M  So  stehen  auch  in  unseren  Hand- 
*>^en  am  Schlüsse  der  Nemeonikai  Oden 
^"^  Suiz  verschiedenartige  Sieger,  wozu  der 


Scholiast  p.  491  Bö.  gleichfalls  bemerkt:  dio 
xsx*oQiafi6yat  fpe^ovtat. 

^)  EustathioB  folgt  in  der  Aufzählung 
der  Vit.  Vrat.,  fttgt  aber  noch  die  sticho- 
metrische  Angabe  hinzu:  xaia  xrjv  <jrt/o- 
fieiQLay  tuaei  rergax^axiXia. 

®)  Dass  die  dgafiata  xqayixtt,  welche  so 
viel  Staub  aufgewirbelt  haben,  nur  ein  an- 
derer Name  für  cfd'^v^cc^^o»  sind,  zeigt  be- 
sonders Himerios  or.  XI  4  rjv  Jiovvaia  xai 
10  ffettiQoy  fi/e  fietd  ri^s  Xvgag  Uiv6(tQ0£, 
Nichts  zu  geben  ist  auf  die  subtile  Unter- 
scheidung Lübbert's,  De  Pindari  carmi- 
nibus  dramaticis  tragicisque,  Bonn  1885. 
Ueber  die  Dichtungsarten  («i'cfi?)  mit  beson- 
derer Berücksichtigung  der  Tonarten  hatte 
der  Grammatiker  ApoUonios  gehandelt,  der 
davon  den  Beinamen  sidoyQ(iq>og  hatte;  s. 
Et  M.  295,  51  u.  Schol.  zu  P.  2  inscr.  Ausser 
den  in  den  aufgeführten  Titeln  vorkommenden 


174 


Oriechiaohe  Litteratargeaohiohta.    t.  Klasaiaolie  Periode. 


TiQoaoiia  setzte,  und  in  seiner  Vorlage  bereits  Unechtes  (wie  iniyQäfifjLcna 
und  prosaische  nagaivtanq  oder  änotfx^^tyiiaxa)  dem  Echten  beigemischt 
fand.^)  Jedenfalls  hat  sich  Pindars  Muse  ausschliesslich  in  der  Gattung 
der  chorischen  Lyrik  bewegt,  innerhalb  derselben  aber  die  verschiedensten 
Arten  kultiviert:  Pindar  weihte  seinen  Sang  dem  Preise  der  Götter 
(Hymnen,  Päane,  Dithyramben,  Prosodien,  Parthenien)  wie  dem  Lobe  der 
Heroen  und  Menschen  (Epinikien,  Enkomien,  Threnen) ;  er  bestimmte  sein 
Lied  zum  weihevollen  Vortrag  beim  Einzug  in  die  Tempelhallen  (Pro- 
sodien, Enthronismen)  wie  zum  jubelnden  Chorgesang  bei  gottbegeistertem 
Tanze  (Hyporchemen) ;  *)  er  verherrlichte  den  Herrscher  des  All,  Vater 
Zeus,  wie  den  Heilbringer  Apoll  (Päane)  und  den  Spender  des  Weines 
Dionysos;  er  gab  der  Freude  Ausdruck  bei  dem  Siegeseinzug  (Epinikien) 
und  dem  Festmahl  (Skolien)  wie  der  wehmüthigen  Trauer  bei  der  Toten- 
feier (Threnoi).^)  Erhalten  sind  uns  von  seinen  Werken,  mit  Ausnahme 
der  Siegeslieder,  leider  nur  Bruchstücke,  darunter  aber  doch  einige 
grössere,  so  namentlich  von  einem  schwärmerischen,  ftir  das  dionysische 
Frühlingsfest  in  Athen  gedichteten  Dithyrambus,  von  einem  Tanzlied 
(vnoqxw^)  ^^^  ^^^  Sonnenfinsternis  des  Jahres  463,  von  zwei  liebreizenden 
Trinkliedern  (cxoXia)  auf  die  Hierodulen  von  Eorinth  und  den  schönen 
Knaben  Theoxenos,  endlich  von  einigen  tiefernsten  Klageliedern  {x>QtjvQi\ 
in  denen  die  pythagorische  und  orphische  Lehre  von  der  Unsterblichkeit 
und  dem  Leben  nach  dem  Tod  in  erhabenster  Sprache  vorgetragen  ist. 
Die  Bruchstücke  verdienen  umsomehr  Beachtung,  als  sie  weit  mehr  als 
die  durch  äussere  Umstände  veranlassten  Siegesgesänge  aus  wahrer  Be- 
geisterung und  warmer  Empfindung  heraus  gedichtet  sind. 

129.  Die  Siegeslieder.  Vollständig  auf  uns  gekommen  sind  nur 
die  vier  Bücher  Siegeslieder,  und  selbst  von  diesen  ist  das  letzte  am 
Schluss  verstünmielt.^)  Geordnet  sind  die  vier  Bücher  nach  dem  Rang« 
den  die  verschiedenen  Nationalspiele  bei  den  Hellenen  einnahmen:  voran 
stehen  die  Epinikien  auf  Siege  in  den  olympischen  Spielen,  es  folgen  die 
pjrthischen,  nemeischen,  isthmischen. '^)  Auch  innerhalb  der  einzelnen 
Bücher  war  bei  der  Anordnung,  ähnlich  wie  bei  Simonides  und  Bakchylides 
das  Ansehen  der  Wettkämpfe  massgebend ;  es  folgen  sich  also  die  Lieder  auf 
Sieger  mit  dem  Viergespann  (ä(}juLati)^  dem  Gespann  von  Maultieren  («^»fvjj), 
dem  Renner  (xtkr^Ti)^  im  Pankration,  im  Lauf,  im  Flötenspiel.    Doch  ist  diese 


Arten  werden  noch  erwähnt  naQoiyia  (d.  i. 
üxoXia)  von  Bidymos  zu  N.  1  inscr.,  nnd  ^vüia- 
TijQia  von  Timaios  zu  P.  2  inscr. 

*)  Ich  folge  dabei  Hillbr,  Die  Verzeich- 
nisse der  pindarischen  Gedichte,  Herrn.  21, 
357  flF.;  dazu  Immisch  Rh.  M.  44,  553  ff. 

'')  Da  Clemens  Alex,  ström.  I  p.  133  den 
Pindar  als  Erfinder  der  rnoQxtjaiq  preist,  so 
muss  er  in  dieser  Gattung  der  Lyrik  eine 
besondere  Berühmtheit  erlangt  haben. 

*)  Horaz  Od.  IV  2  in  der  berühmten 
Ode  auf  Pindar  greift  nur  die  bekanntesten 
Arten,  Dithyramben,  Enkomien,  Epinikien, 
Threnen  heraus. 

^)  Auf  Grund  sehr  unzuverlässiger  junger 


Zeugnisse  nimmt  Bergk  PLG^  p.  21  f.  an,  daas 
auch  in  dem  Anfang  der  IsUimien  1  Ode 
und  ebenso  1  unter  den  Nemeen  ausge- 
fallen sei. 

^)  Da  den  nemeischen  Oden  am  Schlosse 
mehrere  fremdartige  Oden  auf  nichtnemeische 
Siege  angehängt  sind,  so  vermutete  O.  Mül- 
ler, Gr.  Litt.  I  398,  dass  ehedem  in  der 
attischen  Ausgabe  die  Nemeen  zuletst  stun- 
den. Auch  Piaton,  Lysis  p.  205  c  setzt  »/«/^ 
nach  *la^fAot,  Hingegen  Bakchyl.  8,  2  iVc> 
(jLiav  vor  'la&^oy.  Die  Familie  des  Psaumis 
in  Sikilien  hatte  den  Ordnern  neben  dem 
echten  Siegeslied,  0.  4,  auch  eines  von  ehi«n 
Lokaldichter,   0.  5  übergeben. 


B.Lyrik.    7.Pi]id«r. 


129-100.) 


175 


Ordnung  nicht  genau  eingehalten,  und  steht  z.  B.  die  Ode  auf  den  Sieg 
dee  Hieron  mit  dem  Renner  Pherenikos  der  ganzen  Sammlung  voran, 
weil  in  derselben  der  Ursprung  der  olympischen  Spiele  besungen  ist. 
Weniger  zu  entschuldigen  sind  andere  Verstösse,  wie  dass  unter  den 
Pythioniken  an  2.  Stelle  ein  Lied  steht,  das  sich  gar  nicht  auf  einen  Sieg 
an  den  Pythien  bezieht,  ^)  und  dass  den  Schluss  der  Nemeonikai  ein  Lied 
bildet,  welches  nicht  zu  Ehren  eines  Sieges,  sondern  zur  Installation  eines 
Batsherm  in  Tenedos  gedichtet  war.  Diese  Mängel  der  Redaktion  zeigen 
ZOT  Genüge,  dass  dieselbe  nicht  auf  den  Dichter  selbst,  sondern  auf 
einen  spateren,  sei  es  attischen,  sei  es  alexandrinischen  Herausgeber  zu- 
rückzufahren ist. 

130.  Bestimmt  waren  die  Epinikien  wie  alle  Gedichte  Pindars  zum 
Vortrag  durch  Chöre,  welche  Vortragsweise  sich  in  jener  Zeit  wegen 
ihres  äusseren  Glanzes  einer  weit  grösseren  Beliebtheit  als  der  Vortrag 
durch  einzelne  Sänger  erfreute.*)  Die  Chöre  {xoQoi  oder  xwfioi)^)  waren 
ans  Altersgenossen  und  Freunden  des  Siegers  zusammengesetzt^)  und 
wurden  durch  den  Dichter  selbst  oder  einen  eigenen  Chormeister  ein- 
geöbt.^)  Dabei  ist  aber  auffallend,  dass  die  Gedanken  ganz  aus  der 
Person  des  Dichters  gesprochen  sind,  und  zwar  zuweilen  so,  dass  sie  per- 
sönliche Beziehungen  berühren,  die  sich  im  Munde  anderer  schlecht  ausnehmen, 
wie  wenn  der  Dichter  Is.  7,  41  des  eigenen  Alters  gedenkt,  mit  dem  doch 
das  der  Choreuten  nicht  übereinzustimmen  brauchte,  oder  0.  1,  17  sein 
ganz  persönliches  Verhältnis  zum  König  Hieron  berührt.  <^)  Daraus  sieht 
man,  dass  der  Chor  in  der  Lyrik  früher  als  in  dem  Drama  seine  ursprüng- 
liche Bedeutung  verloren  hatte  und  schon  zur  Zeit  Pindars  ähnlich  wie 
bei  uns  zur  Rolle  einer  den  Dichter  vertretenden  Sängerschar  herab- 
gesunken war.'')     Damit  stimmt  es  auch,    dass  Strophe  und  Antistrophe 


^)  Dieser  Fehler  scheint  auf  Apollonlns 
den  Eidographen  zarackzagehen,  da  dieser 
nach  deo  Schollen  die  Ode  zu  den  pythischen 
rtellte,  während  sie  Kallimachos  mit  nicht 
?iel  mehr  Recht  den  nemeischen  zugesellte. 

*)  In  den  auf  die  Vita  A  folgenden 
Jno<f$eyfi€€ja  TIiy&ttQov  wird  dieser  Vortrag 
der  Gedichte  Pindars  durch  Chöre  mit  einem 
UD?erm8gen  des  Dichters  in  Verbindung  ge- 
wicht: igtottjOeig  ndXiy  vno  xivo^^  &uc  ri 
f^ii  yQtifpmy  ^de^y  ovx  iniararaiy  siney  xai 
Y*p  ol  yavTftjyol  yitjdnXia  XfCTaaxevciCoyreg 
xrßegray  ovx  iniatayTM,  wozu  die  Scholien 
m  0.  6,  148  stimmen:  /o^ocficfaaxn'X^  o 
nirdoQOf  dca  t6  avioy  ürx^oqxoyoy  etyai  xai 
fij  iiyof^tt^  ir  ffljj  dfjfAonito  6C  iavtov  xara- 
Uyfir  T«<  z^^^^'  i^*8  w*^  'Wohl  alles  nur 
Gnnunatikerwitz. 

')  /opoV  bedeutete  ursprflnglich  den 
ClMr,  insofern  er  tanzt,  xtSfiog,  insofern  er 
KB  Gelage  liegt  oder  einen  heiteren  Umzug 
^t  Der  letztere  Ausdruck  und  das  davon 
■geleitete  Verbum  xiofiaCeiy  ist  dem  Pindar 
in  geliofigsten.  Auch  durch  noXv^fntoc  vfiyoq 
*t  0.  1,  8,  N.  7,  81  das  von  einem   Chor 


gesungene  Lied  bezeichnet. 

*)  In  Nem.  3,  4  werden  sie  mit  rtx- 
toye^  xaifAojy  yettyiai,  Nem.  2,  24  mit  noXhat 
angeredet. 

*)  Als  Chormeister  ist  0.  6,  88  ein  ge- 
wisser Aineias  genannt. 

•)  Vgl.  Nem.  1,  19  u.  6,  64;  auch  die 
vertrauten  Anreden  und  besonders  die  mah- 
nenden Zurechtweisungen  gegenüber  Königen 
mussten  im  Munde  von  Choreuten  sich  schlecht 
ausnehmen.  Von  Pindars  Poesien  überhaupt 
gilt  daher,  was  Piaton  Rep.  III  p.  394c 
speziell  vom  Dithyrambus  aussagt:  i^  ^i 
(sc.  noiijais)  cfi'  dnayyeXlttg  avrov  tov  notf}toVy 
evQOig  (T  avtrjy  fAtiXiard  nov  iv  dif^tfQdfÄßoi<:. 

^)  Ausdrücklich  spricht  dieses  der  Dichter 
P.  10, 15  aus,  wo  er  vom  Chor  sagt:  'FstpvQaitüv 
on^  dfiifi  Jltjye'ioy  yXvxetay  nQü^^oyttay  i/udy. 
Aus  dem  Schluss  von  N.  2  dSvfAeXd  6' 
i^dQx^re  q>tay^  könnte  man  vermuten,  dass 
das  vorausgegangene  Lied  nur  die  Einleitung 
(ngoolfiioy)  bildete,  dem  das  eigentliche,  vom 
Chor  gesungene  Festlied  erst  nachfolgte. 
Aber  gegen  diese  Annahme  sprechen  die 
zahlreichen   Stellen    anderer   Epinikien,    die 


176 


Grieohiache  Litteratargesohlolite.    I.  Slassisohe  Periode. 


sich  bei  Pindar  durch  den  Sinn  weit  weniger  von  einander  abheben  als 
bei  den  attischen  Dramatikern,  dass  also  auch  hier  die  Teilung  des  Chors 
in  Halbchöre  ihre  tiefere  Bedeutung  eingebüsst  hatte.  —  Das  Siegeslied 
wurde  natürlich  bestellt,  von  dem  Sieger  oder  dessen  Freunden.  Der 
Dichter  erhielt  dafür  ein  Honorar  und  erlaubte  sich  ohne  Ziererei  bezüg- 
lich der  Höhe  desselben  an  die  Freigebigkeit  des  Bestellers  zu  appellieren.^) 
Man  scheint  darin  nichts  gefunden  zu  haben,  was  gegen  die  Dichterwürde 
Verstösse :  Pindar  vergleicht  sein  Preislied  der  Ehrenstatue  (N.  5,  X.  6,  81) 
und  findet  es  daher  selbstverständlich,  dass  er  auch  in  der  Entlohnung 
seiner  Kunst  hinter  dem  Bildhauer  nicht  zurückstehe.*)  Wir,  die  wir, 
Gott  sei  Dank,  noch  durch  unsers  Dichters  Worte  „das  Lied,  das  aus  der 
Kehle  dringt,  ist  Lohn,  der  reichlich  lohnef"  verwöhnt  sind,  nehmen  an 
jenen  Äusserungen  der  Gewinnsucht  mehr  wie  billig  Anstoss. 

Gelegenheit  zum  Festgesang  bot  zunächst  der  Jubel,  mit  dem  auf 
dem  Festplatz  selbst  die  Freunde  den  Sieg  ihres  Genossen  aufnahmen. 
Aber  so  rasch  war  das  Lied  nicht  zur  Hand ;  daher  beschränkt  man  sich 
bei  der  ersten  Begrüssung  in  der  Regel  auf  den  alten  archilochischen 
Zuruf  Tf]i€XXa  xaXXiuxf,^)  unter  dem  man  den  Sieger  im  festlichen  Zuge 
zum  Altar  des  Gottes  geleitete.*)  Das  eigentliche,  speziell  für  den  be- 
treffenden Sieg  gedichtete  Preislied  ward  erst  bei  dem  feierlichen  Einzug 
in  die  Heimatstadt  gesungen.  Denn  der  Sieg  eines  Mitbürgers,  namentlich 
bei  den  grossen,  sogenannten  heiligen  Spielen  ^)  galt  als  eine  Ehre  für  die 
ganze  Stadt,  an  deren  Feier  sich  daher  auch  die  ganze  Bürgerschaft  be- 
teiligte^) und  bei  der  es  auch  der  Sieger  nicht  an  gastlicher  Bewirtung 
und  freigebigen  Spenden  fehlen  Hess.  7)  Man  holte  teils  den  Sieger  im 
festlichen   Zuge   ab    und   geleitete  ihn  wie  im  Triumphe «)    zur  heiligen 


nur  vom  Hauptlied  gelten  können.  Eher  ist  ' 
mir  glaublich,  dass  einzelne,  besonders  per-  1 
BÖnlich  gehaltene  Strophen,  wie  P.  1,  81  -  100 
und  Is.  2, 43—48,  nur  dem  Sieger  vom  Dichter 
überreicht,  nicht  auch  vom  Chor  gesungen 
wurden.  Einige  Oden  haben  sogar  die  Form 
von  Briefen,  wie  P.  2,  Is.  2,  sind  aber  gleich- 
wohl nach  des  Dichters  eigener  Angabe  zum 
Vortrag  durch  Chorgesang  bestimmt. 

')  P.  1,90;  Is.  2,  6ff. 

^)  Von  einem  Honorar  von  3000  Drach- 
men erzählt  der  Scholiast  zu  N.  5,  1. 

»)  Vgl.  0.  9,  1  und  Erklärer  z.  St. 

*)  Eine  Ausnahme  macht  0.  8,  wel- 
ches Lied  für  einen  Aufzug  in  Olympia  be- 
stimmt war,  da  damals  die  kriegerischen  Zu- 
stände von  Aegina  einen  festlichen  Einzug 
in  der  Heimat  nicht  gestatteten.  Das  Gleiche 
gilt  für  P.  6;  auch  für  0.  4  hat  es  Böckh 
angenommen. 

*)  Heilige  Spiele  waren:  1)  in  Olympia 
zu  Ehren  des  Zeus,  seit  Ol.  1  alle  4  Jahre 
im  August  { 1 1. — 16.  Metageitnion)  im  1.  Olym- 
piadenjahr, 2)  in  Delphi  zu  Ehren  des  Apoll 
im  August  alle  4  Jahre  seit  Ol.  48,  3  (nach 
Bergk  seit  Ol.  49,  3)  im  3.  Olympiadenjahr, 
3)  in  Nemea  zu  Ehren  des  nemeischen  Zeus 
seit  Ol.  51,  2   alle   2  Jahre   im  Juli   des  2. 


und  4.  Olympiadenjahres  (s.  ünobr,  Phil.  34, 
50  ff.  und  37,  524  ff.;  dagegen  Dboysek, 
Herm.  14,  1  ff.),  4)  auf  dem  Isthmus  zu  Ehren 
des  Poseidon  alle  2  Jahre  im  April  des  2. 
und  4.  Olympiadenjahres  (s.  üsobr,  PhiL 
37,  1  ff.  und  Cbrist,  Stzb.  d.  b.  Ak.  1889, 
S.  24  ff.^.  Ausserdem  gab  es  eine  Masse 
von  Lokalspielen,  an  denen  sich  aber  auch 
Nichteingeborene  beteiligen  durften,  wie  die 
Panathenäen  in  Athen,  die  Herakleia  oder 
lolaia  in  Theben,  die  Aiakeia  in  Aegina  etc. 
Eine  Zusammenstellung  sämtlicher  Spiele 
habe  ich  in  den  Proleg.  meiner  Ausübe 
p.  LXXXVI  SS.  gegeben. 

*)  Dies  bezeugt  schon  Xenophanes,  der 
in  der  Elegie  bei  Ath.  413  gegen  diese 
Auszeichnung  der  körperlichen  Ueberlegen* 
heit  eifert. 

'')  Der  gastlichen  Bewirtung  der  Sfinger 
mit  Speise  und  Trank  ist  gedacht  in  den 
Siegesliedem  zu  Ehren  des  syrakusanischen 
Feldherm  Chromios  N.  1,  22  u.  9,  51. 

^)  Nicht  bloss  klingt  das  lateinische 
triumphus  =  Sgiafifiog  an  den  dreifachen 
Kallinikos  in  Olympia  an,  sondern  gleicht 
auch  die  Weise,  wie  z.  B.  Chromios  aas 
Syrakus  zu  Wagen  seinen  Einzug  h&lt  (N. 
9,  4),  ganz  einem  rOmischen  Triumphza^. 


B.  Lyrik.    7,  Pindar.    (§181.)  177 

e,  wo  er  den  Siegeskranz  am  Altare  der  Gottheit  niederlegte,  teils 
zog  man  am  Abend  zum  Hause  des  Siegers  und  brachte  ihm  ein  Ständ- 
chen, i)  teils  endlich  feierte  man  denselben  beim  Festmahle  im  königlichen 
Palaste.  Bei  einer  dieser  Gelegenheiten  also  ward  das  Siegeslied  ge- 
sungen, unter  Begleitung  musikalischer  Instrumente,  bald  der  Lyra  oder 
Flöte  allein,  bald  der  Ljrra  und  Flöte  zusammen.*)  Auch  der  dritte  im 
Bond  fehlte  nicht,  der  Tanz  oder  Aufzug.  Den  letzteren  nennt  Pindar 
P.  1,  2  den  Anfang  der  Festfeier  (ßdaig  dyXatag  aQxd),  weil  der  Chor  in  der 
Kegel  zuerst  schweigend  in  gemessenem  Schritt  in  den  Saal  einzog  und 
erst  angesichts  des  gefeierten  Siegers  zu  den  Klängen  der  Phorminx  den 
Gesang  anhob.  Der  Tanz  und  Schritt  fiel  selbstverständlich  weg,  wenn 
kein  Aufzug  stattfand  und  der  Chor  nur  ein  einfaches  Ständchen  dar- 
brachte oder  beim  Gelage  den  Gesang  anstinmite.^) 

131.  Metrische  Form.  Für  jedes  Lied  dichtete  Pindar,  offenbar 
nach  stehendem  Brauch,  eine  neue  Melodie  und  somit  auch  neue  metrische 
Formen.  Davon  gibt  es  nur  eine  Ausnahme,  indem  die  3.  und  4.  isth- 
mische Ode  das  gleiche  Versmass  gemein  haben;  aber  das  hat  seinen 
Grund  in  den  besonderen  Verhältnissen  jener  beiden  Gedichte,  indem 
Pindar  das  erste,  wenn  es  überhaupt  von  ihm  herrührt,  als  Ergänzung 
nachträglich  hinzufügte,  nachdem  der  Gefeierte  inzwischen  zu  dem  isth- 
mischen Sieg  auch  noch  einen  nemeischen  errungen  hatte.  Im  übrigen 
sind  die  Unterschiede  in  Versmass  und  Ton  zwischen  den  einzelnen  Epi- 
nikien  sehr  gross.  Das  hängt  zumeist  mit  der  Verschiedenheit  der  Tonart 
zusammen,  in  welcher  die  Melodien  der  einzelnen  Oden  gesetzt  waren. 
Leider  können  wir  über  diese  musikalische  Seite  der  pindarischen  Muse, 
die  zu  ihrer  Beliebtheit  am  meisten  beitrug,*)  nicht  mehr  klar  urteilen, 
da  uns  mit  den  blossen  Andeutungen  des  dorischen  Fusses  (0.  3,  5),  der 
äolifichen  Saiten  (0.  1,  102,  P.  2,  69),  der  lydischen  Weise  (0.  5,  19.  14, 
17,  N.  4,  45.  8,  15)  nicht  viel  geholfen  ist,  und  die  wenigen  Melodienreste 
zu  P.  1,  welche  im  17.  Jahrhundert  der  Jesuit  Kircher  aus  einem  angeb- 
lichen Codex  der  St.  Salvatorbibliothek  Messina's  publiziert  hat,  unecht 
sind.*)  —  Wichtiger  und  sicherer  erkennbar  sind  die  in  der  metrischen 
Form  ausgeprägten  Anzeichen  des  Charakters  der  einzelnen  Oden.  Danach 


')  Is.  8,  3 :  TsXeaaQxov  nagd  nqo- 
9v^  kir  drtysi^ätto  xdi/Aoy.  Vgl.  Bacchyl. 
6, 14. 

*)  Ljra  erwähnt  P.  1,  1,  Flöte  0.  5,  19, 
Ijn  and  Flöt«  0.  3,  8;  11,  93,  N.  3,  12 
tt.  79;  9,  8;  vergl.  Böckh,  Pindar  I  2,  258 
imd  Graf,  De  Graecorom  vetenun  re  musica, 
Mtfb.  1889. 

')  Das  Stehen  ist  ausdrücklich  henror- 
^dioben  P.  4,  1:  adfASQoy  fiiy  XQV  ^^  ^^Q* 
ertfpc  fpiha  atdfASy,  so  dass  man  hier  ge- 
ndeza  an  einen  rhapsodischen  Vortrag  denken 
adehie,  zndem  das  Gedicht  schier  den  Um- 
&Bg  einer  homerischen  Rhapsodie  hat.  In 
Beioer  Ausgabe  habe  ich  im  einzelnen  nach- 
ntweisen  gesacht,  ob  ein  Lied  beim  Marsch 
<^er  im  Stehen  gesungen  worden  sei.    Zum 


Marsch  eigneten  sich  am  besten  diejenigen 
Lieder,  welche  aus  lauter  gleichen  Strophen, 
ohne  Epode  bestehen,  wie  P.  12,  N.  2.  4.  9, 
0.  14,  k  8. 

*)  Sehr  günstig  urteilt  über  Pindars 
Melodien  Aristoxenos  bei  Plut.  de  mus.  20 
und  31. 

^)  üeber  die  Frage  der  Echtheit  näheres 
bei  Wbstphal,  Metr.  d.  Gr.  il»  622  ff. 
Wenn  ich  mich  entschieden  gegen  die  Echt- 
heit ausspreche,  so  stütze  ich  mich  dabei 
auf  die  Wahrnehmung  meines  ehemaligen 
Schülers  Röckl,  dass  die  Melodienschlüsse 
mit  der  falschen  Versteilung  der  Ueber- 
lieferung,  nicht  mit  den  echten,  von  Böckh 
wieder  hergestellten  Versen  in  Einklang 
stehen. 


flaadbneh  der  kla«.  AltortanMwlaMDMban.    YJl,    8.  Aufl.  12 


178 


Griechiflch«  LitteratnrgMohicht«.    I.  SImsIbcIi«  Periode. 


liebte  Pindar  zumeist  die  von  Stesichoros  ausgebildete,  der  Würde  des 
Chorgesangs   bestens  entsprechende  Form  der  Daktylo-Epitriten,  jedoch 
so,  dass  er  bei  besonders  festlichen  Gelegenheiten,  wie  bei  der  pytÜschen 
Siegesfeier  des  Königs  Hieron  P.  1,  durch  neue  Variationen  und  wechsel- 
reichere Formen  mehr  Klang  in   die  alte  Form   brachte.    Die  Daktylo- 
Epitriten  bilden  insbesondere  das  herrschende  Yersmass  in  den  Oden  von  er- 
zählendem Charakter  und  in  den  flir  dorische  Staaten  bestimmten  Sieges- 
liedern.   Eine  zweite  Art  der  metrischen  Komposition  ist  die  päonische,  die 
Pindar  am  schönsten  in  dem  herrlichen  Siegeslied  auf  Theron  0. 2  zum  Aus- 
druck brachte,  aber  auch  mehreren  andern  Epinikien,  wie  0. 10,  P.  5  zu  gründe 
legte.     Die  Päonen  stammten  aus  den  in  Kreta  ausgebildeten  Gesängen 
an  den  Heilgott  Apoll,  wie  denn  auch  der  5.  pythische  Siegesgesang  zum 
Vortrag  an  einem  Apollofest  bestimmt  war,  und  eigneten  sich  durch  den 
Charakter  der  Rhythmen,   der  Päonen  und  Choriamben,  am  meisten  für 
einen  tanzenden  Chor.     Die  übrigen  Gedichte  Pindars  sind  im  äolischen 
Yersmass  mit  logaödischem  oder  glykoneischem  Grundton  gedichtet.   Aber 
auch  hier  begnügte  sich  der  thebanische  Dichter  nicht  damit,  die  Weisen 
seiner  Vorgänger  einfach  zu  kopieren,  sondern  schuf  durch  mannigfache 
Kombinationen    dipodischer,    tetrapodischer,    tripodischer   Grundelemente 
und  durch   Verbindung  einfacher  Verse  mit  langen  aus   drei  und  mehr 
Gliedern    bestehenden  Perioden    einen  ausserordentlichen    Reichtum    von 
Vers-  und  Strophenformen,  deren  Rückführung  auf  gleiche  Takte  uns  frei- 
lich nur  zu  viele,  schwer  zu  lösende  Rätsel  aufgibt.    Die  äolischen  Lieder 
entbehrten  von  Hause  aus  der  Epode,  und  sie  fehlt  in  mehreren  äolischen 
Gesängen,  wie   P.  6,  N.  2.  4,  I.  8,  0.  14.     Aber  auch  in  einigen  daktylo- 
epitritischen  Gedichten,   nämlich   P.  12  und  N.  9,   hat  Pindar  die   Epode 
fallen  gelassen,  weshalb  für  alle   diese  Gedichte   der  Grund  der  epoden- 
losen   Form    in    dem  gleichen   Charakter    des    Einzugsliedes    zu    suchen 
ist,  da   sich   in  demselben   die  Gegensätze  der  Strophe,  Antistrophe  und 
Epode  doch  nicht  zum  Ausdruck  bringen  liessen.   Dagegen  hat  sich  Pindar 
bemüht  in  den  epodischen  Gesängen,  namentlich  in  denen  seiner  späteren 
Lebenszeit,  Strophe,  Antistrophe  und  Epode  zu  einer  abgeschlossenen  £in- 
heit  des  Inhalts  zusammenzufassen.^) 

132.  Anlage  des  Siegesliedes.  ^)  Bezüglich  der  Anlage  der  Siegen- 
lieder  hat  in  unserer  Zeit  Westphal,  Proleg.  zu  Aeschylos  S.  69  die  These 
aufgestellt,  dass  Pindar  genau  der  Gliederung  des  terpandrischen  Nomos 
gefolgt  sei,  und  hat  mit  diesem  Gedanken  bei  vielen  Erklärern  Anklang 
gefunden.  3)  Die  Teile  des  terpandrischen  Nomos  aber  waren  oqx^j 
fA€raQX(Xy    xaraTQOTidy    ixetaxcczaxQond,    dfAffaXog^    Cffqayig^    iniXoyog.     Diese 


*)  So  besonders  in  0.  7.  8.  13,  N.  10. 11. 

')  A.  Cboisbt,  La  po^sie  de  Pindare  et 
les  lois  du  lyrisme  grec,  Paris  1881,  ed. 
nouv.  1886. 

*)  M.  Schmidt,  Pindars  olymp.  Sieges- 
gesänge, Jena  1869;  Mezgeb,  Pindars  Sieges- 
lieder, Leipzig  1880;  Lübbebt,  De  priscae 
cuiusdam  epiniciorom  formae  apud  Pindamm 
vestigiis  (1885),  De  poesis  Pindaricae  in  archa 
et  sphragide  componendis  arte  (1885/6),  De 


Pindari  stadüs  Terpandreis  (1886),  De  Pindari 
carminum  compositione  et  nomonim  historia 
illustranda  (1887).  Dagegen  sprachen  sich 
aus  BuLLB  in  der  gehaltvollen  Rezension 
von  Mezger's  Buch  in  Phil.  Rundschau  1881 
n.  1,  HiLLBB  im  Herrn.  21,  857  ff.  Weii«% 
Litteratur  in  Jahresher.  d.  Alt  XIII  1,  59  iL, 
Cbusius,  Ueber  die  Nomosfrage,  YhdL  d' 
39.  Vers.  d.  Phü.  258—276. 


B.Ljrik.    rPindar.    (§132.) 


179 


lassen  sich  bei  Pindar  in  der  bezeichneten  Reihenfolge  sicher  nicht  wieder- 
finden, man  muss  zum  mindesten  iievaxaxaxQond  nach  ofitpaXog  umstellen. 
Aber  auch  für   die  Scheidung  des  smXoyog  von   der  (ffpQayig  findet  sich 
kaum  ein  sicheres  Beispiel,    und  nur  in   wenigen  Fällen,   wie  0.  13,  P. 
8,  N.  4,  ist  der  Eingang  in  2  Teile   {o^qx^  oder  nQoxmfitov  und  (AsraQxä) 
dentlich  gegliedert.      Endlich,    und  das    ist   von    ausschlaggebender   Be- 
deutung, fallen  die  versuchten  Siebenteilungen  nicht,   wie  man   doch  er- 
warten sollte,  mit  dem  Schluss  der  Strophen  .zusammen.^)     Demnach  kann 
von  einer  strikten  Befolgung  der  Ordnung  des  terpandrischen  Nomos  durch 
Pindar  nicht  die  Kede  sein ;  man  kann  höchstens  sagen,  dass  sich  derselbe 
Ton  der  Gliederung  der  älteren  Nomenpoesie  beeinflussen  liess  und  dass 
er  es  liebte  einer   bestimmten,   ihm   schon   von  seinen  Vorgängern  vor- 
gezeichneten Satzung  zu  folgen.^)     Diese  aber  bestand  wesentlich  darin, 
dass  den  Nabel  des  Siegesliedes  ein  Mythus  einnahm,  dass  das  Lied  durch 
den  Hinweis  auf  den  Anlass,  den  gewonnenen  Sieg,  eingeleitet   wurde, 
und  dass  dasselbe  in  seinem  Schluss  wieder  auf  die  errungenen  Ehren  des 
Siegers  und  seines  Geschlechtes  zurückkam.     Von  selbst  ergab  sich  dann 
die  weitere  Notwendigkeit,  durch  irgend  einen  Übergang  in  den  Mythus 
einzulenken  {xaxaTQond)  und  am  Schlüsse  desselben  wieder  auf  den  Sieger 
zurückzaleiten   [fieraxaTargona).     Das   ist   die   regelrechte   Anlage   eines 
Siegesgesaugs,    die  Pindar   in  den   älteren,  und  auch  noch  in  einzelnen 
späteren  Gedichten,  wie  0.  8,  befolgte,   an   die  er  sich   aber   als  echter 
Dichter  nicht  sklavisch  gebunden  hielt,  über  die  er  sich  vielmehr  gerade 
in  den  grossartigsten  Siegesgesängen,  wie  0.  2,  P.  1  und  2,  mit  genialer 
Freiheit  wegsetzte,  b)    Eine   Hauptsache    beim   Siegeslied    also    war   der 
Mythus,  der  den  Omphalos  desselben  zu  bilden  bestimmt  war.^)  Denselben 
enbiahni   der  Dichter  in   den  meisten  Fällen  der  Heroengeschichte   des 
Landes,  so  dass  von  den  zahlreichen  Oden  auf  äginetische  Sieger  keine 
des  Preises  der  Aeakiden  entbehrt.    Er  schmeichelte  damit  dem  Lokal- 
patriotismas  der  Griechen  und  ihrem  Stolz  auf  die  Ruhmesthaten  der  Ver- 
gangenheit, der  um  so  grösser  war,  je  unerfreulicher  und  ruhmloser  sich 
bei  den  meisten  derselben  die  Gegenwart  gestaltet  hatte;  er  knüpfte  damit 
aber  auch   an  die  Festgelegenheit   an,   da  die  Epinikien  gewöhnlich   an 
einem  Feiertag,   sei  es  der  Patronin  der  Stadt,  sei  es  des  Stammheros, 
aufgeführt  zu  werden  pflegten.     In  anderen  Liedern  ging  der  Dichter  auf 
den  Ursprung  der  Spiele,  oder  die  Art  des  Wettkampfes  zurück,  wie  er  in 
0. 1.  3.  10  die  Gründung  der  olympischen  Spiele  durch  Herakles  und  ihr 

')  Eine  einzige  Ausnahme  macht  viel- 
leicht 0.  13,  wo  «p/a  3,  fzsraQxä  3, 
tmai^ona  and  ofztpaXos  6,  fieraxarargond 
and  hiXoyog  3  Strophen  umfassen  können. 

•)  Von  einem  xB^fiog  spricht  Pindar  N. 
i33,  Ib.  6,  19.  Ab  Vorgänger  erwfihnt 
VBser  Dichter,  von  Archilochos  (0.  9,  1)  ab- 
stehen, die  Aegineten  Timokritos  (N.  4, 13) 
md  Eaphanes  (N.  4, 89). 

')  An  dem  fttr  Theron  gedichteten  Trost- 
E^ttng  0.  2  kann  man  zumeist  erkennen, 
^  Pindar,  aach  wenn  er  sich  von  dem 
SevohnUchen  Schema  entfernte,  die  höhere 


L 


Aufgabe  der  Komposition  zu  wahren  ver- 
stand. Denn  die  verschiedenen  Mythen  der 
Ode  werden  zusammengehalten  durch  den 
einen  Grundgedanken,  dass  den  Guten  bei 
allem  Schicksalswandel  doch  schliesslich  ihr 
Lohn  wird,  sei  es  hienieden,  sei  es  jenseits 
im  Elysium. 

^)  Beachtenswert  ist,  dass  das  unechte 
Siegeslied  auf  Psaumis,  0.  5,  eines  Mythus 
entbehrt;  derselbe  fehlt  aber  auch  in  den 
kleinen  Siegesliedem  0.  11  u.  12  u.  a.  An 
den  Schluss  des  Liedes  ist  der  Mythus  ge- 
legt in  N.  1  u.  10. 

12* 


180  Griechische  Litteraturgeschichte.    L  KlassiBche  Periode. 

Vorspiel  unter  Pelops  besingt  und  in  P.  12  die  Erfindung  des  Flöten- 
spieles durch  Athene  verherrlicht.  Wieder  in  anderen  Oden  wird  der  Mythus 
den  persönlichen  Beziehungen  des  Siegers  entnommen,  oder  ersetzt  durch 
den  Preis  geschichtlicher  Ruhmesthaten.  Das  letzte  ist  besonders  da  der 
Fall,  wo,  wie  bei  Hieron,  Theron,  Ghromios,  das  Land  oder  das  Geschlecht 
des  Siegers  des  mythologischen  Hintergrundes  entbehrte  und  die  Persön- 
lichkeit des  Siegers  selbst  Stoff  genug  zu  würdiger  Siegesfeier  bot.  Dabei 
zeigte  Pindar  überall  eine  ausserordentliche  Vertrautheit  mit  den  alten 
Überlieferungen  des  Landes,  ^)  zugleich  aber  auch  einen  wunderbar  feinen 
Takt  in  der  Verknüpfung  des  Mythus  mit  der  Person  des  Siegers,  den 
wieder  herauszufinden  die  Erklärer  mit  Recht  als  eine  ihrer  Hauptaufgaben 
betrachten.^)  Der  Mythus  und  der  erzählende  Teil  bilden  in  der  Regel  auch 
den  Glanzpunkt  der  pindarischen  Siegeslieder ;  doch  gelingt  es  dem  Dichter 
nur  da  den  Leser  durch  anziehende  Schilderung  zu  fesseln,  wo  er  sich  in 
der  breiten  Vorführung  eines  Mythus  ruhig  gehen  lässt,  wie  einzig  in  der 
liebeswarmen  Erzählung  von  dem  schweren  Geschick  der  schönen  Eoronis 
(P.  3)  und  der  Liebe  Apollos  zur  kühnen  Jägerin  Kyrene  (P.  9),  oder 
in  der  mit  epischer  Breite  erzählten  Sage  vom  Argonautenzug  (P.  4). 
Vielfach  aber  bleibt  derselbe  bei  einem  Mythus  nicht  stehen,  sondern  geht, 
um  den  ganzen  Glanz  der  mythischen  Vergangenheit  einer  Stadt  zu  ent- 
falten, von  einem  Mythus  auf  den  andern  über,  ohne  uns  irgendwo  warm 
werden  zu  lassen.  In  Liedern  der  Art,  wie  z.  B.  in  dem  Siegeslied  auf 
den  Korinther  Xenophon  0.  13,  hat  er  offenbar  der  Eitelkeit  der  be- 
treffenden Stadt  zu  lieb  den  Forderungen  der  dichterischen  Kunst  etwas 
vergeben,  noch  mehr  aber  in  denjenigen  Partien  einzelner  Oden,  in  denen 
er  alle  Siege  des  Gefeierten  und  oft  nicht  bloss  diese  allein,  sondern  auch 
die  seines  Turnlehrers  und  seiner  Geschlechtsgenossen  aufzählt.  Der  Dichter 
ist  damit  offenbar  nur  den  Zudringlichkeiten  seiner  Auftraggeber  nach- 
gekommen; uns  aber,  denen  derartige  persönliche  Beziehungen  ferne  liegen, 
lassen  die  langen  Aufzählungen  der  18  Siege  des  Rhodiers  Diagoras  (O.  7, 
80 — 90)  und  die  Siegesehren  dreier  Generationen  des  äginetischen  Siegers 
Alkimidas  (N.  6,  9—28.  65—75)  äusserst  kalt. 

133.  Gedankenrichtung.  Mehr  als  durch  die  Kunst  der  Anordnung 
und  die  Wahl  des  Stoffes  verdient  Pindar  unsere  Bewunderung  durch  die 
Tiefe  der  Gedanken,  die  Hoheit  der  Sprache  und  die  Majestät  der  Rhyth- 
men. Alles  ist  bei  ihm  gross  und  erhaben;  selbst  wo  er,  wie  in  der 
14.  olympischen  Ode,  die  Huld  der  Charitinnen  preist,  verschmäht  er  kleine 
tändelnde  Weisen.  Von  stolzem  Selbstgefühl  auf  sein  angeborenes  Genie 
durchdrungen,  vergleicht  er  sich  dem  hochfliegenden  Aar,  der  geringschätzig 
von  seiner  Höhe  auf  die  mühsam  erlernte  Kunst  kreischender  Raben 
herabschaut.  5)     Den  Garten  der  Musen  pflegte  er  nicht  bloss   mit   aus- 

^)  Aristidea   or.  Aegypt.   p.  860   Jebb:  |          ')  Böckh  and  seine  Ankänger  haben  in 

Jllvdtt^og  jnäXici^  dXfi&eiag  aVr^/fa^ftt  ^oubI  der  Aufspürong  eines  Zusammenhangs  manch- 

jtßv  noirjtüiy  ne^l  rtig  iojoQiag,  Die  Kenntnis  mal  des  Guten  zu  viel  gethan,  wogegen  sich 

der  Mythen  schöpfte   er  hauptsächlich  aus  energisch  erklärt  Drachxann,  Moderne  Pin- 


Hesiod  und  den  Kyklikem,  wozu  die  Nach- 
weise bei  LüBBBBT,  De  Pindari  studüs  He- 
siodeis  et  Homerids,  Bonn  1882. 


dar  fortolkning,  Kopenhagen  1891. 

»)  N.  3,  80;  vgl.  0.  2,  96,  N.  5,  21,  und 
besonders  den  Schluss  von  0.  1 :  etfj  fie  zwr^ 


B.  Lyrik.    7.  Pindar.    (§§138-134.) 


181 


nehmender  Kunst,   er  weiss  auch  ihre  Gaben,  die  allein  der  Tugend  Un- 
sterblichkeit verleihen,  in  allen  Tonarten  zu  preisen  ;i)  wie  Homer  betrachtet 
er  sich  als  den  Diener  der  Musen  und  nennt  sich  daher  Fr.  90  Uiegtimv 
nQoq^drav,     Geradeaus  in  seinen  Anschauungen  wagt  er  auch  den  Hohen 
der  Erde  gegenüber  ein  freies,  mahnendes  Wort,*)  und  weit  entfernt  von 
kraftloser  Gutmütigkeit  tritt  er  mit  energischem  Zorn  seinen  Feinden  ent- 
gegen.*)    Ein  heiliger  Sänger  voll  tiefer  Religiosität  hat  er  herrlich  wie 
kein  zweiter  die  Hoheit  des  Zeus  und   die  Macht  der  lichten  Gottheiten 
gegenüber  den  Dämonen  der  Finsternis  besungen.^)    Mit  frommem  Sinn 
hielt  er  fest  an  dem  Glauben  der  Väter,   erlaubte  sich  aber   doch  auch 
Mythen,  die  gegen  seine  Anschauung  von  dem  hehren  Wesen  der  Götter 
verstiessen,  in  seiner  Weise  umzudeuten  und  umzugestalten.     Wenn  z.  B. 
die  Überlieferung  bei  Hesiod  erzählte,   ein  Rabe  habe   dem  Apoll  Kunde 
von  der  Untreue  seiner  geliebten  Koronis  gebracht,  so  sträubte  sich  gegen 
die  Niedrigkeit  dieses  Zwischenträgers  sein  reineres  Gottesbewusstsein,  und 
liess  er  deshalb  den  Apoll  selbst  mit  seinem  allessehenden  Geiste  die  treu- 
lose That  erspähen.^)    Freilich  litt  unter  diesen  Umgestaltungen  die  klare 
Sinnlichkeit  der  althellenischen  Götterwelt,  was  auch  darin  hervortritt,  dass 
Pindar  zu  den  alten,  lebensvollen  Göttern  schon  abstrakte  Gestalten,  wie 
Theia,  Ghronos,  Hesychia,  Alatheia,  in  den  Oljrmp  einführt.     Darin  zeigt 
sich  eben  der  Einfluss,  welchen   die  Lehren  der  Weisen,  namentlich  der 
Pythagoreer  und  Orphiker  auf  die  Anschauungen  unseres  Dichters  geübt 
hatten;  ein  Freund  der  Geheimlehre  der  Mysterien  preist  er  Fr.  137  den 
glücklich,  der  in  sie  eingeweiht  unter  die  Erde  geht,  denn  der  kennt  des 
Lebens  Ende  und  den  von  Gott  gesetzten  Anfang.     Er  war  eben  durch 
und  durch  ein  ethischer,   religiöser  Dichter,   der  vor  allem  den  sittlichen 
Gehalt  des  alten  Mythus  betonte  und  denselben  mit  der  jüngeren  Lehre 
von  der  Unsterblichkeit  der  Seele  und  der  Belohnung  der  Guten  nach  dem 
Tode  vermählte.^)    Die  eigentlichen  Perlen   seiner  Dichtkunst  sind  daher 
auch   seine   sittlichen  und   politischen    Kemsprüche,   wie   die   berühmten 
voiAog    6    navtünv    ßccaiXsvq,    ßdd-QOV  noXicov   aatpaXhq    J/xa,    %d   naqd   dixav 
yXvxv    mxQOTccTa   fie'vei   rekevra,  avv  d'  äväyxtf  nccv   xaXoVy   dq^d   fjLsyäXag 
aQerSig  dXd&eia^  eg  ndvxa  vofxov  ei&vyXoaaüog  dvr^q  TtQOifäqsi,. 

134.  Sprache  Pindars.  Mit  dem  Ernst  und  der  Tiefe  der  Ge- 
danken harmoniert  bei  Pindar  der  sprachliche  Ausdruck.  Im  Reichtum 
und    in    der  Grossartigkeit  der  Bilder  sucht   er   seinesgleichen,    aber   er 


ad^B  vtxatpoQoig  ofiiXety  nQOfpaytov  aoq>i€^ 
xtt&*  "EXkayaf  iovra  navx^.  Die  Scholiasten 
deuteten  die  Raben  auf  Simonides  und  Bak- 
divlides,  die  Hauptariyalen  Pindars.  Mit  Be- 
scheidenheit rfllimt  sich  dagegen  Bakchylides 
fr.  14  nur  der  yon  andern  gelernten  Knnst. 
Pindars  Ueberhebnng  fand  selbst  bei  seinem 
Bewunderer  Plutarch  Mor.  539  c  Tadel. 

*)  O.  9,  27 :  i^aigsToy  Xaglttov  vBfAOfxai 
xanoy.  P.  3,  114:  «  <r  a^std  xXsivaTg  aoi- 
dttTg  xe^'^i»  teX^^ei.  Vgl.  0.  10,  95,  N.  4,  6, 
Ib.  3,  58. 

>)  Seinen  ev&vyXatcaos  dvrji^  nennt  er  sich 
selbst  P.  2,  86;  sein  Freimut  zeigt  sich  be- 


sonders gegen  Hieron  in  P.  2  und  gegen 
Arkesilaos  in  P.  4,  263  ff. 

»)  P.  2,  84:  notl  ^  ^/,9^oV  «t'  ix^'^QOi 
iiov  Xvxoio  dixay  vno&evao/uai.    Vgl.  Is.  3,  66. 

^)  Einzig  schön  im  Eingang  yon  P.  1 
und  in  P.  2,  49  ff.  u.  89  ff. 

^)  P.  3,  27;  ähnlich  ist  der  Tantalos- 
mythus  umgestaltet  0.  1,  31  ff.,  und  die  Sage 
von  der  Erbauung  des  Mauerkranzes  von 
Troja  in  0.  8. 

0)  0.  2,  62  ff.  und  die  Fragmente  aus 
den  Threnoi;  merkwürdig  ist  der  Satz  fr.  108 
yon  der  Seele:  Cf»>6y  hi  Xdn$xat  akSrog 
et&üfXoy, 


182 


Qrieohiaohe  LitteratnrgeBohichte.    I.  KlasBiaohe  Periode. 


deutet  den  Vergleich  nur  an,  verweilt  nicht  wie  der  ionische  Epiker  be- 
haglich in  der  Ausmalung  des  Bildes.  Nicht  gewohnt,  ausgetretene  Wege 
zu  gehen,  bereichert  er  die  Sprache  mit  neuen,  kühnen  Metaphern  und 
Bildern.  Die  Vergleiche  der  Schöpfungen  der  Poesie  mit  den  Werken 
der  bildenden  Kunst  hat  er  in  die  Litteratur  eingeführt,^)  und  wahrlich 
grossartig  ist  die  Zusammenstellung  des  Proömi^ims  mit  dem  Säulenportal 
des  Saales  (0.  6,  1)  oder  die  Entgegensetzung  der  auf  derselben  Basis 
beharrenden  Statue  und  des  gleich  einem  Schiff  in  die  weite  Welt  hinaus- 
dringenden Liedes  (N.  5,  1).  Wie  in  dem  Strome  Welle  auf  Welle  sich 
drängt,  so  erzeugte  in  seinem  reichen  Geiste  ein  Gedanke  den  andern,') 
ohne  dass  er  sich  immer  die  Mühe  nahm,  den  einen  sorgfältig  zum  anderen 
hinüberzuleiten.  ^)  Dadurch  entstanden  die  unvermittelten  Übergänge,  be- 
kannt unter  dem  Namen  der  lyrischen  Sprünge,^)  und  die  rauhen  Fugen, 
welche  das  Verständnis  des  oft  rätselhaften  Ausdrucks  erschweren^)  und' 
dem  späteren,  an  Glätte  und  Weichheit  gewöhnten  Publikum  die  Lektüre 
des  Dichters  verleideten.^)  Auch  im  Metrum  strebte  Pindar  das  Er- 
habene und  Grossartige  an;  das  tritt  besonders  in  dem  wuchtigen  Bau 
seiner  gravitätisch  sich  auftürmenden  Daktylo-Epitriten  hervor,  ist  aber 
erst  in  unserer  Zeit,  nachdem  Böckh  die  langen  Verse  wieder  hergestellt 
hat,  in  vollem  Umfange  erkannt  worden.  Die  Eleganz  und  das  Ebenmass 
der  Verse  und  Kola  ist  freilich  dabei  zu  kurz  gekommen,  ist  wenig- 
stens aus  unseren  heutigen  Texten  nicht  mehr  erkenntlich. '')  In  der  Er- 
habenheit der  Gedanken  und  der  Grandezza  des  Ausdrucks  repräsentiert 
Pindar  zusammen  mit  Aischylos  die  ältere  Generation  der  gestrengen  An- 
hänger der  alten  Sitte  und  die  altertümliche  Richtung  des  getragenen,  an 


^)  Ueber  die  Beziehungen  Pindars  zu  den 
Kunstwerken  seiner  Zeit  handelt  Jebb,  Jour- 
nal of  hellenic  studies  III  (1882)  174  ff. 

*)  Daher  der  schOne  Vergleich  mit  dem 
Strome  bei  Horaz  Od.  IV  2,  5 :  monte  decur- 
rens  velut  amnis,  imhrea  quem  super  notas 
aluere  ripaSf  fervet  immensusque  ruit  pro- 
fundo  Pindarua  ore.  Vortrefflich  sind  auch 
die  wenigen  Striche  bei  Quintilian  X  1,  61 : 
Pindarua  princeps  spiritus  magnificentiaj 
sentetUiis,  figurUt,  beatiasima  verum  ver- 
horumque  copia  et  velut  quodam  eloquentiae 
flumine. 

')  An  welch  schwachem  Faden  oft  der 
Dichter  einen  Gedanken  zum  andern  hinüber- 
leitet, dafQr  liefert  ein  belehrendes  Beispiel 
die  Stelle  P.  4,  262,  wo  der  Preis  der  Klug- 
heit der  Battiaden  og^ßovXoy  fjLtjxiv  i(psv- 
QOftivtjv  genügt,  um  denselben  ein  Rätsel 
aufzugeben:  yptodi.  vvv  xtiy  Oldino&a  aotplav, 

^)  Mancher  dieser  Sprünge  verdient  frei- 
lich kein  Lob,  indem  eine  Sentenz  oder  eine 
mythologiBche  Bemerkung  halb  mit  den 
Haaren  herangezogen  ist  P.  4,  45;  N.  1,  53; 
3,75;  10,78;  1,63. 

^)  Pmdar  selbst  deutet  diese  dunkle 
Weisheit  an  0.  2,  93:  ßiXrj  Moy  iyji  (pa- 
QixQag   (ptovdevra  cvystoiüiy,   ig  Sk   to  nay 


*)  Ath.  p.  3a:  td  JJiyddgov  6  xtofnodio- 
noios  EvnoXig  g>tjaiy  rjdri  xaraaeaiyttfiäva 
vno  r^g  tuiy  noXXioy  dtpiJioxaXlag,  Dionys. 
de  comp.  22  p.  308  Seh.  von  einem  pindaji- 
schen  Dithyrambus:  rav&^  oxi  fjify  iarty 
iax^9^  ^^'^  oxißaQa  xal  d(i(ofiaxixd  xal  noXv 
x6  ttvaxijQoy  ix^i  T^a/vV«  xs  dXvTKog,  xal 
nixQaivu  xdq  dxodg  fxexQitag,  dyttßfßXrjxai  xe 
xoTg  XQoyoig  xai  diaßißrjxsv  ini  xo  noXv  xaTg 
aQfjLoyiaig  xal  ovxe  &€axQixdy  dij  xovxo  xal 
yXagfVQoy  inideixyvxat  xdXXog,  dXXa  x6  ao- 
Xa'Cxoy  ixetyo  xal  x6  avaxriQoVy  anayxeg  ay 
oid*  oxi  fÄaQXVQijaetay.  Indessen  hat  der 
Zeitgenosse  des  Dionysios,  der  Dichter  Ho- 
ratius,  noch  fleissig  seinen  Pindar  gelesen 
und  sich  insbesondere  in  der  Anlage  des 
Preisliedes  auf  August^  I  12  an  0.  2,  und 
in  dem  Vergleich  der  politischen  Gregner  des 
Kaisers  mit  den  unholden  Titanen  in'4  an 
P.  8  angelehnt. 

')  Versuche,  eine  grössere  Harmonie  und 
Symmetrie  in  unseren  Strophenschemen  her- 
zustellen, machten  besonders  H.  Schmidt,  Die 
Eurhythmie  in  den  Ghorgesängen  der  Grie- 
chen, Bd.  I,  M.  Schmidt  in  seiner  Ausgabe 
der  olympischen  Siegesgesftnge  (1869),  und 
üeber  den  Bau  der  pindarischen  Strophen, 
Leipz.  1882.  Das  Rechte  ist  noch  nicht 
gefrmden. 


B.  Lyrik.    7.  Pindar.    (§134.) 


183 


das  Herbe  anstreifenden  Stils.  Von  einem  intimeren  Verkehr  der  beiden 
geistesverwandten  Dichter  ist  uns  nichts  überliefert;  aber  aus  ihren  Dich- 
tungen lassen  sich  noch  manche  wechselseitige  Beziehungen  herauslesen. 
Nicht  bloss  wetteiferten  sie  miteinander,  wie  bereits  oben  angedeutet,  in 
der  Schilderung  des  Ausbruchs  des  Ätna,  es  klingt  auch  die  Schilderung 
von  der  grausen  That  der  Elytamestra  in  der  11.  pythischen  Ode  merk- 
würdig an  Stellen  des  Agamemnon  an. 

Auch  der  Dialekt  Pindars  steht  mit  dem  grossartigen  Charakter  seiner 
Poesie  in  Einklang.  Im  Gegensatz  zu  seiner  Rivalin  Eorinna  hat  er  es 
verschmäht,  die  lokale  Mundart  Böotiens  zu  reden ;  als  universeller  Dichter 
Griechenlands  wählte  er,  zumal  er  zumeist  im  Auftrage  dorischer  Sieger 
und  Priester  dichtete,  den  Eunstdialekt  der  chorischen  Lyrik.  Die  dem 
dorischen  und  äolischon  Dialekt  gemeinsamen  Formen,  namentlich  das 
lange  a  gegenüber  ionisch-attischem  17,  und  die  Pronominalformen  rv,  vfiiie^ 
vjnfiiv,  cfAfuv  führte  er  strenge  durch;  bei  Diskrepanzen  beider  Dialekte 
gab  er  dem  äolischen  den  Vorzug,  wie  namentlich  bei  den  durch  Ersatz- 
dehnung entstandenen  Formen  MoTaa,  (pevyoiaa^  xaXtoiai,  scheute  sich  aber 
auch  nicht,  jenem  äolisch-dorischen  Grundton  epische  und  selbst  attische 
Formen,  wie  Genetive  auf  010^  Acc.  pl.  auf  ovg,  beizumischen^)  und  die 
Partikeln  xsv  und  äv  nebeneinander  zu  gebrauchen.  In  den  Texten  unserer 
Handschriften  wechseln  dorische  und  äolische  Formen,  und  man  hat  daher 
die  Vermutung  aufgestellt,  dass  Pindar  selbst  je  nach  Tonart  und  Heimat 
des  Bestellers  kleine  Variationen  im  Dialekt  angebracht  habe.^)  Aber 
wahrscheinlich  rührt  dieser  Wechsel  nur  von  der  Unbeständigkeit  der 
attischen  Herausgeber,  nicht  vom  Dichter  selbst  her,  da  sich  z.  B.  in 
demselben  Gedicht  agiom  und  vaioiai  (Is.  6,  64  u.  66),')  fxsTd  und  Tteid 
(P.  5,  47  u.  94),  JsnscBg  und  ifjLTisTeg  (P.  8,  21  u.  81)  nebeneinander  finden. 
Überall  aber  klingt  voll  und  tief  wie  feierlicher  Ghoralgesang  der  Laut 
der  pindarischen  Rede. 


^)  So  mttssen  wir  wenigstens  nach  der 
handschrifÜichen  Ueberliefemng  urteilen,  wo- 
bei aber  nicht  zu  flbersehen  ist,  dass  Pindar, 
der  noch  nicht  das  ionisch-neoattische  Al- 
phabet gebrauchte,  im  acc.  pl.  sec.  deol.  0£ 
schrieb,  was  ebensogut  in  ovs  wie  tog  auf- 
gelöst werden  konnte;  Übrigens  endet  der 
acc.  pl.  auf  ovg  auch  in  den  Versen  des 
Böotiers  in  Aristoi  Ach.  874,  875,  876,  880. 
Die  Annahme,  dass  Pindar  auch  acc.  pl.  auf 
OK  nach  böotischer  Art  gebrauchte  (Is.  1,  24, 
3,  17,  N.  7,  51),  steht  nicht  ganz  fest, 
wohl  aber  scheint  er  dem  Vers  zulieb  solche 
auf  0^  (0.  2,  78,  N.  3,  29;  10,  62)  sich  ge- 
stattet zu  haben.  Im  allgemeinen  urteilten 
richtig  die  alten  Grammatiker,  deren  Mei- 
nung Eustathios  in  der  Vita  Pind.  wieder- 
gibt: aioXiCei  d^  rd  noXXäy  ei  xal  f4ij  dxQißrj 
dietüiv  JioUSa,  *ai  xard  JmQicts  ^^  (p^C^h 
ei  xai  Jtjq  axXfj^oHqag  JtoQi^of  anexetai. 
Vgl.  Meistbb,  Griech.  Dial.  I  22  und  Peteb, 
De   dialecto   Pindari,  Halle  Diss.  1866.  — 


FüHBEB,  Der  bOotische  Dialekt  Pindars, 
Philol.  44,  49  ff.  sucht  in  der  Weise  seines 
Lehrers  Fick  nachzuweisen,  dass  Pindar  den 
epichorischen  Dialekt  seiner  Heimat  sprach 
und  dass  die  angeblichen  Dorismen  Pindars 
vielmehr  Eigentümlichkeiten  des  Böotischen 
seien. 

')  G.  Hebmann,  De  dialecto  Pind.,  Opusc. 
I  245  ff.  —  In  der  Syntax,  besonders  im 
Gebrauch  der  Modi  folgt  Pindar  öfter  noch 
den  Epikern  im  Gegensatz  zu  den  Attikem; 
s.  Bbbyeb,  Analecta  Pindarica,  Bresl.  Diss. 
1880;  Gildbbsleeyb,  Studios  on  Pindaric 
Syntax,  in  American  Journal  of  philol.  t.  III 
und  IV ;  Chbist,  Beiträge  z.  Dialekt  Pindars, 
Stzb.  d.  b.  Ak.  1891  S.  25-86. 

')  Wahrscheinlich  gebrauchte  Pindar  in 
der  3.  pers.  pl.  nur  vor  Vokalen  die  Endung 
-oiaiy  der  lesbischen  Dichter,  sonst  immer 
-oj/w  nach  der  Sprachweise  der  Dorier,  Lokrer 
und  Böotier,  welch  letztere  nur  -om  zu  oy&i 
verkehrten. 


184  Grieohisohe  LitieratnrgMohiohte.    L  Klavsische  Periode. 

Textesflberliefenmg  and  Schollen:  Der  in  alter  Schrift  geschriebene  Text  Pindars 
wurde  von  Attika  aus  im  neuen  ionischen  Alphabet  verbreitet  (s.  Christ,  Phil.  25,  607  ff.). 
In  Alexandria  veranstaltete,  im  Anschluss  an  den  Eidographen  ApoUonios,  Aristophanes 
eine  Gesamtausgabe  in  17.  B.  (s.  oben  §  128),  in  der  die  Verse  oder  Kola,  nicht  ohne  grobe 
Fehler,  abgeteilt  waren  (Christ,  Die  metrische  Ueberlieferung  Pindars,  Abhdl.  d.  b.  Ak.  VI 
129  ff.).  Aristarch  konstituierte  den  Text,  nicht  immer  mit  Verständnis  und  Geschick, 
und  versah  ihn  mit  kritischen  Zeichen  (Feine,  De  Aristarcho  Pindari  interprete,  Jena  1883 ; 
HoBN,  De  Aristarchi  stud.  Pind.,  Greifsw.  1883);  ausserdem  haben  die  Grammatiker  Ealli- 
stratos,  Ammonios,  Aristodemos,  Asklepiades,  Aristonikos  und  Chrysippos 
(ob  der  Stoiker?)  sich  mit  dem  Dichter  beschäftigt  fs.  BGckh,  Pindar  II  1  praef.  IX  sqq.). 
Unsere  alten  Schollen,  die  eine  fortlaufende  Paraphrase,  durchzogen  von  dazugehörigen  Er- 
klärungen enthalten  (Lehrs,  Die  Pindarscholien,  Leipzig  1873),  gehen  auf  Di dy mos  zur&ck, 
der  Öfters  namentlich  angeführt  ist  (vgl.  Ammonios  de  diff.  p.  70  u.  M.  Schmidt,  Didymi  fr. 
p.  214  ff.);  ihre  Redaktion  setzt  Wilamowitz,  Eur.  Herakl.  1  185  in  das  2.  Jahrh.  n.  Chr., 
indem  er  den  zu  0.  3,  52  erwähnten  Amyntianos  mit  dem  zur  Zeit  des  Antoninus  Pins 
lebenden  Historiker  Amyntianos  identifiziert  und  unter  o  'AXixaQvaaaevg  sc.  Jtoyvatog  zu 
N.  9,  2  nicht  den  Rhetor,  sondern  den  Verfasser  der  Musikgeschichte  versteht;  vielleicht 
ist  der  Redaktor  jener  Grammatiker  Palamedes,  der  unter  den  Tischgenossen  des  Athenaios 
vorkommt  und  von  dem  Suidas  ein  vrtofuvrjjna  eig  UiydaQoy  roy  noirjttjv  anf&hrt.  —  üeber 
die  Metra  hatte  Drakon  von  Stratonikea  gehandelt;  unsere  metrischen  Schollen,  die  in 
Prosa  und  die  in  Versen  (von  Tzetzbs  in  Cramer  An.  Par.  t.  I),  sind  von  geringem  Wert 
und  beruhen  auf  falscher  Versteilung.  —  Aus  dem  Mittelalter  stammen  die  Schollen  von 
Thomas  Magister,  Moschopulos  (bloss  zu  den  Olympien)  und  Triklinios;  zur  letzten 
Klasse  gehören  auch  die  jflngst  publizierten  ^/oAfa  naifuiaxd  (ed.  Sehitblos,  Athen.  1875). 
Der  Kommentar  des  Eustathios  ist  bis  auf  die  Vita  verloren  gegangen.  Die  Schollen  sind 
den  grösseren  Ausgaben,  wie  der  von  Böckh,  beigefügt.  Neue  Ausgabe  von  Abel,  wovon 
vol.  11  zu  Nem.  u.  Isthm.  erschienen,  Berol.  1884,  durch  den  Tod  des  Herausgebers  unter- 
brochen.    Eine  neue  Bearbeitung  steht  von  Dbachmann  in  Aussicht. 

Handschriften:  Pindar  ist  durch  eine  einzige  Handschrift  auf  uns  gekommen,  da  alle 
erhaltenen  in  gleicher  Weise  am  Schluss  verstämmelt  sind  und  mehrere  Fehler  miteinander 
gemeinsam  haben  (s.  Proleg.  meiner  Ausg.).  Die  erhaltenen  Codd.  zerfallen  in  alte  und 
interpolierte;  von  den  alten  sind  die  besten:  A  =  Ambros.  s.  XII  (davon  ist  der  Vratislav. 
eine  Abschrift),  der  nur  die  Olympien  enthält,  mit  den  Schol.  Ambros.;  B  =  Vatic.  sive 
liber  ürsini  s.  XI  (,  alle  Epinikien  mit  den  Schol.  Vatic.  enthaltend.  Das  Verhältnis  der 
Codd.  ist  klargelegt  von  T.  Mommsen  in  der  grossen  kritischen  Ausg.,  Berol.  1864;  Nach- 
träge von  Abel,  Zur  Handschriftenkunde  Pindars,  Wiener  Stud.  IV  224 — 62;  Schrordkb, 
Zur  Genealogie  der  Handschriften  Pindars,  Philol.  56  (1897)  78  ff. 

Ausgaben  und  Hilfsmittel:  ed.  princ.  ap.  Aldum  1513  —  ed.  Eb.  Sohmid,  Wittenberg 
1616,  mit  vielen  guten  Emendationen  —  ed.  Hbtnb  mit  lat.  üebersetzung  und  Konunentar. 
Gott.  1773,  neu  bearbeitet  von  G.  Hbbmann  1797.  —  Hauptausg.  von  Böckh,  Berol.  1811 
bis  21,  3  tomi  in  4<^  mit  Schollen,  metrischer  Erläuterung  und  erklärendem  Kommentar 
(letzterer  teilweise  von  Dissen).  —  Kleinere  Ausg.  mit  lat.  Kommentar  von  Disskn  and 
ScHNEiDBwiN,  Goth.  (1830)  1847,  2  Bde.  —  Pindari  carmina  Prolegomenis  et  Commentariis 
instructa  ed.  Chbist,  Lips.  1896.  —  Die  Konjekturalkritik  glänzend  gefördert,  nicht  ohne  fiber- 
triebene  Kühnheit  von  Beeok  im  PLG  namentlich  ed.  FV;  eine  5.  Aufl.  bearbeitet  von  Sghborder 
steht  bevor.  -  Teztausg.  von  Chbist  in  Bibl.  Teabn.  2.  Aufl.  1896.  —  Pindars  Siegealieder 
erklärt  von  Mbzoeb,  Leipz.  1880.  —  Pindars  olymp.  Siegesgesänge,  griech.  u.  deutsch  von 
M.  Schmidt,  Jena  1869.  —  Pindar  olymp.  and  pytii.  Od.  by.  Gildersleeve  1890.  —  Pindars 
sicilische  Oden  von  Ed.  Böhmes,  Bonn  1891.  —  Rümpel,  Lezicon  Pindaricum,  Lips.  1883. 
—  üebersetzung  mit  guten  Einleitungen  von  Fb.  Thiebsoh,  Leipz.  1820,  2  Bde.  —  Le  odi 
di  Findaro  dicMarate  e  tradotte  da  Frascaroli,  Verona  1894. 

8.  Die  attischen  Lyriker. 

135.  Die  Richtung  verständiger  Reflexion,  politischer  Einsicht  und 
prosaischer  Redegewandtheit  vertrug  sich  zu  allen  Zeiten  schlecht  mit  der 
lyrischen  Poesie,  die  am  besten  gedeiht  in  der  Springflut  der  Leidenschaft 
und  im  gärenden  Drange  widerstrebender  Elemente.  Von  Attika  und 
der  Zeit  nach  Perikles  waren  daher  von  vornherein  keine  Blüten  der  Poesie 
des  Herzens  zu  erwarten.  Es  nimmt  sogar  Wunder,  dass  zur  Zeit  der 
Perserkriege  überhaupt  noch  solche  Talente  wie  Simonides  und  Pindar  sich 


B.  Lyrik.    8.  Die  atÜBohen  Lyriker.    (§  135.) 


185 


entfalten  konnten.     In  Athen  warf  man  sich  um  diese  Zeit  mit  aller  Kraft 
auf  die  neue  Gattung  der  tragischen  Poesie;  die  Klänge  der  Lyrik  hätten 
wohl  vollständig  in  Athen   dem  dramatischen  Spiel   im  Theater  Platz  ge- 
macht, wenn  nicht  die  Liebe  zur  Musik  sich  erhalten  und  in  ihrem  Gefolge 
auch  der  Dichtung  von  Texten  zu  den  musikalischen  Aufführungen  Raum 
gegeben  hätte.    Zu  dieser  dienenden  Stellung  verstand  sich  aber  am  ehesten 
der  Dithyrambus  und  Nomos.     Denn  in  dem  letzteren  hatte  von  jeher  die 
Melodie  und  Musik  die  hervorragende,  der  Text  die  untergeordnete  Stelle 
eingenommen,  und  auch  in  dem  Dithyrambus  trat,  wie  die  Siegesinschriften 
bezeugen,  frühzeitig  der  Dichter  oder  Didaskalos  hinter  dem  Flötenbläser 
zurück.^)    Dazu  kam,  dass  in  dem  Dithyrambus  die  den  Attikern  besonders 
zusagende  Kunst  der  Mimetik  ein  Hauptelement  bildete.»)     Dithyramben 
und  Nomen  waren  demnach  fast  die  einzigen  Arten  der  lyrischen  Poesie, 
welche  in  Attika  gediehen.    Dieselben  haben  aber  auch  auf  dem  attischen 
Boden  vielfach  eine  neue  Gestalt  angenommen.     Die  Flöte  beherrschte  in 
Athen  wie  schon  vordem  in  Korinth    die  Aufführung  von  Dithyramben; 
im  Gegensatz  dazu  wurde  jetzt  die  Kithara  immer  mehr  das  Hauptinstru- 
ment der  Nomen   und  hören  wir  aus  unserer  Zeit  fast  nur  von  kitharo- 
dischen  Nomendichtern.  8)    Ein  Chor,  und  zwar  ein  grosser  Chor  von  fünfzig 
Mann  gehörte  seit  alters  zu  der  Dithyrambenaufführung  ;^)  auf  seine  Aus- 
stattung ward  jetzt  ein  besonderes  Gewicht  gelegt,  aber  den  Gesängen 
des  Gesamtchors  mischte  Philoxenos  auch  Sologesänge  (f^fl^)  bei,  zunächst 
wohl  für  den  Chorführer.  5)     Umgekehrt  waren  die  kitharodischen  Nomen 
im  Anfang  ausschliesslich  für  den  Einzelvortrag  bestimmt,  und  zwar  in 
der  einfachen  Art,   dass   der  Sänger  sich   selbst  mit  dem  Saitenspiel   be- 
gleitete; nunmehr  brachte   Timotheos   die  Neuerung  auf,   dass  auch  bei 
den  Nomen  ein  Chor  mitwirkte,  und  dass  durch  mimetisches  Spiel  grösseres 
Leben  in  die   musikalische  Aufführung   gebracht  wurde.  ^)     Den  Nomen 


')  Gewaltig  eifert  gegen  diese  Verkeh- 
rang  der  natürlichen  Yerhftltmsae  Pratinas 
in  dem  durch  Ath.  617  b  erhaltenen  Hypor- 
ehern:  tay  aotday  xatiüxncB  UuqU  ßnai- 
lumv  xxX.  Damit  verbinde  die  Angabe  des  Fiat, 
de  mos.  30,  dass  bis  auf  Melanippides  die 
Fl^nspieler  vom  Dichter  den  Lobn  em- 
pfingen, nachher  umgekehrt,  weshalb  auch 
m  Sdaskjdischen  Urkunden  der  Flötist  vor 
dem  Ghorodidaskalos  genannt  ist.  Lukian 
de  aalt  2  erwähnt  die  Aufführung  von  Dithy- 
ranben  geradezu  unter  dem  Namen  xvxXiKuiv 
nhfiioy. 

*)  Piaton  und  Aristoteles,  die  natürlich 
xamäst  in  der  Poesie  ihrer  Zeit  lebten, 
lumen  anf  diese  Weise  dazu,  das  Wesen 
lOer  Poede  in  die  fjiifArjcig  zu  verlegen. 
Üeber  das  Spiel  der  Nachahmung  im  Dithy- 
nunbus  s.  Arist.  Poet.  26,  p.  1461^  33  und 
iwÄHideis  Ps.  Arist  probl.  19,  15  p.  918^  18: 
^  Tud  oi  difhvQafJißoi,  inBißtj  fiifjirjttxoi  iyi- 
»•rro,  orxiti  bxowhv  aviiotQotpov^,  ngoxegoy 
^iiZoy.  Demnach  ist  wohl  von  dem  älteren 
I^iütjrambiis,  wie  etwa  des  Pindar,  die  Stelle 


des  Piaton  de  rep.  lU  p.  394  <^  zu  verstehen 
i5  fÄ^y  dtd  fÄifÄijoBiog  oXrj  iariy  .  .  Tgaywdla  re 
xttl  xiafjii^&iay  17  ^k  di*  dnavysXiaq  avxov  tov 
noitjrov  {evQoiq  &*  dy  avxrjy  fidXiaxd  nov 
iy  diSvQdf^ßoig),  ifj  4*  av  di*  dfJKpoxiQtay  ty  xe 
xß  Xüiy  inwy  notijaeiy  noXXaxov  d^  xai  nXXoSi. 

')  Die  aulodischen  Nomen  traten  also 
zur&ck;  die  reinen  Flötenkonzerte  hingegen 
erhielten  sich  fort.  In  dem  Agon  der  Pana- 
thenäen  CIA  II  2,  965  sind  für  die  Eitha- 
roden  5,  die  Auloden  2,  die  Eitharisten  3,  die 
Flötisten  2  (wenn  nichts  weggefallen)  Preise 
ausgeworfen;  vergl.  Bergk,  6r.  Lit.  II  500  f. 

^)  Ein  Chor  von  50  Mann  ist  zum  ersten- 
mal bezeugt  für  Ol.  75,  4  (476)  durch  Si- 
monides fr.  147. 

*)  Plut.  de  mus.  30:  ^^M^eyog  ek  tot^s 
xvxXiovg  ;jfo^oi»ff  /jieXtj  elaijyeyxaxo. 

^)  dem.  Alex,  ström.  I  p.  133:  vofiovg 
TtQüixog  jjaey  iy  X^Q^  *"^  xi&dQtf  Ttfio^eog. 
lieber  die  mimetischen  Bewegungen  des 
Flötenspielers  belehren  Theophrast  bei  Ath. 
22  c,  Paus.  IX  12,  5,  Ludan.  Harm.  1,  Dion 
or.  78. 


186 


Ghieohiflohe  LJtteratnrgeBohiohte.    L  Klasaiflohe  Periode. 


war  von  Hause  aus  die  strophische  Komposition  fremd;  bei  den  Attikem 
wurden  allmählich  auch  die  Dithyramben  durchkomponiert,  was  Aristoteles, 
Probl.  XIX  15  mit  dem  nachahmenden  Charakter  des  jüngeren  Dithyrambus 
in  Verbindung  bringt.^)  umgekehrt  näherte  sich  in  der  metrischen  Form 
der  Nomos  allmählich  dem  Dithyrambus,  indem  der  Nomendichter  Timotheos 
die  alte  Weise  wiederkehrender  Hexameter  {Inrj)  aufgab  und  auch  in  den 
Nomos  die  freiere  Form  wechselnder  Versmasse  einführte.*)  So  ver- 
mischten sich  also,  von  der  Verschiedenheit  der  begleitenden  Instrumente 
abgesehen,  die  beiden  Dichtungsarten  immer  mehr  und  ging  schliesslich 
der  Nomos,  speziell  der  Vocalnomos  in  der  dithyrambischen  Poesie  auf. 

136.   Der  Dithyrambus  Athens  ^)  lässt  sich  am  meisten  dem  Melodram 
oder  der  Operette  unserer  Zeit  vergleichen.    Bei  ihm  wie  bei  unserer  Oper 
lag  der  Schwerpunkt  nicht  in  dem  Text,  sondern  in  der  Melodie  und  Musik, 
wenn  auch  im  Altertum  die  Musik  immer  noch  mehr  wie  bei  uns  an  die 
rhythmische  und  metrische  Form  des  Textes  gebunden  blieb.     Wie  sodann 
bei  uns  in  den  grösseren  Städten  neben  dem  Theater  ein  Opernhaus  exi- 
stiert, so  baute  Perikles  in  Athen  neben  dem  älteren  Theater  des  Dionysos 
für    die   lyrisch -musikalischen    Produktionen    einen    eigenen   überwölbten 
Rundbau,  das  fi)d€iov.     Freilich  dürfen  wir  deshalb  noch  nicht  unter  einem 
attischen  Dithyrambus   eine   glänzende  Oper   der  Neuzeit  uns  vorstellen. 
Dafür  war  vor  allem  die  Musik  im  Altertum  zu  wenig  entwickelt.     Der 
Gesang  war  auch  im  Dithyrambus  einstimmig,   und  statt  eines  grossen 
Orchesters  fiel  die  Begleitung  nur  einem  Auleten  mit  der  Doppelflöte  oder 
im  besten  Fall  einigen  wenigen  Flötisten  zu.^)     Ausserdem  verblieb  dem 
Dithyrambus  auch  in  Athen  stets  der  Charakter  einer  Choraufführung,  in- 
dem er  anfanglich  nur  aus  Chorgesängen  bestand  und  auch  seit  Philoxenos 
Einzelgesänge,  fiei^rj  oder  Arien  nur  in  beschränktem  Masse  in  das  ursprüng- 
liche Gefüge  aufnahm.     Aber  gleichwohl  erfreuten  sich  in  Athen  die  musi- 
kalischen Produktionen  der  Dithyramben  einer  grossen  Beliebtheit.  Eyklische 
Chöre  spielten  nicht  bloss  an  den  grossen  Dionysien,  sondern  auch  an  den 
Thargelien,   Prometheen,  Hephästien  und  Panathenäen;^)  bei  den  grossen 
Dionysien  aber  ward  der  Sieger  im  Dithyrambus  sogar  mit  einem  höheren 
Preis  als  der  Sieger  im  Drama  geehrt,  indem  ihm  ein  mit  grossem  Prunk  auf- 
zustellender Dreifuss  {tgtriovc)^)  gegeben  wurde.     Im  übrigen  können  wir 


^)  Auf  diese  neue  Richtung  geht  dei* 
Spott  des  Aristophanes  Nab.  338:  xvxXmv 
de  Xo^v  (fCfittxoxdfLtnjas  a^dgag  juereoDQO- 
(peyaxag. 

')  Plut.  de  mus.  4  von  Timotheos:  tovg 
71  Qwtovg  vofjLOvg  iy  hteai  dia/uiyvvtoy  dif^v- 
Qttjuißixtjv  (^drjy  fjdeyy  ontag  fÄij  ev^^g  fpfiv^ 
naQayofjKoy  eig  rtjv  aQ^aiav  fjiovffixijy. 

^)  M.  SoHMiDT,  Diatribe  in  dithyrambum, 
Berlin  1845;  E.  Scheibe,  De  dithyrambomm 
graec.  argumentis,  Lips.  1862. 

**)  BoDEMSTEiNER,  Uober  choregische  Weih- 
inschriften in  Comm.  philol.  Monac.  1891 
p.  44  fif.  Mehrere  Flötisten  sind  jedenfalls 
bei  der  von  Plut.  de  mus.  29  angeführten 
polyphonen  Begleitung  anzunehmen. 


^)  DlTTBlTBEBGBB,    Sjll.  U.  420. 

')  Von  den  DenkmUem,  wo  diese  Preise 
aufgestellt  waren,  hatle  die  Tripodenstraase 
ihren  Namen.  Von  Dithyrambenweitkämpfen 
und  dabei  gewonnenen  Siegen  geben  mehror« 
zum  grossen  Teü  erst  neu  entdeckte  In- 
schriften Kenntnis;  s.  CIG  221.  223,  CIA  I 
n.  336.  337,  II  n.  1234—1299,  Dittenbbbgsb, 
Syll.  411 — 424;  vgl.  Reisoh,  De  mnsicis  Gnie> 
corum  certaminibus  p.  32  ff.  Ueber  den  Preis 
der  alten  Zeit  berichtet  Schol.  Plat.  rep. 
p.  394c:  T<üy  dk  noiijxtoy  Tip  fiky  TrQwx^ 
ßovg  ena&Xoy  i;j/,  t^  d^  devrsgip  «fnpoQCv^^ 
r(p  de  tgitui  xQ(iyog,  6V  tQvyl  xe;|f^«r/EirVo»' 
anfjyoy  Ähnlich  Schol.  Find.  0.  13,  25. 


B.  Lyrik.    8.  Die  attischen  Lyriker. 


136-137.) 


187 


uns  von  keinem  Teil  der  alten  Poesie  weniger  eine  klare  Vorstellung 
macbeo  als  von  dem  attischen  Dithyrambus.  Es  sind  uns  eben  aus  dem 
Altertum  überhaupt  so  gut  wie  gar  keine  Melodienreste  erhalten;  da  aber 
bei  dem  Dithyrambus  der  Text  keine  selbständige  Bedeutung  beanspruchte 
und  nur  als  Unterlage  der  Musik  einen  Wert  hatte,  so  sind  mit  den 
Melodien  auch  die  Texte  der  Dithyramben  untergegangen.  Nach  diesen 
grossen  Verlusten  aber  können  uns  die  paar  allgemeinen  Notizen  und  die 
spärlichen  Fragmente  ebensowenig  wie  die  inschriftlichen  Zeugnisse  zu 
einer  klaren  Vorstellung  verhelfen.  Wir  dürfen  uns  deshalb  mit  einer 
sQmmarischen  Aufzählung  der  Dichter  begnügen. 

137.  La  SOS  von  Hermione  in  Argolis  lebte  am  Hofe  des  Hipparch 
(Herod.  VII  6)  und  ward,  wenn  auch  irrtümlich,  als  Lehrer  Pindars  aus- 
gegeben.   Nach  Suidas  hat  er  zuerst  ein  theoretisches  Buch  über  Musik 
geschrieben  und  den  Dithyrambus  in  die   athenischen  Wettkämpfe   ein- 
geführt   Die  parische  Chronik  setzt  die  erste  Aufführung  eines  Männer- 
cbors  Ol.  68,  1   (508),  wobei  aber  nicht  Lasos,   sondern  Hypodikos  aus 
Chalkis  siegte.     Auf  einen  Wettstreit  des  Lasos  mit  Simonides  und  die 
Niederlage  des  ersteren  spielt  Aristophanes  Vesp.  1410  an.     In  der  Musik 
begründete  er  die  neue  dithyrambische  Weise,  indem  er  in  Rhythmus  und 
Melodie  die  altertümUche  Einfachheit  und  Strenge  der  terpandrischen  Hymnen- 
poesie verliess  und  im  Einklang  mit  dem  grösseren  Tönereichtum  der  Flöte 
mannigfaltigere  und  in  weiter  auseinanderliegenden  Tönen  sich  bewegende 
Perioden  einführte,  i)    Von  einigen  ward  er  nach  Schol.  Arist.  Av.  1403 
geradezu  Erfinder  des  Dithyrambus  genannt.     Von  seiner   dichterischen 
Begabung  gibt  uns  sein  gekünstelter  Versuch,  ein  Lied  ohne  a  zu  dichten, 
keinen  hohen  Begriff.     Es  scheint  eben  gleich  dem  ersten  attischen  Dithy- 
rambendichter die   Frostigkeit,   welche  die  attische  Lyrik  kennzeichnete, 
eigen  gewesen  zu  sein.     Von  Titeln  seiner  Gedichte   werden  genannt  ein 
Hymnus  auf  die  Demeter  von  Hermione  und  ein  Dithyrambus  KevravQoi. 
Lamprokles  aus  Athen;  von  ihm  rühmt  Aristophanes  in  den  Wolken 
967  einen  Dithyrambus  in  daktylischem  Versmass  und   dorischer  Tonart 
als  Kemlied  der  guten  alten  Zeit. 

Pratinas  aus  Phlius  erwarb  sich  hauptsächlich  durch  seine  Satyr- 
spiele einen  Namen;  er  trat  aber  auch  als  Dithyrambendichter  in  Athen 
und  Sparta  auf.  Von  seinen  Hyporchemen  ist  ein  grösseres  Bruchstück, 
worin  er  gegen  das  Überhandnehmen  des  Flötenspiels  in  kampflustigen 
Rhythmen  eifert,  auf  uns  gekommen.^) 

Diagor as^)  aus  Melos,  jüngerer  Zeitgenosse  des  Pindar  und  Bak- 
chyüdes,  ist  in  weiteren  Kreisen  durch  den  Volksbeschluss  der  Athener, 
der  ihn  als  Gottesleugner  aus  der  Stadt  verjagte,  bekannt  geworden.  Der 
von    Philodemos    ncgl    aasßsiaq     uns     erhaltene    Vers     x^sog    &€6g    nqo 


*)  Flut,  de  mns.  29:  sk  frjv  di^ga/i- 
ptanir  mytoyi^y  ftsxaaiijaas  tovg  ^vSfiovg  xal 
Tj  rtiy  avXmv  noXviptayitf  xaraxoXovdfjaag 
«letW  re  tpB'oyyotq  nal  diCQQififjiiyoig  XQV' 

(fnt.  r3iaf;|ro9<raf')  ^yciye  fiotnnxijy. 

^)  Der  Name  des  Flötenspielers  erscheint 


in  dem  4.  Jahrh.  neben  dem  des  Dichters 
auf  den  Siegesinschriften;  Reiscb,  De  mus. 
cert.  28  f.  Vgl.  Sittl,  Progr.  des  Wagner- 
schen  Instituts,  Würzbnrg  1893  8.  29. 

>)  Suidas  unt.  Jtay6Qag;   Ps.  Lysias  c. 
Andoc.  7;  Arist.  Ran.  320. 


L 


188 


Orieohisohe  LittMratargMohiohte.    I.  KlaMisohe  Pmriod«. 


navTo^  igyov  ßqoteCov  vcofi^  (fqäv    vnsqxaxav  will  zu  dieser  Anklage  nicht 
stimmen. 

Melanippides  gab  es  nach  Suidas  zwei;^)  der  ältere  aus  Melos  hat 
die  neue  Richtung  des  Dithyrambus  mit  den  langen  Introduktionen  {avaßoXai) 
und  fremdartigen  Stoffen  inauguriert  (Plut.  de  mus.  30).  Der  jüngere, 
ein  Tochtersohn  des  älteren,  galt  nach  Xenophon  Mem.  I  4,  3  als  der 
berühmteste  Meister  seines  Faches.  Er  ward  an  den  Hof  des  Königs 
Perdikkas  II  berufen,  wo  er  um  412  starb.  Von  nur  wenigen  seiner 
Dithyramben,  wie  Javatdsc^  lleQfrsipovr^,  MaQCvag  haben  sich  Titel  und 
Bruchstücke  erhalten.  In  einem  Fragment  des  Marsyas  wirft  die  Göttin 
Athene  die  Flöte  weg,  weil  sie  die  Schönheit  des  Körpers  entstelle,  >)  in 
der  Persephone  verabscheuen  die  Menschen  das  Wasser,  nachdem  sie  die 
Gottesgabe  des  Weines  kennen  gelernt. 

K  ine  Sias  gehörte  schon  ganz  der  neuen  Richtung  der  Musik  an; 
er  war  die  Zielscheibe  des  Spottes  der  Komiker  wegen  seiner  dürren  Ge- 
stalt und  seiner  neumodischen  Kadenzen.') 

Antigenes  ist  uns  als  Dithyrambendichter  bekannt  durch  das  Epi- 
gramm Anth.  Xm  28,  das  er  zum  Andenken  eines  von  ihm  errungenen 
Sieges  auf  den  der  Gottheit  geweihten  Dreifuss  setzte.^)  Da  in  der  versi- 
fizierten  Didaskalie  neben  dem  Dichter-Didaskalos  auch  noch  der  Flöten- 
spieler Ariston  aus  Argos  genannt  ist,  so  kann  er  kaum  vor  Mitte  des 
4.  Jahrhunderts  gelebt  haben. 

Philoxenos  aus  Kythera  (435—380  nach  Marm.  Par.)  kam  nach 
Einnahme  seiner  Heimatinsel  als  Kriegsgefangener  nach  Athen,  wo  er 
durch  sein  Talent  die  Aufmerksamkeit  des  Melanippides  auf  sich  lenkte. 
Dann  lebte  er  längere  Zeit  an  dem  Hofe  des  älteren  Dionysios  in  Syrakus, 
den  er  durch  sein  freimütiges  Urteil  über  dessen  schlechte  Gedichte  reizte 
(Diodor  XV  6).  Von  seinen  vierundzwanzig  Dithyramben  war  am  be- 
rühmtesten der  Kvxlcoifj,  in  welchem  der  Kyklope  ein  schmachtendes 
Liebeslied  auf  die  schöne  Galatea  sang  und  der  Dichter  selbst  als  Führer 
des  zweiten  Chors  den  Odysseus  vorstellte.  Grössere  Fragmente  haben 
wir  von  einem  zweiten,  von  einigen  nach  Ath.  146  f.  dem  Philoxenos  aus 
Leukas  zugeschriebenen  Gedicht  JsTnvov^  das  aber  kein  Dithyrambus, 
sondern  ein  Nomos  ist  und  für  die  Erkenntnis  der  rhythmischen  Formen 
des  jüngeren  Nomos^)  und  der  raffinierten  Genusssucht  jener  Zeit  gleich 
interessant  ist.  Die  Dithyramben  des  Philoxenos  standen  in  hohen  Ehren^) 
und  wurden  noch  zur  Zeit  des  Polybios  (IV  20)  zusammen  mit  denen  des 
Timotheos  alljährlich  von  den  Arkadem  im  Theater  aufgeführt. 

Timotheos  aus  Milet,^)  der  bewundertste  Musiker  und  Nomendichter 
seiner  Zeit,  war  in  der  Musik   ein  Schüler  des  Phrynis,®)   worauf  sich 


^)  Eineii  Irrtum  des  Suidas  nimmt  Rohde 
Rh.  M.  33,  213  an. 

^)  Die  gleiche  Anschauung  in  dem  Weih- 
geschenk der  Akropolis,  wo  Athene  den 
Marsyas  schlägt,  hei  Paus.  I  24,  1. 

')  Aristoph.  Av.  1372,  Pac.  832.  Ein 
hartes  Urteil  fällt  Uher  ihn  Piaton,  Gorg. 
p.  501e. 

*)  Vgl.  WiLAMowiTz  Herrn.  20,  62  ff. 


^)  Das  Metrum  ist  dakinrlo-epitritisch. 

")  Antiphanes  hei  Ath.  463  d.  Aber  ver- 
spottet wird  Philoxenos  von  dem  Feind  der 
neuen  Musik,  von  Aristoph.  Plut  290;  aber 
die  Freiheit  des  Rhythmenwechsels  T«gl. 
Dionysius  De  comp.  verb.  p.  264  Seh. 

')  Suidas  unt.  Tifi6»eoi. 

^)  Plut.  de  mus.  6;  nach  Schol.  m  Aiist. 
Nub.  967  siegte  er  an  den  Panathenäen  unter 


B,  Lyrik.    8.  Die  attiaohen  Lyriker.    (§  137.) 


189 


Aristoteles  Metaph.  p.  993  b  15  bezieht,  wenn  er  von  dem  berühmteren 
Schüler  des  berahmten  Meisters   sagt:   €i  fxh'  ydq   Tlfio^eog  firj  iyävsxoy 
milfiY  av  fisXonoitav  ovx  cixofiev  ei  ii  fit]  ^qvvk;,    Tifiod-eog  ovx  av  iye'vsro. 
Der  Schauplatz   seiner  Thätigkeit   war   vor  allem  Athen,   aber  auch  am 
Hofe  des  makedonischen  Königs  Archelaos,  in   Ephesos  und  Sparta  trat 
er  mit  seinen  Produktionen  auf.     In  letzter  Stadt  wollte  man  von  seinen 
Neuerungen  nichts  wissen,  so  dass  ihm  die  Ephoren  die  vier  neuen  Saiten 
seiner  llsaitigen  Zither  abschnitten. i)     Hochbetagt  starb  er  im  Jahre  357. 
Ein  Urteil  über  den  gefeierten  Musiker  ist  uns  heute  nicht  mehr  möglich ; 
denn  sein  Schwerpunkt  lag  in  den  Melodien,  die  mit  all  den  antiken  Denk- 
malen dieser  reizendsten  und  flüchtigsten  aller  Künste  zu  gründe  gegangen 
sind.*)    Das  Altertum  hatte  von  ihm   di'  inrnv  vo^oi  fAovaixoi\^)  TiQooifAia, 
iymiua^  di&vqafißoi^^)  vfivoiy  naiaveg  u.  a. ;  auf  uns  sind  nur  ganz  dürftige 
Reste   gekommen,   die   uns   aber   einen   grossen   Reichtum   rhythmischer 
Formen  erkennen  lassen.     Gepriesen  war  seine  Schilderung  der  Geburts- 
wehen der  kreisenden  Semele  in  dem  für  Flötenmusik  komponierten  Melo- 
dram (ü3lg  SsfiäXiqg  und  sein    Dithyrambencyklus  Odysseia  in  mindestens 
4  B.,  zu  dem  auch  die  von  Aristoteles,  Poet.  26,  erwähnte  Skylla  gehörte, 
in  der  in  halb  burlesker  Weise  die  Choreuten  den  Koryphaios  zupften,  um 
das  Wegschnappen  der  Gefährten  durch  die  Skylla  zu  veranschauKchen.^) 
Von  sonstigen  Dithyrambikern  des  4.  Jahrhunderts  werden  noch  ge- 
nannt Telestes  aus  Selinunt,  der  sich  nach  Dionysios,  De  comp.  verb.  19 
im  Wechsel  der  Rhythmen  und  Tonarten  gefiel,  was  die  erhaltenen  Frag- 
mente bestätigen,  Ariphron  aus  Sikyon,  der  in  einer  didaskalischen  Ur- 
kande  des  4.  Jahrhunderts  CIA  II  n.  280  erwähnt  ist<^)  und  von   dem 
uns  Athenaios  p.  702  einen  berühmten  Päan  auf  die  Hygieia  erhalten  hat, 
Pol  y  ei  dos  der  Sophist,  ein  Mann  von  vielseitigem  Talent,  der  sich  auch  in 
derTragödie  und  Malerei  versuchte, 7)  Likymnios  aus  Chios,  der  nach  Arist. 
Rhet  m  12  Dithyramben  zum  Lesen  dichtete,®)   Lykophronides,   von 
dem  uns   ein   paar  Fragmente  erhalten  sind,   Kleomenes  aus  Rhegion, 
Xikokles  aus  Tarent,^)  Argas,^")  Eukles,  Philophron,  Lysiadesaus 
Athen,  Hellanikos  aus  Argos,   Charilaos  aus  Lokris,  Eraton  aus  Ar- 
kadien, ^i) 


dem  Archon  fijiUias.  Qm  und  seinen  Schüler 
TlmodieoB  nalun  zur  Zielscheibe  des  Spottes 
Pbereknites  im  Gheiron. 

')  Paus,  ni  12, 10;  Boetins  de  mos.  p.  182 
PrieÄ 

^)  Üeber  die  Neuerangen  des  Timotheos 
r  f  13.5. 

')  Das  waren  Nomen  in  daktylischen 
Hexametern,  welchen  Timotheos  nach  Plnt. 
de  mia.  4  nur  an  einzelnen  Stellen  freiere 
Itoft  beimischte. 

^]  Einen  Dithyrambus  Elpenor  von  Ti- 
noäieos  bezeugt   die  Inschrift  CIA  II  1246. 

*)  JSn  S^yog  tov  *Qdvöaio)g  (vgl.  Arist. 

C15)  des  Timotheos  wird  angeführt  in 
isthetischen    Papyrus    des    Erzherzog 
T,  publiziert  und  erlftutert  von  Gohpebz, 
ins   Papyrus  Rainer  I  84 — 8. 


Andere  Titel  waren  IsfAiXrj,  Aae^rr^g,  'EXnrj- 
ytOQj  NavnXio^y  4^i,y€idai. 

')  In  der  Urkunde  indes  heisst  es  bloss 
^AQicpQOiv  ohne  den  Zusatz  Itxvtavioq.  Auch 
der  Päan  ist  uns  inschriftlich  auf  einem  jetzt 
in  Kassel  befindlichen  Stein  erhalten. 

0  Diodor  XIV  46,  6. 

^)  Ein  Fragment  von  ihm  n.  4  enthält 
Verse  aus  dem  Päan  des  Ariphron. 

*)  Ein  Verzeichnis  seiner  Siege  gegen 
das  Ende  des  4  Jahrhunderts  erläutert  von 
KöHLKB  Rh.  Mus.  39,  298. 

*®)  Argas  wird  als  schlechter  Nomen - 
dichter  verspottet  bei  Ath.  131  *>  u.  638;*; 
sein  Name  steckt  wahrscheinlich  auch  in 
Aristot.  Poet.  2,  p.  1448'*  15. 

^^)  Die  letzten  Namen  und  andere  dazu 
sind  inschriftlich  bezeugt. 


190  Orieohisohe  Littoraiargeflohichte.    L  SltMisohe  Periode. 

C.  Drama.  1) 

1.  Anfang  und  äussere  Verhältnisse  des  Dramas. 

138.  Das  Drama  ist  eine  originelle  Schöpfung  des  griechischen  Geistes: 
kein  Volk  des  Altertums  hat  etwas  Ähnliches  hervorgebracht,  und  was  in 
späterer  Zeit  in  Rom  und  von  modernen  Völkern  auf  dem  Gebiete  der 
dramatischen  Kunst  geleistet  wurde,  geht  auf  die  Anregung  der  Griechen 
zurück.')  Bei  ihnen  selbst  hat  sich  das  Drama  aus  den  beiden  älteren 
Gattungen  der  Poesie  naturgemäss  entwickelt;  es  ist  dasselbe  auch  erst 
zur  Ausbildung  gekommen,  nachdem  die  erzählende  Dichtung  fast  ganz 
verklungen  war  und  die  Gedankenpoesie  der  subjektiven  Empfindung  ihren 
Zenith  bereits  überschritten  hatte.  Die  beiden  Elemente,  aus  denen  das 
Drama  entsprungen  ist,  haben  auch  äusserlich  bei  den  Griechen  in  dem 
Gegensatz  der  gesprochenen  und  gesungenen  Partien  ihren  Ausdruck  ge- 
funden. Die  Chorgesänge  und  Monodien  bezeugen  ihren  Zusammenhang 
mit  der  Lyrik,  speziell  der  chorischen  Lyrik,  nicht  bloss  im  Inhalt  und 
gesangmässigen  Vortrag,  sondern  auch  in  dem  Versbau  und  der  Sprache. 
Fast  alle  Metra  der  Gantica  lassen  sich  bei  den  älteren  Lyrikern  nach- 
weisen, die  melodischen  Logaöden  und  Choriamben  sowohl,  wie  die  gravi- 
tätischen Daktylo-Epitriten  und  anapästischen  Systeme ;  nur  die  Dochmien 
scheinen  erst  in  der  Tragödie  zur  eigentlichen  Entfaltung  gekommen  zu 
sein.  Auch  die  Sprache  der  Chorgesänge  weist  deutlich  auf  die  dorische 
Chorlyrik  zurück  und  hat  aus  ihr  die  Formen  des  dorischen  Dialektes, 
namentlich  das  volltönende  ä  statt  des  ionischen  ^  herüber  genommen. 
Weniger  tritt  im  Dialog  der  Zusanunenhang  mit  dem  Epos  hervor,  da  f&r 
diesen  die  Dichter  ein  anderes  Metrum  wählten,  nicht  den  gravitätischen 
Hexameter,  sondern  den  beweglichen,  der  Umgangssprache  sich  nähernden 
iambischen  Trimeter.')  Aber  wenn  auch  die  Form  geändert  wurde,  so 
blieb  doch  die  Übereinstimmung  des  Inhaltes:  der  Dialog  ist  der  Träger 
der  Handlung  und  des  Mythus,  Fundgrube  des  Mythus  aber  waren  die 
epischen  Gedichte,  was  Aichylos  schön  ausgediückt  hat,  indem  er  seine 
Dramen  Brosamen  vom  Tische  Homers  nannte.  Der  grosse  Fortschritt 
bestand  nur  darin,  dass  jetzt  nicht  mehr  die  Handlung  in  ihrem  Fortgang 
erzählt,  sondern  in  täuschender  Nachbildung  den  Augen  und  Ohren  der 
Zuschauer  vorgeführt  wurde,  so  dass  dieselben  das  Geschehene  gleichsam 

■)  Quellen  ans  dem  Altertum:  Aristo-  des  griech.  Schauspiels,  Tflb.  1862.  —  Sam- 
teies neQt  noirjTixijgy  woni  die  Reste  seiner  melansg.:  Poetae  scenici  Graeconim,  ree. 
JtdacxttXitti  bei  Ross,  Aristot  psend.  LYI  a.  Botbb,  Ups.  1825—58,  10  Bde.;  Poetae  sc^il 
552  ff.;  Horatius  ars  poet  nach  dem  grie-  gr.,  ed.  Güil.  Dikdorf  ed.  IV,  ups.  1869. 
chischen  Werk  des  Neoptolemos  Parianos;  ')  Nicht  der  Rede  wert  sind  die  dnuna- 
Tietzes  (12.  Jahrh.>  ne^l  rgayixi^g  noiijaetoc  tischen  Ansfttae  der  Chinesen.  Für  die  Inda 
(bei  Wkstphal,  Proleg.  zn  Aeschyl.  p.  VIII  weist  den  Einflnss  der  Griechen  nach  Wih- 
sqq.)  nnd  xr«^  xwufadia^  (ed  Gramer,  An.  disch.  Der  griechische  Einflnss  im  indischen 
Ox.  I  19  ff.).  Sparlos' verschwunden  sind  des  Drama,  Berlin  1882.  Bezeichnend  ist,  dass 
Grammatikers  Telephos  (unter  Hadrian)  auch  in  dem  indischen  Drama  2  Dialekte, 
biot  TQaytxiay  xai  xutjaipdtoy.  —  Neuere  Sanskrit  und  Prakrit,  angewendet  sind. 
Werke :  W.  v.  Schlegel.  Vorlesungen  über  ')  Arist«  Rhet  HI  8  sagt  vom  Hexameter: 
dramaHsche  Kunst  und  Litteratur,  Heidelb.  csfdrog  xtd  Xexruc^g  a^ftorlas  deo/ieytK, 
1809.  2  Bde  =  S&mmtl.  Werke  Bd  5  n.  6;  Poet.  4  vom  Jambus:  fiaXtöta  lextixor  r»» 
Klein,  Gesch.  des  Dramas,  Leipzig  1S65  i.hier  ,uf  r^4»r  rd  iofißetöy  icrir, 
einachligig  die  2  eisten  Bde);    rIpp,  Gesch.  . 


C.ürama.    1.  Anfänge  und  äussere  Verhältnisse.    (§g  iSd— l<^d.)  191 

selbst  mitzuerleben  vermochten.  Deutlicher  aber  zeigt  sich  der  Zusammen- 
hang des  Dialogs  mit  dem  Epos  in  der  Sprache:  das  Attische,  das  die 
Personen  der  Bühne  sprachen,  war  ein  Zweig  des  Ionischen,  ionisch  aber 
war  der  Dialekt  des  erzählenden  Epos  wie  des  iambischen  Spottgedichtes. 
Insbesondere  bewahrte  in  der  Tragödie  der  Dialog  viele  lonismen  des 
Homer  nnd  des  Herodot,  sei  es  nun  dass  dieselbe  in  ihrer  gehobenen 
Weise  sich  mehr  als  die  Komödie  von  dem  Vulgärdialekt  des  attischen 
Volkes  zu  entfernen  wagte,  sei  es  dass  sie  als  die  ältere  Gattung  des 
dramatischen  Spieles  auch  die  ältere,  dem  Ionischen  noch  näher  stehende 
Gestalt  des  attischen  Dialektes  bewahrte.^) 

139.  Hat  so  das  Epos  so  gut  wie  die  Lyrik  Bausteine  für  die  neue 
Gattung  der  dramatischen  Poesie  geliefert,  so  ist  dieselbe  doch  speziell 
aus  der  Lyrik  und  der  religiösen  Festfeier  des  Dionysos  hervorgegangen. 
Darauf  weist  schon  der  Name.     Jgäfia^   d.  i.  Handlung,  hiess  das  neue 
Festspiel,*)  iQcifieva  hiessen  aber  auch   die  Zeremonien,   mit  denen  man 
an  den  Oötterfesten,  namentlich  bei  den  Mysterien  den  Mythus  des  Gottes, 
seine  Geburt,  seine  Wanderungen  und  Leiden  den  andachtsvollen  Gläubigen 
Tor  Augen  führte.')     Zu  solchen  mimischen  Darstellungen  boten  wohl  auch 
die  Mythen  anderer  Götter  Stoff,   wie  die  von  dem  Kampfe   Apollos  mit 
dem  Drachen  Python*)   und  von  der  Bewachung  des  jungen  Zeus   durch 
die  Daktylen  und  Korybanten;  aber  zur  Zeit,  als  die  Geburt  des  Dramas 
nahte,  war  an  den  meisten  Orten  Griechenlands  der  Kult  der  alten  Götter 
hinter  dem  des  lakchos   und  der   Demeter  zurückgetreten.     Namentlich 
aber  war  es  der  erstere,  der  mit  Mummenschanz  und  heiterem  Spiel  ver- 
banden war  und  durch  den  Charakter  enthusiastischer  Begeisterung  die 
Gemüter  der  Festgenossen  für  die  neue  Art  von  Poesie  empfänglich  machte. 
Die  ausgelassene  Weinlaune  und  der  Schwärm  der  bockfüssigen  Satyren 
mosste  von  selbst  die  Griechen,   die  mit  ihren  Göttern  auf  vertraulichem 
Fnas  zu  stehen  liebten,  zu  nachahmendem  Spiele  reizen.     Dazu  löste  der 
Gott,  der  von  der  Freiheit  die  Zunamen  'EXevd^egevg  und  ^vaTog  führte, 
den  Menschen  an  seinem  Feste  die  Zungen,  so  dass  die  Festgenossen  teils 
vom  Wagen  herab  die  Vorübergehenden  neckten,   teils   selbst  mit  ihren 
drolligen  Aufzügen  unter  Yorantragung  eines  grossen  Phallos  das  Lachen 
nnd  den  Scherz  der  Zuschauer  wachriefen.^)     Aber  auch  wer  zum  Ernst 

^)  Die  letztere  Meinimg  vertritt  Rttthbb-   >   die  Athener  nparieiy  sagten. 
ntn,  Zur  Gesdiichte  des  Atticismos,  Aber-   ,  ')  Daher  der  Gegensatz  bei  Paus.  II  37, 

wtit  Ton  Punck  in  Jhrb  f.  Phil.  Sappl.  XIH   i   2  (vgl.  III  22,  2):  t«  keyofieva  ini  xoti  rfpai- 


3S&~S99.  Zum  ihatsSchlichen  Verhältnis 
bemerke  ich,  dass  in  dem  Dialog  der  Tra- 
giker, selten  der  Komiker,  sich  finden  Dative 
^  taf  (HCl,  auftj  ecai,  die  ablaüven  Genetive 
ifUSty,  ei^er,  die  lonismen  yorvatog^  dovQi, 
Wr«f,  ixQvtpBfy  (Eur.  Hipp.  1247),  Uiuv 
(&ir.  Phoen.  1246),  die  nichtattischon  WOrter 
*«T^  statt  nat^Uy  deigat  statt  aiQto,  «onfo^, 

h^i  l^fon^noff  xttciyyrjTo^y  xixXijaxto^  xoi- 

*)  Nach  Azist.  Poet.  3  suchte  man  aus 
faem  Namen  den  dorischen  Ursprung  des 
I^naaa  za  beweisen,   weil  die  Dorier  d^y, 


fiivoig.  Vgl.  Bergk,  Gr.  Litt.  III  4;  Lobeck, 
Aglaoph.  1285  ff.  Ueber  die  dgtjSfiBya  bei 
den  Dionysos-Mysterien  berichtet  der  Kirchen- 
vater Clemens  Alex,  protrept.  Ü  12. 

*)  Dass  derselbe  auch  wirklich  mit  nach- 
ahmender Kunst  dargestellt  wurde,  darüber 
siehe  oben  §  90. 

^)  Noch  in  spftter  Zeit  bestand  die  Ge- 
wohnheit, an  gewissen  Götterfesten  dem  Spott 
freien  Lauf  zu  lassen,  wie  im  2.  .Jahrhundert 
n.  Chr.  zu  Smyma  an  dem  Fest  des  Dio- 
nysos; s.  Aristides  negi  lov  fiij  Ssiy  xoi- 
fiiadecv  p.  509. 


192 


Gri«ohi8che  litteratargesohiohte.    I.  Klassische  Periode. 


und  zur  Reflexion  angelegt  war,  fand  an  den  Dionysosfesten  Gelegenheit 
zur  erbaulichen  Vorstellung.     Dafür  hatten  die  Mysterienpriester  gesorgt, 
die  den  Gott  des  Weines  zum  Repräsentanten  der  zeugenden  Naturkraft 
erhoben,   das  Einschlafen  der  Natur  im  Herbste  und  ihr  frohes  Wieder- 
erwachen im  beginnenden  Lenze  mit  dem  Wandel  seines  Wesens  in  Ver- 
bindung brachten  und  demselben  frühzeitig  auch   allerlei  ernste,  mit  der 
Verbreitung  seines  Kultes  zusammenhängende  M}rthen  andichteten.   Diese 
Vorstellungen  und  Mythen  hatten  dem  feierlichen  Dithyrambus  Nahrung 
gegeben,  und  aus  diesem  ist  die  ernste  Art  des  dramatischen  Spiels  her- 
ausgewachsen.    Der  Ursprung  aber  beider  Arten  des  Dramas,  der  ernsten 
und  der  ausgelassenen  aus  dem  Mummenschanz  der  alten  Dionysosfeste  zeigte 
sich  auch  später  noch  darin,  dass  die  Schauspieler  und  Choreuten  in  der  Ko- 
mödie wie  in  der  Tragödie  verkleidet  auftraten  und  das  Gesicht  entweder 
mit  Hefe  verschmierten  oder  mit  einer  Maske  {jtQoawnov^  persona)  bedeckten. 
140.    Arten  des  Dramas.^)      Allen   Dramen    war   es   gemeinsam, 
dass   sie   ihren  Gegenstand   durch  Handelnde    zur  Darstellung   brachten. 
Der  Gegenstand  selbst  musste  demnach  eine  Handlung  {TTQä^ig)  sein ;  aber 
nicht  jede  beliebige  Handlung  genügte,   es  musste  die  Handlung  eine  ge- 
wisse Grösse  haben  und  in  sich  abgeschlossen  sein,  d.  h.  Anfang,  Mitte 
und  Ende  haben.     Eine  solche  grössere  Handlung  mit  verwickeltem  Ver- 
lauf bot  Stoff  zur  Erzählung  und  hiess  davon  fiVK^og,  fabula;  sie  ward  auch 
argumentum  genannt,  wenn  sie  erdichtet,  nicht  überliefert  war.    Innerhalb 
dieses  gemeinsamen  Rahmens    entwickelten  sich  bei   den   Griechen  drei 
Arten  des  Dramas,   die  Tragödie,   die  Komödie  und  das  Satyrspiel.    Die 
Tragödie  {TQayfiiSia),  die  speziell  aus  dem  Dithyrambus  hervorgegangen 
ist,*)   muss  als  rgaycov  fpät]  gedeutet  werden,   hat  also  den  Namen  nicht 
von  dem  Bock,   der  als  Preis   dem  Sieger  zugefallen  sein  soU,^)  sondern 
von  den  Böcken,  in  welche   die  Sänger,   eben   weil   sie    das  Gefolge  des 
Gottes  darstellten,   ursprünglich  verkleidet  waren.     Von  vornherein  ern- 
steren Charakters  hat  sie  sich  allmählich  zu  jener  ergreifenden  und  reini- 
genden Darstellung  einer  ernsten  Handlung  entwickelt,  welche  Aristoteles 
Poet.  6  mit  den  berühmten  Worten  definiert:    iari  tqay<i^dia  iiiiir^mg  n^- 
^€(üq  cnovSafag   xal  tekeiag  fiäye^og  ixovarfi^   rjdvCfjiävfp  Xoyff  %fOQlg  kxaßxif 
twv   sldfov   iv   Totg  (lOQioig,    iqwvxtov  xal    ov    6i    anayyekiag^    ii'    iläov  xal 
(poßov  7i€qaivovüa  rrjv  tiov  toiovToov  Tra&rjfAatcov  xdd-aqaiVy^)  d.  i.  die  Tra- 


>)  Diomed.  p.  487-492  K. 
*)  Arist.  Poet.  4:    ij  fi^y  rgayifj^ia  and 
T(üv  iiaQxoyrtjy  loy  öid-vqafAßov  xarn  fincQoy 

•)  Hör.  *a.  p.  220:  carmtne  qui  tragico 
vilem  certavit  ob  hircum;  ein  jQayog  als 
Preis  angefahrt  Mann.  Par.  43,  ebenso  von 
Eusebios  zu  Ol.  48,  1.  Es  liegt  hier  wahr- 
scheinlich eine  Anlehnung  an  den  Dithy- 
rambus 7or,  für  den  der  Preis  in  einem  Ochs 
bestand.  Die  richtige  Etymologie  im  Et.  M. 
764,  6:  TQaya}dlttf  ort  rrt  noXXa  ol  ;jf0^oe  ix 
IctxvQüii'  avviaxttvio^  ovg  ixfiXovy  igdyovg. 
Zu  ihrer  Bestätigimg  dient  der  Vers  in  des 
Aischylos      TlQofifjbBvg     nvqxaf.vq    fr.    219 


Herrn.,  wo  Prometheus  den  Satyrchor  an- 
redet: J^ayog  yirBiov  aqa  riBf^tjaetg  <rv  ye; 
MüLLBB,  Gr.  Litt.  I  487  denkt  an  den  Gesang 
um  das  brennende  Opfer  eines  Bockes. 

^)  Unter  den  zahlreichen  Erlftotemnga- 
schriften  verdienen  besondere  Beachtung 
ausser  Lbssings  Dramaturgie,  J.  BESNAts, 
Gmndzüge  der  verlorenen  Abhandlung  des 
Aristoteles  über  Wirkung  der  Tragödie  1857, 
Zwei  Abhdl.  über  die  aristot.  Theorie  des 
Dramas,  Berlin  1880;  L.  Spkmgbl,  Ueberdie 
xdf^ttQaig  Twy  nadrjfidxiavy  Abhdl.  d.  b.  Akad. 
IX.  Bd.  (1859);  Mbisbb,  Beitrag  zur  LOsong 
der  Katharsisfrage,  Blfttter  für  bayer.  Gvmn. 
1887  S.  211  ff.   Eine  andere,  dem  Theophrast 


C.  Drama.    L  Anfänge  nnd  äussere  Verhältnisse.    (§  140.) 


193 


gödie  ist  die  Nachahmung  einer  ernsten  und  geschlossenen  Handlung  von 
einiger  Länge,    in   verschönerter  Sprache,    die   in   den   einzelnen   Teilen 
des  Stücks   verschiedene    Arten    von    Verschönerung    anwendet   (in   den 
Dialogpartien  andere  als  in  den  Gesangspartien),   durch  Handelnde   und 
nicht  durch  Erzählung,   welche   durch  Mitleid  und  Furcht  die  Reinigung 
derartiger  Affekte    bewirkt.     Furcht   und    Mitleid    erregt    die   Handlung 
der  Tragödie   durch   grosses  Leid,    welches   über    die    Handelnden   nicht 
infolge  eigener  Schuld,   sondern   durch   die  Macht   des  Schicksals   herein- 
bricht,^) so  dass  auch  uns,  die  Zuschauer,  ausser  dem  Mitleid  die  Furcht 
vor  einem  gleichen  Lose  ergreift.     Diese  Affekte   aber  werden  gereinigt 
und  zur  Ruhe  gebracht  dadurch,  dass  die  Handlung  nicht  mit  dem  Höhe- 
punkt des  hereingebrochenen  Unglückes   abbricht,   sondern  in   der  Weise 
weitergeführt  wird,   dass   durch   den  dem  Unglücklichen   erwiesenen  Bei- 
stand, die  Bestattung  der  Leiche,  die  Thränen  und  Klagegesänge  der  Ver- 
wandten, auch  in  unserem  Inneren  die  herzerschütternde  Erregung  einer 
wehmutsvolleren  Stimmung  Platz   macht.     Den  Stoff  nahm   die  Tragödie, 
ihrem  Charakter   entsprechend,   hauptsächlich  aus   dem  Mythus  oder  der 
Heroengeschichte,  deren  Gestalten  nach  den  Vorstellungen  des  Volkes  über 
die  Menschen  der  Gegenwart  emporragten  und  so  dem  ganzen  Spiel  einen 
idealen  Charakter  gaben. 

Die  Komödie  {xmiio^dia)  ist  hervorgegangen  aus  den  Gesängen  der 
phänischen  Prozessionen,*)  welche  sich  auch  später  noch  neben  den  Dithy- 
ramben und  der  ausgebildeten  Komödie  erhalten  haben.  Nach  Aristoteles 
Poet.  3  haben  einige,  wohl  durch  die  ländlichen  Dionysien  verfuhrt,  das  Wort 
von  «w/ir^,  Dorf,  abgeleitet,  womit  die  Dorier  dasselbe  wie  die  Attiker  mit 
^\Hoq  bezeichnet  haben  sollen.  Aber  die  Komödie  hat  mit  dem  Dorfspiel 
nichts  zu  thun;  das  erste  Element  des  zusammengesetzten  Wortes  ist 
viehnehr  xwfiog^  lustiger  Schwärm,  wovon  auch  xcofiäf^eiv  und  das  lat. 
comismri  gebildet  ist.*)  Neben  dem  Namen  Komödie  kommt  bei  Aristo- 
phanes  der  scherzhaft  gebildete  Name  TQvyo^dia  vor,  der  entweder  von 
W»/  .Weinlese"  oder  tqv^  „Hefe"  herkommt.*)  Mit  den  Phallosliedern 
war  der  Komödie  von  vornherein  Scherz  und  Lustbarkeit  als  Angebinde 
nutgegeben,  aber  erst  mit  der  Zeit  erhob  sie  sich  zur  erheiternden  und 
verspottenden  Darstellung  einer  lächerlichen  Handlung,  s)     Den  Stoff  nahm 


&igeachriel>ene  Definition  steht  bei  Diomedes 
487, 12  K.:    jQayt(nfia   iariy  iJQtoixijg    ^*'/'7ff 

*)  Aristot.  Poet.  13  verlangt,  dass  der 
HeJd  der  Tragödie  nicht  ganz  unschuldig 
sei,  weil  sonst  sein  ünglflck  einen  indignie- 
reoden  Eindruck  auf  uns  ftbe:  ov  ydg  fpoßegdv 
^V?  iliiroy  lovio  dXXit  fjuagöy  iari.  Das 
ist  richtig,  aber  damit  verlangt  der  Philosoph 
keine  dem  üngl&ck  adäquate  Schuld;  siehe 
kiember  P.  Richte b,  Die  Tragödien  des 
Aescfavlus  nach  Inhalt  u.  Wirkung  beleuchtet, 
BreaL*1891,  Progr.  n.  172. 

^)  Aiist.  Poet.  4:  17  (fi  xwf^ütdiu  dno 
tiip  Tc  <faXXixd  i^agxoyttayf  ä  hi  xai  rvv 
^  noXXatc  Xüiy  noXitov  diafjieyei  yofiiCnf^sya. 

*)  Diomedes  p.  488, 5  E. :  comoedia  dicta 


dno  x<ov  x<ofi(oy  ...  vel  dno  rov  xiäfAov,  id 
est  comeascUione. 

*)  Schol.  Arist.  Ach.  498;  Ath.  40  ^  Et. 
M.  764,  12;  Anon.  de  com.  III;  davon  Horaz 
a.  p.  277:  qui  canerent  agerentque  peruncti 
faecihus  ora. 

*)  Arist.  Poet.  5 :  rj  xiofjua&la  iarl  f^lfitj' 
aig  KpavXoxtQtüy  f4€y,  ov  fjiivtoi  xaxd  ndatty 
xaxiav^  dXXd  tov  ainj^gov,  ov  iaxl  x6  ytXoioy 
fAOQiov  Die  Definition  im  Traktat  nagt 
xtofjuoStccq  des  Cod.  Coislin.  120  ist  eine  un- 
geschickte Nachbildung  der  aristotelischen 
Definition  der  Tragödie.  Durch  den  Charakter 
der  neuen  Komödie  ist  beeinflusst  die  De- 
finition des  Theophrast  bei  Diomedes  p.  488, 
4  K:  xa}fi(i}dia  icxt.y  iditojixtjy  ngayfxdxtoy 
dxiydvyog  nsgio)[ij. 


Buidbaeh  der  klMB.  Altertumswiaseiuchaft.    vn.    8.  Aufl. 


13 


194 


Qrieohisohe  Litteratiirgesohiohte.    I.  Klaasisohe  Periode. 


die  Komödie  aus  dem  Leben  der  Gegenwart,  ihre  Personen  gehörten  der 
Wirklichkeit,  in  der  älteren  Zeit  den  politischen  Kreisen  an. 

Das  Satyrspiel  (ot  adrvQot)  hat  seinen  Namen  davon,  dass  in  ihm 
der  Chor  aus  verkleideten  Satyrn  gebildet  wurde.  Der  Zusammensetzung 
und  dem  Charakter  des  Chors  entsprechend,  wählte  es  aus  den  Heroen- 
mythen diejenigen  aus,  welche  einen  lustigen  Anstrich  hatten.  Das  Satyr- 
drama hat  auf  solche  Weise  am  getreuesten  den  ursprünglichen  Cha- 
rakter des  Dionysosspieles  festgehalten  und  kann,  da  auch  bei  der  Tra- 
gödie ehedem  der  Chor  aus  Böcken  bestand,  als  Vorstufe  der  letzteren 
bezeichnet  werden.  Als  die  Tragödie  ernste  und  femabUegende  Mjrthen 
in  ihren  Kreis  zu  ziehen  und  die  Komödie  das  Leben  der  Gegenwart  statt 
die  Überlieferungen  der  Vergangenheit  zur  Zielscheibe  ihres  Witzes  und 
Spottes  zu  nehmen  begonnen  hatte,  wurde  das  Satyrspiel  zwar  nicht  ganz 
zur  Seite  geschoben,  aber  an  letzter  Stelle  nach  den  Tragödien  zur  Auf- 
führung gebracht.!) 

Die  unterschiede  der  drei  Arten  von  Dramen  waren  auch  äusserlich 
in  der  Kostümierung  des  Chors  und  der  Schauspieler  ausgeprägt;  ins- 
besondere war  für  die  Tragödie  bezeichnend  die  stelzenartige  Fussbeklei- 
dung  (xo&oQvog)  und  der  hohe  Haaraufsatz  {py^og),  welche  die  Heroen 
über  das  Mass  der  gewöhnlichen  Menschen  erhöhten.  Umgekehrt  trugen 
die  Personen  der  Komödie  einen  niederen  Schuh  (soccus)  und  banden  sich 
als  Diener  des  befruchtenden  Gottes  der  Zeugung  einen  grossen  PhaUos 
um.  Die  Choreuten  des  Satyrdramas  trugen  einen  Schurz  aus  Ziegenfell, 
hatten  vorn  einen  Phallos,  hinten  ein  Satyrschwänzchen. 

141.  Athens  Bedeutung  für  das  Drama.  Nach  Aristoteles  Poet.  3 
erhoben  die  Dorier  den  Anspruch  das  Drama  erfunden  zu  haben,  die  Megarer 
die  Komödie,  andere  Peloponnesier  die  Tragödie.*)  Das  war  gewiss  nicht 
ganz  unbegründet,  da  thatsächlich  durch  Pratinas  das  Satyrspiel  von 
Phlius  nach  Athen  verpflanzt  wurde  und  die  in  dorischem  Dialekt  ge- 
schriebenen und  zur  Auffuhrung  in  einer  dorischen  Stadt  bestimmten 
Stücke  des  Komikers  Epicharmos  sicher  nicht  von  Athen  aus  ihre  An- 
regung empfangen  haben.  Aber  zur  Entwicklung  und  glänzenden  Ent- 
faltung kam  das  dramatische  Spiel  erst  in  Attika.  Hier  hatte  schon  früh 
auf  dem  Lande,  namentlich  in  dem  rebenreichen  Dorfe  Ikaria,  der  fröh- 
liche Dionysosdienst  Boden  gefasst.  Vom  Land  verpflanzte  dann  im 
6.  Jahrhundert  der  kunstliebende  Tyrann  Peisistratos  den  volkstümlichen 
Kult  in  die  Stadt,  indem  er  demselben  ©inen  neuen  Sitz  an  dem  Süd- 
abhang des  Burgfelses  schuft)   und   in  denselben  das  Schnitzbild  {^oavov) 


*)  Casaubonüs,  De  satyrica  Graecoram 
poesi  et  Romanorain  satura,  der  Ausgabe  des 
Persius  angehängt  (1605).  Dort  ist  zuerst 
der  Unterschied  des  griechischen  Satyr- 
dramas und  der  römischen  Satyre  (alt  Satnraj 
festgestellt.  Aber  wenn  auch  die  litterarische 
Satire  der  Römer  von  dem  dgaf^a  caxvQixöv 
der  Griechen  verschieden  war,  so  scheint  sie 
doch  gleicher  Wurzel  entsprossen  zu  sein; 
8.  Ribbeck,  Gesch.  d.  röm.  Dichtung  19.— 
Einziger  Repräsentant  ist  für  uns  der  Kyklops 
des  Euripides.    Vieles  lässt  sich  aus  Dar- 


stellungen auf  Vasenbildem  hinzugewinnen, 
worüber  Wibsklbr,  Das  Satyrspiel,  Gott. 
1848;  O.Jahn,  Satyre  auf  Vasenbildem  und 
das  Satyrdrama,  Philol.  27.  1-27. 

'j  Damit  in  Zusammenhang  steht  es, 
wenn  Arion  bei  Suidas  heisst  rgayixov  tq6~ 

nOV    BVQ6X1JC. 

')  Ueber  diesen  Temenos  Jiovvaov  'EXcv- 
^ege'tjs  siehe  jetzt  Dörpfeld,  Das  griech. 
Theat.  tab.  I.  Das  ältere  Heiligtum  des 
Dionysos,  in  welchem  das  älteste,  ionisch- 
attische Dionysosfest,   die  Anthesterien   ge- 


C.  Drama.    1  Anfänge  nnd  Anasere  yerhältniase.    (§§  141—142.) 


195 


des  Gottes  aus  dem  Dorfe  Eleutherai  verbringen  liess.   Nahe  diesem  neuen 
Tempel  trat  im  Jahre  534 1)  zum   ersten  Mal  Thespis  mit   einem  Drama 
auf,  infolgedessen  das  Dionysosspiel  in   die  Reihe  der  städtischen  Agone 
aufgenommen  wurde.    Athen  begann  damals  zum  Gipfel  seiner  Macht  und 
Grosse   emporzusteigen   und  in  den  Kranz   seines  Ruhmes  auch  das  edle 
Reis  dichterischen  Glanzes  zu  flechten.     In   der  Blütezeit   des  Epos  hatte 
Attika  keine  Rolle  in  der  Litteratur  gespielt;   aber   während  die  stamm- 
verwandten lonier  der  fruchtbaren  kleinasiatischen  Küste  früh  in  Üppigkeit 
und  Sklaverei  versanken,  erhielt  sich  auf  dem  sterilen  Boden  Attikas  un- 
geschwächt die  Vollkraft  des  tüchtigen,  im  Kampfe  mit  dem  Leben  gestählten 
Volksstammes.  Allmählich  erst  wuchsen  und  entfalteten  sich  hier  am  Baume 
der  Bildung  die  Zweige  und  Fruchtknoten,  die  dort  rasch  und  üppig  empor- 
geschossen waren.  Erst  im  6.  Jahrhundert  brachte  Athen  den  weisen  Selon 
hervor  und  zogen  die  Peisistratiden  Dichter  und  Gelehrte  an  ihren  Hof.  Der 
grosse  Aufschwung,  den  die  Volksherrschaft  nach  Vertreibung  der  Tyrannen 
und  der  Reichtum  der  Stadt  nach  den  Siegen  der  Perserkriege  nahm,  kam 
der  Entwicklung  der  dramatischen  Poesie  wesentlich  zu  statten.  Die  Pracht 
der  Feste  stellte  an   die  Freigebigkeit  und  das  Vermögen  der  Choregen 
ungewöhnlich  hohe  Anforderungen,  und  die  Freiheit  der  Rede  im  Theater 
hatte  die  Freiheit  des  Wortes  im  öffentlichen  Leben  zur  Voraussetzung.  Wie 
das  Epos  im  ruhigen  Sonnenglanze  der  kleinasiatischen  Fürstenhöfe  erblüht 
war,  die  Lyrik  im  Drange  der  Kämpfe,  welche  dem  Sturze  der  patriarchah- 
schen  Könige  folgten,   geboren  wurde,  so   war  das  Drama   ein  Kind  der 
Volksherröchaft  und  desjenigen  Staates,   der  als  das  Bollwerk  der  Demo- 
kratie in  ganz  Hellas  angesehen  wurde.*)   Auch  der  Charakter  des  atheni- 
schen Volkes  war  der  Entwicklung   des  Dramas  günstig:   seiner  Beweg- 
lichkeit sagte  das  farbenreiche  Spiel  auf  den  Brettern  zu,   seine  Neigung 
zur    dialektischen  Diskussion   fand   in   dem   Wortstreit  des  dramatischen 
Dialoges  willkommene  Nahrung,  sein  heftiges  und  tiefgehender  Erregung 
zugängliches  Naturell  liess  sich  gern  durch  mimisches  Spiel  in  Leidenschaft 
versetzen.  8) 

142.  Bühnenaltertümer.  Ehe  wir  uns  zu  den  Dichtern  und  zur 
geschichtlichen  Entwicklung  der  dramatischen  Poesie  wenden,  müssen  wir 
uns  zuvor  über  die  Hauptpunkte  der  scenischen  Altertümer,*)  das  Theater, 


feiert  wurden,  lag  iv  Xlfxvaig;  auch  dieses 
glaabt  Dörpfeld  wieder  gefunden  zu  haben  in 
der  Thalmnlde  am  Westabhang  der  Akro- 
polis  südlich  vom  Areshügel. 

»)  Ol.  61  =  536/32  V.  Chr.  führte  nach 
Smdas  Thespis  ein  Drama  auf  {ididfft^s) ;  das 
Datom  gibt  genauer  mit  Angabe  des  Jahres 
der  Olympiade  das  Marmor-Parium  n.  58, 
HUT  dass  hier  die  Buchstaben  nicht  alle  fest- 
stehen. 

*)  Wie  die  Macht  Athens  wesentlich  auf 
dem  geistigen  Vorrang  beruhte,  drückte 
Perikles  (Thuc.  11  41)  mit  den  berühmten 
Worten  ans:  ^vyeXwv  Xtyto  irjy  noXiv  Trjq 
"EUacfoc  7t€€iffevaiy  stvai.  Ueber  die  Vorzüge 
des  atiischen  Dialektes,  seine  xoiyöirjg  xtd 
fiit^ioTtj^  spricht  hübsch  Isokrates  15,  295. 


')  Wie  wenig  Geschick  für  mimische 
Darstellung  hingegen  zur  Zeit  des  in  Attika 
schon  erblühenden  Dramas  der  thebanische 
Dichter  Pindar  hatte,  habe  ich  oben  §  130 
dargethan. 

*)  A.  Müller,  Lehrbuch  der  griechischen 
Bühnenaltertümer,  Freiburg  1886;  Haupt- 
buch, wodurch  zurückgedrängt  Schneider, 
Das  attische  Theaterwesen,  Weimar  1835, 
Gkppkrt,  Altgriechische  Bühne,  Leipz.  1843, 
kSoMHERBRODT,  Scaoulca,  Berl.  1876.  —  In 
dem  Handbuch  der  klass.  Altertumswissen- 
schaft gibt  von  den  scenischen  Altertümern 
eine  spezielle  Darstellung  Gehmichen.  Ein 
gutes  englisches  Handbuch  ist  Haigh,  The 
Attic  theatre,  Oxford  1889. 


13* 


196 


Qrieohisohe  Litteratargesohiohte.    I.  Klaasisohe  Periode. 


die  Spieltage,   die  Aufführungen,  sowie  über  die  Ökonomie  des  Dramas 
orientieren. 

Das  Theater,!)  ^äargov,  bedeutet  der  Etymologie  nach  Ort  zum 
Schauen;  gibt  es  aber  etwas  zum  Schauen,  so  stellen  sich  die  Zuschauer 
im  Kreis  (corona)  um  den  Künstler;  kreisrund  war  auch  in  der  älteren 
Zeit  der  Markt  (ayopa),»)  der  das  natürliche  Lokal  für  solche  Produktionen 
abgab,  und  im  Kreise  stellte  sich  seit  Arion  der  dithyrambische  Chor 
(xvxhog  x^Q^^)  ^^f,  der  inmitten  der  Corona,  ursprünglich  um  einen  Altar 
(d-vfiakr/)  seine  Reigen  und  Gesänge  aufführte.  Nachdem  aber  die  Corona 
gewachsen  war,  musste  man  dafür  sorgen,  dass  auch  die  Hinteren,  die 
nicht  immer  die  Grösseren  waren,  etwas  zu  sehen  bekamen;  das  führte 
naturgemäss  zum  Aufschlagen  von  Gerüsten  (^x^m),  so  dass  sich  die  Zu- 
schauerbänke terrassenförmig,  die  einen  über  den  andern  erhoben.  Bei 
grossem  Zudrang  aber  konnte  leicht  ein  solches  Gerüste  zusammenbrechen, 
wie  uns  von  einem  darartigen  Unfall  in  Athen  zur  Zeit  der  70.  Olympiade 
(500/497)  Suidas  berichtet.')  Man  schaute  sich  also  nach  einem  festeren 
Gebäude  um.  Dafür  gleich  ein  freistehendes  Theater  aus  Stein  zu  er- 
richten, wäre  zu  kostspielig  gewesen;  man  verfiel  daher  auf  den  Gedanken, 
zum  Zuschauerplatz  die  natürliche  Abböschung  des  Hügels  der  Akropolis 
zu  benützen.  In  der  Einbuchtung  {xoTkov)  des  Hügels  Hessen  sich  leicht 
Sitze  in  den  Stein  hauen  und  durch  geringe  Nachhilfe  bis  über  den  um- 
fang eines  Halbkreises  hinausführen.  So  entstand  das  Theater  des  Dio- 
nysos in  Athen,  das  allen  anderen  Theatern  des  Altertums  zum  Vorbild 
diente  und  das  in  unserer  Zeit  durch  die  gemeinsamen  Bemühungen  deut- 
scher und  griechischer  Archäologen  wieder  blossgelegt  wurde.  Ein  so 
grosser  Bau  mit  den  Räumlichkeiten  für  die  Bühne  und  die  Bühnenrequisite 
ist  nicht  auf  einmal  entstanden  und  nicht  unverändert  im  Laufe  der  Zeiten 
geblieben.  Nach  Suidas  hat  man  gleich  nach  dem  Unfall  der  70.  Olympiade 
mit  dem  Bau  eines  festen  Theaters  begonnen ;  eingeweiht  wurde  dasselbe 
im  Jahre  472.^)  Zum  Abschluss  und  zur  Ausschmückung  mit  den  Statuen 
der  grossen  Meister  Aischylos,  Sophokles  und  Euripides  gelangte  der  Bau 
erst  unter  der  Finanzverwaltung  des  Lykurg  (338—326).*) 

^)  Dieses  Datam  ist  aas  der  neogefan* 
denen  Urkunde,  über  die  Theatersiege  CIA  II 
971,  durch  scharfsinnige  Kombinationen  er- 
iviesen  von  Okhhichbn,  Anfänge  der  drama- 
tischen Wettkftmpfe  in  Athen,  Sitzb.  d.  b.  Ak. 
1889,  II 142  ff.  Vergleiche  indes  S.  215  AT>Tn  4. 

^i  Nach  den  Untersuchungen  DöTpfelda 
hat  Lykurg  nicht  bloss  das  llieater  ausge- 
baut (^^eiQyttaaio  wie  es  in  der  üeber- 
lieferung  heisst),  sondern  Überhaupt  erst  in 
Stein  erbaut,  während  vor  ihm  f^  die  Zu- 
schauer nur  eine  notdflrftige  Erdaufechflttung 
vorgenommen  und  für  die  Spielenden  jedes 
Jahr  aus  Holz  eine  provisorische  Bahne  her- 
gerichtet worden  sei.  Es  schüesst  dieses 
der  erfahrene  Architekt  aus  der  Gleichheit 
des  Materials  und  der  Bauweise  in  allen 
Teilen,  die  von  dem  ältesten  Steinbaa  des 
Theaters  auf  uns  gekommen  sind.  l)ie 
heutigen  Reste   des  Theaters  zeigen    neben 


^)  Döbpfbld-Reisch,  Das  griechische 
Theater,  Athen  1896,  grundlegendes  Haupt- 
werk. Daneben  aber  noch  zu  gebrauchen 
WiESELBR,  Theatergebäude  und  Denkmäler 
des  Bühnenwesens  bei  den  Griechen  und 
B^mem,  Göttingen  1851  mit  Nachträgen. 
Den  Aufstellungen  Dörpfelds  tritt  vielfach 
entgegen  Bethe,  Prolegomena  zur  Geschichte 
des  Theaters  im  Altertum,  Leipz.  1896. 

2)  II.  ^  304,  wo  die  Richter  auf  Steinen 
sitzen  Uqm  iA  xvxXm.  Rund  war  auch  der 
durch  Schliemann  blossgelegte  Markt  von 
Mykene.  Die  alte,  am  Markt  gelegene  Or- 
chestra  zu  Athen  diente  fOr  kyklische,  nicht 
dramatische  Chdre. 

•)  Suidas  unt.  TlgaTivag  und  Jh^vkog. 
Da  Pratinas  nur  einmal,  Aischylos  erst  485 
den  ersten  Sieg  erlangte,  so  ist  bei  Suidas 
vielleicht  die  Zahl  0  (10)  aus  o€  (75)  ver- 
derbt. 


C.  Drama.    1.  Anftnge  and  Äussere  Verhältnisse.    (§  143.) 


197 


143.  Teile  des  Theaters.     Von  einem  griechischen  Theater  sind 
SHauptteile  zu  unterscheiden:  1)  der  Zuschauerraum  (&batQov  oder  xoXXov^ 
cavta),  der  aus  allmählich  ansteigenden,  über  den  Halbkreis  hinausgezogenen 
Sitzreihen  für  die  Zuschauer  {roTq  &€(o^bvoig)  bestand,   2)  der  kreisrunde 
Tanzplatz  {oqx^^^Q^)j  der  auf  der  ebenen  Erde  für  den  Chor,   aber  nicht 
bloss  zur  AuflRihrung   von  Dramen,   sondern  auch   von  Dithyramben   und 
lyrischen  Tanzspielen   hergerichtet   war,  3)  das  Spielhaus  {axrp^i]^  scaena), 
das  zunächst  das  Zelt,  in  dem  sich  die  Schauspieler  an-  und  umkleideten, 
dann  im  weiteren  Sinn  den  Platz  auf  dem  die  Schauspieler  spielten  {sm 
cxrp^rjg)  bedeutete.     Zu  diesen  8  Hauptteilen   kommen  noch   die  seitlichen 
Zugänge  {nagodoi),  welche  zwischen  den  vorderen  Stützmauern  der  Cavea 
nnd  den  Seitenwänden  der  Bühne  lagen  und  durch  die  nicht  bloss  der  Chor, 
sondern  in  der  klassischen  Zeit  auch   die  von  aussen  kommenden  Schau- 
spieler eintraten  (rechts,  vom  Zuschauer  gerechnet,  vom  Hafen,  links  vom 
Land).    Der  Zuschauerplatz  war  durch  Umgänge  (rfiafw/tara)  und  radien- 
förmig  angelegte  Treppen  in  mehrere  Abteilungen  {xegxfSeg,   Keile)  ge- 
gliedert; der  Keile  gab  es   in  Athen  13,  ^)  in  Epidauros  12,   in  Thorikos 
nur  3,  im  Piräus  13  im  unteren,  26  im  oberen  Stockwerk.    Die  Orchestra 
hatte  in  der  Mitte  einen  Altar  (ßwfiog),  um  den  die  kyklischen  Chöre  ihre 
Reigen  aufführten;   vor  dem  Altar  befand  sich   ein  Tritt,   auf  dem   der 
Flötenspieler  sass;  derselbe  hiess  x^vfiäXtj,  weil  er  mit  dem  Opferaltar  in 
Verbindung  stand.*)    In  der  Orchestra,   und  zwar    auf  jenem  Tritt   des 
Altars  mochte  anfangs   auch  der  Schauspieler  seinen  Platz  gehabt  haben, 
wenn  auch  die  Angaben  der  Alten  von  dem  Fleischtisch  {iksog)^  von  dem 
herab  der  Schauspieler  vor  Thespis  mit  dem  Chor   agiert  haben  soll,   auf 
dem  Missverständniss  einer  Komikerstelle  beruhen.  3)     Noch  des  Aischylos 
älteste  Stücke,  die  Schutzflehenden,   die  Perser  und   vielleicht  auch   noch 
die  Sieben  scheinen  in  der  Orchestra  gespielt  zu  habend)     Das  Spielhaus 
(<rxr;i'i^'),  das,   wie   angedeutet,   ursprünglich  aus  einer   rückwärts  von  der 
Peripherie  des  Orchestrakreises  aufgeschlagenen,  für  die  Theaterrequisiten 
bestimmten  Bretterbude  bestand,  erweiterte  sich  noch  unter  Aischylos  zu 
dem  vor  jener  Bude  sich  ausbreitenden  Spielplatz,  auf  dem  die  Dramen 
(nicht  die  Dithyramben)  aufgeführt   wurden.     Derselbe  war  bedielt  und 
von  Seitenwänden    {naQaaxrjvia)    begrenzt.      Zutritt    zu    ihm  hatten    die 
Schauspieler    entweder    durch    eine    der    Thüren    der    Rückwand,    oder 


eioer  älteren,  etwas  weiter  südlich  gelegenen 
Orchestn  noch  die  Anzeichen  zweier  Um- 
Vanten,  welche  das  Theater  in  hellenistiBcher 
(2.  oder  1.  Jahrh.  y.  Chr.)  und  in  römischer 
Zeit  (durch  Nero  und  durch  Phaidros  im 
3.  Jahih.  n.  Chr.)  erfahren  hat 

V)  Die  Zahl  der  13  xBQxldeg  stimmt 
voU  nur  durch  Zufall  mit  der  Zahl  der 
FhyleD  unter  Hadrian  fiherein. 

')  Ueher  das  schwer  entwirrhare  Ver- 
IriUb  Ton  OQZV^^Q^  zu  ^vfi^Xtjj  tther  das 
die  TeiBchiedensten  Hypothesen  aufgestellt 
vnden,  s.  MOli.br  8.  129  ff.;  Döbpfkld- 
Das  griech.  Theat.  277  ff. 

')  Die  HanpiBtelle  über  jenen  iXsog  bei 


Pollux  ly  123.  Ein  Missverständnis  einer 
Eomikerstelle  nimmt  Hiller  Rh.  M.  39,  329 
an.  Beachtenswert  ist  die  von  Reiobel, 
üeber  yorhellem'sche  Götterkulte,  Wien  1897, 
entwickelte  Theorie,  wouach  der  Altar  {ßutf^og) 
aus  dem  GOtterthron  {&Q6yos)  entstanden  ist; 
dann  ist  jener  Tritt  (^vfÄ^Xrj)  auf  den  Thron- 
schemel zurückzufahren,  auf  den  ursprüng- 
lich die  Opfergaben  gelegt  wurden. 

*)  WiLAMowiTZ,  Die  Bühne  des  Aischylos, 
Herm.  21,  598  ff.  Nach  ihm  fand  der  Bau 
einer  Rückwand  erst  um  460  vor  Aufführung 
der  aischylischen  Orestie  statt  Einwen- 
dungen von  ToDT,  Philol.  48,  505  ff. 


198 


Qrieohisohe  Litteratargesohiohie.    L  KlaMwohe  Periode. 


wenn  sie  aus  der  Fremde  kamen,  durch  eine  der  grossen  unteren  Seiten- 
eingänge {at  xdvco  naQoioi).  Erst  in  der  römischen  Zeit  brachte  man  auch 
an  den  Paraskenien  Thüren  an,  so  dass  durch  diese  die  vom  Hafen  oder 
dem  Marktplatz  oder  dem  Lande  kommenden  Schauspieler  auftreten 
konnten.  Bei  dem  regen  Verkehr,  der  zwischen  den  Schauspielern  und  dem 
Chor  im  klassischen  Drama  stattfand,  ist  es  nicht  zu  bezweifeln,  dass  zur 
Zeit  des  Aischylos,  Sophokles  und  Euripides  Chor  und  Schauspieler  auf 
demselben  Platze  sich  befanden  und  auf  demselben  Niveau  sich  bewegten, 
wenn  auch  in  der  Regel  die  Schauspieler  näher  bei  der  Skenenwand,  der 
Chor  näher  der  Orchestra  zu  standen.  Aber  eine  in  der  letzten  Zeit 
sehr  lebhaft  erörterte  Streitfrage  ist  es,  ob  dieser  Spielplatz  erhöht  war 
und  eine  eigentliche  Bühne  bildete  oder  nicht,  i)  Zur  Entscheidung  der 
Frage  beweisen  die  erhaltenen  Theaterreste  nichts,  da  keines  derselben 
in  das  5.  Jahrhundert  oder  in  die  Zeit  der  drei  grossen  Tragiker  hinauf- 
reicht; nichts  auch  die  Bauvorschriften  des  Vitruv,  De  archit.  VI  6,  da 
sich  diese  auf  das  hellenistische  Theater  und  das  Theater  seiner  Zeit  be- 
ziehen. Beweiskräftig  sind  allein  neben  den  allgemeinen  Gesetzen  der 
Optik  die  in  den  Dramen  der  Klassiker  uns  erhaltenen  Anzeichen.^)  Diese 
aber,  namentlich  der  Gebrauch  von  dvaßaiveiv  und  xataßaiveiv  in  Aristoph. 
Ritt.  149,  Wesp.  1342,  1514,  Ach.  732,  Eccl.  1152,  Vög.  175,  die  Erwäh- 
nung des  buckeligen  Anstieges  (ci^oV)  in  Arist.  Lys.  288  und  zwei  andern 
in  den  Scholien  angeführten  Komödien,  die  Klagen  der  Greise  über  die 
Mühen  des  ansteigenden  Weges  in  Eur.  El.  489,  Ion  727  u.  738  ff.  Herc. 
120,  Aristoph.  Vög.  20  ff.  u.  49  ff.,  zwingen  zu  der  Annahme,  dass  der 
Spielplatz  erhöht  war.  Wie  hoch,  lässt  sich  nicht  so  leicht  ausmachen, 
da  hiefür  bestimmte  Anzeichen  mangeln  und  die  Höhe  der  hellenistisehen 
Bühne  (3—4  m)  für  die  klassische  Zeit  nicht  massgebend  ist.  Allgemeine 
optische  Erwägungen  lassen  mich  eine  Höhe  von  ca.  5  Fuss  und  einen 
Aufstieg  entweder  durch  Stufen  oder  auf  einer  schiefen  Bretterebene  ver- 
muten. —  Zu  diesen  Hauptteilen  des  griechischen  Theaters  kamen  nun 
noch  allerlei  Ausrüstungsstücke,  wie  die  drehbaren  Prismen  an  den  Seiten- 
wänden {TieQtaxtoi,  versnrae),  die  mit  je  drei  Tafelbildern  bedeckt  waren 
und  durch  deren  Drehung  eine  Veränderung  der  Scene  angedeutet  werden 
konnte;*)  zahlreiche  Maschinen,  unter  denen  besonders  nennenswert  die  Roll- 
maschine {exxvxXrjfia)^  durch  welche  Personen  aus  dem  Innern  des  Bühnen- 


*)  Dass  der  Spielplatz  erhöht  war,  ist 
die  hergebrachte  Meinung,  für  die  neuer- 
dings Weisshann,  Die  scenischen  Auffüh- 
rungen der  griech.  Dramen,  München  1893, 
mehrere  beachtenswerte  Beweise  beibrachte, 
darunter  die  Stelle  aus  der  Parodos  des  Hera- 
kles 120  ff.,  auf  die  ich  zuerst  hinwies,  um 
zu  beweisen,  dass  auch  der  Chor  beim  Ein- 
zug in  die  Höhe  steigen  musste.  Für  die  Zeit 
nach  427  nimmt  auch  Bethe,  Prolegomena 
zur  Geschichte  des  Theaters  im  Altertum, 
Leipz.  1896,  eine  erhöhte  Bühne  an.  Die 
entgegengesetzte  Meinung,  dass  das  ganze 
Drama  zu  ebener  Erde  auf  dem  Boden  der 
Orchestra  gespielt  habe,  hat  im  Gegensatz 


zur  Ueberlieferung  des  Altertums  (Vitniv 
V  6)  zuerst  Dörpfeld  aufgestellt. 

*)  lieber  sie  handeln  mit  Bezug  auf 
unsere  Frage  Capps,  The  stage  in  the  greek 
theatre  according  to  the  extant  dramas, 
New  Haven  1893,  Bodenstbimbr,  Scenische 
Fragen  über  den  Ort  des  Auftretens  und 
Abgehens  von  Schauspielern  und  Chor  im 
griech.  Drama,  gekrönte  Münchener  Preis- 
schrift, publiziert  in  Jahrb.  f.  kl.  Phil.  Suppl. 
XIX  und  Reisch  in  Dörpfeld-Rbisch,  Das 
griech.  Theater  IV.  Abschn. 

')  Nachweisen  lässt  sich  der  Gebranch 
dieser  Periakten  in  keinem  der  uns  erhaltenen 
Stücke. 


C.  Drama.    1.  Anfänge  und  Äussere  Verhältnisse.    (§  144.) 


199 


haoses  auf  die  offene  Bühne  herausgerollt  wurden,  die  Schwebemaschine,  eine 
Art  Erahnen  an  dem  linken  Paraskenion,  womit  Personen  in  der  Schwebe 
{mi  fir^x'^vrj^)  vorgeführt  werden  konnten,  die  Qötterbühne  (^eoXoyetov,  im 
Gegensatz  zum  gewöhnlichen  XoyeTov),  welche  Götter  auf  einem  höheren, 
durch  das  Dach  der  Spielbude  gebildeten  Standplatz  erscheinen  liess. 

144.    Spieltage  und  Agone.     Der  Ursprung  des  Dramas  aus  dem 
Kulte  des  Dionysos  gab  sich  bei  den  Athenern  bis  in  die  spätesten  Zeiten 
darin  knnd,  dass  Dramen  nicht  alltäglich  und  nicht  zu  beliebigen  Zeiten, 
sondern  nur  an  den  Festen  des  Gottes  Dionysos  zur  Aufführung  kamen. 
Den  Ehrenplatz  hatte  deshalb  im  Dionysostheater  zu  Athen  in  der  Mitte 
der  ersten  Reihe  der  Priester  des  Dionysos  Eleuthereus.^)  Das  Drama  trat 
80  in  den  Kreis  der  musischen  Wettkämpfe  {äywveg  fiovaixoi)  ein,   indem 
zur  Feier  der  Götterfeste   durch  poetische  und  musikalisch-orchestische 
Prodnktionen   vom   Staat   ein  Preisbewerben  eingerichtet  wurde.')     Die 
Haaptfeste,  an  denen  Dramen  zur  Aufführung  kamen,  >)  waren  die  grossen 
oder  städtischen  Dionysien,^)    gefeiert  zur  Zeit  der  wiedererwachenden 
Natur  im   Monat  Elaphebolion  (März /April),   und    die   Lenäen    oder   das 
Kelterfest,  begangen  im  Monat  Gamelion  (Januar/Februar).^)  Die  Dionysien 
flberstrahlten  seit  den  Perserkriegen,    namentlich   seitdem  sie  nach  Er- 
richtung des  steinernen  Theaters  im  Jahre  472  scenisch  geworden  waren, ^) 
an  Glanz  und  Dauer  alle  anderen  Feste :  Athen  zeigte  sich  dabei  im  Fest- 
gewand gegenüber  ganz  Hellas,  insbesondere  auch  gegenüber  den  Bundes- 
genossen, deren  Abgesandte  um  jene  Zeit  die  Tribute  nach  Athen  brachten 
und  dem  Festspiel   im   Theater  beiwohnten.    Die  Leitung  der  Festfeier 
übernahm  daher  auch  der  erste  Beamte  des  Staates,  nach  dem  das  Jahr 
benannt  wurde,   der  agx^^'  i7i<avvfiog.     Tragödien,   und  zwar  nur    neue, 
kamen  mindestens  an  drei  Tagen  hintereinander  zur  Aufführung,  7)  und 
zwar  regelmässig  je  drei  Tragödien  und  ein  Satyrdrama.     Die  würdevolle 
Tragödie  bildete  eben  den  Glanzpunkt  des  Festes.    Dass  immer  drei  Stücke 


^)  Sein  Sessel  mit  der  bezüglichen  In- 
sduift  ward  ans  den  Ruinen  hervorgezogen; 
die  Abbildnng  bei  MGlleb  a  O.  94.  Ange- 
spielt ist  auf  den  Platz  bei  Arist.  Equ.  536. 

')  Das  altere  musische  Fest  Athens,  die 
Panathenften,  blieb  auch  nach  Einführung  der 
neaen  Bionjsosfeste  noch  bestehen,  diente 
aber  nach  wie  vor  den  Alteren  Agonen  der 
KbspBoden,  Auleten,  Eitharisten. 

•)  UnverUssig  Diog.  IV  56:  SQdfjutaiv 
Jjtywi^oyjo  Jioyvaioigy  Aijyaioig,  Uaya&tj- 
racoK  {9eoiyioif  em.  Böckh),  XvTQotg  {XviQoi 
InesB  der  3.  Tag  des  ältesten  Dionysosfestes, 
der  Anthesterien,  gefeiert  am  13.  des  Monates 
Anthestoion,  Februar/März);  richtiger  Schol. 
Arist  Ach.  503;  vgl.  MCllbb,  S  309  f. 

*)  Genannt  rä  iv  aarst  Jtoyvcui,  im 
Gegensatz  zu  den  Dionysien  auf  dem  Land 
oder  denen  in  der  Vorstadt.  Der  Bezirk 
^  Ufittttig  lag  nSmüch  nach  Thukyd.  II  15 
iMMrhalb  der  Mauer.  Die  Superiorität  der 
ponen  Dionysien  zeigte  sich  auch  darin, 
dan  an  ihnen   nur  ein  Bürger,  an  den  Le- 


nAen  auch  ein  Metöke  (s.  Schol.  Aiist.  Plut. 
953)  die  Ghoregie  leisten  durfte. 

')  Das  Fest  genannt  nach  dem  Kelter- 
platz, daher  der  Ausdinick  ovni  Arjyaii^ 
(iyaiy  bei  Arist.  Ach.  503;  vgl.  Hesych.  inl 
Arjyai^  u.  Bekker  An.  gr.  278.  Maass,  Ind. 
lect.  Gryph.  1891  leitet  Afjyatoy  nicht  von 
Xi]y6g  dor.  Xayog  ,Kelter*  sondern  von  Xtjyfj 
3Acchantin'  ab. 

')  Musisch  waren  sie  wohl  schon  zuvor, 
aber  der  musische  Teü  wird  vor  472  (l| 
ov  TiQtaxoy  xvi/noi  rjactv)  nur  in  Dithyramben 
bestanden  haben;  dass  in  noch  Älterer  Zeit 
das  Fest  apollinisch  war,  schliesst  A.  Mokmsbn, 
Heortologie  59  hauptsAchüch  daraus,  dass 
auch  spAter  noch  der  Preis  in  einem  Drei- 
fnss  bestand. 

')  4  Tage  zur  Zeit  des  Schauspielers 
Polos  bei  Plut.  an  seni  3;  4  Eonkurrenten 
hatte  Aristophanes  im  Plutos  (i.  J.  888;  s.  arg. 
IV);  ebenso  gross  war  die  Zahl  in  den  Jahren 
354—3  nach  GIG  231;  s.  üsenbb,  Gom.  phil. 
Bonn.  p.  583  ff.,  Rohdb  Rh.  M.  39,  161. 


200 


Grieohisohe  Litteratargesehiohte.    I.  Klasswohe  Periode. 


auf  einmal  zur  Aufführung  kamen,   scheint  auf  die  ältere  Zeit,   wo   das 
Festgedicht  in  einem  dreigliedrigen  Dithyrambus  oder  Nomos  bestand,  zu- 
rückzugehen.    Die  drei  Tragödien  zusammen  hatten  den  Namen  Trilogie, 
wobei  Logos  soviel  als  dialogisches  Festspiel  bedeutete,  i)     Neben  Tragö- 
dien wurden  schon  zu  Aischylos  Lebzeiten,*)  wahrscheinlich  schon  seit  472, 
auch  Komödien  gegeben;^)  über  die  Stelle,   welche   dieselben  einnahmen, 
widersprechen  sich  die  Zeugnisse.     Aus   den  Versen  der   Vögel   des  Ari- 
stophanes   789  flf.,    wo    den  Zuschauern    Flügel    gewünscht    werden,    um 
während    der    langweiligen    Tragödie    hinauszufliegen    und   nach    gutem 
Gabelfrühstück  zur  lustigen  Komödie  wieder  zurückzukommen,  möchte  man 
schliessen,   dass   damals  auch  an  den  Dionysien  die  Komödie   am   selben 
Tage  wie  die  Tragödien,  und  zwar  an  letzter  Stelle  nach  den  Tragödien 
gegeben  wurde.^)     Nach  dem  Gesetze  des  Euegoros  hingegen  ^)  und  nach 
den  Didaskalien  im  CIA  II  971  folgten   in   umgekehrter   Reihenfolge  ly- 
rische, komische,  tragische  Aufführungen  aufeinander,  ^)  wahrscheinlich  so, 
dass  am   6.  und  7.  Elaphebolion   die  lyrischen   Wettkämpfe  der  Knaben 
und  Männer  stattfanden,  am  10.  die  Komödien  und  am  11. — 13.  die  Tra- 
gödien zur  Aufführung  kamen.')     An  dem   älteren,   vom   a^x^r  ßaml^vq 
geleiteten  Feste  der  Lenäen  war  umgekehrt  die  ausgelassene  Komödie 
das  Hauptfestspiel,   wenigstens   in   der  Zeit  nach  472,   nachdem   für   die 
Tragödie  ein  glänzenderer  Platz  an  den  grossen  Dionysien  geschaffen  war. 
Die  Athener  waren  da,  wie  Aristophanes  Ach.  503  sagt,  unter  sich  allein 
und  konnten   sich   so  ungescheuter  über  ihre  politischen  Verkehrtheiten 
lustig  machen.   Übrigens  wurden  auch  Tragödien  an  den  Lenäen  gegeben; 
das  war  sicher  in  der  Zeit  vor  472  der  Fall,   wo   eben   die  Lenäen   das 
einzige  scenische  Fest  in  Athen  waren,   aber  auch   aus  späterer  Zeit  er- 
fahren wir  von  einem  Sieg  des  Tragikers  Agathen  an  den  Lenäen.®)  — 


^)  üeber  den  Gebranch  von  %6yog  = 
SwXoyoq  vergl.  Aristot.  Polit.  VII 17  p.  1336*^ 
14,  Antiphanes  fr.  190,  2  nnd  die  Bezeich- 
nung Xoyoi  ZiüXQaxixoi  für  Bokratische  Ge- 
spräche. Später  hat  man  auch  Reden  des 
Antiphon  und  Dialoge  des  Piaton  zu  Tetra- 
logien verbunden. 

')  Dieses  steht  fest  durch  das  Sieger- 
verzeichnis CIA  II  971,  wo  ein  Sieg  des 
Komikers  Magnes  neben  einem  des  Ajschj- 
los  verzeichnet  ist. 

'J  In  der  älteren  Zeit  versah  wohl  das 
Satyrspiel  allein  die  Stelle  des  heiteren  Festes; 
nach  der  Aufnahme  von  Komödien  wurde  das 
Satyrspiel  an  seiner  Stelle  belassen,  der  Ko- 
mödie aber  ein  neuer  Tag  eingeräumt. 

^)  Davon  geht  aus  H.  Sauppb,  Ber.  d. 
Bachs.  Ges.  d.  W.  1855  8.  19  ff. 

')  Das  Gesetz  des  Euegoros,  erhalten 
in  Demosthenes  Midiana  10  lautet:  Evrjyoqog 
einey,  öray  ij  nofjinrj  ^  rto  Jtoyvff(p  iy  /!«- 
Qaiet  xai  ol  xtauw&oi  xai  ol  jQaytadol,  xcci 
ij  inl  Atjyalfü  nofjmfj  xai  ol  xqayi^ioi  xai  ol 
xiautp&oif  xai  jotg  iy  aarei  Jioyvcloiq  rj  nofjinrj 
xai  ol  natdeg  xai  6  xiofÄog  xai  ol  xiofjLi^doi 
xai  ol  T^ayffidol,  xa&6  9a^tjXl(ay  tj  nofin^ 


xai  t(p  dytjyi,  (Atj  i^etyai  fjktjjs  iyej^t>Qaffat 
(JLTJTB  Xafißdyeiy  iiBQoy  äregov  xzX. 

^)  Caesar,  Quaestiones  duae  ad  Arist. 
Aves  spectantes,  Marb.  Ind.  lect  1881  hilft 
sich  nut  der  bedenklichen  Annahme  einer 
Aenderung  nach  der  Zeit  der  V5gel  (414). 
Vielleicht  hat  der  Dichter  einen  auf  die 
Lenäen  passenden  Witz  auf  die  dramatischen 
Agone  überhaupt  übertragen.  Auch  das 
tjgiatevtai  d*  i^agxovyKog  in  Arist.  Ran.  317 
spricht  gegen  die  Aufführung  der  Komödie 
nach  der  Tragödie. 

')  Die  verschiedene  Folge  der  dramati- 
schen Spiele  an  den  Dionvsien  und  Lenäen 
scheint  mit  der  Neuorganisation  des  Festes 
im  Jahre  472,  zufolge  welcher  drei  Arten 
von  Spielen,  rqayi^diai,  adtvgot,  xmfÄ^diat, 
gegeben  wurden,  zusammenzuhängen. 

')  Der  Sieg  des  Agathen  an  den  Lenäen 
ist  bezeugt  durch  Ath.  217  a;  dass  Aischylos 
an  den  Lenäen  wie  an  den  Dionysien  Siege 
errang,  steht  aus  den  Verzeichnissen  der 
dionysischen  und  lenäischen  Siege  CIA  il  972 
fest,  wenn  auch  der  Name  des  Dichters  nur 
zum  Teil  erhalten  ist  Ob  sich  die  littorari- 
sehen  Angaben  über  die  Zahl  der  Siege  des 


G.  Drama.    1.  Anf&nge  und  äussere  VerhAltnisse.    (§  145.) 


201 


Neben  diesen  zwei  städtischen  Festen  waren  durch  theatralische  Vorstel- 
lungen die  ländlichen  Dionysien  bekannt,  an  denen  aber  in  der  Regel  nur 
Stücke  zur  Auflföhrung  kamen,  welche  in  der  Stadt  bereit«  die  Probe  be- 
standen hatten.  Besucht  waren  besonders  die  Dionysien  im  Piräus; 
Theater  gab  es  ausserdem  in  Thorikos,  Munichia,  Eleusis,  Aixone,  Sala- 
mis. ^  Ausserdem  wurden  in  der  älteren  Zeit  und  dann  wieder  seit 
Lykurg  auch  an  den  Chythroi,  dem  dritten  Festtage  der  Anthesterien, 
Komödien  in  der  Stadt  aufgeführt. 

145.    Aufführung    und    Preise.      Wollte    ein    Dichter    ein   Stück 
zur  Anfiöhrung  bringen,  so  musste  er  bei  dem  Leiter  des  Festes,  bei  dem 
Archon  eponymos   an   den  Dionysien,    bei   dem  Archen  basileus   an    den 
Lenäen,  um  einen  Chor  nachsuchen  (xoqov  ahetv).    Gab  der  Archon  einen 
Chor,  so  ward  dem  Dichter  ein  Chorleiter  {xogrjyog)  zugewiesen,  *)  der  aus 
Sängern,  zunächst  seiner  Phyle  einen  Chor  zusammensetzen  und  für  dessen 
Einübung  {itSaaxakfa)  durch  den  als  Chormeister  {SiSdaxaXog)  fungieren- 
.  den  Dichter  zu  sorgen  hatte.    Die  Bestellung  und  Ausstattung  der  Schau- 
spieler {vnoxgirai)  ging  denselben  nichts  an,  da  diese  eigens  vom  Archon 
den  Dichtem  zugelost*)  und  vom  Staate  honoriert  wurden.     Der  Schau- 
spieler gab  es  anfangs  nur  1,  unter  Aischylos  wurde  die  Zahl  auf  2,  unter 
Sophokles  auf  3  erhöht.*)    Erst  Sophokles  erwirkte,  dass  der  Dichter  nicht 
mehr  verbunden  war,  eine  Schauspielerrolle  selbst  zu  übernehmen.  In  der 
Regel  fielen  einem  Schauspieler  mehrere  Rollen  zu;   aber  auch  so  waren 
dem  griechischen  Dichter  durch  die  geringe  Zahl  der  Schauspieler  starke 
Beschränkungen  auferlegt.  —  Der  Chor  bestand  in  der  Komödie  aus  24, 
in  der  Tragödie  aus  12,  später  seit  Sophokles  aus  15  Mann ;  ^)  ausserdem 
waren  demselben  ein  Flötenspieler  zur  Direktion   der  Marschbewegungen 
nnd  Chorgesänge  beigegeben,  vielleicht  auch  ein  Kitharist  flir  die  Mono- 
dien.^)    Das    ganze    Personal   war   aus   Männern    zusammengesetzt;    die 


Sophokles,  Enripides  u.  a.  bloss  auf  das  Hanpir 
ii^Qdieiifest,  die  Dionysien,  beziehen,  ist 
imgewiss;  ebenso  ob  die  Divergenzen  bezüg- 
lich der  Zahl  der  Siege  darauf  znrQckznfnhren 
aind,  dass  die  lenäischen  Siege  teils  einge- 
rechnet  wurden,  teils  nicht. 

*)  Ueber  die  Spiele  in  Salamis  siehe 
jetzt  Aiistot.  Ath.  pol.  54.  Das  kleine  Thea- 
ter von  Thorikos  ist  jetzt  ausgegraben;  sein 
Phm  bei  Ddrpfeld  S.  HO. 

')  Die  liturgische  Leistung  der  Choregie 
datiert  nach  Mann.  Par.  von  509/8;  seit  dem 
Archontat  des  Kallias  406/5  traten  zwei  zur 
Leiatong  derselben  zusammen  (SchoL  ad  Arist. 
Bau  406,  CIA  U  1280);  an  die  SteUe  der 
Choregen  traten  in  der  Zeit  nach  Alexander 
die  Agonotheten;  s.  Köhler,  Ath.  Mitt.  III 
229  fL;  MüLLBR,  Bflhnenalt.  339  f.  Die 
Kosten  einer  tragischen  Choregie  betrugen 
nadi  Lysias  19,  14  an  3000,  einer  komischen 
u  1600  Dracliinen.  —  A.  Brinck,  Inscr.  gr. 
ad  cboregiam  pertinentes  (Diss.  phil.  Hai.  VII) 
lä86;  BoDSHSTBiNER,  Chorogische  Inschriften, 
IB  Comment.  phflol.  Monac.  1891. 

*)  Phot.   Hes.  Suid.  unt.  vsfuqcBii  vno- 


XQiTüSv  ol  noifjtttl  iXäf4ßayoy  rget^  ino' 
xQirdg  xXiJQu»  vefxri&ivxcig  vnoxQtyovfÄsrovg 
td  dQdf4ara,  iv  6  vixrjaag  ek  tovntoy  dxgt- 
rog  naQsXafÄßäyexo.  Trotz  der  Regel  des 
Loses  wussten  die  grossen  Dichter,  wahr- 
scheinlich durch  Verständigung  mit  ihren 
Mitbewerbern,  bestimmte  Schauspieler  sich 
ständig  zu  gewinnen. 

*)  üeber  die  Zeit  der  Vermehrung  unten 
bei  Aischylos  und  Sophokles. 

*)  Wahrscheinlich  ist  man  dabei  von 
den  50  Mann  des  älteren  dithyrambischen 
Chors  ausgegangen,  und  hat  von  den  48 
Mann,  die  man  för  eine  viereckige  Auf- 
stellung allein  brauchen  konnte,  die  Hälfte 
(24)  dem  minder  angesehenen  Spiel  der 
EomOdie,  die  ganze  in  vier  Partien  geteilte 
Zahl  (4  X  12)  den  vier  Abteilungen  (Tetra- 
logie) des  Spiels  der  Tragödie  zugewiesen. 
Eine  andere  Erklärung  wird  aufgestellt  von 
ZiBLiNSKi,  Gliederung  der  altatt.  EomOdie 
S.  273  f. 

")  Neben  der  Flöte  ist  auch  die  Lyra 
angewendet  im  Wettstreit  des  Aischylos  und 
Euripides  in  Arist.  Ran.  1304.  Bloss  Auleten 


202 


GriechiBohe  Idtteratnrgesohiohte.    I.  KlMsüche  Periode. 


strenge  Sitte  verbot  den  Frauen  Anteilnahme  am  öffentlichen  Spiel.  Auf- 
gestellt war  beim  Einzug  der  Chor  im  Viereck  (TftrßJywio^  X^Q^^)i  ^ücbt 
im  Kreis  {xvxXiog  x^Q-)  wie  beim  Dithyrambus.  Mit  der  viereckigen  Auf- 
stellung war  die  Gliederung  des  Chors  in  mehrere  Lang-  und  Querreihen 
{(XToixoi^  Cvycc)  verbunden.  Während  des  Spiels  trat  derselbe,  um  den 
Blick  auf  die  Bühne  nicht  zu  hindern,  in  zwei  sich  gegenüberstehende 
(avTiTrQoaioTioi)  Abteilungen  auseinander,  welche  Stellung  auch  die  Regel 
bei  den  in  Strophen  und  Antistrophen  gegliederten  Stehliedern  {avdaifJLa) 
bildete.  1) 

War  alles  für  das  Festspiel  vorbereitet  und  bei  der  Generalprobe  im 
Odeon  als  richtig  befunden  worden,  *)  so  fand  an  den  Dionysosfesten  selbst 
im  Theater,  zu  dem  jeder  Bürger,  anfangs  unbedingt,  ispäter  gegen  ein 
massiges  Eintrittsgeld, ')  Zutritt  hatte,  die  Aufführung  statt.  Die  Auffüh- 
rung war  zugleich  eine  Preisbewerbung  (aydv) ;  die  Entscheidung  lag  in 
dem  Urteil  von  besonderen  Preisrichtern,  fünf  an  der  Zahl*)  Preise 
wurden  drei  verteilt,  so  dass,  da  in  der  Regel  auch  drei  Dichter  oder 
Choregen  konkurrierten,  jeder  derselben  einen  Preis  erhielt  und  nur  ein 
Unterschied  im  Grad  des  Preises  stattfand,  jedoch  so,  dass  nur  der  erste 
Preis  als  Sieg  galt.  Höher  standen  im  Ansehen  die  Siege  bei  den  grossen 
Dionysien  {äatixai  vTxai)  als  die  bei  den  Lenäen  {Arjvaixai  i'ixa«);  von 
Siegen  und  Preisen  bei  den  ländlichen  Festen  hören  wir  ohnehin  nichts. 
Der  Preis  galt  nominell  dem  Choregen,  der  die  Kosten  getragen  hatte; 
dass  derselbe  in  einem  Dreifuss  (xqiTtovg)  wie  bei  den  lyrischen  Siegen 
bestanden  habe,  ist  unerwiesen.^)  Der  Dichter  erhielt  als  Chormeister 
einen  Ehrenlohn  ((xiad^vq)^ «)  dessen  Höhe  in  den  verschiedenen  Lagen  des 
Staates  verschieden  war;  auch  den  Schauspielern  oder  richtiger  den  Pro- 


erwähnt  Demosth.  21,  13;  8.  Graf,  Philo!. 
46,  68. 

^)  Ueber  die  Gliederung  des  Chors  han- 
delte znerst  0.  Müllbr  im  Anhang  seiner 
für  die  scenischen  Altertümer  epochemachen- 
den Ausg.  von  Aesch.  Eumeniden.  Neueres 
bei  Christ,  Teilung  des  Chors,  in  Abhdl.  d. 
b.  Ak.  XIV  198  ff.  und  A.  Müller,  Bühnen- 
alt. 202  f.  Für  die  Aufstellung  beim  Vortrag 
ist  das  Hauptzeugnis  bei  Hephaest.  p.  73  W. : 
xaXeltai  6k  na^aßacig,  ineidtj  eiaeX&oyjeg 
eig  t6  &iarQoy  x«t  ayrinQoaion  o  i  aXXij' 
Xoig  aräyreg  ol  xogevral  nageßaiyoy  etc., 
wonach  die  Choreuten  bei  den  Stasima  sich 
gegenüber  standen. 

*)  Dieser  Proagon  fand  wenige  Tage 
vor  den  Dionysien  statt  nach  Schol.  Aesch. 
in  Ctes.  67.  Den  Proagon  sucht  als  blosse 
Ankündigung  des  Stückes  zu  erweisen  Rohdb 
Rh.  M.  38,  251  ff.  Mit  der  Annahme  von  drei 
Arten  von  Proagonen  sucht  sich  zu  helfen 
Oebmichen  a.  0.  S.  103  ff. 

•)  Das  Eintrittsgeld  ((^etagixoy)  betrug 
für  einen  Spieltag  2  Obolen,  daher  Dem.  de 
cor.  28 :  iy  toty  dvoTy  oßoXoTy  i&eüioovy. 
Seit  Perikles  wurde  dasselbe  aus  der  Staats- 
kasse den  Bürgern  wieder  vergütet. 


*)  Sprichwörtlich  iy  nivte  xgiTtay  yov- 
yaai  xsltai.  Die  7  Richter  bei  Luc.  Harm. 
2  und  Vitruv  1.  Vfl  prooem.  scheinen  auf 
spfttere  Zeiten,  wo  die  Zahl  der  Phyl^ 
vermehrt  war,  zu  gehen.  Die  Reduzierung 
von  zehn  urteilenden  Richtern  auf  fünf 
stimmende  hat  Saufpb,  Ueber  die  Richter  bei 
scenischen  Spielen,  in  Abhdl.  d.  sftchs.  Ges. 
d  W.  Bd.  VII  aufgeklärt;  vgl.  Müller  a. 
0.  369  ff. 

^)  Bei  Plutarch  Them.  5  heiast  es  nur 
(iyä9f]xe  niyaxa  trjg  ytxrjg  *  das  berühmte 
choregische  Denkmal  des  L^sikrates,  be- 
kannt unter  dem  Namen  Diogeneslateme, 
verherrlicht  einen  Dithyrambensieg.  Der 
Dreifuss  als  Preis  snezieU  für  einen  diti&y- 
rambischen  Männerchor  bezeugt  von  Lys.  21, 
2,  wird  für  die  dramatischen  Agone  in  Ab- 
rede gestellt  von  Bergk  und  Lipains  bei 
Müller  S.  418. 

^)  Arist.  Ran.  367;  wie  gross  der  Lohn 
war,  können  wir  nach  den  bei  den  Pana- 
thenäen  ausgeteilten  bemessen;  bei  diesen 
erhielt  nach  CIA  U  965  der  erste  Kitharode 
einen  goldenen  Olivenkranz  von  1000  Drach- 
men und  500  Dr.  Silber,  der  zweite  1200  Dr., 
der  dritte  600,  der  vierte  400,  der  fünfte  300. 


C.  Drama,    1.  Anf&nge  and  änsBere  Verhältnisse.    (§  146.) 


203 


tagonisten  worden  seit  456  Preise  zuerkannt.  Über  ^  die  Preisverteilung 
wurde  eine  Urkunde  (SiSaaxaXia)  aufgenommen,  von  denen  uns  noch 
mehrere  inschriftlich,  andere  durch  Vermittlung  der  Schrift  des  Aristoteles 
nffi  Maaxakiiav  durch  Notizen  der  Grammatiker  erhalten  sind.^) 

146.  Chorgesänge.  Die  Anlage  und  Gliederung  des  Dramas«)  har- 
monierte mit   den  Teilen   des   Theaters   und    der    Zusammensetzung   des 
Theaterpersonals.     Schon  im  Dithyrambus  traten  die  Verse  des  Vortänzers 
den  Gesängen    und   Tänzen    des    Chors    gegenüber;    ausgeprägter    wurde 
dieser  Unterschied  im  Drama,  wo  sich  bestimmter  die  Gesänge  des  Chors 
(ra  %0Qixa\  die  Reden  der  Schauspieler  (didXoyog^  diverbium  oder  deverbium) 
und  die  Wechselreden  des  Chors   und    der    Schauspieler   schieden.     Die 
eigentliche  Handlung  ruhte  in  den  Reden  und  Aktionen  der  Schauspieler; 
der  Chor  nahm  zwar,  seltener  in  der  Tragödie,  öfter  in  der  Komödie,  am 
Fortgang  der  Handlung  teil,  repräsentierte  aber  mehr  den  zuschauenden, 
beobachtenden  Teil,  in  der  Tragödie  speziell  das  die  verschiedenen  Phasen 
der  Handlung  mit  seinen  Sympathien  begleitende  Volk.  In  der  älteren  Zeit 
hatte  der  Chor,   entsprechend  dem  Ursprung  des  Dramas,   den  Vorrang. 
Damals  also  eröffnete^)  und  schloss  der  Chor  das  Spiel;  aus  seiner  Stel- 
lung in  jener  Zeit  erklärt   es   sich,    dass  auch  später  noch  beim  Beginn 
des  Spiels  der  Herold   den  Dichter  oder  Choregen  aufforderte,   den  Chor 
hereinzuführen.^)     Das  Lied,    mit  dem  der  Chor   von   dem   Seitenzugang 
(naqoioq)  in  die  Orchestra  einzog,  hiess  Parodos,^)  das,  mit  dem  er  die 
Bühne  am  Schlüsse  verliess,  Exodos;   zog  er  während  des  Stückes  nach 
zeitweiliger  Entfernung  zum  zweitenmal  in  die  Orchestra  ein,  wie  im  Aias, 
so  hiess  dieser  zweite  Einzug  sowie  das  begleitende  Lied  Epiparodos. 
Die  Marschbewegung  erheischte  ein  entsprechendes  Metrum ;  dazu  eignete 
sich  in  der    feierlichen  Tragödie   zumeist  der  Anapäst,    in   der  lustigen 
Komödie  der  Trochäus  oder  lambus.     Bei   der  grösseren  Raschheit  des 


')  Schol.  Arist  Ran.  367,  Eccles.  102. 
tlW  diese  Didaskalien  die  erste  Haupt- 
eriiDtenuig  von  Böckh  CIG  I  p.  350  ff.; 
aeit  der  Zeit  hat  sich  das  Material  durch 
mae  Fände  in  der  Nfthe  des  Dionysos- 
theitere  bedeutend  vermehrt  (CIA  II  971, 
^7V8o  dass  Bbrok  Rh  M.  34,  292  ff.  die 
fuze  Frage  von  neuem  behandelte.  Die 
Ma  aofg^indenen  Inschriftenplatten  ent- 
halten ädaskalien  der  grossen  Dionjsien 
Mch  Jahren  geftihrt  (n.  971),  und  Dichter- 
^cneichnisse  mit  Angabe  ihrer  vlxai  daiixal 
Uld  vufu  XrjyaXxai  (n.  977). 

.»)  Arist  Poet  12;  PoUux  IV  53;  Eu- 
Ueida  bei  Tzetzes  nsQi  jQayt^iiag^  dazu 
Wktphal,  Proleg.  z.  Aesch.  Tragödien, 
I^ipz-  1869;  Aschebson,  umrisse  und  Glie- 
WL^  des  gr.  Dramas,  in  Jahrb.  f.  Phil. 
SippL  IV  419  ff.;  OsHMiOHBir,  De  compo- 
Btiooe  episodionun  trag,  graecae  externa, 
frhoig.  1881 ;  ZiBUirsKi,  Gliederung  der  alt- 
i^^iBC^  Komödie,  Leipzig  1885. 

')  So  noch  in  Aesch.  Suppl.  Pers.  und 
tt  den  Bonkoloi  des  Kratinos,  die  mit  einem 
viftyrambus  anfingen. 


*)  Arist.  Ach.  10:  0  <r  avBLUBv  '  suray* 
(o  Seoyyiy  roy  /o^V.  Freier  gebraucht  ist 
TiQoeicdyeiy  vom  Schauspieler  bei  Aristot 
poüt  Vn  17  p.  1336  »>  29. 

*)  Aristoteles  definiert:  jj^o^txoi;  riagotfog 
fxkv  Yj  TiQtüttj  Xä^ig  oXij  {oXov  cod.)  j|f o^ov. 
Aus  der  falachen  Lesart  oXov  entwickelte  sich 
die  falsche  schon  bei  Plutarch,  an  seni  p. 
785  a  vertretene  Meinung,  dass  in  Soph. 
Oed.  Col.  das  Loblied  auf  Athen  (668—719), 
das  erste  welches  der  Gesamtchor  singt, 
als  die  Parados  angesehen  werden  müsse. 
Im  übrigen  stimme  ich  ganz  L.  Schmidt, 
Rh.  M.  28,  286—91  u.  Ind.  Marb.  1889  bei, 
der  den  vorwitzigen  Fragen  neuerer  Ge- 
lehrten, welche  Verse  in  den  einzelnen  Dra- 
men nach  des  Aristoteles  Definition  sei  es 
der  Parodos,  sei  es  den  Stasima  zuzuweisen 
seien,  den  Satz  entgegenhält,  dass  die  Fragen 
der  tragischen  Technik  das  klassische,  die 
der  Terminologie  das  nachklassische  Zeit- 
alter angehen,  und  dass  leicht  Aristoteles 
mit  dem  ersten  Versuch  einer  Feststellung 
der  Terminologie  nicht  alle  Fälle  der  Praxis 
getroffen  habe. 


L 


204 


Qrieohisohe  LitteratargeBohiohte.    I.  Klaasisohe  Periode. 


Aufbruchs  erschien -auch  für  die  Tragödie  in  der  Exodos  der  trochaische 
Tetrameter  nicht  unpassend.  Diese  Rhythmen  eigneten  sich  mehr  zum 
recitierenden  Vortrag  {naQaxaraXoyO  als  zum  vollen  Gesang,  weshalb  auch 
die  Parodos  von  Aristoteles  als  A«?/$,  nicht  als  fiäXog  bezeichnet  wird. 
Aber  bei  blossen  Einzugsversen  blieb  es  nicht ;  es  reihten  sich  daran  noch 
andere  Oesänge,  welche  der  Chor,  nachdem  er  bereits  seinen  Standplatz 
eingenommen  hatte,  vortrug.  Es  kam  später  auch  der  Fall  vor,  dass  der 
Chor  stumm  während  der  Reden  der  Schauspieler  in  die  Orchestra  einzog 
oder  dass  der  Gesang  sich  zu  einem  Wechselgesang  zwischen  dem  Chor 
und  den  Personen  der  Bühne  gestaltete.  Aber  immer  verblieb  dem  ganzen 
ersten,  beziehungsweise  dem  ganzen  letzten  Gesang  der  Name  Parodos 
oder  Exodos.^)  Bei  der  Exodos  nahmen  sogar  mit  der  Zeit  die  Schau- 
spielerpartien  einen  solchen  umfang  an,  dass  Aristoteles  die  Exodos  unter 
den  scenischen,  nicht  den  chorischen  Partien  aufführt.  —  Die  mittieren 
Chorlieder,  welche  die  Dialogpartien  unterbrachen  und  in  der  Regel  bei 
leerer  Bühne  vorgetragen  wurden,  Wessen  in  der  Tragödie  Stasima, 
d.  i.  Stehlieder,  im  Gegensatz  zu  den  Marschanapästen.*)  Solche  Steh- 
lieder zwischen  dem  Abtreten  und  Wiederauftreten  der  Schauspieler  sind 
auch  der  Komödie  nicht  ganz  fremd,  doch  haben  sie  hier  keine  gleich 
ausgebildete,  regelmässige  Stellung  gehabt.^)  Eine  besondere  Klasse  dieser 
Zwischen gesänge  bilden  die  Hyporchemata,*)  bei  denen  der  Chor  in 
jubelnder  Stimmung  den  Fuss  zum  Tanze  erhob,  wie  in  Soph.  Aias  693  ff. 
und  Arist.  Lysistr.  1247  flf.  Welche  Ausdehnung  dieser  Tanz  hatte  und 
inwieweit  auch  mit  dem  Vortrag  der  übrigen  Chorgesänge  eine  Bewegung 
verbunden  war,  ist  schwer  zu  sagen.  ^)  Unterschieden  wurden  drei  Arten 
dramatischen  Tanzes,  die  feierliche  Emmeleia  der  Tragödie,  der  lascive 
Kordax  der  Komödie  und  die  hüpfende  Sikinnis  des  Satyrdramas.«)  —  Ausser 
den  genannten  Chorliedern,  welche  allen  Arten  des  Dramas  gemeinsam 
sind,  hat  die  Tragödie  und  Komödie  noch  einige  spezielle.  In  der  Ko- 
mödie, in  welcher  der  Chor  auch  durch  Zwischenlieder  weit  öfter  in  den 
Gang  der  Handlung  eingriff,  war  ein  Hauptchorgesang  die  Parabase, 
eigentlich  ein  ganzes  Zwischenspiel,   das  der  Chor  den  Zuschauem  zu- 


*)  Daher  Arist  Poet.  12:  ndgo&og  fAhv 
17  TtQtojt]  Xe^ig  0A97.  So  hat  in  Aesch.  Agam. 
die  Parodos  3  Teüe:  anapJlstisches  Einzngs- 
lied  (40—103),  dak^lische  Perikope  aas 
Strophe  Antistrophe  Epode  (104—169),  tro- 
chäische Strophenpaare  (170 — 269). 

*)  Daher  Arist.  a.  0.:  axdaifxov  Sk  fie- 
Xog  jlfo^or  x6  ävev  dyancdajov  xai  rgo^alov. 
Der  Ausdruck  axaatfAov  scheint  mit  dem 
technischen  Ausdruck  fabula  stataria  im 
Gegensatz  zu  fabula  motoria  zusammenzu- 
hängen, indem  auch  die  Stasima  dem  Drama 
einen  ruhigen,  die  Hyporchemata  einen  be- 
wegten Charakter  gaben.  Hingegen  deutet 
Herkann,  Epit.  doctr.  metr.  §  665  das  Wort 
de  choro  tenente  stationes  suas,  weil  nach 
früherer  Annahme  der  Chor  bei  allen  Ge- 
sängen Tanzbewegungen  machte. 

')  ZiBLiNSKi  a.   0.   nimmt,  zumal   Ari- 


stoteles jene  Teile  speziell  bei  der  Tragödie 
aufziQilt,  eine  schärfere  Scheidung  von  Tra- 
gödie und  Komödie  an,  indem  er  jener  die 
episodische,  dieser  die  epirrhematische  Kom- 
position zuweist. 

^)  Eukleides  bei  Tzetzes  de  trag.  115. 
Aristoteles  hat  das  vnoQxvjfJia  offenbar  wegen 
seines  selteneren  Vorkommens  ganz  aber- 
gangen. Die  getanzten  Chorgesänge  gingen 
aus  der  älteren  Form  der  Tragödie  honror, 
in  welcher  nach  Arist.  Poet.  c.  4  and  A& 
p.  22  a  der  Tanz  eine  grössere  Rolle  spielte. 

*)  Das  Verbum  /opcvsfc»'  gebraucht  auch 
vom  Stasimon  Soph.  OR.  894,  1095. 

«)  Bbkkeb,  An.  gr.  p.  101;  Poll.  IV  99. 
Vgl.  H.  Buchholz,  Die  Tanzkunst  des  Ea- 
ripides,  Leipzig.  1871;  Chr.  Kibchroff,  Die 
orchestische  Eurythmie  der  Griechen,  Altona 
1873. 


C.  Drama.    1  Anf&nge  and  äussere  Verhältnisse.    ($  147.) 


205 


gekehrt  aufführte  und  das,  wenn  die  Parabase  vollständig  war,  sich  in  7, 
teils  gesungene,    teils  gesprochene   Teile    {xofifiariov ,   nagaßaaiq  rj   dva- 
natatoij  iiaxQov  iq  nvTyogy  (pit]y  imQQrjfia^  ävTtpii^y  ävreniQQr^^a)  gliederte.^) 
—  Der  Tragödie  speziell  eigen  waren  die  Klagegesänge,  xoinfioi  ge- 
nannt, weil  sich  die  Klagenden  dabei   ehedem  in  lebhafter  Erregung  die 
Bmgt  zerschlugen;*)    sie   wurden    nicht    vom  Gesamtchor,   sondern  von 
einzeben  Choreuten  oder  einzelnen  Abteilungen  des  Chors  und  einer  oder 
der  anderen  Person  der  Bühne  abwechselnd  gesungen  {fJLtXr]  dfzoißaia).^) 
Überhaupt  aber   war  der  Chor  durchaus   nicht  immer  als  geschlossenes 
Ganze  thätig;  vielmehr  entwickelte  er  ein  lebhaftes,  wechselreiches  Leben 
dadurch,  dass  er  bald  in  seiner  Gesamtheit  als  militärisch  geordnete  Rotte 
(ioxog)  auftrat,  bald  sich  in  Einzelchoreuten  auflöste  {(tTtoQddr^v),   bald  in 
zwei  Reihen  sich  gegenüberstellte  (dvtiTTQoacjnoi),  bald  reihenweise  sang, 
bald  durch   seinen  Führer   {xogvfpatog   oder  r]y€fi6v€g  zdv   r^fiixoQi'cov)  sich 
vertreten  Hess.*) 

147.  Schauspielerpartien.  Die  scenischen  Partien,  die  Gespräche 
der  Bühne  oder  der  Schauspieler,  sind  der  Prolog  und  die  Epeisodia.  Der 
Prolog,  oder  diejenige  Partie,  welche  dem  ersten  Auftreten  des  Chors 
voranging,  fehlte,  wie  bereits  bemerkt,  in  den  ältesten  Stücken  ganz, 
spater  hat  er  bei  den  verschiedenen  Dichtern  verschiedene  Gestalt  an- 
genommen. Der  Name  Epeisodion  bezeichnete  zur  Zeit,  als  es  noch 
keinen  Prolog  gab,  das  erste  Zwiegespräch  der  Schauspieler,  indem  dabei 
zu  dem  Chor,  der  zuvor  schon  eingezogen  war,  nun  auch  die  Schauspieler 
in  das  Theater  eintraten  {eTisiaf^iaw);^)  des  weiteren  hiessen  so  dann 
anch  die  übrigen  Dialogpartien  zwischen  den  einzelnen  Stehliedern,  in 
denen  die  Schauspieler,  welche  in  der  Regel  während  des  Chorgesangs  ab- 
wesend waren,  von  neuem  auf  die  Bühne  traten.  Man  ersieht  leicht,  wie 
sich  daraus  die  später  bei  den  Römern  und  bei  uns  übliche  Einteilung  in 
Akte  (aäus)  entwickeln  konnte;«)  dieselbe  verdrängte  die  alte  Gliederung 
des  Dramas  in  Prolog,  Parodos,  Epeisodia,  Stasima,  Exodos,  nachdem  der 
Chor  und  damit  auch  die  alten  Chorlieder  in  Wegfall  gekommen  waren. 
Prolog  und  Epeisodien  wurden  einfach  gesprochen,  wozu  das  herrschende 
Versmass  des  Dialoges,  der  iambische  Trimeter,  trefflich  passte.')    Aber 

lediglich  auf  Kombinationen  angewiesen,  in 
denen  sich  besonders  G.  Hermann  in  seinen 
Ausgaben  versuchte. 

*)  Vgl.  Soph.  OC.  780  rrjg  ifi^s  inei- 
aoSov. 

•)  Westphal,  Prolegomena  zu  Aischylos 
S.  188  ff. 

'')  Dem  iambischen  Trimeter  ging  zur 
Zeit,  als  das  Drama  noch  mehr  den  Charakter 
einer  Tanzaufführung  hatte,  der  trochJüsche 
Tetrameter  voraus;  s.  Arist.  Poet.  4:  x6 
fXBXQOv  ix  TeiQ(efA£TQov  lafißeToy  iyiysxo  '  to 
fiky  yuQ  7iQ<oToy  TetQafietQio  ixQfoyro  did  t6 
aceivQiXTJy  xal  oQXfloxixiaxiQay  eiyai  Tijy 
noiTjaty.  Mehrere  Gelehrte,  namentlich  West- 
phal, nehmen  gestützt  auf  Plut.  de  mus.  28 
teilweises  Recitativ  der  Trimeter  bis  in  die 
Zeit  des  peloponnesischen  Krieges  an. 


*)  KoLSTSB,  De  parabasi  1829;  Agthe, 
Die  Parabase,  Altena  1866;  Christ,  Metrik^ 
§734  ff. 

')  Aesch.    Cboeph.    422    exoipa   xofÄfia 

•)  Ärist  Poet  12:  xofAfAog  Sk  ^gijvog 
M(ro(  /o^ot'  xai  an 6  axrjyrjg.  Indes  gibt  es 
loch  äagegesfinge,  welche  bloss  von  Cho- 
i^en  oder  bloss  von  Bflhnenpersonen  ge- 
lingen wurden;  aber  der  Wechselgesang 
vtf  die  Regel,  weshalb  bei  Tzetzes  neQi 
ip«y.  ffocf/Vr.  119  bei  Aufeälilung  der  Teile 
^r  Tragödie  17  i^  afiotßijg  wdij  an  die  Stelle 
^xoufioi  geiareten  ist.  Poll.  IV  53  gebraucht 
^fiaiixä  f&r  xofJtfAoi, 

*)  Leider  sind  diese  Unterabteilungen 
^  Chors  in  unseren  Handschriften  und 
SckoÜen  selten  angemerkt  und  sind  wir  fast 


206 


Orieohisohe  Lüteratnrgesohiohte.    t.  Klaasisohe  Periode. 


auch  das  Recitativ  der  Vorsänger  des  Dithyrambus  lebte  teilweise  im  Drama 
wieder  auf.  Dasselbe  hatte  zunächst  seine  Stelle  in  der  Exodos  und  den 
Kommoi,  welche  abwechselnd  von  den  Schauspielern  und  dem  Chorführer 
vorgetragen  wurden;  dasselbe  erhielt  sich  aber  auch  in  den  Tetrametem, 
welche,  häufig  namentlich  bei  Aristophanes,  auf  Strophe  und  Antistrophe 
folgen  und  durch  ihren  symmetrischen  Bau  sich  über  die  Stufe  der  einfach 
gesprochenen  Trimeter  erheben. i)  Endlich  fehlte  auf  der  Bühne  auch 
nicht  der  förmliche  Oesang;  er  machte  sich  in  den  Einzelgesängen 
(/lOT'fjr) J/at) «)  und  Duetten  der  Schauspieler  {tcc  ano  axijvfjg  scü.  fisXtj) 
breit,  welche  in  der  jüngeren  Tragödie  in  demselben  Qrade  zunahmen, 
in  dem  die  schlichte  Weise  des  alten  Chorgesangs  in  den  Hintergrund 
gedrängt  ward,  so  dass  sie  schliesslich  bei  Plautus  und  in  dem  römi- 
schen Drama  den  einzigen  Rest  des  Gesangs  im  Theater  (Cki^ntica)  aus- 
machten. 


2.  Die  Tragödie.') 
a.  Die  Anfänge  der  Tragödie  bis  auf  Aischylos.^) 
148.  Nach  Aristoteles  Poet.  4  ist  die  Tragödie  von  den  Yorsängem 
des  Dithyrambus  {ano  t(ov  k^aQxovToov  %6v  di&vQafißov)  ausgegangen  und 
zuerst  im  Peloponnes  aufgekommen.^)  Beide  Angaben  hängen  zusammen« 
Denn  in  Korinth  hatte  Arion,  den  Suidas  den  Erfinder  des  tragischen 
Stils  {TQayixov  TQOTtov)  nennt  und  Tzetzes  geradezu  in  den  Anfang  der 
Reihe  der  Tragiker  stellt,«)  den  ersten  dithyrambischen  Chor  aufgestellt, 


^)  Sehr  weit  gehen  in  der  Annahme 
symmetrischen  Baues  der  Dialogpartien,  aach 
der  iambischen  Trimeter  Prien  und  Oeri, 
denen  gegenüber  ich  meine  beschränkenden 
Thesen  in  der  Philologenversammlung  zu 
Wiesbaden  im  J.  1877  (Vrhdl.  S.  141-161) 
aufstellte. 

*)  Die  Monodien  haben  sich  aus  den 
Elagegesängen  entwickelt;  daher  Phot.  lex. 
fiovioifetv  •  &Qr]y€Tyf  und  Philostr.  vit.  soph. 
109,  23  fioytpdlav  xal  ^Qtjvov. 

")  Im  Altertum  schrieben  :Asklepiad  es 
Tragilensis,  ein  Schüler  des  Isokrates,  Tp«- 
yatdovfjera  d.  i.  von  den  Mythen  der  Tragödie 
(fragm.  coli.  Werfer  in  Acta  phil.  Mon.  II 4; 
Müller  FHG  IÜ  301  ff.);  Duris  der  Histo- 
riker und  Istros  ausEallatis  riegi  tgayt^ölug 
(s.  Ad.Trbndelbnbüro,  Grammaticorum  graec. 
de  arte  trag,  iudicia,  Bonn  1867);  Hera- 
kleides  Pont.  neQi  itHy  tquov  rgaytado- 
nomv  (Diog.  V  88).  Der  letztere  und'  der 
Peripatetiker  Dikäarch  handelten  auch  von 
dem  Inhalt  (xeqrtr'A«*«)  der  Tragödien,  speziell 
des  Sophokles  und  Euripides  (Ath.  134  ^  und 
Sext.  £mp.  3,  3),  worauf  die  vnodiaeig  (argu- 
menta) des  Aristophanes  von  Byzanz  basier- 
ten, von  denen  uns  noch  Reste  in  den  Scho- 
lien  erhalten  sind  (s.  Schneidewin,  De  hypo- 
thesibus  trag.  gr.  Aristophani  Byzantio  vindi- 
candis,   Abhdl.  d.  Gott.  Ges.  VI  3—37).    - 


Neuere  Werke:  Welckbb,  Die  griecb.  Tra- 
gödien mit  Rücksicht  auf  den  epischen 
Gyklus  geordnet,  Bonn  1839,  3  Bde,  Haupt- 
werk; BoBCKH,  De  tragoediae  graecae  prin- 
cipibus,  Heidelb.  1808;  W.  E.  Kayser,  Historia 
critica  tragicorum  graecorum,  Gott  1845; 
Patin,  Etudes  sur  les  tragiques  grecs,  6.  ed. 
Paris  1884,  ästhetische  Analysen  mit  geist- 
reichen Seitenblicken  auf  das  moderne 
Drama.  —  Fragmentensammlungen:  Poetae 
tragici  gr.  von  Fr.  W.  Wagnbb,  Breal.  1844 
bis  52,  3  Bde,  Tragicorum  graecorum  firagm. 
(TGF)  von  Nauck,  Lips.  (1856)  1889,  H&apU 
werk;  dazu  Tragicae  dictionis  index.,  Petrop. 
1892,  von  Nauck  und  seinen  msaiscben 
SchiQem. 

^)  Bentlet,  De  origine  tragoediae,  in 
Opusc.  276  ff.;  Hilleb  Rh.  M.  39,  321  £F.; 
Nietzsche,  Die  Geburt  der  Tragödie  aus  dem 
Geiste  der  Musik,  Leipz.  1872. 

*)  XoQoöi&itaxaXog  war  der  gemein- 
same Name  für  den  choreinübenden  Dicditer 
im  Dithyrambus  und  in  der  Tragödie. 

*).  Tzetzes  Proleg.  in  Lycophr.;  vgl.  Diog. 
m  56:  To  naXaiov  iv  if,  TQttyt^dltf  TtQoreQo^ 
fjL€v  fxoyog  6  /o^df  öiedQWfjiaTiCey^  rare^^f 
Ö€  ^sanig  iya  vnoxguijy  i^svQBy.  Ath.  630c: 
avyfarrjxs  <f^  xal  aatvQtxij  ndca  noitjtrtg  to 
rtttkaioy  ix  jjro^oJ»'  tag  xal  rj  tots  r^a^cucfta. 
BöcKH,  Staatsh.  d.  Athener  11^  861  ff.,'  hui 


C.  Drama.    2.  Die  Tragödie,    a)  Antenge.    (^  148— 14d.) 


207 


und  in  Sikyon  wurden  nach  der  bekannten  Nachricht  des  Herodot  schon  vor 
dem  Tyrannen  Kleisthenes  tragische  Chöre   aufgeführt,  welche  anfangs 
die  Leiden  des  Gottes  Dionysos,  später  auch  die  tragischen  Geschicke  des 
Helden  Adrastos  zum  Gegenstand  hatten.^)    Sikyon  war  auch  die  Heimat 
des  halbmythischen  Dichters  Epigenes,   der  in  seinen  Dichtungen   den 
engen  Kreis   der  Dionysosmythen  überschritten  und  dadurch  das  Sprich- 
wort ovdiv  TtQog  Jiowaov  hervorgerufen  haben  soll.*)     Dass  auch  in  Phlius 
derartige   chorische   Aufführungen  bestanden,    dafür   zeugt   der   Dichter 
Pratinas  aus  Phlius,  der  von  seiner  Heimat  das  Satyrdrama  nach  Athen 
brachte.    Von  den  Führern   der  Dithyrambenchöre  aber  leitet  Aristoteles 
an  der  angegebenen  Stelle   die  Tragödie  ab,  weil   ihm   die  Dialogpartien 
als  die  Hauptsache   des  Dramas  erschienen,   die  Rollen  der  Schauspieler 
aber  aas  denen  der  Chorführer  gleichsam  herausgewachsen  waren.     In 
der  Natur  der  Sache  lag  es,  dass  die  Worte  dieser  Chorführer  in  ein 
anderes,  dem  Einzelvortrag  besser  angepasstes  Metrum  gekleidet  waren  ^) 
und  auch  inhaltlich  im  Gegensatz  zum  Gesang   des  Gesamtchors  standen. 
Denn  dem  Führer  kam  es  zu,   den  Chor  zum  Gesang  oder  Tanz  aufzu- 
fordern und  demselben  in  erzählender  Bede  den  Anlass  zur  Klage  oder 
Ekstase  darzulegen.    Stellte  nun  der  Chor  irgend  eine  Handlung,  wie  im 
Mythus  des  Pentheus  die  Verwunderung  über  das  Erscheinen  des  Gottes, 
die  Verfolgung  des  Gegners,   die  Klage  über  den  Tod  des  Gefallenen  mit 
mimischem  Gesang  und  Tanz   dar,   so  bedurfte  es  nur  noch  der  Anreden 
des  Koryphaios   und  des  Gegenübertretens   zweier  Halbchöre   mit  ihren 
Führern,  und  das  dramatische  Spiel  war  da. 

149.  Jene  unbedeutenden  Vorspiele  im  Peloponnes  wurden  bald  in 
Schatten  gestellt  durch  die  entwickelteren  Formen,  welche  die  neue  Kunst 
in  Attika  annahm.  Hier  war  es  das  rebenreiche  Dorf  Ikaria,  in  dem  zu- 
erst mit  dem  Dienste  des  Weingottes  zugleich  auch  das  dramatische  Spiel, 
das  der  Komödie  wie  der  Tragödie,  erblühte.^)  Aus  Ikaria  stammte 
Thespis,  der  mit  Umgehung  des  oben  genannten  Epigenes  als  der  eigent- 
liche Erfinder  der  Tragödie  bezeichnet  wurde.  ^)  Von  dort  wurde  unter 
dem  kunstsinnigen  Regiment  der  Peisistratiden  die   Tragödie    nach   der 


djffans  die  yielberafene  lyrische  Tragödie 
gemacht,  welche  AiiBchaaiing  seinerseits  G. 
Hinusv,  De  tragoedia  comoediaqne  lyrica, 
1836  (=  Oposc.  VII  211-240)  als  leeres 
Phantom  bekftmpfte.  Den  Gedanken  Böckh's 
uhm  in  unseren  Tagen  wieder  auf  Lübbert, 
De  Rndari  carminibns  dramaticis,  Bonn.  Ind. 
1884 /*5,  wo  mit  freier  Phantasie  definiert 
wird:  d^fiaia  r^ayixd  earmina  sunt  argu- 
9teiUi  heroiei,  in  quihus  Bacchi  loeo  heroes 
fndibant,  qui  pro  genere  humano  propug- 
namtes  fartunae  tela  et  ictus  intrepido  pectore 
eteiperent.  Em  Duett  haben  wir  jetzt  in 
«Dem  neu  aufgefundenen  Gedicht  des  Bak- 
%]ides  n.  18;  s.  oben  S.  166. 

')  Her.  V  67 :  ol  Zixvfoyioi  irifAuiy  xov 
I^^ifsj^v  xal  dtj  TiQÖg  TU  -na^sn  aviov  rpa- 
7»«>««  /opoofi  iysQMQoy.  Von  Arion  be- 
^icktei  Snidas:  atttvQovg  iveyxsiv  %fjifiBTQa 
'Uynrtag. 


«)  Zenob.  V  4;  Snidas  u.  Phot.  z.  W.  Das 
Sprichwort  wird  indes  weder  von  Strabon 
p.  381  noch  von  Plut.  Symp.  I  1  speziell  auf 
Epigenes  gedeutet;  umgekehrt  deutet  es  der 
letztere  auf  die  Neuerungen  des  Phrynichos 
und  Aischylos.  Von  Epigenes  datiert  Suidas 
u.  Bianiq  den  Beginn  der  Tragödie.  Die 
Sikyonier  nennt  Erfinder  der  Tragödie  The- 
mistios  or.  XXVII  p.  406  Dind. 

')  Zuerst  trochäische  Tetrameter,  dann 
iambische  Trimeter  nach  Arist.  Poet.  4, 
Rhet.  IUI. 

*)  Ath.  40  b:  dno  f4e97jg  xal  ij  rrjg  xio- 
fjKodlag  xai  i^  rrjg  tQaytodltfg  evQsaig  iv  Ixa- 
Qi(f  zfjg  ^Jjtixrjg. 

^)  Plato  Min.  321a;  Dioscorides  Anth. 
VII  410  u.  411;  Horaz  a.  p.  275,  deren  An- 
sicht Bbntlbt  a.  0.  verfocht.  Dagegen  nennt 
Snidas  den  Thespis  den  16.  oder  2.  Tragiker 
nach  Epigenes. 


208 


Örieohiische  Litteratargesohichie.    t.  KlaSBiBohe  Periode. 


Stadt  verpflanzt;  im  Jahre  534  führte  daselbst  Thespis  die  erste  Tragödie 
auf;  für  das  Jahr  508,  nach  Verjagung  der  Tyrannen,   ist  uns  die  Über- 
nahme der  Chorleistung  durch  BQrger  bezeugt.^)     Wie   die   Tragödie  in 
jener  ältesten  Zeit  beschaffen  war  und  worin  sich  die  altattische  von  der 
peloponnesischen  unterschied,  darüber  lässt  sich  nichts  Bestimmtes  aufstellen, 
und  davon  hatte  selbst  Aristoteles  keine  klare  Vorstellung  mehr.    Es  werden 
uns  zwar  von  Suidas  mehrere  Titel  von  Tragödien  des  Thespis  überliefert: 
^Ax/^ka  Uekiov  r}  d^oQßag,  'IsQeigy  ^Hi&eoi,  IJsv&svg,  aber  dass  Thespis  schrifk- 
lich  abgefasste  Tragödien  hinterlassen  habe,  ist  sehr  fraglich;  wahrschein- 
lich waren  jene  Stücke  junge  Fälschungen,   welche  Herakleides  Pontikos 
dem  Ahnherrn  der  Tragödie  untergeschoben  hatte.*)     Eher  darf  man  aus 
den   Angaben   des    Diogenes')   abnehmen,    dass   bei    Thespis    schon  der 
Schauspieler  aus  der  Rolle   eines   blossen  Chorführers  zur  selbständigen 
Stellung  einer  ausserhalb  des  Chors   stehenden  Person  herausgetreten  sei 
und  davon,  dass  er  auf  die  Fragen  des  Chorführers  antwortete  (vTiex^ivsto), 
den  Namen   v/voxQiTrjg   erhalten   habe.*)     Aber  was  Horaz  a.  p.  276  von 
dem  Wagen  fabelt,  auf  dem  Thespis  seine  Tragödien  herumgefahren  habe, 
beruht   auf  Verwechselung   der    Tragödie  mit   den   Spottreden    der  vom 
Wagen  herab  die  Leute  neckenden  Festschwärme   {axiofifiata  i^  dfid^rfi), 
und   was  der   späte  Rhetor  Themistios  or.   XXVI  p.  382  Dind.  von  der 
Erfindung  des  nqHoyog   und   der  ^^aig  durch  Thespis   berichtet,   ist  mit 
freier  Phantasie  aus   den  Andeutungen   des  Aristoteles  Poet.  4   heraus- 
gelesen. 

160.  Ausser  Thespis  werden  noch  als  älteste  Tragödiendichter  und 
Vorgänger  des  Aischylos  genannt  Choirilos,  Pratinas,  Phrynichos,  Von 
diesen  hat  Pratinas,  der  aus  Phlius  im  Peloponnes  stammte,  das  Satyr- 
spiel in  Athen  eingebürgert.  Suidas  legt  ihm  fünfzig  Dramen,  darunter 
zweiunddreissig  Satyrspiele  bei;  ausserdem  hat  sich  von  ihm  ein  hübsches 
Hyporchem  erhalten,  dessen  rasche  und  wechselnde  Rhythmen  uns  die 
lustigen  Bockssprünge  seiner  Satyrn  erraten  lassen.  —  In  des  Vaters 
Fusstapfen  trat  sein  Sohn  Aristias;  eines  von  dessen  Satyrdramen  hatte 
den  Titel  Kvxhaip ,  behandelte  also  den  gleichen  Stoflf  wie  das  einzige  uns 
erhaltene  Satyrdrama  des  Euripides. 

Der  bedeutendste  unter  den  älteren  Tragikern  scheint  Phrynichos, 
der  Sohn  des  Polyphradmon,  gewesen  zu  sein;  er  hat  nach  Suidas  zuerst 
weibliche  Personen  auf  die  Bühne  gebracht  und  mit  Vorliebe  trochäische 


*)  Marm.  Par.  58  (nach  sicherer  Ver- 
besBerung)  und  61. 

*)  Diog.  V  92:  (prial  cf'  ^jQiajo^evog  6 
fAovaixög  xttl  igaymöiag  'HgaxXeiirjv  Uopxixdv 
rtotsTy  xul  Siamiog  iuiygäfpeiv.  Bentlby 
a.  0.  287  bezieht  darauf  die  citierten  Titel 
und  erhaltenen  Fragmente.  Daub,  De  Suidae 
biogr.,  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  XII,  412  zeigt, 
dass  jene  untergeschobenen  Stücke  nicht  in 
den  Katalogen  der  Alexandriner  standen. 

*)  Diog.  III  56:  eV  t^  rgaytfjdUc  tiqo- 
i€Qoy  ^fi/  f^oyog  6  /o^V  dte^Qa/uanXet',  i'a- 
iSQoy  cfe  Sianig  i'ya  vnoxQiTtjy  e^evoty. 
Vgl.  Pollux  IV  123. 


*)  So  deutete  eben  Pollux  IV  123  da« 
Wort  vTtoxQitijg^  und  so  gebraucht  das  Ver- 
bum  vTioxQiyofitti,  synonym  mit  dnoxQlyofim, 
Homer  11  407,  M  228,  o  170.  Vgl.  Apoll.  Soph. 
lex.  Hom.  p.  160  B.,  Hesychius  u.  vnoxQivoix^ 
und  G.  CüRTius,  Ber.  d.  sftchs.  Ges.  d.  W. 
1866,  S.  148  u.  Rh.  M.  23,  255  ff.  Ob  diese 
Deutung  des  Wortes  richtig  sei  und  ob  nicht 
vnoxQutjg  vielmehr  denjenigen,  der  die  Worte 
eines  anderen,  des  Dichters,  wiedergab,  be- 
deutete, ist  freilich  eine  strittige  Frage, 
worüber  Sommbrbrodt  Rh.  M.  22,  513  ff. 
u.  30,  456  ff. 


C.  Drama.    2.  Die  Tragödie,    b)  Aieohyloe. 


150-151.) 


209 


Tetrameter  in  seinen  Tragödien  gebraucht,  i)  womit  wohl  die  vielen  Tanz- 
fignren  zusammenhängen,  die  er  nach  den  Vögeln  des  Aristophanes  V.  749 
auf  die  Bühne  gebracht  haben  soll.    Teils  durch  Suidas,  teils  durch  andere 
keimen  wir  noch   zehn  oder  elf  Tragödientitel,   AlyvnTioi^   Uxtaicov,  "Jk- 
xTfitig,  'AvraTog  f/  Aißveg^  Jixaioi  [rj  Jlt'Qaai  ^  ^vv.^wxot],*)  Javaideg,  MiXrjTov 
alwfig,  nievQciviaiy  Tdvralog,  (^oiviaaai. »)     Am  berühmtesten  davon  waren 
die  (Pwviaffat,  welche  Themistokles  im  Jahre  476  mit  besonderem  Glänze 
inScene  setzte^)  und  bald  nachher  Aischylos  in  seinen  Persern  nachahmte. 
Politischen  Inhalts  war  auch  das  Stück  Mth'jTov  äkaxng,  berühmt  geworden 
durch  die  Nachricht  des  Herodot,   dass  die  Athener,   welche  durch   das 
Drama  an  eine  dunkle  Partie  ihrer  Politik   erinnert  wurden,   den  Dichter 
mit  einer  Oeldbusse  bestraften   und  für  die  Zukunft   derartige  politische 
Tragödien  sich  verbaten.*)    Auch  Phrynichos  hinterliess  wie  aÜ  die  grossen 
Tragiker  einen  Sohn,  Polyphradmon,   als  Erben   seiner  Kunst;«)   der- 
selbe trat  mit  einer  Trilogie  Lykurgeia  gegen  die  Sieben  des  Aischylos  in 
Wettstreit. 

Choirilos  hat  auf  die  Aufstellung  und  die  Bewegungen  des  Chors 
der  alteren  Zeit  wesentlichen  Einfluss  geübt,  so  dass  Sophokles  gegen  ihn 
und  Thespis  seine  Streitschrift  über  den  Chor  richtete.  Auch  die  Erfin- 
dung der  Masken  und  prachtvollen  Oewänder  legten  nach  Suidas  einige 
dem  Choirilos  bei.  Aber  Bedenken  erregt  die  Angabe  des  Lexikographen 
von  160  Dramen  und  13  Siegen.^) 

b)  Aischylos  (525— 456). ») 
151.   Leben.     Aischylos,    Sohn   des   Euphorien,   entstammte  einem 
edlen   Qeschlechte    des    Oaues    Eleusis,    worauf    Aristophanes    in    den 


^)  Die  Angabe  des  Suidas  evgertjg  tov 
ttj^fiHQov  iyersTo  ist  insofern  schief,  als 
oicii  Aiist  Poet.  4  der  Tetrameter  das  alte 
Melnm  des  tragisclien  Spieles  aberhaapt  war. 

*)  JlxaLo^  scheint  aus  Ja&lxat,,  dem 
Kamen  eines  persisclien  Yolksstammes,  ver- 
deibtza  sein;  femer  scheinen  2vy&(oxot  oder 
lli^tti  and  £vy&toxoi  Doppeltitel  der  i^oiyidr- 
ff«  gewesen  za  sein. 

')  Soidaa  erwähnt  noch  einen  zweiten 
Tnffker  Phrynichos,  den  Sohn  des  Melan- 
thaa,  dem  er  eine  iindromeda  und  Erigone 
lieflegt;  beide  identifiziert  Welckbr,  Gr.  Tr. 
I  19  unter  Missbranch  des  interpolierten 
Scholion  zu  Arist.  Yesp.  1481. 

*)  Plnt  Them.  5:  iyixijas  &e  xal  x*>9V' 
yiip  TQayi^oif,  fuyäXijy  fj^i]  tote  anovdijy 
Mt  tftXotifiiay  tov  aywyo^  sx^ytog  xal  nl- 
poxu  tijg  yixij€  ayi&rixe  toiavifjy  iniyQa<pijy 
iimrta  '  SB/titiftoxXrjg  ^geccQQiog  ixoQijyet^ 
^^i/of  ididaaxey,  'JSeifdaytog  fjQX^^-  I^^r 
Ktme  de«  Stftckes  ist  nicht  genannt;  dass 
C8  die  Phoinissai  waren,  ist  eine  wahrschein- 
He^  Yermatiuig  von  Bentley. 

*)  Herod.  6,  21:  'Adt^yaioi  tf^Xoy  inoitj- 

«er  rnt^ax^eitSiyte^  tfi  MiXrjtov  aXtSaei  tfi 

Tc  cUg  noXXaxfit  xal  irj  xal  noirjcaytt  4*QV- 

n'/ip  d^fta    M^Xtjtov  aXiaciy  xal   Md^aytt 

"urthüph  der  Ums.  AltertimiswiaBenflchaft.    YII. 


ig  ddxQvn  te  enecs  to  (fiatgoy  xal  i^f^filwady 
fdiy  log  dyttfxvrjaayta  olxrjta  xaxd  jj^tA/^jai 
dQaxf*ßoi  xal  i/tsta^ay  fxtjdiya  X9^^^^^ 
tovxta  t(o  Sqdfxatv,  Es  verschwand  so  all- 
mählich die  Politik  aus  der  Tragödie,  um 
später  in  der  EomOdie  wieder  aufzutanchen. 

^)  Diese  Vererbung  der  Kunst  hing  z.  T. 
damit  zusammen,  dass  der  Sohn  rechtlich 
Erbe  der  Stücke  des  Vaters  wurde. 

^)  Auf  seine  Berühmtheit  im  Satyrspiel 
geht  der  Vers  *Hylxa  fihy  ßaa^Xetig  rjy  XotQiXog 
iy  IttzvQoig,  lieber  einen  Wettstreit  des 
Choirilos  mit  Pratinas  und  Aischylos  und 
dem  dabei  erfolgten  Zusammensturz  des 
Brettergerüstes  in  der  70.  Olympiade  be- 
richtet Suidas  unt.  llQatlyag, 

^)  Erhalten  ist  uns  aus  dem  Altertum 
ein  zum  Teil  auf  Chamaileons  Schrift  nsQi 
JiaxvXov  zurückgehender  Biog  JiaxvXov  imd 
ein  Artikel  des  Suidas,  zusammengestellt  mit 
den  anderen  Zeugnissen  des  Altertums  von 
Fr.  »Scholl  in  der  Ausg.  der  Sieben  von 
Ritschi  1878.  Neuere  Bearbeitungen  der 
Vita  Aeschyli  von  Stanley  in  der  Ausgabe 
des  Dichters  (1663);  Ghb.  Pbtbrsen,  De 
Aesch.  vita  et  fabulis,  Eopenh.  1814;  Dahms, 
De  Aesch.  vita,  Berl.  1860;  Tkuppkl-Wbck- 
lbin  in  Ausg.  der  Perser  1886. 
8.  Aufl.  14 


210  Griechische  Litteratnrgeechichie.    I.  Xlaasisohe  Periode. 

Fröschen  886  den  Dichter  selbst  mit  den  Worten  anspielen  lässt  Ji^fii]t€Q 
ij  ■9'Qeipafra  zrjv  ifiijv  ipQbva,  Geboren  wurde  derselbe  nach  der  parischen 
Chronik  Ol.  63,  4=  525/4.  i)  Die  Jahre  seines  heranreifenden  Mannesidters 
fielen  in  die  grosse  Zeit  der  Perserkriege,  die  nicht  bloss  mit  hohen 
Gedanken  seine  Brust  schwellten,  sondern  an  denen  er  auch  selbst  mit 
seinen  Brüdern  in  den  Schlachten  von  Marathon,  Salamis  und  Plataä 
heldenmütigen  Anteil  nahm.  Rühmend  ist  seiner  Tapferkeit  bei  Marathon 
in  der  Aufschrift  seines  Grabdenkmals  gedacht:  *) 

ÄlaxvXov  Ev(foq((ovoq  *A&r)vaTov  rode  x€Vx^ei 
fivrjfjia  xatafpä'(fJi€VOV  nvQO^OQOio  FäXag, 

aXxijV  ä'evioxijiAOv  Magadioviov  ixhfoq  av  Binoi 
xai  ßad'VXCciTtjeig  Mijdog  imaxdiiBvoq» 
Sein  Bruder  Kynegeiros  war  jener  Held,  der  bei  Mai*athon  mit  der  Hand 
ein  persisches  Schiff  zurückhielt  und  dabei  seinen  Mut  mit  dem  Tod  besiegelte 
(Herod.  VI  114).  Auch  den  Ameinias,  der  sich  in  der  Schlacht  von 
Salamis  hervorthat,  geben  mehrere  für  einen  Bruder  des  Dichters  aus;*) 
da  aber  dieser  nach  Herodot  YHI  84  aus  Pallene  stammte,  so  können 
wir  darin  nur  eine  unhistorische  Ausschmückung  der  Dichterlegende  er- 
blicken.*) Über  die  Erziehung  des  Dichters  und  seine  Lehrer  fehlen  uns 
nähere  Nachrichten.  Im  eigenen  poetischen  Schaffen  versuchte  er  sich 
frühe,  und  zwar  wandte  er  sich  mit  fast  ausschliesslicher  Vorliebe  dei> 
jenigen  Dichtungsgattung  zu,  die  seinem  fürs  Hohe  und  Erhabene  ange- 
legten Geiste  am  besten  entsprach  und  die  damals  in  Athen  am  meisten 
Pflege  und  Anklang  fand.  Die  Dichtersage  Hess  den  Gott  Dionysos  selbst 
dem  jungen  Aischylos,  als  er  die  Trauben  hütete,  erscheinen  und  zum 
Dichten  von  Tragödien  anfeuern.  Schon  vor  seinem  30.  Lebensjahre  trat 
er  Ol.  70  =  500/497  als  Mitbewerber  um  den  tragischen  Kranz  mit  Pra^ 
tinas  und  Ghoirilos  in  die  Schranken.^)  Den  ersten  Sieg  indes  errang  er 
erst  im  Jahre  484,  als  er  bereits  über  40  Jahre  alt  war. 

In  das  Leben  des  Dichters,  das  bisher  nur  dem  Vaterland  und  der 
Muse  geweiht  war,  brachten  Abwechselung  seine  Reisen  nach  Sikilien. 
Zum  erstenmal  ging  er  nach  Sikilien  in  den  siebziger  Jahren,  bald  nach 
dem  Ausbruch  des  Ätna,^)  indem  er  einer  Einladung  des  kunstliebenden 
Königs  Hieron  folgte,  der  um  dieselbe  Zeit  auch  die  Dichter  Simonides 
und  Pindar  an  seinen  Hof  nach  Sjrrakus  zog.  Damals  blühte  bereits  in 
Sikilien  die  dramatische  Kunst  des  Epicharm,  und  auch  Aeschylos  dichtete 
für  die  syrakusische  Bühne  ein  Lokalstück,  die  Mtvaim,  das  ähnlich  wie 

)  Mit  der  Chronik  stimmt  nach  leichter   |  <^)  Suidas  u.  Ugazlyas.     Ob  aber  damals 


Verbesserung  Suidas:  rjyiovi^exo  avxog  iv  xj 
0  {9  cod.)  oXvfATtidifi  ixiov  <oy  xe;  die  ab- 
weichenden Angaben  der  Vita  sind  unver- 
lässig  und  nicht  untereinander  in  Einklang. 

»)  Ath.  627c;  Paus.  I  14;  Vit.  Aesch. 
Nach  Eustratios  zu  Arist.  Eth.  Nie.  III  2 
ward  er  verwundet  von  dem  Schlachtfeld 
weggetragen. 

»)  Diodor  XI  27;  Aelian  V.  H.  V  19; 
Aristodem  I  8;  Suidas  und  die  Vita. 

*)  G.  Hermanh  Op.  II  166  hat  zuerst 
den  Irrtum  aufgedeckt. 


schon  ein  regelmässiger  Agon  bestand,  wird 
bestritten. 

^)  Der  Ausbruch  des  Aetna  fand  478 
nach  Marm.  Par.,  475  nach  dem  Zeugms  des 
Thuc.  m  116  statt.  Vit.  Aesch.:  Ü9wp  f^ 
lixeUay  'Ugtoyog  toxs  ttjy  Atxyijy  xti^oyiof 
incdei^ttxo  rag  Aiiyaiaiy  oimyiCofteyoi  fiw^ 
aya&oy  xoTg  avyoixi^ovm  rijy  jtoXiy.  Unklar 
ist,  warum  Pausanias  I  2,  3  den  Aischylos 
mit  Simonides,  nicht  auch  mit  Pindar  ba 
Hieron  weilen  lässt. 


C.  Drama.    2.  Die  Tragödie,    b)  Aisohyloa.    (§  151.) 


211 


die  erste  pythische  Ode  Pindars  (aufgeführt  474)  der  YerherrlichuDg  der 
TOD  Hieron  neugegründeten  Stadt  Ätna   diente,  i)    Den  Orund  des  Weg- 
gangs des  Dichters  nach  Sikilien   sucht  das  Epigramm  Anth.  YII  40  in 
einer  Misstiramung  über  die  Feindseligkeit  der  Bürger.     Die  Verstimmung 
selbst  erkürten  die  einen  aus  der  Niederlage,   die  er  in  dem  Wettstreit 
mit  Simonides  um  die  schönste  Elegie  auf  die  Gefallenen  von  Marathon 
erlitt  (489),  die  anderen  aus  dem  Siege,   den  Sophokles  im  dramatischen 
Wettkampf  des  Jahres  468  über  ihn  errang,^)  die  dritten  aus  dem  Prozess,  den 
ibm  die  Athener  wegen  Profanierung  der  Mysterien  angehängt  hatten.     Die 
beiden  ersten  Gründe  sind  aus  leicht  ersichtlichen,  chronologischen  Anständen 
UDzolässig;  sie   sind   von  Leuten   erdacht,  welche   die   Grössen   der  Ver- 
gangenheit nach  ihrer  eigenen  kleinlichen  Gesinnung  bemassen.     Denn  wie 
anders  der  selbstbewusste  Aischylos  über  solche  Niederlagen  dachte,  zeigt 
die  von  Athenaios  überlieferte  Anekdote,  wonach  er,   als  ihm  einmal  die 
Theaterrichter  den  Preis  aberkannten,  ruhig  sagte,   er  vertraue  der  Zeit, 
die  werde  schon  seinen  Tragödien  die  gebührende  Ehre  bringen.  8)     Einen 
besseren  Boden  hat  der  dritte  Grund,  da  schon  ein  alter,    unverdächtiger 
Zeuge,  Aristoteles,  in  der  Nikomachischen  Ethik  in  2  von  jenem  Prozess 
spricht,^)  und  der  Kommentator  des  Aristoteles,  Eustratios,  zu  der  Stelle 
ans  Herakleides  Pontikos  des  weiteren  berichtet,   der  Dichter  habe   sich 
bei  dem  im  Theater  entstandenen  Tumult  zum  Altare  des  Dionysos  flüchten 
müssen  und  sei,  vor  Gericht  gestellt,  nur  dadurch,  dass  er  seine  Unkennt- 
nis der  Mysterienlehre  vorschützte,  freigesprochen  worden.*)     Aber  wenn 
es  auch  seine  Richtigkeit  mit  jenem  Prozess  wegen  Entweihung  der  My- 
sterien hat,   so  ist  es  doch  noch  sehr  zweifelhaft,   ob   gerade   dieser  ihn 
2iun  Weggang  nach  Sikilien  bestimmte.     Übrigens  war  jener  erste  Aufent- 
haK  unseres  Dichters  am  Hofe  des  Hieron  nicht  von  langer  Dauer,  denn 
in  den  Jahren  472  und  468   treffen  wir  ihn  wieder  in  Athen,   indem  er 
in  dem  ersteren  Jahr  die  Perser  aufführen  Hess,  in  dem  zweiten  im  Wett- 
kampf mit  dem  jungen  Sophokles  unterlag.   Später,  nachdem  er  im  Jahre 
458  mit  seiner  Orestie  wieder  einen  glänzenden  Sieg  errungen  hatte,  ging 
er  nochmals  nach  Sikilien,  dieses  Mal  wohl  infolge  politischer  Verstimmung 
über  die  Beschneidung  der  Gewalt  des  Areopag,  zu  dessen  Verherrlichung 
er  selbst  das  letzte  Stück  jener  Trilogie  bestimmt  hatte.    Es  war  eben 


*)  Dass  AiBchylos  damals  bereits,  bei 
ersten  Aufenthalt  in  Sikilien  die 
Pnver  zur  erneaten  AnffOhrong  brachte,  ist 
mtkt  umnehmen,  da  dieselben  znm  ersten- 
Dul  472  in  Athen  zur  Auff&hrong  gelangten, 
Aiflchylos  aber  yor  472  zam  erstenmal  nach 
iSkiUen  gekommen  zu  sein  scheint. 

*)  Aosser  der  Vita  Plut  Cim.  8. 

')  AtL  347  e:  tjurj^elg  ddixatg  nots,  tug 
^i«tfi^aaiog  fj  XafiatXäwy  iy  ttp  tmbqI  ^Sovrjg 

^nt,  iidtig  öji  xo/ÄieiTM  xrjy  ngoaijxovaay 

*)  Ausser  Aristoteles  s.  Aelian  V.  H.  Y 
19;  dem.  Alex,  ström.  11  p.  166  und  Eustratios 
aAiifliotelee.    Schon  Aiistophanes  Ran.  807 


sagt  Otts  yc(Q  ^A&rjvaioiai,  avyißncy*  AiaxvXog, 
^)  Ueber  das  Stück  oder  die  Tetralogie, 
welche  einen  solchen  Tumult  erregte,  waren 
schon  die  Alten  auf  das  Raten  angewiesen. 
Eustratios  nennt,  auf  seinen  Gewährsmann 
Herakleides  Pontikos  gestützt,  unter  anderen 
die  Toxotides  und  Hiereiai.  Spätere,  der  Ver- 
fasser der  Vita  und  Apsines  in  Rhet.  gr.  I 
340,  11  Sp.,  fabeln  von  den  Eumeniden,  die, 
wie  wir  uns  selbst  überzeugen,  nichts  von 
Mysterienentweihung  enthalten;  vgl.  G.  Hbr- 
MANN  Opusc.  II  163  ff.  Bedenken  erregt  in 
der  Erzählung  auch  der  Altar  des  Dionysos, 
da  ein  solcher  während  der  Aufführung  von 
Dramen  sich  schwerlich  in  der  Orchestra 
oder  dem  Theater  überhaupt  befand. 

14* 


212 


Qrieohiflche  Litteratnrgesolüohte.    I.  Elasaiflohe  Periode. 


der  strenge  Aristokrat  und  Anhänger  der  alten  Ordnung  ungehalten  Qber 
das  Umsichgreifen  der  Demokratie  und  der  sophistischen  Aufklärung,  die 
ihm  die  grollende  Klage  Qber  die  neuen  ÖOtter  und  Tyrannen  im  Prome- 
theus und  in  den  Eumeniden  entlockten. 

Bei  dem  zweiten  Aufenthalt  in  Sikilien  fand  er  den  Tod  in  der  N&he 
der  Stadt  Qela  Ol.  81,  1  =  456/5.  Der  Mythus  hat  auch  diesen  in  ein  dich- 
terisches Gewand  gehüllt:  ein  Adler,  der  eine  Schildkröte  in  den  Erallen 
trug,  Hess  diese  auf  das  kahle  Haupt  des  Dichters  fallen  und  zerschmetterte 
so  seinen  Schädel.^)  Die  Sage  hat  man  auf  ein  Qrabrelief  zurückzuführen 
versucht,  auf  dem  ein  Adler  mit  einer  Schildkröte  als  Symbol  der  Dicht- 
kunst über  dem  Haupte  des  vergötterten  Dichters  geschwebt  habe;') 
wahrscheinlich  aber  ist  damit  nur  eine  alte,  schon  dem  Demokrit  bekannte^) 
Fabel  auf  unseren  Dichter  übertragen  worden,  wozu  den  Komikern  dessen 
Eahlköpfigkeit  die  Handhabe  bieten  mochte.^)  Hinterlassen  hatte  er  zwei 
Söhne  Euphorien  und  Bion  (v.  1.  Euaion)  und  einen  Neffen  Philokles,  die 
zugleich  Erben  und  Fortpflanzer  seiner  Kunst  wurden.  Mit  seinen  Stücken 
durften  nämlich  auch  noch  nach  seinem  Tode  die  Überarbeiter  derselben 
in  den  Wettkampf  eintreten,  und  viele  sollen  nach  Quintilian  X  1,  66 
mit  denselben  Siege  errungen  haben.  ^)  Auch  sonst  ward  in  Athen  das 
Andenken  des  grossen  Dichters  in  Ehren  gehalten:  zur  Zeit  des  pelo- 
ponnesischen  Krieges  galt  er  dem  Aristophanes  und  den  Leuten  seiner 
Richtung  als  unübertroffenes  Ideal,  später  wurde  auf  Antrag  des  Redners 
Lykurg  sein  Standbild  neben  denen  des  Sophokles  und  Euripides  in  dem 
Dionysostheater  aufgestellt.  ^) 

152.  Dichtungen.  Aischylos  hat  wie  alle  grossen  Dichter  des 
klassischen  Altertums  seine  Thätigkeit  um  eine  Dichtungsgattung  kon- 
zentriert: er  hat  zwar  auch  Elegien  gedichtet,  wie  eine  auf  die  Gefallenen 
von  Marathon  im  Wettstreit  mit  Simonides,  und  ist  zur  Dichtung  eines 
Päan  von  den  Priestern  in  Delphi  aufgefordert  worden ;  ^)  aber  seinen 
Ruhm  suchte  er  doch  lediglich  in  der  Dichtung  von  Tragödien.  Die  Ein- 
richtung der  attischen  Bühne,  welche  an  den  Dionysien  nur  neue  Stücke 
zuliess  und  jedesmal  drei  Tragödien  und  ein  Satyrspiel  verlangte,  stellte 
an  die  Fruchtbarkeit  der  Dichter  ausserordentliche  Anforderungen.  Ihnen 
wurde,  wie  von  den  anderen  grossen  Tragikern  so  auch  von  Aischylos 
entsprochen.     Suidas    gibt  die  runde  Zahl    von  90  Tragödien  (richtiger 


^)  Sotades  bei  Stobaios  98,  9;  Yal.  Max. 
9,  12;  Plin.  N.  H  10,  3;  Aelian  H.  A.  7,  16; 
Vita  und  Suidas. 

*)  GöTTLiNO,  Opusc.  230  ff.;  Wblckeb, 
Alt.  Denkm.  II  237  ff.  Danach  wird  der 
kapitolinische  Kopf,  den  die  Tafel  4  gibt, 
auf  Aischylos  gedeutet,  wofOr  sich  auch 
Kbokbb,  Berl.  Phil.  Wochenschrift  1885 
S.  897  ff.  ausspricht. 

»)  Eudemos  fr.  22  Sp. 

*)  RoHDB  Jahrb.  f.  Phü.  121  (1880)  22  ff., 
0.  Cbusius  Rh.  M.  38  (1882)  308  ff.  Kellbb, 
Tiere  des  klass.  Alteriiums  S.  258  bringt  die 
Erfindung  mit  dem  Adlerflug  des  Aischylos 
in  recht  zweifelhafte  Verbindung. 


»)  Vgl.  Schol.  Arist  Ach.  10,  Ran.  868- 
Philostr.  Vit.  Apoll.  VI  11;  s.  Rohdb  Rh.  »• 
38,  289  ff.  Schön  sagt  Aisch.  bei  Arist. 
Ran.  868:  ort  17  Tioirjen  ovx'i  ffryTS^yrixi  fin^ 

*)  Ps.  PluL  Vit.  X  orat.  7 :  eio^reyxi  vo- 
fiovg  .  .  (OS  ;|raAxa;  eixoyag  dya^Bivai  xmf 
71  oifjTtay  ^^jjfvAov  £o(poxXiovf  Evg^mäop  xai 
tag  TQaytpdiag  avteSy  iy  xoty^  y^a^afiivovg 
tpvXdtxBty  xal  xov  irjg  noXeiog  y^afAfiax4a 
71  aQuyayiyaiaxeiy  totg  tmoxQiyofjiiyoig,  V^. 
Diog.  II  43;  Paus.  I  21;  Ath.  19e;  s.  Wbl- 
CKBR,  Alt.  Denkm.  II  465  ff. 

^)  So  berichtet  Porphyrios  de  abstin. 
n  18. 


C.  Drama.    2.  Die  Tragödie,    b)  Aisohylo«.    (§§152—153.)  213 

Dramen)  an,   dazu  stimmte  wahrscheinlich  ehedem  auch   das   alte  Ver- 
zeiclmis  der  Dramen  im  cod.  Laur.,  das  jetzt  in  4  Kolumnen  (die  5.  fehlt) 
72  Titel  enthat;   die  Vita  spricht   von  70  Tragödien   und  beiläufig  fönf 
Satyrspielen;  bekannt  sind   die  Titel  von  79  Stücken.     Siege   errang  er 
nach  der  Vita  13,  nach  Suidas  28;   in  der  letzteren  Zahl  scheinen  eben 
auch  diejenigen  inbegriffen  zu  sein,  welche  mit  Stücken  des  Dichters  nach 
deasen  Tod  gewonnen  wurden,  i)     Jedenfalls  hat  Aischylos  mit  mehr  als 
der  flälfte  seiner  Tragödien  den  ersten  Preis  errungen,  wiewohl  ihm  erst 
im  Jahre  484   das  erste  Mal  ein   voller  Sieg  zu  teil   wurde.*)    Auf  uns 
gekommen  sind   nur   sieben  Tragödien  in   folgender  Ordnung:»)  näqaai^ 
*Ä/afUfiv(0Vy   XtnjtpoQOi^    ÜQOfirjd'evg,   Evfievideg,   ^Entd   im  Orjßag,  ^Ixäriieg. 
Von  diesen  sieben  sind  wiederum  nur  drei,  Prometheus,  Septem,  Persae, 
häufig  in  der  byzantinischen  Zeit  gelesen  und  kommentiert  worden.     Die 
Erhaltung  gerade  dieser  sieben  Stück  scheint  nicht  auf  Zufall  zu  beruhen, 
sondern  dem  ästhetischen  UrteU  eines  Grammatikers  aus  der  letzten  Zeit 
des  Altertums  verdankt  zu  werden.     Wir  sind  der  Auswahl  umsomehr 
dankbar,  als  sie  uns  nicht  bloss  eine   vollständige  Trilqgie  erhalten  hat, 
sondern  uns  auch  den  Entwicklungsgang  des  Dichters,  mehr  als  man  bei 
einer  so  geringen  Anzahl  von  Stücken  erwarten  sollte,  erkennen   lässt. 
Denn  bei  Aischylos  treten  deutlicher   als  bei  Pindar  und  Sophokles   die 
^fen  der  allmählichen  Ausbildung  seiner  Kunst  hervor;   er  half  eben 
selbst  an  der  Schaffung  der  Tragödie  mit  und  verschmähte    es  zugleich 
nicht,  aas  den  Fortschritten,  welche  jüngere  Genossen  einführten,  seiner- 
seits Nntzen   zu   ziehen.     In   der  Besprechung  der  einzelnen  Stücke  ver- 
lassen wir  die  verwirrte  Folge   der  Handschriften  und  halten  uns  an  die 
zeitliche  Ordnung,  die  sich  aus  didaskalischen  Angaben  und  inneren  An- 
zeichen mit  ziemlicher  Sicherheit  feststellen  lässt.    Da  aber  von  den  Tra- 
gödien unseres  Dichters  keine  ein  abgeschlossenes  Ganze  für  sich  bildete, 
sondern  mit  zwei  andern  zu  einem  grösseren,   in  Inhalt  und  Anlage  zu- 
sammenhängenden  Ganzen    (Trilogie)   verknüpft   war,    so   wird   es   auch 
nnsere  Aufgabe  sein,  mit  der  Besprechung  der  nur  vereinzelt  erhaltenen 
Tragödien  (Suppl.,  Pers.,  Sept.,  Prom.)  zugleich  die  der  damit  zusammen- 
hingenden Stücke  zu  verbinden. 

153.  Die  ^IxsTideg  haben  ihren  Namen  von  dem  Chor  der  Töchter 
des  Danaos,  welche  vor  den  Verfolgungen  der  Söhne  des  Aigyptos  in  Argos 
Schntz  suchen  und  finden.  Die  Tragödie,  die  bei  dem  Überwiegen  des 
lyrischen  Elementes  mehr  einer  Kantate  als  einem  Drama  gleicht,  zeigt  in 
der  schlichten  Einfachheit  ihrer  Anlage  sichere  Spuren  hohen  Alters:  sie 
teilt  mit  den  Persem  die  Eigentümlichkeit,  dass  sie  eines  Prologes  entbehrt 
ond  gleich  mit  dem  Einzüge  des  Chors  beginnt;  sie  hat  die  geringste  An- 
zahl von  Personen,  nämlich  nur  drei  (Danaos,  König  von  Argos,  Herold 
der  Ägypter),   die  so  nacheinander  auftreten,  dass  sie  mit  Leichtigkeit 

')  Ee  kann  die  Differenz  aber  auch  da-  1  gehören. 

W  kommen,  dass  einmal  bloss  die  dionyai-  {  ')  Bezeugt  dorch  Marm.  Par. 

«W  das  andere  Mal  die  dionysischen  und  ■  *)  Die  Ordnung  ist  die  des  Cod.  Mediceus; 

loiadien  Siege  gerechnet  waren.    Zu  be-  1  andere  Hdschr.  beginnen   mit  Prometheus, 

aditea  ist,  dass  zu  einen  Sieg  immer  4  Stücke  | 


214 


GrieohiBohe  Litteratiirgeschichte.    I.  Elasaische  Periode. 


voD  zwei  Schauspielern  gespielt  werden  konnten;  sie  verlangt  endlich  noch 
keinen  besonderen  scenischen  Hintergrund,  sondern  spielt  in  der  Orchestra 
um   den   grossen  gemeinsamen  Götteraltar  {xoivoßtofxia)^  der  vielleicht  an 
die  Stelle  des  Dionysosaltars  in  der  Mitte  der  Orchestra  getreten  war.*) 
Der  spannenden  Entwicklung  und   des  aus  dem  Kontrast  der  Handelnden 
entspringenden  Konfliktes  entbehren  die  Schutzflehenden  gänzlich ;    gleich- 
wohl haben  sie  in  den  reich  gegliederten  Chorliedern  und  namentlich  in  den 
weihevollen  Segensgesängen  des  Schlusses  grosse  Schönheiten,  deren  6e- 
nuss  nur  durch  die  schweren  und  zahlreichen  Verderbnisse  des  Textes  ge- 
stört  wird.   —   Verbunden   waren   die  Schutzflehenden   zu  einer  Trilogie 
mit  den  GaXaiionoioi  oder  Äiyvmioi^^)  welche  die  Hochzeit  der  Söhne   des 
Aigyptos  und  der  Töchter  des  Danaos  zum  Gegenstand   hatten,   und  den 
Javäi'dtq^  *)  in   denen   die  Hypermestra,   welche  allein  vor    dem    Frevel, 
ihren  neuvermählten  Gatten  Lynkeus  in  der  Brautnacht  zu  ermorden,   zu- 
rückgeschreckt war,    vor   Gericht    gestellt,   aber   durch   Vermittlung    der 
Aphrodite  freigesprochen  wurde.     Die  Trilogie   und  insbesondere  das    uns 
erhaltene  erste  Stück  tragen  eine  grosse  Zuneigung  zu  Argos  und  zu   den 
Einrichtungen  jenes    Landes   zur  Schau;   aber   gleichwohl    verbietet    die 
Altertümlichkeit  der  Tragödie  an  Anspielungen  auf  das  erst  in  Jahre  461 
abgeschlossene  Bündnis  zwischen  Argos  und  Athen  zu  denken.^)   Den  Stoff 
zu  den  drei  Tragödien  scheint  Aischylos,  wie  auch  Bakchylides  in  der  19.  Ode 
dem  alten  Epos  Danais  entlehnt  zu  haben. 

154.  Die  UhQaai  bildeten  nach  der  uns  erhaltenen  Didaskalie  das 
Mittelstück  einer  Trilogie  und  wurden  im  Jahre  472  aufgeführt.  Sie  sind 
ein  historisches  Drama  und  haben  die  Feier  des  Sieges  der  Hellenen  bei 
Salamis  zum  Gegenstand;  da  aber  die  Tragödie  nicht  Jubel,  sondern  Klage 
und  Jammer  fordert,  so  hat  der  Dichter  die  Scene  nach  der  persischen 
Hauptstadt  Susa  verlegt,  wohin  der  König  Xerxes  nach  seiner  schmäh- 
lichen, durch  die  eigene  Überhebung  verschuldeten  Niederlage  in  zerlump- 
tem Qewande  zurückkekrt.  Der  Stoff  unserer  Tragödie  ist  also  nicht  dem 
Mythus,  sondern  der  Geschichte  entnommen,  worin  Aischylos  dem  Phry- 
nichos  gefolgt  ist,  dessen  vier  Jahre  zuvor  aufgeführten  <S>oiviaaai  nach 
dem  Zeugnis  des  alten  Grammatikers  Glaukos  dem  Aischylos  zum  Vorbild 
dienten.^)    Auch  die  Perser  erfordern   wie  die  Schutzflehenden   nur  ziprei 


^)  Rbiscb  (Dörpfeld),  Das  griech.  Theat. 
195  hält  es  indes  aus  beachtenswerten  prak- 
tischen Erw&gongen  fOr  wahrscheinlicher, 
dass  der  Altar  der  Schutzgötter  an  der 
Tangente  des  Orchestrakreises  angebracht  war. 

*)  Die  von  PoUux  7,  122  citierten,  aber 
in  dem  Verzeichnis  des  Lanr.  nicht  aufge- 
fahrten  SaXa/Ltonoioi  hat  Hebmann,  Verh.  d. 
Bachs.  Ges.  d  Wiss.  IV  123  f.  und  Ausg.  I  329 
mit  den  AiyvTiTioi  identifiziert.  Welckbr  zog 
anfangs  die  SaXttfÄOjioiol  zur  Iphigeniatrilogie, 
stimmte  aber  später  Rh.  M.  13,  189  ff.  Her- 
mann bei.  Westphal,  Proleg.  4  stellt  die 
Jiyvnrioi  als  ein  von  den  SaXa/nonoiol  ver- 
scbiedenes  Stück  zu  Mtfiywv  u.  V^v^oaraaLa. 

•)  Hbrmann,  De  Aeschyli  Danaidibns, 
Opusc.  II  319  ff. 


^)  0.  Müller  in  Ausg.  d.  EmDeniden 
p.  123  u.  Gr.  Litt.  I  546  hat  im  Anschloss 
an  Böckh  unsere  Schutzflehenden  an  den 
Schluss  von  Ol.  79  setzen  wollen.  Auf  das 
J.  460.59  will  BücHELER  Rh.  M.  40  (1885)  628 
auch  den  Vers  152  (Anspielung  auf  den 
Parthenonbau)  deuten.  Richtig  urteilt  da- 
gegen WiLAMOwiTz  Herm.  21,  608  Aum.  Dass 
unser  Stack  vor  dem  Prometheus  gedichtet 
war,  davon  gleich  nachher. 

^)  Argum.  Pers.:  rXavxog  iy  rty  tm^qI 
JiayvXov  fjtv&tav  ix  ttov  i^oiyurata»^  ^^vWjrotr 

xal  Tijy  oiQxV^  ^ov  dgafiarog  zavwtjyz 

TacT  iatl  JleQCtoy  xäiv  näXat  /Se^i^aroYtt»»». 
nXijy  ixsT  cvvov^og  itniv  dyyiXXtar  iw^  «pVn 
Xfjv  Siq^ov  tfixar  cxogvvq  xb  9^vovc  r«»^ccc 


C.  Drama.    2.  Die  Tragödie,    b)  Aisohyloa.    (§  154.) 


215 


Schauspieler  und  entbehren  wie  diese  des  iambischen  Prologs  und  des 
scenischen  Hintergrundes;  aber  die  Darstellung  zeigt  weit  mehr  künstle- 
rischen Aufbau,  indem  uns  zuerst  die  unheilahnende  Stimmung  des  Chors 
and  die  schweren  Träume  der  Königin  Atossa  in  die  dumpfe  Atmosphäre 
vor  dem  Herannahen  des  Gewitters  versetzen,  bis  dann  mit  der  ünglücks- 
nachricht  des  Boten  und  der  Rückkehr  des  niedergeschmetterten  Königs 
das  Gewitter  sich  mit  all  seinen  Schrecken  entlädt.^)  Kunstvoll  ist  auch 
die  Weise,  wie  durch  Beschwörung  des  Geistes  des  Königs  Dareios  ein 
Gegensatz  von  heute  und  ehedem  geschaffen  und  der  Blick  der  Zuschauer 
über  die  Seeschlacht  bei  Salamis  hinaus  auf  die  Zukunft  und  die  Nieder- 
lage bei  Platää  gelenkt  wird.  Aber  sicher  noch  weit  mehr  wirkte  im 
Theater  zu  Athen  der  nationale  Hintergrund,  den  der  Dichter  noch  durch 
die  Erkundigungen  der  Königin  über  die  Zustände  Athens  zu  steigern 
verstand;  lauter  Beifall  lohnte  sicher  den  Dichter  bei  den  Versen  241  f. 

AT,  %iq  ih  noifAavwQ  MneCTi  x^Tnisano^si  atqax^; 

XO.  ovTivog  dovXoi  xäxkrjVTai  fptoTvg  ovd'  vnrjxooi. 
Die  vollständige  Tetralogie  bestand  aus  den  Tragödien  (Piveig^  näqaai^ 
Duuixoq  Havv&evg^)  und  dem  Satyrdrama  nQOfiti&evg  itvgxaevg.^)  Im  ersten 
Stück,  das  von  dem  alten  Thrakerkönig  der  Argonautensage  benannt  war, 
war  wahrscheinlich  der  Durchzug  des  Perserheeres  durch  Thrakien,  im 
Giaakos,  der  von  dem  Dorfe  Potniä  auf  dem  Wege  von  Platää  nach  Theben 
seinen  Beinamen  hatte,  die  Schlacht  von  Platää  und  der  gleichzeitige  See- 
sieg der  Griechen  Sikiliens  über  die  Karthager  bei  Himera  berührt.  Es 
sind  also  auch  hier  die  Stücke  der  Trilogie  in  einem  inneren  Zusammen- 
hang gestanden,  wenn  sie  auch  nicht  Teile  einer  und  derselben  Handlung 
bildeten.  —  Die  Tetralogie  der  Perser  mit  ihrem  grossartigen  nationalen 
Inhalt  kam  auch  bei  einer  besonders  feierlichen  Gelegenheit  zur  Auffüh- 
rung. Mit  ihr  wurde  nämlich,  wie  Öhmichen  aus  der  neuaufgefundenen 
Theaterurkunde  CIA  H  971  schloss,^)  im  Jahre  472  das  neuerbaute  Dio- 
nysostheater zu  Athen  eingeweiht;  die  Ausstattung  der  Bühne  hatte  Perikles 
übernommen,  dessen  Stern  eben  damals  aufzugehen  begann  und  der  sich 
mit  dem  Dichter  in  den  Ruhm  des  Tages  teilte.  Später  wurde  die  Tetra- 
logie nochmalfi  in  Syrakus  aufgeführt.^) 


*)  Lflckenhaftigkeit  des  Schlosses  der 
Perser  nAhm  an  und  ergänzte  denselben 
dvdi  eigene  Nachdichhing  Eöchly,  Yhdl. 
i  Pbil  in  lunsbrnck  y.  J.  1875;  doch  da- 
gegen erhob  die  Kritik  allseitigen  Widersprach. 

')  Der  Zusatz  Jlotyuv^  fehlt  in  der  alten 
Hediceeriiandschrift,  rtthrt  aber  trotzdem 
äeher  ans  alter  Tradition  her;  er  sollte 
BBsem  Glaukos  von  dem  Safyrdrama  Glaukos, 
»«über  Servinß  ad  Verg.  Aen.  V  828, 
voteracheiden.  Wblckbb,  Aeschyl.  Tril.  47 
«.BLM.  a.  F.  5,  236  dachte  an  den  Meer- 
gott Glaukos  Pontios  und  nach  Fr.  35  und 
PQid.  P.  I  75  an  eine  Verherrlichung  des 
Vit  der  Schlacht  von  Salamis  gleichzeitigen 
^Kgee  ftber  die  Karthager  bei  Himera. 


')  Der  Zusatz  Ttvgxaevs  steht  nicht  in 
der  Didaskalie,  woraus  Sittl,  Gr.  Litt  III 
255  schliesst,  dass  die  Prometheustrilogie 
erst  nach  den  Persem  aufgeführt  sei  Der 
Zusatz  wird,  wie  die  ähnlichen  anderer  Stücke 
(z.  B.  Oed.  Tyr.),  erst  von  den  Grammatikern 
zugefügt  sein. 

^)  Der  betreffende  Passus  lautet:  XQayt^- 
6<ay  '  negtxkijg  XoXaQyBvg  ixoQtjyei  AUfxvXog 
ididacxe.  Die  scharfsinnigen  Kombinationen 
von  Obhmiohbn,  Stzb.  d.  b.  Ak.  1889  II  142 
bleiben  indes  Kombinationen  und  werden 
nicht  allseitig  anerkannt. 

^)  Diese  zweite  Aufführung  in  Syrakus 
wird  ausser  durch  die  Vita  auch  noch  durch 
Eratosthenes  und  Herodikos  in  den  Schollen 
zu  Aristoph.  Ran.  1028  bezeugt;  vgl.  SohO- 
uAvv  Rh.  M.  42,  467  ff. 


216 


Orieohiflohe  Litteratnrgesohiohtd.    I.  KlasBisohe  Periode. 


165.    Die  ^Etctcc  inl  Oijßag  wurden  als  drittes  Stück  zusammen  mit 
Laios,    Oedipus   und   dem    Satyrspiel    Sphinx   im   Jahre   467    aufgeführt. 
Aischylos  siegte  mit  dieser  Tetralogie  über  Aristeas  und  Polyphradmon, 
die  Söhne  seiner  alten  Nebenbuhler  Pratinas  und  Phrynichos.    Wir  be- 
greifen leicht  an  dem  einen  uns  erhaltenen  Drama  das  Urteil  der  atheni- 
schen Richter.     Dasselbe  ist  nicht  bloss  ein  dgäf^a  *'AQ€<og  fAsatov,  wie  es 
Aristophanes  in  den  Fröschen  1021  nennt,  sondern  lässt  auch  weit  mehr 
wie  die  vorgenannten  Stücke  den  Dialog  zur  Geltung  kommen,  ohne  dass 
deshalb  die  melischen  Partien  des  von  banger  Furcht  geschüttelten  Frauen- 
chors an  wirkungsvoller  Schönheit  etwas  eingebüsst  hätten.     Einen  Glanz- 
punkt der  Tragödie   bildet  die  Schilderung  der  sieben  feindlichen  Heer- 
führer und  der  sieben  Thebaner,    welche  an  jedem   der  sieben  Thore  der 
Stadt  einander  entgegenstanden,    wobei  mit  fein  berechnender  Kunst  der 
mit  besonderer  Liebe  nach  dem  Muster  des  tugendhaften  Aristides^)  ge- 
zeichnete Amphiaraos  und  das  unselige  Brüderpaar  Polyneikes  und  Eteokles, 
deren  Zweikampf  den  Höhepunkt  des  Dramas  bildet,   an   den  Schluss  ge- 
stellt sind.     Indes  die  volle  Herrschaft  über   den  Dialog  hat  doch  auch 
hier  der  Dichter  noch  nicht  gefunden,  indem  in  jener  langen  Partie  die 
Handlung  nicht  vom  Fleck   rückt  und  wir  mehr  nur  einen  Zyklus  von 
lebenden  Bildern  zu  schauen  vermeinen.    Auch  bedarf  bezeichnender  Weise 
d^s  Stück  noch  nicht  eines  dritten  Schauspielers,  sondern  nur  eines  weiteren 
Sängers  für  das  Klageduett  der  Antigene  und  Ismene.     Auffällig  ist,  dass 
der  Schluss  des  Stückes  (996 — 1070)  einen  durch  den  Verlauf  der  Hand- 
lung nicht  begründeten  Hinweis  auf  das  Verbot  der  Bestattung  des  Poly- 
neikes und  die  heroische  Weigerung  der  Antigene,  dem  Verbot  Folge  zu 
leisten,  enthält.     Derselbe  hat  die  Gelehrten,  bevor  Franz  im  Jahre  1848 
die  Didaskalie  im  Cod.  Laurentianus  entdeckte,  zu  allerlei,  jetzt  abgethanen 
Vermutungen  über  das  den  Sieben  nachfolgende  Stücke  verleitet.')     Denn 
durch  die  Didaskalie  wissen  wir  jetzt,   dass   die  Sieben  das  letzte  Stück 
der  Trilogie  waren,   in  ihrem  Schluss    also  nicht  die  Zuschauer   auf  ein 
folgendes  Stück  vorbereitet  werden  konnten.     Aber  jene  Partie,    in  der 
wir  auch  ganz  und  gar  die  Kühnheit  der  äschylischen  Diktion  vermissen, 
scheint  erst  später  bei  wiederholter  Aufführung  der  Tragödie  zugefügt  zu 
sein.') 

Von  den  mit  den  Sieben  verbundenen  Stücken  Laios,  Oedipus,  Sphinx 
sind  uns  leider  nur  ganz  dürftige  Überbleibsel  erhalten.*)  Aber  so  viel 
lernen  wir  auch  aus  der  erhaltenen  Tragödie  kennen,  dass  der  Dichter 
mit  grossem  Geschick  die  tragischen  Momente  des  alten  Mythus  theils  bei- 
behalten, teils  durch  wirksamste  Um-  und  Zudichtung  verstärkt  hat:  die 


*)  Den  Vers  579  ov  ydg  &oxely  agtaro^, 
aXX*  clyai  ^iXei  bezog  das  llieater  unter  lau- 
tem Beifall  auf  Aristides  nach  Plut.  Arist.  3. 

2)  Vgl.  MüLLBB,  Gr.  Litt.  I  540;  das 
Richtige  erkannte  schon  vor  Aufdeckung  der 
DidaskaUe  Nake  Rh.  M.  27,  194  ff. 

•)  Oberdioe,  De  exitu  fabulae  Aeschyli 
quae  Septem  adversus  Thebas  inscribitur, 
Arnsberg  1877. 

4)  Vermutlich  bildete  in  den  8  Stücken 


ein  Öffentliches  Unglück  den  Hintergrund  der 
Handlung :  in  den  Sieben  die  Belagenmg  der 
Stadt,  in  dem  Oedipus  ähnlich  wie  im  Oed. 
Tyr.  des  Sophokles  eine  verheerende  Pest, 
im  Laios  das  Unheil  der  Sphinx.  Die  rätsel- 
gebende  Sphinx  war  dann  selbst  in  burlesker 
Weise  in  dem  zugehörigen  Satyrspiel  yor- 
geführt  —  Zu  dem  thebanischen  Sagenkrös 
gehörten  auch  die  3  Stücke  ^Agy^oi,  '£l(v- 
üivioiy  *Eniyoyoi, 


C.  Drama.    2.  Die  Tragödie,    b)  Aisohyloa. 


155-156.) 


217 


Selbstblendung   des  Oedipus,    von   der  die   alte  Sage  bei  Homer  in   der 
Nekyia  (Od.  X  271)  ganz  schweigt/)  liess  Aischylos  in  wirksamster  Weise 
auf  die  Erkenntnis  der   blutschänderischen  Verbindung  mit  der  eigenen 
Matter  folgen  (Sept.  763  flf.);  die  vier  Kinder,  Eteokles  Polyneikes  Antigene 
Ismene,  welche  nach  dem  alten  Epos  Oedipus  mit  seiner  zweiten  Gemahlin, 
Euryganeia,  erzeugt  hatte,*)   machte  er  durch  schaudererregende  Modifi- 
kation der  Überlieferung  zu  unseligen  Sprossen   der  gottlosen  Ehe  des 
Sohnes  mit  der  Mutter.^)    Im  übrigen  passte  der  grause  Fluch,  den  nach 
dem  alten  Epos  der   Vater    über  seine  lieblosen  Söhne    ausstiess,    dem 
Tragiker  trefflich  in  seinen  Plan,  und  diente  der  trilogischen  Verknüpfung 
einzig  die  zwiefache  Schicksalsfügung,   dass  der  Sohn  den  Vater,   welcher 
die  Mahnung  des  Orakels  in  den  Wind  geschlagen  hatte,  ohne  Vorwissen 
tötet,  und  dass  an  den  Söhnen  hinwieder  der  Fluch,  den  der  gereizte 
Vater  im  Zorne  ausgestossen  hatte,  in  schrecklicher  Weise  sich  vollzieht. 
156.    Der  UQOfArj^evg  rffCjttcJinjg,   benannt  von  dem  Hauptträger 
der  Handlung,   ist  der  berühmte  Repräsentant  einer  Göttertragödie.     Zu 
einer  Trilogie  verbunden  war  derselbe  mit  dem  UQofxrjS^evg  Xvofisvog  und 
dem  IlQOfirj^svg  nvQifoqog,     Der   erstere  folgte   unmittelbar   auf  den   ge- 
fesselten Prometheus,  wie  aus  einer  Angabe  des  Scholiasten  zu  Vers  527 
feststeht,    und    enthielt   nach    einem    alten,    bereits    bei   Hesiod.  Theog. 
525  ff.  vorkommenden  Mythus    die  Erlösung  des  gefesselten  Prometheus 
dnrch  Herakles,  der  den  Adler,  welcher  dem  Halbgott  die  Leber  abfrass, 
mit  seinem  Bogen  wegschoss.^)     Den  nQoinf^&svg  nvgifOQog  hat  man  ehe- 
dem allgemein  das  erste  Stück  der  Trilogie  bilden  lassen,  in  der  Voraus- 
setzung,   dass   in    ihm    der  menschenfreundliche   Heros    unter    den    von 
Piaton  im  Protagoras  c.  11  geschilderten  Umständen  den  göttlichen  Feuer- 
funken den  hilflosen  Menschen  gebracht  habe. 5)    Die  Voraussetzung  wird 
wohl  richtig  sein  und  die  darauf  gegründete  Rekonstruktion  der  Trilogie 
ihre  Giltigkeit  behaupten.     Da  aber  Prometheus  nach  den  Scholien  zu 
Vers  94  in  jenem  Stücke  sagte,  dass  er  30000  Jahre  gefesselt  gewesen 
sei,  so  hat  Westphal,  Proleg.  zu  Aesch.  S.  207  flf.  die  Vermutung  gewagt, 


')  Die  Oidipodeia  des  Uiebanlschen  Epos 
kaaitte  die  Blendling,  wenn  anders  das  ScJio- 
Üoo  n  Enr.  Phon.  1760  em  Excerpt  der 
Oedipodie  enthfilt  (so  Bbtbs,  Thebanische 
Heldenlieder),  aber  unklar  bleibt,  ob  sie  die- 
selbe an  derselben  Stelle  wie  die  Tragödie 
«folgen  liess. 

*}  So  sicher  der  Dichter  der  Oidipodeia 
uch  dem  Zeognis  des  Pansanias  IX  5,  11; 
vabracbeinlich  aber  dachte  sich  so  anch 
a.  0.  das  Sachverhältnis.  Nach  Pau- 
hat  anch  noch  der  Maler  Onasias, 
«in  Zeitgenosse  des  Polygnot,  anf  einem  Ge- 
nSUe  dargestellt  xfttrjqyfj  xtjp  Ev^t^ytiveiay 
i^l  Iß  fittZB  ''^^  naidfoy. 

»)  Sept.  739,  913,  1023. 

^)  Nach  den  zahlreichen  Fragmenten  des 
Snechiachen  Originals  und  der  lateinischen 
fitttheitang  des  Accius  hat  Schövann, 
Grafsw.  1844  eine  poetische  Rekonstruktion 


des  gelösten  Prometheus  yersucht,  wobei  er 
freilich  gleich  im  Anfang  bedenklich  von  dem 
Original  abwich,  da  dieses  nach  Prokop  Hist. 
Goth.  IV  6  mit  dem  Chor  der  Titanen  anhub. 
—  Die  schöne  Mythe  wurde  auch  durch  die 
bildende  Kunst  verherrlicht,  wie  auf  dem 
kapitolinischen  Prometheussarkophag,  einem 
pompeianischen  Wandgemälde  (Heibig  n. 
1128),  einem  Gemälde  der  ViUa  Pamfili  (O. 
Jahk,  Abb.  d.  b.  Ak.  VIII  2),  einer  neuerdings 
aufgefundenen,  von  Milchhöfbb,  Befreiung 
des  Prometheus,  42.  Winckelmann's  Pro- 
gramm (1882),  richtig  gedeuteten  Marmor- 
gruppe von  Pergamon. 

^}  Welcker,  Die  äschyl.  Trilogie  Pro- 
metheus und  die  Kabirenweihe  zu  Lemnos, 
nebst  Winken  über  die  Trilogie  des  Aesch. 
überhaupt,  Darmstadt  1824,  mit  Nachtrag, 
Frankfurt  1826. 


[ 


218  Griechisohe  litteratnrgeaohlohte.    I.  ElasBisohe  Periode. 

dass  vielmehr  der  feuertragende   (nicht  feuerbringende)  Prometheus    den 
SchluBs  der  Trilogie  gebildet  habe  und  ähnlich  wie  die  Eumeniden    zur 
Verherrlichung  eines  attischen  Festes,  der  Prometheia,  bestimmt  gewesen 
sei.^)     Die  hohe  Bedeutung  des  uns  erhaltenen  Stückes  liegt  nicht  in  dem 
Aufbau  der  Handlung,  die  vielmehr  sehr  geradlinig  verläuft  und  durch  die 
locker  eingelegte  Episode  der  gleichfalls  durch  Zeus  ins  Unglück  gestürzten 
und  auf  ihren  Irrfahrten  bis  zum  Kaukasus  kommenden  lo  ^)  mehr  gedehnt 
als  verwickelt  wird;  sie  liegt  vielmehr  in  der  grossartigen  Zeichnung  des 
Titanen,   der  als  gemarterter  Dulder  für  die  dem  Menschengeschlecht  ei^ 
wiesenen  Wohlthaten  an  die  hehre  Gestalt  des  christlichen  Menschener- 
lösers erinnert,  3)  in  dem  gewaltigen  Trotz  aber,   mit  dem  er  die  Aussöh- 
nungsversuche der  neuen  Qötter  von  sich  weist,  die  heroische,  selbstherrische 
Natur  des  Dichters  selbst  widerspiegelt.     Von  überwältigender  Wirkung 
ist  namentlich  der  Schluss  der  Tragödie,   wo  der  Fels,   an  den  der  Heros 
geschmiedet  ist,  unter  Donner   und  Blitz  versinkt.*)     Der  Triumph    des 
Unterliegens  ist  niemals  grossartiger  dargestellt  worden;  schwächer  sind 
die  mittleren  Partien  infolge  der  Magerkeit  des  Stoffes.     Im  übrigen  gehört 
das  Drama  zu  der  Klasse  der  TQaYfpdiai  tsqaxo^Seiq^  da  schon  die  äusseren 
Erscheinungen  des  an  den  Fels  geschmiedeten  Prometheus,  der  durch  eine 
Maschine  niedergelassenen  Okeaniden,  des  auf  einem  Wundervogel  herbei- 
gekommenen Okeanos  und  der  in  eine  Kuh  verwandelten  lo  Staunen  bei 
den  Zuschauern  hervorrufen  mussten,  aber   auch  ganz  ausserordentliche 
Anforderungen   an  den  Maschinisten  stellten.^)     Mit  den  fabelhaften   Ge- 
stalten  der  Scene  harmoniert  auch   der  geographische  Hintergrund,    der 
uns  in  dem  erhaltenen  Stück  in  die  ferne,  nebelhafte  Oegend  des  Kaukasus 
versetzt,  und  in  dem  nachfolgenden  Stück  einen  Blick  nach  dem  äussersten 
Westen,  als  dem  Schauplatz  der  Thaten  des  Herkules  eröffnete.    Der  sprach- 
liche Ausdruck   und  das  Metrum   unseres  Prometheus  bieten  eine   merk- 
würdige Mischung  alten  und  neuen  Stils:   einerseits  klingt   der  Wechsel- 
gesang der  Parodos  mit  seinen  weichen  ionischen  Versen  an  jüngere  Formen 
des  Dramas  an;   andererseits  gibt  sich  in  dem  Bau  des  Dialogs  und  na- 
mentlich in  den  Reden   des  Chorführers,   der  regelmässig  vier  iambische 
Trimeter   spricht,«)   eine  auffällige  Steifheit   der  Symmetrie  kund.     Aber 


^)  Fflr  die  Deutang  von  nvQ^poQos  spricht 
Pollnx  8,  116:  nvQCpÖQO^  '  nah  fivQ  im  rovg 
ßuifjLovg  imxi&eig^  was  indes  auch  auf  die 
Komödie  UvQffoQog  des  Diphilos  bezogen 
werden  kann.  Wahrscheinlich  indes  hat  der 
Scholiast  sich  in  seinem  Gitat  irrtümlich  auf 
den  JlQOfÄ.  Tivgq^oQog  statt  auf  den  Jlgofi. 
XvofjiBvog  bezogen.  Wenigstens  erzählte  nach 
dem  Citat  des  Philodemos  de  pietate  p.  39 
ed.  Gomperz  ^Aia/vXog  iv  rw  Xvojuey<o  JIqo- 
fxrj^Bi  .  .  .  vno  Jiog  dedia&ai  (vgl.  Nauck 
TGF*  p.  69)  Prometheus  auch  in  dem  ge- 
lösten Prometheus  von  seiner  Fesselung  durch 
Zeus.  Ueberdies  ist  es  weder  Westphal 
noch  einem  seiner  Anhänger  gelungen,  für 
das  von  ihnen  angenommene  dritte  Stück 
der  Trilogie  einen  ausreichenden  Stoff  zu  ge- 
winnen.   Die  auch  von  uns  jetzt  gebilligte 


Meinung,  dass  der  JlQOfj,.  nv^qmgos  das  ei-ste 
Stück  der  Trilogie  gebildet  habe,  wird  gut 
verteidigt  von  Bussleb  Jhrb.  f.  cl.  Phil.  1893 
S.  276  ff. 

^)  Näher  ward  einigermassen  die  lo  dem 
Prometheus  dadurch  gerückt,  dass  der  13. 
Nachkomme  derselben,  Herakles,  dem  Pro- 
metheus Erlösung  bringen  sollte;  s.  Prom. 
897  ff. 

3)  Lasaulx,  Prometheus,  die  Sa^e  und 
ihr  Sinn,  Würzb.  1844. 

*)  Merkwürdig  ist,  dass  im  Anfang  dee 
folgenden  Stückes  Prometheus  wieder  an  den 
Felsen  gekettet  erschien. 

^)  Auch  die  Parodie  in  Aristopfaanes 
Vögel  1494-1551  hat  den  Charakter  des 
Wunderbaren. 

«)  Prom.  196—9,245—8,  262—5, 474-  7, 


C.  Drama.    2.  Die  Tragödie,    b)  Aisohylo«.    (§  157.) 


219 


wenn  auch  Metrum,  Scenerie  und  Anlage  unseres  Stückes  vieles  Auffallige 
haben  und  somit  den  Oedanken  der  Überarbeitung  eines  alten  äschylischen 
Stackes  für  die  Bühne  einer  jüngeren  Zeit  nahelegen,^)  so  wage  ich  doch 
nicht  diesem  Gedanken  Raum  zu  geben,  so  lange  es  nicht  gelingt,  die 
angeblich  alten  und  jungen  Partien  derart  zu  scheiden,  dass  darüber  nicht 
der  ganze  Bau  zusammenbricht.  —  Über  die  Zeit  der  Aufführung  fehlen 
nns  didaskalische  Zeugnisse.  Der  Hinweis  auf  die  Sikiliens  Fluren  ver- 
wQstenden  Feuerströme  des  Typhon  (V.  383  if.)  zeigt,  dass  das  Stück  nach 
dem  Ausbruch  des  Aetna,*)  und  dem  Aufenthalt  des  Dichters  am  Hofe 
des  Hieron  gedichtet  wurde.  Ebenso  lehrt  die  Vergleichung  von  Prom. 
876  und  888  mit  Suppl.  45  und  230,  dass  unser  Prometheus  nach  den 
Schotzfiehenden  anzusetzen  ist.^)  Weiter  herab,  auf  die  Zeit  nach  468 
führt  der  Prolog  des  Dramas;  nicht  bloss  beginnen  noch  die  472  gegebenen 
Perser  nach  altertümlicher  Weise  direkt  mit  dem  Einzug  des  Chors  ohne 
jeden  Prolog,  es  konnte  auch  unser  Prolog  kaum  anders  als  mit  drei 
Schauspielern  (Hephaistos,  Kratos,  Prometheus)  gespielt  werden.^)  Nahe 
an  die  Enmeniden  rücken  den  Pometheus  auch  die  beiden  Tragödien  ge- 
meinsamen Klagen  über  die  neuen  Götter  und  die  neuen  übermütigen 
Machthaber,  aus  denen  der  Unmut  des  alten  Optimaten  über  die  frei- 
geisterischen  und  demokratischen  Grundsätze  der  perikleischen  Staats- 
verwaltung deutlich  herausklingt.  0)  Hat,  wie  ich  vermute,  Pindar  P.  IV  291 
mit  liffe  3^  Zevg  a^&itoq  Tixävaq^  iv  di  XQÖvo^  (istaßoXal  Xij^avtoc  otQov 
iOTteov  auf  unsere  Trilogie  angespielt,  so  ist  auch  ein  Terminus  ante  quem 
gegeben,  da  jene  Ode  des  thebanischen  Sängers  auf  einen  pythischen  Sieg 
im  August  des  Jahres  466  geht.^) 

167.   'AyafiBfAvmv,  XoTjipoQoi  und  Ev/ievtäeg  bilden  zusammen  die 
sogenannte  Orestie,^)  welche  458   zur  Aufführung  kam  und  den  ersten 


509-12,  630—3,  780-3,  817—20,  1035-8. 
^le  Ihnliche  Starrheit  der  Symmetrie  zeigt 
eich  im  Wechsel  von  je  1  und  2  Versen 
39-  81  IL  381—6. 

')  Die  Annahme  einer  Ueberarheitang 
schon  aufgestellt  von  Röhlbks,  Septem  ad- 
Tersos  Thebas  et  Prometheum  vinctum  esse 
€a1mlj8  post  Aeschylom  coirectas,  Berlin  1882, 
wird  neoerdings  mit  Bezug  auf  die  Theater- 
iedmik  verfochten  von  Bbthe,  Prolegomena 
mr  Geschichte  des  Theaters  Kap.  9,  wo- 
nacli  insbesondere  der  kflhne  Gebrauch  der 
Fhigmaschine  in  unserem  Stfick  auf  eine 
Ueberarbeitang  nach  dem  Pegasus  des  Euri- 
pides  hinweist  Dagegen  Robbbt  Herrn.  31 
(1896)  561  ff.,  indem  er  auch  in  diesem 
StBck  seine  Grube  anwendet  und  in  der  Mitte 
der  Orchestra  den  Felsen,  an  dem  Prometheus 
aogefesselt  wird,  aufgebaut  denkt. 

')  Die  gUnzende  Schilderung  Pindars 
F.  1 15 — 28  scheint  das  Vorbild  für  die  matten 
Verse  Pnmt.  367 — 388  gewesen  zu  sein.  Dass 
AisAjlos  gerade  in  diesem  Stfick  von  Pin- 
ht  beeinflnsst  war,  zeigt  besonders  die  Ver- 
gleidnmg  von  Find.  Is.  VIII  32  mit  Prom. 
786  £ 


•)  Wenn  die  Irrfahrten  der  lo  in  Prom. 
819  ff.  etwas  abweichend  von  Suppl.  556  ff. 
erz&hlt  sind,  so  hängt  dieses  mit  der  dem 
Prometheus  eigentümlichen  Neigung  zum 
Wunderbaren  zusammen. 

^)  Ausser  diesen  3  Schauspielern  be- 
durfte es  noch  der  stummen  Person  der  Bia. 
Mit  2  Schauspielern  und  1  stummen  Person 
käme  man  nur  aus,  wenn  man  den  Kratos 
V.  84  verschwinden  und  rasch,  vor  V.  88, 
in  die  den  Prometheus  vorstellende  Puppe 
schliefen  Hesse,  was  schon  wegen  der  tech- 
nischen Schwierigkeit  unwahrscheinlich  ist. 
Bezüglich  der  Vorausschickung  eines  Pro- 
loges bemerke  man  indes,  dass  schon  476 
Phrynichos  seine  PhOnissai  mit  Versen  des 
Schauspielers  beginnen  liess. 

^)  Namentlich  spiegeln  sich  in  der  Er- 
zählung des  Prometheus  199  ff.  von  der  Ent- 
zweiung der  Götter,  bei  der  die  List  obsiegt 
imd  gute  Dienste  mit  Undank  belohnt  wer- 
den, die  Parteiverhältnisse  Athens  jener 
Zeit. 

«)  Vgl.  Westphal,  Proleg.  zu  Aesch.  14  ff. 

^)  Nach  Aristoph.  Ran.  1127  war  Ore- 
steia  ein  anderer  Name  für  das  MittelstUck, 


220  Griechisohe    Litteratnrgeschichte.    I.  Klasaischa  Periode. 

Preis  erhielt.^)    Das  Satyrspiel  dazu  war  der  Proteus,  auf  den  schon  im 
Agamemnon  V.  834  hingewiesen  wird')   und  der  mit  den  drei  Tragödien 
insofern  zusammenhing,  als  der  Meergott  Proteus  bei  Homer  Od.  (f  511  ff. 
dem  Menelaos  das  schauerliche  Geschick  des  Agamemnon  weissagt.     Die 
uns  erhaltenen  drei  Tragödien  waren   wahrscheinlich  die  letzten,  welche 
Aischylos  in  Athen  zur  Aufführung  brachte,  da  er  bald  darauf  nach  Sikilien 
auswanderte  und  dort  den  Tod  fand.     Jedenfalls  sind  sie  die  vollendetsten 
unter  den  uns  erhaltenen,  und  ist  namentlich  der  Agamemnon  das  er- 
habendste   und  ergreifendste,  was   überhaupt  ein  Diener  der  Melpomene 
geschaffen  hat.     Den  Stoff  zur  Trilogie,  deren  drei  Teile,  Mord  des  heim- 
kehrenden Königs,  Bache  des  Orestes  an  der  unnatürlichen  Mutter  und  ihrem 
Buhlen  Aigisthos,  Sühnung  des  von  den  Furien  verfolgten  Muttermörders, 
ein  grosses  in  sich  geschlossenes  Ganze  ausmachen,  entnahm  der  Dichter 
in  der  Hauptsache   dem   Homer.     Dieser  kannte  bereits  die  Ermordung 
des  heimkehrenden  Agamemnon  und  die  Rache  des  Orestes  an  den  Mördern 
seines  Vaters.     Anderes,  wie  die  treue  alte  Amme,  die  den  kleinen  Orestes 
vom  Verderben  rettet,   hatte  der  Lyriker  Stesichoros  in  seiner  Oresteia 
hinzugefügt.^)    Pindar,  der  in  dem  Siegesgesang  Pyth.  XI  nach  den  Spuren 
des  Stesichoros  die  Rückkehr  des  Orestes  und  die  Ermordung  der  Klytai- 
mestra  und  des  Aigisthos  erzählt,  hatte  auch  bereits  den  Versuch  gemacht, 
die  grausame  That  der  Klytaimestra  aus  der  berechtigten  Eifersucht  der 
Königin  gegen  die  neue  Nebenbuhlerin  Kassandra  und  aus  dem  alten  Groll 
der  Mutter  über  die  Schlachtung  ihrer  Tochter  Iphigeneia  zu   erklären.^) 
Aischylos  fand  also  bereits  einen  bis  in  die  Einzelheiten  gut  vorbereiteten 
Stoff  vor;  aber  bewunderungswert  bleibt  doch  die  einzige  Kunst,  mit  der 
er  teils  überlieferte  Züge  der  Sage  für  seine  Zwecke   verwertete,   teils 
neue  Motive  hinzu  erfand,   damit   der  Mythus  einerseits  zu  drei  Stücken 
ausreichte,   anderseits  zu  Athen  und  den  Athenern   in  nähere  Beziehung 
trat.     Im   Homer  Od.  4,   524    las  bereits  Aischylos,    dass    der    schlaue 
Aigisthos  einen  Späher  aufgestellt  hatte,  damit  ihn  nicht  Agamemnon  durch 
plötzliche  Ankunft  überrasche ;  diesen  Späher  griff  er  auf;  um  die  Trilogie 
mit  dem  wirkungsvollen  Prolog   des  auf  dem  Dache  sitzenden  Wächters 
einzuleiten  (1—39)  und  daran  im  weiteren  Verlauf  die  anziehende  Schilde- 
rung von  dem  griechischen  Telegraphen  vermittelst  Feuersignale  zu  reihen 
(241—316).      In   der  Odyssee   9,  422   war   auch   schon  angegeben,   dass 
Kassandra  als  Kriegsgefangene  dem  Oberführer  der  Griechen  zugefallen, 
dann  aber  von  Klytaimestra  ermordet  in  das  Schattenreich  hinabgegangen 
war.     Aischylos  griff  auch  diese  Überlieferung  auf,  damit  Kassandra  einer- 


die  Choephoren;  erst  von  den  Neueren  wurde  gleichen    Mythus    behandelt    hatten,     vg). 

der  Name  auf  die  ganze  Trilogie  übertragen.  Raoul-Roohbttb,  Orestöide,  in  Montun.  inM. 

*)  Arg.  Agam.:  ididd^fkrj  t6  if^afia  ijil  1833. 

aQxoyxoq  4'tXoxXeovg  6X,  n    eiev  ß'  .  -ngmiog  ^)  Die  Ode   ist  gedichtet  auf  einen  py- 

JiaxvXog  ^Ayttfx^fxvoyi^  XotjtfoQoig,  Ev/ueyicf-,  thischen  Sieg  des  Jahres  478,  also  ror   der 

TjQtjTsTacitvQixtajixoQfjyetSByoxXrjg'Afpidyevg.  Orestie    des    Aischylos.     um    die   Prioritili 

')  Dieses  ist  fein  bemerkt  von  Böckh,  !  unseres  Tragikers  zu  retten,  hatte  ich  firOher, 

De  trag.  gr.  princ.  p.  268.  1   Stzb.  d.  b.  Ak.  1889  S.  13  ff.  eine  andere  Da- 

')  Hom.  Od.  ;^  262— 314  u.  X  405-434.  '  tiemng  des  pindarischen  Siegesgesangs  ver- 

*)  üeber  die  Lyriker  Xanthos  und  Stesi-  !  sucht,    habe    dieselbe   aber  jetzt  selbst    in 

choros,    die    schon    in   ihren    Orestien   den  i  meiner  Pindarausg.  p.  223  aufgegeben. 


I 


C.Drama.    2.  Die  Tragödie,    b)  AiechyloB.    (§157.)  221 

seits  die  Eifersucht  der  Elytaimestra  errege  und  somit  deren  Schuld  min- 
dere, anderseits  mit  ihrem  Seherblick  die  grauenhaften  Vorbereitungen 
zur  entsetzlichen  Mordthat  schaue  und  in  ergreifenden  Versen  den  Zu- 
schauem voraus  verkünde  (Agam.  1072—1320).  Ganz  neu  von  Aischylos 
hinzugedichtet  ist  der  wesentliche  Inhalt  des  dritten  Stückes,  die  Frei- 
sprechung des  Orestes  auf  dem  Areopag  durch  den  Stiohentscheid  der 
Göttin  Athene  (calculus  Minervae)  ^)  und  die  Versöhnung  der  Erinyen,  die 
aus  bluttriefenden  Furien  in  segenspendende  Huldgöttinnen  sich  wandeln. 
Der  Dichter  hat  diesen  Teil  speziell  für  Athen  und  die  Verherrlichung 
des  gerade  damals  von  der  demokratischen  Partei  hart  angegriffenen  Gerichts- 
hofes auf  dem  Areopag  gedichtet.^)  In  dem  Mittelstück,  das  von  den  die 
Todesspende  zum  Grabhügel  des  Agamemnon  tragenden  Chorjungfrauen 
den  Namen  Xorjifogoi  erhielt,  rührt  die  Art  der  Wiedererkennung  des 
Geschwisterpaares  von  der  Erfindung  des  Dichters  her.  Diese  letzte  Partie, 
wo  Elektra  den  Bruder  an  der  dem  Toten  geweihten  Haarlocke  und  an 
der  Grösse  der  Fusstapfen  erkennt,  ist  freilich  unserem  Dichter  wenig  ge- 
glückt, namentlich  wenn  man  die  Feinheit  der  sophokleischen  Elektra  da- 
neben hält.')  Um  so  wirkungsvoller  aber  waren  die  aus  Stesichoros  her- 
übergenommenen und  für  die  Bühne  weiter  entwickelten  Motive  der  treuen 
alten  Amme  und  des  unglück-ahnenden  Traumes  der  Königin. 

Mehr  indes  als  alle  diese  Vorzüge  der  Erfindung  bedeutet  der  grosse 
Fortschritt,  den  die  Kunst  des  Dichters  in  der  ganzen  Anlage  dieser  seiner 
letzten  Trilogie  zeigt.  Er  hat  nicht  bloss  von  dem  dritten  Schauspieler 
vollen  Gebrauch  gemacht,  er  hat  denselben  auch  meisterhaft  verwertet, 
Qm  eine  spannendere  Entwicklung  in  die  Handlung  zu  bringen  und  die 
Charaktere  durch  gegenseitige  Hervorhebung  schärfer  hervortreten  zu 
lassen.  Dabei  bewährte  er  zugleich  die  alte  Grossartigkeit  seiner  Natur 
in  der  grandiosen  Zeichnung  der  rachebrütenden,  nach  dem  Blute  des  ge- 
hassten  Gemahls  lechzenden  Klytaimestra,^)  in  der  grausigen  Scene  des 
die  Mutter  zur  Mordstätte  zerrenden  Orestes  (Choeph.  880—930),  in  der 
wirkungsvollen  Gegenüberstellung  der  alten  und  neuen  Weltordnung  in 
den  Eumeniden.  In  den  Ghorliedern  aber  hat  er  anfangs  durch  Rückblicke 
in  die  Vergangenheit,  den  Auszug  der  Achäer,  die  Opferung  der  Iphigeneia, 

*)  Diese  Abstiiiiinimg  der  Minerva  ist  '  Poet.  16  tadelnd  bemerkt;  über  aie  witzelt 
dargestellt  auf  dem  beriämten  corsinischen  I  selbst  Aristophanes  Nub.  536.  lieber  das 
Silberbeciier,  Baumeister,  Denkm.  d.  kl.  Alt.  |  Verhältnis  der  Choephoren  mid  der  Elektra 
0.1316.  ist  unendlich  viel  geschrieben;  ich  begnüge 

')  Die  Einsetzang  des  Areopag  wird  mich  zu  verweisen  auf  A.  W.  Schlegel, 
fderlich  von  Athene  verkündet  Eum.  684  i  Vorles.  üb.  dram.  Kunst  1  222  245;  Fleisch- 
bis  713;  diese  Bede  will  indes  Wbcklein,  mann,  Kritische  Studien  über  die  Kunst  der 
Stzb.  d.  b.  Ak.  1887,  S.  64,  hauptsächlich  l  Charakteristik  bei  Aesch.  u.  Soph.,  Nürnberg 
wegen  der  lokalen  Schwierigkeit,  welche  das   '    1875  u.  Jahrb.  f.  Phü.  115,  513  flf. 

*)  Das  Mass  überschreitet  Aisch.,  wenn 
er  Agam.  1388  den  Blutstrahl  des  hinge- 
schlachteten Königs  mit  dem  segenbringen- 
den Regen  vergleicht.  Den  Anstoss,  den 
unser  Gefühl  an  der  Unthat  der  Gattin  und 
des  Sohnes  nimmt,  hat  mein  Freund  Siegert 
in  seiner  Tragödie  Klytämnestra  durch  voll- 
ständige Umdichtung  zu  beseitigen  gewagt. 


Pronomen  o^e  in  nuyov  ^Aquov  xoyde  (688 
B.  691)  bietet,  für  eine  junge  Interpolation 
losgehen.  —  üeber  die  Verbindung  des  Areo- 
pag mit  dem  Kulte  der  SsfAval,  die  an  der 
Eiischlucht  des  Areshügels  einen  altehr- 
vfirdigen  Gottesdienst  genossen,  s.  Töpffer, 
Attische  Genealogie  170  ff. 

*)  Die    Wiedererkennungsscene    beruht 
Inf  klügelnder  Schlossfolgerung,  was  Aiist. 


i 


222  Grieohisohe  Litteratnrgesohiohie.    I,  KUsBiaohe  Periode. 

den  Raub  der  Helena,  die  Züchtigung  der  Troer,  die  Gewitterwolken  sich 
allmählich  auftürmen  lassen,  dann  aber  nach  vollbrachter  Blutthat  das 
Walten  der  höheren  Mächte  und  die  hehre  Notwendigkeit  unerbittlicher 
Bestrafung  begangenen  Frevels  in  erhabenster  Sprache  verkündet.  Wenn 
irgendwo,  so  sieht  man  aus  den  Eumeniden,  dass  Aischylos  nicht  bloss 
den  Zuhörern  einen  Genuss  durch  Entfaltung  seiner  dichterischen  Kunst 
bereiten,  sondern  auch  Lehrer  seines  Volkes  und  Verkünder  der  höchsten 
Sittengesetze  sein  wollte.  Einen  gewaltigen  Eindruck  hat  namentlich  zu 
allen  Zeiten  auf  jeden  empfindenden  Leser  die  grandiose,  tiefsittliche 
Auffassung  der  Rachegeister  gemacht;  wiedergegeben  hat  denselben  nie- 
mand besser  als  Schiller  in  den  Kranichen  des  Ibykus. 

Wenn  etwas  in  unserer  Tragödie  wie  in  den  Dramen  des  Aischylos 
überhaupt  uns  nicht  befriedigt,  so  ist  es  die  Auffassung  des  Schicksais 
und  die  Stellung  der  Religion  zur  Sittlichkeit.  Wir  lassen  es  uns  noch 
gefallen,  wenn  Apollo  selbst  dem  Orest  befiehlt,  den  Tod  des  Vaters  an 
der  frevelhaften  Mutter  zu  rächen.  Denn  Schuld  verdient  Sühne  und  fest 
stand  auch  den  Griechen  wie  allen  Naturvölkern  die  Vorstellung  von  der 
sittlichen  Berechtigung  der  Blutrache.  Aber  warum,  so  werden  wir  doch 
fragen,  muss  denn  Orestes  so  schwer  unter  dem  leiden,  wozu  ihn  ein 
Gott  selbst  angetrieben  hatte?  Eine  befriedigende  Antwort  darauf  i^rd 
nicht  möglich  sein.  Noch  weniger  aber  befriedigt  die  Behandlung  des  Mythus 
von  der  Schlachtung  der  Iphigeneia  durch  ihren  eigenen  Vater.  Wir  be- 
greifen es,  wenn  die  Mutter  dem  unnatürlichen  Vater  die  unmenschliche  That 
nicht  verzeiht.  Hingegen  empört  es  uns,  wenn  der  Dichter  den  Heerführer 
von  der  Schuld  freispricht,  da  er  sich  nur  der  Macht  des  Schicksals  und  dem 
Spruche  des  göttlichen  Sehers  Kalchas  gefügt  habe.  Denn  wie  konnte  die  reine 
Göttin  Artemis  in  ihrem  Groll  ein  so  fluchwürdiges  Opfer  verlangen  ?  und 
warum  lehnte  sich  nicht  das  Vaterherz  des  Agamemnon  gegen  den  Aus^ 
Spruch  des  Priesters  auf?  Eine  Entschuldigung  für  eine  derartige  Dar- 
stellung liegt  nur  in  dem  Ansehen  der  Überlieferung  und  in  dem  Glauben 
des  Volkes  an  die  Wahrheit  der  Überlieferung.  Aber  damit  wird  nur 
der  Dichter  entschuldigt,  der  sich  die  Volksanschauungen  zu  Nutzen 
machte,  nicht  aber  unser  Sittlichkeitsgefühl  versöhnt  und  nicht  Aischylos 
als  Mensch  und  Vertreter  reiner  Gotteslehre  gerechtfertigt,  i)  Doch  das 
sind  Punkte,  welche  über  die  Würdigung  des  Dichters  Aischylos  hinaus- 
reichen  und  die  Stellung  betreffen,  welche  der  Volksglauben  der  Hellenen 
selbst  zu  dem  Ideal  reiner  Religiosität  einnimmt. 

168.  Verlorene  Dramen.  Aischylos  hat  seine  Dramen  '^^fidxr^ 
Twv  t>iiir^Qov  ^sydltüv  Seinvwv  genannt.*)  Das  hat,  wenn  wir,  wie  billig, 
auf  den  Inhalt  schauen,  nur  zum  Teil  seine  Richtigkeit,  und  überhaupt 
nur,  wenn  wir  bei  dem  Namen  Homer  an  den  Dichter  des  gesamten 
epischen  Kyklos  denken.  Aus  dem  troischen  Sagenkreis  nämlich  entlehnte 
er  den  Stoff  zur  Trilogie  von  Hektors  Tod  und  Lösung,  oder  zu  den  Tra- 


*)  Aehnliche  Gedanken  entwickelt  Plöss,   I  ')  Ath.  347  e;   beachtenswert    ist,    da 

Die  Tragödie  Agamemnon  und  das  Tragische,   |   keiner  der  Titel   des  Phiynichos  auf  Homer 
Progr.  Basel  1896.  hinweist 


C.  Drama.    2.  Die  Tragödie,    b)  AiaohyloB.    (§$  158—159.)  223 

gödien  MvQfjuiovsg^  NrjQetieg^  ^Qvytq  r^  "Exxoqog  Xvxqu  (nach  Ilias  / — ß),i) 
ferner  zu  den  KaQsg  (von  Sarpedons  Tod),*)  MäfAvcov  und  ^ixoa%aa(a 
(Wägung  der  Todeslose,  nämlich  des  Memnon  und  Achill,  nach  der 
Aithiopis  unter  Anschluss  an  II.  X  209  fif.),  zu  "Onhav  x^iag,  O^f^caai  (von 
Aias  Tod)  und  2aXafi(viai  (nach  der  kleinen  Ilias),  zu  (DiloxTr;trjg^)  und 
Ar^fivm  (ebenfalls  nach  der  kleinen  Dias),  zu  'ig^iyt-veia,  Ti^Xtifog  und 
UalaiiT^irfi  (nach  den  Kyprien),  zu  ^Pvxaywyoiy  nrjveloTrrj^  KtQxrj  aaxvQixi] 
(nach  Telegonie).  Dem  Dionysosmythus,  der  alten  Quelle  der  tragischen 
Kunst,  war  entnommen  die  Tetralogie  AvxovQyeia^  zu  welcher  die'Hdwvoi 
ßoaaä^i^  Neaviaxoij  Avxovqyog  aaivqixog  gehörten,^)  femer  die  Stücke 
Biv&ftg^  BdvTQiai,  StfAeltj  rj  vdQotpoQoi^  Jiovwfov  tqo^oi\  welche  gleich- 
Ms  zusammen  eine  Tetralogie  gebildet  zu  haben  scheinen.  Der  Argo- 
nautensage  gehörten  an  'Ad'dfiag^  ^YipmvXrj,  'AQyw,  KdßeiQoi^^)  vielleicht 
aach  0€iaQoi  rj  'i<f&fnaatai\  Näfiea,  Auf  verschiedene  andere  Sagenkreise 
bezogen  sich  die  ^AQyeToiy  'EXsvmnoi,  ^Eniyovoi  (Adrastossage),  (t^oQxtSeg^ 
ßolvisxtrjg  (Perseussage),  'Alxfiijvrj,  ^HQaxXeidm  (Heraklessage),«)  ''HXiddsg 
(Tod  des  Phaethon),  To^&näeg  (Untergang  des  Aktaion),  Ntoßrj,  7)  "ATaXdvTr;, 
7f«'«i',  neQQaßßideg,  2iav(pog.  Nimmt  man  noch  hinzu,  dass  Aischylos  auch 
die  Göttermyihe  auf  die  Bühne  gebracht,  das  Wagnis  einer  politischen 
Tragödie  versucht,  in  den  AhvaTai  die  Lokalsage  dramatisiert,  gelegent- 
lich auch  Elegien  und  Epigramme  gedichtet  hat,  so  bekommt  man  eine 
Ahnung  von  der  Vielseitigkeit  und  der  Originalität  des  Begründers  der 
Tragödie. 

169.  Die  Kunst  des  Aischylos.  Die  eigentlichen  Verdienste  des 
Aischylos  um  die  dramatische  Kunst  liegen  nur  zum  kleineren  Teil  in  dem 
Reichtum  des  Stoffes,  sie  sind  vorzüglich  in  der  Gestaltung  des  Mythus 
Dnd  in  der  Ausbildung  der  dramatischen  Darstellungsmittel  zu  suchen. 
Die  letzteren  fasst  Aristoteles,  Poet.  4  in  die  Worte  zusammen:  ro  te 
fiv  vTToxQiTfov  TtXfjx^og  ۤ  ivog  alg  dvo  n^wTog  AiaxvXog  rjyaye  xai  zd  tov 
to^v  riXditfocs  xai  lov  Xoyov  nQcoraytoviaTijv  nuQeaxsvaas,^)  Wir  sahen 
oben,  dass  in  diesen  Punkten  sich  der  Dichter  allmählich  vervollkommnete: 


')  Wbcklbix,   üeber  eine  TrUogie  des  I  423    hervorgezogen    von    Wilamowitz,    De 


Aeschylos,  Sizb.  d.  b.  Ak.  1891  S.  327  ff. 

')  Von  den  KuQeg  (im  Sinne  von  Avxioi) 
wurde  ein  Fragment,  in  welchem  Europe,  des 
Svpedon  Maitor,  mn  ihren  Sohn  bangt,  ans 
«nein  Papyrus  ans  Licht  gezogen  von  Weil, 
NoQveaaz  fragments  d'  Enripide  et  d'  autres 


Rhesi  scholüs,  Ind.  lect.,  Greifsw.  1877. 

')  In  der  Niobe  sass  nach  der  Vita  die 
Heldin  stamm  in  den  Mantel  gehüllt  aaf 
dem  Grabe  der  Kinder;  ähnlich  verhüllt  soss 
Achill  da  in  Hektors  Lösung,  was  den  Spott 
der    Komiker,    wie    des  Aristoph.  Ran.  912 


poHcs,  Paris  1879;  Blass  Rh.  M.  35,  74  ff.,      herausforderte. 

jetzt  aach  bei  Naück  TGF«  33.  '  ^)  Vgl.  Diog.  III  56;  auch  die  Erfindung 


')  üeber  die  Abweichang  des  Aschylischen 
PUIoktet  vom  sophokleischen  s.  Dio  Chrys. 
or.  LH    Der  Chor  bestand   aus  Lemniem. 

^)  Eine  Lykargeia  hatte  auch  Polyphrad- 
Boo  im  Wettstreit  mit  Aischylos  Sieben 
aofigefthrt 

')  AafgefBhrt  worden  dieselben  nach 
den  FeldzOgen  am  Strymon  um  466,  nach 
WiuÄowiiz  Herrn.  21,  612. 

*)  Von  den  Herakliden  wurde  ein  neues 
^n^neni  ans  Schol.  Aristidis  des  Cod.  Marc. 


des  3.  Schauspielers  wird  ihm  zugeschrieben 
von  Themist.  or.  XXVI  p.  382  D  (das  Zeugnis 
wegemendiert  von  Usener  Rh.  M.  25,  579), 
und  von  einigen  in  der  Vita;  mit  welchem 
Recht,  haben  wir  oben  bei  den  Sieben,  Pro- 
metheus und  Orestie  gesehen.  Sogar  noch 
einen  vierten  Schauspieler,  der  aber  nm- 
weniges  zu  sagen  brauchte  {naQaxoQtjytjfÄtt), 
fühi-te  er  in  dem  Memnon  ein;  s.  Pollux, 
4,  HO. 


224 


Ghriechische  Litteratnrgeschiohte.    I.  Klaasisohe  Periode. 


in  seinen  älteren  Tragödien,  wie  besonders  in  den  Schutzflehenden,  nehmen 
die  Chorlieder  noch  einen  übermässigen  Raum  ein  und  ermüden  nicht 
selten  durch  die  Wiederholung  gleicher  Gedanken;  erst  nach  und  nach 
erweiterte  er  die  Dialogpartien,  fügte  den  Prolog  hinzu  ^)  und  nahm  von 
Sophokles  auch  den  3.  Schauspieler  an.  Sehr  richtig  antwortete  deshalb 
der  Verteidiger  des  Aischylos  den  Bewunderem  des  Sophokles,  weit 
schwieriger  sei  es  nach  Thespis  und  Phrynichos  die  Tragödie  auf  solche 
Höhe  zu  bringen,  als  sie  nach  Aischylos  zur  Vollendung  des  Sophokles  zu 
erheben.^)  Auch  auf  die  Erhöhung  des  Glanzes  der  äusseren  Darstellungs- 
mittel verwandte  er  grosse  Sorgfalt :  er  heisst  bei  Horaz  a.  p.  278  personae 
pallaeque  repertor  honestae;^)  auch  die  Erfindung  mannigfacher  Maschinen 
und  Dekorationen  wird  ihm  beigelegt,*)  und  man  braucht  nur  den  Pro- 
metheus und  die  Eumeniden  zu  lesen,  um  sich  eine  Vorstellung  zu  machen, 
welche  ausserordentliche  technische  Mittel  zu  ihrer  Aufführung  nötig 
waren.  Dabei  war  Aischylos  selbst  Chormeister  und  ersann  ausser  dem 
Text  auch  noch  die  Melodien  und  Tänze.  An  der  Darstellung  der  Bollen 
nahm  er  noch  selbst  als  Schauspieler  teil;  zu  Genossen  hatt«  er  dabei 
die  berühmten  Schauspieler  Kleandros  und  Myniskos.^) 

160.  Das  hervorstechendste  Merkmal  der  äschylischen  Poesie,  das 
Grossartige  und  Titanenhafte,  zeigt  sich  in  den  Gedanken,  dem  Versbau 
und  der  Sprache.  Den  sprachlichen  Ausdruck  zeichnet  Kühnheit  der  Meta- 
phern, Pracht  der  Bilder,  Grossartigkeit  des  Periodenbaues  aus ;  doch  fehlt 
auch  nicht  die  Härte  im  Satzgefüge,  der  Bombast,  die  Eintönigkeit  des 
Pathos,  die  Liebe  zum  Grotesken  und  Wunderbaren.^)  LiebUngsausdrücke, 
wie  oTaxa  vtofAon',  ov  SixoQQoncog  u.  a.  kehren  zu  oft  wieder;  das  Mass  ist 
überschritten,  wenn  mit  schwülstiger  Überschwenglichkeit  im  Agam.  887  flF. 
der  heimkehrende  König  gleich  in  sechs  Bildern  hintereinander  gepriesen 
wird.  7)  Die  späteren,  welche  durch  Sophokles  und  Euripides  an  einfache 
Schönheit  und  ruhiges  Ebenmass  gewöhnt  wareti,  nahmen  an  dieser  Seite 
der    äschyUschen    Dramen    Anstoss ;  ^)    den    nüchternen   Alltagsmenschen 


^)  Ein  Prolog  fehlt  in  Suppl.  u.  Pers.,  mit 
der  ZufÜgung  desselben  war  Phrynichos  in 
den  Phönissen  vorangegangen.  Auch  ein 
Epilog  findet  sich  im  Agamemnon,  der  aber 
keine  weitere  Aufnahme  fand. 

^)  Vita  §  14. 

»)  Vgl.  Vita  13  u.  Scholl  p.  29  ff. 

^)  Gramer,  An.  Par.  I  19:  ei  fi^y  ^rj 
navTa  Tt<r  AiaxvXt^  ßovXetai  xd  tibqi  xrjv 
cxtjyijv  evQtjfiata  ngoavifjLBiy,  ixxvxXijjuata 
xai  TXBQidxtovg  xai  fifj^avag,  i^tuaxQay  te 
xtti  TfQoaxtjyiftf  xai  diareyiag  xai  xegaryo- 
axoneca  xai  ßgoyteTa  xai  ^eoXoyeia  xai  ye- 
gdyovg  xai  nov  xai  ^vctidag  xai  ßatga^idag 
xai  ngoatana  xai  xoSogyovg  xai  xavxi  xd 
noixlXa,  ivg/iaxd  x€  xai  xaXvnxgay  xai  x6X- 
TKüfia  xai  Tiagdnr^/v  xai  dgyrjydy  xai  ino- 
xQtxrjy  ini  xto  devxegtp  xoy  xgixoy.  Vitniv 
praef.  1.  VII:  namque  primum  Agaiharchus 
Athenis  Äeschylo  docente  tragoediae  scenam 
fecü  et  de  ea  cotnmentarium  reliquit.    Dazu 


SoMXBRBRODT,   Scaeuica,   Berl.  1876.     Ueber 
die  Bühne  Wilahowitz,    Herrn.  21,  598  ff. 

^)  Aus  späterer  Zeit  erwähnt  Aristopli. 
Vesp.  579  den  Oiagros. 

^)  Das  Wunderbare  iritt  namentlicdi 
auch  in  der  phantastischen  Schilderung  von 
fernen  Ländern  hervor,  was  schon  der 
Scholiast  tadelt  (zu  Prom.  371  u.  738)  nnd 
die  Komiker  parodierten,  s.  Meinekk,  Hiat. 
com.  gr. 

7)  Aehnlich  Choeph.  995  ff.  u.  Sept.  559  ff. ; 
in  unerträglicher  Weise  sind  die  Epitheta 
gehäuft  Suppl.  802  ff. 

^)  Das  urteil  der  Späteren  gibt  gat 
wieder  Quintil.  X  1,  66;  Aeschylus  subiitnis 
et  gravis  et  grandiloquus  saepe  %i8que  ad 
Vitium,  sed  rudis  in  plerisque  et  incotn^ 
positus.  Vita  Aesch.  5:  ^riXol  xd  ßdgo^  na^c- 
xi&e'yai  xoTg  ngoffainoig,  dgx^^or  eiytu  xgt^^^ 
tovxo  xd  fisgog  fjLByaXongenig  xb  xai  i^Qmtxöw, 
xd  6k  nayovqyoy  xofAtf/ongeneg  r«   xai 


C.  Drama.    2.  Die  Tragödie,    b)  AieobyloB.    (§  160.)  225 

schien  er  gar  seine  Dramen  im  Rausch  gedichtet  zu  haben,  i)    Wenn  indes 
Pindar   Erhabenheit    der    Sprache    mit    anmutsvoller   Orazie    besser    als 
Aischylos  vereinigt  hat,  so  darf  man  den  Einfluss  der  Masken  und  Stelzen 
and  des  ganzen  dionysischen  Spiels  nicht  ausser  acht  lassen.^)  —  Unbe- 
dingtes Lob  verdient  die  melodische  Schönheit  und  symmetrische  Strenge 
der  Rhythmen  des  Aischylos:  zu   gewaltigen   Perioden,   der  Grösse   und 
Tiefe  der  Gedanken  entsprechend,  bauen  sich  bei  ihm  die  Verse  auf;  ^)  die 
synkopierten  Trochäen,  die  er  mit  Vorliebe  verwendet,   malen  mit  ihren 
langangehaltenen  Längen  vortrefflich   den  Ernst  der  Lage   und  die  Tiefe 
der  Empfindung/)  Auch  der  Dialog  ist  streng  gebaut,  so  dass  Verteilung 
eines  Verses  unter  mehrere  Personen  noch  nicht  vorkömmt;   ein  Streben 
nach  symmetrischer  Anlage  ist  unverkennbar,  wenn  auch  neuere  Forscher, 
wie  Ritschi,  ^)   mit  der  gewaltsamen  Herstellung  gleicher  Reden  in  den 
Sieben   über    das  Ziel   geschossen  haben.  —  Die  Gravität   der  Gedanken 
wurzelt  bei  Aischylos  in  der  Strenge  der  alten  Sitte  und  in  den  Weisheits- 
lehren der  Priester  und  Mysterien.     Daher  galten   seine  Tragödien  auch 
später  noch   den   Anhängern    der   alten    Zucht   und    Ordnung,  wie    dem 
Aristophanes,   als    das  Ideal    kerniger  Poesie.     In    dem   Glauben  an  das 
Walten  einer   höheren  Macht  ^)  ist  insbesondere   die  Idee   des  Schicksals 
begründet,  die  den  Hintergrund  aller  seiner  Tragödien  bildet  und  sich  mit 
der  frommen  Anschauung  des  Dichters   von   der  Hinfälligkeit  und  Ohn- 
macht alles   Sterblichen   paart.     Dass   dabei    der  Held    des  Stückes,   um 
Mitleid  zu  erregen,  nicht  von  jeglicher  Schuld  frei  sein  dürfe,  hat  er  be- 
sonders in  dem  Agamemnon,   der  aus  ehrgeiziger  Schwäche  seine  eigene 
Tochter  geopfert  hatte,  trefflich  zum  Ausdruck  gebracht.    Am  gewaltigsten 
aber  wirkt  in  seinen  Tragödien  die  Idee  von  der  Verkettung  der  mensch- 
lichen   Geschicke  und  von   dem    auf  Kind  und  Kindeskinder   sich    fort- 
erbenden Fluch  der  bösen  That.     Mit  einziger  Kunst  hat  er   zur  Durch- 
fuhrung dieser  Idee   den   alten   Brauch,    mit  drei  Tragödien   und  einem 
Satyrdrama  den  Festtag    auszufüllen,   benutzt:   aus   drei   nur   äusserlich 
nebeneinander  gestellten  Tragödien  entstand  unter  seinen  genialen  Händen 
der  grossartige  Bau  einer  zusammenhängenden,  nicht  bloss  aus  demselben 
Mythenkreis  genommenen,  sondern  auch  durch  Einheit  der  Handlung  und 
der  leitenden  Grundidee  zusammengehaltenen  Trilogie.^)    Auch  die  Kunst 


Vgl.  Arisi  Nub.  1370:  iyto  yag  Aiaxv>.oy 
vofAi^oB  Tt^ioy  ir  noitjtaiSt  ^ocpov  n'kiwv, 
»iv^ienoy,  ai6fAq>axa,  xqrifivonoioy ;  vgl.  Lkch- 
mKR,  De  arte  Aeschyli  rhetorica,  Hof  1867. 
»)  Ath.  22a  u.  428c. 
^\  Ueber  das  VerhftliziiB  von  Aischylos 
und  Pindar  siehe  oben  §  134. 

')  Diese  langen  Verse  und  Perioden 
treten  freilich  in  der  schlechten  Versteilung 
(xwlojticr^'cr)  der  Handschriften  nicht  zu 
Tage;  am  besten  sind  die  ursprünglichen 
Venformen  auf  Grund  der  Untersuchungen 
der  neaeren  Metrik  von  Dindorf  in  der  Aus- 
gabe der  Poetae  scen.  gr.  hergestellt. 

^)  Das  Urteil  der  Alten  drückt  Aristoph. 
HajL  1254  aas:  av^gi  t^  tioAv  nXeicia  <fij  xai 


xd'AXiaTcc  fieXrj  nonjattyri  xuiv  en  vvvi, 

*)  RiTSOHL,  Parallelismus  der  7  Rede- 
paare in  den  Sieben  des  Aeschylus,  Opusc. 
I  300  ff.;  Weil,  De  la  composition  symm^> 
trique  du  dialogue  dans  les  trag^dies 
d'  Ächyle,  Paris  1860. 

')  Gegen  die  Gottesleugner  und  die- 
jenigen, welche,  wie  später  Epikur,  die  Götter 
sich  um  die  Sterblichen  nicht  kümmern 
Hessen,  ist  besonders  Agam.  381  ff.  gerichtet. 
')  Wenigstens  gelang  dem  Dichter  in 
der  Orestie  meisterhaft  diese  ideale  und 
stoffliche  Zusammenfassung  der  3  Stücke  zu 
einem  Ganzen.  In  den  meisten  anderen 
Trilogien  sind  die  Stücke  durch  ein  viel 
lockreres,  meistens  nur  äusseres  Band  zu- 
sanunengehalten. 


Baodbocb  der  klMi.  Altertuiniiwiasenflcban,   VII.    3.  Aufl.  15 


226  Oriechisohe  Litteratargesohiohte.    I.  Klassisohe  Periode. 

der  Motivierung  der  Handlung  und  der  Retardierung  wie  Steigerung  der 
Affekte  war  ihm  nicht  fremd;  wenn  er  darin  und  in  der  Individualität 
der  Charakterzeichnung  hinter  Sophokles  und  Euripides  zuriickblieb,  so  lag 
dieses  in  der  Richtung  seiner  Zeit,  die  im  Leben  wie  in  der  Poesie  und 
Kunst  das  Grosse  und  Erhabene  liebte  und  in  der  Verleugnung  gefalliger 
Anmut  bis  zum  Harten  und  Eckigen  ging.  —  Was  schliesslich  mehr  als 
alles  Einzelne  bedeutet,  das  ist  die  geniale  Begabung  unseres  Dichters, 
die  überall  durchschlägt  und  seine  Poesie  zum  Ausfluss  unbewusster  dio- 
nysischer Begeisterung  macht.  Sophokles  hatte  einst  von  ihm  gesagt 
(Ath.  22«),  er  thue  das  Rechte,  aber  ohne  es  zu  wissen.  Das  sollte  ein 
Tadel  sein  in  dem  Munde  des  jüngeren,  reflektierenden  Dichters,  ist 
aber  in  der  That  das  höchste  Lob;  ja,  Aischylos  dichtet  wie  berauscht  in 
gottbegeistertem  Wahne;  seine  Dichtungen  sind  nicht  Schöpfungen  der 
Kunst,  sondern  Oaben  des  göttlichen  Genius ;  bei  ihm  ist  keine  Rede  von 
klügelnder  Künstelei,  keine  Spur  von  kühler  Reflexion,  kein  Schein  von 
fremder,  aus  anderer  Mund  entlehnter  Weisheit:  aus  dem  unerschöpflichen 
Born  seiner  eigenen  göttlichen  Natur  quellen  in  nie  versiegendem  Strome 
Gedanken  wie  Worte. 

Handschriftliche  Überlieferung:  Die  Tragödien  des  Aisch.,  Soph.,  Eur.  wurden  auf 
Lykurgs  Antrag  (s.  Müller,  Bllhnenalt.  359  An.  1 ;  0.  Korn,  De  pubUco  Aesch.  Soph.  Eur. 
fabularum  ezemplari  Lycurgo  auctore  confecto,  Bonn  1863)  in  einem  Staatsexemplar  auf- 
geschrieben, das  später  nach  Alexandria  gebracht  wurde.  Der  Hauptcodez  der  7  erhaltenen 
Stücke  des  Aisch.,  den  Burgess,  Cobet,  Dindorf  (Phil.  18,  55  ff.),  Wecklein  für  den  Arche- 
typus aller  Godd.  halten,  ist  ein  Mediceus  sive  Laurentianus  XXXII  9  s.  XI  (von  Anrispa 
i.  J.  1423  aus  Griechenland  gebracht  und  von  Gosmo  Medici  der  Bibliothek  einverleibt), 
der  zugleich  den  Sophokles  und  die  Argonautika  des  ApoUonios  enthält;  ein  fakaimllierter 
Abdruck  dieses  God.  von  R.  Merkel,  Aeschyli  quae  supersunt  e  cod.  Laur.  descripta,  Ozon. 
1871  fol.,  in  Lichtdruck,  Florenz  1896;  die  zuverlässigste  Vergleichung  mit  Unteracheidang 
der  verschiedenen  Hände  von  Yitblli  in  Weckleins  Ausg.,  Berlin  1885.  Von  den  jetzt 
fehlenden  Blättern  des  Agam.  bietet  die  beste  Abschrift  der  Florent  X^XT  8  s.  XIY.  FOr 
die  3  in  Byzanz  zumeist  gelesenen  Stücke  Prom.  Pens.  Sept.  müssen  jedenfalls  ausser  dem 
Laur.  (Sept.  195  fehlt  in  Laur.)  Handschriften  der  2.  Klasse  herangezogen  werden. 

Der  Grundstock  der  Scholien,  der  ebenso  viele  feine  Bemerkungen  über  die  Kunst 
des  Dichters  enthält  als  für  die  Wortkritik  wichtig  ist  (s.  Hbimsöto,  Die  indirekte  Ueber- 
lieferung  des  äschylischen  Textes,  Bonn  1862).  aber  früh  durch  die  Albernheit  jüngerer 
Erklärer  zurückgecb-ängt  wiu-de  (s.  Römer,  Stud.  zur  handschr.  Ueberl.  des  Aesch jlos  nnd 
zu  den  alten  Erklärem  desselben,  in  Stz.  d.  b.  Ak.  1888  U  231),  geht  auf  den  Grammatiker 
Didymos  zurück  und  stimmt  vielfach  mit  Glossen  des  Hesychios  überein  (s.  Frey,  De  Aesch. 
scholiis  Mediceis,  Bonn  1857).  Diese  alten  Scholien  sind  samt  ßiog,  vno&^iF$i^,  Interlinear- 
glossen und  kritischen  Zeichen  aus  dem  Laur.  am  besten  herausgegeben  von  VitelU-Wei^k- 
lein.  Davon  sind  zu  scheiden  jüngere  Scholien  (besonders  ausführlich  zu  Prom.  Sept.  Peis.) 
von  Tzetzes,  Thomas  Magister  und  Triklinios  in  codd.  Paris.  2785.  2787  und  Leidenses  Is. 
Vossii  (s.  Franken,  De  ant.  Aesch.  interpret.  aucturitate,  Utrecht  1845),  herausgegeben  Yon 
W.  DiNDORP  im  3.  Bde.  der  Gxforder  Aischylosausgabe  1851. 

Ausgaben:  ed.  princ.  Aldina  1518,  worin  Agamemnon  und  Ghoephoren  (am  Anftmg 
verstümmelt)  noch  nicht  getrennt  sind.  —  Ausgezeichnete  Emendationen  des  stark  kormpten 
Textes  lieferten  Türnebus  (t  1565)  und  Aüratüs  (t  1588),  der  letztere  würd  von  Hbritann 
ad  Agam.  1396  omnium  qui  Aeschylum  attigerunt  princeps  genannt.  —  Ausgaben  mit  ge- 
lehrtem Kommentar  von  Stanley,  London  1663;  ed.  Schötz  III  1809 — 22  in  5  vol. Die 

lang  ersehnte  Ausgabe  von  G.  Hermann  ward  nach  dessen  Tod  besorgt  von  Haupt,  Lipa. 
1852,  2  vol.  Neueste  kritische  Gesamtausg.  von  Wbcklbin-Vitblli,  Berol.  1885;  mit 
griech.  Kommentar  von  Wecklein-Zomaridbs,  Athen  1891 — 97.  —  Textesausg.  von  EIibgb- 
Hopp,  Berl.  1880,  mit  den  Varianten  des  Medic;  Weil  bei  Teubner  1885;  von  Weil  eine 
grössere  kritische  Ausgabe,  Gissae  1858—67,  2  vol.  —  Spezialausgaben  der  Sieben  von 
RiTscHL  ed.  U.  Lips.  1875;  des  Prometheus  von  Schömann,  Griech.  u.  deutsch,  Ghreifsw.  1844* 
der  Orestie  von  Franz,  griech.  u.  deutsch,  Leipz.  1846,  von  To.  Hbyse,  Halle  1884,  von 
0.  Mabbach   mit  deutscher   Nachdichtung   Leipz.  1874,   von  Wecklbik,   Leipz.  1888-    von 


C.  Drama.    2.  Die  Tragödie,    o)  BopholdeB.    (g  161.) 


227 


WiiAMOwiTz  Texi,  üebersetzimg,  Erläntemng,  Agam.  1885,  Ghoephoren  1896;  des  Aga- 
memDoo  von  Enobb-Gilbbbt,  Leipz.  1874,  Sohneidewin-Hensb,  Berl.  1883,  Ebck,  6r.  u. 
dentuh  mit  Einl.  u.  Komment.,  Leipz.  1863;  der  Eumeniden  von  0.  Müller  (wichtig  für 
BOhnenalteri),  Qött  1833.  —  Scholansgaben  mit  erklärenden  Anmerkungen  der  Perser  von 
Tkuffkl-Weckleir,  Leipz.;  des  Prometi^ens  von  Wboklbin,  Leipz. 

ErlSatemngsschriften:  Glossarium  von  Blomfield  in  dessen  Ausg.  des  Agam.,  Cambr. 
1818,  Lipe.  1822;  Lex.  Aeschyleum  comp.  Wellaueb  2  vol.,  Lips.  1830;  Lex.  Aesch.  ed. 
W.  DisDOBP,  Lips.  1873,  mit  Supplement  von  L.  Schmidt,  Greifenberg  1875.  —  Westphal, 
Prol«gomena  zu  Aeschylus  Tragödien,  Leipz.  1869  über  Metrik  u.  Komposition.  —  R.  Aknold, 
Der  Chor  im  Agamemnon  scenisch  erläutert,  Halle  1881.  —  P.  Richtbb,  Die  Dramaturgie 
des  Aeschylus,  Leipzig  1892. 

c.  Sophokles  (496-406).!) 
161.  Leben.  Sophokles  stammte  aus  dem  nahe  bei  Athen  in 
reizender  Lage  gelegenen  Demos  Kolonos  Hippies.  Sein  Vater  hiess  So- 
phillos  and  hatte  eine  Waffenfabrik,  welche  der  Familie  reiche  Einkünfte 
und  eine  angesehene  Stellung  verschaffte.^)  Das  Jahr  seiner  Geburt  war 
nach  der  alten  Vita  495 '4,  nach  der  verlässigeren  Angabe  der  parischen 
Mannorchronik  497/6.*)  In  der  Jugend  erhielt  er  sorgfaltigen  Unterricht 
in  der  Gymnastik  und  Musik,  so  dass  er  in  beiden  Künsten  wiederholt 
bekränzt  wurde  und  bei  der  Siegesfeier  der  Schlacht  von  Salamis  die 
ehrenvolle  Aufgabe  erhielt,  dem  Chor  der  Knaben,  der  tanzend  und 
singend  den  Päan  vortrug,  mit  der  Leier  voranzuziehen.*)  Die  harmonische 
Vereinigung  von  körperlichen  und  geistigen  Kräften  kam  ihm  auch  später 
im  Leben  zu  statten,  indem  er  bei  der  Aufführung  seiner  Nausikaa  durch 
die  Grazie  im  Ballspiel  entzückte,*)  und  vom  Maler  Polygnot  als  zither- 
spielender Thamyris  in  der  bunten  Halle  dargestellt  wurde.  Zum  Lehrer 
in  der  Musik  hatte  er  den  von  Aristoxenos  hochgepriesenen  Lampros; 
sein  Unterricht  befähigte  ihn,  die  Melodien  zu  den  Chorgesängen  selbst 
zu  komponieren,  während  sich  Euripides  dabei  fremder  Beihilfe  bedienen 
mnsste.  In  der  Tragödie,  heisst  es  in  der  Lebensbeschreibung,  ging  er 
bei  Aischylos  in  die  Schule,  was  wahrscheinlich  nur  in  dem  Sinne  zu 
nehmen  ist,  dass  er  dem  älteren  Meister  im  Theater  seine  Kunst  absah. 
Zorn  erstenmal  trat  er  als  Dramatiker  auf  und  zum  erstenmal  siegte  er 
zugleich  im  Jahre  468  mit  dem  Triptolemos.^)   Der  Mythus  von  dem  ein- 


')  Ans  dem  Altertam  ist  uns  erhalten 
ein  ans  Angaben  des  Aristoxenos,  Satyros, 
Istros  zosammengeseteter  £oq)oxXiovg  ßiog, 
mit  Snidas  nnd  den  anderweitigen  Zengnissen 
ZDSunmengesteUt  von  Jahn  in  Ausg.  der 
Mektra.  Nach  Soidas  hatte  Philochoros  ein 
Werk  in  5  B.  negi  twy  2otpöxX4ovg  fxvStoy 
geschrieben.  —  Ans  neuerer  Zeit  Lessino, 
Leben  des  Sophokles,  Teil  eines  geplanten 
grosseren  Werkes  über  Sophokles;  Febd. 
Schultz,  De  .vita  Sophoclea,  Berl.  1835;  Ad. 
Scholl,  Sophokles,  sein  Leben  und  Wirken, 
fnnikf,  1842,  hypothesenreich ;  Dindorf  in 
S.  Oxforder  Ausg.,  und  Bbrgk  in  Ausg.  von 
1858. 

*)  Der  Vater  war  fjiaxaiQonoiog;  bei 
PBirius  N.  H.  37,  40  heisst  Sophokles:  prin- 
cipe loco  genUus  Atkenis. 

»)  Die  Vita  geht  wie  Diodor  13,  108 
^Ton  ans,   dass  Soph.  rund   90  Jahre   alt 


geworden  sei;  das  Marm.  Par.  gibt  ihm  91 
Jahre,  ebenso  Ps.  Lucian,  Macrob.  c.  24  nach 
der  Emendation  von  Schultz.  Vergl.  Mendels- 
sohn Act.  soc.  Lips.  II  171  f. 

*)  Die  Freunde  der  Synchronismen  heben 
hervor,  dass  zugleich  Aischylos  hei  Salamis 
mitkftmpffce,  Sophokles  den  Siegesreigen 
führte,  Euripides  in  Salamis  das  Licht  der 
Welt  erblickte;  siehe  dagegen  §  176. 

*)  Vita  und  Ath.  20f.:  xai  i6v  SdfjivQiv 
di&(iax(t}y  avTog  ixi^dqiaey,  axQwg  d^  iatpal- 
Qicey,  0T6  Ttjy  Navaixday  xa^ijxe. 

«)  Chron.  Par.  Dass  es  der  Triptolemos 
war,  mit  dem  Soph.  siegte,  schloss  Lessing 
aus  Plinius  N.  H.  XVIII  65 :  ante  mortem  eins 
(Alexandri)  annis  fere  CXLV Sophocies  poeta 
in  fabula  Triptolemo  frumentum  Italicum 
ante  cuncta  laudavit.  Vgl.  Welckbb  Gr.  Tr. 
I  310. 

15* 


228  Orieohische  Litteratnrgeflehiehte.    I.  KUssisohe  Periode. 

heimischen  Heros,  den  die  hehre  Göttin  Demeter  von  ihrem  Heiligtum  in 
Eleusis  auf  schlangenbeflügeltem  Wagen  hatte  ausziehen  lassen,  um  die 
Pflege  des  Ackerbaues  und  die  damit  verbundenen  Lehren  milder  Gesittung 
in  die  Ferne  zu  tragen,  war  so  glücklich  gewählt  und  so  fesselnd  durch- 
geführt, dass  im  Theater  eine  ungewöhnliche  Aufregung  zwischen  den  An- 
hängern des  Altmeisters  Aischylos  und  den  Bewunderem  des  neu  auf- 
gehenden Gestirns  unseres  Sophokles  entstand  und  der  Archen,  der  die 
Spiele  leitete,  in  ausserordentlicher  Weise  dem  siegreich  heimkehrenden 
Kimon  und  seinem  Mitstrategen  die  Entscheidung  überliess.  Die  Ent- 
scheidung fiel  gegen  Aischylos  zu  Gunsten  des  Sophokles  aus,  der  also 
schon  im  28.  Lebensjahre  der  Ehre  des  ersten  Preises  teilhaftig  wurde,  i) 
In  den  folgenden  zehn  Jahren  beherrschten  die  beiden  grossen  Tragöden 
mit  abwechselndem  Erfolg  die  attische  Bühne,  indem  es  Aischylos  nicht 
verschmähte,  auch  von  dem  jüngeren  Genossen  zu  lernen,^)  Sophokles 
aber  bei  aller  Verehrung  gegen  den  älteren  Meister  sich  doch  sorgsam 
vor  den  Verirrungen  desselben  hütete.')  Von  einem  Wettstreit  mit  Euri- 
pides  hören  wir  zum  erstenmal  im  Jahre  438,  wo  Sophokles  den  ersten 
Platz,  Euripides  mit  der  Alkestis  den  zweiten  erhielt.  Auch  im  J.  431, 
wo  Euripides  seine  Medea  aufführte,  behauptete  Sophokles  den  Vor- 
rang. Im  übrigen  liess  derselbe  in  späteren  Jahren  sich  auch  von  dem 
jüngeren  Rivalen  beeinflussen.  Das  zeigt  besonders  der  Dens  ex  machina 
im  Philoktet  (aus  dem  Jahre  409)  und  die  Art  des  Prologs  in  den  Tra- 
chinierinnen.^)  Ausserdem  trat  er  auch  mit  Choirilos,  Aristias,  Euphorion, 
Philokles  und  mit  seinem  eigenen  Sohne  lophon  in  die  Schranken;^) 
Euphorion,  der  Sohn  des  Aischylos,  gewann  ihm  im  Jahre  431  den  ersten 
Preis  ab.«) 

k6*i.  Als' guter  Bürger  beteiligte  sich  Sophokles  auch  an  dem  öffent- 
lichen Leben  und  ward  von  seinen  Mitbürgern  mit  mannigfachen  Ehren 
ausgezeichnet.  Bekannt  ist  seine  Ernennung  zum  Strategen  im  samischen 
Kriege  (441 — 439)  infolge  des  Beifalls,  den  seine  Antigene  gefunden  hatte.') 
Perikles,  sein  mächtiger  Gönner  und  Kollege  im  Amt,  ^)  scheint  indes  nicht 


1)  Plut.  Cim.  8.  Ebenda  und  in  Vit. 
Aesch.  ist  weiter  erzählt,  dass  infolge  der 
Niederlage  Aischylos  Athen  verlassen  habe  und 
nach  Sikilien  gegangen  sei;  das  letztere  ist 
jedenfalls  Fiktion;  s.  §  151. 

^)  Gleich  467  siegte  wieder  Aisch.  mit 
den  Sieben,  458  mit  der  Orestie;  beidemal 
machte  Aisch.  vom  8.  Schauspieler  Gebrauch. 

•)  Von  der  Verehrung  des  Soph.  gegen- 
über dem  älteren  Meister,  den  er,  als  er  selbst 
zum  Hades  hinabkam,  küsste  und  durch 
Handschlag  begrüsste,  s.  Aristoph.  Kan.  788  ff. 
u.  1516  ff.  Auf  der  anderen  Seite  lesen  wir 
bei  Ath.  22*:  (jiB^vtav  de  inoiei  ras  rga- 
ytodiag  Aia^vkog,  ais  (prjat  Xa/uaiX^toy  '  loq>o- 
xXfjg  yovp  aiyeldiCey  «vrw,  ort,  e£  xai  xd 
dioyxa  noieT,  dXX*  ovx  eidaig  ye.  Auch  den 
oyxos  AiüxvXov  tadelte  er  nach  Plut.  de 
prof .  virt.  7. 

^)  Auch  liess  Sophokles  nach  Euripides 
Vorgang  im  Hipponus  den  Chor  seine  per- 


sönliche Sache  führen;  s.  PoUux  IV  111. 

»)  Vita  Soph. 

^)  Argum.  Eur.  Med. 

')  Argum.  Antig.:  q>itai  dk  xov  £iHfo- 
xXia  ij^uiaSixi  tijg  4y  £dfJtto  atQatfjyia^  «t»- 
doxifArjaayttt  iy  tff  didaaxaXitf  tijg  *Ayxty6rfjq. 
Vita  Soph.:  x«t  *A&fjyalot,  4*  avxoy  vi  (|** 
codd.,  yB  stimmt  zu  der  Elegie  an  Herodot) 
iiioy  oyxa  axQaxr^yoy  eVXoyxo  n^ö  rtJr  BeXo- 
noyyrjinaxüiy  eieciy  C  (corrige  9')  iy  i^ 
tiQos  Uyaiovs  noX(f^ia.  Suidas  u.  MiXuooog: 
vnig  Ja/ultüy  üxgaxriyfjaag  iyavfidxtfae  xt^g 
£o<foxXijy  xoy  xqayixoy  6X.  nS'  {ni  coni.  Bern- 
hardy).  Wahrscheinlich  war  Sophokles  im 
J.  440  Stratege,  wurde  aber  die  Antigone 
nicht  unmittelbar  zuvor  441,  sondern  442 
aufgeführt;  so  auch  Wilamowitz  Aristot.  u. 
Athen  U  298.  Vgl.  noch  Strab.  p.  688;  Flut 
Nie.  15,  Pericl.  26,  adv.  Col.  82;  Justin  111 
6,  12. 

^)  Das  Verzeichnis  sämtlicher  10  Starm- 


C.  Drama.    2.  Die  Trag&die.    o)  Sophokles.    (§  162.) 


229 


viel  von  dem  Feldhermtalent  des  Dichters  gehalten  zu  haben ;  man  legte 
ihm  den  Scherz  in  den  Mund:  zu  dichten  verstehe  Sophokles,  nicht  aber 
das  Heer  zu  führen,  i)    Er  verwendete  ihn  daher  mehr  zu  diplomatischen 
Sendangen  an  die  Bundesgenossen.    In  Chios  kam  Sophokles  bei  dieser 
Gelegenheit  mit  dem  Tragiker  Ion  zusammen,  der  uns  bei  Athenaios  p.  603  e 
die  nette  Anekdote  erzählt,   wie   der  lebenslustige  Dichterfeldherr  beim 
Wein  einem  schönen  Knaben  einen  Euss  abgewinnt  und  dieses   dann  als 
dajsjenige  Strategem  erklärt,   auf  das  er  sich   verstehe.^)    Um  diese  Zeit 
ist  er  auch  zu  Herodot,   wahrscheinlich    durch  Vermittlung  des  Perikles, 
des  gemeinsamen  Gönners  beider,  in  nähere  Beziehung  getreten ;  denn  nach 
Plutarch,  an  seni  3,  hat  er  55  Jahre  alt  eine  Elegie  an  Herodot  gerichtet, 
deren  Anfang  lautete:  fpirjv  ^HQodotff  rsv^ev  2og>oxkrjg  Mwv  wv  nävx'  inl 
TraTi^xoiTa.s)  Ausser  dem  Strategenamt  im  samischen  Krieg  bekleidete  er 
Ol.  84,  2  =  448 '2  die  Würde  eines  Hellenotamias  oder  Schatzmeisters  der 
Bandesgenossenkasse. ^)    Eine  zweite  Strategie  des  Dichters  erwähnt  Plu- 
tarch, Nie.  15,  wobei  er,  von  Nikias  aufgefordert  als  ältester  seine  Meinung 
zuerst  zu  sagen,  in  liebenswürdiger  Bescheidenheit  erwiderte :  iyto  nakaio^ 
ta%6g  sljuu,  üv  3i  nQsaßvTozoq.^)    Im  hohen  Alter  ward  er    nochmals  in 
die  Politik  hineingezogen,   indem  er,  wenn  anders  die  Nachricht  bei  Ari- 
stoteles Rhet.  m  18  auf  unseren  Tragiker    bezogen  werden   darf,^)  im 
Jahre  411    in    das  oligarchische  Kollegium   der   zehn   Probulen   gewählt 
wurde.    Deshalb  nach  dem  Sturz  der  Oligarchen  vor  Gericht  gestellt  und 
der  Mitschuld  der  Einsetzung  des  Rats  der  Vierhundert  beschuldigt,  ver- 
teidigte er   sich    nach  Aristoteles  mit  der  Verlegenheitsausrede,  dass  er 
keine  bessere  Wahl  gehabt  habe.    Auch  ein  geistliches  Amt,  das  Priester- 
tnm  des  Heilgottes  Amynos,^)  verwaltete  er  und  bezeugte  seinen  frommen 
Sinn  durch  Stiftung  einer  Kapelle  des  ^HQaxXijg  firjvinr^g «)  und  durch  Dich- 


ri  p.  4 

gfazang  von  Wilamowitz,  De  Rhesi  acholiiSi 
Greifew.  1877. 

')  So  Sophokles  selbst  bei  Ath.  603  d: 
BeguUri^  notseiv  fiB  lyiy,  ifjQartjyiety  (T  ovx 
hinaa9ai.  Aehnlich  mteilt  sein  Zeitgenosse 
Ion  fiber  ihn  bei  Athen.  Xlil  604  D:  tä  fiiytot 
»o^rixn  ovTf  cofpoq  ovxe  ^sxtijqios  rj¥y  äXV 
•f  ür  nq  Big  Tviv  j^^artüy  */4^r^ym(ov. 

*)  Weiter  ansgeschniflckt  ist  der  VorfaU 
▼OQ  Cicero  de  off.  I  144:  bene  Pericles,  cum 
haberel  roUegam  in  praetura  Sophoclem  poe- 
fom  üque  de  communi  officio  eonvenissent 
et  CMN  formosus  puer  praeteriret  dixissetque 
Sophocles  „o  puerum  pulehrum,  Pericle"  „at 
tnim  praetorem,  Sophocle,  decet  non  solum 
manu$,  $ed  etiam  oculos  abstinetites  habere" 

*)  Vgl.  ZiTBBOBO  Herrn.  X  206  ff.,  Classen 
m  Veih.  d.  Kieler  Philol.  Vers.  114  ff.  Von 
^sm  Stodimn,  das  Sophokles  dem  Herodot 
zuwandte,  zeugt  die  Anlehnnng  von  Oed. 
CoL  337—41  an  Herod.  H  85,  von  Electr. 
417—23  an  Horod.  1  108;  hingegen  wird  der 
Aikkng  von  Ant.  905—14  an  Herod.  IH  119 
asf  spiiere  Interpolation  zarackzofOhren  sein, 
md  kann  ebensogut  Oed.  R.  261  f.  dem  Herod. 


y  59  nachgeschrieben  sem  als  umgekehrt. 

«)  Bezeugt  durch  CIA  I  237. 

<^)  Im  Schol.  zu  Aristoph.  Pac.  696  wird 
dem  alternden  Sophokles  der  Vorwurf  der 
Gewinnsucht  gemacht  mit  der  Bemerkung 
Xeyeiai  di  ort  ix  xtjg  ai^atrjyLas  tijg  bv  Sttfjit^ 
rjgyvQiaato.  Hier  ist  die  zweite  Strategie 
mit  der  ersten  verwechselt;  vielleicht  ist 
dasselbe  oben  S.  228  Anm.  7  mit  der  doppelten 
Zeitangabe  der  Fall,  und  war  Sophokles  im  55. 
und  im  69.  Lebensjahr  oder  441  und  427 
Stratege. 

•)  Bestritten  wird  dieses  von  Dindorp, 
Vit.  Soph.  p.  XX,  sq.  Gegen  die  Herrschaft 
der  grossen  Menge  spricht  sich  unser  Dichter 
aus  OG.  1584. 

0  So  korrigiert  Körte  Ath.  Mitteil.  1896, 
287  ff.  nach  den  Inschriftenfunden  den  über- 
lieferten Namen  ^AXko}yog  der  Vita,  wofOr 
Meineke  *'AXxa>vog  korrigiert  hatte. 

*)  Cic.  de  div.  1,  54:  Sophocles,  cum  ex 
aede  Herctdis  4>atera  aurea  gravis  surrepta 
esset,  in  somnis  vidit  ipsum  deum  dicentem 
qui  id  fecissety  quod  semel  Hie  iterumque 
neglexit.  übt  idem  saepius,  aseendit  in 
Ariopagum,    detulit  rem,  Äriopagitae  com- 


L 


230 


Orieohisohe  Litteratnrgesohiehte.    I.  KUssisohe  Periode. 


tung  eines  Päan  auf  Asklepios,  ^)  von  dem  neuerdings  Bruchstücke  in 
einem  Asklepiosheiligtum  am  Südabhang  der  Burg  gefunden  wurden.*) 
Übrigens  ward  es  ihm  noch  zu  besonderer  Ehre  angerechnet,  dass  er 
nicht,  wie  Aischylos,  Euripides  und  andere  verlockenden  Einladungen  an 
Fürstenhöfe  folgte,  sondern  als  dvt}Q  (fiXad^t^vaiog  ähnlich  wie  Sokrates 
stets  in  Athen  geblieben  ist.') 

163.  Im  Privatleben  gewann  Sophokles  durch  Liebenswürdigkeit  und 
Anmut  die  Herzen  aller  und  wusste  durch  heiteren  Witz  und  Humor  die 
Unterhaltung  zu  würzen.  Den  süssen  Gaben  der  Aphrodite  war  er  keines- 
wegs abhold;  auch  von  der  Verirrung  des  griechischen  Altertums,  von 
der  Liebe  zu  schönen  Knaben,  scheint  er  sich  nicht  frei  gehalten  zu 
haben.*)  Verheiratet  war  er  mit  Nikostrate;  Sprosse  dieser  Ehe  war 
lophon,  der,  wie  sein  Vater,  die  Laufbahn  eines  tragischen  Dichters  ein- 
schlug. Die  Dichterlegende  weiss  ausserdem  von  der  Liebe  des  greisen 
Dichters  zur  Sikyonerin  Theorie  und  dem  Ariston  als  Frucht  dieser  Ver- 
bindung zu  erzählen.^)  Enkel  des  Dichters  war  Sophokles,  der  nach  dem 
Tode  des  Dichters  den  Oedipus  auf  Kolonos  zur  Aufführung  brachte.^) 
Übrigens  scheint  es  in  dem  Hause  des  alternden  Sophokles  nicht  an 
Zwistigkeiten  zwischen  Vater  und  Sohn  gefehlt  zu  haben;  nach  einer  viel- 
fach bezeugten  Überlieferung  klagte  lophon  seinen  Vater  bei  den  Ge- 
schlechtsverwandten {(fqatoQiq)  wegen  Qeisteszerrüttung  {nagavoiag)  an, 
worauf  dieser  zum  Beweise  seiner  Geisteshelle  das  herrliche  Preislied  auf 
Attika  im  Oedipus  Col.  vortrug  und  damit  die  Richter  zu  solchem  En- 
thusiasmus fortriss,  dass  sie  mit  Entrüstung  die  Klage  des  Sohnes  ab- 
wiesen. 7)  Die  Sage  ging  in  dieser  ausgeschmückten  Form  auf  irgend 
eine  Komödie  zurück,  welche  den  Handel  des  lophon  auf  die  Bühne  ge- 
bracht hatte.  ^)  Aber  an  der  Sache  wird  doch  etwas  Wahres  gewesen 
sein,   da   auch  Aristoteles  Rhet.  UI  15  von   einem  Prozess  des  Sophokles 


prehendi  hibent  eum,  qui  a  Sophocle  erat 
naminattM;  is  quaestione  adhibita  confessus 
est  pateratnque  rettulU,  quo  facto  fanum 
illud  Indicis  Herculia  notninatum  est.  Die 
Vita  fQgt  hinzu,  dass  Soph.  für  die  Anzeige 
eine  Prfimie  von  1  Talent  erhalten  habe. 

0  Et.  M.  256,  6,  Phiiostratos  iun.  Imag. 
13  und  andere  (s.  Jahn  zur  Vita  Z.  88)  er- 
zählen von  der  Bewirtung  des  Asklepios  durch 
den  Dichter  und  von  der  Asklepioskapelle 
des  Sophokles  an  der  Burg. 

*)  KuMANUDES,  *Abrivaiov  5,  340  u.  Buche- 
ler Rh.  M.  32,  318  u.  Eaibkl  34,  207. 

')  Seine  eigene  Gesinnung  bekennt  er 
fr.  711:  oanff  yaQ  oSg  ivQayyoy  ijunogevEtaii 
xeivov  'an  6ovXog  xäv  iXev&CQog  fJLoXji. 

^)  Bei  Ath.  603  e  heisst  Sophokles  tpiXo- 
fietga^f  wie  Euripides  (piXoyvytjg,  Ausser  dem 
schönen  Knaben  von  Chios,  von  dem  uns  Ion 
bei  Ath.  603  e  erzflhlt,  nennt  Ath.  592  b  noch 
einen  Knaben  Smikiines. 

^)  Hermesianax  bei  Ath.  598  c.  Welcker, 
Gr.  Trag.  I  304  sucht  geistreich  den  Ursprung 
der  Legende  in  dem  missrerstandenen  Halb- 
vers  g>lXtj  ya^  ij  (^€(a^g.    Suidas  erwfthnt 


noch  als  weitere  Kinder  des  Sophokles  den 
Leosthenes,  Stephanos,  Menekleides.  Von 
Ath.  592  wird  nach  der  trüben  Quelle  des 
Anekdotenschreibers  Hegesander  noch  eine 
zweite  Geliebte  des  Dichters  genannt,  die 
Hetäre  Archippe,  die  er  zur  Erbin  eingesetzt 
habe.  Scholl,  Leben  d.  Soph.  365  ff.  ver- 
wirft alles  dieses  als  Missverst&ndnis,  ent- 
standen aus  den  b&sen  Nachreden  der  Ko- 
miker, indem  er  sich  auf  die  Darstellung  des 
Piaton  de  rep.  I  p.  329  b  (Anmiianus  Marcell. 
XXV  4)  berief,  wo  Sophokles  sich  rühmt,  im 
Alter  des  bösen  Tyrannen  der  Liebesleiden- 
schaft losgeworden  zu  sein. 

*)  Arg.  OG.  Es  gab  einen  Sophokles  des 
Ariston  (Vita  57)  imd  einen  des  lophon, 
wovon  die  Inschrift  CIA  II  672,  37. 

^)  Satyros  in  Vita  13;  de.  de  sen.  7,  22 
und  de  fin.  V  1,  3;  Plut.  an  sen.  3;  Apol. 
apol.  37;  Ps.  Lucian  Macrob.  24. 

')  Vita  13:  xai  note  ip  d^ufiaii  eiaijyaye 
'lofftüyxa.  Vermutet  wird  Axistophanes,  der 
eine  Komödie  Jgäfutta  schrieb,  oder  Lenkon, 
von  dem  ein  Stück  ^^crrc^e^  betitelt  war. 


C.  Drama.    2.  Die  Tragödie,    c)  Sophokles.    (§  163.) 


231 


meldet,  in  dem  derselbe  sein  Zittern  mit  der  Last  der  80  Jahre  entschul- 
digte. Auffällig  ist  nur,  dass  Aristophanes  in  den  Fröschen  Y.  73  nichts 
von  einem  Streit  des  lophon  mit  seinem  Vater  weiss,  sondern  nur  ab- 
warten will,  ob  derselbe  auch  nun,  wo  er  nicht  mehr  des  Vaters  Beihilfe 
habe,  etwas  zu  leisten  im  stände  sei.  Oestorben  ist  Sophokles  als  hoch- 
betagter äreis  von  91  Jahren  unter  dem  Archen  Kallias,  im  Herbste  406.^) 
Sein  Tod  war  ruhig  und  sanft;  spätere  dichteten,  dass  er  bei  dem  Ver- 
schlucken einer  unreifen  Traube,  die  ihm  der  Schauspieler  Eallipides  vom 
Lande  geschickt  hatte,  den  Erstickungstod  gestorben  sei.^)  Kurz  zuvor 
hatte  er  noch  um  den  Tod  seines  Kollegen  Euripides  Trauerkleider  an- 
geleg^^)  An  den  Lenäen  des  folgenden  Jahres  (405)  beklagten  schon  die 
beiden  grossen  Komödiendichter  Aristophanes  in  den  Fröschen  und  Phry- 
nichos  in  den  Musen  den  Hingang  der  zwei  Meister  des  tragischen  Kothurn. 
Das  Grabdenkmal  in  seinem  Heimatsort  an  der  Strasse  nach  Dekeleia 
war  mit  einer  Sirene  als  Symbol  der  Totenklage  geziert.*)  Wie  einem 
Heros  wurden  ihm  dort  alljährlich  nach  einem  Volksbeschluss  Opfer  dar- 
gebracht.^) Die  Sage,  dass  der  spartanische  Feldherr  Lysander  erst  nach- 
dem er  gehört,  dass  Sophokles  gestorben  sei,  den  Trauerzug  aus  der 
Stadt  herausgelassen  habe,^)  lässt  sich  mit  der  geschichtlichen  Wahrheit 
nicht  vereinigen,  da  die  Einschliessung  Athens  erst  im  folgenden  Jahre 
begann.  Das  Bfld  von  der  Oestalt  und  dem  Oesichtsausdruck  des  grossen 
Toten  können  wir  uns  noch  durch  die  Marmorstatue  des  lateranischen 
Museums  vergegenwärtigen,  ^)  die  wohl  eine  Kopie  des  auf  Antrag  des 
Redners  Lykurg  dem  Dichter  im  Theater  errichteten  Standbildes  ist :  eine 
hohe  Gestalt  von  kräftigen  Formen  mit  vollem  Bart-  und  Haarwuchs, 
den  Kopf  nur  wenig  nach  oben  gerichtet,  voll  Klarheit  und  milden  Ernstes. 
In  den  Epitheton,  welche  ihm  die  Zeitgenossen  gaben  (svxokov  nennt  ihn 
Aristoph.  Ran.  82,  naiSiMÖrj  naq*  oivov  xai  de^iov  Ion  bei  Ath.  603  f.), 
und  in  dem  Beiwort  Biene  {fiäXiTra),  welches  ihm  die  Grammatiker  und 


*)  Mann.  Par.  «p/ orro^  U&ijyijct  KaXXiov^ 
ebenso  Diodor  13,  103.  Die  Zeitangabe  der 
Vita  ;r(^  tovg  Xoas  ist  weder  mit  der  £r- 
düümig  von  der  Tranbe  noch  mit  der  Aof- 
fftfanmg  von  Aristophanes  Fröschen  an  den 
Leiden  (Jan^/Febr.)  vereinbar,  ausser  man 
denkt  an  die  l&ndlichen  Dionysien,  die  aller- 
din^  einmal  zur  Zeit  des  Demosthenes  (or. 
18,  160  und  262)  in  Eolytos  zur  Zeit  der 
Weinlese  gefeiert  wurden. 

*)  Vit  Soph.;  Anth.  VII  20;  Sotades  bei 
Stob.  98,  9;  Fb.  Ludan  Macr.  24.  Die  An- 
gabe des  Satyros  in  der  Yita,  dass  er  beim 
Vorlesen  der  Antigene  erstickt  sei,  war  viel- 
ieitbt  nrsprOnglich  ein  Spott  auf  die  lange, 
ptosenloee  Monodie  der  Antigone  in  Oed. 
Col  243—53.  Von  diesen  Todesursachen 
▼ein  noch  nichts  Phrynichos,  der  in  seinen 
Mwoat  (Argum.  Oed.  Col.)  umgekehrt  von 
Soph.  sagte:  xaXoSg  J*  iieXevzrja^  ov^iy  vno- 
fuiMK  xoaroV.  Das  Todesjahr  und  die  Fabeln 
Über  den  Tod  des  Dichters  sind  neuerdings 


besprochen    von    Mbvdblssohn,    Acta    phil. 
Lips,  II  161  flF. 

•)  Vita  Eur.:  Xeyovai,  dd  xal  loqtoxXea 
dxovaavttt  ort  irskevrijasy,  avroy  (jikv  Ifia- 
rifp  (pai<ü  ngosX&eiy,  xov  dd  xoQov  xal  xovg 
vnoxQitag  dax6q>ttv(üXovg  eiaayaysTy  iy  r^ 
TiQoayüjyi. 

*)  Die  Grabschrift  soll  nach  dem  wenig 
verlässigen  Lobon  (anders  bei  Yal.  Max.  8,  7) 
gelautet  haben: 
XQvnxia  xt^de  xd^tf)  £og:oxXij  riQCDxeTcc  Xaßoyrce 

Tfl  XQayix^  ''^X^d  ^XV^^  '^  OBfJiyoxaxov. 
Andere  sicher  fingierte  Grabepigramme  AP. 
VU  21,  22,  36,  87. 

6)  Vita  und  Et.  M.  256,  6. 

«)  Vita;  Plinius  N.  H.  VÜ  109;  Paus.  I 
21,  1.  Bergk  deutet  die  üeberlieferung  auf 
das  Todesopfer,  welches  die  Angehörigen  im 
nächsten  Jahr  am  Sterbetag  dem  Toten  dar- 
brachten. 

7)  Siehe  Tafel;   ttber  die  Statue 
Welckbb,  Denkm.  d.  alt  Kunst  1  457  ff. 


232 


Oriechiflche  litteratargesohiohte.    I.  KlasBisohe  Periode. 


Epigrammatiker  mit  Vorliebe  beilegten,  i)  drückt  sich  noch  mehr  als  in 
den  Zügen  seines  Porträts  die  gewinnende  Anmut  seiner  Umgangsformen 
und  die  bezaubernde  Grazie  seiner  Rede  aus.  Der  Vorwurf  des  Geizes, 
den  ihm  Aristophanes  im  Frieden  V.  696  macht,  dass  er  nämlich,  alt  ge- 
worden, wie  Simonides  nur  dem  Gewinne  lebe,  stimmt  schlecht  zu  seinem 
sonstigen  Wesen.*)  Ein  schöner  Zug  von  Geselligkeit  liegt  in  der  von 
ihm  veranlassten  Gründung  eines  Musenvereins  von  Gebildeten  oder  Theater- 
künstlern.») 

164.  Litterarischer  Nachlass.  Gedichtet  hat  Sophokles  nach  der 
Angabe  des  Grammatikers  Aristophanes  ausser  wenigen  Elegien  und 
Päanen  123  Dramen.*)  Frfolge  erzielte  er  im  dramatischen  Wettkampf 
mehr  als  Aischylos  und  Euripides,  indem  er  18  bis  20  Siege  errang,  ^)  oft 
den  2.  Preis  davontrug,  niemals  auf  die  3.  Stelle  herabgedrückt  wurde. 
Erhalten  haben  sich  von  ihm  nur  sieben  Tragödien  in  folgender  Ordnung: 
Äiac^  ^HXexTQa^  Oldinovq  tVQavvoq^  ^Avuyovrj,  T^axhiai^  <PeAoacTijTJjg,  OiSt- 
Tiovg  inl  KoXwvcp.^)  Wahrscheinlich  waren  diese  die  besten  Stücke  nach 
dem  Urteil  des  Grammatikers,  der  gegen  Ende  des  Altertums  die  Aus- 
wahl traf.')     Der  Ordnung  lag  vielleicht,   wie  Schneidewin  vermutete,*) 


»)  Dio  Chrys.  or.  LH  p.  273;  Cbameb, 
An.  Par.  I  19;  Suidas;  Schol.  zu  Ai.  1199, 
Oed.  Col.  17;  Anth.  VII  22  u.  36.  Aus- 
gegangen sind  die  Späteren  von  den  Versen 
des  Aristophanes:  o  (T  av  £o(poxXiovg  rov 
fisXtii  x6XQf'<ffieyov  |  maneg  xadlaxov  negie- 
Xeixe  ro  aiofxa.  Herein  spielte  offenbar  der 
Anklang  von  ^eh  an  fislri.  Vergleiche  über- 
dies Ath.  20  e:  TiQog  rt^  xaXog  yeyeyijo&M 
Tfjy  wgav  rjy  xal  ©(»/lyar/xjyi'  dedidayfityog  xai 
fAovaixijy,  Vita:  rov  tjf^ovg  loaavtij  ye'yoye 
X^Qf'ii  ftJCTß  Ttayrn  xal  ngog  nnnytfay  avioy 
at^gyeaf^ai. 

«)  Welcker,  Gr.  IVag.  I  268  u.  Bergk, 
Vita  Soph.  p.  XVIII  vermuten,  dass  sich  der 
Vorwurf  auf  die  häufigere  Dichtung  von 
Dramen  während  des  peloponnesischen  Krie- 
ges bezogen  habe,  was  bei  der  Höhe  des 
Dichterhonorars  (s.  §  145  eztr.)  als  Gewinn- 
sucht gelten  konnte. 

')  Istros  in  der  Vita:  laTg  6^  Movattiq 
&Luaoy  ix  taiy  nenatdevfA^yvay  ovyayayety. 
Vgl.  Saufpb,  De  coUegio  artificum  scaen. 
Ind.  Gott.  1876  p.  4  f.  Die  avyoifog  jaSy  tisqI 
Jtoyvaoy  rex^f^rtoy  will  davon  getrennt 
wissen  Köhler  Rh.  M.  39,  293. 

*)  Diese  Zahl  gibt  Suidas  an,  und  damit 
stimmt  auch  die  Zahl  der  echten  StOcke  der 
Vita,  wenn  wir  mit  Bergk  lesen:  6/fA  di 
ÖQttficctn^  üig  (pfjaiy  'jQiarOfptiyriq  gX,  rovrioy 
&}  yeyof^Bviai  C  {iC  codd.).  Die  Zahl  kann 
nicht  ganz  richtig  sein,  da  sie  nicht  mit  4 
in  Tetralogien  zerlegbar  ist. 

^)  20  Siege  gab  Antigonos  Karystios 
nach  der  Vita  an,  24  Suidas,  18  Diodor 
XIII  103;  18  Siege  an  den  Dionysien  gibt 
auch  die  didaskalische  Urkunde  CIA  H  977; 
vielleicht  hat  er  die  2  andern  an  den  Lenäen 


gewonnen. 

*)  Es  haben  sich  also  ebenso  viele  Stacke 
von  Sophokles  wie  von  Aischylos  erhalten; 
ebenso  wurden  von  Sophokles  in  der  byzan- 
tinischen Zeit,  wie  man  aus  den  Schollen 
sieht,  nur  3  Stücke  (Aias,  £1.,  Oed.  R.)  hftu- 
figer  gelesen;  vgl.  §  152  u.  179. 

^)  Von  Antigene  u.  Elektra  heisst  es  bei 
Dioskorides  Antih.  VII  37  n^^orfpcr»  ya^ 
äxQoy^  von  Oed.  R.  in  der  2.  Hypothesis 
^f6/£fc  naaijg  rijg  lofpoxXeovg  noifjaeatg  und 
ähnlich  bei  Ps.  Longin  33  u.  StatUinB  Anth. 
XI  98,  von  Oed.  Col.  ro  dQnfin  rviy  ^fxt^- 
(jLttatiöv,  Philoktet  erhielt  den  1.  Preis  und 
wird  von  Dio  Chrys.  or.  52  bewundert.  Nur 
von  den  Trachinierinnen  fehlt  ein  ausdrück- 
liches anerkennendes  Zeugnis. 

«)  ScHNEiDRwiN,  Abhdl.  d  Gott  Ges,  VI 
264.  Vgl.  das  Referat  von  Wecklbin,  Jabr- 
ber.  d.  Alt.  XIV 1,  242.  Einwendungen  erbebt 
Bbrok,  Vit.  Soph.  p.  XL  hauptsächlicb  des- 
halb, weil  in  der  Ordnung  der  StQcke  der 
übrigen  Tragiker  auf  die  Chronologie  keine 
Rücksicht  genommen  sei.  Aber  dass  es  eine 
Ordnung  nach  der  Zeit  gab,  macht  die  An- 
gabe der  aristophanischen  Hypothesis  der 
Antigene,  dass  ^eselbe  an  32.  Stelle  stund, 
wahrscheinlich.  (Eine  ähnliche  Angabe  findet 
sich  in  Argum.  Eur.  Ale.  und  Aristoph.  Aves 
und  in  Bekker  an.  gr.  zu  Aristoph.  i"^^«c; 
s.  BGcKH,  Ausg.  der  Antig.  S.  120  An.)  Der 
Annahme  einer  chronologischen  Ordnung  fügt 
sich  gut  die  2.  Reihe  Ant.,  Trach.,  Phil.,  Oed^ 
Col.;  mit  dieser  steht  ausser  chronologiscfaein 
Zusammenhang  die  1.  Reihe  Ai.,  El.,  OR., 
welche  ans  den  in  Byzanz  am  meisten  ge- 
lesenen Stücken  gebildet  ist  Ob  inneriialb 
dieser   1.  Reihe  das  Alphabet  oder  die  Zeit 


G.  1>rama.    2.  Die  Tragödie,    c)  Sophokles. 


164—165.) 


233 


ein  chronologisches  Prinzip  zu  gründe,  das  nur  ein  wenig  durch  die  Vor- 
ansteUang  der  drei  im  Mittelalter  am  meisten  gelesenen  Stücke  (Aias, 
Elekira,  Oed.  R.)*)  gestört  wurde.  Ehe  wir  aber  auf  die  erhaltenen  Tra- 
gödien im  einzelnen  eingehen,  wollen  wir  zuvor  von  den  Verdiensten  des 
Sophokles  um  die  attische  Bühne  im  allgemeinen  handeln. 

165.  Neuerungen  in  der  dramatischen  Kunst.  Unter  den 
Neuerungen,  welche  Sophokles  in  der  äusseren  Oestalt  des  dramatischen 
Bühnenspiels  vornahm,  war  die  augenfälligste  die  Vermehrung  der  Schau- 
spieler von  2  auf  3.*)  Dieselbe  muss  von  ihm  gleich  bei  seinem  ersten 
Auftreten  (468)  oder  doch  bald  nachher  durchgesetzt  worden  sein,  da  alle 
seine  erhaltenen  Tragödien  mindestens  drei  Schauspieler  zur  Aufführung 
fordern  und  auch  Aischylos  schon  in  der  Orestie  (458),  wahrscheinlich  auch 
schon  im  Prometheus  und  in  den  Sieben  (467)  von  drei  Schauspielern 
Gebrauch  machte.  Denn  es  ist  ja  selbstverständlich,  dass  die  Gewährung 
von  drei  Schauspielern  zu  gleicher  Zeit  allen  Dichtern  zu  statten  kam. 
Zur  Einführung  eines  3.  Schauspielers  fügte  Sophokles  die  Neuerung,  dass 
er  sich  wegen  seiner  schwachen  Stimme  von  der  Verpflichtung  entheben 
Hess,  selbst  die  Rolle  eines  Schauspielers  bei  Aufführung  seiner  Dramen 
ZQ  spielen.')  Das  geschah  wahrscheinlich  im  Jahre  456,  da  von  diesem 
Jahre  an  in  den  Siegerverzeichnissen  neben  dem  siegenden  Dichter  auch 
der  siegende  Schauspieler  erwähnt  ist.*)  An  die  Einführung  des  3.  Schau- 
spielers knüpft  mit  Recht  Diogenes  die  Vollendung  der  griechischen  Tra- 
gödie; denn  über  sie  gingen   die  Alten  nicht  hinaus^)   und   sie  erst  hat 


massgebend  war,  ist  nngewiss,  doch  ist  das 
entere  wahrscheinlicher.  Von  Bedeutung 
ftr  die  Erkenntnis  der  chronologischen  Folge 
ist  namentlich  der  Versbau,  f&r  die  mir  mein 
ehemaliger  Schüler  Probst  folgende  TabeUe 
znrYerftgnng  gestellt  hat:  Auflösungen  im 
Tiimcter  hat  EL  3,  16,  Ant.  4,  05,  Oed.  C.  5, 
06,  Tiach.  5,  9,  Oed.  R.  5,  93,  Phü.  11,00  auf 
100  Verse.  Versteilung  durch  Personen- 
wechsel Ant.  0,  Ai.  4,  Trach.  4,  Oed.  R.  12, 
KL  27,  Phil.  32,  Oed.  C.  48,  mehr  wie  ein- 
maligen Personenwechsel  El.  1,  Oed.  C.  1, 
Oed.  R.  2,  Phil.  4.  Dazu  kommen  aber  noch 
EigentOmlichkeiteii  der  lyrischen  Versmasse, 
woran  unten  bei  den  einzelnen  Stocken. 

*)  3  Stocke  von  Sophokles  wie  3  von 
Aischylos  analysierte  um  500  Eugenios  (s. 
f  427).  Triklinios  gegen  Ende  des  Mittel- 
alters erweiterte  den  Kreis  auf  4,  indem  er 
n  den  3  ersten  Stocken  auch  noch  die 
AotigoDe  kommentierte.  Etwas  Aehnliches 
werden  wir  bei  Aristophanes  sehen. 

*)  Arisi.  Poet.  4;  Diog.  111  56:  aione^  to 

fr«  rnfntgnijr  i^svgey  im^Q  rov  ayanavea^ai 
'»  Zo^y,  xai  devtegoy  ^Ar/r'Ao^,  roV  cf^ 
J^Toy  StHfonXfjf^  xat  avyenXijgiaae  xrjy  rga- 
rv^t'y.  Vgl.  Dikftarch  in  Vit  Aesch.  13, 
Mas  und  Vita  Soph. 

'}  Vita:  xai  noAXd  iMwyovgyfjasy  iy  toT^ 


aytJai,  nqoitoy  fxky  xttxaXvaag  t^y  vnoxQiaiy 
Tov  noiTjiov  Std  Tijy  idiay  fÄtxgotpmyiay 
TtäXai   ydg  xal  6  noitjxrjg   VTiexQiyero  aviog, 

^)  Dieses  Jahr  ist  aus  der  grossen  di- 
daskalischen  Inschrift  CIA  II  971  ermittelt 
von  Oehhichbn,  Stzb.  d.  b.  Ak.  1889  II  145. 
Dass  die  ZufOgung  des  siegenden  Schau- 
spielers auf  den  Siegerlisten  mit  der  Neue- 
rung des  Sophokles  oder  mit  der  Abschaffung 
des  alten  Brauches,  nach  welchem  der 
Dichterdidaskalos  zugleich  die  erste  Schau- 
spielerrolle spielte,  zusammenhing,  ist  meine 
eigene  Vermutung,  die  sich  leicht  auch  einem 
anderen  aufgedrftngt  haben  wird.  Wenn  des 
weiteren  nun  in  dem  Leben  des  Sophokles 
fiberliefert  wird,  dass  der  Dichter  selbst  in 
der  Rolle  der  ballspielenden  Nausikaa  und 
des  die  Laute  spielenden  Thamyris  excelliert 
habe,  so  müssen  wir  nach  obigem  annehmen, 
dass  beide  Stücke,  die  Nausikaa  und  der 
Thamyris,  in  die  Zeit  vor  456  oder  zwischen 
468  und  456  zu  setzen  sind.  Bei  der  Nau- 
sikaa spricht  für  einen  so  frühen  Ansatz  auch 
der  Mangel  einer  Scene,  wie  Robert  GOtt. 
Anz.  1897  S.  29  bemerkt. 

^)  Zweifelhaft  ist  es  indes,  ob  man  in 
Oed.  Col.  mit  3  Schauspielern  auskommen 
kann  und  ob  es  nicht  hier  eines  4.  Schau- 
spielers oder  doch  eines  Statisten  für  die 
Ismene  an  den  Stellen  1097,  1255,  1542  be- 
durfte. 


234 


Grieohisohe  LitteratnrgeBohichte.    I.  Elassisohe  Periode. 


dem  Sophokles  die  kunstvolle  Durchführung  einer  verschlungenen  Handlung 
und  die  wirksame  Gegenüberstellung  verschiedener  Charaktere,  wie  der 
Antigone  und  Ismene,  der  Elektra  und  Chrysothemis ,  ermöglicht.  — 
Ebenso  wie  die  Zahl  der  Schauspieler  vermehrte  er  die  der  Choreuten, 
und  zwar  von  12  auf  15.  i)  Diese  Neuerung  ist  später  wie  die  zuvor  be- 
sprochene eingeführt  worden,  da  wir  sie  noch  nicht  im  Agamemnon  des 
Aischylos  und  selbst  noch  nicht  im  Aias  unseres  Dichters  treffen.  Wie- 
wohl von  minder  hoher  Bedeutung,  hat  sie  doch  eine  ebenmässigere  Auf- 
stellung des  Chors  (7  +  7  +  Koryphaios)  ermöglicht  und  ausserdem 
dem  Koryphaios  eine  selbständigere  Stelle  verschafft,  zumal  wenn  der 
Chor  in  zwei  gegenüberstehende  Reihen  {ärtiTtQoawnoi)  auseinander- 
trat. Darin  beruht  aber  auch  der  Zusammenhang  der  beiden  Neuerungen, 
indem  nunmehr  der  Chorführer  in  den  Wechselgesprächen  gleichsam  als 
4.  Schauspieler  den  drei  Schauspielern  der  Bühne  gegenübertrat. ^)  Der 
Lexikograph  Suidas  erwähnt  auch  eine  eigene,  in  Prosa  geschriebene 
Schrift  des  Sophokles  n€Qi  xov  xoqov^  worin  derselbe  gegenüber  Thespis 
und  Choirilos,  den  ersten  Ordnern  des  Chors,  die  Vorteile  seiner  Neuerung 
auseinandersetzte.  —  Seine  weittragendste  Neuerung  bestand  in  der  Los- 
lösung der  einzelnen  Dramen  von  ihrem  tetralogischen  oder  trilogischen 
Zusammenhang,  was  Suidas  mit  den  unklaren  Worten  ausdrückt:  r^Q^e 
Tov  igäfia  TiQoq  dQU^ia  dywviX^ax^ai^  aXXd  /ULt;  texQuloyetax^ai  (v.  1.  tstqu- 
Xoyiav),  Die  Erklärung  der  Worte  geben  uns  die  Tragödien  des  Sophokles 
selbst  an  die  Hand,  wenn  wir  es  auch  schwer  empfinden,  dass  uns  gerade 
von  ihm  keine  einzige  vollständige  Didaskalie  und  keine  Angabe  über  die 
mit  den  einzelnen  sieben  Tragödien  zugleich  gegebenen  Stücke  erhalten 
ist.  Vor  wie  nach  aber  traten  die  Tragiker  an  den  grossen  Dionysien  mit 
vier,  nicht  etwa  mit  einem  Drama  in  den  Wettkampf;  vor  wie  nach  auch 
erhielten  die  einzelnen  Clioregen  und  Dichter  nur  einen  Preis  auf  Grund 
ihrer  Gesamtleistung  in  den  vier  Stücken.*)  Ob  seit  Sophokles  Neuerung 
die  drei  Stücke  einer  Trilogie  auf  drei  Tage  verteilt  und  das  Gesamturteil 
erst  aus  dem  Urteil  über  die  einzelnen  Stücke  gewissermassen  zusammen- 
gerechnet wurde,  darüber  lassen  sich  nur  Vermutungen  aufstellen.^)  Aber 


*)  Vita:  tovg  di  x^gevtdg  noiijaas  tiyfl 
iß'  i^,  ebenso  Suidas. 

')  Darauf  ist  besonders  aufinerksam  ge- 
macht von  Hensb,  Der  Cbor  des  Sophokles, 
Berl.  1877;  vgl.  auch  meine  Metrik,  2.  Aufl., 
S.  670.  Beachtenswert  ist  auch,  dass  gegen- 
über den  vielen  nach  dem  Chor  benannten 
Stücken  des  Aischylos  fast  alle  Stücke  des 
Sophokles  nach  der  Hauptperson  den  Namen 
haben. 

'j  Die  zahlreichen  Belege  für  die  beiden 
Sätze  sind  zusammengestellt  von  Bbrok,  Gr. 
Lit.  lU  231.  lieber  eine  Tetralogie  des  So- 
phokles, bestehend  aus  Aiyevg  (?)  Wvaaevg 
^IßflQH  TTJXetpog,  welche  nach  dem  4.  Jahrh. 
V.  Chr.  in  Rhodos  aufgeführt  wurde,  siehe 
Kaibel  Henn.  23,  273. 

*)  Ueber  diese  Vermutungen  s.  Bebok, 
Vita  Soph,  p.  XXIX.     Dindobp,   Vita  Soph. 


p.  XXXV  bezweifelt  die  Echtheit  der  üeber- 
lieferung  und  will  den  Absatz  in  der  Fassung 
TOV  fjLtj  d^afAa  .  .  dem  Artikel  4»Qityixog  zu- 
weisen. Ad.  Soböll,  Gründlicher  Unterricht 
über  die  Tetralogien  des  alten  Theaters, 
Leipzig  1859,  polemisiert  ohne  Glück  gegen 
die  im  Texte  gegebene,  wesentlich  auf 
Welcker  zurückgehende  Deutung  und  er- 
klärt S.  37  den  Satz  des  Suidas  für  eine 
falsche  Vorstellung  der  Späteren.  SchöU's 
Anschauung  von  einem  inneren  Zusammen- 
hang der  Oedipusstücke  sucht  geistreich, 
aber  ohne  Erfolg  Vischeb,  Allg.  Zeit.  BeiL 
1861  Nr.  186-9  zu  verteidigen.  Die  Sache 
ist  endgültig  zum  Austrag  gebracht  von 
L.  Schmidt,  Bilden  die  3  thebanischen  Tra- 
gödien eine  Trilogie?  in  Comm.  phil.  Bonn. 
219 — 259.  Die  Annahme  einer  Verteilung 
der  3  Stücke  auf  3  Tage  rät  allerdings  der 


C.  Drama.    S.  Die  Tragödie,    c)  Sophokles.    (§  166.) 


235 


was  wir  aus  den  erhaltenen  Tragödien  sehen,  ist,  dass  Sophokles  jede 
einzelne  Tragödie  in  sich  abrundete,  so  dass  sie  auch  ohne  die  beiden 
andern  verstanden  und  gewürdigt  werden  konnte.  Er  entschlug  sich 
also  der  beengenden  Notwendigkeit  aus  einem  kleinen  Mythus,  wie  es 
z.  B.  der  des  liykurgos  war,  drei  Tragödien  herauszuschlagen  und  brachte 
zugleich  in  die  einzelnen  Dramen  mehr  Leben  und  Handlung,  indem  er 
aus  dem  Gesamtmythus  den  Punkt  herausgriff,  der  sich  zur  lebens- 
vollen dramatischen  Handlung  am  meisten  eignete.  So  sind  also  die  drei 
Tragödien  Oed.  Rex,  Oed.  Gol.,  Antig.,  welche  dem  Inhalt  nach  zur 
trilogischen  Zusammenfassung  wie  geschaffen  scheinen,  jede  für  sich  ge- 
dichtet und  jede  zu  einer  andern  Zeit  aufgeführt  worden.  —  Bezüglich 
anderer  unbedeutender  und  bestrittener  Neuerungen  des  Sophokles  hören 
wir,  dass  er  den  Erummstab  der  Greise  und  die  weissen  Schuhe  der  Schau- 
spieler und  Choreuten  erfunden, i)  die  Scenenmalerei  vervollkommnet,*) 
die  phrygische  Tonart  und  dithyrambische  Weise  in  die  Theatermusik  ^) 
eingeführt  hat. 

166.  Eunstcharakter.  Die  Neuerungen  in  der  Form  des  drama- 
tischen Spiels  waren  gute,  zum  Teil  ausgezeichnete  Griffe  unseres  Meisters; 
aber  höher  steht  doch  der  geistige  Gehalt,  den  er  den  Schöpfungen  seines 
dichterischen  Genius  einzuhauchen  verstand.*)  Lob  verdient  da  zuerst  die 
Charakterzeichnung  sowohl  in  Bezug  auf  Naturwahrheit,  als  auf  Idealität 
der  Auffassung.  Seine  Personen  sind  unserem  Herzen  und  unserer  Em- 
pfindung näher  gerückt  als  die  des  Aischylos;  nicht  übermenschliche, 
gigantische  Eräfte  lässt  er  spielen,  die  zarten  Regungen  der  Liebe,  die 
staatsmännische  Weisheit  des  Herrschers,  die  Gegensätze  des  Geschechtes 
and  Alters  kommen  zum  klar  umrissenen  Ausdruck.  Aber  es  fallen  des- 
halb nicht,  wenn  wir  von  den  nebensächlichen,  mit  Humor  nach  dem 
Leben  gezeichneten  Boten-  und  Wächterrollen  absehen,  die  Personen 
aus  der  erhabenen  Höhe  der  Heroenzeit  in  die  platte  Trivialität  der  ge- 
meinen Gegenwart  herab.  Sophokles  selbst  war  sich  dieser  seiner  Vorzüge 
in  der  Charakterzeichnung  klar  bewusst ;  sagte  er  doch  in  einem  berühmten 
Ausspruch,  er  stelle  die  Menschen  dar  wie  sie  sein  sollten,  Euripides  wie 


Wortlaat  der  Suidasstelle  an  and  wird  neuer- 
dings verteidigt  von  Fbeericks,  Eine  Neue- 
nmg  des  Sophokles,  in  Comm.  Ribbeckianae 
1888  8.  205  15.  Wecklbin,  üeber  eine  Tri- 
logie  des  Aeschylos  und  über  die  Trilogie 
fiberbanpt,  Stzb.  d.  b.  Ak.  1891  S.  368  ff.  ver- 
langt^ dass  die  Worte  des  Suidas  dahin  ge- 
deutet werden,  dass  Sophokles  die  Zulassung 
auch  eines  einzelnen  Stückes  statt  einer  Tri- 
logie zum  Agon  durchgesetzt  habe. 

*)  Vita:  £atvQos  ffe  <pTj<Fiy  ozv  xai  xrjy 
»afjinvXfjp  ßaxxri^iap  aviog  knevotjaBv  '  (prjai 
di  xai  *lar^og  rag  Xevxdg  XQt^Tifas  avroy 
iHvQtjxiwtti,  äs  vnodovvxai  oV  re  VTJoxQiral 
xai  ol  ^[ogeifTat,  xai  TtQog  tag  <pva€ig  avrtoy 
yQa^at   td  dgafiaja. 

*)  Arist.  Poet.  4:  TQeig  d^  vnoxQi.Tfrg  xai 
axtjyoyQaKplay  loKpoxXrjg  na^eaxevaaey.    Aber 


schon  für  Aischylos  hat  Agatharchos  nach 
Vitruv  VII  praef.  Dekorationen  gemalt. 
Wahrscheinlich  ist  der  Zwiespalt  der  Zeug- 
nisse damit  in  Verbindung  zu  bringen,  dass 
das  Theater  in  den  älteren  Stücken  des 
Aischylos  überhaupt  noch  keine  axrjyij  oder 
Rückwand  hatte. 

*)  Vita:  q>r]al  d^  'AQMxo^syog  tug  ngüärog 
twy  'J&i]ytj9ey  Ttoirjrtoy  xrjy  ^Qvylay  fueXo- 
nouay  Big  xd  t&ia  ^afiaxa  TiaQsXaße  xai  tov 
dt&vQa/ußixov  TQonov  xard^i^ey.  Die  dithy- 
rambische Weise  scheint  sich  auf  die  Frei- 
heit des  häufigen  Rythmenwechsels  in  den 
Gesangspartien  zu  beziehen. 

^)  0.  Ribbeck,  Sophokles  und  seine 
Tragödien,  in  Sammlung  wiss.  Vorträge, 
83.  Heft. 


236  Orieohisehe  LitteratargeBchichte.    I.  Klasaisohe  Periode. 

sie  wirklich  seien.  ^)    Dabei  verstand  er  es  durch  scharf  markierte  Gegen- 
satze in  den  Charakteren,  wie  der  heroischen  Antigene   und  der  zartbe- 
saiteten Ismene,  des  schlauen  Odysseus  und  des  offenherzigen  Neoptolemos, 
des  starrsinnigen  Aias  und  der  hingebenden  Tekmessa,  Konflikte  geistiger 
Mächte  in  die  Tragödie  zu  bringen.     Mit  Geschick   hat  er  endlich  in  der 
Charakterzeichnung  auf  die  Natur  und  Fähigkeiten  seiner  Schauspieler, 
von  denen  uns  Tlepolemos,  Eleidemides  und  Eallipides  genannt  werden, >) 
Rücksicht  genommen,  wie  denn  ganz  unverkennbar  Antigene  und  Elektra, 
Ismene  und  Chrysothemis  denselben  Schauspielern,  wie  man  sagt,  auf  den 
Leib   geschrieben  sind.^)  -—  Im  Aufbau   des  Dramas  hält   er  immer    den 
Blick  fest  auf  die  eine  Handlung  und  die  in  ihr  verkörperte  Idee  gerich- 
tet; alles  Beiwerk,  was  den  Blick  zerstreuen  und  die  Aufmerksamkeit  von 
dem  einen  Ziele  ablenken  könnte,  wird  sorgsam  vermieden.     Mit  bewusster 
Oeistesklarheit,   nicht  nach  den  Eingebungen  eines  dunklen  Gefühles    hat 
er  sich  den  Plan  seiner  Stücke  bis  ins   einzelne  entworfen  und    ihn    in 
strenger  Gesetzmässigkeit  so  durchgeführt,  dass  kein  Glied  aus  der  Reihe 
fallt.     Insbesondere  zeigt  sich  das  in  den  Chorgesängen,  die  stets  bei  der 
Sache  bleiben  und  den  Gefühlen,   welche  die  Handlung  auf  der  Bühne  in 
jeder  fühlenden  Brust  erregen  musste,   entsprechenden  Ausdruck   leihen. 
Auch  diese  Seite  der  Kunst  des  Sophokles  hat  gerechte  Würdigung  bereits 
bei  Aristoteles  gefunden,   der  Poet.  18   die  Weise,   wie   er  den  Chor    be- 
handelte,  als  Muster   hinstellt:    xai  tov  x^Q^^'  ^^  ^'vcc   ist  vnoXaßciv    %wv 
vrtoxQiTwv  xai  ftiogiov  €ivai  tov  okov  xal  awayom^ead^m^  jinlj  oiansQ  Ev^&TrtS^ 
aXV  waTieg  2o(foxXsT,    Aber  nicht  die  Stelle  eines  beliebigen  Schauspielers 
nimmt  der  Chor   des  Sophokles  ein;   er  vertritt   das  in   der  Stimme    des 
Volkes  zum  Ausdruck  kommende  sittliche  Bewusstsein ;  er  steht  mit  seiner 
ruhigen  Klarheit  über  dem  Kampf  der  Leidenschaften  und  bildet  so  recht 
das  ideale  Element  in  der  sophokleischen  Tragödie.^)  —  Die  Hauptaufgabe 
der  Tragödie,  die  Erregung  und  Reinigung  von  Furcht  und  Mitleid,    läset 
sich,  wie  Sophokles  richtig  erkannte,  nicht  lösen,  ohne  den  erschütternden 
Umschwung   [nsQiTibTeia)    des   Geschickes   der   Hauptpersonen.     Unglück, 
Tod  und  Jammerklage  bildeten  von  jeher  die  Sphäre  der  Tragödie;    aber 
den  Umschwung  von  der  sonnigen  Höhe  des  Glückes  zum  finsteren  Todes- 
grauen den   Zuschauern  vorzuführen,   sie   in  banger  Spannung  um    ihre 
Helden  zittern  zu  lassen,  das  verstand  Sophokles  meisterlich.  Dazu  diente 
ihm  der  glückliche  Griff  in  der  Wahl  des  Stoffes  und  das  rechte  Geschick 
in   der  Bearbeitung  desselben.     Einfache  Handlungen   {änXai  TQayfiydiegi^ 
wie  sie  Aischylos  liebte,   taugten  ihm  nicht;   selbst  im  Aias  und  Oedipus 
Col.  wusste  er  die  geradlinige  einfache  Bewegung  durch  Zwischenfalle   zu 
unterbrechen  und  zu  beleben.     Verwickelte  Mythen  {nsTiXsy^svai  TQayfpdfctiy 
also  mit  grossartiger  Peripetie  suchte  er  aus  und  half  durch  geschickt« 
Zudichtungen,   wie   von  der  unglücklichen   Liebe   des  Haimon   oder    dem 


')  Arist.  Poet.  25:  lotpoxXrjs  lq>rj  avi6<; 
fjL^v  oXovg  dei  noiBiv,  Evginldrjy  d^  oloi  elaiv. 

»)  SchoL  Arist  Nub.  1266,  Ran.  803; 
vgl.  Vita  6. 

')  So  weit  aber  ging  Sophokles  nicht, 
wie  Shakespeare,  der  im  Hamlet  die  Königin 


mit  iA  f€U  and  scant  of  breath  den  8cbaiz> 
Spieler,  nicht  den  dargestellten  Hamlet  kenni- 
zeichnen  lässt. 

^)  Auf  den  sophokleischen  Chor    paast 
Horaz  a.  p.  193  ff.  n.  Aristot.  ProbL  Xrf  48~ 


C.  Drama.    2.  Die  Tragödie,    o)  Sophokles.    (§  167.) 


237 


Missgeschick  des  Orestes  bei  den  pythischen  Spielen,  der  Dürftigkeit  des 
überlieferten  Mythus  nach,  ohne,  wie  Euripides,  den  Pfad  der  Überliefe- 
rang gänzlich  zu  verlassen  und  sich  ins  Romanhafte  zu  verlieren.  Die 
Lösung  des  Knotens  (i^vaig)  führte  er  durch  geschickte  Schürzung  des- 
selben {nloxij)  und  den  in  dem  Charakter  der  Personen  und  der  ganzen 
Anlage  des  Stückes  begründeten  Fortgang  der  Handlung  herbei.  Nur 
einmal,  in  dem  Philoktet,  nahm  er  zu  dem  bequemen  Ausweg  der  Götter- 
mascliine  seine  Zuflucht.  Indem  er  aber  so  dem  sittlichen  Willen  des 
Einzelnen  erhöhten  Einfluss  auch  auf  sein  Geschick  zumass,  milderte  er 
die  Herbheit  der  alten  Vorstellung  von  einem  blindwaltenden  Verhängnis. 
Es  ist  nicht  bloss  allegorisches  Spiel,  wenn  er  im  Oed.  Col.  1381  dem 
Zeus,  dem  Lenker  der  Welt,  die  Dike  zur  Beisitzerin  gibt.  In  diesem 
Glauben  an  eine  sittliche  Weltordnung  und  in  der  ehrfurchtsvollen  Scheu 
vor  den  ewigen  Gesetzen  edler  Menschlichkeit,  offenbart  sich  zugleich  auch 
die  tiefe  Religiosität,  welche  die  Alten  an  ihm  rühmten  und  welche  ihn 
mit  demutsvollem  Glauben  selbst  an  Seher-  und  Orakelsprüche  erfüllte,  i)  — 
Auch  auf  die  kleineren  Hilfsmittel  der  Spannung  und  Gemütserregung  ver- 
stand er  sich  einzig.  Die  Wiedererkennungsscene  in  der  Elektra  steht 
an  ergreifender  Wirkung  keiner  euripideischen  nach.  Mit  besonderem 
Geschick  aber  handhabt  er  die  Kunst  der  tragischen  Ironie  in  einzelnen 
Ausdrücken  wie  in  ganzen  Scenen.')  Wie  musste  nicht  der  Zuschauer, 
der  schon  den  Verlauf  und  Ausgang  der  Verwicklung  voraus  wusste,  tief 
?on  der  Nichtigkeit  alles  menschlichen  Witzes  durchdrungen  werden, 
wenn  er  den  Oedipus  die  Worte  sprechen  hörte  akk'  ovnov'  eifiu  %oXg  (pvrev" 
aaatv  Y  ofiov  (V.  1007),  während  er  thatsächlich  schon  längst  in  unseliger 
Nahe  mit  seiner  eigenen  Mutter  zusammenlebte. 

167.  Sprache  und  Metrik.  Edel  und  erhaben  wie  die  Gharakter- 
zeichnung  ist  auch  die  Sprache  des  Sophokles.  Auch  hier  hielt  er,  seinem 
grossen  Zeitgenossen  Pheidias  vergleichbar,  das  schöne  Mass,  die  rechte 
Mitte  zwischen  den  Extremen;  den  Schwulst  des  Aischylos  hat  er  abge- 
streift, von  dem  Marktgezänke  des  Euripides  hielt  er  sich  fern.»)  In  der 
Anmut  der  Sprache,  nicht  bloss  in  dem  Anschluss  an  die  Mythen  des 
epischen  Kyklos  erkannten  die  Alten  den  homerischen  Zug  in  der  sopho- 
kleischen  Poesie.*)  Von  dem  Honigseim,  den  Aristophanes  in  seiner  Rede 
fand,  war  bereits  oben  die  Rede;  doch  vom  Süsslichen  ist  seine  Sprech- 
und  Denkweise  weit  entfernt,  umgekehrt  sind  für  unser  Gefühl  die  Ge- 
danken und  Worte  der  Antigene  und  Elektra  oft  zu  herb  und  verstandes- 
iDa8sig.5)  In  dem  Versbau  und  den  Rhythmen  entfernte  er  sich  ein  wenig 
von  der  Strenge  und  Gesetzmässigkeit  des  Aischylos.  Insbesondere  er- 
lebte er  sich  im  Trimeter  des  Dialoges  häufiger  Auflösung  der  Längen 
and  Zerschneidung  des  Verses  durch  Personenwechsel,  ja  selbst  einigemal 


')  SchoL  ad  £1.  831:   tsX^fof  «(jLrixaveX 

')  Thirlwall,  Od  the  irony  of  Sophocles, 
MMo8.  n483  ff.  =  Philol.  6,  81  ff. 
*)  Plut  de  profecfca  virt.  7. 
*)  Polemon  bei  Suidas:  eXtysy  ovy  "Ofdrj- 


Qoy  jLiiy  SocpoxXea  imxoy,  SoffoxXin  dyOfÄr}(}oy 
xgayvxoy.  Vgl.  Vita  93;  Dionys.  de  comp.  24; 
Dio  Chrys.  or.  52  p.  272. 

*)  Diog.  IV  20  von  Polemon:  ijy  &k  xal 
q>Uoao(poxXijg  xal  ficcXiata  iy  ixeiyocg  .  . 
ey^a  ^y  xaxd  loV  ^Qvyixoy  ov  yXv^tg  ovd' 
VTio/rroc  ttXXtc  IlQttfÄUog. 


I 

L 


238 


Oriechiflohe  Litieratnrgeschlohte.    1.  Slassisohe  Periode. 


den  Apostroph  am  Yersschluss.^)  Die  freien  Masse  seiner  Chorgesänge 
und  Monodien  haben  weder  die  Mannigfaltigkeit  noch  den  einfach  durch- 
sichtigen Bau  des  Aischylos;  doch  schliessen  sich  die  Rhythmen  gut  der 
jedesmaligen  Stimmung  an,  und  wenn  manche  Strophen  schwerer  zu  re- 
zitieren sind  und  uns  nicht  so  leicht  ins  Oehör  gehen,  so  ist  daran  der 
Verlust  der  Melodien  schuld.  Jedenfalss  steht  der  rhythmische  Formen- 
reichtum des  Sophokles  weit  über  dem  Leierkasten  des  Euripides  und 
bilden  gerade  die  Chorgesänge  wegen  der  Tiefe  und  Hoheit  der  Gedanken 
und  der  schmiegsamen  Schönheit  des  sprachlichen  Ausdrucks  die  schönsten 
Perlen  im  Ruhmeskranz  unseres  Dichters.^)  Fassen  wir  alles  zusammen, 
so  begreifen  wir  die  Verehrung,  welche  selbst  die  Komiker  dem  Sophokles 
entgegentrugen,  und  welche  die  Künstler  durch  die  Tänie,  die  sie  ihm 
ins  Haar  flochten,  zum  Ausdruck  brachten.^)  Das  urteil  der  Zeitgenossen 
gibt  Xenophon  wieder,  wenn  er  Mem.  I  4  im  Epos  dem  Homer,  im  Dithy- 
rambus dem  Melanippides,  in  der  Tragödie  unserem  Sophokles  die  Palme 
reicht*) 

168.  ATag  f^iacriyotfiqoq  ist  80  zubenannt  im  Gegensatz  zu  dem  ver- 
lorenen jßaq  AoxQog  von  der  Geissei,  welche  Aias  über  dem  Widder,  dem 
vermeinten  Odysseus,  schwingt  (V.  110).^)  Der  Stoff,  schon  von  Aischylos 
in  den  &gf^(r(fai  behandelt,  war  der  kleinen  Dias  des  Lesches  entnommen,*) 
hatte  aber  für  Athen  ein  spezielles  lokales  Interesse,  da  der  Salaminier 
Aias  zu  den  Stammesheroen  Attikas  gehörte,  ^j  Im  Anschluss  an  das  Epos 
stellt  Sophokles  im  Eingang  den  Aias  dar,  wie  er  rasend  über  die  Tiere 
der  gemeinsamen  Beute  herfällt  in  dem  Wahne,  dass  diese  seine  Feinde, 
die  Atriden  und  Odysseus,  seien.  Die  unheimliche  Gestalt  der  feindseligen 
Göttin  Athene,  die  dem  Odysseus  das  schreckliche  Bild  des  rasenden  Aias 
zeigt,  ist  neu,  wie  der  Verfasser  der  Hypothesis  bemerkt;  sie  ist  hinzu- 
gefügt, teils  um  die  Macht  der  Gottheit  über  die  in  ihrem  Stolze  sieh 
überhebenden  Menschen  klar  vor  Augen  zu  führen  (V.  118 — 133),  teils 
um  den  Zuschauern  den  unmittelbaren  Anblick  der  grausen  Mordseene  zu 
ersparen.  In  der  altertümlich  gebauten,  durch  anapästische  Systeme  ein- 
geleiteten Parodos  bejammert  sodann  der  Chor  der  salaminischen  SchiflFs- 
mannen  die  durch  der  Götter  furchtbaren  Zorn  herbeigeführte  Sinnesver- 


')  Ath.  543  e.  Vgl.  meine  Metrik,  2.  Aufl., 
S.  804;  man  nannte  diese  Nachlässigkeit 
nach  SchoL  Heph.  p.  143  W.  oxrjf^«  ^o- 
<p6xX€ioy. 

»)  Schol.  ad  Oed.  C.  668:  2:o(poxX^g  im 
To  tifioy  ttnayret  /«(»axnypKrrtxoV,  ro  yXa- 
(pvQov  xtti  io&ixov  fifXog.  Dazu  Dio  Chrys. 
or.  LH  fin.:  r«  de  fisXtj  ovx  l/e*  tioXv  to 
yvüDfAixoy  ov&c  trjv  ngog  (rQBxrjy  TiagccxXrjaiyy 
aianSQ  rri  Evginiifov,  ijdoyrjy  d"^  d^avfAaGTrjy 
xai  fAEynXo-nQiTtBiay^  diare  fjiTJ  eixfj  roinvra 
ncQi  avTov  toV  'AQiaTotpdvr}  siQfjxiyai  ' 
6  <f*  UV  lofpoxXiovg  rov  fisXiri  xBXQiafÄfvov 
wancQ  xadlaxov  negieXei)^e  ro  axofjia. 

»)  Welcker,  Denkm.  d.  alt.  Kunst  I 
470  ff. 

^)  Aehnlich  der  Grammatiker  der  Vita 
Aesch.,   der   die  Tragödie   unter  Sophokles 


ihren  Höhepunkt  [tBXBtoirjg)  erreichen  IftssL 
')  Nach  der  Hypothesis  betitelte  Dik&- 
arch  unser  Stück  Autyxog  »dyarog  and  hatte  ee 
in  der  Didaskalie  einfach  die  AufBchrift  ^mv^. 
«)  Proklos  ehrest,  p.  238  W.:  «7  »«^ 
ÖTtXcjy  xQiaig  yiyejM  xal  'Odvaaer^  juerti 
ßovXrjaiy  'Adijydg  Xttftßdyeiy  Jtag  da  ifdfdgtp^^ 
ysyofjLevog  Ttjy  re  Xeiay  rtay  'Ax^^^y  Äf^m- 
yftai  xttl  iavToy  dyaiQst.  Dass  auch  die 
Gestalt  der  Athene  dem  Epos  entlehnt  ^vrar, 
macht  aus  einem  alten  Vasenbild,  wo  Athene 
zuschaut,  wie  Aias  den  Widder  fortzerrt, 
wahrscheinlich  Robbrt  im  50.  (1890)  Win- 
ckelmannsprogramm  S.  31. 

^j  Passend  hat  deshalb  Sophokles  den 
Chor  aus  Salaminiem,  nicht  wie  Aischylos 
aus  gefangenen  Thrakerinnen,  bestehen 
lassen. 


C.  Drama.    2.  Die  Tragödie,    o)  Sophoklee.    (§  168.) 


239 


blendnng  des  geliebten  Führers.  Bald  darauf,  nachdem  das  Thor  geöffnet 
ist,  sehen  wir  den  Helden  selbst  in  dumpfer  Verzweiflung  dasitzen.  Er- 
weicht durch  die  rührenden  Zureden  der  Tekmessa  und  den  Anblick  seines 
einzigen  Kindes  Eurysakes,  scheint  er  nochmals  von  Todesgedanken  ab- 
ZQstehen  und  sich  unterwürfig  der  Notwendigkeit  zu  fügen,  so  dass  de 
Chor  in  einem  Tanzlied  an  Pan  (693—718)  seiner  Freude  über  die  Um- 
stimmung  des  Führers  Ausdruck  gibt.  Aber  die  Umstimmung  war  Täu- 
schung; schon  am  Schlüsse  des  nächsten  Epeisodion  erblicken  wir,  nach- 
dem wir  durch  Ealchas  Warnungen  auf  das  nahende  Geschick  vorbereitet 
worden,  den  Aias  in  einsamer  Waldesgegend  vor  dem  scharfgeschliffenen 
Schwert,  in  das  er  sich  nach  dem  berühmten  Monolog  (815 — 865)  an  den 
bitteren  Todesbringer  stürzt.  Mit  dem  Tode  des  Helden  endigt  aber  nicht 
die  Tragödie;  der  zweite,  über  fünfhundert  Verse  füllende  Teil  dreht  sich 
um  die  Bestattung  des  Leichnams,  den  die  Atriden  den  Hunden  vorwerfen 
woDen,  den  aber  doch  nach  langem  Streit  der  treue  Halbbruder  Teukros 
dem  Mutterschoss  der  Erde  übergibt.  Dieser  zweite  Teil  missfällt  uns, 
da  wir  nach  der  Katastrophe  nicht  noch  ein  so  langes  Nachspiel  erwarten, 
and  er  wurde  daher  von  verschiedenen  Seiten  auf  eine  spätere  Überarbeitung 
des  Stückes  zurückgeführt.^)  Aber  der  Dichter  hat  ihn  deutlich  in  dem 
Monologe  des  Aias  V.  827  f.  angekündigt,  und  die  alten  Zuschauer  werden 
ihn  bei  dem  religiösen  Gewicht,  das  sie  auf  die  Totenbestattung  legten, 
günstiger  beurteilt  haben.  Der  lange  Streit,  zumal  des  Teukros  mit  dem 
übermQtigen  Agamemnon  und  dem  Menelaos,  dem  Repräsentanten  des 
rohen  Spartanertums,  war  überdies  Sirenenmusik  für  die  Athener,  die 
gewiss  mit  lautem  Beifall  den  Vers  1102  InccQtrjg  avdaawv  riXO^eq  ovx 
rn»Y  xQax&v  aufnahmen.  Versöhnend  ist  auch  die  Wendung,  dass  schliess- 
lich Odysseus  selbst,  der  Todfeind  des  Aias,  mit  dem  toten  Helden  Mitleid 
hat  nnd  die  Bestattung  des  Leichnams  herbeiführt.  Vielleicht  rechtfertigte 
öberdies  der  trilogische  Zusammenhang  die  lange  Ausdehnung  des  Schluss- 
teiles; denn  bei  dem  hohen  Alter  unseres  Stückes  ist  es  erlaubt  anzunehmen, 
dass  dasselbe  noch  nach  Art  der  äschylischen  Tragödien  mit  dem  Teukros 
und  Eurysakes*)  zu  einem  Ganzen  verbunden  war.  Dass  aber  der  Aias 
aus  der  älteren  Periode  des  Sophokles  stamme,  dafür  spricht  ausser  dem 
fcchyüschen  Bau  der  dreigliederigen  Parodos  und  der  steifen  Gestalt  der 
grinsenden  Athene  auch  der  Umstand,  dass  die  wahrscheinliche  Verteilung 
der  Epiparodos  866— 878,  namentlich  von  866— 871,  unter  Einzelchoreuten 
anf  einen  Chor  von  12  (2  mal  6),  noch  nicht  von  15  Mann  führt.») 


')  BiBOK.  Gr.  Litt.  III  378  ff. ;  0.  Rib- 
Bici,  Sophokles  19;  van  Lbeüwen,  De  au- 
^entia  et  integritate  Aiacis  Sophoclei,  Ut- 
foelit  1881.  Anch  die  häufigen  Auflösungen 
in  Trimeter  scheinen  die  Annahme  eines 
^ttteren  Ursprungs  oder  einer  späteren  Um- 
*'l>eit(uig  zu  begünstigen.  Dass  schon  die 
Alten  ungflnstig  über  diesen  zweiten  Teil 
<k8  Aias  dachten,  lehren  die  Schollen  zu 
V.  1128  u.  1126.  -  Eine  lateinische  Ueber- 
^f*Bnig    des    Aiax    lorarius    lieferte    Jos. 

SCAIIOBK. 

^  Ueber  den  Inhalt  des  Eurysakes,  den 


Accius  übersetzte,  s.  Welckbr,  Gr.  Trag.  II 
197  ff.  und  Ribbeck,  Rom.  Trag.  419  ff. 

»)  So  G.  WoLPF  in  der  Ausgabe,  dem 
Muff,  Chorische  Technik  des  Sophokles,  bei- 
stimmt. Wen  DT  in  seiner  Uebersetznng  S.  12 
macht  mit  Recht  für  die  frühe  Abfassung 
auch  den  Charakter  der  Versmasse  und  den 
Umstand  geltend,  dass  nur  an  2  vS teilen,  im 
Prolog  und  kurz  vor  Schluss  8  Schauspieler 
gleichzeitig  an  der  Handlung  teilnehmen, 
etwas  was  auf  die  Zeit  hinweist,  in  der  man 
den  Vorteil  des  8.  Schauspielers  erst  all- 
mählich auszunützen  begann.    Auch  der  Chor 


l 


240 


Qrieohiflche  Litteratargeschiohie.    I.  XlaBsische  Periode. 


169.   Die  'AvTiyov}],  das  gefeierteste  Drama  der  griechischen  Litte- 
ratur,  das  dem  Dichter  die  Ernennung  zum  Strategen  im  samischen  Krieg 
eintrug,  wurde  nach  der  wahrscheinlichsten  Berechnung  442  aufgeführt.^) 
Der  Mythus  ist  der  alten  Thebais  entnommen,  in  welcher  der  Kampf  und 
Tod  der  feindlichen  Brüder  Eteokles  und  Polyneikes  und  die  Übernahme 
der  Herrschaft  durch  Kreon   erzählt  war.     Ob  das  alte  Epos  auch  schon 
das  Verbot   der  Beerdigung  des   Vaterlandsverräters   Polyneikes  und  die 
heimliche  Bestattung   desselben   durch  seine  heldenmütige  Schwester  An- 
tigene *)  kannte,  bleibt  ungewiss,  da  Pindar  0.  6,  15  und  Nem.  9,  24  von 
sieben  Leichenhügeln   bei  jenem  Kampfe   spricht.')     Selbst  ob  Aischylos 
in  diesein  Teile  des  Mythus  dem  Sophokles  vorangegangen  sei,  ist  zweifel- 
haft, da  die  Echtheit  des  Schlusses  der  Sieben,  der  das  Verbot  des  Kreon 
und  den  Entschluss   der  Antigene  enthält,   starken  Zweifeln  unterliegt.^) 
Jedenfalls  ist  ganz  neu  von  Sophokles  hinzugedichtet  die  Bestrafung  der 
Antigene  durch  Einsperrung  in  ein  unterirdisches  Grabverlies,  wozu  dem 
Dichter  die  Sage  der  Danae  und  die  alten  unterirdischen  Grabkammern 
im  Lande  der  Argiver  und  Minyer  die  Handhabe  boten,^)   und  ebenso  das 
Liebesverhältnis  der  Antigene  und  des  Haimon,   von  dem   das  alte  Epos 
so  wenig  etwas  wusste,  dass  in  ihm  vielmehr  Haimon  ein  Raub  der  Sphinx 
geworden  war.^)     In  diesen  beiden  Zudichtungen  offenbart  sich  das  geniale 
Erfindungsvermögen   des  Sophokles:   der  zarte  Liebesbund  der  Antigone 
und  des  Haimon  lässt  einesteils  in  das  Todesgrauen  wilder  Rachsucht  den 
milden  Lichtstrahl   süsser  Empfindungen  fallen  und  reisst  anderseits  den 
kaltblütigen  Tyrannen  Kreon   durch  den   Tod  seines  Sohnes  und  seiner 
Gattin  mit  in  den  Abgrund  des  Verderbens.     Die  unterirdische  Grabkam- 
mer aber  war  schon  an  und  für  sich  dazu  angethan,  wie  die  Heldin  selbst, 
so  auch  die  Zuschauer  mit  Grauen  zu  erfüllen,   ward  aber   vollends  zur 
Stätte  grausigster   That,   als  Haimon,   der  den  Leichnam  der  erhängten 
Geliebten  umklammert  hielt,  beim  Eintritt  des  Kreon  das  Schwert  erst 
gegen  den  eigenen  Vater  zückte  und  dann  sich  selbst  in  die  Brust  stiess. 
Aber  so   bewunderungswürdig  auch   diese  beiden  Zudichtungen  sind,  so 


spielt  in  dem  Stück  noch  eine  übergrosse 
Rolle.  —  Die  politischen  Anspielungen  auf 
die  Feindschaft  mit  Sparta  (1102),  die  Grün- 
dung von  Salamis  (1019),  die  Bedeutung  von 
Delos  (704)  führen  auf  die  Zeit  von  460—450. 
•)  Vgl.  oben  §  162;  das  Jahr  sucht  fest- 
zustellen BöcKH  im  ersten  Exkurs  seiner 
Ausg.  Es  dreht  sich  um  442  oder  441;  da 
aber  441  der  erste  Sieg  des  Euripides  fällt, 
so  wollte  Bbrgk,  Gr.  Litt.  III  415,  um  die 
Antigone  doch  441  setzen  zu  können,  in  der 
Hypothesis  des  Stückes  schreiben:  dediöaxtai 
di  t6  dga/Lia  rorio  x^iaxoaxov.  öevreQog  ijy 
statt  TQiaxoaroy  devtßQoy.  Eher  kann  man 
an  den  Ausweg  eines  Sieges  an  den  Lenäen 
denken,  da  die  Verschiedenheit  der  Angaben 
über  die  Zahl  der  Siege  des  Sophokles  (s. 
§  164)  möglicherweise  so  zu  deuten  ist,  dass 
er  18  Siege  an  den  Dionysien  und  2  an  den 
Lenäen  davontrug.  —  Aus   den  Zeitverhält- 


nissen, der  Gründung  von  Thnrii,  erkllrt 
sich  der  Hinweis  auf  Italien  V.  1118. 

^)  Die  Vorstellung  einer  starken,  geg^n 
Herrschergebot  ankämpfenden  Jungfrau  giog 
offenbar  von  der  Etymologie  des  Nameos 
\4yjiy6yrj  aus.  Eine  Anspielung  darauf  ent- 
hält V.  62. 

')  Wahrscheinlich  indes  gehören  die 
^77 Ter  nvQtti  der  Lokalsage  an  (s.  Böcke  zo 
Pindar  0.  6,  24)  und  beziehen  sich  auf  die 
Kämpfe  an  den  7  Thoren,  so  dass  aus  ihnen 
über  Polyneikes  Bestattung  nichts  Sicheres 
geschlossen  werden  kann. 

*)  Vgl.  §155. 

^)  Vermutlich  wurden  dieselben  damala 
(vgl.  Pind.  N.  10,56)  noch  für  Grabkammern 
und  noch  nicht,  wie  bei  Paosanias,  fOr  Schatz- 
häuser ausgegeben. 

«j  Schol.  zu  Eur.  Phoen.  1760. 


C.  Drama.    2.  Die  Tragddie.    o)  Sophokles.    (§  169.)  241 

hat  doch  noch  mit  mehr  Glück  der  Dichter  die  Personen  und  Züge  der 
alten  Sage  selbst  benutzt,  um  in  Antigene,  welche  an  die  ungeschriebenen, 
ewigen  Gesetze  der  Natur  appellierend  die  Bestattung  des  geliebten  Bruders 
fordert,  und  in  Kreon,  der  als  Vertreter  der  Staatsweisheit  den  Leich- 
nam des  Verräters  den  Tieren  und  Vögeln  zum  Frasse  hingeworfen  haben 
will,  zwei  sittliche  Anschauungen,  von  denen  keiner  die  Berechtigung 
ganz  abgesprochen  werden  kann,  in  verhängnisvollen  Konflikt  zu  bringen 
und  80  eine  neue,  höhere  Gattung  tragischer  Verwicklung  zu  schaffen.^) 
Dabei  wägt  er  die  beiden  sittlichen  Mächte  der  religiösen  Pflicht  und  der 
staatlichen  Ordnung  so  gegeneinander  ab,  dass  wohl  die  Wagschale  des 
Kreon  sinkt,  weil  Menschensatzung  gegen  die  Heiligkeit  der  Naturgesetze 
zurQcktreten  muss,*)  dass  aber  auch  Antigene  nicht  von  jeder  Schuld  frei 
bleibt,  da  sie  in  hochfahrendem  Tone  die  Beihilfe  ihrer  Schwester 
Ismene  zurückweist  und  in  heftiger  Überhebung  das  Mass  der  Besonnen- 
heit und  Gesetzesschranke  überschreitet.  Mit  besonderer  Geschicklichkeit 
bat  auch  zum  erstenmal  der  Dichter  in  unserem  Stück  die  wirksame  Form 
der  verspäteten  Peripetie  angewandt,  indem  Kreon,  erschreckt  durch  die 
furchtbaren  Weissagungen  des  Sehers  Teiresias,  das  Verbot  der  Bestattung 
des  Polyneikes  rückgängig  macht,  aber  nicht  mehr  das  schreckliche  Ge- 
schick von  seinem  Haupte  abzuwenden  vermag.  Auf  diese  Weise  ist  ein 
zweifaches  Unheil  über  das  Haus  der  Labdakiden  hereingebrochen,  zuerst 
über  die  Königstochter  und  dann  über  Kreon  und  seinen  Sohn.  Den  Vor- 
zogen der  Anlage  des  Stückes  gesellen  sich  andere  der  Gharakterzeichnung 
und  des  Stiles  zu.  Wirkungsvoll  sind  die  Gegensätze  der  heroischen,  die 
Grenze  der  Weiblichkeit  überschreitenden  Antigene  und  der  weichen,  in 
jungfräulicher  Schüchternheit  vor  einem  Konflikt  mit  der  Staatsgewalt  zu- 
rfickBchreckenden  Ismene,  und  trefflich  hat  der  Dichter  in  dem  einzigen 
Vers  ov  %oi  avvhxd-eiv  aXld  <xvf.i(fiXetv  itfvv  (V.  523)  den  ganzen  Charakter 
der  Heldin  und  zugleich  das  geheimste  Wesen  des  weiblichen  Herzens 
enthüllt.^)  Auch  die  herzlose  Staatsklugkeit  und  der  trotzige  Starrsinn 
des  Kreon,  der  nur  auf  dem  Gipfel  des  Unglücks  und  da  zu  spät  gebrochen 
wird  (V.  1095  ff.),  ist  in  guten  Gegensatz  gestellt  zur  zai*ten,  fast  weib- 
lichen Liebesempfindung  des  Haimon.  Die  Chorlieder  aber  sind  aufs 
engste  mit  der  Handlung  verknüpft  und  begleiten  mit  der  Tiefe  des  Ge- 
dankens und  der  Wärme  der  Empfindung  die  Wechsel  der  Scenen  von 
dem  ersten  Sonnenstrahl  des  Sieges  nach  langer  Kampfesnot  bis  zur  ernsten 
Schlussmahnung  des  abziehenden  Chors.  Zugleich  ist  durch  symmetrische 
Anlage  der  Chorlieder  und  Epeisodien  eine  durchsichtige  Klarheit  in  den 
6ang  des  Stückes  gebracht,  die  wir  in  dem  Aias  noch  sehr  vermissen 
nnd  in  gleicher  Vollendung  auch  in  keinem  der  späteren  Stücke  wieder 


')  Nebenbei,  in  dem  Stasimon  V.  594  ff.,   |  den  3  Stücken,  Ant,  Oed.  R.  tind  Oed.  Col. 
▼mchmlht  Sophokles  auch  nicht  die  Wir-      durchzuführen  sich  bemüht. 


^BBg  des  düsteren  Hintergrundes  eines  im 
ImakidenhauB  sich  forterbenden  Fluches. 
*)  Ph.  Matbb,  Studien  zu  Homer  und 
^okles,  Gera  1874,  hat  in  dem  schönen 
Aaftttz,  üeber  den  Charakter  des  Kreon, 
die  gleiche  Charakterzeichnung  des  Kreon  in 

HtDdbQch  der  klMB.  Altertumiwlueoiichaft.    YII.    3.  Aufl.  16 


*)  Daher  das  Urteil  der  alten  Kunst- 
richter in  der  Vita:  ot6e  da  xaiQoy  av^tus- 
TQtjaai  xai  ngayfAaxay  aiaz*  ix  fAixgov  rjfAi- 
ati>xiov  rj  Xi^eufg  fnas  oXoy  ij&onoi€ty  nqo- 
atonov. 


l 


242 


Grieohiflche  Litteratargesohichie.    I.  Klassiaohe  Periode. 


finden.^)  —  Nach  einer  Notiz  bei  Gramer,  An.  Ox.  IV  315,  gaben  einige 
die  Antigene  für  ein  Werk  des  lophon  aus,  was  sich  auf  eine  nochmalige 
Auffährung  und  Umarbeitung  durch  lophon  beziehen  wird.*)  Euripides 
hat  sich  an  dem  gleichen  Stoff  versucht,  mit  der  unglücklichen  Abände- 
rung, dass  er  Haimon  und  Antigene  zusammenführte  und  eine  Frucht 
ihrer  heimlichen  Liebe  erdichtete,  s)  Accius  hat  das  sophokleische  Stück 
für  die  römische  Bühne  bearbeitet.^)  In  unserer  Zeit  wetteifern  die  hu- 
manistischen Gymnasien  aller  Länder  in  Aufführung  des  griehischen  Textes 
der  Antigene  und  hat  Böckhs  Übersetzung  und  die  Komposition  der  Chöre 
von  Mendelssohn  das  antike  Werk  auch  in  unseren  Theatern  und  Konzert- 
sälen populär  gemacht. 

170.  Die  'Hkaxrga  lasse  ich  hier  folgen  wegen  der  Verwandtschaft 
der  Anlage.  Die  Verwandtschaft  beruht  in  der  Ähnlichkeit  des  Gegen- 
satzes zwischen  der  heroischen,  vor  Rachedurst  jede  Regung  kindlicher 
Liebe  verleugnenden  Elektra  und  der  schüchternen,  aus  weiblicher  Schwäche 
auch  gegen  die  unnatürliche  Mutter  innerhalb  der  Schranken  kindlicher 
Ergebenheit  verharrenden  Chrysothemis.  Es  hat  allen  Anschein,  dass 
Sophokles,  durch  den  glänzenden  Erfolg  seiner  Antigene  bestimmt,  sich 
nach  einem  ähnlichen  Stoff  in  dem  Heroenmythus  und  nach  ähnlichen 
Rollen  für  seine  erprobten  Schauspieler  umsah.  ^)  Den  Stoff  und  die  Rolle 
der  ersten  Heldin  fand  er  in  den  Choephoren  des  Aischylos.  Die  Schwester 
gab  ihm  der  Vers  des  Homer  /  145 «)  an  die  Hand.  Da  aber  bei  Aischylos 
die  Choephoren  das  Mittelstück  einer  Trilogie  gewesen  waren,  so  musste 
er,  um  seinem  Drama  eine  selbständige  Stellung  zu  geben,  die  letzte 
Partie  der  Choephoren,  welche  das  Herannahen  der  Rachegeister  ankündigt, 
wegschneiden.^)  Sodann  galt  es  ebenso  wie  in  der  Antigene  die  weibliche 
Rolle  in  den  Vordergrund  zu  rücken.  Das  gelang  ihm,  indem  er  den 
Orestes  in  die  zweite  Stelle  schob  und  die  Elektra  nicht  bloss  selbständig 
den  Plan  der  Ermordung  des  Buhlen  Aigisthos  fassen,  sondern  auch  dem 
Bruder,  als  er  den  tödlichen  Streich  gegen  die  Mutter  fährte,   in  wildem 


*)  Die  5  Chorgesänge  und  Epeisodien 
sind  von  fast  gleichem  Umfang;  6mal  wird 
in  gleicher  Weise  das  Auftreten  neuer  Per- 
sonen [inelaoifoi)  durch  ein  anapästisches 
System  des  Chorführers  eingeleitet  (155  — 164; 
376  83;  526 -  30;  801-05;  1250-60);  2mal 
tritt  in  der  Schicksalsnot  zuerst  der  Antigene 
(806),  dann  des  Kreon  (1261)  an  die  Stelle 
der  gesprochenen  Verse  der  ergreifende  Ge- 
sang des  Klageliedes. 

')  Stelle  dazu  die  Angabe  des  Satyros 
in  der  Vita  von  einer  Vorlesung  der  Anti- 
gene durch  den  sterbenden  Dichter.  Schwer- 
lich aber  stammen  aus  der  zweiten  Bear- 
beitung die  auf  Herodot  III  119  bezflglichen 
Verse  904—15,  die,  wenn  echt,  eher  der  Be- 
gegnung des  Sophokles  und  Herodot  zur  Zeit 
der  ersten  Aufführung  entstammen. 

•)  Vergl.  Argum.  Soph.  Ant.;  Wecklbik, 
Sitzb.  d.  b.  Ak.  1878  II  186-98;  über  eine 
Antigone   des   Astydamas    s.  Nauck   TGF* 


777;  Hbtdekaitn,  Nacheuriittdeische  Anti- 
gone, 1868. 

*)  RiBBBCK,  Rom.  Trag.  S.  483,  wo  an- 
geschickte  Abweichungen  von  dem  Original 
nachgewiesen  sind. 

B)  Der  gleiche  Gedanke  ist  aus  Ani 
463  f.  in  £1. 1485  f.  herübergenommea,  wenig 
glücklich,  aber  es  fragt  sich,  da  der  Lau- 
rentianus  von  erster  Hand  die  beiden  Verse 
auslässt,  ob  das  ein  Verschulden  des  Dichteis 
oder  des  Interpolators  ist. 

')  Auf  ihn  ist  angespielt  £1.  157:  oüc 
Xgvao^efiis  ^oiei  xal  'l(pidyaa(ra.  Ein  Unter- 
schied besteht  darin,  daas  die  Tragiker  die 
Atto6Ufj  Homers  'HXixtgay  wie  die  'Enurätfri; 
Homers  'loxtiarrjf  entweder  nach  einer  alten 
Textesvariante  oder  nach  einer  anderen 
Sagenquelle,  nannten.  Bei  Aischylos  fehlt 
die  zweite  Schwester  ganz. 

')  £ine  leise  Andeutung  liegt  in  dem 
Verse  1425. 


G.  ürmma«    2.  Die  Tragödie,    o)  Sophoklea.    (§  170.) 


243 


Rachedurst  zurufen  läset  naT<fov  el  ad-iveiq  dinX^v  (V.  1415)^)     Mit  gutem 
Becht  konnte  er  daher  auch  das  neue  Drama,  wie  ehedem  die  Antigene, 
nach  der  weiblichen  Hauptrolle  benennen.*)  Von  dem,  was  er  sonst  gegen- 
über Aischylos  neuerte,  ist  das  wirkungsvollste   die   Wiedererkennungs- 
8cene,  wobei  er  sich  die  anachronistische  Fiktion,   dass  Orestes  bei  den 
erst  viel  später  eingeführten  pythischen  Spielen   gefallen  sei,    erlaubte. 
In  solchen  Dingen  hatte  man  seit  Aischylos  viel  gelernt,  aber  etwas  Er- 
greifenderes als  die  Scene,  wo  Elektra  zuerst  die  Urne  mit  der  vermeint- 
lichen Äsche  des  Bruders  von  Orestes  in  die  Hände  nimmt  und  dann  in 
dem  Überreicher  der   Urne  ihren  leibhaftigen  Bruder  erkennt,   hat  das 
athenische  Theater  nicht  gesehen.^)       Über  die  Abfassungszeit  der  Elektra 
gehen  die  Meinungen  der  Gelehrten  stark  auseinander,   so  dass  sie  z.  B. 
Bihbeck  f&r  die  älteste,   Qruppe  und  Wilamowitz  für  eine   der  jüngsten 
Tragödien  unseres  Meisters  erklärten.^)    In  Ermangelung  bestimmter  Zeug- 
nisse hängt  die  Entscheidung  von   dem  Kunstcharakter  des  Stückes,   na- 
mentlich seiner  metrischen  Form  und  seinem  Verhältnis  zu  verwandten 
StQcken  ab.^)     Die  kommatische  Form  der  Parodos,   die  kurze,   aus   nur 
einem  System  bestehende  Exodos,    die  häufige  Verteilung   eines  Verses 
auf  mehrere  Personen,  endlich  das  Zurücktreten  der  Chorgesänge  gegen- 
über den  Wechselgesängen  führen  uns  in  die  jüngere  Entwicklungsstufe 
unseres  Dichters,«)  in  der  er,    dem  Anstoss  des  Euripides  folgend,    die 
Heftigkeit  der  Affekte    und  die  Spannung  der  Peripetie  und   Wiederer- 
kemiung  in  den  Vordergrund  rückte   und  diesen  Zielen  selbst  die  C!hor- 
partien  dienstbar  machte.     Die  Elektra  des  Euripides  ist  zwar  mehr  gegen 
Aischylos  als  Sophokles  gerichtet,^)  aber  nicht  bloss  geht  der  Vorwurf  des 
leichtgläubigen  Vertrauens   auf  eine   blosse  Haarlocke   (Eur.  El.  530)  auf 
beide,  sondern  kehrt  sich  auch  der  Hinweis  auf  die  Fiktion  der  pythischen 
Spiele  (V.  883)  speziell  gegen  Sophokles.»)    Also  vor  412   und  nach  442 
müssen  wir  unsere  Tragödie  setzen;  zweifelhaft  ist  es,   ob  sich  daraus, 
dass  in    den   Handschriften   die  Elektra   vor   dem  König  Oedipus    steht, 

')  Deshalb    Ifisst  Sophokles    auch   ent-  I 
gegen  Aischylos  zuerst  die  Elytaimestra  er-  j 
mordet  werden    mid    führt    dann    erst   am 
Schlnss  den  Aigisthos  znr  ächlachtbank  ab.   i 
^)  Beachte,   dass  die  aeschylische  Tra-   { 
gj^e  aoch  den  Namen  '0Q4ci$ia  hatte.    An 
die  Antigene   erinnert  anch  noch  das  Grrab- 
▼criieas,  in  das  wie  vordem  Antigene  so  jetzt 
Elektra  V.  381  eingesperrt  werden  sollte. 

')  Dabei  yerschmfthte  es  aber  Sophokles, 
liefai  wie  Eor.  El.  530,  über  seinen  Yorgftnger 
bütig  zu  machen;  umgekehrt  lässt  er  im 
Asachlnss  an  Aischylos  den  Orestes  eine 
Locke  am  Grabe  des  Agamenmon  nieder- 
legen (900)  und  Chrjsothemis  daraus  auf 
die  Rückkehr  des  Bruders  schliessen. 

*)  Flessa,  Prioritfttsfrage  der  soph.  und 
eor.  Elektra,  Bamb.  Progr.  1882;  Kraus, 
Utnim  Sophoclis  an  Euripidis  Electra  aetate 
pior  Bit,  Progr.  Passau  1890;  Tgl.  Ribbeok 
».  0.  13;  Wilamowitz  Herm.  18,  214  ff.; 
Kaibu  in  der  Emleitung  seiner  Ausgabe. 

^)  Mit  dem  Gebrauch  des  Zweigespanns 


(702  und  721  f.)  ist  für  die  Zeitbestimmung 
nichts  anzufangen,  da  dasselbe  thats&chlich 
erst  nach  dem  Tode  des  8ophokles  in  Delphi 
eingeführt  wurde,  der  homerliebende  Dichter 
aber  hier  einfach  den  homerischen  Leichen- 
spielen des  Patroklos  gefolgt  zu  sein  scheint. 

^)  Dieselben  Erscheinungen  treffen  wir 
namentlich  in  den  zwei  jüngsten  Dramen 
des  Sophokles,  Phil,  und  OC.,  weniger  in  den 
Trachinierinnen.  Sprachlich  hat  man  beob- 
achtet, dass  das  Verbum  xBxda»ai  sich  nur 
in  unserer  Elektra  V.  265  u.  1326  und  in 
Phil.  283  u.  OC.  1618  findet. 

')  In  Bezug  auf  die  Art  der  Wiedererken- 
nnng;  im  übrigen  s.  Stbigbr,  Warum  schrieb 
Euripides  seine  Elektra?  Philol.  56  ( 1897)  561  ff. 

^)  Erkannt  von  0.  Ribbeck,  Leipz.  Stud. 
Viri  382—6;  Vahlen,  Zu  Sophokles  u.  Euri- 
pides Elektra,  Herm.  26  (1891),  351  ff.  Auch 
die  Iphigenia  Taur.  kann  zur  Zeit  unseres 
Stückes  noch  nicht  gedichtet  gewesen  sein, 
da  unser  Dichter  El.  531  der  älteren  Sage 
folgt 

16* 


l 


244 


Qrieohiflche  LitteratnrgeBohichta.    I.  ElaBUBche  Periode. 


schliessen  lässt,  dass  die  erstere  vor  der  letzteren  gedichtet  sei;  auch  das 
lasse  ich  dahingestellt,  ob  Euripides  im  Hippolytos  (428)  mit  der  glänzen- 
den Schilderung  von  den  scheu  gewordenen  Pferden  des  unglücklichen 
Jünglings  (Hipp.  1230—48)  die  Erzählung  des  Sophokles  vom  Wagenunfall 
des  Orestes  (El.  743—56)  überbieten  wollte  oder  für  Sophokles  das  nicht 
ganz  erreichte  Vorbild  war.^) 

171.  Der  Oldinovg  rvQavvog^^)  die  erschütternde  Schicksalstragödie, 
wurde  vermutlich  zur  Zeit  oder  nicht  lange  nach  der  Pest  im  Anfang  des 
peloponnesischen  Krieges  gedichtet.^)  Der  alte  thebanische  Mythus  von 
Oedipus,  der  ohne  Wissen  seinen  Vater  erschlug,  seine  Mutter  heiratete, 
und  als  er  nach  langen  Jahren  von  seinen  Verirrungen  Kenntnis  erhielt, 
sich  in  Verzweiflung  die  Augen  ausstach,  war  zur  tragischen  Darstellung 
wie  geschaffen.*)  Die  drei  grossen  Tragiker  haben  ihn  wetteifernd  be- 
arbeitet;^) Sophokles  hat  die  zwei  äschylischen  Stücke  Laios  und  Oedipus 
geschickt  in  der  Art  zu  einem  zusammengezogen,  dass  er  die  früheren 
Geschicke  des  Oedipus  in  der  Form  episodischer  Erzählungen  den  Zuhörern 
vorführte.«)  Die  unerreichte  Kunst  des  Sophokles  aber  besteht  darin,  dass 
er  erst  nach  und  nach  den  Schleier  von  der  unseligen  Vergangenheit  des 
Königs  wegzieht  und  mit  glücklichster  Anwendung  der  tragischen  Ironie 
den  König  selbst  das  Geheimnis  enthüllen  lässt:  Oedipus  sendet  seinen 
Schwager  Kreon  zum  delphischen  Orakel  ab,  um  von  Apoll  ein  Mittel  zur 
Abwendung  der  Pest  zu  erfahren:  das  Orakel  befiehlt,  die  Mörder  des 
Laios  aufzusuchen  und  zu  bestrafen.  Oedipus  lässt  den  Seher  Teiresias 
kommen,  um  von  ihm  eine  Spur  des  unbekannten  Mörders  zu  erfahren: 
der  Seher  bezeichnet  in  dunklen^  den  Zuschauern  aber  wohl  verständlichen 
Worten  ihn  selbst  als  den  Mörder.  Durch  den  lauten  Streit  zwischen 
Oedipus  und  Kreon  herbeigerufen,  kommt  lokaste  aus  dem  Palaste  und 


^)  Eine  Wecbselbeziehiiiig  zwischen  r/u97- 
ttSy  IfjLdvxiov  Hipp.  1245  und  xfÄtitoU  l/uaai 
£1.  747  ist  schwer  abzuweisen,  ebenso  wie 
zwischen  xa&aQtijs  /«^okö;  Vesp.  1043  und 
xa&a^iiig  ^(Ofiarog  El.  70.  Ausserdem  scheint 
die  Bemerkung  des  Aristoph.  Equ.  558  von 
den  Unfällen  bei  den  Wagenrennen,  und 
Nub.  534  von  der  Locke  des  Bruders  mit 
unserm  Stücke  zusammenzuhängen. 

')  Das  Beiwort  ist  erst  später  zugesetzt 
worden,  so  dass  er  von  andern  nach  der 
Hjpothesis  Oid.  ngorcgos  genannt  werden 
konnte.  In  späterer  Zeit  deutete  man  nach 
der  Hypothesis  das  Beiwort  auf  den  Vorzug 
des  Stückes:  /«^/^»tcüc  di  tvgavyoy  annyxeg 
avtoy  iin-yQÜcpovoiy  (Jf  i^e/oyta  nnarjg  xrjg 
£o(poxX4ovq  7toiija€wg^  xaincQ  tjtttj&eyxa  vno 
4'irkoxX6ovg,  fSg  (prjai  JixaiaQ^og.  Ebenso  der 
Rhetor  Aristides  vriig  nuy  terirtgtoy  p.  334. 

*)  Auf  diese  Zeit  weist  die  Schilderung 
der- Pest  im  Eingang  der  Tragödie  und  die 
grosse  Rolle,  welche  dabei  die  Seher  und 
Orakel  spielten  (vgl.  Thuc.  II  54).  Ob  Peri- 
kles,  der  im  Herbst  429  starb,  noch  am 
Leben  war,  steht  nicht  fest;  nach  ihm  scheint 
die  flerrschermacht  und  der  freigeisterische 


Sinn  des  Oedipus  gezeichnet  zu  sein.  Ath. 
276  a  überliefert,  dass  Euripides  in  der  Medea 
(431)  und  Sophokles  in  unserem  Oedipus  die 
grammatische  Tragödie  des  Kallias  in  der 
Disposition  des  Chors  nachgeahmt  habe, 
woraus  man  jedenfalls  so  viel  entnehmen 
darf,  dass  das  Stück  des  Sophokles  nach  dem 
des  EaUias  zur  Aufführung  kam;  aber  das 
letztere  ist  chronologisch  nicht  fassbar. 

*)  Arist.  Poet.  14 :  dei  yaq  xai  äyev  rov 
OQay  ovtw  avyecTttyai  roV  fjtv&oy,  maiB  roy 
ttxovoyza  ja  TtQayfiaza  yiyyofieya  xai  (pQij' 
leiy  xai  iXsety  ix  xtüy  avfißaiyoyxtoy,  aneg 
äy  nd^oi  xig  dxovtoy  xoy  xov  Oidinodos  fiv^oy. 

^)  Aischylos  schrieb  einen  Laios  und 
Oedipus,  Euripides  einen  Oedipus,  worin  er 
wie  in  Antigene,  Elektra,  Philoktet  die  Sage 
stark  umgestaltete,  so  dass  Oedipus  sich 
nicht  selber  blendet,  sondern  von  den  Eriegs- 
genossen  des  Laios  geblendet  wird. 

')  Besonders  zu  rühmen  ist,  dass  im 
Gegensatz  zur  Manier  des  Euripides  der 
Uauptheld  nicht  in  einem  Prolog,  sondern 
erst  im  2.  Epeisodion  V.  771-833  seine 
früheren  Geschicke  erzählt 


G.  Drama.    2.  Die  Tragödie,    o)  Sophokles.    (§  171.) 


245 


erzählt,  um  den  aufgeregten  Gatten  zu  beruhigen,  die  Aussetzung  des 
jungen  Oedipus  und  die  Ermordung  des  Königs  Laios  am  Dreiweg  in 
Phokis :  die  Erzählung  lässt  im  Geiste  des  Oedipus  die  schreckliche  Ahnung, 
dass  er  selbst  der  Mörder  des  Laios  sei,  aufdämmern.  Die  Hoffnung,  dass 
ihm  doch  wenigstens  das  vom  Orakel  angedrohte  Los,  seinen  eigenen  Vater 
zu  erschlagen,  erspart  bleibe,  scheint  durch  die  Meldung  vom  Tode  des 
Polybos,  des  angeblichen  Vaters  des  Oedipus,  zur  Gewissheit  zu  werden : 
da  verkündet  der  Bote,  dass  Polybos  und  Merope  nur  die  Nähreltem  des 
Oedipus  waren.  Vor  lokastes  Auge  zerfliessen  bereits  die  Nebel,  Oedipus 
klammert  sich  noch  an  einen  Hoffnungshalm  und  verlangt  stürmisch,  den 
Diener  zu  sehen,  der  den  kleinen  Knaben  dem  Hirten  des  Königs  Polybos 
übergeben  habe:  er  kommt  und  löst,  von  Oedipus  selber  befragt,  die  letzten 
Zweifel,  so  dass  nun  die  ganze  schauerliche  Wahrheit  enthüllt  vor  den 
Augen  des  unglücklichen  Königs  liegt.  ^)  So  ist  spannend  und  erschütternd 
die  Handlung  dargestellt,  wie  es  trefflicher  kaum  geschehen  konnte.  Frag- 
lich ist  nur,  ob  auch  das  versöhnende  Element,  die  Katharsis,  vom  Dichter 
nach  Gebühr  berücksichtigt  und  die  höhere  Auffassung  vom  Schicksal  und 
der  sittlichen  Weltordnung  zur  Geltung  gebracht  worden  sei.  Und  da 
wird  man  zugeben  müssen,  dass  Sophokles  gleichsam  im  Banne  des  Stoffes 
die  alte  Idee  von  dem  blinden  Walten  des  Verhängnisses  mehr  als  sonst 
zur  Erregung  von  Furcht  und  Mitleid  verwendet  hat.  Aber  er  hat  doch 
auch  auf  der  anderen  Seite  den  furchtbaren  Eindruck  der  dämonischen 
Schicksalsgewalt  gemildert,  einmal  durch  den  versöhnenden  Ausgang,  indem 
der  schwergekränkte  Kreon,  von  Mitleid  gerührt,  dem  geblendeten  König 
seine  beiden  geliebten  Töchter  zum  Tröste  schickt,  dann  durch  die  Zeich* 
nung  des  Oedipus  selbst,  der,  über  die  Massen  herrschsüchtig  und  jäh- 
zornig und  selbst  der  Götter  Spruch  missachtend  ^)  nicht  ganz  ohne  eigene 
Schuld  dem  schweren  Geschicke  verfallt.  Die  Tragödie  fand  bei  ihrer 
ersten  Aufführung  in  Athen  nicht  die  verdiente  Anerkennung;  Sophokles 
musste  gegen  Philokles  zurückstehen,  vielleicht  weil  die  Athener  nicht 
durch  die  Schilderung  der  Pest  auf  dem  Theater  an  dem  Feste  des  Dio- 
nysos an  das  Unglück  der  Wirklichkeit  gemahnt  werden  wollten.  Aber 
Aristoteles  fuhrt  in  der  Poetik  kein  Drama  so  oft  als  Muster  an  wie  den 
Oedipus,  und  die  Späteren,  wie  der  Verfasser  der  Hypothesis  und  Aristides, 
skandalisierten  sich  über  den  schlechten  Geschmack  der  Athener,  welche 
einen  Philokles  dem  Sophokles  vorziehen  konnten.») 


*)  Noch  mehr  Bewundemng  verdient  die 
unvergleichliche  Ennst  unseres  Dichters, 
wenn  wir  erfahren,  dass  die  ganze  Art  der 
Wiedererkennung  Sophokles  seihst  erfunden 
hat.  Nach  der  Sage  in  den  Scholien  zu  Eur. 
Phon.  1760  ward  nämlich  Oedipus  als  Mörder 
des  Laios  von  lokaste  an  dem  GOrtel  er- 
kannt, den  derselbe  dem  erschlagenen  König 
abgenommen  hatte,  und  nach  einer  andern 
durch  Hygin  fah.  66  (vgl.  schol.  Eur.  Phoen.  26) 
fiberlieferten  Version  ward  der  kleine  Oedi- 
pus in  das  Meer  geworfen  und  an  den  Strand 
von  Sikyon  getrieben,  wo  ihn  beim  Waschen 
die  Königin  Periboea  findet     Vgl.  Betbb, 


Thebanische  Heldenlieder  67  ff. 

*)  Gegen  die  freigeisterische  Missach- 
tung der  Orakel  richtet  mit  Bitterkeit  Kreon 
den  Vers  1445  xal  yuQ  ar  pvv  zäy  r^J  9€(o 
niaxiv  {peQoig. 

')  Aus  der  modernen  Litteratur  gleicht 
kein  Stflck  dem  Oedipus  mehr  wie  Shake- 
speare's  König  Lear,  nur  hat  der  grosse 
Brite  nicht  bloss  den  Inhalt  der  beiden 
Oedipus,  Blendung  und  Tod  des  Königs,  in 
ein  Stfick  zusammengezogen,  sondern  auch 
die  Handlung  noch  durch  Hereinziehung 
eines  fthnlichen  Geschicks  des  Hauses  Glo- 
cester  verwickelter  und  krasser  gestaltet. 


246 


Griechische  Litteraturgeechichte.    L  ElaBsiflohe  Periode. 


172.  Die  Tgaxiviai  haben  ihren  Namen  von  dem  Chor,  der  aus 
Jungfrauen  von  Trachis  gebildet  ist.  Der  Chor  selbt  spielt  aber  nur  eine 
sehr  untergeordnete  Bolle;  nach  ihm  ist  das  Stück  nur  deshalb  benannt, 
weil  keine  der  handelnden  Personen  das  Ganze  beherrscht  und  der  Tra- 
gödie den  Stempel  gibt.  Denn  das  Interesse  der  Leser  verteilt  sich  einer- 
seits auf  die  edle  Deianeira,  die,  wiewohl  erregt  durch  die  Ankunft  ihrer 
neuen  Nebenbuhlerin,  der  schönen  lole,  doch  nur  in  bester  Absicht  dem 
Herakles  das  Nessusgewand  schickt  und,  als  sie  von  Hyllos  das  ange- 
richtete Unheil  erfährt,  schweigend  weggeht,  um  durch  freiwilligen  Tod 
ihre  Schuld  zu  büssen,  anderseits  auf  den  Heros  Herakles,  dessen  fürchter- 
liche Qualen,  als  das  Gift  des  lodernden  Gewandes  ihm  Mark  und  Bein 
verzehrt,  den  Schlussteil  des  Dramas  bilden.^)  Durch  den  Prolog,  in 
welchem  Deianeira  ihr  Missgeschick  von  der  Zeit  an,  wo  Herakles  und 
der  Plussgott  um  ihre  Hand  warben,  bis  zur  Gegenwart,  wo  sie  schon 
15  Monate  den  abwesenden  Gatten  missen  muss,  in  epischer  Breite  er- 
zählt, und  durch  den  Epilog,  in  dem  Herakles,  über  die  Zeit  der  Hand- 
lung hinausgreifend,  dem  Sohne  Hyllos  die  kriegsgefangene  lole  zu  hei- 
raten befiehlt,*)  erinnert  das  Stück  stark  an  euripideische  Manier.  Ein 
grosser  politischer  Hintergrund  und  ein  von  sittlichen  Ideen  getragenes, 
in  die  Zeitverhältnisse  hineingreifendes  Hauptmotiv  fehlt  unserer  Tragödie; 
dadurch  steht  sie  namentlich  der  Antigene  und  den  beiden  Oedipus  nach. 
Der  Dichter  hat  sich  hier  einfach  darauf  beschränkt,  den  Mythus  in  seiner 
überkommenen,  uns  jetzt  auch  durch  Bakchylides  n.  16  erkennbaren 
Gestalt  beizubehalten  und  aus  den  gegebenen  Motiven  eine  ergreifende 
Tragödie  unglücklicher  Gattenliebe  zu  schaffen,  die  nur  dadurch,  dass 
sie  in  der  Heroenzeit  spielte,  von  der  modernen  Art  des  Familien- 
dramas abweicht.  Was  indes  dem  Stück  an  Grossartigkeit  abgeht, 
wird  durch  die  Zartheit  der  Empfindung  und  die  Feinheit  psycho- 
logischer Zeichnung  glücklich  ersetzt.  Nur  werden  wir  gegenüber  den  zwei 
Hauptpersonen  nicht  in  eine  gleich  günstige  Stimmung  versetzt:  der  Dichter 
versteht  es  wohl,  unsere  Teilnahme  für  die  unglückliche,  durch  den  frei- 
willigen Tod  die  Schuld  der  Eifersucht  über  und  über  büssenden  Deianeira 
zu  gewinnen,  lässt  uns  aber  kalt  gegen  Herakles,  der  kein  Wort  des  Mit- 
leids für  seine  in  den  Tod  getriebene  edle  Gattin  hat  und  dadurch,  dass 
er  seinem  Sohn  die  lole,  welche  den  Tod  der  Mutter  herbeigeführt  hatte, 
zu  heiraten  befiehlt,  unser  sittliches  Gefühl  verletzt.  Es  hängt  aber  dieser 
Mangel  der  Dichtung  mit  der  ungerechten  Sitte  des  Altertums  zusammen, 
die  in  geschlechtlichen  Dingen  die  Schuld  von  Mann  und  Frau  nicht  mit 
dem  gleichen  Massstabe  mass.  —  Über  die  Zeit  der  Abfassung  fehlen  uns 


^)  Grosse  Aehnlichkeit  hatten  hierin  die 
Trachinierinnen  mit  dem  O&vaaevg  äxay^o- 
nXiji:  unseres  Dichters,  da  anch  in  diesem 
Stücke  die  fürchterlichen  Qualen  des  ver- 
wundeten Helden  den  Hauptgegenstand  des 
letzten  Teiles  der  Tragödie  bildeten. 

«)  Die  Schiusapartie  1216--1278  erklÄrt 
för  unecht  Bbrok,  Gr.  lat.  JU  894  f.;  Wekdt 
in  üebers.  S.  7  mOchte  eher  vermuten,  dass 
der  Schluss  der  Tragödie  verloren  gegangen 


sei,  zumal  dieselbe  weniger  Verse  als  alle 
anderen  zähle.  In  dem  ganzen  Stdck  wollte 
Schlegel  eine  Bearbeitung  durch  lophon  fin- 
den; mit  der  Annahme  doppelter  Rezension 
fand  sich  Hermann  in  seiner  Ausgabe  ab. 
Gregen  jene  Hypothese  wendet  sich  in  über- 
triebener Bewunderung  des  Stückes  R.  Schbbi- 
NBB,  Zur  Würdigung  der  Trachiniai  des  Soph. 
1885,  Progr.  von  Znaim;  auch  Wboklbin, 
Bay.  Gymn.  BL  XXil  (1886),  399  steUt  die 


G.  I>ra]na.    2.  Die  Tragödie,    o)  Bophoklee.    (§§  172-173.) 


247 


bestimmte  Angaben.  Die  auffltllige  Übereinstimmung  von  Trach.  1101 — 4 
und  Eur.  Herc.  für.  1353—7,  sowie  von  Trach.  416  und  Eur.  Suppl.  567 1) 
lässt  vermuten,  dass  unser  sophokleisches  Stück  in  derselben  Zeit,  wie  jene 
euripideischen,  also  um  420  gedichtet  ist,  für  welche  Zeit  auch  die  bereits 
oben  berührte  Nachahmung  euripideischer  Manier  im  Anfang  und  Schluss 
spricht.  Jedoch  will  ich  nicht  unerwähnt  lassen,  dass  die  grosse  Einfach- 
heit in  der  Anlage,  die  Altertümlichkeit  der  daktylo-epitritischen  Parodos 
und  die  unleugbaren  Mängel  des  Stückes  andere,  wie  Bergk  Gr.  Lit.  in 
398  bestimmt  haben,  das  Stück  einer  älteren  Entwicklungsperiode  unseres 
Dichters  zuzuweisen.*)  Unter  den  Römern  hat  Seneca  im  Hercules  Oetaeus 
den  Stoff  frei  behandelt  oder  vielmehr  misshandelt. 

173.  Der  ^iXoxtrJTrjg^  nach  der  didaskalischen  Überlieferung  409 
aufgeführt  und  mit  dem  1.  Preis  ausgezeichnet,  s)  behandelt  denselben  Stoff, 
wie  die  gleichnamigen  Stücke  des  Aischylos  und  Euripides.  Der  Rhetor 
Die  Chrysostomos,  dem  noch  die  3  Dramen  vorlagen,  vergleicht  dieselben 
und  gibt  dem  Sophokles  den  Vorzug.*)  Euripides,  dessen  Philoktet  431 
zusammen  mit  der  Medea  auf  die  Bühne  kam,<^)  hatte  sich  noch  enger 
an  Aischylos  angeschlossen  und  wie  jener  den  Chor  aus  einheimischen 
Lemniern  bestehen  lassen;  Sophokles,  welcher  auch  noch  einen  zweiten, 
früh,  wie  es  scheint,  verloren  gegangenen  Philoktet  schrieb,«)  nahm  stärkere 
Veränderungen  vor,  um  einesteils  dadurch,  dass  er  die  Insel  unbewohnt 
sein  liess,  das  Elend  des  Philoktet  zu  erhöhen,  andemteils  durch  den  Kon- 
trast der  handelnden  Personen  ein  verflochtenes  Drama  {'t^Qocy-  7tenl€y(iä\'rD 
mit  glücklichem  Ausgang  zu  schaffen.  Quelle  der  Fabel  waren  die  ky- 
klischen  Epen  der  Eyprien  und  der  kleinen  Ilias,  worin  die  Zurücklassung 
des  von  einer  Schlange  gebissenen  Philoktetes  auf  der  öden  Insel  Lemnos 
und  die  Abholung  desselben  nach  Troia  im  letzten  Jahre  des  Krieges 
erzählt  war.  Nach  dem  Auszug  des  Proklos  und  dem  Gemälde  des  Polygnot 
in  der  Pinakothek ')  war  es  Diomedes,  der  den  Helden,  von  dessen  Bogen 
die  Einnahme  der  Priamosveste  abhing,  von  Lemnos  zurückholte.  Aischy- 
los setzte  an  dessen  Stelle  nach  einer  anderen  Version  der  Sage^)  oder 


Trach.  höher  als  selbst  die  Elektro.  Auf- 
fällig sind  die  zahlreichen  ana^  BiqrifAiva 
unseres  Stfickes. 

^)  Darauf  macht  Wilahowitz,  Herrn. 
Xym  244  aufmerksam;  auf  wessen  Seite 
das  Original,  auf  wessen  die  NachbUdung 
atdie,  Iftsst  sich  nicht  mit  Sicherheit  ent- 
scheiden. Aus  den  Nachahmungen  schliesst 
auf  420  —  415  Schrobdbs,  De  iterotis  ap.  larag. 
gr.,  in  Diss.  Argent.  p.  118.  Wilamowitz, 
Eur.  Herakl.  I,  843 :  Die  Trachinierinnen  des 
Sophokles  enthalten  nicht  nur  deutliche  An- 
klinge an  den  Herakles,  sondern  sind  ge- 
radezu durch  ihn  angeregt;  vgl.  I,  382  f. 

'i  Neuerdings  Zibluvski,  Excm'se  zu  den 
Trachinierinnen,  Philo!  55  (1896)  682:  Die 
Trachinierinnen  sind  vielleicht  das  älteste 
der  uns  eriialtenen  Stücke  des  Sophokles, 
sicher  nicht  viel  jflnger  als  die  Antigone. 

*)  Axgum:  iMdx^  htl  rXavxvnnov, 
nq»t9q  tjy  loipoxXfjs, 


*)  Dio  Chrys.  or.  LH  p.  272:  o  lotpth- 
xXfjs  fieaog  ^oixey  a^npoty  €iyaif  ovze  to  av- 
&a&^S  xai  ttJiXovy  tS  tov  AtaxvXov  i/toy 
ovTS  to  dxQiß^s  xai  &^ifiv  xai  noXi-tixoy  xov 
EvQi7ti&ov,  asfiyijy  &€  riya  xai  fAsyaXojiQsn^ 
noitjaiy  xqayixtaiara  xai  sveniaxaxa  txovcay, 
üeber  den  Philocteta  des  Accius  s.  Ribbbck 
Rom.  Trag.  876  ff. 

')  Auf  ihn  ist  Bezug  genommen  von 
Aristoph.  Ach.  424. 

*)  Dieser  zweite  *^iXoxxijxt]s  spielte  in 
Troia,  wie  der  erhaltene  in  Lemnos;  eine 
klare  Idee  über  ihn  sich  zu  bilden,  ist  bei 
der  Spärlichkeit  der  Fragmente  schwer;  s. 
Welckbr,  Gr.  Trag.  1  188  f. 

^)  Paus.  I  22,  6. 

•)  Pind.  Pyth.  I  58  spricht,  vielleicht 
nach  Stesichoros,  von  mehreren  Abgesandten. 
Möglicherweise  wich  auch  in  diesem  Punkte 
Arktmos  von  Lesches  ab.    Vgl  §  57. 


248  Grieoliiaehe  Lifeteratnrg— ehiohte.    L  Klamdsehe  Periode. 

nach  eigener  Erfindung  den  schlauen  Odysseus,   der  sich  für  die  AnsfQh- 
rung  eines  auf  Täuschung  berechneten  Unternehmens  ungleich  besser  eig- 
nete.    Euripides  vereinigte,   da  er  über  3,   nicht  wie  Aischylos  über  nur 
2  Schauspieler  verfügte,  die  Darstellung  des  Lesches  mit  der  des  Aischylos, 
indem  er  dem  Diomedes  den  Odysseus  beigeseUte.^)    Sophokles  warf  den 
steifen  Diomedes  ganz  weg  und  gab  dem  Odysseus  den  jungen  Sohn  des 
Achill,  den  Neoptolemos,   an  die  Seite,  offenbar  nach  eigener  Erfindung. 
In  dieser  Veränderung,  mit  der  auch  die  Zusammensetzung  des  Chors  aus 
Schiffsleuten   des  Neoptolemos   zusammenhängt,   wurzelt   die  Starke   der 
neuen  Tragödie  des  fast   neunzigjährigen   Oreises,   in   deren  lebensvoller 
Frische   wir  nichts  von   der  schwächenden  Einwirkung  des  Alters  wahr- 
nehmen.    Die  ganze  Verwicklung  entspringt  wie  von  selbst  dem  Charakter- 
gegensatz des  klugen  Odysseus,    der  in  seiner  Schlauheit  ohne  jeden  Ge- 
wissensskrupel Lüge  und  Hinterlist  anwendet,  wenn  es  sich  um  die  Durch- 
führung eines   im  Interesse  des   Gemeinwohles  geplanten  Unternehmens 
handelt,  und  des  offenherzigen,  edlen  Neoptolemos,  der  sich  von  vornherein 
nur  widerstrebend  dazu  hergibt,   sich  durch  falsche  Vorspiegelung  in  das 
Vertrauen  des  Philoktet  zu  stehlen,  und  dann,  als  der  unglückliche,   von 
einem  neuen  Krankheitsanfall  erfasste  Einsiedler  ihm  treuherzig  den  Bogen 
übergibt,  Vertrauen  mit  Vertrauen  erwiedert  und  das  künstliche  Gewebe 
der  Täuschung  dadurch  zerreisst,   dass  er  offen  die  Wahrheit  eingesteht 
und  zuerst  durch  bittendes  Zureden  den  tief  gekränkten  Helden  mit  den 
Achäern  zu  versöhnen  sucht  und  dann,  als  dieses  nicht  gelingt,  den  Bogen 
trotz  der   entschiedenen  Einrede  des  Odysseus  zurückzugeben  sich   ent- 
schliesst.     Damit  geriet  aber  der  ganze  Anschlag,  dessen  Fäden  Odysseas 
aus  der  Ferne   gelenkt  hatte,   so  in  Verwirrung,   dass  menschliche  Kunst 
den  Knoten  zu  lösen  nicht  mehr  im  stände  gewesen  wäre  und  nach  euri- 
pideischer  Art  ein  deus  ex  machina,  Herakles,  dazwischen  treten  musste.*) 
In  diesem  Ausgang  erkennt  man  den  Einfluss  der  euripideischen  Kunst.') 
Im  übrigen  zeigt  sich  auch  sonst,  in  der  metrischen  Form  und  in  der  Be- 
handlung des  Chors,   die  Wandlung,  welche  die  Tragödie  in  der  letzten 
Lebenszeit   des  Dichters  erfahren  hatte.     In  keinem   anderen  Stück    des 
Sophokles  ist  so  häufig  die  Länge  des  lambus  in  2  Kürzen  aufgelöst  und 
so  unbedenklich  ein  Trimeter  unter  mehrere  Personen  verteilt  worden.*)  In 
den  lyrischen  Partien  herrscht  wie  in  den  jüngeren  Stücken  des  Euripides  fast 
ausschliesslich  der  vielgestaltige  Glyconeus.  Die  Wechselgesänge  haben  so  sehr 
den  Chorgesang  zurückgedrängt,  dass  nicht  bloss  die  Parodos  kommaüsch  ist, 
sondern  auch  das  ganze  Stück  nur  ein  einziges  eigentliche  Chorlied  (676  bis 
729)  enthält.    Der  Chor  selbst  hat  seine  ideale  Stellung  ganz  verloren  und 


*)  Auf  den  Diomedes  ist  noch  hinge- 
wiesen in  Soph.  Phfl.  570. 

')  Doch  ist  der  Gott  bei  Sophokles  keine 
Drahl^upe,   nnr   gemacht,   um  dem  Stücke 


kann  ihn  dem  daifioi/ioy  des  Sokrates 
gleichen. 

*)   Mein    Freond    Römer    macht    mich 
daraaf  aufnierksam,  wie  wir  auch  in  der  Zeich> 


einen   Schlnss    zu   geben;    er  repräsentiert  |  nung    der    Hanptcharaktere,    namentlich    in 

vielmehr  die  göttliche  Stimme  der  Liebe  und  1  der  des  schlauen  Odysseus,  die  neuere  Rieh- 

Versöhnung  in   der  Menschenbrust,  welche  {  tung    der   realistischer   gewordenen    Schaa- 

den    Starrsinn    und    den    Eigenwillen    der  spielerkunst  zu  erkennen  haben. 

Leidenschaft  (rov   &vfio€iifovg)  bricht;  man  |  ^)  Yergl.  oben  §  164  Anm. 


C.  Drama.    2.  Die  Tragödie,    o)  Sophokles.    (§  174.)  249 

spielt  nur  die  Rolle  eines  dienenden  Begleiters  des  Neoptolemos.  Auch 
die  Epeisodien  haben  ihre  ursprüngliche,  im  Namen  ausgedrückte  Bedeu* 
tung  insofern  aufgegeben,  als  ihr  Anfang  nur  selten  mehr  durch  das  Auf- 
treten einer  neuen  Person  bezeichnet  wird.^) 

174.  Der  Oldinovq  inl  KoXwvt^  ist  in  alten  Erzählungen,  wie  wir 
oben  sahen,  mit  dem  Greisenalter  des  Dichters  in  Verbindung  gebracht  und 
nach  einer  didaskalischen  Notiz  ^)  erst  nach  des  Meisters  Tod  im  J.  401 
von  dessen  Enkel  auf  die  Bühne  gebracht  worden.  Aber  strittig  ist  es, 
ob  dieses  die  erste  Aufführung  war,  und  ob  nicht  vielmehr  schon  früher 
einmal,  in  den  ersten  Jahren  des  peloponnesischen  Krieges*)  und  vor  den 
Phönissen  des  Euripides,  deren  Schluss  auf  die  Bestattung  des  Oedipus 
im  Gau  Eolonos  hinweist,  unser  Stück  zur  Aufführung  gelangt  war.  Die 
äussere  Form,  die  häufige  Verteilung  eines  Verses  auf  2  Personen,  das 
Vorherrschen  des  glykonejschen  Vermasses  in  den  Chorgesängen,  der  kom- 
matische Bau  der  Parodos,  auch  der  wehmütige  Ton  des  Liedes  auf  die 
Leiden  des  Greisenalters  (1211 — 48)  sprechen  für  die  erstere  Meinung. 
Aber  der  politische  Hintergrund  der  Tragödie  scheint  mehr  in  die  erste 
Zeit  des  peloponnesischen  Krieges  hinzuweisen,  als  eben  erst  aus  kleinem 
Anlass  der  Krieg  begonnen  hatte  (V.  620)  und  die  Macht  Athens  noch 
migebrochen  war  (V.  702—6).  Aber  dieses  ist  doch  nur  Schein;  thatsäch- 
lich  passen,  wie  mein  junger  Freund  Alb.  Mayr  nachgewiesen  hat,^)  die 
politischen  Seitenblicke  und  insbesondere  die  Verse  92  f.,  411,  621  f., 
604—6,  welche  einen  Sieg  der  Athener  beim  Grab  des  Oedipus  prophe- 
zeien, einzig  gut  auf  das  Jahr  407,  in  dem  nach  Diodor  XIII  72  die 
athenische  Reiterei  einen  ruhmvollen  Erfolg  über  die  thebanische  in  der 
Nähe  der  Akademie  erfochten  hatte.  Es  fäUt  also  unser  Oedipus  lange  nach 
dem  König  Oedipus^)  und  es  hat  der  Dichter  auf  das  schönste  mit  dem  Abend- 
glanz seiner  Kunst  Athens  Vergangenheit  und  seinen  Heimatort  Kolonos 
verklärt,  indem  er  den  geblendeten  König  im  Haine  der  Eumeniden  bei 
Kolonos  Ruhe  und  Erlösung  von  seiner  Mühsal  finden  lässt.^)  Der  Gegen- 
stand lud  von  selbst  zu  einer  ruhigeren,  mehr  die  Seele  ergreifenden 
(ethischen)  als  die  Leidenschaft  erregenden  (pathetischen)  Behandlung  ein; 
dieser  Ton  ist   dem  Dichter   trefflich  geglückt,   so  dass  heutzutage  noch 


')  Keine  neue  Person  tritt  mit  dem  An- 
fang eines  nenen  Epeisodion  anfV.  219,  519, 
780,  865;  umgekehrt  tritt  542  u.  974  mitten 
im  Epeisodion  eine  neue  Person  anf. 

')  Aig.  11:  SoffoxXfjg  6  vUdovg  idi&tt^ev 
*l»i  tSy  'jQiattoyog  inl  a^/oi^ro;  Mixtayogt 
of  ini  jhagrog  ano  KaXXiov,  i(p'  ov  ipatfiy 
9l  :iUiovg  tov  loipoxXia  reXevrrjifat. 

^  Dss  Letztere  nehmen  an  Lachmann 
Bh.  M.  I  313  «f.  nnd  Ad.  Scholl  Phüol. 
XXVI  383  ff.  Anf  die  nächste  Zeit  nach 
^em  Frieden  des  Nikias  geht  herab  Böckh, 
KL  Sehr.  IV  228  ff.  Andere  wollen  mit  Ans- 
Khadimg  von  919—923  als  jfingerer  Inter- 


Eolonos,  in  Gomment.  phüol.  Monacenses 
1891  S.  160  ff.  Nur  muss  dann  angenommen 
werden,  dass  der  Schluss  der  Phönissen,  wo 
y.  1705  f.  ausdrücklich  Eolonos  als  die  Grab- 
stätte des  Oedipus  bezeichnet  wird,  aus  spä- 
terer Ueberarbeitung  des  euripideischen 
Stuckes  hervorgegangen  ist 

*)  Arg.  Oed.  tyr. :  eiai  di  xai  ol  ngo- 
tSQoyj  ov  Tvgavyoy  htiyQd^ovTeg  did  tovg 
/goyovg  raiy  dt&aaxaXtwy  xai  dt«  j«  ngay- 
juata. 

*)  Das  Lokal  ist  wohl  Erfindung  des 
Sophokles ;  die  alte  üeberlieferung  Hess  nach 
den  Schollen  zu  V.  91  den  Oedipus  in  Theben 


ff^ition  helfen.  i  sterben  und  in  dem  böotiachen  Dorfe  Eeos, 

*)  Alb.  Math,  Über  Tendenz  und  Ab-  I   später  Eteonos,  begraben  werden. 
des  sophokleiBchen  Oedipus  auf  | 


250  Orieehiselie  litUratargMehiohta.    L  KlaMisolie  Pariode. 

das  Stück  mit  seiner  Majestät  des  Todes  selbst  auf  unser  verwöhntes 
Theaterpablikum  den  tiefsten  Eindruck  zu  machen  pflegt.^)  Aber  es  be- 
mühte sich  überdies  auch  der  Dichter,  mehr  Verwicklung  in  die  an  und 
für  sich  übereinfache  Handlung  zu  bringen,  indem  er  zuerst  Ismene  dem 
blinden  König  Kunde  von  dem  neuen  Zwist  in  Theben  bringen  lässt  und 
dann  nacheinander  Kreon  und  Polyneikes  in  die  Handlung  hineinzieht,  von 
denen  der  erste  mit  Gewalt,  aber  ohne  Erfolg  dem  unglückUchen  Vater 
seine  beiden  Wegführerinnen  zu  entreissen  sucht,  der  andere  aber,  nach- 
dem er  in  der  Hofhung,  Beistand  für  sein  unternehmen  zu  finden,  ge- 
kommen war,  mit  dem  schrecklichen  Fluch  des  Vaters  beladen  von  dannen 
ziehen  muss.  Die  Hereinziehung  des  Kreon  gab  zugleich  dem  Stück,  ähn- 
lich wie  den  Herakliden,  den  Schutzflehenden  und  dem  rasenden  Herakles 
des  Euripides,  eine  glanzvolle  politische  Staffage;  denn  wie  dort,  so  er- 
scheinen auch  hier  Athen  und  sein  Herrscher  Theseus  als  grossmütige 
Beschützer  der  Fremden,  die  auf  dem  gastlichen  Boden  Attikas  Schutz 
vor  ihren  Bedrängern  suchen.  Aber  der  schönste  Schmuck  der  sophokle- 
ischen  Tragödie  sind  doch  die  ergreifenden  Chorgesänge  und  vor  allem 
die  Krone  derselben,  der  herrliche  Hymnus  auf  Attika  (668—719),*)  wel- 
cher das  euripideische  Seitenstück  in  der  Medea  V.  824—845  weit  hinter 
sich  lässt.  —  Die  drei  Stücke,  König  Oedipus,  Antigene  und  Oedipus  auf 
Kolonos,  bilden  die  drei  Phasen  einer  Handlung,  könnten  also  dem  Inhalt 
nach  recht  wohl  die  drei  Teile  einer  Trilogie  bilden.  Sie  waren  aber  keine 
Trilogie,  da  sie  zu  ganz  verschiedenen  Zeiten  gedichtet  und  nie  zusammen 
auf  die  Bühne  gebracht  wurden.  Wohl  aber  sind  sie  zu  einander  in  Be- 
ziehung gesetzt,  indem  nicht  bloss  die  Charaktere  der  handelnden  Personen 
in  allen  drei  Stücken  gleich  gezeichnet  sind,  sondern  auch  die  späteren 
Stücke  an  die  früheren  anknüpfen  und  sogar  die  früheren  Hinweise  auf 
die  späteren  enthalten.«) 

175.  Fragmente.  Von  den  nicht  erhaltenen  Dramen  des  Sophokles 
sind  nur  sehr  spärliche  Reste  auf  uns  gekommen,  die  uns  in  vielen  Fällen 
nicht  einmal  eine  sichere  Vermutung  über  ihren  Inhalt  erlauben.*)  Zu 
einem  grossen  Teile  derselben  hatte  er  als  Homerfreund  den  Stoff  aus 
Homer  und  dem  epischen  Kyklos  entnommen;^)  so  bezogen  sich  auf  den 
troianischen  Sagenkreis  'AXä^arSgog,  'Elsvrfi  ydiiog  (Satyrdrama),  JSxvquu, 
'Odvaaeiq  fxairofxevog,  ^lifiyäveia  (Opferung  in  Aulis),  'Axaio}v  avlXoyog  ij  Svr^ 
Ssmvoi  (Satyrdrama),«)  Mvaoi  ij  Tj^Xeg^og,'')  lIoifAeveg  (ProteBilsLOBTodj/ElävTfi 
drvaiTrjmgy    Tgcotlog,  UaXct^ridrfi^  ^Qvyeg,  At&to7t€g  fj  Ms/avcdv,  0oTv$^j  <l^fAox- 


^)  Wie  günstig  die  Alten  urteilten,  sagt  |          *)  Welokbb,  Griech.  Trag,  im  1.  Band 

uns   das   Argomentnm :    to  ^i  dgafia   twy  \  und  im  Nachtrag  des  dritten. 

&avfiaat<oy.  ')  Ath.  297  d:  lj)fa*^e  (f  o  £o<poxX^g  r^» 

^)  Fälschlich  wird  dieses  herrliche  Chor-  inixw  xvxXtp,    vis  xcr«  oXa  dgafiaia  nwijcat 


lied  von  Plutarch.  an  seui  p.  785  A  als  Parodos 
hezeichnet.  Der  Chor  war  schon  V.  117  ver- 
einzelt {anoQtidijy)  eingezogen. 

*)  Das   letztere  ^t    insbesondere    von 


axoXovduiy  xß  iy  tovzia  fÄv9onoii4f. 

•)  Die  Ivpdeinyoi  spielte  noch  Q.  Cieero, 
der  Bruder  des  Redners  M.  Cicero,  nach  Cic 
ep.  ad  Quint.  fr.  11  15. 


OR.   1455—8,  wenn  anders  diese  auf  den  .  ')  Dieses  Stock  wurde  als  Satyrdrama 

OC.  vorbereitenden  Verse  echt  sind.    Auch  '  mit  einer  Trilogie  von  Tragödien  in  Bhodoa 

die  Verse  OR.   1455—7   scheinen  aus  OC.  I  aufgefOhrt,  worüber  Eaibel  Herrn.  23,  27S« 

1651  und  1663  genommen  zu  sein.  | 


C.  Drama.    2.  Die  Tragödie,    o)  Sophokles.    (§  175.) 


251 


Tifnjg  h  TQoif,  Aaxatvm  (Raub  des  Palladiums),  Aaoxooov^  Stvcov,  ügtafiog, 
Mxfictldtideg^  üoAvJ^rij,  Ai^g  AoxQog^  'AvtrjvoQidai  (Abzug  der  Söhne  des 
Antenor  nach  der  venetischen  Hadria),  NavnXioq  nvqxasvq  (Schiffbruch  an 
den  kaphereischen  Felsen),  Tevxqoq^  EvQvaäxrjg,  Navaixda  ij  nXvvxqicci  (neu 
entworfen  von  Goethe),  ^aiaxsg^  ^Odvaaeig  axttvd^onXiq^  (Tod  des  Odysseus 
durch  den  Bochenstachel  seines  Sohnes  Telegenes;  danach  Pacuvius'  Nip- 
tra),  EvqvaXog  (Sohn  des  Odysseus  und  der  epirotischen  Königstochter 
Eiu'ppe,  vom  Vater  ohne  Wissen  getötet).  Die  nächstgrösste  Aufmerksam- 
keit wandte  Sophokles  der  einheimischen  attischen  Sage  zu;  ausser  dem 
Triptolemos  und  Oedipus  Col.  waren  aus  derselben  genommen  die  Stücke 
Tij^iJj,  'ÜQhiö'Via^  KQäovaa  (im  Stoff  verwandt  mit  Eur.  Ion),  UQoxQigy  Aiysvg^ 
(Paiiqa  (denselben  Stoff  wie  Eur.  Hippel,  behandelnd).  Endlich  finden  wir 
in  den  Fragmenten  des  Sophokles  neben  den  altberühmten  Sagen  des  Hauses 
der  Tantaliden  und  Labdakiden  i)  auch  die  Argonautenfahrt  (A&cfxag,  KoX- 
XiSfg^  Ixvlf^ai^  ^Pf^oTOfioi)^  den  Heraklesmythus  und  die  Sagen  des  Thamyris, 
Minos  und  Daidalos,  Mele^ger,  Bellerophon  (Yo/?arij^),  der  Niobe,  Danae, 
Tyro,  Andromeda  vertreten.  Gänzlich  verschmäht  hat  er  Stoffe  aus 
dem  Göttermythus  und  der  Zeitgeschichte.  Ausserdem  hinterliess  Sopho- 
kles nach  Suidas  noch  Elegien,  Päane  und  eine  Prosaschrift  über 
den  Chor,  worin  er  seine  Neuerung  gegenüber  den  alten  Chormeistern 
Thespis  und  Choirilos  rechtfertigte.  Von  der  letzten  Schrift  ist  uns  nichts 
erhalten,  von  den  Elegien  (eine  an  Herodot)  kümmerliche  Reste. 

Codices;  Das  Verhältnis  ist  das  gleiche  wie  bei  Aischylos :  Hauptcod.  ist  Laui'entianiis 

XXXlI.  9  B.  XI  (L)y  nachträglich  mit  Scholien  versehen  und  von  verschiedenen  Händen 
komgiert  and  ergänzt,  so  dass  z.  B.  Oed.  R.  800  von  später  Hand  s.  XÜI  zugefügt  ist; 
in  phototypischem  Druck  die  ganze  Handschrift  herausgegeben  von  Thohpson-Jebb,  Fac- 
amile  of  the  Laur.  man.,  London  1885.  Zunächst  steht  Paris.  2712  s.  XIII  (P,  bei  früheren 
A,  mit  kurzen  Scholien),  der  nicht  aus  dem  Laurent  abgeschrieben  ist,  sondern  von  einem 
gemeiiisamen  Archetypus  abstanmit,  da  er  die  Verse  OR.  800.  OG.  1105,  £1.  1485,  die  in 
L  von  erster  Hand  fehlen,  sowie  das  dort  fehlende  yeyos  2oq>oxXiovg  enthält.  Vergl. 
A.  SsTiTEBT,  Quaest  crit.  de  Soph.,  Halis  1864;  M eifert,  De  Soph.  codicibus,  Diss.  Hai. 
1891.  Beachtenswert  noch  wegen  einiger  guten  Lesarten  ist  Laurent.  125  (Fj.  Unbrauchbar 
sind  die  jüngeren,  aus  der  Rezension  des  Triklinios  stammenden  Codd. 

Scholien :  die  alten,  aber  stark  gekürzten  gehen  auf  Didjmos  zurück,  der  zu  Ant.  45, 
OC.  237  u.  a.  mit  Namen  angeführt  ist;  dazu  eine  Vita  (fehlt  in  L)  und  vno&eaeig  in  pro- 
saischer und  metrischer  Form,  welche  auf  Aristophanes  (genannt  zu  Ant.  u.  OR.)  und 
Siiiistius  (genannt  zu  Ant.  u.  OC.)  zurückzuleiten  sind.  Jüngere  wertlose  Scholien  von 
Thomas  Magister  u.  Moschopulos  zu  den  im  Mittelalter  zumeist  gelesenen  3  Stücken  Aias, 
HL,  OB.,  von  Demetrios  Triklinios  zu  Aias,  El.,  OR.,  Ant.;  Ausgabe  der  Scholien  von  Elmslby- 
IhxDOBF,  Oxon«  1825 — 52,  2  Bde;  neue  Ausg.  der  alten  Scholien  vou  Papagboroios  in 
BibL  Teubn.  Ueber  die  Quellen  der  Scholien  und  ihre  Bedeutung  für  die  Kritik  G.  Wolff, 
De  Soph.  scholiis  Laurentianis,  Lips.  1843;  über  ihr  Verhältnis  zu  Suidas  P.  Jahn,  Quae- 
stioaes  de  scholiis  Laurentianis,  BerL  1884. 

Ausgaben:  ed.  princ.  bei  Aldus,  Yen.  1502.  Mit  den  Scholien  von  H.  Stefhanus, 
Paris  1568,  welche  Ausg.  mit  ihrem  triklinianischem  Text  bis  in  unser  Jahrh.  die  Yulgata 
blieb.  Fortschritt  in  der  Verstellung  der  Cantica  von  Ganteb,  Antw.  1579.  —  Eindringende 
Radien  wurden  dem  Soph.  später  als  dem  Eur.  zu  teil;  grundlegend  die  kritisch-exege- 
tische Bearbeitung  von  Brunck  (benützte  Par.  2712),  Argent.  1786;  fruchtbringend  die 
wiederholten  Neuauflagen  der  Ausgaben  von  Ehfurdt  durch  G.  Hermann,  Lips.  1817—48; 
Wdeutend  f&r  die  Kritik  durch  Zurückgehen  auf  den  Cod.  Laur.  mit  genauem  Apparat  die 
Ausg.  von  Divdobp,  Oxon.  1860.    In  der  von  Jakobs  u.  Rost  geleiteten  Biblioth.  graec.  mit 


')  Aus  letzterem  waren  ausser  den  oben 
Weite  genannten  (Oedipus  etc.)  auch  noch 
fie  'Eniyoyoi    (oder   Enphyle)    genommen, 


welche  der  römische  Tragiker  Äccius  nach- 
bildete, und  der  sich  daran  anschliessende 
'AXxf4äo)y. 


i 


252 


Grieohisehe  Lütexmtargesohiohte.    I.  KUsaisohe  Periode. 


lat.  Aninerk.  gab  den  Sophokles  Wukdbb  heraus ;  die  5.  Neabearbeii;iiiig  besorgte  Wbckleht. 
—  Ausgaben  mit  erklftrenden  Anmerkimgen  von  Schnbidkwin-Nauck  bei  Weidmann ;  von 
Wolff-Brllebmann  bei  Teubner;  von  Wbckleik  bei  Lindauer  in  Manchen;  von  Muff  bei 
Velhagen-Klasing ;  von  Sbkitblob,  Athen  1887.  —  Ejitisch-berichtigte  Textausgaben  von 
Na  UCK  bei  Weidmann;  von  Dhydorf-Mekler  in  Bibl.  Teubn.;  von  Schubert  in  BibL 
Schenkl.  —  Einzelausgaloen ;  Aiax  cum  scholüs  et  commentario  perpetuo  ed.  Lobbck,  ed.  11 
Ups.  1885.  —  Antigene  griech.  deutsch  mit  Exkursen  von  Bobckh,  Berl.  1843;  cum  scholüs 
et  virorum  doctorum  curis  ed.  Wbx,  Lips.  1831,  2  vol.  —  Electra  in  usum  scholarom  ed. 
0.  Jahn,  mit  Vita  und  kritischem  Apparat,  ed.  III  cur.  Micbablis,  Bonnae  1882  (dazn 
Michaelis,  Arch.  Zeit.  38,  75  ff.);  Ausgabe  der  El.  mit  Kommentar  von  Eaibel,  Leipz. 
1896.  —  OedipusRex  cum  annot.  ed.  tertium  Elkslbt,  Lips.  1821;  adnot.  van  Hbrwbri>b5, 
Trai.  1867.  —  Oedipus  Gol.  cum  schol.  et  suis  comment  ed.  Rkisio,  Jenae  1820. 

Lexicon  Sophocleum  von  Ellbndt,  ed.  II  cur.  Gbnthb,  Berl.  1882.  —  Bbambach, 
Metr.  Studien  zu  Sophokles;  Sophokleische  Gesänge,  Leipz.  1869  u.  1870.  -  Qlbditbcb, 
Die  Cantica  der  sophokl.  Tragödien,  2.  Aufl.  Wien  1888.  —  Chr.  Muff,  Die  chorische 
Technik  des  Soph.,  Halle  1877.  —  0.  Hensr,  Der  Chor  des  Soph.,  Berl.  1877  u.  Rh.  M. 
32,  485  ff.  —  Genthe.  Index  comment.  Soph.  1874;  die  neuere  Litteratur  besprochen  von 
Weck  lein  in  Bursian-Mttller*8  Jahrber.  d.  Alt.  —  Lat.  Uebersetzung  des  Aias  lorarius  von 
Soat-igek;  erste  deutsche  Uebersetzung  der  Antigene  von  Opitz— Lbchneb,  Sophokles  auf  der 
modernen  Bühne,  in  Verh.  d.  Philol.-Vers.  1891. 

d)  Euripides  (um  480- 406).^ 

176.  Leben.  Euripides,  der  jüngere  Zeitgenosse  des  Sophokles, 
trat  schon  durch  seine  Abkunft  in  Gegensatz  zu  seinen  grossen  Mit- 
bewerbern um  den  tragischen  Kranz:  entstammten  Aischylos  und  Sophokles 
vornehmen  und  reichen  Geschlechtern  Attikas,  so  dass  sie  schon  durch 
die  Geburt  zu  ansehnlicher  Stellung  unter  ihren  Mitbürgern  berufen 
schienen,  so  war  hingegen  Euripides,  dessen  Eltern,  Mnesarchides  und 
Kleito,  eine  Zeit  lang  in  der  Verbannung  in  Böotien  gelebt  hatten  und 
nach  ihrer  Rückkehr  Krämersleute  in  dem  Dorfe  Phlya*)  waren,  in 
bescheidenen  Verhältnissen  aufgewachsen.^)  Sein  Geburtsjahr  fiel  nach 
der  einen  Version^)  mit  der  Seeschlacht  von  Salamis  zusanunen,  was  dann 
die  litterarische  Sage  so  ausschmückte,  dass  sie  den  Dichter  an  dem  Tage 
der  Schlacht  und  auf  der  Insel  Salamis^)  geboren  sein  Hess;  nach  anderen 


*)  Aus  dem  Altertum  ein  Feyog  EvQtr- 
nidov  xal  ßiog.  Dazu  ein  Artikel  des  Suidas 
und  ein  Kapitel  bei  Gellius  XV  20.  Die 
5  Briefe  des  Eur.  sind,  weil  unecht,  ohne 
Wert.  —  Sämtliche  Quellen  zusammengestellt 
und  verwertet  von  Naück,  De  Eur.  vita 
poesi  ingenio,  in  seiner  Ausg.  Das  Lehen 
des  Dichters  mit  seinen  Werken  dargestellt 
von  Hartuno,  Euripides  restitutus,  Hamb. 
1843,  2  Bde.  —  0.  Ribbbck,  Euripides  und 
seine  Zeit,  Progr.  Bern  1860.  —  Wilamowitz, 
Das  Leben  des  Euripides,  in  Eur.  Herakles 
I  1—42. 

^)  Suidas  und  Harpokration  unt.  ^Xvela. 

»)  Vita  Eur.;  Arist.  Ach.  457.  478,  Equ. 
19,  Thesm.  456,  Ran.  840.  947.  Anders 
Philochoros  bei  Suidas:  EvqitjI&ijs  Afytjaagxov 
rj  Mt^rjaaQxi^ov  xai  Kkeiiorg^  oV  ffsvyov- 
Tfff  eig  Boitoxiav  ftertoxrjaav.  Biza  iv  r/j 
'Jrrixfi  (ähnlich  Stob.  Flor.  44,  41)  "  ovx  dXrj- 
^ig  di  lug  XaxacyoTKoXig  rjy  ij  Ufjrrjg  avrov  ' 
xal  yag  xtav  atpodqa  BvyBviüv  BtvyxnvBVy  tag 
dnoödxrvai  4>iX6xoQog.     Die  Witze  der  Ko- 


miker, welche  die  Mutter  des  Dichters  zu 
einem  Hökerweib  machten,  mögen  nicht  viel 
Glauben  verdienen,  aber  mit  dem  hohen 
Adel,  den  Philochoros  seinem  Eoripides 
nachrQhmt,  wird  es  auch  m'cht  weit  her 
gewesen  sein;  das  naig  dgovQuiag  9eov  des 
Arist.  Ran.  840  muss  seine  Richtigkeit  haben. 
Daraus,  dass  nach  der  Vita  und  GeUliis 
Euripides  in  Salamis  eine  Grotte  mit  Aus- 
blick auf  die  See  hatte,  will  man  auf  er- 
erbten Grundbesitz  auf  jener  Insel  schliessen. 

*)  Vita;  Diog.  H  45;  Plut  Symp.  VIII 
1,  1.  Die  Angabe  des  Eratosthenes  in  der 
Vita,  der  den  Dichter  75  Jahre  alt  werden 
Iftsst,  fahrt  auf  481/80.  Die  pansche  Chronik 
setzt  die  Geburt  Ol.  83,  4  =  485/4,  was 
Mrndblssohv  ,  Acta  Lips.  II  161  ff.  ver- 
teidigt. 

B)  Vita;  in  dG  6052  heisst  Eur.  £nXa' 
fjilviog,  Gellius  XV  20:  Phüocharwf  rcfert 
in  insula  Salamine  speluncam  esse  Utetratn 
et  horridam,   in  qua  scfiptitarit  Euriyides, 


G.  Drama.    2.  Die  Tragödie,    d)  Enripidea.    (§§  176—177.) 


253 


war  er  ein  oder  ein  paar  Jahre  früher  geboren.  In  der  Jugend  erhielt 
er  eine  sorgfältige  Erziehung,  so  dass  er  an  den  Oötterfesten  der  Heimat 
ftk  Tänzer  und  Fackelträger  des  Apoll  mitwirkte^)  und  im  Ring-  und 
Faustkampf  sich  auszeichnete.  Der  Tumkunst  sagte  er  bald  wieder 
Valet*)  Auch  der  Malerei,  der  er  sich  in  seiner  Jugend  widmete,  scheint 
er  nicht  lange  obgelegen  zu  haben,  obwohl  er  stets  für  das  Malerische 
in  der  Poesie  ein  grosses  Talent  an  den  Tag  legte. »)  Es  war  die  Tra- 
gödie, in  der  er  das  eigentliche  Feld  seines  Schaffens  fand.  Im  Jahre 
455^)  erhielt  er  zum  erstenmal  mit  seinen  Peliades  einen  Chor,  musste 
aber  bei  diesem  ersten  Debüt  mit  dem  dritten,  d.  i.  letzten  Preis  vorlieb 
nehmen.  Der  Bühne  blieb  er  bis  zu  seinem  Ende  treu,  wiewohl  er  erst 
spät  mit  der  Richtung  seiner  Poesie  durchschlug  ^)  und  auch  dann  noch 
manchen  Wandel  in  der  Gunst  des  Publikums  zu  erfahren  hatte. 

177.  Fand  Euripides  in  dem  tragischen  Spiel  sein  Lebenselement, 
so  zeigte  er  doch  auch  für  andere  Geistesrichtungen  und  insbesondere  für 
die  Philosophie  ein  lebhaftes  Interesse.  Er  besass  eine  auserlesene  Biblio- 
thek«) und  war  Hörer  der  Philosophen  Anaxagoras,  Protagoras  und  Pro- 
dikos. ^  Dem  Sokrates  war  er  befreundet  und  erfreute  sich  dessen  wohl- 
wollenden Beifalls;  Aelian  V.  H.  11  13  erzählt,  Sokrates  habe  nur  selten 
das  Theater  besucht  und  nur  dann,  wann  neue  Stücke  des  Euripides  zur 
Aoff&hrung  kamen.  ^)  Dabei  ist  aber  nicht  daran  zu  denken,  dass  Euripides 
in  ein  förmliches  Schülerverhältnis  zu  jenen  Philosophen  getreten  sei;  er 
suchte  nur  im  freien  Verkehr  mit  ihnen  und  im  Lesen  ihrer  Bücher  über 
die  höchsten  Probleme,  die  damals  die  Geister  bewegten,  Aufschluss  zu 
erhalten.  Und  indem  er  selbst  ein  eifriger  Anhänger  des  Rationalismus 
und  ein  Verächter  des  alten  Götterglaubens  wurde,  trug  er  durch  seine 
Tragödien  mehr  als  jene  Philosophen  selbst  zur  Verbreitung  der  philo- 
sophischen Aufklärung  bei.*)  Nicht  unverdient  war  der  Ehrentitel  eines 
Phflosophen  der  Bühne.  i<^)  Hingegen  hielt  er  sich  von  dem  thatkräftigen  poUti- 


*)  Ath.  424e  und  Vita,  vennatlich  nach 
Phflochoros,  der  damit  den  Vorwurf  niederer 
Abkunft  wiederlegen  wollte. 

')  Hart  ist  sein  späteres  Urteil  über  die 
Athleten  fr.  284 :  ovdiy  xäxioy  iaiiy  af^Xrjuoy 

')  Nach  der  Vita  zeigte  man  von  ihm 
BQder  {mytixue)  in  Megara.  Die  Kunst  in 
der  Beschreibung  von  Bildern  tritt  in  Ion 
190-218  glänzend  hervor;  vergl.  Hec.  807 
»f  yQa^tvg  i'  dnoata^Big  idov  fjte  xayd- 
^^or,  Hec.  570,  Androm.  fr.  125,  Hyp- 
apyle  fr.  764. 

«)  Irrtümlich  Iflsst  Gellius  XY  20  den 
IHciiter  schon  im  18.  Lebensjahr  Tragödien 
Bcfaretben. 

^)  Eist  441  siegte  er  nach  Mann.  Par. 
BUD  erstenmal. 

*)  Ath.  3a;  Suidas  setzt  dafür  den  jün* 
9erai  Euripides,  über  den  unten  §  188. 

^  Vita:  uMovctrjg  yByofxtyog  *Jya^ay6Qov 
>*i  Ugo^lxov  xai  JlQiotayoQOV  xai  Iwxgärovg 
if«>of.  Cicero  Tusc.  111  14:  fuerat  auditor 
^T^iagorae.  In  Versen  des  Alexander  Aetolns 


bei  Gellius  XV  20  heisst  er  ^Aya^ayoQov 
rQog^ifiog^  auf  Anaxagoras  scheint  zu  gehen 
Eur.  Ale.  903—10.  Auch  nut  Heraklits 
Lehre  wurde  Eur.  bekannt:  s.  Diog.  II  22 
u.  Eur.  fr.  639.  830;  Arist.  Ran.  1082. 

^)  Sokrates  Lehre,  dass  Tugend  auf 
Wissen  beruhe,  ist  wiedergegeben  in  Herc. 
347. 

•)  Von  Beweisen  sind  die  Stücke  des 
Eur.  voll.;  besonders  sprechend  sind  Hec.  799, 
Ion  436—51,  Iph,  Taur.  385—91,  Troad. 
884—8  (nach  Diogenes  von  Apolloniai,  Belle- 
rophon fr.  288  u.  294,  Chrysippos  fr.  836, 
Theseus  fr.  392,  Peir.  fr.  596,  fr.  ine,  904. 
Dass  Eur.  die  Lehren  des  Anaxagoras  auf 
die  Bühne  gebracht,  deutet  Platon  Apol.  26  d 
an.  Vgl.  Lucian  lup.  trag.  c.  41.  Bei  einem 
Prozess  bezichtete  ihn  nach  Arist.  Rhet.  lU 
15  p.  1416  a  29  sein  Gegner  der  Asebie. 
Die  Litteratur  bei  Uebekwbo,  Grundriss  d. 
Gesch.  d.  PhiL  V  81,  wozu  Wilamowitz, 
Eur.  Herakl.  I  22-30. 

**)  Zxrjyixog  <;p&^oao<f  o;  heisst  er  bei  Ath. 
158  e   u.   561a,   Vitniv   VIU   praef.,   Sext. 


I 


254 


Qrieohiflobe  Litteratnrgesohiohte.    I.  Klassisohe  Periode. 


sehen  Leben  fern ;  ^)  er  verriet  auch  darin  im  Gegensatz  zu  Aischylos  und 
Sophokles  den  Dichter  der  Neuzeit.  Nur  in  seinen  Dichtungen  nahm  er 
lebhaft  an  den  politischen  Tagesfragen  teil,  indem  er  namentlich  in  den 
Tendenztragödien  aus  der  ersten  Hälfte  des  peloponnesischen  Krieges  jede 
Gelegenheit  ergriff,  um  seine  Vaterstadt  zu  Ehren  zu  bringen  und  gegen 
deren  Feinde  zu  Feld  zu  ziehen.*) 

178.  Eine  grosse  Rolle  spielten  in  dem  Leben  und  in  der  Beurteilung 
des  Euripides  seine  häuslichen  Verhältnisse.  Verheiratet  war  er  zweimal; 
die  erste  Frau  hiess  Melito,  die  zweite  Choirine  (v.  1.  Choirile) ;  *)  aber  mit 
beiden  scheint  er  schlechte  Erfahrungen  gemacht  zu  haben.  Die  Skandal- 
geschichte wusste  namentlich  von  einem  Famulus  des  Dichters,  Kephisophon 
mit  Namen,  zu  erzählen,  mit  dem  die  Frau  in  ehebrecherischem  Umgang 
lebte.*)  Die  Alten  führten  auf  diese  ehelichen  Misshelligkeiten  den  Weiber- 
hass  zurück,  den  Euripides  in  seinen  Tragödien  zur  Schau  trägt  und  der 
die  Frauen  in  den  Thesmophoriazusen  zur  Verschwörung  gegen  den  Dichter 
bewegt.  Aber  mit  diesem  Weiberhass  muss  es  so  weit  nicht  her  gewesen 
sein.  Witzig  entgegnete  Sophokles,  als  einer  ihm  von  dem  Weiberhasser 
Euripides  sprach:  €v  ys  raig  TQayrpdiaig,  errei  iv  ys  rfj  xXivrj  ipiXoyvvrfi, 
Söhne  hatte  er  drei :  Mnesarchides,  Mnesilochos,  Euripides,  von  denen  der 
letzte  hinterlassene  Stücke  des  Vaters  nach  dessen  Tod  zur  Aufführung 
brachte.  Die  letzte  Zeit  seines  Lebens  brachte  er  an  dem  Hofe  des  musen- 
liebenden Königs  Archelaos  von  Makedonien  zu,  ^)  der  damals  die  erwähl- 
testen Geister  Griechenlands  an  seine  neue  Residenz  in  Pella  zu  ziehen 
suchte  und  ausser  Euripides  auch  den  Tragiker  Agathen  zur  Übersiedelung 
von  Athen  nach  Makedonien  veranlasst  hatte.  ^)  Vielleicht  auf  dem  Wege 


Empir.  I  288,  Clem.  Alex,  ström.  V  p.  248. 
Vgl.  Plat.  de  rep.  VIII  p.^568a:  rj  re  xQa- 
ytj&ia  ok(og  ao^op  doxeT  eiyai  xal  6  Evqi' 
Tiidrjg  dia<f^Qü)y  iy  «vt^, 

>)  Von  Aristoteles  Rhet.  II  6  p.  1384  b 
16  wird  eine  EvgiTiidov  dnoxQwiq  tjqos  Ivqu- 
xoaiovg  erwähnt,  was  der  Scholiast  auf  eine 
sonst  nicht  bekannte  Gesandtschaft  bezieht. 
Von  einer  Klage,  die  dem  Dichter  ein  ge- 
wisser Hygieinon  durch  das  Anerbieten  des 
Vermögenstansches  anlftssig  einer  zu  leisten- 
den Liturgie  anhängte,  meldet  Anst.  Rhet. 
III  15. 

^)  So  pries  er  Athen,  indem  er  zum 
Teil  die  alten  Mythen  ummodelte,  als  Schir- 
merin  der  Verfolgten  in  Med.  Heracl.  Herc. 
Suppl.  Phoen.  Im  Menelaos  der  Andromache 
(s.  Schol.  z.  Andr.  445)  und  des  Orestes 
brandmarkte  er  die  treulose  Härte  und  Geld- 
gier der  Lakedämonier.  Durch  die  Herakliden 
wird  das  Bündnis  mit  Argos  empfohlen. 
Gegen  die  Demagogen  und  Volksschmeichler 
sind  gerichtet  Hec.  254  ff.,  Suppl.  232  ff. 
Wegen  der  im  Kresphontes  repräsentierten 
Vaterlandsliebe  preist  den  Dichter  Lycurg 
adv.  Leoer.  100. 

')  Vita:  yvyalxa  d^  yrjfxtti  ngüiitjy  Ms- 
A*r(ü,  dcvregay  di  XoiQLytjy.  Das  Verhältnis 
umgekehrt  bei  Suidas,  zu  einer  Bigamie  ge- 


staltet bei  Gellius  XV  20.  Die  Heirat  mit 
der  Choirile  erklärt  fttr  eine  Fabel  Wila- 
MowiTz,  Anal.  Eur.  149  u.  Eur.  Herakl.  I  7, 
vielleicht  mit  Recht. 

^)  Dieser  Kephisophon  geh5rt  mit  som 
Haushalt  des  Euripides  in  AristRan.  1408  and 
1452.  Vers  944  derselben  Komödie  wird  in 
den  Schollen  so  gedeutet»  ab  ob  Kephisophon 
dem  Euripides  geholfen  habe,  namentlich 
in  den  Liedern.  Von  dem  Umgang  desselben 
mit  der  Frau  des  Dichters  erzählt  die  Vita, 
wohl  auch  nach  Witzen  der  Komödie.  Eben- 
daher wird  die  Anekdote  von  dem  Verhältnis 
des  Dichters  zur  Schaffnerin  im  Hanse  des 
Königs  Archelaos  stammen;  s.  Hermesianax 
bei  Ath.  598  d. 

'i  Vita;  Philodemos  de  vitiis  10;  So- 
linus  IX  16;  Lucian  de  paras.  35;  Paaa.  I 
2,  2;  Syncellus  p.  500,  7.  Von  einem  gol- 
denen Becher,  den  der  König  beim  Mafal 
dem  verehrten  Dichter  schenkte,  enfthlt 
Plut.  Mor.  p.  53 Id. 

®)  Von  einer  Liebkosung  des  jünger^i 
liebenswürdigen  Dichters  Agathon  durch  Ehi- 
ripides  erzählen  Plut  Mor.  770  c  und  Aelian 
V.  H.  Xni  4,  wahrscheinlich  nach  einer 
Schrift  des  Peripatetikers  Praziphanes.  Von 
einem  Zerwürfnis  des  Dichters  mit  einem 
Höfling,   der  den  Dichter  wegen  des  übel- 


G.  Drama.    2.  Die  Tragödie,    d)  Earipides. 


178  -179.) 


255 


dahin  wurde  er  in  Magnesia  eine  Zeitlang  festgehalten  und  durch  öffent- 
liche Auszeichnungen  gefeiert.  1)  Wie  Aischylos  für  Sikilien  ein  Lokalstück, 
die  Aitnaiai,  gedichtet  hatte,  so  dichtete  auch  er  zu  Ehren  seines  könig- 
lichen Gönners  den  Archelaos,  in  welchem  er  den  regierenden  König  unter 
der  Gestalt  des  Ahnherrn  der  makedonischen  Dynastie  verherrlichte.*) 
Seine  Heimat  sah  Euripides  nicht  mehr  wieder.  In  Arethusa  bei  Amphipolis 
starb  er  im  Frühjahr  406,  noch  vor  dem  Feste  der  grossen  Dionysien; 
die  Sage  erzählte,  dass  Hunde  des  Königs  den  Dichter  zerrissen  hätten.») 
Bei  Amphipolis,  an  dem  Zusammenfluss  zweier  Bäche,  befand  sich  auch 
sein  Grab,  das  noch  in  später  Zeit  ein  Wanderziel  der  Verehrer  des  Dichters 
war.*)  In  Athen  riss  sein  Tod  eine  grosse  Lücke,  ß)  die  auch  sein  bitterer 
Feind  Aristophanes  bereitwillig  anerkannte.  Seine  Mitbürger  ehrten  ihn 
durch  ein  Kenotaph,  für  welches  Thukydides  oder  Timotheos  die  Aufschrift 
dichtete.*)  Später  fügten  dieselben  auf  Antrag  des  Lykurg  die  Ehre  eines 
ehernen  Standbildes  im  Theater  des  Dionysos  hinzu.  Die  erhaltenen 
Porträte  des  Dichters^)  zeigen  uns  den  Tragiker  in  älteren  Jahren  mit 
spärlichem  Haar  über  der  Stirne  und  mageren  Backen ;  die  ganze  Physio- 
gnomie verrät  mehr  den  herben  Ernst  eines  grübelnden  Moralisten  als  die 
leichte  Schaffenslust  eines  gottbegnadeten  Dichters. 

119.  Werke  des  Euripides.  Verfasst  wurden  von  Euripides  ausser 
einem  Epinikion  auf  einen  Wagensieg  des  Alkibiades  und  einer  Elegie 
auf  die  bei  Syrakus  gefallenen  Bürger  92  Dramen  oder  23  Tetralogien.®) 
Davon  hatten  sich  in  die  Zeit  der  gelehrten  Grammatiker  78  Stücke  ge- 


liedieiideii  Atems  verspottet  hatte,  erzählen 
Ariatot  Poüt  V  10,  p.  1311^  33  und  Sto- 
)am  FloriL  41,  6. 

^)  Yita:  /deziarij  ^i  iy  Mayyijalif  xal 
n^ü^friif  iii/ÄijSt]  xal  aisXelif;  welches  Ma- 
Sneaia  gemeint  sei,  ist  leider  nicht  ange- 
g^iL  Aach  an  dem  Tyrannen  Dionysios 
roo  ^rakns  hatte  er  einen  enthusiastischen 
Bemmderer,  der  ans  seinem  Nachlass  um 
kohea  Geld  Leier,  Griffel  und  Schreibtafel 
erstand;  s.  Hermippos  in  der  Vita.  Damit 
Tttgleiche  Plnt  Nie.  29:  eyioi  xai  dt'  Evqi- 
^iiijr  (ctaihjony,  fiaXicta  yag  tos  soixe  rviy 
ixii^  'EXkfjyiay  inoSr^ay  avtov  riqy  fAovaay 
^  »ept  £ix€Xiay, 

*)  Damit  steht  nicht  in  absolutem  Wider- 
aprach  Diomedes  p.  488,  20  K:  Euripides 
ptUmti  Archeiao  rege,  ut  de  se  tragoediam 
9cnberet,  abnuü  ac  preeaius  est,  ne  accideret 
Arckelao  aliquid  tragoediae  proprium,  osten- 
^eng  nihil  aliud  esse  tragoediam  quam  mi- 
9rriarum  comprehensionem.  Ueber  den  histo- 
liaehen  Hintergrund  der  Sage,  durch  welche 
das  makedonische  Eönigsgeschlecht  auf  den 
dorischen  Ahnherrn  Temenos  zurückgefOhrt 
vinde,  siehe  Outschmid,  Die  makedonische 
Anagraphe,  in  Comm.  phü.  Bonn.  p.  118  ff. 

')  Aelteste  Zeugen  fOr  diese  Sage  sind 
«iades  bei  Stob.  98,  9  und  Diodor  13,  103; 
gegen  die  Richtigkeit  derselben  spricht   dass 


Aristophanes  von  ihr  nichts  weiss.  Nach 
einer  anderen  bei  Suidas  und  Anth.  7,  51 
erwähnten  Fassung  waren  es  Weiber,  nicht 
Hunde,  die  den  Dichter  zerrissen. 

*)  Ammianus  Marceil.  XXVII  4,  8:  pro- 
xima  Arethusa  convallis  et  statio,  in  qua 
visitur  Euripidis  sepulcrum,  Vergl.  Vitruv 
X  3;  Plinius  N.  H.  31,  19;  Paus.  I  2,  2. 

')  Nach  Athen  kam  nach  der  Yita  die 
Nachricht  vor  dem  Proagon  der  Dionysien. 

«)  Vit.  Eur.  und  Ath.  187  d. 

^)  S.  die  angefQgte  Tafel.  Erhalten  sind 
uns  von  dem  meistgefeierten  und  meist- 
gelesenen Dichter  mehrere  Hermen  und 
Statuen;  s.  Visconti,  Iconogr.  gr.  15,  8; 
G.  Krüger,  Arch.  Ztg.  1870  Taf.  26  u.  1871 
Taf.  1;  Jahrb  d.  arch.  Inst.  1889,  S.  98.  Als 
Ergänzung  diene  die  Charakterisierung  der 
Vita:  üxv^QCJTiof  d^  x€tl  avyyovg  xai  avartj- 
Qog  i<fttiyeTO  xai  fjiiaoyiXtaq  xai  fjLiaoyvyrjg  .  .  . 
iXiyero  cW  xal  ßaßvy  ntoywya  ^giipai  xal 
inl  Tijff  oipetos  (paxovg  iaxfjx^yai.  Von  seinem 
übelriechenden  Atem  spricht  die  Vita  und 
Aristot.  Polit.  V  10. 

*)  Die  Zahl  schwankt  in  der  Vita  und 
Suidas  zwischen  92  und  98  infolge  der  Ver- 
wechselung der  Zahlzeichen  ß  und  97;  die 
nicht  geretteten  kannten  die  Grammatiker 
wahrscheinlich  nur  aus  den  Didaskalien. 


i 


256  Grieohische  latteratargeBchiehte.    L  Klaasisehe  Periode. 

rettet,  1)  darunter  8  Satyrspiele;*)  für  unecht  galten  unter  diesen  ein  Satyr- 
drama und  die  3  Tragödien  Tt'vrr^g^  ^Paidfiav&vg^  Uei^i&oog,  Auf  uns  ge- 
kommen sind  19  Dramen,  darunter  1  Satyrspiel  KvxXto^f  und  1  Tragödie 
von  zweifelhafter  Echtheit  "^Pr^aog.  Von  diesen  19  Stücken  wurden  im 
byzantinischen  Mittelalter  am  meisten  gelesen  und  allein  kommentiert 
die  3  Tragödien  !Exa/Jij,  'OQeatr^g,  0o{riaaai.  Unter  den  erhaltenen  Dramen 
befinden  sich  mehrere,  wie  Mrjdsia^  ^oinaffai^  "^InnoXviog,  Bdxxcci^  l^tytreta 
iv  TavQoig,  die  sich  schon  im  Altertum  eines  hohen  Ansehens  erfreuten; 
aber  viele  andere  sind  geringwertig  und  wurden  von  den  Grammatikern 
in  zweite  Linie  gestellt.')  Dieses  scheint  damit  zusammenzuhängen,  dass 
die  19  Dramen,  ähnlich  wie  die  Reden  des  Lysias,  aus  zwei  Sammlungen 
stammen,  von  denen  die  eine  eine  Auswahl  der  besten  Stücke  enthielt 
(Hec,  Orest,  Phoen.,  Hipp.,  Med.,  Ale,  Andrem.,  Rhes.,  Troad.,  Bacch.),*) 
die  andere  ehedem  sämtliche  Stücke  in  alphabetischer  Ordnung  umfasste.^) 
Anklang  fand  Euripides  mit  seinen  Tragödien  bei  dem  athenischen  Pu- 
blikum weniger  als  Aischylos  und  Sophokles:  nach  der  parischen  Marmor- 
chronik  errang  er  erst  im  39.  Lebensjahre  unter  dem  Archen  Diphilos 
(441)  den  ersten  Sieg,  und  im  ganzen  genommen  erhielt  er  nur  fünfmal 
den  ersten  Preis.  ^)  In  das  rechte  Fahrwasser  scheint  er  erst  im  Beginne 
des  peloponnesischen  Kriegs  gekommen  zu  sein,  wo  der  alternde  Sopho- 
kles allmählich  in  den  Hintergrund  trat  und  er  selbst  durch  Anspielungen 
auf  politische  Zeitverhältnisse  und  durch  Einflechtung  sophistischer  Weis- 
heit der  bewunderte  Liebling  der  jüngeren  Generation  ward.^)  Aber  um 
so  heftiger  befehdeten  ihn  dann  als  den  Stimmführer  des  neuen  Zeit- 
geistes die  Dichter  der  Komödie,  von  denen  namentlich  Aristophanes  ihn 
erbarmungslos  bei  jeder  Gelegenheit,  insbesondere  in  den  Achamem,  den 
Fröschen,  den  Thesmophoriazusen  verspottete.®)  Aber  die  Rhetorik  und 
philosophische  Aufklärung,  sowie  die  Vorliebe  für  das  Pathetische  gewann 
in  dem  Geistesleben  der  Griechen  immer  mehr  die  Oberhand  und  so  fand 

^)  Varro   bei    GelÜus   XYII   4    spricht  I   diese  Auswahl  ein  unechtes  St&ck,  der  Bhe- 
von   75   Stücken;    die   Abweichung    kommt  I   sus»   und  ein  sonst  wenig  gesch&tztes,    die 


wahrscheinlich  daher,  dass  die  einen  die 
3  unechten  Tragödien  einrechneten,  die  an- 
deren dieselben  ganz  ausser  Betracht  Hessen. 
Auf  der  Rückseite  der  sitzenden  Statue  des 
Euripides  im  Louvre  ist  ein  alphabetisches 
Verzeichnis  von  37  Stücken  bis  'O^cVriyc 
geschrieben;  s.  Welckbb,  Gr.  Trag.  444  f. 
£in  anderes  gleichfalls  verstümmeltes  Ver- 
zeichnis in  teilweise  alphabetischer  Ordnung 
findet  sich  auf  einem  Stein  des  Pirftus,  bei 
WiLAHOwiTZ,  Anal.  £ur.  p.  139. 

^)  Wenn  £uripides  23  Tetralogien  und 
doch  nur  8  Satyrdramen  dichtete,  so  erklftrt 
sich  dieses  daraus,  dass,  wie  das  Beispiel 
der  Alkestis  zeigt,  für  ein  Satyrspiel  auch 
eine  Tragödie  mit  glücklichem  Ausgang  ein- 
treten konnte. 

'*)  Von  der  Andromache  lesen  wir  in 
der  Hypothesis  t6  d^äfia  ttov  dsviigtov,  da- 
gegen  von   dem   Hippolytos   ro   dga/ixa  jcjy 

TIQÜJXCjy, 

^)  Dabei  ist  allerdings  auffällig,  dass  in 


Andromache,  Aufnahme  fanden. 

')  Alphabetische  Ordnung  gewahrt 
in  der  Reihenfolge  des  Lanr.  32,  2:  'Ekä^ij^ 
'HXexjga,  'HgnxXi^^'f  'HQaxXstdat,  lioy,  'IxBTidsCy 
*I<fiy^ysia;  darüber  Wilamowitz,  An&l.  £unp. 
136  ff.,  der  die  ähnlich  mangelhafte  Ordimiig 
auf  dem  Stein  des  Piräus  vergleicht. 

•]  Gellius  XVII  4:  Euripiäem  quo^me 
M.  Varro  ait,  cum  quinque  et  septuagitUa 
tragoedias  scripserit,  in  quinque  solis  tficisse, 
cum  eum  saepe  vineerent  aliquot  poetae 
ignavissimi. 

7)  aoq)(6xaxov  nennt  den  Euripides  der 
Vertreter  der  Jugend  Pheidippidee  in  Ari> 
stoph.  Nub.  1370. 

^)  Heimgezahlt  hat  Euripides  den  Ko- 
mikern ihren  Spott  durch  die  bitteren  Verse 
in  der  zweiten  Melanippe  fr.  495 : 

(KvdQtJy  d^  noXXoi  rov  yeXwros  ovyexa 
aaxovai  /re^ira;  x$gt6fiov^,  iyti  di  jwt»^ 
fiiaaß  yeXoiovgy  oltiveg  üo^y  ns^ 
ax^Xiy^  e^ovai  aiofiata  xfX, 


C.  Drama.    2.  Die  Tragödie,    d)  Bnripidea.    (§  180.)  257 

aach  Euripides  nach  seinem  Tod  bei  Aristoteles  gerechte  Anerkennung  i) 
und  bei  den  Dichtern  der  neuen  Komödie,  wie  Menander  und  Philemon, 
geradezu  abgöttische  Bewunderung.*)  Von  den  Griechen  der  späteren 
Zeit  ging  dann  die  Bewunderung  desselben  auf  die  Römer  über,  so  dass 
Ennius,  Pacnvius,  Accius,  Seneca  sich  hauptsächlich  ihn  zum  Vorbild 
nahmen.  Auch  bei  den  Philosophen,  namentlich  dem  Stoiker  Chrysippos 
und  dem  Akademiker  Erantor  stand  er  in  hohen  Ehren,  und  auf  die 
Kunst  hat  er  wie  kein  zweiter  Dichter  des  Altertums  befruchtend  ein- 
gewirkt*) Sein  Ansehen  erhielt  sich  im  Mittelalter;*)  auch  in  der 
neaeren  Zeit  ward  die  Aufmerksamkeit  der  Gelehrten  und  Schöngeister, 
die  erst  durch  den  römischen  Tragiker  Seneca  die  griechischen  Meister 
kennen  lernten,  zuerst  auf  Euripides  gelenkt,  so  dass  derselbe  vor 
Aischylos  und  Sophokles  Eingang  in  die  moderne  Litteratur  fand.^) 

180.  Chronologie  der  Dramen.  Bestimmte,  aus  den  Didaskalien 
geschöpfte  Angaben  über  die  Zeit  der  Aufführung  haben  wir  nur  von 
wenigen  Tragödien  unseres  Dichters;  nach  ihnen  wurden  aufgeführt  die 
Peliades  bei  dem  ersten  Auftreten  des  Dichters  im  J.  455,^)  Alke  st is  7) 
zusammen  mit  Kressai,  Alkmeon  aus  Psophis  und  Telephos  438,  Medea 
mit  Philoktetes,  Diktys  und  Theristai  481,  Hippolytos  stephanephoros 
428,  Troades  mit  Alexandres,  Palamedes  und  Sisyphos  415,  Helena  und 
Andromeda  412,^)  Orestes  408,^)  Iphigenia  in  Aulis,  Bakchen  und 
Alkmeon  in  Eorinth  nach  des  Dichters  Tod.^^)  Im  übrigen  sind  wir  zur 
Bestimmung  der  Abfassungszeit  auf  Kombinationen,  hauptsächlich  aus  der 
metrischen  Form,  den  politischen  Anspielungen  und  den  Parodien  bei 
Aristophanes  angewiesen.  In  erster  Beziehung  ist  von  Hauptgewicht  die 
Beobachtung  Hermanns, ^i)  dass  Euripides  in. seiner  letzten  Periode  von 
Ol.  90  an  (um  418)  den  trochäischen  Tetrameter  neben  dem  iambischen 
Trimeter  in  die  Dialogpartien  wieder  einführte  und  in  der  Auflösung  der 
Langen,  sowie  im  Gebrauch  des  vielgestaltigen  (polyschematischen)  Gly- 
coneuB  eine  grössere  Freiheit  walten  liess.  Auch  in  der  Wahl  der  Stoffe 
zeigen  sich  bemerkenswerte  Unterschiede  in  den  verschiedenen  Lebens- 
altem des  Dichters.  Während  er  anfangs  (etwa  45l> — 431)  vorzugsweise 
durch  neue  Stoffe  (Bhesos,   Alkestis,  Alkmeon,  Medea)  Interesse  zu  ge- 


*)  Amt.  Poet  13:  o  Evgmi&fjg  ei  xal 
TS  aiXtt  fii]  6v  oixoyofABif  aXXa  tgayixattatos 
y%  refr  tioeiTroK  (palrexM, 

*)  Fhilemon  liess  nach  der  Vita  Eorip. 
in  einem  Lustspiel  einen  Freund  des  Enr. 
Bigen;  ei  xais  aXrj^siatifiy  ol  ts&yfjxdtsg 
täg$rjai9  iixoy  ,  ay^Qsg  (Jg  (paaly  uyss, 
•'V^«/ti^  äy,  £ct*  idsiy  EvQini&rjy.  Qnintil. 
X  1,  69:  Ewripidem  admiratus  maxime  est, 
^  mepe  testatur,  et  secutus  .Menander. 

")  JuL.  VooEL,  Scenen  euripideischer 
^^^igSdien  in  griechischen  Yasengemälden, 
l«p«.  1886;  HuDDUiSTON,  Greek  art  in  Eon- 
Pidea,  Bisa.  Mfinchen  1898. 

*)  Ans  Gentonen  euripideischer  Verse 
M  das  mittelalterliche  Drama  XQiaxog  näa- 
V  nsammengesetzt,  was  am  ansführlich- 
■^  Ton  Brambs  in  der  neuen  Ausgabe  des 


Stuckes,  Lips.  1884  nachgewiesen  ist. 

^)  Viele  Leser  fanden  insbesondere  die 
lateinischen  Uebersetzungen  der  Hecnba  und 
der  anlischen  Iphigenia  von  Erasmüs  ( 1506) 
und  die  Excerpta  tragicorum  et  comicarum 
von  Hugo  Grotius  (1626). 

•)  Nach  der  Vita;  die  folgenden  Zeng- 
nisse  stehen  in  den  Hypotheseis  der  betref* 
fenden  Stacke. 

7)  Es  war  die  Alkestis  das  17.  Stack, 
was  sich  wahrscheinlich  auf  eine  chrono- 
logische, schwerlich  auf  eine  alphabetische 
Anordnung  der  Stücke  bezieht;  vgL  oben 
S.  232  Anm.  8. 

»)  Schol.  ad.  Aristoph.Thesm.  1021u.  1069. 

»)  Schol.  ad.  Orest.  371. 
lö)  Schol.  ad.  Aristoph.  Ran.  67. 
^^)  G.  Hermann,  Elem.  doctr.  metr.  p.  88  f. 


l 


Baadbocfa  der  Man.  AltertnmcwteeDscluift.    Vn.    3.  Aufl.  17 


258 


Qrieohisehe  Litt^ratnrgMohiohte.    I.  KUuMisohe  Periode. 


winnen  trachtete,  versuchte  er  in  der  ersten  Hälfte  des  peloponnesischen 
Krieges  sein  Glück  mit  nationalen  Tragödien,  welche  zu  Anspielungen  auf 
die  politischen  Zeitverh&ltnisse  Gelegenheit  boten  (Heraclidae,  Andromache, 
Hercules,  Supplices,  Ion),  und  kehrte  er  in  der  dritten  Periode  seines 
Schaffens,  als  das  Interesse  am  Krieg  und  an  der  Politik  zu  erkalten  be- 
gonnen hatte,  wieder  zu  den  alten  Mythen  zurück,  aber  in  der  Art,  dass 
er  in  der  Behandlung  derselben  teils  in  Einzelheiten  von  seinen  Vor- 
gängern, nicht  ohne  polemische  Seitenhiebe  ^)  abwich  (Elektra,  Phoe- 
nissae,  Orestes),  teils  eine  ganz  neue,  in  fremde  Länder  schweifende  Ro- 
mantik in  dieselben  brachte  (Helena,  Andromeda,  Iphigenia  Taurica). 
Nach  diesen  und  ähnlichen  Gesichtspunkten^)  haben  die  Gelehrten  die 
Chronologie  der  euripideischen  Stücke  zu  fixieren  gesucht;')  aber  die 
gewonnenen  Resultate  sind  doch  nicht  so  sicher,  dass  ich  dieselbe  der 
Ordnung  der  Dramen  zu  Grunde  zu  legen  wagte.  Auf  der  anderen  Seite  ist  die 
Zahl  der  erhaltenen  Tragödien  so  gross  und  ihr  Gehalt  so  verschieden, 
dass  ich  mich  begnügen  werde,  einige  hervorragende  Stücke  herauszuheben 
und  die  anderen  in  alphabetischer  Ordnung  summarisch  aufzuzählen. 

181.  Die  Mrjdsia  wurde  nach  der  Hypothesis  481  zusammen  mit 
Philoktetes,  Diktys  und  dem  Satyrspiel  Theristai^)  aufgeführt.  Die  Tra- 
gödie ist  benannt  nach  der  Hauptheldin,  der  unheimlichen  Zauberin  aus 
dem  Kolcherland.  Aus  ihrem  Mythus  hatte  Euripides  schon  zu  seiner 
ersten  Tragödie,  den  Peliaden,  den  Stoff  genommen.  Aber  während  er  dort 
ebenso  wie  Sophokles  in  den  "^Pt^oTo/ioi  einfach  der  Sage  folgen  konnte, 
musste  er  hier  erst  die  alte  Überlieferung  umformen,  um  den  Boden  für 
eine  Tragödie  zu  gewinnen.  Schon  in  der  alten  Sagengeschichte  Eo- 
rinths  spielte  der  Medeamythus  eine  Rolle,  insofern  als  Aetes,  der  Vater 
der  Medea,  von  Korinth  aus  nach  Kolchis  gewandert  war  (Schol.  Pind.  O. 
XIII  74);  sodann  hatte  bereits  der  korinthische  Epiker  Eumelos  nach 
Paus.  II  3,  8  von  der  Herrschaft  lasons  in  Korinth  und  seiner  EIni- 
zweiung  mit  Medea  erzählt;  dem  hatte  Kreophylos^)  die  Sage  von  der 
Ermordung  des  Königs  Kreon  durch  Gift  und  von  der  Flucht  der  Medea 
zugefügt  (Schol.  ad  Med.  278).  Auch  des  unglücklichen  Loses  der  Kinder 
war  schon  in  den  alten  Erzählungen  gedacht  worden.  Aber  erst  bei  den 
Tragikern  ermordet  die  Mutter  ihre  eigenen  Kinder,  um  sich  an  dem  treu- 


')  Seitenhiebe  gegeo  Aiech.  in  Phoen. 
751,  gegen  Aisch.  und  Soph.  £1.  530  u.  872, 
Antig.  fr.  165. 

^)  Ein  wichtiges  Anzeichen  sind  die 
Wiederholungen,  worüber  Schboedeb,  De 
iteratis  apud  tragicos  graec,  1882  in  Diss. 
phil.  Argent.  tom.  VI. 

')  ZiRNDOBFKR,  Do  chrouologia  fabularum 
Eur.,  Marburg  1839;  Fix,  Chron.  fab,  Eur., 
vor  der  didotischen  Ausg.,  und  besonders 
WiLAMowiTZ,  Analecta  Eur.,  p.  172  ff.  Die 
wahrscheinliche  Folge  ist:  Alcestis  1(438), 
Medea  (431),  Hippolytus  (428),  Hecuba, 
Cyclops,  Andromache,  Heraclidae,  Herc.  für., 
Supplices,  Troades  (415),  Iph.  Taur.,  Ion, 
Electra,  Helena  (412),  Phoenissae,  Orestes 
(408),  Bacchae  u.  Iph.  Aul. 


^)  Euripides  erhielt  den  8.  Preis:  erster 
war  Euphonon,  zweiter  Sophokles.  Der  Phi- 
loktet  war  ein  bewundertes  Stück,  aber  dessen 
Anlage  wir  durch  den  Rhetor  Dio  Chiysoal 
or.  52  u.  59  Aufschluss  erhalten;  vgl.  §  178. 
Dass  auch  der  Diktys,  der  in  die  Perseus- 
sage  eingriff,  viel  gelesen  wurde,  zeigen  die 
zahlreichen  Fragmente.  Die  Bi^urrai  waren 
nach  der  Didaskalie  schon  zur  Zeit  des 
Grammatikers  Aristophanes  verloren. 

')  Schwerlich  der  alte  Homeride,  eher 
der  von  Ath.  361c  erwfthnte  Verfasser  von 
'Fkpiaioi  ^Qoi,  s.  Wilamowitz,  Herrn.  XV, 
485  ff.;  vgl.  Max  Grosobr,  De  Ai^nanü- 
carum  fabularum  historia,  Diss.  Vratisl.  1889. 
p.  22  ff. 


C.  Drama.    2.  Die  Tragödie,    d)  Boripidea. 


181-182.) 


259 


losen  Gemahl,  welcher  der  reichen  Königstochter  zulieb  die  unglückliche 
Gattin  Verstössen  hatte,  in  furchtbarer  Weise  zu  rächen.     Diese  entsetz- 
liche, von   Eifersucht  und   Rachedurst  eingegebene   That,    die    mit    den 
Kindern  zugleich    die  von    den  Geschenken   der  Nebenbuhlerin  bethörte 
jnnge  Frau  des  lasen  mit  ins  Verderben  zog,   hat  Euripides  zum  Mittel- 
punkt der  Tragödie   gemacht.     Den  Ausgang  der  erschütternden  Hand- 
hng,  die  Flucht  der  Medea,  nahm  er  wieder  aus  dem  alten  Mythus;   er 
erfand  nur  die  spezielle  Richtung  der  Flucht  nach  Athen  und  Hess  zur 
Vorbereitung  derselben   schon  in  der  Mitte  des  Stückes  (663—758)  den 
König  Aigeus    auf    dem    Heimweg   von    Delphi   mit   Medea   zusammen- 
kommen. *)     Damit   verband  er   zugleich    den    Zweck,    das    ehrliche   und 
bandesfreundliche   Verfahren  der  alten  Athener    gegen  Eorinth   heraus- 
zustreichen   (723—730)   und  in    stillschweigenden   Gegensatz   zur  Feind- 
seligkeit der  Eorinther  beim  Ausbruch   des  peloponnesischen  Krieges  zu 
stellen.  —  Die  uns  erhaltene  Medea  ist  die  Umarbeitung  einer  älteren, 
von  der  mehrere,  ehemals  als  Parallelen  an  den  Rand  geschriebene  Verse 
in  den  Text   unseres  Stückes   gekommen  sind.^)    Ausserdem  hatten  die 
alten  Grammatiker  Kenntnis  von  der  Medea  eines  sonst  wenig  bekannten 
Tragikers  Neophron,  ^)  aus  der  uns  drei  längere  Fragmente  erhalten  sind, 
nnd  die  Dikäarch  und  der  Verfasser  der  dem  Aristoteles  zugeschriebenen 
Hypomnemata  für    das  Vorbild   des    euripideischen  Stückes   ausgaben.^) 
Dass  aber  Euripides,  der  erfindungsreiche  Kopf,  einem  obskuren  Neophron 
die  herrliche  Fabel  abgestohlen  habe,  hat  gar  keine  Wahrscheinlichkeit. 
Anch  hätte  schwerlich  Aristoteles  in  der  Poetik  so  oft  unserer  Medea  mit 
besonderer  Auszeichnung  gedacht,  wenn  er  sie  für  ein  blosses  Plagiat  an- 
gesehen hätte.    Eher  haben  alte  Gelehrte  irrtümlich  die  erste  Bearbeitung 
der  euripideischen    Tragödie    dem    Neophron    zugeschrieben,    oder   hat 
Euripides  selbst  das  erste  Mal  das  Stück  unter  fremdem  Namen  auf  die 
Bahne  gebracht.^) 

182.  Der  ^InnoXvTog,  speziell  ^InnoXvtog  axstpavqfpoQog  genannt,  hat 
grosse  Verwandtschaft  mit  der  Medea  und  wurde  bald  nach  ihr  im  Jahre 
428  mit  durchschlagendem  Erfolg  aufgeführt.^)  Wie  dort  die  grausige 
fiachsucht  eines  gekränkten  Weibes,  so  bildet  hier  die   verzehrende  Glut 


^)  ünentachieden  ist  es,  ob  der  Tadel 
dn  Aiktoielee  Poet.  25:  oq^  di  inuLfit^üig 
xmi  akoyiff  xai  (AOX^rjQiff.  otav  fxrj  dvdyxijg 
cf€tic  fifj^iv  xav^fV^^*^  ''^  aXoyif),  dianeg  Ev- 
gnii^  r^  JiysT,  auf  unsere  Stelle  oder  auf 
die  Tragödie  Aigeus  ging. 

*)  Der  ersten  Medea  gehörten  wohl  auch 
die  Verse  in  Schol.  Arist  Ach.  119  und 
fimioB  Med.  bei  Gic.  ep.  ad  fam.  7,  6  an.  Die 
Dittognphien  unseres  Textes  sind  Y.  723. 
724.  729.  730  =  735—8;  798—810  =  819— 
823;  1231  f.  =  1233—5.  Wilamowitz  Herrn. 
U,  488  S.  will  diese  Dittographien  auf  den 
Zvie^alt  der  Textesüberlieferung  zurttck- 
fikben. 

•)  Soidas  u.  Ne6<p^(oy;  Diog.  II 137. 

*)  Aigum«:  rd  dgäfta  doxsl  vnoßaXsa^ai 
'«f«  y^oifQoyog   {navaiotpQoyof  codd.)    dta- 


axeväaai,  oiV  JixalaQx^S  ne^l  tov  xrjg  'EX" 
Xddog  ßiov  xai  'AQMfOiiXtjg  iy  vnofiyijfiaaty, 

B)  Die  Fragmente  des  sogenannten  Neo- 
phron haben  ganz  den  Versbau  der  Dittogra- 
phien des  älteren  Euripides.  Vgl.  0.  Ribbeck, 
Leipz.  Stud.  8,  386  ff.  Wbcklein  schlägt  in 
der  Einleitung  s'^iner  Ausgabe  einen  Mittel- 
weg ein  und  setzt  die  Medea  des  Neophron 
zwischen  die  erste  und  zweite  Bearbeitung 
des  Euripides.  —  Eine  Scene  der  Medea  &vi 
einem  Wandgemälde  von  Pompeji  s.  Ba.ü- 
MBiSTBR  n.  1948.  Von  anderen  Medeavor- 
stellungen  haben  wir  Spuren  auf  Vasen,  wor- 
über Bbtbe,  Proleg.  z.  Gesch.  d.  gr.  Theat. 
147  ff. 

•)  Argum.  iMdx^  int  'Enafisiyoyog 
a^;|rovro(  oXvfAniädi  nl^  btbi  6\  nQ(Oto(  Ev- 
Qimdi^gy  devxe^og  'lo^ay,  XQliog  1(oy, 

17* 


260  Griechisehe  LitUratorgeftohioht«.    L  KlMsisöhe  Pariode. 

unreiner  Liebe  den  Angelpunkt  der  Tragödie.     Der  Sto£F  ist  der  attischen 
Sage  entnommen    unter  Anknüpfung  an  den  lokalen  Kult  eines   gleich- 
namigen Halbgottes  in  Trözen.^)    Der  Mythus  von   der  verbrecherischen 
Liebe  der  Phaidra,  der  Gemahlin  des  Theseus,  zu  ihrem  StieCBohn  Hippo- 
lytos  und   von  dem  tragischen  Ende  des  von  seinem  Vater   verfluchten 
Sohnes  hatte  auch  Sophokles   angezogen*)  und  war  von  Euripides  selbst 
schon    einmal    vor    428    behandelt    worden.^)     Der    Titel    Phaidra,    den 
Sophokles  seiner  Tragödie  gab  und  den  mit  Recht  wieder  aus  Seneca  der 
grosse  französische  Tragiker  Racine  aufgriff,  zeigt,  dass  derselbe  den  Stoff 
am  rechten  Zipfel  gefasst  hatte.    Denn  dadurch,    dass  Phaidra,  als  sie, 
dem  Weibe  Putiphars  vergleichbar,  ihre  Liebe  von  dem  keuschen  jQng- 
ling   verschmäht   sah,   den  unschuldigen  Sohn  bei   dem  Vater   der  Ver- 
führung anklagt,   wird  sie  die  treibende  Kraft  der  ganzen  Handlung  und 
bQsst   in   echt  tragischer  Weise  mit  ihrem  freiwilligen  Tod  die   Schuld 
unseliger  Liebe  und  falscher  Scham.    Euripides  hat  sein  Drama  Hippo- 
lytos  getauft  und  in  Einklang  damit  auf  die  edle  Gtestalt  des  unschuldigen 
Jünglings  und  dessen  grauses  Ende  durch  den  Fluch  des  eigenen  Vaters 
die  Hauptaufmerksamkeit  der  Zuschauer  gelenkt.    Damit  wird  aber,  ent- 
gegen einem  Hauptgesetz  der  tragischen  Kunst,  ^)  ein  unschuldiger  zum 
Helden  der  Tragödie.    Denn  die  Weise,  mit  der  Euripides  dem  Hippolytos 
eine  Schuld  beimisst,  weil  er  nämlich  den  Kultus  der  Aphrodite  vernach- 
lässigt habe  (87—105),  genügt  an  und  für  sich  nicht  und  zieht  obendrein 
die  Menschen  auf  die  Stufe  willenloser  Drahtpuppen  in  der  Gewalt  wider- 
streitender Dämone  herab.    Aber  auch  sich  selbst  hat  Euripides  korrigiert 
und  gleichfalls  nicht  zum  Besseren.    In  dem  ersten  Hippolytos,  dem  im 
wesentlichen  Seneca  und  Ovid,  Heroid.  4,  gefolgt  zu  sein  scheinen,^)  hatte 
Phaidra  selbst  dem  schönen  Amazonensohn  ihre  Liebe  bekannt  und  dieser 
sich  aus  Scham  über  den  sittenlosen  Antrag   der  Stie&nutter  das  Haupt 
verhüllt,  wovon  das  Stück  den  Zunamen  ^InnoXvzog  xakvmoiuvoq  erhielt.*) 
Diese  Schamlosigkeit   der  Phaidra   hatte   nach  der    Hypothesis    unseres 
Stückes  bei  dem  Publikum  Anstoss  erregt,  und  der  Dichter  hat  deshalb 
in   dem   zweiten  Hippolytos,   der  von  dem  Kranz,    den  Hippolytos    der 
jungfräulichen   Göttin  Artemis  weiht   (V.  73  ff.),   den  Beinamen  (Tze^^ccvr^-^ 
(foQog  oder  aT6g>aviag  erhielt,  das  Stück  so  umgearbeitet,  dass  Phaidra  selbst 
ihre  von  Aphrodite  ihr  eingegebene  Liebe  aus  züchtiger  Scham  in  sich  zu 
verschliessen  sucht,  und  somit  statt  ihrer  die  Amme,  halb  gegen  den  Willen 
der  Herrin,  das  Geheimnis  dem  Jüngling  verrät.  Aber  während  so  Phaidra 
in  diesem  Punkt  entschuldbarer  und  bemitleidenswerter  erscheint,  wird  die 

*)  Nähere  Nachweise  bei  Wkcklbdi   in  '   i^  evtvxlag  fk  dvctvxlay  —  ov  ya^  fpoßeqo^ 

der  Einleifcong  seiner  Anagabe  und  Wila-      ovdk  iXeeivov  rovto,   dXXd  fiia^y  &wt9^  

KOWITZ  Ansg.  23  ff.  ovie  jovs  (AOX^tiQovg  i|  atvxins  ^k  svTvjfiaar, 

*)  Ob  die  Phaidra  des  Sophokles  ftlter  Dagegen  Hipp.  1890:    td  S*  cvyeyeg  9c  rt^r 

sei,  daf&r  haben  wir  keine  Zeugnisse;  Wila-  fpgeytiiy  iinwXe<f€y, 

MOWiTZ,  Herrn.  18,  239  u.  Hippol.  57  nimmt  *)  Hillbr,  De  Soph.  Phaedra  et  de  £ur. 

geradezu  das  Gegenteil  an.  Hipp,  priore,  in  Liber  miscell.  philol.  Bonn. 

')  Der  erste  Hippolytos  wurde  zugleich  p.  34  ff.;  Kixkmahh,  De  HippolytiB  Eu^pidis 

mit  Aigeus  und  Theseus  gegeben;  s.  Wila-  quaest  novae  1882. 

MowiTZ,  Herrn.  15,  483  und  Ausgabe  42  ff.  *)  Der  Kommentar  dazu  liegt  in    dem 

^)  Arist.  Poet  13:   d^Xoy  ou  ovre  roi'^  Y.  243:  x^^ffoy  x^tpaXijy '  ai^avfi^&wi  ^«f^  ^«^ 

inieix€tg  äy&^tts  ^61  fAeiaßaXXoyiag  ipaiyfifSM  UX^fieya  (toi. 


C.  Drama.    2.  Die  Tragödie,    d)  Euripidea.    (§  183.) 


261 


schwarze  That,  mit  der  sie  aus  falscher  Scham  in  dem  zurückgelassenen 
Briefe  den  unschuldigen  Stiefsohn  verleumdet  und  ins  Verderben  stürzt, 
nm  so  unentschuldbarer.  Wenn  wir  aber  auch  so  in  der  Ökonomie  der 
Tragödie  keinen  Fortschritt  des  Euripides  gegenüber  Sophokles,  und  des 
jfingeren  Euripides  gegenüber  dem  älteren  anerkennen  können,  so  begreifen 
wir  doch,  dass  das  erhaltene  Stück  den  ersten  Preis  erhielt  und  von  den 
alten  Eunstrichtem  zu  den  besten  Werken  des  Dichters  gerechnet  wurde.  ^) 
Denn  mit  feinster  psychologischer  Kunst  ist  die  verzehrende  Glut  der  im 
Liebesgram  hinsiechenden  Fürstin  dargestellt,  und  tiefergreifend  ist  die 
Schilderung  von  dem  grausen  Geschick  des  unglücklichen  Jünglings,  den 
die  durch  ein  Meerungeheuer  scheu  gewordenen  Rosse  durch  die  Felsen 
schleifen.  Gut  wirkten  gewiss  auch  bei  den  alten  Athenern,  die  das  Un- 
glück des  Krieges  und  der  Pest  zur  Frömmigkeit  und  Einkehr  in  sich 
zor&ckgef&hrt  hatte,  die  Deklamationen  gegen  die  Rechtsverdrehungen  und 
Prahlereien  der  Rhetoren  und  Tugendlehrer.  ^)  Selbst  die  Chorlieder 
onseres  Stückes,  wie  namentlich  die  auf  die  Allgewalt  des  Eros  (525 — 42) 
and  die  Sehnsucht  nach  fernen  Ländern  (732 — 75),  erheben  uns  in  die 
höheren  Regionen  schwärmerischer  Lyrik.  Nachgebildet  wurde  die  Tra- 
gödie von  Seneca  und  Racine;^)  aus  dem  letzteren  übersetzte  Schiller 
einige  Partien. 

188.  Die  'Ig>iY€V€ia  iv  TavQoirg,  so  benannt  im  Gegensatz  zu  der 
in  Aulis,  wird  durch  den  Versbau  (die  trochäischen  Tetrameter  und  die 
häufigen  Auflösungen)  in  die  Zeit  nach. Ol.  90  verwiesen.*)  Der  Dichter, 
onermüdlich  in  der  Aufspürung  und  Verwendung  lokaler  Sagen  und  reli- 
giöser Gebräuche,  ging  auch  in  unserem  Stück  von  attischen  Tempelsagen 
aas.  An  der  Ostküste  Attikas  war  der  Kultus  der  Artemis-Hekate  seit 
alter  Zeit  heimisch.^)  In  Halai  befand  sich  ein  Tempel  der  Artemis  Tauro- 
polog;«)  in  Brauron  zeigte  man  das  Grab  der  Tempelwärterin  IphigeniaO 
und  ward  die  Göttin  selbst  unter  dem  Zunamen  'I^iysveia  verehrt;^)  hier 
anch  wurden  an  dem  Feste  Bgav^via  junge  Mädchen  der  Göttin  als 
Bärinnen  {aQx%oi)  geweiht,  was  darauf  hindeutet,  dass  hier  wie  anderwärts 
der  halborientalischen  Göttin  ehedem  Menschen  geopfert  wurden.^)  Nun 
bekamen  die  Griechen  Kunde,  dass  noch  zu  ihrer  Zeit  im  taurischen  Gher- 


*)  Aigmn. :  xo  da  d^/aa  x6Sy  nqtSimv, 
')  Besonders  V.  436  ff.  (daza  steht  in 
Gegensatz  die  nngeschminkte  Wahrheitsliebe 
des  HippolytoB  984  ff.)  921  f.  Manche  der 
Sprüche  sind  heatzatag  noch  gang  und 
gftbe,  wie  Y.  436  al  MtsQui  nvtg  fp^oyrldes 

*)  W.  ScHUMBL,  Comparaison  enire  la 
Ph^dre  de  Racine  et  celle  d'  Enripide, 
Paris  1807;  neuere  Liiteratar  bei  Patin, 
Enripide  I  42  ff.  nnd  Wboklbin  in  seiner 
Aug.  S.  21. 

*)  iäner  beetimmten  didaskalischen  An- 
pbe  entbehren  wir.  Der  Verfolgung  des 
Onskee  durch  die  Fnrien  bis  nach  dem 
TVmreriand  wird  weder  in  Electra  noch  in 
Oictfces  gedacht     Qleichwohl  führt  der  Um- 


stand, dass  die  Helena  einer  schlechten  Neu- 
auflage der  Iphigenia  gleichsieht,  auf  die 
nächste  Zeit  vor  der  Aufitthrung  der  Helena 
oder  vor  412. 

ö)  Paus.  123,  7;  33,1;  lUlG,  7. 

•)  Strab.  p.  399;  Eur.  Iph.  Taur.  1457; 
Hesychius:  TavQonoha^  ä  sig  io^rijy  ayovciv 

7)  Iph.  T.  1464;  Euphorien  in  Schol. 
Arist  Lvs.  645. 

»)  Paus,  n  85,  2;  I  43,  1;  VH  26,  3. 
Vgl.  WiLAXowiTz,  Herm.  18,  256  ff.;  Robbbt, 
Archäologische  Märchen  144  ff. 

»)  Iph.  T.  1458  ff,  Arist  Lys.  646  und 
dazu  die  Scholien;  Hui»ocr.  unt  dsHtetevHy. 
Vgl.  ScHöiTB  in  der  Ausg.  Einl.  XVEI  sqq. 


262 


QriechiBohe  litteratiirgesohiohte.    L  Klaasiadte  Periode. 


sones  von  den  Barbaren  einer  jungfräulichen  Göttin,  die  sie  ihrer  Artemis 
verglichen,  Menschenopfer  dargebracht  wurden.  Daraus  wob  Euripides 
die  Mythe,  dass  die  in  Aulis  der  Artemis  dargebrachte,  von  der  Göttin  selbst 
aber  nach  Tauri  versetzte  Königstochter  Iphigenia^)  später  mit  Hilfe 
ihres  in  jenes  Barbarenland  verschlagenen  Bruders  Orestes  das  heilige 
Götterbild  nach  Attika  gebracht  habe.  Zu  diesem  Behufe  dichtete  er  die 
den  Athenern  geradezu  heilig  gewordene  Darstellung  des  Aischylos  teil- 
weise um:  ein  Teil  der  Erinyen  steht  nach  dem  freisprechenden  Urteil 
der  Pallas  Athene  von  weiterer  Verfolgung  des  Muttermörders  ab,  ein 
anderer  aber  setzt  dieselbe  bis  zur  vollständigen  Entsühnung  des  Orestes 
fort.  Um  aber  dem  Zusammenhang  der  Iphigeniasage  mit  dem  attischen 
Kult  der  Artemis  die  göttliche  Weihe  zu  geben,  lässt  der  Dichter  gegen 
Schluss  die  Göttin  Athene  selbst  auf  der  Göttermaschine  erscheinen  und 
feierlich  die  religiöse  Feier  Attikas  einsetzen.  Der  meisterhaft  erfundene 
Mythus  ist  mit  nicht  minderer  Meisterschaft  durchgeführt.  Wahre  Muster 
anschaulicher,  fesselnder  Erzählung  sind  die  beiden  langen  Botenreden  von 
der  Gefangennahme  des  Orestes  und  Pylades  (260 — 389)  und  von  den 
Wechselfilllen  ihrer  Entweichung  (1327 — 1419);  voll  von  Leben  und  Geist 
sind  die  wiederholten  Stichomythien,  in  deren  Anwendung  sich  Euripides 
in  dieser  Tragödie  besonders  gefällt;  geradezu  einzig  gelungen  sind  die 
beiden  Wiedererkennungsscenen,  von  denen  namentlich  die  erste,  wo 
Iphigenia  dem  Pylades  den  für  den  Bruder  bestimmten  Brief  vorliest  und 
so  unwillkürlich  das  Geheimnis  ihrer  Herkunft  enthüllt  (755—797),  das 
volle  Lob  des  Aristoteles  Poet.  14  fand.  Selbst  die  Chorlieder  erheben 
sich  über  das  gewöhnliche  Niveau  euripideischer  Melik;  namentlich  in  dem 
2.  Stasimon  (1089 — 1152)  ist  mit  rührender  Zartheit  die  Sehnsucht  der 
ins  Barbarenland  verkauften  Jungfrauen  nach  dem  Boden  und  den  Götteiv 
festen  der  geliebten  Heimat  ausgedrückt.  >)  Für  uns  Deutsche  hat  die 
Tragödie  noch  einen  besonderen  Wert,  weil  sie  unseren  Goethe  zu  einer 
seiner  schönsten  Dichtungen  angeregt  hat.  Derselbe  hat  bekanntlich  an 
der  Lüge,  mit  der  Iphigenia  den  König  Thoas  hintergeht,  Anstoss  ge- 
nommen und  deshalb  eine  andere,  truglose  Lösung  des  Konfliktes  er- 
dichtet, ausgehend  von  dem  Satze:  alle  menschlichen  Gebrechen  sühnet 
reine  Menschlichkeit.  Den  Griechen,  denen  Barbaren  gegenüber  auch 
List  und  Betrug  erlaubt  schien,  lag  jener  Anstoss  fern;  umgekehrt  wird 
bei  ihnen  die  erfinderische  Klugheit,  mit  der  Iphigenia  den  Argwohn  des 
Thoas  einzuschläfern  versteht  (1153—1233),  rauschenden  Beifall  geerntet 
haben.  3)  —  Im  Altertum  selbst  hat  an  die  euripideische  Form  der  Iphi- 


*)  Procl.  arg.  Cypr.:  *'AqxBfAtq  ^k  avxiqv 
i^aqndcaaa  slg  TavQovg  fi€taxof4iCsi  xal 
d&dvaxov  noiBi,  Danach  scheint  schon  der 
Dichter  der  Eyprien  die  Iphigenie  nach  Tanii 
yersetzt  zu  haben.  Doch  ist  auf  die  Inhalts- 
angabe des  Proklos,  wie  wir  oben  sidien, 
kein  sicherer  Yerbiss. 

>)  In  der  nädbsten  Zeit  nach  Euripides 
haben  der  Sophist  Polyeidos  (Arist.  Poet  16 
Q.  17)  und  der  Tragiker  Timesitheos  (s.  Sni- 
das)   den   gleichen  Stoff  bearbeitet.     Dass 


unter  den  Römern  Pacnvius  in  seinem  Dalo- 
restes  die  Handlung  der  Iph.  Tanr.  behandelt 
habe,  bezweifelt  Ribbbck,  Römische  Tragödie 
S.  239  ff.  Auch  die  Kunst  hat  sich  der  dank- 
baren Motive  unserer  Tragödie  mit  Vorliebe 
bemächtigt,  wovon  zahlreiche  Vasen,  Wand- 
gemälde, Sarkophage  zeugen. 

')  Geistreidie  Parallde  von  Ph.  Matbb, 
Die  Iphigenien  des  Euripides,  Racine  und 
Goethe,  in  dessen  Studien,  Gera  1874;  O. 
Jahn,  Pop.  Aufsätee  358  ff. 


C.  Drama.    2.  Die  Tragödie,    d)  Enripidea.    (§  184.) 


263 


genia&bel  Sophokles  in  seinem  Chryses  angeknüpft,  indem  er  Orestes  mit 
Iphigenia  vom  König  Thoas  verfolgt  nach  Sminthe  in  der  troischen  Land- 
schaft za  ihrem  Halbbruder,  dem  Priester  Chryses,  gelangen  liess. 

184.  Die  0oiviaaai,  benannt  nach  dem  aus  Phönikierinnen  zusammen- 
gesetzten Chor,  gehören  gleichfalls  der  letzten  Periode  des  Dichters  an 
und  worden  zusammen   mit  dem  Oinomaos  und  Chrysippos  aufgeführt.^) 
Eoripides  erhielt  mit  diesen  Stücken  den  2.  Preis,  aber  die  Grammatiker 
erkannten  die  Phönissen  als  eine  der  vollendetsten  Schöpfungen  des  Dichters 
an,')  und  dieses  mit  Recht,  wenn  auch  mehr  einzelne  Scenen  als  das  Ganze 
Lob  verdienen.    In  sieben  Dramen  behandelte  Euripides  die  altberühmten 
Sagen  desLabdakidenhauses:  in  den  beiden 'AlxfAscoveg,  im  XQvamnog  und 
inden7xmdcg  gewann  er  dem  alten  Mythus  neue  Dramenstoffe  ab;  in  dem 
Oedipns,  der  Antigene')  und  in  unseren  Phönissen  suchte  er  durch  Neu- 
gestaltungen das  Interesse  des  Publikums  für  den  alten  Stoff  zu  beleben. 
Die  Phönissen  haben  im  allgemeinen  denselben  Inhalt,  wie  die  Sieben  des 
Aischylos,  aber  wie  Euripides  im  Oedipus  die  Mythen  des  Oedipus  und 
der  Sphinx  in  eins  zusammenzog,  so  hat  er  auch  in  den  Phönissen  nach 
allen  Seiten  über  den  engen  Rahmen  des  äschylischen  Stückes  hinaus- 
gegriffen und   damit  dem   neuen  Drama  eine   ausserordentliche  Mannig- 
faltigkeit und  Ausdehnung  (von  1766  Versen)  gegeben.    Mehr  aber  noch 
luit  er  in  der  Ökonomie  des  Dramas  geneuert:  in  den  Sieben  bestand  der 
Chor  aus   thebanischen  Jungfrauen,   die   angstvoll    zu   den  Altären   der 
Gdtter  flüchteten;  Euripides  setzte  an  ihre  Stelle  phönikische  Mädchen, 
die,  vom  König  Agenor  als  Beuteteil  nach  Delphi  geschickt,  auf  ihrem 
Wege  Theben  berührten.  Das  war  keine  gute  Neuerung,  zumal  der  See- 
weg, den  sie  kamen  (Y.  210),  nicht  über  Theben  nach  Delphi  führte,  hatte 
aber  für  Euripides  den  Vorteil,    dass  nun   die  Chorlieder  über  Kadmos 
(638—689)  und  die  Sphinx  (1019—1066),  die  er  nach  seiner  Art  einlegte, 
wenn  nicht   zur  Handlung,    so  doch   zur  Person  des    Chors   einige  Be- 
ziehungen  gewannen.    Aischylos   hatte   femer  in  eintöniger   und   breit- 
gesponnener Weise  die  zweimal  sieben  Führer  nach  einander  aufmarschieren 
lassen;  das  missfiel  dem  Euripides,  und  mit  Recht ;^)    er  erreichte  das 
Gleiche  wirkungsvoller  teils  durch  die  Teichoskopie,  in  welcher  der  Pä- 
dagoge der  Antigone  ähnlich  wie  in  der  Ilias  die  Helena  dem  Phamos  die 
einzebien  Helden  zeigt  (88 — 201),  teils  durch  die  effektvollen  Schlachten- 
berichte  des   Boten   (1090—1199,    1217—1269).     Bei    Aischylos    sodann 
blieben  lokaste  und  Oedipus  ganz  ausser  dem  Spiel;   Euripides   lässt  sie 
entgegen  der  Darstellung  des  Sophokles  beide  noch  in  Theben  am  Leben 
sein  und  versteht  es   nun,  ihre  Anwesenheit  zu  ergreifenden  Scenen  zu 
verwerten.    Denn  die  ganze  Tiefe  der  Mutterliebe  thut  sich  in  dem  genial 
erfimdenen  Versuche  der  Aussöhnung  der  feindlichen  Brüder  auf  (855  bis 
637),  und  die  Simmie  des  Jammers  zeigt  sich  am  Schluss,  wo  der  blinde 


*)  Nacii  dem  Aigamentnm  unter  dem 
aooBt  nicht  bekannten  Archen  Naosikrstes 
HD  409.  SchoL  Arist  Ran.  58  läast  das  Stttck 
km  Yor  den  FrOochen  gegeben  sein;  vgl. 
S^oL  Ariat  Av.  848. 

*)  Argom.  und  SchoL  Aiist  Ran.  53. 


*)  Auf  die  Antigone  und  ihren  Ausgang, 
die  Yennfthlung  des  Haimon  und  der  Anti- 
gene, bezieht  sich  Phoen.  1637  und  1672  ff. 

^)  Phoen.  751:  ovofia  (T  ixaatov  d^a- 
tgißij  noXXij  Xiyeiv  ix^QHiP  M  avtotg  r8ix9~ 


L 


264 


GrieohiBohe  LitieratargeBehiehte.    I.  KlasBisohe  Periode. 


Greis  durch  die  Weherufe  der  Antigene  aus  dem  Haus  gezogen  (1539  ff.) 
und  von  dem  herzlosen  Kreon  aus  dem  Land  gestossen  wird  (1589  ff.). 
Ganz  neu  hinzugekommen  ist  der  heldenmütige  Opfertod  des  Menoikeus, 
des  Sohnes  des  Kreon,  von  dem  nach  der  Weissagung  des  Teiresias  Euri- 
pides  den  Sieg  abhängen  lässt  (834—1018).^)  Versäumt  hat  es  auch 
Euripides  nicht,  Stellen  zur  Verherrlichung  Athens  einzulegen  (852—857 
und  1705—7),  wenn  auch  dazu,  wie  namentlich  an  der  ersten  Stelle,  die 
Gelegenheit  mit  den  Haaren  herbeigezogen  werden  musste.  Man  wird 
zugeben,  dass  der  Dichter  mit  diesen  Neuerungen  und  zugleich  durch  die 
Kunst  der  sprachlichen  Darstellung  >)  das  Stück  reicher,  erschütternder 
und  zugleich  unserem  Geschmack  entsprechender  gestaltet  hat.  Wir  be- 
greifen, dass  dasselbe  den  gelehrten  Kenner  des  Euripides,  Valckenaer, 
zur  gelehrten  Bearbeitung  (1754)  und  Hugo  Grotius  und  Schiller  zur  Über- 
setzung reizte.  Freilich  von  einer  gewissen  Breite  und  zerstreuenden 
Überfülle  ist  das  Stück  nicht  frei  zu  sprechen ;  *)  besonders  leidet  der 
Schluss  unter  dem  Streben,  alles  Mögliche  in  denselben  hereinzuziehen, 
die  Heirat  des  Haimon  und  der  Antigene,  die  Bestattung  des  Polyneikes 
durch  Antigene,  die  Begleitung  des  verbannten  Oedipus  durch  Antigene.^) 
185.  Die  übrigen  Dramen  sind  in  alphabetischer  Ordnung  folgende: 
^jiXxriaTig  wurde  438  an  vierter  Stelle,  also  anstatt  eines  Satyrdramas 
aufgeführt.  Zu  dieser  Stellung  stimmt  die  burleske,  an  Shakespeare  er- 
innernde Erzählung  des  Dieners  von  der  üngeniertheit  und  Gefrässigkeit 
des  Herakles  (747  ff.)  und  der  glückliche  Ausgang  der  Handlung,  indem 
Alkestis,  die  junge  Gattin  des  Admet,  die  allein  für  ihren  Mann  zu  sterben 
bereit  war,  von  Herakles  den  Armen  des  Thanatos  wieder  abgerungen 
wird.ö)  Von  den  Dramen  des  Euripides  war  die  Alkestis  nach  der  Didas- 
kalie  das  16.  (oder  17.)  Stück. ^)  Bei  der  Einfachheit  der  Handlung  hatte 
in  ihr  der  dritte  Schauspieler  noch  eine  sehr  untergeordnete  Bolle,  so  dass 
sogar  Alb.  Müller  den  indes  wenig  glücklichen  Versuch  machte,  den  Dichter 
mit  zwei  Schauspielern  und  einem  Nebensänger  auskommen  zu  lassen.^) 
Das  Drama  gehört  nicht  zu  den  besten  des  Euripides;  auch  durch  seine 
Stellung  am  Schlüsse  der  Tetralogie  werden  nicht  alle  Schwächen  des- 
selben, weder  der  Mangel  an  Einheit  noch  die  jämmerliche  Zeichnung  des 
Admet  entschuldigt.  Aber  wie  wenig  trotzdem  es  ein  moderner  Dichter 
und  selbst  ein  Wieland  mit  seinem  Gegenstück  Alceste  dem  antiken  Tra- 


^)  Die  Gestalt  des  freiwillig  den  lodern- 
den Altar  besteigenden  Menoikeus  findet' 
sich  auf  Glaspasten,  s.  Oberbeok,  Her.  Gal. 
S.  183.  Vom  Schlnss  der  Tragödie  eine  Dar- 
stellung auf  einem  Becher  des  britischen 
Museums  bei  RobxrTi  50.  Winckehnanns- 
Programm  (1890)  59. 

')  Besonderes  Lob  verdienen  die  Monodie 
der  im  Schmerze  rasenden  Antigene  (1485  ff.) 
und  der  Chorgesang  auf  den  Eriegsgott  Ares, 
den  Stifter  des  Elends  (784  ff.). 

')  Manche  Verse  kamen  aber  durch 
Interpolation  hinein,  worttber  Zippebbr,  De 
Eur.  Fhoen.  veraibus  suspectis  et  interpolatis, 
Wirceb.  1875. 

^)  Man  hat  deshalb  in  der  Ezodos  starke 


Interpolationen  angenommen;  Böokh,  De 
trag.  gr.  princ.  c.  21,  und  ihm  folgend  Kiukbl 
in  seiner  Ausg.  haben  den  ganzen  Schluss 
von  1746  an  verurteilt;  aber  damit  wird  die 
andere  Schwierigkeit,  wie  Antigene  zugleich 
den  Vater  nach  Attika  begleiten  und  den 
Bruder  in  Theben  beerdigen  soll,  nicht  ge- 
hoben, üeber  die  Bedenken  gegen  V.  1705  ff. 
s.§174, 

'^)  Alfr.  Schöne,  üeber  die  Alkestis  des 
Euripides,  Eiel  1895,  Iftsst  unser  Stttck  eine 
Parodie  der  Alkestis  des   Phrynlchos   sein. 

•)  Vgl.  S.  257  Anm.  7. 

^)  A.  Müller,  Scenische  Fragen  zur  Al- 
kestis des  Euripides,  Progr.  Hannover  1860. 
Derselbe,  Bfihnenalt.  178,  An.  3. 


C.  Drama.    2.  Die  Tragödie,    d)  Enripidea.    (§  185.) 


265 


giker  gleich  thun  konnte,  hat  mit  jugendlichem  Übermut  Goethe  in  seiner 
geistreichen  Farce  ,,  Götter,  Helden  und  Wieland  *"  dargethan.^) 

^AvdQOfiäxTj  ist  ein  politisches  Intriguenstück,  dessen  Hauptpersonen, 
Menelaos  und  Hermione,  die  Treulosigkeit  und  Ränkesucht  der  Spartaner 
repräsentieren  und  damit  uns  in  die  erste  Zeit  des  peloponnesischen  Krieges 
versetzen.  Andromache,  die  dem  Sohne  des  Achill  als  Beuteanteil  zu- 
gefallen war,  hatte  die  Eifersucht  der  Hermione,  der  rechtmässigen  Gattin 
des  Neoptolemos,  erregt,  weshalb  diese  in  Verbindung  mit  Menelaos  wäh- 
rend der  Abwesenheit  des  Gatten  die  Fremde  zu  ermorden  beschliesst, 
an  der  Ausführung  des  scheusslichen  Planes  schliesslich  aber  doch  durch 
die  Zwischenkunft  des  alten  Polens  gehindert  wird.  Eingewoben  ist  die 
Ennordung  des  Neoptolemos  im  Tempel  zu  Delphi  durch  die  Leute  des 
Orestes,  indem  Euripides  schon  in  diesem  Stücke,  einem  seiner  frühesten, 
sich  erlaubte,  die  sJte  Sage  zu  seinen  Zwecken  umzugestalten.^)  Schon 
von  den  Alten  wurde  die  Andromache  zu  den  Dramen  zweiten  Ranges 
gestellt;  der  Hauptfehler  des  Stückes  besteht  in  dem  Mangel  an  Einheit, 
indem  es  in  zwei  ganz  lose  verbundene  Teile  auseinanderfällt.  ^) 

Die  Bäxxoci  wurden  erst  nach  dem  Tode  des  Dichters  durch  dessen 
Sohn  zur  Auffährung  gebracht.^)  Sie  behandeln  einen  echt  dionysischen 
StofT,^)  die  Feindseligkeit  des  Königs  Pentheus  gegen  den  Dionysoskultus 
und  dessen  furchtbare  Bestrafung  durch  den  Gott,  auf  dessen  Anstiften 
der  König  durch  seine  eigene,  in  bacchantische  Raserei  versetzte  Mutter 
Agave  in  Stücke  zerrissen  wird.  Die  Tragödie  ward  von  Accius  ins  La- 
teinische übersetzt;  die  erschütternde  Botenrede  von  der  Raserei  der 
Agave  ward  sogar  am  parthischen  Hofe  aufgeführt.')  Manche  Mängel, 
namentlich  gegen  Schluss,  rühren  wohl  daher,  dass  der  jüngere  Euripides 
vor  der  Auffährung  noch  manche  Ergänzungen  vornahm.  7) 

^ExäßT]  heisst  nach  der  Hauptperson  die  von  Ennius  den  Römern 
nahegebrachte  und  auch  in  Byzanz  neben  den  Phönissen  mit  Vorliebe  ge- 
lesene Tragödie.  Dieselbe  entbehrt  zwar  der  Einheit  der  Handlung,  in- 
dem im  ersten  Teil  der  Tod  der  unglücklichen,  den  Manen  des  Achill 
geopferten  Königstochter  Polyxena,  in  dem  zweiten  die  furchtbare  Rache, 
welche  Hekuba  an  dem  Thrakerkönig  Polymestor,  .dem  Verräter  ihres 
Sohnes  Polydor,  nimmt,  den  Mittelpunkt  der  Tragödie  bildet ;  sie  war  aber  doch 
wohlgeeignet,  durch  das  ergreifende  Pathos  der  unglücklichen  Königin  und 


*)  Geschrieben  1774  bei  einer  Flasche 
gaten  Burganders  in  einer  Sitzong,  auf- 
genommen in  Ges.  Werke,  Bd.  33;  vgl. 
STBiKBBBeEB,  Goctbe  nnd  die  Alkestisfrage, 
Bayr.  Gymn.  Bl.  XXV  24  ff. 

')  Die  alte  Sage,  die  von  einer  Betei- 
ligmig  des  Orestes  an  der  Ermordung  des 
Neoptolemos  noch  nichts  weiss,  steht  bei 
Pindar  N.  7,  41;  die  euripideische  Fassung 
liegt  dem  Vasenbild  Ann.  d'  Instit.  1868  Tay. 
d'agg.  £  za  gründe. 

•)  Nach  den  Scholien  zu  V.  445  wurde 
das  Stflck  nicht  in  Athen,  sondern  auswärts 
aniQgelahrty  imd  zwar  unter  fremdem  Namen 
(Demokmtes,  woffir  Bergk  Menekrates  ver- 


mutet). Die  politischen  Anspielungen,  na- 
mentlich V.  733,  bestimmten  Böckh,  De 
trag.  gr.  princ.  189  f.,  das  Stttck  in  d.  J.  418 
zu  setzen ;  Zirndobfeb  und  Berok,  Herrn.  18, 
490  treten  für  Ol.  89,  2  =  423  ein;  das  zu 
V.  445  angefahrte  Scholion  verlegt  mit  Recht 
das  Stflck  in  den  Anfang  des  Krieges. 

<)  Schol.  Arist.  Ran.  67. 

^)  Derselbe  war  schon  von  Aischylos  im 
Pentheus  und  von  Xenokles  in  den  Btix^tti 
behandelt  worden. 

«)  Flui  Grass.  33.  Eine  Partie  aus  dem 
Schluss  flbersetzte  Gobthe,  Ges.  W.  46,  58  ff. 

')  BoBOXB,  De  trag.  gr.  princ.  c.  24. 


266  GrieohiBche  LittaraturgeMhiolite.    I.  EUuMisolia  Periode. 

des  geblendeten  Verräters  Polymestor  einen  grossen  Erfolg  auf  den 
Brettern  zu  erzielen.^)  In  der  philologischen  Litteratur  spielt  das  Drama 
eine  Rolle  durch  die  für  Erkenntnis  der  Metrik  der  Tragiker  epoche- 
machenden Ausgaben  von  Person  und  Hermann. 

^EXävrj  ist  neben  Ion  das  Muster  eines  romantischen  IntriguenstQckes 
und  wurde  zugleich  mit  der  verwandten  Andromeda  412  aufgefßhrt.')  In 
der  Fabel  lehnte  sich  Euripides  an  Stesichoros'  Helena  an, ')  erlaubte  sich 
aber  eine  ganz  freie  ümdichtung  der  Überlieferung.^)  Helena,  von  der 
Paris  nur  ein  Schattenbild  nach  Troia  entführt  hatte,  wird  in  Ägypten 
von  dem  Eönigssohn  Theoklymenos,  der  um  die  Hand  der  schönen  Grie- 
chin wirbt,  bedrängt  und  sucht  an  dem  Grabe  des  Proteus  Schutz.  Von 
der  Bedrängnis  wird  sie  durch  die  Ankunft  des  Menelaos  befreit,  mit  dem 
sie  gemeinsam  Flucht  und  Täuschung  des  Barbarenkönigs  plant  und  aus- 
fahrt. Nur  Menelaos  und  Helena  sind  alte  Namen  des  Mythus,  Theo- 
klymenos und  seine  Schwester  Theonoe  sind  von  Euripides  fingiert,  so 
dass  von  dem  Stück  die  Bemerkung  des  Aristoteles  Poet.  9  gilt,  dass  in 
einigen  Tragödien  nur  einige  Namen  altüberliefert,  die  andern  neuerdichtet 
sind.  Das  Drama,  das  in  seinem  Schluss  ganz  der  taurischen  Iphigenia 
ähnelt,  fand  viele  Leser  im  Altertum  und  hat  daher  viele  Interpolationen 
erfahren;  Horaz  Od.  IH  3,  17  ff.  scheint  die  Verse  878  ff.  vor  Augen  gehabt 
zu  haben. 

'HiexTQa  zeigt  uns  am  besten  die  Manier  des  Euripides,  alte  Stoffe 
neu  zu  gestalten  und  die  Erhabenheit  der  Heroenwelt  in  die  Niedrigkeit 
des  Alltagslebens  herabzuziehen:  Elektra,  des  Königs  Agamemnon  Tochter, 
ist  an  einen  gemeinen  Bauer  verheiratet;  Klytämestra,  durch  List  auf 
das  Land  gelockt,  muss  sich,  bevor  sie  den  Todesstreich  empföngt,  noch 
ihr  ganzes  Sündenregister  von  ihrer  Tochter  vorhalten  lassen  (1004  bis 
1131);  aber  einzig  schön  ist  die  Botenrede  (774—858)  von  der  Abschlach- 
tung  des  Buhlen,  wobei  der  Dichter  mit  raffinierter  Erfindungsgabe  den 
Ägisthus  selbst  dem  Orestes  das  Messer  in  die  Hand  geben  lässt.  Ver- 
fasst  ist  das  Drama  413  kurz  vor  der  Helena,  die  Y.  1280  angekündigt 
ist;  auf  diese  Zeit  führt  auch  der  Hinweis  auf  die  sikilische  Expedition 
und  den  Verrat  des  Alkibiades  am  Schlüsse  der  Tragödie.^) 

'HQanXetdai,  ein  einfaches,  mattes  Drama  ohne  spannende  Verwick- 
lung, das  nur  durch  die  erhabene  Scene  von  dem  heldenmütigen  Entschluss 
der  Makaria,  sich  dem  freiwilligen  Opfertod  fiir  der  Brüder  Rettung  za 
weihen,  einigermassen  gehoben  wird.  Die  politischen  Nebenabsichten 
treten  zwar  nicht  so  grell  wie  in  der  Andromache  hervor,  sind  aber  un- 
verkennbar.    Der  Dichter   will   vor   allem   Athen   verherrlichen,   dessen 


»)  Die  Parodien  in  den  Wolken  (1165  = 
Hec.  172;  718  =  Hec.  141)  weisen  auf  die  Zeit 
vor  Ol.  89, 1,  etwa  425  hin,  so  dass  die  durch 
das  Pathos  entfesselter  Weiberleidenschaft 
ausgezeichneten  Tragödien  Medea,  Hippoljtus, 
Hecuba  auch  zeitlich  nahe  aneinander  liegen. 

>)  Nach  Schol.  Aiist.  Thesm.  1012  und 
1060.  ZiELivsKi,  Gliederung  der  altatt.  Kom. 
97  ff.  findet  in  Arist.  £q.  80  ff.  eine  Parodie  ,   Elektra  des  Soph.  s.  §  170. 


von  Eur.  Hei.  835  ff.  und  setzt  demnaidi 
Helena  u.  Elektra  ins  Jahr  425. 

»)  Dazu  vgl.  Od.  <f  227  u.  Herod.  H  112. 

^)  Aristoph.  Thesm.  850  nennt  sie  xtu- 
Pfjy  'EX^yrjy. 

'^)  Als  erwiesen  kann  gelten  die  Parodie 
in  Arist.  Ran.  1317  f.,  nicht  die  in  Av.  414 
oder  Nuh.  423.    üeber  das  Veriiiltnis   zur 


C.  Drama.    2.  Die  Tragödie,    d)  Euripides.    (§  185.) 


267 


König  Demophon  den  nach  Attika  geflüchteten  Kindern  des  Herakles 
Schütz  bietet  und  um  ihretwillen  den  Kampf  nicht  scheut:  i)  er  will  aber 
zugleich  den  Undank  von  Argos  und  Sparta  (Y.  742)  brandmarken,  welche 
in  der  Gegenwart  die  den  Herakliden  ehedem  erwiesenen  Wohlthaten 
mit  feindlichem  Einfall  vergalten.  Böckh,  De  trag,  princ.  190,  hat  die 
Tragödie  auf  417  ansetzen  wollen,  als  die  Argiver  nach  dem  Bruche  des 
Bündnisses  mit  den  Läkedämoniem  Frieden  machten.  Aber  die  Einfach- 
heit der  Handlung  und  Strenge  des  Rhythmus,  sowie  die  Voraussagung 
des  Einfalls  der  Spartaner  (Y.  1027)  weisen  auf  die  ersten  Jahre  des 
peloponnesischen  Krieges.  >) 

'Hgaxkrjg^)  erinnert  durch  das  erschütternde  Pathos  und  den  Mangel 
der  Einheit  an  die  Hekabe.     Der  erste  Teil  endet  glücklich,   indem  die 
dem  Herakles  angetraute    thebanische  Königstochter  Megara   mit  ihren 
Kindern  im  Augenblick  der  Todesgefahr  durch  die  unerwartete  Bückkunft 
des  Herakles  gerettet  wird.    Auch  der  Schrecken  des  zweiten  Teiles,  in 
welchem   der  in  Raserei  versetzte  Yater   seine   eigenen  Kiuder  mordet, 
eihüt  einen   versöhnenden  Abschluss   durch   die   edle  Freundesliebe  des 
Theseus  und  die  religiöse  Sühnung,  welche  der  dankbare  Freund  seinem 
onglückUchen  Genossen  auf  attischem  Boden  in  Aussicht  stellt.    Die  Tra- 
gödie enthalt  Stellen  grossartiger  Tragik,  aber  daneben  auch  abschweifende 
Deklamationen,  wie  188—203,  uhd  alberne  Reflexionen,  wie  655—672.   Der 
Stoff  ist  nach  der  Andeutung  des  PausaniasIX  11, 2  aus  Stesichoros  oder  Pan- 
jasis  (fr.  22)  genommen.  Für  die  Geschichte  des  attischen  Bühnenwesens  ist 
Yon  besonderer  Wichtigkeit  die  Parodos  des  Stückes,  da  darin  die  Greise,  aus 
denen  der  Chor  besteht,  über  den  beschwerlichen  Anstieg  klagen,  zum  Zeichen, 
dass  auch  der  Chor,  und  nicht  bloss  die  Schauspieler  auf  einer  erhöhten  Bühne, 
ZQ  der  Stufen  oder  eine  schiefe  Bretterebene  führten,  seinen  Standpunkt  hatte. 
Die  politischen  Anspielungen   führen  auf  die  Zeit  nach   der  Schlacht  von 
Delion  (424) ;  der  Hinweis  auf  das  Alter,  das  den  Dichter  nicht  hindere,  dem 
Musengesang  zu  huldigen  (678),  weist  in  die  späteren  Lebensjahre  des  Dich- 
ters.^) Das  griechische  Original  hat  Seneca  in  seinem  Hercules  frei  bearbeitet. 
Die  ^IxäTirSeg  werden  in  der  Hypothesis  passend  ein  syxoifiiov  Ud^rjvcSv 
genannt;  sie  sind  von  dem  gleichen  Gefühl  des  Hasses  gegen  Theben  wie 
der  Herakles  beseelt  und  scheinen  auch  um  dieselbe  Zeit,  nur  etwas  später, 
421  oder  420,  gedichtet  zu  sein.^)   Das  Drama  griff  die  bereits  von  Aischylos 
in  den  Eleusinioi  behandelte  (Plut.  Thes.  29)  und  von  Herodot  IX  27  berührte 
Sage  auf,  wonach  Theseus  die  Bestattung  der  vor  Theben  gefallenen  argivischen 


^)  Damit  brOsten  sich  die  Athener  be* 
KttB  bei  Herodot  IX  27. 

*)  Die  auB  einer  didaskalischen  Angabe 
genommene  Stelle  des  Ammianns  Marcellmus 
IXym  4,  27  seigt,  dass  die  Herakliden  zu- 
momen  mit  Kresphontes  und  Temenos  auf- 
gefBbtt  wnrden;  s.  Wilamowitz,  Herrn.  11, 
3Ö2  u.  17,  337  ff. 

')  üisprOnglich  einfach  H^axX^s  betitelt, 
velebenlitel  noch  Seneca  yorfand;  der  Zu- 
■tz  (iau^fA€voi,  lat.  Hercules  furens  stammt 
ioi  da  Aldina. 


*)  WiLAMowiTz,  Eur.  Hei-akl.  I*  344 
u.  880  setzt  demnach  den  Herakles  in  das 
vorletzte  Jahrzehnt  des  5.  Jahrhunderts,  zwi- 
schen die  Hiketiden  (421)  und  die  Troades 
(415).  lieber  das  Verhältnis  zu  Soph.  Trach. 
8.  §  172. 

^)  Anspielung  auf  das  argivische  Bünd- 
nis in  V.  1190  ff.;  auf  die  Weigerung  der 
Thebaner  nach  der  Schlacht  von  Delion  die 
Toten  herauszugeben  (Thuc.  4, 97  ff.)  bezieht 
sich  die  ganze  Fabel  der  Tragödie;  dieselbe 
kannte  Pindar  0.  6,  15.  N.  9, 28  noch  nicht. 


i 


268  OrieehiMhe  LittarfttiirgMoliiohte.    L  KlftMisohe  Periode. 

Heerführer  den  hartherzigen  Thebanem  zum  Trotz  gewährte.  Seinen  Namen 
hat  dasselbe  von  dem  Chor  der  Schutzflehenden  oder  den  Müttern  der  Ge- 
fallenen.^) Die  rührenden,  eng  an  die  Handlung  sich  anschliessenden  Ghor- 
lieder  und  die  effektvolle  Scene  der  in  den  Scheiterhaufen  ihres  Gtomahls 
Kapaneus  sich  stürzenden  Euadne  werden  dem  Werke  bei  der  Aufführung 
grossen  Erfolg  verschafft  haben  trotz  der  unpassenden  Digressionen  V. 
840—917  und  der  leeren,  an  den  Herakles  V.  655  erinnernden  Reflexionen 
des  Iphis  V.  1080  ff. 

^Iffiyäveia  yj  iv  AvliSt  geht  dem  Mythus  nach  der  taurischen  Iphi- 
genia  voraus,  fällt  aber  der  Abfassungszeit  nach  in  die  letzte  Lebenszeit 
des  Dichters.  Euripides  hinterliess  dieselbe  unvollendet;  davon  zeugen  die 
unverkennbaren  Spuren  späterer  Zusätze  in  unserem  Text,  namentlich  am 
Schlüsse  und  in  der  Parodos.  Einzelne  Verse  stammen  aus  noch  späterer 
Zeit,  aber  diese  können  die  Annahme  einer  vollständigen  Überarbeitung 
in  römischer  oder  gar  byzantinischer  Zeit  nicht  beweisen.  >)  Den  gleichen 
Gegenstand  hatte  vor  Euripides  bereits  Aischylos  und  Sophokles  behan- 
delt; zu  gründe  lag  die  Erzählung  der  Eyprien. 

"/cov,  eine  verschlungene  Tragödie  mit  glücklichem  Ausgang,  durch 
spannende  Disposition  und  zarte  Empfindung  ausgezeichnet.  Die  Fabel  ist 
von  Euripides  unter  Verwertung  alter  Überlieferungen  zur  Verherrlichung 
des  reinen  Geblütes  des  attischen  Stammhauses  erfunden.  Das  Drama  spielt 
in  Delphi,  wo  wir  den  unschuldigen  Knaben  Ion,  den  einst  Apoll  mit 
Kreusa,  der  Tochter  des  Erechtheus,  gezeugt  hatte,  im  Tempeldienst  des 
Gottes  treffen,  und  wohin  Ereusa  und  ihr  Gemahl  Xuthos  gekommen  waren, 
um  wegen  ihrer  Kinderlosigkeit  das  Orakel  zu  befragen.  Die  Enthüllung 
der  dunklen  Abkunft  des  Ion  und  die  Wiedererkennung  von  Mutter  und 
Sohn  spielen  sich  auf  so  verschlungenen  Wegen  ab,  dass  ein  zweimaliges 
Eingreifen  des  Dens  ex  machina,  am  Schlüsse  und  im  Anfang,  nötig  war. 
Über  die  Abfassungszeit  des  Stückes  fehlen  zuverlässige  Anzeichen;  doch 
ist  dasselbe  jedenfalls  nach  dem  Erechtheus  (421)  gedichtet  worden.')  Eine 
freie  Nachbildung  hat  in  unserer  Zeit  A.  W.  Schlegel  gedichtet^) 

KvxXfoip^  das  einzige  uns  erhaltene  Satyrdrama,  das  nicht  geeignet 
ist,  uns  von  dieser  Dichtungsgattung  einen  sehr  hohen  Begriff  zu  geben, 


^)  üeber  die  Zufiammensetzung  des  Chors 
aus  fünf  Müttern  und  zehn  Dienerinnen,  s. 
Aknoldt,  Die  chorische  Technik  des  Eur.  72  ff. 

*)  A.  Hennio,  De  Iph.  Aul.  forma  ac 
condicione,  Berol.  1870,  unterscheidet  Inter- 


beschriebenen  Gem&lde  der  Tempelluille  die- 
selben seien,  welche  Athen  infolge  des  See- 
sieges bei  Rhion  (429)  gelobt  hatte  (Paus. 
XII  5  und  Ion  1592);  aber  neuere  Ausgra- 
bungen haben  gezeigt,  dass  jene  Halle  apftr 


polationen  aus  drei  verschiedenen  Zeiten.  Aus      testens  in  der  1.  Hälfte  des  5.  Jahrh.  gebaut 


einer  andern,  mit  einem  deus  ex  machina 
schliessenden  Ergänzung  stammen  die  Verse 
bei  Aelian  V.  H.  VH  39,  deren  Gewicht  A. 
SwoBODA,  Beiträge  zur  Beurteilung  des  un- 
echten Schlusses  von  Eurip.  Iph.  Aul.,  Progr. 
Karlsbad  1893,  dadurch  erhöht,  dass  er  sie 
auf  den  alten  Grammatiker  Aristophanes  von 
Byzanz  zurückfahrt.  •—  Alte  DarsteUungen 
von  Scenen  des  Stückes  auf  einem  Becher  bei 
RoBBBT,  50.  Winckelmanns  Progr.  (1890)  51  ff. 


worden  ist;  s.  Eöhlbb  Rh.  M.  46,  1  ff.  £i«^ 
BovBN,  De  lone  fabula  Euripidea,  Bonn  1880 
setzt  das  Stück  412  auf  Grand  der  häufigen 
Auflösungen  im  Trimeter  und  der  Besng- 
nahme  auf  die  Grotte  des  Pan  in  Ärist  Lys. 
911,  ähnlich  Ebxatinobr,  Die  attische  Antocii- 
thonensage,  Berlin  1897  S.  139,  auf  416  bis 
412.  Auch  die  starke  Neigung  für  Scshil- 
dernng  von  Kunstwerken  hat  der  Ion  mit 
der  um  412  gedichteten  Elektra  gemein. 


')  BöCKH,  De  gr.  trag,  princ.  191  macht  \  ^)  Der  Ion  war  auch  eine   Quelle    fDr 

die  feine  Kombination,   dass  die  V.  190  ff.  |   Wielands  Agathen. 


C.  Drama.    2.  Die  Tragödie,    d)  Ünripidea.    (§  185.) 


269 


das  aber  doch  in  neuer  Bearbeitung  auch  heutzutage  noch  im  Wiener  Burg- 
theater ausserordentlichen  Beifall  finden  soll.  Der  Stoff  ist  der  Erzählung 
des  neunten  Gesangs  der  Odyssee  vom  Abenteuer  des  Odysseus  bei  dem 
Unholden  Kyklops  entnommen.  Neu  hinzugekommen  sind  die  Figur  des 
skurrilen  Alten,  des  zottigen  Silen,  und  der  Chor  der  hüpfenden  Satyren, 
welche  dem  Stück  den  Charakter  eines  echten  Satyrspieles  gaben. 

*OQ€atrjg,  nach  den  Scholien  zu  V.  371  im  Jahre  408  aufgeführt, 
zeigt  den  Verfall  der  euripideischen  Kunst.  Die  Fabel,  die  zur  Zeit  der 
RQckkehr  des  Menelaos  spielt  und  sich  um  die  Rache  dreht,  welche  der 
zum  Tode  verurteilte  Muttermörder  Orestes  mit  Elektra  und  Pylades  an 
Menelaos  und  seinem  Hause  nehmen,  ist  ganz  willkürlich  vom  Dichter  zu- 
sammengebraut. Alle  Personen  sind  ins  Gemeine  herabgezogen:  Menelaos 
ist  ein  herzloser,  feiger  Egoist,  Elektra  ein  ränkespinnendes  Weib,  Orestes 
gleicht  dem  nächtlichen  Raufbold  und  Dieb  ^OQsaxtfi  fia^rofisvog  der 
Komödie.^)  Schon  Aristoteles  Poet.  15  verurteilt  den  Menelaos  unseres 
Dramas  als  naQaSeiyfAa  novrjQiag  ij&ovg  fir-  dvayxmttg,  gleichwohl  machte 
dasselbe  wegen  seiner  blendenden  Scenerie  und  des  musikalischen  Bravour- 
stückes V.  1369—1502  grossen  Effekt.«) 

Die  Tqmadeg  wurden  nach  der  erhaltenen  Didaskalie  415  zusammen 
mit  Alexandres,  Palamedes  und  dem  Satyrdrama  Sisyphos  aufgeführt  und 
mit  dem  2.  Preise  bedacht.  Die  3  Tragödien  waren  durch  den  zusammen- 
hängenden Inhalt  zu  einer  sogenannten  Thementrilogie  verbunden.  Dem 
erhaltenen  Stück  —  und  bei  den  beiden  andern  wird  es  nicht  viel  anders 
gewesen  sein  —  ist  der  Charakter  der  epischen  Darstellung  trotz  der 
Dramatisierung  des  Stoffes  geblieben:  es  sind  mehr  einzelne,  locker  an- 
emander  gereihte  Episoden  aus  der  Einnahme  der  Stadt  als  Teile  einer 
einzigen,  straff  zusammengefassten  Handlung.  Die  Person  der  Hekabe 
bildet  fast  allein  das  Band,  welches  die  verschiedenen  Akte,  die  Unglücks- 
botschaft des  Talthybios,  die  Opferung  der  Polyxena,  die  Auslieferung  der 
Kasandra  und  der  Andromache,  die  Tötung  des  kleinen  Astyanax,  die 
Wegf&hrung  der  Hekabe  selbst,  einigermassen  zusammenhält.  Da  hat 
es  der  gleichzeitige  Toreute  Mys,  auf  dessen  Iliupersis  der  berühmte  Silber- 
becfaer  des  Münchener  Antiquariums  zurückgeht,  besser  verstanden,  aus 
den  gleichen  Scenen  eine  höhere  Einheit  zu  schaffen.  Aber  gleichwohl 
müssen  wir  es  unserem  Euripides  lassen,  dass  er  seinen  Athenern,  die  an 
den  regelrechten  Tragödien  der  alten  Schule  genug  hatten,  mit  diesem 
neuen  Versuch  einer  Tragödie  in  Bildern  eine  anziehende  Ohren-  und 
Augenweide  geboten  hat. 

*P^<rog  ist  nichts  anderes  als  ein  Iliadis  carmen  didudum  in  actus, 
nachgebildet  von  dem  römischen  Tragiker  Accius  in  der  Nyctegersia.  Die 
Echtheit  der  Tragödie  ward  nach  der  Hypothesis  schon  in  dem  Altertum 
angezweifelt,*)  indem  die  alexandrinischen  Eunstrichter  in  ihr  mehr  den 
fiophokleiscben  Charakter  finden  wollten.  Das  kann  sich  nun  kaum  auf 
etwas  anders  als  den  Mangel  an  euripideischem  Pathos  beziehen;  denn  von 


*)  VgL    \)Qicr^g  fituyousyog  in   Arist. 
AdL  1166  a.  Av.  1487. 

*)  Argnm.:     to   dga/Aa   ttiy  ini  axrjyijs 


6vdoxif4ovynoy. 

')  Dazu  ein  Scholion  zu  Y.  41 :  x^  /,  or« 
ov'x  eany  EvQiniöov  6  atlxos. 


i 


270 


OriochlBohe  LitteratnrgMohiolite.    L  KUMisohe  Periode. 


der  eigentlichen  Kunst  des  Sophokles  lässt  sich  noch  weniger  etwas  in 
der  Tragödie  finden.  Aber  dieselbe  weicht  so  sehr  von  der  Art  der  Medea, 
der  Troades  und  aller  erhaltenen  Tragödien  des  Euripides  ab,  dass  sie 
entweder  aus  einer  ganz  anderen  Kunstperiode  unseres  Dichters  stammt 
oder  überhaupt  fälschlich  demselben  zugeschrieben  wurde.  Für  die  Un- 
echtheit  sprachen  sich  Valckenaer,  Diatribe  in  Eurip.  p.  88  ff.,  und  G.  Her- 
mann, Opusc.  in  262  ff.  aus;  aber  dass  Ghorlieder  von  so  kunstvollem  und 
reichem  Versbau,  wie  die  des  Rhesos  sind,  in  der  Zeit  der  alexandrinischen 
Pleias,  an  welche  Hermann  dachte,  noch  gedichtet  worden  seien,  hat 
durchaus  keine  Wahrscheinlichkeit.  Wenig  glaubwürdig  ist  auch  die  An- 
sicht der  alten  Grammatiker  Krates,  Dionysodoros  und  Parmeniskos,  denen 
sich  in  unserer  Zeit  Vater  in  seiner  Ausgabe  (Berl.  1837)  und  Härtung, 
Eurip.  restit.  I  38  angeschlossen  haben,  dass  der  Rhesos  ein  Jugendstück 
des  Euripides  sei.^)  In  der  That  hatte  Euripides  nach  den  DidaskaÜen, 
wie  in  der  Hypothesis  des  Stückes  bezeugt  ist,  einen  Rhesos  geschrieben,*) 
der  vielleicht  mit  der  Gründung  von  Amphipolis  am  Strymon  (um  453) 
zusammenhing;  aber  in  dem  uns  erhaltenen  Drama  weisen  die  häufige 
Verteilung  eines  Verses  auf  mehrere  Personen,  der  Gebrauch  des  Dens 
ex  machina  am  Schlüsse  des  Stückes  und  die  Verwendung  von  4  Schau- 
spielern entschieden  auf  spätere  Zeit  hin.^)  Lob  verdient  in  dem  Stück 
der  melodische  Charakter  der  Gesänge,  die  leicht  und  gefallig,  wie  in 
keiner  anderen  Tragödie  des  Altertums,  an  das  Ohr  klingen;  hübsch  ins- 
besondere ist  das  Klagelied  der  Muse  895—903  und  906—914. 

Ausser  den  19  vollständigen  Dramen  sind  noch  zahlreiche  Fragmente 
des  vielgelesenen  und  wegen  seiner  schönen  Sentenzen  vielcitierten  Dichters 
auf  uns  gekommen.  Zahlreich  sind  namentlich  die  Bruchstücke  der  beliebten 
Tragödien  Antiope,*)  Alkmeon,  Andromeda,^)  Bellerophontes,«)  Stheneboia, 
Erechtheus,  Kresphontes,  Melanippe  (tJcto^t;  xmdijdsafAWTig),  Palamedes,  Phi- 
loktetes,  Protesilaos,')  Telephos.  Die  umfangreichsten  haben  wir  vom  Phae- 
thon,«)  die  unseren  Goethe  zur  Wiederherstellung  der  Umrisse  der  ganzen  Fabel 


^)  Astronomische  Irrtümer  des  Stückes 
erklärte  daraus  Erates  nach  den  SchoUen 
zu  V.  529  (vergl.  zu  V.  5,  499,  528,  541). 
Sonderbarerweise  haben  die  alexandrinischen 
Grammatiker  nicht  zur  Entscheidung  der 
Frage  das  athenische  Staatsexemplar  der  drei 
Tragiker  eingesehen.  —  Wilamowitz,  De 
Rhesi  Bcholiis,  Greifsw.  1877,  lässt  den 
Rhesos  im  4.  Jahrh.,  in  der  Zeit  des  zweiten 
Seebundes  gedichtet  sein.  Die  ganze  Ge- 
schichte der  Rhesosfrage  diskutieit  von  Rolfe 
in  Haward  class.  stud.  1893  p.  61  ff. 

*)  Wenn  nicht  von  zwei  Tragödien 
Rhesos,  so  doch  von  zwei  oder  vielmehr  drei 
Prologen  eines  Rhesos,  dem  erhaltenen  in 
Anapästen  und  zweien  in  iambischen  Tri- 
metem,  haben  wir  durch  das  Argumentum 
Kenntnis.  Aehnlich  haben  wir  in  der  Iphig. 
Aul.  Spuren  von  zwei  Prologen,  einem  ana- 
pästischen und  einem  iambischen;  ebenso 
gab  es  zwei  Ausgänge  derselben  Iphigenia 


und  des  Archelaos;  s.  Wblckbr,  Gr.  Trag. 
700  f. 

')  WujkXowiTZ,  Anal.  Eur.  147  f.  und 
Eur.  Herakl.  141  An.  81. 

*)  Davon  grössere  Fragmente  gefunden 
in  Flmders  Petrie  papyri,  herausgegeben  Ton 
M  AH  ÄFFT  in  Gunringham  Memoirs  n.  8, 
Dublin  1891. 

')  Von  der  grossartigen  Wirkung,  welche 
die  Andromeda  noch  zu  Neros  Zeit  machte, 
erzählt  uns  Eunapios  p.  54  D  und  Lukiaa, 
Quomodo  bist,  conscr.  2;  vgl.  Aristaph. 
Ran.  53. 

^)  Bellerophon  aufgeführt  vor  425,  da 
auf  ihn  angespielt  in  Aristoph.  Acham. 
426  ff. 

^)  Mayrk,  Herm.  20,  101  ff. 

s)  BLASS,  De  Phaeth.  Eur.  fragm.  Cla- 
romontanis,  Kiel  1885.  Restitutionsversache 
von  Wilamowitz  in  Herm.  18,  896  ff. 


C.  Drama.    2.  Die  Tragödie,    d)  Boripides.    (§  186.) 


271 


reizten.^)  Im  Codex  Palat.  287  findet  sich  am  Schluss  auch  noch  der  An- 
fang der  Danae,  der  aber  nicht  von  Euripides,  sondern  von  irgend  einem 
Fälscher  des  Mittelalters  oder  der  Renaissance  herrührt. 

186.  Eunstcharakter  des  Euripides.     Euripides  fand  bei  seinem 
Auftreten  die  Tragödie  bereits  vollständig  ausgebildet  vor.  In  ihrer  äusseren 
Form  verdankt  sie  daher  seinem  Eingreifen  keine  wesentlichen  Fortschritte. 
Was  hier  von  ihm  neu  eingeführt  und  weiter  entwickelt  wurde,  der  Pro- 
log und  der  Dens  ex  machina  war  nicht  wesentlich  und  sicher  kein 
Fortschritt.    In  fast  allen  Stücken  orientiert   uns  Euripides  im  Eingang 
darch  den  von  einer  handelnden  Person  oder  einem  Gott  gesprochenen  Prolog 
über  den  Mythus  und  die  auftretenden  Personen.    Diese  Art  von  Vorrede, 
die  öfters  auch  schon  den    ganzen  Gang  der  Tragödie  vorausverkündet, 
mosste  die  Spannung  der  Zuhörer  schwächen,  hatte  aber  ihren  Grund  und 
ihre  Entschuldigung  in  der  selbständigen,  aus  dem  trilogischen  Zusammen- 
hang losgelösten  Stellung   der  Dramen  und  in  der  dem  Euripides  eigen- 
tümlichen Freiheit  der  Umgestaltung  des  überlieferten  Mythus,   die  eine 
vorausgehende  Aufklärung  des  Publikums  fast  zur  Notwendigkeit  machte. 
Aber  Euripides  gebrauchte  dieses  Mittel  in  einförmiger,  handwerksmässiger 
Weise,  so  dass  mit  Recht  dasselbe  von  Aristophanes  verspottet  und  von 
den  Grammatikern  getadelt  wurde.*)  —  Ein  Pendant  zum  Prolog  bildete 
der  Deus  ex  machina,    mit  dem  Euripides   die  Mehrzahl  seiner  Stücke 
schliessen  lässt,^)  den  er  aber  auch  nicht  selten  mitten  im  Stücke  zur  An- 
wendung bringt.     Götter  hatte  schon  Aischylos  mittelst  der  Maschine  er- 
scheinen lassen,    aber  Euripides  benützte  dieses  Mittel  in  bequemer  und 
einförmiger  Weise,  um  den  Knoten  durch  das  Dazwischentreten  der  Gott- 
hät  ztt  lösen,  zum  Teil  auch,  um  den  Blick  der  Zuhörer  über  die  Grenzen 
der  Handlung  hinaus  zu  leiten.    Manchmal  wird  so  ein  Kultusbrauch,  wie 
in  Iph.  Taur.  1450  flf..  Med.  1381  fif.,  Rhes.  962  flf.,  oder  eine  politische  Ein- 
richtung, wie  in  Ion  1571  flf.  u.  Andrem.  1244,  vorausverkündet  und  ge- 
wiasennassen  sanktioniert.     In  solchen  Fällen  wird  der  Deus  ex  machina 
seine  Wirkung  geübt  haben   und  namentlich  bei  seinem  ersten  Gebrauch 
der  gespannten  Aufinerksamkeit  sicher  gewesen  sein;  aber  meistens  ver- 
hüllte er  nur  schlecht  die  Eilfertigkeit  des  Dichters  und  die  Mängel  der 


')  Goethe,  Ges.  Werke  46, 33  flf.  —  Die 
icntrenten  Fragmente  zu  sammeln  nnd  zor 
Rekoostraktion  der  Dramen  za  verwerten, 
bildete  überbanpi  eine  die  Gelehrtenwelt  viel 
beschiftigende  Aufgabe.  Hanptleistnngen  von 
VALCKtsAKB,  Diatribe  in  Euripidis  perditorum 
ÄMMtom  relL  LB.  1767;  Härtung,  Emi- 
Nes  restitutns,  Hamb.  1843;  Wclcker, 
Griech.  Trag,  2.  Bd.;  Wbcklein,  Drei  ver- 
lo*«Be  Tragödien  des  Euripides  (Antiope, 
Anügose,  Telephos),  Stzb.  d.  b.  Ak.  1878; 
Ueber  den  Eresphontes  des  Eur.  1880  in  der 
P^stseltrift  ftlr  Ürliclis;  Ueber  fragmentarisch 
«laiteDe  Tn&gOdien  des  Eur.  (Andromeda, 
Beilerophon  etc.),  Stzb.  d.  b.  Ak.  1888.  Neue 
Broehstflcke  ans  den  Temeniden  (nach  Weck- 
^  ans  Diktjs)  aus  Pariser  Papyri  publiziert 


von  Weil,  Nouveaux  fragments  d*  Eur.,  Par. 
1879;  BLASS  Rh.  M.  35,  74  ff.;  Wecklbin 
Philol.  39,  406  ff. 

2)  Arist.  Ean.^  946  u.  1198  ff.  Vgl.  Vit. 
Eur.:  xal  iy  rotg  ngoXoyoig  de  o/Aiypof. 
üebrigens  haben  namentlich  die  Prologe  viele 
Interpolationen  erfahren,  worüber  E^inken- 
BEBO,  De  Euripideorum  prologorum  arte  et 
interpolatione,  Bonn  1881. 

«)  WiLAMowiTZ,  An^.  Eur.  180.  Ueber 
die  Einrichtung  der  Schwebemaschine  für  den 
Deus  ex  machina  s.  Reisch  in  Dörpfbld- 
Rbisoh,  Das  griech.  Theater  230  ff.;  über  die 
Einführung  derselben  in  den  20er  Jahren  des 
5.  Jahrb.  s.  Christ,  Jahrb.  f.  Phü.  1894 
8.  151  ff.;  Betbb,  Proleg.  z.  Gesch.  d.  Theat. 
1896  S.  180  ff. 


L 


272 


Grieohisohe  LitteratnrgeBohiohto.    L  XlaMiBohe  Periode. 


Anlage,   weshalb  mit  gutem  Takt  Seneca  denselben   in  der  Nachahmung 
der  Medea  und  des  Hippolytus  wieder  weggelassen  hat. 

Wesentlicher  und  bedeutsamer  ist  was  Euripides  in  der  tragischen 
Kunst  innerhalb  ihrer  alten  Formen  geneuert  und  teils  gebessert,  teils  ver- 
schlechtert hat.  Beginnen  wir  mit  dem  Stoff,  so  war  es  natürlich,  dass 
das  athenische  Publikum  die  wiederholte  Vorführung  von  Personen  der 
alten  berühmten  Sagenkreise  mit  der  Zeit  satt  bekam.  Euripides  trug 
dem  Rechnung,  und  da  er  den  von  Aischylos  angezeigten  Weg  des  histo- 
rischen Dramas  verschmähte  und  politische  Stoffe  bereits  durch  die  Ko- 
miker vorweg  genommen  fand,  so  suchte  er  mit  erfinderischem  Sinne  teils 
neue  und  entlegene  Lokalsagen  auf,^)  teils  gestaltete  er,  namentlich  in 
seinem  späteren  Leben,  alte  Mythen  um,  teils  endlich  flocht  er,  in  dieser 
Beziehung  nahe  an  die  neue  Komödie  streifend,  aus  kleinen  Anhaltspunkten 
ganz  neue  romanhafte  Erzählungen  zusammen.  Man  muss  ihm  die  An- 
erkennung lassen,  dass  er  auf  diese  Weise  neue  tragische  Figuren,  wie 
die  Medea  und  Iphigenia,  für  die  Ewigkeit  geschaffen  und  der  neuen  Gat- 
tung selbsterfundener  Dramen  in  seiner  Helena  und  Andromeda  die  Wege 
gebahnt  hat.  —  Aber  der  Stoff  an  und  für  sich  bedeutet  noch  wenig;  er 
erhält  erst  Bedeutung  durch  den  dramatischen  Funken,  der  ihm  entlockt 
wird:  auf  die  Leidenschaften  (Tra^ry),  die  auch  die  Zuschauer  mit  fort- 
reissen,  verstand  sich  Euripides  wie  kein  zweiter.  Ps.  Longin  rühmt  ihm 
nach,  dass  er  die  Liebe  und  Raserei  auf  die  Bühne  gebracht  habe;')  als 
echter  Kenner  der  menschlichen  Natur  hat  er  die  dämonische  Gewalt  dieser 
Leidenschaften  zumeist  in  Frauen,  wie  in  der  Medea  und  Hekabe,  zum 
Ausdruck  gebracht.  Indes  auch  die  zarten  Saiten  des  Herzens  weiss  er 
anzuschlagen,  und  von  Thränen  der  Rührung  wird  der  Leser  in  mehr  wie 
einem  Stücke  übermannt.  Diese  letztere  Wirkung  erzielte  er  hauptsach- 
lich durch  einen  weiteren  Vorzug  seiner  Kunst,  durch  die  Geschicklichkeit 
in  den  Wiedererkennungsscenen.  In  ergreifender  Weise  hat  er  dieselben 
in  mehreren  Stücken  mit  dem  Höhepunkt  der  Peripetie  in  Verbindung 
gebracht.  Ausser  dem  Ion  und  der  Iphigenia  Taur.  war  in  dieser  Beziehung 
besonders  berühmt  der  Kresphontes,  in  welchem  Drama  Merope  in  fal- 
schem Wahne  bereits  das  Beil  über  dem  schlafend  daliegenden  Jüngling 
schwang,  als  der  Alte  in  ihm  den  Sohn  der  Merope  erkannte  und  die 
Mutter  von  der  unseligen  That  zurückzog.  Durch  die  bezeichneten  Vor- 
züge ist  Euripides  der  tragischste  (TQaYixoiraTog)  Dichter*)  und  der  voll- 
endetste Meister  der  verschlungenen  Tragödie  (Tgay.  nsnlByiiärrj)  geworden. 
Daneben  war  es  die  Kunst  anschaulicher  Schilderung,   auf  die  sich  Euri- 


^)  Das  ist  wohl  der  Nebengedanke  von 
Aristoph.  Ach.  398:  6  vovg  fxky  (sc.  EvQinldov) 
l|ö>  ^vXXeyioy  invXXi«. 

*)  Ps.  Longin  de  sabl.  15:  ean  f^kv  ovy 
ipiXoTioytüTttios  6  EvQiTilSrjg  dvo  ravtl  nddi], 
fjittvlag  t€  xal  e^aiiaSj  ixTQuytad^aai  xdy 
jovTois  wV  ovx  oi(f'  et  Ttff  it€Qog  inirvxcaia- 
tog.  Vgl.  Schol.  Soph.  Oed.  R.  264:  raTg 
XiytjTixatg  iyyoiatg  TtXeoydCei  EvQiTtidrjg. 

')  Diesen  Ehrennamen  gibt  ihm  Arist. 
Poet.  13;  vgl.  Quintilian  X  1,  67:  Euripides 


in  iis  quae  in  miaeratione  constant  faeüe 
praecipuus,  Aehnlich  urteilt  Frettao,  Technik 
des  Dramas  239:  Keiner  seiner  grossen  Yoir- 
gfinger  versteht  wie  er  die  epischen  Bilder 
mit  flammender,  markzerfressender  Leiden- 
schaft zn  füllen;  keiner  hat  so  viele  wahre, 
schön  empfundene,  individuelle  Zflge  in  sie 
hineingetragen,  keiner  so  reiches  Detaü,  in 
welchem  die  Zuschauer  das  gebildete  Em- 
pfinden ihrer  Tage  wiederfanden. 


G.  Drama.    2.  Die  Tragödie,    d)  Enripides.    (§  187.) 


273 


pidee  ganz  besonders  verstand  und  in  der  er  mit  den  grossen  Künstlern 
seines  Jahrhunderts,   Polygnot  und  Phidias  glücklich  wetteiferte.     Schil- 
derungen wie  von  dem  entsetzlichen  Tod  des  geschleiften  Hippolytos  wer- 
den nie  ihre  ergreifende  Wirkung  verfehlen,  aber  auch  anmutige  Beschrei- 
bungen, wie  von  den  Metopen  des  Apollotempels   in  Delphi  (Ion  184  ff.) 
werden  dem  kunstsinnigen  Pubhkum  Athens  angenehme  Erinnerungen  an 
das,  was  sie  in  Delphi  und  in  ihrer  eigenen  Stadt  sahen,  hervorgerufen 
haben.  ^)  —  Aber  den  Vorzügen  stehen  auch  grosse  Schattenseiten  gegen- 
über.   Euripides  entnahm  zwar  die  Stoffe  der  Heroenzeit,   aber   er  ent- 
kleidete die  Heroen  ihrer   erhabenen  Grösse  und  legte   ihnen  Gedanken 
und  Handlungen    der  gemeinen    Gegenwart   unter.*)     Die  Vertreter   der 
grossen  alten  Zeit,  wie  Aristophanes,   entrüsteten  sich  über  den  Telephos 
in  Lumpen  und  über  den  Dichter  von  Prozessreden,*)  und  auch  wir  wenden 
uns  mit  Unmut  von  dem  Bauemweib  Elektra  und   dem  Banditen  Orestes 
ab.    Der  ganze  Versuch,   die  Politik  in  die  Tragödie  zu  ziehen,  war  eine 
Geschmacksverirrung,   und  auch  die  philosophischen  Sprüche  und  rhetori- 
schen Deklamationen  passen  nicht  in  den  Mund   der   Heroen   oder    gar 
Heroinnen,  am  wenigsten  die  Sophismen  nach  Art  von  tj  yhaaa*  ofjicifiox', 
f  Sk  y^jjV  aviOfivTog  (Hipp.  612),  oder  t£  d'  aiaxQov,  ijv  firj  voiai  XQOifAsvoiq 
iox^  (fr.  19).     Es    hing   aber   diese  Degradation   der  Tragödie   mit    dem 
Sbreben  des  Euripides  zusammen,  sich  nicht  einzig  dem  Dienste  der  Musen 
zu  weihen,  sondern  durch  die  Muse  auch  für  seine  politischen  und  philo- 
sophischen Ideen  Propaganda  zu  machen.     Vergessen  aber  wollen  wir  über 
dem  Tadel  nicht,  dass  wir  dieser  spekulativen  Richtung  des  Dichters  auch 
die  vielen  herrlichen  Sentenzen  {yvMfiai)  verdanken,  die  wir  noch  heutzutag 
60  gern  in  den  Mund  nehmen. 

187.  Die  sprachliche  Kunst  des  Euripides  zwang  selbst  seinem 
bitteren  Feinde  Aristophanes  unumwundene  Anerkennung  ab.^)  Indem 
Euripides  den  Schwulst  des  Aischylos  wegwarf  und  die  Sprache  des  Lebens 
durch  hübsche  Verbindungen  veredelte,*^)  schuf  er  eine  mittlere  Diktion, 
die  allen  leicht  verständlich  war  und  sich  doch  über  die  Plattheiten  des 
Marktes  erhob.  ^)  Zur  Geltung  kam  selbstverständlich  dieser  Charakter 
der  euripideischen  Sprache  zumeist  in  den  Dialogpartien,  in  den  pointierten 
Stichomythien  und  in  den  sorgfältig  nach  den  Regeln  der  Symmetrie  aus- 


')  In  aolchen  BescliTeibmigeii  von  Ennst- 
verkoi,  die  bei  Sophokles  ganz  fehlen  und 
bei  AiacfayloB  nur  spftrlich  vorkommen,  ge- 
fiel er  ffl'ch  besonders  zur  Zeit,  als  er  den 
Iwi(V.  190-218;  268-71;  1141—66;  1418 
bis  24),  die  Elektra  (V.  455—78;  1254—7), 
Pbömasen  (V.  1107—38)  dichtete.  ^ 

*)  Axist.  Poet.  25 :  ZoqtoxX^q  eg>ij  avrog 
fäy  eSbvg  dei  nouiy,  EvQinidijp  Si  oloi,  eialv, 

')  Aristoph.  Ach.  432:  TrjXifpov  ^axw^ata, 
Ban.  850  eJ  nttoxonoU  xai  ^axtoavQQanrdSij, 
Psc  534  noitjtijy  ^fiaxiotv  SixttyixtSyf  Ban. 
M  jfolox  ifidovg  ajtafAvXfÄtcrcDv  äno  ßtßXlaty 
i^rfimv.  Vgl.  WoLD.  Ribbeck,  Die  dramati- 
^en  Parodien  bei  den  attischen  Komikern, 


im  Anhang  seiner  Ausgabe  der  Achamer 
S.  277-316. 

*)  Aristoph.  fr.  397  D.:  /^wf«««  y«V  f^vxov 
xov  ct6/4ttros  r(o  avQoyyvXt^f  rov^  yovg  &* 
ayoQaiovg  rjxxoy  17  xBiyoq  noitu.  Vgl.  Schol. 
Plat.  VI  p.  227  Herm.:  'A^iaxotpäytjg  äxo)- 
/4ti}SeTxo  inl  x(ü  axttinxeiy  f^ky  EvQinidrjy, 
fjtifxsTa&ai  «f*  ttvxoy. 

*)  Arist.  Rhet.  III  2:  xXinxBxai  cf  eJ, 
iäy  xvq  ix  x^g  eitJ&viag  diaX^xxov  ixXäyaty 
avyxt&j,  onsQ  EvQirnidrjs  noiet  xal  vnidsi^e 
TtQwxog, 

*)  Dion.  Hai.,  Vet.  Script,  cens.  II  11; 
Biog.  IV  26;  Alexander  Aetolus  bei  Gellius 
XV  20. 


Budbueh  d«r  Ums.  Altertumewissenachafl.    VII.    8.  Aufl. 


18 


l 


274 


Orieohisohe  LitteratnrgMohiohte.    I.  Klaasisohe  Periode. 


gearbeiteten  Monologen  und  Botenreden  {^^(feig).^)  In  ihnen  zeigte  sich 
zumeist  die  rhetorische  Stärke  des  Dichters,  welche  seine  Dramen  auch 
hauptsächlich  zum  Studium  für  angehende  Redner  empfahl.')  Weit  stehen 
den  Dialogpartien  die  Mele,  namentlich  die  Chorlieder  nach,  die  fast  wie 
ein  unbequemes  Vermächtnis  aus  älterer  Zeit  erscheinen.  In  den  Vorder- 
grund treten  die  Monodien  und  Wechselgesänge,  was  in  der  ganzen  Rich- 
tung der  Musik,  welche  sich  von  der  Pflege  des  Chorgesangs  den  Eraftr 
proben  der  Solosänger  in  den  Arien  und  Monodien  zuwandte,  seinen  Grund 
hatte.  Das  Band  zwischen  den  Chorliedem  und  der  Handlung  wird  zu- 
nehmend lockerer;  selbst  in  einer  so  vorzüglichen  Tragödie,  wie  die  Phö- 
nissen,  gleichen  die  meisten  Chorgesänge  eingelegten  Musikstücken  (ifAßo- 
^M'^)j^)  welche  das  umkleiden  der  Schauspieler  erleichterten,  im  übrigen 
aber,  unbeschadet  des  Fortgangs  der  Handlung,  ebensogut  wegbleiben 
konnten.  Ausserdem  löst  sich  bei  Euripides  die  Strenge  der  metrischen 
Form  und  die  Gesetzmässigkeit  des  Rhythmus.  Im  Trimeter  häufen  sich 
namentlich  seit  Ol.  90  die  Auflösungen  der  Längen  und  die  Verteilung 
eines  Verses  unter  mehrere  Personen.  In  den  lyrischen  Partien  überwiegen 
in  den  Tragödien  der  letzten  Periode  bis  zum  Überdruss  die  frei  gebauten 
Glykoneen.*)  In  den  Melodien  glaubten  die  Theaterbesucher  die  Weisen 
gemeiner  Eneip-  und  Hurenlieder  wiederzuhören.  ^)  Ein  guter  Teil  der 
gerügten  Fehler  scheint  indes  nicht  dem  Euripides  zur  Last  zu  fallen, 
sondern  dem  Eephisophon  und  Timokrates,  deren  Beihilfe  er  sich  in  den 
lyrischen  Partien  bediente.«)  —  Auch  an  der  obersten  Anforderung  des 
Stils,  an  der  Gruppierung  zu  einem  Ganzen,  lässt  es  Euripides  in  den  ge- 
ringeren Stücken  vielfach  fehlen.  Das  Streben  nach  Reichtum  und  Mannig- 
faltigkeit des  Inhaltes,  das  dem  Dichter  wohl  halb  durch  das  Publikum 
aufgenötigt  war,  that  der  strengen  Durchführung  einer  Idee  und  einer 
Handlung  Eintrag;  wollte  eine  Handlung  nicht  ausreichen,  dann  thaten  es 
zwei,  wie  in  Hekabe  und  Herakles,  oder  es  löste  sich  das  Drama  in  eine 
Reihe  von  Bildern,  wie  in  den  Troades,  auf.  Im  übrigen  dürfen  wir  bei 
der  Beurteilung  des  Euripides  nicht  vergessen,  dass  wir  durch  das  blosse 
Lesen  seiner  Tragödien  nur  eine  mangelhafte  Vorstellung  von  ihrer  Wir- 
kung im  Dionysostheater  bekommen.  Denn  Euripides  lebte  und  schrieb 
für  die  Bühne:   ini  axrjvrjg  svdoxifieT^  oXog  tov  ^eargov  iax(v  urteilten  die 


^)  HiRZBL,  De  Euripidis  in  componen- 
dis  diverbiis  arte,  Lips.  1862.  Zu  weit  geht 
in  der  Annahme  des  symmetrischen  Banes 
Oeri,  mit  dem  ich  über  diesen  Punkt  dis- 
putierte in  Verhdl.  d.  Phil.Vers.  in  Wiesbaden 
1877,  S.  142—161.  Vgl.  unten  S.276  Anm.4. 

')  Quint.  X  1,  68:  illud  quidem  nemo 
non  fateatur  necesse  est  iiSj  qui  se  ad  agen- 
dum  comparantf  utUiorem  lange  fore  Euri- 
pidem,  namque  is  et  aermone  .  .  .  nKigis 
accedit  oratorio  generi  et  sententiis  densus 
etc.  Ver^l.  Dio  Chrys  or.  XVIII  p.  47: 
TioXirixw  av^Qi  ndvv  (aq>EXifjLog  '  %xi  di  rj9rj 
Kai  nd&fj  öeivog  nXt^Qtocttt  xai  yvtofxag  ngog 
anavxa   w(pBXlfiovg   xarafiiyyvai   xoTg   noiij- 

fAttCiV, 


>)  Tadel  bei  Arist.  Poet.  18  nnd  SchoL 
Eur.  Phoen.  1018.  Besonders  ansttesig  ist 
Hei.  1301  ff. 

*)  Das  ist  das  dtodexafiijxayoy  bei  Axi- 
stoph.  Ran.  1327,  wozu  noch  das  Anhalten 
einer  Silbe  durch  mehrere  Zeiten,  das  £unos& 
slstsietXLaffBts  (Aristoph.  Ran.  1314)  kommt^ 

^)  Aristoph.  Ran.  1301:  ovroc  cT  airo 
näyTfoy  (xhy  tpigei  nogytditoy,  ffxoXlaty  MeXfjrotß^ 
KttQixtiSy  avXtjfddrwy,  ^gi^yoty,  ;|ro^6iwy. 

®)  Vit.  Eur.:  t«  fieXij  avr«^  ^«ra»  Kfjq>t^ 
aotpaSyra  noieTy  rj  TifAoxgdtfjy  *AgyBloy.  Diin^ 
kel  bleibt  die  Entlehnung  der  due^etn^  fieXm^ 
der  Medea  aus  der  granunatischen  TragOdi^ 
des  Eallias,  die  Aih.  p.  453  e  bezeugt 


C.  Drama.    2.  Die  Tragödie,    d)  Enripides.    (§  187.)  275 

Alten  von  ihm,  halb  lobend  und  halb  tadelnd.  Für  den  Effekt  auf  der 
BSliDe  waren  die  Botenreden  mit  ihrer  unübertroffenen  Anschaulichkeit, 
die  Abschieds-  und  Erkennungsscenen  mit  ihrem  ergreifenden  Ethos,  das 
erschütternde  Pathos  des  rasenden  Herakles  und  des  geblendeten  Poly- 
mestor,  die  Schlagwörter  und  geistreichen  Sentenzen,  kurz  das  Schönste 
nod  Beste  in  der  Kunst  des  Euripides  berechnet.^) 

Codices:  Die  Dramen  des  Enr.  sind  in  zwei  Abteilnngen  auf  uns  gekommen;  die 
erste,  neun  Stücke  (Ale.  Andrem.  Hec.  Hipp.  Med.  Orest.  Rhes.  Troad.  Phoen.  und  wahrschein- 
lich noch  Bacch.)  umfassende  liegt  uns  in  Handschriften  des  12.  Jahrhunderts  vor,  Yatic. 
909,  Marc.  471,  Paris  2712,  femer  in  Marc.  468,  Paris  2713,  Havn.  417;  die  zweite,  sämt- 
lidie  19  Stficke  umfassende  Sammlung  findet  sich  nur  in  jungen  Handschriften,  nftmlich  in 
Laor.  32, 2,  femer  in  Palat.  287  u.  Laurent,  ahh.  Flor.  172,  welche  beide  zusammengehören 
und  oisprOnglich  eine  Handschrift  bildeten.  Ein  jetzt  in  Berlin  befindlicher  Papyrus  aus 
Fajjam,  der  Bippol.  242— 515  enthält,  ist  bekannt  gemacht  von  Eibchhoff,  Monatsber.  der 
Bei.  Ak.  1881  S.  982  ff.,  ein  anderer,  der  Rhes.  48—96  enthält,  von  Wilokbn,  ebenda  1887, 
8U  und  Wilamowitz,  Eur.  Herakl.  I  214.  —  Ausgaben  mit  kritischem  Apparat,  in  denen 
dts  bezeichnete  Verhältnis  festgestellt  ist,  von  Eircbhoff  (grössere  Ausg.  v.  1855),  Pkinz 
(Iris  jetzt  Med.  Ale.  Hec.,  vollständig  von  Wbokl^in  zu  erwarten).  Barthold  (bis  jetzt 
Hipp.  Med.). 

Melodie  zur  Parodos  des  Orest  gibt  in  Wortumschreibung  Dionys.  Halic,  De  comp, 
verb.  11;  Reste  von  Melodien  aus  ägypt.  Papyri  von  Wessbly,  Mitteil,  aus  der  Samml.  der 
Papyrus  des  Erzherzogs  Rainer  V  65  ff.,  wozu  Crusius  Philol.  52,  174  ff. 

Sckolien  haben  wir  nur  zu  den  neun  Tragödien  der  ersten  Sammlung,  die  reich- 
hltigBten  zu  Hec.  Phoen.  Orest.  Die  vnode'aeis  gehen  auf  Aristophanes  und  Dikäarch 
Birflek.  In  den  Scholien  sind  uns  Reste  der  kritischen  Studien  des  Aristarch,  Eallistratos, 
Entes,  Didymos  erhalten,  üeber  die  letzte  Quelle  der  Scholien  unterrichtet  diie  Subscriptio 
n  Orest:  nagaysy^anrai,  ix  rov  JiovvüLov  vnofjivrj^atoq  oXocxsQcig  xal  xaSy  fAMxdvy  und 
ZB  Med.:  n^og  diatpoga  ayrlygagja  JiovvgIov  oXoax^Q^i  xtel  xiva  xtav  Jtdvfzov;  s.  Bart- 
Boio,  De  scholiorum  in  Eur.  veterum  fontibus,  Bonn  1864.  Im  Mittelalter  kamen  zu  den 
drei  gelesensien  Stöcken  Hec.  Or.  Phoen.  die  breitgetretenen  Scholien  des  Thomas  Magister, 
Moadboraloe  und  Triklinios  hinzu.  Die  alten  Scholien  des  Vat.  B  sind  herausgegeben  von 
CoBST  itinter  den  Phoenissen  von  Geel  LB.  1846.  Gesamtausgabe  der  Scholien  von  Gu. 
DiVDoiF,  Oz.  1863,  4  Bde,  neue  sorgfältigere  Ausg.  von  Ed.  Schwartz,  Berol.  1887,  un- 
ToUendei 

Ausgaben:  dieselben  wurden  erst  nach  und  nach  vervollständigt;  zuerst  bloss  vier 
St&cke  in  ed.  princ.  Flor.  1496,  besorgt  von  Laskaris;  weitere  in  der  Aldina  1503,  besorgt 
wn  dem  Kreter  Musuros;  die  Elektra  kam  zuletzt  hinzu  durch  Victorius  1545.  —  Ge- 
«aintausgabe  mit  Scholien  und  Kommentar  von  Barnes,  Gant.  1694;  von  Musgrave,  Oz. 
1778.  —  Epochemachend  Valckenabr's  Ausgabe  der  Phoenissae  1755,  Hippolvtus  1758, 
Diatribe  in  Enr.  perd.  dram.  rell.  1767.  —  Einschneidende  Kritik  geübt  von  den  Engländern 
'Masklavd  (Suppl.  Iph.  Aul.  et  Taur.  1771),  Porson  (Hec.  Orest.  Phoen.  Med.  1797),  Elmsley 
(Ueä.  1818,  ed.  II  I^ps.  1822),  Monk  (Hipp.  Ale.  mit  guten  Noten),  neuerdings  Badbam  (Iph. 
Tanr.  Hei.  1851).  -—  Gesamtausgabe  von  Matthiae,  Lips.  1813  —  1836,  10  vol.;  fruchtbarer 
die  Separataoi^aben  der  meisten  Stttcke  von  G.  Hermann;  für  Kritik  bahnbrechend  durch 
deo  ersten  kritischen  Gesamtapparat  die  grosse  Ausgabe  von  Kirchboff,  Berol.  1855, 
2  Bde,  dazu  edL  minor  1867.  —  Teztausgabe  von  Naück  in  Bibl.  Teubn.;  Ausgabe  mit 
I^tteimBchen  Noten  in  Bibl.  Goth.  (11  Stücke)  von  Pfluok  und  Klotz,  neubesorgt  von 
WiCKigiK.  —  Spezialausgabe  mit  erklärenden  Anm.  von  Weck  lein  (Bacch.  Hipp.  Iph.  Taur. 
MedL),  Yon  Wini.  (GQpp.  Hec.  Iph.  Taur.  et  Aul.);  Phoen.  von  Geel  LB.  1846,  von  Kinkel, 
I*ipz.  1871 ;  Iph.  Taur.  von  Scböne-Köcbly  3.  Aufl.  Berl.  1872;  Hippel,  von  Bartbold,  Berl. 
18S),  von  Badhaii  2.  Aufl.  London  1867,  von  Herwbrdek,  Utr.  1875;  Iphig.  Aul.  von  Vitelli, 
Ret.  1878;  Herakles  von  Wilamowitz,  2  Bde.  Berl.  1889,  2.  Ausg.  1895,  Hauptwerk  mit 
BBifassender,  die  ganze  Litteraturgeschichte  berührender  Einleitung;  von  demselben  Hip- 
folytos  grieck-deutsch,  Beri.  1891. 

Erlänterungsschriften:  R.  Arnoldt,  Die  chorische  Technik  des  Eur.,  Halle  1878. 
—  H.  BucHBOLTZ,  Die  Tanzkunst  des  Eur.,   Leipzig  1871.   —  Ein  Glossar  im  9.  Bde  der 


^)  unter  den  Schauspielern  des  Euripides 
'^  durch  die  Witze  der  Komiker  (Arist.  Ran. 
^.  Sfaraitis  fr.  1)  Hegelochos  berüchtigt 
Scvorden,   der    den   Vers  des  Orestes  279 


ix  xvfittXfov  ynQ  av&tg  av  ynXijv^  ogdS  so 
aussprach,  dass  man  yaXrjv  (Wiesel)  statt 
yaXrjvä  (Windesstille)  verstand. 


18* 


i 


276  Orieohiaohe  litteraturgMohiohte.    I.  KlAMUohe  Periode. 

Glasgower  AuBg.  1821.  -  J.  Yoobl,  Sceneo  eiuipideischer  Tragödien  in  griech.  Vasen* 
gemäden,  Leipz.  1886;  Huddilbton,  Greek  art  in  Euripides  Aischylos  Sophokles,  Dias. 
Manchen  1898. 

e)  Die  übrigren  Trasriker. 

188.  Aischylos,  Sophokles,  Euripides  waren  die  Meister  der  griechi- 
schen Tragödie,  aber  nicht  die  einzigen  Tragiker  ihrer  Zeit:  um  sie  grup- 
pierte sich  eine  ganze  Schar  verwandter  Dichter,  und  ihre  Kunst  dauerte 
über  ihren  Tod  hinaus  im  4.  Jahrhundert  fort.  Neben  ihnen  haben  zunächst 
Achaios  und  Ion  im  Kanon  der  alexandrinischen  Kunstrichter  Platz  ge- 
funden; aber  enger  schliessen  sich  an  sie  ihre  Verwandten  und  Anhänger 
an,  die  gleichsam  eigene  Schulen  bildeten. 

Zu  der  Schule  des  Aischylos  gehörte  vor  allem  sein  Sohn  Euphorien. 
Derselbe  hat  4mal  mit  Stücken  seines  Vaters  gesiegt,  aber  auch  eigenes 
gedichtet.  Der  Schwestersohn  des  Aischylos,  Philokles,  erscheint  in 
Aristophanes  Thesmophoriazusen  noch  als  lebend;  nach  Suidas  hat  er 
100  Tragödien  gedichtet,  darunter  eine  Tetralogie  Pandionis.  Dass  er 
nicht  ohne  Talent  war,  zeigt  sein  Sieg  über  den  König  Oedipus  des  So- 
phokles. Söhne  des  Philokles  waren  Morsimos,  Tragödiendichter  and 
Augenarzt,  und  Melanthios,  welche  beide  den  bitteren  Spott  des  Aristo- 
phanes im  Frieden  V.  803  erfuhren. 

Sohn  des  Sophokles  war  der  Tragiker  lophon,^)  dem  Suidas  50  Dramen 
beilegt.  Schon  428  erlangte  er  neben  dem  Hippolytos  des  Euripides  den 
2.  Preis,  aber  man  kannte  sich,  wie  Aristophanes  in  den  Fröschen  V.  79 
boshaft  bemerkt,  nicht  recht  aus,  inwieweit  derselbe  auf  eigenen  Füssen 
stand  oder  durch  die  Beihilfe  seines  Vaters  in  die  Höhe  kam.  Ob  auch 
der  uneheliche  Sohn  des  Sophokles,  Ariston,  Tragödien  gedichtet  hat, 
steht  nicht  fest,  da  Diogenes  7,  164  nur  einen  'AQiatwv  noir/urjg  x^ayt^^iiaq 
ohne  Angabe  des  Vaters  erwähnt.  Der  Enkel  des  grossen  Tragikers, 
Sophokles  der  Jüngere,  Sohn  des  Ariston,  trat  wieder  als  Tragödien- 
dichter auf.  Wir  sahen  bereits  oben,  dass  er  den  Oedipus  auf  Kolonos 
nach  dem  Tode  des  Grossvaters  auf  die  Bühne  brachte;  einen  Sieg  des- 
selben im  Jahre  896  erwähnt  Diodor  XIV  58.  Im  ganzen  soll  er  nach 
dem  letzteren  12,  nach  Suidas  aber  nur  7 mal  gesiegt  haben. 

Euripides  der  Jüngere,  Neffe  des  berühmten  Tragikers, >)  brachte 
dessen  Iphigenia  in  Aulis  auf  die  Bühne  und  dichtete  auch  drei  eigene 
Stücke,  Orestes,  Medea,  Polyxene.  Von  einem  Sieg  desselben  hören  wir 
nichts.  —  Älterer  Zeitgenosse  des  Euripides  war  Aristarchos  aus  Tegea,^) 
der  unter  andern  zum  Dank  für  seine  Genesung  einen  Asklepios  schrieb 
(Aelian  fr.  101)  und  nach  Suidas  die  Tragödie  auf  ihren  jetzigen  Umfang 
{elg  %6  vvv  avTiüv  iirjxog)  brachte,*)  das  ist  von  beiläufig  1000  Versen,  wie 

*)  Osw.  Wolf,  De  lophonte  poeta  tra-  *)  Nach  Schol.  ad  Aiistoph.  Ran.  67  u. 

gico,  Lips.  Dias.  1884.    Die  sechs  Titel  bei  ,  Vita  Eurip.  war  er  ein  Sohn    des   groeaen 


Suidas,  UxMsvgn  TijX6g>og,  Uxiaitoy^  *lXiov 
Ttigais,  Jeiaf^eyog,  BdxxM,  kommen  bei  dem- 
selben Suidas  alle  auch  unter  KXeogxöy  'J9t]- 
yaiog  TQayixog  vor,  woran  Süsemihl,  Jahres- 
bericht d.  Alt.  XI 1, 18  die  Vermutung  knüpft, 
dass  jener  Tragiker  Kleophon  auf  eine  Ver 


Schreibung  von  lophon  hinauslaufe.  |  unten  S.  287  Anm.  2. 


Tragikers,  nach  Suidas  ein  Neffe. 

«)  Eusebius  zu  Ol.  81,  2  =  454  v.  Ch.: 
Äristarchus  tragoediographus  agnoscitur;  vgL 
Wblckbr,  Gr.  Tr.  931  f. 

^)  Oeri,  Die  Symmetrie  der  Verssalileit 
im  griech.  Drama,  Vortrag  Genf  1896.    Vgl. 


G.  Drama    2.  I>ie  Tragödie,    e)  Die  flbrigen  Tragiker. 


188-189.) 


277 


▼iel  des  Aischylos    Perser    und    des    Euripides   Alkestis    hatten.      Sein 
Achilleus  ward  von  Ennius  ins  Lateinische  übertragen. 

1S9.  Ion  aus  Ghios,^)  Zeitgenosse  der  drei  grossen  Tragiker,  kam  in 
frohen  Jahren  nach  Athen,  wo  er  in  den  Kreisen  des  Kimon  verkehrte 
nnd  den  Aischylos  kennen  lernte.*)  Später,  während  des  samischen  Krie- 
ges, traf  er  in  seiner  Heimat  mit  Sophokles  zusammen.  Der  Tod  traf 
ihn  vor  dem  Frieden  des  Aristophanes  (421).  Mit  einer  für  jene  Zeit 
merkwürdigen  Vielseitigkeit  dichtete  er  ausser  Tragödien  noch  Elegien, 
Hymnen,  Dithyramben  und  schrieb  in  Prosa  Reisememoiren  (^Emdrjfiiai 
oier  Tnofivrjfuxra)  und  ein  Geschichtswerk  über  die  Gründung  von  Chios.^) 
Den  Athenern  machte  er  sich  in  artiger  Freigebigkeit  dadurch  verbindlich, 
dass  er  nach  einem  Siege  jedem  Bürger  einen  Krug  Chierwein  schickte.*) 

Achaios^)  aus  Eretria,<^)  jüngerer  Zeitgenosse  des  Sophokles,  den  er 
aber,  wie  man  aus  den  Fröschen  des  Aristophanes  schliessen  muss,  nicht 
überlebte,  brachte  44,  nach  andern  nur  30  oder  24  Stücke  zur  Auffahrung 
and  erlangte  11  Siege;  einen  Namen  hatte  er  im  Satyrdrama. '^) 

Neophron  aus  Sikyon  gehört  der  gleichen  Periode  an,  wenn  wirk- 
Kch  seme  Medea  Vorbild  ffir  Euripides  war  oder  Euripides  seine  Medea 
unter  Neophrons  Namen  aufführen  Hess.  Suidas,  der  im  übrigen  ihn  mit 
Nearchos,  einem  Tragiker  aus  der  Zeit  Alexanders,  verwechselt,  legt  ihm 
120  Tragödien  bei  und  schreibt  ihm  die  Neuerung  zu,  Pädagogen  ®)  und  die 
Folterung  von  Sklaven  in  die  Tragödie  eingeführt  zu  haben. 

Xenokles  trug  im  Jahre  415  mit  der  Tetralogie  OiSinovg^  Avxdtov^ 
Baxxai^  *J&dfiag  den  Sieg  über  Euripides  davon,  worüber  sich  die  Freunde 
des  Euripides  skandalisierten,  wohl  mit  Recht,  da  ihn  und  seine  Sippe 
Aristophanes,  gewiss  kein  Freund  des  Euripides,  als  erbärmliche  Dichter 
verspottet.»)  Sein  Vater,  Karkinos,  war  Stratege  im  Jahre  431  und 
trat  zugleich  als  Tragödiendichter  und  Tänzer  auf.^^)  Sein  Sohn,  Karkinos, 
gleichfalls  Tragödiendichter,  ii)  stand  am  Hofe  des  jüngeren  Dionysios  in 
Ehren. 

Agathon,^^)  Sohn  des  Tisamenos^')  aus  Athen,  mehr  bekannt  durch 
die  witzige  Charakteristik,  welche  Aristophanes  in  den  Thesmophoriazusen 
Ton  ihm  entwirft,  und  die  Rolle,  welche  er  in  Piatons  Gastmahl  spielt, 
als  durch  seine   eigenen  Werke,   blühte   in   den   letzten   Dezennien   des 


*)  Eine  alte  Monographie  von  Baton, 
aagefUut  yon  AÜi.  486  b;  ans  neuerer  Zeit 
BmuT,  Op.  494—510;  Eöpkb,  De  lonis 
Ctii  Tita  et  fragmentis  1836.  Fb.  Scholl 
Wl  M.  32,  145  ff. 

*)  PSnt  Cim.  9  n.  16;  de  prof.  in  virt.  8. 

*)  SchoL  Arist  Fac.  835;  die  Fragmente 
iesanmelt  von  Müller  FHG  II  44—51. 
Aüserdem  ecfarieb  er  ein  Buch  Tg^yfioi, 
^  ecnen  t^loeophiechen  Inhalt  hatte. 

*)  Ath.  3  f. 

^)  Artikel  des  Suidas;  Ublighs,  Achaei 
i^ctrienflie  qnae  sapersont  collecta  et  illa- 
at>ita,Bomi  1834. 

*)  Eretria  hatte  berOhmte  Dionysosfeete 
(BcEiun,  Geogr.  Gr.  II  420);   über  das  von 


der  Amerikanischen  Schale  ausgegrabene 
Theater  von  Eretria  Döbpfbld,  Gr.  Theater 
112  ff. 

»)  CIA  11977^,  Diog.  II133. 

^)  Ein  Pftdagoge  tritt  in  der  Medea  auf. 

>)  Arist.   Tfaesm.  169  u.  441,  Ran.  86; 
vgl.  Vesp.  1501,  Nub.  1261. 

^^)  Kirchner,  Beiträge  zur  Geschichte  der 
attischen  Familien,  Berlin  1897  S.  83  f. 

^')  Suidas  erwfthnt  von  ihm  160  Dramen, 
aber  nur  einen  Sieg. 

^')  RiTsoHL,  De  Agathonis  tragici  aetate, 
1829,  jetzt  in  Opusc.  I  411  ff.;  Wblokbr, 
Gr.  Trag.  981  fl. 

")  Suid.;  SchoL  Arist.  Ran.  88;  Cbamer, 
Anecd.  Oxon.  IV  269.    Tisamenos  wird  auch 


L 


278 


Grieohisohe  latteratnrgMohichte.    I.  Klaasiaohe  Periode. 


5.  Jahrhunderts;  416  gewann  er  den  Sieg  an  den  Lenäen,^)  dessen  Feier 
Piaton  Anlass  zu  dem  erhaltenen  Symposion  bot.     Durch  seine  feinen  und 
eleganten  Manieren  mehr  wie  jeder  andere  zum  Hofmann  geeignet,  folgte 
er  um  407  mit  seinem  Liebling   Pausanias   einer  Einladung   des  Königs 
Ärchelaos  nach  Makedonien,  wo  er  wieder  mit  seinem  älteren  Genossen 
Euripides  zusammentraf.*)     Zur  Zeit  als  dieser  starb,   weilte   er  noch  in 
Pella,  was  Aristoph.  Ran.  85  mit  den  Worten  oixetai  iq  fiaxaQwv  svwxiav 
andeutet.     Nach  Athen    scheint   er   nicht  mehr   zurückgekehrt   zu    sein, 
wie  man  aus  den  Worten  des  Scholiasten  zu  jener  Stelle  entnehmen  muss. 
Die  Kunstrichtung  des  Agathen  entsprach  ganz  seinem  geschniegelten  und 
gebügelten  Äussern;   in  der  Sprache   ahmte  er  die   gesuchten  Antithesen 
des  Qorgias  nach;*)  in  der  Musik  liebte  er  die  süsslichen  Triller,  so  dass 
die  'Ayd^tovog  aidrjtng  sprichwörtlich  wurde;*)   seine  Chorgesänge   sanken 
zu  einem  blossen  Ohrenschmaus  herab  und  hatten  nur  noch  die  Bedeutung 
von  musikalischen  Zwischenspielen  {efißoXifia).^)    Im  Inhalt  wagte   er  die 
grosse  Neuerung,   zu  seiner  Tragödie  'Av&og  die  Fabel  ganz  frei  zu  erfin- 
den, ß)     Übrigens  fand  er   mit  seiner  feinen,   geistreichen  Art  vielen  An- 
klang; insbesondere  hat  Aristoteles  für  ihn  fast  nur  Worte  der  Anerkennung. 
190.   Mit  dem  Tode  des  Euripides  und  Sophokles  verödete  die  tra- 
gische Bühne.     Es  lebten  zwar  noch  im  4.  Jahrhundert  Dichter  genug, 
welche  für  die  Bühne  schrieben  und  die  Aristoteles  der  Beachtung  wert 
hielt;  aber  die  Trift  der  tragischen  Muse  war  abgegrast,  und  da  das  Hin- 
übergreifen auf  historische  und  rein  fingierte  Stoffe  keinen  Anklang  fand, 
so  bewegten  sich  die  Tragödiendichter  wesentlich  in  dem  Geleise  der  alten 
Fabeln  und  hatten  ihre  liebe  Not,  den  vergriffenen  Stoffen  durch  Änderung 
in  £[leinigkeiten,   wie  des  Ortes  oder  der  Erkennungsweise,  irgend  eine 
neue  Seite  abzugewinnen;^)  nur  selten  glückte  es  einem  Dichter  mit  einer 
ganz  neuen  Tragödie  zu  debütieren;  er  fand  dann  aber  auch  aussergewöhn- 
lichen  Beifall,   wie  Astydamas  mit  seinem  Parthenopaios.     Leichte   und 
elegante  Handhabung  der  Sprache  war  damals  eine  sehr  verbreitete  Kunst 
und  die  Tragiker  verstanden  sich  auf  dieselbe  um  so  mehr,  als  sie  meist 
aus  der  Schule  von  Rhetoren  hervorgegangen  waren;  aber  die  geschickte 
Mache  und  die  geistreichen  Metaphern  vermochten  nicht  den  Mangel    an 
Naturwahrheit  und  warmer  Empfindung  zu  ersetzen.     Drei  Dinge   waren 
es  insbesondere,  welche  diese  Periode  der  Nachblüte  der  tragischen  Kunst 
charakterisierten.    Erstens  wurde  es  üblich,  auch  an  den  grossen  Dionysien 
neben  neuen  Tragödien  auch  alte  zuzulassen;  die  neu  aufgefundenen  Didas- 


als  Vater  des  Tragikers  Akestor  genannt;  das 
veranlasste  Mülleb-Stbübiivg,  Aristoph.  und 
die  hist.  Kritik  562  f.  zu  kühnen  Hypothesen. 

^)  Ath.  271  a;  dazn  stimmen  die  langen 
Nächte  in  Plat.  Symp.  223  c. 

^)  Nette  Anekdote  von  Euripides,  der  den 
schönen,  aber  schon  40j&hrigen  Agathen  beim 
Gelage  kOssen  will,  bei  Aelian  V.  H.  XIII  4. 

')  Schol.  ad  Luc.  rhet.  praec.  11.  Bei 
Aelian  V.  H.  XIV  13  sagt  er  witzig  zu 
einem,  der  die  Antithesen  ans  seiner  Rede 
entfernen  wollte:  X^Xfj^ag  aavroy  roy  ^Aya- 
&ioya  ix  tov  'Ayd^toyot:  äipayi^aty. 


^)  Suidas  und  Hesychius  unter  'Jya^t^ 
yog  avX.  Nach  Plut  Symp.  III  1  brachte  er 
die  chromatische  Musik  in  die  Tragödie. 

*)  Arist.  Poet.  18. 

*)  Arist.  Poet  9.  Ausserdem  kennen 
wir  von  ihm  die  Titel  *jisg6nij,  'AlxfAima^^ 
SvectTfs,  Mvaoi,     Ti^Xetpog. 

^)  Arist.  Poet.  13:  ngatoy  ol  Troii^Tcrc 
TowV  ryxoyzas  uv&ovg  arnj^l^fiowj  rvr  ^^ 
nsQi  oXiyas  oUiag  al  zqaym&Lat  <rv»^t>€rf  a«., 
oloy  nsol  'AXxfialtoya  xai  OiSinovy  xai  *0^ä^ 
atfiy  xai  MsXiaygoy  xal  Svi^Tfjy  xat  TijXBffom^^ 


C.  Drama.    2.  Die  Tragödie,    e)  Die  übrigen  Tragiker.    (§  190.) 


279 


kaiien  CIA  n  973  zeigen  uns,  dass  in  den  Jahren  341—839  regelmässig 
eine  alte  Tragödie  den  neuen  Tragödien  vorausging.  Zweitens  begann 
das  Publikum  Aufmerksamkeit  und  Beifall  fast  in  höherem  Grade  der 
SchauBpielerkunst  als  den  Dichtern  und  den  Texten  zuzuwenden,^)  so  dass 
der  Schauspieler  in  den  Didaskalien  genannt  und  für  die  Schauspieler  ein 
besonderer  Wettkampf  eingerichtet  wurde. ^)  Drittens  kam  die  Unnatur 
von  Dramen  auf,  die  zum  Lesen  (avcrp'eocmxa),  nicht  zum  Spiel  auf  den 
Brettern  {ayfonarixä)  bestimmt  waren  ;^)  speziell  hat,  wie  wir  aus  Aristo- 
teles Rhet  in  12  erfahren,  Ghairemon  solche  Lesetragödien,  wie  Likym- 
nios  derartige  Dithyramben  gedichtet.  Weniger  berQhrte  die  Kunst  und 
das  Wesen  des  Dramas  der  äusserliche  Umstand,  dass  seit  dem  4.  Jahr- 
hundert Athen  aufhörte,  einzige  Pflegestätte  der  dramatischen  Kunst  zu 
sein,  und  dass  auch  in  Syrakus,  Korinth,  Argos,  Pherä,  Megalopolis,  Eretria 
ond  anderen  Städten  Tragödien  aufgeführt  wurden.^) 

Von  Dichtern  werden  aus  der  Wende  des  5.  Jahrhunderts  genannt 
Eritias  und  Theognis,  die  beide  zu  den  30  Tyrannen  gehört  hatten, 
ferner  Meletos,  der  als  Ankläger  des  Sokrates  eine  traurige  Berühmtheit 
erlangt  hat,*)  und  Kleophon,  der  ausser  Tragödien  einen  Dialog  Mandro- 
bulos  dichtete. <*)  Nur  zum  Gespötte  diente  Dionysios  der  Ältere, 
lyrann  von  Syrakus,  der  auch  als  Dichter  glänzen  wollte'')  und  sogar  in 
Athen  kurz  vor  seinem  Tod  (367)  mit  einer  Tragödie  "ExTOQog  kvxqa  den 
ersten  Preis  gewann.*)  Dem  4.  Jahrhundert  gehörten  ferner  an:  Asty- 
damas,  Sohn  des  Tragikers  Morsimos,  der  anfangs  den  Rhetor  Isokrates 
hörte,  sich  aber  dann  zur  Tragödie  wandte.  Ein  ausserordentlich  frucht- 
barer Dichter  (Suidas  legt  ihm  240  Tragödien  bei)  erfreute  er  sich  zu- 
gleich einer  grossen  Gunst  des  Publikums;  er  trug  15  Siege  davon ^)  und 
erhielt  ob  seines  Parthenopaios  die  Ehre  einer  Statue.  ^^)  Die  Kunst  des 
Vaters  vererbte  sich  auf  seinen  Sohn,  den  jüngeren  Astydamas.  Theo- 
dektes  aus  Phaseiis  in  Lykien,  Schüler  des  Piaton  und  Isokrates,  war 
gleich  angesehen  als  Redner  und  Tragiker.  Ein  schöner  und  gewandter 
Mann  war  er  in  den  Kreisen  der  Platoniker,  namentlich  von  Aristoteles, 


')  Arist  Rhei  III  1:  ^tCor  dvyayrat  vvv 

*)  Plnt  Vit.  dec.  orat  841  e,  Alciphron 
ep.  Ifl  48;  vergl.  Müllbb,  Gr.  Bflhn.  329. 
Bcrtbmte  Sehaospieler  waren  damals  Polos, 
Hieodoros,  Aristodemoa,  Neoptolemos,  -Ai- 
«efcbeB.    Vgl.  Welckkb  Gr.  Tr.  911  ff. 

')  Schon  in  Anstoi^anea  Fröschen  V.  58 
Inst  DionyaoB  wfthrend  des  Feldzngs  anf 
dem  Kriegsschiff  ftlr  sich  die  Andromeda 
des  EuipideB. 

«)  M6LLKB,  Gr.  BOhn.  876  ff.  In  Syra- 
bis,  wo  Epicharmos  lebte  nnd  Aischylos 
wiae  Perser  anff&hren  liess,  gab  es  gewiss 
•du»  froher  ein  Theater. 

*)  Meletos  war  Verfasser  einer  Oith- 
'•^.  Bei  dem  Scholiasten  za  Fiat  Apol.  18b 
tawt  er  tgaymdias  ipavlof  n»rjt^s;  yergL 
WiuaMB,  Gr.  Trag.  970  ff. 

*j  Aristot  soph.  eL  l^,  poet  2. 


'}  Nach  Snidas  hat  er  Tragödien  nnd 
Komödien  gedichtet  nnd  demnach  die  For- 
derung des  Sokrates  in  Fiat.  Symp.  extr. 
erfüllt;  aber  die  Komödien  werden  bezweifelt, 
s.  Wblokbb  1229. 

«)  TzBTZBS  Chil.  y  180;  nach  demselben 
Ghil.  y  185  spottete  er  in  einem  Drama  ttber 
Flaton.  Eine  Darstellung  aus  der  Tragödie 
von  Hektors  Lösung  findet  sich  auf  einem 
Wandgem&lde  von  Fompeji;  s.  Bauxbistbb, 
n.  1949. 

')  Einen  Sieg,  vielleicht  den  ersten,  er- 
wfthnt  die  parische  Chronik  zu  872;  vergl. 
Wblckbb  1052  ff.;  den  Sieg  mit  dem  Far- 
thenopaios  im  Jahre  840  bezeugt  CIA  11 978. 

^^)  Die  Basis  der  Statue  mit  Inschrift 
wurde  jüngst  am  Dionysostheater  aufge- 
funden; s.  KöHLBB  Athen.  Mitteil.  III  116; 
Döbpfbld-Rbisgh,  Das  griech.  Theat.  S.  38. 


280 


Grieohisohe  Litteratnrgesohichte.    I.  Elassisohe  Periode. 


gern  gesehen;  auch  am  Hofe  der  Artemisia  stand  er  in  Ehren  und  ward 
nach  Halikamass  berufen,  um  dem  Mausollos  die  Leichenrede  zu  halten 
(352).^)  Gestorben  ist  er  in  Athen  im  Alter  von  41  Jahren;  an  der  hei- 
ligen Strasse  nach  Eleusis  stand  sein  grossartiges  Orabdenkmal,  auf  dem 
er  sich  rühmte,  bei  13  Wettkämpfen  8  Siegeskränze  davongetragen  zu 
haben.')  Ausser  Tragödien  hatte  er  Reden  und  eine  berühmte  tsxvtj  ^r^ 
TOQixT]  geschrieben.')  Mo  schien,  ein  oft  aufgezogener  Oourmand, 
griff  zur  poUtischen  Tragödie  zurück  in  seinem  Themistokles  und 
seinen  Pheräem,^)  von  welchen  Dramen  das  erste  den  Tod  des  Themisto- 
kles behandelte,  das  zweite  sich  auf  den  Untergang  des  Alexander  von 
Pherä  bezogen  zu  haben  scheint.  Sonstige  Tragiker  unserer  Periode  waren 
Chairemon,  Verfasser  von  Lesetragödien  und  eines  aus  verschiedenen 
Versen  zusammengesetzten  Gedichtes  KävravQog,^)  Polyeidos,  der  nach 
Arist.  Poet.  17  eine  neue  Lösung  der  Wiedererkennung  der  Iphigeneia  ei^ 
sann,  Dikaiogenes,  Aphareus,  Kleainetos,  die  Eyniker  Diogenes 
von  Sinope,  Krates,  Antiphon,  Python  u.  a. 


3.  Die  Komödie.') 

a)  Die  Anfängre  der  Komödie  in  Griechenland  und  Sikllien. 

191.  Die  Komödie  lässt  Aristoteles,  wie  wir  oben  §  140  sahen,  von 
den  Vorsängern  der  Phalloslieder  {äno  twv  i^aqx6v%(av  %d  tpalXtxd) 
ausgehen.  Solche  Aufzüge  von  Phallosträgem  (q>akXo^6Qoi)  ^  die  mit 
einem  grossen  Phallos,  dem  Symbol  der  Zeugungskraft  des  Naturgottes, 
umherzogen,  fanden  an  vielen  Orten  statt.  Von  ihrem  Brauch  an  den 
ländlichen  Dionysien  gibt  uns  Aristophanes  in  den  Achamern  259  ff.  ein 


^)  Gellins  X  18,  7  spricht  von  einer 
Tragödie  Mansolus. 

•)  Steph.  *aotjXUy  und  Paus.  I  37,  3. 

•)  Daher  von  Cicero  Or.  51  artifex  ge- 
nannt; aof  dieses  Handbuch  scheinen  auch 
die  SeodextBia  des  Aristoteles  Bezug  zu  haben; 
vgl.  Spbnobl,  Artinm  scriptores  p.  168. 

*)  Ribbeck  Rh.  Mus.  30,  147  ff. 

6)  Vgl.  Aristot.  Poet.  2  p.  1447^  20, 
Ath.  608  e. 

^)  Von  den  Alten  handelte  Aristoteles 
im  2.  Buch  der  Poetik  von  der  Komödie, 
woraus  verzettelte  Reste  auf  uns  gekommen 
sind,  die  J.  Bbrnats,  Zwei  Abhandlungen 
Ober  die  arist  Theorie  des  Dramas  133  ff. 
ins  rechte  Licht  gestellt  hat.  Ausserdem 
schrieb  der  Peripatetiker  Ghamaileon  negi 
xwiniodiag  in  mindestens  6  B.,  und  beschfldT- 
tigten  sich  in  Alexandria  Lykophron,  Era- 
tosthenes,  Eumelos,  Aristophanes  Byz.,  Ari- 
storch  mit  der  Komödie.  DerKrateteer  Hero- 
dikos  schrieb  KtofjLta^ovfABva^  die  den  Tqa- 
yto&ovfABvtt  des  Asklepiades  entsjn^chen  zu 
haben  scheinen.  Erhalten  sind  uns  aus  rö- 
mischer Zeit  mehrere,  den  Aristophanes- 
scholien  vorausgeschickte  Traktate,  nftmlich 
Platonios  ^x  tiSy  nsgl  ^tatpogäg  xtafAwdnoy 
(I)  und  neQi  Siafpo^g  /a^axri/pa»»'  (U),  femer 


ein  Anonymus  negl  xatfu^dlas  (Dl)  mit  wert- 
voller Charakteristik  der  Dichter  (Neudruck 
von  Studemund  in  Philo).  46,  13),  endlidi 
Andronikos  uegi  roff ea»c  noitjrwy  (X).  —  Aus 
dem  Mittelalter  stammen  die  Verse  des 
TzBTZBS  negi  xwfAadlas  und  dessen  Pro- 
legomena  in  Aristophanem  (ed.  Keil  in 
RiTscBL  Opusc.  II 97  ff.),  womit  das  Scholinm 
Plautinum,  neu  bearbeitet  von  Studemund, 
Phil.  46,  1 — 26,  zusammenhftngt  —  Neuere 
Bearbeitungen:  Bergk,  Gommentationes  de 
reliquüs  comoediae  atticae  antiquae,  Lipsiae 
1838;  Aüo.  Mbinbke,  Historia  critica  comi- 
corum  graec,  Berol.  1839,  5  vol.,  Hauptwerk; 
der  erste  Band  enthält  die  Littmtnrge- 
schichte  der  Komödie,  die  Übrigen  die  Frag- 
mente; ed.  minor.,  Berol.  1847,  2  voL;  Kock, 
Comicorum  atticorum  fragm.,  lipe.  1880 
bis  1888,  3  Bde.  Kaiwbgibssbr,  Die  alte 
kom.  Bühne  in  Athen,  Bresl.  1817,  geistvoll 
aber  antiquiert;  Dum^ril,  Histoire  de  la 
com^die  ancienne,  Par.  1869,  wozu  wichtig 
ErgSnzungen  von  Naück,  M61.  gr.-rom.  VI 
Petersburg  1892;  Blatdbs,  Adversaria  in 
Comic,  graec.  fragmenta,  Halis  1890  und 
1896.  KöRTB,  Archäologische  Studien  zur 
alten  Komödie,  Arch.  Jahrb.  YIII  (1893)  61  €L 


CDnina.    3,  Die  KomOdie.    a)  Die  Anfftnge  der  Komödie«    (§§  191—192.)    281 

anschaaliches  Bild.^)  In  Lindos  auf  Rhodos  zog  nach  Athen,  p.  445  schon 
ZOT  Zeit  der  Sieben  Weisen  Antheas  in  bacchischem  Anzug,  gefolgt  von 
phaDoetragenden  Genossen,  in  dem  Land  umher,  den  nachfolgenden  Schwärm- 
geeeUen  lustige  Verse  vorsingend.  Genauer  beschreibt  uns  Semos  bei 
Athen,  p.  622  aus  späterer  Zeit  solche  Aufzüge  in  Delos:  die  Phallophoren 
ziehen  zuerst  im  raschen,  iambischen  Takt  in  die  Orchestra  ein;  dann  laufen 
ae  auf  die  einzelnen  zu  und  überschütten  dieselben  mit  Spottversen. 
Ahnlich  war  die  von  Herodot  V  83  geschilderte,  in  Aegina  heimische  Feier 
der  Pruchtgöttinnen  Damia  und  Auxesia,  von  der  die  Spottverse  in  Aristo- 
phanes  Fröschen  416  ff.  ein  Abbild  geben.*)  Verwandter  Natur  waren  die 
Spässe  der  Deikelisten  in  Sparta,  die  mit  Geberden  und  Worten  bald  einen 
fremden  Quacksalber,  bald  einen  Krautdieb  nachahmten, 3)  die  Scherze  der 
vennnnunten  Bauern  und  Hirten  in  Sparta  und  Sikilien,*)  die  komischen 
Gesänge  der  Hilaroden  und  Magoden  in  Unteritalien.  ^) 

198.  Aus  diesen  volkstümlichen  Schwänken  und  Neckereien  sind  die 
verschiedenen  Arten  der  komischen  Muse  hervorgegangen.  Die  Komödie 
knüpfte  zunächst  an  die  Phallika  an;  denn  sie  war  und  blieb  mit  dem 
Kultus  des  Dionysos  und  seinen  Festen  aufs  engste  verknüpft.  Ihre  An- 
finge sucht  Aristoteles  Poet.  3  bei  den  dorischen  Megarern,  den  nisäischen 
im  griechischen  Festland  und  den  hybläischen  in  Sikilien.*)  Im  fest- 
landischen Megara  gab  die  Ochlokratie  nach  dem  Sturze  des  Tyrannen 
Theagenes  (um  600)  dem  Spott  der  Phallophoren  freien  Lauf;"')  zur  kunst- 
vollen Entwicklung  ist  aber  der  megarische  Scherz  (MeyaQixov  (xxäfifxa) 
nicht  gekommen;  man  sprach  in  Athen  von  ihm  nur  im  Sinne  von  grober 
Posse  und  plumpem  Einfall.^)  Eine  Hauptfigur  desselben  war  der  Maison, 
worunter  man  sich  die  stehende  Maske  eines  drolligen  Koches  zu  denken 
hat»)  —  Nach  Attika,  und  zwar  nach  dem  Demos  Ikaria,  wo  wir  auch  die 
Wiege  der  Tragödie  fanden,  verpflanzte  die  Komödie  Susarion.  Es  sind 
nns  von  ihm  noch  5  Verse,  freilich  von  zweifelhafter  Echtheit  erhalten, 
worin  er  sich  als  Sohn  des  Philinos  aus  Megara  einführt  und  die  grosse 
Weisheit  verkündet  xal  ydq  %6  yiiiiai  xai  rd  /i?j  y^/*at  xaxov.  Die  parische 
Chronik  lässt  ihn  zwischen  581  und  562  in  Ikaria  auftreten  und  als  Sieger 
einen  Korb  von  Feigen  und  eine  Amphora  Wein  davontragen.  Aber  die 
Stegreifwitze  {amoaxBSidafxata)  dieses  alten  Lustspiels  zogen  nicht  in 
gleichem  Grade  wie  die  Anfänge  der  Tragödie  die  Aufmerksamkeit  der  Ge- 
bildeten und   der  Stadt  auf  sich.     So  blieb,    wie  Aristoteles  sagt,^^)    die 


')  Entartet  ist  der  von  Schmeichelei 
fibentrOmende  Phallosgesang  der  Athener  zu 
Hiien  des  vergDiterten  Demetrios  bei  Athen, 
p.  253,  doch  so,  dass  man  auch  da  noch  im 
BbjtJinraB  und  Ton  die  Sparen  der  alten 
mtysiflchen  Spottyerse  erkennt. 

')  Von  Phidlophoren  in  Sikyon,  der  alten 
Heimat  des  Bocksgesangs,  spncht  Aih.  621. 

»)AÜL621d. 

*)  Vgl.  den  Traktat  nBQi  trjg  svQccewg 
w»»  ßotncoXixtoy  vor  den  Theokritscholien. 

*)  Atii.  621;  vgl  Grtbab,  De  Dorien- 
«na  comoedia,  Colon.  1828,  mid  unten  §  377. 


*)  Aspasios  zu  Arist.  Eth.  Nie.  IV  6 
nennt  die  Megarer  Erfinder  der  Komödie; 
vgl.  Anth.  XI  32.  Wilamowitz,  Die  mega- 
rische Eom(>die,  Herrn.  9,  319  ff.  wollte  die 
megarische  Komödie  auf  Witze  attischer 
Komödiendichter  reduzieren. 

^)  Plut.  Quaest.  gr.  p.  295d;  Anth.  XI 440. 

*)  Aristoph.  Vesp.  57;  Eupolis  in  den 
Scholien  dazu;  Ekpnantides  bei  Aspasios 
a.  0. 

®)  Aristophanes  Byz.  bei  Ath.  659;  Mbi- 
NBKB  I  55  f. 

***)  Arist.  Poet.  5;  ij  <f.^  xai^u^Jt«  dte?  rS 


i 


282 


Orieohisohe  Litteratnrgeaohiohte.    I.  Elusisohe  Periode« 


Komödie  unbemerkt,  und  dauerte  es  an  100  Jahre,  bis  in  Athen  von  Staats- 
wegen Wettspiele  fQr  Eomödiendichter  eingerichtet  wurden. 

193.  Inzwischen  waren  schon  in  Sikilien  die  Keime  der  dorischen 
Komödie  aufgegangen  und  hatte  bereits  Syrakus  neben  Phormis')  den 
grossen  Dichter  Epicharmos*)  hervorgebracht.  Derselbe  stammte  aus 
Kos,  war  aber  schon  als  Knabe  nach  Megara  in  Sikilien  und  später  nach 
Syrakus  gekommen,  wo  die  Tyrannen  Gelon  und  Hieron  den  Glanz 
ihrer  Herrschaft  durch  lyrische  und  theatralische  Festspiele  zu  er- 
höhen suchten.  Seine  philosophische  Bildung  gab  sich  in  vielen  weisen 
Sprüchen  kund,  so  dass  die  Fythagoreer  die  Fabel  aufbrachten,  er  habe 
ehedem  zu  ihrem  Bunde  gehört  und  sei  erst  später  zur  Komödie  über- 
getreten.*) Suidas  setzt  ihn  in  das  6.  Jahr  vor  den  Persika,  d.i.  486,  was  wohl 
mit  seiner  Übersiedelung  nach  Syrakus  zusammenhängt.  Bei  ungeschwächter 
Geisteskraft  erreichte  er  das  hohe  Alter  von  90  Jahren.^)  Das  Andenken 
des  Dichters  ehrten  später  die  Syrakusaner  durch  ein  ehernes  Standbild, 
wozu  Theokrit  ein  Epigramm  dichtete.^)  Seine  Komödien,  deren  Zahl 
zwischen  36  und  52  schwankt,  waren  zum  grösseren  Teil  mythologische 
Travestien,  die  sich,  wie  schon  die  Titel  Kvxloyip^  "A^vxog^  BovtnQig,  nqo- 
fia&€vg  zeigen,  am  meisten  dem  attischen  Satyrspiel  näherten.  Im  Busiris 
war  eine  Hauptperson  Herakles,  wie  er  sich  in  den  Vorratskammern 
des  erschlagenen  Unholdes  gütlich  that;  in  "Hßag  yapLog  bildete  den 
Mittelpunkt  der  Hochzeitsschmaus  mit  den  leckeren  Speisen  von  Fischen, 
Austern,  Vögeln,  Kuchen;  in  dem  "Hipaiatog  war  die  Fesselung  der 
Hera  auf  dem  Throne  dargestellt,  weil  sie  aus  Eifersucht  dem  Herakles 
Nachstellungen  bereitet  hatte.  <^)  Andere  Stücke  boten  Bilder  aus  dem 
gewöhnlichen  Leben,  wie  der  Bauer  (AyQuaatlvog)  und  die  Festbesncher 
{ßsaqoi)^  oder  witzige  Wettkämpfe  und  philosophischen  Wortstreit,  wie 
Aoyog  xai  Aoyiva  und  Aif^avofievog  Xoyog.'^)  Geschrieben  waren  seine  Lust- 
spiele im  dorischen  Dialekt  der  Syrakusaner;  von  Versen  gebrauchte  er 
ausser  dem  iambischen  Trimeter  insbesondere  den  trochäischen  und  ana- 
pästischen Tetrameter,    den  letzteren  in  zwei  Komödien,   den  XoQhvoi^teg 


XOQoy  xfofA^^iav  6\^i  nore  6  ägx^^  edtoxeyj 
«AÄ*  i&eXoyrai  i^cav  '  tj&ti  &k  arijfaard  xiya 
avxfjg  ^x^^^V^  ^^  XByofxevoi  avrrjg  Ttoitjrai 
fAyrifÄOV€vr*yxai,  Suidas  u.  'Enlj^aQi^os  nennt 
aus  jener  ftlteren  Zeit  die  Namen  Enetes, 
Euxenides,  Myllos;  der  letzte  steht  auch 
bei  Biomedes  p.  488,  24  E. 

^)  Aristot.  Poet.  5.  Der  von  Epichannos 
in  Logos  und  Logina  erwähnte  Dichter  Aristo- 
xenos  war  wahrscheinlich  kein  Komiker, 
sondern  ein  lambograph. 

')  lieber  Epicharmos  ein  Artikel  des 
Suidas  und  Diog.  8,  78.  Lorenz,  Leben  und 
Schriffcen  des  Koers  Epicharmos,  Berl.  1864; 
Leop.  Schmidt,  Quaestiones  Epicharmeae, 
Bonn  1846.  Die  Fragmente  gesammelt  von 
Abbens,  De  gr.  ling.  dial.  t.  II  im  Anhang.  Ein 
neues  Bruchsttlck  aus  dem  'Odvaatvg  avzo- 
fioXog  gefunden  von  Gohpbbz,  Mitteil,  aus 


der  Sammlung  der  Papyrus  des  Erzhenogs 
Rainer,  Bd.  Y;  dazu  v^.  Blass,  Jahrb.  für 
Phü.  139  (1889)  S.  257  ff. 

')  Gedichte  des  Epicharmos  mit  pytha- 
goreischer Weisheit  hat  Euripides  benntzt» 
nachgewiesen  von  Wilaxowitz,  Eut.  Herakl. 
129  f. 

«)  Von  90  Jahren  nach  Diog.  8,  78;  von 
97  nach  Luc.  Macr.  25. 

')  Theoer.  epigr.  17;  ein  anderes  Epi- 
gramm bei  Diog.  8,  78. 

^)  Darauf  ward  ehedem  das  Vasenbild 
bei  WiESELBR,  Theatergebäude  Taf.  9,  14  be- 
zogen, während  Wieseler  selbst  die  Dar- 
stellung auf  ein  anderes  St&ck  bezieht. 

')  J.  Bern  ATS,  Epichannos  und  der 
Av^avofisvog  Xoyog,  Ges.  Abh.  1  109 — 117. 
Ueber  die  Verspottung  des  äschylischen  Born* 
bastes  durch  Epicluurm  s.  SchoL  ad  Aeseh. 
Eum.  626. 


ClhwiuL    8.  Die  Kom&die.    a)  Die  Anf&nge  der  Kom5die«     (§§193—194.)    283 

und  dem'Emvixiog^  durchweg;^)  seine  trochäischen  Tetrameter  hatten  durch 
die  Mufigen  Auflösungen  der  Längen  einen  ungleich  bewegteren  Charakter 
als  die  entsprechenden  Verse  des  attischen  Dramas.  Mit  der  Raschheit 
des  trochäischen  und  anapästischen  Rhythmus  paarte  sich  die  Lebhaftig- 
keit der  Aktion,  so  dass  seine  Komödien  zu  den  fabulae  motoriae  gerechnet 
wurden,  worauf  sich  der  bekannte  Vers  des  Horaz  epist.  II  1,  58  bezieht: 
Plautus  ad  exemplar  Siculi  properare  Epicharmi,  Einen  Hauptanziehungs- 
punkt aber  in  den  Qedichten  unseres  Epicharmos  bildete  die  Fülle  treffender 
Sentenzen, >)  weshalb  Piaton  Theaet.  152  e  ihn  auf  eine  Linie  mit  Homer 
stellt  Ennius  hat  sein  philosophisches  Lehrgedicht,  weil  es  mit  Sentenzen 
des  sikilischen  Komikers  angefüllt  war,  geradezu  Epicharmus  überschrieben. 
Das  Studium  des  Dichters  erhielt  sich  noch  lange  bei  Philosophen  und 
ßrammatikern,  von  denen  Apollodor  aus  Athen  eine  Ausgabe  mit  Kom- 
mentar in  10  B.  veranstaltete;')  auf  uns  gekommen  sind  leider  nur  Bruch- 
stücke. —  Schüler  oder  Sohn  des  Epicharmos  war  Deinomachos  (Suid.). 

194.  In  demselben  Syrakus  bildete  sich  im  Anschluss  an  das  volks- 
tümliche Possenspiel  der  Mimus  aus.*)  Die  ganze  dramatische  Dichtkunst 
beruhte  auf  Nachachmung;  Mimus  aber  hiess  speziell  die  Nachahmung  einer 
bestimmten  Situation  oder  Person.  Er  unterschied  sich  also  von  der  Ko- 
mödie dadurch,  dass  er  des  Chors  entbehrte  und  keine  Handlung  zur  Durch- 
führung brachte.  Der  berühmteste  Vertreter  dieser  Gattung  war  Sophron, 
von  dem  Suidas  folgendes  überliefert:  „Sophron  aus  Syrakus,  Sohn  des 
Ägathokles  und  der  Damnasyllis,  lebte  zur  Zeit  des  Xerxes  und  Euripides 
und  schrieb  f.iifiovg  dvdQSiovg  (wie  ayyeXogy  xß^vvvo&i^Qag,  yäqovxsg^  äXmg) 
und  fUfiovg  yvvaixsiovg  (wie  ax€<rtQiai,  wiiffonorog^  nevx^tQci,  'iffxf-fAid^ovffai)  ; 
sie  sind  in  Prosa,  in  dorischem  Dialekt  geschrieben;  man  sagt,  dass  der 
Philosoph  Piaton  immer  mit  ihnen  verkehrte,  so  dass  er  sogar  zuweilen 
auf  ihnen  schlief.  *  Dem  Piaton  warfen  seine  Neider  sogar  vor,  dass  er 
in  seinen  Dialogen  nur  die  Mimen  des  Sophron  kopiert  habe;  in  den  Idyllen 
des  Theokrit  sind  uns  noch  einige  Nachahmungen  erhalten,  welche  uns  für 
den  Verlust  der  Originale  entschädigen  müssen.*^)  Neben  Sophron  wird 
als  Himendichter  sein  Sohn  Xenarchos  aus  der  Zeit  des  Tyrannen  Dio- 
nyaioß  genannt.«) 

Aus  dem  Mimus  hat  sich  auch  bereits  im  4.  Jahrhundert  der 
Pantomimus  entwickelt,  wie  wir  aus  dem  Gastmahl  des  Xenophon  c.  9 
ersehen.  Dort  nämlich  führt  zum  Schluss  des  Mahls  ein  syrakusanischer 
Tanzmeister  mit  seinem  Personal  den  Pantomimus  Ariadne  und  Dionysios 
zum  grossen  Ergötzen  der  Zuschauer  auf.     Von  dem  gleichfalls  aus  dem 


,  Hephaestios  c.  8.  |  den  Gauklern  und  Jongleurs  gibt  Hbrm.  Reich, 

')  yieicitiert  ist  der  Vers,    vdfpe   xai   \  Die  ältesten  berufsmässigen  Darsteller  des 

griechisch-italischen  Mimus,  Progr.  Königs- 
berg 1897.  Im  Altertum  schrieb  Apollodor 
einen  Kommentar  zu  Sophron. 

^)  Der    rhythmische    Hymnus    Gregors 
von  Nazianz  in  meiner  Anth.  christ.  p.  29  wird 
von  alten  Grammatikern  missverständlich  auf 
das  Vorbild  Sophrons  zurückgeführt. 
•)  Suidas  u.  ^yivovg,  Arist.  Poet.  1, 


fiifirso'  dnicxeiv  '  agOga  ravta  tioy  (pgevtSy. 

■)  Porphyiios  in  Vit  Plotin.  24;  wahr- 
Kheinlich  umfasste  jedes  Buch,  oder  rich- 
tiger jeder  Tomos  eine  Tetralogie. 

*)  Führ,  De  mimis  Graecorum,  Berlin 
1S60.  Haülsb,  Der  Mimus  von  Epicharm 
^  Sophron,  1893  in  Xenia  Austriaca  I  79 
^  136;  eine  lebensvolle  Darstellnng  der 
»tikeD  Mimen  und  ihrer  Verwandtschi^  mit 


i 


284  Grieohisoha  Littenttargasohioht«,    I.  Klamisohe  Periode. 

Mimus   entstandenen  Mimiambus   werden   wir    erst   weiter   unten    unter 
Herondas  handeln. 

b)  Die  altattische  Komödie. 

195.  Festen  Boden  und  dauernde  Heimstätte  gewann  die  Komödie 
in  Attika,  dem  Lande  demokratischer  Freiheit  und  geistreichen  Scherzes. 
Doch  kam  dieselbe  hier  erst  später  zur  Entfaltung  und  nahm,  da  das 
ältere  Satyrspiel  einen  Teil  ilu-es  Gebietes,  die  mythologische  Posse, 
bereits  okkupiert  hatte,  eine  etwas  abweichende  Richtung.  Das  Leben 
der  Gegenwart,  das  öffentliche  und  private,  bildete  fQr  die  attische  Ko- 
mödie in  allen  ihren  Wandlungen  den  Hauptgegenstand  des  heiteren  Spieles. 
Ausser  an  die  phallischen  Aufzüge  der  Dionysien  knüpfte  sie  hier  an  die 
scherzhaften  Neckereien  der  sogenannten  Gephyrismen  {y€ipvQi<Tfiof)  an. 
Es  war  nämlich  bei  den  jährlichen  Prozessionen  zur  Mysterienfeier  in 
Eleusis  Sitte,  dass  an  der  Brücke  {yt^vQo),  welche  über  den  Kephissos 
führte,  Witzbolde  sich  zu  beiden  Seiten  aufpflanzten  und  in  bald  scherzenden, 
bald  beissenden  Versen  die  Vorübergehenden  neckten. i)  Auch  die  Freiheit, 
mit  der  man  vom  Wagen  herab  bei  bacchischen  Aufzügen  auf  die  Leute 
rechts  und  links  seinen  Spott  ausgoss,  und  die  Neigung  zur  Posse  und 
Nachahmung  der  menschlichen  Schwächen  in  Tiergestalten  gaben  der 
attischen  Komödie  Nahrung  und  zogen  in  ihr  das  Element  des  aus  dem 
Leben  und  der  Gegenwart  genommenen  Scherzes  und  Spottes  gross.*) 

Zur  Blüte  kam  in  Attika  die  Komödie  erst,  nachdem  dieselbe  in  die 
öffentliche  Feier  der  Dionysosfeste  aufgenommen  war,  oder  mit  anderen 
Worten,  nachdem  der  Archen  auch  für  sie  einen  Chor  zu  geben  und  einen 
Wettkampf  {dyaiv)  konkurrierender  Choregen  und  Dichter  zu  eröffnen  be- 
gonnen hatte.  Das  geschah  später  als  bei  der  früher  zu  Ehren  gekom- 
menen Tragödie,')  begreiflich,  da  ernste  und  haushälterische  Bürger  nur 
zögernd  sich  dazu  verstanden,  das  ausgelassene  Spiel  mit  öffentlicher 
Autorität  zu  umkleiden.  Aus  der  späteren  Aufnahne  erklärt  es  sich  auch, 
dass  nunmehr  zwei  Repräsentanten  der  heiteren  Muse,  das  früher  im  Ge- 
folge der  Tragödie  eingeführte  Satyrdrama  und  die  urwüchsige,  erst 
später  aufgenommene  Komödie  nebeneinander  zur  Aufführung  gelangten. 
Indes  wurden  doch  nach  den  neuerlich  aufgefundenen  didaskalischen  Ur- 
kunden CIA  n  971  schon  zu  Aischylos  Zeiten,  wahrscheinlich  schon  seit 
472,  Komödien  unter  staatlicher  Leitung  aufgeftlhrt,*)  wenn  sie  auch  immer 
nur  einen  kleinen  Teil  der  Festfeier  ausmachten.  Die  Anfange  der  Ko- 
mödie fallen  also  mit  der  ungehinderten  Freiheit  {naggr^ia)  der  durch 
Perikles  grossgezogenen  Demokratie  zusammen.  Das  bestimmte  ihren 
Charakter  :ö)  öffentlich  geworden,  richtete  sie  auch  ihren  Witz  und  Spott 


*)  Fbitzsche  in  Aasg.  von  Arist.  Ran.  •   eingerichtet  worden  sei;  siehe  dagegen  oben 
p*  197.  '  §  144.    Dass  schon  vor  472  an  den  Lenften 


^)  PoppBLRBUTBR,  De  comoodiae  Atticae 
primordiis,  Berl.  Diss.  1893. 

«)  Aristot.  Poet.  5. 

*)  Nach  Bbbgk  Rh.  M.  84,  305  fanden 
die  ersten  Siege  der  Komiker  an  den  Lenäen 
statt,  da  an  den  Dionysien  erst  später,  nm 

rkl       OA        ^:_ l_ii • 4 A.*   TT _•! 


Preise  fOr  Komödien  ausgesetzt  wurden, 
lässt  sich  zwar  nicht  beweisen,  ist  aber 
wahrscheinlich;  aber  in  dem  ersten  Teil  des 
Zeitraumes  von  536-472  müssen  nach  dem 
Zeugnis  des  Aristot.  Poet.  5  nur  Tragödien 
prämiiert  worden  sein. 


Ol.  84,  ein  regelmässiger  Agon  für  Komiker  |  ^)  Anon.  de  com.  III:  yeyovaa^  di  fAera- 


G.  Drama.    8.  Die  Komödie,    b)  Die  altattisohe  Komödie.    (§  195.) 


285 


gegen  die  Gebrechen  des  öffentlichen  Lebens  und  der  leitenden  Personen 
des  Staates.  Bei  einer  Schrankenlosigkeit  der  Redefreiheit,  wie  sie  kein 
Zeitalter  in  gleichem  Grade  sah,  brauchte  sie  sich  nicht  auf  dem  matten 
Boden  der  Allgemeinheiten  oder  versteckten  Anspielungen  zu  bewegen, 
sondern  durfte  offenen  Hauptes  den  Gegner,  auch  wenn  er  zu  den  An- 
gesehensten und  Höchstgestellten  gehörte,  angreifen.  In  der  persönlichen 
Persiflage  knüpfte  sie  an  die  bitteren  Spottverse  des  Archilochos  und  der 
ionischen  lambographen  an;  über  sie  ging  sie  aber  dadurch  hinaus,  dass 
sie  statt  Privatpersonen  Männer  des  öffentlichen  Lebens  angriff  und  in 
einer  Zeit,  wo  es  noch  keine  Presse  und  keine  Flugblätter  gab,  das  Zen- 
sorenamt der  öffentlichen  Meinung  übte.  Wiederholt  zwar  ward  das  Ver- 
bot erlassen,  die  Durchgehechelten,  zumal  wenn  sie  ein  öffentliches  Amt 
bekleideten  {vovg  aQxovtccg)^  bei  Namen  zu  nennen  {6vofia<fTi  xwfKpäsTv);^) 
aber  die  Polizei  war  in  Athen  schwach,  und  die  Lust  an  der  politischen 
Komödie  gross,  so  dass  immer  wieder  die  zügellose  Bedefreiheit  durch- 
brach, bis  mit  dem  unglücklichen  Ausgang  des  peloponnesischen  Krieges 
der  Freiheit  des  Theaters  feste  und  dauernde  Fesseln  angelegt  wurden. 
Fiir  uns  sind  so  die  Stücke  der  alten  Komödie  ein  Spiegelbild  der  Zeit, 
wie  denn  schon  Piaton  dem  Tyrannen  Dionysios,  um  sich  vom  athenischen 
Staat  ein  Bild  zu  machen,  die  Lektüre  der  Komödien  des  Aristophanes 
empfohlen  haben  soll.^) 

Aber  bei  aUem  Ernst  des  persönlichen  und  politischen  Spottes  blieb 
doch  die  attische  Komödie  ein  mutwilliges  Kind  der  heiteren  Muse  Thalia, 
ein  toUes  Fastnachtspiel.  Die  Ausgelassenheit  gab  sich  gleich  äusserlich 
in  der  Erscheinung  der  Spielenden  kund;  nicht  bloss  die  Schauspieler  trugen 
bizarre  Anzüge  und  groteske  Masken,  auch  die  Choreuten  waren  phanta- 
stisch ausstaffiert,  bald  als  Vögel,  bald  als  Wespen,  bald  als  Frösche  und 
ähnliches  verkleidet.  Der  Chor  spielte  überhaupt  in  ihr  eine  viel  aktivere 
Rolle  und  blieb  dadurch  dem  Charakter  des  lustigen  Schwarmes  getreu, 
aus  dem  das  ganze  Spiel  hervorgegangen  war.  Er  sang  also  nicht  bloss 
Einzugs-,  Auszugs-,  Stehlieder;  er  griff  auch  beständig  mit  kleinen  Ge- 
sängen und  durch  Organisierung  förmlicher  Streitscenen  in  die  Handlung 
ein,  so  dass  auch  äusserlich  das  Spiel  der  Schauspieler  und  das  des  Chors 
sich  weniger  scharf  von  einander  schied.    Inbesondere  bewahrte  der  Chor 


dk  via,  i}  Sk  fii<ftj  •  ol  f*iy  ovy  tij^  uqx^W 
xtofjuadiag  noiriial  ov^  vno&iaefa^  ttXt]9ovgy 
aXXa  naideias  evtgtcnäXov  yiyo/neyoi  ^T^Xtotal 
t€mg  aywyag  inoiovy  '  xal  (pegstat  at'iuiy 
ndyta  xd  dgäfiata  xH  avy  xolq  tlfevdent- 
ygdg>oic, 

*)  Das  erste  Verbot  wurde  unter  dem 
Archon  Morychides  Ol.  85,  1  =  440/39  er- 
lassen; dasselbe  wurde  3  Jahre  später  unter 
dem  Archon  Euthymenes  (s.  Schol.  Arist. 
Ach.  67)  wieder  aufgehoben;  neue  Beschrän- 
kungen scheinen  428/7  durch  Antimachos 
ergangen  zu  sein  (s.  Schol.  Arist.  Ach.  1150) 
und  wurden  durch  ein  Psephisma  des  Syra- 
kosios  417/6  (s.  Eupolis  in  den  Poleis  und 


Schol.  Arist.  Av.  1297)  erneut  eingeschärft, 
durch  das  insbesondere  die  namentliche  Ver- 
höhnung der  Beamten  untersagt  wurde  (s. 
Phrynichos  im  Monotropos;  vgl.  Schol.  Arist. 
Nub.  31,  Ran.  501;  Xen.  de  rep.  Ath.  2,  18). 
Vgl.  Meinekb  I  40  ff. ;  Berqk,  Ueber  die  Be- 
schränkungen der  Freiheit  der  älteren  Ko- 
mödie zu  Athen,  El.  Sehr.  444  ff.;  Lübke, 
Quaest.  crit.  in  bist.  vet.  com.,  Berl.  1883. 

')  W.  ViscHER,  üeber  die  Benützung  der 
alten  Komödie  als  geschichtliche  Quelle, 
Basel  1840,  in  Klein.  Sehr.  I  459  ff.;  Müller- 
Strübino,  Aristophanes  und  die  historische 
Kritik,  Leipzig  1873;  Muhl,  Zur  Geschichte 
der  alten  attischen  Komödie  zur  Zeit  des 
peloponnesischen  Kriegs,  Augsb.  Progr.  1881. 


286  Ghriaohisohe  Litteimtargesohiohte.    L  lOaesisohe  Periode. 

in  der  Parabase,  in  der  er  sich  als  Vertreter  des  Dichters  an  das  Volk 
wendete,  eine  lebensfrische  Erinnerung  an  die  alten  Aufzüge  des  necken- 
den Festschwarmes.i)  Dem  gegenüber  blieb  die  Handlung  etwas  in  der 
Entwicklung  zurück;  sie  erhob  sich  zwar  über  die  megarische  Posse  und 
die  lose  Aneinanderreihung  burlesker  Scenen,  aber  die  kunstvolle  Ver- 
knüpfung und  die  Spannkraft  der  Peripetie  und  der  Wiedererkennung 
kamen  erst  in  der  neuen  Komödie  zur  Geltung;  in  der  alten  überwogen 
die  trunkenen  Orgien  des  ausgelassenen  Weingottes,  die  in  saftigen  Zoten 
und  Spässen  sich  gefielen  und  in  phantastischer  Genialität  über  die  be- 
engenden Schranken  des  Anstandes  und  Philistertums  sich  wegsetzten;  es 
war  ein  Spiel,  das  vor  allem  die  Zuschauer  zum  Lachen  bringen  und 
durch  derbe  Witze  und  kecke  Einfalle  in  launige  Feststimmung  versetzen 
wollte.  In  diese  Stimmung  versetzt  selbst  uns  die  Lektöre  der  erhaltenen 
Stücke,  und  doch  fehlt  uns  dabei  eine  Hauptsache,  der  Anblick  der  phan- 
tastischen Masken  und  der  lasziven  Sprünge  des  Kordaxtanzes. 

Die  Sprache  der  Komödie  schloss  sich  selbstverständlich  eng  an  die 
Umgangssprache  des  Volkes  an,  so  dass  epische  Formen  aus  dem  Dialog 
mehr  als  in  der  Tragödie  ausgeschlossen  waren  und  die  hervorragendsten 
Komiker,  wie  Pherekrates  und  Aristophanes,  zugleich  als  die  reinsten 
Vertreter  des  Attikismos  galten.*)  Daneben  aber  verstanden  es  die 
Dichter  durch  kühne  Wortbildungen,  eingelegte  Fabeln,  Parodien  lyrischer 
und  tragischer  Verse  der  Diktion  Reiz  und  poetischen  Anstrich  zu  geben. 
Die  Rhythmen,  namentlich  der  gesungenen  Stellen  tragen  entsprechend 
der  ausgelassenen  Art  des  Spiels  und  Tanzes  einen  munteren  und  be- 
wegten Typus;  neben  den  anapästischen  Tetrametern  spielen  die  raschen 
Trochäen  und  kräftigen  Päonen  eine  Hauptrolle.  Auch  der  Hauptvers  des 
Dialoges,  der  iambische  Trimeter,  wird  durch  die  häufigen  Auflösungen 
und  die  Einmischung  von  Anapästen  beschwingter  zugleich  und  lässiger. 
Im  übrigen  sind  uns  die  Komödien  auch  dadurch  leichter  verständlich, 
dass  sie  frei  von  verwickelten  Versformen  fast  nur  populäre,  leicht  ins 
Gehör  gehende  Sangweisen  enthalten.*) 

196.  Die  ältesten  Komödiendichter  Athens  nach  den  Perserkriegen 
waren  Chionides,  Ekphantides,  Magnes.  Des  Magnes  gedenkt  rühmend 
Aristophanes  in  den  Rittern  520  ff. ;  nach  dem  Anonymus  de  com.  III  hatte 


j)  Ungenügend  ist  die  Au&Ahlnng  der  {  hema,  Antipnigos,  Sphragis  zu  geben. 

fie^tj  xiofKodlag  im  Anecd.  Paris.    VoUstän-  *)  Der  strengere  Attäismos  der  Komödie 

diger    ist  das  den  Aristophanesscholien   zu  j   zeigt  sich  besonders  in  dem  Gebrauch  von 

gründe  liegende  System  des  Heliodor;  vergl.  rr  statt  cr<r,  in  den  Pluralen  Innrjg^  ^A/agy^g 

oben  §  146.    Zielikski,  Die  Gliederung  der  statt  inneig,  ^^/«pve/'V,  und  in  der  Seltenheit 

altatt.  Komödie,   stellt  die  Komposition  und  |  von  Formen  und  Wörtern  des  epischen  und 

Gliederung  der  Komödie  in  schiu-fen  Gegen-  ionischen  Dialektes;  s.  Rutrbrfobd,  Zur  Gre- 


satz  zu  der  der  Tragödie;  ihm  gebührt  das 
Verdienst,  die  Bedeutung  des  Agon  als  alten 
Hauptelementes   der  Komödie   zur   Geltung 


schichte  des  Atticismus,  Jhrb.  f.  Phil.  Suppl. 
XIII  359—392,  und  oben  §  138. 

»)  Sehr  viele  Metra  sind  nach  Dichtem 


gebracht  zuhaben;  demselben  sucht  er  auch  i  der  alten  Komödie  benannt,  wie  Cratineum, 

ähnlich  wie  der  Parabase   eine  feste  GUe-  ,  Eupolideum,   Pherecrateum,  Aristophaneum, 

derung  in  Ode,   Katakeleusmos,   £pirrhema,  j  Phrynicheum. 

Pnigos,    Antode,    Antikeleusmos,    Antepirr-  { 


C.  Drama.    8.  Die  Komödie,    b)  Die  altattiaohe  Komödie.    (§§  196—197.)    287 

er  elf  Siege  davongetragen,^)  hatte  sich  aber  von  ihm  nichts  erhalten.^) 
Titel  seiner  Stücke  waren  BaQßmdrai^  Bdrqaxoi^  ''OQvid-sg,  Av6o(^  ^ijr^c, 
woraus  man  ersieht,  dass  er  in  der  phantastischen  Ausstattung  des  Chors 
dem  Aristophanes  vorangegangen  war. 

197.  Kratinos  (gestorben  zwischen  423  und  421), »)  der  neben 
Eupolis  und  Aristophanes  in  den  Kanon  aufgenommen  wurde,  ^)  war  der 
Begründer  des  archilochischen  Tones  der  politischen  Komödie  und  erhob 
zugleich  durch  Einfuhrung  des  dritten  Schauspielers  die  Komödie  zu 
gleichem  Rang  mit  der  Tragödie.  Ein  Anhänger  des  Kimon'^)  und  der 
konservativen  Partei  verfolgte  er  heftig  den  Perikles,  den  er  in  den 
Qq^tai  den  zwiebelköpfigen  Zeus  schalt  und  in  den  XetQwveg  von  der 
Zwietracht  und  dem  Kronos  geboren  sein  liess.^)  Im  Privatleben  war  er 
ein  Freund  Instiger  Gelage  und  setzte  mehr  als  gut  der  Weinflasche  zu ; 
von  ihm  rührt  der  hübsche  Vers  her: 

vSfOQ  S^  nivoav  x^ijcttov  oiShv  av  Täxoig.'^) 
Als  Eomödiendichter  trat  er  nach  Eusebios  erst  spät  im  Jahre  453  auf; 
Siege  errang  er  neun  (sechs  an  den  Lenäen,  drei  an  den  Dionysien),  Ko- 
mödien hinterliess  er  21,  welche  von  den  alexandrinischen  Grammatikern 
fleissig  gelesen  und  kommentiert  wurden.  Berühmt  waren  die  ^AqxiXoxoi^ 
die  Spotter,  worin  ein  Wettstreit  von  Dichtem  vorkam,  die  Qq^xzai  und 
Xii^veq,  welche  gegen  Perikles  gerichtet  waren,  die  Evvetdm^  die  man  bei 
dem  Tode  Alexanders  d.  Gr.  unter  dem  Kopfkissen  des  Königs  fand 
(Phot.  bibl.  151a  11),  die  '06v<rafjg,  mit  denen  er  die  Reihe  mythologischer 
Travestien  eröfi&iete,  die  Bovxokoi^  welche  mit  einem  Dithyrambus  der 
Begleiter  {ßovxoXoi)  des  Gottes  Dionysos  begannen,  insbesondere  aber  die 
nvTivr^.  Als  nämlich  Aristophanes  in  den  Rittern  V.  524  über  ihn  als 
morsche  Ruine  zu  spotten  gewagt  hatte,  trat  er  im  nächsten  Jahr  (423) 
mit  jener  Pytine  auf,  in  welcher  Frau  Komödia  sich  beklagte,  dass  ihr 
einst  so  getreuer  Ehemann  nun  in  wilder  Ehe  mit  der  Flasche  lebe,  und 
mit  ihren  Künsten  ihn  wieder  aus  den  Schlingen  der  bösen  Buhlin  be- 
freite; die  Athener  stellten  sich  auf  die  Seite  des  gekränkten  Dichters, 
indem  sie  ihm  den  ersten  Preis  zuerkannten,  Aristophanes  selbst  aber 
ehrte  den  einstigen  Rivalen  in  den  Fröschen  V.  357  durch  den  Preis  der 
stiergewaltigen  Sprache  des  Kratinos. 

Krates  diente  anfangs  als  Schauspieler  dem  Kratinos,  trat  dann 
aber  auch  als  selbständiger  Dichter  auf;  zum  erstenmal  siegte  er  449. 
Nach  Aristoteles  Poet.  5  war  er  der  erste,  der  von   der  Form  des  per- 

')  Ein  Sieg  gleichzeitig  mit  einem  des 
Aischylos  ist  urkundlich  bezeugt  CIA  II  971; 
die  Siege  desselben  waren  gewiss  ebenso 
vie  die  des  Kratinos  teils  lenftische,  teils 
dionyEBSche.  Vgl.  Lio  Rh.  M.  33  (1878)  139  ff., 
ScgnuBL  Ind.  lect,  Greifsw.  1895/6. 

')  Nach  einer  Notiz  des  cod.  Salomonis 
(publiziert  von  Uskheb  Rh.  M.  28,  418)  hatten 
&  Stocke  der  filteren  Komiker  nicht  mehr 
«bdOO  Verse. 

')  Tot  war  er  zur  Zeit  der  Aufführung 
▼OS  Arist  Pac.  701,  was  Ziblüvski  Rh.  M. 
^t  301  ff.  wegzuklflgeln  sucht. 


*)  Horaz  Sat.  I  4,  1;  Velleius  I  16,  3; 
Quint.  X  1,  66;  Platonios  de  com.,  wonach 
Kratinos  der  bittere  {TiixgoTeQOi)^  Eupolis  der 
feinere  (inixagtearegog)  war,  Aristophanes 
sich  in  der  Mitte  hielt;  vgl.  Persius  I  123. 
Vom  Anonym,  de  com.  III  wird  Kratinos  dem 
Aischylos  verglichen. 

*j  Plut.  Cim.  10. 

«)  Plut.  Pericl.  3  u.  24. 

^)  Nach  Epigramm  des  Nikainetos  bei 
Ath.  39  c  =  AP  XIII  29 ;  vgl.  Horaz  Ep.  1 19, 1 ; 
Meinekb  bist.  com.  T  47. 


I 

k 


288  OriechiMhe  LitteimtiirgMeliiohte.    L  ma—inohn  Periode. 

sönlichen  Spottgedichtes  abgehend,  eine  allgemeine  Fabel  seinen  StQcken 
zu  gründe  legte.  ^)  In  der  Weise  des  Epicharmos  liebte  er  den  heiteren 
und  lustigen  Ton;  auch  soll  er  zuerst  Trunkene  auf  die  Bühne  gebracht 
haben. ^)  Suidas  nimmt  zwei  Eomödiendichter  Krates  an')  und  schreibt 
dem  unseren  sieben  Komödien  zu;  wir  haben  im  ganzen  noch  15  TiteL 
Von  genialer  ^Erfindung  waren  seine  ^^a,  die  das  goldene  Zeitalter 
schilderten,  wo  die  wilden  Tiere  noch  Sprache  hatten  und  in  allem  dem 
Menschen  zu  Diensten  standen. 

Pherekrates  war  ein  erfinderischer  Kopf,  der,  in  Krates  Fusstapfen 
tretend,  an  die  SteUe  regeUosen  Spottes  fein  erfundene  Fabeln  setzte. 
Seine  Wilden  f^/^oi)  wurden  420  an  den  Lenäen  aufgeführt,  den  ersten 
Sieg  scheint  er  437  errungen  zu  haben.^)  Von  seinen  16  Komödien,  von 
denen  drei  als  unecht  galten,  ^)  behandelte  der  Jovlodiddaxalog  die  Zncht- 
losigkeit  der  Sklaven,  die  KoQiaww  die  Trunksucht  der  Hetären,  die  Mv^ 
fxr^xdvx^Qwnoi  die  Fabel  von  der  Entstehung  der  Menschen  aus  Ameisen,  der 
XeiQwv  die  Misshandlungen  der  Frau  Musica.  Aus  den  Msrailf^g  (Berg- 
kobolden) hat  uns  Athenaios  ein  langes  Fragment  erhalten,  in  dem  das 
Schlaraffenleben  des  goldenen  Zeitalters  launig  geschildert  ist.  Übrigens 
verzichtete  auch  Pherekrates  nicht  ganz  auf  die  politische  Satire ;  in  einem 
Stück  (bei  Ath.  535  b)  verspottete  er  mit  bitterem  Hohn  den  Weiberhelden 
Alkibiades. 

Zur  Zeit  des  Kratinos  blühten  noch  mehrere  andere  Komödiendichter 
gleicher  Richtung,  aber  niederen  Ranges,  so  Telekleides,  der  mit  Heftig- 
keit den  Olympier  Perikles  verspottete  und  die  Dichter  seiner  Zeit  in  den 
^HaioSoi  geisselte,^)  Hermippos  der  Einäugige,  der  gleichfalls  als  Gegner 
des  Perikles  auftrat  und  gegen  die  Aspasia  eine  Klage  wegen  Gottlosigkeit 
einbrachte;^)  eines  seiner  Stücke,  die  ^PoQfio^ogoi,  enthielt  viele  Parodien 
auf  Homer.  Andere  Komiker  waren  Myrtilos,  Alkimenes,  Philo- 
nides.^) 

198.  Eupolis,  ausgezeichnet  durch  feinen  Witz  und  anmutige  Dar- 
stellung, erhielt  sich  neben  Aristophanes  am  längsten  in  der  Gunst  der 
Leser.»)  Seine  Blüte  fallt  in  die  Zeit  des  peloponnesischen  Krieges;  früh- 
reif brachte  er  schon  als  junger  Mensch  von  17  Jahren  Komödien  auf  die 
Bühne.  Den  Tod  erlitt  er  im  HeUespont,  wahrscheinlich  411,  im  Kampfe 
für  das  Vaterland,  infolge  dessen  die  Athener  den  Dichtem  Befreiung  vom 


M  Arist  Poet  5:  K^trjg  ngiüiog  ^e^er  machoe  oder  Piaton  gedichtet  haben;  s.  Aih. 

«ififABvog  xrjq  ia/Aßixijg  idiag  »a^olov  Ttoistr  364a,  Mbikbkb  I  75,  Bkbok  290  ff. 
Xoyovg  xai  fivdovg.  *)  Von   flim   5   Siege   verzeichnet   CIA 

*)  Anon.  de  com.  DI;  Arist  Equ.  537  ff.  11  977. 

»)  Auch  der  rweite  Krates  wird  von  Sni-  ')  Plut  Pericl.  32.    üeber  seinen  Hyper- 

das   der  «p/«(a  xtafAtadia  sagewiesen,   aber  bolos  s.  Aristoph.  Nnb.  547;   andere  SÜLcke 

die  Titel  seiner  Stücke  Stfaavgosy  'O^yi^eg,  von    ihm   waren   die   U^tontaXids^y    Ifor^ac, 

♦iJU/^j'i'^oc  weisen  mehr  anf  die  nene  Ko-  iT^atuatat. 
mödie;  vgl.  Meinekb  I  64.  ®)  Andere  Namen,  wie  Xenophilos,  Phi- 

*)  Das  erste  überliefert  Ath.  218  d,  woro  lokles,  Aristokrates,  Kallistratos,  Emmenides, 

stelle  Plato  Protag.  327  d;  das  zweite  beruht  Sokrates,    gibt  mit  Angabe    der   Sie^    die 

anf  der  Emendation  des  Anon.  de  com.  rtx^  Liste  der  Komiker  CIA  II  977, 
ini  detirgov  [irti  Gf  odoi^ov  em.  Dobree).  •)  Vei^   Persins   II   92;    Lucian    adv. 

^)  Den  XBi^wy  soll  nach  anderen  ^iko-  ind.  27. 


G.  Drama«    8.  Die  Komödie,    b)  Die  altattisohe  Komödie.    (§  198.) 


289 


Kriegsdienst  gewährt  haben  sollen.^)  Man  kannte  von  ihm  14  oder  17 
Stücke,')  von  denen  sieben  mit  dem  ersten  Preis  gekrönt  wurden. »)  Mit 
Aristophanes  war  er  anfangs  infolge  der  gleichen  Abneigung  gegen  die 
zflgeUose  Demokratie  und  die  neumodische  Bildung  gutbefreundet;  später 
entwickelte  sich  zwischen  beiden  ein  gespanntes  Verhältnis,  das  in  dem 
gegenseitigen  Vorwurf  des  Plagiates  gipfelte.*)  Die  berühmtesten  seiner 
Komödien  waren:  die  KiXaxe^  (421),  in  denen  er  den  reichen  Kallias,  der 
mit  Schmarotzern,  Sophisten  und  Litteraten  sein  Erbe  verprasste,  an  den 
Pranger  stellte,  der  Maqixäq^  in  dem  er  den  Hyperbolos,  den  Nachfolger 
des  Kleon,  unter  falschem  Namen  verhöhnte,  die  Bämai  oder  Täufer,^) 
die  gegen  Alkibiades  und  die  von  ihm  begünstigten  fremden  Kulte  ge- 
richtet waren,  die  Jrjiioi,  in  denen  die  Geister  der  grossen  Staatsmänner 
der  alten  Zeit  citiert  wurden,  um  ihre  Meinung  über  die  verzweifelte  Lage 
des  Staates  abzugeben.  Andere  angesehene  Stücke  waren  die  Ziegen,  die 
Städte  (der  Bundesgenossen),  das  goldene  Zeitalter,^)  die  Astrateutoi,  die 
Taziarchoi,  der  Autolykos,  die  Heloten. 

Phrynichos,  der  429  zuerst  auftrat  und  in  Sikilien  umkam,  wird 
zwar  von  Aristophanes  in  den  Fröschen  V.  13  übel  mitgenommen,  7)  hatte 
aber  guten  Witz  und  schneidigen  Charakter.  Von  seinen  zehn  Komödien 
waren  besonders  angesehen  die  Schmauser,  der  Einsiedler  {MovoTQonoq)^ 
die  Mysten,  Ephialtes,  die  Musen;  in  den  letzteren  nahm  er  ähnlich  wie 
Aristophanes  in  den  Fröschen,  den  Tod  des  Sophokles  und  Euripides  zum 
Ausgangspunkt. 

Platon^)  spielte  von  der  Mitte  des  peloponnesischen  Krieges  an  bis 
über  390  hinaus  eine  hervorragende  Rolle  auf  der  komischen  Bühne  Athens. 
Ton  seinen  28  Stücken  richtete  sich  nur  ein  Teil  gegen  die  politischen 
Umtriebe,  wie  der  "^YntQßoXoq^  der  Kkeotpwv  (405),  die  Jvfifiaxia^  welch 
letzteres  Stück  sich  auf  die  Verbindung  des  Nikias,  Alkibiades  und  Phaiax 
znr  Verbannung  des  Hyperbolos  durch  das  Scherbengericht  bezog;  die 
meisten,  namentlich  die  aus  der  späteren  Lebenszeit  des  Dichters,  griffen 
mich  Art  der  mittleren  Komödie  in  das  Gebiet  der  Parodie,  so  die  llon^xai, 
Ä^urroi,  ^ASwvig,  EvQoiTir)^  Acuoq.  Berühmt  war  besonders  der  (Paeov,  in 
dem  der  Titelheld  mit  seiner  von  Aphrodite  ihm  verliehenen  Salbe  allen 
Weibern  den  Kopf  verrückte.®) 

Andere  von  Aristophanes  und  Eupolis  verdunkelte  Komödiendichter 
dieser  Zeit  waren  Kallias,  der  wahrscheinlich  auch  Verfasser  der  Buch- 


^)  Siiidiis  11.  EvnoXi^,  Das  erinnert  an 
die  raratio  militiae  bei  Porphyrio  zu  Hör. 
Epod.  1,  7.  Die  Fabel,  dass  AJJdbiades  den 
Meen  Komiker  ertränken  Hess,  widerlegte 
sdwn  Eratosthenes  nach  Gic.  ad  Att  6,  1. 
Nach  Fans.  2,  7  befand  sich  sein  Grabdenk- 
mal bei  Sikyon. 

^)  Die  1.  2^ahl  bei  dem  Anon.  de  com., 
^  2.  bei  Soidas. 

')  3  dionysische  Siege  bezeugt  die  Ur- 
kunde CIA  n  977. 

*)  Den  Vorwurf  erhebt  Arist.  Nub.  553; 
^egen  Eupolis  bei  Schol.  Arist. .  Eq.  528 


und  1288. 

»)  So  Lkhbs,  Popul.  Aufs.«  396  f.  Auf 
das  Stück  spielt  auch  Juvenal  2,  91  an. 

®)  Das  Stück  handelte  nicht  vom  Glück 
des  goldenen  Zeitalters,  sondern  de  statu 
pessimo  cum  irriaione  tamquam  aureo. 

^)  Aus  den  Schollen  z.  St.  ersieht  man, 
dass  die  Eunsturteile  der  alezandrinischen 
Gelehrten  über  ihn  geteilt  waren. 

B)  Co^ip,  Observationes  crit.  in  Piatonis 
comid  rell.,  Amsterd.  1840. 

•)  Servius  ad  Verg.  Aen.  III  279. 


Baodbach  der  kins.  AltertumawiaBeiuichaft.    VII.    3.  Anfl. 


19 


L 


290 


Oiieohisohe  Lüteimtnrgesohiohte.    L  XUssUiolie  Periode. 


stabentragödie  war,^)  Ameipsias,  der  sich  an  Äristophanes  zu  reiben 
liebte,  ^)  aber  auf  der  anderen  Seite  doch  geradeso  wie  jener  den  Sokrates 
in  dem  Eonnos,  dem  Lehrer  des  Philosophen  in  der  Musik,  verhöhnte, 
Aristomenes,  den  die  Grammatiker  zu  den  Komikern  zweiten  Ranges 
{B7tidevTe(foi)  rechneten,*)  femer  Aristonymos,  Archippos,  Leukon, 
Lysippos,^)  Metagenes,  Aristagoras. 

Endlich  sei,  ehe  wir  uns  zum  Hauptvertreter  der  attischen  Komödie, 
zu  Äristophanes,  wenden,  noch  des  Hegemon,  mit  dem  Beinamen  ^axijg^ 
aus  Thasos  gedacht,  der  eine  Komödie  Philine  dichtete,  mehr  aber  als  Erfinder 
der  parodischen  Dichtung  berühmt  war.  Er  blQhte  während  des  pelopon- 
nesischen  Krieges  und  soll  durch  seine  Titanomachie  das  leichte  Völkchen 
der  Athener  so  zum  Lachen  gebracht  haben,  dass  sie  darüber  die  Nieder^ 
läge  in  Sikilien  vergassen.  Besonders  war  es  Alkibiades,  der  ihm  seinen 
mächtigen  Schutz  lieh  und  einmal  eine  gegen  den  beliebten  Dichter  ge- 
richtete Klage  einfach  mit  dem  nassen  Schwamm  ausgelöscht  haben  soll.^) 
Erhalten  ist  uns  von  ihm  durch  Athenaios  p.  698  ein  Gedicht  in  parodi- 
schen Hexametern,  worin  er  den  Spott  böswilliger  Landsleute,  dass  er  aus 
dem  armen  Thasos  in  die  Fremde  nach  Athen  gegangen,  aber  von  dort 
nicht,  wie  andere  Rhapsoden,  Haufen  von  Geld  nach  Hause  gebracht  habe, 
witzig  abwehrt. 

c)  Äristophanes  (um  450  bis  um  885).^) 
199.  Leben.  Von  den  äusseren  Lebensverhältnissen  des  Äristo- 
phanes wissen  wir  und  wussten  bereits  die  Alten  nur  weniges.  Von 
Geburt  war  er  ein  Kydathenäer;^)  Äginete  hiess  er,  weil  er  ein  Ackerlos 
auf  jener  Insel  erhalten  hatte.  ^)  Das  attische  Geblüt  der  Mutter  ward  nie 
angefochten,^)  aber  die  Zweifel  an  der  Herkunft  des  Vaters  Philippos 
zogen  dem  Dichter  schon  bald  nach  seinem  ersten  Auftreten  ^ne  Klage 
wegen  unbefugter  Anmassung  des  Bürgerrechtes  zu.^^j  Daher  stammen 
die  verschiedenen  Vermutungen  der  Grammatiker,  die  ihn  bald  für  einen 
Rhodier  aus  Lindos  oder  Kameiros,^^)  bald  gar  für  einen  Ägypter  aus  Nau- 


»)  Ath.  453;  vergl.  Hense  Rh.  M.  31, 
582  ff. 

«)  Vit.  Aristoph. 

•)  Suidas  u.  A^iaxofAivtjg.  Wahrschein- 
lich gah  es  der  Aristomenes  zwei;  s.  Bbrqk, 
Rh.  M.  84,  307. 

^)  Ueber  eine  didaskalische  Angabe  der 
Stücke  des  Lysippos  CIG  225  u.  230  Petersen 
Wien.  Stud.  VH  181. 

^)  Chamaileon  bei  Ath.  406. 

")  Ausser  einem  Artikel  des  Suidas,  mit 
dem  das  gute  Scholion  zu  Piaton  apol.  19  c 
gleiche  Quelle  hat,  ist  erhalten  ein  Agiaro^ 
(payovg  ßiog  und  ein  Absatz  im  Anon.  de  com. 
Von  Neueren:  C.  Fr.  Ranke,  De  vita  Aristoph., 
m  Ausg.  von  B.  Thibrsch  (1830)  und  ab- 
gekürzt in  Ausg.  von  Mbinekb  (1860);  Röt- 
scBBR  (mehr  Hegelianer  als  Philolog),  Äristo- 
phanes und  sein  Zeitalter,  Berl.  1827;  Bbrgk 
zu  den  Fragmenten  im  2.  Bd.  von  Meineke's 
Fr.  com.  gr.;  Mülle r-Strübino,  Äristophanes 


und  die  historische  Kritik,  Leipz.  1873;  Couat, 
Aristophane  et  la  comödie  attiqae,  Paris 
1889;  Eaibbl  in  Wissowa. 

^)  Ein  Ratsherr  Ugiaxog>€ivi]s  Kvda&ij^ 
yaievg  CIA  II  865. 

«)  Acham.  653. 

*)  Dieses  geht  daraus  hervor,  dass  ^ 
sich  bei  dem  Prozess  auf  den  Vers  der  Odys- 
see tt  215  ovttg  ioy  yovoy  avxog  da^^y^^ 
berief. 

**)  Vita:  |fW«f  ««'*  avxov  yga^p^  M&mro 
KXetor.  Der  Streit  beendet  durch  eineii  Ana- 
gleich  nach  Arist.  Vesp.  1285. 

")  Auf  Grund  von  Ach.  658  berichtet 
das  Schol.  Plat:  xaxexXij^aHse  cf^  xccc  twj^ 
Jtyiyay,  tag  Seoyeytjg  tprjciy  iv  riß  ne^l  ^4»"- 
yiy f^g.  Wahrscheinlich  erhielt  dieses  Acker* 
los  der  Dichter  erst  nach  der  totalen  Unter* 
werfung  der  Insel  im  J.  431;  b.  Bkbox,  Grr 
Litt.  IV  74. 


G.  Drama.    8.  Die  Komödie,    o)  Aristophanes.    (§  199.) 


291 


kratifi  ausgaben.^)     Aber  mochte  auch  kein  athenisches  Vollblut  in  seinen 
Adern  roUen,  nach  Gesinnung  und  Bildung  war  er  Athener  wie  kein  zweiter. 
Sein  Geburtsjahr  wird  nicht  angegeben ;  da  ihm  aber  sein  Alter  erst  in  den 
Bittem  (aufgeführt  424)  einen  Chor  fQr  sich  zu  verlangen  erlaubte,^)  so 
muss  er  damals  mindestens  schon  volljährig,   wahrscheinlich  aber  bereits 
25  bis  30  Jahre  alt  gewesen  sein;*)  bereits  421,  als  er  den  Frieden  auf- 
führte, war  er  ein  Glatzkopf.^)     Über  seine  Erziehung  und  Bildung  sind 
QDS  keine  besonderen  Zeugnisse  erhalten;   aus  seinen  Werken  sehen  wir, 
das8  er  nicht  bloss  die  ihm  nächststehenden  Dichter,   die  Komiker  und 
lambographen,  gut  kannte,   dass  er  auch  in  den  Tragödien  des  Aischylos 
und  den  Gesängen  des  Stesichoros  und  Pindar  wohl  zu  Hause  war,  kurz- 
um, dass   die  Grazien   und  Musen   seine  Wiege  umstanden   und   seinen 
Lebenslauf  begleitet  hatten.    Besonderen  Einfluss  auf  den  jungen  Dichter 
übte  das  politische  Parteileben  in  den  Klubs  oder  Hetärien  aus.     Mit  der 
ganzen  Heftigkeit  seines  Wesens  schloss  er  sich  den  Friedensfreunden 
and  der  aristokratischen  Partei  an,  denen  die  Herrschaft  der  bürgerlichen 
Emporkömmlinge,  wie  Kleon  und  Hyperbolos,  und  die  neue  Richtung  der 
rhetorisch-sophistischen  Bildung  ein  Dorn  im  Auge  war.^)    So  gelang  es  ihm, 
indem  er  Witz  und  Humor  mit  politischer  Heissblütigkeit  und  sittlichem  Ernste 
verband,  die  Bretter  der  ausgelassenen  Thalia  zu  einer  Erziehungsstätte 
des  Volkes   und  zu  einer  politischen  Macht   ersten  Banges  zu  erheben. 
Über  40  Jahre  lang  (von  427  bis  nach  388)  beherrschte  er  die  komische  Bühne 
Athens  und   machte   innerhalb   derselben   auch    die    Wandlungen   durch, 
welche  das  Lustspiel  infolge  der  geänderten  Zeitverhältnisse  und  des  ge- 
änderten Geschmacks  erlebte.     Die  aristokratische  Partei  des  Dichters  war 
gegen  Ende  des  peloponnesischen  Krieges  ans  Ruder  gekonmien,  ohne  es 
wesentlich  besser  zu  machen;  der  Bühnenfreiheit  waren  durch  Gesetz  und 
mehr  noch  durch  die  Furcht  vor  den  Machthabern  beengende  Schranken 
gezogen  worden;^)   der  Staat  war  durch  den  unglücklichen  Ausgang  des 
langjährigen  Krieges  verarmt  und  hatte  für  Festspiele  und  Chorausstat- 
tong  wenig    Geld  übrig;    der   Dichter  selbst  wurde    allgemach    alt    und 
verlor  die  Schneidigkeit  rücksichtslosen  Angriffs.     So  trat  seit  dem  Frieden 
des  Nikias  die  politische  Parteileidenschaft  in  seinen  Komödien   zurück 
und  ward  er  schliesslich  mit  seinem  Plutos,  Aiolosikon  und  Kokalos  Be- 


*)  Snidas:  'Agustotpavti^  'Poifiog  ^toi  Alv- 
A«f,  o(  dh  Aiyvnttoy  6<paaay  (vergl.  Schol. 
Nab.  271  Q.  Ath.  229  e),  ol  di  Kafjttqia,  »e<iBi 

•)  Nub.  530:  xayta  nuQ&eyog  ydg  h* 
7'r  X9VX  i^y  nta  fAOi  texeiy,  Hi9rixa,  Gegen 
^  Deatnng  dieser  Stelle  auf  das  Alter  er- 
Uftrt  adi  RöMBR,  Zur  Kritik  a.  Exegese  der 
Wc^en  des  Aristophanes,  Stzb.  d.  b.  Ak. 
1896  a  344  f. 

•)  Von  der  Altersgrenze,  die  zur  Por- 
^crong  eines  Chors  berechtigte,  wnssten 
Mbon  die  alten  Erklftrer  nichts  sicheres; 
^  junge  Scholion  za  Nub.  510  spricht  von 
30  Jahi«n.  Kenntnislos  ist  die  Angabe  der 
Sdiolien  zu  den  Fröschen  Y.  504,  wo  aus 
^X^doy  (iBiqaxiaxog  ijdi]  tjnjsjo  xwv  aytjymy 


gar  nichts  zu  schliessen  ist. 

*)  Pac.  767:  xal  xoTg  tpttXaxQotm  Tiagak^ 
yovfisy  avcnovSa^eiv  n€Qi  rrjg  yixtjg.  Vgl. 
Bergk,  Comment.  p.  203.  Auch  die  Bttsten 
stellen  den  Dichter  kahlköpfig  dar.  Dass  er 
der  Flasche  fleissig  zugesprochen,  bezeugt 
Ath.  429  a:  'AXxaiog  d^  6  fdeXonoiog  xal'jgi- 
axotpavfig  6  xtofjLfüdionoiog  fi69voyTeg  Byqafpov 
Ttt  noirj fittxtt.    Vgl.  Vesp.  80. 

')  Dass  wir  in  der  Polemik  des  Aristo- 
phanes  nicht  das  objektive  Urteil  eines  Hi- 
storikers, sondern  die  subjektiv  gefärbte  An- 
sicht eines  politischen  Parteimannes  zu  er- 
kennen haben,  betont  besonders  Müller- 
Strübing. 

•)  Vgl.  Pac.  739  ff.,  Vesp.  1023 ;  vgl.  §  195. 


19* 


i 


292 


Qrieohischa  Lüteratnrgeschiclite.    I.  Klassisohe  Periode. 


gründer  der  neuen  Komödie.^)  Die  letzten  zwei  StQcke  gab  er  schon 
nicht  mehr  unter  seinem  Namen,  sondern  unter  dem  seines  Sohnes  Araros, 
um  denselben  empfehlend  bei  dem  Publikum  einzuführen.*)  Den  uns  er- 
haltenen Plutos  dichtete  er  noch  für  die  Dionysien  von  388;  bald  nach- 
her aber  muss  er  gestorben  sein;  sicher  war  er  Ol.  101,  wo  nach  Suidas 
sein  Sohn  Araros  mit  eigenen  Stücken  auftrat,  schon  tot;  wahrscheinlich 
enthält  das  384  geschriebene  Gastmahl  des  Piaton  ein  Qedenkblatt  für  den 
kurz  zuvor  verstorbenen  Dichter.  Söhne  hinterliess  er  drei  oder  vier, 
von  denen  sich  Philippos  und  Araros  gleichfalls  der  komischen  Bühne 
widmeten.*) 

200.  Werke.  Hinterlassen  hat  Aristophanes  vierundvierzig  Komödien, 
von  denen  vier  als  unecht  galten.^)  Auf  uns  gekommen  sind  elf  Stücke,  die 
anderen  kennen  wir  nur  nach  Titeln  und  Bruchstücken.^)  Die  Zahl  der 
Dramen  ist  kleiner  als  die  der  grossen  Tragiker,  weil  an  den  Dionysos- 
festen immer  nur  eine  Komödie  gegenüber  drei  Tragödien  zur  AufiFÜhrung 
kam.  Die  drei  ersten  Komödien  brachte  er  unter  fremdem  Namen, 
die  JaiTaXr^g  oder  Schmauser  durch  Philonides  (427),  die  BaßvXairwi  (426) 
und  'AxccQvrjg  (425)  durch  Kallistratos  auf  die  Bühne.«)  Beide  Männer 
dienten  ihm  auch  später  noch  als  Schauspieler,  und  zwar  soll  Philonides 
die  Rollen  von  Männern  in  öffentlicher  Stellung,  Kallistratos  die  von  Private- 
personen  gegeben  haben,  offenbar  weil  dieselben  gerade  in  diesen  Rollen 
ihre  Hauptkraft  hatten.  7)  In  dem  Frieden  liess  er  nach  der  Hypothesis 
die  Hauptrolle  durch  den  Schauspieler  ApoUodor  spielen.  Übrigens  ver- 
schmähte er  auch  selbst  nicht  die  Aufgabe  eines  Schauspielers;  speziell 
wissen  wir,  dass  er  in  den  Rittern  den  Kleon  gab,  angeblich  weil  keiner 
der  Schauspieler  die  ge&hrhche  Rolle  zu  übernehmen  wagte.  ^)  Nach  dem 
Tode  des  Dichters  konnten  sich  natürlich  seine  Dramen  nicht  wie  die- 
jenigen der  Tragiker  auf  der  Bühne  erhalten.     Das  verbot  der  Ton    und 


*)  Vita  Aristoph. :  yprjfpiafAaioq  ysvofiiyov 
XOQtiyinov  üoxb  fif}  oyofjittaxl  xtofÄipdety  rtv« 
xal  rtSv  x^Q^ycSy  ovx  äyxexovnoy  ngog  to 
XOQijyeiv  .  .  .  iyQa\pe  KaixaXoy,  iy  ta  Biadyei 
g>SoQ(ty  xal  ay«yy(aQiafi6y  xal  laXXa  ndyiaj 
ä  iCrjXioae  Mäyay&gog.  Vgl.  Platonios  Ttegi 
diatpoQag  xtofi.:  roiovrog  ovy  iariy  6  x^g 
fÄiatjg  xfofÄtadiag  rvnog,  olog  iarty  6  AioXo- 
aixtoy  'AQtaxoq)ttyovg, 

*)  Vgl.  Arg.  Flut.;  vielleicht  auch)  weil 
Aristophanes  zu  alt  war,  um  selbst  noch  als 
Schauspieler  die  erste  Rolle  zu  spielen. 

')  Nach  Dikäarch  hatte  er  noch  einen 
Sohn  Philetairos;  Apollodor  nennt  statt  dessen 
Nikostratos. 

^)  Die  4  zweifelhaften  Stücke  noitjaigy 
Jioyvaog  yavayog^  Ntjaoi^  Nioßog  wurden  von 
andern  dem  Archippos  zugeschrieben;  über 
die  Gründe  dieses  Urteils  gibt  Vermutungen 
Kaibel,  Herm.  24  (1889)  S.  42  ff. 

*)  Ein  alphabetisches  Verzeichnis  von 
42  Stücken  im  Cod.  Ambros.  L  89  (entdeckt 
vonNovATi;  vgl.WiLAMOwiTZ  Herm.  14,461  ff.) 
und  in  einem  Vaticanus  (entdeckt  von  Zübetti, 


Anal.  Arist.  1892,  104).  Merkwürdigerwe 
fehlt  Aristophanes  unter  den  Siegern  an  den 
Dionysien;  er  errang  unter  eigenem  Namen 
nur  an  den  Lenften  Preise;  s.  Obhmicbkk 
Stz.  d.  b.  Ak.  1889,  II  156. 

")  Den  Kallistratos  nennt  auch  f&r  die 
JatxaXijg  der  Anon.  de  com.;  vergl.  Schol. 
Nub.  531.  Uebrigens  versteht  Arist.,  w^enn 
er,  wie  Ach.  644,  vom  Dichter  jener  St&cke 
spricht,  sicher  sich  selbst,  nicht  jene  Staroh- 
männer.  Die  Vita  bemerkt  weiter:  i^xtunro^ 
ttvxoy  U^iaxoiyv/jLog  xe  xal  ^AfABi^iagy  XBr^nSi 
Xi^yxBg  avxov  ysyoyiyai  xaxd  xijy  na^ot-ftiwc^ 
(6g  äXXoig  noyovyxa. 

^)  Vita:  did  fiiy  4»iX(oyL&ov  xd  dr^fiOTixä^ 
dui  di  KaXXiaxQaxov  xd  idiioxixd.  I>aza 
Schol.  Nub.  531 ;  Bkrok  bei  Mbiitskb  n 
916  ff.;  Zachbb  PhiloL  49,  313  ff. 

®)  Vita:  ovdeyog  xtoy  axevonoituy  toX/a^ 
aavxog  xd  ngoatanoy  avxoii  (sc.  KXeo»yo^\ 
axsvdffai,  dC  iavxov  ^Aqiaxot^vfjg  vncjr^c^irro, 
avxov  x6  TtgofffOTJoy  fJiiXx^  x^iaag,  was  ans 
Arist.  £q.  230  fl.  geschlossen  acheint. 


C.  Drama«    8.  Die  Komödie,    o)  ArietophaneB.    (§§  200->201.) 


293 


Inhalt  der  speziell  für  die  jedesmaligen  Zeitverhältnisse  gedichteten  Werke 
der  alten  Komödie.  Aber  um  so  eifriger  wurden  sie  von  den  alexandri- 
nischen  Grammatikern  gelesen  und  kommentiert.  Wiewohl  daher  unser 
Dichter  bei  den  zahmeren  Geistern  der  Kaiserzeit,  wie  Dion  Chrysostomos 
and  Plutarch,!)  wegen  seiner  derben  und  unflätigen  Spässe  in  Verruf  kam 
und  dem  feinen,  wohlgezogenen  Menander  nachstehen  musste,  so  haben 
sich  doch  von  ihm  nicht  weniger  als  elf  Stücke,  offenbar  die  berühmtesten 
und  charakteristischsten,  erhalten  und  dazu  gelehrte  und  scharfsinnige 
Schollen,  ohne  deren  Beihilfe  wir  vielfach  bei  der  Erklärung  und  Zeitbe- 
stimmung im  Stiche  gelassen  würden.  Diese  elf  Stücke  wollen  wir  nun 
ihrer  chronologischen  Folge  nach  einzeln  betrachten.*) 

201.  ''AxaQv^q  ist  der  Titel  des  ältesten  der  erhaltenen  Stücke,  auf- 
geführt 425  an  den  Lenäen  durch  Kallistratos  und  mit  dem  ersten  Preis 
gekrönt*)  Auf  die  Festzeit  spielt  der  Dichter  selbst  V.  504  an:  amoi 
yaq  iafisv  ovnl  Arjrcu(p  %'  äydv^  xovnto  ^svoi  ndqet^iSiv*  Kleon  hatte  nämlich 
gegen  den  Dichter  Klage  bei  dem  Senat  erhoben,  weil  er  im  Jahre  zuvor 
an  den  grossen  Dionysien  in  den  BaßvXcinoi  vor  ganz  Hellas  den  Staat 
der  Athener  und  die  Beamten  desselben  lächerlich  gemacht  habe.^)  Den 
Namen  hat  unsere  Komödie  von  dem  Chor,  der  aus  Kohlenträgem  des 
Dorfes  Achamä,  handfesten,  vierschrötigen  Kerlen,  zusammengesetzt  war, 
zu  deren  sehniger  Kraft  trefflich  der  rasche  und  kräftige  Rhythmus  der 
Kretiker  und  Trochäen  stimmt.  Ausgangspunkt  für  den  Dichter  bildete 
der  Gegensatz  zwischen  dem  Friedensbedürfnis  der  Landleute,  die  der 
Plackereien  des  Krieges  überdrüssig  waren,  und  den  Umtrieben  der  De- 
magogen und  Eisenfresser  nach  dem  Schlage  des  Kleon  und  Lamachos, 
deren  Weizen  in  den  Unruhen  des  Krieges  am  üppigsten  blühte.  Reprä- 
sentant der  ersten  Partei  ist  der  Biedermann  Dikaiopolis,  der  durch  Am- 
phitheos  einen  Separatfrieden  von  den  Lakedämoniem  erhandeln  liess  und 
nun  mit  heiterer  Lust,  wie  ehedem  im  Frieden,  seine  ländlichen  Dionysien 
begeht.^)  Verwicklung  bekommt  die  Handlung  durch  den  Chor  der  Acharner, 
die  den  Verräter,  weil  er  einen  Privatfrieden  mit  den  Feinden  der  Stadt 
zu  schliessen  gewagt,  mit  Steinen  verfolgen  und  zur  Verteidigung  auf 
dem  Hackblock  nötigen,  mehr  noch  durch  den  effektvollen  Kontrast  des 


')  Dion  or.  16,  6;  Pkt.  SvyxQUftg  U^i- 
9x«f4povi  xtti  Msyävd^ov,  Der  Arzt  Galen 
edineb  ein   Buch   Ei  XQV^^H-^*'  dydyyioafAa 

')  In  der  HaupÜiandschrifi;,  dem  Ravennas, 
stehen  die  Stücke  in  folgender  Ordnung:  Plnt. 
Nnb^Ban.  Eq.  Ach.  Vesp.  Pac.  Av.  Thesm.  Eccl. 
L78.  Massgebend  war  fttr  diese  Folge  nicht 
techweg  die  Abfassnngzeit  der  Stücke,  viel- 
mehr stehen  Toran  die  3  Stftcke,  welche  den 
i|Ateren  Gianunatikem  die  lesenswertesten 
Mhienen,  der  Plntos  als  Vorbild  der  neuen 
Komödie,  die  Wolken  und  Frösche  wegen 
ihrer  Beziehimg  zu  Sokrates  und  Euripides; 
ihneo  seheinen  andere  noch  als  4.  Stück  die 
Bitter  angereiht  zu  haben,  da  bei  der  fol- 
Cenden  Reihe,  Ach.  bis  Av.,  die  chronologische 


Folge  bewahrt  ist  (s.  oben  bei  Sophokles 
§  164).  Den  Schluss  bilden  die  3  Weiber- 
komödien. 

')  Nach  dem  Argumentum  erhielt  den 

2.  Preis  Eratinos  mit  den  Xfe^aCo/ucro»,  den 

3.  Eupolis  mit  den  Nov^rjviai. 

*)  Schol.  Ach.  502.  Der  Scholiast  zu 
Vesp.  1285  bezeichnet  die  Anklageform  als 
Blaaytayrj  ei^  xrjy  ßovXtjy.  Diese  Anklage 
konnte  indes  nur  gegen  den  nominellen  Autor 
erhoben  werden;  den  Aiistophanes  belangte 
Eleon  nach  Schol.  ad  Ach.  377  mit  einer 
&ixfj  ^Bvlag. 

B)  Mit  einer  aller  Dlusion  spottenden 
Freiheit  versetzt  Arist.  von  V.  240  an  die 
Scene  aus  der  Stadt  aufs  Land,  worüber  M. 
Haupt,  Opusc.  II  458  ff. 


294 


Griechische  Littenttorgeschichte.    L  Klassieohe  Periode. 


schlichten  Landmanns  und  des  Pascha  mit  drei  Rossschweifen,  des  kriegs- 
wütigen Lamachos,  der  zum  Krieg  gegen  den  Einfall  der  Böotier  auszieht, 
während  jener  zum  Mahle  sich  laden  lässt,  und  schwerverwundet  auf  die 
Bühne  zurückgetragen  wird,  während  jener  nach  fröhlichem  Mahle  jubelt 
und  tanzt.  Dieses  alles  ist  belebt  durch  sprudelnden  Witz  und  ergötz- 
lichste Scenen,  wie  von  den  Gesandten  der  Perserkönige,  dem  Studier- 
zimmer des  Euripides,  dem  Ferkelverkauf  der  Megarer.  Ober  dem  Ernst 
des  politischen  Hintergrundes,  der  immer  wieder  und  wieder  durchbricht, 
verleugnet  sich  eben  doch  nicht  die  Ausgelassenheit  des  Dionysosfestes, 
das  die  gröbsten  Zoten  hervorrief  und  entschuldigte.^)  Die  Verteidigung 
des  Dichters  und  namentlich  seiner  politischen  Stellungsnahme  führt  in 
kräftiger  Weise  der  Chor  in  der  Parabase  V.  626—718. 

202.  Die  Ritter  (iKTtrjg)  wurden  im  Jahre  424  an  den  Lenäen  vom 
Dichter  selbt  siegreich  auf  die  Bühne  gebracht,^)  aber  bereits  in  den 
Achamern  Y.  300  in  Aussicht  gestellt.  Anlage  und  Tendenz  des  Stückes 
liegen  schon  im  Titel:  die  Elite  der  athenischen  Bürgerschaft,  die  Bitter 
und  Söhne  der  edlen  Geschlechter  hatten  dem  Aristophanes  die  Ehre  an- 
gethan,  selbst  den  Chor  zu  bilden.^)  Das  hob  das  politische  Selbstgefühl 
des  jetzt  vor  aller  Welt  von  den  Besten  des  Staates  unterstützten  Dichters, 
der  mit  einer  unserem  Polizeiregiment  schwerbegreiflichen  Bedefreiheit 
nicht  bloss  dem  Mächtigsten  des  Staates,  dem  Eleon,  rücksichtslos  sein 
Sündenregister  vorhält,  sondern  auch  dem  suveränen  Demos  unverblümt 
die  bittersten  Wahrheiten  sagt.  Auch  durch  die  Sorgfalt  der  Disposition 
und  der  streng  durchgeführten  Fabel  erheben  sich  die  Bitter  über  die 
geniale  Ungebundenheit  der  Acharner:  der  Demos,  ein  alter,  jähzorniger, 
dem  Aberglauben  nicht  minder  als  der  Schmeichelei  zugängiger  Herr,  wird 
ganz  beherrscht  von  seinem  neuen  Diener  Kleon,  der  auf  jede  Weise  den 
alten  Herrn  zu  ködern  weiss  und  erst  allerjüngst  den  Feldherrn  Nikias 
und  Demosthenes  bei  Sphakteria  den  besten  Bissen  abgejagt  hatte.  In 
dem  Prolog  treten  zwei  andere  Sklaven  des  Demos,  welche  die  Gram- 
matiker Demosthenes  und  Nikias  getauft  haben,^)  auf,  um  sich  über  ihren 
neuen  Genossen,  den  Paphlagonier  zu  beklagen,  der  sie  durch  seine 
Schmeicheleien  ganz  um  die  Gunst  ihres  Herrn  bringe.  Ein  Orakelspruch, 
wie  sie  damals  zu  Dutzenden  bei  öffentlichen  Angelegenheiten  in  Umlauf 
gebracht  wurden,  zeigt  ihnen  den  Weg,  den  durchtriebenen  Gesellen  zu 
stürzen;  sie  treiben  einen  vierten  Sklaven,  den  Wursthändler  Agorakritos,^) 

0  Mülleb-Strübino  S.  498  ff.  nahm  eine  I   1023  die  hohe  Ehre  an. 


üeberarbeitnng  des  Stückes  an,  da  Lamachos 
bald  als  Stratege,  bald  als  Lochage  (1074) 
erscheint.  Die  Hypothese  nnterstiltzt  Zie- 
LivsKi,  Gliederung  54  ff.  durch  den  Nach- 
weis, dass  an  Stelle  der  schalen  Polterscene 
598  ff.  in  der  ersten  Bearbeitung  ein  voll- 
ständiger Agon  gestanden  habe. 

^)  Zweiter  war  nach  der  Hypothesis 
Eratinos  mit  den  lärvQoi,  dritter  Aristo- 
menes  mit  den  *YXo(p6Qoi,  Von  den  Rittern 
sagt  dieselbe:  j6  ifi  d^dfia  ttSy  ayay  xaXtug 
nsnoiijin^yaiy. 

>)  Dankbar  erkennt  der  Dichter  Yesp. 


^)  Die  Namen  stehen  jetzt  in  den  Aus- 
gaben und  Handschriften,  sind  aber,  wie  die 
Hypothesis  lehrt,  erst  von  den  alexandrini- 
Bchen  Grammatikern  eingesetzt  worden. 

')  Name  und  Person  dieses  Rivalen  sind 
.aus  der  Phantasie  des  Dichters  hervor- 
gegangen; aber  manche  Striche  zur  Zeich- 
nung mochte  dem  Dichter  die  Figur  des 
gleichgemeinen  Demagogen  Hyperbolos  ge- 
liefert haben.  MüLLBB-STBf^BiNG  S.  556  An. 
will  den  Namen  aus '.^^'d^aro;  -f  9$6xQnog 
herleiten. 


C.  Drama.    8.  Die  EomO^e.    o)  Aristophanes.    (§§  202—203.)  295 

auf,  der  an  Unverschämtheit  noch  den  Gerber  Eleon  zu  übertrumpfen  ver- 
steht. Die  Gliederung  des  Stückes  in  Akte  ist  vermittelst  Parabasen  und 
Scenenwechsel  angedeutet:  nach  dem  Prolog  wird  zuerst  Kleon  von  dem 
Wursthändler  auf  offener  Strasse  unter  lautem  Schreien  und  Toben,  aber 
mit  dem  Beistand  der  Ritter,  der  geschworenen  Feinde  des  Demagogen, 
verhaftet;  sodann  berichtet  nach  einer  Parabase  der  Wursthändler  in 
einer  langen  parodischen  Rede  die  Verhandlung  vor  dem  Senat;  darauf 
folgt  die  weitläufige  Hauptverhandlung  vor  dem  Demos  selbst,  wobei  zu- 
letzt die  beiden  Nebenbuhler  ihren  Herrn  in  ergötzlichster  Weise  rega- 
lieren.  Nach  einer  zweiten  Parabase  hält  der  Sieger  Agorakritos,  nach- 
dem ihm  das  Staatssiegel  (iaxvvhov,  V.  947)  eingehändigt  worden  war, 
als  Repräsentant  des  neuen  Regiments  mit  dem  umgekochten  Demos  seinen 
festlichen  Einzug.  Durchwoben  ist  die  Handlung  mit  tausend  pikanten 
Einfällen  und  Witzen,  zu  denen  das  Demagogentum  der  Zeit  Stoff  in  Fülle 
bot.  Prachtstücke  sind  ausserdem  in  Rhythmus  und  Inhalt  die  lustigen 
Beiterlieder  und  die  historischen  Rückblicke  auf  die  Vorgänger  des  Dich- 
ters in  der  ersten  Parabase  (505—610).  Aristophanes  rühmt  sich  in  den 
Wolken  V.  549  eines  durchschlagenden  Erfolges,  aber  der  kühne  Angriff 
auf  den  mächtigen  Lederhändler  Eleon  und  seine  Trabanten  trug  ihm 
Verfolgung  und  eine  Klage  ein,  wie  ,er  in  den  Wespen  1285  ff.  andeutet,  i) 
Sein  Beispiel  indes  regte  andere,  speziell  den  Eupolis  und  Hermippos,  zu 
ähnlichen  Angriffen  auf  den  Lampenfabrikanten  Hyperbolos  an.^) 

208.  Die  Wolken  {v€g>äXai)  wurden  zuerst  für  die  Dionysien  von  423 
gedichtet  und  dann,  da  dieselben  eine  kühle  Aufnahme  gefunden  hatten,  s) 
nochmals  umgearbeitet.  Diese  zweite  Bearbeitung,  die  aber  nicht  zum 
Abschluss  und  noch  weniger  zur  Aufführung  kam,^)  liegt  uns  allein  vor. 
Die  alten  Grammatiker  waren  im  stände,  auch  noch  die  erste  Bearbeitung 
zum  Vergleiche  heranzuziehen,^)  und  bezeichnen  insbesondere  die  Parabase, 
in  der  sich  der  Dichter  über  die  Unbill  des  Publikums  beklagt  (518  ff.),«) 
den  Streit  zwischen  dem  Sixaiog  und  aSixog  Xoyog  (889 — 1104),  und  den 
Schluss,  wo  das  Haus  des  Sokrates  in  Brand  gesteckt  wird,  als  neue  Zu- 
thaten.  Das  Stück  fand,  wie  erwähnt,  bei  den  Athenern  keinen  rechten 
Anklang,  indem  die  Masse  sich  für  die  philosophischen  Grübeleien  nicht 
interessierte  und  die  Besseren  an  der  ungerechten  Verzerrung  der  Gestalt 
des  Sokrates  Anstoss  nahmen.    Der  Dichter  selbst  hingegen  hielt  dasselbe 


}  Auf   die   Klage    des    Kleon    bezieht  ,  mit  dem  Konnos. 


Bkbgk,  Kl.  Sehr.  II  467  die  Stelle  in  Ps.- 
Xenophon  de  rep.  Athen.  2,  18.  Ausser  in 
den  Rittern  hatte  Aristophanes  in  den  'OXxä&es 
an  den  LenAen  d.  J.  428  die  Partei  des  Kleon 
angegriffen. 

>)  Arifitoph.  Nah.  553  ff.  Schol.  ad  Nub. 
554  fahrt  ans  den  Bapten  des  Eupolis  an: 
xdxeiyovg  rovg  'Inniag  ^vysnoiijca  t<^  (pa- 
iaxp(tf  TovTifi  x(^6a>QricdfJLriyi  was  die  Alten 
auf  die  2.  Parabase  1288—1315  bezogen. 
Eine  Erklftning,  wie  dieses  zu  verstehen  sei, 
stellt  KiKCHHOFF,  Herrn.  13,  287  ff.  auf. 

*)  Aristophanes  erhielt  den  3.  Preis,  den 
1.  Kratinos  mit  der  Hviiyij,  den  2.  Ameipsias 


*)  Irrtümlich  ist  die  Angabe  in  hyp.  lY 
al  <f^  devtsQtti  NetpiXai  im  'A^eivlov  äg- 
Xovtog.  Dagegen  Eratosthenes  zu  V.  552; 
s.  Gröbl,  Die  ^testen  Hypotheseis  zu  Aristo- 
phanes, Progr.  DilÜngen  1890. 

^)  Darüber  die  6.  Hypothesis  und  Era- 
tosthenes in  den  Schollen  zu  V.  552.  Vgl. 
Tbüffbl  in  der  Ausg.  der  Wolken;  Diitdobf, 
De  Arist.  fragm.  15^23;  Ziblikski,  S.  34  ff. 
Heiohtjbs,  Ueber  die  Wolken  des  Aristophanes, 
Progr.  Köln  1897  bestreitet  eine  weitgehende 
Umarbeitung;  nur  die  alte  Parabase  sei  teil- 
weise durch  eine  neue  ersetzt  worden. 

•)  Ebenso  Vesp.  1044  ff. 


296  (ahriaohisohe  Litteratiirgesohiohte.    I.  KUssisohe  Periode. 

für  sein  feinstes  Werk,  und  die  Nachwelt  hat  ihm  insofern  Recht  gegeben, 
als  keine  andere  Komödie  in  alter  und  neuer  Zeit  mehr  gelesen  und  kom- 
mentiert wurde.     Aber  das  Interesse   knüpft  sich  mehr  an  die  welthisto- 
rische Persönlichkeit  des  Sokrates  als  an  die  poetischen  Schönheiten  des 
Stückes.    Es  können  doch  eben   die  vollständige  Verzeichnung  des  Philo- 
sophen ^)  und  die  mangelhafte  Zusammenarbeitung  der  einzelnen  Teile  nicht 
als  besondere  Ehrentitel  angesehen  werden.     Die  Wolken  also  sind  gegen 
den  Geist  der  Neuzeit  und  die  neue  Richtung  der  sophistisch-rhetorischen 
Erziehung  gerichtet.^)     Als  Repräsentanten  dieser  Richtung  stellt  Aristo- 
phanes  den  Sokrates  hin,  lediglich   deshalb,   weil  dieser  schon  in  seiner 
äusseren  Erscheinung  eine  komische  Figur  bildete,  und  weil  unter   den 
Philosophen  seiner  Zeit  keiner  bekannter  und  einflussreicher  als  er  war. 
Sokrates  also  erscheint,  ganz  entgegen  den  Lehren,  die  er  zeitlebens  ver- 
trat, als  ein  grübelnder  Naturphilosoph,   auf  einer  Schwebemaschine  nach 
den  Sternen  lugend  und  die  luftigen  Gestalten  der  Wolken  als  die  Götter 
seines  Himmels  anrufend.     Bei  ihm    sucht   ein   ungebildeter  Landmann, 
Strepsiades,   den   die  Vornehmheit  seiner  adeligen  Frau  und  die   noblen 
Passionen  seines  Sohnes  Pheidippides  in  Schulden  gestürzt  haben,  Hilfe  in 
der   Hoffnung,    mittelst    der   Kunstgriffe    der    neuen  Weisheit    sich    der 
Plackereien  seiner  Gläubiger  zu  entledigen.     Zuerst  tritt  er  also  selbst  in 
das  Studierzimmer  ein ;  als  er  aber  von  Sokrates  wegen  seiner  üngelehrig- 
keit   und  Vergesslichkeit   davongeschickt   wird,    bewegt   er  seinen    Sohn 
Pheidippides  sich  dem  Sokrates  in  die  Lehre  zu  geben.     Dieser  zeigt  sich 
denn  auch  so  gelehrig,  dass  der  Alte  schon  über  die  langen  Nasen  seiner 
Gläubiger  jubelt;  aber  bald  muss  er  zu  seinem  Schaden  erfahren,  dass  die 
Schlauheit  der  neuen  Lehre  an  ihm  ausgeht,  indem  der  Junge  ihn  durch- 
prügelt und  ihm  dann  rite  vordemonstriert,  dass  es  ganz  in  der  Ordnung 
sei,  wenn  die  Alten  von  den  Kindern   die  Prügel  der  Jugendzeit  zurück- 
gezahlt bekommen.     Mit  einem  grossen  Feuerwerk,   der  Verbrennung  des 
Hauses  der  Gottesleugner  Sokrates   und  Chairephon,  schliesst  das  Stück. 
—  Piaton  misst  in  der  Apologie   die  Hauptschuld  an  dem  irrigen  Urteil, 
das  sich  über  Sokrates  gebildet  hatte,  den  Komikern  bei  und  spielt  dabei 
c.  3  deutlich  auf  unsere  Wolken  an;  später  liess  er  denselben  Aristophanee 
mit  Sokrates  beim   Symposion    gemütlich  zusammensitzen,  zum  Zeichen, 
dass  er  tollen  Fastnachtscherz  von  gemeiner  Verleumdung  zn  trennen  wusste. 
204.   Mit  den  Wespen  (afpijxeg),   aufgeführt  an  den  Lenäen  422,») 
kehrte  Aristophanes  wieder  zur  politischen  Komödie  zurück,  doch  folgte 
er  in  dem  Aufbau  des  Stücks  ganz  der  Anlage  der  Wolken,  indem  er  nur 
die  Rollen    umkehrte.     Während   dort   der   alte    Strepsiades    den   jungen 
Pheidippides  in  die  neue  Schule  einführt,  bemüht  sich  hier  umgekehrt  der 

^)  Dass  indes   doch  einzelne  ZOge  der  l           ')  Aig.  Vesp.:   idufax^fj   ini    a^;ro»nroc 

Bokratischen  Art  richtig  dargestellt  sind,  zeigt  U/jieiyiov   Sm   ^iXtoyidov  ei^  Afjvaia   itr   r^ 

BöKKR,   Zar  Kritik  u.  Exegese   der  Wolken  -nd^  oXvfjmtadt  *  ösvts^os  ^y,  xai  Mxa  ti^. 

des  Arisioph.,   Stzb.  d.  b.  Ak.  1896  S.  221  ff.  jog  ^xal  ivixa  n^eSrog  *  devregog  ^y  corr.  Leo) 

»)  SüvERN,   üeber  die  Wolken  des  Ari-  4>iXa)yidrjg  n^oaywyt,  Asvxaty  n^süßcirt  r^iwog. 

stophanes,  Berl.  1826;   F.  V.  Fbitzscbb,  De  Gegen    die   Prozesssucht   waren    gleich&Us 

Socrate  vetenun  comiconun,  in  Qnaest.  An-  i   gerichtet  die  Prospaltier  des  Eapolis. 

stoph.  p.  97  -  295.  I   *                            ^ 


C.  Drama.    8.  Die  Komödie,    e)  Aristophanes.    (§§  204—205.)  297 

junge  Hassekleon,  Bdelykleon,  den  alten  Kleonfreund,  Philokieon,  von  seiner 
Proz688wut  zu  heilen.  Er  sperrt  ihn  also  zuerst  peinlich  ab  und  weist  die 
Richterkollegen,  die  ihn  früh  morgens  zum  Gerichtshof  abholen  wollen, 
mit  Gewalt  zurück.  Dann  lässt  er  ihm  infolge  eines  Kompromisses  zu 
Hause  ein  Privatgericht  herrichten,  in  welchem  der  Pi-ozess  der  2  Hunde 
verhandelt  wird,  der  den  Streit  des  Kleon  und  Laches  ^)  auf  das  witzigste 
parodiert.  In  diesem  Hauptteil  des  Stückes  herrscht  der  Ernst  der  sitt- 
lichen Entrüstung  vor,  der  sich  zunächst  gegen  ein  Erb-  und  Erzübel 
{rwfov  aQxafav  iv  rrj  noXn  s\*x€Toxvtav  V.  651)  des  athenischen  Volkes,  die 
durch  Erhöhung  des  Richtersoldes  von  1  oder  2  auf  3  Obole  masslos  ge- 
steigerte Prozesssucht,  wendet,  daneben  aber  auch  die  spitzigsten  Pfeile 
gegen  Kleon  und  die  anderen  Volksschmeichler  richtet,  welche  die  Mara- 
thonskämpfer mit  dem  armseligen  Lohn  des  Richtersoldes  abspeisten,  um 
desto  schamloser  den  weit  grösseren  Teil  der  öffentlichen  Einkünfte  in 
ihre  Taschen  zu  schieben.  Der  Schluss  des  Stückes  ist  dann  wieder  für 
die  Freunde  der  Posse  und  der  lustigen  Kneipscenen  hergerichtet:  der 
alte  Philokieon  wird  von  seinem  Sohne,  um  gründlich  kuriert  zu  werden, 
in  ein  fröhliches  Gelage  eingeführt,  wo  er  bald  seinen  mürrischen  Gries- 
gram so  völlig  auszieht,  dass  er  die  schöne  Flötenspielerin  zerrt,  die  Tisch- 
genossen schlägt  und  zuletzt  tanzend  und  jubelnd  mit  dem  Chor  zur  Bühne 
hinauszieht.  Den  Namen  hat  die  Komödie  von  dem  Chor  der  Richter,  die 
wegen  ihrer  grimmen  Härte  als  Wespen  mit  spitzem  Stachel  dargestellt 
waren.  Begleitet  waren  dieselben,  da  sie  schon  vor  Tagesgrauen  zum 
Bichtplatz  aufbrachen,  von  3  lampentragenden  Knaben, 2)  die  am  Schluss 
als  die  tanzenden  Söhne  des  Tragödiendichters  Karkinos  wiederkehren. 
Das  Stück  gehört  zu  den  vorzüglichsten  des  Dichters:  es  vereinigt  den 
sittlichen  Ernst  des  unbestechlichen  Politikers  mit  dem  unverwüstlichen 
Humor  des  erfindungsreichen  Dichters.  Nachgebildet  wurde  dasselbe  von 
Kacine  in  seinen  Plaideurs. 

205.  Der  Friede  (elQ-qvrj)  wurde  an  den  Dionysien  421  kurz  vor 
Abschluss  des  Friedens  des  Nikias  aufgeführt  und  mit  dem  2.  Preis  be- 
dacht^) Nach  der  3.  Hypothesis  hatten  die  alten  Grammatiker  noch 
Kenntnis  von  einer  zweiten  EtQTjvrj^  die  in  dem  Jahre  zuvor,  noch  zu  Leb- 
zeiten des  Kleon  gedichtet  war.  Auf  diese  hat  man  die  Verse  45  ff.  und 
479  f.,  in  denen  Kleon  noch  als  lebend  gedacht  ist,  zurückzuführen  ge- 
sucht.*) Unsere  Komödie  ist  gewissermassen  eine  Vorfeier  des  sicher 
erwarteten  und  bald  abgeschlossenen  Friedens.  Im  Eingang  lässt  der  Dichter 
in  gpasshafter  Verkehrung  des  euripideischen,  auf  dem  Pegasus  durch  die 
Luft  reitenden  Bellerophon  den  Trygaios  als  Repräsentanten  der  fried- 
liebenden Landleute  auf  dem  Mistkäfer  gen  Himmel  fahren,  um  von  dort 
die  Opora   und  Theoria  zum  langersehnten  Friedensfest  abzuholen.     Im 

')  BafiB  Attxv^  unter  dem  Hnndsnamen   '  ^)  Stanoeb,  Umarbeitimg  einiger  aristo- 


Anfr^  steckt,  vermutet  Schol.  Vesp.  882. 

')  lieber  die  Anordnung  des  Chors  und 
^9  breitenden  Knaben  s.  Rich.  Arnoldt, 
Die  CfaorpartieQ  des  Arist.,  Leipz.  1873,  Kap.  1. 

')  Den  1.  Preis  erhielt  Eupolis  mit  den 


liXazBi,   den  3.  Leukon  mit  den  ^^xoQsg.   \   schieden  gewesen  sei. 


phänischer  Komödien,  Leipz.  1870;  Zielikskt, 
Gliederung  S.  63  ff.;  dagegen  Müller-StrO- 
BiNo  169  f.  Fritzschb,  Quaest.  Arist.  112 
und  Stanger  glauben,  dass  die  zweite  Elqrjvtj 
nur   dem  IMtel   nach   von  den  FeaiQyol  ver- 


298  GriechiBclia  LitieratiirgMohiohte.    I.  Kluwiache  Periode. 

Himmel  also  oder  auf  der  oberen  Bühne,  dem  &€oXoy€Tov,  spielt  der  erste 
Teil  des  Stückes  und  das  Gespräch  des  Trygaios  mit  dem  Gotte  Hermes. 
Im  zweiten  Teile,  der  auf  der  Erde  vor  sich  geht,  werden  dann  die  Vor- 
bereitungen zum  Festopfer  getroffen  und  wird  zum  Schluss  Trygaios  mit 
seiner  Schönen  vom  Chor  unter  Hochzeitsgesang  aufs  Land  geleitet.  Das 
Stück  entbehrt  der  kunstvoll  verschlungenen  Handlung  sowohl  als  des 
lebhaften  Streites ;  im  übrigen  sind  die  Freuden  des  friedlichen  Landlebens 
reizend  geschildert  (1127 — 1190),  und  hat  gewiss  die  grosse  Parabase 
(729 — 818)  durch  die  gelungene  Verteidigung  des  Dichters  und  die  hübsche 
Aufforderung  an  die  Musen  zum  fröhlichen  Tanzlied  ihre  Wirkung  nicht 
verfehlt. 

206.    Die  Vögel  (oQvi&eg),  die  geistreichste  Schöpfung  der  aristo- 
phanischen Phantasie,  erhielt  bei  ihrer  Aufführung  an  den  Dionysien  des 
Jahres  414  auffälligerweise   nur  den  2.  Preis. ^)     Das  Argument  ist  ge- 
wissermassen  der  Welt  der  äsopischen  Fabel  entnommen.     Zwei  Athener, 
Euelpides,  Hans  Hoffegut,  >)  und  Peithetairos,  Beschwatzefreund,  des  Lebens 
in  der  händelsüchtigen  Vaterstadt  müde,  kommen  auf  Kreuz-  und  Quer- 
wegen zum  Wiedehopf,   dem  aus  der  Vorgeschichte  Attikas  berühmt  ge- 
wordenen Vogel,  um  sich  von  ihm  einen  schikanenfreien  Ort,  eine  Seligen- 
insel,  anweisen  zu  lassen.    Aber  mit  den  vorgeschlagenen  Orten  wenig 
einverstanden,  entschliessen  sie  sich,  bei  den  Vögeln  selbst  zu  bleiben  und 
diesen  die  Gründung  eines  neuen  Staates  anzuraten.     Die  Vögel  gehen  auf 
den  phantastischen  Vorschlag  ein  und  gründen  Wolkenkuckucksheim  (Ac* 
ipsXoxoxxvyia)  in  der  Luft  zwischen  Himmel  und  Erde.     Die  Gründang  der 
Stadt  und  die  bei  solcher  Gelegenheit  herkömmlichen  Zudringlichkeiten 
von  Poeten,  Wahrsagern,  Aufsehern,  Sykophanten  werden  in  ergötzlichster 
Weise  geschildert,  ebenso  die  Verwirrung  der  Götter,  die  durch  die  neue 
Vogelstadt  sich  der  Ehren   und  Opfer   der  Menschen  beraubt  sehen,   so 
dass  Zeus  genötigt  wird,  eine  Gesandtschaft  an  den  Vogelstaat  abzuordnen, 
um  einen  Modus  vivendi  herzustellen.     Der  Pakt  kommt  unter  der    Be- 
dingung zu  stände,  dass  Zeus  dem  Peithetairos  die  Basileia,  die  Personi- 
fikation der  Weltherrschaft,')  abtrete.    Das  leitet  zum  Schluss  des  Stuckes, 
das  in  der  Art  der  meisten  Lustspiele  des  Aristophanes  mit  einem  Triumph- 
und  Hochzeitszug  der  Hauptpersonen,   des  Peithetairos  und  der  Basileia, 
endet.     Dass  wir  hier  ein  Meisterwerk  des  Witzes  und  der  Phantasie  voll 
duftiger  Natur-   und  Waldpoesie  vor  uns  haben,   ward  zu  aller  Zeit    an- 
erkannt,^) nicht  minder  dass  in  der  utopischen  Zauberumhüllung  eine  Reihe 

')  Nach   der  Hypothesis  erhielt  den  1.  nialen  Nachhildong  des  Eiogangs  der  Vögel, 

Preis   Ameipsias   mit    den    Ktofiaüxai,    den  Ges.  Werke  Bd.  14. 

dritten  Phiynichos  mit  dem  MoyoxQonoq.    In  ')  MüLLBR-STBCBiifG,    Jahrb.    f&r    Pbil. 

dem   gleichen   Jahr  Hess  Arist.   nach    dem  '    121,  104,  schliesst  aus  Y.  1738  im  Zusammen- 

2.  Arg.   den   Amphiaraos    durch    Philonides  hang  mit  Aesch.  Eum.  827,   dass  onier  der 

aufführen.      Nach    demselben    Argumentum  BaciXBia  die  Stadtgöttin  Athene  gemeint  sei. 

waren   die  Vögel   das    35.  Stück,   wie    das  Dagegen  Gasab,  Ind.  lect  Marb.  1881. 

T^Qa^   das  9.  nach  Bekker  an.  gr.  430,  15.  *)  Arg.  I:   to   d^dfia    xovto  xtSy    ayar 

Das  Verzeichnis  {icyay(>a(fTJ)f  aus  dem  diese  dwaxtos  nsnoiijfAeyioy.    Eine  ähnliche    Idee 

Zahlen  stammen,  scheint  die  Stücke  eher  in  ,  hatte    indes    schon   Pherekrates    in    seiiien 

alphabetischer  als   chronologischer  Ordnung  ,  ^Aygioi  durchgeführt.    Später  dichtete  nach 

enthalten  su  haben.  >  dem  Muster  der  Vögel  Archippoe  ein    fthn- 

^)  So  übersetzt  von  Goethe  in  der  ge-  j  liebes  Stück  'ix^ves. 


Q.  Drama.    8.  Die  KomOdie.    o)  Aristophanes. 


I  206-208.) 


299 


kräftiger  Seitenhiebe  auf  stadtbekannte  Persönlichkeiten,  wie  den  Fresser 
und  Feigling  Kleonymos  (V.  289  f.),  den  von  Schmeichlern  und  W,eibem 
ausgebeuteten  Kallias  (285  ff.)t  ^^^^  Geometer  und  Kalenderverbesserer 
Meton  (992  flf.),  den  Dithyrambendichter  Kinesias  (1373  ff.)  u.  a.  abfallen. 
Aber  über  die  Tendenz  der  Gesamtkomödie  hat  man  viel  gestritten.  Süvern  *) 
wollte  in  ihr  eine  bis  ins  Einzelnste  durchgeführte  Allegorie  auf  die  Be- 
gebenheiten der  Zeitgeschichte  finden;  umgekehrt  leugnete  Droysen  in 
seiner  Übersetzung  des  Aristophanes  jede  tiefere  Tendenz  und  sah  in  dem 
Stück  nur  ein  harmloses  Spiel  der  Phantasie  nach  Art  des  Sommemachts- 
traames.  Die  Wahrheit  liegt  in  der  Mitte  und  ist  trefflich  entwickelt  von 
Bursian,')  der  dem  poetischen  Spiel  sein  volles  Recht  lässt  und  in  den 
Haaptträgem  der  Handlung  keine  Verspottung  bestimmter  Individuen  an- 
nimmt, aber  doch  dem  Dichter  die  Absicht  zuschreibt,  dem  athenischen 
Volk  in  der  tollen  Projektenmacherei  des  Peithetairos  und  der  raschen 
Erwärmung  der  Vögelschar  für  abenteuerliche  Pläne  einen  Spiegel  der 
eigenen  Leichtgläubigkeit  und  maulaufsperrenden  Gedankenlosigkeit  vor- 
zuhalten. 

207.  Die  Av<si<STqd%ri^  aufgeführt  an  den  Lenäen  411, 8)  ist  die 
älteste  der  erhaltenen  3  Weiberkomödien  unseres  Dichters.  Dieselbe  ist 
benannt  nach  der  Hauptperson,  welche  in  einer  Versammlung  von  Frauen 
aus  allen  Teilen  Griechenlands  den  Vorschlag  macht,  die  Männer  dadurch 
zum  Frieden  zu  zwingen,  dass  sie  ihnen  den  Beischlaf  kündigen,^)  infolge 
dessen  es  dann  auch  wirklich  nach  allerlei  obscönen  Zwischenfallen  zur 
Versöhnung  der  Lakedämonier  und  Athener  kommt.  Eine  Parabase  fehlt; 
der  Chor  ist  wie  in  Schillers  Braut  von  Messina  in  2  feindliche  Parteien 
geteilt,  die  der  Frauen  und  die  der  Greise,  welche  sich  beide  um  den  Be- 
sitz der  Burg  streiten,  indem  die  Greise  durch  Anlegung  von  Feuer  die 
Fraoen,  welche  bereits  von  der  Burg  Besitz  ergriffen  hatten,  aus  derselben 
wieder  zu  vertreiben  suchen,  eine  Schar  von  Frauen  aber  mit  Wasser- 
eimem  ihren  Kolleginnen  zu  Hilfe  kommt.  Die  lüsternen  Einfalle  und 
nnflätigen  Witze  des  Stückes  waren  nur  im  Theater  zu  Athen  denkbar, 
wo  die  Männer  unter  sich  waren  und  auch  die  Frauenrollen  von  Männern 
gespielt  wurden,  unter  diesen  Voraussetzungen  ist  aber  auch  unerreicht 
die  Scene  des  stanzengeplagten  Kinesias  und  der  den  Mann  mit  ergötz- 
lichsten Ausflüchten  hinhaltenden  Myrrhine  (845—979).  Sehr  hübsch  sind 
auch  die  Tanzlieder  des  Chors  der  Lakonierinnen  und  der  Athenerinnen, 
mit  denen  glanzvoll  und  heiter  zugleich  das  geniale  Stück  abschliesst.  Im 
Hintergrund  des  Musenspieles  steht  die  kurz  zuvor  erfolgte  Verfassungs- 
änderung Athens  und  die  damit  genährte  Hoffnung  auf  endlichen  Friedens- 
schhiss. 

208.  Die  0€afio^oQid^ov(rai,  aufgeführt  an  den  Dionysien  des- 
selben Jahres,^)  sind  gegen  Euripides  gerichtet,  dessen  neumodische  Manier 


*)  SOtbrn,  Ueber  Ariatophanes'  Vögel, 
AbhdL  d.  BerL  Ak.  1827. 

*)  BuBSiAH,  Ueber  die  Tendenz  der 
Vagel  des  Arist.,  in  Stzb.  d.  b.  Ak.  1875 
S.  375  ff. 

'J  Arg.  Lys.;  eine  Angabe  des  Preises 


und  der  Mitbewerber  fehlfc. 

^)  Aehnliche  Situation  von  bnrgbesetzen- 
den  Frauen  aus  altfranzOsischen  und  mittel- 
hochdeutschen Stoffen  weist  nach  Jak.  Qbimm 
Kl.  Sehr.  V  408  ff. 

*)  Nach  Schol.  Thesm.  190,  804,  841. 


L 


300  Grieohisohe  Littaratnrgesohiohte.    I.  ElMsisolie  Periode. 

schon  in  den  Achamem  die  Zielscheibe  des  beissenden  Spottes  unseres 
Dichters  gebildet  hatte.     Das  dreitägige  Fest  der  Thesmophorien  zu  Ehren 
der  Demeter  war  ausschliesslich  für  Frauen  bestimmt;  zum  Thesmophorion, 
dem  Ort  der  städtischen  Feier  am  Abhang  der  Akropolis,  hatte  kein  männ- 
liches Wesen  Zutritt.     Gelegentlich  dieses  Festes  also  lässt  Aristophanes 
die  Frauen  den  Plan  fassen,  den  Euripides,  den  grossen  Verleumder  ihres 
Geschlechtes,   in  die  Acht  zu  thun.     Euripides,  der   von  der  Sache  Wind 
bekommen,   sucht  zuerst  den  eleganten  Liebling  der  Frauen,  den  Dichter 
Agathen,  und  als  dieser  sich  nicht  dazu  hergeben  will,  seinen  Schwager 
Mnesilochos^)  zu  bewegen,  sich  als  Frau  verkleidet  in  die  Weiberversamm- 
lung einzuschleichen  und  seine  Verteidigung  zu  führen.     Der  Aufgabe  ent- 
ledigt sich  Mnesilochos   mit  Witz  und  Geschick,   vornehmlich  durch   den 
Nachweis,  dass  die  Frauen  thatsächlich  noch  viel  wollüstiger  und  schlechter 
seien,  als  Euripides  sie  dargestellt  hatte.     Aber  während  so  der  Anschlag 
trefflich  abzulaufen  beginnt,   kommt  plötzlich  die  Verlegenheit  durch   die 
Anzeige  des  Eleisthenes,  dass  sicherem  Vernehmen  nach  ein  als  Frau  ver- 
kleideter Mann  sich  eingeschlichen  habe.     Die  Anwesenden  werden  unter 
allerlei   zotigen  Witzen   untersucht,    und   Mnesilochos   nach   vergeblichem 
Sträuben  als  Mann  erkannt.     Der  Bösewicht  soll  durch  einen  skythischen 
Polizisten  (ro^on;^)  verhaftet  und  vor  die  Prytanen  geführt  werden;   da 
gelingt  es  noch   den   erfinderischen   Listen   des  Euripides,    sich  mit   den 
Frauen   abzufinden  und   den   Mnesilochos  seinem  Wächter  zu  entreissen. 
Der  Schluss  ist  mager,  indem  zum  notdürftigen  Abschluss  der  Chor,  ähn- 
lich wie  in  der  jüngeren  euripideischen  Tragödie,  nur  ein  kurzes  anapästi- 
sches Exodion   singt.     Die  Stärke   unserer  Komödie  liegt  in  der  Parodie 
des  Euripides  und  Agathen,  wobei  der  geschniegelte  und  gebügelte  Weiber- 
poet Agathen  mit  seinen  gedrechselten   und  verschnörkelten  Versen  noch 
schlechter  wegkommt  als  der  erfindungsreiche  Weiberfeind  Euripides.     EÄe 
Ghorlieder  sind,  wie  bei  der  Situation  des  Stückes  erklärlich,  ganz  anderer 
Art  als  in  den  sonstigen  Komödien;  sie  enthalten  herrliche  Tanzlieder  zu 
Ehren  der  Götter,  in  denen  aber  gewiss  auch  die  Parodie  eine  grosse,  nur 
uns  bei  der  Dürftigkeit  der  Scholien  wenig  mehr  erkennbare  Rolle  spielt. 
Das  Stück  fand  solchen  Anklang,  dass  Aristophanes  später  noch  ein  zweites 
Stück  gleichen  Namens  folgen  Hess.    Dasselbe  war  keine  Überarbeitung 
unserer  Komödie,   sondern   ein  ganz  neues  Stück,   das,  wie  man  aus  der 
Sprecherin  des  Prologs,  Kalligeneia,  erkannt  hat,  am  vierten  oder  letzten 
Festtage  spielte,  während  unsere  Thesmophoriazusen  auf  den  dritten  Fest- 
tag fallen.     Mit  Bezug  darauf  hat  der  Grammatiker  Demetrios  aus  Trözen 
nach  Athen,  p.  29  a  die  zweiten  Thesmophoriazusen  Qeafio^oQitiaaaat  ge- 
tauft.») 


Neuere,    worunter   Hanow,    Exerc.    crit.    in   !  ^)  Der  Name  ist  nicht  genannt,  indem 


com.  gr.  82  flF.,  Ritschl,  Opusc.  1  429  plä- 
dieren für  410;  dagegen  Wilamowitz,  Arist 
u.  Athen  11  343.  Eine  Didaskalie  zu  dem, 
wie  es  scheint,  weniger  gelesenen  Stück 
fehlt.    Verwandten  Titel  hatten  die  'Adtovid- 


^ovoai  des  Philetairos.  79  ff. 


die  Person  nur  als  xrjdeatijg  Ev^nidov  ein- 
geführt  wird;  s.  Hillbr,  Herrn.  8,  449  f. 

*)  Das  YerhAltnis  klar  gelegt  von  Fritz- 
scHE  in  Ausg.  (1838);  vgl.  A.  Moicmsbk, 
Heortologie  S.  301   ff.     Dagegen   Zuu^irski 


C.  Drama.    8.  Die  Komödie,    o)  Ariatophanea.    (§  209.)  301 

209.  Die  ^Exxkr^atd^ovaai^  nach  dem  peloponnesischen  Krieg  im 
Jahre  389  (nach  anderen  392)  aufgeführt,^)  sind  ein  loser  Schwank,  der 
allerdings  auch  aus  den  politischen  Zeitverhältnissen  erwachsen  ist,  aber 
ganz  der  ätzenden  Schärfe  persönlicher  Persiflage  entbehrt.  Denn  die  An- 
griffe auf  die  neuerungssüchtige  Gesetzgebung  (V.  813  ff.),  den  korrum- 
pierenden Einfluss  des  Ekklesiastensoldes  (308  ff.),  das  Demagogentum  des 
Agyrrios  (102.  184)  sind  alle  so  zahm,  dass  sie  selbst  unsere  Theaterzensur 
passieren  könnten.  Der  Schwank  zerföllt  in  zwei  locker  verbundene  Ab- 
scbnitte.  In  dem  ersten  ziehen  Frauen  als  Männer  verkleidet  mit  Stiefeln 
und  Schnurrbärten  in  aller  Frühe  in  die  Volksversammlung  {exxXtjaia)^  um 
durch  ihre  Wortführerin  Praxagora  den  Beschluss  durchzusetzen,  dass  die 
Angelegenheiten  der  Stadt,  nachdem  die  Männer  alles  schlecht  gemacht, 
nunmehr  den  Frauen  überlassen  werden.  Im  zweiten  Teil  treten  dann  die 
Frauen  mit  ihren  weltverbessernden  Ideen  der  Güter-  und  Weibergemein- 
schaft  heraus,  machen  aber  gleich  bei  dem  ersten  Versuch  der  Durch- 
führung ihrer  Prinzipien  glänzend  Fiasko,  teils  infolge  der  Schlauheit  ein- 
zelner Bürger,  die  mit  der  Auslieferung  ihres  Vermögens  an  den  Gesamt- 
staat zurückhalten,  teils  und  mehr  noch  infolge  der  Geilheit  der  alten 
Weiber,  welche  von  der  Bestimmung  der  Männergemeinschaft  zunächst 
für  sieh  Vorteil  zu  ziehen  suchen.  —  Die  sozialistischen  und  kommunisti- 
schen Ideen  des  aristophanischen  Weiberstaates  haben  vieles  mit  der  Re- 
publik Piatons  gemein;  aber  dass  Aristophanes  dieselben  aus  Piaton  ent- 
nommen und  mit  seiner  Komödie  eine  Satire  auf  den  Staat  des  Piaton 
habe  schreiben  wollen,  ist  doch  sehr  fraglich.^)  Nicht  nur  fehlt  jede  An- 
züglichkeit auf  Philosophen,  wiewohl  der  Dichter,  wenn  derartige  Lehren 
von  einem  Philosophen  bereits  aufgestellt  worden  wären,  sich  schwerlich 
die  Gelegenheit  der  Philosophen  Verspottung  hätte  entgehen  lassen;^)  auch 
die  Chronologie  macht  Schwierigkeit:  die  uns  erhaltene  Politeia  des  Piaton 
in  10  Büchern  ist  zweifelsohne  weit  später  ediert  worden,  und  ob  die  an- 
gebliche ältere  Ausgabe  in  2  Büchern  in  so  frühe  Zeit  hinaufgerückt  wer- 
den dürfe,  und  ob  dieselbe  überhaupt  etwas  von  der  Weibergemeinschaft, 
die  in  unserer  Politeia  erst  im  5.  Buche  behandelt  wird,  enthalten  habe, 
ist  m  jeder  Beziehung  zweifelhaft.*)  Das  Wahre  an  der  Sache  wird  also 
sein,  dass  infolge  der  allgemeinen  Verarmung  der  Bürger  nach  dem  pelo- 
ponnesischen Krieg  kommunistische  Ideen  in  den  Köpfen  der  Bürger  spuk- 
ten,^) und  dass  dieselben  zuerst  der  geniale  Komiker  zu  einem  drolligen 


^)  Auf  das  Jahr  392  führt  die  Angabe 
^«8  Phflochoros  zu  V.  193.  Götz,  De  tempo- 
ribos  Eccies.  Aristoph.  in  Act.  Lips.  II  335  ff. 
Tenrertet  die  geschichtlichen  Verhältnisse  für 
du  Jahr  389  nnd  erklärt  den  Irrtum  des  Phi- 
lochoros  daraus,  dass  Demostratos,  unter  dem 
nach  der  verlorenen  Didaskalie  das  Stück 
segeben  worden  sei,  Ol.  97,  3  und  96,  4  Ar- 
^n  war.  Vergl.  Köhlbb,  De  Aristoph.  Ec- 
cleaias.  tempore  et  choro,  Dias.  Jena  1889. 
Die  Winterzeit,  in  welche  die  Lenäen  fallen, 
ergilkt  sich  aus  Y.  289. 

*)  Bbsok,   Comment.   p.  81:    locupletis- 


»iazusis  ipsam  hanc  doctrinam,  quam  Plato 
in  Ulis  libris  proposuit,  seile  exagitat  ipsum- 
que  etiam  Platonem  ohscurato  quidem  no- 
mine {'jl^laivkkog  für  nkärtoy  6  A^laxiayog) 
ohiurgat.  Ebenso  Mkineke,  Eist.  crit.  com. 
I  288.  Dagegen  Süsemihl,  Plat.  Phil.  II  1, 
296  ff. 

')  Der  Ausdruck  (pik6<To(pos  (pQovtig 
y.  571  beweist  nichts  dagegen. 

*)  Vgl.  HiBMBB,  Jhrb.  f.  cl.  Phil.  Suppl. 
XXni  (1897)  655—660. 

*)  Von  der  Weibergemeinschaft  der 
Agathyrsen  erz&hlt  bereits  Herodot  IV  104. 


**ntw  aueior   Aristophanes,    qui  in  Eccle-  ,  Dass  auch  bei  den  Spartanern  Umgang  einer 


302 


GrieohiBohe  Utteratargeaohiohte.    L  SUmmimohe  Paridde. 


Schwank  benutzte  und  dann  der  tiefsinnige  Philosoph  in  ein  durchdachtes 
System  brachte. 

210.  Die  Frösche  {ßdrQaxot),  an  den  Lenäen  405  aufgeführt,  wurden 
nicht  bloss  mit  dem  1.  Preis  gekrönt,  sondern  auch  mit  einem  so  ausser- 
ordentlichen Beifall  aufgenommen,  dass  sie  zu  einer  zweiten  Aufführung 
kamen  ^)  und  der  Dichter  ihretwegen  mit  einem  Zweig  des  heiligen  Öl- 
baums bekränzt  wurde.  ^)  Stoff  bot  dem  Aristophanes  und  in  merkwürdiger 
Übereinstimmung  zugleich  seinem  Rivalen  Phrynichos  der  kurz  zuvor  ein- 
getretene Tod  der  beiden  grossen  Tragiker  Sophokles  und  Euripides.  Es 
standen  die  grossen  Dionysien  bevor  und  jeder  Theaterfreund  fragte  sich 
besorgt,  was  wird  jetzt  aus  dem  dramatischen  Agon  werden,  wo  die  grossen 
Meister  zu  den  Seligen  gegangen  sind  und  nirgends  ein  Ersatz  sich  zeigen 
will.  Da  macht  sich  also  der  Gott  Dionysos  mit  seinem  Diener  Xanthias 
auf  den  Weg,  um  den  Euripides  wieder  aus  der  Unterwelt  heraufzuholen»;) 
Bei  Herakles,  der  dereinst  den  Kerberos  aus  dem  Hades  heraufgebracht  hatte, 
holen  sie  sich  Rat  und  steigen  dann  bei  dem  melitischen  Thor,  wo  Hera- 
kles einen  Tempel  hatte  und  sich  zugleich  der  Eingang  zu  einer  Begräb- 
nissstätte befand,  in  die  Unterwelt  hinab.  Nach  der  Fahrt  über  den  Styx 
tritt  plötzlich,  ohne  die  moderne  Hilfe  eines  Vorhanges  oder  einer  Kulissen- 
verschiebung, eine  Änderung  der  Scene  ein,  indem  uns  der  Dichter  in  den 
unteren  Teil  des  Spielraums  und  damit  in  die  Unterwelt  versetzt.^)  Nach 
allerlei  Fährlichkeiten  kommen  die  Beiden  in  der  Behausung  des  Hades 
gerade  zu  der  Zeit  an,  wo  zwischen  Aischylos,  der  bisher  den  tragischen 
Thron  inne  gehabt  hatte,  und  dem  neuangekommenen  Euripides,  der  jetzt 
auf  denselben  Anspruch  erhob,  sich  ein  Streit  entsponnen  hatte.  Sofort 
wird  das  Schiedsrichteramt  dem  Dionysos  zugewiesen,  der  zugleich  den 
Sieger  mit  in  die  Oberwelt  hinaufzunehmen  verspricht.  Der  berühmte 
Streit,  von  Aristophanes  nach  sorgfältiger  Disposition  und  mit  feinster 
Komik  durchgeführt,^)  bildet  für  uns  gewissermassen  den  Kanon  des 
ästhetischen  Urteils  über  das  Verhältnis  der  grossen  Tragiker  zu  einander. 
Aristophanes  steht  natürlich  auf  Seiten  des  Aischylos,  des  Vertreters  der 
alten,  ehrbaren  Zeit;   aber  so  schonungslos  er  auch  die  Erniedrigung  der 


Frau  mit  mehreren  M&miem  sehr  verbreitet 
war,  berichtet  Xenophon  de  rep.  Lac.^  I  7. 

*j  Arg.  1 :  10  di  dgilfAu  xtoy  sv  ndvv 
xal  (fiXoXoytjg  nenoiTjfzeyfoy  idM^Stj  inl 
KaXXiov  rov  fzerd  'Avxiyivrj  did  ^iXiandov 
fiV  Aijpttia  '  TtgcSrog  iqy,  devrs^og  *^t;V*/oj 
Movaai^y  IlXataty  rgitog  KXeoqxjiyrc  .  ovito  de 
iOavfA€€ü&i]  xo  dQttfjLa  diu  xrjy  iy  avx(^  nagd' 
ßaüiy  (dvd  xrjy  eig  JVdov  xttxdßuacy  coni. 
Weil),  üiffx€  xai  dyediddx^V- 

*)  Vit.  Arist.,  wo  die  Auszeichnung  spe- 
ziell auf  die  Partie  xdy  Ugoy  x^Q^^  dixaioy 
noXXd  /()i7<rra  xg  noXei  av/unagaiyeiy  xxX. 
(V.  686)  zurückgeführt  wird.  Spuren  einer 
Diorthose  versuchen  nachzuweisen  Stakgeb 
a.  0.  6  ff.,  ZiELTifsKi  a.  0.  150  ff. 

')  In  dieser  Erfindung  war  dem  Aristo- 
phanes teilweise  Eupolis  vorausgegangen,  der 
in  den  J^fioi  die  grossen  Staatsmänner  wie- 


der von  den  Toten  hatte  auferstehen  lassen, 
worüber  Mbivbke,  Eist.  crit.  com.  126  f. 

*)  Mit  Vers  270  steigen  Dionysos  und 
Xanthias  angeblich  aus  dem  Kahn,  der  nicht 
sichtbar  war,  aus  und  treten  durch  eine 
Seitentüre  der  Parodos  aus  dem  Paraskenien- 
räum  in  die  Parodos  ein,  um  sich  dann 
nicht  nach  links  zum  Logeion,  sondern  nach 
rechts  in  die  Orchestra  und  zum  Sitz  des 
Dionysospriesters  (297)  zu  wenden. 

')  In  jenem  Streit  enth&lt,  um  das  ge- 
legentlich zu  bemerken,  das  berühmte  hj^ 
xv9toy  dnwXeaey,  womit  die  Elintönigkeit  der 
euripid  eischen  Verse  verspottet  wird,  einen 
Anklang  an  den  Paroden  Hegemon,  von  dem 
es  in  Paroem.  gr.  I  406  heisst:  Hyij/Ävr  6 
Bdüiog,  0710X6  noQtpdüty  dno^rjceiCf  Ti^otfen^n* 
xai  x6  niQdixog  axelog. 


C.  Drama.    8.  Die  Komödie,    o)  Ariatophanes.    (§§  210—211.)  303 

tragischen  Kunst  durch  Euripides  geisselt,  so  lässt  er  doch  auch  dem 
Sophisten  unter  den  Dichtem  Gerechtigkeit  widerfahren,  indem  er  schliess- 
lich sein  Urteil  üher  die  Verdienste  beider  in  den  schönen  Vers  (1413) 
zusammenfasst:  jov  fi^v  ydq  rjyovfiai  aotpov,  rr^  3'  rjSofiai,  In  noch  ehren- 
derer Weise  drückt  er  sich  über  den  edlen,  milden  Charakter  des  Sopho- 
kles aus,  der  in  seiner  Bescheidenheit  gar  keinen  Anspruch  auf  den  Thron 
erhoben  hatte,  von  Aischylos  aber  beim  Weggehen  zu  seinem  Vikar  ein- 
gesetzt wurde.  Jener  Wettstreit  der  Tragiker  bildet  den  Mittelpunkt  und 
für  uns  den  hauptsächlichsten  Anziehungspunkt  des  Dramas;  aber  dem 
Umfang  nach  nimmt  er  kaum  die  Hälfte  der  Dichtung  ein.  Aristophanes 
trug  eben  auch  in  unserer  Komödie  dem  Geschmack  des  gewöhnlichen 
Publikums  Rechnung,  wie  gleich  in  der  Eingangsscene,  wo  der  als  Hera- 
kles mit  Keule  und  Löwenfell  bekleidete  Weibergott  Dionysos  und  sein 
auf  dem  Esel  reitender  und  das  Gepäck  gleichwohl  auf  dem  Rücken 
tragender  Diener  Xanthias  Prachtfiguren  bilden,  i)  ferner  beim  Eingang  in 
die  Unterwelt,  wo  die  Köchinnen  ein  Zetergeschrei  über  den  vermeint- 
Kchen  Vielfrass  Herakles  erheben  und  der  finstere  ünterweltswächter 
Aiakos  den  Dionysos  und  seinen  Begleiter  Spiessruten  laufen  lässt,  end- 
lich am  Schlüsse,  wo,  um  den  Ernst  des  Streites  zu  verwischen,  Pluton 
den  Theatergott  und  Theaterdichter  zum  Abschied  bewirtet.  Aber  auch 
der  politische  Charakter  der  alten  Komödie  ist  nicht  ganz  ausser  acht  ge- 
blieben; er  drückt  sich  in  zahlreichen  derben  Anspielungen  aus,  besonders 
aber  in  der  auf  die  Aussöhnung  der  Parteien  bezüglichen  Parabase  (675 
bis  737),  die  bei  dem  athenischen  Theaterpublikum  ganz  besonders  Gefallen 
fand.  Den  Namen  hat  indes  unsere  Komödie  nicht  von  dem  Chor  der 
Eingeweihten  (/ivaTa/),  welcher  diese  Parabase  vorträgt,  sondern  von  dem 
lustigen  Nebenchor  der  Frösche,  welche  mit  ihrem  ßQfxsxsx^^  xod^  xod^ 
die  Überfahrt  des  Gottes  über  den  See  der  Unterwelt  begleiten.^) 

211.  Der  nXovTog  ist  in  der  uns  erhaltenen  zweiten  Fassung  388 
aafgef&krt  worden,  nachdem  der  erste  Plutos  bereits  408  über  die  Bretter 
gegangen  war.')  Im  Geiste  der  mittleren  Komödie  ist  hier  an  die  Stelle 
der  persönlichen  Persiflage  eine  allegorische  Fabel  vom  Gott  des  Reichtums 
getreten.  Der  Chor  ist  so  gut  wie  ganz  verschwunden;  einen  schwachen 
Nachklang  bildet  die  nach  Motiven  des  Dithyrambus  eingelegte  Neckscene 
zwischen  der  herbeigerufenen  Schar  der  Armen  und  dem  Sklaven  Karion 
(V.  288  — 321).*)  Auch  der  Versbau  bewegt  sich  in  dem  Geleise  der  ge- 
wöhnlichen Metra,  des  iambischen  Trimeters  und  des  anapästischen  und 
iambischen  Tetrameters.  Von  der  Politik  hält  sich  der  Dichter  ganz  fern 
und  fahrt  nur   einmal  (V.  176)  ganz  nebenbei  einen  Seitenhieb  auf  den 


M  Den  XanÜiiaa  mit  dem  geteilten  Ge- 
P^cksack  steUt  eine  realistiBche  Terrakotta 
des  Mfinchener  Antiquariams  n.  113  vor. 

*)  Dem  Inhalt  nach  berührten  sich  die 
I^rSeche  zomeiat  mit  dem  gleichfalls  nach 
dem  Tode  des  Euripides  gedichteten  FfjQV' 

*)  Der  erste  Plutos  wurde  anfgef&hrt  Ol. 
^,  4  nach  Schol  ad  Plut.  178;  Qher  die  Zeit 


des  zweiten  belehrt  Arg.  IV,  wonach  Mit- 
bewerber waren  Nixoxagijg  Adxcjaiy,  *Aqi- 
axofjiiyrjg  ""^cf^iyrü),  Nixoq^wv  '^dwVttft,  'JX- 
xaiog  naaiq>aii.  Der  erste  Plutos  war  wahr- 
scheinlich ganz  verschieden ;  s.  Kock  zu  den 
Fragmenten  desselben. 

*)  Pauseausfallende  MusikstQcke  müssen  i 

eingelegt  gewesen  sein  Y.  627  u.  958.  I 


i 


304  Ghrieohisohe  Litteratorgesohiohte.    I.  Klassische  Periode. 

Demagogen  Agyrrios,  der  damals  das  grosse  Wort  in  den  Volksversamm- 
lungen fulii*te.  Hingegen  gaben  auch  im  Plutos,  wie  in  den  kurz  zuvor 
aufgeführten  Ekklesiazusen,  die  sozialen  Zustände  dem  Dichter  den  Stoff 
an  die  Hand.  Ein  verarmter,  biederer  Bauer,  Chremylos,  der  sich  auf  des 
Orakels  Rat  dem  Gefolge  des  blinden  Plutos  angeschlossen  hatte,  heilt  mit 
seinem  verschmitzten  Sklaven  Earion  den  Gott  von  der  Blindheit,  indem 
er  ihn  im  Asklepiostempel  durch  den  köstlich  verspotteten  Humbug  des 
Traumschlafes  kurieren  lässt.  Nun,  nachdem  der  Gott  sieht,  an  wen  er 
seine  Gaben  verteilt,  kehrt  sich  die  ganze  Welt  um:  die  Gerechten 
schwimmen  in  Überfluss,  die  Sykophanten  und  alten  Huren  kommen  in 
Not,  die  Götter  und  ihre  Priester  sind  um  die  fetten  Opfergaben  gebracht. 
Zum  Schluss  wird  der  vergötterte  Plutos  auf  der  Burg  in  dem  Opisthodom 
der  Göttin  Athene  aufgestellt,  zum  guten  Augurium  für  die  Stadt,  damit 
es  dem  dort  aufbewahrten  Staatsschatz  nie  an  Gold  und  Geld  fehle.  Das 
alles  ist  recht  hübsch  und  mit  feinem  Verständnis  der  sozialen  Verhält- 
nisse^) dargestellt,  aber  ohne  die  jugendliche  Keckheit  ausgelassenen 
Witzes.  Wegen  seines  zahmen  Charakters  und  der  geschickt  durchge- 
führten Allegorie  wurde  das  Stück  im  byzantinischen  Mittelalter  besonders 
fleissig  gelesen,  sodass  uns  zu  ihm  die  umfangreichsten  Scholien  erhal- 
ten sind. 

213.  Von  den  verlorenen  Komödien  seien  hier  noch  erwähnt:  die 
Nijaoi,  in  denen  das  Glück  des  Friedens  gepriesen  war  und  von  denen 
eine  Stelle  (fr.  1)  Horaz  in  der  hübschen  2.  Epode  auf  die  Freuden  des 
Landlebens  nachgeahmt  hat;  der  'AfiKfiaQaog,  eine  Komödie  der  Wunder- 
kuren, welche  in  dem  gleichen  Jahr  wie  die  Vögel  (414),  als  durch  das 
Gesetz  des  Syrakosios  die  Freiheit  der  politischen  Komödie  eingeengt  war, 
über  die  Bretter  ging;  die  t)AxaJ«$,  in  denen  Aristophanes  gegen  die  Tra- 
banten des  Kleon  zu  Feld  zog;  die  jQcc/naTa  ?;  KsvravQog  und  jQdfiarcc  i; 
Nioßog,  in  welchen  der  Handel  des  lophon  mit  seinem  Vater  Sophokles 
vorgekommen  zu  sein  scheint; 2)  die  Tayr^viatai  und  der  Tqtq^dXr^g^  in 
welchen  Stücken  Alkibiades  und  seine  lustige  Gesellschaft  die  Kosten  des 
Spieles  tragen  mussten;  das  Alter  (r?;^a$),  worin  die  Greise  nach  Art  der 
Schlangen  die  alte  Haut  abgeworfen  hatten  und  sich  wie  mutwillige  Jungen 
geberdeten;  der  FrjQvidötjg,  der  sich  im  Inhalt  mit  den  Fröschen  berührte; 
endlich  die  Hören,  die  Störche,  die  Danaiden,  die  Phönissen,  der  Dai- 
dalos  u.  a. 

213.  Kunstcharakter.  Zum  Schluss  noch  einige  Bemerkungen 
über  den  Kunstcharakter  und  den  Stil  des  Aristophanes.  Die  Kunst,  die 
ein  Komödiendichter  in  erster  Linie  haben  muss,  die  Kunst,  seine  Zuhörer 
und  Leser  zum  Lachen  zu  bringen,  besass  unser  Dichter  in  eminentem 
Masse.     Über   das   ganze  Repertoire  von  Scherzen,   Bummelwitzen  {ßiojita^ 


M  Sehr  hübsch  setzt  die  Penia  V.  507  bis  serv.  crit.  in  com.  graec.  1870  S.  11  ff.  be- 

609    auseinander,   wie   nicht   der  Reichtum,  1  zieht  hierauf  das  Scholion  zu  Veap.  60:  im0^ 

sondern  sie,  die  Armut,  die  treibende  Macht  I  roTg  ngo  tovtou  dsdidnyfASyoig  dffdfAaoiB?  f£^ 

im  Staate  sei,  ohne  die  alles  in  träges  Schla-  l  rijy  'HgaxXeovg  anlfjürlay  noXXfi  TtQoel^tirasr^ 

raffenleben  verfallen  würde,  '  wonach  die  jQnfiaxa  vor  den  Wespea  odex- 

*)  Siehe  oben  §  163.    Wilamowitz,  Ob-  vor  422  aufgeführt  worden  seien. 


C.  Drama.    8«  Die  Komödie,    o)  Ariatophanee. 


f  212—213.) 


305 


loxia),  Zoten,  Verhöhnungen,  unerwarteten  Ausgängen  {naQa  ngoaSoxiav)^ 
Parodien,   Anspielungen    verfügte    er    mit    souveräner    Herrschaft.      Die 
Schwächen  der  menschlichen  Natur,  insbesondere  die  Nacktheiten  des  Ge- 
schlechtstriebes bei  Männern  und  Frauen,  hat  er  nicht  minder  wie  die 
lächerlichen  Auswüchse  des  gesellschaftlichen  und  staatlichen  Lebens,  die 
Aufgeblasenheit  der  Emporkömmlinge,   die  noblen  Passionen  der  adeligen 
Jünglinge,  die  Durchtriebenheit  der  Sklaven,  den  Humbug  und  Eigennutz 
der  Wahrsager  für  seine  Stücke  verwertet.     In  Erfindung  lustiger  und 
burlesker  Seenen  zeigt  er  eine  geradezu  unerschöpfliche  Originalität;^)  auch 
da,  wo  der  Ernst  der  Situation  und  die  Subtilität  des  Themas  die  Heiter- 
keit fröhlicher  Scenen  auszuschliessen  schien,  hat  er  wenigstens  zum  Schluss 
durch  irgend   einen  Aufzug  oder  einen   lustigen  Schmaus  dafür  gesorgt, 
dass  die  Zuschauer  nicht  mit  sauertöpfischer  Miene   nach  Hause  gingen. 
Aber  so  hoch  auch  die  witzige  Ader  und  die  derbe  Natürlichkeit  unseres 
Aristophanes  anzuschlagen  sind,  die  Hauptsache  waren  sie  bei  ihm  nicht. 
Eine  höhere   sittliche  Tendenz  zieht  sich   durch  alle  seine  Komödien:   er 
wollte  das  Gemeine  und  Verkehrte  dadurch  austreiben,  dass  er  es  lächer- 
lich machte;  das  horazische  ridentem  dicere  verum  stand  ihm  überall  oben- 
an;*) ja  er  ging  selbst  hie  und  da  über  die  Grenze  des  poetischen  Spieles 
hinaas  und  stellte  mit  sittlicher  Entrüstung   direkt  ohne  die  Beihilfe  des 
Lächerlichen  die  Gemeinheit  von  Sykophanten  und  politischen  Gaunern  an 
den  Pranger.     Die  Grundsätze,  die  er  auf  solche  Weise  durch  seine  Ko- 
mödien zur  Geltung  zu  bringen  suchte,  betrafen  teils  die  Politik,  teils  die 
Poesie  und  Erziehung;  die  Kunst  und  die  Künstler  liess  er  unberührt,  wie 
sich  auch  umgekehrt  die  Kunst  um  seine  Komödien  wenig  gekümmert  hat. 
In  der  Politik  neigte  er,  wie  Kratinos  und  die  meisten  Dichter   der  atti- 
schen Komödie,  zur  Friedens-  und  Ordnungspartei  und  vertrat  den  Stand- 
punkt der  ehrenfesten  Aristokratie.     Nikias,  Theramenes,  Kritias  blieben 
80  gut  wie  ganz  verschont,*)  die  Ochlokratie  und  das  damit  verbundene 
Demagogentum  des  Kleon,  Hyperbolos,  Agyrrios  haben  an  ihm  den  gallig- 
sten Gegner  gefunden.*)     In  dieser  Stellungnahme  berührte   er  sich   mit 
dem  aristokratischen  Philosophen  Piaton,  der,  wie  man  sich  erzählte,  dem 
Tyrannen  Dionysios,  als  er  die  Staatsverfassung  der  Athener  kennen  lernen 
wollte,  die  Dichtungen  des  Aristophanes  übersandte.*)    In  der  Poesie  zeigte 
er  sich  gleichfalls  als  einen  Freund  der  alten  Zeit:  Aischylos  war   sein 
überschwenglich  gepriesenes  Ideal,  ^)  die  ganze  Lauge  seines  Spottes  ergoss 
er  über  die  neumodische  Richtung  des  Euripides;')  von  ihm,  dem  beliebten 


*)  EocK,  Aristophanes  als  Dichter  und 
Politiker,  Rh.  M.  39,  118-140.  Arist.  selbst 
Nub.  747:    dkX*  aei   xmvdg    idiag  Bic<piQiav 

*)  Ach.  500:    to    yd^   dixaioy   oide  xai 

")  Alkibiades  blieb  nicht  auf  gleiche 
Weise  TOBchoni.  Zwar  wandte  er  auf  ihn 
in  den  Frdscben  1432  den  berflhmten  Aus- 
^nch  des  Aischylos  an:  ov  XQV  ^oyxog 
^(tror  ir  noXei  tQiq>uv,  rjv  d*  ixTgatpfj 
iK,  jcig  j^nais  vriij^exsiy,  aber  herhalten 


musste  er  in  dem  Triphaies  und  den  Ta- 
genistai. 

*)  Vesp.  1043  preist  er  sich  selbst  als 
dXe^ixttxoy  rijg  x^9^^  trjods  xad-ttQjrjy. 

^)  Vit.  Aristoph.:  g>affl  dk  xai  nXdxtovu 
Jioyvaitfi  r(^  TVQdyyto  ßovXrjS^^yTi  fia&eiy  ttjy 
'A&i]yaiü)y  noXueiay  7iifA\ptti  xrjy  *AQiaxO' 
fpdyov^  Tioirjffiy. 

^)  Hennio,  Aristophanis  de  Aeschyli 
poesi  iudicia,  Lips.  1878. 

^)  W.  Ribbeck,  Die  dramatischen  Paro- 
dien, in  der  Ausgabe  der  A chamer;  van  de 


BiDdbiwh  der  kliM.  AltertunmwlBBeiuehAft.    Vn.    3.  Aufl. 


20 


306 


Grleohisohe  LitUratnrgesohishte.    L  KUsslMhe  Periode. 


Dichter  der  Jugend,  fürchtete  er  zumeist  einen  schlimmen  Einfluss  auf  das 
Volk,  ihn  verfolgte  er  daher  über  das  Grab  hinaus  mit  erbarmungslosem 
Spott.  Mehr  nur  nebenbei  werden  die  Schnörkel  des  weichlichen  Agathon 
und  die  ätherischen  Tiraden  des  Dithyrambendichters  Kinesias  verhöhnt. 
Seine  Feindseligkeit  gegen  Euripides  hing  mit  seiner  Abneigung  gegen  die 
ganze  Richtung  der  modernen  Erziehung  zusammen:  die  alte  Thatkraft, 
Schlichtheit,  Frömmigkeit  wollte  er  genährt  sehen,  wenn  er  auch  selbst 
als  Spassmacher  sich  gelegentlich  über  die  Oöttermythen  lustig  machte; 
von  den  Wortverdrehungen  der  Rhetorik,  den  Spekulationen  und  den  Trug- 
sätzen der  Sophistik  befürchtete  er  den  Ruin  seines  Vaterlandes.  In  seinem 
eigenen  Felde,  der  komischen  Poesie,  war  er,  im  Bewusstsein  seiner  Über- 
legenheit, gegen  seine  Rivalen  nichts  weniger  als  rücksichtsvoll;  dafür  hat 
Kratinos  ihm  den  Spott  über  die  ausfallenden  Saiten  seiner  Leier  (Eq.  531 
bis  6)  in  dem  nächsten  Jahre  mit  seiner  „Flasche''  gut  heimgezahlt,  und 
Eupolis  ihm  den  Vorwurf  des  litt^rarischen  Diebstahls  (Nub.  554)  in  seinen 
Banxai  mit  Bitterkeit  zurückgegeben.  *) 

214.    In  dem  Aufbau  und  der  Ökonomie  seiner  Komödien  erhob  sich 
wohl  Aristophanes,  wenn  wir  seiner  eigenen  Darlegung  im  Frieden  V.  748  ff. 
glauben  dürfen,  hoch  über  die  Possenreissereien  der  älteren  Schule;  aber 
die  Kunst  spannender  Anlage  und  geschickter  Verschlingung  war  erst  den 
Dichtem  der  neuen  Komödie  vorbehalten.     Der  ganze  Charakter  des  aus- 
gelassenen Karnevalspieles  vertrug  sich  nicht  mit  der  Feinheit  einer  regel- 
rechten Disposition.   Nur  wo  musikalische  Rücksichten  mit  in  Frage  kamen, 
finden  wir  bei  ihm  eine  merkwürdige  Strenge   des  symmetrischen  Baues, 
und  zwar  nicht  bloss  in  lyrischen  Gesängen,  sondern  auch  in  parakata- 
logisch  vorgetragenen,  aus  anapästischen,  trochäischen,  iambischen  Tetra- 
metern bestehenden  Partien.  2)     Von  den  beiden  Bestandteilen  des  antiken 
Dramas  weiss  man  nicht,  welchen  man  bei  Aristophanes  höher  stellen  soll, 
ob  den  leichtfliessenden,  spannenden  Dialog,  oder  die  melodischen,  wechsel- 
reichen,  tiefste  Empfindung  und  schwungvollste  Kraft  atmenden  Chorge- 
sänge.    In  der  Regel  preist  man  die  letzteren  mehr,  weil  man  so  etwas, 
wie   die    aristophanische  Parabase  in    anderen  Litter aturen    nicht   hat.^) 
Aber  auch  abgesehen  von  den  Parabasen  entwickelt  Aristophanes  in  den 
Chorpartien  eine  ausserordentliche  Kunst:  weit  inniger  wie  bei  den  Tragi- 
kern bleibt  der  Chor  mit  der  Handlung  und  dem  Spiel  auf  der  Bühne  in 
Kontakt,   weit  grösseres  Leben   entfaltet   er  in  sich  selbst  dadurch,    dass 
er  sich  bald  in  Halbchöre  und  Reihen  auflöst,  bald  alle  einzelnen  Choreuten 
hintereinander  zu  Wort  kommen  lässt.*)     Dem  Dialog  wie  den  Chorpartien 
aber  giebt  einen  besonderen  Reiz  die  korrekte  Schönheit  des  sprachlichen 


Savdb  Bakhuysen,  De  parodia  in  comoediis 
Arisiophaneis,  Utr.  1877  lieber  nichtattische 
Ausdrücke  in  den  Parodien  s.  Ruthebford, 
Znr  Gesch.  d.  Atticismus  in  Jahrb.  f.  Phil. 
Suppl.  XIII  884-99. 

M  Clemens  Alex,  ström.  VI  267:  nXd- 
TW*'  0  xtofdixog  xttl  U^iaTofpdytjg  iy  rtfi  Jai- 
daXti)  rd  dXXijXtüy  vcpaiQovyiai. 

*)  Vieles   der   Art  ist  erst  in  unserer 


Zeit  erkannt  worden,  worüber  meine  Metrik 
2.  Aufl.,  S.  602  ff. 

')  Nur  in  unserer  Zeit  nacbgeahmt  Tt>n 
Platen  in  der  Verhfingnis vollen  Gabel  und 
dem  Romantischen  Oedipus  und  im  en^^eren 
Anschluss  an  Aristophanes  von  Richter  in 
den  *Ines,  Koxxvyscj  XeXidoyes. 

*)  R.  Arnoldt,  Die  Chorpartien  bei  An- 
siophanes  scenisch  erlftutert,  LeipsE.  1873. 


0.  Dranuu    8.  Die  Komödie,    o)  Ariatophanes.    (§  214.)  307 

Ausdrucks  und  der  leichte  Fluss  des  Verses.  In  der  Sprache  eignete  sich 
Ariatophanes  von  Euripides  den  gerundeten  Ton  der  gebildeten  Umgangs- 
sprache an.i)  Bei  den  Grammatikern  galt  er  als  Muster  des  reinen  Atti- 
kismus,  welchen  er  auch  bei  dem  grosseren  Reichtum  seiner  in  den  ver- 
schiedensten Lebenssphären  sich  bewegenden  Sprache  vollständiger  als  die 
Tragiker  und  Sokratiker  zum  Ausdruck  brachte.  Im  Versbau  steigt  er 
einerseits  durch  den  freien  Bau  des  Trimeter  zur  Lässigkeit  der  Umgangs- 
^rache  herab  und  erhebt  er  sich  anderseits  durch  die  befiederten  Anapästen 
und  energischen  Kretiker  zu  kühnem  Fluge.*)  Die  Kola  der  lyrischen 
Gesänge  aber  gehen  alle  leicht  ins  Gehör,  so  dass  wir  auch  nach  dem 
Verluste  der  Melodien  ihre  melodische  Schönheit  leicht  herausfühlen.  Die 
Natur  der  altattischen  Komödie  bringt  es  mit  sich,  dass  die  Jugend  an 
unseren  humanistischen  Gymnasien  nicht  mit  der  aristophanischen  muse 
vertraut  gemacht  werden  kann;  aber  Griechenland  und  Athen  kennt  nicht, 
wer  nicht  diesen  ungezogenen  Liebling  der  Grazien  gelesen  hat.') 

Die  Scholien,  zu  Flut.  Nub.  Ran.  Pac.  Av.  reichhaltig,  zu  Lys.  Tfaesm.  Eccl.  ganz 
ipAriich,  bestehen  in  ^o^iaug,  vnofxyrjfxaxa  und  metrischen  Analysen.  Die  ersten,  in  ver- 
icliiedenen  Fassungen  anf  uns  gekommen,  gehen  auf  Aristophanes  Byz.  und  Dikäarch 
iortck.  Gböbl,  Die  ältesten  Hypotheseis  zn  Aristophanes,  Progr.  Dillingen  1890.  —  Die  metri- 
sehen  Analysen  rühren  von  dem  Metriker  Heliodor  her.  Thiexann,  Heliodori  colometria  Ari- 
stophanea,  Halle  1869.  —  An  der  Exegese  nnd  Kritik  beteiligten  sich  ausser  Eratosthenes 
b^nders  Aristophanes  Byz.  and  dessen  Schüler  Eallistratos,  femer  Aristarch, 
Didymos  and  die  Pergamener  Herodikos  und  Asklepiades.  Die  Redaktion  der  alten 
Sehouen  erfolgte  durch  Phaeinos  und  Sym machos  nach  der  Subscriptio  zu  Nub.  u.  Pac; 
vcn  diesen  lebte  Symmachos  um  100  n.  Chr.  (siehe  Wilamowitz,  Eur.  Heracl.  P  179  f.), 
Flueinos,  ein  elender  Skribent,  jedenfaUs  später,  vielleicht  erst  im  Begimie  des  Mittel- 
alters, y^.  O.  ScHKEiDBR,  De  veterum  in  Aristoph.  scholiorum  fontibus,  Stralsund  1838; 
SnicKBR,  De  Lycophrone  Euphronio  Eratosthene  comicorum  interpretibus,  Greifsw.  1884; 
GcsT.  Stein,  Schol.  in  Aristoph.  Lysistr.,  Gott.  1891  mit  Quellenuntersuchung  in  Prol.  I 
bis  IXE;  Mjkinbbs,  De  Aristoph.  scholüs  historicis,  Diss.  Hai.  XI  (1890)  219  ff.;  Güliok,  De 
schoL  Aristoph.  quaesl  mythologicae,  Harvard  Stud.  Y  (1894)  83  ff.  —  Manche  der  alten  Scholien 
aind  besser  Im  Suidas  erhalten,  worüber  0.  Buenoeb,  De  Arist.  apud.  Suidam  rell.,  in  Diss. 
Aigeni  I  149  ff.  —  Aus  dem  Mittelalter  ist  der  Kommentar  des  Eustathios  verloren  ge- 
nügen; die  Prolegomena  in  Aristoph.  von  Tzetzes,  welcher  Flut.  Nub.  Ran.  Av.  kommen- 
tierte, publizierten  aus  Cod.  Ambros.  222  Eua  Rh.  M.  6,  108  ff.,  Ritsghl  Op.  1 197  ff.,  Naück 
Lez.ymd.233  ff.  Ausserdem  haben  wir  verwässerte  Scholien  von  Thomas  Magister 
und  TriklinioB.  —  Gesamtausgabe  der  Scholien  von  W.  Dindobf,  Ox.  1838,  3  vol.,  und 
DcBSKB,  Par.  1842.  Martin,  Les  scolies  du  manuscrit  d'Aristophane  k  Ravenne,  Paris 
1882  (wozu  erg&nzende  Berichtigungen  von  R.  Scholl,  Sitzb.  d.  bayer.  Ak.  1889,  H  39 — 46), 
von  IUtthbrfobb,  London  1896. 

Codices:  Ravennas  180  s.  XI  mit  Scholien;  Yenetus  474  s.  XII  ohne  Ach.  Eccl. 
Thesm.  Lys.,  mit  Scholien,  welche  die  Lücken  des  Ravennas  ergänzen.  Zur  geringeren 
Hawe  gehören  Paris.  2712  s.  XIII  {A);  Lam\  31,  15  s.  XIV  (F),  wozu  die  Ergänzung  der 
Leidenais  9  bildet;  Vatico-Ürbinas  141  s.  XIV  (ü);  Ambros.  L  39  s.  XIV  {M).  Ein  paar 
Ptpymsblfitier  aus  dem  Altertum,  Verse  der  Vögel  enthaltend,  sind  publiziert  von  Weil, 
Rev.  de  phil.  VI  179.  —  Kritischer  Apparat  in  den  Sonderausgaben  von  Blaydes  und  Aj>. 
7.  Telsen  (von  letzterem  nur  erschienen  Eccl.  Eq.  Plut.  Ran.  Thesm.,  neubesorgt  von 
Zacher),  üeber  die  Klassifikation  der  Scholienhandschriften  Komb.  Zacher  Jahrb.  für  Phil. 
Snppl.  XVI  (1888)  und  Jahrb.  über  Fortech.  d.  Alt.  1892  S.  1-128. 

Ausgaben:  ed.  princ.  Aid.  1498  ohne  Lys.  Thesm.,  besorgt  von  Musurus;  die  elf 
Stacke  vereint  Bas.  1532.  —  Ausg.  mit  Kommentar  von  Küster,  Amstel.  1710  (mit  Emen- 
dationen  Behtlbts);  von  Brümck,  Argent.  1781;  von  Invbrnizzi,  fortgesetzt  von  Beck  und 


*)  VgL  §  187.  I  dem  Distichon  des  Philosophen  Piaton  :^  al 

*)  Nach  Aristophanes  ist  von  den  Metri-    I   Xiigusg  rd^eydg  ri  Xaßeip,  öneg  ovxl  neasirat, 

Cijtovffai  ^vxrjy  tjvqov  'AQtaroqxiyovg.  Bergk 
nennt  irgendwo  die  ftltere  attische  Komödie 
den  Höhepunkt  der  griechischen  Poesie. 

20* 


kern  der  anapSstische  Tetrameter  benannt. 

')  So  nennt  Goethe  unsem  Aristophanes 
im  Epüog  der  Vögel,  Ges.  W.  14,  116,  nach 


L 


308 


Grieohisohe  Litteratargeaohiohte.    I.  KlftMisohe  Periode. 


DiNDORF,  Lips.  1794—1884,  18  vol.  —  Textaasgabe  von  Mbinkke,  Lipe.  1860;  von  Blatdbs, 
Hai.  1886,  2  vol.  mit  ConspectuB  codicum  et  praecipnarum  editionnm.  —  Ansgewfililte  Ko- 
mödien (Wolken,  Ritter,  Friteche,  Vögel)  mit  erklärendem  Kommentar  von  Kock,  bei  Weid- 
mann. —  Acfaam.  ed.  Elmblby,  2.  Aiä.,  Lips.  1880;  von  Alb.  MOllbr,  Hann.  1863;  von 
Blaydbs,  Halle  1887;  von  W.  Ribbbok,  gnech.  u.  deutsch,  Leipz.  1864.  —  Bitter  von  W. 
RiBBBCK,  griech.  n.  deutsch,  Berlin  1867.  -  Wolken  von  F.  A.  Wolp  mit  metrischer  üeber- 
setzung,  Berlin  1812;  von  G.  Hermank,  Lips.  1830;  von  Tbuffbl-KIhlbb,  Leipz.  (1867) 
1888.  —  Frieden  recogn.  et  adnot.  Hbrwbbdbn,  Lngd.  Bat.  1897.  —  Ran.  emend.  et  commentl 
Fritzscre,  Turici  1845.  —  Wespen  und  Frieden  von  Jül.  Riorteb,  Berl.  1858.  1860;  Wespen 
von  Blaydbs,  Halle  1898. 

Erläuterungsschriften:  Bbbr,  üeber  die  Zahl  der  Schauspieler  bei  Arist.,  L^pz. 
1844;  Droysbn,  Quaestiones  de  Aristoph.  re  scenica,  Bonn  1868;  Niejahr,  Quaest.  Aristo- 
phaneae  scaenicae,  Greifswalde  1877 ;  Chr.  Muff,  Vortrag  der  chorischen  Partien  bei  Arist., 
Halle  1872;  besser  R.  Arnold,  Die  Chorpartien  bei  Aiist.,  Leipz.  1878.  —  Ueberselzung  mit 
Erläuterungen  von  J.  G.  Droysen,  Bert.  1885  (1869),  wohlfeilere  Ausgabe  1871.  —  Als 
Lexikon  hilft  vorerst  Jacob,  Comicae  dictionis  index,  in  Meineke  Fragm.  com.  i  V. 

d)  Mittlere  und  neue  Komödie.^) 
215.  Der  alten  Komödie  wurde  nach  dem  peloponnesischen  Krieg 
in  doppelter  Weise  der  Boden  unter  den  Füssen  entzogen.  Die  eine  deutet 
Horaz  an,  wenn  er  in  der  Ars  poet.  284  von  dem  Chor  der  Komödie  sagt: 
turpiter  obticuit  sublato  iure  nocendi.*)  Das  Recht  des  Spottes  Hess  sich 
zwar  so  rasch  die  Komödie  nicht  nehmen;  sie  rieb  sich  an  den  Dichtem 
und  Musikern,  nachdem  sie  die  Archonten  und  Beamten  aus  dem  Spiel 
lassen  musste;  aber  die  Feinheit  ästhetischer  Ausstellungen  konnte  doch 
nicht  den  gleichen  Widerhall  finden,  wie  die  kecken  Angriffe  auf  die  lei- 
tenden Staatsmänner.  Die  zweite  Schädigung  ging  von  der  finanziellen 
Lage  des  Staates  und  der  Beschränkung  der  Ausgaben  für  den  Chor  aus. 
Um  für  drei  Schauspieler  an  zwei  Festen  des  Jahres,  den  Lenäen  und 
Dionysien,  zu  sorgen,  dazu  reichten  immer  noch  die  Mittel  des  Staates 
leicht  aus;  aber  um  an  einzelne  Bürger  wiederholt  die  Zumutung  der 
Choregie  zu  stellen,  dazu  waren  die  Vermögens  Verhältnisse  der  athenischen 
Bürgerschaft  zu  sehr  zurückgegangen.  Da  die  für  die  Existenz  des  Staates 
notwendigsten  Leistungen,  wie  die  Trierarchie,  nur  mit  Mühe  aufgebracht 
werden  konnten,  so  musste  man  sich  in  den  Luxusausgaben,  wie  eine  die 
Choregie  war,  notwendigerweise  Beschränkungen  auferlegen.  Dithyramben 
konnten  nun  einmal  nicht  ohne  Chöre  aufgeführt  werden;  aber  in  der 
Tragödie  und  mehr  noch  in  der  Komödie  hatte  sich  der  den  Schauspielern 
zufallende  Teil  so  sehr  entwickelt,  dass  man  sich  mit  einem  geringeren 
Chorapparat  begnügen,  ja  des  Chors  zur  Not  ganz  entraten  konnte.')    In 


^)  Graubbt,  De  mediae  Graecorum  co- 
moediae  natura,  Rh.  M.  a.  F.  II  50  ff.; 
0.  Ribbeck,  lieber  die  mittlere  und  neue 
Komödie,  Leipzig  1857.  In  den  Kanon  auf- 
genommen waren  von  den  Dichtem  der  mitt 
leren  Komödie  Antiphanes  u.  Stephanos  (nach 
Cod.  Bodl.:  Antiphanes  u.  Alexis),  von  denen 
der  neuen  Philemon,  Menander,  Diphilos, 
Philippides,  Poseidippos,  Apollodoros. 

^)  Den  Unwillen  über  die  Ausschreitun- 
gen der  politischen  Redefreiheit  der  Komiker 
spricht  Isokrates  de  pace  14  und  ad  Nicocl. 
2,  44  aus,  den  über  die  persönlichen  Verun- 
glimpfungen Piaton  in  der  Apologie. 


')  Schol.  Arist.  Nub.  404:  XQ^'^V  ^  or 
noXX(p  vüTe^oy  xai  xa^ana^  neQieTXe  Kirtjciug 
raff  XOQfjyiag,  Traktat  de  com.  V  4  /o^k 
iatBQtjxai,  071 6Q  rtjg  yetateQas  vnrjgj^B  xi»^a>* 
(fcccff,  ebenso  Platonios  de  diff.  com.,  Horas 
a.  p.  234.  Nach  der  Vita  Aristoph.  fand 
sich  auch  in  den  Stücken  der  neuen  Ko- 
mödie, des  Philemon  und  Menander,  Gftera 
die  Ueberschrift  Xoqov,  wie  es  scheint  zur 
Bezeichnung  der  Stelle,  wo  entweder  ein  be- 
liebiges Gesangstück  oder  ein  Zwischenspiel  des 
Flötenbläsers,  wie  in  Plautns  Psendulns  573,  ein- 
zulegen war.  Noch  ein  Chor  bei  den  Iftndlichen 
Dionysien  erwähnt  von  Aeschin.  in  Tinu  157. 


C.  Drama.    8.  Die  Komödie,    d)  Mittlere  und  neue  Komödie. 


.215-216.)     309 


dem  Chor  aber  und  der  Parabase  lag  der  Schwerpunkt  der  alten  Komödie ; 
mit  ihrem  Wegfall  musste  die  Komödie  entweder  ganz  verstummen  oder 
eine  andere  Richtung  nehmen.  Sie  that  das  letztere.  Die  Feinheit  des 
attischen  Witzes  war  noch  lange  nicht  erschöpft ;  die  Komödie  war  darin 
besser  daran  als  die  Tragödie,  dass,  während  jene  sich  immer  in  den 
alten  Mythenkreisen  bewegen  musste,  diese  in  den  veränderten  sozialen 
Zustanden  neue  Nahrung  fand.^)  Sie  bequemte  sich  daher  nicht  bloss 
den  veränderten  Verhältnissen  an,  sondern  hat  sich  auch  noch  über  die 
Zeit  des  Untergangs  der  hellenischen  Freiheit  hinaus  auf  ihrer  Höhe  er- 
halten. Auch  in  der  Aufführung  der  Stücke  traten  mit  den  geänderten 
Verhältnissen  starke  Veränderungen  ein.  Statt  eines  Choregen  übernahm 
ein  vom  Staate  aufgestellter  Agonothet  die  Kosten  und  Leitung  der  Auf- 
fühning;  an  die  Stelle  des  grossen,  für  Schauspieler  und  Chor  ausreichen- 
den Spielplatzes  trat  eine  erhöhte  und  schmale  Bühne,  die  lediglich  nur 
for  wenige  Schauspieler  bestimmt  war  und  strenger  den  kleinen,^  für  die 
scenischen  Spiele  bestimmten  Teil  des  Theaters  {(rxrivrj)  von  dem  grossen, 
für  die  dithjrrambischen  und  musikalischen  Aufführungen  bestimmten 
Räume  (»pz^^^«)  schied.*) 

216.  Kunst  und  Poesie  entwickeln  und  verändern  sich  allmählich; 
^  lässt  sich  nicht  mit  Messerschneide  eine  Periode  von  der  andern  ab- 
sondern. So  hat  sich  auch  die  neue  Richtung  der  Komödie,  welche  in  der 
Beiseitesetzung  der  persönlichen  Verhöhnung  und  in  der  Ausbildung  der 
Fabel  beruhte,  erst  allmählich  Bahn  gebrochen.  Während  daher  die  älte- 
ren unter  den  griechischen  Grammatikern  nur  einfach  alte  (aQxaia)  und 
neue  {väa  oder  xainj)  Komödie  unterschieden,*)  nahmen  spätere  eine 
Übergangsstufe,  die  mittlere  (/iffVi?)  Komödie,  an  und  bemerkten  von  meh- 
reren Stücken  der  alten  Komiker,  wie  von  dem  Plutos  des  Aristophanes 
und  den  Odysses  des  Kratinos,  dass  sie  im  Stil  der  mittleren  oder  neuen 
Komödie  gedichtet  seien.^)    Als  spezielle  Eigentümlichkeit  der  mittleren 


')  RiBBBCK  Rh.  M.  30,  145  ff.  Die  Lage 
ier  Komödie  gegenüber  der  Tragödie  vom 
umgekehrten  Standpunkt  ans  witzig  ge- 
schildert Yon  Antiphanes  fr.  191. 

')  Nach  Vitruv  V  7,  2  war  die  griechi- 
gehe  Bohne,  d.  L  die  spätere,  damals  allein 
bekannte  hellenistische  BOhne  10-— 12  '  hoch 
und  hüdete  ein  lang  gestrecktes  Rechteck, 
deasen  Tiefe  und  L&nge  im  Verhältnis  von 
1 :  12  standen.  Diesen  Eonstmktionsangaben 
enispredien  genau  die  Verhältnisse  des 
neuodings  aufgegrabenen  Theaters  des  Poly- 
Uet  in  Epidaums  (Gabbadias,  Fouilles  d' 
Epidanre,  Athen  1891),  das  die  Musterform 
f&r  die  Bohnen  der  hellenistischen  Zeit  ge- 
hfldei  hat  und  fftr  das  chorlose  Drama  nach 
Alexander,  insbesondere  ffir  die  neue  Eo- 
mSdie  bestimmt  war.  Das  habe  ich  nach- 
gewiesen in  der  Abhandlung,  Das  Theater 
des  Poljklet  in  Epidauros  in  seiner  litterar- 
vnd  kunsäüstonschen  Bedeutung,  Sitzb.  d.  b. 
AL  1894,  und  damit  den  Beifall  von  Bbthb, 
Prolegomena  zur  Gesch.  d.  Theaters  (1896) 


Kap.  XII,  Das  hellenistische  Theater,  ge- 
funden. Dagegen  hält  Capps,  The  chorus  in 
the  later  greek  drama,  Amer.  joum.  of  arch. 
1895  p.  287  ff.  an  der  Ansicht  Dörpfelds  fest, 
dass  auch  das  spätere  Drama  nicht  auf, 
sondern  vor  dem  Proskenion  auf  ebener  Erde 
gespielt  worden  sei. 

')  Fi  BLITZ,  De  Atticorum  comoedia  bi- 
partita,  Bonn  1866.  Die  Unterscheidung 
von  a^/ffi«  und  xai.yij  xtafii^dia  findet  sich 
schon  bei  Aristoteles  Eth.  Nie.  FV  14.  Der 
Name  f^eorj  lässt  sich  erst  bei  Schriftstellem 
nach  Hadrian  nachweisen,  geht  aber  doch 
wohl  in  frühere  Zeit  zurllck;  die  Zweiteilung 
weist  den  Pergamenem,  die  Dreiteilung  den 
Alexandrinern  zu  Eaibel,  Zur  att.  Eom., 
Herm.  24  (1889)  56  ff. 

*)  Platonios  de  diff.  com.:  xoiovtos  iariy 
6  Tfjg  u^ffijg  xcDUwdla^  Ttmog,  olog  iatiy  6 
MoXwrixcDv  'AQWtotpdvovg  xal  ol  'Odvuarjg 
KQotLvov  xai  nXetcra  rtoy  naXmtoy  dqafjiaxoiy^ 
ovre  x^Q^xd  ovre  naQußdffeig  Ijjfoiro. 


310 


Ghrieobisohe  Idtteratargesohlohte.    I.  Klwisisohe  Perlode. 


Komödie  bezeichneten  sie  die  versteckte  Anspielung  und  die  Vorliebe  fUr 
Parodie  und  Verspottung  der  Dichter  und  Mythen,  während  die  neuere 
in  die  feine  Zeichnung  der  Charaktere  und  die  Erfindung  kunstvoll  ver- 
schlungener Handlungen  ihre  Hauptkraft  gesetzt  habe.^)  Beiden  gemein- 
sam war  der  Mangel  von  Chorgesängen  und  die  Einfachheit  der  metrischen 
Form.  Der  fast  zur  ausschliesslichen  Herrschaft  gelangte  Vers  war  der 
iambische  Trimeter;  daneben  trat  an  gehobenen  Stellen  der  trochäische 
Tetrameter  ein;  ausserdem  fanden  anapästische  Dimeter  oder  Systeme  in 
den  Gesangspartien,  namentlich  der  mittleren  Komödie,  ihre  Stelle.')  Auch 
in  der  Prosodie  und  dem  Sprachgebrauch  merkten  die  Grammatiker  manche 
Abweichungen  von  den  strengeren  Regeln  der  alten  Komödie  an.')  Der 
Zeit  nach  setzte  man  die  mittlere  Komödie  zwischen  den  peloponnesischen 
Krieg  und  den  Regierungsantritt  Alexanders  (400 — 336),  die  neue  unter 
Alexander  und  die  Diadochen  (336—250). 

217.  Zur  alten  Komödie  zählten  die  Grammatiker  noch  mehrere 
Dichter,  welche  nach  ihrer  Lebenszeit  und  der  Richtung  ihrer  Poesie  der 
mittleren  näher  standen.  Es  waren  dies  Strattis,  Theopompos,  Alkaios, 
Nikochares.  Von  Strattis  zählt  Suidas  sechzehn  Stücke  auf;  mehrere 
derselben,  wie  Mt^Seia,  TQmXog,  ^otviaaat^  Xqvainnog  waren  offenbar 
parodischer  Natur;  sein  Kivrjcfag  war  gegen  die  bekannte  {[lappergestalt 
des  Dithyrambendichters  Kinesias  gerichtet;  den  MaxsSovsg  rj  Davcaviag 
lag  der  Aufenthalt  des  Agathen  und  seines  Freundes  Pausanias  an  dem 
Hofe  des  makedonischen  Königs  Archelaos  zu  gründe.  —  Theopompos 
schrieb  nach  Suidas  vierundzwanzig,  nach  dem  Anon.  de  com.  siebenzehn 
Komödien ;  eine  derselben,  Eiqrivrj^  scheint,  nach  dem  gleichnamigen  Stück 
des  Aristophanes  zu  urteilen,  politischer  Natur  gewesen  zu  sein,  ebenso 
wie  seine  Stratiotides  an  die  Ekklesiazusen  des  Aristophanes  erinnern. 
Aus  dem  "^HdvxccQr^g  ist  uns  eine  Anspielung  auf  den  Phaidon  des  Piaton 
erhalten. 

Die  mittlere  Komödie  zählte  nach  dem  Anon.  de  com.  75  Dichter 
und  617  Dramen;^)  ich  bespreche  kurz  die  namhaftesten.  Antiphanes 
von  fremder  Herkunft^)  trat  Ol.  98  in  Athen   als  Komödiendichter   auf. 


*)  Die  Erfindung  einer  solchen  Hand- 
lung gehört  zum  n'AdüfAa,  daher  Anon.  de 
com.  III:  o  nXovio^  vetoiegl^ei  xard  ro 
nXdafia  "  tijy  re  ydg  rno&Bffiy  ovx  dXrj9^ 
Xiysi . . .  Die  Lateiner  nannten  eine  solche 
erfundene  Handlung  argumentum  im  Gegen- 
satz zu  fctbula, 

')  Die  Gantica  bestehen  aus  Monodien 
und  Duetten.  Flut.  Symp.  VII  5,  4  stellt  die 
/liXt]  des  Menander  neben  die  des  Euripides; 
ausser  Trochften  und  Anapfisten  kommen 
noch  vor  Eretiker  bei  Eubul.  Nutr.  2,  Anaz. 
Girce  9.  Eupolidei  versus,  die  dem  Diphilos 
und  Menander  der  lateinische  Metriker 
MariuB  Victorinus  p.  104,  5  und  110,  21  E. 
zuschreibt)  sind  nachgewiesen  von  Mjbinbke 
I  800  u.  442  f.  Ithyphallici  gebrauchte  Me- 
nander in   dem  StQck  ^^da/m  nach  Gaesius 


p.  255,  10.  Noch  mannigfaltiger 
müssen  die  Metra,  nach  der  lateinischen  Be- 
arbeitung des  Plautäs  zu  schüeesen,  im  Sti- 
chus  des  Menander  gewesen  sein. 

>)  Mbinbkb  I  294  ff. 

^)  Noch  mehr  St&cke  (Aber  800)  nimmt 
Ath.  386  d  an.  39  Dichtemamen  sind  er- 
halten und  aufgezfthlt  von  Mbinskb  1  303. 
Nene  Namen  von  Dichtem  lehren  ans  die 
neuaufgefnndenen  didaskalischen  Yerzeich- 
nisse  GIA  II  971—7  kennen.  Im  Altertum 
schrieb  Antiochos  aus  Alexandria  ne^  rmv 
iy  xj  fÄetfn  xtOfÄif}^^  xfOfjupdovfAiytay  nwtjiwr. 
B.  Ath.  482  c. 

^)  Nach  Stephanos  Bvz.  aus  Beiga  in 
Pisidien,  was  aber  vielleicht  auf  Verwechse- 
lung mit  dem  Paradozographen  Anüphanea 
beruhte 


C.  Drama.    8.  Die  Komödie,    d)  Mittlere  and  neae  KomMte.    (§  217.)         311 

Ein  überaas  fruchtbarer  Dichter  schrieb  er  260 .  nach  andern  sogar 
365  Komödien,  mit  denen  er  aber  nur  dreizehn  Siege  davontrug. 
Wir  haben  Fragmente  von  mehr  als  zweihundert  Stücken,  die  sich  be- 
sonders in  der  Schilderung  von  Gastereien  ergehen,  aber  auch  viele  hübsche 
Sentenzen  enthalten.  Die  Kunst  vererbte  sich  in  seinem  Geschlecht.  — 
Anaxandrides  aus  Kameiros  in  Rhodos  errang  nach  der  parischen 
Chronik  im  Jahre  376  einen  Sieg  in  Athen  und  beteiligte  sich  im  Jahre 
348  an  den  Festspielen,  welche  König  Philipp  nach  der  Einnahme  Olynths 
veranstaltete.^)  Eine  hübsche  Schilderung  seiner  Persönlichkeit  hat  uns 
aus  dem  Werke  des  Ghamaüeon  tvcqI  x(ofi(i}6iag  Athenaios  p.  374  aufbe- 
wahrt. Danach  war  er  ein  schöner,  grosser  Mann,  der  die  natürliche 
Schönheit  seiner  Figur  noch  durch  langes  Haar  und  purpurnes,  mit  gol- 
denen Franzen  besetztes  Gewand  zu  heben  wusste ;  dabei  war  er  aber  so 
heftigen  und  hochfahrenden  Sinnes,  dass,  wenn  er  mit  einer  Komödie 
durchfiel,  er  dieselbe  nicht  umarbeitete,  sondern  als  Makulatur  zum  Ein- 
wickeln verkaufte.  Indes  kann  er  nicht  immer  so  gegen  sich  und  das 
Publikum  gewütet  haben,  denn  er  siegte  nur  zehnmal,  hinterliess  aber 
doch  fünfundzechzig  Stücke.  Aus  seinen  üoleig  haben  wir  ein  hübsches 
Fragment  über  die  Verschiedenheit  der  griechischen  und  ägyptischen  Sitte, 
wobei  auch  das  Schweinefleisch,  das  der  Ägypter  nicht  isst,  dem  Griechen 
aber  als  Leckerbissen  gilt,  eine  Rolle  spielt.  In  einem  Ganticum  des  Pro- 
tesilaos  verspottet  er  mit  feiner  Ironie  die  kolossalen  Zurüstungen  bei 
der  Hochzeitsfeier  des  athenischen  Feldherrn  Iphikrates  mit  der  Tochter 
des  Thrakerkönigs  Kotys.  Neben  Komödien  dichtete  er  auch  Dithyramben.*) 
Alexis  (Ol.  97—123)  stanunte  aus  Thurii  in  Unteritalien;  vermutlich  war 
aber  schon  sein  Vater  infolge  der  Einnahme  der  griechischen  Kolonie  durch 
die  Lukaner  (390)  nach  dem  attischen  Demos  Oion,  den  Stephanos  Byz. 
als  Heimat  unseres  Dichters  angiebt,  übergesiedelt.  Viele  seiner  Komödien, 
wie  ÄiamTioq^  ^AqxiXoxog^  '^Ekävrj^  ^Emd  im  Qfjßag,  ^Hffiovr],  ATvog,  ^Odvaasvg^ 
*0ß«rTij5»)  tragen  den  Charakter  der  mittleren  Komödie  an  der  Stime  ge- 
schrieben ;  aber  dem  Lebensalter  nach  ragte  er  tief  in  die  Zeit  der  neuen 
Komödie  hinein.  Denn  in  dem  Hypobolimaios  berührte  er  die  Verbindung 
des  Ptolemaios  Philadelphos  mit  seiner  Schwester  Arsinoe.*)  Es  hatte 
sich  eben  unser  Dichter  durch  heiteren  Witz  gesund  und  lebensfrisch  er- 
halten, so  dass  er  ein  Alter  von  106  Jahren  erreichte  und  in  seinem 
Element,  auf  der  Bühne,  starb.  ^)  Komödien  hinterliess  er  nach  Suidas 
245,  von  denen  einige  nach  Gellius  II  23  auch  in  das  Lateinische  über- 
tragen wurden.    Ausser  der  Parodie  und  Philosophenverspottung  spielten 

')  Mit   seiner   Beliebtheit  am  makedo-   i   seiner  Ausg.  der  Capt.  p.  XVI  sq. 

•)  Vielleicht  bezieht  sich  auf  das  StQck 
Orestes  Aristoteles  poet  13  p.  1453 ''  37. 

*)  Bbrok,  Gr.  Litt.  IV  151  lässt  die 
betreffenden  Verse  von  zweiter  Hand  zage- 
f&gt  sein. 

*)  Flut,  an  seni  p.  785  b:  ^iXijfioya  xo^ 
x<ofÄix6y  xal  "jXe^ir  inl  xrjg  axtjyijg  ayiovir- 
Cofiiyovg  xal  <n8<payovfiiiyovs  6  dvtyaxo^ 
xatiXaßey, 


mschen  Hofe  fiftngt  vielleicht  auch  seine 
liinfige  Berfiekaichtigiing  bei  Aristoteles  (Rhet 
ni  10.  11.  12;  Eth.  Nie.  VH  11;  Eth.  Eud. 
YI  10)  zusanunen. 

')  Nach  Vermatang  von  Mubet  und 
LuwwiG  sind  die  Gaptivi  des  Plautns  nach 
«Km  8tfteke  des  Anaxandrides  gedichtet 
wegen  der  Aehnlichkeit  von  Gapt.  IH  4, 103  f. 
mü  Anazuidrides  bei  Ath.  688  b.  Die  Ver- 
nratimg  wird  bezweifelt  von  Fb.  Scholl  in 


L 


312 


Ghriechisohe  LitteratnrgMohiohte.    I.  KUsaieohe  Periode. 


Liebesabenteuer  und  Parasitenwitze  eine  Hauptrolle  in  seinen  Dichtungen; 
die  ersteren  hatte  schon  Anaxandrides  eingeführt,  die  Parasitenrolle  galt 
als  spezielle  Erfindung  des  Alexis,  i)  Kulturhistorisch  interessant  ist  ein 
längeres  Fragment  aus  dem  ^laocrdaiov  von  den  Mitteln  der  Kosmetik 
und  Phelloplastik,  mit  denen  die  Hetären  den  Mängeln  der  Natur  nach- 
zuhelfen wussten.  —  Andere  Dichter  der  mittleren  Komödie  waren  Eu- 
bulos,  der  nach  Suidas  in  der  Mitte  zwischen  der  alten  und  mittleren 
Komödie  stand,  Archippos,  der  mit  seinen  Fischen  und  dem  Plutos  in 
dem  Fahrwasser  des  Aristophanes  sich  bewegte*)  und  dessen  ^A(iifi%Qviav 
vielleicht  das  Vorbild  fQr  den  Amphitruo  des  Plautus  abgab,  femer  Ara- 
ros,  Amphis,  Anaxilas,  Ephippos,  Heniochos,  Nikostratos,  Ste- 
phanos,  Timokles,  Philetairos  u.  a.*)  —  Die  beste  Vorstellung  von 
der  mittleren  Komödie  macht  man  sich  aus  Plautus  Amphitruo,  jenem 
köstlichen  Lustspiel  mit  den  neckischen  Verwechselungen  des  wahren  und 
falschen  Gemahls  der  Alkmena  und  ihrer  beiden  Diener.  Denn  die  mytho- 
logische Travestie  und  die  ausgelassene  Leichtfertigkeit,  mit  der  hier  mit  den 
alten  Göttern  umgegangen  wird,  passt  trefflich  zum  Charakter  der  mitt- 
leren Komödie  und  der  frivolen  Athener  jener  Zeit.  Aber  auch  die  sceni- 
schen  Verhältnisse  des  Stückes,  welche  der  römische  Überarbeiter  nicht 
verwischen  wollte  oder  konnte,  führen  uns  ins  4.  Jahrhundert  oder  in  die 
Zeit  vor  der  neuen  Komödie;  denn  der  Amphitruo  hat  noch  am  Schluss  einen 
Dens  ex  machina  nach  euripideischer  Manier,  und  lässt,  wie  die  Phönissen, 
den  Mercurius  auf  das  Dach  des  Bühnengebäudes  steigen  (V.  1008).  Dabei 
führt  er,  was  bedonders  zu  beachten  ist,  die  Personen  noch  von  vorn  durch 
die  grossen  Parodoi  der  Orchestra  ein,  noch  nicht  durch  die  Seitenzu- 
gänge der  erhöhten  Bühne.^) 

218.  Die  neue  Komödie  geht  der  Zeit  nach  über  die  Grenzen  des 
ersten  Teiles  unserer  Litteraturgeschichte  hinaus,  hängt  aber  so  sehr  mit 
der  Poesie  vor  Alexander  zusammen,  dass  sie  von  derselben  nicht  wohl 
losgerissen  werden  darf.  Ihre  Blüte  fällt  zusammen  mit  der  Zeit  der  po- 
litischen Ohnmacht  Griechenlands  und  des  Niedergangs  nicht  bloss  der 
öffentlichen  Freiheit,  sondern  auch  der  häuslichen  Sitte.  An  Stelle  des 
strengen  Familienlebens  war  der  Umgang  mit  feingebildeten  Hetären  ge- 
treten, an  Stelle  patriotischer  Freiheitskämpfer  die  Grosssprecherei  vater- 
landsloser Söldnerführer,  an  Stelle  frommen  Glaubens  teils  beschränkte 
Gespensterfurcht  (SeiaiSaifiovia),  teils  flacher  Atheismus.  Das  ist  der 
Hintergrund,  von  dem  sich  das  Bild  der  neuen  Komödie  abhebt.  Von 
kühnem  Eingreifen  in  das  öffentliche  Leben  war  daher  bei  ihr  noch  weniger 


1)  AÜi.  285  e;  Poll.  VI  85.  Dass  dieses 
jedoch  mit  Einschrftnkimg  anzunehmen  ist, 
zeigt  Meinrke  I  377. 

^)  Dass  die  Fische  den  Vögeln  des  Ari- 
stophanes nachgebildet  waren,  ist  gut  er- 
wiesen von  Kaibel,  Zar  attischen  Komödie, 
Herrn.  24  (1889)  S.  49  ff. 

*)  Einige  weitere  Namen  sind  urkund- 
lich bezeugt  in  den  Siegerlisten  der  komischen 
Dichter  CIA  II  971—7. 


*)  Auch  in  den  Captivi  erkennt  man 
noch  die  Anzeichen  der  älteren  einfacheren 
Bohne,  insbesondere  darin,  dass  während 
sonst  bei  Plautus  und  Terenz  die  Rflckwand 
einen  ganzen  Strassenteil  mit  zwei  oder  drei 
Häusern  vorstellt,  in  den  Captivi  wie  im 
Amphitruo  nur  ein  Haus  dargestellt  war, 
geradeso  wie  regelmässig  in  der  Tragödie 
des  5.  Jahrhunderts  und  teilweise  auch  noch 
bei  Aristophanes. 


G.  Drftmä.    3.  Die  EomOdie.    d)  Mittlere  und  neue  EomOdie.    (§  218.) 


313 


als  bei  der  mittleren  Komödie  die  Rede.  Zwar  führte  gelegentlich  noch 
einmal  Philippides  einen  kräftigen  Hieb  gegen  Stratokies,  den  elenden 
Schmeichler  des  Demetrios  Poliorketes/)  und  stellte  Archedikos  den  ma- 
kedonischen Gewalthabern  zu  liebe  die  Lüderlichkeit  des  Demochares  an 
den  Pranger,^)  aber  das  geschah  nur  selten  und  nur  nebenher.  Auch  die 
Verspottung  der  litterarischen  Ausartungen  in  Musik  und  Poesie,  welche 
der  mittleren  Komödie  noch  einigen  Stachel  gegeben  hatte,  trat  jetzt  zu- 
r6ck,  begreiflich,  da  damals  in  der  Tragödie  Neues  so  gut  wie  nichts  mehr 
geleistet  wurde.  Nur  die  Anmassung  und  die  finstere  Morosität  der  Philo- 
sophen boten  noch  den  Komikern  einige  Gelegenheit  zu  Spott  und  Hohn.») 
Im  fibrigen  suchte  die  neue  Komödie  in  ganz  anderen  Dingen  ihre  Stärke, 
in  der  künstlichen  Schürzung  und  Lösung  des  Knotens  und  in  der  Fein- 
heit der  Charakterzeichnung.  In  erster  Beziehung  war  den  Komödien- 
dichtem Euripides  Vorbild,  den  sie  auch  in  der  Einfachheit  und  Klarheit 
des  sprachlichen  Ausdrucks  und  in  der  Einlage  ethischer  Sentenzen  {yraifiM) 
nachahmten.  Die  Tragödie  hatte  eben  früher  als  die  Komödie  die  Kunst 
spannender  Fabelanlage  ausgebildet;  es  liess  sich  aber  leicht  die  packende 
Wirkung  von  Wieder erkennungsscenen,  in  denen  Euripides  sich  als  un- 
übertroffener Meister  bewährt  hatte,  auf  die  bürgerlichen  Verhältnisse  der 
Komödie  übertragen.  Dazu  traten  in  dem  Lustspiel  die  Motive  der  Ver- 
wechselung von  Doppelgängern  und  die  kunstvoll  eingefädelte  Intrigue. 
Zar  Erfindung  verwickelter,  unerwartet  sich  lösender  Handlungen  bot  aber 
das  Leben  jener  Zeit,  wo  statt  des  Juppiter  optimus  maximus  Frau  Fortuna 
herrschte  und  verschmitzte  Sklaven  mit  verliebten  Jünglingen  gegen  die 
alten  Herrn  ihre  Minen  spielen  Hessen,  überreichen  Stoff.  Für  die  Cha- 
rakterzeichnung hatte,  von  Epicharmos  und  Sophron  abgesehen,  bereits 
Alexis  die  Figur  des  Parasiten,  Timokles  die  des  eisenfressenden  Kraft- 
menschen ausgebildet;  zu  ihnen  kamen  der  abgefeimte  Sklave,  der 
tölpelhafte  Bauer,  der  geizige  Alte,  der  leichtsinnige  Sohn,  die  kokettie- 
rende Hetäre,  der  rohe  Hurenwirt,  der  ahnenstolze  Aristokrat,  der  an- 
massende  Parvenü.*)  Li  der  zutreffenden  Zeichnung  und  in  der  Würzung 
des  Dialogs  mit  geistreichen  Pointen  und  feinen  Witzen  suchten  die  Dichter 
das  äotftor  und  xofjupov,  was  als  Hauptvorzug  der  neuen  Komödie  galt 
mid  was  auch  in  den  gleichzeitigen  Werken  der  Plastik  und  Malerei  das 
Genremässige  und  Niedliche  vor  dem  Grossartigen  und  Erhabenen  hervor- 
treten liess.  Auch  aus  der  neuen  Komödie  ist  kein  vollständiges  Original- 
werk auf  uns  gekommen,  so  sehr  auch  bis  tief  in  die  römische  Kaiserzeit 
hinein  Menander  sich  in  der  Gunst   des  Publikums   erhielt.*)     Doch  sind 


')  Plnt^  Dem.  12;  der  harpalische  Handel 
ist  auf  die  Bfthne  gebracht  von  Tiniokles 
bei  Ath.  341  f.;  weitere  Beispiele  gibt  Mei- 
RU  I  436  fr. 

')  Poljb.  XÜ  13  und  Meihbke  I  459. 

*)  PbJlemon  schrieb  ein  Stfick  ^iXo^otpoi. 

*)  l^^penzeichnnngen  nach  der  Komödie 
sind  inta  in  Theophrasts  Charakteren  er- 
kalten. Die  einzelnen  Figuren  geistreich 
eiitworfen  von  0.  Ribbbck,  Gesch.  der  rOm. 
IHclitimg  I  63  ff.,  und  in  den  ethologischen 


Studien  über  Kolax,  Alazon,  Agroikos.  In 
der  Theatergarderobe,  wie  sie  uns  der  Lexi- 
kograph Pollux  IV  183  ff.  beschreibt,  hatten 
dieselben  einen  stehenden  Platz,  so  dass  in 
den  Scenendberschriften  plautinischer  Stücke 
teils  neben,  teils  statt  der  Eigennamen  der 
Charakter  der  auftretenden  Personen  (senex, 
parasitus,  sertnis)  verzeichnet  ist. 

')  Erdichtet  wohl  ist  die  Angabe  des  De- 
metrios Chalkondylas  bei  Mbihekb,  Menandri 
relL  p.  XXIX,  dass  die  byzantinischen  Kaiser 


au 


Orieehische  litteratnrgesohichte.    I.  KUuMischo  Periode. 


wir  immerhin  bei  ihr  etwas  besser  daran  als  bei  der  mittleren,  indem 
uns  in  den  Fabulae  palliatae  des  Plautus  und  Terenz  mehr  oder  minder 
getreue  Kopien  der  griechischen  Originale  überkommen  sind.  Griechische 
Originaldichter  der  neuen  Komödie  werden  vierundsechsig  gezählt,  also 
weniger  als  von  der  mittleren,  dafür  aber  mehrere  ersten  Ranges. 

219.  Menandros  (342 — 291)^)  aus  Athen  war  ein  Glückskind,  dem 
schon  mit  der  Geburt  ein  leichtes  Lebenslos  in  den  Schoss  gefallen  war. 
Er  war  der  Sohn  vornehmer  Eltern:  seine  Mutter  hiess  Hegesistrate,  sein 
Vater  war  Diopeithes  aus  Kephisia,')  sein  Oheim  Alexis,  der  gefeierte 
Dichter  der  mittleren  Komödie.  Ein  Mann  von  schönem  Wuchs  hatte  er 
nur  den  Makel  eines  schielenden  Auges.')  Mit  Glücksgütem  reichlich 
gesegnet,  verbrachte  er  die  meiste  Zeit  auf  seiner  Villa  im  Piräus  im 
genussreichen  Verkehr  mit  seiner  geliebten  Glykera.'*)  Einen  glänzenden 
Ruf  an  den  Hof  des  Königs  Ptolemaios  Soter  schlug  er  aus  Liebe  für 
Athen  und  die  Unabhängigkeit  seiner  dortigen  Stellung  aus.^)  Durch 
seinen  Oheim  in  die  Kunst  des  Lustspiels  eingeführt  und  im  Umgang  mit 
Theophrast  und  seinem  Altersgenossen  Epikur^)  philosophisch  gebildet, 
errang  er  schon  im  Ephebenalter  (321  v.  Chr.)  einen  dramatischen  Sieg. 
Im  übrigen  ward  ihm  bei  der  Nachwelt  grössere  Anerkennung  als  von 
seinen  Zeitgenossen  zu  teil;^)  denn  nur  achtmal  siegte  er,  indem  sein 
Rivale  Philemon  mit  aUerlei  Mitteln  besser  die  Gunst  des  Publikums  auf 
sich  zu  ziehen  verstand; 8)  auch  warf  man  ihm  ein  gröbliches  Plagiat  vor, 
da  er  nach  Caecilius  bei  Euseb.  praep.  ev.  X  3  13  seinen  Js^f^dtufii^v 
von  Anfang  bis  zu  Ende  dem  OicoviaTijg  des  Antiphanes  entnommen  haben 
soll.      Aber  nach  seinem  Tode  wurde  er  der  LieblingsschriftsteUer    der 


den  Geistlichen  die  Verbrennung  der  Gredichte 
des  Menander  und  Philemon  gestatteten. 

^)  Artikel  des  Suidas.  ApoUodor  bei 
GelliuB  XYII  4  und  die  als  unecht  ange- 
zweifelte Inschrift  CIG  6084  geben  dem  Me- 
nander 52  Lebensjahre,  indem  sie  Geburts- 
und Todesjahr  einrechneten. 

')  Verwechselt  wurde  derselbe  frfiher 
mit  dem  aus  Demosthenes  bekannten  Feld- 
heim  Diopeithes  aus  Sunion. 

')  Suidas  sagt  von  ihm  mit  witziger  Anti- 
these ct^aßog  ras  oipeti^  o^vs  &k  xdy  vovv. 
Eine  Statue  von  ihm  fertigten  Eephisodotos 
und  Timarchos.  Früher  wurde  die  von  uns 
Taf.  9  reproduzierte  sitzende  Statue  des  Va- 
tikan für  Menander  ausgegeben.  Die  wahre 
Statue  ist  nach  Studniczka  in  den  vielen 
Kopien  eines  schönen,  bewegten,  nervös  geist- 
vollen Kopfes  lysippischen  Charakters  er- 
halten, wovon  die  schönste  bei  Jacobson 
Glrpt.  n.  1082  und  in  einem  lateranischen 
Relief  bei  Benndorf-Schöne  n.  245. 

*)  Alciphron  erzählt  im  Brief  II  4,  5,  wie 
Gljkera  voll  Spannung  in  den  Kulissen  auf 
den  Erfolg  ihres  geliebten  Menander  ge- 
wartet und  dann  ihm  wie  neubelebt  um  den 
Hals  gefallen  sei.  Ich  setze  die  schöne 
Stelle  gleich  griechisch  her:  tl  yaQ  'J^yai 


rXvxßQag;  iJfrK  avjw  xal  tu  n^wnsTa  d^tar^ 
xsvttC(ti  xal  Tcrc  ic&tjrag  iydvtü  xay  rot^ 
naQacxrjvioig  ictrjxa  tovg  &axTvXovg  iftavT^ 
nii^ovaa  xai  rgiftovottt  iiüi  av  xqoxaXLa^  to 
^iaxqoy  '  tors  yrj  Jtjy  "J^zs/Aiy  dya^pvx^  xat 
I  neQißttXXottcä  ae  jijy  leQay  ixelytjy  »BtpnXijr 
iyayxaXlCofiai. 

^)  Alciphron  ep.  II  3.  Vgl.  Plinins  n.  h. 
VII  111:  magnum  et  Menandro  in  eotnieo 
80CC0  testimonium  regum  Äegypti  et  Mace- 
donuie  cantigit  eUuse  et  per  ügatos  petito, 
maius  ex  ipso  regiae  fortunae  praeiata  lit" 
terarum  conacientia. 

•)  Strab.  p.  638:  ^EnixovQto  av^^ifptjßo^ 
MiyaySgoy.  Ganz  als  Epikureer  scbildeit 
den  Menander  Phaedrus  V  1,  12:  ungtgento 
delihutu8,  vestitu  adfiuens  eeniebat  gressu 
delieato  et  languido. 

0  Quint  X  1,  69;  Dio  Chrys.  or.  XVIII 
7;  Flut.  comp.  Men.  et  Aristoph.  p.  85S: 
Anth.  VII  72.  370.  IX  187;  Append.  185.  286, 
377.  Genannt  wird  er  6  xaXo^  bei  Ath. 
248d  u.  364d,  6  z9vcovf  bei  ThemiBiios  or 
XX  p.  236. 

')  Gellius  XVn4,2:  PkUemanem  cum 
forte  kabuisset  obpiam,  quaeso,  inguUy  Phi- 
lemOf  bona  venia  die  mihi,  cum  tne  rsiaei», 
non  erubeseis? 


C.  Drama.    3.  Die  Eom5die.    d)  Mittlere  und  neue  Eom5die.    (§  219.) 


315 


gebildeten  Welt,  so  dass  unendlich  oft  bis  in  die  christliche  Ära  hinein 
von  griechischen  und  römischen  Autoren  auf  seine  Verse  angespielt  wurde. 
Hinterlassen  hat  er  nach  ApoUodor  105,  nach  andern  108  Komödien.^)  Die 
Briefe  an  den  König  Ptolemaios  und  die  andern  von  Suidas  erwähnten 
Scliriften  in  Prosa  werden  wohl  spätere  Fälschungen  gewesen  sein.')  Im 
Lateinischen  nachgebildet  wurden  Evvovxog  und  Kola^,  ^ASskg^of,  ^Eavtov 
uitmootifisvog^  DeQiv&ia  und  ^AvÖQia  von  Terenz,  dem  dimidiatus  Menander, 
vielleicbt  auch  der  Jig  i^ctnatmv  (Bacchides),  KagxrjSonog  (Poenulus),»)  und 
die  (lHlai€Xgio&  (Stichus)  von  Plautus.*)  Ausserdem  hören  wir,  dass  von 
lateinischen  Dichtern  Caecilius  Statins  die  Stücke  Navxh]Qog^  "^YnoßuhfiaTog^ 
nUxiw,  XakxeTa^  Luscius  Lavinius  das  (Paafxa^  Turpilius  den  Jrj^iovQyoq^ 
Atflins  den  Miaoyvvrjg  unseres  Menander  übertragen  haben.  ^)  In  der 
Originalsprache  sind  zahlreiche  Fragmente  auf  uns  gekommen,  die  noch 
in  unserer  Zeit  durch  ein  von  Tischendorf  gefundenes,  losgerissenes  Blatt 
einer  Handschrift  des  4.  Jahrhunderts  und  zwei  Papyrusblätter  aus  der 
Bauer-Eomödie  vermehrt  wurden.«)  Ausserdem  hat  man  in  späterer  Zeit 
ans  seinen  Komödien  ähnlich  wie  aus  den  Mimen  des  Publiiius  Syrus  eine 
Btetenlese  von  Sentenzen  ausgezogen,  die,  mit  fremden  Zusätzen  stark 
Termischt,  als  Mevardgov  yrwfAai  fiovoanxot  (850  Verse)  auf  uns  gekommen 
sind-O  Sonderbarer  Weise  fehlen  aber  in  dieser  Sammlung  gerade  die 
schönsten,  durch  sonstige  Gitate  sicher  als  menandrisches  Gut  bezeugten 
Sprache,  wie  xoiva  xd  voiv  (pfl(av  (fr.  9),  rd  xaxwq  xQbffovra  X(OQi'  dvdQcfovg  noisX 
(fr.  63),  x6  xijg  xvx^g  Y^Q  ^fVßa  fisxaniTivsi  xaxv  (fr.  94),  ov  ol  d'sol  (piXoSaiv 
ino^tjcxn  väog  (fr.  125),  ffd^eiqovciv  ij^rj  XQV^^'  of^iikfut  xaxai  (fr.  218). 
Mbinekb,  Menandri  et  Philemonis  rell.,  Berl.  1823.  —  Die  neuen  Fragmente  mit  den 
alten  bei  Eock  Com.  att.  fr.  III;  dazu  unten  Anm.  6.  —  Zur  Spruchsammlung  des  Menander  neue 
BeitrSge  von  W.  Mbybb,  Die  urbinatische  Samml.  von  Spruchversen  des  Menander,  Euripides 
V.  a.,  in  Abh.  d.  bayer.  Ak.  XV  397  ff.;  Derselbe,  Nachlese  zu  den  Spmchversen  des  Menander 
u.  ».,  Siteb.  d«r  bayer.  Ak.  1890,  II  355  ff.;  Stbrnbach  in  Abh.  der  Krak.  Ak.  XV  (1891) 
310  ff.  —  MeraydQov  xai  ^iXiatitoyog  cvyxQicvq,  neu  bearbeitet  von  Studbmund,  Bresl.  Ind. 
leci  1887.  —  Ana  dem  Syrischen  sind  zwei  Florilegien  von  Sprachen  Menanders  auf  uns 
gekiHBmen,  Übersetzt  und  erl&utert  von  Baumstabk,  De  fragmentis  Menandri  Syriacis,  Jahrb. 


*)  Gelliofi  XVII  4  und  Suidas.  Die  An- 
gabe des  Leo  Allatius  bei  Fabricius  Bibl.  gr. 
1 69,  dass  im  16.  Jahrhundert  noch  23  von 
Pselloe  kommentierte  Stücke  des  Menander 
in  Eonstanünopel  existierten,  geht  auf  die 
▼on  R.  FüBSTEK,  De  antiquitatibns  et  libris 
BttQBcrintis  Gonstantinopolitanis,  Rostock 
1877,  publizierten  Kataloge  aus  dem  Jahre 
1565/75  p.  20  u.  29  zurück. 

')  In  Alezandria  wird  auf  ihn  haupt- 
aidiHdli  der  Grammatiker  Aiistophanes  auf- 
OMzkBam  gemacht  haben,  der  nach  dem  Epi- 
pmm  (36  6083  ihn  zunächst  nach  Homer 


^  Die  Fragmente  des  Ka^x^^^^^^^  BÜm- 
Mi  indes  nicht  zum  Poenulua.  Wahrschein- 
Üch  hingegen  ist  auch  die  Cistellaria  des 
Bantns  dem  Menander  nachgebildet. 

^)  Die  Mofltellaria  des  Plautns  führt 
Mimu,  Hist  com.  I  487  auf  ein  Stück 
^  TheognetoB  ^anfut  tj  ^ildqyv^o^  zurück, 
^^beiid  Luflcina  dais  ^aofnx  Menanders  be- 


arbeitet habe.  Uebrigens  schrieb  auch  Phi- 
lemon  ein  ^äofitty  und  dieses  wird  wohl  das 
Vorbild  des  Plautns  gewesen  sein. 

*)  Den  Mtcoyvyi]g  erklärte  Menander 
selbst  für  sein  gelungenstes  Stück  nach 
Phrynich.  epit  417. 

')  Die  neuen  Fragmente  publiziert  von 
GoBET  in  Mnem.  FV  285,  vervollständigt  von 
Jbbnbtsdt;  vgl.  Wilamowitz  im  Herm.  XI 
498  ff.  An  den  alten  hat  glänzenden  Scharf- 
sinn geübt  Bentlby,  Emendationes  in  Me- 
nandrum  et  Philemonem  (1710),  neu  abge- 
druckt in  Mbinekes  Men.  et  Phil.  rell. 
p.  485  ff.  —  Zwei  Papvrusblätter  aus  der 
Eomüdie  TBtoqyog  veröffentlicht  Nicolb,  Le 
labourateur  de  M^nandre,  fragm.  in^dits, 
Gen^ve  1896;  dazu  Gbusius  Beil.  d.  Allg. 
Zeitg.  1897  Nr.  294. 

^)  HoBKBL,  Die  Lebensweisheit  des  Ko- 
mikers Menander,  in  dessen  Reden  u.  Ab- 
handl.  (1857)  323  ff. 


316  OrieohiMho  LHtorataTgMehiehte.    L  KlMmadio  Poriode. 

f.  Pbil.  Sappl.  XXI  p.  473—90;  sie  sind  ron  den  griecbisehen  total  veracliieden,  so  dasB 
ihre  Zogehörigkeit  za  Menander  in  Frage  steht.  —  Ueber  eine  serbische  Ceberaetzimg  ans 
dem  13.  Jahrb.  Jaoiö,  Die  Menandersentenzen  in  der  altkirchenslavischen  üebersetzong, 
Sitzb.  d.  Wiener  Ak.  1892. 

220.  Philemon,  Sohn  des  Dämon  (361— 263),^)  ward  des  zweiten 
Platzes  unter  den  Dichtem  der  neuen  Komödie  gewürdigt.*)  Als  seine 
Heimat  bezeichnen  Suidas  und  der  Anonymus  de  com.  S]rrakus  in  Sikilien,') 
während  ihn  Strabon  p.  671  den  berQhmten  Männern  von  Soli  beizählt. 
Seinen  Ruhm  erntete  er  in  Athen,  wo  er  sogar  den  Menander  in  der  Gunst 
des  Theaterpublikums  ausstach.  Doch  muss  er  auch  auf  Neider  und  Gtegner 
gestossen  sein,  da  er  bei  Stobaios  Flor.  40,  8  vom  Leben  in  der  Verbannung 
spricht.  Nach  Alciphron  ep.  11  3,  17  lebte  er  eine  Zeitlang  an  dem  Hofe 
des  Königs  Ptolemaios  in  Ägypten.  Bei  der  ägyptischen  Reise  soll  ihm 
das  Unglück  begegnet  sein,  durch  einen  Sturm  nach  Kyrene  verschlagen 
zu  werden  und  in  die  Gewalt  des  Tyrannen  Magas,  den  er  fi^her  durch 
Spöttereien  gereizt  hatte,  zu  kommen.'*)  Den  Tod  fand  er  in  hohem  Alter 
mitten  im  fröhlichen  Schaffen.^)  Hinterlassen  hat  er  97  Komödien,  von 
denen  viele  schon  dem  Namen  nach  sich  mit  Stücken  des  Menander  be- 
rühren. Zwei,  den  ^'E^noqoq  und  Or^aavQogy  kennen  wir  aus  den  lateinischen 
Bearbeitungen  des  Plaütus,  Mercator  und  Trinummus;  wahrscheinlich  geht 
auch  die  Mostellaria  des  Plautus  auf  ein  Stück  des  Philemon,  Phasma, 
zurück. 

221.  Diphilos  aus  Sinope,  ein  lebens- und  wanderlustiger  ^)  Dichter, 
der  sich  nicht  scheute,  die  eigenen  Liebeshändel  mit  der  witzigen  Gnathaina 
auf  die  Bühne  zu  bringen,  dichtete  nach  dem  Anon.  de  com.  100  Komödien. 
In  den  Stücken,  welche  nach  ihm  Plautus  bearbeitete,  in  Gasina  (Klrj^ov- 
fisvoi),  Rudens  und  Yidularia  (JSxeSfay)  zeigt  er  sich  als  Meister  des  Jn- 
triguenspiels.  Von  seiner  Kunst  in  geistreicher  Verwicklung  der  Hand- 
lung zeugt  auch  die  Asinaria  des  Plautus,  wenn  anders  dieses  eng  an  das 
griechische  Original  sich  anschliessende  Stück  des  witzigen  Sarsinaten  nach 
unserem  Diphilos,  und  nicht  nach  Demophilos,  einem  obskuren  Dichter  der 
mittleren  Komödie,  gedichtet  ist.*)  In  anderen  Dramen,  wie  in  der  Sappho, 
in  der  er  mit  kühnen  Anachronismen  den  Archilochos  und  Hipponax  als 
Geliebte  der  Dichterin  einführte,  schloss  er  sich  mehr  dem  Geiste  der  mitt- 

M  Diodor  23,  7  nach  Apollodor.  an  seni  p.  785b;  Apol.  Flor.  16. 

*)  Quint  X  1,  72:    Phüemon   consensu  <)  Gedichtet  und  gespielt  (Ath.  583  f.) 

omnium  meruit  credi  seamdus.     Eine  Ver-  hat  er  zumeist  in  Athen,  gestorben  ist  er  in 

gleichung  desselben  mit  Menander  gibt  Apn-  '   Smyma. 

leins  Flor.  16;   darauf  st&tzten  Riganlt  und  ^)  Die   dem  Rudens  und  der  Yidularia 

Meineke  die  durch  das  Zeugnis  des  Ghoiikios,  t   des  Plautus  zu  gründe  liegenden  Stficke  des 

Apologia  mimorum   18,  2   unterstützte  Ver-  Diphilos    waren   Parallelkomödien,   worUber 

mutnng,  dass  in  den  ryw/dai  MsydydQov  xtti  STUDKifüKD,  üeber  2  Parallelkomödien  des  Di- 

4HJUfffiwyos   (neuestens    herausgegeben   von  i  philos,  Yhdl.  d.  36.  Vers.  d.  Philol.  1883,  S.  33 

Studsmund,    Index   Bresl.  1887)    der  Name  bis  42. 


^tXicriioyoi  an  die  Stelle  des  ursprünglichen 
4»iXtifAovog  getreten  sei;  vgl.  Kock,  Com.  gr. 
fragm.  t.  III  praef.  IV  sq. 

*)  Ein  Stack   von  ihm   hiess  StxBX^x6g. 

*)  Plut.  de  ira  p.  4o8a  und  449e 


^)  Im  Prologus  des  Stückes  heisst  es 
n&mlich  huic  nomen  graece  Onago  ^  fn- 
bulae,  Demophüus  seripHt,  Maecus  wrtit 
barbare.  Dieses  Demophilus  scripsU  korri- 
gierte  aber  Ritschi,  Par.  Plaut  272  in  eam^ 


^)  Verschiedene  Variationen  über  seinen      Diphüus  scripsU,  wogegen  Eänwftnde  erhebt 
Tod  bei  Ps.  Lucian  Macrob.  25;   Val.  Max.  ;   Flbckeissn  Jhrb.  f.  Phil.  97  (1868)  214. 
IX  12;  Aelian  bei  Suidas  u.  Philemon;  Plut. 


1  Anfange  der  Prosa.    (§§  220—222.) 


317 


leren  Komödie  an.  Die  derbe  Prügelscene  mit  dem  Kuppler  Sannio  in 
Terenz  Brüder  11  1  ist  aus  den  Ivvunod-vr^fSxovreg  des  Diphilos  entnommen. 

Andere  Dichter  der  neuen  Komödie  <  waren  Apollodoros  aus  Ka- 
rystos,*)  dem  Terenz  im  Phormio  ^Emiixa^oiisvog)  und  der  Schwieger- 
mutter (ExvQfz)  folgte;  Philippides,  der  bei  dem  König  Lysimachos  in 
hohen  Ehren  stand  und  noch  mit  altattischem  Freimut  die  Schmeichler 
des  Demetrios  Poliorketes  und  die  Geldmänner  unter  den  Metöken  anzu- 
greifen wagte;')  Poseidippos  aus  Kassandreia  in  Makedonien,  der  nach 
Henanders  Tod  die  attische  Bühne  beherrschte  und  dessen  Stücke  auch 
die  Lateiner  nachahmten;^)  Baten,  Zeitgenosse  des  Kleanthes,  der  sich 
in  der  Verspottung  der  Philosophen  gefiel;  Epinikos,  welcher  in  seinem 
Hnesiptolemos  die  Geziertheit  des  gleichnamigen  Geschichtsschreibers,  der 
bei  König  Antiochus  d.  Gr.  in  grosser  Gunst  stand,  mit  feinem  Witz  ver- 
spottete; Sosipater  und  Euphron,  aus  deren  Komödien  Athenaios  p.  377 
n.  379  ganze  Lehrsätze  der  Kochkunst  ausgezogen  hat,  die  lebhaft  an  die 
Weisheit  des  Catius  in  Horaz  Episteln  II  4  erinnern;  ferner  Anaxippos, 
Archedikos,  Damoxenos,  Eudoxos,  Hegesippos,  Hipparchos,  Lyn- 
keas,  Phoinikides,  Sosikrates,  Theognetos. 

Die  grosse  Zahl  der  Dichter  der  neuen  Komödie  und  ihre  Frucht- 
barkeit gegenüber  den  alten  Komikern  hängt  damit  zusammen,  dass,  wie 
man  aus  den  Inschriften  über  die  Feier  der  Soterien  (Inscript.  de  Delphes 
n.  3—6)  ersieht,  nicht  mehr  1  Komödie  3  Tragödien  gegenüberstand,  son- 
dern im  Durchschnitt  die  gleiche  Zahl  von  Komödien  und  Tragödien  zur 
Aufführung  kam.  Im  allgemeinen  blieb  die  neue  Komödie,  wenn  auch 
einzehe  Vertreter  derselben,  wie  Machon,  ihre  Stücke  auswärts  und 
namenthch  in  Alexandria  zur  Aufführung  brachten,  eine  echte  Pflanze  des 
attischen  Bodens;  dieselbe  hat  zumeist  den  Ruf  attischen  Geistes  und 
attischer  Feinheit  begründet  und  zusammen  mit  der  Philosophie  Athen  bis 
in  die  römische  Zeit  hinein  zur  Heimstätte  höherer  Bildung  gemacht. 

IL  Prosa. 
1.  Anfänge  der  Prosa. 

222.  Es  entspricht  dem  naturgemässen  Gang  der  griechischen  Lit- 
teratur,  dass  die  Prosa,  für  welche  der  Ausdruck  Xoyog  sich  im  alten  Homer 
noch  gar  nicht  findet,*)  erst  nach  der  Poesie  hervorgetreten  ist.    Denn 


I)  Damit  jedeofallß  identisch  'JnnoXXo^ 
fm^of  Jjhii^ttiof.  Kaibel  bei  Wisaowa  I  2852 
itotifiziert  damit  auch  den  Apollodoros  aus 
6e]%  der  nach  Suidas  Zeitgenosse  des  Me- 
laiider  war. 

*)  Plat  Dem.  12  a.  26.  Die  Athener 
obrien  ihn  durch  einen  im  Dionysostheater 
jekt  wieder  anfgefondenen  Volksbeschlnas 
CIA  U  314,  worflber  Zikk  in  Eos  I  24  ff. 

'J  Gell.  II  53:  comoedias  leetitamus 
^^rorum  poeUtrutn  sumpt€u  ac  veraas  de 
^rweUf  Menandro  aut  Posidippo  aut  Apol- 
i^ioro  Qut  Älexide,    Die  Menftchmen  oder 


die  Komödie  der  Irrongen  des  Plantos  ftthrt 
auf  die 'O^otoi  des  Poseidippos  zurück  Ladb- 
wiG,  Phil.  I  275  ff.;  vergl.  Ribbeok,  Rom. 
Dicht.  I  125,  der  auch  die  Aulularia  auf 
Poseidippos  zurückführt.  Die  sitzende  Statue 
des  Poseidippos  neben  der  des  angeblichen 
Menander  ward  aus  den  Thermen  des  Dio- 
kletian (jetzt  im  Vatikan)  hervorgezogen; 
s.  Tafel  im  Anhang. 

*)  Für  Rede  gebraucht  Homer  die  Aus- 
drücke fivSog  und  In  17,  das  Wort  Xoyog  steht 
nur  in  einer  interpolierten  Stelle  der  Ilias 
0  393  und  in  der  jungen  Telemachie  a  56» 


L 


318  Oriaohiseh«  LittoratiirgMoliieht«.    I.  KlaMiselia  Periode. 

das  Denkvermögen,  an  das  sich  vornehmlich  die  Prosa  in  ihren  verschie- 
denen Arten  wendet,  kommt  später  bei  dem  Menschen  zur  Entwicklung 
als  die  in  der  Sinnenwelt  wurzelnde  Einbildungskraft,  und  während  Lieder 
sich  leicht  von  Mund  zu  Mund  fortpflanzen,  haben  Sätze  der  prosaischen 
Rede  ohne  schriftliche  Aufzeichnung  keinen  Bestand.  Ihren  Anfang  hat 
die  Prosa  in  demselben  Land  genommen,  in  welchem  auch  die  älteste 
Gattung  der  Poesie,  das  Epos,  seine  BlQte  gefunden  hatte.  Ihre  frühesten 
namhaften  Denkmale  waren  daher  auch  in  ionischem  Dialekt  abgefasst^) 
Aber  in  der  universelleren  Natur  der  Prosa  lag  es,  dass  sie,  die  nicht  für 
lokale  Feste  und  enge  Kreise  bestimmt  war,  ein  allgemeineres  Yerstän- 
digungsmittel  anstrebte.  Daher  kamen  in  der  Prosa  nicht  in  gleicher 
Weise  wie  in  der  Poesie  die  einzelnen  Dialekte  nach-  oder  nebeneinander 
zur  Geltung;  vielmehr  gebrauchten  gleich  anfangs  auch  Nichtionier,  wenn 
sie  in  Prosa  schreiben  wollten,  den  ionischen  Dialekt,  und  kam  bald  nach- 
her der  verwandte  attische  Dialekt,  dessen  Klangfarbe  sich  zum  präzisen 
und  energischen  Ausdruck  der  Gedanken  am  meisten  eignete^)  und  der 
zugleich  die  Sprache  der  tonangebenden  Vormacht  Griechenlands  war,  zur 
allgemeinen,  fast  ausschliesslichen  Herrschaft.  In  den  Inschriften  zwar 
bedienten  sich  die  einzelnen  Staaten  bis  über  die  Zeit  Alexanders  hinaus 
ihrer  lokalen  Dialekte,  aber  in  der  Litteratur  spielte  die  Aeolis  gar  keine 
Rolle  und  war  die  Doris  auf  die  paar  Werke  pythagoreischer  Philosophen 
und  des  Mathematikers  Archimedes  beschränkt.') 

223.  Inschriften.  Zur  Anwendung  kam  die  Prosa  zuerst  bei  den 
Aufzeichnungen  in  Stein  oder  Erz.  Bei  diesen  Aufzeichnungen,  bei  denen 
es  vor  allem  auf  exakte  Bestimmtheit  ankam,  wäre  der  poetische  Rede- 
schmuck und  der  rhythmische  Satzschluss  dem  nächsten  Zweck  nur  hinder- 
lich gewesen.  Hier  waren  ausserdem  der  Natur  der  Sache  nach  ganz  be- 
sonders häufig  Eigennamen  und  Zahlwörter  anzubringen,  die  sich  nicht  so 
leicht  ohne  willkürliche  Umgestaltungen  der  metrischen  Form  anpassen 
liessen.^)     In  den  inschriftlichen  Aufzeichnungen  also  war,  von  den  Weih- 


an  welch  letzterer  Stelle  obendrein  Nauck  |  (jl^qo^  rtQoq  xrj¥  xiSv  Xoyütv  naideiay.    De- 

InBoai  statt  Xoyoiai  vermutet;  häufiger  findet  '  metriuB  de  eloc.  177:  ij  'Axttxrj  yXwaaa  cvre- 

sich  das  Wort  schon  bei  Hesiod.  i  ax^af*/Aiyoy  xi   l/£«  xai  drjfioxixor  xai  xat^ 

^)  lieber  den  lünfluss   des  homerischen  -  xoittvxaig  etXQaneXla^^  n^enov. 


Epos  auf  den  ersten  Prosastil  s.  Eo.  Zarncke, 
Die  Entstehung  der  griechischen  Literatur- 
sprachen, Leipz.  1890,  S.  12  ff. 

')  Voraus  hatte  der  attische  Dialekt  vor 
dem  ionischen  den  Dual  und  die  bestimmtere 
Scheidung  der  Relativ-  und  Demonstrativ- 
pronomina. In  der  bündigen  Kürze  des  Aus- 
drucks kam  dem  attischen  Dialekt  auch  die 
strengere  Durchführung  der  Kontraktion  zu 
statten.  Dass  die  Breitmauligkeit  des  dori- 
schen ä  sich  weniger  als  das  dünne  rj  für 
die  Schärfe  der  Dialektik  und  Schneidigkeit 
der  Rede  empfahl,  bedarf  keiner  weiteren 
Ausführung.  Vgl.  Isokrates  15,  296,  wo  er 
von  den  Vorzügen  der  Athener  spricht:  tt^oV 
^k  xovxotg  xai  fifk  irjg  (pwytjg  xoiyoxtjxa  xai 
/lexQioxrjxa  xai  xijy  äXXrjy  evxganeXiay  xai 
(piXoXoyiay  ov  /iixgoy  iqyovvxai  avfAßaXiadai 


*)  Dass  im  Volke  die  Dialekte  noch  bis 
in  die  Kaiserzeit  hinein  gesprochen  wurden, 
bezeugt  Strabon  p.  333;  ja,  dasa  sich  die- 
selben bis  ins  Miä;elalter  vererbten,  machen 
die  Dialektreste  im  heutigen  Griechenland, 
namentlich  im  S^konischen,  wahrscheinlich. 

*)  Im  Gegensatz  zu  den  gewöhnlichen, 
sozusagen  prosaischen  Eigennamen  sind  die- 
jenigen der  Gotter,  wie  'A^fgodittj,  nocet'- 
dditiVf  'j4n6XXü>t',  'ÜXvfjinog  dem  daktylischoi 
Rhythmus  angepasst;  vgl.  §  16.  Auch  in 
den  Bildungen  der  ZahlwOrter  xgixaxt^  und 
iß^o/dttxfj  statt  xgixij  und  ißd6f*ij,  8ira$rH 
statt  4yyBäsxeg,  XBCoa^ixoyxa  neben  nerttj" 
xovxa  wird  man  den  Einfluss  des  dakty- 
lischen Versmasses  zu  erkennen  haben.  Aber 
was  sich  ein  göttlicher  Sänger,  wie  Homer, 
erlauben  durfte,  stand  nicht  einem  beliebigen 


1.  Anfftnge  der  ProM.    (§§223—224.)  319 

inschriften   abgesehen,    von   vornherein   die  Yerslosigkeit  die  Regel.     In 

diesen  hat  man  daher  auch  die  Anfänge  der  Prosa  zu  suchen,   und  die 

bscriptiones  graecae  antiquissimae  von  Bohl  enthalten  zugleich  die  ältesten 

Denkmale  griechischer  Prosa.    Aber  die  kleinen,  weder  durch  einen  höheren 

Plan,  noch  eine  sorgsamere  Form  hervorragenden  Inschriften  kommen  für 

die  Litteraturgeschichte  wenig  in  Betracht.     Am  ehesten  erheischen  hier 

die  Aufzeichnungen  von  historischen  Listen  und  von  Gesetzesvorschriften 

eine  spezielle  Besprechung. 

Sammlangen  von  InBchriften:  CIG  =  Corpus  inscriptionum  graecanun  von  BobckHi 
Berl.  1828 — 1877.  Neue  Bearbeitung  jenes  Corpus  in  Teilen:  CIA  =  Corpus  inscriptionum 
Atticamm  von  Kibchhoff-EChlbb  ;  CI6S  —  Corpus  inscriptionum  Graeciae  septentrionalis 
von  Dittehberoer;  CISI  =  Corpus  inscriptionum  Siciliae  et  Italiae  von  Kaibel;  CUA  = 
Cvjm  inscriptionum  insularum  maris  Aegaei  von  Gabtbivobn;  IGA  =  Inscriptiones  graecae 
antiquissimae  Yon  Röhl,  Berl.  1882.  ~  Auswahl  der  wichtigsten  Inschriften  von  Ditten- 
BBRGER,  Sjüoge  inscriptionum  graecanun,  Ups.  1883. 

224.  Listen  und  Chroniken.  Listen  (ävayQagiai)  wurden  am 
frühesten  von  den  Siegern  an  den  grossen  Nationalspielen  abgefasst.  Am 
berühmtesten  waren  die  der  Sieger  in  Olympia,  über  die  wir  die  Haupt- 
knnde  der  'OXv/iniddoov  ävayQaifrj  des  Julius  Africanus  und  dem  Gymnasti- 
kos  des  Philostratos  verdanken.  Dieselben  begannen  mit  der  1.  Olympiade 
oder  776  und  enthielten  zu  den  13  ersten  Olympiaden  nur  die  Sieger  im 
Lauf,  von  da  an  auch  die  in  den  übrigen,  nach  und  nach  eingeführten 
Arten  von  Wettkämpfen.  ^)  —  Daneben  existierten  ähnliche,  vielleicht 
Dach  assyrischen  Mustern,*)  angefertigte  Listen  von  Beamten,  wie  der 
Ephoren  von  Sparta  (von  755  an)  und  der  eponymen  Archonten  Attikas 
(von  682  an).  Ihnen  reihten  sich  Aufzeichnungen  von  den  Königs- 
geschlechtem  einzelner  Staaten  und  den  Successionen  der  Priester  und 
Priesterinnen  berühmter  Heiligtümer  an.  Dieselben  gingen  bis  in  die 
mythischen  Zeiten  zurück,  beruhten  aber  in  ihrem  älteren  Teil  meistens 
auf  Ergänzungen,  welche  Schriftgelehrte  des  6.  oder  5.  Jahrhunderts  auf 
Grund  zweifelhafter  Kombinationen  veranstalteten.  Am  ältesten  waren  die 
Listen  der  Priesterinnen  der  Hera  in  Arges,  wahrscheinlich  mit  An- 
gabe der  Zeit,  wie  lange  die  einzelnen  Priesterinnen  dem  Tempel  der  Hera 
vorstanden.  Nach  diesen  hat  man,  wie  uns  Thukydides  H  2  mitteilt,  in 
Arges,  ebenso  wie  in  Athen  nach  Archonten,  gerechnet. 5)  Im  CIG  2655  ist 
ans  ein  ähnliches  Verzeichnis  von  Priestern  des  isthmischen  Poseidon  von 
Halikarnass  inschriftlich  erhalten.  Reichhaltiger  war  die  lakonische 
Chronik  {Aaxwvixal  mayqaifaC),  die  sicher  bis  in  die  Zeit  des  Agesilaos 
fortgeführt  war^)  und  ausser  den  Namen  der  Könige  auch  die  der  Sieger 

Steinhaaer  za,  und  was  bei  fingierten  Namen  '  im  Ringkampf  gelassen  war,   woran s  man 

poeüsdie  Weihe  gab,  das  hätte  bei  bflrger-  i  auf  nachträgliche    Aufzeichnung    schliessen 

liehen  Namen  Verwirrung  gebracht.  '  möchte. 

')  Nach  der  ausdrücklichen  Angabe  des  >  ')  Vgl.    Ed.   Mbyir    Gesch.   d.   Alt.    I 

P<^yliioe  VI  2  und   Euseb.  I  194  Seh.  be-  §  127. 

gapaea  erst  mit  der  1.  Olympiade  die  Auf-  .  ')  Nach  Dionys.   Arch.  I  22   ging   die 

Kidmimgen;    es   ist  daher  poetische   Aus-  |  Aufzeichnung  bis  auf  die  Zeit  vor  den  Troika 

ttlimitekang,  wenn  Pindar  Ol.  X   schon  bei  ,  hinauf,  d.  h.   so  weit  wurde  sie  von  Hella- 

Grtudiuig  der  Spiele  dnrch  Herakles  Namen  |  nikos   vermittels   fingierter    Namen    hinauf- 

Yim  Si^oB  im  Bingkampf,  Faustkampf  und  i  gerechnet. 

^leigespami    anfifthrt.     Auffälliger   ist   es,  <  *)  Plut.   Ages.   19  erwähnt  aus  dieser 

^  ZQ  Ol.  18  ein  Zweifel  fiber  den  Sieger  Zeit  die  Angabe  über  Frauen  und  Töchter 


V 


320 


Grieohisohe  LÜteratorgesohiolite.    I.  KUuMiaohe  Periode. 


an  dem  nationalen  Fest  der  Earneen,  vielleicht  auch  die  der  Ephoren  ent- 
hielt, i)  Wichtiger  noch  war  die  sikyonische  Tafel  (>;  2ixvm'i  dvaxsi- 
f.uvr^  ävaYQayrj).  Dieselbe  enthielt  nach  Plut.  de  mus.  3  die  Priesterinnen 
von  Argos,  die  alten  Dichter  und  Musiker,  die  Könige  von  fast  1000  Jah- 
ren,*) ward  aber  wahrscheinlich  erst  um  590  unter  dem  Einfluss  des 
Tyrannen  Klisthenes  unter  Benutzung  älterer  Verzeichnisse  angelegt.') 

225.  Verträge  und  Gesetze.    Nebst  Verzeichnissen  waren  es  Ver- 
träge und  Gesetze,  welche  frühzeitig  auf  festes  Material  geschrieben  wurden. 
Die  Etymologie  des  Wortes  Qr^tga,  d.  i.  Spruch,  zeigt  zwar,  dass  auch  die 
Gesetze,  namentlich  die  Qr^rgm  der  Lakedämonier,  anfangs  mundlich  fort- 
gepflanzt wurden;   aber  das  Wort  nahm  bald   die   allgemeine  Bedeutung 
von  Gesetz   oder  Vertrag  an,   und  so   heisst  pQavqa  auch   der  schriftlich 
abgefasste  Bundesvertrag  der  Eleer  und  Euväer  (GIG  11),  den  Böckh 
in  die  50.  Olympiade,   neuere  Gelehrte  erhebUch  später  setzen.*)    —    Bis 
in  den  Anfang  der  Olympiaden  hinauf  reicht  der  zwischen  Lykurg   und 
Iphitos  vereinbarte  Gottesfrieden  {ixe%€iQia)^  den  Pausanias  V  20,  1  auf 
einem  Diskus  in  Olympia  eingegraben  fand.     Sodann  hat  bereits   in  der 
23.  Olympiade  Onomastos  aus  Smyrna  nach  Philostratos  Gymn.  p.  267, 
27  K.  Regeln  über  den  Faustkampf  (rojttovg  nvxxixovg)  niedergeschrieben.  — 
Die  ältesten  staatordnenden  Gesetze,  von  denen  wir  Kenntnis  haben,  waren 
die  des  lokrischen  Gesetzgebers  Zaleukos  (662).    Von  denselben  ist  aber 
nichts  auf  uns  gekommen,  da  das  bei  Stobaios  Flor.  44,  20  erhaltene  Vor- 
wort eine  plumpe  Fälschung  ist,   die  sogar  zu  Zweifeln  an  der  Existenz 
des  Zaleukos   selbst   geführt   hat.^)     Bestimmteres   wissen   wir   von    der 
athenischen  Gesetzgebung  des  Drakon  (621)  und  Selon  (594).    Die  letztere 
war  in   furchenförmiger   Schrift   auf  viereckige   Holztafeln   {a^or^eg    oder 
xvQßng)  geschrieben  und   auf  der  Burg  zur  allgemeinen  Einsich tsnahme 
aufgestellt.    Doch  auch  von  dieser  sind  nur  wenige  Bruchstücke,  darunter 
inschriftlich  ein  Absatz   eines   drakonischen  Gesetzes  (CIA  I  61),    auf  uns 
gekommen.^)     Dagegen  sind   uns  vollständig  auf  Stein  mehrere  Volksbe- 
schlüsse 7)  erhalten  und  die  aus  dem  Ende  des  4.  Jahrhunderts  stammenden 
Gesetzestafeln  von  Heraklea  (GIG  5774 — 5).  —  Allerneuestens  wurde 
durch  Halbherr  und  Fabricius   ein   grosser  Abschnitt  des  Rechtes  von 
Gortyn  ans  Tageslicht  gezogen.    Dasselbe  war  auf  12  Tafeln  eines  runden 
Gerichtssaales  (Tholos)  geschrieben  und  bildete   eine  äusserst  interessante 
Novelle   des  Personen-   und  Erbrechtes   der  kretischen  Stadt  Gortyn   in 
dorischer  Sprache.     Die  Rechtsbestimmungen  desselben  zeugen  von  einem 


des  Agesilaos.  Im  Irrtum  ist  Joseph,  c.  Ap. 
I  4,  wenn  er  das  Vorhandensein  ^iechischer 
Städtechroniken  leugnet. 

^)  Ueber  die  Benutzung  dieser  lakoni- 
schen äya/gatfal  durch  Timaios  s.  Gilbert, 
Studien  zur  altspartanischen  Geschichte  S.  10  ff. 

*)  Die  Liste  der  26  Könige  in  teilweise 
abweichender  Fassung  erhalten  durch  Pau- 
sanias II  5,  5—6  u.  7  und  Eusebios  p.  11— 
56  Seh. 

»)  Frick,  Jahrb.  f.  Phil  1873,  S.  707ff.; 
LüBBERT,    De    Pindaro     Clisthenis    censore, 


Bonn  1884. 

^)  EiRCHHOFF,  Stud.  z.  Gesch.  d.  griech. 
Alph.3  p^  150  geht  auf  Ol.  70  herab. 

')  Von  dem  Vorwort  spricht  bereüs 
Diodor  12,  20 ;  vgl.  Strab.  p.  260.  Die  Exi- 
stenz des  Zaleukos  leugnete  Timftus  xuich 
Cic.  de  leg.  II  6,  15. 

^)  R.  Scholl,  Ueber  attische  G^setasge- 
bung,  Stzb.  d.  b.  Ak.  1886  S.  87—139, 

^)  Vgl.  Hinbighs-Labfbld,  G^riech.  Epi- 
graphik  im  Handb.  d.  klass.  Altertumswissen- 
schaft P  430  ff. 


1.  Anf&nge  der  Prosa.    (§  226.)  321 

weit  höheren  Stand  der  Kultur  als  das  römische  Zwölftafelgesetz,  indem 
sie  den  Übergang  aus  dem  ins  talionis  des  barbarischen  Faustrechtes  zur 
Humanität  der  Sühnesatzungen  repräsentieren,  i)  Auch  der  Satzbau  ist 
wider  Erwarten  korrekt  und  entwickelt,  so  dass  wir  es  mit  einem  littera- 
rischen Denkmal  nicht  aus  den  Anfängen  des  Prosastils,  sondern  aus  den 
nächsten  Jahrzehnten  nach  den  Perserkriegen  zu  thun  haben. 

Leggi  antiche  della  citta  di  Gortyna  in  Greta  ed.  Halbher r-Fabricius,  Florenz  1885. 
—  Das  Recht  von  Gortyn,  von  Bücbelbr-Zitelmann,  Suppl.  d.  Rh.  M.,  Frankfurt  1885,  mit 
Kommentar;  mit  Nachtrag  Rh.  M.  41  (1886)  118  ff.  —  Die  Inschrift  von  Gortyn,  von  Jon.  u. 
Tkbod.  Baunack,  mit  Erlänterongen,  besonders  sprachlichen,  Leipz.  1885;  Th.  Bacjnack,  Neue 
Brnclistttcke  gortynischer  Gesetze,  Philol.  55  (1896)  474—490. 

226.  Älteste  Bücher.  Eine  prosaische  Litteratur  im  eigentlichen 
Sinne  datiert  erst  aus  der  Zeit,  in  der  man  förmliche  Bücher  in  Prosa 
schrieb.  Ihr  Aufblühen  hängt  mit  der  Beschaffung  eines  leichteren  Schreib- 
materials zusammen;  das  ergab  sich,  nachdem  König  Psammetich  (663 
bis  610)  Ägypten  dem  Handel  der  lonier  geöffnet  hatte  und  infolgedessen 
auch  die  Ausfuhr  der  Papyrusstaude  {ßvßlog)  oder  ihrer  bastartigen  Häute 
(Mtoi)  gestattete.  Dieselben  verdrängten  rasch  das  teuere  und  schwer  zu 
bereitende  Material  von  gegerbten  Ziegen-  und  Schafhäuten  {ßKf^bqai)^ 
anf  das  die  Griechen  vor  Einführung  der  Papyrusrollen  zu  schreiben 
pflegten.*)  —  Die  ersten  Schriftsteller  in  Prosa  blühten  in  der  Mitte  des 
6.  Jahrhunderts ; 3)  als  solche  werden  Kadmos  von  Milet  und  Phere- 
kydes  von  Syros  genannt.*)  Beide  stammten  aus  lonien  und  schrieben 
daher  auch  in  dem  gleichen  Dialekt  wie  die  epischen  Dichter,  nur  nicht 
in  der  alten,  sondern  in  der  jüngeren  las.  Pherekydes  von  Syros  wird 
den  philosophischen  Theologen  beigezählt;  sein  Ruhm,  der  erste  Prosaiker 
gewesen  zu  sein,  gründete  sich  auf  seine  kosmogonische  Schrift  über  die 
Natur  und  Götter.  Dieselbe  verband  im  Geiste  der  Orphiker  mythologische 
Namen  mit  naturphilosophischer  Spekulation;  sie  hiess  TTfr^av^o?  von  den 
ftnf  elementaren  ürprinzipien,  Äther,  Feuer,  Luft,  Wasser,  Erde,  die  zur 
Schöpfang  des  Kosmos  aus  den  Winkeln  hervorgeholt  werden  mussten.  Von 
dem  anmutigen  Erzählerton  der  Schrift  gibt  das  unlängst  in  einem  ägyptischen 
Papyrus  gefundene  Fragment  von  dem  leQdg  yd^og  des  Zag  und  der 
Xi^Qvir^  einen  guten  Begriff,  ^j  —  An  Kadmos  den  Logographen  schloss 
sich  eine  ganze  Reihe  ähnlicher  historischer  Schriften  an,  so  dass  man  in 
den  Anfang  der  griechischen  Prosa  die  Geschichtsschreibung  setzt. 

Pherecydis  fragm.  ed.  Sturz,  Lips.  1824;  Müller  FHG  I  70—99;  beide  vermischten 
den  Pherekydes  von  Syroe  mit  dem  von  Leros.  —  0.  Kern,  De  Orphei  Epimenidis  Phere- 
CTdis  theogoniis,  Berl.  1888.  —  Speliotopulos,  IIbqI  *fpfxrcfor,  Athen  1891.  —  Das  neue 
Fragment  in  New  classical  fragments  by  Grenfell  p.  22;  dazu  Diels,  Zur  Pentemychos  des 


*)  £in  SQlingeld  (noivrj)  fttr  einen  Tot-   {    xlfxtjaBv  '  sir«  ixBiyrjy  fjLifxovfABvoi  XvaavTBg 
sdihig  kommt  schon  bei  Homer  2  488  vor.   i   to  /uerQoy,  tuXXa  ef^  (pvXä^ayteg  r«  noitjnxu 


*)  Herod.  Y  58,  wonach  auch  die  ältesten 
B&cher  Sifp^i'gai  hiessen. 

')  Diog.  I  121  setzt  den  Pherekydes 
OL  59,  Eusebios  Ol.  60,  Suidaa  Ol.  45.  Man 
sing  davon  ans,  dass  Pherekydes  etwas  vor 
Pythagoras  lebte. 

*)  Strab.  p.  18:  nQionara  ij  nocrjTixtj 
it^fMMxtvrj  na^X&sy  Bis  to  /jiiaoy  xtu  bv^o- 


avyByga^pay   ol   tibqI    Kddf4oy   xai  tpBQSxvdTj 
xal  'ExttTttLoy.     Vgl.  Suidas  u.  ^BQßxvdTjg. 

')  Suidas  u.  ^BQBxv&rjg  Bdßvog  Ivqiog  • 
ItTTt  ^h  änayja  ä  cvyeyQaips  ravra  '  inxd- 
uv^og  (nBytifjivxog  corr.  Preller  nach  Ende- 
mos  p.  170  Sp.)  rjxoi  &BoxQaala.  ij  &BoyovLa, 
Jsaxt  di  &EoXoyitc  iy  ßtßXioig  C  (?)  bxovg« 
^Btuy  yiyBOiy  xai  diadoxdg. 


Bndlnusfa  der  kUn.  AltertnmawlaBeDBchaft.   VU.    8.  Aufl.  21 


322 


Oriechisohe  Litteratorgeschichte.    I.  KlasBiBche  Periode. 


Pherekydes,  Sitzb.  d.  Berl.  Ak.  1897  p.  144  ff.  —  Ueber  die  Eosmogonie  des  Pherekydes 
und  ihre  orientalischeii  Elemente  noch  vor  Auffindung  jenes  neuen  Fragmentes  Gokpbrz, 
Griech.  Denker  I  70  ff. 


2.  Die  Geschichtsschreibung.^) 

a)  Die  Logographen.  2) 

227.  Die  ältesten  Geschichtsschreiber  hat  man  sich  seit  Creuzer  ge- 
wöhnt mit  dem  Namen  Logographen  {XoyoYQaifoi)  zu  bezeichnen.  Die 
Bezeichnung  ist  nicht  ganz  zutreffend,  da  der  Name  speziell  mit  der  Ge- 
schichtsschreibung nichts  zu  thun  hat  und  mehr  den  Rednern,  welche,  wie 
Lysias,  für  Andere  Reden  schrieben,  zukam. »)  Aber  wir  bleiben,  um  Ver- 
wirrung zu  vermeiden,  bei  dem  herkömmlichen  Namen,  zumal  denselben 
schon  Thukydides  I  21  auch  von  den  Vorläufern  der  Historiographie  ge- 
braucht hat  und  loyoi  schon  bei  Herodot  der  geläufige  Name  für  Geschichts- 
bücher war.*) 

Die  Geschichtsschreibung  der  Logographen  ging  von  den  loniem 
Vorderasiens  und  der  Inseln  aus.  Dort  war  durch  das  Epos  die  Kunst 
des  Erzählens  genährt  und  der  Sinn  für  Beobachtung  der  Aussenwelt  ge- 
weckt worden;  dort  strömten  auch  am  reichhaltigsten  die  Nachrichten  über 
die  fernen  Gegenden  des  Westens  und  die  weiten  Reiche  des  Ostens  zu- 
sammen. Das  war  in  der  Natur  des  Landes  begründet,  dessen  gute  Häfen 
zur  Schiffahrt  einluden  und  in  das  die  grossen  Strassen  des  Perserreiches 
ausliefen.  Die  Logographen  knüpften,  wie  das  schon  Strabon  p.  18  her- 
vorhob, in  ihrer  ganzen  Darstellungsweise  an  Homer  und  das  Epos  an. 
Darin  wurzelte  aber  zugleich  die  Anschauung  der  Alten  von  der  Inferiorität 
der  Geschichte,  die  Aristoteles  Poet.  9  mit  den  vielbesprochenen  Worten 
ausspricht:  ifiXoaoffdTeqov  xal  anovdaioTsqov  Ttoirjai^  iarogiag  iaxiv.^)  Indem 
also  die  Logographen  an  die  epische  Poesie  anknüpften,  gebrauchten  sie 
nicht  bloss  den  ionischen  Dialekt  und  zahlreiche  Wendungen  der  epischen 
Sprache,  sondern  betrachteten  auch  hauptsächlich  die  äusseren  Erschei- 
nungen, ohne,  trotz  eines  Anfluges  von  Rationalismus,  tiefer  den  Zusammen- 
hang der  Dinge  und  Ereignisse  zu  ergründen.  Vorzüglich  beschäftigten 
sie  sich  mit  den  Gründungen  der  Städte,  den  Genealogien  der  herrschenden 
Geschlechter,  den  merkwürdigen  Naturerscheinungen,  den  Gebräuchen  und 


^)  G.  J.  Yossius,  De  historicis  graecis  libri 
(1623),  auctiores  et  emendatiores  ed.  Westbr- 
MANN,  Lips.  1838;  Creuzer,  Die  historische 
Kunst  der  Griechen  (1803),  2.  Aufl.,  Leipzig 
1845 ;  Ulrici,  Charakteristik  der  griech.  Hi- 
storiographie, Berl.  1833,  mit  philosophischem 
Geiste  erfasst;  Wachs müth,  Einleitung  in 
das  Studium  der  Alten  Geschichte,  Leipzig 
1895,  Hauptwerk;  Sohafer-Nissen,  Abriss  d. 
Quellenkunde  der  griech.  und  röm.  Gesch. 
(1867),  4.  Aufl.  der  griech.  Gesch.  1889; 
BüDiNOER,  Die  Universalhistorie  im  Altertum, 
Wien  1895.  —  Hbrm.  Haupt,  Jahresberichte 
in  der  B«yue  historique.  —  In  den  Kanon 
wurden  aufgenommen :  Herodot,  Thukydides, 
Xenophon,    Philistos,    Theopomp,    Ephoros, 


Anaximenes,  Kallisthenes,  und  dann  nach- 
träglich noch  Hellanikos,  Polybios.  —  Samm- 
lung der  Fragmente  von  C.  MOlleb  FHG  = 
Fragmenta  historicorum  graecorum,  Paris 
1841—70,  5  voll. 

*)  I.  Lipsius,  Quaest.  logographicae, 
Ind.  Lips.  1886. 

*)  G.  Cürtius,  Ueber  zwei  Kunstaus- 
drücke  der  alten  Litteratnrgeschichte,  in  Kl. 
Sehr.  II  239  ff. 

«)  Herodot  II  143.  Y  36.  125  nennt  den 
Hekataios  Xoyonoioq)  Pindar  P.  I  94.  N.  VI 
39  gebraucht  Id^^f  Oft  u.  Xoyoi,  im  Gegensatz 
zu  uoi&oi  u.  doidal. 

^)  Ulbici,  Charakteristik  294  f. 


2.  Die  GesohiohtasJDhreibang.    a)  Di«  Logographen.    (§§  227—228.)         323 

Einrichtungen  der  einzelnen  Völker,  der  griechischen  wie  der  fremden,  i) 
Geschichte  und  Mythus  flössen  bei  ihnen  noch  ineinander,  zumal  sie  mit 
Vorliebe  von  der  Geschichte  der  Gegenwart  absahen  und  in  die  graue 
Vergangenheit  zurttckgriflfen.  Ihre  Bücher  wurden  früh  durch  die  kunst- 
volleren und  kritischeren  Werke  der  attischen  und  alexandrinischen  Schrift- 
steUer  in  den  Hintergrund  gedrängt,  so  dass  nichts  von  denselben  auf  uns 
gekommen  ist.  Ich  begnüge  mich  daher  mit  einer  kurzen  Aufzählung^ 
indem  ich  nach  Dionysios  de  Thuc.  5  zwei  Klassen,  die  älteren  und  die 
jüngeren  Logographen,  unterscheide. 

228.  Kadmos  aus  Milet  war  der  älteste  der  Logographen  und  ge- 
hörte noch  dem  Schluss  des  6.  Jahrhunderts  an.  Sein  Geschichtswerk 
hatte  nach  seinem  Inhalt  den  Titel  Die  Gründung  von  Milet,  Ktiffig 
MiXiJTov,  nach  Suidas  Kriaig  MiItjtov  xai  Tjjg  oXrfi  *Iwriag  in  4  B.;  erhalten 
hat  sich  von  demselben  nichts.') 

Hekataios,  Sohn  des  Hegesander  von  Milet,  der  bedeutendste  der 
Logographen,  lebte  in  der  Zeit  der  Perserkriege  und  nahm  eine  hervor- 
ragende Stellung  in  seiner  Vaterstadt  ein.  Vor  dem  Ausbruch  der  Feind- 
seligkeiten mahnte  er  in  der  Bundesversammlung  der  lonier  vom  Krieg 
mit  dem  mächtigen  Perserreich  ab;^)  später  (494)  ging  er  als  Abgeord- 
neter der  lonier  zum  persischen  Statthalter  Artaphernes  und  erwirkte,  dass 
dieser  den  ionischen  Städten  ihre  Verfassung  zurückgab.  Von  ihm  existierten 
2  Werke:  revaaXoyiai  in  mindestens  4  B.  und  Usglodog  yr^q  in  2  B.  Von 
dem  letzteren  Werke,  in  dem  der  Verfasser  die  reife  Frucht  seiner  aus- 
gedehnten Reisen  niederlegte  und  insbesondere  vom  Westen  Europas  ge- 
naue Nachricht  gab,  sind  uns  ziemlich  zahlreiche  Fragmente  erhalten.^) 
Von  einzelnen  Abschnitten  desselben,  wie  von  denen  über  Asien  und 
Ägypten,  wurde  die  Echtheit  aus  nichtigen  Gründen  bestritten.^)  Der 
Beschreibung  in  Worten  war  eine  Karte  (mva^)  beigegeben,  wie  schon 
vor  ihm  der  Philosoph  Anaximander  eine  solche  entworfen  hatte. ^) 

Zu  den  älteren  Logographen  gehörten  ausserdem  Akusilaos  von 
Argos  in  Böotien,   der  reveaXoyfai  im  Anschluss  an  Hesiod   verfasste;^) 

')  Eine   gute  Charakteristik  der  Logo-  |  della   periegesis,    Estratto   degli  Atti   della 
graphen   oder   der  TtaXatoi  avyygagislg  gibt  I   acad.  Pelormitana  1896/97. 
Dionysios  de  Thuc.  5.  6.  23.  |  '^)  Eallimachos  bei  Ath.  70  b  u.  410  e, 

*)  Nach  Clem.  Alex,  ström.  VI  p.  267  '  und  Arrian  V  6;  vergl.  Eratosthenes  bei 
machte  der  Prokonnesier  Bion  davon  einen 
Auszng.  Dionysios  de  Thncyd.  23  bezweifelt  die 
Echtheit  des  nnter  E^admos  Namen  umlaufen- 
den Werkes,  Neuere  gehen  noch  weiter  und 
glauben,  dass  die  Vorstellung,  der  Phöni- 
kier  Kadmos  sei  der  Erfinder  der  Buch- 
staben gewesen,  Anlass  gegeben  habe,  einem 
Kadmos  das  ftlteste  Prosawerk  zuzuschreiben ; 
dagegen  besonnene  Einwürfe  von  Rühl, 
Jahrb.  f.  Phil.  137  (1888)  8.  116  ff. 

»)  Herodot  V  36;  vgl.  VI  137. 

*)  Fragmente  bei  Müllbb  FHG  I  1-31; 
rV  623.  627;  Atekstädt,  De  Hecataei  Mi- 
lesii  fragmentis  quae  ad  Hispaniam  et  Gal- 
liam  pertinent,  Leipzig.  Stud.  XIV,  1891; 
Tbofba,   Ecateo    da  Mileto   ed  i  frammenti 


Strab.  7  roy  (jikv  ow  (sc.  ^Aya^ifjLavSgov) 
ixöovpm  Ti^Toy  yetoyqaffixoy  niyaxa,  xov 
de  *ExaT«roi/  xaTaXtnety  yQufÄfÄce  niazovfieyov 
ixeiyov  eivm  ix  trjg  aXXrjq  avrov  ygatptjg 
Die  Bedenken  widerlegt  Diels,  Herm.  22, 
411  ff. 

^)  Eratosthenes  bei  Strabo  p.  7;  Aga- 
themeros  in  Müller,  Geogr.  gr.  min.  U  471, 
und  Schol.  Dionys.  ebenda  II  428. 

^)  Clemens  Alex,  ström.  VI  p.  267  r« 
'Haiodov  fAStfjXXaSay  eis  TieCoy  Xoyoy  xai  oig 
idia  i^ijyeyxay  EvfxrjXog  tc  xai  ^JxovaiXaog 
ol  UtToQtoyQd(poi.  Suidas  u.  'Exaratog :  nQcStog 
loTOQlay  neC<0€  i^ijyeyxSy  avyygu^ptjy  dk  ^e- 
^exvdrjg.  r«  ynq  'AxovaiXdov  yo&everai.  Da- 
gegen tritt  I.  Lipsius  a.  0.  für  die  Echtheit 

21* 


324 


QrieohiMbo  UttoniiirgeMhiehto.    L  XUMdseh«  Periode. 


Charon  von  Lampsakos,  dem  von  den  vielen  Werken,  die  ihm  Suidas 
beilegt,  mit  Sicherheit  nur  die  U&QCtxa  in  2  B.  und  die  ^QQot  Aafiipaxrjvwv 
in  4  B.  angehören ;i)  Eugeon  von  Samos,  Verfasser  von'i2^  Safuaxoi;^) 
Dionysios  von  Milet,  der  Uegctxd  in  ionischem  Dialekt  verfasste;*)  ferner 
Deiochos  von  Prokonnesos,  Eudemos  von  Faros,  Demokies  und 
Amelesagoras.  —  Hieher  lässt  sich  auch  stellen  Theagenes,  der  erste 
Grammatiker,  der  zur  Zeit  des  Kambyses  über  Homer  und  seine  Ab- 
stammung schrieb. 

229.  Als  jüngere  Logographen,  die  kurz  vor  dem  peloponnesischen 
Krieg  blühten  und  bis  auf  Thukydides  herabreichten,  werden  von  Dionysios 
namentlich  angeführt:  Hellanikos,  Damastes,  Xenomedes,  Xanthos. 

Xanthos  der  Lydier,  der  nach  Suidas  zur  Zeit  der  Einnahme  von 
Sardes  (499)  lebte,  sicher  aber  erst  unter  Artaxerxes  I  (465—425)  schrieb,*) 
war  Verfasser  von  Lydiaka  in  4  B.  Ephoros  bei  Ath.  515  e  lässt  durch 
diese  dem  Herodot  Anregung  und  Stoflf  [äq^ogfiaf)  zu  seinem  Geschichtswerk 
gegeben  sein.  Dabei  ist  aber  merkwürdig,  dass  nach  Dionysios,  Arch.  I  28, 
bei  Xanthos  von  der  durch  Herodot  I  94  berichteten  Gründung  des  Staates 
der  Tyrrhener  durch  die  Lydier  nichts  zu  finden  war.  Für  die  Autorität 
des  Xanthos  nimmt  die  Überlieferung  bei  Nikolaus  Damascenus  fr.  49  ein, 
wonach  derselbe  auch  einheimische  Quellen  der  Lydier  benutzte.  Nach 
Diogenes  VI  103  brachte  ein  gewisser  Menippos  das  Werk  des  Xanthos 
in  einen  Auszug,  und  hielt  der  pergamenische  Grammatiker  Artemon  den 
Eyklographen  Dionysios  für  den  wirklichen  Verfasser  der  unter  Xanthos 
Namen  umlaufenden  Lydiaka.^)  Benutzt  und  ausgeschrieben  wurde  Xan- 
thos vielfach  von  dem  Historiker  Nikolaus  Damascenus  in  der  Zeit  des 
Augustus. 

Pherekydes,  der  Genealoge  von  Athen,  ist  verschieden  von  dem 
Philosophen  Pherekydes  von  Syros,  aber  wahrscheinlich  eine  Person  mit 
dem  Pherekydes  aus  Leros,  von  dem  ihn  Suidas  in  einem  konfusen  Artikel 
unterscheidet.  Er  scheint  eben  in  Leros  geboren  und  Athener  nur  deshalb 
genannt  worden  zu  sein,  weil  er  den  grösseren  Teil  seines  Lebens  in  Athen 
zubrachte  und  dort  sein  Hauptwerk  schrieb.«)  Seine  Blüte  wird  von  Eu- 
sebios  auf  Ol.  81,  3  =  454/3  gesetzt;  nach  Ps.  Lukian  Macr.  22  erreichte 


ein.  Die  Ansicht  des  Akusilaos  vom  Chaos 
führt  schon  Platon  Svmp.  178  h  an.  Com- 
mentare  zu  seinem  Werk  vexfasste  in  Ha- 
drians  Zeit  Sahinus.  Fragmente  hei  Müller 
FHG  I  100—104.  IV  624.  üeher  seine  üeher- 
einstimmungen  mit  seinem  Landsmanne  und 
Zeitgenossen  i^indar  s.  Christ  zu  Find.  O. 
VII  24.  N.  X  80. 

^}  Neuhann,  De  Charone  Lampsaceno, 
Bresl.  1880. 

2)  MüLLKR  FHG  II  16  u.  IV  653. 

')  Suidas  konfundiert  denselhon  mit  dem 
jüngeren,  um  100  v.  Chr.  lohenden  Dionysios. 

*)  Das  letzte  geht  aus  dem  Fragment 
hei  Strahon  p.  49  hervor;  damit  lässt  sich 
die  Angahe  des  Suidas  yeyoviag  ini  xrjg 
aXüiastüg  £dQdewy  nur  vereinharen,  wenn 
man  yeyoyais  mit  natus  est  deutet,  oder  an- 


nimmt, dass  er  in  seinem  Werke  die  Ein- 
nahme Yon  Sardes  se  puero  erwfthnt  habe. 

»)  Ath.  515 e;  Müller  FHG  I  p  XXII 
nimmt  eine  ümmodelong  der  Lydiaka  des 
Xanthos  durch  Dionysios  an.  Vgl.  Lipsius» 
Quaest.  log.  p.  12  ff.  —  Fragmente  des  Xan- 
thos hei  MüLLBR  FHG  I  34 — 44;  erg&nzt  und 
erläutert  von  Gutschmid  Kl.  Sehr.  IV  307  ff.; 
vgl.  Waohsmdth  Einl.  463  ff. 

*)  Lipsius,  Quaest.  logogr.  p.  18  unter- 
scheidet wieder  heide  und  nimmt  neben  dem 
älteren  Pherekydes  aus  Athen  einen  jQngeren 
Pherekydes  aus  Leros  an,  der  nach  der 
Stelle  im  Lehen  des  Hippokrates  p.  449,  4  W. 
fit^T]fioy€vei  di  rrjg  yeyeaXoyiag  avtov  "E^- 
Toaäiyfjg  xal  *^€Q€xvdrjg  xai  'JnoXXödt^ag 
zwischen  Eratosthenes  und  Apollodor  gelebt 
habe. 


8.  Die  GesohiohtsBohreibung.    a)  Die  Logographen.    (§  229.) 


325 


er  ein  Alter  von  85  Jahren.  Sein  Hauptwerk,  das  bald  Vcrro^/ae,  bald 
nvsalayfai  oder  AvTox^oveg  betitelt  wird,  enthielt  in  10  B.  die  Abstam- 
mungen der  Götter  und  edlen  Geschlechter  und  war  in  ionischem  Dialekt 
geschrieben.  Das  1.  Buch  handelte  von  der  Theogonie  und  dem  Giganten- 
kampf, das  2.  von  Prometheus,  das  3.  von  Herakles,  das  4.  von  den 
argivischen  und  kretischen  Sagen,  das  6.,  7.,  8.  von  den  äolischen  Sagen 
und  dem  Argonautenzug,  das  9.  und  10.  von  den  arkadischen,  lakonischen, 
attischen  Stammessagen.  Dionysios  Arch.  I  13  nennt  unseren  Logographen 
Pherekydes  den  ersten  unter  den  Genealogen ;  wie  leicht  es  aber  derselbe 
in  seinen  Genealogien  mit  der  Wahrheit  nahm,  ersieht  man  aus  der  Unzahl 
fingierter  Namen.  So  nahm  er,  und  Hellanikos  nach  ihm,  eine  Abstam- 
mung des  Homer  von  Orpheus  an  und  dachte  sich  beide  durch  einen  Zeit- 
raum von  10  Geschlechtem  von  einander  geschieden;  flugs  erdichtete  er 
dazu  10  Ahnen  des  Homer  Evxkrjg^  (PUoräQnrjg,  XaQtSrjfxog  etc.,  denen  man 
die  Fiktion  ebenso  wie  den  von  der  Schiffahrt  benannten  Ahnen  des 
Phäakenkönigs  Alkinoos  bei  Homer  Od.  7,  62  an  der  Stime  geschrieben 
sieht.  Fragmente  bei  Müller  FHG  I  70—99  und  IV  637—9;  Luetke, 
Pherecydea,  Gott.  Diss.  1893. 

Hellanikos  von  Mytilene^)  war  Zeitgenosse  des  Herodot  und  Thu- 
kydides  und  muss,  wenn  die  Angabe  des  Scholiasten  zu  Aristoph.  Ran. 
706  und  732  richtig  ist,  das  Jahr  406  überlebt  haben.«)  Ein  Mann  von 
lebhafter  Wissbegierde  hat  er  Griechenland  nach  allen  Seiten  durchreist 
ond  überall  Erkundigungen  eingezogen.  Auch  am  Hofe  der  Könige  von 
Makedonien  weilte  er  eine  Zeitlang;^)  den  Tod  fand  er  in  hohem  Alter 
bei  Perperene  gegenüber  der  Insel  Lesbos.  Seine  zahlreichen  Schriften 
waren  teils  chronologischen  Inhaltes  im  Anschluss  an  die  alten  Tempel- 
chroniken, wie  die  7^pfia*  at  ev  "Agyst  in  3  B.  und  die  KaQveovtxai,^)  teils 
behandelten  sie  die  Geschichte  einzehier  Landschaften,  wie  vor  allem  die 
'Ax^^ig  in  4  B.,*)  die  erste  der  attischen  Spezialgeschichten  (Az^iSeg)^  ferner 
die  0aQwvig  (Geschichte  von  Argos),  'Aacomg  (Geschichte  von  Böotien), 
AsvxaXtiovcta,  'Aqxadixä^  Aiohxd,  Asaßixd^  ^Arkarrfg,  teils  endlich  hatten  sie 
denkwürdige  Unternehmungen  zum  Mittelpunkt,  wie  die  TQwixa  und 
neQaixd,«)  Den  ionischen  Dialekt,  die  anreihende  Satzform  und  die  kritik- 
lose Leichtgläubigkeit  teilte  er  mit  den  anderen  Logographen;  seine  ün- 
genauigkeit  in  chronologischen  Dingen  tadelt  kurz  Thukydides  I  97,  härter 


')  Pkblleb,  De  Hellanico  Lesbio  histo- 
rieo  (1840)  in  Ansgew.  Aufs.  23  ff. 

■)  BiELs  Bh.  M.  31,  53  setzt  nach 
Pamphila  bei  Gellius  XIV  23  n.  Ps.  Lncian 
Macrob.  22,  d.  i.  nach  Apollodor  unsern 
Hekatans  auf  496—411.  Dagegen  läset 
WiLAMowiTz,  Herrn.  11,  292  denselben  um 
454  geboren  sein. 

')  Nacb  Suidas  weilte  Hellanikos  am 
Hofe  des  Amjmtas  und  überlebte  die  Re- 
gKrongszeit  des  Perdikkas. 

*)  Nach  Ath.  635  f.  waren  dieselben  in 
Profia  und  Vers  geschrieben,  womit  Suidas 


xal  noit]nx(üg.  Einen  Nachahmer  fand  darin 
Hellanikos  an  dem  Römer  Accius,  der  Di- 
dascalica  in  gebundener  Rede  schrieb. 

')  Dass  Herodot  die  Atthis  des  Hella- 
nikos noch  nicht  kannte,  zeigt  Her.  IX  73. 
Gegenseitige  Unabhängigkeit  des  Hellanikos 
und  Herodot  beweist  Bass,  Wien.  Stud.  I 
161  ff.  Thukydides  erwähnt  197  abfällig 
die  'AzTixt]  SvyyQttg)tj. 

*)  Von  bestrittener  Echtheit  waren  die 
BaQßaQixd  yofUfia  und  die  Atytmxiaxa,  welche 
einen  Teil  jenes  Werkes  bildeten  und  von 
Müller  I  p.  XXX  dem  jüngeren  Hellanikus 
Aegyptius  beigelegt  werden. 


326 


Grieohisohe  Litteratnrgesohiohie.    I.  Elaasisohe  Periode. 


Ephoros  bei  Photioe  p.  43b,  29,  losephos  c.  Ap.  I  3,  Strabon  p.  366,  426, 
451,  602.    Fragmente  bei  Müller  FHG  I  45—69  u.  IV  629—637. 

Andere  Logographen  der  jüngeren  Klasse  waren  Stesimbrotos 
von  Thasos,  Zeitgenosse  des  Kimon  und  Gegner  des  Perikles,  der  eine 
litterarische  Schrift  über  Homer  und  eia  politisches  Pamphlet  über  The- 
mistokles  Thukydides  Perikles  verfasste;^)  Hippys  aus  Rhegion  zur 
Zeit  der  Perserkriege,  von  dem  Suidas  unter  andern  eine  Kuaig  ^hah'aq, 
Xqonxd  und  ^xshxa  in  5  B.  anführt  (Müller  FHG  H  12—15);  Glaukos 
von  Rhegion,  dessen  Schrift  nsQi  ztav  aQxaiwv  Tioirjtcov  xat  fiovcixäv  noch 
von  Harpokration *)  und  Plutarch  ticqI  fiovaixfjg  benutzt  wurde.')  —  Im 
weiteren  Sinn  können  femer  hierher  gestellt  werden:  Damastes  aus 
dem  troischen  Sigeum,  Schüler  des  Hellanikos,^)  der  über  die  Ahnen  der 
griechischen  Führer  vor  Troja,  über  Völker  und  Städte,  über  Dichter  und 
Sophisten  schrieb  und  ausserdem  einen,  wesentlich  auf  Hekataios  fussenden 
Periplus  verfasste:*^)  Herodoros  aus  Heraklea,  Vater  des  Sophisten 
Bryson,  der  mit  kritischem  urteil  über  Herakles  und  die  Argonauten 
schrieb  (Müller  FHG  H  27 — 41);  der  Sophist  Hippias  aus  Elis,  dem  neben 
verschiedenen  Deklamationen  auch  eine  'OXvfimovixwv  ävayQag^rj  beigelegt 
ward  (Müller  FHG  H  59—61);  endlich  Phileas,  den  der  archaisierende 
Dichter  Avien  ora  marit.  5  neben  den  bekannten  Logographen  als  seine 
Quelle  aufführt. 

b)  Herodotos  (um  484  bis  um  425).^) 

230.  Leben.  Herodot  wird  von  Cicero  de  leg.  I  1  Vater  der  Ge- 
schichte genannt,  weil  er  zuerst  sich  für  einen  Geschichtsforscher  {ItrroQixog) 
ausgab  7)  und  zuerst  über  genealogische  Verzeichnisse  hinausgehend,  ein 
grosses  welthistorisches  Ereignis  darzustellen  unternahm.  Über  die  Person 
des  Verfassers  sind  wir  nur  mangelhaft  unterrichtet;  selbst  einer  Vita,  ab- 
gesehen von  dem  Artikel  des  Suidas,  entbehren  wir.  Die  Zeit  desselben 
bestimmt  unsere  älteste  Quelle  Dionysios  Halic  de  Thucyd.  5  mit  den  paar 
Worten:   , Herodot  aus  Halikamass  war  kurz  vor  den  Perserkriegen  ge- 


^)  Die  Echtheit  jenes  Pamphletes  (Mül- 
LRB  FHG  n  52—8),  das  eine  Hauptquelle 
des  Plutarch  war,  wird  verteidigt  von  Wila- 
Mowiz  Herrn.  12,  361  ff.  und  Ad.  Schmidt, 
Das  perikleische  Zeitalter  I  183  ff. 

^)  Harpokration  u.  MovaaToq. 

')  HiLLBR,  Die  Fragmente  des  Glaukos 
von  Rhegion,  in  Rh.  M.  41,  398—436.  Ob 
der  Homeriker  Glaukos  und  der  rkavxog 
nsQi  Jüfxv^ov  fjiv&mv  in  Argum.  Aisch.  Pers, 
n.  Schol.  Eur.  Hec.  41  eine  Person  ist,  bleibt 
dahingestellt. 

*)  Suidas  setzt  ihn  mit  yeyoviog  ngo 
Teiv  UeXoTtoyytjciaxtiSy  zu  frOh;  schon  sds 
Schüler  des  Hellanikos  muss  er  an  das  Ende 
des  5.  Jahrhundert  gerttckt  werden;  er  folgte 
ausserdem  dem  Gorgias  in  der  Zurückfdhrung 
des  Geschlechtes  des  Homer  auf  Musaios. 
Seine  Verlässigkeit  perhorresziert  der  kri- 
tische Strabon  p.  47.     Dagegen    war    sein 


nsglnXovg  oder  KatäXoyog  i^yaiy  xai  7t6Xe*»r 
einem  Antiquar  wie  Avien  eine  erwünschte 
Quelle. 

*)  Mülle»  FHG  H  64-67;  vgl.  Aga- 
themeros  in  Mdlleb,  Geogr.  gr.  min.  II  471. 

^)  Quellen  sind  ein  Artikel  des  Suidas, 
und  Plutarch,  De  Herodoti  malignitate. 
Neuere  Bearbeitungen:  Dahlhann,  Herodot, 
Altena  1824,  in  Forschungen  H  1  ff.;  Blas, 
De  vita  et  scriptis  Herodoti,  im  4.  Bde.  seiner 
Ausg.;  Ad.  Baues,  Herodots  Biographie,  in 
Sitzb.  der  Wien.  Ak.  89,  301—420;  Vi»c. 
Costa Nzi,  Ricerche  su  alcuni  punti  contro- 
versi  intomo  alla  vita  e  all'  opera  storica  di 
Erodoto,  Mem.  del  Istituto  Lombardo   1891. 

'}  Der  Ausdruck  Urrogiij  d.  i.  Erforsdmng 
findet  sich  zuerst  bei  Herodot,  und  zwmr 
gleich   im  Eingang  ^Hqo^otov  'aU*.  Uio^ijg 


2.  Die  Oesohiohtsschreibang.    b)  Herodotos.    (§  230.) 


327 


boren  und  lebte  bis  in  den  peloponnesischen  Krieg  hinein.'  Bestimmter, 
aber  ohne  sichere  Gewähr  setzte  Pamphila,  die  gelehrte  Schriftstellerin 
aas  der  Zeit  des  Nero,  das  Geburtsjahr  unseres  Autors  auf  484  an.^)  Dass 
er  den  Anfang  des  peloponnesischen  Krieges  und  die  Einfälle  der  Lake- 
damonier  in  Attika  noch  erlebte,  geht  aus  seinem  Werke  selbst,  nament- 
lich aus  IX  73  hervor;  ebenso  aus  VII  170,  dass  er  zur  Zeit  der  grossen 
Expedition  der  Athener  nach  Sikilien  nicht  mehr  unter  den  Lebenden 
weilte.  Wahrscheinlich  starb  er  kurz  vor  oder  bald  nach  dem  Hingang 
des  Perserkönigs  Artaxerxes  I  (425).*)  Seine  Heimat  war  die  dorische 
Kolonie  Halikarnass  in  Kleinasien,  die  damals  zum  Vasallenstaat  der  durch 
unseren  Historiker  berühmt  gewordenen  Königin  Artemisia  gehörte.  Die 
Eltern  des  Herodot,  Lyxes  und  Dryo  (v.  1.  Rhoio),  gehörten  zu  den  ange- 
sehensten Familien  der  Stadt;  sein  Bruder  hiess  Theodoros.  Einer  seiner 
femerstehenden  Verwandten,  Oheim  von  mütterlicher  Seite,  war  Panyassis, 
der  bekannte  Epiker.  Beide  wurden  in  die  Freiheitskämpfe  ihrer  Vater- 
stadt gegen  die  Gewalthaber  Kariens,  die  Nachfolger  der  Artemisia,  ver- 
wickelt Panyassis  kam  bei  diesen  Kämpfen  um;  Herodot,  der  anfangs 
zur  Auswanderung  nach  der  ionischen  Insel  Samos  sich  genötigt  sah,^) 
soll  später  nach  seiner  Rückkehr  zur  Verjagung  des  Tyrannen  Lygdamis 
mitgewirkt  haben.*)  Aber  bald  nachher  verliess  er,  wie  es  in  der  Grab- 
schrift heist,  wegen  der  Missgunst  der  Bürger,  seine  Vaterstadt  für  immer. 
Im  Jahre  445  treffen  wir  ihn  in  Athen,  wo  er,  wahrscheinlich  in  dem  neu- 
erbauten Odeon,  eine  Partie  seiner  Geschichte  vorlas  und  mit  einer  glän- 
zenden Staatsbelohnung  von  10  Talenten  ausgezeichnet  wurde.^)  Antrag- 
steller des  Ehrendekretes  war  Anytos,  der  eigentliche  Urheber  aber  Peri- 
kles,  der  weitsehende  Staatsmann,  der  in  dem  Unternehmen  des  Herodot 
einen  Hebel  für  die  Hebung  der  Macht  Athens  sah  und  vielleicht  auch 
als  gemeinsamer  Gönner  die  Freundschaft  des  Herodot  und  Sophokles  ver- 


*)  Gellius  XV  23;  wahrscheinlich  ging 
Pamidiila  oder  ihr  vermutlicher  Gewdirs- 
mann  Apollodor  davon  ans,  dass  444  die 
ex/iij  unseres  Herodot  war.  Ad.  Scholl, 
Ueber  Herodots  Lebenszeit,  im  Phil.  9,  193  ff. 
geht,  geetfltzt  auf  Ensebios  zu  Ol.  78,  1  mit 
dem  Geburtsjahr  auf  489  hinauf. 

')  Darius,  Xerxes,  Artaxerxes  sind  allein 
als  PerserkGnige  erwähnt  VI  98  und  ange- 
deutet VII  106.  Auf  die  Zeit  yon  424  weist 
auch  der  Umstand,  dass  er  VII  235  die  Oc- 
capaüon  der  Insel  Eythera  durch  Nikias 
nicht  kennt.  Ohne  Nötigung  wurde  früher 
die  Nachricht  1 130  von  dem  Abfall  der  Meder 
auf  die  Ereignisse  von  408  bezogen. 

')  üeber  die  Verhältnisse  von  Halikar- 
nass zur  Zeit  des  Lygdamis  klttrt  auf  die 
Inschrift  IGA  500.  Bauer  a.  0.  hält  die 
Angabe  von  einer  Auswanderung  nach  Samos 
flbr  erfanden,  um  den  ionischen  Dialekt 
seines  Geschichtswerkes  zu  erkl&ren;  beides 
bringt  allerdings  Suidas  in  Zusammenhang. 
Dass  man  aber  auch  in  Halikarnass  damfds 
ionisch  schrieb,  zeigen  die  Inschriften,  na- 
mentlich das  unter  der  Oberhoheit  des  Lyg- 


damis zu  Stande  gekommene  Gesetz  der  Ge- 
meinden Halikarnass  und  Salmakis,  in  dem 
auch  ein  Panyatis  vorkommt 

*)  Das  muss  vor  454  stattgefunden 
haben,  da  nach  der  Inschrift  IGA  500  da- 
mals schon  Halikarnass  dem  athenischen 
Seehund  beigetreten  war. 

')  Die  Hauptnachricht  darüber  bei  Plu- 
tarch  de  Her.  mal.  26,  geschöpft  aus  Diyllos, 
einem  Historiker  der  Diadochenzeit;  als  Jahr  ist 
Ol.  83,  3  oder  83,  4  von  Eusebios  angegeben. 
Die  Staatsbelohnung  lässt  vermuten,  dass  der 
vorgelesene  Abschnitt  auf  den  Ruhm  Athens 
Bezug  hatte.  Dem  entsprechen  am  besten 
die  3  letzten  Bücher  von  den  Perserkriegen ; 
hdchstens  könnte  man  noch  an  den  Ab- 
schnitt von  Eroisos  und  Selon  I  26—92  mit 
dem  Exkurs  über  Attika  und  Peisistratos 
denken.  Die  Sache  selbst  wurde  später  ins 
Fabelhafte  ausgeschmückt:  Lukian  Herod.  I 
und  Suidas  u.  Sovxvd.  machten  aus  einer 
Vorlesung  in  Athen  eine  solche  in  Olympia  ; 
Suidas,  Marcellinus  c.  54  u.  Phoüos  p.  60  \), 
19  lassen  den  Knaben  Thnkydides  unter 
den  Zuhörern    sein;    alles    schon  widerlegt 


328 


GrieohiBohe  litteratnrgesohiohte.    L  Klassiache  Periode. 


mittelte.i)  Später  schloss  sich  unser  Historiker  der  im  Jahre  444  von 
Athen  neugegrQndeten  Kolonie  Thurii  in  Unteritalien  an,*)  die  ihm  zur 
zweiten  Heimat  wurde,  so  dass  ihn  schon  Aristoteles,  Rhet.  HI  9  als 
Thurier  bezeichnete.*)  Von  dort  besuchte  er  Italien  und  Sikilien;  von  dort 
muss  er  aber  auch  nochmals  nach  Athen  zurückgekehrt  sein;  denn  die 
Stelle  V  77  weist  auf  die  Zeit  nach  Vollendung  der  Akropolis  oder  nach 
432  hin.*)  In  den  ersten  Jahren  des  peloponnesischen  Krieges  starb  er, 
ungewiss  ob  in  Athen  oder  in  Thurii.*)  Sein  Bild,  zugleich  mit  dem  des 
Thukydides  auf  einer  Doppelherme  erhalten,  •)  ist  wohl  nur  ein  Idealporträt 
aus  späterer  Zeit. 

231.  Reisen  Herodots.  Eine  der  wichtigsten  Fragen  in  der  Be- 
urteilung eines  Geschichtsschreibers  ist  die  nach  seinen  Quellen.  Diese 
Frage  stellt  sich  bei  Herodot  anders  als  bei  Historikern  unserer  Zeit 
Heutzutage  sammelt  ein  Geschichtsschreiber,  wenn  er  nicht  Selbsterlebtes 
erzählt,  sein  Material  aus  den  Archiven  und  Bibliotheken.  Herodot  konnte 
aus  den  Schriften  seiner  Vorgänger  nicht  viel  lernen;  er  hat  zwar  bei  der 
Geschichte  fremder  Völker  die  Logographen  Hekataios  und  Xanthos  be- 
nutzt, ja  teilweise  ausgeschrieben;^)  er  hat  auch,  wie  sich  das  bei  einem 
gebildeten  Griechen  von  selbst  verstand,  die  alten  Dichter,  vor  aUen  Homer 
und  die  kyklischen  Epiker  fleissig  gelesen  und  über  die  litterarische  Stel- 
lung derselben  bei  den  Grammatikern  seiner  Zeit  Erkundigung  eingezogen.^) 


von  Dahbnami  a.  0.  30  ff.    Von   weiteren  - 
Vorlesungen  in  Theben  und  EonnUi  melden 
Plutarch  de  Her.   mal.  31,   Ps.  Die  Chiys.  ' 
or.  XXXYII  p.  103  R.    Eine  tadelnde   An-   I 
spielang  anf  diese  Yorlesongen   findet  Ed. 
Meyer  in  Thukyd.  I  22  xzijfia  ^g  äel  fiäXXoy 
rj  aytüvicfjia  ig  to  naQaxQVf*^  nxovBiv. 

»)  8.  §  162. 

')  Ob  gleich  im  Jahr  der  Gründung,  be- 
zweifelt mit  Recht  Böckr  zu  Soph.  Ant. 
S.  144,  weil  Herodot  noch  441/40  mit  So- 
phokles in  Verkehr  stand;  s.  oben  §  162. 
Auch  der  Redner  Lysias  war  nicht  gleich 
in  dem  ersten  Jahre  nach  Thurii  ge- 
gangen. 

»)  Vergl.  Strab.  p.  656,  Duris  bei 
Suidas  u.  Uayvaaaig,  Steph.  Byz.  u.  Sovgtoif 
Julian  ep.  22,  Plinius  n.  h.  Xu  4,  18.  Das 
Citat  des  Aristoteles  Rhet.  HI  9  'Hgo^oiov 
SovqLov  ^(T  larogitjg  anoöehg  geht  wohl  auf 
ein  italisches  Exemplar  des  Herodot  zu- 
rück, wie  auch  die  Werke  Piatons  zuerst  in 
Sikilien  in  den  Buchhandel  kamen. 

*)  Die  Worte  des  Textes  V  77  to  ^k 
agtarsQtjg  ;jf«pof  ioiTjxe  ngoitoy  iaiovzi  ig 
t€t  TtgoTtvXaia  t«  iv  rtj  axgonoXBi  machen 
freilich  der  Exegese  Schwierigkeit,  aber  die 
muss  mit  Wachsmuth  Jahrb.  für  Philol. 
119,  18  und  Stadt  Athen  I  150  durch  die 
Aenderung  i^ioyji  rd  TtQonvkata  gehoben 
werden. 

')  In  Thurii  auf  dem  Markt  war  er  nach 
Suidas  begraben;  das  Eplgranmi  lautete  nach 
Stephan.  Byz.  u.  9ovqioi: 


'Hgodotoy  Av^eto  XQvn tei  xoyig  ctcfe  ^utKorrcr, 
'ladog  aQxaifJS  iäiogirjg  ngvtayiy, 

Jiogi^og  ix  TMaxgtjg  ßXaaroyr*,  aaitoy  yag 

axXrjtoy 
(juufAoy  vnexTiQOifvytoy  Sovgioy  hsx^  nargfjr. 

Andere  bei  Suidas  lassen  ihn  in  Pella  sterben. 

welche  Variante  ursprünglich  zu  Hekatftiis 

gehört  zu  haben  scheint.    Nach  Marcellinus 

c.  17  befand  sich  ein  Grabdenkmal  des 
Herodot  neben  dem  des  Thukydides  in  den 
kimonischen  Gräbern  zu  Athen. 

*)  Siehe  beigegebene  Tafel.  In  der  Bi- 
bL'othek  von  Pergamon  war  eine  Bfiste  des 
Herodot   aufgestellt,   worüber  Conzb,    Sitzb. 

d.  Berl.  Ak.  1884,  S.  1261. 

^)  Porphyrios  bei  Eusebios  praep.  ev.  X  3 
bemerkt  auf  Grund  der  speziellen  Nachweise 
des  Grammatikers  Polio,  dass  Herodot  im 
2.  Buch  vieles  wörtlich  aus  Hekataios  herüber- 
genommen  habe;  dieses  begründet  den  Zwei- 
feln der  Neueren  gegenüber  Dirls  im  Herrn. 
22,  44  ff.  Herodot  selbst  II  143  u.  VI  187 
verweist  auf  den  Hekataios.  Die  Benutzung 
des  Xanthos,  welche  Ephoros  bei  Ath.  615  e 
andeutet,  lässt  sich  nicht  in  gleicher  Weise 
nachprüfen;  siehe  Hbil,  Logographia  num  Horo- 
dotus  usus  esse  videatur,  Marburg,  Diss.  1884. 

^)  üeber  das  Zeitalter  Homers  U  53, 
über  den  nichthomerischen  Ursprung  d^ 
Eyprien  U  1 17,  über  die  tbebanischen  Helden- 
ges&nge  IV  32,  über  die  Rhapsoden  in  Sikyon 
V  67;  über  die  ältesten  Dithyramben  I  23. 
—  Ueber  die  Quellen  Herodots  im  allge- 
meinen siehe  den  Index  fontium  Herodoti  in 
GüTscHiiiD  Kl.  Seh.  IV  145  ff. 


2.  Die  GesGhiohtMohreibang.    b)  Herodotos.    (§  231.)  329 

Aber  die  Dichtwerke  und  die  Schriften  der  Logographen  konnten  ihn  doch 
in  seiner  Aufgabe  nicht  viel  f5rdem;  wesentlich  war  er  doch  auf  persön- 
liche Erkundigungen  bei  den  Leuten  der  älteren  Generation  und  auf  den 
direkten  Besuch  der  in  Betracht  gezogenen  Länder  angewiesen.^)  Dazu  be- 
durfte es  ausgedehnter  Reisen^)  und  längeren  Aufenthalts  in  den  Haupt- 
zentren der  alten  Welt.  Zunächst  führten  ihn  seine  oben  geschilderten  Lebens- 
Terhältnisse  nach  Eleinasien,  Athen,  ünteritalien  und  die  verschiedenen 
Städte  des  eigentlichen  Hellas.  Ausserdem  unternahm  er  mehrere  grössere 
Reisen  in  entlegenere  Länder,  teils  zu  Land,  teils  zur  See:  zur  See  nach 
dem  schwarzen  Meer  bis  zum  kimmerischen  Bosporus,  sowie  nach  Eypem, 
Ägypten,  Kyrene,  Tyrus;  zu  Land  durch  ganz  Ägypten  von  Naukratis  bis 
nach  Elephantine,  und  durch  das  weite  persische  Reich  von  der  Küste  bis 
nach  Snsa.  Die  letztgenannte  Reise,  die  bedeutendste  von  allen,  machte 
er  wahrscheinlich  auf  dem  leichteren  Weg  von  der  syrischen  Küste  aus,') 
nicht  auf  der  grossen,  von  Sardes  ausgehenden  Königsstrasse,  wiewohl  er 
von  der  letzteren  gelegentlich  V  52  und  Vlll  98  eine  genaue  Beschreibung 
gibt.*)  Wann  und  in  welcher  Reihenfolge  er  diese  Reisen  unternahm, 
iässt  sich  nur  teilweise  ermitteln.  Nach  Ägypten  kam  er  sicher  erst  einige 
Zeit  nach  der  Niederwerfung  des  ägyptischen  Aufstandes,  wie  aus  HI  12 
und  n  30  und  99  erhellt,  wahrscheinlich  von  Athen  oder  Thurii  aus 
zwischen  445  und  432.*)  Schon  zuvor  war  er  in  Assyrien  und  Persien 
gewesen,^)  und  wohl  noch  fiiiher  in  Pontes  und  im  Innern  Kleinasiens, 
vermutlich  schon  vor  454,  als  er  noch  ünterthan  des  Perserkönigs  war. 
Darch  diese  Reisen  verschaffte  er  sich  von  den  Ländern  und  ihren  Sehens- 
würdigkeiten, über  die  er  berichtete,  Kenntnis  aus  Autopsie  und  nahm 
zugleich  die  Gelegenheit  wahr,  mit  den  einheimischen  Gelehrten,  wie 
namentlich  den  Gelehrten  (ioyioi)  der  Perser  und  den  Priestern  Ägyptens 
in  Verbindung  zu  treten.  Die  grösseren  Reisen  hingen  indes  wesentlich 
mit  dem  ersten  Teile  seines  Werkes  zusammen;  für  den  zweiten  und  haupt- 
sächlichsten Teil  war  er  vornehmlich  auf  Erkundigungen  in  den  Städten 
Griechenlands  selbst  und  auf  den  intimeren  Verkehr  mit  den  hervorragenden 
Staatsmännern  angewiesen;  und  da  kann  kein  Zweifel  sein,  dass  Athen 
und  die  Kreise  des  Perikles^)  zumeist  ihn  fesselten  und  beeinflussten.®) 

')  Herod.  11  123:  ^^o£  d^  nagd  ndria  ')MATZAT,Herodot8  Angaben  über  Asien, 

Tor  liyoy  rnoxfcrai,    o'ri  td   Xeyofieya   t'Tii)  ]  im  Henn.  VI  392  -486. 

hmnov  axo^  ygdtf/w.  VII 152 :  fyto  ös  6(felXto  ,  *)  W.  Götz,  Die  vorderasiatische  Reichs- 

ifytip  Tff   ifyofisra^    nei^ea&ai  y$   fiey  ov  poststrasse   der   persischen  Grosskönige,   in 

larfdunoiv  offtiXta   xai  fioi   jovxo  i6  Inog  ■  Jahrb.  d.  geogr.  Ges.  München  1885,  8.  90  ff. 

^/<T«  i^  TtdKta  loy  Xoyoy,  »j  Nach  Thnk.  I  112  hielt  sich  im  Jiüire 

*)  NiBBCBB,  Die  Geographie  Herodots,  449  noch  Amyrtaios  in  den  Marschen  des 
mit  einer  Karte,  El.  Sehr.  I  132—258;  C.  I  NUdeltas,  wfthrend  Herodot  III  15  dessen 
Hacbc,  De  Herodoti  itineribus  et  scriptis,  '  Sohn  Paosiris  schon  wieder  mit  seines  Vaters 
Gfittingen  1878;  Fr.  Hildbbband,  De  iti-  i  Herrschaft  von  den  Persem  belehnt  sein  Iftsst. 
naibns  Herodoti  Europaeis,  Lins.  1883;  R.  •)  Dies  bezeugt  Herodot  II  150. 
MfuiB,  Die  geographische  Tafel  nach  den  '  ^)  Ein  Denkmdi  hat  Herodot  YI 131  dem 
^i^ben  Herodots,  1881.  Im  Westen  ist  '  Perikles  in  der  Erzählung  gesetzt,  dass  seine 
Herodot  weit  weniger  als  im  Osten  be-  •  Mutter  Achariste  in  ihrer  Schwangerschaft 
vindert;  so  macht  er  II  33  und  lY  49  getrftnmt  habe,  einen  Löwen  zu  gebftren  und 
0r^ri;  (die  PyrenAen)  zu  einer  Stadt  und  |  dann  nach  wenigen  Tagen  den  Perikles  ge- 
eist bei  ihr  im  Land  der  Kelten  den  Ister  i  boren  habe, 
»tspiingen.  ,  •)  Nitzsch,  lieber  Herodots  Quellen  ftlr 


L 


330 


Grieohisohe  Litteratnrgeflohiohte.    I.  Klassisohe  Periode. 


232.  Das  Geschichtswerk  Herodots.  Seinen  Namen  hat  Herodot 
unsterblich  gemacht  durch  sein  Qeschichtswerk  'lavoQir^g  dnodel^i^^  das  von 
den  Grammatikern  in  9,  nach  den  Musen  benannte  Bücher  eingeteilt  wurde.^) 
Mittelpunkt  desselben  bilden  die  Kämpfe  der  Hellenen  und  Barbaren  unter 
den  Perserkönigen  Darius  und  Xerxes.  Diese  Kämpfe  werden  schon  im 
ersten  Buch  c.  1 — 5  durch  Zurückgehen  auf  die  ersten  Zusammenstösse 
Asiens  und  Europas  in  der  mythischen  Vorzeit,  den  Raub  der  Helena  auf 
der  einen,  die  Entführung  der  Europa  und  Medea  auf  der  anderen  Seite, 
eingeleitet,^)  werden  aber  erst  vom  5.  Buche  an  in  fortlaufender  Erzählung 
vorgeführt.  In  den  vorausgehenden  Büchern  greift  der  Autor  zunächst 
auf  die  Geschichte  der  Lydier,  deren  König  Krösus  den  ersten  Angriff  auf 
die  Griechen  Kleinasiens  gemacht  hatte,  zurück ;  Krösus  führt  ihn  auf  die 
Perser,  die  Besieger  der  Lydier,  diese  wieder  zu  den  Ägyptern,  Babyloniern 
und  Skythen,  welche  der  Reihe  nach  den  Persern  unterlegen  waren.  Es 
ist  also  ein  lockeres  Band,  welches  die  Teile,  die  ursprünglich  eigene,  für 
sich  bestehende  Schriften  (Xiyot  neqaixoi^  Alyvjitioi,  Aißvxot\  Aviixoi\  Sxv- 
O^ixoi\  2dnioi  etc.)  gebildet  zu  haben  scheinen,^)  zu  einem  Ganzen  ver- 
bindet. Dazu  kommen  noch  innerhalb  der  einzelnen  Teile  zahlreiche 
Digressionen  (jiQoax^fjxai  IV  30),  durch  das  alles  das  erste  historische  Werk 
der  Griechen  dem  ersten  Epos  derselben  sehr  ähnlich  wird.*)  In  dem  Ge- 
schichtswerk, wie  es  jetzt  uns  vorliegt,  sind  alle  diese  Teile  zur  geschlos- 
senen Einheit,  die  sich  in  zahlreichen  Rück-  und  Vorwärtscitaten,  direkten 
und  indirekten  Verweisen  kundgibt,  eng  verbunden.  Schwerlich  waren  sie 
das  von  vornherein;  das  hängt  mit  der  Frage  über  die  Abfassungszeit  der 
einzelnen  Teile  und  ihr  Verhältnis  zum  Ganzen  zusammen.  Kirchhoff, 
Über  die  Entstehungszeit  des  herodotischen  Geschichtswerkes,  lässt  die 
einzelnen  Teile  wesentlich  in  der  Folge,  wie  sie  uns  in  dem  Gesamtwerk 
heutzutage  vorliegen,  auch  zeitlich  nacheinander  entstanden  sein,^)  und 
nimmt  demnach  an,  dass  die  Bücher  I — HI  119  zwischen  445  und  443  in 
Athen, 6)   III  120— V  76   zwischen  443  und  432   in  Thurii,')    der  Rest  in 


die  Geschichte  der  Perserkriege,  Rh.  M.  27, 
226  ff. 

*)  ^latogifjc  anoSe^ig  benennfc  sein  Werk 
Herodot  selbst  in  dem  Proöminm.  Die  sehr 
unsachgemässe  Einteilung  in  9  Bficher  kennt 
bereits  Diodor  11,  37;  nach  den  Musen  fand 
dieselben  benannt  Lukian,  De  bist.  conscr..42. 
Ebenso  haben  nach  den  Musen  der  üistoriker 
Kephalion  (Phot.  34  a  8),  der  Rhetor  Bion 
(Diog.  IV  58),  der  Lateiner  Opilius  (Gell. 
N.  A.  I  25)  die  Bücher  ihrer  Werke  benannt. 

*)  Nach  dem  Vorbild  Herodots  hat  Po- 
lygnot  in  der  bunten  Halle  die  Schlacht  von 
Salamis  mit  dem  Untergang  Troias  verbunden, 
und  ähnlich  später  Attalos  in  den  Weih- 
geschenken der  Akropolis  Amazonenkämpfe, 
Marathonschlacht  und  Besiegung  der  Gallier. 

')  Ob  man  annehmen  darf,  dass  diese 
},6yoi  auch  getrennt  publiziert  worden  waren, 
hängt  wesentlich  von  dem  gleich  nachher 
zu  besprechenden  Citat  der  Aaavgioi  koyoi 
bei  Aristoteles  ab. 


*)  Nur  ist  es  mehr  die  Odyssee  als  die 
Ilias  Homers,  deren  Anlage  dem  Gange  des 
Herodot  entspricht. 

'^)  Gegen  das  Buch  Kirchhoffii,  2.  Aufl., 
Berlin  1878,   wendet   sich  Ad.  Baubb,    Die 
Entstehung  des  herodot.   Geschichtswerkes, 
Wien    1878,    indem    er    viele    spätere    Ein- 
fügungen infolge  der  zwischen  445  u.  432 
gesetzten   ägyptischen  Reise  annimmt,  luidl 
den  Xerxeszug  oder  die  letzten  3  B.  frül^er, 
vor  445  entworfen  sein  lässt.    Vgl.  Amkkr, 
Herod.  Hai.  quo  ordine  libros  suos  conscrip>> 
serit,  Virceb.  1881,   und  üeber  die  Reihen^ 
folge  und  Zeit    der   Abfassung   des  herotl. 
Geschichtswerkes,    Straubmg    Progr.    18S:ö ; 
Costa  KZI  a.  0.  14  ff. 

*)  Der  Endtermin  ergibt  sich  daraui^ 
dass  Sophokles  Antig.  905  ff.  an  einer  Stell«^ 
die  freilich  andere  für  eine  spätere  In^eti-. 
polation  ausgeben,  auf  Herod.  Hl  119  Be^i^^ 
nimmt. 

^)  In  Thurii  ist  sicher  geschriebeix     X"V 


8.  Die  Gesoliiohtssohreibiing.    b)  Herodotos.    (§  232.)  331 

Athen  zwischen  431  und  428  enstanden  sei.^)  Damit  lässt  sich  aber  die 
Nachricht  von  der  Vorlesung  des  Geschichtswerkes  in  Athen  schwer  ver- 
einigen, da  diese  uns  eher  vermuten  lässt,  dass  Herodot  zuerst  den  zweiten 
Perserkrieg  oder  die  8  letzten  Bücher  geschrieben  habe.^)  Sodann  fehlt 
es  nicht  an  Anzeichen,  dass  die  engere  Zusammenfügung  der  einzelnen 
Teile  erst  das  Werk  einer  späteren,  auf  die  Vereinigung  der  ehedem  selb- 
ständigen Teile  gerichteten  Thätigkeit  unseres  Historikers  war.  Ich  über- 
gehe vorerst  die  'A<favQ$oi  Xoyoi,  die  überhaupt,  wie  es  scheint,  eine  selb- 
ständigere Stellung  einnahmen  und  in  das  Gesamtwerk  nicht  aufgenommen 
wurden;  auch  in  dem  uns  vorliegenden  Gesamtwerk  sieht  das  2.  Buch  über 
Ägypten  ganz  wie  eine  ursprünglich  für  sich  bestehende  Schrift  aus,  und 
schwerlich  hätte  sich  Herodot  zweimal,  H  33  und  IV  49,  so  ausführlich  und 
ohne  jede  Rückbeziehung  über  den  Ursprung  und  den  Lauf  des  Ister  aus- 
gesprochen, wenn  das  zweite  Buch  von  vornherein  bestimmt  gewesen  wäre, 
mit  dem  vierten  einen  Teil  desselben  Werkes  zu  bilden.^)  Noch  auffalliger 
ist  die  zweimalige  Erwähnung  der  Lage  von  Pedasos  und  des  langen 
Bartes  der  Athenapriester  in  genannter  Stadt  1 175  u.  VHI  104.*)  Über- 
haupt aber  sprechen  der  lange  Zwischenraum  zwischen  den  einzelnen  Reisen 
des  Historikers  und  die  Analogie  der  anderen  grösseren  Prosawerke  des 
Altertums,  wie  insbesondere  der  Politeia  des  Piaton  und  der  Politika  des 
Aristoteles,  für  die  Annahme,  dass  auch  Herodots  vielgliederiges  Geschichts- 
werk erst  allmählich  durch  Zusanmienfügung  von  Büchern  {loyoi)  kleineren 
ümfangs  entstanden  ist. 

Eine  zweite  Kontroverse  betrifft  die  Frage,  ob  Herodot  selbst  sein 
Werk  zum  Abschluss  gebracht  habe.  An  zwei  Stellen  nämlich  I  106  und 
184  verspricht  er  später  iv  'AaavQioKn  Xoyoiai,  etwas  zu  erzählen,  was  wir 
nirgends  in  dem  erhaltenen  Werke  zu  lesen  bekommen.  Nun  erwähnt 
aber  Aristoteles  in  der  Tiergeschichte  VHI  18  etwas  aus  Herodot,  was 
recht  wohl  in  den  UcatQioi  Xvyoi  gestanden  haben  kann.^)  Das  führt  zur 
Vermutung,  dass  Herodot,  als  er  die  Schlussredaktion  des  1.  Buches  vor- 
nahm, auch  die  gesondert  herausgegebenen  'AaavQioi  Xoyoi  in  vollem  Um- 
fiinge  seinem  Hauptwerk,  etwa  nach  III  150,  einzuverleiben  beabsichtigte,^) 

99,  wo  die  Gestalt  des  kimmerischen  Bos-  ■   schlecht   in    den   ZusammenhaDg    einfügen, 

poTOS  an  Attika  nnd  Japygien  erläutert  ist  dass    sie   eher    von   einem    späteren   Inter- 

*)  Herod.  V  77  erwähnt  die  im  Jahre  432  '   polator  als  von  Herodot  selbst  herzorOhren 

(nach  Diodor   XII  32)  erfolgte   Yollendung  i   scheinen, 

der  Propyläen.  *)  Arist.  Hist.  an.  VIH  18:  ut  fjkkv  ovv 

*)  ¥fat    die    frühere    Abfassung    dieser  yafA^wxa  .  .  .  anoTtt  ndfJLniip  iariy  •  «ÜÄ' 

3  letzten  Bücher  spricht  anch  dies,  dass  er  |  'H^oiorog  (Hcioöog  var.  lect ,  'Hq66(oqo?  coni. 

VII  39  und  VII   114  noch  nicht  die  ahn-  i   Bergk)  rjyvoBi  xovto  •  nenoirjxe  yuQ  toy  rrjq 

liehen,  erst  IV  84  nnd  III  35  erzählten  Fälle  fjtayteiag   n^oedQoy  lietoy  iy  xfi  ditjyijaei  rp 


gekannt  m  haben  scheint. 

')  Anch  in  VI  60,  wo  eine  Ergänzung 
n  II  167  über  gemeinsame  Sitten  bei  den 
Lakedämoniem  und  Aernptem  gegeben  ist, 
hitte  auf  II  167  zurückverwiesen  werden 
sollen;  eine  indireckte  Bezugnahme  auf  II 
68  ff.  lic^  IV  44  vor,  aber  in  einem  leicht 
tpiter  erst  zugesetzten  Nebensatz. 

*)  üefarigens  ist  es  bedenklich  aus  den 
beiden  letzten  Stellen  etwas  zu  sdhUesen,  da 
im  8.  Buch   sich  die  betreffenden  Sätze  so 


nsgi  rijy  noXiogxiay  itjy  Niyov  niyoyra.  Die 
Variante  *Hüioioq^  an  der  viele  festhalten, 
hat  in  der  Poesie  des  Hesiod  keinen  Anhalt. 
Bergk  Gr.  Lit.  IV  258  denkt  an  das  unechte 
Werk  *OQyi&ofjtayjeLtt. 

')  Einwendungen  gegen  diese  Schluss- 
folgemngen  erhebt  E.  Bachof,  Die  ^Jaavgioi 
Ao>(»  des  Herodot,  in  Jahrb.  f.  Phil.  1877, 
S.  577  ff.,  und  Stbin,  Jahrber.  d.  Alt.  VI  1, 
325  ff. 


332 


Orieohiflohe  Idtteratiirgeflohiohte.    L  KUssiaohe  Periode. 


durch  den  Tod  aber  an  der  Ausführung  des  Planes  verhindert  wurde. 
Wichtiger  noch  für  unsere  Frage  ist  die  Stelle  VII  213,  wo  er  später  {iv 
ToTg  oniat^er  loyoig)  von  dem  Tode  des  Verräters  Ephialtes  zu  berichten 
verspricht,  während  thatsächlich  in  den  nachfolgenden  Büchern  davon 
nichts  zu  lesen  ist.^)  Es  scheint  nämlich  danach  die  Absicht  Herodots 
gewesen  zu  sein,  sein  Werk,  das  jetzt  mit  der  Einnahme  von  Sestos 
schliesst,  noch  über  dieses  Ereignis  hinaus  fortzuführen.  Denn  wenn  man 
auch  zugeben  muss,  dass  mit  jener  Expedition  der  Flotte  nach  dem  Helles- 
pont  der  Krieg  einen  teilweisen  Abschluss  fand  und  dass  die  Erzählung 
von  dem  Zwiegespräch  des  Artembares  und  Kyrus  mit  dem  Schlusssatz 
a()XSiv  eiXovTO  Xv7tQt]v  olxiovxeq  fidlXov  ^  nsiidia  aneiQOVxsq  dkXoiüi  Sov- 
Xsveiv  sehr  passend  den  betreffenden  Abschnitt  schliesst,*)  so  erwartet 
man  doch  die  Fortführung  des  Werkes  bis  zu  einem  entscheidenderen 
Wendepunkt  und  überdies  die  Abrundung  desselben  durch  ein  förmliches 
Schlusswort.  ^)  Im  übrigen  wird  es  kaum  möglich  sein,  die  Zeit  zu  be- 
stimmen, in  der  Herodot  die  einzelnen  Teile  geschrieben,  umgearbeitet  and 
dem  Ganzen  einverleibt  hat.  Wir  begnügen  uns  daher  bei  Herodot  und 
Thukydides  mit  dem,  was  der  Autor  schliesslich  gab,  und  verzichten 
auf  die  undankbare  Mühe,  dem  Schriftsteller  ins  Konzept  schauen  zu 
wollen.*) 

233.  Dialekt  und  Stil.  Geschrieben  ist  das  Geschichtswerk  Hero- 
dots in  ionischer  Sprache,  nicht,  wie  man  erwarten  könnte,  in  dorischer 
oder  attischer.  Dazu  ward  der  Autor  zunächst  wohl  durch  seine  Vor- 
gänger in  der  Geschichtsschreibung  bestimmt,  da  diese  alle  in  ionischer 
Sprache  geschrieben  hatten.  Aber  ionisch  brauchte  er  nicht  erst,  wie 
Suidas  meint,  in  Samos  zu  lernen;  auch  in  der  dorischen  Kolonie  Hali- 
karnass  sprach  ein  Bruchteil  der  Bevölkerung  ionisch,  und  wurden  Staats- 
dokumente,  wie  die  unlängst  aufgefundene  Urkunde  von  Halikamassos  und 
Salmakis,^)  in  ionischer  Sprache  abgefasst.  •  Attisch  aber  schrieb  Herodot 
schon  deshalb  nicht,  weil  erst  nach  ihm  das  Attische  die  Bedeutung  einer 
allgemeinen  Vermittlungssprache  erhielt,  vielleicht  aber  auch,  weil  er  schon, 
ehe  er  nach  Attika  kam,   sein  Geschichtswerk  begonnen  hatte.     Herodot 


^)  Gegen  den  daraus  gezogenen  Schluss 
erhebt  Einwendungen  Ed.  Meyer  Rh.  M.  42, 
146  ff.  In  VIII  120  ist  uns  durch  cod.  B 
eine  kleine  Lücke  bezeugt;  aber  es  wäre  doch 
ein  sonderbarer  Zufall,  wenn  die  Erwfthnung 
des  Versprochenen  gerade  in  der  kleinen 
Lacke  von  20  Zeilen  gestanden  wäre.  Auch 
das  Versprechen  V  22  wird  später  VIII  137 
nicht  ganz  erfüllt. 

*)  Dieser  Gedanke  ausgeführt  von  Gom- 
PEBZ,  Herodotische  Studien,  in  Sitzb.  d.  Wien. 
Akad.  103  (1883)  141  ff.;  dagegen  Ktrchhopp 
in  Sitzb.  d.  Berl.  Ak.,  1885  S.  301  ff.  Dem 
Inhalt  nach  vergleicht  sich  die  Stelle  des 
Herodot  mit  Hippokrates  negl  ftegoiv  v^iirtav 
TOTKoy  p.  565  K. :  tino  fi^y  ^ov^lfj?  x«t  ^«f- 
^vfiirjg  ij  deiXirj  av^erai^  ano  de  xijg  raXai- 
TKOQiTjg  xai  X(äv  novtav  al  ayd^eiai  '  d/« 
Tovto    eial    fiaxifioitB^oi,    ol    rrjy    EvQionrjy 


oixovyteg,  xal  dui  rovc  yofiovg,  oti.  ov  ßu^tr- 
Xevoyrat  äansQ  ol  'Jattjyot. 

')  Wenig  Glauben  verdient  die  Angabe 
des  unzuverlässigen  Ptolemaios  bei  Phoiioe, 
p.  148  b,  10:  (og  Ukijaiggoog  6  9eoaa2idc  o 
vfjiyoyga(pog  i(mf*€yog  ysyoytog  'fl^o<fo7or  ar<«c 
xXijQcyofiog  ruiy  aviof,  ovrog  noi^ei^  ro 
nQoolfjtioy  rrjg  ngcartjg  Ufxoqiag  'Hgodorov 
'AXixaQyttcaitag  *  rrjy  ydg  xard  <pwny  fr»*«« 
TiJy  'HgodoTov  tatogmy  t^g^V^  y,nfgafm9^  of 
Xoyioi*.  Danach  sucht  die  Ünechtheit  deB 
Proömium  zu  erweisen  F.  La-Rochb,  Pbil. 
14,  281  ff. 

*)  Bei  der  Ilias  und  Odyssee,  wo  die 
Einheit  des  Verfassers  zweifelhaft  ist»  lie^ 
die  Sache  doch  ganz  anders. 

^)  Die  Inschrift  bei  R5hl  IGA  500  bespro- 
chen von  Kirch  HOFF,  Stud.  z.  Gesch.  d.  griec^li. 
Alph.,  8.  Aufl.,  S.  4  ff.  und  Rühl  PhU.  41,  5^  ft. 


8.  Die  GeBchiehiBBohreibung.    b)  Herodotos. 


233-234.) 


333 


gilt  uns  80  neben  Hippokrates  als  Hauptvertreter  der  ionischen  Mundart,  i) 
Mit  der  Weichheit  und  Flüssigkeit  des  Dialektes  steht  in  schönstem  Ein- 
klang die  Einfachheit  des  Stils  und  die  Naivität  der  Erzählung.  Aristo- 
teles BheL  m  9  bezeichnet  unseren  Herodot  als  Hauptrepräsentanten  der 
il^^urrj  if?^,  welche  die  Sätzchen  einfach  mit  re  und  J*'  aneinanderzu- 
reilien,  statt  zu  kunstvoll  gebauten  Perioden  zu  verknüpfen  pflegt.  2)  Selbst 
uns  werden  manchmal  der  te  zu  viel;  noch  weniger  war  die  schlichte 
Kunstlosigkeit  dieses  Stiles  im  Geschmack  der  rhetorisch  gebildeten  Leser 
der  nächsten  Jahrhunderte  nach  Herodot.  Erst  in  der  römischen  Kaiser- 
zeit scheint  man  wieder  mehr,  wie  das  Urteil  des  Dionysios  von  Halikar- 
nass')  und  die  Nachahmungen  des  Arrian  und  Lukian  zeigen,  die  hübsche 
Harmonie  dieses  einfachen  Stils  mit  dem  naiven  Ton  des  ionischen  Er- 
zählers gewürdigt  zu  haben. 

234.  Inhalt  und  historische  Treue.  Der  Hauptwert  des  herodotischen 
Werkes  beruht  in  seinem  Inhalt.  Gilt  dieser  Satz  der  Natur  der  Sache 
nach  von  allen  historischen  Werken,  so  doch  in  erhöhtem  Grade  von 
Herodot;  er  hat  einerseits  die  glänzendste  Partie  der  alten  Geschichte,  den 
heldenmütigen  Kampf  des  kleinen  Griechenvolkes  gegen  die  persische  Über- 
macht, den  Sieg  des  freien  Geistes  über  knechtische  Unterwürfigkeit*)  zum 
Mittelpunkt  seiner  Darstellung  erkoren,  und  er  hat  anderseits  sein  Werk 
80  eingerichtet,  dass  er  in  dasselbe  die  reichsten  Notizen  über  Sitten  und 
Einrichtungen  von  Hellenen  wie  Barbaren  einflechten  konnte.  Die  Welt 
war  damals  noch  nicht  uniformiert,  und  Herodot  verband  mit  der  Wiss- 
hegierde  des  loniers  das  offene  Auge  eines  unbefangenen  Beobachters.  So 
bietet  er  uns  eine  unerschöpfliche  Fülle  ethnographischer  Mitteilungen  über 
die  Ägypter,  Skythen,  Thraker,  Perser,  fast  alle  Völker  der  damals  be- 
kannten Erde,  und  entwirft  uns  anziehendste  Schilderungen  bald  von  den 
Pyramiden  Ägyptens  und  den  Bauten  der  Assyrier,  bald  von  den  Rosen- 
garten Makedoniens  (VH!  138)  und  den  Kornfeldern  der  Gelonen  (IV  108). 
Und  indem  er  neben  örtlichen  Schilderungen  auch  anmutige  Erzählungen 
aller  Art  in  sein  Qeschichtswerk  einzuflechten  wusste,  wie  die  vom  Traume 


\)  Dass  indes  Herodots  Sprache  kein 
reiaer  Lokaldialekt  war,  sondern  viele  poe- 
Bsche  Elemente  namentlich  aus  Homer  auf- 
genommen hatte,  bemerkten  bereits  die  Alten; 
LHermogenes  in  Rhet  gr.  ed.  Sp.  IT  421,  der 
«ffl  Herodot  im  Gegensatz  zu  Hekataios 
OM  i«(f«  7f oixiXr]y  zuschreibt.  Dem  Dionysios 
™ic.  ep.  ad  Pomp.  3  ist  'Hgo^oro^  r ^f  'Idd^oi 
WTo<  xttvmy.  Vgl.  BsBDOw,  Quaest.  critic. 
«  üalecto  Herodotea  libri  IV,  Lips.  1846; 
MnzDosF,  Qnaest.  gramm.  de  dial.  Herodoti 
»Ccwnjs  Stad.  VIII  125  ff.  u.  IX  199  ff.; 
«55  in  der  Ed.  mai.  praef.  XLIV,  sqq. 
O.HoppMAiw,  Die  griech.  Dialekte  III 186-193. 
l-iwere  Handschriften  schwanken  vielfach, 
"■»  zwischen  diXat  u.  i9eXo)y  ixsTvoq  n.  xsTpog, 
«^*««  n.  e{>fxfr,  und  haben  falsche  Formen, 
•J*  fyfrfuTo,  KQoiaeto  u.  a. 

*)  Cicero  Orat.  12  vergleicht  den  Hero- 
«t  einem  sedatus  amnis;  ähnlich   Quintil. 


IX  4,  18;  Dio  Chrys.  or.  18  p.  479  R.  u.  or. 
53  p.  278  R.;  Athen.  78  e. 

')  Dion.  Hai.  ep.  ad  Pomp.  3,  wo  eine 
sehr  lesenswerte  Vergleichung  des  Thuky- 
dides  und  Herodot  zu  Gunsten  des  letzteren 
gegeben  wird ;  ich  hebe  aus  ihr  nur  den  Satz 
hervor:  1}  fi^y  'H^odorov  dutSeaig  ^v  annaiv 
iniBixfjq  xal  roTg  fjiky  aya&oTg  avyrjdofi^vi], 
toig  de  xttxoTg  ovvaXyovaa.  Damit  vgl.  Dio 
Chrys.  or.  53  p.  278  R.  Günstig  urteilt  auch 
Hermogenes  de  ideis  II  12  p.  421  Sp.:  fiera 
Tov  xaf^agov  xai  evxQivotlg  noXvg  iati,  xwg 
ijdoyalg  '  xai  y«^  xalg  Bvvoiftu  fJLV^ixatq 
a^edoy  andamg  xai  rfi  X^Set  noirjxixfi  xe^- 
QTjTca  dtoXov.  Homerische  Wendungen,  aber 
auch  Anklänge  an  die  Tragiker  finden  sich 
zahlreich. 

*)  Wie  sehr  er  von  diesem  Hochgefühl 
erfüllt  war,  zeigen  besonders  die  herrlichen 
Worte  der  Spartaner  VII  135. 


334 


Grieohisohe  LitteratiirgeBohiohte.    I.  KlaaBisohe  Periode. 


der  Königstochter  Mandane  und  von  den  Geschicken  des  jungen  Eyros 
(I  107—119),  die  gleich  für  3  Tragödien  StoflF  bot,  hat  er  in  der  That 
mit  seinem  Geschichtswerk  erreicht,  was  er  im  Eingang  verspricht,  o^g 
firT€  vd  y€v6ii€va  6^  dv-d-Qdnwv  Tfj|5  X^oi'ft»  i^trrjka  yivrpcai  fiirjte  iQya  fiayaixt 
T€  xai  d'iov^aard  rä  fikv  "Ekkr^tn  tct  dh  ßaQßaQOiai  dnodsx&ävxa  oxAca 
ytvTjrai.  Dagegen  gab  er,  indem  er  nach  Art  der  epischen  Dichter  die 
Thaten  selbst  reden  Hess,  der  geschichtlichen  Betrachtung  nur  wenig  Raum. 
Daher  fehlen  bei  ihm  auch  die  langen  reflektierenden  Reden.  Nur  einmal 
m  80  ff.  bei  Erzählung  der  Vorgänge  nach  dem  Tode  des  Magiers  lässt 
er  in  längeren  Reden  die  drei  Stammeshäupter  der  Perser  die  Vorzüge 
und  Nachteile  der  verschiedenen  Staatsverfassungen,  der  Demokratie,  Oli- 
garchie und  Monarchie  nacheinander  entwickeln.  Aber  diese  Reden  fallen 
auch  ganz  aus  dem  Ton  des  Werkes  heraus:  es  sind  keine  historischen 
Dokumente,  sie  sind  auch  nicht  einmal  der  Situation  angepasst,  sie  sind  Reden, 
wie  man  sie  in  Athen,  nicht  in  Persien,  aus  dem  Munde  der  Rhetoren 
und  Sophisten  zu  hören  bekam. 

Hatte  aber  auch  Herodot  die  notwendigste  Eigenschaft  eines  Histo- 
rikers,  die  Fähigkeit  und  den  Willen,   das  Wahre   zu  ermitteln  und   zu 
sagen?     An  Eifer,  durch  ausgedehnte  Reisen  überall  direkte  Erkundigungen 
einzuziehen  und  mit  eigenen  Augen  die  Dinge  zu  schauen,   hat  es  ihm 
sicher  nicht  gefehlt.     Bei  zwiespältiger  Überlieferung  hat  er  gewissenhaft 
beide  Parteien  zu  Wort  kommen  lassen,   oft  dem  Leser  selbst   die  Ent- 
scheidung überlassend.     Die  Perser,  Ägypter  und  Thraker  benennt  er  zwar 
mit  dem  landläufigen  Namen  Barbaren,  aber  keiner  seiner  Landsleute  hat 
je  gegen  die  Barbaren  einen  gleichen  Gerechtigkeitssinn  gezeigt.     Absicht- 
lich hat  er  nie  täuschen  wollen,   und  viele  seiner  fabelhaften  Angaben, 
die  den  Alten  ungeheuerlich  erschienen,   haben  in  unserer  Zeit  durch  die 
Entzifferung  der  Hieroglyphen  und  Keilschriften  ihre  Bestätigung  gefunden. 
Aber  er  kannte  als  echter  Grieche  keine  fremden  Sprachen,  er  sah  sich 
den  Fremden   gegenüber  auf  die  zweifelhafte  Vermittelung  von  Dolmet- 
schern angewiesen  und  huldigte  dazu  der  bösen  Sitte,  fremde  Verhältnisse 
und  Götter  mit  griechischen  Namen  zu  benennen.     Er  hielt  sich  ausser- 
dem-mit  Vorliebe  bei  seinen  Erkundigungen   in  Hellas   wie  in  Ägypten 
und  Assyrien  an  die  Priester  und   ward  so  unwillkürlich  in  deren  aber- 
gläubische  oder  auf  Täuschung    berechnete  Auffassungen   hineingezogen. 
Irrtümer  konnten  unter  solchen  Umständen  nicht  ausbleiben,  wie  wenn  er 
I  131  durch  die  Endung  verleitet  den  iranischen  Sonnengott  Mithra   für 
eine  Göttin  ausgiebt,  oder  HI  31  im  Widerspruch  mit  den  heiligen  Schriften 
der  Iranier  die  Heirat  mit  einer  Schwester  als  unerlaubt  bei  den  Persern 
bezeichnet.  1)     Auch  in  den  griechischen  Angelegenheiten   beging    er  Irr- 


^)  Die  neuen,  durch  die  grossartigen 
Fortschritte  der  orientalischen  Philologie  be- 
dingten Anschauungen  gegenüber  Herodot 
vertritt  nicht  ohne  viele  zweifelhafte  Auf- 
stellungen Sayob,  The  ancient  empires  of 
the  east  and  Herodots  books  I  -  III,  Lond. 
1883;  gewiss  geht  er  zu  weit,  wenn  er  be- 
hauptet, Herodot  sei  an  den  Punkten,  die  er 


gesehen  zu  haben  behauptet,  wie  in  der  Statdt 
(statt  Insel)  Elephantine  gar  nicht  ge^iresen. 
Sehr  ungünstig  urteilte  unter  den  Alten  sein 
Zeitgenosse,  der  Arzt  Ktesias,  bei  Pbotioa 
p.  35  b,  41:  Krtjaiag  iy  artaaty  <trrurec/uey«c 
HQodoKO  IcTOQuiy,  tiXXtc  xai  ^psvczfjy  crt.*roy 
tineX^yX^^  ^'^  ^oXXoTc  xai  Xoyonotot^^ 
xaXaiy,    Yergl.  Diodor  H  15.    Aehnlicli 


2.  Die  Gesohiohtssohreibang.    b)  Herodotos. 


i) 


335 


tfimer,  indem  er  teils  der  nötigen  technischen  Kenntnisse  entbehrte,  wie 
bei  Schilderung  der  Brücken  über  den  Helle  spont  (VIII  33flf.)/)  teils  in 
seiner  Freiheitsliebe  den  Anekdoten  über  die  Grausamkeiten  der  Tyrannen 
Periander  und  Polykrates  zu  leicht  Glauben  schenkte,  teils  endlich  die 
Grösse  der  Perserkriege*)  und  den  Ruhm  Athens*)  zu  sehr  aufbauschte. 
Durch  eine  gewisse  Voreingenommenheit  für  Athen  und  die  Kreise  des  Perikles 
liessersich  zuweilen  auch  zu  harten  und  ungerechten  Urteilen  gegen  andere, 
insbesondere  gegen  Korinth,  Theben  und  Themistokles  verleiten.  Wir 
baben  darüber  eine  freilich  selbst  wieder  von  thebanischem  Lokalpatrio- 
tismus diktierte  Anklageschrift  von  Plutarch  ns^l  rfjg  ^HqoSozov  xaxorjü^fiacj 
und  erfahren  aus  Suidas,  dass  Aelius  Harpokration  ein  ganzes  Buch  nsQi 
tov  xaxiilfevad^ai  tijv  'Hqodoxov  laroqiav  geschrieben  hatte.*)  —  Weit  mehr 
aber  als  diese  doch  immerhin  nur  massige  Parteinahme  für  Athen  hielt 
das  Urteil  Herodots  seine  religiöse  Anschauung  und  seine  ethische  Rich- 
tung befangen.  Herodot  war  nicht  bloss  Historiker,  er  war  auch  Theo- 
loge; er  teilte  mit  der  Mehrzahl  seiner  Zeitgenossen  den  Glauben  an  Vor- 
zeichen und  Wunder,  er  hatte  sich  eine  eigene  Vorstellung  von  dem  Neide 
der  Götter  gebildet*)  und  wollte  insbesondere  in  der  Geschichte  überall 
das  Walten  der  Gottheit,  speziell  in  den  Perserkriegen  das  Strafgericht 
der  Götter  über  menschlichen  Frevel  und  Übermut  erkennen.  Infolge- 
dessen merkte  er  nicht,  dass  die  ihm  vorgelegten  Orakel  zum  grossen 
Teil  nur  vaticinia  ex  eventu  waren,  und  liess  sich  selbst,  um  Zusammen- 
hang in  die  Naturerscheinungen  und  menschlichen  Ereignisse  zu  bringen, 
zur  Verrückung  chronologischer  Daten  verleiten,«)  wie  das  alles  sehr  gut 
Wecklein,  über  die  Tradition  der  Perserkriege,  dargethan  hat.  Aristoteles 
De  gen.  an.  m  5  hat  unseren  Herodot  einen  iivd^oXoyog  genannt,  und  wir 
werden  zugeben  müssen,  dass  derselbe,  wenn  er  auch  nicht  geradezu 
kritiklos  schrieb,  doch  noch  weit  von  einem  kritischen  Geschichtsforscher 


teiit  Manetho  über  die  ftgyptisclieii  Partien 
ieinee  GreechichiBwerkes  bei  Josephus  c.  Ap. 
l  14:  noXkd  xoy  'H^doroy  iXeyxsi  taty  Ai- 
jrvHTutxtir  vn*  ayyoiag  hpBvafjLiyov.  Sogar 
Besiechlichkeit  wird  ihm  vorgeworfen  von 
Fi.  Dio  Chrysost  or.  37,  p.  108  R.  und  Mar- 
c«IliBii8  Vit  Thncyd.  c.  26.  Ed.  Schwabz,  Die 
Bemokimtie  von  Athen,  Leipz.  1889  I  S.  22  f. 
0. 661  ff.  macht  gar  in  seinem  Eifer  gegen  die 
Grtesen  des  Altertums  den  Herodot,  weil  er 
von  Athen  eine  Belohnung  von  10  Talenten 
«hielt,  zum  offiziösen  Historiographen  und 
sein  Werk  za  einer  Subventionsarbeit. 

')  Ebenso  hatte  er  von  dem  Alter  der 
Schrift  keine  richtige  Vorstellung,  so  dass 
er  och  Y  58  Inschriften  des  Amphitryon  auf- 
binden Hess.  Irrtömer  in  der  Beschreibun«; 
ies  Phönix  finden  sich  II  73. 

'/  Delbrück,  Die  Perserkriege  und  die 
Burgmiderkriege,  1887,  hat  sehr  passend 
hervorgehoben,  dass  von  Herodot  ganz  fthn- 
fidi  die  Perserkriege,  wie  im  Mittelalter  die 
IVeflieitBkAmpfe  der  Burgunder  über  ihre 
wizklidbe  Bedeutung  hinaus  erhoben  wurden. 
Tgi  Ed.   Meybb,    Forschungen   zur   Gesch. 


1892,  I  151  ff. 

')  Dem  Ruhme  Athens  gilt  namentlich 
die  schöne  Stelle  VII 189:  vvv  dk  '^»ijyaLovg 
av  xi^  Xeytoy  aioi^^ag  t^g  'EXXadog  ovx  ay 
dfJittQXttyoL  dXrj9ios. 

*)  Vgl.  Strab.  p.  819.  Gegen  Herodot 
schrieb  auch  Manetho,  worüber  Joseph,  c.  Ap. 
I  14;  Eustath.  zu  Hom.  A  480;  Et.  M.  u. 
A€oyxox6f4og. 

*)  Diese  Vorstellung  vom  Neide  der 
Götter  Stack  aber  den  Griechen  überhaupt 
in  den  Gliedern  und  wurde  insbesondere  auch 
von  dem  etwas  älteren  Dichter  Pindar  geteilt 

•)  So  ist  VII  87  die  Sonnenfinsternis  von 
478  in  die  Zeit  des  Xerxeszuges  gesetzt;  s. 
Weckleis,  Ueber  die  Tradition  der  Perser- 
kriege in  Sitzb.  d.  b.  Ak.  1876,  S.  253.  —  Die 
Fabel  des  Pindar  Isth.  VllI  17  ff.  von  den 
Töchtern  des  Flusses  Asopos  legt  Herodot 
V  80  einem  unbekannten  Thebaner  in  den 
Mund.  Auch  die  Hilfe,  welche  ApoUo  dem 
Kroisos  auf  dem  Scheiterhaufen  bringt  bei 
Herodot  I  87  erweist  sich  jetzt  als  Legende 
des  Dichters  Bacchylides  III  35  ff. 


L 


336  Grieohisohe  Litteratargesohiohte.    I.  Klassische  Periode. 

entfernt  war.  Aber  auf  der  anderen  Seite  bekundet  Herodot  in  allen  lit- 
terarischen Fragen  ein  feines,  von  Vorurteilen  freies  Urteil,*)  und  berührt 
uns  sympathisch  der  warme  Ton,  welcher  sein  Werk  durchzieht  und  der 
nur  von  einem  Manne  ausgehen  konnte,  der  selbst  von  Vaterlandsliebe 
und  sittlichem  Adel  getragen,  auch  in  der  Geschichte  der  Völker  das 
Walten  höherer  sittlicher  Mächte  fand. 

Codd.:  Zwei  Familien,  von  denen  die  älteie  vertreten  ist  durch  A  (Flor.  73,  5  s.  XI) 
B  C  (A  u.  B  mit  stichometrischen  Angaben),  die  jüngere,  von  Cobet  und  Gomperz  höher 
geschätzte  durch  R  (Vatic.  123)  P  (Paris.  1633),  Vindob.,  Sancroftianus.  Kritischer  Apparat 
am  besten  in  den  Ausgaben  von  Gaisford  und  von  Stein. 

Hypomnemata  schrieben  nach  Suidas  die  Rhetoren  Heron  aus  Athen,  Salustius 
und  Tiberius.  ICritische  Studien  stellte  in  Hadrians  Zeit  der  Grammatiker  Alexander 
von  Eotyaion  an.  rXtSaaat  *Hqo66%ov  von  Apollonios  erwähnt  Et.  M.  p.  500.  Auf  uns 
gekommen  sind  kaum  nennenswerte  Scholien  und  dürftige  'Hgodorov  Xe^ei.^,  abgedruckt  im 
Anhang  von  Steins  Ausgabe;  vgl.  Kopp,  Beiträge  zur  griech.  Exzerptenlitt  72  ff. 

Ausgaben:  cum  annot.  Galei,  Fr.  Gronovii,  Valckenaril,  ed.  Wbsseling,  AmsteL  17ß3 

—  cum  annot.  Wesselingii  et  Yalckenarii  aliorumque  ed.  Sohwbiohauseb  Argent.  1816, 
6  Bde.  —  ed.  Gaisford,  ed.  Ifl  Oxon.  1849  —  ed.  Bahr  mit  Kommentar,  ed.  11  Lips.  1856, 
4  Bde.  —  ed.  Stbiw,   Berol.  1869,   2  Bde  mit  erlesenem  kritischen  Apparat,  ed.  min.  1884. 

—  Textausgabe  mit  kurzem  Apparat  von  Holder  in  Bibl.  Schenkl.  —  Erklärende  Schul- 
ausgabe von  Stein  bei  Weidmann;  von  Abicht  bei  Teubner;  von  Hintnbb  in  Wien.  — 
Herodotos  1.  f— 111  with  notes  introduction  and  appendices  von  Sayce,  Lond.  1883,  worin 
die  neueren  Forschungen  der  Orientalisten  verwertet  sind.  —  Herodots  zweites  Buch  mit 
sachlichen  Erläuterungen  von  Alfr.  Wibdemann,  Berl.  1890.  —  Nordafrika  nach  Herodot 
von  RiCH.  Neumann,  Leipz.  1892.  —  Englische  Uebersetzung  mit  reichen  sachlichen  Kom- 
mentaren von  Rawlinson,  ed.  11  Lond.  1876,  4  Bde.  —  Klassische  Uebersetzung  von  Lakob, 
2.  Aufl.,  Berl.  1824.  —  Lexicon  Herodoteum  von  Schweighauseb,  Strassb.  1824.  —  lieber 
den  Dialekt  Herodots  s.  oben  §  233. 

Eine  Epitome  des  Herodot  in  2  B.  schrieb  Theopomp.   —  Den  Namen  des  Herodot 
trägt  fälschlich  ein  in  ionischem  Dialekt  geschriebener  Bios  'Ofirj^ovy  worüber  oben  §  22. 

c)   Thukydides  (um  455  bis  um  400).^) 

235.  Leben.  Thukydides,  Sohn  des  Oloros  aus  dem  attischen  Demos 
Halimus  *)  war  der  erste  kritische  Historiker  und  zugleich  der  erste  nam- 
hafte Prosaiker  Athens.  Durch  den  Vaternamen  ward  er  von  dem  Staats- 
mann Thukydides,  dem  Sohne  des  Melesias  und  politischen  Gegner  des 
Perikles,  unterschieden.  Die  Herkunft  des  Historikers  ging  auf  den  thra- 
kischen  König  Oloros  zurück,  dessen  Tochter  Hegesipyle  der  Marathon- 
sieger Miltiades,  der  Vater  des  Kimon,  geheiratet  hatte.^)  Dass  derselbe 
auch  mit  den  Peisistratiden  verwandt  war,  berichtet  der  Litterarhistoriker 
Hermippos.^)     Zu  dieser  genealogischen  Angabe  wird  zunächst  der  Ebckurs 

^)  Vergleiche   besonders    den   hübschen  '  Wilamowitz,    Die  •  Thukydideslegende,    im 

Nachweis  des  anhomerischen  Ursprungs  dei  i  Herm.  12,  326  ff.,  mit  Entgegnungen  von  R. 

Kyprien  II  117.  '  Scholl,  Herm.  13,  438  ff.,  und  ünqbr.  Jahrb. 

^)  Ausser  dem  Artikel  des  Suidas  haben  |  f.  Phil.  1886,  S.  173  ff. 

wir  eine  ausführliche  Vita  von  Marcellinus  i  ^)  Sovxvtfidr^^  ^OXoqov  'AXifiOMfio^  stand 

^x    jüiy  eig   9ovx.    a^oXltoy   negl    tov   ßiov  \  auf  seiner   Grabstele    in    der    kimonischen 


avxov  Govxvdldov  xai  itjg  rov  Xöyov  idiag^ 
wahrscheinlich  demselben  Rhetor,  von  dem 
wir  auch  Scholien  zu  Hermogenes  (Walz, 
Rhet.  gr.  IV  39  ff.)  haben.  —  Neuere  Dar- 
stellungen: Krüoeb,  Untersuchungen  über 
das  Leben  des  Thukydides,  Berl.  1832,  mit 
Nachtrag  1839 ;  Röscher  (der  berühmte 
Nationalökonom),  Leben,  Werk  und  Zeit- 
alter des  Thukydides,  Göttingen  1842;  Euo. 
Petersen,  De  vita  Thucydidea,  Dorpat  1873; 


Grabstätte  (s.  MarceU.  16  ^ 

^)  Vermutungen  über  den  Stammbsam 
von  TöPFFEA,  Attische  Genealogie  282  ff.  u. 
E.  Kirchner,  Beiträge  zur  Geschichte  atti* 
scher  Familien,  Friedr.-Wilhelms-Gymii.  Ber- 
ün  1897  S.  85. 

6)  MarceU.  18  u.  Schol.  zu  I  20.  Die  Ver- 
mutung des  Hermippos  sucht  Mül.ler-Stbu> 
BING,  Aristoph.  534  ff.  zu  stützen. 


2.  Die  Oesehichtsschreibiuig.    c)  Thnkydides.    (§  235.) 


337 


über  die  Peisistratiden  VI  54 — 59,  der  ein  näheres  Interesse  unseres  Histo- 
rikers für  die  Ehre  jener  vielverrufenen  Tyrannen  erkennen  lässt,  Anlass 
gegeben  haben;  aber  auch  thatsächlich  hatte  Thukydides  zu  den  Peisistra- 
tiden insofern  verwandtschaftliche  Beziehungen,  als  ebensogut  Peisistratos 
wie  Eimon^  in  dessen  Famüiengrabstätte  unser  Historiker  beigesetzt  war, 
zu  dem  berühmten  Geschlecht  der  Philaiden  gehörte.  Von  seinen  thra- 
kischen  Ahnen  oder  von  seiner  Frau,  die  aus  der  attischen  Besitzung 
Skaptehyle  an  der  thrakischen  Küste,  stammte,^)  hatte  er  die  reichen 
Bergwerke  in  Thrakien,  nach  denen  er  sich  in  der  Verbannung  zurückzog. 
Aber  auch  in  seiner  Hinneigung  zur  Aristokratie  und  in  seiner  rücksichts- 
losen, jeder  Wortzier  abholden  Wahrheitsliebe  dürfen  wir  den  Einfluss 
des  adeligen  Familienstolzes  und  der  thrakischen  Abkunft  erblicken.^)  — 
Über  sein  Geburtsjahr  und  seine  Erziehung  scheinen  die  Alten  selbst  nichts 
Sicheres  gewusst  zu  haben;  aber  wahrscheinlich  war  er  zwischen  460  und 
454  geboren,')  und  übten  auf  seine  Oeistesrichtung  und  seine  Schreibweise 
die  aufgeklärten  Lehren  des  Philosophen  Anaxagoras  und  die  strengen 
Stilregeln  des  Redners  Antiphon  bestimmenden  Einfluss.*)  Was  man  sich 
von  dem  Einfluss  des  Herodot  erzählte,  welcher,  als  er  den  jungen  Thu- 
kydides bei  der  Vorlesung  seines  Geschichtswerkes  bis  zu  Thränen  er- 
griBeu  sah,  sich  an  den  Vater  mit  den  Worten  wandte :  w  'Okoge,  oqy^ 
\  yvaig  xov  viov  aov  ngog  fAUx^/^fiata,  ist  novellistische  Erfindung  späterer 
Grammatiker.*)  --  Im  Beginne  des  peloponnesischen  Krieges  stand  Thuky- 
dides bereits  im  urteilsfähigen  Alter,  ^)  so  dass  er  die  Grösse  des  Krieges 
Foraussehen  und  den  Plan  zu  seinem  Geschichtswerk  fassen  konnte.  Im 
Jahre  430  oder  429  ward  er  von  der  Pest  befallen;')  424  leitete  er  als 
Stratege  und  Flottenbefehlshaber  die  Operationen  an  der  thrakischen 
Küste.    Da  er  aber  zum  Ersätze  der  von  Brasidas  bedrängten  Stadt  Am- 


*)  Marcell.  19  rjyayBxo  tfi  yvvnlxa  ano 
iMoniriavX'fjg  T^f  SotfXfi^  nXovalav  atpoSga 
xei  fUTaXXa  xexxTj^uevtjy  iy  rß  Bfu^xf^.  Nach 
Fht  Cim.  4  hatte  er  die  Bergwerke  von 
sehieB  Üiiakischen  Ahnen. 

')  Ein  strenger,  die  fremde  Ahknnft 
nicht  verleugnender  Ausdruck  liegt  auch  in 
den  GeaichtszQgen  seiner  von  Oinobios  ge- 
fertigten (Paus.  I  28,  9)  Büste,  wortlher 
MICH4BI.I8,  Die  Bildnisse  des  lliukvdides, 
Strassb.  1877,  dazu  Jahrb.  d.  arch.  Inst.  V 
(1894),  Kh.  M.  84,  149. 

')  Zwei  widersprechende  Angaben  haben 
wir  ans  dem  Altertum,  die  der  Pamphila 
bei  Gellius  XY  28,  wonach  er  im  Beginne 
des  peloponnesischen  Krieges  40  Jahre  alt 
war,  also  ca.  470  geboren  war,  und  die  des 
Marcellinns  34,  wonach  er  im  50.  Lebens- 
jahre starb,  also  um  450  geboren  war.  Aus- 
zagehen ist  von  der  sicheren  Thatsache,  dass 
Urakydides  424  das  Strategenamt  bekleidete, 
also  damals  mindestens  80  Jahre  zählte. 
TgL  DiBLs  Rh.  M.  81,  48. 

*)  Marcell.  22:  tjxovcb  de  didaaxnXaty 
^Jya^ttyoQov  fiiy  iy  (piXoa6(p(ng,  o&ey,  (prjaiy 
•  "jyrvXXo^,  xai  ä^Bog  rjQifjLtt  iyofjilaSrj  irjg 
int9er  SewQias  if4(fOQTj^eis,  'AyiKpvjyiog  dk 


^ijro^og  deivov  rijy  ^tjrogixijy  aydQog,  ov  xai 
fiffiyrjrai  iy  tj  oydoff  (VUI  68).  Aus  dieser 
Lobreide  auf  Antiphon  wurde  wohl  zunächst, 
und  zwar  zuerst  von  Caecilius  (Flut.  p.  888  e) 
geschlossen,  dass  derselbe  sein  Lehrer  ge- 
wesen sei.  Vgl.  A.  NiBscHKB,  De  Thucydide 
Antiphontis  discipulo  et  Homeri  imitatore, 
Progr.  Minden  1885. 

6)  Marcell.  54,  Suidas  und  Phot.  cod.  60. 
Nach  Marcell.  86  fand  man  im  Stile  des 
Thukydides  auch  Spuren  der  Tttt^iatoastg  und 
dyrtf^iaetg  des  Leontiners  Gorgias  und  der 
ttXQißoXoyitt  des  Keers  Prodikos;  vgl.  Blass, 
Att.  Bereds.  P  218;  Norden,  Die  antike 
Eunstprosa  S.  96  —  101.  Einfluss  des  Aristo- 
phanes  und  selbst  des  Findar  auf  Thuky- 
dides sucht  nachzuweisen  Büdinger,  Poesie 
und  Urkunde  bei  Thukydides,  Denkschr.  d. 
Wien.  Ak.  89.  Im  übrigen  scheint  Thuky- 
dides sich  selbst  im  Gegensatz  zu  Herodot 
gezeichnet  zu  haben,  wenn  er  1  138  von 
seinem  Helden  Themistokles  sagt:  ayiJQ 
oixsiif  ^vyiaei  xai  ovre  TiQOfÄa&ojy  ig  avrijy 
ovdiy  ovt*  inijLitt&wy  xQdxifftog  yyuifuoy. 

«)  Thuc.  V  26. 

»)  Thuc.  II  48. 


der  klMB.  AUertamswlnenschaft    Vn.    S.  Aufl. 


22 


338  .Orieobisohe  LitteratargeBohioht«.    L  KUssisohe  Periode. 

phipolis  zu  spät  kam  und  die  Einnahme  derselben  durch  den  kühnen  und 
geschickten  Feldherm  der  Lakedämonier  nicht  zu  verhindern  vermochte, 
ward  er  wegen  Hochverrates  zum  Tode  verurteilt,  i)  Der  ungerechten  Strafe 
entzog  er  sich  durch  freiwillige  Verbannung,  in  der  er  zwanzig  Jahre 
weilte,   bis  er  403  mit  dem   Ende  des  peloponnesischen   Erieges,   nach 
Pausanias  I  23  durch  einen  von  Oinobios  beantragten  Volksbeschluss,') 
die  Erlaubnis  zur  freien  Rückkehr  in  seine  Vaterstadt  erhielt.     Die  Muse 
der  Verbannung  benutzte  er,   um  an  seinem  Geschichtswerk  zu  arbeiten, 
zunächst  um  Materialien  zu  demselben  zu  sammeln.     Seine  Besitzverhält^ 
nisse  mussten  ihn  von  selbst  bestimmen,   sich  nach  Thrakien   zu   wenden 
und  dort  sein  neues  Domizil  aufzuschlagen.     Aber  sicher  wird  er  nicht 
zwanzig  Jahre   lang   in  Thrakien  festgesessen  haben.     Der  Geschichts- 
schreiber Timaios  ^)  lässt  ihn  nach  Italien  in  die  Verbannung  gehen ;  daran 
wird  so  viel  wahr  sein,  dass  er  Italien  und  Syrakus,  den  Schauplatz  seiner 
grossartigsten  Darstellung,  irgendwann  einmal  besucht  hat.     Ausserdem 
lebte  er  eine  Zeitlang  in  Makedonien    bei   dem   Könige   Archelaos,   der 
Dichter  und  Gelehrte  an  seinen  Hof  zog  und  durch  Anlegung  von  Strassen 
und  Städten  Makedonien  auf  die  Bahn  höherer  Kultur  lenkte.     Thukydides 
selbst  schildert   uns  II  100  den  Eindruck,   den   das  erleuchtete  Regiment 
des  tüchtigen  Königs  auf  ihn  machte.^)  —  unsicher  ist,  wie  lange  er  die 
Zeit  seiner  Zurückberufung  überlebte  und  wo  und  wie  er  gestorben  ist. 
Nach  Didymos  bei  Marcellinus  c.   32  und  Pausanias  I  23,   9  ist  er  in 
Athen  unmittelbar  nach  seiner  Rückkehr  eines  gewaltsamen  Todes   ge- 
storben,  während  ihn  Kratippos,    der  Fortsetzer  seines  Werkes,   in    der 
Fremde,  im  Lande  der  Thraker  sterben  Hess.*)     Dass  er  eines  unvorher- 
gesehenen Todes  starb,   lässt  auch  der  unfertige  Zustand  seines  Werkes 
vermuten.     Der  Tod    ereilte  ihn   wahrscheinlich  vor  dem  Hingang    des 
Königs  Archelaos  (399),  sicher  vor  396,  wo  ein  erneuter,  von  Thukydides 
III  116  nicht  gekannter  Ausbruch  des  Aetna  stattfand.^) 

236.  Das  Geschichtswerk  und  seine  Einteilung.  Die  Geschichte 
des  peloponnesischen  Krieges  ist  das  einzige  Werk  unseres  Eüstorikers, 
und  dieses  eine  Werk  ist  obendrein  ein  Torso  geblieben,  da  es  mitten  im 
Krieg  mit  dem  Jahre  411  abbricht.     Denn  den  ganzen  Krieg  hatte  er  zu 


»)  Thuc.  IV  103—7  u.  V  26. 

')  Zu  Pausanias  stimmt  PliniuB  N.  H. 
VIT,  111:  Thucydidem  imperatorem  Athenien^ 
868  in  exilium  egere,  verum  conditorem  re- 
vocavere,   eJoquentiam   mirati  cuiu8  virttäem 


^)  Marcell.  33.  Nach  Steplianoa  Byz. 
a.  HaQTittQioy  starb  er  bei  Perperene,  einem 
ftolischen  Stftdtchen  gegenfiber  Leabos,  wo 
Suidas  mit  mehr  Wahrscheinlichkeit  den  ans 


damnaverant.  Wilamowitz  a.  0.  344  ff.  be-  .  jener  Gegend  stammenden  Hellanikoe  sterben 
streitet  die  Richtigkeit  der  Angabe,  da  dem  Iftsst.  Wilamowitz  findet  in  der  Angabe  des 
Thukydides  ohnehin    durch   die   allgemeine      Marcellinus  31  (vgl.  17)  von  einem  Kenotaph 


Amnestie  von  404  die  Rfickkehr  freistand. 
Dagegen  R.  Scholl,  Herm.  13, 438  und  ünger 
a.  0.  138. 

»)  Marcell.  25  u.  33. 

*)  Marcell.  29:  awBXQovrioB  iT,  wf  fptiol 
JlQtt^Kpdvfjg  iy  t^  negl  UtioQiag,  n^nxtavv 
Tu»  xcjfjiixf^,  *AydBbivi  nß  TQtcyixfOy  Nixtj^ftTff} 


des  Thukydides  in  Athen  ein  grobes  Miss- 
Verständnis,  das  ünger  mit  kfihnen  Hypo- 
thesen zu  zerstreuen  sucht. 

•j  Diodor  XIV  59.  ünobb  a.  O.  164  ff. 
Iftsst  den  Thukvdides  erst  zwischen  Sp&t- 
sonuner  395  und  Sommer  393  sterben,  weil 
die  Stelle  IY  74  voraussetze,  dass   die  394 


inonoif^  xttl  XoiqUü)  xai   MeXaytunldij.   xai      in  Megara  aufgekommene  Aristokratie    SMi- 
in$l^  fjiky  eCfj  U(>/ei(tof    ddo^og  ijy  (6g  im   1  dem  wieder  abgeschafft  worden  sei. 
TiXstaioy,  cJf  ttviog  IlQa^igxiytjg  dtjXol^  vare-    j 


2.  Die  Gesohiohtssohreibiuig.    o)  Thokydidea.    (§  236.) 


339 


schreiben  im  Sinn,  me  er  gleich  im  Anfang  mit  klaren  Worten  ausspricht 
und  noch  bestimmter  im   Eingang  des  zweiten  Teiles  V  26    wiederholt. 
Auch  hatte  er   unzweifelhaft   das  Material  zur  Darstellung    des  ganzen 
Krieges  gesanmielt,  mit  welcher  Arbeit  er  gleich  im  Anfang  des  Krieges 
in  Voraussicht  seiner  Bedeutung  begann  und  welche  er  während  desselben 
ununterbrochen    fortsetzte.^)     Aber    ein  jäher  Tod  verhinderte  ihn,   die 
Verarbeitung  des  Stoffes  zum  Schluss  zu  fuhren,^)  so  dass  die  Geschichte 
der  letzten  Jahre  ungeschrieben  blieb  ^)   und  auch   das  letzte  Buch  des 
Abschlusses  und  der  letzten  Feile  entbehrt.     Denn  von  den  acht  Büchern, 
in  welche  das  Werk  nach  unserer  Bucheinteilung  zerfällt,   hat  das  letzte 
etwas  skizzenhaftes    und   ermangelt  der  für   Thukydides   Darstellungsart 
charakteristischen  Reden  in   direkter  Form.^)     Dass   indess  auch   dieses 
Buch  echt  ist,  daran  ist  nicht  im  mindesten  zu  zweifeln;   wenn  dasselbe 
von  einigen  der  Tochter  des  Thukydides  zugeschrieben  wurde,^)   so   war 
das  wohl  nur  eine  missverständliche   Deutung  der  guten  Überlieferung, 
dass  nach  dem  Tode   des  Vaters   seine  Tochter  die  Herausgabe  des  Ge- 
samtwerkes besorgte.^)   —    Die  Einteilung  des  Werkes   in  acht  Bücher 
röhrt  nicht   von  Thukydides  selbst  her,   wie  man  schon  daraus  ersieht, 
dass  daneben    eine   solche   in    neun   und    dreizehn   Büchern    existierte.^) 
Wohl   aber    hat   der  Autor   selbst   durch  die    neue  Einleitung    in  V  26 
r^jqaffs  Sh  xal  ravta  Govxvitirjg  ^A^rjvmog  klar  angedeutet,  dass  das  Oanze 
aus  zwei  Teilen  zusammengewachsen  ist,  dass  mit  andern  Worten  Thuky- 
dides anfänglich  nur  den  zehnjährigen,  sogenannten  archidamischen  Krieg 
darzustellen  gedachte,  und  erst  später,  als   der  Friede  des  Nikias  sich 
ohne  Bestand  erwies  und  aus  demselben  neue  Kämpfe  hervorgingen,   den 
ursprünglichen  Plan  erweiterte  und  auf  den  archidamischen  Krieg  die  Er- 
zählung der  sikilischen  Expedition  und  dann  die  Geschichte  des  erneuten 
Krieges  in  Hellas,    des    sogenannten   dekeleischen   Krieges   folgen   liess. 
Man  hat  Anzeichen  dieses  Sachverhältnisses  auch  noch  in  unserem  Texte 
finden  wollen,   namentlich   darin,   dass   in   dem  1.  Teil   (I  1 — lY  48  oder 
1  1  -  V  24)  noch  das  Wort  o  noXejuog,  in  dem  Sinne  ,archidamischer  Krieg* 
genommen  sei.^)    Diese  Anzeichen  sind  aber  bis  auf  kleine  Spuren  dadurch 


')  Thuc.  I  1  u.  V  26. 

*)  Ans  dem  Perfekt  yiygatfB  dk  xal 
taira  Sovxvdidr^g  (V  25)  Bchliesst  MOlleb- 
SneBnrQ,  Thiik.  Forsch.  74,  dass  Tbak.  den 
guzen  Krieg  geschrieben  hahe,  dass  aber 
der  Scfalussieil  des  Werkes  durch  Beraabung 
imd  Ennordong  des  Verfassers  zu  Verlust 
gegugen  seL 

*)  Nachgetragen  wurde  dieselbe  durch 
lenophon  und  Eratippos;  fiber  den  ersteren 
^eich  nachher,  den  Kratippoe  (Fragmente 
Wi  MfiUer  FH6  U  75—8)  setzt  Marcell.  33 
Uefa  ZopjTOB,  so  dass  derselbe  der  alexan- 
drauBchen  Zeit  angehörte,  wie  Scholl  im 
Henn.  13,  466  richtig  nachweist. 

*'f  Nach  Dionysios  de  Thuc.  16  hatte 
Kntippoa,  der  Fortsetzer  des  Werkes,  die 
Venmitong  aufgestellt,  Thukydides  habe  ab- 
Befaäich  im  8.  B.  die  Reden  weggelassen, 


weil  sie  die  Erzählung  der  Handlung  stOrten 
und  den  Lesern  Ifiatig  seien;  s.  Holzapfsl 
Herrn.  28,  435  flf. 

*)  Marcell.  43:  X^yovai  de  nye^  tiJv 
oydoijy  laxoQlav  yo^evsa^at  xnl  firj  elyai 
GovxvdldoVf  dXX'  ol  fisy  (paaiy  elrra  xrjg 
^vyatQog  avrov,  ol  d^  Seyofftoyios. 

")  Den  Xenophon,  den  Forisetzer  des 
Werkes,  nennt  auch  als  Herausgeber  Diog. 
II  57. 

^)  Marcell.  58:  ri/jy  nQayfiatBiay  avtov 
ol  fjiky  xatixBfioy  Big  rgetg  xai  dixa  Unogiag^ 
äXXoi  d^  äXXtog  '  o/ntjg  di  tj  nXelorrj  xal  rj 
xotytj  xexQaxrjxe  i6  fiSXQi  itay  oxtü»  difi- 
QTJa^m  xrjy  nQnyfxaiBlay.  Eine  Einteilung 
in  9  B.  kennt  Diodor  12,  37  u.  13,  42;  s. 
WiLAMOwiTz,  Curae  Thucyd.  p.  6  f. 

^)  Thuc.  I  16.  Diese  Ansicht  wurde  auf- 
gestellt von  Ulrich,  Beiträge  zur  Erklärung 


340 


Grieohisohe  Litteratargesohiohte.    I.  KUssiBche  Periode. 


verwischt,  dass  der  Verfasser  den  ersten  Teil  nach  Abschluss  des  Krieges 
nochmals  überarbeitete,  *)  mit  der  Neuredaktion  des  Ganzen  aber  nicht 
über  die  ersten  Bücher  hinauskam,  so  dass  Unebenheiten,  wie  die  zwei- 
malige Widerlegung  der  Erzählung  von  den  Tyrannen  mördem  Harmodios 
und  Aristogeiton  (I  20  und  VI  54—57),  stehen  geblieben  sind.«) 

287.  Inhalt  und  Anlage  des  Werkes.  Von  seinen  Vorgängern 
unterschied  sich  Thukydides  schon  durch  die  Wahl  des  Stoffes,  indem  er 
nicht  in  die  Vergangenheit  zurückgriff,  sondern  das,  was  er  selbst  mitr 
erlebt  hatte,  erzählte.  Er  betont  mit  Selbstgefühl  wiederholt  diesen  um- 
stand, *)  weil  er  sich  so  über  die  leitenden  Persönlichkeiten  ein  sicheres 
Urteil  bilden  konnte  und  bezüglich  der  Thatsachen  nicht  wie  Hellanikos 
und  die  Logographen  auf  die  fabelhaften  Überlieferungen  der  Vergangen- 
heit, sondern  auf  eigene  gewissenhafte  Erkundigungen  angewiesen  war. 
Demgemäss  bleibt  er  auch,  im  Gegensatz  zu  Herodot,  streng  bei  der 
Sache  und  erlaubt  sich,  abgesehen  von  orientierenden  Einleitungen,  wie 
von  der  Vorgeschichte  (Archäologie)  Griechenlands  (I  1 — 21),  von  der 
Geschichte  Athens  seit  den  Perserkriegen  (Pentekontaetie  I  89 — 118), 
von  dem  Reich  der  Odrysen  in  Thrakien  (II  96 — 101),  von  der  Lage 
und  älteren  Geschichte  Sikiliens  (VI  1-— 5),*)  fast  gar  keine  Ab- 
schweifungen. Nur  einmal  (VI  54—57)  hat  er,  sehr  zur  Unzeit,  ledig- 
lich um  ein  eingefleischtes  Vorurteil  seiner  Mitbürger  zu  zerstreuen,  eine 
aufklärende  Digression  über  die  Ermordung  des  Hipparch  durch  Harmo- 
dios und  Aristogeiton^)  einzulegen  sich  gestattet.^)  In  dem  eng  um- 
grenzten Thema  seines  Werkes  galt  ihm,  wie  er  dieses  auch  in  dem  Titel 
ausdrückte,   die  Darstellung  des  Krieges  als   seine  eigentliche  Aufgabe. 

stehung  des  Thokydideischen  Greschiclita- 
Werkes,  Jahrb.  f.  kl.  Phü.  1897  S.  175  «F.,  xu- 
sammenfassend  S.  255  f. 

•)  Thuk.  V  26 :  incßlay  dui  Tiayro^  ovrov 
ttio&ayofjieyog  xe  r/j  fjXixlct  xai  nQwrix^r  tiqv 
yyiofufjyj  ontag  dxQißeg  ri  etaofiai.  I  Xi  ro 
yaQ  TtQd  ttvjiuy  (sc.  noX,  IleXon,)  xai  %d  «* 
TtaXttioTeQa  aatpaSg  fjiky  evQsTy  duz  j^^yov 
nXrjSog  d&vyaxa  ijy.  Vgl.  VI  2.  Abschätziges 
ürteU  über  Hellanikos  I  97 ;  Terdeckter  Vor- 
wurf gegen  Herodot  I  22. 

*)  In  diesen  Abschnitten  war  denn  aach 
Thukydides  auf  ältere  Quellenschiiftsteller 
angewiesen,  und  zwar  hat  er  in  dem  Ab- 
schnitt  Über  Sikilien  den  Antiochos  ausge- 
beutet, wie  durch  feine  sprachliche  Be- 
obachtungen WöLPPLiN,  Antiochos  von  Sy- 
rakus  und  Coelius  Antipater,  Leipz.  1872,  zur 
Gewissheit  erhoben  hat  In  dem  1.  B.  hat 
er  Herodot,  Hellanikos  und  eine  chronik- 
ai*tige  Aufzeichnung  benützt,  worüber  Köhlkb, 
lieber  die  Archäologie  des  Thuk.,  in  Comm. 
in  honor.  Momms.  270 — 7. 

*)  Genaueres  gibt  darüber  jetzt  Aristot 
'A&fjynia}y  noXirsia  18,  wozu  Wii.A]iowTiz, 
Aristot.  u.  Athen  I  108  ff. 

^)  Eine  ähnliche  kürzere  Epiaode  II  29 
gilt  der  Tereussage  und  scheint  durch  das 
Interesse  an  dem  sophokleischen  Stück  her- 
vorgerufen zu  sein. 


des  Thukydides,  Hamb.  1846;  dagegen  pole- 
misiert Classbn  in  der  Einleitung  seiner 
Ausgabe.  Die  Hypothese  Ulrichs  wurde  teil- 
weise modifiziert  von  Steup,  Quaest.  Thucyd., 
Bonn  1868,  weiter  verfolgt  von  Mülleb- 
Strübino,  lliukydideische  Forschungen,  Wien 
1881,  S.  42  ff. 

^)  Daraus  stammt  z.  B.  die  Charakteristik 
der  Perikles  II  65,  wobei  ein  Blick  auf  die 
ganze  Folge  des  Krieges  bis  zu  seinem  Ende 
geworfen  ist.  War  der  erste  Teil  wirklich 
bald  nach  420  nicht  bloss  geschrieben,  son- 
dern auch  herausgegeben  worden,  so  hatten 
sich  von  dieser  Sonderausgabe  keine  Exem- 
plare in  die  spätere  Zeit  gerettet. 

2)  CwiKLiNSKi,  De  tempore  quo  Thuc. 
priorem  historiae  suae  partem  composuerit, 
ßerl.  1873,  Entstehung  der  Thukydideischen 
Geschichte,  Herm.  12,  23—87,  stellt  folgende 
Chronologie  auf:  1.  arcbidamischer  £jieg  I 
1— V  24,  nach  421  aber  vor  404  geschrieben; 
2.  der  sikilische  Krieg,  ebenfalls  vor  404  ab- 
gefasst;  3.  Geschichte  der  Friedenszeit  und 
des  ionisch-dekeleischen  Krieges,  Buch  V  von 
c.  25  an,  einzelne  Partien  von  B.  VI,  endlich 
B.  Vn  u.  VIII,  geschrieben  nach  404;  4.  Ein 
reihung  des  sikilischen  Krieges  und  voll- 
ständige Umarbeitung  des  ganzen  Werkes, 
die  nur  bis  zum  Ende  des  4.  Buches  gedieh. 
Modifikationen  von  G.  Fbiedrich,  Die  Ent- 


2.  Die  GesohichtsBohreibang.    e)  Thnkydides. 


I  237—238.) 


341 


Infolgedessen  kümmerte  er  sich  um  Kunst  und  kulturgeschichtliche  Ver- 
hältnisse gar  nicht  und  berührte  auch  die  inneren  Vorgänge  Athens  und 
Spartas  nur  wenig,  so  dass  er  uns  z.  B.  wohl  sein  Verhalten  bei  der  Ein- 
nahme von  Amphipolis  ausführlich  erzählt,  aber  von  seiner  Verurteilung 
und  den  dabei  doch  gewiss  laut  gewordenen  Parteikämpfen  auf  der 
Agora  nichts  sagt.^)  Die  Eriegsereignisse  selbst  erzählt  er  in  annalis- 
tischer Weise,  indem  er  obendrein  in  jedem  Jahr  Sommer  und  Winter 
scheidet.  Diese  kunstlose  Einförmigkeit,  die  oft  Zusammengehöriges  aus- 
einanderzureissen  nötigte,  missfiel  nicht  ohne  Grund  den  späteren  Rhetoren,^) 
entsprach  aber  der  Weise  der  Kriegsführung  und  der  Gewohnheit  der 
alten  Historiker.  Gestritten  hat  man  in  unserer  Zeit,  ob  Thukydides  da- 
bei vom  natürlichen  Jahr  oder  von  dem  Kalenderjahr  ausgegangen  sei. 
Die  Natur  der  Sache  begünstigt  die  erstere  Annahme,  da  man  sich  ja 
auch  in  den  Operationen  nicht  nach  den  Wirren  des  damaligen  Kalenders, 
sondern  nach  der  Norm  der  Natur  wird  gerichtet  haben.'') 

288.  Charakteristik.  Thukydides  gilt  mit  Recht  als  der  grösste 
Historiker  des  Altertums.  Er  brachte  zur  Geschichtsschreibung  eine  reife, 
ans  eigener  praktischer  Thätigkeit  stammende  Kenntnis  der  Staatsgeschäfte 
und  des  Kriegswesens  mit.  Sein  aufgeklärter  Geist  war  frei  von  jeder 
religiösen  Befangenheit^)  und  erhaben  über  die  engherzigen  Partei  verur- 
teile der  Politiker  gewöhnlichen  Schlages.  Die  mit  prüfendem  Blick  er- 
kannte und  auf  unparteiischer  Erkundigung  beruhende  Wahrheit  war  das 
höchste  Ziel  seiner  Geschichtsschreibung,  vor  dem  seine  innere  Empfin- 
dung und  seine  Hinneigung  zur  aristokratischen  Regierungsform*)  zurück- 
treten mussten.  Wenn  er  trotzdem  einigemal,  z.  B.  in  der  Darstellung 
der  Staatsumwälzung  von  411  nicht  ganz  das  Richtige  trifft,  wie  wir  dieses 
jetzt  durch  die  von  Aristoteles  im  Staat  der  Athener  herangezogenen  Ur- 
kunden nachweisen  können,*)  so  rührt  dieses  nicht  von  mangelnder  Wahr- 
heitsliebe her,  sondern  von  der  UnvoUständigkeit  der  ihm  zugekommenen 


^)  Diese  Schattenseite  gut  beleuchtet 
▼OD  Ed.  Scbwabz,  Die  Demokratie  I  421  ff. 

*)  Hart  urteflt  Dionys.  de  Thucyd.  9  u. 
epiat  ad  Pomp.  3.  Schon  Thukydides  selbst 
sih  sich  am  Schlnss  des  ersten  Teiles  seines 
Gwciiiditswerkes  V  20  zur  Rechtfertigung 
seines  YerSahrens  veranlasst,  da  andere  — 
und  anter  diesen  wird  gewiss  Hellanikos 
gewesen  sein  —  eine  Erzfthlung  nach  Ar- 
cbonten  wünschten. 

'i  Die  zweite  Meinung  wird  vertreten 
dmch  ÜKGBR,  Das  Eriegsjtdir  des  Thukyd., 
im  Philo].  43,  577  ff.  und  44,  622  ff.,  die  erste 
unter  andern  durch  Wilamowitz,  Cnrae  Thu- 
n-dideae,  GOtt  1885.  üeber  den  natürlichen 
Fiithlingsanfang  ist  aUerdings  einigemal  (11 
103.  in  116.  IV  52.  Vn  19)  hinübergegriffen, 
^>er  das  erklärt  sich  aus  stilistischen  Rück- 
Bebten.  Die  chronologische  Schwierigkeit 
WOghch  des  Anfangs  des  Krieges  und  des 
Anschlags  auf  Flatftft  11  2  kommt  ohnehin 
kier  nidbt  in  Betracht,  da  hier  das  über- 
lieferte <fvo  fA^yas  mit  YOmel  und  Krüger 


in  «f  fi^yas,  d.  i.  teaaagag  fiijyaq  gebessert 
werden  muss. 

*)  Freigeistiges  Urteil  über  die  Orakel 
IT  17,  54,  über  Sonnenfinsternis  II  28.  Ver- 
gleiche die  meisterhafte  Schilderung  von 
GoMPERZ,  Griechische  Denker  I  409—418. 

^)  Thuc.  VIII  97.  II  65. 

•)  Arist.  'JSrjyaiwy  TtoXiisla  33  und  Thuc. 
VIII  95—97;  vgl.  Wilamowitz,  Aristoteles 
und  Athen  I  99  ff.  Ueberdies  hielt  sich 
unser  Historiker  nicht  immer  mit  der  heut- 
zutage verlangten  Akribie  an  den  Wortlaut 
seiner  Urkunden.  Der  in  Stein  CIA  IV 
p.  14.  15.  46**  teilweise  uns  erhaltene  Bundes- 
vertrag der  Athener  und  Argiver  weicht  in 
Kleinigkeiten  von  dem  Texte  des  Thukydides 
V  47  ab;  s.  Kirchhoff  Herrn.  12,368  ff.; 
Kirchhoff,  Thukydides  u.  sein  Urkunden- 
material,  ges.  akad.  Abh.  (1880  S.  834  ff., 
1882  S.  909  ff.,  1883  S.  829  ff.,  1884  S.  399  ff., 
1890  S.  1091  ff.),  Beri.  1895;  Büdinger, 
Poesie  und  Urkunde  bei  Thukydides,  Denk- 
schrift d.  Wien.  Ak.  1891,  Bd.  39. 


342  CMMhüehe  littanttargMcbichto.    L  OMnaehe  Periode. 

Berichte.   Die  Schärfe  seines  kritischen  Urteils  zeigt  sich  aber  nicht  bloss 
in  der  Erforschung  der  Zeitgeschichte.    Auch  wo  er  den  Blick  rQckwärts 
auf  Verhaltnisse  einer  weitentlegenen  Vergangenheit  wendet,  wie  auf  den 
Ursprung  des  Namens  Hellas  (I  1),  auf  die  alten  Gräber  von  Delos  und 
die  daraus  abgeleitete  Hypothese   von  einer  karischen  Urbevölkerung  der 
kykladischen  Inseln  (I  8),   auf  die  chalkidischen   Kolonien  Sikiliens  und 
Unteritaliens  (VI  2),  auf  die  Gründe  der  Vertreibung  der  Peisistratiden 
(VI  54 — 7),  bekundet  er  eine  Sicherheit  des  Urteils,  wie  man  sie  bei  den 
gewiegtesten  Quellenforschem  unserer  Zeit  nicht  entwickelter  trifft   In  dem 
Detail  der  kritischen  Quellenforschung  geht  er  aber  nicht  wie  so  mancher 
Jünger  der  modernen  Schule  auf;  dem  grossen  Ganzen  blieb  immer  sein  Haupir 
augenmerk  zugewandt  —Der  Grösse  der  Zeit  und  des  Gegenstandes  entsprach 
auch  die  Grösse  seiner  Seele,   die  Hohes  und  Grosses  auch  mit  dem  ent- 
sprechenden Massstab  zu  beurteilen  verstand.     Das  zeigt  sich  namentlich 
in  der  ebenso  scharfen  als  grossartigen  Charakteristik,  die  er,  ohne  seine 
eigenen  Anschauungen  zur  Schau  zu  tragen,  von  den  handelnden  Personen 
entwirft.  1)     Als  Mittel  dazu  dienten  ihm  unter  anderen  die  Reden,  welche 
er  seinen  Staatsmännern  und  Feldherm  in   den  Mund  legt  und  die  man 
mit  Recht  als  die  eigentlichen  Glanzpunkte  seines  Werkes  bezeichnet  hat 
Dieselben  lassen  uns  zumeist  die  Reife  des  staatsmännischen  Urteils  unseres 
Historikers  erkennen,  sind  aber  zu^eich  von  ihm  mit  einziger  Kunst  ver- 
wendet,  um  uns  in  den  Charakter  der  handelnden  Personen   und  in  die 
Triebfedern  ihrer  Handlungen  einen  Einblick  zu  gewähren.     Wie  er  die- 
selben aufgefasst  haben  wollte,   hat   er  selbst  I  22  klar  ausgesprochen: 
o<fa  fiiv   Xoytp   finov  ^xaaim   ^  ^hkXovtfq   n^oiU/4i;(r««r  ^  iv  avt^  r^dr^  ov%sq^ 
XaXfTTor  tr^i'  catQißHov  avxr^v  rwr  JU/^^'ifMr  iiafurr^fiorevaat  fjv  d/AOi  tb  a»' 
avTog  ijxovaa  xal  roig  aXkod^dv  Jto^-fr  ifioi  aTwayyhXXovciv  iog  i'av  iioxovr 
efioi  FxaifTOi  nfgi  rtov  ati  TiaQorrmY  xa  dhorrta  ^äXuft*  HnsTVy   ixopiäviff  an 
iffvxara  t^c  ^vanacr^c  yi'oiur^g  nor  alr^xhig  Acj^ti'rwr,  ovrfog  ngr^ai.     Dem- 
nach haben  wir  in  den  eingelegten  Reden  nicht  so  sehr  Proben  der  red- 
nerischen Fertigkeit  der  sprechenden  Personen,  als  des  Thukydides  selbst 
zu  erkennen.  >)    Mit  den  Reden  steht  auf  gleicher  Stufe  das  lange  Zwie- 
gespräch der  athenischen  Gesandten  und  der  melischen  Behörden  (V  85 
bis  111),  das  uns  zugleich  die  hartherzigen  Grundsätze,  welche  damals  die 
athenische  Politik  leiteten, ')  erkennen  lässt  --  Die  Ereignisse  selbst  schil- 
dert Thukydides  mit   ruhiger  Objektivität,*)  zugleich  aber  mit  einer  An- 

■)  Ueber  die  Zmrl&cUiiltaiig  waaaes  Hi-  dides  s.  Blasb,  Att  Bereds.  I*,  208  ff.  Seinem 

storikers   in   der   Kundgabe  seiner   eigenen  Gnmdaatz    entsprechend    f&hrt   Thukydides 

Beorteflnng    Ito    Bbuks,    Bas    litteransche  die  Reden  ein  mit  totaSe  (nicht  wie  Hero- 

Portrit  der  Griechen,  Berlin  1896  S.  S— 34.  dot  Tads)  !//«•;  vgl.  Schvokb  y.  Cabolafsld, 

')  Entgegen  den  Worten  des  Thukydides  üebo-  die  Reden  hei  SaUnst  S.  1  ffl  u.  75  ffL 

seihst  nimmt  H.  Welzhofbb,  Thukydides  und  *)  Wie  wenig  überhaupt  die  Homanitit 

sein  Geschichtswerk,  Mfinchen  1876,  genaue  ■   und  die  Moral  in  der  selbetsQchtigen  Politik 

Wiedergabe  der  gehaltenen  Reden  an.    Be-  jener  Zeit  zur  Geltung  kamen,  Ifisst  Thnky- 

achtenswert  ist,   dass  die  zwei  Wendungen,  !  dides  in  der  schönen  Rede  der  Platfter  an 

welche   Aristoteles  Rhet  p.  1366  a,  31   und  |  die  Lakedimonier  lU  53—59   durchblicken, 

1411a,  1   aus  dem   Epitanhioe  des  Perikles  ■  aber  ohne  eigene  moralische  Entrüsfamg. 

anfuhrt,  nicht  in  der  berOhmten  Leichenrede  *           *\  Die  ObjektiTitit  zeigt  sich  besondos 

des   Perikles  bei   Thuk.  11  35— 46   stehen,  i  darin,  daas  er  den  Empfindungen   des  Ge- 

Ueber  den  Charakter  der  Reden  des  Thuky-  fUüs  Schweigen  gebot  und  selbst  mit  dem 


i 


8.  Die  Geaohichtuohreibong.    c)  Thnkydides.    (§  239.) 


343 


schaulichkeit  {ivagyeia)^  durch  die  wir  die  Dinge  selbst  mitzuerleben 
glaubeD.^)  In  dieser  Kunst  lebensvoller  Schilderung,  die  am  glänzendsten 
in  der  ergreifenden  Darstellung  des  sikilischen  Feldzugs  hervortritt,^)  er- 
kennt man  den  Einfluss  des  attischen  Theaters.  Durch  das  Gefallen  an 
dramatischer  Darstellung  liess  sich  selbst  unser  Oeschichtsschreiber  in 
einigen  Partien,  wie  in  der  Erzählung  von  den  Kämpfen  um  Platää,  über 
die  Linie  streng  kritischer  Darstellung  zur  phantasievollen  Ausmalung  der 
Dinge  verführen.')  Mehr  aber  noch  als  die  Anschaulichkeit  der  Darstel- 
lung tritt  bei  unserem  Historiker  das  Streben  nach  gedrängter  Kürze  und 
nach  Präcision  im  Ausdruck  hervor.  Dieses  Streben  durchzieht  sein  ganzes 
ßeechichtswerk,  tritt  aber  besonders  in  der  sogenannten  Pentekontaetie  oder 
dem  kurzen  Überblick  über  die  athenische  Geschichte  in  den  50  Jahren 
vor  Beginn  des  peloponnesischen  Krieges  (I  89 — 118)  hervor.  Im  Gegen- 
Batz  zu  den  vielsehreibenden  Dichtern  und  Logographen  jener  Zeit  hat  er 
seine  Thätigkeit  um  eine  grosse  Aufgabe  konzentriert  und  in  dieser  selbst 
seinen  Ruhm  in  gedrängtem  Gedankenreichtum,  nicht  in  voluminösem  Um- 
fang gesucht.  Mit  berechtigtem  Selbstgefühl  nennt  er  I  22  sein  Werk  ein 
xtr^fia  ig  äel  fiäkXov  rj  äyocvHffJta  eg  t6  TiaQaxQrjfxa  dxovs^v, 

239.  Sprache  und  Überlieferung.  Die  sprachliche  Darstellung 
entspricht  der  Schärfe  und  Tiefe  der  Gedanken.  Die  Glätte  und  Rundung 
des  Ausdrucks  verschmähte  Thukydides,  wäre  ihm  auch,  selbst  wenn  er 
sie  gewoUt,  schwerlich  gelungen.  Das  Streben  Jiach  Kürze  führte  aber 
nnr  zu  oft  zur  Dunkelheit  und  Schwei-verständlichkeit  des  Ausdrucks.  Auch 
wenn  man  sich  in  den  thukydideischen  Stil  gut  hineingelesen  hat,  wird 
man  oft  einen  Satz  zwei-  und  drei  Mal  lesen  müssen,  bis  man  alles,  was 
der  Autor  in  die  Worte  hineinlegen  wollte,  vollständig  erfasst.  Die  häu- 
figen Hyperbata,  die  Sinnkonstruktionen  und  Anakoluthien,  die  verschränkte 
Wortstellung,  die  Häufung  der  Participien  haben  ihren  Grund  in  einer  ge- 
wissen ünbeholfenheit,  in  Folge  deren  es  dem  Autor  nicht  immer  gelingt, 
die  Fülle  der  zuströmenden  Gedanken  in  passende  Worte  zu  kleiden. 
Manchmal  glaubt  man  in  dem  schwerfälligen   Satzbau   das  Werden   des 


Ansdnick  lobender  Anerkennimg  äusserst 
lurgte.  Uns  will  die  erbarmungslose  Staats- 
rison,  welche  er  bei  der  grausamen  Verge- 
waltigang  der  Melier  seinem  Athener  ohne 
ein  Wort  der  Missbilligung  in  den  Mund  legt 
(V 105),  zu  objektiv  und  kalt  erscheinen. 
Audi  von  seiner  eigenen  Verbannung  be- 
richtet  er  (V  26)  mit  kalter  Objektivität. 

*)  Flui  de  glor.  Athen,  p.  347a:  9ov 
xrcfidiyf  aii  reJ  Xoyt^  nQog  xtcvttjv  afjuXkatai 
t^if  irä^eiavt  oloy  ^eatfjy  noiijaai  toV 
ax^OKtijv  xal  xa  yBrofikva  negi  tovg  oqmyjag 
ixnXtpitucd  xai  JOQaxiixd  nd&t]  joTs  dva- 
ytpthxovaiy  ireQydcacS'a^  Xixyevofievos. 

*)  Plnt  Nie.  1:  ini  rtus  dii^ceai  (sc. 
T»r  iixeXtxmy)  Bovxvdidfjs  avtog  avzov  nBQt 
Tffvra  nadtfrixtaraioff  iya^earazoc,  noixi- 
hitaiof  YBvofAByog  dfiifiijvfag  i^eyijyox^.  Ein 
ilmlich  gläDzendes  Urtefl  ttber  die  sikilische 
Expedition,   ,das  Vollendetste,   was  die  Ge- 


schichtschreibung je  geschaffen  hat',   fällte 
Macauley,  s.  üebers.  von  Jowett  II  in. 

*)  Mülleb-Stbübiho,  Die  Glaubwürdig- 
keit des  Thukydides,  geprüft  an  seiner  Dar- 
stellung der  Belagerung  von  Platää,  Jahrb. 
f.  Phil.  131,  289  ff.  Ein  starker  geographi- 
scher Irrtum  bezüglich  der  Lage  des  Vorge- 
birgs  Maleia  in  Lesbos  findet  sich  III  4. 
Ungenau  sind  auch  die  Längeangaben  der 
Rhede  von  Sphakteria  IV  8,  die  gewiss  nicht 
aus  Terrainverändemngen  seit  jener  Zeit  er- 
klärt werden  dürfen.  —  Die  schweren  An- 
griffe, die  Müller  -  Strübing  namentlich  in 
seinem  Buche  Aristophanes  und  die  histo- 
rische E[ritik,  und  in  Thukydideischcoi  For- 
schungen gegen  die  ünvollständigkeit  und 
Parteüichkeit  unseres  Historikers  vorgebracht 
hat,  prüfen  und  widerlegen  Holzapfel  Rh. 
M.  37, 448  ff.,  Herbst  Phüol.  42,  707  ff.,  Edm. 
Lange  Jahrb.  f.  Phil.  135  (1887)  721  ff. 


L 


344 


Grieohiflohe  Littoratarge«ohiohte.    L  KlaBsisohe  Periode. 


Werkes  aus  wiederholten  Zusätzen  und  Selbstbesserungen   zu   erkennen. 
Dionysios  de  Thuc.  24   bezeichnet  unseren  Autor  als  Hauptvertreter  der 
avfTtr^Qce  xai   axorentj  ^x^gaaig,  und   schon   dem  Cicero   erschienen   seine 
Reden  schwerverständlich,  i)    Von  den  Neueren  hat  etwas  derb  Fr.  A.  Wolf 
von  einem  Feldwebelstil  unseres  Historikers  gesprochen.     Aber  man  darf 
nicht  übersehen,    dass  er  der  erste  namhafte  attische  Prosaiker  war  und 
mehr  wie   die  Späteren  mit  der  Sprödigkeit  des  sprachlichen  Stoffes  zu 
ringen  hatte.  ^)     Auch  fällt  ins  Gewicht,   dass  er  den  grössten  Teil  seines 
Lebens  ausserhalb  Athens  im   Barbarenland  verlebte  und  so  die   grosse 
Stilentwicklung  der  attischen  Dichter  und  Redner  in  den  letzten  Decennien 
des  5.  Jahrhunderts  nicht  mit  durchmachte.*)     Auf  der  anderen  Seite  muss 
man  ihm  das  Lob  lassen,  dass  er  überall,  wo  es  galt  scharfe  Begriffsunter- 
scheidungen auch   in  der  Sprache  zum  bestimmten  Ausdruck   zu  bringen, 
sich  einer  ausserordentlichen  Klarheit  und  Konsequenz  befleissigte,  so  dass 
insbesondere  die  im  Griechischen  so  wunderbar  entwickelte  Syntax  der  Modi 
und  Zeiten,  die  scharfe  Unterscheidung  des  Conjunctivs  und  Optativs,  des 
Imperfektums  und  Aorists  hauptsächlich  von  Thukydides  ausgegangen  ist.^) 
So  hat  Thukydides  nach  Verdienst  nicht  bloss  durch  seine  Gedanken- 
tiefe und  politische   Weisheit,    sondern    auch   durch  die  Eigenart   seines 
Stiles   und  seiner  Darstellung  grosse   Anerkennung  auch  bei  den    nach- 
folgenden Generationen  gefunden:   Philistos,  Sallust,  Prokop  eiferten   ihm 
nach;<^)  Dionysios  Halic.  fand  sich  mit  seiner  abfälligen  Kritik  zahlreichen 
Bewunderern  gegenüber,   welche   den  Thukydides  für  den   grössten    aller 
Historiker  hielten. '')     In  der  römischen  Kaiserzeit  hat  man  auch  sein  Werk 
zu  kommentieren  begonnen.     Didymos  schrieb  eine  Vita,  die  wahrschein- 
lich den  Eingang  eines  Kommentars  bildete;^)  Numenios  verfasste  Hypo- 
theseis,  Sabines   und  Heron  unter  Hadrian  Hypomnemata,   hauptsächlich 
vom  rhetorischen  Standpunkt.^)     Aus  dem  Studium   der  Kommentatoren 
stammen  die  nicht  seltenen  Interpolationen,   wie   die  moralisierenden  Be- 
trachtungen des  Kapitels  III  84,   die  aber  schon  von   den  alten  Kritikern 
durch  den  Obelos  als  unecht  bezeichnet  wurden,  i®)    In  der  modernen  Zeit 
ist  namentlich  von  den  Gelehrten  derjenigen  Nation,  die  zuerst  zu  einem 


')  NiRTZKi,  De  Thucvdideae  elocutionis 
proprietate,  Progr.  Königsberg  1887. 

')  Cic.  Orat.  30:  ipsae  illae  contiones 
ita  muHas  habent  obscuras  abditasque  sen- 
tentiaSf  vix  ut  intellegantur.  Vgl.  Bratns  83. 

')  Eine  gewisse  Ungelenkigkeit  liegt  auch 
in  der  zahlreichen  Anwendung  und  Neubil- 
dung von  Verbis  denominadvis,  in  dem  häu- 
figen Gebrauch  des  genetiven  Infinitivs  zur 
Bezeichnung  des  Grundes,  in  der  Verbindung 
des  Artikels  mit  dem  Neutrum  eines  Ad- 
jektivs oder  Partizipiums  zur  Bildung  von 
Abstrakten. 

*)  MüLLEB,  Gr.  Litt.  II*  140. 

')  Dieser  Punkt  wird  an  einer  einzelnen 
Satzgattung  gut  nachgewiesen  von  meiner 
Schülerin  Miss. Warren,  Studvof  conjuncüonal 
temporal  clauses  in  Thucydides,  Berlin  1897. 

*)  Aehnlich   ausgerüstet  von  Natur  war 


auch  der  grosse  Hämische  Historiker  Tacitas, 
Aber  dessen  Verhältnis  zu  Thukydides  s. 
Lkhbs,  Pop.  Aufs.*  450  flf. 

')  Dionys.  de  Thuc.  2. 

^)  Meier,  Opusc.  11  61  und  M.  Schmii>t, 
Didymi  fragm.  p.  334. 

*)  DoBERBNTz,  De  scholüs  in  Thacydidein, 
Halle  1876;  E.  Schwabs,  Quaesfciones  de 
Thuc.  scholiorum  fontibus,  Leipz.  Stad.  FV 
67  ff. ;  Altinoer,  De  rhetoricis  in  orationes 
Thucyd.  scholiis,  München.  Progr.  1885.  Citiert 
sind  in  den  Scholien  Antyllos,  Asklepiades« 
Phoibammon  (4.  Jahrb.) 

'^)  Sehr  weit  geht  in  der  Anfetobemtig 
von  Interpolationen  Müller-Strübiütg,  Tkn- 
kydideische  Studien,  Wien  1881,  wonach 
ganze  Partien^  wie  z.  B.  die  von  der  £r> 
mordung  der  Lesbier  (lÜ  35  -50)  erst  später 
von  andern  zugesetzt  sein  sollen. 


2.  Die  Gesohichtsflchreibang.    d)  Xenophon.    (§  240.)  345 

freien  politischen  Leben  erwachte,  von  den  Engländern  Hobbes,  Hudson, 
Wasse  das  Verständnis  und  die  Bewunderung  des  grossen  Staatsmannes 
unter  den  Historikern  wieder  geweckt  worden. 

Codd.  bilden  zwei  Familien;  die  eine  vertreten  durch  Laur.  69,  2  s.  X  (C)  und  Monac. 
fliTe  Angnstanns  430  (F),  die  andere  dnrch  Vatic.  126  s.  XI  (B),  der  aber  selbst  nicht  durch- 
weg der  gleichen  Rezension  folgt.  Dass  Stephanos  Byz.  noch  einen  reineren  Text  hatte, 
beweist  Niese  Herrn.  14, 423  ff.  —  Ein  Papyrus  IV  36  -41  enthaltend  gefunden  von  Hunt  1857. 

Scholien,  über  die  gehandelt  §  239,  in  der  Ausgabe  des  Thuk.  von  F.  Haase  ed.  II, 
Paiis  1846.  Neue  Scholien  aus  einem  Codex  von  Patmos  herausgegeben  von  Sakkelion,  Revue 
de  phflol.  1877  p.  182—8. 

Ausgaben:  cum  diversorum  comment.  (Hudson,  Wasse,  Düker)  ed  Poppo,  Lips.  1821  ff. 
11  vol.;  desselben  Poppo  edit.  minor,  neubesorgt  von  Stahl  1883,  4  vol.;  comment.  Gölleb, 
ed.  n,  ups.  1836,  2  Bde.  —  Kritische  Ausgabe  von  Imm.  Bbkkbr,  Berlin  1821,  3  vol.;  edit. 
min.  gleichfalls  mit  kritischem  Apparat  1868;  von  Haasb,  Par.  1846  (1868);  rec.  Hüde,  Lips. 
1898;  rec.  et  annot.  Hbrwbrdbn,  Lips.  1877,  5  Hefte;  Thukyd.  1. 1  et  II  ed.  A.  Schöne,  Berol. 
1874  mit  Scholien  u.  kritischem  Apparat.  —  Ausgaben  mit  erklärenden  Anmerkungen  von 
Kbccbb,  3.  Aufl.,  Berl.  1861;  von  Classbn-Stbüp  in  Weidm.  Samml.;  von  Böhmb-Widmank 
bei  Teubner. 

Lexicon  Thucyd.  von  B^tant,  Genf  1843;  Index  Thucydideus  von  v.  Essen,  Berlin 
1887.  —  Gute  Uebersetzang  mit  inhaltreichen  Anmerk.  von  Ueilmann,  Lemgo  1833. 

d)  Xenophon  (um  434  bis  um  355). i) 

240.  Leben.  Xenophon,  den  die  Historiker  wie  die  Philosophen  zu  den 
Ihrigen  zählten,  war  Sohn  des  Gryllos  und  der  Diodora  und  entstammte 
einer  wohlhabenden  Ritterfamilie  des  Demos  Erchia.  Sein  Geburtsjahr 
wird  nicht  angegeben;  ausgehend  von  der  Überlieferung, «)  dass  Sokrates 
in  der  Schlacht  von  Delion  (424)  den  vom  Pferde  gesunkenen  Xenophon 
gerettet  habe,  und  dass  Xenophon  selbst  90  Jahre  alt  geworden  sei»)  setzte 
dasselbe  Krüger  auf  444  an.  Aber  da  Xenophon  in  der  Anabasis  noch 
als  junger  Mann  erscheint,*)  so  verwarf  Cobet  Nov.  lect.  534  flf.  jene  Über- 
lieferung von  der  Errettung  des  Schülers  durch  den  Lehrer  als  tendenziöse 
Erfindung  und  liess  im  Einklang  mit  Athen,  p.  216 d,  wonach  Xenophon 
im  Jahre  421  noch  ein  Knabe  war,  unseren  Autor  um  434  geboren  sein.^) 
In  der  Jugend  schloss  sich  derselbe  an  Sokrates  an;  der  hatte  ihm  einst 
in  einem  Engweg  die  Frage  vorgelegt,  nov  xaXoi  xaya&ol  yivovzai  arx^Qw- 
JTw;  und  ihm  dann,  als  er  um  die  Antwort  verlegen  war,  zugerufen:  inov 
twYvv  xai  fidvx^ave,^)  Aber  so  warm  er  auch  seinem  philosophischen 
Lehrer  anhing,  so  fühlte  er  sich  doch  mehr  zum  praktischen  Leben  hin- 
gezogen und  trat  durch  Vermittelung  seines  Freundes  Proxenos  in  die 
Dienst«  des  jüngeren  Kyros.'')     Als  dieser  in  der  Schlacht  von  Kunaxa 

*)  Biographie  in  Diog.  1149—59,  neben    ,  Xenophon tis  vita,  Königsberg,  Diss.  1884,  wozu 


weleW  der  Artikel  des  Suidas  nichts  Neues 
ntfatit  Diogenes  geht  anf  Demetrios  Magnes 
nrfiek,  der  sein  Hanptmaterial  ans  Dinarchs 
Bede  filr  Aischylos,  einen  Freigelassenen  des 
J&Bgeren  Xenophon,  schöpfte;  s.  Wilamowitz, 
m.  ünt.  IV  330—5.  Die  Briefe  der  Sokra- 
tiker  18—22  sind  eine  mit  Vorsicht  zu  be- 
Boteende  Qnelle.  —  Ebüoeb,  De  Xenophontis 
▼Ha,  in  dessen  Histor.-philol.  Stud.  11  262  ff.; 
F.  Ravkb,  De  Xenophontis  vita  et  scriptis, 
ßeri.  1851;  A.  Cboisbt,  Xenophon  son  carac- 
t^  et  son  talent»  Par.  1878;  Roqurtte,  De 


Stahl  im  Philol.  Anz.  1886;  Ed.  Schwabtz 
Rh.  M.  44, 163  ff.;  Habtmank,  Analecta  Xeno- 
phontea,  Leyden  1887. 

«)  Strab.  p.  403;  Diog.  II  22. 

*)  Ps.  Lucian,  Macrob.  21. 

*)  Vgl.  besonders  Anab.  III  1,  14  25; 
VI  4,  25. 

^)  Hartmank,  Anal.  Xenoph.  geht  mit 
dem  Geburtsjahr  auf  425  herab. 

«)  Diog.  II  48. 

')  Anab.  ül  1,  4  ff.  Nach  Phüostr.  Vit. 
soph.  I  12  hatte  er  den  Proxenos,   der  dort 


346 


Grieohisohe  Litteraiargesohiohte.    I.  KlaMisohe  Periode. 


(401)  gefallen  und  die  hellenischen  Führer  von  den  Persem  hinterlistig 
ermordet  worden  waren,  leitete  er  selbst  mit  staunenswerter  Klugheit  und 
Unerschrockenheit  den  Rückzug  der  10,000   mitten  durch  Feindes  Land. 
An  dem  Hellespont  angekommen,  liess  er  nicht  bloss  die  Geretteten  in  das 
Heer  der  Spartaner,  die  bereits  die  Befreiung  der  kleinasiatischen  Griechen 
vom  Joche  der  Perser  begonnen  hatten,  eintreten,  sondern  liess  sich  auch 
selbst   im   weiteren  Verlauf   der   Dinge   bestimmen,   mit  Agesilaos  nach 
Griechenland  gegen  die  Feinde  der  Spartaner  zu  ziehen.     An  der  Schlacht 
von  Koronea  (394)  gegen  die  mit  Athen  verbundenen  Thebaner  nahm  er, 
wenn  auch  nicht  als  Kämpfender,  teil.     Infolge  dieser  seiner  Verbindung 
mit  den  Feinden  des  Vaterlandes  wurde  er  wegen  Hochverrats  von  den 
Athenern  verurteilt.^)     Die  Lakedämonier  hingegen  entschädigten  ihn,  der 
mit  der  Verbannung  jedenfaUs  auch  seine  Güter  in  Attika  verloren  hatte, 
durch  Verleihung  eines  Landgutes  in  Elis  bei   dem  Städtchen  Skillus.') 
Dort   lebte  er  mit  seiner  Frau  Philesia  und  seinen   zwei  Söhnen  Gryllos 
und  Diodoros  in  friedlicher  Zurückgezogenheit,  litterarischen  Arbeiten  und 
den  Freuden   des  Landlebens  hingegeben,   bis  die  Kämpfe  der  Thebaner 
und  Lakedämonier  ihn  aus  dieser  Ruhe  wieder  aufscheuchten.     Nach  der 
Schlacht  von  Leuktra  aus  Skillus  verjagt  (370),  rettete  er  sich  mit  Mühe 
nach  Korinth.     Von  hier  aus  trat  er  wieder  in  gute  Beziehungen  zu  seiner 
Vaterstadt,   die  sich  damals  mit  den  Lakedämoniern  gegen  Theben  ver- 
bunden  hatte.     Der  Verbannungsbeschluss  wurde   förmlich  aufgehoben;') 
er  selbst  zwar  nahm  an  den  Kämpfen  keinen  Anteil  mehr,  aber  er  Hess 
seine  beiden  Söhne  in  die  athenische  Reiterei  eintreten.    Von  diesen  starb 
Gryllos  bei  Mantinea  den  Heldentod  (362).*)     Den  Tod  des  Sohnes  über- 
lebte der  Vater  noch  um  einige  Jahre;  sicher  starb  er  erst  nach  359,  in 
welches  Jahr  die  Hell.  VI  4,  36  gemeldete  Ermordung  des  Tyrannen  Ale- 
xander von  Pherä  fallt, 0)   wahrscheinlich  erst  nach  355,  wenn  anders  die 
Schrift  noQoi  mit  Recht  ihm  beigelegt  wird.     Nach  Diogenes  H  56  starb 
er  in  Korinth;   danach  scheint  er  also  trotz  der  Aufhebung  des  Verban- 
nungsbeschlusses nicht  mehr  nach  Athen  zurückgekehrt  zu  sein. 


^evos  aQxtitoe  heisst,  in  Böotien  als  Kriegs- 
gefangener gehört,  was  ein  Pendant  zu  der 
Anekdote  von  der  Schlacht  bei  Delion  zu 
sein  scheint. 

^)  Das  Jahr  der  Verbannung  steht  nicht 
fest.  Nach  Paus.  V  6,  3,  Dio  Chrys.  or.  VIII 
in.,  Diogen..  II  51  wurde  er  infolge  seiner 
Beteiligung  am  Zuge  des  Ejros  als  eines 
Feindes  der  Athener  verbannt;  wahrschein- 
lich war  auch  hierauf  in  dem  Verbannungs- 
beschluss, den  nach  Istros  bei  Diog.  11  59 
Eubulos  beantragte,  Bezug  genommen.  Sicher 
erfolgte  aber  die  Verbannung  weder  wfthrend 
des  Zuges  noch  unmittelbar  danach;  das  er- 
hellt aus  Anab.  V  3,  6  f.  u.  VII  7,  57. 

')  £ine  Schilderung  desselben  Anab.  V 
3,  7  ff;  vgl.  Paus.  V  6,  5  f. 

*j  Nach  Istros  bei  Diog.  II  59  durch  den- 
selben Eubulos.  Die  Sache  selbst,  nicht  bloss 
die  Person  des  Antragstellers  wird  bezweifelt 


von  CoBXT  Nov.  lect  757  f. 

*)  Diog.  II  54  erzfthlt  die  schöne  Anek- 
dote, wie  Xenophon,  dem  beim  Opfern  die 
Nachricht  vom  Tode  seines  Sohnes  Überbradtt 
wurde,  anfangs  den  Kranz  vom  Haapte  nahm, 
dann  aber,  als  er  vernommen,  daas  sein  Sohn 
erst  nach  tapferer  Gegenwehr  gefallen  sei, 
denselben  wieder  aufsetzte.  Auf  den  Helden- 
tod des  einen  der  Dioskuren  worden  Tau- 
sende  von  Enkomien  abgefasst  nach  Aristo- 
teles bei  Diog.  II  55.  —  Die  Söhne  des  Xe- 
nophon wollte  man  nach  Paus.  I  22,  4  in  den 
beiden  Reitern  am  Aufgang  zu  den  Pro- 
pyl&en  wiedererkennen,  von  denen  Repliken 
jetzt  zu  Rom  auf  dem  Monte  Cavallo  vor 
dem  königlichen  Palaste  stehen. 

^)  Diodor  XVI  14  berichtet  dieselbe  znm 
Jahr  357 ;  s.  aber  Sohafrb,  Demoetii.  I  ISS 
Anm.  2. 


2.  Die  Geschichtsschreibung,    d)  Xenophon.    (§  241.) 


347 


241.  Charakter,  Schriftstellerei.  Xenophon  wird  von  seinem 
Biographen  Diogenes  11  48  ein  dvrJQ  svdaf/jioDv  t€  xal  sveidtaraTog  sig  insq- 
ßoltjv  genannt;  er  kann  als  Repräsentant  der  von  den  Griechen  zuoberst 
in  der  Reihe  der  Tugenden  gestellten  xaloxccya^ia  gelten,  indem  er  körper- 
liche Schönheit  und  geistige  Begabung  auf  das  schönste  in  seiner  Person 
vereinigte.  Von  praktischem  Thatendrang  erfüllt,  verschmähte  er  die 
blosse  Stubengelehrsamkeit  und  dürre  Spekulation;  auf  der  anderen  Seite 
aber  entbehrte  er  der  schöpferischen  Originalität,  um  im  Denken  und 
Handeln  sich  zu  hohen  Idealen  zu  erheben.  Ein  schwarzer  Fleck  in  seinem 
Leben  bleibt  der  Mangel  an  Vaterlandsliebe.  Die  Abneigung  gegen  die 
athenische  Demokratie  und  die  Vorliebe  zum  aristokratischen  Lakedämon 
teilte  er  mit  Piaton  und  anderen  Sokratikern;  aber  keiner  von  diesen  war 
80  weit  wie  er  gegangen,  dass  er  in  den  Reihen  der  Feinde  seinen  Lands- 
leuten gegenubertrat.  Mit  Entrüstung  hat  ihn  deshalb  ein  deutscher 
Patriot,  Niebuhr,^)  den  ausgeartetsten  Sohn  genannt,  den  jemals  ein  Staat 
ausgestossen  habe.  In  religiösen  Dingen  ging  seine  Anhänglichkeit  an  das 
Alte  bis  zur  Beschränktheit;  namentlich  huldigte  er  in  dem  Glauben  an 
die  Macht  der  Opfer  und  den  Seherblick  der  Wahrsager  ganz  den  aber- 
gläabischen  Meinungen  der  Menge.  Gerade  dieses  hat  aber  später  in  der 
römischen  Kaiserzeit,  als  wieder  ein  mystischer  Zug  die  Geister  zu  be- 
herrschen anfing,  viel  zur  Erhöhung  seines  Ansehens  beigetragen;  das 
Hauptansehen  indes  verdankte  er  der  bezaubernden  Schönheit  seiner 
Sprache,  die  für  die  Blüte  des  Attikismus  galt,*)  wenn  sie  auch  im  ein- 
zelnen, namentlich  im  Wortschatz,  vielfach  von  dem  Gebrauch  der  anderen 
Attiker  abwich.')  Er  hiess  die  attische  Biene*)  und  auf  seinen  Lippen 
soll  die  Göttin  Peitho  gesessen  haben. 0)  Am  meisten  Lob  verdient  die 
Bondung  und  Durchsichtigkeit  seines  Satzbaues,  in  dem  sich  die  ganze 
Klarheit  und  einfache  Bestimmtheit  seines  Geistes  widerspiegelt;^)  sie  ver- 
liehen ihm  jene  iucunditas  inaffectata,  die  Quintilian  X  1,  82  mit  Recht 
an  seinem  Stil  hervorhebt.'')  Hinterlassen  hat  er  nach  Diogenes  11  56  an 
40  Bücher  (nicht  Schriften);®)  alle  dann  von  Diogenes  namentlich  aufge- 
zählten Schriften  sind  auch  unversehrt  auf  uns  gekommen,^)  darunter 
manches  unechte.  Dieselben  gehören  zum  grösseren  Teile  dem  Gebiete 
der  Geschichte  an,  andere  der  philosophischen  Litteratur,  Nationalökonomie 


')  NiKBüBB  Kl.  Sehr.  I  467. 

*)  Nach  SnidaB  hatten  über  seinen  Stil 
gehaiMielt  Harpokration  negl  ttöy  nagd  Se- 
roffiSrxi  ovytaieoty,  femer  Heron,  ZenSn, 
Metrophanes,  Theon,  Tiberios.  Auch  Ps. 
Longtn  de  sabl.  8  spricbt  von  einer  Schrift, 
die  er  fiber  Xenophon  geschrieben  habe. 

')  Abweichungen  von  dem  strengen  At- 
tflusrauB  bemerkten  schon  die  Alten,  s.  Hel- 
ladios  bei  Photios  bibl.  p.  533  \  25  der  den 
Mtc.  pL  rofAfig  statt  yofjiiag  tadelt;  anderes 
weist  nach  Ruthebford,  The  new  Phry- 
mchus  p.  161  f. 

*)  Buidas  u.  8€yo(pwy. 

*)  Cic.  Orat  32  u.  62;  Diog.  II  57;  Tac. 
««1.3]. 

•)  Vgl.  Dionys.  ep.  ad  Pomp.  4:   Seyo- 


gxoy  ^Hgoddrov  CrjX(OTfjg  iyiysTo  xtet^  «fi(po- 
xigovg  tovg  /cr^nxr^^ff;  toV  ts  TJQayfiartxoy 
xal  Toy  Xsxtixoy. 

^)  Dass  er  aber  auch  die  Mittel  der 
Rheterik  nicht  verschmähte,  zeigt  H.  Schacht, 
De  Xenopbontis  studiis  rhetericis,  Diss.  Berl. 
1890. 

^)  Die  erhaltenen  Schriften  machen  zu- 
sammen 37  B.  aus,  wenn  man  aber  die  Ein- 
teilung der  Hellenika  in  9  B.  zu  Grunde  legt, 
39;  von  der  letzteren  Zahl  lässt  daher  Wachs- 
HUTH  Rh.  M.  34, 334  den  Diogenes  ausgehen. 

")  Nicht  erhalten  ist  uns  die  von  Stobaios 
Flor.  88,  14  erwähnte  Schrift  rtegi  Seoyycdog, 
deren  Echtheit  neuerdings  Imkisch,  Xenophon 
über  Theognis,  in  Comment.  Ribbeck.  71 — 98 
zu  erweisen  sucht. 


348  Grieehisohe  LittoratarsMohiohte.    L  gl«— ische  Periode. 

und  Taktik.  Wir  werden  bei  der  Besprechung,  da  wir  Xenophon  in 
dem  Abschnitte  von  der  Geschichtsschreibung  behandeln,  mit  den  histo- 
rischen Schriften  beginnen,  wiewohl  es  sich  aus  anderen  GrQnden  em- 
pfohlen hätte,   von  den  philosophischen  auszugehen. 

242.    KvQov  ärdßaffig  in7B.^)  hat  den  Namen  von  dem  kleineren 
ersten  Teil  (I  1—6),  in  welchem  der  Zug  des  Kyros  vom  Meere  zu  dem 
höher  gelegenen  Asien  beschrieben  ist.*)    Den  Hauptgegenstand  aber  bildet 
die  von  Xenophon  geleitete  Heimkehr  der  10,000  Griechen  nach  der  Schlacht 
von  Kunaxa.     Die  Kühnheit  und  die  geschickte  Ausfuhrung  dieses  Unter- 
nehmens,  dem   man  den  Rückzug  des  Generals  Moreau  durch   die  Pässe 
des  Schwarzwaldes  im  Jahre  1796  zur  Seite  gestellt  hat,  üben  die  vor- 
züglichste Anziehungskraft  des  Werkes.     Unter  den  historischen  Aufzeich- 
nungen   des   Altertums   dürften    unserer  Anabasis    nur    die   Kommentare 
Cäsars  über  den   gallischen  Krieg  den  Rang  streitig  machen.     Die  Dar- 
stellung gibt  Xenophon  wie  später  auch  Cäsar  so,  dass  er  von  sich  immer 
in  der  dritten  Person  redet,')   offenbar  um  so  der  Erzählung  den  Schein 
grösserer  Objektivität  zu  verleihen;  so  wird  einigemal  (I  8,  18;  V  4,  34)*) 
auch  eine  Ansicht  mit  Xäyovai  tivsq  eingeführt,  wo  es  sich  nur  um  Beobach- 
tungen des  Verfassers  selbst  handelt.     Daraus  geht  hervor,  dass  Xenophon 
die  Schrift  ohne  Nennung  seines  Namens  in  die  Welt  schickte.     Aufßllig 
aber  ist,   dass  er  Hell.  III  1,  2   sogar  einen  anderen,  Themistogenes  aus 
Syrakus,   als  Verfasser  derselben  bezeichnet.     Danach  hat  er  dieses  sein 
schönstes   und   anziehendstes   Werk   nicht  bloss  anonym,   sondern   sogar 
Pseudonym    erscheinen  lassen.     Denn   dass   von   diesem  Zug  ausser  von 
Xenophon   und   dem  Stymphalier  Sophainetos,   dessen  Anabasis   der  Geo- 
graph Stephanos  von  Byzanz  4  mal  citiert,^)  auch  noch  Themistogenes  eine 
eigene  Darstellung   gegeben   habe,   ist  wenig   glaubwürdig.^)     Sicher  hat 
das  Altertum,  wie  man  aus  Plutarch,  De  glor.  Ath.  1  und  Tzetzes  Chil.  VII 
930  sieht,  nur  an  Pseudonymität  gedacht.*^)     Verfasst  wurde  die  Anabasis 
von  Xenophon  wohl  erst,  nachdem  er  durch  den  Besitz  von  Skillus  Müsse 
zu  litterarischen  Arbeiten  gefunden  hatte,  wie  auch  die  Schilderung  dieses 


^)  Die  Einteilung  in  Bflcher  rührt  von 
8|)ftter  Hand  her,  von  derselben  auch  die 
über  den  Inhalt  orientierenden  Einleitungen 
zu  Anfang  jedes  Buches;  vgl.  Birt,  Ant. 
Buch.  464  ff.  Anian  las  jene  einleitenden 
Interpolationen  noch  nicht  in  seinem  Exem- 
plar, da  er  die  Bflcher  seiner  Anabasis  ohne 
jede  Einleitung  beginnt. 

^)  Nur  locker  ist  das  erste  Buch  mit 
den  folgenden  Bfichem  verbunden,  so  dass 
an  eine  ehemalige  selbständige  Stellung  des- 
selben denkt  Osbergbr  Progr.  Speier  1896. 

')  Nur  in  dem  unechten  Schlusskapitel 
VII  8,  25  steht  die  erste  Person  cTiijX.^tofiey. 

*)  Die  Echtheit  der  beiden  ersten  Stellen 
wird  von  Cobet  und  andern  Kritikern  be- 
zweifelt,  vielleicht  mit  Recht;   das  Xf'ysTM 


von  11  2,  6  hat  nichts  Auffälliges.  schrieben  hat 


*)  Steph.  unter  KagSovx^^*  T««/«»*»  *wrxm^ 
XttQfniydrj.  Benutzt  scheint  diesen  und  viel- 
leicht auch  den  Etesias  Diodor  XIV  19 — 31 
durch  Veimittlung  des  Ephoros  an  denjenigen 
Plurtien  zu  haben,  die  von  Xenophon  ab- 
weichen. 

^)  Die  entgegengesetzte  Meinung  ver- 
tritt Schenk L,  Xenophontische  Studien,  Stzb. 
d.  Wien.  Ak.  1868  S.  685  ff.  Suidas  erw&hnt 
von  diesem  Themistogenes  ausser  der  Ana- 
basis noch  äkXa  Tiyti  ne^  ri/^  iavrov  nar^i- 
cfoc  ZweifeUos  erweist  der  Stil,  dass  die 
uns  erhaltene  Anabasis  von  Xenophon  seibat 
verfasst  ist. 

^)  Dunkel  bleibt  das  äXXj^  yfygtgfnm 
Anab.  II  6,  4  von  einer  Sache,  wovon  Xeno- 
phon nirgends  in  seinen  Schriften  etwas  gie- 


d.  Die  GesohichtBflehreibang.    d)  Xenophon.    (§§  242—243.)  349 

Landsitzes  Anab.  V  3,  9  wahrscheinlich  macht.  1)  Ein  neuerer  Forscher  *) 
glaubte  sogar  aus  den  Imperfekten  in  der  Schilderung  der  religiösen 
Volksfeste  in  Skillus,  wie  inoisi,  x^vaiav^  insTtXxov  Ttjg  ioQvrjg,  folgern  zu 
müssen,  dass  Xenophon  zur  Zeit  der  Abfassung  Skillus  schon  wieder  ver- 
lassen habe.  Aber  ein  solcher  Schluss  ist  nicht  geboten,  und  die  an- 
gegebene Stelle  der  Hellenika  zeigt,  wofür  auch  die  jugendliche  Frische 
der  Darstellung  spricht,  dass  die  Anabasis  zu  den  frühesten  Schriften 
unseres  Autors  gehört. 

243.  KvQov  Tiaideia  in  8  B.  ist  eine  Art  historischen  Tendenz- 
romanes,  indem  darin  der  ältere  Kyros  als  Muster  eines  rechten  Herrschers 
aufgestellt  wird.  Die  Abweichung  von  der  historischen  Treue  geht  bis 
zur  Fälschung  allbekannter  Thatsachen.*)  Während  Kyros,  wie  jedermann 
aus  Herodot  I  214  wissen  konnte,  eines  gewaltsamen  Todes  in  dem  Kampfe 
gegen  die  Massageten  gestorben  war,  lässt  ihn  Xenophon  Gyr.  YIII  7 
sanft  hinüberschlummem,  nachdem  er  noch  zuvor  den  Oöttern  geopfert 
und  in  langer  Rede  von  seinen  Kindern  und  Freunden  rührenden  Abschied 
genommen  hatte. ^)  In  einem  Romane  kann  die  Frau  und  die  Liebe  nicht 
fehlen;  auch  diese  flicht  Xenophon  seiner  Darstellung  ein  in  der  edlen 
Gestalt  der  Pantheia,  die  auch  als  Kriegsgefangene  die  Treue  ihrem  Ge- 
mahl Abradates  wahrt,  rührend  von  ihm,  als  er  in  den  Kampf  zieht,  Ab- 
schied nimmt  (VI  4)  und  schliesslich  mit  ihm  den  Tod  teilt  (VII  3).  Dem 
Titel  nach  sollte  man  bloss  eine  Darstellung  der  Erziehung  des  Kyros 
erwarten,  das  Buch  gibt  aber  eine  Geschichte  des  ganzen  Lebens  jenes 
Herrschers.  Der  Titel  will  eben  von  vornherein  die  Tendenz  des  Buches 
andeuten,  dass  nämlich  die  Erfolge  des  Königs  und  seine  guten  Regierungs- 
maxime in  der  richtigen  Erziehung  ihre  Wurzel  gehabt  haben.*)  Das 
Ganze  ist  so  eine  Verherrlichung  der  absoluten  Monarchie,  basiert  auf  der 
Tüchtigkeit  des  Herrschers,  aber  ohne  freie  Anteilnahme  der  Glieder 
des  Staates,  die  doch  wesentlich  zum  Ideal  eines  Staates  im  Sinne  des 
freien  Griechentums  gehörte.  Der  Gedanke  gerade  in  Kyros  das  Ideal 
eines  rechten  Herrschers  zu  zeichnen  ist  vielleicht  nicht  zuerst  in 
dem  Kopfe  unseres  Xenophon  entstanden.  Wir  erfahren  wenigstens  aus 
Diogenes  VI  16,  dass  auch  dÄ-  Sokratiker  Antisthenes  einen  Dialog  KvQoq 
\  niQi  ßaailsiag  geschrieben  hat;  freilich  ob  vor  oder  nach  Xenophon, 
lasst  sich  nicht  so  leicht  entscheiden,  zumal  die  Abfassungszeit  der  Kyro- 
padie  selbst  nicht  ausgemacht  ist.    Von   dem  Epilog  VIII  8,   worin   die 

')  Ganz  verlfissig  ist  dieser  Schluss  des-  j  Kyros    dem    persischen    Reiche    einverleibt 

Ittlb  nicht,  weil  möglicherweise,  wie  Berok,  |  werden  Iftsst. 

6r  Litt  IV  313  annimmt,  jener  Passus  über  '  *)  Schon  Cicero   epist.  ad  Quint.  I  1,  8 

SkiUas  Bhnlich  wie  der  Epilog  der  E3rropädie  bemerkt:    Cyrus  ille  a  Xenophonte  non  ad 

«st  sp&ter  bei  einer  Neuausgabe  des  Buches  i  historiae  fidem  scripttis,  sed  ad  effigiem  iusti 

agefftgt  wurde.    Von   Bedeutung  ist  auch,  |  imptrii.    Vgl.  Dionys.  ep.  ad  Pomp.  4 :    ICv- 

^«88  Xenophon  I  8,  26  auf  die  persische  Ge-  qov  Tttetifeiay,    eUova   ßaaikstog  aya(fov  xal 


sebicbte  des  Ktesias,  die  sicher  erst  nach  398 
enchien,  Rfickaicht  nimmt. 
')  SCHENKL  a.  0. 

')  Auch  ohne  ersichtlichen  Zweck  ver- 
kebt  Xenophon  den  Thatbestand,  indem  er 
I.  B.  II,  4  und  VIII  7,  20  Aegypten,  welches 
erst  Kambyses    unterwarf,    bereits    durch 


evdaiitioyog. 

*)  Cyr.  I  1,  6:  noiif  rm  nai&eitf  nai- 
devS^eig  joaovjov  diijt'eyxey  eis  to  ctpjjfctv  «V- 
dQfünojy.  Von  Einfluss  für  die  Benennung 
war  aber  hier,  wie  ähnlich  bei  der  Anabasis, 
zumeist,  dass  die  Darstellung  mit  der  nai- 
deitt  KvQov  begann.  Vgl.  Nikolaos  Dam.  §  467. 


350  Grieolüsohe  Lüteratargeschiohte.    I.  Kimwische  Periode. 

Entartung  der  damaligen  Perser  und  ihr  Abfall  von  der  alten  Sitte  (TTcuin'a) 
dargethan  wird,   steht  allerdings  fest,    dass  er  nicht  vor  364  geschrieben 
sein  kann;^)   aber  derselbe  wird  von  namhaften  Kritikern  für  unecht  er- 
klärt und  scheint  jedenfalls  erst  nachträglich,  sei   es   nun   von  Xenophon 
selbst   oder  einem   anderen  zugefügt  zu   sein.')     Die   Überlieferung  des 
Gellius  XIV  3,   dass   Xenophon  mit  seiner  Kyropädie  ein  Gegenstuck  zu 
einem  grösseren   zuerst  publizierten  Teile  der  platonischen  Politeia  habe 
liefern  wollen,  setzt  voraus,  dass  das  xenophontische  Werk  vor  der  Ver- 
öffentlichung der  ganzen  uns  erhaltenen  Politeia  des  Piaton  verfasst  wurde. 
244.   Die  'EXkr^vixä  in  7  B.*)   enthalten  die  griechische  Geschichte 
von  411  bis  362  oder  von  dem  Zeitpunkt,  wo  das  VTerk  des  Thukydides 
endigte,   bis  zur  Schlacht   von  Mantinea.     Das  VTerk   fangt  ganz   abrupt 
mit  fjietd  öi  tavra  an,   will  also  sicher  in  seinem   ersten  Teil  nur  eine 
Fortsetzung   oder  Ergänzung  des  unvollendeten  VTerkes  des  Thukydides 
bieten.*)   Aber  auch  der  fade  Schluss  dfioi  fAiv  St]  fus'xQi  tovtov  yga^ecx^ia, 
%d  dt  fi€%d  tavia  latog  akXo}  iith^aet,  sieht  nicht  so  aus,  als  ob  der  Ver- 
fasser selbst  sein   Werk  zum  Abschluss   gebracht  habe.     Doch  es   fehlt 
nicht  bloss  ein  kunstvoller   Eingang  und  Schluss,    das   ganze  Werk  ist 
trotz  einiger  gelungenen   Partien    weit    entfernt  von  der  feinen  Durch- 
arbeitung der  Anabasis  und  Kyropädie.     Da  nun  Xenophon  an  demselben, 
wie    wir    aus  einer  gelegentlichen  Bemerkung  zu  VI  4,  36  sehen,    noch 
über  das  Jahr  359  hinaus  arbeitete,  so  wird  die  Vermutung  nahe  gelegt, 
dass  er  dasselbe  nicht  zur  Herausgabe  als  Ganzes  abgerundet,  nicht  die  letzte 
Feile  an  dasselbe  angelegt  hat.^)    Auf  solche  Weise  sind  in  demselben 
auch  die  Spuren  geblieben,  welche  auf  Abfassung  der  einzelnen  Teile  zu 
verschiedenen  Zeiten  hinführen.     Niebuhr  ^)  hat  zuerst  darauf  aufmerksam 
gemacht,   dass,   wenn  es  am  Schluss  des  zweiten  Buches   von   den   unter 
sich  ausgesöhnten  Parteien  Athens  heisst  in  xai  vvv  ofiov  %b  nokirsvovxcu 
xal  totg  oQxoiQ  iinfibvfi  o  iijfiog,  Xenophon  unmöglich  zur  Zeit  der  Schlacht 
von  Mantinea,  nachdem  jene  Aussöhnung  längst  vergessen  und  ganz  andere 
Verhältnisse   eingetreten    waren,    noch    so   habe    schreiben    können.      Er 
nahm  deshalb  an,  dass  Xenophon  zuerst  nur  die  zwei  ersten  Bücher  als 

0  In    die   letzten    Regienmgsjahre    des   |   721  ff.^;   95,  737  ff.;   105,  723  ff.   sacht   die 
Ärtaxerxes  II  (gestorben  362)  setzt  Diodor  XV   '   Hellenika  als  einen  spftteren  Auszog  za  er 


92  die  in  jenem  Epilog  erwfthnte  Rohheit  des 
Rheomitres. 

')  FOr  unecht  erklärten  den  Epilog 
Valckbkabb  und  F.  A.  Wolf;  s.  Schbnkl, 
Jahrb.  der  Phil.  1861,  S.  540  ff.  Beckbaus, 
Ztschr.  f&r  Gymn.  XXVI  226  ff.  schreibt  dem 
jungen   Xenophon   den    Epilog   zu;    ähnlich 


weisen,  worauf  insbesondere  auch  dha  aiÜLji 
yeyQantat  der  Anab.  II  6,  4  hinzuweisen 
scheine,  da  er  dort  etwas  verspricht,  was  in 
unseren  Hellenicis  nicht  steht.  Zuvor  scbcm 
hatte  Eyprianos,  TteQi  rtay  'EUfjyixwr  rov 
Seyofftjrtog,  Athen  1859,  den  Gedanken 
einer  Epitome  ausgesprochen.     Dem  tritt  mit 


Bebqk,  Gr.  Litt.  IV  812.     Beachtenswert  ist  I   gesundem  Urteil  Vollbbecht,  De  Xenophon- 


der  ähnliche  Schluss  der  Aaxedai/jioyiioy 
noXiTBifty  wovon  unten  §  248. 

')  Daneben  existierte  eine  Ausgabe  in 
9  B.,  wie  aus  den  Citaten  des  Harpokration 
ScHAFBB,  Jahrb.  für  Phil.  1870,  S.  527  nach- 
gewiesen  hat. 

^)  Fbiedbich  Jahrb.  für  PhiloL  1896 
S.  289  nimmt  an,  dass  dieser  Anschluss  erst 
später  durch  den  Redaktor  erfolgt  sei. 

*)  Geosseb,  Jahrb.  fttr  Phü,  93  (1866), 


tis  Hellenicis  in  epitomen  non  coactis»  Hann. 
1874  entgegen.  Dass  die  den  Ageailaos  be* 
treffenden  Abschnitte  uns  nicht  im  Auszug 
erhalten  sind,  dafür  haben  wir  eine  Garantie 
an  der  Lobrede  auf  Ageailaos. 

')  NiEBUHB,  üeber  Xenophons  Hellenika, 
Kl.  Sehr.  I  464  ff.  Dagegen  Ed.  Schwabtz 
Rh.  M.  44  (1889)  182  ff.,  wonach  die  Hei- 
lenica  in  einem  Zug  und  mit  der  gleichen 
Tendenz  357  abgefaast  sein  sollen. 


2.  Die  GeachichtsBohreibniig.    d)  Xenophon.    (§§  244—245.) 


351 


Fortsetzung  des  Thukydides  geschrieben  habe.  Weiter  gingen  Neuere, 
indem  sie  auf  den  stärkeren  Einschnitt  nach  Y  1  und  die  stilistische 
Yerschiedenheit  der  einzelnen  Teile  hinwiesen,  i)  Die  ersten  zwei  Bücher 
oder  genauer  I  1 — 11  3,  10  führen  in  annalistischer  Form  und  trockenem 
Tod  sine  ira  et  studio  die  Geschichte  des  peloponnesischen  Krieges  zu 
Ende;  sie  waren  ursprünglich  bestimmt,  mit  dem  Werke  des  Thukydides 
als  Supplement  desselben  herausgegeben  zu  werden.  Daran  schliesst  sich 
in  freierer  und  lebhafterer  Darstellung  und  mit  entschiedener  Parteinahme 
fiir  Sparta  die  Erzählung  der  Ereignisse  bis  387  oder  bis  zum  Frieden 
des  Äntalkidas  (II  3,  11— V  1,  36).  Dieser  Abschnitt  ist  gewissermassen 
eine  Verherrlichung  der  Politik  des  Agesilaos  und  scheint  von  Xenophon 
um  384  in  dankbarer  Anerkennung  der  von  Agesilaos  erhaltenen  Wohl- 
thaten  abgefasst  zu  sein.')  Der  im  ersten  Teil  eingehaltene  Gesichtspunkt 
aQes  genau  in  annalistischer  Weise  mit  Unterscheidung  der  Jahreszeiten 
zu  erzählen,  ist  so  wenig  eingehalten,  dass  so  wichtige  Ereignisse  wie  die 
Schlacht  von  Knidos  keine  direkte  Erwähnung  gefunden  haben.  Mit  V  4 
wird  zur  Darstellung  des  Missbrauchs,  den  die  Spartaner  Theben  gegen- 
über von  ihrer  Macht  machten,  mit  einem  neuen  Proömium  derart  über- 
gegangen, als  ob  hier  ehedem  ein  neues  Buch  begonnen  habe.  Auch  kommt 
liier  noch  mehr  als  in  dem  zweiten  Teil  über  der  politischen  und  moralischen 
Reflexion  die  nächste  Aufgabe  des  Historikers,  die  erschöpfende  Darstellung 
der  Ereignisse,  zu  kurz;  nur  erhält  sich  die  gleiche  spartanerfreundliche 
Tendenz.  Dass  die  Schlussredaktion  oder  die  Zusammenordnung  der  zu 
verschiedenen  Zeiten  geschriebenen  und  wahrscheinlich  auch  herausge- 
gebenen Teile  von  Xenophon  selbst  herrührte,  wird  schwer  zu  erweisen 
sein.  Sicher  von  späterer  Hand  sind  noch  zur  Ergänzung  und  chrono- 
logischen Fixierung  Glosseme  in  nicht  geringer  Zahl  hinzugekommen  3.) 

245.  Der  ^Ayriaikaog,  eine  Lobrede  auf  den  verstorbenen  König 
Agesilaos,  hängt  mit  den  Hellenicis  eng  zusammen;  waren  doch  diese  in 
ihrem  Hauptteile  der  Verherrlichung  der  politischen  Ziele  und  der  krie- 
gerischen Tüchtigkeit  des  ausgezeichneten  Mannes  gewidmet.  Nachdem 
derselbe  im  Winter  361/60  auf  der  Heimkehr  von  dem  ägyptischen  Feld- 
zug gestorben  war,  regnete  es  förmlich  Enkomien  auf  ihn.*)  Zu  diesen 
gehört  auch  die  uns  erhaltene,  von  Cicero,  epist.  ad.  fam.  V  12,  7  über- 
schwenglich gepriesene  Schrift,  in  welche  aus  Xenophons  Hellenicis 
ganze  Abschnitte  fast  wörtlich  herübergenommen  sind.^)    Dass  Xenophon 


')  NiTBCBE,  üeber  die  Abfassimg  von 
len.  Hellenika,  Progr.  des  Berliner  Sophien- 
^jmsk,  1871;  vgl.  Roqubtte,  S.  61,  der  mit 
I)iTTESBBB«KB,  Herm.  XVI  330  auch  Eigen- 
ttmliehkeiten  des  Sprachgebrauchs  (nament- 
Üdi  ?on  ni^y)  für  die  Scheidnng  verwertet; 
▼gl  HABTMAiiN,  Anal.  Xenoph.  p.  85  ff. 

')  HelL  IV  3,  16  wird  die  Schlacht  von 
Konmea  genannt  oVa  ovx  äXXr^  jtöy  y*  i^p* 
^fuir,  was  nach  der  Schlacht  von  Lenktra 
udit  mehr  recht  zu  passen  scheint;  indes 
^bt  derselbe  Ausdruck  wieder  im  Age- 
■ÖW8  2,  9,  der  sicher  nach  der  Schlacht  von 
^^iiktia   abgefasst   ist.      Die    Ansicht   von 


Leutsch  Phil.  33,  97,  dass  Xenophon  die 
ersten  vier  Bücher  unter  dem  Pseudonym 
Erafcippos  veröffentlicht  habe,  widerlegt  RÜhl 
Jahrb.  f.  Phil.  1883,  S.  738  f.  Auf  Hell.  V 
1,  36  nimmt  Isokrates  Paneg.  §  189  Bezug. 

•)  Ungeb,  Die  historischen  Glosseme  in 
Xen.  Hellenika,  Sitzb.  d.  b.  Ak.  1882;  Belooh 
Phil.  43,  261  ff. 

*)  Isokr.  epist.  9,  1. 

*)  Die  kleinen  Abweichungen  sind  be- 
achtenswert; sie  zeigen,  dass  inzwischen  der 
Einfluss  des  Isokrates  Fortschritt«  gemacht 
hatte,  indem  der  Hiatus  zwar  nicht  ganz, 
aber  mit  grösserer  Sorgfalt  als  früher  ver- 


352 


Qriechiaohe  Litteraturgeaohiohte.    I.  EUMisohe  Periode. 


Verfasser    der    Lobrede    sei,    ist    ohne    genügenden    Grund    bezweifelt 
worden.  1) 

7*^0)1',  eine  kleine  Schrift  von  verwandtem  Charakter,  referiert  ein 
Gespräch  des  Dichters  Simonides  mit  dem  älteren  Hieron  über  den  Vor- 
zug des  Lebens  eines  Privatmannes  vor  dem  eines  Tyrannen  und  über 
die  Mittel,  mit  denen  ein  Herrscher  sein  Land  glücklich  machen  kann. 
Die  Schrift  hängt  wohl  mit  Beziehungen  zusammen,  welche  Xenophon  zu 
dem  Hofe  des  Dionysios,  an  dessen  Tafel  ihn  Athenaios  p.  427  f.  sitzen 
lässt,  unterhielt;  aber  unsicher  ist  es,  ob  man  dabei  an  den  Aufzug  der 
Gesandten  des  älteren  Dionysios  bei  den  olympischen  Spielen  des  Jahres 
384  oder  an  die  Thronbesteigung  des  jüngeren  Dionysios  im  Jahre  367 
zu  denken  hat.») 

246.  Die  ^Ano/uvtjfxovev/xaTa  2a)xQdT0vg  (Memorabüia  Socratis)  in 
4  B.  haben  dem  Xenophon  den  Ruhm  eines  Philosophen  eingetragen,  sind 
aber  in  der  That  nur  allgemein  verständliche  Denkwürdigkeiten  aus  dem 
Leben  des  Sokrates  ohne  tieferen  philosophischen  Gehalt.  Veranlasst 
waren  dieselben  durch  die  Verunglimpfungen  des  Sophisten  Polykrates, 
der  um  394  eine  Anklagerede  gegen  Sokrates  geschrieben  hatte.*)  Gleich 
im  Eingang  führen  sie  sich  als  eine  Verteidigungsschrift  gegen  die  un- 
gerechten Beschuldigungen  der  Ankläger,  nicht  sowohl  des  Anytos  und 
Meletos,  als  eben  jenes  Sophisten  ein.  Sie  stehen  also  auf  einer  Stufe 
mit  Piatons  Apologie ;  aber  während  Piaton  die  Form  einer  Verteidigungs- 
rede des  angeklagten  Sokrates  wählte,  spricht  Xenophon  in  eigener  Person, 
indem  er  an  die  Anklagepunkte  anknüpfend  ein  allgemeines  Lebensbild 
des  weisen  Lehrers  entwirft.  Die  Treue  des  Bildes  brachte  es  mit  sich, 
dass  die  Darstellung  fast  ganz  in  Gesprächen  sich  bewegt,^)  da  ja  Sokrates 
im  Gegensatz  zu  den  Sophisten  gerade  auf  diese  Weise  seine  Gedanken 
mitzuteilen  liebte.  Gewiss  waren  auch  damals  schon  manche  sokratische 
Gespräche  ans  Licht  getreten  und  wollte  Xenophon  zum  Teil  aus  eigener 
Erinnerung,  zum  Teil  nach  Mitteilung  Anderer  weitere  Beiträge  zum 
ehrenden  Andenken  des  einzigen  Mannes  liefern.  Wenn  dabei  öfters  in 
den  Gesprächen  über   dieselbe   Sache  andere  Personen  bei  ihm   als   bei 

Bbckhaus,  Ztschr.  f.  Gymn.  26,  225  flf.  Nach 
einem  Citat  bei  Atii.  138  e  erkannte  Polemoa, 
der  berühmte  Antiquar,  die  Schrift  als  xeno- 
phontisch  an.  Vgl.  Nitschb  Jahrber.  d.  Ali. 
V  1,  81  ff. 

^)  NiTSCHE  Jahrber.  d.  Alt,  V  1  25  ff.  «-- 
klärt  sich  für  die  zweite  Annahme  und  wider- 
legt Sitzler,  der  die  Echtheit  auch  dieser 
Schrift  bezweifeln  wollte. 

*)  Ueber  jene  Schrift  s,  Isokrates  Bus.  5 
und  Schol.  Aristidis  III  480  D.  Das  Ver- 
hältnis der  Memorabilien  zu  derselben  ward 
aufgedeckt  von  Cobet,  Nov.  lect  661  ffl  und 
gegen  Bbeitbnbachs  Einwände  (Jahrb.  für 
Phil.  99,  301  ff.  u.  115,  455  ff.)  verteidigt  von 
Schenk  L,  Xenoph.  Stud.  H  1  ff . 

*)  Ein  wichtiges  Kapitel  III  9  Aber  die 
Identität  von  Tugend  und  Wissen  ist  refe- 
rierend gehalten. 


mieden  ist.  Befremdend  ist  es  auf  der  anderen 
Seite,  dass  sich  im  Agesilaos  Formen  der 
älteren  Sprechweise  wie  enea&ai,  afÄ(pi  c. 
acc,  f46iü}y  finden,  wo  in  den  Hellenicis,  dem 
jüngeren  Attikismus  entsprechend,  dxoXov^eiy, 
nsQi  c.  acc.  iXdtrwy  steht.  Da  müssen  ent- 
weder die  Hellenika  später  umredigiert  worden 
sein,  oder  Xenophon  sich  bei  der  Heraus- 
gabe des  Agesilaos  an  das  ältere  Manuskript, 
die  erste  Niederschrift,  gehalten  haben.  Das 
erstere  ist  das  natürlichere  und  auch  ange- 
nommen von  Rosenstiel,  De  Xen.  historiae 
parte  bisedita,  1882;  das  letztere  angenommen 
von  Fbiedrioh,  Zu  Xen.  Hellenika  und  Age- 
silaos, Jahrb.  f.  Phil.  1896  S.  298. 

M  Anstoss  erregt  die  Angabe  I  6,  dass 
Agesilaos  als  junger  Mann  (Irt  yeog  oiV)  den 
Thron  bestiegen  habe,  während  er  thatsäch- 
lich  damals  bereits  40  Jahre  alt  war.  An 
den  Enkel  des  Xenophon  denkt  auch  hier 


2.  Die  Gdsohiohtsflchrdibiing.    d)  Xenophon. 


f  246—247.) 


353 


PlatoD  erscheinen,  so  hat  das  an  und  für  sich  nichts  Auffälliges,  da  ja 
Sokrates  über  die  Vorbildung  des  Staatsmannes,  über  das  Schöne,  über 
die  Gottesfurcht  u.  a.  mit  vielen  wird  gesprochen  haben.  Eher  können 
die  Ideen  von  der  Zweckmässigkeit  der  Weltschöpfung,  von  der  göttlichen 
Vorsehung  und  der  Gottähnlichkeit  der  Menschenseele  in  •  I  4  und  IV  3 
befremden,  da  dieselben  der  Entwicklung  der  griechischen  Philosophie 
gewissermassen  vorauszueilen  scheinen.  Im  allgemeinen  aber  machen  die 
Denkwürdigkeiten  unseres  Xenophon  den  Eindruck  grösserer  Objektivität 
und  treuerer  Wiedergabe  der  Wirklichkeit  als  die  Dialoge  Piatons.  Es 
liegt  dieses  schon  darin,  das  Xenophon  kein  philosophischer  Kopf  war 
nnd  deshalb  weniger  in  die  Versuchung  kam,  eigene  spekulative  Ideen 
den  Gesprächen  des  Sokrates  unterzulegen.  Freilich  hinderte  ihn  auf  der 
anderen  Seite  jener  Mangel  an  philosophischer  Anlage  vielfach,  nament- 
lich in  religiösen  Dingen,  den  Kern  der  sokratischen  Lehre  zu  erfassen, 
80  dass  er  vielmehr  seine  eigenen  beschränkten  Ansichten  in  den  Lehren 
ies  Sokrates  wiederzufinden  vermeinte.  Den  Mangel  logischer  Schulung 
des  Autors  zeigt  sich  auch  in  der  lockeren,  planlosen  Aneinanderreihung 
der  Gespräche,  die  neuere  Gelehrten  vergeblich  durch  Annahme  von 
Interpolationen  zu  verbessern  suchten.^)  Der  Abfassungszeit  nach  gehören 
die  Denkwürdigkeiten  zu  den  frühesten  Schriften  Xenophons.  Nach  dem 
22.  Briefe  der  Sokratiker  wurden  sie  zu  Megara  geschrieben,  womit  aus- 
gesprochen scheint,  dass  ihre  Abfassung  vor  die  Belehnung  des  Xenophon 
mit  Skillus  fiel;^)  jedenfalls  sind  sie  vor  dem  Gastmahl,  also  vor  384  ab- 


247.  Der  OUoi'Ojuixog  ist  eine  Ergänzung  zu  den  Denkwürdig- 
keiten des  Sokrates,  wie  der  Verfasser  selbst  gleich  im  Eingang  andeutet. 
Die  kleine,  anziehende  Schrift  enthält  ein  Gespräch  des  Sokrates  mit 
Kritobulos  und  Ischomachos  über  die  beste  Führung  des  Hauswesens, 
besonders  in  Bezug  auf  die  Agrikultur,  die  er  die  Mutter  und  Nährerin  aller 
Künste  nennt.')  Cicero  hat  dieselbe  ins  Lateinische  übersetzt.^)  Der  abrupte 
Kngang  r^xovaa  id  note,  der  an  dem  ähnlichen  des  Symposion  sein  Ana- 


')  Zellbb,  Gesch.  d.  Phil.  11^  1,  236  ff. 
Sehr  weit  geht  in  der  Ausscheidung  von  an- 
geblich unechtem  Kbohn,  Sokrates  und  Xeno- 
phon, 1875.  EL  LiRCKB,  Sokrates  und  Xeno- 
phon, in  Jahrb.  fOr  kl.  Phil.  1896  S.  749  be- 
lekimet  die  Memorabiüen  in  der  überlieferten 
Fonn  als  ein  Lehr-  und  Lesebuch  gemein- 
Bfttzigen  Wissens,  zusammengestellt  von 
einem  litteraten,  der  viel  unsokratisches  und 
HBxenophontisches  neben  wenigen  echten  Mit- 
teilimgen  des  Xenophon  aufgenommen  habe. 
Nicht  so  weit  gehen  F.  Dümmleh,  Academica, 
1889;  JoEL,  Xenophons  Verhältnis  zur  echten 
Sokratik,  1890;  Der  echte  und  der  xeno- 
phootiache  Sokrates  1893.  Gilbest  in  seiner 
Ausgabe  nimmt  1 4  Zusätze  eines  Stoikers 
«fi.  Den  Kotbehelf  zweier  Ausgaben  — 
iodere  nehmen  noch  mehr  solcher  an  — 
▼erteidigt  A.  Croiset,  Hist.  de  la  litt.  gr.  IV 
367  f.  Das  4.  Buch  erweist  als  einen  später 
TOB  Xenophon  zugefügten  Anhang  Birt,  De 


Xenophontis  commentariorum  Socraticorum 
compositione. 

^)  Die  Glaubwürdigkeit  des  Briefes  wird 
abgewiesen  von  Bentlby,  Epist.  Phaler.,  in 
Opusc.  54.  In  der  Bemerkung  aber  die  Be- 
rechtigung der  Mantik,  Mem.  I  1,  8  ovrs  t<a 
atQtttTfyixt^  dfjXoy  ei  avfifpegst  argaxfjyBitf 
kOhnte  man  eine  RUckbeziehung  auf  die  be- 
kannte Erzählung  in  Anab.  III  I,  5  er- 
blicken. Ed.  Schwartz  Rh.  M.  44,  190  lässt 
auch  die  Memorabilien  und  den  Oikonomikos 
in  Korinth  nach  369  verfasst  sein. 

')  Zergliederung  der  Schrift  von  Vookl, 
Die  Oekonomik  des  Xenophon,  Erlangen  1895, 
Diss. 

*)  Vgl.  Cic.  de  off.  II  24,  87;  Macrobius 
III  20,  4.  Sonderbarerweise  soll  die  Ueber- 
setzung  Ciceros  nach  Servius  zu  Verg.  Georg. 
I  48  drei  Bücher  umfasst  haben;  s.  Scbenkl, 
Xen.  Stud.  III  5. 


Hudbaeh  der  kla».  AltertnniBwlaseuBchaft.    VU.    3.  Aufl. 


23 


354 


Grieohiiiohe  Litterfttiirgeaohiohte.  .  I.  Kiasaiflohe  Periode. 


logon  hat,  veranlasste  einige  schon  im  Altertum,  das  Schriftchen  als  5.  Buch 
der  Denkwürdigkeiten  auszugeben.^)  Aber  die  Person  des  Sokrates  ist 
hier  viel  freier  gezeichnet,  indem  Xenophon,  ähnlich  wie  das  Piaton  in 
seinen  Dialogen  zu  thun  liebte,  seine  eigenen  Oedanken  dem  Sokrates 
unterlegt.^)  Erhebend  ist  der  humanitäre  Geist,  der  das  Ganze  durchzieht 
und  der  sich  namentlich  in  der  humanen  Sorge  für  die  Enterbten  der 
alten  Gesellschaft,  die  Diener  und  Sklaven,  kundgibt. 

Die  ^AnoXoyia  ^faxqccTovq  TTQog  Tovg  Sixatrrdg  enthält  eine  weitere 
Ausführung  des  Schlusskapitels  der  Denkwürdigkeiten,  wird  aber  so  ein- 
geleitet, als  ob  sie  eine  Ergänzung  der  Memorabilien  bilden  solle.  Da  sie 
auch  hinter  der  Kunst  der  übrigen  Schriften  Xenophons  zurücksteht,  so 
halten  sie  namhafte  Kritiker  für  untergeschoben.^) 

Das  2vfjLn6<Tiov  bildet  gewissermassen  ein  Kehrblatt  zu  den  Denk- 
würdigkeiten, indem  damit  Xenophon  den  Sokrates  nun  auch  in  der  hei- 
teren Geselligkeit   eines  Mahles  vorführen  wollte.^)     Das  Mahl  war  von 
dem  reichen  Kallias  zu  Ehren  seines  Lieblings  Autolykos,    der  an   den 
Panathenäen  einen  Sieg  im  Pankration   errungen   hatte   (422),    gegeben 
worden ;  Sokrates,  Antisthenes  und  einige  andere  waren  als  Gäste  geladen. 
Das  Mahl  wird  so  geschildert,  wie  derartige  Gelage   in  reichen  Häusern 
gewesen  sein  mögen:   neben   dem  philosophischen  Tischgespräch  und  der 
Rede  des  Sokrates  über  die  Liebe  nehmen  der  Spassmacher,  die  Tänze- 
rinnen und  die  Lautenspielerinnen  einen   übermässig  breiten  Raum   ein. 
Nirgends  zeigt  sich  der  Abstand  des  Piaton  und  Xenophon  stärker  als  bei 
der  Yergleichung  der  beiden  Symposien :  dort  geniale  Phantasie  und  Tiefe 
der  Spekulation,  hier  nüchterne  Prosa  und  platte  Alltäglichkeit.     Dass  wir 
in  ihnen  Gegenstücke  von  Rivalen  vor  uns  haben,  ist  unzweifelhaft;  aber 
ob  zuerst  Xenophon  oder  zuerst  Piaton  mit  seinem  Gastmahl  hervorgetreten 
sei,  darüber  sind  die  Meinungen  der  gewiegtesten  Kenner  geteilt.     Aller-- 
dings    scheint    sich    Xenophon,    Conviv.  8,  32   mit  etgrixe    üavaaviaq    auf 
Piaton,  Symp.  178  c  zurückzubeziehen,^)  und  mit  der  Ablehnung  eines  tie- 
feren Bedeutungsunterschiedes  zwischen   den  Beinamen  ovqavia  und  tvut^ 
Srjfiog  "Afpqodixri  Kritik  an  der  Stelle   des  Piaton  p.  180  D  zu  üben.     Aber 
auf  der  anderen  Seite  hätte  sich  doch  Xenophon  einer  kaum  glaublichen 
Selbsttäuschung  hingegeben,    wenn  er    gemeint  hätte,    dem  platomscben 
Gastmahl  mit  dem  seinigen  Konkurrenz  machen  zu  können.^) 

Halle,  Diss.  1873;  Schabz  in  Ausgabe  der  plat. 
Apologie  8.  85,  der  entschieden  f&r  die  fküii^ 
heit  eintritt.  Vgl.  Hog  im  Anhang  zu  Köchlt'b 
Reden  1 430  ff.  A.  Croiset  Hist  de  la  litt.  gr. 
rV  365  nimmt  seine  Znflncht  zur  Hypotheaei 
dass  die  Apologie  ehedem  auf  eine  vennatete 
erste  Ausgabe  der  Memorabilien  folgt«. 

*)  Conviv.  I  1:  aXk*  ifiol  doxci  rmtr 
xaXwy  xayadtSy  «yßQcSv  igya  ov  fiöt^o»^  ra 
f46rd  anovdfjs  TtQatxofAeva  «^Ico^Ki^^oVevr« 
eipai  €iXktt  xal  tä  iv  lais  natdiatg, 

*)  Viel  Gewicht  lege  ich  nicht  auf  den 
Irrtum,  dass  die  angezogenen  Worte  bei 
Piaton  nicht  Pausanias,  wie  Xenophon  saft, 
sondern  Phaidros  spricht. 

*)  Die  Priorität  des  Xenophon  behauptet 


^)  Galen,  Comm.  in  Hippocr.  de  artic. 
1  1:  Ott  t6  ßißXioy  rovro  Kay  StjxgaTixtdy 
diiofjiyfifioysvfiarwy  iaxl  lo  la^axoy.  Ebenso 
Stob.  Flor.  55,  19. 

^)  C.  LiNCKB  dachte  deshalb  an  starke 
Interpolationen  durch  den  jüngeren  Xeno- 
phon, den  Sohn  des  Gryllos,  der  nach  Photios 
oibL  260  Schüler  des  Isokrates  war. 

")  Verworfen  von  Valckenaer  zu  Mem. 
I  1,  dem  Enkel  zugeschrieben  von  Beckhaus 
a.  0.,  in  das  2.  Jahrb.  v.  Chr.  verwiesen  von 
ScHENKL,  Xen.  Stud.  II  146  f.  Dass  umge- 
kehrt der  Schluss  der  MemorabiUen  aus  der 
Apologie  genommen  sei,  suchen  nachzuweisen 
Geel,  De  Xcn.  apologia,  Leiden  1836,  und 
R.  Lange,   De  Xen.   quae    dicitur   apologia, 


2.  Die  Oesohichtssohreibnng.    d)  Zenophon.    (§  248.) 


248.  Von  den  übrigen  kleineren  Schriften  Xenophons  gehören  mehrere 
dem  Zwischengebiet  von  Geschichte  und  Politik  an: 

Die  Aaxsdai^iorimv  nokiteta  ist  im  Geiste  der  Kyropädie  und  zur 
Empfehlung  des  spartanischen  Königtums  geschrieben.  Sie  sucht  den  Grund 
der  Macht  und  des  Ansehens  des  kleinen  Staates  in  der  Verfassung  des 
Lykurg,  gibt  aber  zugleich  im  Epilog  (c.  14—15)  zu,  dass  die  Gesetze  des 
Lykurg  nicht  mehr  in  voller  Kraft  bestehen,  und  dass  nur  die  Stellung 
der  Könige  die  gleiche  geblieben  sei.  Auf  die  Abfassungszeit  im  Beginn 
des  neuen  athenischen  Seebundes  (378)  führt  die  Bemerkung  14,  6,  dass 
früher  die  Hellenen  Spartas  Führerschaft  sich  erbeten  hätten,  jetzt  aber 
zu  einander  Gesandtschaften  schickten,  uro  eine  neue  Herrschaft  Spartas 
zu  verhindern.!)  Nach  Diogenes  H  57  hat  Demetrios  Magnes  diese  und 
die  folgende  Schrift  für  unecht  erklärt;  diese  Bemerkung  scheint  sich  aber 
in  der  Vorlage  des  Diogenes  lediglich  auf  den  Staat  der  Athener  bezogen 
zu  haben.  Nur  das  letzte  Kapitel  von  den  Königen  Spartas  sieht  wie  ein 
ursprünglich  nicht  zur  Sache  gehöriges  Anhängsel  aus.  Polybios  aber, 
wenn  er  VI  45  den  Xenophon  von  der  Verwandtschaft  der  kretischen  Ver- 
fassung mit  der  spartanischen  reden  lässt,  scheint  keinen  vollständigeren 
Text  unserer  Schrift  vor  Augen  gehabt,  sondern  nur  ungenau  referiert  zu 
haben.*)  Die  Schrift  in  ihrer  heutigen  Gestalt  war  eine  Hauptquelle  Flu- 
tarchs  im  Leben  Lykurgs  und  in  den  Lakedämonischen  Einrichtungen. 

Die  ^Ax^rjvaiojv  nokiTsia  ist  ein  Seitenstück  zum  Staat  der  Lake- 
dämonier,  ist  aber  viel  älter,  wahrscheinlich  das  älteste  Denkmal  attischer 
Prosa,  und  von  einem  ganz  anderen  Geiste  durchweht.  Die  Abfassung 
derselben  wird  von  Kirchhoflf*)  mit  Wahrscheinlichkeit  in  das  Jahr  424 
gesetzt,  fiel  sicher  vor  413  oder  vor  die  Auflösung  der  athenischen  See- 
herrschaft. Ihr  Verfasser  ist  im  Grunde  des  Herzens  ein  Feind  der  Demo- 
kratie, zeigt  aber  vom  Standpunkt  eines  Realpolitikers,  wie  der  Staat  der 
Athener,  nachdem  nun  einmal  die  Demokratie  zu  Recht  bestehe,  regiert 
werden  müsse  und  in  der  Hauptsache  auch  wirklich  regiert  werde.  Im 
Ton  und  in  einzelnen  Wendungen  erinnert  die  Schrift  stark  an  die  sokra- 
tischen  Gespräche,  weshalb  Cobet  geradezu  annahm,  dass  sie  ursprünglich 


von  BöcKH,  De  simnltate  qnae  inter  Platonem 
et  Xenophontem  intercessisse  ferior,  Berl. 
1811  =  Kl.  Sehr.  IV,  5  ff.,  und  von  Hug, 
Phüol.  7,  638  ff.  und  in  Ausg.  von  Plat.  Sym- 
p08.;  die  umgekehrte  Meinung  vertreten  von 
K.  Fb.  Hermann,  Num  Plato  an  Xenophon 
convivium  suom  prius  scripserit,  1835  u.  1841, 
neuerdings  mit  sprachlichen  Gründen  von 
ScBANz,  Herrn.  21,  458.  Vgl.  Schenkl,  Xen. 
Stud.  II  46;  HiKZEL,  Der  Dialog  I  156. 

M  Diese  Ahfassongszeit  ist  auf  den  Epüog 
beschrftnkt  und  das  flbrige  in  387 — 5  gesetzt 
von  Naumann,  De  Xenophontis  libro  qui 
Aax(daifioyi(ay  noXtteia  inscribitnr,  Berlin 
1876. 

'^)  Auf  einen  Auszug  schUesst  aus  jener 
Stelle  CoBST,  Nov.  lect.  707.  Aristot.  Polit. 
VII  14,  p.  1333  b,  18  nennt  unter  denjenigen, 
welche   über    den  Staat  der  Lakedämonier 


geschrieben  haben,  nur  den  Thimbron  mit 
Namen,  vielleicht  aber  hat  er  polit.  IV  1, 
p.  1288  b  41  unsere  Schrift  im  Auge  gehabt. 
Neuerdings  verteidigte  die  von  Heyne,  Leh- 
mann u.  a.  bezweifelte  Echtheit  Naumann  a. 
0.  und  Erler,  Quaestiones  de  Xenophontis 
Ubro  de  rep.  Lacedaem.,  Lipsiae  1874« 

»)  EiRCHHOFF,  lieber  die  Schrift  vom 
Staat  der  Athener,  Abhdl.  d.  Berl.  Ak.  1878. 
M.  Schmidt,  Memoire  eines  Oligarchen  in 
Athen  über  die  Staatsmazimen  des  Demos, 
Jena  1876,  setzt  die  Schrift  in  430/29, 
Müller-Stkübino,  Die  attische  Schrift  vom 
Staat  der  Athener,  Philol.  Suppl.  IV  1  ff.  in 
417—414,  und  so  im  wesentlichen  auch 
Bbkgk,  Gr.  Litt.  IV  238  Anm.  7.  Es  handelt 
sich  bei  der  Kontroverse  wesentlich  darum, 
ob  II  5  auf  den  Zug  des  Brasidas  nach  Thra- 
kien Rücksicht  genommen  ist. 

23* 


356 


Qrieobiflohe  Litteratargeschiohte.    I.  EUsaisohe  Periode. 


die  Form  eines  Dialoges  gehabt  habe.^)  Leider  ist  dieselbe  in  sehr  zer- 
rüttetem Zustand  auf  uns  gekommen.^)  Der  eigentliche  Verfasser  ist  schwer 
mehr  zu  eruieren ;  Böckh  ^)  hat  an  den  Aristokraten  Kritias,  Müller-Strübing 
an  Phrynichos  gedacht. 

Jl(0oi  7]  Ttegi  nqoaodoüv  ist  der  Titel  einer  interessanten  Schrift, 
der  wir  mannigfache  Belehrung  über  das  athenische  Finanzwesen,  insbe- 
sondere über  die  Einkünfte  aus  den  Silberbergwerken  von  Laurion  ver- 
danken; sie  ist  eine  Oelegenheitsschrift,  in  der  Xenophon  Mittel  angibt, 
wie  den  schlechten  Finanzen  der  Stadt  aufgeholfen  werden  könne^  Die 
Zeitverhältnisse,  aus  denen  die  Vorschläge  erwachsen  sind,  führen  nach 
Cobets  Auffassung  (Nov.  lect.  756  flf.)  auf  das  Jahr  355,  oder  die  Zeit  un- 
mittelbar nach  Beilegung  des  Bundesgenossenkrieges.  Andere^)  gehen, 
anknüpfend  an  5,  9,  wo  von  der  versuchten  Verdrängung  der  Phoker  aus 
der  Vorstandschaft  des  delphischen  Orakels  die  Rede  ist,  bis  auf  346 
herab.  Wäre  die  letztere  Meinung  richtig,  was  aber  Friedrich  Jahrb.  f. 
Phil.  1896  S.  695  flf.  mit  guten  Gründen  bestreitet,  dann  wäre  nicht  Xeno- 
phon, der  damals  bereits  tot  war,  der  Verfasser  der  Schrift,  sondern  irgend 
ein  Parteigänger  der  Friedenspolitik  des  Eubulos.^) 

349.  Aus  den  speziellen  Liebhabereien  des  Xenophon  sind  noch 
einige  andere  kleinere  Schriften  hervorgegangen: 

Der  ^Innaqxixog  seil,  i^oyog^  geschrieben  für  einen  Reiterführer, 
gibt  fromme  und  sachgemässe  Anweisungen  zur  Verbesserung  der  atheni- 
schen Reiterei.  Der  Hinweis  auf  die  mit  den  Athenern  verbundenen  Lake- 
dämonier  (9,  4)  und  auf  den  drohenden  Einfall  der  Böotier  (7,  3)  führt 
auf  die  Zeit  kurz  vor  der  Schlacht  bei  Mantinea. 

IIsqI  Innix^g  ist  nach  dem  Hipparchikos,  der  am  Schluss  (12,  14) 
citiert  wird,  geschrieben.  Wie  jene  Schrift  für  einen  Reiterobersten  be- 
stimmt war,  so  diese  für  einen  gemeinen  Kavalleristen  {ISicittj  tnnet);  sie 
gibt  praktische  Ratschläge  für  Ankauf  und  Schulung  des  Pferdes,  sowie 
für  Ausrüstung  des  Reiters.  Aus  1,  3  und  11,  6  ersehen  wir,  dass  schon 
vor  Xenophon  ein  gewisser  Simon  über  denselben  Gegenstand  geschrieben 
hatte;  aus  des  letzteren  Schrift  wird  das  in  den  Geoponika  19,  5  unter 
dem  falschen  Namen  des  Xenophon  angeführte  Kapitel  stammen. 


*)  Die  Hypothese  von  Cobet  ist  aufge- 
nommen von  Wachsmuth,  De  Xenophontis 
qui  fertur  libello  'A^'frjt'.  noXir.,  GOttingen 
1874.  —  Belehrend  ist  zum  Vergleich  die 
politische  Diskussion^  welche  Thukydides  5, 
ö5 — 113  zwischen  den  Meliern  und  den  Ab- 
gesandten der  Athener  geführt  werden  Iftsst. 

*)  Rettig,  Ueber  die  Schrift  vom  Staate 
der  Athener,  Zeitsch.  für  Osterr.  Gymn.  1877 
8.241  ff.;  L.  Lange,  De  pristina  libelli  de 
rep.  Atheniensium  forma  restitnenda,  Leipz. 
1882,  u.  Leipz.  Stud.  V  395  ff.;  Kalinka,  Pro- 
legomena  zu  einer  neuen  Ausgabe  der  pseudo- 
xenophontischen  'JBrjyaiojy  Ttohieia,  Wiener 
Studien  XVIII  27—83. 

*)  BöcKB,  Staatshaushaltung  der  Athener 
r^  432,    indem  er    sich   auf   ein    Citat   des 


Kritias  bei  Poll.  VIII  25  =  Rep.  Ath.  3,  6 
stützt.  Für  Kritias  tiitt  wieder  ein  Conr. 
Müller,  Zittau  1891,  Progr.  Ueber  die  ganze 
Schrift  in  ihrer  Stellung  zur  Zeit  handelt  R. 
Scholl,  Ueber  die  Anfftnge  einer  politischen 
Litteratur  bei  den  Griechen,  akad.  Rede, 
München  1890  S.  14  ff. 

*)  Haobn,  Eos  II  (1866)  149;  Holzapf£i^ 
Philol.  40ll882)242ff. 

')  Onken,  Isokrates  und  Athen  S.  96 
hat  die  Schrift  für  unecht  erklärt.  Die 
Echtheit  verteidigt  der  verdiente  Heraaa- 
geber  der  Schrift  Zurbobg,  De  Xenophoniia 
Ubello  qui  Ilo^oi  inscribitnr,  Berlin  1874; 
ebenso  Madvio,  Adv.  crit.  I  364,  der  das  chro> 
nologisch  anstössige  ineiguiyTo  5,  9  in  ftei'^ 
q<ayio  bessert. 


2.  Die  Gesohiohtuohreibang.    e)  OMohiohtswerke.    (§§  249—250.) 


357 


Der  Kvvr]y€Tix6g  enthält  das  Lob  der  Jägerei  und  viele  praktische 
Anweisungen  für  die  Abrichtung  der  Jagdhunde.  Sehr  hübsch  wird  gegen 
Schluss  das  Waidwerk  als  Vorschule  des  Kriegsdienstes  gepriesen  und  der 
Wortklauberei  der  Sophistik  entgegengesetzt.  Das  Werk  wird  von  dem 
Grammatiker  Tryphon  bei  Athen.  400  a  als  xenophontisch  anerkannt, 
weicht  aber  im  Stil  und  hyperbolischen  Ausdruck  stark  von  der  Schlicht- 
heit des  Xenophon  ab,  so  dass  man  es  wohl,  da  es  auch  für  den  jungen 
Xenophon  nicht  passen  will,  zu  den  untergeschobenen  Schriften  zählen 
muss.^) 

Angehängt  endlich  sind  den  Werken  des  Xenophon  7  Briefe,  deren 
ünechtheit  schon  Bentley,  Opusc.  54,  erwiesen  hat. 

Scholien  sind  zn  Xen.  so  gut  wie  keine  erbalten,  da  die  von  Dindorf  veröffentlichten 
das  wegwerfende  Urteil  von  Cobet  Nov.  lect.  546  verdienen. 

Die  handschriftliche  Ueberlieferung  ist  zu  den  einzelnen  Büchern  verschieden,  durch- 
weg aber  haben  wir  nur  verh&ltnismftssig  junge  Codd.;  die  besten  sind:  zur  Anabasis  und 
Kyropädie  Paris.  1640  (C)  vom  Jahre  1320,  der  aber  auf  einen  Cod.  s.  IX  zurückgeht  (Huo, 
De  Xen.  anab.  cod.  C,  Turici  1878);  zur  Kyropftdie  Marc.  511  s.  XII,  Paris.  1685  (A);  zu 
Hellen.  Paris.  1738  (B),  Ambros.  A  4  v.  J.  1844  (M),  Paris.  1642  (D);  zu  Memorab.  Paris. 
1302  s.  Xni  (enthftlt  nur  Buch  I  u.  II)  u.  1740.  Kritischer  Apparat  in  den  Oxforder  Aus- 
gaben DiNDOBFS  1858.  1857.  1862;  bereichert  in  der  Ausgabe  von  Schknkl,  Berl.,  dazu  Mit- 
teilungen aber  die  benutzten  Codd.  in  Xen.  Stud.,  3  Hefte. 

Gesamtausgabe  von  J.  G.  Schvbider,  Lips.  1790 — 1815,  6  vol.  (einzelne  Bände  neu 
bearbeitet  von  Bobhemann);  rec.  et  comment.  insi^.  EChner,  Brbiteivbacb,  Gotha  1828,  4  vol.; 
ed.  G.  Saüppb,  lips.  1867 — 1870,  5  vol.  —  Kritische  Einzelausgaben  auf  Grund  von 
handschr.  Apparat:  Expeditio  C^  und  Institutio  C^  rec.  Hug,  Lips.  1878  mit  Facsimile 
des  cod.  Paris.  1640;  Xenophontis  Hellenica  rec.  0.  Ejblleb  ed.  mai.  Lips.  1890;  Gommentaril 
Socratis  rec.  Gilbert  ed.  mai.  Lips.  1888;  De  reditibus  libellus,  rec.  Zurbobg,  Berl.  1876; 
Xenophontis  qui  fertur  libellus  de  republica  Atheniensium,  rec.  Kircbhoff,  Berl.  1874;  Oeco- 
nomicus  ed.  Holden,  London  1895.  —  Textkritische  Ausgaben  auf  grund  der  Spi-achgesetze  von 
Cobbt  Anabas.  LB.  (1859)  1881,  Hellen.  Amst.  (1862)  1880.  —  Einzelausgaben  mit  erklärenden 
Anmerkungen:  Anabasis  von  Krüger,  6.  Aufl.  1871;  von  Yollbrecht  bei  Teubner,  von 
Rehdahtz-Garnuth  bei  Weidmann;  Kyropaedie  von  Breitenbach  bei  Teubner,  von  Hertlein- 
NiTSCHE  bei  Weidmann;  Hellenika  von  Breitenba  oh  bei  Weidmann,  von  BGchbensobCtz 
bei  Teubner,  von  Zurbobg  und  Gbosser  bei  Perthes,  von  E.  Kurz,  München  1874  (dazu 
Progr.  des  Ludw.Gymn.  1875);  Memor.  mit  Anm.  von  Kühner  bei  Teubner,  von  Brbiten- 
bach  bei  Weidmann.  —  Lexicon  Xenophonteum  von  Stubz  1801 — 4;  Lexilogus  Xenophonteus 
von  G.  Sauppb,  Lips.  1868. 

e)  Die  kleineren  und  verlorenen  Geschichtswerke. 
260.  Antiochos  von  Syrakus,  den  man  noch  den  Logographen  zu- 
zählen könnte,  war  Verfasser  einer  lixehonig  avyyQagrtj  in  ionischem  Dia- 
lekt, welche  mit  dem  König  Eokalos  begann  und  bis  auf  das  Jahr  424 
oder  den  Frieden  von  Gela  herabgefiihrt  war.  Dieselbe,  noch  von  Thuky- 
dides  benutzt,*)  ward  später  durch  die  berühmteren  Werke  des  Philistos 
und  Timaios  in  Schatten  gestellt  und  war  schon  zu  Strabons  Zeit  ver- 
schollen. Länger  erhielt  sich  sein  Buch  'IraXiag  olxKTfiog,  von  dem  uns 
durch  Dionysios  von  Halikamass,  Strabon  und  Stephanos  von  Byzanz  noch 
manche  Angaben  erhalten  sind.') 

')  Ffir  eine  Jugendschrift  sprachen  sich 
aus  Cobet,  Nov.  lect.  774,  und  Roquette 
a.  0.  AufßOiig  ist  der  dem  Xenophon  sonst 
fremde  Gebrauch  des  Lifinitiv  absolutus  in 
dem  Sinn  eines  Imperativs.  Sittl,  6r.  Litt. 
II  462  findet  Anzeichen  späteren  Ursprungs 
auch  in  der  Form  der  Aeneassage  1  15.  Die 
ünechtheit  fiberzeugend  begrfindet  von  Rader- 


MAGHER,  üeber  den  Cynegeticus  des  Xylophon. 
Rh.  M.  LI  596—629.  LH  13—41;  Lwcke, 
Xenophons  Eynegetikos,  in  Jahrb.  f.  klass, 
Phil.  1896  S.  209—217.  Bas  Prooemium  als 
Produkt  der  zweiten  Sophistik  ausgegeben 
von  Norden,  Die  ant.  Kunstprosa  432. 

«)  S.  oben  §  237. 

»)  Fragmente  in  Müller  FHG  I  181-4. 


358 


Qrieohiflche  Idtteratargesohiohte.    I.  KlMsisol^e  Periode. 


251.  Etesias  von  Enidos  aus  dem  Geschlecht  der  dortigen  Asklepiaden 
war  um  415   in  die  Kriegsgefangenschaft  der  Perser  geraten   und  ver- 
brachte,  von   den  Königen  wegen  seiner  ärztlichen  Kunst  hoch   geehrt, 
17  Jahre  in  Persien.  0     In   der  Schlacht  von  Kunaxa  befand  er  sich    im 
Gefolge  des  Artaxerxes  und  heilte  den  König  von  der  ihm  durch  Kyros 
beigebrachten  Wunde.  ^)     Später  ward   er  vom   König  zu   diplomatischen 
Sendungen  an  Euagoras  und  Konon  verwendet,   wobei  er  um  398  wieder 
nach  seiner  Heimat  kam,   um  nicht  mehr  nach  Persien  zurückzukehren.') 
Die  reichen  Kenntnisse,   die  er  sich  vom  Orient  an  Ort  und  Stelle  durch 
den  Verkehr  mit  dem   persischen  Hof  und  durch  das  Studium  der  ein- 
heimischen Geschichtsbücher*)  erworben  hatte,  legte  er  in  seinen  n^qa^xa^ 
einem  umfangreichen,  in  ionischem  Dialekt  geschriebenen  Werk  von  23  B. 
nieder.     Dem  Patriarchen  Photios  Cod.  72   verdanken  wir  einen  Auszug 
aus  demselben.^)     Danach  behandelten  die  6  ersten  Bücher  die  assyrische 
und  medische  Geschichte,  und   gingen   die  folgenden  Bücher   bis  auf  das 
Jahr  398  herab.     In  der  Erzählung  hofmeisterte  Ktesias  mit  Vorliebe  den 
Herodot,  indem  er  denselben  nicht  bloss  vielfach  berichtigte,  sondern  ge- 
radezu als  Lügner  hinstellte,  aber  er  selbst  gab  sich  oft  nur  den  Schein, 
besseres    Wissen    aus    einheimischen    alten    Pergamenten    geschöpft    za 
haben,    um    mit    diesem  Mäntelchen    seine   eigenen   Aufschneidereien    zu 
verkleiden.«)     Ein  zweites  Werk  'IrSixd  gab  im  1  Buch  die  ersten  Nach- 
richten  von    dem  Wunderland   Indien,   besonders   von  seiner   Tier-    und 
Pflanzenwelt.     Auch   von   ihm    hat  uns  Photios  a.  0.   einen  Auszug    er- 
halten.    Ausserdem  wird  von  Ktesias  ein  geographisches  Werk  IIbqitwXqv^ 
oder  neqiodoq  erwähnt.^) 

252.  Aineias,  der  Taktiker,  lebte  zu  gleicher  Zeit  mit  Xenophon 
und  berührte  sich  mit  ihm  durch  die  gleiche  Vorliebe  für  die  praktische 
Beschäftigung  eines  Kriegsmannes.  Derselbe  ist  vielleicht,  wie  bereits 
Casaubonus  vermutete,  identisch  mit  dem  von  Xenophon  Hell.  VH  3,  1  er- 
wähnten Stymphalier  Aineias.^)  Die  von  ihm  erhaltene  Schrift  TaTtrixiv 
vTtofivtjfia  nsQl  zov  n(ag  XQV  ^ohoQxovfisvovg  avzäxHv  ist  nur  ein  AbschDitt 


WöLFFLiN,  Antiochos  von  Syrakus  und  Goe- 
lins  Antipater  1872. 

M  Diodor  U  32. 

')  Xenoph.  Anab.  I  8,  26. 

>)  Photios  Bibl.  p.  44b  nach  Ktesiafl 
selbst. 

4)  Das  waren  die  ßaatXixal  ^Kp&agai  des 
Diodor  II  32. 

'^j  Pamphila  unter  Nero  verfasste  nach 
Suidas  eine  Epitome  in  3  B.  Ausser  durch 
Photios,  der  auf  seine  Gesandtschaffcsreise 
nach  Persien  den  Etesias  als  ReiselektOre 
mitzunehmen  besonderen  Anlass  hatte,  ist 
durch  die  ersten  Bücher  des  Diodor  und 
Plutarchs  Leben  des  Artaxerxes  manches 
von  Ktesias  auf  die  Nachwelt  gekommen. 

*)  Vielfach  geben  dem  Herodot  die  Mo- 
numente recht;  s.  Hauo,  Die  Quellen  Plu- 
tarchs S.  88  f.  Scharfer  Tadel  des  Ktesias 
schon  bei  den  Alten,  wie  Plut.  vit.  Artax.  6. 


Die  Schwindeleien  des  Ktesias  in  der  ftlteren 
Geschichte  weist  nach  J.  Mab<)uart,  die  As- 
syriaka  des  Ktesias,  Philol.  Suppl.  VI  501 
bis  658. 

^)  Fragmente  gesammelt  von  C.  M&ixb& 
im  Anhang  der  Didot^schen  Herodotaua^be 
1858.  Dazu  kommen  aber  die  Stellen,  in 
denen  Ktesias  bloss  benutzt,  nicht  citiert 
ist,  wie  namentlich  in  Diodor  IT  1—  34  mad 
in  Plutarchs  Leben  des  Artaxerxes,  worfiber 
Waghsmutb  Einl.  367  f.  —  Sfir.  Lakbrob 
'laro^ixä  (jisXexrjfJLaja  p.  61 — 68  teilt  drei 
neue  BmchstQcke  der  Indika  des  Ktesias 
mit.  —  Krumbholz,  Zu  den  Assjriaka  des 
Ktesias,  Rh.  M.  52  (1897)  237—285. 

^)  lieber  diese  neuerdings  lebhaft  be- 
handelte Kontroverse  s.  A.  C.  Lange,  De 
Aeneae  commentario  poliorcetico,  Berlin  1879 
und  Gassei  Progr.  1883;  SoBsinu.,  Jahrber 
d.  Alt.  Xn  1,  261  ff. 


2.  Die  GMohiohtssohreibiing.    e)  Oesohiohtswerke.    (§§  251—253.)  359 

eines  grösseren,  vod  Polybios  X  44  unter  dem  Titel  Td  ttsqI  twv  atga- 
trjr^fittxixmv  vT^oftirt^fiaTa  aufgeführten  Werkes.  Die  Regeln  der  Taktik, 
die  eine  noch  sehr  niedere  Stufe  des  erst  unter  den  Diadochen  ausgebil- 
deten Geniewesens  erkennen  lassen,  werden  durch  zahlreiche  Beispiele 
erläutert,  und  diese  geben  dem  Buche  den  Hauptwert.  Nach  ihnen  lässt 
sich  auch  die  Abfassungszeit  desselben  dahin  bestimmen,  dass  es  in  den 
nfichsten  Jahren  nach  360  entstanden  ist.^)  Der  Stil  ist  hart  und  dunkel, 
welche  Fehler  indes  teilweise  der  schlechten  Überlieferung  des  Textes  zu 
Last  fallen  mögen.  Später  machte  Kineas,  der  Feldherr  des  Königs 
P^rrhos,  von  dem  Werke  einen  Auszug,  dessen  Arrian,  Takt.  I  2  Erwäh- 
nung thut. 

Die  üeberlieferong  beruht  auf  Cod.  Laurent.  55,  4.  Ausgabe  mit  Polybios  von  Ca- 
8AUBOHU8,  Par.  1609;  neuere  kritische  Bearbeitung  von  Herghbb,  Berlin.  1870;  von  Hüo, 
Ups.  1874. 

853.  Philistos  aus  Syrakus,*)  der  berühmte  sikilische  Historiker, 
war  schon  herangewachsen,  als  der  spartanische  Feldherr  Gylippos  die  Ver- 
teidigung von  Syrakus  gegen  die  Athener  leitete;')  später  spielte  er  als 
Parteiganger  und  Feldherr  der  beiden  Dionysii  eine  hervorragende  Rolle 
in  seiner  Heimat.  In  den  Kämpfen  des  Dion  gegen  den  jüngeren  Dionysios 
kam  er  356  um,  sei  es  dass  er  sich  nach  seiner  Niederlage  zur  See  selber 
entleibte,  wie  Ephoros  und  Diodor  lY  16  erzählen,  sei  es  dass  er  gefangen 
genommen  und  von  den  wütenden  Gegnern  unter  schmählichen  Insulten 
oms  Leben  gebracht  wurde,  wie  ein  Augenzeuge  bei  Plutarch  im  Leben 
des  Dion  c.  35  berichtet.  Sein  Geschichtswerk,  Sixekixd  betitelt,  begann 
er  in  der  Müsse  der  Verbannung,  als  er  von  dem  älteren  Dionysios  infolge 
von  Zerwürfnissen  aus  Syrakus  verwiesen  worden  war  (386).  Der  erste 
Teil  {ffvvTa^tg)  in  7  B.  behandelte  die  ältere  Geschichte  Sikiliens  bis  zur 
Thronbesteigung  des  ersten  Dionysios  (406);  im  zweiten  Teil  gab  er  zu- 
nächst in  4  B.  eine  Geschichte  des  älteren  Dionysios;  dieser  liess  er  dann 
später  noch  die  Geschichte  des  jüngeren  Dionysios  von  367 — 363  in  2  B. 
nachfolgen.*)  Cicero^)  nennt  den  Philistos  pusülum  Thucydidem ;^)  mit 
seinem  grossen  Vorbild  teilte  er  die  gedrungene,  jede  Digression  vermei- 
dende Darstellung,  die  aus  eigener  Erfahrung  entsprungene  Sachkenntnis 
and  die  Belebung  der  Erzählung  durch  eingelegte  Beden;  aber  er  stand 
ibm  weit  nach  an  mannhaftem  Freiheitssinn;  Dionysios  in  dem  Brief  an 
Pompejus  c.  5  wirft  ihm  die  niedrige  Gesinnung  eines  Tyrannenschmeich- 
lerH  vor.  Im  Stil  und  in  der  rhetorischen  Technik  hatte  er  sich  an  seinem 
Lehrer  Euenos  aus  Faros  gebildet.     Als  Quellen  benutzte  er  für  die  ältere 


'j  Ho«,  AeneaB  von  StymphaloSi  Zflrich 
1877  nmunt  d.  J.  359 — 8,  Gütschmid,  Lii 
Ceoinlblatt  1880  N.  18  d.  J.  357—5  an. 
E  Saüpps»  Alisgew.  Schrift  p.  631:  nicht 
for  360  und  bald  nach  346. 

')  Zwei  konfuBe  Artikel  des  Snidas; 
Kl^sBSB,  De  Philisto  rerom  Sicolanun  scrip- 
tore.  Bresl.  1874;  ROhl,  Jahrb.  f.  Phil.  1886 
^  128  f. 

•)  Phit  Nie.  19. 

*)  Diodor  13,  108  n.  15,  89;  Dionys.  ep. 


ad  Pomp.  5.  Snidaa  Iftsst  das  Werk  aas  11  B. 
bestehen,  indem  er  die  spätere  Fortsetzung 
nicht  berflcksichtigt. 

»)  ac.  ad  Quint.  fr.  II  11,  4;  vergl. 
Brut.  17,  66;  de  or.  11  13,  57;  Quint.  X 
1,  74. 

")  Aehnlich  Dionysius,  Gens.  vet.  Script. 
3,  2.  In  der  Kunst  durch  passende  Ver- 
bindung auch  gewöhnlichen  Wörtern  Glanz 
zu  geben  vergleicht  Longin  de  subl.  40  den 
PhüistoB  mit  Aristophanes  und  Euripides. 


360 


Orieohische  LitteratnrgMohiohte.    I.  SlaMisohe  Periode. 


Zeit    auch    karthagische   Nachrichten.  0    Die   Fragmente   gesammelt  bei 
MüUer  FHG  I  185-192;  IV  369  f. 

Eine  Fortsetzung  des  Philistos  lieferte  Athanas  (v.  1.  Athanis,  ob 
aus  AO^avTjqV)^  der  die  Geschichte  des  jüngeren  Dionysios  zu  Ende  fährte 
und  daran  die  des  Dion  und  Timoleon  (362 — 337)  reihte. 

254.  Die  grossen  Historiker  der  älteren  Zeit  hatten  sich  durch 
praktische  Thätigkeit  im  Staats-  und  Kriegsdienst  ihre  Berechtigung 
zur  Geschichtsschreibung  erworben.  Gegen  Ende  unserer  Periode  begann 
die  Übung  in  der  Redekunst  für  eine  bessere  Vorschule  gehalten  zu  werden 
als  die  Teilnahme  am  öffentlichen  Leben:  statt  Staatsmänner  treten  nun- 
mehr Rhetoren  als  Geschichtsschreiber  auf.  Das  hat  die  griechische  Historie 
in  falsche  Bahnen  geleitet.  Die  ganze  Rhetorik  hatte  es  nicht  auf  Wahr- 
heit, sondern  auf  blendenden  Schein  abgesehen,  und  so  konnte  es  nicht 
fehlen,  dass  auch  in  der  Geschichtsschreibung  unter  dem  Streben  nach 
schönen  Phrasen  und  geistreichen  Wendungen  die  Sorgfalt  in  der  Er- 
forschung der  Thatsachen  und  die  Unbestechlichkeit  des  Urteils  litten.  Die 
beiden  Hauptvertreter  dieser  rhetorisierenden  Geschichtsschreibung  waren 
Ephoros  und  Theopompos.*) 

255.  Ephoros  aus  Kyme^)  im  äolischen  Kleinasien  war  nicht  bloss 
aus  der  Schule  des  Isokrates,  in  der  er  den  Curs  zweimal  durchmachte,*) 
hervorgegangen,  sondern  hatte  auch  von  seinem  Lehrer  in  der  Beredsam- 
keit das  Thema  zu  seinem  Geschichtswerk  erhalten.*)  Denn  in  der  eigent- 
lichen Redekunst  scheint  er  es  nicht  sehr  weit  gebracht  zu  haben;  auch 
wird  von  ihm  nur  eine  einzige  rhetorische  Schrift,  nsQl  ke^ttog^  und  diese 
nur  gelegentlich  einmal  vom  Rhetor  Theon  (Rhet.  gr.  II  71  Sp.)  angeführt. 
Sein  historisches  Werk  in  30  B.  war  die  erste  Universalgeschichte  der 
Griechen  (iatogia  xonwv  nQd^ewv);^)  sie  begann  mit  der  Rückkehr  der 
Herakliden  als  dem  ersten  beglaubigten  Ereignis  und  ging  herab  bis  auf 
die  Belagerung  von  Perinth  (340).  Dass  gerade  hiemit  das  Werk  schloss, 
daran  scheint  der  Tod  des  Autors  schuld  gewesen  zu  sein.  Denn  jenes 
Ereignis  bezeichnet  keinen  einschneidenden  Abschnitt  in  der  Geschichte, 
und  Ephoros  selbst  hatte  die  ganze  Regierung  des  Philipp  und  auch  noch 
den  Zug  des  Alexander  gegen  das  Perserreich  miterlebt.  Auch  besorgte 
nicht  er,  sondern  sein  Sohn  Demophilos  die  Herausgabe  des  Gesamt- 
werkes,  indem  er  zugleich  im  letzten  Buch  die  Erzählung  des  heiligen 
Krieges  zu  Ende   führte. 7)    Das  vielgerühmte«)  Werk  war  so  angelegt. 


*)  Meltzkb,  Gesch.  der  Earthftger  I 
125,  134;  GuTSOHMiD  Kl.  Sehr.  II  89  ff. 

«)  Cicero  de  orat.  11  18.  57  u.  III  9. 
86:  ex  clarissima  rhetaris  Isocratis  officina 
duo  praestantes  ingenio,  Theopompus  et 
EphomSf  ab  Isoer ate  magistro  impulsi  se 
ad  historiam  eofttulerunt;  dicehat  hocraies 
se  calearibus  in  Ephoro,  contra  autem  in 
Theopompo  frenis  uti  solere.  Suidas  u. 
''FApoQog:    'laoxQatijs    rov    (ä^v    etpti    /aAti'ot; 

*)  Artikel  bei  Suidas.  Marx,  Ephori 
Gnmaei  fragm.,   Karlsruhe  1815;  Klügmann, 


De  Ephoro  hiatorico  graeco,  Gott.  1860; 
Wachsmuth,  Einl.  498  ff.;  Bödingbr,  die 
Universalhistorie  im  Altertom  82  ff. 

^)  Deshalb  scherzweise  ditpogo^  genannt 
von  Ps.  Plut.  vit  dec.  orat  p.  837  e. 

*)  Ps.  Plut.  a.  0.:  x«i  xtj¥  vnö^e^n»' 
rijff  j^QBtag  avTog  vnB9rjxaio. 

")  Dieses  rühmend  anerkannt  von  Polyb. 
V  83 :  "EfpoQoy  toy  ngtÜroy  xal  fioyoy  äntße- 
ßXijfds'yoy  Tii  xa&oXov  yQ€iq>€iy. 

^)  Diodor  XVI  14;  vgl.  Atii.  232  d. 

8)  Polyb.  VI  45;  XII  28.  loBeph.  c.  Ap. 
I  12. 


2.  Die  Gesohichtflflchreibimg.    e)  Oeschichtswerke. 


I  254-256.) 


361 


das8  jedes  Buch  mit  einem  eigenen  Prodmium  anfing  und  einen  in  sich 
abgerundeten  Stoff  behandelte.^)  Neben  den  geschichtlichen  Ereignissen 
war  der  Geographie,  zum  Teil  in  Verbindung  mit  den  Städtegründungen 
eine  besondere  Aufmerksamkeit  zugewandt;*)  das  4.  Buch  hatte  von  seinem 
geographischen  Inhalt  den  Titel  Eigcinrj;  Pseudoskymnos  bekennt,  seine 
DarsteDung  von  Hellas  dem  Ephoros  entlehnt  zu  haben.  In  der  Sammlung 
des  Stoffes  war  Ephoros,  da  der  weitaus  grösste  Teil  seines  Werkes  jen- 
seits seiner  eigenen  Beobachtungen  und  Erinnerungen  lag,  auf  die  Benutzung 
der  älteren  Geschichtswerke  angewiesen.  Aus  Herodot  namentlich  hat  er 
ganze  Partien,  wie  man  aus  Diodor  entnehmen  kann,  fast  wörtlich  her- 
übergenommen. >)  In  der  Benutzung  seiner  Quellen,  ist  ihm  Urteil  und 
Wahrheitsliebe  nicht  ganz  abzusprechen ;  zu  rühmen  ist  es  besonders,  dass 
er  die  genealogischen  Fiktionen  des  Hellanikos  scharf  zurückwies^)  und 
die  ganze  mythische  Zeit  aus  dem  Bereiche  der  Geschichte  ausschloss. 
Aber  die  guten  Vorsätze  haben  nicht  immer  vorgehalten,  indem  er  z.  B., 
wie  Strabon  p.  422  tadelnd  hervorhebt,  die  Mythen  über  den  Kampf  des 
delphischen  Apoll  mit  dem  Drachen  wie  historische  Thatsachen  gläubig 
nacherzählte  und  nur  anders  zu  deuten  suchte.  Ausserdem  mangelten 
ihm  die  praktischen  Kenntnisse  eines  Militärs,  um  die  kriegerischen  Opera- 
tionen richtig  darzustellen;  ein  guter  Kenner,  Polybios  XII  25,  bezeichnet 
seine  Darstellung  der  Schlachten  von  Leuktra  und  Mantinea  als  geradezu 
lächerlich,  während  er  ihm  die  Anerkennung  einer  sachkundigeren  Be- 
schreibung der  Seeschlachten  lässt.  Der  Stil  unseres  Autors  trug  etwas 
von  der  Mattigkeit  der  Schulrhetorik  an  sich;^)  gleichwohl  ward  er  gern 
und  viel  gelesen:  an  sein  Werk  knüpften  die  Historiker  der  Diadochenzeit 
an,  Diodor  nahm  es  sich  zum  Muster  und  plünderte  es  nach  seiner  Art, 
andere  machten  Auszüge  aus  demselben.  Zu  den  letzteren  scheinen  die 
nnter  seinem  Namen  von  Suidas  aufgezählten  Bücher  IJsqI  dya&wv  xal 
jtmuav  und  naQadiß^on'  tmv  ixaacaxov  ßißXia  it  zu  gehören.  Ob  die  zwei 
Bücher  Erfindungen  {evQrnidxoyv  ßißXia  ß)  auch  aus  den  Historien  aus- 
gezogen waren  oder  ein  selbständiges  Werk  für  sich  bildeten,  lässt  sich 
schwerer  entscheiden.  Fragmente  bei  Müller  FHG  I  234-277;  IV  641  f. 
256.  Theopomp,«)  Sohn  des  Damasistratos  aus  Chios,  geboren  um 
380,  kam,  aus  seiner  Heimat  vertrieben,  mit  seinem  Vater  nach  dem  gast- 
Kchen  Athen,  von  wo  er  erst  im  45.  Lebensjahre  durch  Vermittlung  Ale- 
xanders nach  Chios  zurückkehren  durfte.  Nach  Alexanders  Tod  von  neuem 
in  die  Fremde  gestossen,  ist  er  viel  herumgereist  und  kam  unter  anderem 


»)  Diodor  V  1  u.  XVI  76;  es  sind  da- 
W  auch  gewiss  einzelne  Bflcher  längst  vor 
Abedünss  des  Gesamtwerkes  herausgegeben 
worden. 

*)  Daher  besonders  geschätzt  von  dem 
Geographen  Strabon  VH  p.  302,  VI  11  p.  822, 
IX  p.  422. 

')  Bauer,  Benützung  Herodots  durch 
I^oroe  bei  Diodor,  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  X 
279~.342.  Lysimachos^  hatte  nach  Enseb. 
fnep.  ev.  X  8  ne^i  *Eg>6^ov  xXonrjg  ge- 
Bchnd^en. 


^)  los.  c.  Ap.  I  8:  "EfpoQog  'EAAaV/xoy 
iy   roh  nXsiajoig   ^evdofAsyoy    im^slxivaty. 

*j  Dio  Chrys.  or.  18  p.  479  R;  Suidas 
u.  ^EtpOQog  xttl  ßeon  0/471  og'  rijy  Si  ^Qfifjyeiay 
irjg  laroQiag  vnriog  xai  ytof^gog  xai  firjSefJiidy 
e/tar  in  ix  na  ly, 

•)  Artikel  des  Suidas;  Phot.  cod.  176; 
Pflugk,  De  Theopompi  Chii  vita  et  scriptis, 
Berl.  1827,  wozu  berichtigend  Meibr,  Opusc. 
II  284  ff. ;  Dblltos,  zur  Kritik  des  Geschichts- 
schreibers Theopomp,  Jen.  Diss.  1880;  Hirzbl 
Rh.  M.  47  (1892),  359  ff. 


362 


Orieohisohe  LitteraturgeBohichte.    I.  Elaasuiche  Periode. 


auch  nach  Ägypten  zum  König  Ptolemaios.  Wahrscheinlich  ist  er  in  der 
Fremde  auch  gestorben.  In  jüngeren  Jahren  verfolgte  er  die  Richtung 
seines  Lehrers  Isokrates  und  trat  in  verschiedenen  Städten  mit  Erfolg  als 
epideiktischer  Redner  auf.  Insbesondere  erhielt  er  in  einem  Panegyricus 
auf  den  König  Mausollos  von  Karien  den  Siegespreis.  ^)  Seine  beiden  grossen 
historischen  Werke  waren  die  Hellenika  in  12  B.,  welche,  an  Thukydides 
anknüpfend,  die  Geschichte  von  410—394  oder  bis  zur  Schlacht  von  Knidos 
behandelten,  und  die  Philippika  in  58  B.,  welche  die  Regierung  des  Königs 
Philippos  von  Makedonien  zum  Mittelpunkt  hatten,  aber  in  zahlreichen 
und  ausgedehnten  Digressionen  die  ganze  Zeitgeschichte  umfassten;  so 
enthielten  dieselben  3  Bücher  sikilische  Geschichte  (Diod.  16,  71),  eine 
Musterung  der  Demagogen  Athens,  einen  Abschnitt  wunderbarer  Geschichten 
(im  10.  B.),  einen  Exkurs  über  die  aus  Delphi  geraubten  Schätze.  Die 
Philippika  wurden  später  vom  König  Philippos  III  unter  Weglassung  des 
Fremdartigen  in  einen  Auszug  von  16  B.  gebracht.  Ausserdem  verfasste 
Theopomp  oder  ein  anderer  unter  seinem  Namen  ^)  eine  Epitome  des  Herodot 
in  2  B.  Die  3  Werke  scheinen  dann  später,  ähnlich  wie  die  Annalen  und 
Historien  des  Tacitus,  zu  einem  Gesamtwerk  von  72  B.  vereinigt  worden 
zu  sein.')  Untergeschoben  aus  Bosheit  wurde  unserem  Historiker  von  dem 
Rhetor  Anaximenes  die  Schmähschrift  TQixccQavog^  worin  alles  Unheil 
Griechenlands  auf  die  Häupter  der  3  Städte  Athen,  Sparta,  Theben  geladen 
war.*^)  Uns  sind  nur  Fragmente  und  Auszüge  erhalten;  von  der  lateini- 
schen Bearbeitung  der  Historiae  Philippicae  durch  Trogus  Pompeius  ist 
selbst  hinwiederum  nur  die  Epitome  des  Justinus  auf  uns  gekommen.  Wir 
sind  daher  auch  in  der  Charakterisierung  des  Theopomp  wesentlich  auf  die 
Urteile  der  Alten  angewiesen.  Die  gehen  aber  stark  auseinander:  Dio- 
nysios  im  Brief  an  Pompeius  c.  6  rühmt  an  ihm  die  reine  Diktion  und 
markige,  an  Demosthenes  anstreifende  Kraft  der  Darstellung,  besonders 
aber  das  Eindringen  in  die  geheimen  Motive  der  Handelnden.  Polybios 
hingegen  findet  an  ihm  viel  zu  tadeln,  namentlich  seine  von  Schmähsucht 
getriebene  Parteilichkeit  in  der  Schilderung  des  Königs  Philipp  und  seiner 
Genossen  und  den  Mangel  an  militärischen  Kenntnissen  in  seinen  Schlachten- 
berichten. ^)  Die  damit  in  Verbindung  stehenden  langen  Reden  mitten  in 
den  Schlachten  veranlassten  Plutarch,  reip.  ger.  praec.  6,  auf  ihn  den  Vers 
des  Euripides  anzuwenden,  ovSeig  aiSi^Qov  Tavza  fjtcjQaivei  näXaq.  Mochte 
übrigens  auch  Theopomp  den  Namen  maledicentissimus  scriptor «)  verdienen 
und  in  seinen  Darstellungen  mehr  den  gewandten  Rhetor  als  den  erfahrenen 
Politiker  verraten,  einer  der  bedeutendsten  Historiker  Griechenlands  war 
er  jedenfalls  doch.  Davon  zeugt  schon  der  Umstand,  dass  er  eifrigst  von 
den  Späteren  gelesen  und  benutzt  wurde;  eine  Hauptquelle  war  er  nament- 


M  Gellius  X  18. 

*)  Voss,  De  hist.  gr.  60  f. 

^)  So  erkl&rt  sich  die  Angabe  des  Suidas 
^iXiTinixa  if  ßißXioig  oß\  wie  Müller  FGH 
I  p.  LXIX  nachgewiesen  hat. 

*)  los.  c.  Ap.  I  24:  Lucian  Pseadol.  29; 
Paus.  IV  18,  5;  Aristid.  Romae  encom.  p.  211 
Jebb.    Nach  dem  griechischen  Vorbild  dich- 


tete der  Römer  Terentius  Yarro  die  Satire 
TQixäiMvog  auf  Pompeins,  Cäsar  und  Crassos; 
s.  RiBSB,  Var.  sat.  Men.  p.  232. 

»)  Polyb.  Vin  11—13,  Xn  25. 

*)  Corn.  Nepos,  Alcib.  11.  Dass  er 
trotzdem  selbst  sich  nicht  frei  von  litterari- 
schem Diebstahl  hielt,  weist  Porphyrios  bei 
Eusebios  praep.  ev.  X  3,  3  nach. 


2.  Die  GeschichiBBchreibung.    e)  Oesohiohts werke.    (§  257.) 


363 


lieh  fQr  die  Paradoxographen  und  den  Freund  der  chronique  scandaleuBe, 
Athenaios,  durch  den  uns  auch  die  meisten  Fragmente  erhalten  sind. 

Theopompi  fragm.  coli.  Wiohers,  LB.  1829;  Müller  FHG  I  278—333.  IV  643-5; 
BOnoER,  Tneopompea,  Argent.  1874,  der  besonders  dem  Sprachgebrauch  Theopomps 
nachgeht. 

257.  Unbedeutender  waren  andere  Historiker  der  gleichen  rhetori- 
schen Richtung,  die  wir  kurz  aufzählen:  Kephisodoros  von  Theben, 
Verfasser  einer  Geschichte  des  heiligen  Kriegs;  Deinen  von  Kolophon, 
Verfasser  umfangreicher  Persika,  die  bis  auf  die  Eroberung  Ägyptens 
durch  Ärtaxerxes  III  (340)  herabgingen;  Theokritos  aus  Chios,  Gegner 
des  Theopomp,  von  dem  Suidas  eine  Geschichte  Libyens  und  Wunderbriefe 
anfuhrt  (Müller  FHG  II  86  f.);  Anaximenes  aus  Lampsakos,  Schüler  des 
Zoilos  und  Diogenes,  dem  Victorius  und  Spengel  die  unter  dem  Namen 
des  Aristoteles  laufende  rex^rj  ^rjroQixtj  nqoq  Ukb^avSQov  zugeschrieben 
haben,  und  der  an  geschichtlichen  Werken  'EXXtjVixd  von  der  Götter  Ge- 
burt bis  zur  Schlacht  von  Mantinea  in  12  B.,  <PiXinmxa  in  8  B.  und  ein 
Epos  auf  Alexander  schrieb;^)  Eallisthenes  aus  Olynth,  Schüler  und 
Schwestersohn  des  Aristoteles,  der  Hellenika,^)  Persika  und  ein  Buch  von 
den  Thaten  Alexanders  verfasste,  aber  durch  ein  freies  Wort  sich  den 
grausamen  Zorn  Alexanders  zuzog.  ^)  Ausser  den  Genannten  stellten  die 
Geschichte  Alexanders  dar:^)  Kleitarchos,  Sohn  des  Deinen,  von  dem 
nach  Quintilian  X  1,  74  mehr  das  Talent  der  Darstellung  als  die  historische 
Treue  gelobt  wurde;  Ptolemaios  Lagu^)  und  Aristobulos,  die  Arrian 
in  der  Einleitung  seiner  Anabasis  als  die  zuverlässigsten  Autoren  über  das 
Leben  Alexanders  preist;  Marsyas  von  Pella,  Verfasser  von  Makedonika;^) 
Chares  aus  Mytilene,  der  als  Zeremonienmeister  viel  von  dem  Privatleben 
des  Königs  zu  erzählen  wusste;  Eumenes  und  Diodotos,  Verfasser  von 
Tagebüchern  {s^fi^fiCQt'dic)  des  Königs.  —  Die  Atthidenschreiber,  die  zum 
Teil  schon  unserer  Periode  angehören,  werden  wir  unten  in  Zusammen- 
hang mit  ähnlichen  Werken  der  alexandrinischen  Periode  besprechen.  — 
Insofern  Geschichte  und  Mythos  nach  der  Auffassung  der  Alten  unter  eine 
Kategorie  fallen,  kann  hier  noch  weiter  angeführt  werden :  Asklepiades 
von  Tragilos,  Schüler  des  Isokrates,  der  in  den  6  Büchern  TqayifSov^eva 
die  von  den  Tragikern  auf  die  Bühne  gebrachten  Mythen  zusammenstellte 


^)  Diodor  15,  89;  ein  längeres  Fragment 
der  Philippika  bei  Stob.  Flor.  36,  20.  Ueber 
den  dem  Theopomp  f&lschlich  zugeschriebenen 
Trikaranos  s.  §  256.  Als  schlechter  Poet  ist 
er  mit  GhoirUos  anfgefOhrt  in  einer  herka- 
lanischen  RoUe,   s.  Useneb  Rh.  M.  43,  150. 

^)  Nach  Diodor  14,  117  reichten  die- 
selben von  387  oder  dem  Frieden  des  An- 
talkidas  bis  zun  phokischen  Krieg  357. 

')  Untergeschoben  wnrde  ihm  eine  ro- 
manhafte Alezandergeschichte  (^AXe^dv&qov 
n^^e&g),  auf  die  "wir  nnten  zurttckkommen 
werden. 

*)  St.  Cboix,  Examen  critiqae  des  an- 
ciens    historiens   d' Alexandre   le    Grand,   2. 


edit.,  Par.  1804;  Müller,  Scriptores  remm 
Alexandri  M.,  Paris  1877;  Geier,  Alexandri 
Magni  historiarom  scriptores,  Lips.  1844; 
FrXnkel,  Die  Quellen  der  Alexander- 
historiker, Bresl.  1883;  ScbXfbb,  Quellenk. 
P  71  ff. 

^)  Ein  Fragment  bei  Synesios  in  der 
Lobrede  auf  die  Eahlköpfigkeit  c.  16  nach- 
gewiesen von  RoBDB  Rh.  M.  38,  301. 

*)  Es  gab  zwei  Marsyas,  einen  aus  Pella, 
einen  anderen  aus  Philippi,  die  beide  Maxe&o- 
rixd  und  manches  andere  (s.  Suidas)  schrie- 
ben; über  ihre  Unterscheidung  s.  Ritschl, 
De  Marsyis  rerum  scriptoribuB,  in  Opusc.  I 
449—70. 


364 


GrieohiBohe  Litteratnrgeaohiohte.    I.  Slassisohe  Periode. 


(Fragmente  gesammelt  von  Werfer,  Acta  phil.  Monac.  II  491—557,  und 
Müller  FHG  in  301—6). 

258.   Geographie.  ^)     Die  Geographie  und  Ethnographie  bildeten  in 
der  klassischen  Zeit  noch  nicht  selbständige  Wissenschaften  fär  sieb;  sie 
waren  der  Geschichte  nicht  bloss  verschwistert,  sondern  machten  geradezu 
integrierende  Teile  derselben  aus.     Bei  Hekataios,  Herodot,  Ephoros  waren 
gelegentlich  interessante  Mitteilungen   über  fremde  Länder,  Stadtegrön- 
dungen,  Sitten  und  Bräuche  fremder  Völker  eingestreut.    Wichtig  für  die 
Ethnographie  waren   auch  die  Schriften  der  Ärzte;   namentlich   teilt  uns 
der  berühmte  Arzt  Hippokrates  (geb.  460)   in  dem  letzten  Teile  seines 
Buches  71€qI  ahgwv  vödtojv  ronmv  äusserst  interessante  Beobachtungen  über 
die  von  Luft  und  Boden  abhängigen  physischen  und  geistigen  Eigenschaften 
der  Bewohner  Europas   und  Asiens   mit.     Die  Beobachtungen   sind   uns 
doppelt  interessant,  da  der  Verfasser  mit  dem  erfahrenen  Blick  des  Arztes 
zugleich  den  hohen  Sinn  des  für  Freiheit  begeisterten  Hellenen  verband; 
insbesondere  erhalten  wir  durch  ihn  in  Verbindung  mit  dem  4.  Buch  des 
Herodot  die  ersten  genaueren  Nachrichten  über  die  Anwohner  des  schwarzen 
Meeres,  die  Skythen  und  Sauromaten.')   Leider  ist  durch  eine  grosse  Lücke 
der  von  Ägypten  und  Lybien  handelnde  Abschnitt  verloren  gegangen.^)  — 
Auch  die  Anfönge  chartographischer  Darstellung  finden  wir  bereits  in  der 
Zeit  vor  den  Perserkriegen.     Nach  Strabon  I  p.  7  hat  zuerst  der  Philosoph 
Anaximander  eine  geographische  Charte  (ysoayQatpmiv  n(vaxa)  hergestellt. 
Bei  Herodot  V  49    kommt   Aristagoras,    Tyrann   von  Milet,   mit    einer 
ehernen  Tafel,   auf  der  der  ganze  Erdkreis  eingraviert  war,   zum  König 
Eleomenes  der  Spartaner,  um  ihn  durch  Vorzeigung  der  Länder  des  per- 
sischen   Reiches  zum    Krieg   gegen   den   Perserkönig    zu    bewegen.       Die 
richtige  Vorstellung  von  der  Erde  als  Kugel,  nicht  Fläche,  kam  durch  die 
Pythagoreer  Italiens  im  5.  Jahrhundert  auf. 

Erst  gegen  Ende  unserer  Periode,  als  unter  Alexander  grossartige 
Unternehmungen  zur  See  ausgeführt  wurden,  entwickelte  sich  die  selb- 
ständige Litteratur  der  Seefahrtsberichte  (nsqinXoi,  oder  naQdnXo$\  So 
schrieb  Nearchos,  der  Admiral  der  indischen  Flotte,  einen  Bericht  über 
seine  Fahrt  längs  der  persischen  und  indischen  Küste  (rd  ifi^i  xt^i  TxctQa-^ 
nhii)^  den  noch  Strabon  und  Arrian  fleissig  benutzten.  Neben  ihm  ver- 
öffentlichte sein  Obersteuermann  Onesikritos  von  Astypalaia  fabelhafte 
Mitteilungen  über  die  durch  Alexander  erschlossenen  Länder  Asiens.  Eün 
anderer  Admiral  Alexanders,  Androsthenes  von  Thasos,  beschrieb  in 
seinem  naqdnXovq  Trjg  'Ivdixr^g  die  Küste  Arabiens.     Etwas  später  unter 


M  Hugo  Bbrobr,  Geschichte  der  wissen- 
Bchaftlichen  Erdkunde  der  Griechen,  Leipz. 
1887—93.  —  Sammlung  der  Fragmente  und 
kleinen  Geographen:  Hudson,  Geographiae 
veteris  scriptores  graeci  minores,  Oxoniae 
1712;  C.  MfJLLBB,  Geographi  graeci  minores 
Paris  1855. 

*)  Ueber  die  Pfahlbauem  am  Phasis  s. 
p.  551  K.:  rj  TB  diftira  roig  ay^gtonoig  iv 
xolg  iXeaiv  iffriy  xd  tb  oixij/4ara  ^vXiya  xal 
xttXdfjiiva    iy    vdaat.    fABfAtixavtifJtdvtt ,    damit 


vergleiche  man  Herodot  5,  16  über  die  Pfahl- 
bauten der  Päonier  und  die  ShnUch  zu  deu- 
tenden *AxBXoiiSBg  nägoixoi  ^Q^xiiat^  iyt€Kx*Xt9»f 
in  Aisch.  Pers.  872. 

')  Zu  dem  beiühmten  Buche  des  Hippo- 
krates hatte  Galen  einen  Kommentar  ge- 
schrieben, der  durch  eine  lateinische  Ueber- 
setzung  auf  uns  gekommen  ist;  leider  Iftast 
sich  auch  aus  diesem  nichts  zur  AusfUliuiiK 
jener  Lücke  gewinnen;  s.  Ilbbro  in  Comiu. 
Ribbeck.  p.  348  Anm. 


8.  Die  BeredBamkeit.    a)  AnflUige  der  Beredsamkeit. 


1 258-259.)       365 


Seleukos  Nikator  gab  Patrokles,  der  als  Befehlshaber  von  Babylon  (seit 
312)  den  Osten  aus  eigener  Anschauung  kennen  zu  lernen  Gelegenheit 
hatte  und  die  Aufzeichnungen  des  Xenokles,  des  Schatzmeisters  Alexanders, 
benutzte,^)  eine  Beschreibung  der  Länder  am  kaspischen  Meer.  Aber  alle 
diese  Seeberichte  sind  verloren  gegangen.  Auf  uns  gekommen  ist  eine 
Küstenbeschreibung  unter  dem  Namen  des  Skylax.  Der  echte  Skylax 
stammte  aus  Earyanda  in  Karien  und  hatte  im  Auftrag  des  Darius 
Hystaspes  die  Küsten  des  arabischen  Meerbusens  uinfahren.^)  Der  erhal- 
tene UiQinXovq  tf^g  x^aldaarjg  T^g  olxovfxtvrjg  EvQcinrjg  xai  *Aatag  xai  Aißvrjg 
ist  eine  allgemeine  Eüstenbeschreibung  und  rührt  aus  viel  späterer  Zeit 
her.  Nach  den  in  demselben  enthaltenen  Anzeichen  setzt  ihn  Unger, 
Phil.  33,  29  fif.  in  das  Jahr  356.»)    Ausgabe  in  Müllers  GGM  I  15—96. 


3.  Die  Beredsamkeit^) 

a)  Anfängre  der  Beredsamkeit. 

259.  Das  natürliche  Oeschick  zum  Reden  war  den  Griechen  von  der 
Natur  als  schönes  Angebinde  in  die  Wiege  mitgegeben  worden.  Schon 
Homer  in  der  Presbeia  erfreut  uns  durch  wirkungsvolle,  dem  Charakter 
der  Redenden  best  angepasste  R^den,  und  an  Nestor  und  Adrastos  priesen 
die  alten  Sänger  den  honigsüssen  Mund.  Auf  die  Kraft  der  überzeugenden, 
hinreissenden  Rede  stützten  dann  in  der  Zeit  des  aufstrebenden  Athen 
Themistokles  und  Perikles^)  vornehmlich  ihre  politische  Macht.  Aber  die 
Geschichte  der  Beredsamkeit  beginnt  erst  mit  dem  Zeitpunkt,  wo  die 
Rhetorik  als  Kunst  (^«x^'^/)  gelehrt  zu  werden  begann  und  die  gehaltenen 
Reden  auch  herausgegeben  und  durch  Abschreiber  vervielfältigt  wurden. 


')  Streb,  p.  69. 

*)  Herod.  IV  44. 

*j  C.  Th.  Fischer,  Griech.  Studien,  H. 
Lipshifl  dargebracht,  Leipzig  1894  sacht  im 
Skykz  Stficke  auB  Phileas  (5.  Jahrhundert) 
in  einer  Ueberarbeitung  aus  dem  Ende  des 
4.  Jahrhunderts  nachzuweisen. 

*)  Von  den  alexandrinischen  Gelehrten 
vnrden  die  Redner  wenig  beachtet;  erst  die 
Pcrgamener  und  dann  in  Rom  Dionysios 
ood  Cäciliua  brachten  das  Stadium  der 
Redner  in  die  H5fae.  Erhalten  nnd  uns 
«laaer  den  Schriften  des  Dionysios  die  Bioi, 
Twr  ^4xn  ^fjTÖQwy  des  Ps.  Plutarch,  die 
auf  Dionysios  und  Caecilius  zurückgehen. 
Mit  diesen  stimmen  im  wesentlichen  die 
betreffenden  Abschnitte  des  Photios  Cod. 
259-268;  über  ihr  Verhältnis  A.  Schöne, 
Die  Biographien  der  zehn  att.  Redner,  in 
Jahrb.  f.  Phil.  1871  S.  761  ff.,  und  dagegen 
ZccKBB,  Qoae  ratio  inter  vitas  Lysiae  Dio- 
nyRiacam  PseudoplutarcheamPhotianaminter- 
cedat,  Erlangen  1877.  —  Neuere  Werke: 
BcHSKBV,  Hist.  critLca  oratorum  graecorum, 
in  d^  Ausg.  des  Rutilius  Lupus  1768  = 
OpQsc.  I  310  S.;  Westbrmank,  Gesch.  der 
Beredsamkeit    in    Griechenland    und    Rom, 


Leipzig  1883,  2  Bde;  Blass,  die  attische 
Beredsamkeit,  Leipzig  1868—80,  4  Bde,  in 
2.  Aufl.  der  1.  u.  2.  Bd.  1887 ;  Pbbrot,  L'ölo- 
quence  politique  et  judiciaire  ä  Äthanes, 
Par.  1873;  Gieard,  Etudes  sur  Föloquence 
atiique,  Par.  1874,  ed.  II  (unveränd.  Abdr.),  Par. 
1884 ;  Jebb,  The  Attic  orators  from  Antiphon 
to  Isaeos  London  1876,  2.  Aufl.  1880,  2  vol. ; 
VoLKMANN,  Die  Rhetorik  der  Griechen  und 
Römer,  2.  Aufl.,  Leipz.  1885.  —  Sammel- 
ausgaben: Oratorum  graeconim  quae  super- 
sunt  monumenta  ingenii  ed.  Rbiskb,  Lips. 
1770 — 5,  12  vol.;  Oratores  attici  ex  rec. 
Imm.  Bekkeri,  Berol.  1823—1824,  5  voL; 
Oratores  attici  rec.  J.  G.  Baiterüs  et  Hrrm. 
Sauppius  1838—50,  9  fasc.  mit  Fragmenten, 
Schollen  und  Onomastiken,  Hauptausgabe.  — 
Indices  graecitatis  oratorum  atticorum  auf 
Grund  von  Reiske's  Sonderindices  von  Mit- 
chell, Ox.  1828,  2  vol. 

*)  Eupolis   von  Perikles   in  den  Jrj/4oi 
fr.  94: 

Jlei^ü}  xig  inextt^^iCey  inl  roTg  /etAcaiy  • 
ovtaig  ixfjXei  xai  fjLoyog  Jtav  ^tjtdgwy 
TO  xeviQov  iyxat^Xine  roig  «xQotofAivoig^ 
danach  Cic.  Brut.  9,  38  u.  11,  44. 


366 


Grieohisohe  LüteraturgeBchidite.    I.  lUaMisohe  Periode. 


Diese  Kunst  ging  nach  dem  Zeugnis  des  Aristoteles,^)  der  zuerst  eine  Zu- 
sammenstellung der  rhetorischen  Theorien  unternahm,  von  Sikilien  und 
Syrakus  aus,  wo  nach  dem  Sturze  der  Tyrannenherrschaft  (465)  die  vielen 
Privatprozesse  der  gerichtlichen  Beredsamkeit  reiche  Nahrung  gaben.  Der 
erste  Lehrer  der  Beredsamkeit  war  Korax,  der  die  Rhetorik  als  eine 
väx^rj  nsid'ovg  SrjiniovQyog  fasste  und  vermittelst  der  Sätze  der  Wahrschein- 
lichkeit*) auf  die  Richter  zu  wirken  suchte.  Sein  nächster  Nachfolger  war 
Teisias  oder  Tisias,  der  die  Regeln  seines  Lehrers  zu  einer  i^t'xvrj  ^r/ro^xi; 
zusammenfasste  und  bereits,  wie  man  aus  Piatons  Phaidros  sieht,  direkten 
Einfiluss  auf  das  Studium  der  Rhetorik  in  Attika  ausübte.  Bekannt  und 
für  den  rabulistischen  Charakter  jener  Anfänge  der  Rhetorik  bezeichnend 
ist  die  Anekdote,  die  man  sich  von  dem  Verhältnis  dieses  Teisias  zu  seinem 
Lehrer  Korax  erzählte :  ^)  Teisias  machte  sich  verbindlich,  dem  Korax  ein 
ausbedungenes  Honorar  (fiixrd'og)  zu  bezahlen,  wenn  er  den  ersten  Prozess 
gewonnen  habe;  als  Teisias  die  Kunst  erlernt  hatte,  aber  mit  der  Über- 
nahme eines  Prozesses  zögerte,  kam  es  darüber  zum  Streit  zwischen  Lehrer 
und  Schüler:  Teisias  behauptete,  in  keinem  Falle  etwas  bezahlen  zu  müssen, 
weder  wenn  er  im  Streite  siege,  noch  wenn  er  unterliege ;  wenn  er  siege 
nicht,  eben  weil  er  Sieger  sei ;  wenn  er  unterliege,  ebensowenig,  weil  das 
Übereinkommen  ihn  verpflichte,  nur  dann  zu  zahlen,  wenn  er  gesiegt  habe. 
Die  Richter  aber  warfen  nach  kurzem  Besinnen  beide  aus  dem  Gerichts- 
saal hinaus,  indem  sie  riefen:  ix  xaxov  xoQaxoq  xaxov  ((wv, 

260.  Von  Sikilien  wurde  die  Rhetorik  nach  Athen  verpflanzt,  wo  sie 
bei  der  Prozesssucht  der  Bürger  und  der  sophistischen  Richtung  der  Zeit 
einen  besonders  günstigen  Boden  fand.  Vermittler  war  der  Rhetor  und 
Sophist  Gorgias  von  Leontini,*)  der  427  als  Abgesandter  seiner  Vaterstadt 
nach  Athen  kam  und  dort  so  sehr  sich  gefiel,  dass  er  in  Hellas  zu  bleiben 
sich  entschloss  und  in  Athen  und  anderen  Städten,  namentlich  Thessaliens 
teils  als  Redner,  teils  als  Lehrer  der  Beredsamkeit  auftrat.  Gleichzeitig 
mit  ihm  hielt  Thrasymachos  aus  Ghalkedon,  den  wir  aus  Piatons  Re- 
publik kennen,  und  den  schon  Aristophanes  in  den  Daitales  (im  Jahre  427) 
fr.  211  erwähnte,  Vorträge  über  gerichtliche  Beredsamkeit  in  Athen.  Wie 
gross  ihr  Einfluss,  namentlich  der  des  ersteren,  war,  erhellt  vorzüglich 
aus  Piaton,  der  seine  Polemik  gegen  das  Scheinwissen  der  Rhetoren  an 
die  Person  des  Gorgias  in  dem  nach  ihm  benannten  Dialoge  anknüpfte. 
Ausgebildet  hat  Gorgias  vornehmlich  die  Prunkrede  oder  das  yävog  im- 
SsixTixor.  Am  berühmtesten  waren  unter  seinen  Reden  der  Uv&txög  (sc. 
^^yog),  gehalten  in  Delphi  an  der  Stelle,  wo  er  nachher  in  Erz  aufgestellt 
wurde, ^)  der  'Okv^nixoq^  in  dem  der  später  zum  Überdruss  oft  wiederholte 
Gedanke,   die  Hellenen  sollten  ihre  inneren  Händel  lassen   und  ihre  ver- 


1)  Bei  Cicero,  Brut.  46. 

«)  Arist.  Rhet.  II  23  p.  1402  a,  17. 

')  Sext.  Emp.  adv.  math.  II  96  ohne 
Nennung  des  Tisias;  vollständiger  in  Walz, 
Rhet.  gr.  IV  13. 

*)  Philostr.  Vit.  soph.  I  9;  Foss,  De 
Gorgia  Leontino,  Halle  1828.  Gorgias  er- 
reichte nach  Apollodor  ein  Alter  von  105  oder 


109  Jahren;  sein  Lehen  setzt  demnach  Foss 
496-388,  Frei  488—375;  vergL  Blass  I*, 
47  f. ;  GoKPERZ,  Griech.  Denker  I  475.  Ueber 
die  späteren  Anhänger  des  Gorgias  siehe  den 
Brief  des  Philostratos,  epist.  72  an  die  Kai- 
serin Julia. 

*)  Phüostr.  a.  0.;  Ath.  505  d. 


8.  Die  Beredsamkeit,    a)  Anf&nge  der  Beredsamkeit.    (§§  260-261.)        367 


einten  Erftfte  gegen  die  Barbaren  wenden,  zum  erstenmal  glanzvoll  durch- 
geführt war,^)  der  Epitaphios  auf  die  gefallenen  Athener,  der  für  die 
später  80  häufigen  Grabreden  auf  die  Vaterlandsverteidiger  Vorbild  wurde. 
Leider  haben  wir  von  diesen  berühmten  Reden  des  Gorgias  nur  Inhalts- 
angaben (bei  Philostratos)  und  spärliche  Fragmente;  hingegen  sind  unter 
seinem  Namen  zwei  sophistische  Reden,  ^EXävrjg  iyxoyfnov  und  naXai^u;6tjc, 
auf  uns  gekommen,  über  deren  Echtheit  die  Meinungen  der  Kenner  geteilt 
sind.*)  In  seinen  Werken  »)  hat  Gorgias  vorzüglich  den  durch  den  Schmuck 
von  Figuren  und  Metaphern  gehobenen,  halbpoetischen  StiH)  ausgebildet; 
nnter  seinen  Figuren  werden  hauptsächlich  die  Antithesen,  die  Parisa  und 
Paromoia  von  Cicero  Or.  175  hervorgehoben;  für  die  Verbreitung  des 
attischen,  durch  lonismen  seiner  Heimat  (nQaaaeiv  statt  tvqottsiv^  ijv  statt 
fov)  gemilderten  Dialektes  hat  er,  der  von  allen  Griechen  gesuchte  Redner, 
vorzüglich  beigetragen.^) 

261.  Ihre  weitere  Entwicklung  nahm  die  Beredsamkeit  in  Athen^; 
hier  vereinigte  sich  alles,  um  die  neue  Kunst  zur  Blüte  zu  bringen.  Vor 
allem  war  es  die  Redefreiheit  (naggr^aia),  die  ein  Grundpfeiler  des  attischen 
Staatswesens  zugleich  und  ein  Lebenselement  der  Beredsamkeit  war.  Dazu 
kamen  die  Öffentlichkeit  der  Verhandlungen,  die  Macht  der  Volksversamm- 
lungen, die  Häufigkeit  der  Prozesse,  das  Wohlgefallen  an  schönen  Reden, 
das  bei  den  Schützlingen  der  Athene  nicht  minder  entwickelt  war  als 
anderwärts  das  für  Musik  Theater  und  Fechterspiele.  So  kamen  denn  in 
Athen  zwischen  der  Zeit  des  peloponnesischen  Krieges  und  der  Herrschaft 
Alexanders  alle  3  Gattungen  von  Reden  zur  Blüte,  die  Reden  vor  Gericht 
(jTHog  dixanxov),  die  bei  den  Beratungen  im  Senat  und  in  den  Volksver- 
sanunlungen  {yävog  avfißovlevnxov  oder  SrjfiriyoQixov),  endlich  die  in  den 
Festversammlungen  {yevog  snidsixrixov  oder  ytvoq  navrjvQixov),  Anfangs 
scheuten  sich  noch  die  grossen  Staatsmänner,  ihre  Reden  herauszugeben;«) 
bald  aber,  gegen  Ende  des  peloponnesischen  Krieges,  wurde  auch  diese 
Scheu  überwunden  und  betrachteten  die  Politiker  geradezu  die  Veröffent- 
lichung ihrer  Reden  als  ein  Hauptmittel  zur  Stärkung  ihres  poUtischen 
Einflusses.  Theorie  und  Praxis  ist  in  dieser  ganzen  Periode  insofern 
nebeneinander  hergegangen,  als  die  Lehrer  der  Beredsamkeit  zugleich 
Redner  waren,  nur  dass  bei  den  einen  die  Thätigkeit  des  Lehrens,  bei 
den  andern  der  Glanz  des  öffentlichen  Auftretens  in  den  Vordergrund  trat.  7) 


*)  Aach  in  Olympia  wurde  ihm  spftter 
eine  Statae  gesetzt,  wovon  die  Inschrift  jetzt 
gefunden  ist;  s.  Arch.  Zeit.  35,  43;  Eaibel 
epigr.  gr.  875  a.  lieber  eine  übersehene 
Stelle  des  Olympikos  siehe  J.  Bbbkats, 
Ges.  Abh.  I  121. 

*)  Namenilich  handelt  es  sich  dabei 
ibnim,  ob  derjenige,  gegen  den  Isokrates 
seine  Helena  schrieb,  Gorgias  oder  ein  an- 
derer war;  sind  die  Reden  nicht  von  Gor- 
gitt,  so  ahmen  sie  doch  glücklich  die  Eigen- 
t&mlichkeiten  seines  Stiles  nach.  Für  die 
EchÜieit  bringt  nene  Gründe  vor  Maass, 
Herrn.  22,  566—81. 

')  Nach  Dionjs.  de  Thnc.  23  hatte  man 


von  ihm  auch  Sfttze  einer  rhetorischen 
Techne. 

*)  Arist.  Rhet.  III  1:  noirjjixrj  n^toirj 
iyevBxo  Af^t?,  oloy  »}  Togylov. 

*)  WiLAMOwiTz,  Entstehung  der  griech. 
Schriftsprachen,  in  Verh.  der  Vers.  d.  Phil, 
in  Wiesbaden,  und  Phil.  ünt.  VII  312  f.; 
vgl.  Ed.  Zarnckb,  Die  Entstehung  der  gr. 
Literaturspr.  S.  18  f.  u.  49  f  ;  Norden,  Die 
antike  Kunstprosa,  Leipz.  1898,  speziell  über 
Gorgias  15  ff. 

•)  Plat.  Phaedr.  257  d. 

^)  Von  den  Rednern  Athens  gut  nament- 
lich der  sprichwörtliche  Ausdruck  Piatons, 
Legg.  1  p.  642,  dass,  wenn  die  Athener  wo 


368 


Orieohisohe    Litteratargesohiohte.    I.  Klassische  Periode. 


Von  den  Grammatikern,  und  zwar  wahrscheinlich  von  den  Pergamenem 
um  125  V.  Chr.  wurde  ein  Kanon  von  10  attischen  Rednern  aufgestellt;^) 
dieselben  sind:  Antiphon,  Andokides,  Lysias,  Isokrates,  Isaios,  Aischines, 
Demosthenes,  Hypereides,  Lykurgos,  Deinarchos.  In  ihre  Besprechung 
werden  wir  zugleich  die  anderen,  nicht  in  den  Kanon  aufgenommenen 
Redner  miteinflechten. 

b)  Antiphon  und  Andokides. 
262.   Antiphon,^)  des  Sophilos  Sohn  aus  dem  Demos  Rhamnus,  fand 
bei  den  politischen  Wirren  gegen  Ende  des  peloponnesischen  Krieges  den 
Tod.     Ein  eifriger  Anhänger  der  Oligarchen  und  Mitbegründer  des  Rates 
der  400  ward  er  nach    dem  Misslingen  der  Staatsumwälzung  von  seinen 
Gegnern   des    Landesverrates   angeklagt   und   zum   Tod   verurteilt   (411). 
Das  veranlasste  den  Thukydides,  den  Spätere  zu  einem  Schüler  des  Anti- 
phon machten,  das  Andenken  des  gesinnungstüchtigen  Mannes  durch  eine 
ehrende  Charakteristik  zu  feiern.  8)    Antiphon  war  als  Redner  in  der  Volks- 
versammlung nicht  aufgetreten,  auch  seine  Thätigkeit  als  Lehrer  der  Be- 
redsamkeit*) trat  bald  hinter  den  Erfolgen  jüngerer  Rhetoren,  wie  Lysias 
und  Thrasybulos,  zurück;    sein  eigentliches  Feld  fand  er  in  der  Gerichts- 
rede, indem  er  seine  Freunde,  wenn  sie  angeklagt  waren,  mit  seinem  Rate, 
wie  Thukydides  sagt,  unterstützte,  d.  i.  ihnen  Verteidigungsreden  schrieb. 
Es  war  nämlich  in  Athen  Gesetz,  dass  die  Streitenden  vor  Gericht  selbst 
ihre  Sachen  führen  mussten,  damit  die  Richter  nicht  durch  die  Kniffe  der 
Advokaten  überlistet  würden ;  aber  die  heilsame  Absicht  des  Gesetzgebers 
wurde  dadurch  vereitelt,  dass  Ankläger  und  Verteidiger  vor  der  Gerichts- 
verhandlung die  kundige  Hilfe   ihrer  Freunde  in  Anspruch  nahmen  und 
sich  von  denselben  geradezu  förmliche  Reden  ausarbeiten  liessen,   die  sie 
dann  selbst  vor  Gericht  auswendig  vortrugen.     Indes  war  Antiphon  auch 
in  eigener  Sache,  wenigstens  einmal,  nämlich  bei  jenem  Hochverratsprozesse 


tüchtig  sind,   sie  dieses  in  hervorragendem 
Masse  sind:   rd   t>7rd   noXXwy  Xeyofieyoy,   a>c 
oaoi    *J&i]yai<oy   etaly    ayaSoi,    ^latpeQÖyTtag 
ciai  xoiovxoi,  ^oxei  aXt^Seaiata  Xdyeadai, 
*)  Ueber  das  Verzeichnis  Meier,  Opusc. 

I  120  ff.  und    besonders  Stüdbmünd,   Herrn. 

II  434  ff.,  wo  die  abweichenden  Angaben 
über  die  Zahl  der  Reden  bei  Ps.  Plutarch- 
Photios  und  einem  anonymen,  in  mehreren 
Handschriften  erhaltenen  Verzeichnis  der  10 
Redner  und  ihrer  Werke  erörtert  sind.  Die 
erste  bestimmte  Kunde  von  dem  Kanon  haben 
wir  bei  Cäcilius  (in  der  Zeit  des  Augustus), 
der  eine  Schrift  negl  jov  j^aQaxrtjgo^  xtüy 
dexa  ^rjtoQwy  schrieb.  Dass  aber  derselbe 
von  den  Pergamenem  ausging,  beweist  in 
musterhafter  Diskussion  Bbzoska,  De  canone 
decem  oratonun  atticorum,  Bresl.  Diss.  1883. 
Dagegen  lassen  R.  Weise,  Quaestiones  Cae- 
cilianae,  Berl.  1888  und  P.  Habtmann,  De 
canone  decem  oratorum,  Gott.  1891  den  Ka- 
non erst  von  Oaecilius  ausgehen. 

*)  Ausser  Plutarch-Photios,  Philostr.  vit. 


soph.  I  15  und  Suidas  dient  als  Quelle  ein 
wesentlich  auf  Plutarch  zurückgehendes  riro^ 
*Jyxt<pwvxog  unserer  Handschriften.  Ruhr- 
KBN,  Disputatio  de  Antiphonte  oratore,  in 
Opusc.  I  142  - 182,  eine  scharfsinnige  und 
gelehrte  Untersuchung  des  IBj&hrigen  Ge- 
lehrten. —  Gleichzeitig  mit  dem  Redner 
Antiphon  lebte  der  Sophist  Antiphon,  über 
den  H.  Sauppe,  De  Antiphonte  sophista, 
Ausgew.  Schrift.  508  ff. 

»)  Thuc.VIII68:'^>'Ttya»V  ^1/  aytj^  Adti^ 
yalojy  rcay  xa^  iavroy  (fQBtß  re  ovd^yog 
vatcQog  xal  XQditaxog  iy^v/tiTj&^yai  yeyofiBroc 
xal  a  €€y  yyoirj  BinsTv,  xal  ig  fAiy  ^ijßioy  or 
TiaQicjy  ovcf'  ig  €^Xkoy  aytäya  ixov<n^og  ov- 
dfyn^  ttXX*  vnonxtag  xt^  nXijSsi  di4r  do^ay 
deiyoxtjxog  dtaxei^syog,  xovg  fiiyroi  oymyi- 
^ofÄcyovg  xal  iy  dixaffxtjQitp  xal  iy  dijfjttp 
TtXeuJxa  elg  dyiJQ  oöxig  ^v/4ßovXevaaix6  r* 
dvyafieyog  wffeXety. 

*)  Plat.  Menex.  236a.  Von  einer  dem 
Antiphon  untergeschobenen  ^tjxogixtj  xi^y^ 
Stellen  bei  Spbnoel,   Art  script  p.  115—8. 


8.  Die  Beredsamkeit,    b)  Antiphon  und  Andokidee.    (§  262.) 


369 


aufgetreten;  die  Alten  hatten  noch  die  betreffende  Rede  ntQi  [netaaTdaewg 
oder  über  die  Staatsveränderung.  ^) 

unter  dem  Namen  des  Antiphon  waren  60  Reden  in  Umlauf,  von 
denen  CScilius  25  für  unecht  erklärte.  Auf  uns  gekommen  sind  nur  15, 
und  zwar  sind  dieselben  alle  Reden  in  Kriminalprozessen  {dfxai  g^ovixm); 
man  bat  also  den  Antiphon  als  eine  Hauptautorität  im  Kriminalrecht,  wie 
später  den  Isaios  in  Erbschaftssachen,  angesehen.  Von  jenen  15  Reden 
sind  12  blosse  Skizzen  in  3  fingierten  Rechtsfallen  (unerwiesener  Mord 
yoi'o?  inaQMTjpLoq^  unfreiwilliger  Todschlag  qtovog  äxovaiog,  endlich  Körper- 
verletzung mit  nachgefolgtem  Tod),  so  angelegt,  dass  immer  je  4  (An- 
klage, Verteidigung,  Replik,  Gegenreplik)  zu  einer  Tetralogie  zusammen- 
gehören.*) Die  3  grösseren  Reden  sind:  xatr^yoQta  (fagfiaxeiag  xard  tf^g 
Hf^TQViag  (1),  nsQi  xou  '^HqwSov  (fovov  (5),  TttQi  tov  xoq^vtov  (6).  Die  vor- 
zOglichste  und  als  solche  schon  von  den  Alten  anerkannte  ist  zweifellos 
die  zweite,  mit  der  sich  ein  gewisser  Euxitheos  >)  gegen  die  Anschuldigung 
verteidigt,  den  auf  einer  Fahrt  von  Mytilene  nach  Ainos  spurlos  ver- 
schwundenen Kleruchen  Herodes  ermordet  zu  haben.^)  Interessant  ist  auch 
der  erste  Rechtsfall,  in  dem  ein  unehlicher  Sohn  gegen  seine  Stiefmutter 
wegen  eines  ihrem  Manne  gereichten  Liebestrankes  klagend  auftritt;  aber 
die  Stellung  der  Erzählung  {ity,yrflig)  mitten  zwischen  den  Beweisen  und 
der  Mangel  einer  eigentlichen  Peroratio  haben  Anstoss  erregt  und  Zweifel 
an  der  Echtheit  der  Rede  hervorgerufen.  0)  Auch  die  Rede  tisqI  tuv  ^o- 
QtviQv  gehört  zu  den  Kriminalreden,  da  darin  ein  Ghorege  gegen  den  Vor- 
wurf, an  dem  Tode  eines  Knaben  seines  Chors  schuld  zu  sein,  verteidigt 
wird.  Der  Stil  des  Antiphon  zeigt  noch  ganz  die  Strenge  und  schlichte 
Einfachheit  der  alten  Zeit;  nur  im  ebenmässigen  Satzbau,  der  seine  Reden 
denen  des  Thukydides  gegenüber  auszeichnet,  und  in  der  häufigen  Wieder- 
kehr von  Gemeinplätzen  und  Sentenzen  erkennt  man  den  Einfluss  der 
rhetorischen  Schule  des  Gorgias.  Eine  Eigentümlichkeit  seiner  Reden,  die 
Br.  Keil*)  gut  mit  dem  Gesetze  firj  orofiaazl  xwjLioySeTv  in  Verbindung  ge- 
bracht hat,  besteht  darin,  dass  die  Namen  der  in  dem  Prozesse  irgendwie 
kompromittierten  Personen  in  der  Regel  nicht  angegeben  werden. 

Der  Text  des  Antiphon  und  der  kleinen  attischen  Redner  überhaupt  beruht  auf  Cod. 
(^ppeisnuB  des  britischen  Museums  (A)  s.  XIII  und  Oxoniensis  (N)  s.  XI V,  die  zwei  selbst- 
Btiadige  Abieiter  eines  nicht  mehr  erhaltenen  Archetypus  sind.  —  Ausg.  mit  Eonunentar 
foa  MiTZVBB,  Berol.  1838;  von  Jbrnstedt,  Petersb.  1880;  von  Blass  in  Bibl.  Teubn.  — 
IftiATius,  De  Antiphontis  Rhamn.  elocutione,  Berlin  1882;   Gucubl,  Essai  sur  la  langue  et 


')  Arist  Eth.  Eud.  III  5  p.  1232  b  6. 

*)  Die  Tetralogien  haben  als  Skizzen 
auch  ihre  Eigent^nlichkeiien  im  sprach- 
lichen Aasdmck,  namentlich  wie  L.  Spbnoel 
Bk  IL  17,  167  hervorhob,  häufiges  rc  .  . .  re. 
Davon  ist  man  bis  zur  Verwerfung  ihrer 
Echtheit  gegangen;  anstössig  ist  der  öfter 
▼orkommende  Aorist  aneXoyijSijy.  Yergl. 
BaficKNKB,  De  tetralogüs  Antiphonti  Rham- 
wao  adscriptis.  Bautzen  1887.  Ditten- 
BBBOKE  Herm.  31.  32. 

')  Euxitheos  genannt  von  Sopatres  bei 
Walz,  Rhet.  g.  IV  316,  wie  Mbuss,  De 
inaymy^i  ratione  apud  Atiienienses,  Breslau 


1884  p.  27  und  Boblmann,  Antiphontis  de 
caede  Herodis  oratio  (1886)  nach  einer  An- 
deutung im  Antiphonkommentar  von  Mätz- 
NEB  p.  205  ermittelten. 

*)  Gehalten  ist  dieselbe  geraume  Zeit 
nach  der  Einnahme  von  Mytilene  (427),  als 
die  Seemacht  der  Athener  noch  nicht  er- 
schüttert war,  um  417;  s.  Blass  I-  178. 

^)  Gegen  die  Ausstellungen  von  Mfttzner 
und  Blass  wird  die  Rede  in  Schutz  genom- 
men von  WiLAMowiTz  Herm.  22,  194  ff.  und 
Bb.  Keil  Jahrb.  f.  Phü.  135  (1887)  S.  89  ff. 

•)  Jahrb.  f.  Phil.  135  (1887)  S.  101. 


Dandlni^  der  Um«.  AltertnmswIneQachaft.  VII.    8.  Aufl, 


24 


370  Grieohisohe  Lüterfttnrgesohiohte.    I.  ElaMisohe  Periode. 

le  Btvle  d'Antiplion,   Paris  1885.    Neuere  litterafcur  besprochen  yon  HGttnbb  Jahresb.  d. 
Alt.  XIV  1,  H-23. 

263.   Andokides,^)  Sohn  des  Leogoras  aus  Kydathen,  Sprosse  eines 
alten,    mit   dem  Amte   eines   heiligen   Heroldes   {xiJQv^)  bekleideten  (Ge- 
schlechtes,^) ist  der  geringste  der  in  den  Kanon  aufgenommenen  Redner, 
da  er  weder  als  Lehrer  der  Beredsamkeit  auftrat,  noch  als  Logograph  eine 
ausgedehnte  Sachwalterpraxis  entfaltete,  sondern  nur  einige  wenige,   in 
eigener  Sache   gehaltene  Keden  hinterliess.     Geboren  war  derselbe   nicht 
viel  vor  440;^)   sein  unstetes  Leben  datierte  von  der  Zeit  des  Hermoko- 
pidenprozesses  (415),  wo  er  in  der  Hoffnung  auf  eigene  Straflosigkeit  sich 
zur  Denunziation  seiner  Genossen  herbeiliess,  hintendrein  aber   doch  von 
Markt  und  Opfer  ausgeschlossen  ward.^)    Er  verliess  daher  seine  Vater- 
stadt und  kehrte  erst  402  unter  dem  Schutze  der  allgemeinen  Amnestie 
unbehelligt  nach  Athen  zurück,  nachdem  er  inzwischen  zweimal  (411  und 
407)  fruchtlos  die  Aufhebung  der  gegen  ihn  verfügten  Acht  zu  erwirken 
versucht  hatte.     Aber  auch  jetzt  noch  wurden  ihm  Chikanen  bereitet,  in- 
dem ihn  im  Jahre  399   der  Demagoge  Kephisios  wegen  unbefugter  Teil- 
nahme an  den  Mysterien  auf  die  Anklagebank  brachte.    Aber  diesesmal 
sprach  ihn  der  aus  Mysten  zusammengesetzte  Gerichtshof  frei,  und  wurde 
er  sogar  bald  nachher  im  korinthischen  Krieg  mit  der  Mission  betraut, 
den  Frieden  mit  Sparta  zu  unterhandeln.    Aber  die  Unterhandlungen  ver- 
liefen resultatlos, ^)  so  dass   er  selbst  infolgedessen  von  neuem  ins  £xil 
wandern  musste.     Während  seiner  wiederholten  Abwesenheit  von  Athen 
war  es   ihm  indes  gelungen,   durch  gute  Handelsgeschäfte  grosse  Reich- 
tümer zu  erwerben,  so  dass  er  durch  glänzende  Ausstattung  eines  kyk- 
lischen  Chores  die  Augen  auf  sich  zu  ziehen  vermochte.^) 

Unter  dem  Namen  des  Andokides  sind  4  Reden  auf  uns  gekommen, 
und  schon  die  Alten  scheinen  nicht  viel  mehr  gehabt  zu  haben.  Von  diesen 
4  Reden,  negl  t£v  fAvavrjQfwv  (gehalten  399),  negi  vrjg  iavTov  xa&cSov  (ge- 
halten 407),  negl  xf^g  ngog  AaxsSaifjioviovg  eiQr'jvrjg  (gehalten  391),  xard 
UXxißidSoVj  sind  nur  die  zwei  ersten  unzweifelhaft  echt.  Die  Veran- 
lassungen, bei  denen  sie  gehalten  wurden,  sind  bereits  im  Lebensabriss 
des  Redners  erwähnt ;  sie  sind  für  Kenntnis  des  Mysterienwesens  und  der 
Parteiverhältnisse  in  der  letzten  Zeit  des  peloponnesischen  Krieges  äusserst 
wichtig;  der  ersteren  sind  auch  die  einschlägigen  Urkunden  beigegeben. 7) 
Das  Interesse  an  dem  Rechtsfall,  welches  der  1.  Rede   zu  gründe    liegt, 

*)  Aus   dem  Altertom  nur  ein  Kapitel  j  51   identisch  sei:   s.  Meieb,  Opusc.  1  96  ff 
in  Ps.  Plutarch,  vit.  X  orat.  und  Artikel  des  |  ^)  Thuc.  VI  60;   Andoc.  1  25  ff.;    LvbI 

Suidas.     Von   Neueren   Vatbb,  Rerum  An-  '  adv.  Andoc.  21  ff. 

docidearum  capita  IV,  Berol.  1840— 5;  M.  H.   ;  »)  Philochoros  im   Argumentum    der  3. 

E.  Mbier,  De  Andocidis  quae  vulgo  fertur  Rede. 


oratione  contra  Alcibiadem  dissert.  VI,  Halle 
1837—42.  Opusc.  I  94  ff.;  Lipsids  in  der 
Ausgabe  des  Redners. 

*)  Darüber  Töppfbb,  Attische  Genealogie 


•)  Ps.  Plutarch  p.  835  b  stQtxt  aich  bei 
dieser  Angabe  auf  die  Inschrift  eines  Drei- 
fusses;  bezeugt  ist  die  Liturgie  durch  die 
Inschrift  in  CIA  II  553. 


83  ff.  7)  Die  Echtheit  derselben  verteidig  von 

>)  Lysias  adv.  Andoc.  46;  Ps.  Plutarch  Joh.  Drotsjbn,    De  Demophanti    Palrodidis 

p.  835  a  lässt  ihn   viel  älter  sein,   von  der  i  Tisamenis  populiscitis  quae  inserta  sunt  An- 

falschen  Voraussetzung  ausgehend,  dass  er  |  docidis  orationi  ne^i  fjiwntjifit^y,  Dias.  BerL 

mit  dem   Strategen  Andokides  bei  Thuc.  I   j  1873. 


8.  Die  Beredsamkeit,    c)  Lysiaa  nnd  iBaios. 


1  263—264.) 


371 


wird  noch  dadurch  erhöht,  dass  uns  auch  die  Anklagerede  gegen  Ando- 
kidee  unter  den  Reden  des  Lysias  erhalten  ist.  Die  4.  Rede  ist  ein 
sophistisches  Machwerk  und  dem  Andokides  fälschlich  untergeschoben. i) 
Ihr  liegt  die  Voraussetzung  zu  grund,  dass  die  Strafe  des  Ostrakismus 
einen  von  den  dreien,  Nikias,  Alkibiades  oder  den  Sprecher  (Phaiax) 
treffen  sollte,  und  dass  nun  der  Sprecher  die  drohende  Verbannung  von 
sich  auf  den  Alkibiades  abzuwälzen  suchte.  Auch  die  dritte  Rede  erregt 
Anstoss,»)  namentlich  wegen  der  argen  historischen  Verstösse,  an  denen 
die  Darstellung  der  früheren  Friedensschlüsse  (§  3—9)  leidet.  Aber  ge- 
rade diese  Paragraphen  sind  wörtlich  von  Aischines  in  seine  Gesandt- 
schaflsrede  {§  172 — 5)  herübergenommen,  und  ihre  historischen  Irrtümer 
mfissten  bei  einem  späteren  Fälscher  noch  mehr  als  bei  einem  ungelehrten 
Praktiker  des  5.  Jahrhunderts  befremden.  Einen  entwickelten  Kunst- 
charakter zeigen  die  Reden  des  Andokides  nicht;  sie  entbehren  besonders 
der  Kunst  berechneter  Ökonomie  sowie  des  Figurenschmuckes  und  leiden 
an  ermüdender  Weitschweifigkeit;  am  meisten  Lob  verdient  die  Frische 
nnd  Anschaulichkeit  der  Erzählung. 

Die  Textesaberliefemng  ist  die  gleiche  wie  bei  Antiphon.  —  Sonderansgaben  von 
C.  ScHiLLKR,  Lips.  1835;  von  J.  H.  Lipsius  Lips.  1888.  Textaasgabe  der  Bibl.  Teubn.  von 
Blase.  —  Nabeb,  Mnem.  IIl  66  ff.  will  sftmtlicne  Reden  des  Andokides  der  Schale  des  Iso- 
kntes  zaweisen. 

c)  Lysias  und  Isaios. 

264.  Lysias  und  Isaios  stelle  ich  in  diesem  Abschnitt  als  die  Haupt- 
vertreter der  gerichtlichen  Redeschreibekunst  zusammen.  Beide  waren 
Fremde  und  konnten  schon  so  nicht  als  Staatsredner  eine  Rolle  in  Athen 
spielen  oder  auch  nur  vor  Gericht  in  eigener  Sache  eine  bedeutende  Thä- 
tigkeit  entfalten.  Aber  beide  waren  die  berühmtesten  Sachwalter  ihrer 
Zeit  und  beide  haben,  wenn  sie  auch  nicht  in  Athen  geboren  waren,  den 
Ton  der  attischen  Rede  in  mustergültiger  Weise  getroffen. 

Lysias')  war  der  Sohn  des  Kephalos,  den  Perikles  bewogen  hatte, 
von  Syrakus  nach  Athen  überzusiedeln,  wo  er  als  Metöke  wohnte  und 
mehrere  Häuser  und  eine  bedeutende  Schildfabrik  besass.  In  dem  Hause, 
das  er  im  Piräus  hatte,  spielt  die  Republik  Piatons,  welchem  Gespräch 
Piaton  auch  den  Lysias,  aber  als  stumme  Person  beiwohnen  lässt,  sei  es 
dass  er  ihn  damit  als  einen  noch  ganz  jungen  Menschen,  oder  als  einen 
unphilosophischen,  der  aktiven  Beteiligung  an  einem  philosophischen  Ge- 
sprach unfähigen  Kopf  hinstellen  wollte.  Das  Geburtsjahr  unseres  Lysias 
liest  sich  nicht  mit  Bestimmtheit  angeben.  Die  Alten  lassen  ihn  459/8 
unter  dem  Archen  Philokles  geboren   sein;   aber  diese  scheinbar   so  be- 


')  Die  ünechtiieit  ward  zaerst  erkannt 
Ttti  Taylor,  Lectiones  Lysiacae  c.  6;  gegen- 
ftber  inzwiachen  erhobenen  Zweifeln  ist  die- 
lelbe  streng  bewiesen  von  Meier,  Oposc.  I 
74  ff.  Andokides  war  damals  (418)  als  Po- 
litiker noch  unbekannt;  derselbe  schrieb 
ftberhaiipt  nicht  Reden  für  andere.  Nach 
Ath.  408  c  wurde  die  Rede  von  andern  dem 
Lysias  zogeschrieben. 

*)  Gegen  die  Echtheit  erklärte  sich  schon 


I  Dionysios  in  der  Hypothesis  der  Rede;  für 
die  Echtheit  tritt  mit  überzeugenden  Gründen 
ein  BLASS,  Att.  Ber.  I «  329  ff. 

')  Aus  dem  Altertum  haben  wir  neben 
den  allgemeinen  Quellen  die  spezielle  Ab- 
handlung des  Dionysios  Halic.  über  Lysias. 
Aus  neuerer  Zeit  Taylor  in  Reiske's  Orat. 
gr.  VI  100  ff.;  BLASS,  Att.  Ber.  I^  339  ff.; 
Pretsch,  De  vitae  Lysiae  temporibus  defi- 
niendis,  Halle  Dias.  1881. 

24» 


372  Qrieehiflohe  LitteraturgMohichte.    I.  KlasBisohe  Periode. 

stimmte  Angabe  beruht  nur  auf  unsicherer  Schlussfolge.  Dionysios  wusste 
nämlich,  wahrscheinlich  aus  einer  Rede  des  Lysias  selbst,  dass  er  15  Jahre 
alt  mit  einem  seiner  Brüder  nach  Thurii  ausgewandert  war ;  indem  er  nun 
voraussetzte,  dass  diese  Auswanderung  gleich  bei  Oründung  der  Kolonie 
stattgefunden  habe,  kam  er  auf  444  -{--  15  =  459.  Aber  diese  Voraussetzung 
steht  nicht  auf  festen  Füssen,  da  Lysias  auch  später  erst  nach  Thurii  ge- 
gangen sein  konnte.  Sicher  aber  falsch  ist  die  weitere  Angabe  des  Ps. 
Plutarch,  dass  Lysias  erst  nach  dem  Tode  seines  Vaters  Kephalos  Athen 
verlassen  habe;  denn  dieser  war  noch  zur  Zeit  der  platonischen  Republik 
am  Leben. ^)  Auf  der  anderen  Seite  ersehen  wir  aus  Piatons  Phaidros 
p.  278  e,  dass  Lysias  erheblich  älter  als  Isokrates  war,  dass  also  sein  Ge- 
burtsjahr geraume  Zeit  vor  436,  in  welchem  Jahre  Isokrates  geboren 
wurde,  anzusetzen  ist.  Nehmen  wir  hinzu,  dass  Kephalos  nach  dem  Zeug- 
nis des  Lysias  selbst  (or.  in  Erat.  4)  30  Jahre  in  Athen  lebte,  2)  so  kommen 
wir  zu  dem  wahrscheinlichen  Schluss,  dass  Lysias  um  450,  und  zwar  in 
Syrakus  geboren  ward,')  um  440  mit  seinem  Vater  nach  Athen  über- 
siedelte, später  aber,  um  435,  mit  einem  seiner  Brüder  wieder  nach  Westen, 
und  zwar  nach  Thurii,  der  von  Perikles  gegründeten  und  begünstigten 
Kolonie,  zurückkehrte.  Einen  Teil  seiner  Jugend  verlebte  er  demnach  in 
Unteritalien,  wo  er  den  Unterricht  des  Teisias  in  der  Rhetorik  genoss.*^) 
Als  aber  nach  dem  unglücklichen  Ausgang  des  sikilischen  Feldzugs  die 
antiathenische  Partei  in  Thurii  die  Oberhand  erhielt,  kehrte  er  wieder 
nach  Athen  zurück  (412).^)  Hier  sehen  wir  ihn  erst  in  der  nächsten  Zeit 
nach  dem  peloponnesischen  Krieg  eine  Rolle  spielen.  Das  grosse  Vor-* 
mögen  seines  Hauses  hatte  die  Hab-  und  Blutgier  der  30  Tyrannen  ge- 
reizt; so  ward,  wie  er  anschaulich  und  ergreifend  in  der  Rede  gegen 
Eratosthenes  erzählt,  sein  Bruder  Polemarchos  von  den  Schergen  der  Ge- 
walthaber ermordet,  und  entkam  er  selbst  nur  mit  knapper  Not  und  mit 
dem  Verluste  des  grössten  Teiles  seines  Vermögens  nach  Megara.  Von 
hier  setzte  er  sich  mit  Thrasybul  in  Verbindung  und  wirkte  für  die  Rück- 
kehr des  Demos.  Zur  dankbaren  Anerkennung  seiner  Verdienste  bean- 
tragte Thrasybul  die  Aufnahme  des  Metöken  unter  die  athenischen  Bürger; 
aber  das  Dekret  ward  von  Archinos,  einem  Rivalen  des  Thrasybul,  als 
gesetzwidrig  angefochten  und  annulliert. 

Lysias  musste  also  auf  die  Ehre,  dem  athenischen  Gemeinwesen  als 
Bürger  anzugehören  verzichten,  und  sich  mit  der  bevorzugten  Stellung  eines 
gleichsteuernden  {taotekrc)  Metöken  begnügen.^)     Diese  erlaubte  ihm  bald 


M  Dieses  Gespräch  f&llt  wahrscheinlich  i  mir  das  Urteil  des  Timaeos,  des  guten  Ken- 
410,  worüber  indes  gerade  infolge  der  An-  ners  der  sikilischen  Yerhältnisse,  von  dem 
gaben   über    Lysias   die    Meinungen    geteilt   ]   Cicero  an  derselben  Stelle  berichtet:   ^uam- 


sind ;   siehe  g  307   und  Blass,  Att.  Ber.  I  "^ 
339  ff. 

^)  Pbetsch  a.  0.  ist  so  kühn,  die  Schwie- 
rigkeiten der  Chronologie  durch  Aenderung 


quam  Titnaeus  eum  quMt  lAeinia  et  Mueia 
lege  repetit  Syrctcusaa. 

*)  Ps.    Plutarch   p.    835  d:    xaxu   (sciL 


von  iQuixoyra  in  Tteyrtjxoyra  heben  zu  wollen.  ■  Ti^itf  xal  Ntxiif  lot^  IvQaxoturloi^  xiijoätAe»^^ 

•)  Kein    Gewicht   lege    ich   auf  Cicero,  i'  oixiay  xai  xXijgov  Aor/oiV  iTtohrcvcaio  ft»^ 

Brut.    16,    63:    est    enim   AtticuSf    quoniam  1  KXeoxgixov  (413/2). 

certe  Alhenis  est  et  natus   et   mot^uus  et  '  ')  Ps.  Plutarch  a.  0.  nach  Dionysios. 

functiis  omni  civium  munere.    Mehr  wiegt  |  *)  Darüber  weiteres  ans  einer  verloren 


3.  Die  Beredsamkeit,    o)  Lysias  and  Isaios.    (§  264.) 


373 


nach  seiner  Rückkehr  (403)  gegen  Eratosthenes,  den  Mörder  seines  Bru- 
ders, vor  Gericht  als  Ankläger  aufzutreten.  Die  Rede  ist  uns  noch  er- 
halten, sie  ist  die  einzige,  die  nach  einer  alten  Beischrift  Lysias  selbst  vor 
Gericht  gesprochen  hat,  und  sie  verdient  wie  keine  andere  gelesen  und 
studiert  zu  werden.  Aber  schon  zuvor  hatte  er  der  Beredsamkeit  in  an- 
derer Weise  seine  Dienste  gewidmet.  In  Piatons  Phaidros,  dessen  Scenerie 
um  404  zu  setzen  ist,  begegnet  uns  Lysias  als  angesehener  Lehrer  der 
Beredsamkeit.  Die  Rede  über  die  Liebe  (Xoyog  SgwTixog),  die  er  als  Muster 
seinen  Schülern  zum  Auswendiglernen  diktiert  hatte,  behandelt  freilich  ein 
so  schlöpfriges  Thema  und  entbehrt  so  jeder  Wärme, ^)  dass  man  begreift, 
wie  Lysias  mit  sophistischen  Machwerken  der  Art  die  Konkurrenz  des 
Theodoros  und  Isokrates  nicht  zu  bestehen  vermochte.  Er  wandte  sich 
also  einer  anderen  Seite  rhetorischer  Thätigkeit  zu;*)  das  war  die  eines 
Logographen,  der  anderen  Reden  schrieb,  die  diese  dann  selbst  vor  Gericht 
vortragen.')  Hier  kam  es  darauf  an,  den  Klienten,  schlichten  einfachen 
Bfirgem,  die  durch  rabulistische  Sykophanten  vor  Gericht  gezogen  waren 
oder  ihr  Eigentum  und  ihr  Hausrecht  gegen  böswillige  Angriffe  zu  schützen 
hatten,  solche  Reden  in  den  Mund  zu  legen,  wie  sie  sich  für  einfache 
Leute,  die  von  ihrem  Recht  ergriffen  waren,  geziemten;  es  galt  ohne  ge- 
suchtes Pathos,  ohne  spinöse  Rechtsdeduktionen,  ohne  Weitschweifigkeit, 
klar  und  einfach  den  Thatbestand  darzulegen  und  den  Mann  aus  dem  Volke 
die  Sprache  der  sicheren  Überzeugung  und  des  gekränkten  Rechtsgefühles 
sprechen  zu  lassen.  Lysias  brachte  dieses  fertig  in  unerreichter  Meister- 
schaft mit  den  Mitteln  einfacher  Beweisführung  und  anschaulicher  Erzäh- 
lung. Das  Schlichte  (rd  d^sXe'g),  das  Einfache  (rd  xad^agov),  das  Klare 
(ivoQYiM  ij  (fa<fr]V€ia)  waren  es,  worin  schon  die  Alten  die  Charakterzüge 
der  lydanischen  Rede  fanden.^)  Er  bedurfte,  um  zu  wirken  und  die  Richter 
zu  einem  günstigen  Entscheid  zu  bewegen,  keiner  langen  Reden,  die  sich 
auch  schlecht  in  dem  Munde  einfacher  Bürger  ausgenommen  hätten  und 
schon  durch  die  Wasseruhr  (xXsipvdQo)  ausgeschlossen  waren:  eine  kurze 
bündige  Darlegung  des  Thatbestandes  und  der  Rechtsgründe  genügte,  so 
dass  die  Reden  des  Lysias  in  der  Regel  nicht  mehr  als  ^/s  bis  1  Stunde 
zum  Vortrag  bedurften.  Eine  besondere  Kunst  aber,  ohne  als  Kunst  zu 
erscheinen,  entwickelte  derselbe  in  der  Erzählung.    Man  kann  kaum  etwas 


^Bgangenen  Bede  des  Lysias  itBQi  rwy  iSltov 
t9tgy$cuiy  bei  Pb.  Plutarch.  üeber  die  Pri- 
▼•treriiiLltnisse  des  Lysias,  namentlich  seinen 
Umgang  mit  der  Hetftre  Metaneira  erfahren 
vir  olheres  ans  der  pe.  demosthenischen 
Bede  gegen  Neftra  21  f. 

')  Ueber  den  Streit,  ob  der  Xoyos  igtoTi- 
»V  TOD  Lysias  selbst  herrOhre  oder  boshafter 
Weise  Ton  Piaton  dem  Ljsiaa  mitergeschoben 
Mi,  8.  BLASS,  Att  Ber.I  *  424  ff.  L.  Schmidt, 
^eber  die  lysianiflche  Rede  im  plat.  Phae- 
im»,  Vhdi.  d.  18.  Vers.  d.  Phil.  S.  98-100 
crreist  den  Erotikos  als  ein  wirkliches  Er- 
iBQgnis  des  Lysias  ans  einer  früheren  Lebens- 
epodie. 

*)  Cieero  Brat  12,  48  nach  Aristoteles: 


Lysiam  primo  profiteri  aoiitum  artem  di- 
cendif  deinde  quod  Theodorus  esset  in  arte 
subtilior,  in  orcUionibus  ieiunior,  oratumes 
eum  acribere  aliia  coepisse,  artem  renumsse, 

>)  Die  Privatreden,  die  ans  erhalten 
sind,  fallen  nach  404;  nur  die  fOr  Polystratos 
(20)  ist  zwischen  411  u.  407  gehalten;  aber 
dieser  Umstand  erhobt  nnr  noch  das  Gewicht 
der  Verdachtgrttnde  gegen  die  Echiheit  dieser 
Rede. 

*)  Aristoteles  scheint  diese  Vorzflge  we- 
nig gewürdigt  zn  haben;  er  berücksichtigt 
den  Lysias  fast  gar  nicht  in  seiner  Rhetorik ; 
hingegen  sagt  Dionysios  Lys.  2  von  ihm: 
xtt^aQOi  ian  rtjy  iQ/jiijyelay  nayv  xal  rijf 
'Jmjnjg  yXtSrTtjg  ägunog  xaytoy. 


374 


OrieohiBohe  LiUeratnrgeBohichte.    L  KlasBisohe  Periode. 


Hübscheres,  Anschaulicheres  lesen,  als  die  Erzählung  von  den  schurken- 
haften  Gewaltthaten  des  Eratosthenes  und  seiner  Spiessgesellen  in  dem 
Xoyog  xat'  ^Eqatoij^hvovq^  oder  von  der  raffinierten  Überlistung  des  Ehe- 
mannes und  seiner  gerechten  Notwehr  in  der  änoXoyia  ne^l  xov  ^Egccto- 
(X^tTovg  ^ovov.  Die  Sachlichkeit  der  lysianischen  Rede  zeigt  sich  auch  in 
dem  Mangel  wiederkehrender  Gemeinplätze ;  schon  Dionysios  in  seinem  Auf- 
satz über  unseren  Redner  c.  17  macht  die,  wenn  auch  nicht  ganz  richtige 
Bemerkung,  dass,  wiewohl  Lysias  so  viele  Reden  geschrieben  habe,  doch 
alle  Proömien  ihr  Eigentümliches  haben,  i)  Treffend  aber  bemerkt  Favo- 
rinus  bei  Gellius  II  5  über  das  Verhältnis  der  Redeweise  des  Piaton  zu 
der  des  Lysias:  si  ex  Piatonis  oratione  verbum  cUiquod  demas  mutewe  atque 
id  commodatissime  facicts,  de  degantia  tarnen  detraxeris,  si  ex  Lysia,  de  sen- 
tentia.  Kein  Wunder  also,  dass  Lysias  mit  diesen  Vorzügen  auch  glän- 
zende Erfolge  bei  den  Richtern  erzielte,  dass  er  ein  vielgesuchter  Rechts- 
anwalt wurde  und  mit  seiner  Redeschreiberei  sich  wiederum  ein  anständiges 
Vermögen  erwarb.  So  begegnen  uns  denn  in  den  nächsten  zwei  Dezennien 
nach  404  zahlreiche,  in  einzelnen  Jahren  sich  häufende  Reden;  die  letzte 
chronologisch  fixierbare  Rede,  die  für  Pherenikos,  fällt  um  380,  und  viel 
länger  wird  er  wohl  auch  nicht  gelebt  haben.*) 

266.  In  Umlauf  waren  im  Altertum  von  Lysias  425  Reden;  von 
diesen  haben  die  alten  Kritiker  233  als  echt  anerkannt.  3)  Auf  uns  ge- 
kommen sind  34  Reden  und  diese  nicht  alle  vollständig  und  nicht  alle  von 
unzweifelhafter  Echtheit,*)  überdies  einige  Briefe  in  gefälligem  Ton,  aber 
von  unbedeutendem  Inhalt.  Die  Reden  gehören  zum  grössten  Teil  der 
Klasse  der  Gerichtsreden  an;  doch  fehlen  auch  nicht  ganz  die  loyoi  avii- 
ßovXevxixoi  und  smisixTixoi.  Eine  Demegorie,  wenn  auch  vielleicht  keine 
wirklich  gehaltene,  war  die  Rede  neQi  tov  firj  xaxakiaai  %f;v  natQ&ov 
noXiTsiav  Ud^Tjvrjm,  von  der  uns  Dionysios  ein  Bruchstück  erhalten  hat;  sie 
ist  in  die  Zeit  unmittelbar  nach  Vertreibung  der  Dreissig  (403)  gesetzt 
und  tritt  mit  Nachdruck  für  die  Wiederherstellung  der  vollen  unbeschränkten 


0  Das  Lob  rnoss  eingeschrftnkt  werden, 
wie  Mbibb,  OpuBC.  315  nachweist,  da  er  z. 
B.  or.  19  das  Prodmitun  aus  Andokides  1 
entlehnt  hat.  —  Aach  der  politische  Stand- 
punkt ist  nicht  immer  der  gleiche,  indem 
Ljsias  auch  hier  sich  dem  Charakter  und 
den  Anschauungen  seiner  Klienten  anbe- 
quemte, wie  besonders  die  Vergleichung  der 
21.  und  25.  Rede  lehrt. 

*)  In  noch  spätere  Zeit  fallen  zwei  dem 
Lysias  zugeschriebene  Reden  fOr  Iphikrates, 
deren  eine  dem  Jahre  371,  die  andere  dem 
Jahr  354  angehört;  aber  Dionysios  verwarf 
beide;  s.  Blass,  Att.  Ber.  I*  344.  Die  An- 
gaben über  das  Lebensalter  des  Lysias  dif- 
ferieren zwischen  76,  80,  83  JiJiren. 

>)  Die  Zahl  von  233  echten  Reden  wird 
bei  Plutarch  auf  Dionysios  und  Cäcilius  zu- 
rückgefOhrt;  ausserdem  soll  nach  Photios 
p.  489a  35  ed.  Bekk.  und  Suidas  sich  Paulus 
von  Germe  aus  Mysien  mit  der  Kritik  der 


Echtheit  beschäftigt  haben. 

^)  Die  11.  Rede  ist  eine  blosse  Epitome 
der  10.,  die  15.  der  14.;  die  20.  pro  Poly- 
Strato  entbehrt  des  ProOmiums,  ist  auch 
stark  verderbt  und  lässt  das  Sachverhfiltnis 
nicht  klar  erkennen;  s.  Pohl,  De  or.  pro 
Polystrato  Lvsiaca,   Argent.  1881,  u.  Blass 

I  *  508  ff.;  WiLAMOwiTZ,  Aristoi  und  Athen 

II  357  ff.;  NowAOK,  Leipz.  Stud.  72,  1—106 
über  die  14.  und  15.  Rede.  Die  Echiheit  der 
6.  Rede  gegen  Andokides  ebenso  wie  die  der 
9.  vn^Q  tov  arparioirov  war  schon  dem  Har- 
pokraÖon  zweifelhaft;  fOr  die  Echtheit  der 
9.  Rede  tritt  Hans  Kbllbr  Progr.  Nürnberg 
1896  ein,  doch  ist  die  Rede  jedenfalls  un- 
bedeutend und  entbehrt  der  Ivsianischen 
EQarheit  in  sachlidher  und  sprachlicher  Be- 
Ziehung.  Die  8.  Bede  erregt  wegen  der 
Sorgfalt  in  Vermeidung  des  Hiatna  Verdacht; 
s.  Blass  I  658  und  ROhl,  Ztschr.  f.  Gymn.» 
Jahrber.  1881  S.  191  ff. 


8.  Die  BeredMinkeit    o)  LysiM  nnd  ImIob.    (§  265.) 


375 


Demokratie  ein.  —  Von  den  epideiktischen  Reden  bezieht  sich  der  Epi- 
taphios  auf  die  Vaterlandsverteidiger  im  korinthischen  Krieg;  die  Rede 
greift  aber  in  übermässiger  Breite  auf  die  früheren  Zeiten  bis  auf  die 
Amazonenkämpfe  zurück  und  spricht  von  dem  korinthischen  Krieg  in  so 
allgemeinen  Wendungen,  dass  man  nicht  einmal  weiss,  auf  welches  Jahr 
man  dieselbe  ansetzen  soll.  Demnach  haben  wir  in  derselben  keine  wirk- 
lich gehaltene  Rede,  sondern  eine  sophistische  Schulübung  zu  erblicken, 
die  schwerlich  mit  Recht  dem  Lysias  zugeschrieben  wurde.  ^)  —  Zur  Klasse 
der  epideiktischen  Reden  gehört  auch  der  '0Xv/utmax6g,  gehalten  388,  von 
dem  uns  ein  Fragment  mit  den  bei  solchen  Festreden  üblichen  Phrasen 
vom  einträchtigen  Zusammengehen  der  Griechen  gegen  ihre  Zwingherm 
erhalten  ist  Die  Spitze  der  Rede  war  aber  nicht  gegen  den  Perserkönig, 
sondern  gegen  Dionysios,  den  .Tyrannen  von  Syrakus,  gerichtet  und  hatte 
den  Erfolg,  dass  die  Festversammelten  über  die  von  Dionysios  geschickten 
Zelte  herfielen  und  dieselben  plünderten.*)  —  Eine  sophistische  Tendenz- 
rede war  die  anoXoyia  SwxQOTovg,  die  sicher  nicht  wirklich  gehalten  wurde, 
sondern  nur  bestimmt  war,  um  die  mehrere  Jahre  nach  dem  Tode  des 
Sokrates  geschriebene  Anklagerede  des  Sophisten  Polykrates  zu  wider- 
legen.«) 

Weitaus  am  wichtigsten  für  die  Kenntnis  der  lysianischen  Beredsam- 
keit, sowie  der  politischen  Verhältnisse  Athens  sind  die  gerichtlichen  Reden. 
Voran  stehen  unter  diesen  die  schon  oben  berührte  Rede  gegen  Eratos- 
thenes  (403)  und  die  verwandte,  ein  paar  Jahre  später  gehaltene  Rede 
gegen  Agoratos,  einen  schandbaren  Sklavensohn,  der  als  Helfershelfer  der 
Oligarchen  den  Tod  des  Dionysodoros  und  anderer  Häupter  der  Demokratie 
herbeigeführt  hatte.  In  ihr  bewährt  Lysias  nicht  bloss  seine  Meisterschaft 
in  lebensvoller  Schilderung  der  Schreckensherrschaft,  sondern  zeigt  auch 
ein  besonderes  Geschick  in  der  kunstvollen  Anordnung,  indem  er  den 
schwächsten  Teil,  dass  die  Anklage  erst  viele  Jahre  nach  dem  Verbrechen 
und  vor  dem  unstatthaften  Gerichtshof  der  Elfmänner  angebracht  worden 
war,  in  die  Mitte  zwischen  die  packende  Erzählung  und  die  pathetische 
Peroratio  stellt.  —  Einen  politischen  Hintergrund  haben  auch  die  Anklage- 
reden gegen  Philon  und  Euandros  und  die  Verteidigungsreden  für  Manti- 
theos  und  einen  andern  wegen  oligarchischer  Gesinnung  verfolgten  unge- 
nannten (25),  die  alle  vier  bei   der  Dokimasie  oder  der  Prüfung,  ob  der 


>)  Ffir  die  Echtheit  tritt  ein  Li  Bbau, 
Lyaias  Epitaphios  als  echt  erwiesen,  Stattg. 
1863.  Dagegen  Sauppe  in  der  Rezension, 
6ött  Gel.  Anz.  1864  S.  824  ff.  =  AuBgew. 
Schrift  369  ff.  Gegen  die  Echtheit  spricht 
sich  aoch  Blass,  Att  Ber.  P  437  ff.  ans, 
glaabt  aber,  aosgehend  von  einer  SteUe  des 
Theon,  Rhet  gr.  II  68,  dass  die  sophi- 
stische Uebnngsrede  in  der  Zeit  des  Ljsias 
vor  dem  Panegyrikos  des  Isokrates  entstan- 
den seL  Rbuss  Rh.  M.  88,  149  setzt  sie 
nach  Isoer.  Areop.  oder  nach  353.  Zweifel- 
haft ist,  ob  Aristot.  Rhet  IQ  10,  wo  er  eine 
Stelle    unserer  Rede   mit   iy   n^   inita<pi(i> 


citiert,  wirklich  unseren  Epitaphios  gemeint 
habe,  etwas  was  selbst  wieder  davon  ab- 
hftngt,  ob  dort  das  jedenfalls  irrtfimliche 
2aXa/jityi  in  Aafjiiff  oder  sonstwie  geändert 
werden  dflrfe. 

•)  Diodor.  XIV  109;  Dionys.  de  Lys. 
29;  Ps.  Plntarch  im  Leben  des  Lysias. 

*)  Ueber  das  Verhältnis  zur  Apologie  des 
Piaton  siehe  unten  §  305.  Dass  die  Reden 
des  Lysias  und  Polykrates  noch  von  dem 
Rhetor  übanios  in  seiner  Apologie  benutzt 
wurden,  führt  nach  einer  Andeutung  Dindorfs 
RüD.  HiBZBL  Rh.  M.  42,  289  ff.  aus. 


376 


Orieohisohe  LitteratargeBohiohte.    I.  Klaseisöhe  Pariode. 


ausgeloste  Senator  oder  Beamte  auch  die  Würdigkeit  zur  Übernahme  des 
Amtes  habe,  gehalten  wurden.  —  Auf  die  Reehenschaftsablage  (sv&vvai) 
nach  Verwaltung  des  Amtes  beziehen  sich  die  Reden  gegen  Epikrates  (27) 
und  Nikomachos  (30);  die  erstere  dieser  Reden  ist  bloss  ein  kurzer  Epi- 
log, in  der  letzteren  Rede  handelt  es  sich  um  willkürliche  Änderungen, 
die  sich  der  Angeklagte  als  ävaygaifsvc;  bei  der  Aufzeichnung  von  Ge- 
setzen, namentlich  von  Sakralgesetzen  hatte  zu  schulden  kommen  lassen.^) 
Interessanter  noch  sind  die  2  Reden  gegen  Alkibiades  (gehalten  395/4) 
wegen  Versäumung  militärischer  Pflichten  {Xemova^iov),^)  sowie  die  Rede 
vTi^Q  rcov  ^AQifftoffcvovg  xqrjiicxfav  nqoq  %6  drjfioaiov,  und  das  vorzügliche 
Bruchstück  Tiegi  tf>g  drj^ievaeiag  zdiv  tov  Nixiov  adsXipov  imXoyog^  in  denen 
sich  der  Streit  um  Güterkonfiskationen  wegen  Staatsverbrechen  dreht.') 
In  die  humane  Fürsorge  der  Athener  für  erwerbsunföhige  Mitbürger  ge- 
währt einen  erfreulichen  Einblick  die  kleine  Rede  vn^g  äSwärov  (24),  mit 
der  ein  Krüppel  den  Fortbezug  der  Pension,  die  Missgünstige  ihm  ent- 
ziehen woUten,  von  dem  Rate  sich  erbittet.  Von  der  Engherzigkeit  der 
Athener  in  Sachen  der  Nationalökonomie  und  von  ihrer  spiessbürgerlichen 
Abneigung  gegen  den  Grosshandel  zeugt  die  22.  Rede  gegen  die  Getreide- 
händler, welche  das  Gesetz,  das  ihnen  auf  einmal  mehr  als  20  Trachten 
{(fOQfiovg)  zu  kaufen  verbot,  in  den  Wind  geschlagen  hatten.  Ein  be- 
sonderes sakrales  Interesse  knüpft  sich  an  die  Rede  vn^g  tov  arpcov^  in 
welcher  der  Angeklagte  sich  gegen  'den  Vorwurf  verteidigt,  dass  er  einen 
auf  seinem  Grundstück  befindlichen  heiligen  Ölbaum  (fiogia)  ausgerodet 
und  mitsamt  der  Umzäunung  (crr/xog)  habe  verschwinden  lassen.  Im  übrigen 
drehen  sich  viele  der  Reden  um  Bagatellsachen,  die  nur  durch  die  Art 
der  Behandlung  einiges  Interesse  erregen;  eine,  die  achte,  hat  nur  private 
Zänkereien  zum  Gegenstand  und  ist  ein  in  die  Form  einer  Rede  gekleideter 
Absagebrief.  Von  der  am  meisten  gerühmten  Privatrede  xard  JioyeiTovog 
wegen  schurkenhafter  Vormundschaft  {inixgonr^g)  sind  uns  leider  nur  Bruch- 
stücke durch  Dionysios  überkommen. 

Die  einzige  Grundlage  des  Textes  ist  fOr  die  meisten  Reden,  wie  zuerst  H.  Savpps, 
Epist.  crit  ad  God.  Eermannum  =  Ausgew.  Sehr.  80  ff.  nachwies,  der  cod.  Palatinus  s.  X  in 
Heidelberg;  nur  die  Reden  über  Eratosthenes  Mord  und  der  Epitaphios  sind  auch  noch 
durch  eine  andere  Quelle  auf  uns  gekommen,  die  am  besten  durch  Mardanus  F  vertreten 
ist,  worüber  R.  Scholl,  Sitzb.  d.  b.  Ak.  1889  II  S.  26—38.  Die  übrigen  29  Reden  gehen  auf 
zwei  Sammlungen  zurück,  von  denen  die  eine  s&mtliche  Reden  nach  den  Prozessarten  ge- 
ordnet enthielt  und  von  der  die  Reden  tibqI  tgavfjtaTOij  naeßeia^,  xaxoXoyitoy  (3 — 11)  auf 
uns  gekommen  sind,  die  andere  eine  Auswahl  der  politisch  interessantesten  Reden  umfasste 
(12—31),  unter  denen  die  Reden  gegen  Eratosthenes  (12.)  voranstand. 

Hauptausgabe  von  Reiske  cum  annot.  Taylori,  Marclandü,  suis,  Lipe.  1772,  2  voL 
Kritische  Textesausg.  von  Cobbt,  Amstel.  1863;  von  Scheibe  in  Bibl.  Teubn.  Erklärende 
Ausgabe  ausgewählter  Reden  von  Rauch ekstein-Fuhb  bei  Weidmann;  von  Fbohbebobb- 
Gbbaueb  bei  Teubner  mit  überlangem  kritischen  Anhang. 


^)  0.  GüLDE,  Quaestiones  de  Lysiae 
oratione  in  Nicomachum.  Berliner  Disser- 
tation 1882. 

^)  In  Sachen  des  jüngeren  Alkibiades 
sprach  auch  Tsokrates,  worüber  unten  §  268. 
Auch  in  Sachen  der  zeugenlosen  {df^dgTvgog) 
Rede  stand  Isokrates  auf  Seiten  der  Gegen- 


partei;  vgl.   Dbebup  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl. 
XXII  352  ff. 

>)  R.  Scholl,  Quaestiones  fiscales  im» 
attici  ex  Lysiae  orationibus  iUostxatae,  in 
Gomment.  m  honorem  Schömanni,  Beri. 
1873. 


8.  IHe  Beredsamkeit,    d)  Isokrates. 


t  266-267.) 


377 


266.  Isaios,^)  Sohn  des  Diagoras  aus  Chalkis  in  Euböa*)  ward  von 
Hermippos  unter  den  Schülern  des  Isokrates  aufgezählt,  wirkte  aber  so 
ziemlich  zu  gleicher  Zeit  wie  jener,  um  390  bis  350.  Da  er  Fremder  war, 
80  war  ihm  die  Laufbahn  eines  Staatsredners  versagt,  er  beschränkte  sich 
daher  auf  die  Stellung  eines  Lehrers  der  Beredsamkeit  und  eines  Logo- 
graphen. Seine  Spezialität  waren  Erbschaffcsangelegenheiten,  bei  deren 
Behandlung  er  Rechtskenntnis  mit  geschickter  Beweisführung  und  Anord- 
nung verband.  Es  sind  daher  von  den  64,  oder,  nach  Ausscheidung  der 
unechten,  50  Reden,  welche  er  hinterliess,  nur  die  Xoyoi  xXrjQixoi  auf  uns 
gekonmien.  Es  waren  deren  13,  aber  durch  den  Wegfall  der  Schluss- 
blätter tles  Cod.  archetypus  sind  uns  nur  10  und  die  Hälfte  der  11.  erhalten. 
Ausserdem  hat  uns  Dionysios  ein  grosses,  in  den  Ausgaben  an  12.  Stelle 
gedrucktes  Bruchstück  aus  einem  anderen  Rechtsfall  aufbewahrt,  in  dem 
ein  gewisser  Euphiletos  gegen  die  Gemeinde  der  Erchiäer  wegen  wieder- 
rechtlicher Streichung  aus  der  Bürgerliste  Appellation  ergreift.  Die 
11.  Bede  über  die  Verlassenschaft  des  Hagnias  zu  Gunsten  des  Theopompos 
hat  dadurch  für  uns  ein  besonderes  Interesse,  dass  uns  aus  demselben 
Erbschaftsprozess  eine  Rede  des  Demosthenes,  die  gegen  Makartatos,  den 
Sohn  des  Theopomp,  erhalten  ist.  Die  Aufnahme  in  den  Kanon  verdankte 
Isaios  der  Kunst  der  Beweisführung,  durch  die  er  zur  sachlichen  Schlicht- 
heit des  Lysias  in  Gegensatz  trat.  Das  Verhältnis  beider  ist  von  dem 
Biographen  gut  mit  dem  Satze  bezeichnet,  dass  Lysias  überzeugte,  auch 
wenn  er  für  Ungerechte  eintrat,  Isaios  Verdacht  erregte,  auch  wenn  er 
iur  Gute  sprach.  Der  schlauen  Gewandtheit  in  der  Behandlung  des  Rechts- 
falls entspricht  auch  das  grössere  Pathos  und  die  gesuchte  Weise  der  Rede. 

Zq  neun  Reden  ist  einzige  Quelle  der  Cod.  Grippsianas  A.  —  Ausgaben:  recogn. 
«bot  crit.  et  comment.  adi.  Sghömann,  Greifsw.  1881;  rec.  Bürmann,  Berl.  1883,  wozu  text- 
kritische  Beitrftge  in  Herrn.  19,  825  ff.     Textausg.  in  Bibl.  Teubn.  von  Schbibe. 

d)  Isokrates  und  die  sophistische  Beredsamkeit. 

267.  Isokrates  (436—338)»)  war  der  Sohn  des  Theodoros,  eines 
wohlhabenden  Flötenfabrikanten  aus  dem  Demos  Erchia;  geboren  war  er 
nach  seiner  eigenen  Angabe  de  antid.  9  im  Jahre  436.  Mit  aller  Sorgfalt 
erzogen,*)  hörte  er  in  den  Jünglingsjahren  von  Philosophen  den  Prodikos, 
von  Rednern  den  Gorgias  und  Theramenes.  Auch  mit  den  Kreisen  des 
Sokrates  stand  er  in  Verbindung;  Piaton  lässt  am  Schluss  des  Phaidros 
den  Sokrates  glänzende  Erwartungen  von  dem  jungen  Isokrates  aussprechen, 
ond  der  Peripatetiker  Praxiphanes  führte  in  dem  Dialog  über  Dichter  den 
Isokrates  als  Gast  des  Piaton  auf  dem  Lande  ein.^)     Aber  die  Hoffnungen 


M  AuBser  den  gewöhnlichen  Quellen 
ßHooYS.,  Ps.  Plut,  Suidas)  ein  yivog  'laaiov 
^  WnTERMAKK,  BiogT.  p.  261  f.  und  ein 
Artikel  des  Harpokration  loalo^, 

')  Dieee  Angabe  geht  nach  Suidas  auf 
BemetrioB  Magnes  znrfick;  wenn  er  nach 
•Ddern  (Hermippos?)  Athener  hiess  (Dionysios, 
Soidas,  yiyoc  fa.),  so  bezog  sich  dies  wohl 
nf  die  AdoptiTheimat. 

')  Quellen  sind  ausser  Ps.  Plutarch, 
PhoÜM  und    Suidas   die  Spezialschrift   des 


Dionysios  über  Isokrates  und  eine  anonyme 
Vita,  vielleicht  von  dem  Rhetor  Z  o  s  i  m  o  s , 
alles  zusammengestellt  bei  Wbstermann, 
Biogr.  gr.  245—259.  Wichtig  ist  überdies 
Socraticorum  epist.  30  aus  den  gegnerischen 
Kreisen  der  Akademie.  Zur  Lebens-  und 
Quellenkunde  Bruno  Kbil,  Analecta  Isocra- 
tea,  Prag-Leipz.  1885. 

*)  Isocrat.  15,  161. 

5)  Diog.  III  8. 


378  Oriechische  LitteratnrgeBohichte.    I.  KlasBisohe  Periode. 

des  Sokrates  und  Piaton,  den  talentvollen  jungen  Mann  ganz  fQr  die  Phflo- 
sophie  zu  gewinnen,  scheiterten.  Isokrates  fühlte  sich  mehr  zu  der  prakti- 
schen Thätigkeit  eines  Redners  hingezogen.  Anfangs  trat  er,  wie  Lysias, 
als  Redenschreiber  (XoYoyQa^pog)  auf;  aus  dieser  seiner  Laufbahn  sind  uns 
noch  6  Reden  erhalten,  welche  in  die  Zeit  von  402  bis  393  fallen.^)  Aber 
bald  suchte  er  infolge  von  Unannehmlichkeiten,  welche  ihm  diese  Anwalts- 
praxis zugezogen  haben  soll,^)  ein  anderes  Feld  rednerischer  Thätigkeit. 
Von  der  Beteiligung  an  den  öffentlichen  Kämpfen  auf  dem  Markt  und  in 
der  Ratsversammlung  hielt  ihn  eine  angeborene  Schüchternheit  und  die 
Schwäche  seiner  Stimme  ab;  aber  zu  einem  Lehrer  der  Beredsamkeit 
glaubte  er  das  Zeug  in  sich  zu  haben,  um  390  also  eröffnete  er  eine 
förmliche  Schule,  nach  der  Angabe  des  Ps.  Plutarch  p.  837  b  zuerst  in 
Chios  {im  Xiov).  Aber  dass  ein  Athener  statt  in  seiner  Heimat,  dem 
Sitze  der  Beredsamkeit,  in  dem  fernen  Chios  eine  rhetorische  Schule  ge- 
gründet haben  soll,  ist  wenig  glaublich ;  wahrscheinlich  steckt  in  jenem 
im  X(ov  ein  altes  Verderbnis,  und  war  in  der  Vorlage  des  Ps.  Plutarch 
vielmehr  das  Lokal  in  Athen  angegeben,  in  dem  der  gefeierte  Rhetor  zu 
lehren  begann.  Das  Programm,  mit  dem  er  seine  Schule  eröffiiete,  liegt 
uns  in  der  Rede  gegen  die  Sophisten  vor.  Er  versprach  darin,  seine 
Schüler  nicht  bloss  zu  Rednern  zu  bilden,  sondern  überhaupt  in  die  Bil- 
dung und  praktische  Lebensweisheit  einzuführen.  Damit  trat  er  als  Kon- 
kurrent der  Sophisten  und  Philosophen  auf,  und  wenn  auch  der  Ausfall 
gegen  die  Wortspaltereien  der  Eristiker  zunächst  gegen  Antisthenes  ge- 
richtet war,  so  verstimmte  doch  der  ganze  Tenor  der  Programmrede  auch 
den  Piaton,  der  sich  dafür  in  dem  Dialog  Euthydemos  p.  304  d  mit  ge- 
ringschätziger Bitterkeit,  ohne  gerade  den  Isokrates  bei  Namen  zu  nennen, 
über  die  Anmassung  der  Halbwisser  erging,  welche  das  Zwischengebiet 
zwischen  Philosophie  und  Politik  kultivierten,  es  aber  in  keinem  von  beiden 
zu  etwas  Rechtem  brächten,  s)  Aber  die  Feindseligkeit  der  Philosophen 
that  dem  Aufblühen  der  rhetorischen  Schule  des  Isokrates  keinen  Eintrag. 
Das  Programm  übte  von  vornherein  auf  die  praktischer  angelegten  Naturen 
grosse  Anziehungskraft,  und  der  Leiter  der  Schule  sorgte  bei  seinem  her- 
vorragenden Lehrgeschick  für  eine  glückliche  Lösung  der  Aufgabe.  Von 
allen  Seiten  strömten  Schüler  herbei ;  nicht  bloss  künftige  Redner,  sondern 
auch  solche,  welche  sich  der  Staatsverwaltung  widmen  oder  nur  einen 
höheren  Grad  von  Büdung  überhaupt  sich  erwerben  wollten,  drängten  sich 
in  seine  Schule.     Cicero  de  erat.  U  22,  94  ^)  hat  den  berühmten  Ausspruch 

^)  In  die  Zeit  unmittelbar  nach  Herstel-  |  componendas  transtulisse. 

lung  der  Demokratie  fällt  die  21.  Rede  gegen  |  ')   Dies    Verhältnis    überzeugend    klai^ 

EuÜiynus;  der  Trapezitikos  ist  einige  Jnübre  I  gelegt  von  L.  Spenoel,  Isokrates  und  Piaton, 

nach  Wiederaufrichtung  der  athenischen  See-  I  Abhdl.  d.  b.  Äk.  VII  (1855),  mit  einem  Nach- 


macht oder  nach  der  Schlacht  von  Enidos 
(395)  gehalten  (17,  36).  Wie  weit  man 
unter  393  herabgehen  dttrfe,  ist  nicht  aus- 
gemacht. 

*}  Cicero  Brut.  12,  48  nach  Aristoteles: 
cum  ex  eOy  quia  quasi  commiiteret  contra 
legem  quo  quis  iudicio  circumveniretur, 
saepe  ipae  in  iudicium  vocaretur^  orationes 
aliis  destitisse  scribere  totumque  se  ad  artea 


trag  im  PhUol.  19,  597.  Vgl.  Reinhardt, 
De  Isocratis  aemulis,  Bonn  1873.  Nichts 
bedeuten  die  Herumredereien  von  Nowak, 
Piaton  u.  die  Rhetorik,  Jahrb.  f.  Phil.  SuppL 
XIU  537.    Vgl.  Epist.  Socrai  30. 

*)  Vgl.  Cic.  Brut.  8,  32:  Isocratis  da- 
mus  cunctae  Graeciae  quasi  ludus  quidam 
patuit  atque  officina  dicendi. 


8.  Die  Beredsamkeit,    d)  Isokraies. 


t.) 


379 


gethan:  Isocratis  e  ludo  tamquam  ex  equo  Troiano  meri  principes  exierunt, 
und  der  alexandrinische  Orammatiker  Hermippos  schrieb  ein  eigenes  Buch 
TtiQi  täv  *laoxqaTovg  fiad^rjrcovA)  Staatsmänner,  wie  Timotheos  und  Leo- 
damas,  nannten  sich  seine  Schüler;  die  Historiker  Ephoros  und  Theopomp 
und  der  Tragiker  Theodektes  hatten  aus  seiner  Schule  die  Anregung  er- 
halten ;  die  grossen  Redner  der  nächsten  Zeit,  Isaios,  Lykurgos,  Aischines, 
Hypereides,  waren  durch  ihn  in  die  Redekunst  eingeführt  worden ;  mit  den 
bedeutendsten  und  mächtigsten  Persönlichkeiten  seines  Jahrhunderts,  mit 
den  Königen  Euagoras  von  Kypem,  Archidamos  von  Sparta,  Philippos  von 
Makedonien  trat  er  durch  seine  Schule  in  Verbindung.  Der  Kurs  in  der- 
selben dauerte  gewöhnlich  3—4  Jahre,*)  wofür  er  ein  Honorar  von  1000 
Drachmen  verlangte,  was  ihm  bei  der  Masse  der  Schüler  mit  der  Zeit  ein 
grosses  Vermögen  eintrug.  Allmonatlich  fand  ein  Certamen  statt;  der 
Preis  bestand  in  einem  Kranz,  s)  Dem  Unterricht  lag  eine  entwickelte 
Theorie  (vt'x'^rj)  zu  grund,  von  der  sich  manches  noch  in  spätere  Zeiten 
vererbt  hat;  die  Hauptsache  aber  bildeten  die  zur  Einübung  bestimmten 
Vorlagen  von  Musterbeispielen  und  die  Anleitung  zum  Ausarbeiten  von 
Reden  und  Redeteilen.  Sein  eigentliches  Ansehen  verdankte  aber  doch 
Isokrates  nicht  seiner  Thätigkeit  als  Lehrer  der  Beredsamkeit;  dieses 
gründete  sich  vorzüglich  auf  seine  epideiktischen  und  politischen  Reden, 
die  er  nicht  wirklich  hielt,  die  vielmehr  Schulreden  in  dem  Sinne  waren, 
dass  sie  zugleich  den  Schülern  als  Muster  in  der  Redekunst  dienen  sollten. 
Mit  ihnen  suchte  er,  wie  mit  politischen  Broschüren,  Einfluss  auf  den  Gang 
der  Ereignisse  zu  gewinnen^)  und  vornehmlich  sein  politisches  Ideal,  die 
Vereinigung  aller  Hellenen  zum  gemeinsamen  Krieg  gegen  die  Barbaren, 
der  Verwirklichung  entgegenzuführen.  Der  unpraktische  Doktrinär  erreichte 
sein  Ziel  nicht  und  starb,  als  er  seine  Hoffnungen  durch  die  Kriegs- 
erklärung des  Königs  Philipp  zusammenbrechen  sah,  bald  nach  der  Schlacht 
von  Chaeronea,  indem  er,  wie  man  sagte,  nach  dem  unglücklichen  Ausgang 
der  Schlacht  freiwillig  durch  Verweigerung  von  Nahrung  seinem  Leben 
ein  Ende  machte.^)  Er  hinterliess  einen  Stiefsohn  Aphareus,  den  ihm  seine 
Frau  Plathane,  die  er  in  späten  Jahren  als  Witwe  heiratete,  mit  in  die 
Ehe  gebracht  hatte,  und  eine  Tochtor,  die  er  mit  einer  Hetäre,  Lagiske 
mit  Namen,  erzeugt  hatte.  Eine  Statue,  gefertigt  von  dem  berühmten 
Künstler  Leochares,  hatte  ihm  sein  Schüler  Timotheos,  eine  Büste  auf 
einer  Säule  sein  Stiefsohn  Aphareus  gesetzt;  das  auf  der  angefügten  Tafel 
abgebildete  Bildnis  der  Villa  Albani  zeigt  die  griesgrämigen  Mienen  eines 
dem  frischen  Pulse  des  Lebens  entfremdeten  Schulmeisters. 

268.   Vom  litterarischen  Nachlass  des  Isokrates  sind  21  Reden   und 
10  Briefe  auf  uns  gekommen;   die  Alten  hatten  von  echten  Werken  nur 

den  auswärtigen  Grossen  förmlich  betteln 
ging  und  dieselbe  Rede  mit  kleinen  Um- 
arbeitungen mehreren  antrug,  wirft  ihm  das 
Pamphlet  des  Speusippos  vor  ep.  Socratic. 
30,  13. 

^)  Dagegen  spricht  Isokrates  im  3.  (un- 
echten) Brief  an  Philipp  so,  als  ob  er  auch 
noch  nach  der  Schlacht  an  ein  Zusammen- 
gehen der  Griechen  und  Philipp  gehofipt  habe. 


^)  Ath.  342  c  u.  451  e;  Dionys.  de  Isaeo  1; 
Ps.  Plntarch  p.  837  c.  Manche  waren  von 
der  Schule  des  Piaton  in  die  des  Isokrates 
und  umgekehrt  flbergetreten,  wie  Lykurgos, 
iLlearchos  aus  Heraklea,  Isokrates  von  Apol- 
lonia. 

«)  Iflocr.  de  antid.  87. 

>)  Menander  in  Rhet.  gr.  III  398  Sp. 

*)  Dass  Isokrates  mit  seinen  Reden  bei 


380 


Orieohi«ehe  LitteratiirgMohiohte.    I.  KlaMiBohe  Periode. 


wenig  mehr:  Cäcilius  erkannte  28,  Dionysios  25  unter  den  60  zirka- 
lierenden  Reden  als  echt  an.^)  Auch  ein  Handbuch  der  Beredsamkeit,  eine 
räxvTj,  war  von  ihm  in  Umlauf;  Aristoteles  soll  desselben  nach  dem  ano- 
nymen Biographen  in  der  fswaytayf^  Texvmv  Erwähnung  gethan  haben,') 
Quintilian  II  15,  4  aber  bezweifelt  die  Echtheit  des  damals  vorhandenen 
Abrisses.  Wahrscheinlich  waren  es  nur  Regeln,  welche  die  Jünger  nach 
Erinnerungen,  vielleicht  auch  nach  Diktaten  aus  der  Schule  des  Meisters 
nachträglich  zusammengestellt  hatten.  Was  sich  von  ihnen  erhalten  hat, 
ist  bei  Spengel,  2vvay<oyT}  «^rwr  p.  154 — 172,  zusammengetragen  und  er- 
läutert. Die  erhaltenen  Reden  stehen  in  unseren  Ausgaben  in  der  Reihen- 
folge, die  ihnen  Hieronymus  Wolf  gegeben  hat,^)  voran  die  paränetischen 
(3),  dann  die  epideiktischen  (12),  zuletzt  die  gerichtlichen  (6).  —  Zeitlich 
am  frühesten  fallen  die  6  gerichtlichen  Reden  {rteql  tov  fetiyoi»^,  TQarts^i- 
Tixog^  TtQvg  KaXXifiaxov,  Aiyivrjuxog,  xard  Xoxnov^  TtQog  EvkP'Vvovv)^  welche, 
wie  schon  bemerkt,  zwischen  402  und  393  gehalten  oder  vielmehr  von 
unserem  Redner  für  andere  geschrieben  worden  sind.^)  Von  ihnen  hat 
die  zweite  den  Namen  TQane^mxvg^  weil  es  sich  in  ihr  um  ein  Depot  bei 
einem  Bankier  {tQan€^hi]q)  handelt;  dieselbe  gibt  nebenbei  über  die 
Handelsbeziehungen,  welche  in  jener  Zeit  Athen  mit  dem  Bosporanischen 
Reiche  unterhielt,  höchst  interessante  Aufschlüsse.  Die  vierte  Rede  heisst 
MyivrjTixog,  weil  sie  vor  einem  äginetischen  Gerichtshof  gehalten  worden 
ist.  Die  letzte  der  Gerichtsreden,  in  ihrer  heutigen  Gestalt  nur  ein  Bruch- 
stück, ist  der  berühmte  Xoyog  dfAägrvQog^  so  genannt,  weil  in  der  Sache 
keine  Zeugen  beigebracht  werden  konnten.^)  In  dem  bezüglichen  Streit, 
der  um  402  kurz  nach  Vertreibung  der  Dreissig  zum  gerichtlichen  Aus- 
trag kam,  stand  Isokrates  dem  Lysias  gegenüber  und  gaben  die  beider- 
seitigen Reden  dem  Antisthenes  Anlass  zu  einer  gegen  Isokrates  gerich- 
teten Streitschrift  nsgi  rwv  dixoyqdipwv  ij  Avaiag  xal  ^laoxQdrrjc^  ^Qog  töv 
'laoxQOTovg  äfiaQTVQov.^)  Auch  in  der  Rede  nsQi  tov  C^vy^vg,  in  der  es 
sich  um  ein  fremdes  Gespann  7)  handelt,  mit  dem  der  berühmte  Alkibiadee, 
der  Vater  des  Angeklagten,  in  Olympia  gesiegt  hatte,   trat  Isokrates  den 


^)  Bb.  Keil,  Anal.  Isoer.  c.  2  weist 
nach,  dass  schon  Hermogenes  nicht  mehr 
als  unsere  21  Reden,  und  zwar  in  der  Ord- 
nung unserer  Hdschr.  hatte. 

')  Angeführt  wird  dasselbe  von  Philo- 
demos  in  Vol.  Herc.  XI  96:  'JaoxQaxtjv  xal 
r()[yag  xaxaXtneiy. 

*)  Ueber  ihre  Folge  in  den  verschie- 
denen Erlassen  der  Handschriften  s.  D  beruf 
Rh.  M.  51  (1896)  21  f. 

*)  Wie  wir  aus  Dionysios  de  Isoer.  8 
sehen,  hat  Aphareus  nach  dem  Willen  des 
Vaters  die  Autorschaft  dieser  gerichtlichen 
Reden  später  verleugoet.  Die  Echtheit  des 
Trapezitikos,  wegen  der  sprachlichen  Be- 
sonderheiten und  sachlichen  Unklarheiten 
angezweifelt  von  Benseier  und  Grosse,  wird 
mit  Erfolg  verteidigt  von  Dbkrüp,  De  Iso- 
cratis  orationibus  iudiciaJibus,  Jhrb.  f.  cl. 
Phü.  Suppl.  XXII  355  ff.,  zugleich  mit  Auf- 
hellung der  verwickelten  Rechtsverhältnisse 


von  Galle,  Beiträge  zur  Erklärung  des  Tra- 
pezitikos und  zur  Frage  der  Echtheit»  Zittaa 
1896,  Progr.  n.  568. 

^)  Die  Rede  ist  läppisch  in  der  Beweis- 
fQhrung  und  schmeckt  nach  den  Künsten 
der  Schule,  aber  schon  das  Zeugnis  des  Ari- 
stoteles rhet.  II  19  schätzt  sie  gegen  die 
Angriffe  auf  ihre  Echtheit  von  Dremp  a.  O. 
364  ff. 

^)  Diog.  VI  15.  Die  Partetnahme  des 
Antisthenes  fOr  Lysias  erkannt  von  üsbhbr, 
Quaest.  Anax.  7  ff.,  von  demselben  in  weitere 
Kombinationen  gezogen  Rh.  M.  35,    135  ff. 

')  Auff&Uigerweise  heisst  der  Eigim- 
tOmer  des  Gespanns  in  unserer  Rede  Teisias, 
bei  Andokides  4,  26  aber,  mit  dem  Diod«»' 
13,  74  und  Plutarch,  Alcib.  12  stinunen, 
Diomedes.  Wahrscheinlich  war,  wie  der 
Herausgeber  Frohberger  annimmt,  Teisias 
der  Sobn  des  Diomedes. 


8.  Die  BeredBamkeit.    d)  IsokrateB.    (§  269.)  381 

Kreisen  des  Lysias  feindlich  gegenüber,  da  dieser  zu  den  Gegnern  des 
Alkibiades,  des  Freundes  der  Sokratiker,  gehörte  und  einige  Jahre  nach 
jenem  Rechtshandel  (395/4)  die  uns  noch  erhaltenen  Reden  gegen  Alki- 
biades hielt.  Isokrates,  damals  noch  mit  Piaton  und  den  Sokratikem  be- 
freundet, erlaubte  sich  bei  der  Publikation  seiner  Rede,  i)  die  erst  nach 
jenem  zweiten  Rechtshandel  erfolgte,  die  vor  Gericht  gefealtene  Rede  zu 
erweitem  und  in  dieselbe  überschwengliche  Lobpreisungen  auf  die  Ver- 
dienste des  Alkibiades  einzulegen.^)  —  Einen  ganz  anderen  Charakter  trägt 
die  erst  in  unserem  Jahrhundert  durch  Mustoxydes  aus  dem  Cod.  Ambros. 
415  vervollständigte  Rede  tisqI  dvriioaswg.  Dieselbe  ist  353 ')  von  dem 
Redner  in  eigener  Sache  im  82.  Lebensjahre  geschrieben  worden,  hat  aber 
nur  die  Form  einer  Gerichtsrede.  Veranlasst  war  dieselbe  durch  eine 
Chikane  des  Lysimachos,  der  ihm  durch  das  Anerbieten  des  Vermögens- 
fausches  die  Leistung  einer  kostspieligen  Trierarchie  zuschob.  Es  konnte 
nämfich  in  Athen  einer,  dem  eine  Liturgie  zugemutet  wurde,  einen  anderen 
Bürger,  den  er  für  reicher  hielt,  dadurch  zur  Übernahme  der  Leistung 
zwingen,  dass  er  ihm  im  Falle  der  Weigerung  Vermögenstausch  (ävuSotng) 
anbot  Nun  stand  Isokrates  im  Rufe,  sich  durch  seine  Lehrthätigkeit  und 
vornehmen  Verbindungen  ein  enormes  Vermögen  erworben  zu  haben,  und 
es  bot  ihm  daher  jener  Lysimachos  zweimal  Vermögenstausch  an.  Dar- 
über kam  es  zur  gerichtiichen  Verhandlung,  und  bei  dem  zweiten  Mal 
musete  sich  wirklich  Isokrates,  wollte  er  nichts  Schlimmeres  über  sich 
ergehen  lassen,  zur  Übernahme  der  Trierarchie  verstehen.  Hintendrein 
schrieb  er  dann  unsere  Rede,  die  längste  und  langweiligste  von  allen,  in 
welcher  er  sich  gegen  die  Missgunst  seiner  Mitbürger  zu  verteidigen  und 
seine  Verdienste  in  helles  Licht  zu  setzen  suchte.  Der  Anklang  der  Rede 
an  die  Apologie  des  Piaton  im  ganzen  und  in  Einzelheiten  ist  schon  von 
dem  Angsburger  Humanisten  Hieronymus  Wolf  bemerkt  worden. 

269.  Sophistische  und  paränetische  Reden.  Den  eigentlichen 
Qeschichtsreden  stehen  der  Zeit  nach  zunächst  die  schon  erwähnte  Pro- 
granunrede  xard  twv  aoifiCTwv  und  die  2  sophistischen  Schulreden  BovaiQig 
and  'EUvrfi  iyxwfiiov^*)  mit  denen   er   den  Sophisten*)  zeigen  wollte,  wie 

^)  Die  Rede   des  Isokrates  setzt  Blass      Isocratis  nsgl  tov  C^vyovg  oratione,  in  Comm. 
11205  auf  das  Jahr  397;  sie  fäUt  nach  §40   i   Ribbeck.    461—74    eine   nachträgliche   Um- 
jedenfaJls  vor  den  Wiederaufbau  der  Mauern.      arbeitung    der    Rede    des    Isokrates    ange- 
nommen. 

>)  Das  Jahr  gibt  Isokrates  selbst  §  9. 
*)  Bergk,   Fünf  Abhandl.  S.   34  rückt 


')  Wo  Bbcvs,  Das  Utterarische  Portrftt 
8.  495  ff.  erweist,  dass  die  Rede  des  Iso- 
krates und  die  Hauptrede  des  Lysias  gegen 

Alkibiades  (or.  14  §  24—29)  so  wie  sie  uns  i  diese  Rede,  weil  in  ihr  Antisthenes  als  ge 
vorliegen  7or  Gericht  nicht  gehalten  sein  altert  bezeichnet  werde,  in  spätere  Zeit 
koonteD,  sondern  lediglich  Utterarische  Pro-  i  herab;  ebenso  setzt  sie  Bb.  Keil,  Anal. 
Miktionen  sind.    Im  Anschluss  daran  nimmt  I   Isoer.  p.  6  um  d.  J.  366.    Blass  I  ^  74  f. 

geht  wieder  auf  das  J.  393  als  vermutliche 
Abfassungszeit  zurück.  Jüdeioh  ,  Klein- 
asiatische Studien,  Marburg  1892  S.  156  tritt 
für  385  ein. 

^)  Wer  die  Bekämpften  seien,  ob  Gor- 
gias  mit  seiner  Helena,  oder  Anaximenes  und 
Polykrates,  darüber  waren  schon  die  Alten 
nach  den  Argumenten  uneins. 


^enelbe,  um  die  wechselseitige  Bezugnahme 
^  Isokratee  XVI  10.  11.  12.  13  auf  Ly- 
nas  nnd  des  Lysias  XIV  32,  37  auf  Iso- 
kntes  zu  erklären,  an,  dass  einerseits  Iso- 
krates, als  er  seine  Rede  verOffentiichte,  auf 
^  lysianische  Plaidoyer  Bezug  nahm,  ander- 
*^tB  dem  Lysias,  als  er  die  14.  Rede  heraus- 
pb,  die  isokraÜache  Publikation  bereits  vor- 
lag. Aehnlich  hatte  schon  Fb.  Nowack,  De 


382 


Oriechisohe  Lüteratnrgeschiohte.    I.  Slassisohe  Periode. 


man  ein  solches  Thema  anfassen  müsse.  —  Paränetische  Reden  sind  uns 
3  überliefert,  der  Fürstenspiegel  {nQog  NtxoxXho)^  gerichtet  an  Nikokles, 
den  Sohn  des  Euagoras,  der  um  374  seinem  Vater  in  der  Herrschaft  von 
Eypern  gefolgt  war;  die  Mahnrede  an  die  ünterthanen  des  Nikokles, 
NixoxXffi  betitelt,  weil  sie  dem  Nikokles  selbst  in  den  Mund  gelegt  ist; 
die  Spruchrede  an  Demonikos,  den  Sohn  eines  dem  Redner  befreundeten 
Mannes.  Alle  3  Reden  enthalten  eine  Fülle  schöner,  ohne  erkennbares 
Band  aneinandergereihten  Sentenzen ;  aber  die  letzte  wird  von  Harpokration 
unter  snamog  oQxog  als  Werk  des  Isokrates  von  Apollonia  citiert  und  ent- 
hält auffallige  Abweichungen  vom  Sprachgebrauch  unseres  Redners.^)  — 
Mit  den  Ermahnungen  an  Nikokles  hängt  die  Lobrede  auf  Euagoras  zu- 
sammen. Sie  war  die  erste  dieser  Gattung,  da  man  zuvor  das  Gebiet  der 
cyxoifiua  auf  Zeitgenossen  ganz  den  Dichtern  überlassen  hatte;*)  geschrieben 
ist  sie  nach  dem  Tod  des  Euagoras  (374)  und  nach  der  Mahnrede  an 
Nikokles  (s.  9,  78),  um  370. 

270.  Epideiktische  Reden.  Den  Glanzpunkt  der  isokratischen 
Beredsamkeit  bilden  die  epideiktischen  Reden:  üavrjyvQixog,  Preisrede  auf 
Athen,  geschrieben  im  Sinne  einer  vor  dem  versammelten  Hellenenvolk 
(navijyvQtg)  gehaltenen  Festrede  im  Jahre  380  kurz  vor  Stiftung  des  zweiten 
Seebundes'),  nkataixtg^  den  Platäem  in  den  Mund  gelegt,  die,  von  den 
Thebanern  aus  Haus  und  Hof  vertrieben,  den  Schutz  der  Athener  anflehten 
(373);  ^ÄQxdaiiog^  angeblich  von  Archidamos  in  der  spartanischen  Volks- 
versammlung gehalten,^)  um  die  Bürger  zur  Ausdauer  in  dem  Kampf  gegen 
Messenien  zu  bewegen  (365);*)  Svfifiaxixdg  rj  negi  stgi^vr^g,  Flugschrift  aus 
dem  Jahre  357  oder  355,  worin  Isokrates  der  Kriegspartei  des  Ghares 
entgegentritt  und  ein  gerechtes  Entgegenkommen  gegen  die  Bundes- 
genossen befürwortet;  'AqsonayiTixog,  wahrscheinlich  nach  dem  Bundes- 
genossenkrieg um  354  geschrieben  zu  Gunsten  des  Areopag,  indem  Iso- 
krates einen  Ausweg  aus  den  zerfahrenen  Zuständen  nur  in  der  Rückkehr 
zur  alten  Verfassung  und  in  der  Wiederherstellung  des  Areopags  sah; 
(PikinTiog,  Sendschreiben  an  den  König  Philipp  nach  Abschluss  des  philo- 
krateischen  Friedens  (346),  in  welchem  der  altersschwache  Greis  den  sieg- 
reichen König  auffordert,  die  Städte  der  Hellenen  unter  einander  zu  ver- 


*)  Die  Echtheit  ward  znerst  verworfen  von 
Benseier;  die  Untersnchong  fortgeführt  von 
W.  Jahr,  Qnaest.  Isocrateae,  Halle  1881; 
Albbecht,  Philol.  43,  244  ff.  u.  Zeitschr.  f. 
Gymn.,  1885  S.  95  f.  Von  ihrer  Beliebtheit 
zeugt  die  syrische  Uebersetzung,  publiziert 
von  Laoardb,  Anal.  Syr.,  Lips.  1858. 

')  Dieses  hebt  mit  Stolz  auf  diese  neue 
Erfindung  seiner  Weisheit  der  Redner  §  8 
hervor.  Auch  ein  iyxaifiioy  auf  Gryllos,  den 
Sohn  des  Xenophon,  soll  er  geschrieben 
haben,  nach  Diog.  II  55:  dXXd  xai  "EQfjiinnoq 
iy  Tfti  TtSQt  BBOtpQnaiov  xal  £(üx^(irij  ('/<Jo- 
xQUTf]  em.  Meier,  Opusc.  II  287)  (ftjai 
rgvXX(it  iyxüifiiOBf  yeygafpevai.  Auch  bei  dem 
Wettstreit  der  Lobredner  auf  MausoUos  soll 
er  beteiligt  gewesen  sein;  s.  GeUius  X  18, 
6  und  Meier  a.  O. 


>)  Das  Jahr  geht  hervor  aus  §  126;  Aber 
die  sich  daraus  ergebende  politische  Tendenx 
der  Rede  s.  Dbebüf,  Philol.  54  (1896)  6S6 
ff.  Dagegen  hilft  sich  G.  Fribdrich  Jahrb. 
f.  cl.  Phil.  1893  S.  21  f.  u.  1897  S.  175  f. 
aus  den  Bedenken,  welche  die  Widerapr&che 
aber  die  Zeit  des  Feldzugs  des  TeiribaKoa 
erwecken  (paneg.  134  und  Diodor  XIY  110) 
mit  der  Annahme,  dass  der  Panegyxikos 
zuerst  385,  dann  in  einer  zweiten  Aosgftbe 
380  veröffentlicht  worden  sei. 

^)  Natürlich  war  die  Bede  nicht  wirkUch 
von  Archidamos  gehalten  worden;  dieselbe 
wurde  von  den  Alten  wegen  ihres  ethischen 
Gehaltes  besonders  hoch  geschfttit;  s.  Dionys. 
de  Isoer.  9  u.  Philostr.  Vit  soph.  I  17. 

^)  Gerichtet  war  die  Rede  gegen  AUd- 
damas;  s.  §  272. 


8.  Die  Beredsamkeit,    d)  Isokrates.    (§§  270—271.)  383 

söhnen  und  die  FübrerroUe  im  Krieg  gegen  die  Perser  zu  übernehmen; 
Uava^Tjrcuxog^  geschrieben  342—389,  eine  schlechte  Neuauflage  des  Pane- 
gyrikos,!)  in  welcher  mit  dem  Lobe  Athens  die  Verherrlichung  der  eigenen 
Knnstrichtung  in  ermüdender  Breite  verbunden  ist. 

Den  Reden  sind  10  Briefe  angefügt,  über  deren  Echtheit  das  Urteil 
der  Kenner  schwankt,  die  aber  jedenfalls  ganz  im  Geiste  und  im  Stil  des 
Isokrates  geschrieben  sind.^)  Dieselben  sind  gerichtet  an  Dionysios,  den 
Tyrannen  von  Syrakus,  an  König  Philipp,*)  den  jungen  Alexander,  an 
Antipater,  Timotheos  (Tyrannen  von  Heraklea),  Archidamos,  die  Kinder  des 
Jason,  die  Archonten  von  Mytilene.  In  dem  3.  Brief  an  Philipp,  der  nach 
der  Schlacht  von  Ghäronea  geschrieben  ist,  geht  der  Schreiber  in  seiner 
Einf&ltigkeit  so  weit,  auch  noch  nach  der  Niederwerfung  der  Athener  von 
einer  Führerrolle  des  Königs  in  einem  Perserkrieg  zu  träumen.  —  Endlich 
bewahrte  man  in  den  Rhetorenschulen  das  Andenken  an  die  vielen  hüb- 
schen Aussprüche  {äno(fd'hY^axa)  des  Lehrers,  darunter  den  schönen  r^g 
Ttaiisfag  trjv  fUv  ^i^ccv  slvai  nixgav  tov  i^  xagniv  yXvxtv.^) 

271.  Charakteristik.  Die  Bedeutung  des  Isokrates  liegt  in  der 
Ausbildung  des  Stils  ßt^ig,  elocutio) ;  ^)  seine  Perioden  sind  von  vollendeter 
Rundung;  die  annähernde  Gleichheit  der  entsprechenden  Glieder  {nd^iaa) 
geben  seiner  Rede  jenes  Ebenmass,  das  die  Griechen  in  der  Sprache  nicht 
weniger  als  in  der  Baukunst  anstrebten;«)  der  Hiatus  oder  der  Zusammen- 
8to88  zweier  Vokale  ist  mit  Sorgfalt  vermieden;')  auch  die  Aufeinander- 
folge gleicher  Konsonanten  im  Auslaut  des  vorangehenden  und  Anlaut  des 
nachfolgenden  Wortes  ist  ferne  gehalten;  ein  wohlklingender  Rhythmus 
schlägt  an  das  Ohr  des  Lesenden,  ohne  dass  doch  ein  bestimmtes  Metrum 
herauszufinden  wäre;  insbesondere  ist  am  Schlüsse  der  Perioden  ein  be- 
stünmter  Tonfall  {numerus)  eingehalten ;  die  Bedeutung  der  lumina  oratio- 
nis,  der  Metaphern  und  Figuren,  ist  wohl  gewürdigt,  doch  mit  Mass,  ohne 
den  Fehler  gesuchter  Künstelei  zur  Anwendung  gebracht.  Aber  so  hoch 
man  auch  diese  formalen  Vorzüge  der  Reden  des  Isokrates  anschlagen 
mag,  80  merkt  man  denselben  doch  zu  sehr  die  darauf  verwendete  Mühe 
an.  Auf  die  Ausarbeitung  des  Panathenaikos  hat  er  nach  seinem  eigenen 
Geständnis  3  Jahre  verwendet,  und  für  sein  schönstes  Werk,  den  Pane- 
gyrikos,  soll  er  gar  10  Jahre  gebraucht  haben,  wozu  Cäcilius  in  dem  Buche 
vom  Erhabenen  4,  2  witzig  bemerkt,^)  dass  Alexander  in  weniger  Jahren 
Asien  erobert,  als  Isokrates  den  Panegyrikos  geschrieben  habe.  Infolge 
dessen  fehlt  seinen  Reden  die  anregende  Frische  und  die  natürliche  Kraft; 

')  Der  Titel   kommt   daher,    weü   den   1   att.  11  227. 
H&nptteü  der  Rede  das  Lob  Athens  bildet,   I  ^)  Rehdantz,  GCtt.   Gel.  Anz.    1872  S. 


md  weil  daza  das  nahende  Fest  der  Pan- 
aäieideii  (§  17)  Anlass  bot. 

')  WiLAHOWiTZ,  Aristoteles  n.  Athen  II 
^I  iL  erkJArt  sich  fttr  die  Echtheit  von  1. 
2.  5.  7.  8. 

*)  Von  einem  bissigen  Feind  des  Redners 
■tunmt  der  BO.  Brief  der  Sokratiker,  in  dem 
^eaäell  das  Verhfiltnis  des  Isokrates  zu  Phi- 
%  begeifert  wird. 

*)  Zusammengestellt  von  Sauppb,  Orai 


1169  ff.;  Norden,  Die  antike  Konstprosa  113  ff. 

®)  Nach  dieser  Seite  trat  Isokrates  in 
die  Fusstapfen  des  Gorgias,  als  dessen 
Schüler  ihn  Cicero  Orat.  176  und  Quintilian 
II I  1,  13,  letzterer  unter  Bemfong  auf  Ari- 
stoteles bezeichnen. 

^)  Bbnseler,  De  hiatu  in  oratoribus 
atticis  et  historicis  graecis,  Freiburg  1841; 
BLASS,  Gesch.  d.  Bereds.  II  130  ff. 

*)  Vgl.  Plut.  de  glor.  Athen.  8. 


384  Orieohisohe  LitteratnrgeBohiohte.    I.  KlaMiaehe  Periode. 

ihre  Schönheit  ist  zu  sehr  gemachte  Zier,  ihre  FQlle  zu  wenig  dem  inneren 
Gedankenreichtum  entwachsen. 0  Hübsch  verglichen  deshalb  die  Alten*) 
den  Isohrates  mit  dem  zum  festlichen  Agon  gerüsteten  Athleten,  den 
Demosthenes  mit  dem  zur  Schlacht  gewappneten  Hopliten.  Aber  immerhin 
bleibt  doch  noch  das  Beste  an  Isokrates  die  formale  Vollendung;  der  Jn- 
halt  seiner  Reden  dreht  sich  um  wenige  Gemeinplätze  der  Politik,  ver- 
mischt mit  abgeschmackten  Tiraden  auf  die  Grösse  seiner  Kunst.  Das 
Lob  der  Bildung,  die  Ermahnung  der  Hellenen  zum  einträchtigen  Zu- 
sammenstehen, die  Vorschriften  der  Humanität,  Gerechtigkeit,  Mässigung 
vernimmt  man  gern  aus  seinem  beredten  Munde;  aber  das  sind  Gedanken, 
die  jeder  in  den  Mund  nehmen  konnte,  die  schon  Gorgias  seinen  Zeit- 
genossen gepredigt  hatte,  deren  stete  Wiederholung  zuletzt  langweilig 
werden  musste.  Der  Panathenaikos  ist  zur  Hälfte  aus  Phrasen  älterer 
Reden  zusammengesetzt,  und  in  die  Rede  über  den  Vermögenstausch  hat 
Isokrates  zum  Belege  seiner  patriotischen  Gesinnung  ganze  Stellen  aus 
seinen  früheren  Reden  eingelegt.  Das  zeugt  von  starker  Geistesarmut 
Dabei  war  aber  unser  Rhetor  so  eitel,  seine  Redekunst  für  das  Höchste 
zu  halten  und  dieselbe  als  die  eigentliche  Weisheit  auszugeben.  Wie  er 
mit  dieser  hohlen  Einbildung  den  gerechten  Spott  des  Piaton  herausforderte, 
werden  wir  weiter  unten  sehen.  Bei  aller  Sorgfalt  in  der  Glättung  der 
Rede  hing  doch  dem  Isokrates  gegenüber  der  Energie  des  Demosthenes 
die  Mattigkeit  eines  Schulmeisters,  gegenüber  dem  Tiefsinn  des  Piaton  die 
Oberflächlichkeit  eines  Dilettanten  an. 

Die  Codices  bilden  zwei  Familien;  die  ältere  und  bessere  bildet  der  Urbinas  CXI 
der  Yaticana  (F)  s.  X,  in  welchem  aber  die  18.  und  21.  Rede  fehlen  (beschrieben  ist  der 
Cod.  von  Mabtin,  Le  mannsc.  d'  Isocr.  ürbin.,  Paris  1881;  dazu  Drbrup,  Zar  Textgeschichfce 
des  Isokrates,  Philol.  55,  654  ff.);  die  zweite  Familie  ist  vertreten  durcii  Vat  65  vom  Jahr 
1063  (A)  u.  Laurent.  87,  14  s.  XIII  {9).  Beide  Familien  sucht  auf  einen  gemeinsamen  Arche- 
typus zurückzufahren  Dberup,  De  codicum  Isocrateorum  auctoritate,  Leipz.  Stud.  1894.  Reste 
stichometrischer  Angaben  in  r  weist  nach  Führ  Rh.  M.  37,  468  ff.  Die  zweite  Rede  (§  1 
bis  30)  ist  auch  in  einem  Papjrrus  erhalten,  worüber  A.  Schöne,  De  Isocratis  papyro  Mas- 
siliensi,  M^langes  Graux  p.  481-504,  Par.  1884;  Blass  Jahrb.  f.  Phil.  129,  417  ff.  und  Bb. 
Keil  Herm.  19,  596  ff.  Ein  Stück  der  Rede  7t€Qi  si^yrjq  steht  in  einem  Londoner  Papjnis* 
worüber  Kenyon,  Class.  texts  p.  63—79.  Von  der  Rede  an  Demonikos  existiert  auch  eine 
syrische  Uebersetzung,  worüber  Baumstark,  Lucubrationes  Syro-Graecae,  Jahrb.  f.  kl.  PhiL 
Suppl.  XXI  438  ff.    -  Dürftige  Schollen  und  Inhaltsangaben  bei  Baitbr-Sauppb  p.  3—11. 

Ausgaben :  Die  Vulgata  bildete  bis  in  unser  Jahrhundert  die  Ausgabe  von  Htbrontmus 
Wolf,  Basel  1551;  rec.  Bensbler- Blass,  Ups.  1882.  —  Ausgewählte  Reden  mit  Anmerkungen 
für  die  Schule  von  Rauch enstein-Reinhardt  bei  Weidmann,  von  Schkeider  bei  Tenbner. 
—  Antidosis  von  Havbt,  Paris  1862. 

272.  Nebenbuhler  des  Isokrates  und  Vertreter  der  sophistischen  Be- 
redsamkeit waren  Antisthenes,  Alkidamas,  Thrasymachos,  Polos,  Lykophron, 
Polykrates  und  des  letztgenannten  Schüler  Zoilos.  Von  den  beiden  ersten 
sind  ein  paar  Deklamationen  auf  uns  gekommen.  Auf  Antisthenes,  den 
Sokratiker,  von  dem  eine  theoretische  Schrift  neql  lä^saog  fj  rifgi  j^a^axii^^v 
angeführt  wird,  und  von  dem  uns  die  2  kurzen  Schulreden  ATag  und 
'Odvacevg  erhalten  sind,»)  werden  wir  unten  bei  den  Philosophen  nochmals 


M  W.  HoBss,  De  ubertate  sermonis  Iso-  |  urteilte    der   Peripatetiker  Hieronymus   bei 

kratis,  Freiburg  1892,  Diss.  |  Dionys.  de  Isoer.  13  und  Philodemos  Rhet 

«)  König  Philipp  nach  Ps.  Plut.  p.  845  c,  ,  col.  17. 

Kleochares  bei  Phot.  p.  121b,  9.    Aehnlich  |           ')  Im  Katalog  der  Schriften  des  Anti- 


8.  Die  Beredsamkeit,    e)  Demoethenes. 


1  272—273.) 


385 


zurQckkommen.  Alkidamas  aus  dem  äolischen  Eläa  war  Schüler  des 
Qorgias  und  lehrte  in  Athen  gleichzeitig  mit  Isokrates.  Gegen  diesen 
seinen  Zeitgenossen  und  Rivalen  ist  die  erhaltene  Rede  nsgl  aoffiatcov  rj 
negi  xm  tovg  yqanxovg  Xoyovg  ygaq^ovTtav  i)  gerichtet,  indem  darin  der  Ver- 
fasser als  ein  Haupterfordernis  des  Redners  die  Fähigkeit  bezeichnet,  so- 
fort über  jeden  Gegenstand  frei  reden  zu  können.  Auch  der  verlorene 
Messenikos  stand  zu  des  Isokrates  Archidamos  in  Gegensatz,  indem  darin 
Alkidamas  den  Lakedämoniem  die  Freilassung  der  Messenier  empfahl;  in 
ihm  kam  bereits  der  denkwürdige,  den  Anschauungen  der  Zeit  voraus- 
eilende Satz  vor:  iXevi^ägovg  ä^i]X€  navxaq  x^eog,  ovdtva  Sovlov  ij  (f^vaig 
nt7i(H\x€r.  Einen  weiteren  Gesichtskreis  hatte  des  Alkidamas  Schrift 
MwcHov,  in  der  unter  anderm  die  Erzählung  von  dem  Tode  des  Hesiod 
vorkam;  es  lag  dem  Museion  der  durch  Beispiele  beleuchtete  Satz  zu 
gronde,  dass  die  Dichter  Kinder  der  Musen  sind  und  unter  dem  Schutze 
der  Götter  stehen;^)  viele  Anekdoten  der  älteren  Litteraturgeschichte  gehen 
auf  dieses  Buch  des  sophistischen  Rhetors  zurück. 

e)  Demosthenes  (888—822). 
273.  Wir  kommen  zur  glänzendsten  Stufe  der  Beredsamkeit,  zur 
Redegewalt  der  athenischen  Staatsredner.  Wie  wir  oben  sahen,  hatten 
schon  im  5.  Jahrhundert  die  grossen  Staatsmänner  Athens  im  Gegensatz 
zu  denen  der  Spartaner  durch  überzeugende  Darlegung  ihrer  Politik  und 
feuerigen  Appell  an  den  Patriotismus  des  Volkes  ihren  Einfluss  begründet. 
Themistokles  und  Perikles  waren  nicht  bloss  weitsehende,  thatkräftige 
Staatsmänner,  sie  arbeiteten  auch  unablässig  im  Verkehr  mit  Dichtern 
and  Philosophen  an  ihrer  geistigen  Bildung  und  trugen  mit  der  Gewalt 
der  Rede  ilu'e  erleuchteten  Ideen  in  die  Massen.  Aber  in  jener  Zeit  der 
Tbat,  wo  es  noch  keinen  Buchhandel  gab  und  kaum  ein  Werk  in  attischer 
Prosa  existierte,  lebten  die  Reden  der  grossen  Staatsmänner  nur  in  dem 
Gedächtnis  der  Zuhörer  und  Zeitgenossen  fort,  so  dass  wir  z.  B.  von  der 
berühmten  Leichenrede  des  Perikles  nur  durch  den  Historiker  Thukydides 
Kemitnis  erhalten.  Die  Dinge  waren  inzwischen  anders  geworden:  rasch 
batte  sich  seit  dem  Anfang  des  peloponnesischen  Krieges  ein  blühender 
Baehhandel  in  Athen  entwickelt,^)  der  für  VervielMtigung  und  Verbreitung 
der  Schriften  sorgte ;  die  Bürger,  auch  die  schUchten  und  armen,  verstanden 
sich  nicht  bloss  auf  die  Handhabung  der  Waffen,  sondern  auch  auf 
Lesen  und  Schreiben;   die  Lesesucht  war  so  gross  geworden,   dass  selbst 


>di6oe8  bei  Diog.  VI  15  werden  ausserdem 
angef&fart:  'Og^arov  anoXo-yluy  negi  ttuy  cfitxo- 
Ttfüf^mv  ^  Awsiag   xai  'laoxQärrjgj   ngog   xov 

^)  Die  Rede  steht  im  5.  Bande  von 
BttOB'g  Oral  Attici  p.  673—9.  —  Ein  Bruch- 
atOck  einer  anderen  Rede  gegen  Isokrates 
vaid  aus  den  Papyms  Erzherz.  Rainer  ans 
liefat  gezogen. 

')  VAnLKK,  Der  Rhetor  Alkidamas,  Stzb. 
i  Wien.  Ak.  1861  S.  491-528.  —  Ein 
finiclutflck,    das    dem    dyiav    'Ojuijgov    xai 


'Haiodov  zu  gründe  lag,  worde  aus  einem 
alten  Papyrus  ans  Licht  gebracht  von  Ma- 
HAFFT,  Cunningham  Memoirs  1891  tab.  XXV. 
')  Mit  Athen  konkurrierte  zumeist  8i- 
kilien,  wo  die  Werke  des  Herodot  (daher 
*HQodojov  9ovqIov\  des  Theognis  (daher  zum 
Sikiüer  gemacht),  des  Epicharm  (daher  bei 
Aristot.  Poet.  3  fttr  älter  als  die  attischen 
Komiker  ausgegeben),  des  Philolaos  (von 
Piaton  in  Siküien  gekauft),  Piaton  u.  a.  er- 
schienen. 


HuidbBcli  der  klMS.  AltertumawiBMDachalt.    VII.    8.  Anfl. 


25 


386  Grieohisohe  Litteratnrgeschiohte.    LKUasisohe  Periode. 

Tragödien  und  Dithyramben  zum  Lesen  gedichtet  wurden,  i)  Was  Wunder, 
wenn  nun  auch  die  Staatsmänner  mit  geschriebenen  Reden  sich  an  das 
Volk  wandten,  um  auf  solche  Weise  in  nachhaltigerer  Weise  auf  dasselbe 
zu  wirken  und  in  weiteren  Kreisen  für  ihre  politischen  Ideen  Propaganda 
zu  machen.  Von  diesem  Standpunkt  aus  sind  die  publizistischen  Werke 
des  Xenophon  über  den  Staat  der  Lakedämonier,  über  die  Staatseinkünfte, 
über  Agesilaos,  zu  beurteilen,  von  diesem  auch  die  in  die  Form  der  Rede 
gekleideten  Mahnschriften  des  Isokrates;  sie  repräsentieren  die  Anfange 
der  Publizistik  und  Flugblätterlitteratur.  Aber  man  war  doch  damals  noch 
nicht  zum  papierenen  Zeitalter  der  Zeitungen  und  Tageblätter  herabge- 
sunken ;  der  Staatsmann,  der  wirklich  etwas  leisten  und  durchsetzen  wollte, 
durfte  sich  nicht  auf  das  Schreiben  von  Broschüren  und  Artikeln  be- 
schränken, er  musste  auch  selbst  vor  das  Volk  im  Ratsaal  und  auf  dem 
Markte  treten  und  mit  hinreissender  Beredsamkeit  die  Stimmen  für  seine 
Politik  gewinnen.  Von  den  alten  Staatsmännern  unterschied  er  sich  nur 
dadurch,  dass  er  auf  doppelte  Weise,  durch  die  gehaltene  und  durch  die 
geschriebene  Rede  auf  das  Volk  einwirkte.  Gelegenheit  aber  zu  solchem 
doppelten  Redekampf  boten  zumeist  die  Parteiungen  und  politischen  Stürme, 
welche  in  der  Zeit  des  Philipp  dem  Untergang  der  hellenischen  Freiheit 
vorangingen.  In  den  Reden  aus  jener  Zeit  fesselt  uns  nicht  bloss  die 
rhetorische  Kunst,  sondern  noch  mehr  der  Widerhall  der  gewaltigen  Kämpfe 
um  die  höchsten  Güter  der  Nation.  Der  redegewaltigste  von  allen  war 
Demosthenes,  aber  neben  ihm  hat  die  Zeit  noch  eine  ganze  Reihe  be- 
deutender Redner  hervorgebracht. 

274.  Leben  des  Demosthenes. >)  Die  Herkunft  des  Demosthenes 
drückt  sich  in  dem  Formelvers  aus  Jr^fioc^ävr^g  Jr^fioaO^ärovg  Uatavisvg 
%dd*  tinev.  Der  Vater  des  Redners  war  Besitzer  einer  Waffenfabrik 
(fiaxmQonoiog)^  in  der  30  Sklaven  arbeiteten,*)  und  hatte  ausserdem  noch 
durch  Pfändung  eine  Stuhlfabrik  mit  20  Arbeitern  erhalten.  Das  Geschlecht 
der  Mutter  stammte  aus  dem  Skythenland.  ^)    Als  Geburtsjahr  lässt  sich 


^)  Sie  heissen  bei  Aristoteles,  Rhet.  11 1   '  DemosÜienes  und  seine  Zeit,   3  Bde.,  Leipz. 

12  p.  Uldb,  13  Lesedramen  (nyttyywFuxa),  1856,  2.  Anfl.  1889  nach  dem  Tod  des  Yer- 

')  Die  Quellen,   gedmckt  bei  Westbr-  fassers;  Blass,  Gesch.  der  attischen  Bereds. 

MAHN  Biogr.  gr.  p.  281—312  nnd  Qaaest.  De-  im  3.  Bde;  Köchlt,  PopnlSre  VortrSge  Ober 

mosth.  IV,  sind:  Ps.  Plntarch  im  Leben  Demosthenes,   in  Cies.  Keden;   Hcg,  Demo- 

der   10  Redner,   mit   dem   im  wesentlichen  sthenes  als  politischer  Denker,   in  Stadien 

Photios  cod.  265  stimmt;   Plntarch,   Vita  aas  dem  klass.  Alt,  Freibnrg  1881;  Maur. 

Demosth.   (Gbbharo,  De   Plntarchi   in   vita  Cboisbt,  Los  id^es  morales  dans  T^loquenee 

Dem.   fontibns,    München  1880;   SruRif,  De  polit.  de  Demosth.,  Montoell.  1874;  Brboif, 

fontibushistoriaeDemosthenicae,  Halle  1881);  L^^loqaence  politiqne  en  ur^e,  D^mosth^e, 

Dionysios  ad  Ammaeom  c.4a.  10  (wichtig  Par.    1879;   Bougot,   Rivalit^    d^Eschine    et 

für  Chronologie  der  Reden)  und  nt^i  dstro-  D^mosth^ne,  Paris  1891. 
7r;roc    Jfjuoa^f'yovg ;     Ps.    Lncian,     Dem.  *)  Auf  die  Abkunft  von  einem  Schmied 

encom.;  Libanios,  Vita  ethypothesesDem.;  spielt  an  Juvenal  X  130:    quem  pater  ar- 

Z  o  8  i  m  o  s ,  Vita  Dem.;  anonyme  Vita ;  8  ui  d  a  s ,  dentis  massae  fuligine  Uppue  a  earbone  .  .  . 

3  Artikel.    Die  uns  erhaltenen  Biographien  ad  rhetora  misU. 

gehen  auf  die  Reden  des  Demosthenes  und  *)  Dinarch  adv.  Dem.  15  schilt  ihn  dee- 

seiner  Cregner  und  die  biographischen  Nach-  halb  einen  Skythen.    Curtius,  Gr.    Gr«ach. 

richten   des  Demetrios  aus  Phaleron  (siehe  IM  549:     «Die  ausserordentliche  Spannkraft 

Dionys.  de  Dem.  53)«  Hermippos  und  Sat3rroe  seines  Geistes  mag  damit  zusammenhftngent 

surQck.  —  Neuere  Bearbeitungen:  Schafer,  dass  etwas  von  dem  Blute  der  nordnchen 


3.  Die  Beredsamkeit,    e)  DemoBthenes.    (§  274.) 


387 


au6  den  eigenen  Angaben   des  Redners  das  Jahr  383  berechnen.^)    Der 
junge  Demosthenes  hatte  noch  nicht  das  8.  Lebensjahr  erreicht,   als  sein 
Vater  starb  und  durch  Testament  3  Vormünder  seiner  Kinder,  eines  Sohnes 
und  einer  Tochter,  bestellte.     Aber  die  Vormünder  rechtfertigten  nicht  das 
in  sie  gesetzte  Vertrauen,   sie   brachten  das  Vermögen  von   15  Talenten, 
statt  es  durch  gute  Verwaltung  zu  verdoppeln,  fast  ganz  durch,   so  dass 
es  die  erste  Handlung  des  volljährig  gewordenen  Demosthenes  war,  seine  Vor- 
münder, zunächst  den  Aphobos,  vor  Gericht  zu  ziehen  (364).     Die  nötigen 
Rechtskenntnisse  und  rhetorischen  Kunstgriffe  hatte  er  sich  bei  Isaios  er- 
worben, als  dessen  Schüler  ihn  Hermippos  bei  Dionysius  de  Isaeo  1  be- 
zeichnet   Die    beiden  Reden,    die  Anklagerede   gegen  Aphobos   und    die 
Replik  auf  dessen  Verteidigung,   sind   uns   noch   erhalten,   und   so  über- 
zeugend wirkte  die  Darstellung  des  20jährigen  Jünglings  auf  die  Gemüter 
der  Kichter,   dass  sie   den  Aphobos  zum  Schadenersatz   von   10  Talenten 
verurteilten.     Es   reihte  sich  aber  an   diesen  Prozess   ein  anderer  gegen 
Onetor,  den  Schwager   des  Aphobos,   der,    als  es  zur  Pfändung  kam,   ein 
Grundstück  des  Aphobos  als  Unterpfand  für  die  nicht  zurückbezahlte  Mit- 
gift seiner  von  Aphobos  geschiedenen  Schwester  in  Anspruch  nahm.    Auch 
die  Rede  gegen  Onetor  ist  uns  erhalten,  der  Ausgang  des  Prozesses  aber 
unbekannt;  wahrscheinlich  kam  es  schliesslich  zu  einem  Vergleich,  bei  dem 
Demosthenes  weniges  aus  dem  Schiffbruch  seines  Vermögens  rettete.*)    So 
ward  denn  auch  er,   ähnlich  wie  vordem  Lysias,   durch  äussere  Verhält- 
nisse, durch  die  Nötigung,  an  einen  Ersatz  des  verlorenen  Vermögens  zu 
denken,  auf  die  Bahn  eines  XoyoyQdtfog  oder  Sachwalters   gedrängt.     Auf 
diesem  Wege    fand   er    aber   zugleich   Gelegenheit,    sich    in    der   Bered- 
samkeit praktisch  zu  üben  und  die  Aufmerksamkeit  des  Volkes   auf  sich 
zu  lenken,  wie  später  auch  Cicero   durch  die  Thätigkeit  vor  Gericht  sich 
den  Weg  zur  politischen  Laufbahn   ebnete.     Freilich  konnte,   infolge   der 
athenischen  Verhältnisse,  Demosthenes  nicht,  wie  Cicero,   sich  selbst  dem 
Volke  zeigen   und    zum    geschickten   Entwurf  der    Rede   auch   noch   die 
packende  Gewalt  des  Vortrages  fügen.     Er  schrieb  eben  bloss  die  Reden, 
damit  der  Angeklagte  oder  Kläger  sie  vor  Gericht  vortrage;   nur  in  der 
Bede  für  Phormion  gegen  ApoUodoros  scheint  er  selbst  in  der  Eigenschaft 
eines  Fürsprechers  (awriyoqoq)  vor  den  Richtern  aufgetreten  zu  sein.*)    Im 
übrigen  muss  er  grossen  Anklang  und  Erfolg  mit  seiner  Advokatenpraxis 
gehabt  haben.     Zahlreiche  Reden  in  Privatangelegenheiten,   die   bis  zum 
Jahre  345  herabreichen,*)  sind  dessen  Zeuge,  und  doch  hat  er  gewiss  nur 
einen  ganz   kleinen  Teil   seiner  gerichtlichen  Reden   der  Veröffentlichung 
'^ert  gehalten.     Wenn  ihm  der  Vorwurf  der  Zweideutigkeit  und  des  Ver- 

')  Dass  der  avytjyoQog  nicht  Demosthe- 
nes, sondern  ein  anderer  war,  nimmt  Blass 
111  80  an. 

*)  Die  Privatrede  TiQog  ^aivinnov  ftUt 
erst  380,  ist  aber  unecht.  Demosthenes  be- 
merkt selbst  32,  82:  ifjtol  avfißsßrjxey  (i<p' 
ov  Tiegi  icSy  xotvtßv  Xiyeiy  i^Q^dfÄijy,  fxrjif^ 
TiQos  iy  UQäyfjLtt  Xdtoy  riQoaektjXv^eyai.  Vgl. 
jedoch  Blass  [II  80. 

25* 


Völker  in  seinen  Adern  floss.  Aach  der 
geistesTerwandte  Thnkydides  stammte  müt- 
ierlicheneits  Ton  einem  nordischen  Bar- 
WeiiTolk.* 

')  In  Betracht  kommt  besonders  80,  17 
^21,  154;  8.  Blass  111  7  ff.  Schafer  III 
2,  38  ff. 

*)  Darauf  fahrt  Aischines  in  Ctes.  173: 
^  'P«i!?P«p/ow  Xoyoyqatpoq  dyetfäytj,  r«  na- 
^(ff9  xarayeXtxatojg  n^oifjisyog. 


388 


Grieohiaohe  litteratnrgeaohiohte.    L  KUsaisohe  Pariode. 


rates  der  Sache  seines  Klienten  an  die  Gegenpartei  gemacht  wurde/)  so 
beruht  dieses  wohl  nur  darauf,  dass  er  für  und  gegen  ApoUodor,  den 
reichen  Bankpächter,  auftrat  (Rede  36  für  Phormion,  Rede  45  gegen 
Stephanos).  Dieses  that  er  aber  bei  verschiedenen  Prozessen,  nicht  bei 
demselben  Rechtshandel ;  auch  kommt  entschuldigend  f&r  ihn  in  Betracht, 
dass  inzwischen  Apollodor  durch  sein  kräftiges  Eintreten  f&r  die  Politik 
des  Redners  ein  Anrecht  auf  dessen  Gefälligkeit  gewonnen  hatte.  Dass 
daneben  Demosthenes  auch  als  Lehrer  der  Beredsamkeit  wirkte,  erfahren 
wir  nur  aus  Aischines  I  117  und  175,  hat  aber  bei  der  in  Athen  her- 
kömmlichen Verbindung  der  beiden  Thätigkeiten  eines  Redners  und  eines 
Heranbildners  von  Rednern  durchaus  nichts  unwahrscheinliches. 

275.  Die  Thätigkeit  als  Sachwalter  bildete  die  Stufenleiter,  auf  der 
Demosthenes  zur  höheren  Stellung  eines  leitenden  Staatsmannes  emporstieg. 
Das  Aufsteigen  war  ein  allmähliches;  bevor  er  in  der  Volksversammlung 
sich  direkt  an  das  souveräne  Volk  wandte,  trat  er  vor  Gericht  und  im 
Senat  in  Streitfällen  auf,  welche  die  öffentlichen  Angelegenheiten  berührten. 
Die  erste  Rede  derart  war  die  über  den  trierarchischen  Kranz  {negi  tov 
a%€ifdvov  TTjg  xQiriQaqxiag)^  die  er  359  nach  der  Niederlage  der  Athener  im 
Seetreffen  bei  Peparethos  zu  Gunsten  eines  Unbekannten')  hielt,  der  von 
dem  Senate  nach  dem  Gesetze  den  Kranz  verlangte,  weil  er  zuerst  seine 
Triere  fertig  gestellt  hatte.  Schon  im  folgenden  Jahr  (358)  soll  er  nach 
Aischines  ni  52  gegen  den  Feldherrn  Kephisodotos  als  Ankläger  wegen 
Hochverrates  aufgetreten  sein;  doch  hat  er  die  bei  dieser  (Gelegenheit 
gehaltene  Rede  nicht  zur  Veröffentlichung  bestimmt.  Aber  in  die  nächste 
Zeit  fallen  die  4  grossen  staatlichen  Geriebtsreden,  die  er  veröffentlichte 
und  in  denen  er  zu  den  öffentlichen  Angelegenheiten  durch  Klagen  wegen 
gesetzwidriger  Anträge  {yquifal  na(}av6fi(ov)  bestimmte  Stellung  nahm. 
Zuerst  schrieb  er  355  für  Diodoros  eine  solche  Anklagerede  gegen  Androtion, 
weil  dieser  eine  Bekränzung  des  Rates  der  Fünfhundert  beantragte,  wiewohl 
derselbe  während  seines  Amtsjahres  nichts  für  die  Flotte  gethan  hatte.') 
Daran  schloss  sich  die  Rede  gegen  Timokrates,  einen  Genossen  des  Andro- 
tion, der  zu  Gunsten  der  Staatsgläubiger  Ausstand  für  die  Rückzahlung 
der  dem  Staate  schuldigen  Gelder  beantragt  hatte.  Zum  erstenmal  trat 
Demosthenes  persönlich  in  der  Eigenschaft  eines  Synegoros  an  der  Seite 
des  Ktesippos,  eines  Sohnes  des  Chabrias,  in  einer  öffentlichen  Prozess- 
sache mit  der  Rede  gegen  Leptines  auf  (355/4).  Dieser  hatte,  um  der 
finanziellen  Bedrängnis  des  Staates  abzuhelfen,  die  Abschaffung  der  Steuer- 
befi*eiung  {arilcia)  für  alle  mit  Ausnahme  der  Nachkommen  der  Tyrannen- 
mörder  Harmodios  und  Aristogeiton  beantragt.  Demosthenes,  der  bei  aller 
Sorge  für  die  Hebung  der  Finanzen  doch  kein  Knauser  zu  unrechter  Stunde 
war,  befürwortete  in  einer  glänzenden,  wohldurchdachten  Rede  das  Recht, 
ja  die  Pflicht  des  Staates,  hervorragende  Verdienste  einzelner  Männer  zu 


»)  Aisch.  II  165;  Plut.  Dem.  15. 

*^)  Nach  Libanios  war  es  Apollodor,  was 
man  daraus  vermutet  zu  haben  scheint,  dass 
die  Rede  mitten  unter  solchen  steht,  welche 
für  Apollodor  gehalten  wurden.  Ueber  die 
Rede,  deren  Echtheit  bestritten  wird,   siehe 


EiBOBBOFF,  Rede  vom  iiierarchiBchen  Kranz. 
Abhdl.  d.  Berl.  Ak.  1865  S.  65—108. 

')  Dionys.  ad  Amm.  4  nennt  sie  die 
erste  öffentliche  Rede,  indem  er  die  Bede 
wegen  des  trierarchischen  Kranzes 
Betracht  lässt. 


8.  Die  Beredsamkeit,    e)  Demoathenee. 


i  275—276.) 


389 


belohnen  und  auf  solche  Weise  die  andern  zum  Wetteifer  in  Erfüllung  der 
BOrgerpflichten  anzuspornen.^)  In  die  auswärtige  Politik  griff  die  4.  öffent- 
liche Rede  xard  UQiaroxQarovg  ein  (352),  in  der  er,  gegenüber  dem  Aristo- 
krates,  der  besondere  Vergünstigungen  für  den  Odryserkönig  Kersobleptes 
und  dessen  Schwager  Charidemos  beantragt  hatte,  den  Satz  verfocht,  dass 
Athen  am  besten  seine  Besitzungen  im  Chersones  behaupten  könne,  wenn 
68  den  Zwiespalt  und  die  Eifersucht  der  angrenzenden  thrakischen  Fürsten 
möglichst  nähre.  Diesen  Reden  schliesst  sich  die  Rede  gegen  Meidias  von 
der  Ohrfeige  {TteQi  tov  xovdvlov)  an,  mit  der  Demosthenes  348')  den 
Heidias,  der  ihn  als  Ghoregen  beschimpft  und  damit  das  Fest  gestört  hatte, 
zu  belangen  gedachte.  Die  Rede  wurde  indes  nicht  gehalten,  da  es  Demo- 
sthenes noch  in  letzter  Stunde  vorzog,  einen  Vergleich  einzugehen  und  die 
Klage  fallen  zu  lassen.^) 

276.   Inzwischen  hatte  Demosthenes  auch  direkt  als  Volksredner  in 
die  Politik  einzugreifen  begonnen,  und  wir  kommen  somit  zu  seiner  bedeut- 
samsten Thätigkeit  als  leitender  Staatsmann  und  Verfasser  von  Volks- 
reden  (irjfjtrjYOQiai).^)    Zur  Zeit  seines  ersten  Auftretens  waren  die  Ver- 
hältnisse Athens  überaus  traurig  und  zerfahren.    In  den  Kämpfen  mit  den 
Thebanem  und  Thessaliern  war   die  Grenzstadt  Oropos  an   die  Thebaner 
verloren  gegangen  (366),  und  konnte  es  der  Tyrann  Alexander  von  Pherä 
oach  der  Niederlage  des  athenischen  Admirals  Leosthenes  bei  Peparethos 
wagen,  mit  seiner  Flotte  in  den  Hafen  des  Piräus  einzulaufen  (361).    So- 
dann war  Athen  durch  den  unglücklichen  Ausgang  des  Bundesgenossen- 
krieges (357 — 5)  fast  all  seiner  auswärtigen  Besitzungen  beraubt  und  auf 
den  dürftigen  Besitz  von  Lemnos,  Imbros,   Skyros  und  der  Südküste  des 
thrakischen  Meeres  beschränkt  worden.     Im  Innern  war  auf  die  kräftige 
Leitung  des  Staates  durch  Kallistratos,  der  361  in  die  Verbannung  gehen 
mnsste,  eine  Periode  der  allgemeinen  Erschlaffung  und  spiessbürgerlichen 
Friedens-  und  Handelspolitik  gefolgt.     Ihr  Träger  war  Eubulos,  der,  hoch- 
fahrenden Plänen  abhold,  lieber  die  verringerten  Kräfte  des  Staates  der 
Pflege  gemächlichen  Lebens  als  dem  Ruhme    der  Hegemonie   zuwenden 
wollte.    Demosthenes  ganze  Natur  widerstrebte  von  vornherein  einer  so 
mattherzigen  Politik ;  doch  ist  die  volle  Energie  seines  Wollens  erst  durch 
das  Vorgehen   des   Königs  Philipp  geweckt  worden,   und  selbst    diesem 
gegenüber  war  sein  Verhalten  anfangs  noch  zaudernd  und  zurückhaltend, 
bis  erst  allmählich  die  helle  Flamme  des  Hasses  gegen  die  Vertreter  der 
Friedenspolitik,   die  Vaterlandsverräter,   wie  er  sie  schalt,   emporschlug. 
Bis  zum  ersten  Auftreten  gegen  Philipp  in  der  1.  philippischen  Rede  (351) 
war  überhaupt  sein  poUtisches  Auftreten  mehr  ein  gelegentliches,  aus  dem 
noch  nicht  die  feste  Richtung  auf  ein  bestimmtes  Ziel  hervortrat. 


')  Die  Rede  -ward  mit  der  Gregenrede 
^  Rhetors  Aristides  herausgegeben  und 
edlotnt  TOQ  F.  A.  Wolf,  Halle  1790. 

^')  Nach  §  154  war  er  cfvo  xai  xQiäxoy- 
'«  f^V  »It,  was  Schafer  in  xiccaQa  x,  xq. 
Utrte;  s.  Böcxh,  Zeitverhftliniase  der  dem. 
Bede  gegen  Meidias,  Ges.  Sehr.  V  153—205. 

^  Slartttig  ist  ea,  ob  Demosthenes  die 
Bede  heraoBgegeben  hat,  oder  ob  dieselbe 


erst  nach  seinem  Tod  aus  seinen  Papieren 
herausgegeben  wurde;  ttber  diese  Kontroverse 
s.  HOttneb,  Jahresb.  d.  klass.  Alt  1887  S. 
218  f. 

*)  L.  Spbnobl,  Die  Demegorien  des  De- 
mosthenes. Abhandl.  d.  b.  Ak.  IX  (1860); 
Hartel,  Demosthenische  Studien,  Stzb.  der 
Wien.  Ak.  1877-8. 


390  ChrieehiBohe  LitteratargeBohiohte.    I.  EUssiBohe  Periode. 

Die  Volksreden,  die  er  in  jenem  vorbereitenden  Stadium  seiner  politi- 
schen Thätigkeit  hielt,  waren  nachfolgende:  In  der  trefflich  disponierten 
Rede  negl  avfÄfioQton'  (über  die  Steuerverbände)  suchte  er  354,  als  ein  Krieg 
mit  dem  Perserkönig  auszubrechen  drohte,  das  überstürzte  Kriegsfieber  der 
Athener  zu  dämpfen,  indem  er  vor  allem  auf  bessere  Ausrüstung  der  Flotte 
durch  Vermehrung  der  zur  Trierenleistung  verpflichteten  Bürger  und  durch 
Erhöhung  der  Zahl  der  Schiffe  auf  300  drang.  Im  folgenden  Jahr  (353), 
als  Gesandte  der  Spartaner  und  der  von  denselben  hartbedrängten  Stadt 
Megalopolis  in  Athen  erschienen  waren,  warnte  er  in  der  Rede  vtii-q  Mfyalo- 
nohxwv  vor  einem  unbedingten  Eintreten  für  die  Megalopoliter  und  empfahl 
eine  blosse  Aufforderung  zum  billigen  Ausgleich  an  die  streitenden  Par- 
teien. Ähnlich  wie  in  der  Aristokratea  verfocht  er  auch  hier  den  Satz, 
dass  es  dem  Staate  fromme,  wenn  die  Lakedämonier  wie  die  Thebaner 
schwach  seien.  In  der  Rede  vnhQ  xijq  '^Podicov  noXitefag  (351)  tritt  er 
schon  für  eine  aktivere  Politik  ein,  indem  er  den  alten  Gedanken,  dass 
die  Athener  sich  als  ein  Bollwerk  der  Demokratie  hinstellen  müssten,  auf- 
nahm und  der  Unterstützung  der  Demokraten  von  Rhodos  gegen  die  von 
Mausollos  begünstigten  Oligarchen  trotz  der  im  Bundesgenossenkrieg  be- 
wiesenen Undankbarkeit  der  Rhodier  das  Wort  redete. 

277.  Von  da  an  konzentrierte  sich  die  ganze  politische  Thätigkeit 
unseres  Redners  um  die  Abwendung  der  grössten  Gefahr,  die  Athen  und 
ganz  Hellas  von  Norden,  von  dem  König  der  Makedonier,  drohte.  Demo- 
sthenes  erkannte  gleich  im  Anfang  die  Gefahr  und  setzte  dann  mit  immer 
steigender  Energie  aU  seine  Beredsamkeit  und  all  seinen  Einfluss  ein,  um 
die  Athener  aus  ihrem  Schlafe  aufzurütteln  und  die  Gegenpartei  des  Eu- 
bulos,  Aischines,  Philokrates,  Demades  niederzudonnern.  Die  erste  Rede, 
die  er  in  dieser.  Richtung  hielt,  ist  die  1.  philippische  Rede,  gehalten 
351  bald  nach  dem  Zuge  gegen  Pylä,  auf  den  §  17  angespielt  ist.  Mit 
Einsicht  und  Kraft,  ohne  Rücksicht  auf  den  Beifall  der  genusssücbtigen 
Menge  mahnte  er  zur  Rüstung,  namentlich  zur  eigenen  Beteiligung  der 
Bürger,  die  wenigstens  V*  des  Heeres  stellen  sollten.  Ernst  in  der  Kriegs- 
führung that  in  der  That  äusserst  not,  da  Philipp  nicht  bloss  Pydna, 
MethonO;  Potidäa  bereits  weggenommen  hatte,  sondern  auch  schon  die 
alten  Besitzungen  der  Athener  auf  Imbros  und  Lemnos  bedrohte.  Auf- 
fäUigerweise  nahm  Dionysius  ad  Amm.  4  an,  dass  mit  §  30  unserer  Rede 
eine  neue  Rede  beginne,  wahrscheinlich  verleitet  durch  die  Überschrift 
IJoQov  änodsi^iq,  die  aber  nicht  eine  neue  Rede  einleiten  sollte,  sondern  der 
eingelegten  Urkunde  galt.^)  In  die  nächste  Zeit  fallen  die  3  olynthi- 
schen  Reden,  von  denen  die  letzte  im  Jahre  349/8  gehalten  wurde. 
Philipp  begann  schon  351  Olynth,  die  mächtigste  Stadt  der  Ghalkidike, 
zu  bedrängen,  und  die  Athener,  wohl  einsehend,  dass  es  sich  dort  um  ihre 
vitalsten  Interessen  handle,  sandten  im  ganzen  3  Hilfskorps  zum  Entsatz 
der  bedrängten  Stadt  ab;  aber  die  Situation  bei  der  1.  und  2.  Rede  ist 
im  wesentlichen  die  gleiche,')  und  nur  zwischen  die  dritte  und  die  beiden 

^)  Baran,   Die  einheitliche  Eompositioii  1  ')  Schon    1,  2  a.  17  ist,   wie   Habtrjl, 

der  1.  phil.  Rede,  Wien.  Stud.  VI  173—205.  |  Dem.  Stud.  I  15  hervorhebt»  aller  Nachdruck 


8.  Die  Beredsamkeit,    e)  Demoathenee.    (§§  277—278.) 


391 


ersten  Reden  fiel  ein  kleiner  Erfolg  der  athenischen  Hilfstruppen.^)  De- 
mosthenes  trat  mit  aller  Kraft  für  eine  entschiedene  Hilfeleistung  ein, 
and  die  markige  Wucht  der  Sprache  stempelt  die  3  kurzen  Reden  für 
Olynth  zu  den  vorzüglichsten  Erzeugnissen  der  demosthenischen  Bered- 
samkeit. Aber  die  Anstrengungen  des  Redners  blieben  ohne  Erfolg;  er 
selbst  wagte  es  nicht,  einen  förmlichen  Antrag  auf  Verwendung  der  Theater- 
gelder f&r  Kriegszwecke  zu  stellen,')  und  ehe  sich  Athen  zu  einer  that- 
kräftigen  Hilfeleistung  mit  einem  Bürgerheer  aufraffte,  fiel  die  Stadt  durch 
den  Verrat  der  beiden  Reiterfiihrer  Lasthenes  und  Euthykrates  in  die  Ge- 
walt des  Makedonerkönigs. 

278.  Schon  in  das  10.  Jahr  ging  der  Krieg  mit  Philipp ;  die  Kräfte 
Athens  waren  erschöpft,  ein  Staat,  der  wie  Athen  so  ganz  auf  den  Handel 
ond  den  Export  von  Artikeln  der  Kunst-Industrie  angewiesen  war,  konnte 
nicht  auf  die  Dauer  die  Unsicherheit  der  Meere  und  den  alles  gefährdenden 
Kriegszustand  ertragen.  Auch  an  seinen  Verbündeten  hatte  Athen  keine 
Freude  erlebt :  der  schändliche  Tempelraub  der  Phokier  musste  die  frommen 
Seelen  unter  den  Athenern  mit  Abscheu  erfüllen;  die  Jahre  lang  fortdauernde 
Verwüstung  griechischen  Landes  durch  die  gegenseitigen  Raubzüge  der 
Phokier  und  Thebaner  war  gewiss  nicht  bloss  einem  unpraktischen  Friedens- 
freund wie  Isokrates,  sondern  auch  vielen  anderen  Athenern  ein  Greuel. 
Auf  der  anderen  Seite  litten  auch  die  Küsten  des  makedonischen  Reiches 
schwer  unter  dem  langjährigen  Krieg  mit  einem  zur  See  überlegenen  Feinde, 
so  dass  sich  auch  Philipp  zum  Frieden,  namentlich  zu  einem  Separatfrieden 
mit  Athen  geneigt  zeigte,  unter  solchen  umständen  beschloss  Athen  auf 
den  Antrag  des  Philokrates  hin  eine  Gesandtschaft  von  10  Männern  an 
den  Philipp  zur  Einleitung  von  Friedensverhandlungen  abzuordnen,  und 
nachdem  diese  über  die  zu  erwartenden  Friedensbedingungen  günstigen 
Bericht  erstattet  hatten,  durch  dieselben  Gesandten  den  Frieden  zu  rati- 
fizieren und  den  Philipp  zu  vereidigen.  So  kam  346  der  Friede  des  Philo- 
krates zu  stand.  An  seinem  Zustandekommen  hatte  Demosthenes  mit- 
gewirkt; denn  er  war  beidemal  zugleich  mit  Aischines  Mitglied  der  Ge- 
sandtschaft, und  wenn  er  auch  mit  seinen  Kollegen  in  Bezug  auf  die  Lang- 
Bamkeit  der  Reise  und  die  Schönfärberei  der  Berichterstattung  nicht  ein- 
verstanden war,  so  hatte  er  sich  doch  auch  nicht  entschieden  von  ihnen 
getrennt  und  seine  Mitwirkung  offen  versagt.  Er  war  wohl  gleich  den 
andern  von  der  Notwendigkeit  des  Friedensschlusses  überzeugt  und  sah 


^vsttf  gelegt,  daas  die  Btkrger  selbst  in  das 
Feld  aäen  aollen;  es  war  also  wahrschein- 
Üch  damals  schon  die  Absendimg  von  Söldner- 
tnpfpen  yonrasgegangen. 

')  Dem.  3,  35.  Dionys.  ad  Amm.  hatte, 
wohl  durch  Philochoros  ifachrichten  von  den 
vendiiedenen  Hilfszfigen  verleitet,  einen 
SrSneren  Zwischenraam  zwischen  der  1.  u. 
2.  Bede  angenommen  und  die  2.  vor  die  1. 
pf^tt  Ihm  pflichtete  m  neuester  Zeit 
^>«n,  Zeitfolge  der  4  ersten  demosthen. 
B«ieD  gegen  Phüinp  (Stzb.  d.  b.  Ak.  1880 
S.  273  ff,}  insofern  bei,   als  er  die  1.  Olynth. 


Rede  im  J.  3^2  vor  der  1.  philippischen  ge- 
halten sein  Hess;  dagegen  Baban,  Zur  Chro- 
nologie des  euböischen  Krieges  und  der 
olynthischen  Reden  des  Dem.,  Wien.  Stud. 
Vn  190—231. 

^)  Bloss  eine  Anregung  enthält  Olynth. 
3,  10;  einen  förmlichen  Antrag  hatte  im 
fVühjahr  349  bei  der  Expedition  nach  Euböa 
und  Olynth  ApoUodor  gestellt,  derselbe  war 
aber  infolge  der  Anklage  des  Stephanos  wegen 
gesetzwidirigen  Antrags  nicht  durchgedrungen 
(in  Neaer.  3  f.). 


392  Grioohiaohe  LitieratnrgeBohiohte.    I.  Klamisohe  Periode. 

sich   ausser  stand,   den  Philipp  zur  schleunigeren  Eidesleistung  und   zur 
Einbeziehung  der  Phokier  in  den  Frieden   zu  zwingen.     Aber  wenn  er 
nicht  mit  gleich  guter  Hoffiiung  an   dem  Friedenswerk  mitarbeitete,   so 
zeigte  sich  bald,  wie  sehr  seine  Besorgnisse  begründet  waren.   Der  schlaue 
Philipp   hatte   sich   nicht  bloss  durch  sein  Säumen  vor  der  Eidesleistung 
in  den  Besitz  mehrerer  wichtigen  Punkte   der  thrakischen  Küste  gesetzt, 
er  warf  auch  nach  dem  Abschluss  des  Separatfriedens  offen  bezüglich  der 
Phokier  die  Maske  ab,  setzte  sich  mit  seinen  nun  freigewordenen  Regi- 
mentern sofort  gegen  Thessalien  in  Bewegung  und  nahm  in  Ausführung 
eines  Amphiktionenbeschlusses  an  den  Phokiern,   den  vormaligen  Bundes- 
genossen der  Athener,   blutige  Rache  für  ihre  Frevel.    Über  eine  solche 
Treulosigkeit,  die  so  gar  nicht  den  verlockenden  Vorspiegelungen  der  Ge- 
sandten entsprach,  geriet  man  in  Athen  ausser  sich,  war  aber  ihr  gegen- 
über vollständig  ohnmächtig,  da  man  keine  Macht  hatte,  dem  Philipp  ent- 
gegenzutreten, und  da  obendrein   die  formellen  Friedensbedingungen  von 
demselben  nicht  verletzt  worden  waren.    Aber  um  so  mehr  wütete  man 
im  Innern  gegen  die  Verräter,  die  durch  das  Geld  des  Philipp  bestochen, 
den  ungünstigen  Frieden  herbeigeführt  hätten.    Zuerst  fiel  der  Hauptan- 
stifter Philokrates;   bald  kam   auch  Aischines  an  die  R^ihe,   gegen   den 
Timarchos  und  mit  ihm  Demosthenes  eine  Klage  wegen  Truggesandt- 
schaft {naQanqsaßeiaq)  einbrachte.     Die  Klage   kam  nicht  sogleich   zum 
Austrag,  da  ihr  Aischines  mit  einer  Klage  gegen  Timarchos  in  den  Weg 
trat,  indem  er  diesen  schändlicher  Hurerei  beschuldigte,  wodurch  er  als 
arifiog  das  Recht  öffentlicher  Klage  verscherzt  habe.     So  kam  der  Prozess 
gegen  Aischines  erst  343  zur  Verhandlung;   die  Anklagerede  des  Demo- 
sthenes wie  die  Verteidigungsrede  des  Aischines  sind  uns  erhalten,   doch 
muss  Demosthenes  seine  Rede   erst  hintendrein  sorgfältig  ausgearbeitet 
und  zum  Teil  auch  umgearbeitet  haben.    Denn  wie  man  aus  Aischines  H  86 
sieht,   kamen  in  der  wirklich  gesprochenen  Rede  des  Demosthenes  Dinge 
vor,  die  in  der  geschriebenen  und  uns  erhaltenen  nicht  stehen,  i)    Die  lange 
Anklagerede  nimmt  gegen  Aischines  ein,  genügt  aber  nicht,  um  uns  von 
der  Schuld  desselben,  dass  er  sich  nämlich  nicht  bloss  durch  den  schlauen 
König    überlisten    Hess,    sondern    auch   um    Geld    die    Interessen    seines 
Vaterlandes  verraten  habe,  vollauf  zu  überzeugen.    Auch  die  Geschworenen 
Athens  traten  nur  zum  Teil  auf  die  Seite  des  Demosthenes:   mit  einer 
Mehrheit  von  30  Stimmen  wurde  Aischines  freigesprochen.*) 

279.  Nun  folgte  eine  Periode  der  Priedenslockerung,  indem  die  Athener 
die  Feinde  Philipps  unterstützten  und  allmählich  einen  latenten  Krieg  zu 
führen  begannen,  ehe  es  zum  förmlichen  Bruch  kam.  Demosthenes  trat 
anfangs  noch  für  Aufrechthaltung  des  Friedens  ein;  das  that  er  346  mit 
der  Rede  ticq!  eiQijvrjg,  in  welcher  er  von  der  Opposition  gegen  die  Auf- 
nahme PhUipps  in  den  Amphiktionenbund  abriet.     Nach  und  nach   aber 


*)  üeber  die  neuere  Litterator  hieiüber 
8.  HüTTNBB,  Jahresb.  d.  klass.  Alt.  1887, 
217  f. 

')  So  ein  Gewährsmann  des  Plutarch 
Dem    15;   Plut.   selbst  nnd   vielleicht  auch 


Dionys.  ad  Amm.  11  nahmen  an,  dass    der 
Prozess   gar   nicht  znr  Entscheidang  Jcak»» 
Aber  Demosthenes  selbst,  de  cor.  142,  Sprint 
gegen   diese  Annahme;  s.  Blabs  III  308  f. 


8.  Die  Beredsamkeit,    e)  Demosthenes.    (§  279.) 


393 


stellte  er  sich  immer  entschiedener  an  die  Spitze  der  antimakedonischen 
Partei,  indem  er  die  Umtriebe  Philipps  aufdeckte  und  ihm  die  Schuld  des 
Friedensbruches  zuzuschieben  suchte.  Die  in  diesem  Sinne  von  Demosthenes 
gehaltenen  und  zur  Verbreitung  seiner  Gedanken  auch  durch  Abschriften 
veröffentlichten  Beden  sind:  die  2.  philippische  Rede  (342),  die  Rede  über 
die  Angelegenheiten  im  Chersones  (341),  die  3.  philippische  Rede 
(341).  Von  diesen  ist  weitaus  die  schönste  und  kraftvollste  die  3.  philippische 
Bede,  von  der  uns  zwei,  schwerlich  beide  auf  Demosthenes  selbst  zurück- 
gekende  Rezensionen,  eine  kürzere  und  eine  erweiterte  überliefert  sind.^) 
Ausserdem  haben  wir  aus  jener  Zeit  noch  4  Reden,  deren  Echtheit  zweifel- 
haft ist:  erstens  die  über  Halonnesos,  ein  Inselchen,  das  Philipp  den 
Seeräubern  entrissen  hatte,  und  das  die  Athener  als  alten  Besitz  von  ihm 
Zurückforderten.')  Demosthenes  hatte  in  der  Sache  wirklich  gesprochen, 
aber  die  erhaltene  Rede  rührt  nicht  von  ihm  her,  sondern  von  einem 
radikaleren  und  derberen  Vertreter  der  Kriegspartei,*)  wahrscheinlich  von 
Hegesippos,  dem  sie  nach  der  Hypothesis  des  Libanios*)  von  einem  Teil 
der  alten  Gelehrten  zugesprochen  wurde.  Die  zweite  verdächtige  Rede 
ist  die  4.  philippische,  in  die  ganze  Paragraphen  aus  der  Rede  ns^i  ttav 
ir  Xsgaovrjifip  übertragen  sind,  in  der  aber  auch  mehreres,  sonst  nicht 
bekanntes,  wie  über  Abführung  des  Fürsten  Hermeias  von  Atarneus  nach 
Innerasien  vorkommt.  In  der  erhaltenen  Qestalt  ist  die  Rede  niemals 
gehalten,  in  ihr  auch  schwerlich  von  Demosthenes  selbst  veröffentlicht 
worden;  wahrscheinlich  rührt  sie  von  einem  Rhetor  her,  der  eine  Ausgabe 
der  philippischen  Reden  ohne  die  Rede  über  die  Angelegenheit  des  Cher- 
sones besorgte  und  dabei  Papiere  des  Demosthenes  über  konzipierte,  aber 
nicht  veröffentlichte  Reden  mitbenutzte.  Unecht  ist  drittens  auch  die  Rede 
JTfog  ti]v  €7na%oXi]v  %r]v  (Pik/nnov,  in  die  gleichfalls  mehrere  Paragraphen 
aus  anderen  Reden  eingelegt  sind,'^)  auf  die  Sache  selbst  aber,  die  Zurück- 
weisung der  von  Philipp  in  dem  Brief  erhobenen  Beschwerden,  wenig  ein- 
gegangen ist.  Dieser  Brief  selbst  ist  mit  der  Rede  erhalten ;  schwankend 
aber  ist  das  Urteil  über  seine  Echtheit.  Aus  der  Rede  des  Demosthenes 
ist  er  sicher  nicht  von  einem  späteren  Rhetor  zusammengestellt;  hat  ihn 
ein  Rhetor  fingiert,  so  hat  derselbe  dazu  jedenfalls  die  zeitgenössischen 
Geschichtswerke   des   Theopomp   und  Hieronymos   von  Kardia  benutzt.^) 


')  Die  ktizzere  liegt  uns  im  cod.  2  vor, 
ueh  dem  die  Rede  von  Westennann  in 
seiner  Ausgabe  abgedruckt  ist.  Die  kürzere 
FttBong  liegt  auch  den  stichometrischen 
Angaben  der  Attikasansgabe  zu  Grmnde; 
a.  Cbbist,  Die  Attikusausg.  des  Dem.  55  fif. 
Üeber  die  2  Redaktionen  handelt  Dbäsekb, 
reberliefenmg  der  3.  pbil.  Rede  des  Dem., 
in  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  VII.  Neuerdings 
weist  auch  A.  Spbngel,  Stzb.  d.  b.  Ak.  1887 
6.  272  ff.  nach,  dass  die  Iftngere  Redaktion 
liclit  TOD  Dem.,  sondern  von  unverständigen 
loterpolataren  herrtthrt 

*)  Üeber  die  Rechthaberei  des  Redners, 
^  dem  Volke  riet  die  angebotene  Insel 
ucfat  anzonehmen,  wenn  Philippus  dieselbe 


I  ihnen  geben  {&td6vai\  nicht  zurückgeben 
(ttTiodidoyai)  wolle,  machte  sich  selbst  auf 
der  Bühne  der  Komiker  Antiphanes  bei 
Athen.  223  e  lustig. 

')  Dem.  spricht  nicht  so  derb  wie  der 
Verf.  der  Rede  §  45:  einsg  vfietg  rov  iy- 
xetpaXoy  iv  xolc;  xQOTiitpoig  xal  fitj  iy  taTg 
-njiqvttig  xaxanenttxTjfjLSvov  (pOQehe, 

*)  Ebenso  von  Harpokration  u.  'Hytjoin' 
7J0C  und  von  Photios  bibl.  p.  491a,  11. 

'^)  Darunter,  was  für  die  Echtheitsfrage 
von  Belang  ist,  §  18  eine  Stelle  aus  dem 
missverstandenen  Paragraph  17  der  Rede 
über  Halonnes. 

^)  Bohnere,  Demosthenes,  Lykurg,  Hy- 
perides  S.  482—607  verteidigt  die  Echtheit 


394 


Griechische  LitteratnrgeBohiohte.    I«  ElaBsisohe  Periode. 


Endlich  ist  eine  allgemein  gehaltene  und  daher  chronologisch  gar  nicht 
fest  datierbare  Deklamation  nsQi  <Tt;vra$£(0^  auf  uns  gekommen,  in  der  für 
Aufhebung  der  Theorikenkasse  plädiert  wird. 

280.  Zur  offenen  Kriegserklärung  kam  es  auf  Betrieb  des  Demosthenes 
340,  als  Philipp  die  den  Athenern  verbündeten  Städte  Perinth  und  Byzanz 
am  Bosporus  angriff.  Anfangs  waren  die  Athener  glücklich;  der  Bered- 
samkeit und  diplomatischen  Geschicklichkeit  des  Demosthenes  gelang  es 
sogar,  eine  Aussöhnung  und  ein  Bündnis  der  Athener  und  Thebaner  zu 
stand  zu  bringen,  aber  die  entscheidende  Niederlage  bei  Ghäronea  (338) 
machte  allen  Berechnungen  und  Hoffnungen  ein  Ende.  Demosthenes,  der 
persönlich  an  der  Schlacht  teilgenommen  hatte,  legte  auch  nach  der  ver- 
hängnisvollen Niederlage  die  Hände  nicht  in  den  Schoss;  er  hielt  nicht 
bloss  die  Leichenrede  auf  die  Opfer  der  Vaterlands  Verteidigung,  ^  er  be- 
antragte auch  die  Ausbesserung  der  Mauern  und  trat  selbst  in  die  be- 
treffende Kommission  ein,  wobei  er  zu  den  vom  Staate  ausgeworfenen 
Mitteln  noch  Geld  aus  seiner  eigenen  Tasche  zuschoss.*)  Wegen  dieser 
Verdienste  beantragte  Ktesiphon  im  Jahre  336  kurz  vor  Philipps  Tod ') 
eine  öffentliche  Bekränzung  des  Demosthenes  und  zwar,  um  die  Demon- 
stration der  Patrioten  und  Makedonierfeinde  desto  glänzender  zu  gestalten, 
im  Theater,  an  den  Dionysien,  vor  den  versammelten  Bundesgenossen. 
Sofort  erhob  Aischines  gegen  den  Antrag  Einsprache  und  verhinderte 
dessen  Ausführung,  indem  er  den  Ktesiphon  mit  einer  Klage  wegen  Ge- 
setzwidrigkeit belangte.  Der  Prozess  verschleppte  sich,  man  weiss  nicht 
warum,  6  volle  Jahre  und  kam  erst  im  Jahre  330  zur  Verhandlung.  Die 
Klage  war  äusserlich  gegen  Ktesiphon  gerichtet,  sie  galt  in  der  That  aber 
dem  Demosthenes  und  der  von  ihm  vertretenen  Politik;  sie  hängte  sich 
an  Nebenpunkte,  weil  die  Bekränzung  beantragt  war,  ehe  Demosthenes 
Rechenschaft  abgelegt  hatte,  und  weil  die  Gesetze  eine  Bekränzung  im 
Theater  verboten;  sie  sollte  in  Wahrheit  aber  die  Handlungsweise  des 
Demosthenes  treffen,  der  weit  •  entfernt  eine  solche  Auszeichnung  zu  ver- 
dienen, an  allem  Unglück  der  Griechen  schuld  sei.  Der  Prozess  war  so 
von  vornherein  ein  hochpolitischer;  er  erhielt  noch  mehr  den  Charakter 
einer  grossen  Staatsaktion,  in  der  ein  Verdikt  über  die  beiden  sich  gegen- 
überstehenden Parteien,  der  käuflichen  Friedensfreunde  und  der  unge- 
beugten Verteidiger  der  Ehre  des  Vaterlandes,  gefällt  werden  sollte,  durch 


von  Rede  und  Brief.  Schon  Philochoros 
kannte  den  Brief  nach  Dionva.  ad  Amm.  11. 
Vgl.  W.  NiTSCHB,  Progr.  d.  Sophiengymn. 
in  Berlin,  1876. 

^)  Dem.  de  cor.  285.  Der  erhaltene 
in  IT  ä<piog  indes  ist  unecht,  ist  ein  klägliches 
Machwerk  eines  unbekannten  Rhetors  mit 
Benutzung  des  platonischen  Menexenos  und 
des  Hypereides;  s.  Schäfeb  111  33. 

"^j  Die  Angaben  Über  den  von  Demo- 
sthenes geleisteten  Zuschuss  weichen  von 
einander  ab.  Nach  Aesch.  in  Ctes.  17  be- 
trug er  100  Minen,  nach  dem  Ehrendekret 
für  Demosthenes  bei  Ps.  Plutarch  p.  851 
drei  Talente  und   eine   weitere   Summe  fttr 


die  Grftben  im  Piräus.  Wahrscheinlich  gab 
Demosthenes  selbst  an,  er  habe  drei  Talente 
im  ganzen  aus  seiner  Tasche  hinzugegeben, 
speziell  100  Minen  fOr  den  freiwillig  über- 
nommenen Weiterbau  {JsQyoy  i^uQytNffuyogt 
Aesch.  Ctes.  17)  der  Grftben.  An  der 
Hauptstelle,  de  cor.  118  heisst  es  in  J^  ratf^' 
Xoifjiiva  idtaxitf  in  B  sachlich  richtiger  lärij^ 
X(ofĀya  inedijjxa.  So  stellt  die  Sache  dar 
Rbioh,  in  Abhdl.  zu  Ehren  Christ  S.  286->-9I. 
8)  Aesch.  8,  219;  f&lschlich  lassen  Q- 
cero  de  opt.  gen.  erat  und  Plnt.  Dem.  24. 
die  Klage  schon  vor  der  Schlacht  von  Ch&> 
ronea  angebracht  sein;  s.  Böhkxkb,  For« 
schungen  587  ß,  und  Scbafkr  III  78. 


d.  Die  Beredaamkeit.    e)  Demosthenea. 


I  280-281.) 


395 


die  Kunst  der  beiden  Redner,  die  sich  einander  im  entscheidenden  Rede- 
kampf massen,  des  Anklägers  Aischines  und  des  Verteidigers  Demosthenes. 
Cicero  sagt  in  der  seiner  Übersetzung  der  demosthenischen  Rede  voraus- 
geschickten Einleitung:  ad  quod  iudicium  concursus  dicitur  e  tota  Graecia 
faäus  esse;  quid  enim  tarn  aut  visendnm  aut  audiendum  fuit  quam  summorum 
oratorum  in  gravissima  causa  accurata  et  inimicitiis  incensa  contentio  ?  Beide 
Beden  sind  uns  erhalten;  die  demosthenische,  die  Rede  voraKranz  (tisqX 
cff^ävov,  nicht  vti^q  crr^y.),  ist  ein  unübertroffenes  Meisterstück,  in  welcher 
der  Redner  durch  geschickte  Anordnung  die  schwachen  Punkte  verkleidet^) 
und  mit  der  Verteidigung  seines  Klienten  die  Verherrlichung  seiner  Ver- 
dienste und  die  moralische  Zermalmung  seines  Gegners  verbunden  hat; 
sie  ist  ein  glänzendes  Denkmal  des  Patriotismus  und  zugleich  der  Bered- 
samkeit des  Mannes,  der  durch  seine  flammende  Vaterlandsliebe  und  hin- 
reiBsende  Redegewalt  selbst  diese  Zeit  des  Niedergangs  der  hellenischen 
Freiheit  verklärt  hat.*)  So  urteilten  auch  bereits  die  Geschworenen  Athens, 
die  so  zahlreich  für  die  Politik  des  Demosthenes  eintraten,  dass  Aischines 
nicht  einmal  ein  Fünftel  der  Stimmen  erhielt. 

281.  Die  grossen  Siege  Alexanders  in  Asien  überstrahlten  mit  ihrem 
Glänze  so  sehr  die  Streitigkeiten  der  Griechen  untereinander  und  die  ohn- 
mächtigen Versuche  einer  Auflehnung  gegen  die  makedonische  Oberherr- 
schaft, dass  auch  ein  Politiker  von  dem  Scharfblick  und  der  Redegewalt 
des  Demosthenes  nichts  auszurichten  vermochte.  Es  fallt  zwar  in  jene 
Zeit')  die  unter  seinem  Namen  umlaufende  Rede  nsgi  to)v  ngog  'AXh^aiÖQov 
ffvvx^rixwr,  die  eine  Aufforderung  zum  Aufstand  gegen  die  Makedonier 
wegen  Bruchs  der  Verträge  enthält ;  aber  dieselbe  ist,  wie  bereits  die  Alten 
sahen,*)  weit  entfernt  vom  demosthenischen  Charakter.  Auch  kam  die 
Leitung  der  beiden  Parteien  Athens  allmählich  in  andere  Hände,  in  die 
des  Hypereides  auf  der  einen  und  die  des  Demades  auf  der  anderen  Seite. 
Eine  neue  Bewegung,  in  die  leider  auch  unser  Redner  verwickelt  werden 
sollte,  brachte  die  Angelegenheit  des  Harpalos.  Dieser  war  mit  Schätzen 
des  Königs  Alexander  durchgegangen  und  begehrte  Einlass  in  Athen. 
Demosthenes  erklärte  sich  gegen  die  Aufnahme  und  riet,  nachdem  Harpalos 
doch  Einlass  gefunden  hatte,  zur  Deponierung  der  Gelder  auf  der  Akropolis. 
Als  hintendrein,  nachdem  Harpalos  nach  Kreta  geflohen  war,   das  Depot 


M  Den  schwachen  Punkt  bilden  die 
Rektlidien  Seiten  der  Frage;  diese  sind  in 
die  Mitte  genommen,  so  dass  Demosthenes 
durch  Darlegung  seiner  Politik  der  Ehre 
und  des  Patriotismus  im  ersten  Teil  die 
^dbter  f&r  sich  einnimmt  und  im  dritten 
diejenigen,  welche  durch  die  schwache  Recht- 
fertigung der  Rechtspunkte  wankend  gewor- 
den waren,  wieder  ftlr  sich  gewinnt  und 
durch  das  Pathos  des  £pilogos  zur  bedenken- 
losen Parteinahme  fortreisst. 

')  L.  Spbngel,  Demosthenes'  Verteidigung 
de«  Ktemhon,  Abhdl.  d.  b.  Ak.  X  (1863); 
KncH,  Beweisfnhmng  des  Aeschines  in 
Mmer  Rede  gegen  Etesiphon,  2  Ptogr.  von 
NSraberg  1884 — 5;  Fox,  Die  Kranzrede  des 


Dem.,  Leipz.  1880.  Ueber  die  Redaktion  der 
Rede  Kirchhoff,  Die  Redaktion  der  demo- 
sthenischen Kranzrede,  Abhdl.  d.  pr.  Ak. 
1875;  Alb.  Rabe,  Die  Redaktion  der  demo- 
sthenischen Kranzrede,  Diss.  Gott.  1892. 

')  BöHNEKB,  Forschungen  1  628,  ebenso 
ßpengel,  Blass  setzen  die  Rede  vor  Thebens 
Zerstörung  im  Sommer  8.35 ;  hingegen  SchX- 
FKR  III  191  in  330,  ebenso  Windel,  De  ora- 
tione  Demosthenis  decima  septima,  Gott. 
1881,  und  KoRViTZBR,  Ztschr.  f.  östr.  Gymn. 
1882  S.  249—70. 

*)  Nach  Libanios  in  der  Hvpothesis 
fanden  einige  in  ihr  den  Charakter  des 
Hypereides. 


396  Grieohisohe  LitteimtorgMoliioht«.    I.  KlusiMlie  Periode. 

untersucht  wurde,  fand  sich  ein  bedeutendes  Defizit,  und  entstand  der  Ver- 
dacht, dass  die  fehlende  Summe  zur  Bestechung  der  Redner  verwendet 
worden  war.  Der  Areopag  nahm  selbst  die  Voruntersuchung  der  faulen 
Sache  in  die  Hand  und  veröffentlichte  eine  Liste  derjenigen,  welche  Geld 
von  Harpalos  empfangen  hätten  {t(ov  dfoQodoxrfidvtfav).  Auf  dieser  stand 
auch  Demosthenes  mit  25  Talenten.^)  Die  Sache  kam  darauf  vor  Gericht 
und  da  Demosthenes  nicht  leugnen  konnte,  Geld  empfangen  zu  haben,  und 
nur  behauptete,  dasselbe  nicht  f&r  sich,  sondern  fär  die  öffentlichen  Be- 
dürfnisse der  Stadt  erhalten  zu  haben,  so  verurteilten  die  Richter,  ohne  die 
Sache  näher  zu  untersuchen,^)  den  Redner  zu  einer  Geldbusse  von  50  Ta- 
lenten (324).  Da  er  die  Summe  nicht  bezahlen  konnte,  so  entfloh  er  nach 
Aegina  und  weiter  nach  Trözen.  Seine  Rechtfertigung  und  Bitte  um  Röck- 
berufung, die  den  Inhalt  des  zweiten  an  das  Volk  und  den  Rat  der  Athener 
gerichteten  Briefes  bilden,  fruchteten  nichts;  eine  Wendung  trat  erst  ein, 
als  nach  dem  Tode  Alexanders  (323)  Athen,  Argos  und  Eorinth  sich  gegen 
die  makedonische  Zwingherrschaft  erhoben.  Demosthenes  schloss  sich  noch 
als  Verbannter  den  athenischen  Gesandten,  welche  den  Krieg  gegen  die 
Makedonier  predigten,  an  und  ward  bald  feierlich  auf  Demon's  Antrag 
zurückberufen.  Aber  der  Traum  der  wiedererstandenen  Freiheit  sollte 
nicht  lange  währen;  die  Niederlage  bei  Krannon  vernichtete  vollständig 
die  Hoffnung  der  Patrioten.  Athen  wurde  eingenommen  und  mit  einer 
Besatzung  belegt.  Demosthenes  und  Hypereides,  auf  Antrag  des  Demades 
zum  Tode  verurteilt,  ergriffen  die  Flucht.  Demosthenes  gelang  es,  nach 
Kalaureia  in  den  Poseidontempel  zu  entfliehen ;  aber  die  Schergen  des  An- 
tipater  rissen  ihn  vom  Altar.  Glücklicherweise  hatte  er  Gift  in  einem 
Siegelring  oder  Schreibrohr  bei  sich,  so  dass  er  sich  durch  freiwilligen  Tod 
den  Insulten  seiner  Feinde  entziehen  konnte.')  So  starb  Athens  grösster 
Redner  im  Oktober  322,  nachdem  er  in  seinen  letzten  Jahren  ein  ähn- 
liches Geschick,  wie  später  der  grösste  Redner  Roms  zu  erleiden  gehabt 
hatte. 

282.  Kunst  des  Demosthenes.  Die  Sache  hat  es  mit  sich  ge- 
bracht, dass  wir  in  die  Darstellung  des  Lebens  unseres  Redners  auch 
schon  die  Aufzählung  seiner  Reden  und  Bemerkungen  über  seine  red- 
nerische Begabung  einflochten.  Daher  kann  ich  mich  hier  über  diese 
beiden  Punkte  kurz  fassen.  Um  mit  dem  letzteren  zu  beginnen,  so  war 
Demosthenes  bei  Isaios  in  die  Schule  gegangen,^)  aber  in  seinem  ganzen 
Auftreten  merkte  man  ihm  wenig  von  der  Schule  an,  bildete  er  vielmehr 
eine  Persönlichkeit  für  sich.  Diese  seine  eigentümliche  Stellung  hatte  ihre 
Wurzel   in  dem   sittlichen  Ernst  seiner  Politik,  in  der  mannhaften  Ent- 


*j  Flut    Dem.   25    enihlt   nach    feind-  9«yzV^  cüjyy^m  rvxtttg  tor  ^r^fiayt^yo^, 
seliger  Quelle   die   Anekdote   von  dem  gol-  *)  Wir  haben   ans   dem   Proiees   noch 

denen  Becher,  der  bei   der  Musterung  dem  die  von  Inyektiven  überfliessende  Rede  des 

Dem.  in  die  Augen    gestochen  sei,   und  den  Dinarch  und  Teile  der  Rede  des  Hypeiidea. 

ihm  Harpalos  dann   gef&llt  mit  20  Talenten  Ueber  mangelhafte  üniersnchung  beschwert 

zugeschickt    habe;    ebenso    den    schlechten  sich  Dem.  im  2.  Brief. 
Witz,    den   einige    ober  Dem.  machten,    als  •)  JfjuoeSer^  inifitiftuK  ist  dargeetellt 

er  mit   verbundenem  Halse  auf  den  Markt  auf  einem   in  England   befindlichen   Te 


kam  und  nicht  sprechen  xu  können  erklirte:      kottarelief;  s.  Baumbistbk,  Denkm.  42o. 
or/  rno  «rwy/i;c  fff^Zor,  «ii'  vrt'  tt^yT-  *)  Dionys.  de  Isaeo  1;  ScbIfkb  I  254  it 


8.  Die  Beredsamkeit,    e)  Demoaihenea.    (§  282.)  397 

schiedenheit,  mit  der  er  in  einer  Zeit  der  Verweichlichung  und  des  Klein- 
mutes für  die  Ehre  und  Freiheit  seines  Vaterlandes  eintrat,  in  dem  Feuer, 
mit  dem  er  seine  Ideale  ergriff  und  seine  Zuhörer  fortzureissen  verstand. 
Dionysios,  der  feine  Kenner  der  Redner,  hat  mit  dem  Worte  deirövifjg  die 
charakteristische  Eigenschaft  unseres  Redners  bezeichnet.  Er  hat  dieselbe 
zunächst  in  der  sprachlichen  Kunst  seiner  Reden  nachgewiesen;  weit  er- 
giebigeren Stoff  noch  hätte  ihm  der  Inhalt,  die  in  den  Reden  vertretene 
Politik  und  die  schlagfertige  Gewalt  der  Argumentation,  geliefert.  Aber 
wenn  auch  seine  Reden  ganz  aus  dem  Leben  und  aus  den  Kämpfen  einer 
bewegten  Zeit  hervorgegangen  sind  und  dadurch  einen  ganz  anderen  Ein- 
druck auf  uns  machen  als  die  in  dem  Schatten  der  Schule  gezeitigten  De- 
klamationen, so  war  er  doch  nicht  ein  einfaches  Naturgenie,  sondern  hatte 
sich  erst  mit  Mühe  und  Sorgfalt  zu  dem  grossen  Redner  herangebildet. 
Dass  er  alle  Kunstgriffe  der  Rhetorik  kannte,  dass  er  ganz  nach  den 
Regeln  der  Schule  die  schwachen  Teile  durch  die  Kunst  der  Anordnung 
{tt^ig)  zu  verstecken  und  durch  das  Pathos  und  die  Zuversicht  der  Rede 
die  Schwäche  der  Beweisgründe  zu  übertönen  suchte,  das  hat  uns  be- 
sonders Spengel,  der  gründliche  Kenner  der  alten  Rhetorik,  einzusehen 
gelehrt.  Ist  durch  dessen  Nachweise  der  Glaube  an  die  Unparteilichkeit 
des  Demosthenes  und  an  die  Wahrheit  seiner  Anklagen  in  nicht  wenigen 
Fällen  herabgemindert  worden,  so  ist  die  Bewunderung  seiner  Kunst  nur 
um  80  höher  gestiegen. 

Die  Regeln  der  Kunst  und  die  Gewandtheit  im  sprachlichen  Ausdruck 
hat  Demosthenes  zunächst  in  den  Rhetorenschulen  und  in  dem  Studium 
geistesverwandter  Autoren,  wie  Thukydides,  gelernt,  i)  Geweckt  wurde 
dann  sein  Entschluss,  dereinst  als  Redner  seine  Kräfte  dem  Staate  zu 
weihen,  durch  das  Vorbild  des  grossen  Staatsmannes  Kallistratos;  nach 
alter  Überlieferung*)  war  es  dessen  Rede  über  Oropos  (gehalten  366), 
welche  zündend  auf  den  jungen  Demosthenes  wirkte  und  seine  Lebens- 
riehtung  bestimmte.  Natürlich  liess  es  derselbe  aber  auch  nicht  an  der 
Übung  fehlen,  die  für  ihn  um  so  notwendiger  war,  als  er  verschiedene 
Hindemisse  der  Natur  zu  überwinden  hatte,  um  sich  das  anstössige 
Heben  der  einen  Achsel  abzugewöhnen,  stellte  er  sich  während  des  Dekla- 
mierens  unter  ein  von  der  Zimmerdecke  herabhängendes  Schwert ;  um  das 
a,  den  ersten  Buchstaben  seiner  Kunst,  anstandslos  aussprechen  zu  lernen, 
nahm  er  Steinchen  bei  den  Übungen  in  den  Mund ;  um  durch  das  Lärmen 
der  Volksversammlung  nicht  ausser  Fassung  gebracht  zu  werden,  dekla- 
mierte er  häufig  am  Meeresgestade  bei  brandender  See.')  Ganz  besondere 
Aofmerksamkeit  wandte  er  der  von  den  früheren  Rednern  wenig  beach- 

^)  In  dem  5.  Brief  p.  1490  preist  Dem.  |  geschrieben  haben  soll;  s.  Lucian  adv.  ind.  4; 
die  UnterweiBitng  des  Piaton  (ti;^  nXanavog  \  aber  anch  daffir  bieten  seine  Reden  keinen 
AcTfi^r),    und    danach   sagt  Cicero   Brut.   |  greifbaren  Anhalt.    Nachahmungen  des  Ly- 


Bl,  121:  leetitavisse  Platanem  studiose, 
(tuäinsu  etiam  Demogthenes  dicitur.  Aber 
die  Reden  des  Dem.  verraten  dnrchans  keinen 
finflnss  Platons;  die  praktische  Nator  des 
Dem.  war  yon  romherein  der  philosophischen 
Spekulation  abgekehrt;  s.  Schafes  1  280  ff. 
Melir  glaablich  ist  sein  Stadium  des  geistes- 
verwandten Thukydides,   den   er  8mal   ab- 


kurgos  u.  Isaios  wies  der  Rhetor  Theon  in 
Rhet.  gr.  il  63,  27  Sp.  nach;  vgl.  M.  H.  E. 
Mkier,  Opusc.  n  317  ff. 

«)  Plut.  Dem.  5;  vgl.  SchIper  I  275  ff. 

')  Demetrios  Phalereiosbei  Plut.  Dem.  11 ; 
femer  Ps.  Plut  p.  844  d;  Zosim.  vit.  Dem. 
p.  299 West;  Cic.  de  fin.  V  2,  5;  Quint  X 
8,  30;  Val.  Max,  VIO  7. 


398 


Grieohisohe  Litteratargeschiohte.    I.  KlMMisohe  Periode. 


teten  ^)  Kunst  des  Vortrags  {vnoxQtatg)  zu.  Gefragt,  was  beim  Reden  das 
erste  sei,  soll  er  der  Kunst  des  Vortrags  die  erste,  zweite  und  dritte 
Stelle  zugewiesen  haben.')  Er  ging  deshalb  auch  bei  den  Schauspielern 
in  die  Lehre  und  Hess  sich  insbesondere  von  dem  berühmten  Schauspieler 
Satyros  öfters  einzelne  Stellen  vorsagen.^)  Mit  der  Zeit  brachte  er  es 
aber  auch  selbst  im  Vortrag  und  Gebärdenspiel  zu  grosser  Virtuosität. 
Beobachteten  die  Früheren  eine  steifleinene  Haltung,  indem  sie  die  Rechte 
unverrückt  im  Gewände  behielten,  so  sprach  er  zuerst  degagiert,  frei  und 
lebhaft  die  Hand  bewegend.^)  Der  Geist,  der  ihn  beseelte,  trat  dann  in 
seine  Augen  und  gab  seinem  Gesicht  jenen  energischen,  zornglühenden 
Ausdruck,  den  wir  an  seiner  Büste  bewundern.^)  Ausserdem  verwandte 
er  den  grössten  Fleiss  auf  die  Ausarbeitung  und  Peilung  der  Rede.  Deine 
Reden  riechen  nach  der  Öllampe,  warf  ihm  Pytheas  vor;*)  andere  schalten 
ihn  einen  Wassertrinker,  der  sich  vor  lauter  Studieren  nicht  die  Zeit  zu 
lustigen  Gelagen  nehme.  Jedenfalls  hat  er  die  Reden,  bevor  er  sie  ver- 
öffentlichte, sorgfaltig  durchgearbeitet,  vielleicht  auch  bei  zweiter  Heraus- 
gabe nochmals  revidiert.  Wir  haben  dieses  bereits  oben  bei  der  Rede  von 
der  Truggesandtschaft  angedeutet;  bei  der  Rede  vom  Kranz  scheint  er 
auch  auf  die  inzwischen  veröffentlichte  Gegenrede  des  Aischines  Rücksicht 
genommen  zu  haben.'')  Vorzüglich  aber  wird  sich  die  Peilung  vor  der 
Veröffentlichung  auf  die  Peinheiten  des  sprachlichen  Ausdrucks  und  den 
Rhythmus  der  Rede  erstreckt  haben.  Demosthenes  trat  hier  insofern  in 
die  Pussstapfen  des  grossen  Stilmeisters  Isokrates,  als  er  den  Hiatus  durch 
Wahl  der  Wörter  und  Änderung  der  vulgären  Wortstellung,  wenn  auch 
nicht  peinlich,  so  doch  sorgsam  zu  vermeiden  suchte.  Eigentümlich  ist 
ihm  selbst  die  Abneigung  gegen  gehäufte  Aufeinanderfolge  von  kurzen 
Silben;  eine  solche  schien  ihm  die  Kraft  des  Ausdrucks  zu  brechen.«) 
Wirkungsvoll  ist  aber  bei  ihm  namentlich  die  rhetorische  Kunst  der  Wort- 
stellung und  der  nicht  überhäufige,  aber  doch  gern  gesuchte  Schmuck  der 
Rede  durch  Figuren,  von  denen  er  einige,  wie  die  Leiter  (xilfia^),  zuerst 
in  den  Stil  einführte.®)  Auf  diese  Weise  vereinigen  die  Reden  des  Demo- 
sthenes auf  das  schönste  das  Feuer  und  die  Kraft,  welche  die  Hitze  des 
Redekampfes  auf  dem  Markte  erzeugte,  und  die  Sauberkeit  und  Sorgfalt 
des  Stiles,  welche  die  nachträgliche  Feilung  im  Studierzimmer  dem  ersten 
Ergüsse  der  Rede  hinzufügte,  i^) 

*)  Vgl.  Arist  Riet,  m  1  p.  1403  b,  21. 

«)  Philod.  Rhet.  4,  16  p.  196,  3  Sudh.; 
Cic.  de  orat.  III  56,  213,  Brut.  38,  142  u. 
a.;  B.  Schafer  I  298  f. 

»)  Plut.  Dem.  6. 

^)  Darauf  spielt  an  Aisch.  I  25  und 
Dem.  de  fals.  leg.  255;  vgl.  Philodem  de 
rhet.  4,  16  und  das  Bild  des  Redners. 

'^j  Siehe  Abbildung  auf  der  angefügten 
Tafel  und  die  Bftste  der  Münchener  Glypto- 
thek n.  149.  Vgl.  H.  Schröder,  Abbild,  d. 
Demosthenes,  Braunschweig  1852;  Michaelis 
in  Schäfers  Demosthenes  1887  t.  III  165. 

•)  Libanios  vit.  Dem.  Z.  79:  Ilv&^ag 
axtunttoy  e(prj  toüV  Xoyovg  rov  JrjfÄoaS^yovs 
Xt'xytuy  dno^eiy,  ähnlich  Plut.  Dem.  8. 


7)  SoHAFER  111  68  ff.;  Reich  a.  O. 

s)  Das  wichtige  Gesetz  wurde  «:st  in 
unserer  Zeit  von  Blass  III  100  erkannt. 
Aus  ihm  erklärt  es  sich  unt^  anderem  auch, 
dass  er  or.  41,  6  diedcio  oQovg  dTnattjani 
den  Plural  ö^oi*;  statt  oQoy  anwandte,  wie- 
wohl es  sich  dort  nur  um  1  Pfand  handelte. 
-•  Rhythmische  Analysen  aus  der  1.  I^iilip- 
pischen  Rede  gibt  Norden,  Die  antike  Kunst- 
prosa  911  ff.,  indem  er  die  Eola,  nach  den 
Anzeichen  des  Sinns,  vielfach  aber  auch 
nach  sehr  subjektivem  Ermessen  abteilt. 

*)  Straub,  De  tropis  et  fignris  quae 
inveniuntur  in  orationibus  Demosthenia  et 
Ciceronis,  Progr.  Aschaffenbuig  1888. 

*o)  Quintil.   X   1,   76:    oratorum    langt 


8.  Die  BeredBamkeit.    e)  ÜemoBihenes.    ($  283.) 


399 


Um  das  Gesagte   an  Bespielen   zu  erläutern,   greife   ich  aufs  Geratewohl  ein  paar 
Steilen  aus  der  8.  philippischen  Rede  heraus:  §  13  lesen  wir  eti*  otea^'  avroy,  o«  inoirjaay 
fä»  ov^cr  ay  xaxoy,   fiij    naS^Biy   «T  iq)vXa^{tyi*  av  tatag,    xoxhovg  fxky   i^fcnaräy    al^etad'tti, 
fiaUoy  17  Ti^oXdyoyta    ßiä^ec^ai,   vfjtly   (f  ix   n^oQQijaetag    noXefiijosiyf    xai    ravd^*  euts    ay 
ixoVrc;  i^ttfiaräirde ;   Wir  haben  hier  ein  konditionales  Sachverhältnis,  aber  das  bringt  der 
Redner  nicht  in  der  langweiligen  Form  der  Logik  mit  Vorder-  und  Nachsatz  vor  (wenn  .  .  . 
80),  sondern  in  kraftvoller  Nebeneinanderstellnng  der  Gegensätze  und  statt  in  der  einfachen 
Fonn  der  Behauptung  mit  wirksamstem  Appell  an  das  eigene  Urteil  der  Zuhörer  {oXec^ 
uvfor  .  .  .  noXsfiijasty;),    Gestellt  sind   die  Worte   so,    dass  nicht  ein  nichtssagendes  Pro- 
nomen dem  Relativsatz   vorangeht,   sondern   das  Relativum  oV  mit  dem  Demonstrativum 
fov'rovc  wirkungsvoll    aufgenommen   wird,    dass   femer   die   entgegengesetzten  Pronomina 
Torrovf  und  vfiTy  an  die  Spitze  der  Sätze  treten,  und  dass  die  Gegegensätze  i^anaidy  und 
ßtäCfcdtti  die   nebensächlichen  Worte  nlgetaSM  —  rtQoXiyoyia  in   die  Mitte  nehmen.     Um 
ferner  dem  Zweifel,  ob  die  Duodezstaaten  sich  überhaupt  zur  Wehr  setzen  würden,  kräftigeren 
Aiudnick  zu  geben,  ist  von   der  gewöhnlichen  Stellung   tatag  ay   itpvXd^ayio  Umgang  ge- 
nommen und  das  zweifelnde  tatog  mit  Nachdruck  an  den  Schluss  gesetzt.    Um  endlich  den 
utttfiBsigen  Hiatus  al^etcdai  tj  ngoXiyoyta  zu  vermeiden,  erlaubt  sich  der  Redner,  ein  über- 
flfiasiges  oder  doch  nicht  notwendiges  fxdXkoy  zwischen  die  klaffenden  Vokale  zu  schieben. 
—  Ein  ähnliches  Sachverhältms  liegt   in  §  17  vor:    6    ydg   olg   «*'   iyw  Xr3(p9eiijy,    lavxa 
nqttxiay  xui    xaiaaxeva(6fÄsyos^   oviog  ifxoi  noXBfiei  xdy   fArjnta  ßäXXn    /^rj&e  io|€v^.     Auch 
bier  wird  zweimal   das  Demonstrativum  xavxa  und  ovros  dem  Relativsatz  kraftvoll  nach- 
S^steüt,  im  übrigen  aber  ist  zum  Ausdruck  der  logischen  Verhältnisse   eine  andere  Form 
gewählt;  die  gleiche  Form,  wenn  auch  noch  so  gut,   hätte  bei  öfterer  Wiederholung  Über- 
dnue  erzeugt;   aber  auch  so  kein  mattes  Wenn,   sondern  ein  direktes  Hinweisen  auf  den 
ille  Vorbereitungen  zur  Überlistung  der  Stadt  treffenden  Feind  (o  .  .  ovtog  .  .  i,uoi),  dann 
•ber  auch  nichts  mehr  von    einem  blossen  Glauben,  sondern   bestimmte   kategorische  Be- 
laoptong  {noXefÄSt),   Beachtenswert  ist  sodann  in  unserer  Periode  der  Unterschied  in  den  Satz- 
achlüBsen  ovtog  ifjioi  noXefiBl  xmd /*tj&i  ro^evn:  im  ersten  vermeidet  Demosthenes,  in  dessen 
Bede  schon  die  Alten,   vorzüglich  der  Rhetor  Dionysios,  einen  gewissen  Rhythmus  fanden, 
selbst  nicht  die  Ähnlichkeit  mit  der  ersten  Hälfte  des  Hexameters,  in  dem  zweiten  führt 
er  dorch  die  Schwere   der  gehäuften  Längen   den  Athenern   eindringlichst  die  Grösse  der 
6e&hr  zu  Gemüt  und  schliesst  zugleich,   ähnlich  wie  im  Eingang  der  Kranzrede  n^xoy 
fih  «  uySqBg  *A&ijyaiM  roTg  ^soTg  svxofjiai  näai-  xal  ndcai,g,  mit  wuchtigem  Rhythmus  die 
Periode.  —  Von   besonderem  Interesse  sind  die  ziemlich  zahlreichen  Stellen,  an  denen  uns 
die  Rede  in  zwei  Becensionen,  einer  demosthenischen  und  einer  nachdemosthenischen,  erhalten 
ist;  denn  an  ihnen  kann  man  zumeist  den  grossen  Unterschied  zwischen  dem  gedrungenen, 
wuchtigen  Stil   des   echten  Demosthenes  imd  der  matten  Breite  seiner  Nachtreter  kennen 
leraen.    Gerne  würde   ich  auf  die  Stelle  §  46  eingehen,  wo  der  spätere  Herausgeber,  weil 
er  die  konzise  Sprache  des  alten  Redners  nicht  verstand,  eine  lange  breite  Sauce  über  die 
ahe  gedrängte  Argumentation  geschüttet  hat.   Aber  das  würde  einer  zu  langen  Auseinander- 
seftnmg  bedürfen;  ich  erwähne  daher  nur  einen  einfachen  kurzen  Fall.     In  §  25  hatte  De- 

Bunthenes   auf    die  Ankündigung   ndy^  oa*  i^ijf^dQttjxai   Aaxedaifioyioig iXdxxoy* 

^liry  M  uyif^fg  *A&ijyaioi,  wy  4>iXinnog  iy  xgial  xai  öäx*  ovx  oXoig  exBC^y,  olg  ininoXa^BV, 
i^itTfXB  xovg  "EXXtjyagj  fiaXXoy  <f  ovd^  Tttfinioy  /nBQog  xovxcoy  ixBiva  sofort  das  Sünden- 
f<98ter  des  Philipp  mit  ^OXx^y^oy  fiky  &ij  xal  MB&aiyijy  xal  'j47toXX(ayiay  xtX.  folgen  lassen. 
Wia  tbut  der  Nachtreter  und  was  würden  wir  Epigonen  in  ähnlichem  Falle  thun?  er  er- 
setit  das  individuelle  ne'finioy  mit  dem  verwaschenen  noXXoaxoy  und  schiebt  zwischen  die 
imz  abgebrochene  Propositio  und  die  Schlag  auf  Schlag  erfolgende  Argumentatio  den  lang- 
weiligen Satz  ein  xal  lolio  ix  ß^ax^og  Xoyov  ^<f&ioy  dsT^ai.  Ich  könnte  noch  viele  Stellen 
US  derselben  Rede  zur  Beleuchtung  der  markigen  Kunst  des  Demosthenes  anführen,  aber 
^Kse  paar  Beispiele  mögen  genügen. 

283.    Charakter  des  Demosthenes.     In  der  Hoheit  der  Gesinnung 
und  der  rhetorischen  Kunst  besteht  der  hohe  Wert,   den  die  Kenner   zu 


frnteepi  Demosthenes  ac  paene  lex  orandi 
(•it:  tanta  vis  in  eo,  tarn  densa  omnia,  ita 
Tdbutdam  nervis  intenta  sunt,  tarn  nihil 
ofioeumy  is  dicendi  modus,  ut  nee  guod  de- 


Sit  in  eo  nee  quod  redundet  invenias.  Ver- 
gleich mit  Cicero  bei  Ps.  Longin  de  sublim. 
12,4. 


400 


Grieohisohe  Litteratiirgesoliiohte.    I.  EUsaiBohe  Periode. 


allen  Zeiten  den  Reden  des  Demosthenes  beigemessen  haben.  Diese  Vor- 
züge würden  bleiben,  auch  wenn  er  selbst  im  Leben  weichlich  und  feige 
gewesen  wäre.  Aber  die  Vorwürfe,  die  in  dieser  Beziehung  gegen  ihn 
erhoben  wurden, *)  sind  gewiss  nur  aus  dem  Hass  und  Neid  seiner  poli- 
tischen Gegner  hervorgegangen.  Hätte  er  wirklich,  wie  ihm  Aischines 
III  152  vorwirft  und  Plutarch,  Dem.  20,  gläubig  nacherzählt,  in  der  Schlacht 
von  Chäronea  in  feiger  Flucht  den  Schild  weggeworfen,  so  hätten  ihn 
sicherlich  nicht  seine  Mitbürger  der  Ehre  gewürdigt,  den  Gefallenen  die 
Grabrede  zu  halten.^)  Und  dass  er  kein  Wüstling  war,  der  durch  Aus- 
schweifungen die  Sehnen  seiner  Kraft  brach,  beweist  die  nachhaltige 
Energie,  mit  der  er  für  seine  politischen  Ideale  zeitlebens  eintrat.  Der 
Spitzname  Btkaloq^  der  ihm  möglicherweise  nur  wegen  einer  äusserlichen 
Kleinigkeit  (Stotterns  oder  weichlichen  Ganges)  in  der  Jugend  gegeben 
wurde,  kann  dagegen  nichts  beweisen.^)  Dass  er  sieben  Tage  nach  dem 
Tode  seiner  einzigen  Tochter^)  auf  die  Nachricht  vom  Tode  Philipps  hin 
Festkleider  anlegte,  darf  nicht  mit  Aischines '^)  als  rohe  Gefühllosigkeit 
gedeutet  werden,  sondern  war  ein  Ausfluss  jener  hochentwickelten  Vater- 
landsliebe, vor  der  bei  den  Alten  alle  Rücksichten  des  Privatlebens  zu- 
rücktreten mussten.  Für  seine  Unbestechlichkeit  aber  spricht  schon  das 
Zeugnis  seines  Erzfeindes  Philipp,  der,  als  einst  seine  Ratgeber  in  losen 
Schimpfireden  über  den  attischen  Redner  sich  ergingen,  dieselben  mit  den 
Worten  zurechtwies:  Demosthenes  darf  schon  ein  freies  Wort  sprechen, 
denn  von  ihm  allein  findet  sich  der  Name  nicht  in  meinen  Ausgabebüchern.  ^) 
Und  so  haben  denn  auch  seine  Mitbürger  42  Jahre  nach  seinem  Tod,  als 
ein  ruhiges  Urteil  an  die  Stelle  erregter  Partöileidenschaft  getreten  war, 
in  dankbarer  Anerkennung  seiner  patriotischen  Gesinnung  und  der  gemein- 
nützigen Opferwilligkeit,  die  er  durch  freiwillig  übernommene  Staats- 
leistungen, Loskauf  von  Kriegsgefangenen,  Unterstützung  bedürftiger 
Bürger  bethätigt  hatte,  ihm  ein  Standbild  gesetzt  7)  mit  der  vielsagenden 
Inschrift: 

einsq  iffrjv  ^oifirjv  yvcifirj^  Jrjfiiif&evegy  «X^s, 
ov  7V0V*  av  'EXlrjviov  r]Q^€v  "AQtjg  Maxeddv, 
284.  Werke  des  Demosthenes.  Unter  dem  Namen  des  Demo- 
sthenes sind  auf  uns  gekommen  61  Reden  oder  richtiger,  nach  Ausschei- 
dung des  Briefes  des  Philipp,  60,  ferner  eine  Sammlung  von  Einleitungen 
{nQooifiia)  und  6  Briefe,  welch  letztere  alle  mit  Ausnahme  des  5.  von 
Demosthenes  aus  dem  Exil  an  den  Rat  und  das  Volk  der  Athener  gerichtet 


^)  Auch  auf  die  Bühne  wurde  deshalb 
Demosthenes  gezogen  von  Timokles  fr.  4  u. 
12  Kock. 

^)  Das  hat  schon  richtig  Reiske  geltend 
gemacht.  Dass  frtLher  seine  Gegner  eine 
Klage  keinota^lov  gegen  ihn  planten,  bemerkt 
er  selbst  (Mid.  103)  mit  Entrüstung. 

')  Ueber  die  unbewiesenen  Nachreden 
vom  Umgang  mit  Het&ren  bei  Ath.  592  f., 
Diog.  6,  34  u.  andern  s.  Schäfer  lli  360. 

*)  Ausserdem  hatte  er  noch  zwei  Söhne 
von  derselben  Mutter,  die  den  Vater  über- 


lebten; 8.  Ps.  Plut.  847  c. 

»)  Aesch.  llI  77. 

*)  Lucian.  Dem.  enc.  83:  dlxaiog  6  Jtjfio^ 
a&eyfjg  naQQtj<riag  ivyxfiyBiv  *  fioyog  ye  t«v 
inl  xrjg  'EXXddos  dijfiayotyüiy  ovtfafAov  äno^ 
XoyMffjLolg  iyyiyqanjtti  ita»  ifAtSvayaXiofÄaTmB^^ 

^)  Plut.  Dem.  30;  Zosim.  vit.  Dem.  p.  302, 
Das  Dekret  im  Wortlaut  bei  Ps.  Plut  p.  850. 
Auf  jenes  Standbild  gehen  vermutlich  znrtkc^k 
die  lebensgroBse  Marmorstatue  des  Yattkan, 
dieBronzebüste  von  Herkulanum  und  der 
Marmorkopf  der  Münchener  Glyptothek. 


8.  Die  BeredBamkeit.    e)  Demosthenes.    (§  284.) 


401 


sind.  Die  Echtheit  der  Briefe  wird  bezweifelt;  ob  von  allen  mit  Recht, 
ist  noch  nicht  ausgemacht,  i)  Unter  den  Proömien  decken  sich  mehrere 
niit  den  Eingängen  wirklicher  Reden,  andere  sind  Schulvariationen,  welche 
schwerlich  den  Demosthenes  selbst,  eher  seine  Schüler  und  Anhänger 
zu  Verfassern  haben.  ^)  Von  den  Reden  ist  so  ziemlich  alles  erhalten, 
was  die  Alten  als  demosthenisch  anerkannten.  Ps.  Plutarch  gibt  die 
Zahl  der  echten  Reden  auf  65  an,^)  es  fehlen  demnach  nur  4,  die  wahr- 
scheinlich von  den  späteren  Kritikern  noch  ausgeschieden  wurden,  da- 
runter die  sicher  unechte  71€qI  tov  jujy  ixdovvai  "^ÄqnaXov^)  Aber  auch 
viele  von  den  erhaltenen  Reden  sind  mit  teils  grösserer,  teils  geringerer 
Wahrscheinlichkeit  von  der  modernen  Kritik  und  teilweise  schon  von  alten 
Kritikern  verworfen  worden. 

Eingeteilt  werden  die  Reden  in  Xoyoi  irj/.i6aioi  (27)  und  iäi(a%ixo(  (34), 
neben  der  die  Einteilung  in  dixanxoi,  avfißovlsvtixoi  und  inideixtixoi  ein- 
hergeht. Die  zwei  epideiktischen  Reden,  der  imxdifioq^)  und  sQfazixoq^ 
smd  zweifellos  unecht;  von  der  letzten,  einer  Lobrede  auf  einen  schönen 
Knaben  Epikrates,  ist  es  schwer  zu  begreifen,  wie  sie  sich  überhaupt 
anter  die  Reden  eines  Demosthenes  verirren  konnte.  Von  den  öffentlichen 
Reden,  den  in  der  Volksversammlung  {ßr^txr;yoQ(ai)  und  den  vor  Gericht 
gehaltenen,  ist  bereits  im  Lebensabriss  unseres  Redners  gehandelt  worden. 
Unter  denselben  stehen  auch  zwei  gegen  Aristogeiton  (25.  und  26.)« 
die  ziemlich  allgemein  als  unecht  gelten.^)  Dieselben  geben  sich  für 
Denterologien  (Reden  an  zweiter  Stelle)  aus,  gehalten  bei  der  Klage, 
welche  unter  Alexanders  Regierung  Lykurg  gegen  jenen  der  Atimie  ver- 
fallenen Demagogen  erhoben  hatte.  Dionysios  de  Dem.  57  hatte  bereits 
mit  gesundem  Urteil  die  Unechtheit  der  beiden  Reden  erkannt;  wenn 
bezüglich  der  ersten  andere,  wie  Plinius  ep.  IX  26,  Ps.  Longin  27,  Photios 
p.  491  a  29,  für  die  Echtheit  eintraten,  so  Uessen  sie  sich  durch  die  aller- 
dings schönen  Gemeinplätze,  wie  namentlich  über  den  Wert  der  Gesetze, 
täuschen.  Ein  geringeres  Interesse  bieten  selbstverständlich  die  Privat- 
reden, von  denen  die  gegen  Konon  (54.)  und  für  Phormion  (36.)  am  meisten 
gelesen  zu  werden  verdienen.  —  Die  unechte  Rede  gegen  Neaira,  eine  durch- 
triebene Hetäre,  hat  ein  besonderes  kulturhistorisches  Interesse.     Dieselbe 


M  Gegen  eine  Ünechterklämng  in  Bausch 
and  Bogen  erkl&rt  sich  Blabs  III  388  ff.  a. 
JTalirb.  f.  Phil.  115,  541  ff.,  indem  er  namentr 
lieh  die  beiden  nmf angreichen  Briefe  2.  u.  3. 
dem  Demosthenes  znweist;  gegen  die  Echt- 
heit Alb.  Nbupbbt,  De  Demosthenicaiiim 
^oae  fernntor  epistularom  fide  et  anctori- 
Ute,  lips.  Diss.  1885.  Yergl.  Susbmihl  AI. 
lit  II  581  f.  QuinUlian  X  1,  107  gibt  die 
fiiiefe  imbedenklich  fär  echt  ans. 

')  SwoBODA,  De  Dem.  quae  ferontnr 
prooemüs,  Yindob.  1887  spricht  sie  insgesamt 
dem  Demosthenes  ab,  Iftsst  sie  aber  bald 
Uefa  seinem  Tod  entstanden  sein.  Vgl.  P. 
l^HLB,  De  prooemiomm  collectionis  qnae  De- 
BOfithenis  nomine  fertm-  origine. 

'}  Das  Yon  Studbmund,  Herm.  II  43 
▼er&ffentlichte  Yeizeichnis  gibt  71  Reden. 


^)  Unsicher  ist  es,  ob  die  Rede  vnkQ 
xuiy  ^rjioQtjy,  gegen  die  Auslieferung  der 
Redner,  wirklich  existierte;  s.  Blabs  III  59. 
lieber  nicht  erhaltene  Privatreden  s.  Sohäfbr 
III  2,  316. 

^)  Rede  auf  die  Gefallenen  von  Chä- 
ronea,  s.  §  280. 

')  Die  GrQnde  der  Unechtheit  der  ersten 
Rede,  meist  sachlicher  Natur,  sucht  abzu- 
schwächen und  wegzuemendieren  Weil,  Re- 
vue de  phil.  1882  p.  1—21  und  in  M^langes 
Renier  p.  17  ff.;  dagegen  J.  H.  Ltpsius, 
Ueber  die  Unechtheit  der  ersten  Rede  gegen 
Aristogeiton,  Leipz.  Stud.  VI  317—31;  R. 
Wagner,  De  priore  quae  Demosthenis  .fertur 
adversus  Aristogitonem  oratione,  Rost.  Diss. 
1883. 


Bandbacfa  der  kla».  AUertamswImcnschaft.    YII.    8.  Aufl, 


26 


402 


Orieohisohe  Litioratnrgesohiohte.    I.  KUasisohe  Periode. 


gehört  zu  den  aus  dem  Familienarchiv  des  Apollodor  stammenden  Beden 
und  richtet  sich  gegen  Stephanos,  einen  Gegner  des  Hauses  des  Apollodor, 
der  jene  abgefeimte  Hetäre  ins  Haus  genommen  und  die  mit  ihr  gezeugten 
Kinder  als  rechtmässige  Kinder  und  athenische  Bürger  ausgegeben  hatte.  — 
Schwierig  ist  bei  den  Privatreden   die  Echtheitsfrage,  da  zur  Veröffentr 
lichung  derselben  Demosthenes  selbst  weniger  Grund  hatte,  so  dass  die- 
selben alle,   abgesehen  von   den  fünf  Vormundschaftsreden   (loyoi  imioo- 
mxoi'),!)  vermutlich  erst  nach  dem  Tode  des  Redners  von  den  Heraus- 
gebern seiner  Werke  aus  den  Papieren  derjenigen,  für  die  sie  geschrieben 
waren,    gesammelt  und   herausgegeben   wurden.     Dabei    konnte  es  aber 
leicht  vorkommen,  dass  die  Inhaber  der  Reden,   wie  namentlich  die  Fa- 
milie des  Apollodor,*)  auch  manche  Reden  hergaben,  die  sie  sich  von  andern 
hatten  aufsetzen  lassen.     Einige  der  Privatreden  (52.   53.  49.)  können 
schon  deshalb  nicht  von  Demosthenes   geschrieben  sein,   weil   sie  in  eine 
Zeit  fallen,  in  der  derselbe  noch  zu  jung  war,  oder  umgekehrt  sich  scbon 
ganz  den  Staatsgeschäften  gewidmet  hatte   (48.  56.  58.  59.).    In  einer, 
der  Anzeige  gegen  Theokrines,   die  indes  für  die  Parteistellung  des  De- 
mosthenes sehr  wichtig  ist,  wird  gegen  Demosthenes  selbst  wacker  los- 
gezogen (58,  42).     Wieder  andere  sind  aus  sprachlichen  oder  stilistischen 
Gründen   der  ünechtheit  verdächtig,')   so  dass   schliesslich   Blass  ausser 
den  Vormundschaftsreden  (27. — 31.)  nur  noch  zehn  Privatreden  (36.-39. 
41.  45.  51.  54.  55.  57.)   als  echt  anerkennt  und  andere  noch  unter  diese 
Zahl  herabgehen.^) 

286.  Studien  zu  Demosthenes.  Der  Ruhm  und  der  Eänfluss  des 
Demosthenes  überdauerten  sein  Leben.  Nachdem  der  Alp  der  makedoni- 
schen Herrschaft  von  Athen  abgewälzt  war,  wurde  ihm  im  Jahre  280 
auf  Antrag  seines  Schwestersohnes  Demochares  das  oben  schon  erwähnte 
Ehrendenkmal  gesetzt  und  seinen  Verdiensten  in  einem  Ehrendekret  öffent- 
liche Anerkennung  ausgesprochen.^)  um  dieselbe  Zeit  muss  in  Athen 
eine  in  seinem  Qeist  und  seinem  Stil  sich  versuchende  rhetorische  Schule 
geblüht  haben,  durch  deren  Bemühungen  die  Reden  des  Meisters  gesammelt 


*)  Es  sind  derselben  5  (27.-31.),  die 
wahrscheinlich,  weil  in  eigener  Sache  ge- 
halten, von  Dem.  selbst  herausgegeben 
wurden;  von  der  8.  wird  indes  die  Echtheit 
bezweifelt;  siehe  dagegen  Reichbnbbroek, 
Demosthenis  tertiam  contra  Aphobum  ora- 
tionem  esse  genuinam,  WOrzb.  1881. 

^)  Es  sind  der  fQr  Apollodor  geschrie- 
benen Reden  acht  (45. 46. 47. 49. 50. 52. 53. 59.), 
von  denen  Blass  nur  die  45.  gegen  Stephanos 
als  echt  anerkennt;  s.  Sigo,  Der  Verfasser 
der  neun  angeblich  von  Demosthenes  für 
Apollodor  geschriebenen  Reden,  Jahrb.  für 
Phil.  Suppl.  Vi  397  fF.  Die  Echtheit  der 
ersten  Rede  gegen  Stephanos  wird  mit  guten 
Gründen  aufrecht  erhalten  von  Hüttnbb, 
Demosthenis  oratio  in  Stephanum  prior  num 
Vera  sit  inquiiitur,  Progr.  Ansbach  1895. 

')  In  der  Rede  gegen  Euergos  (47)  steht 
nur  iya^  nie  oTitag  in  Absichtssätzen;  ttber 
andere  sprachliche   Anzeichen  s.  Sittl,   Gr. 


Litt  II  223.  Vergl.  Paul  Uhlb,  QuaestioneB 
de  orationum  Demostheni  falso  addieUnun 
scriptoribus,  2  part.,  Ups.  1883  u.  1886. 
Einige  unter  den  unechten  Piivaireden  ojbA 
unter  sich  durch  den  Stil  verwandt,  wie  die 
gegen  Apaturios,  Phoimion,  Dionysodoros, 
femer  die  gegen  Makartatos,  Olymj^odoros, 
Lakritos.  —  Gegen  die  EchÜieit  der  Rede 
gegen  Nymphodor  (48)  s]»iclit  auch  der  Um- 
stand, dass  sie  nach  der  uns  erhaltenen 
Stichometrie  in  einem  abweichenden,  bedeu- 
tend kleineren  Format  geschrieben  war. 

^)  Ein  chronologisdies  Verzeichnis  der 
echten  und  unechten  Reden  bei  Schafbb 
III  2,  316. 

^)  Die  Verhandlungen  ttber  jenes  Ehrai- 
dekret  bei  Ps.  Plutarch  p.  850;  über  das 
Bild  des  Redners,  in  dem  er  mit  Himatioii 
und  Schwert  dargestellt  war,  siehe  eboida 
p.  847. 


8.  Die  Beredsamkeit,    e)  DemosiheneB.    (§  285.) 


403 


und  verbreitet  wurden,  und  aus  der  auch  die  meisten  untergeschobenen 
Reden  und  vielleicht  auch  die  Erweiterungen  der  echten  hervorgegangen 
sind.^)  In  Alexandria  fanden  zwar  die  Werke  des  Demosthenes  Aufnahme 
in  die  Bibliothek  und  wurden  von  Kallimachos  katalogisiert,^)  aber  ein 
besonderes  Studium  scheint  ihnen  dort  ebensowenig  wie  den  übrigen 
Prosawerken  zugewendet  worden  zu  sein.  Die  eingehenderen  Studien 
datieren  aus  dem  Beginn  der  römischen  Kaiserzeit  und  gehen  auf  die 
beiden  Khetoren  Dionysios  von  Halikamass  und  Cäcilius  von  Ealakte  zu- 
rück. Von  dem  ersteren  sind  uns  die  für  die  ästhetische  Kritik  und  die 
Chronologie  der  Reden  wichtigen  Schriften  jvegl  deivmrjTog  JrjfiotTxß'evovg 
und  imaxoXq  ngog  ^AfA^iaTov  erhalten.  Hypomnemata  des  Didymos  zu 
Demosthenes  werden  erwähnt  von  dem  Lexikographen  Harpokration  p.  73, 
5  Bekk.  In  den  nächsten  zwei  Jahrhunderten,  wo  Demosthenes  der  Redner 
schlechthin  hiess,  entstanden  die  nicht  zum  kleinsten  Teil  auf  Demosthenes 
fassenden  lexikalischen  Verzeichnisse  der  Attikisten,  die  Spezialschriften 
Aber  den  Stil  des  Demosthenes,  wie  die  erhaltene  Monographie  des  Tiberius 
JTf^t  xwv  nagd  Jrjfxoo&bvei  axrjfidrtav  (Rhet.  gr.  II  59—82  Sp.),  endlich  die 
Inhaltsangaben  (tmov^äasig)  zu  den  einzelnen  Reden.  In  dieser  Zeit  kamen 
die  Erklärer  auch  auf  den  Gedanken,  zu  den  gelesensten  Reden,  von  dem 
Kranz,  von  der  Truggesandtschaft,  gegen  Midias,  gegen  Timokrates,  Ur- 
kunden, die  im  Text  nur  durch  Überschrift  angedeutet  waren,  zu  fabri- 
zieren und  in  die  Reden  selbst  einzulegen,  s)  Sie  mochten  zu  diesen  Fäl- 
schungen dadurch  veranlasst  werden,  dass  sie  in  einigen  Privatreden,  wie 
gegen  Neaira,*)  Lakritos,  Pantainetos,  Stephanos,  Makartatos  (Erbschafts- 
reden) schon  seit  Alters  Urkunden  in  den  Text  eingelegt  fanden.  Denn 
dass  die  Urkunden  jener  öffentlichen  Reden,  welche  so  lange  die  Forscher 
in  die  Irre  führten,  zum  grösseren  Teil  erst  nachträglich  von  den  Gram- 
matikern fabriziert  wurden,  steht  durch  die  glänzenden  Nachweise  von 
Droysen  fest,*)  so  dass  es  sich  nur  noch  um  die  Hilfsmittel  handelt,  welche 


^)  Hier  ist  wohl  auch  die  alte  von 
Bionys.  ad  Amm.  c.  4.  nnd  10  benutzte  Bio- 
gnphie  entstanden,  in  der  die  anf  die  Zeit- 
folge der  Reden  bezüglichen  Daten  nach 
Azdionten  unter  Benutzung  der  Atthides  ge- 
geben waren. 

')  Darfiber  Rbhdantz  bei  Sobafbb  III  2, 
317  ff. 

')  Fn  meiner  Schrift,  die  Attikusansgabe 
^ee  Dem.  40  ff.  habe  ich  bewiesen,  dass  die 
Urkonden  zn  den  bezeichneten  Reden  noch 
iBtht  in  der  Attikusansgabe  standen  und  die 
ZOT  Midiana  selbst  den  Scholiasten  noch 
nicht  vorlagen,  so  dass  dieselben  kaum  vor 
^en  S.  Jahrhundert  entstanden  sein  kOnnen. 
Kkinaaiatischen  Ursprung  weist  aus  der 
Form  der  Urkunden  nach  Wortmann,  De 
^ocretis  in  Dennosthenis  Aeschinea,  Marburg 
1877. 

'i  Die  Urkunden  zur  Rede  gegen  Neftra, 
tmtwtne  auch  zur  Aristokratea  und  Timo- 
^(ea,  standen  schon  in  dem  Archetypus 
r  Handschriften,  wie  aus  den  Angaben 


der  Zeilenzahlen  hervorgeht.  Ueber  die  in- 
nere Glaubwürdigkeit  derselben  Riebemann, 
De  litis  instrumentis  in  Demosthenis  quae 
fertur  oratione  adv.  Neaeram,  Leipz.  Diss. 
1886.  Aus  inneren  Gründen  erweist  auch 
die  Echtheit  der  Erbschaftsgesetze  der  Ma- 
cartea  Bubrmann  Rh.  M.  32,  358  ff.  gegen 
Seblioer  Rh.  M.  31,  176  ff.  Die  weitere 
Litteratur  in  dieser  Frage  zusammengestellt 
und  geprüft  von  Drbbüp,  Ueber  die  bei  den 
attischen  Rednern  eingelegten  Urkunden, 
Jahrb.  f.  cl.  Phil.  Suppl.  24  (1898 1  223—365. 
*)  Drotsev,  Die  Urkunden  in  Demo- 
sthenes Rede  vom  Kranz,  Ztschr.  f.  Alt.  1839 
N.  68  ff.  mit  Nachtrag  1842  N.  2—4  (=  Kl. 
Sehr.  I  95  ff.);  Weste rm ahn,  Untersuchungen 
über  die  in  die  attischen  Redner  eingelegten 
Urkunden,  Abb.  d.  sÄchs.  Ges.  1 1  ff.  (1850); 
Cbbist,  Die  Attikusausg.  des  Dem.  in  Abb. 
d.  b.  Ak.  XVI  (1882);  R  Scholl,  Ueber 
attische  Gesetzgebung,  Sitzb.  d.  b.  Ak.  1886 
S.  87—139.  Schon  vor  Droysen  hatten  die 
Urkunden  der  Kranzrede  und  namentlich  die 
26* 


404 


Grieohisohe  Litteratiirgesohichte.    I.  KUMisohe  Periode. 


dieselben  bei  ihren  Fälschungen  benutzten.  Auf  uns  gekommen  sind  ausser 
jenen  Urkunden  von  Erläuterungsschriften  aus  dem  Altertum  die  Hypo- 
theseis des  Rhetors  Libanios  und  die  Scholien  des  Zosimos  aus  Askalon 
und  des  Grammatikers  Ulpian,  welche  auf  die  älteren  Scholien  des  Menander 
und  Zenon  zurückgehen.^) 

Die  Codd.  des  Dem.  beruhen,  wie  die  Subscriptio  zur  Rede  ad  ep.  Phil,  in  H  und  F 
di-uig^tJTtti-  ix  dvo  'AiiixtavuHy  wahrscheinlich  macht,  auf  einer  Ausgabe,  die  in  der  römi- 
schen Buchhandlung  des  Attikus  erschienen  war;  auf  diese  scheinen  auch  die  stichometiischen 
Angaben  ia  lY  B  F  zurückzugehen,  worüber  Christ,  Die  Attikusausgabe  d.  Demosth.,  in 
Abhdl.  d.  b.  Ak.  1882,  mit  berichtigenden  Nachträgen  von  Bübm ann  Herm.  XXI  34  und  Bubobb 
Herrn.  XXII  650,  und  Stichometrische  Untersuchungen  zu  Demosthenes  und  Herodot,  Dias. 
Erlangen  1892.  Infolge  der  Interpolationen  der  Eaiserzeit  und  der  Umschrift  aus  Papjms- 
rollen  in  Pergamenthandschriften  entstanden  zwei  Familien  von  Codd.,  die  sich  besonders 
in  Phil.  III  durch  kürzere  und  längere  Fassung  des  Textes  unterscheiden.  Der  Hanpt- 
codex  der  älteren  Ueberlieferung  ist  I  —  Par.  2934  membr.  s.  X  (in  phototypiacher  Re- 
produktion, Paris  1893);  zur  anderen  Familie  gehören  F  --  Marcian.  416  membr.  s.  XI  und 
der  davon  abgeschriebene  B  =  Monac.  (Bavaricus)  85  bomb.  s.  XIII;  A  =  Monac.  (Angu- 
stanus)  485  membr.  s.  XII.  Ueber  das  Verhältnis  der  Handschriftenfamilien  Usbvbb  Nachr. 
der  Gott.  Ges.  1892  S.  188  ff.;  Lipsius,  Zur  Textkritik  des  Demosthenes,  Ber.  d.  Sachs.  Ges. 
d.  Wiss.  1893,  wo  auch  von  den  neuerdings  gefundenen  Papyri  gehandelt  ist;  Bbtbb,  De- 
mosthenis  scriptorum  corpus  nbi  et  qua  aetate  coUectum  editumque  sit,  Ind.  lect.  Rostock 
1897.  —  Ein  Papyrus  der  TfQooifjtia,  gefunden  auf  dem  Boden  des  alten  Oxyrynchos  tob 
Grenfell-Hunt  1896/7. 

Scholien  zu  18  Reden  von  Ulpian  und  Zosimos,  meistens  rhetorischer  Art,  am 
besten  bei  Baiteb-Sauppe,  Or.  att.  II,  49—126.  £[ritische  Zeichen  insbesondere  zur  Midiana 
von  mir  nachgewiesen  in  Attikusausg.  25  ff.  und  aus  £  von  Weil,  M^L  Graux  p.  13 — 20. 
In  meiner  Schrift  S.  11  f.  gab  ich  auch  aus  den  Codices  Nachwelse  von  Eolenteilong  durch 
die  Rhetoren  Lachares  und  Ps.  Eastor;  s.  Walz,  Rhet  gr.  UI  721  f.  und  Stuobmuhd,  Fa. 
Castoris  excerpta  rhet.,  Breslau  1888,  p.  23.  —  Neue  Scholien  aus  einem  Cod.  von  Pa^nos 
publiziert  von  Sakkklion  in  Bull,  de  corr.  hell.  1877  p.  1—16.  Bruchstücke  eines  gelelurten 
Speziallexikons  zur  Aristokratea  aus  den  Papyri  von  Fajjum,  veröffentlicht  von  Blass  Herrn. 
17,  148  ff.  Glossen  aus  Cod.  Marc.  433  gibt  Rabe  Rh.  M.  49  (1894)  625  ff.  Alte  aber  wert- 
lose Scholien  zur  Midiana  enthält  derselbe  Papyrus,  in  dem  des  Aristot  \49f}valiav  noXir.  steht. 

Ausgaben:  ed.  princ.  ap.  Aldum  1504.  —  Grundlegende  Ausg.  mit  Uebers.  und  Noten 
von  Hieb.  Wolf,  BasU.  1549,  öfters  wiederholt  —  cum  comment  Wolfii  Taylori  Marklandi 
suis  ed.  Reiskb  in  Orat.  graeci,  Lips.  1770;  in  verbesserter  Aufl.  von  Scbafsb,  Lips.  1821, 
5  vol.  —  ex  rec.  G.  Dindobfu  mit  Noten  der  Früheren  und  Scholien,  Oxon.  1846-51,  9  toI, 
—  Ausg.  mit  kritischem  Apparat  von  Bbkker  (1824)  und  Sauppe  (1843)  in  Orat  attid  — 
Dem.  rec.  Dindorf  ed.  IV  cur.  Blass  in  Bibl.  Teubn.  —  Spezialausg.:  Dem.  adv.  Lept  c.  comm. 
perp.  ed.  F.  A.  Wolf,  Hai.  1790;  in  Midiam  ed.  Buttmaniy,  ed.  Y  Berol.  1862.  —  Dem.  coii> 
tiones,  de  Corona  et  de  fals.  leg.  ed.  VOmel,  Lips.  1856  u.  1862.  —  Les  harangues  und  les 
plaidoyers  politiques  ed.  Weil  mit  krit  und  exegetischen  Noten,  Paris  ed.  II  1881  u.  1883. 
Dem.  de  cor.  explic.  Dissen,  Gott.  1837;  ed.  Lipsius  mit  krit.  Apparat  u.  Scholien,  Lips.  1876. 
—  Ausgewählte  Reden  mit  erklärenden  Anmerkungen  von  Westermank-MOllbr-Rosbhbbsg 
bei  Weidmann ;  von  Rbhdantz-Blass  bei  Teubner  (in  letzterer  Ausgabe  auch  treffliche  riie- 
torische  Indices);  von  Sörgel  bei  Perthes.  —  Demosthenes  Staatsreden  nebst  der  Rede  vom 
Kranz  übersetzt  mit  Einl.  u.  Anm.  von  Jacobs,  2.  Aufl.,  Leipz.  1883;  die  erste  Auflage  1805 
veröffentlicht,  um  den  von  Napoleons  Gewaltherrschaft  bedrohten  Deutschen  ein  Mahnbild 
ans  alten  Zeiten  vorzuhalten.  —  Index  Demosthenicus  compos.  Preuss,  Lips.  1892.  —  B. 
Kaiser,  Quaestiones  de  elocutione  Demosthenica,  Diss.  philol.  Hall.  vol.  XIII  1896. 

f)  Die  Zeitgrenossen  des  Demosthenes. 
286.    Lykurgos,^)   Sohn  des  Lykophron   aus   dem  alten  Geschlecht 
der  Butaden,  erwarb  sich  seine  grössten  Verdienste  als  Staatsmann  durcli 


archontes  pseudeponymi  derselben  Anstoss 
erregt  und  verschiedene  Lösungsversuche 
hervorgerufen,  worüber  einen  geschichtlichen 
Ueberblick  gibt  Drerup  a.  0. 

*)  Ueber  die  Quellen  der  Scholien  Dik- 
PORF  im   7.  Bande   der  Oxforder  Ausgabe; 


ScHUNK,  De  scholiomm  in  Demosthenis 
orationibns  fontibus,  Eoburger  Progr,  1879; 
Em.  Wanorik,  Quaestiones  de  acholionua 
Demosthenicornm  fontibus,  Halle  Diss.  1^83. 
*)  Quellen:  Ps.  Plutarch  und  Soidas. 


8.  Die  Beredaamkeit.    f)  Demosthenes'  Zeitgenossen. 


( 286  -287.)        405 


die  ehrliche  und  besonnene  Politik,   die  er  in  jenen  schweren  Zeiten   der 
Bedrohung  Athens  durch  Makedonien  vertrat,  insbesondere  aber  durch  die 
geschickte  Finanzverwaltung,  die  er  12  Jahre  lang  (838—326),  anfangs  in 
eigener  Verantwortlichkeit  als  Pinanzminister  (o  ini  ttj  itotxyjasi),  später 
unter  dem  Namen  vorgeschobener  Freunde  zum  Heile  der  Stadt  leitete. 
Lange  scheint  er  das  letzte  Jahr  jener  Verwaltung  (326)  nicht  überlebt  zu 
haben,  da  noch  Demosthenes  sich  für  seine  Kinder,   die  man  nach  dem 
Tode  des  Vaters  wegen   angeblicher  Kassendefekte  in   den  Kerker  warf, 
in  treuer  Anhänglichkeit  für  seinen  ehemaligen  Parteigenossen  verwandte. 
Erst  lange  Zeit  nach   seinem  Tode  im  Jahre  307   erstatteten  ihm  seine 
Mitbürger  den  Tribut  des  Dankes  durch  ein  Ehrendekret,   das  uns  durch 
litterarische  (Ps.  Plutarch  p.  852)  und  inschriftliche  Überlieferung  (CIA  II 
1,  240)  überkommen  ist.^)     Lykurg  war  also   in  erster  Linie  Staats-  und 
Finanzmann.     Ein  Staatsmann  konnte   aber  in  jener  Zeit  in  Athen,   wo 
alles  öffentlich  verhandelt  wurde,   nicht  bestehen  ohne  die  Fertigkeit  der 
Rede;  bezeichnete  man  ja  den  Staatsmann  mit  keinem  anderen  Namen  als 
dem  eines  Redners  (^rjrfoif).    Lykurg  bedurfte  überdies  in  besonderem  Grade 
der  Fertigkeit  im  Reden,  da  er  es  sich  zur  speziellen  Aufgabe  stellte,  alle 
Defraudanten  und  Vaterlandsverräter  rücksichtslos  vor  Gericht  zu  ziehen. 
Die  Alten  hatten  von  ihm  15  Reden,   von   denen  er  2   in  eigener  Sache 
zur  Rechtfertigung  seiner  Verwaltungsgrundsätze  gehalten  hatte.     Auf  uns 
gekommen  ist  die  einzige  Rede  gegen  Leokrates,  der  nach  dem  Unglück 
von  Chäronea  feige  die  Stadt  verlassen  hatte  und  den  Lykurg,  als  er  331 
wieder  zurückzukehren  wagte,  mit  einer  Hochverratsklage  («foayyf  A/a)  be- 
langte.   Der  Hauptvorzug  der  Rede  liegt  in  der  sittlichen  Entrüstung,  die 
ans  ihr  spricht;  der  Angeklagte  entrann  mit  knapper  Not  der  Todesstrafe, 
indem  die  Stimmen  der  Richter  zu  gleichen  Teilen  auseinandergingen  und 
for  diesen  Fall  die  Bestimmung  galt,   dass  das   mildere  Urteil  obsiegen 
sollte.    In   die  Rede  flocht  der  Dichter  mehrere  dichterische  Gitate  und 
den  berühmten,  aber  gemischten  Eid  der  Hellenen  vor  der  Schlacht  bei 
Plataä  (§  78)  ein.')    Ausser  in  den  Reden  zeigte  Lykurg  seinen  politischen 
Scharfblick  und  seine  Redaktionsgewandtheit  in  den  zahlreichen  Gesetzen, 
die  er  beantragte  und  von  denen  nach  dem  Ehrendekret  eine  Gesamtab- 
fichrift  auf  der  Akropolis  aufgestellt  wurde,   von  der  uns  mehrere  Reste 
(CIAn  162.  168.  173.  176.  180.  202)  erhalten  sind. 

Die  handschriftliche  Ueberlieferung  ist  die  gleiche  wie  bei  Andokides.  Spezialaas- 
pbea  mit  Kommentar  von  Pinzgbr,  Leipz.  1834;  von  Rbhdaktz,  Leipz.  1876.  Kritische 
Beari)eitang  von  Thalhum,  Berl.  1880. 

287.   Aischines  (389—314)«)  war  der  Sohn  ehrbarer,  aber  in  kleinen 


*)  Eine  Eizstatne  des  Lykurg  erwähnt 
Paus.  I  8,  2;  Aber  die  Basis  eines  Denk- 
■ttb  ans  römischer  Zeit  mit  AvxovQyog  ö 
i^tmQ  8.  CIA  lil  944. 

*)  Dass  der  Eid,  der  bei  Diodor  XI  39 
wiederkehrt,  geftlscht  sei,  behauptete  bereits 
Theopomp  bei  Theon  in  Rhet.  gr.  II  67, 
218p. 

*)  Ausser  Ps.  Plut.  de  X  orat.,  einem 
Kapitel  des  Phüoetr.  i  18  und  2  Artikeln 
kn  Suidas  haben  wir  noch  die  Yitae  eines 


gewissen  Apollonios  und  eines  Anonymus. 
Die  Lebensyerhftltnisse  sind  entstellt  durch 
die  Persiflage  des  Dem.  de  cor.  129  ff.,  deren 
Glaubwürdigkeit  schon  dadurch  yeningert 
wird,  dass  von  den  meisten  Vorwürfen  in 
der  Rede  de  fals.  leg.  noch  keine  Spur  sich 
findet.  —  Eine  Büste  des  Aischines  im  Va- 
tikan mit  Namensinschrift;  eine  Statue  aus 
Herkulanum  in  Neapel,  die  wir  auf  der  an- 
gehängten Tafel  wiedergeben. 


406 


Oriechisohe  litteratnrgesohiohte.    I.  Klassisohe  Periode. 


Verhältnissen  lebender  Eltern,  des  Schulmeisters  Atrometos,  dessen  Name 
die  Schniähsucht  seiner  Gegner  in  Tromes   (Zag  statt  Unverzagt)  ver- 
wandelte,^) und  der  Olaukothea,  die  als  Priesterin  von  Mysterien  sich  Oeld 
verdiente.     Der  Lebenszeit  nach  war  er  ein  wenig  älter  als  sein  grosser 
Rivale  Demosthenes.     Da  er  nach  seiner  eigenen  Angabe  I  49   zur  Zeit 
des  Prozesses  wegen  der  Truggesandtschaft  45  Jahre  alt  war,  so  muss  er 
389  geboren  sein.«)    Der  Vater  wusste  aus  allen  seinen  3  Söhnen  etwas 
zu  machen:  der  eine,  Philochares,  wurde  Vasenmaler,   der  andere,  Apho- 
betos,  Stadtschreiber  ;^)   auch  Aischines  fing  mit  dem  Schreiberdienst  an, 
wandte  sich   aber  dann  zum  Schauspiel,   wo  er  es  indes  nicht  über  den 
Tritagonisten  brachte.   Vom  Theater  wandte  er  sich  der  öflfentlichen  Thätig- 
keit  als  Redner  und  Staatsmann  zu,   nachdem  er  schon  zuvor  als  Soldat 
für  das  Vaterland  mit  Ehren  gekämpft  hatte.     Zum  erstenmal  trat  er  348 
nach  dem  Fall  von  Olynth  auf,  um  den  Zusammentritt  eines  hellenischen 
Kongresses   zu  empfehlen,^)   aber  bald  ging  er  ganz  in  das  Lager  der 
Friedenspartei  über,  die  unter  Eubulos'  Fahne  um  jeden  Preis  einen  Aus- 
gang aus   den  kriegerischen  Verwicklungen  suchte.     Wie  wir  schon   bei 
Demosthenes  erzählt  haben,  wirkte  er  als  Gesandter  in  hervorragender 
Weise  zum  Abschluss  des  philokrateischen  Friedens  mit  (346)  und  musste 
sich   dann   gegen  die  Anklage  der  Truggesandtschaft  vor  den  Gerichten 
verantworten,   wobei  er  zuerst  den  Hauptankläger  Timarchos  durch   die 
Oegenanklage  ehrenrühriger  Schamlosigkeit  glücklich  bei  Seite  schob,  dann 
aber  dem  Demosthenes  gegenüber  nur  mit  knapper  Not  und  durch  den 
Einfluss  seiner  Fürsprecher  Eubulos,    Phokion  und  Nausikles  der  Verur^ 
teilung  entging  (343).     Im  Jahre  339  war  er  Vertreter  Athens  (nvlayo^g) 
bei  dem  Amphiktionenbund  und  spielte  in  seiner  Eurzsichtigkeit  dadurch, 
dass  er  die  Ächtung  der  Amphissäer  bewirkte,  dem  Philipp  die  Entschei- 
dung griechischer  Angelegenheiten  in  die  Hände.     Nach  der  Schlacht  von 
Ghäronea  (338)  sank  selbstverständlich  das  Ansehen  seiner  Partei,  und  kam 
er  selbst  in  immer  weiteren  Kreisen  in  den  Verdacht,   von  Philipp  (Seid 
zum  Verrate  seines  Vaterlandes  genommen  zu  haben.    Die  Ungunst  seiner 
Mitbürger  erfuhr  er  330  in  dem   gegen  Ktesiphon  wegen   gesetzwidrigen 
Antrags  erhobenen  Prozess,  bei  dem  er  trotz  des  Aufgebotes  aller  Mittel 
der  Beredsamkeit  gegen  Demosthenes  nicht  aufzukommen  vermochte  und 
mit  seiner  Anklage  nicht  einmal  das  Fünftel  der  Stimmen  erhielt.     Da  er 
so  der  Atimie  verfallen  war  und  das  Recht,  vor  dem  Volke  aufzutreten, 
verlor,  so  verliess  er  Athen  und  wandte  sich  nach  Ephesos,   später  nach 
Rhodos  und  Samos;  in  Rhodos  soll  er  eine  Rednerschule  eröffnet  haben.^) 
Hier  fand  er  so  festen  Boden,  dass  er  auch  nach  dem  lamischen  Krieg 
nicht  nach  Athen  zurückkehrte,  sondern  75  Jahre  alt  in  der  Fremde  starb. <) 


1)  Dem.  de  cor.  129. 

')  Das8  er  etwas  ftlter  als  Demosthenes 
war,  ist  angedeutet  Aesch.  III  2. 

<)  Nach  Dem.  19,  249  waren  die  Brader 
anfangs  ünterschreiber  (vnoygtxfifÄatevoyres), 
brachten  es  aber  dann  beide  zum  Staats- 
schreiber (yQa/4fjiaxevg  t^  ^Vf^f?)- 

*)  Dem.  19,  10  u.  303. 


^)  Ps.  Plut.  p.  840  d,  Philostr.  nnd  Snidas ; 
Eum  Elementarlehrer  Iftsst  ihn  der  tmver- 
Iftssige  Anonymus  herabsinken. 

')  Die  75  Jahre  gibt  A^Uonios  an, 
verbindet  aber  diese  Angabe  mit  dem  Miss- 
yerstftndnis  einer  Ermordung  dureh  Anti- 
pater,  wodurch  freilich  auch  jene  Angabe 
zweifelhaft  wird. 


8.  Die  Beredsamkeit,    f)  Demosthenee'  Zeitgenossen. 


8.) 


407 


Aischines  verdankt  seinen  Ruhm  bei  der  Nachwelt  dem  Konflikt, 
in  den  er  mit  seinem  berühmten  Gegner  Demosthenes  geriet.  Denn  auf 
UDS  gekommen  sind  von  ihm  nur  die  8  Reden,  welche  in  denjenigen  Pro- 
zessen, in  denen  Demosthenes  ihm  gegenüberstand,  gehalten  wurden.  Sie 
sind  ans  erhalten  infolge  der  Aufmerksamkeit,  welche  zu  allen  Zeiten  den 
Entgegnungen  auf  die  demosthenischen  Reden  ncQi  naqanqsaßeiaq  und 
mqi  fsxsipavov  zugewendet  wurde.  Dieses  Verhältnis  gibt  denselben  auch 
heutzutage  noch  ihre  hervorragende  Bedeutung.  Diese  3  Reden  also  sind: 
itnä  TifiaQxov  (1.),  n€Ql  naqanqea ßeiag  (2.),  xaxd  KTrjin(pMvtog  (3.).  tJber 
die  Veranlassung  derselben  ist  bereits  oben,  im  Leben  des  Demosthenes, 
gesprochen  worden;  die  erste  macht  uns  schon  durch  den  Gegenstand 
einen  widerlichen  Eindruck,  muss  aber  im  Altertum  viel  gelesen  worden 
sein,  da  die  Grammatiker  in  sie  Urkunden,  natürlich  gefälschte,  einlegten; 
in  der  dritten  Rede,  gegen  Etesiphon,  halt  Aischines  trotz  aller  Kraft- 
ausdrQcke  doch  keinen  Vergleich  mit  der  hinreissenden  Gewalt  demo- 
sthenischer  Beredsamkeit  aus;^)  am  meisten  Lob  verdient  die  zweite  Rede, 
die  auch  ein  englischer  Praktiker  in  der  Beredsamkeit,  Lord  Brougham, 
iur  Aischines'  bestes  Werk  erklärt  hat.  Die  Alten  kannten  unter  seinem 
Namen  noch  eine  deUsche  Rede,  hielten  dieselbe  aber  für  unecht,*)  zumal 
der  Rat  des  Areshügels  die  Wahl  des  Aischines  zum  Vertreter  Athens  in 
Delos  annulliert  und  dem  Hypereides  die  Führung  der  Sache  der  Athener 
aofgetragen  hatte.  Die  12  uns  erhaltenen  Briefe  sind  unbedeutend  und 
machen  den  Eindruck  von  Schulübungen.  ^) 

Die  Godd.  des  Aiech.,  die  auf  einen  schon  stark  interpolierten  Archetypus  znrück- 
Sehen,  scheiden  sich  in  zwei  Blassen,  denen  sich  eine  dritte  kontaminierte  zugesellt.  Ein 
Stemma  derselben  steUt  Ortnbr,  Krit.  Unters,  zu  Aisch.  Reden,  Mflnchen  1886,  S.  23  auf. 
Sb  Fragment  II 1  178 — 186  enthält  ein  Papyrus  aus  Fajjjum,  woraber  Hartbl,  Griech.  Papyri, 
Wien  1886  S.  45.  —  Scheuen  haben  sich  verhältnismässig  viele  und  gute  erhalten;  am 
bestes  sind  dieselben  herausgegeben  in  der  Ausgabe  von  Febd.  Schultz;  den  Grundstock 
tnlden  die  Kommentare  von  Aspasios  und  Apollonios;  s.  Febd.  Schultz,  Jahrb.  f.  Phil. 
93  (1866)  289—815.  Fretbr,  De  scholiorum  Aeschineorum  fontibus,  in  Leipz.  Stud.  V  239 
bis  392,  erweist  als  Hauptquelle  die  Attikisten  Ailios  Dionysios  und  Pausanias.  —  Ausgabe 
TOD  RtisKB,  Ups.  1771,  mit  den  Noten  von  Hier.  Wolf,  Taylor,  Markland;  mit  erklärenden 
Aomerkungeii  von  Bremi,  2  voll  Turici  1828;  mit  Kommentar  von  Ferd.  Schultz,  3.  Aufl., 
ups.  1865;  Krit  Ausg.  von  Weioiter  Berol.  1872.  Erklärende  Ausg.  der  Gtesiphontea  von 
WnDiEE  bei  Weidmann,  Berl.  1878. 

288.   Hypereides,*)  Sohn  des  ölaukippos  aus  dem  attischen  Demos 

Kollytos,  war  neben  Demosthenes  ein  Hauptvertreter  der  antimakedonischen 

Partei,  zugleich  aber  ein  leichtlebiger  Freund   von  Hetären  und   Tafel- 

genüssen,  so  dass  er  fast  eine  stehende  Figur  der  neuen  Komödie  wurde.  ^) 

In  die  Beredsamkeit  durch  Isokrates  eingeführt,^)  wagte   er  sich  bereits 


')  Die  Rede  des  Aisch.  ist  so  wenig 
ms  dnem  Goss  wie  die  des  Dem.;  sie 
sehebt  zum  Teil  schon  zur  Zeit  der  Elage- 
Bi«Iiimg,  als  Dem.  noch  nicht  Rechenschaft 
ftber  sein  Amt  abgelegt  hatte,  verfasst  zu 
Min;  8.  BLASS  III  2,  183  ff.  Selbst  Weidner, 
^  ao  sehr  fOr  die  Politik  seines  Aischines 
eintritt,  meint,  man  werde  bei  dem  Lesen 
<ier  beiden  Reden  an  den  Kampf  des  Riesen 
Bit  dem  Zwerge  erinnert. 

«)  Phüoatr.  vit  soph.  1 18,  4. 

*)  Phot  490a  34  u.  20a  8  kennt  nur  neun 


!   Briefe;  Philostratos  a.  0.  gibt  keine  Zahl  an. 

*)  Die  Vita  des  Ps.  Plut.  und  der  Artikel 
des  Suidas  bei  Westsrmann,  Biog^r.  gr. 
312—6. 

*)  Ath.  341  e,  wo  er  als  tx^voniaXrjg, 
der  jeden  Morgen  den  Fischmarkt  besucht, 
aufgezogen  wird;  die  vier  Hetären,  die  er 
an  verschiedenen  Orten  hatte,  zählt  Ath. 
590  c  auf. 

*)  Daneben  wird  er  von  Ps.  Plut.  p. 
848  b  ein  Hörer  des  Lyknrgos  und  Piaton 
genannt. 


408  OrieohiBobe  Litteratargesohichte.    I.  ElMSMobe  Periode. 

zur  Zeit  des  Bundesgenossenkrieges  mit  einer  Klage  an  den  damals  all- 
mächtigen Staatsmann  Aristophon.^  Feste  Stellung  zur  Politik  nahm  er 
in  der  Hochverratsklage  gegen  Philokrates,  dessen  Verurteilung  er  hei^ 
heifdhrte.  Von  nun  an  kämpfte  er  als  unerschrockener  und  uneigen- 
nütziger Patriot  an  der  Seite  des  Demosthenes  gegen  die  feilen  Vater- 
landsverräter, bis  er  sich  von  diesem  in  der  Sache  des  Harpalos  trennte 
und  sogar  als  sein  Ankläger  auftrat.  Nach  dessen  Verbannung  ward  er 
der  ausgesprochene  Führer  der  Partei,  musste  aber  nach  dem  unglück- 
lichen Ausgang  des  lamischen  Krieges  seinen  Patriotismus  mit  dem  Tode 
büssen.  Von  dem  Volke  geächtet,  floh  er  nach  Aegina,  wurde  aber  dort 
von  dem  Schauspieler  Archias  ergriffen  und  vor  Antipater  geführt,  der 
ihm  die  Zunge  ausschneiden  und  ihn  grausam  hinmorden  Hess  (322);^)  sein 
Leichnam  wurde  unbeerdigt  hingeworfen  und  erst  später  nach  Athen  ge- 
bracht und  im  Erbbegräbnis  vor  dem  Reiterthor  beigesetzt. 

Als  Redner  wurde  Hypereides  sehr  hoch  geschätzt;  man  rühmte  an 
ihm  die  Anmut  (x^Qic),  wie  an  Demosthenes  die  Kraft  {SenoTrjg).  Der 
Verfasser  der  Schrift  vom  Erhabenen  c.  34  vergleicht  ihn  einem  Pentathlen, 
weil  er  alle  fünf  Vorzüge  zusammen  besitze  {x^Qig,  iiiye&oc,  acxfiaitoc, 
olxovojiua,  TtarovQyia);  einige  haben  ihn  sogar  über  Demosthenes  gesteUt.*) 
Einer  seiner  römischen  Bewunderer,  der  Redner  Messala  Corvinus,  über- 
setzte seine  Rede  für  die  schöne  Phryne  ins  Lateinische,  wie  das  gleiche 
Cicero  mit  der  Kranzrede  des  Demosthenes  gethan  hatte.  Die  geistvolle 
Freiheit,  mit  der  er  die  Sache  seiner  oft  recht  zweifelhaften  Klienten  und 
Klientinnen  führte,  spricht  sich  in  der  Anekdote  von  der  Phryne  aus :  wie 
andere  im  Epilog,  um  das  Mitleid  der  Richter  zu  erregen,  die  weinenden 
Kinder  des  Angeklagten  vorführten,  so  entblösste  er  am  Schlüsse  seiner 
Rede  die  Brust  seiner  Klientin,  um  durch  den  Anblick  der  Schönheit  die 
Richter  zur  Milde  zu  stimmmen.^)  Reden  hatte  das  Altertum  von  ihm  77, 
von  denen  52  die  Probe  der  Kritik  bestanden.  Noch  zur  Zeit  des  Matthias 
Corvinus  soll  in  Ofen  eine  Handschrift  derselben  existiert  haben,  aber  die- 
selbe ist,  wenn  nicht  überhaupt  ein  Irrtum  vorliegt,  verschollen,  und  so 
war  man  lange  einzig  auf  die  Berichte  der  Alten  angewiesen,  bis  in 
unserem  Jahrhundert  aus  Gräbern  von  Theben  in  Oberägypten  6  Reden 
{xard  Jrff.ioa H'svovg  vuIq  tmv  UQTtaXsfwVy  vtt^q  Avxo^pqovoq  anoXnyia^  virtq 
Ev^svinnov  anoXoyia  ngog  UoXvsvxtov,  inn;dq:ioQ^  xard  l4&rjvoyt'rovc,  xara 
(PiXiTtTTfiov)  ans  Tageslicht  gezogen  wurden.  Am  vollständigsten  erhalten 
sind  die  im  Altertum  hochgeschätzte*)  Anklagerede  gegen  den  Salben- 
händler Athenogenes  wegen  betrügerischer  Manipulationen  in  einem  Kauf- 
vertrag, und  die  Verteidigungsrede  für  Euxenippos.  In  die  letztere  Rede, 
welche  als  Deuterologie  in  einem  zwischen  330  und  324  wegen  Verteilung 
der  Ländereien  von  Oropos  ausgebrochenen  Prozess  gehalten  wurde,   sind 


^)  Hjper.  pro  Eux.  38.  (Ath.  591  e),  der  den  Prozess  der  Phryne  «of 


«)  Nach  andern  (Ps.  Plut.  p.  849  b)  ward 
er  gefoltert  und  hat  sich  dabei  selbst,  um 
nicht  gegen  seine  Freunde  zeugen  zu  müssen, 
die  Zunge  abgebissen. 

»)  Ps.  Plut.  p.  849  d. 

*)  Ath.  590  e;  der  Komiker  Poseidippos 


die  Bühne  brachte,  wusste  von  jenem  Knnsi- 
griff  des  Redners  noch  nichts. 

^)  Ps.  Longin  de  sublim.  34.  Die  er- 
haltene Rede  ist  die  erste  von  den  zwei  in 
dem  Prozess  gehaltenen  Reden. 


8.  Die  Beredaamkeit.    f)  Demosthenes'  ZeitgenoMen.    (§  289.)  409 

interessante  Mitteilungen  über  frühere  Rechtsfflie  eingeflochten.     Höheres 

iDteresse  hat  der  Epitaphios,  den  Hypereides  zu  Ehren  der  im  lamischen 

Krieg  (Gefallenen,  besonders  des  Führers  Leosthenes  hielt,  und  in  der  mit 

Änklftngen  an  Piaton  die  Gefallenen  selig  gepriesen  werden  wegen   ihres 

ruhmvoDen  Loses  und  des  ehrenden  Empfanges  drunten  im  Hades.  ^) 

Der  Papyrus  mit  den  drei  ersten  Reden  publiziert  von  Harris  und  Arden;  daza 
kamen  spftter  1856  der  Epitaphios  im  Stobartschen  Papyrus  in  London  und  neuerdings  die 
von  Rbyilloct  in  der  Reyue  4gyptologique  t.  VI  (1891)  veröffentlichte  Rede  gegen  Atheno- 
genes.  Zuletzt  bekannt  wurde  die  Rede  gegen  Philippides,  herausgegeben  von  Eenyon 
ClasB.  tezts,  London  1891  p.  42—55.  Der  Name  des  Verfassers  fehlt;  dem  Hyperides  wird 
die  Bede  zugeschrieben,  weil  wir  aus  Athen.  552  D  wissen,  dass  derselbe  in  dem  Prozesse 
gesprochen  hatte.  Nicht  dem  Hyperides,  sondern  dem  Demochares  oder  einem  andern 
schreibt  die  Rede  zu  Ribbbck  Jahrb.  f.  Phil.  1892  S.  44  ff.  —  Gesamtausgabe  von  Blass  in 
BSbl  Tenbn. 

289.  Deinarchos,*)  Sohn  des  Sostratos  aus  Eorinth,  war  um  342 
als  junger  Mann  nach  Athen  gekommen  und  hier  als  Fremder,  wie  Lysias 
and  Isaios,  zunSrChst  auf  die  Thätigkeit  eines  Redenschreibers  angewiesen. 
Einflussreiche  Stellung  gewann  er  überhaupt  erst  nach  dem  Hingang  der 
grossen  Redner  unter  der  Regierung  des  Demetrios  von  Phaleron.  Wegen 
der  unter  dessen  Ägide  entfalteten  Thätigkeit  ward  er  307,  als  nach  dem 
Einzug  des  Demetrios  Poliorketes  die  demokratische  Partei  wieder  Ober- 
wasser bekam,  zum  Tode  verurteilt.  Er  zog  sich  nach  Chalkis  in  Euböa 
znrQck,  wo  er  15  Jahre  lang  lebte,  bis  er  292  durch  Verwendung  seines 
Lehrers  Theophrast  wieder  die  Erlaubnis  zur  straffreien  Rückkehr  erhielt. 
In  die  Zeit  unmittelbar  nach  seiner  Rückkehr  fiel  der  Prozess  gegen  seinen 
ehemaligen  Freund  Proxenos,  den  er  in  einer  dem  Dionysios  noch  vor- 
Kegenden  Rede  wegen  Unterschlagung  seiner  Habe  belangte.  Er  war  da- 
mals schon  ein  Greis ;  wie  lange  er  diesen  Gerichtshandel  überlebte,  wissen 
wir  nicht.  Als  Redner  bildete  er  keinen  bestimmten  Charakter  aus  und 
ward  deshalb  von  Dionysios  nicht  der  Aufnahme  in  den  Kanon  gewürdigt. 
Wiewohl  er  der  entgegengesetzten  Parteirichtung  als  Demosthenes  ange- 
hörte, so  suchte  er  doch  die  Kraft  (d€iv6tr;g)  der  demosthenischen  Reden 
nachzuahmen,  freilich  ohne  sie  zu  erreichen,  wovon  er  den  Beinamen 
MiK^irog  Jrj/ioot^ävr^g  erhielt. »)  Über  die  Zahl  seiner  Reden  und  die  Echt- 
heit derselben  schwanken  die  Angaben.  Ps.  Plutarch  und  Photios  geben 
64,  das  ambrosianische  Verzeichnis  400  (viell.  60  oder  f),  Demetrios  Mag- 
nes^)  und  Suidas  160,  Dionysios  59  echte  und  27  unechte  an.  Leser 
&nden  nur  diejenigen  Reden,  welche  zu  Demosthenes  in  Beziehung  stan- 
den, und  so  sind  auch  nur  3,  welche  auf  die  harpalische  Sache  Bezug 
haben,  auf  uns  gekommen.^)  Die  erste  ist  die  für  Beurteilung  des  Demo- 
sthenes und  der  Parteiverhältnisse  Athens  äusserst  wichtige  Rede  xatd 
^ruocx^ävovg;  sie  ward  nach  der  eigentlichen  Anklagerede   des  Hauptan- 


M  Ps.  Longin  34  sagt  lobend  von  ihm: 
»V  htiiufpioy  inideixtixtuf  (Jg  ovx  old*  et 
Tff  ifUoc  öt^&ero. 

*)  Ausser  den  allgemeinen  Quellen  die 
viclitige  SpeiialBchrift  des  Dionysios  über 
Dioarch. 

')  Hermog.  p.  418  Sp.;  daher  der  la- 
Auadnick    hordearius   rhetor   bei 


Snet.  rhet  2. 

*)  Bei  Dionys.  de  Din.  1. 

^)  Dionysios  will  ihm  auch  die  anter 
Demosthenes  Namen  laufende  Rede  gegen 
Theokrines  zuweisen,  welcher  Annahme  aber 
chronologische  Bedenken  entgegenstehen ; 
vgl.  §  284. 


410  Qriechifliche  Litteratnrgesohiohte.    I.  KlMsisohe  Periode. 

klägers  Stratokies  gehalten ;  um  so  mehr  schweifte  Dinarch  von  der  Sache 
ab,  um  sich  in  der  Verurteilung  der  Politik  des  Demosthenes  und  in  Ver- 
unglimpfung seiner  Person  mit  schauspielerischem  Pathos  zu  ergehen. 

Erklärende  Spezialausgabe  von  MItzner,  Berol.  1842;  kritiscbe  Ausgabe  von  Thal- 
heim, Berl.  1887. 

21'<\  Von  sonstigen  Rednern  jener  Zeit  hatte  einen  Namen  Demades, 
ein  witziger  Lebemann  und  feiler  Parteigänger  der  Makedonier,  der  aber 
in  jener  Zeit  des  sittlichen  Verfalls  als  genialer  Redner  und  Erzähler  sich 
eines  ganz  ausserordentlichen  Rufes  bei  seinen  Landsleuten  erfreute.  Von 
ihm  haben  sich  geistreiche  Aussprüche,  Jr^ädeta^  erhalten,^)  und  ihm 
wurden  in  der  Sophistenzeit  14  Reden  untergeschoben,')  von  denen  eine, 
vTTtQ  Tt]g  iü}d€xa€Tiag,  uns  noch  in  Exzerpten  bekannt  ist.*)  Ferner  seien 
erwähnt  Hegesippos  mit  dem  Spitznamen  Krobylos,  dem  wahrscheinlich 
die  Rede  negl  jikorvrjaov  angehört;^)  Stratokies,  Hauptankläger  des 
Demosthenes  in  dem  harpalischen  Prozess  und  Verfasser  des  Ehrendekrets 
für  Lykurg;  Pytheas,  der  anfangs  auf  Seiten  der  Patrioten  stand  und 
sich  der  Vergötterung  Alexanders  widersetzte,  später  aber  seit  dem  har- 
palischen Prozess  in  den  Sold  der  makedonischen  Herrscher  trat;  Chari- 
sios,  den  Cicero  Brut.  83,  286  einen  Nachahmer  des  Lysias  nennt;  De- 
mochares,  Schwestersohn  des  Demosthenes,  der  280  das  Ehrendekret  f&r 
Demosthenes  beantragte  und  306  in  einer  Rede  vn^Q  So^oxhlovg  nqog  <P{' 
Xma  den  Antrag  des  Sophokles  auf  Beschränkung  der  Lehrfreiheit  der 
Philosophen  als  geschworener  Feinde  der  Demokratie  unterstützte.^)  Ausser- 
dem haben  wir  aus  ägyptischen  Papyri  ein  Bruchstück  einer  Rede,  in  der 
ein  Feldherr  angegriffen  wird  (wahrscheinlich  Chabrias  von  Tioodamas), 
weil  er  nach  einem  Seesieg  die  Toten  zu  bestatten  und  die  noch  Lebenden 
zu  retten  versäumt  habe. 

4.  Die  Philosophen.') 
a)  Anfängre  der  Philosophie. 
291.   Die  Forschungen  über  den  Urgrund  des  Seins  und  die  Gesetze 
des  Denkens  fallen  ausserhalb  des  Bereiches  der  aUgemeinen  Litteratur. 

)  Diese  JrjfÄdöeia  sind  aus  einer  Wiener  '  zusammengestellt  von  Dibls,  Berl.  1879.  — 


Hdschr.  nicht  unerheblich  vermehrt  von 
DiELs  Rh.  M.  29,  107  ff. 

^;  Cic.  Brut.  36  sagt  noch:  cuius  nulla 
extant  scripta  und  ähnlich  Quintil.  XII 
10,  49. 

^)  Die  Exzerpte  aus  einem  Palat.  129 
mitgeteilt  von  H.  Haupt  in  Herm.  13,  489  ff. 

*)  Siehe  oben  §  279. 

^)  Ueber  jene  Polizeimassregeln  Wila- 
MowiTZ,  Antigonos  von  Karystos  189  ff.  De- 
mochares  hatte  auch  Historien  über  Zeit- 
geschichte in  mindestens  21  Büchern  ge- 
schrieben; Fragmente  bei  Möllbr  FHG  II 


Fragmentensammlungen:  Philos.  graec.  vet. 
rell.  coli.  Karsten,  Brux.  1832—8;  Fragio. 
philos.  graec.  ed-  Mullach,  Paris  1875—81, 
3  vol.  nicht  vollendet  und  nnverlAssig;  BLatona 
philos.  graec.  et  rom.  ex  fontium  lods  contoxta 
cur.  RiTTBR  et  Prbllbr,  ed  VI  (1878j  cur. 
Tbichmülleb,  ed.  YII  (1886)  cur.  ScauLTsaa. 
—  Geschichte  der  Philosophie:  Jofsius,  De 
scriptoribus  historiae  philosophicae,  Francof. 
1659,  ex  rec.  Dornii  1716;  Tbknbmaitk, 
Gesch.  d.  Philos.  (1798),  5.  Aufl.  von  Wkhdt, 
Leipz.  1829;  Brandis,  Handbuch  d.  GesclL. 
d.  griechisch-römischen  Philos.   in   3  Teller 


445-  9.  I  bis  Aristoteles  incl.,  Berl.  1835-66;   Brak- 

')  Haupt-Quellen:  Diogenes  Laerti US  dis,   Gesch.  der  £nt¥ricklungen  der  grieclu 

Tt^Qi  ßitof  xai  6oyfjLdxtov  xtav  iv  (piXoao(piff  \  Phüos.    und   ihre   Nachwirkungen    im    rftni. 

BvdoxifArjadyKoy,  10  B.;  Reste  von  des  Por-  i  Reich,  2  Bde.,  Berl.  1862—4;  Zbllbb,  Philo- 

phyrios  T^tAoa 09 o(  f!0ro^('(( ;  Doxographigraeci,  \  Sophie   der   Griechen   in  3  Teilen,   5.    Aofl 


4.  Die  Philosophen,    a)  Die  Anfänge  der  Philosophie.    (§§290—292.)        411 


Es  wird  daher  die  Philosophie  der  Griechen  in  der  Regel  als  Gegenstand 
eioer  speziellen  Disziplin  betrachtet,  in  der  dann  auf  den  Inhalt  der  philo- 
sophischen Werke  und  auf  die  allmählichen  Fortschritte  in  der  Erkenntnis 
der  obersten  Gründe  der  Hauptnachdruck  gelegt  wird.  Aber  auch  in  einer 
Geschichte  der  Litteratur  verlangt  die  Philosophie  einen  Platz ;  sie  darf  am 
wenigsten  in  einer  griechischen  Litteraturgeschichte  beiseite  gelassen  wer- 
den, weil  sie  einerseits  eine  der  grossartigsten  und  originellsten  Schöpfungen 
des  griechischen  Forschergeistes  ist,  anderseits  bei  den  Griechen  noch  einen 
allgemeineren  Charakter  trug  und  mit  Seiten  der  schönen  Litteratur,  wie 
fibetorik  und  Poetik,  sich  vielfach  berührte.  Aber  wesentlich  nur  die 
Philosophen,  deren  Schriften  uns  erhalten  sind,  werden  wir  eingehender 
behandeln,  diejenigen  hingegen,  von  deren  philosophischen  Gedanken  wir 
nur  durch  andere  Kenntnis  haben,  entweder  ganz  ausser  Betracht  lassen 
oder  nur  kurz  streifen. 

Eine  Vorstufe  der  griechischen  Philosophie  bildeten  die  Speku- 
lationen der  alten  Theologen,  welche,  von  dem  geistigen  Kern  der  über- 
lieferten Religion  ausgehend,  ein  System  der  Weltentstehung  (Kosmogonie) 
konstruierten.^)  Von  ihnen,  insbesondere  von  Hesiod  und  Pherekydes, 
ist  schon  oben  in  anderem  Zusammenhang  gehandelt  worden.  Auch 
die  sogenannten  Sieben  Weisen,  die  ihrer  politischen  Klugheit  und  prak- 
tischen Lebensweisheit  ihre  Berühmtheit  verdankten,  haben  bereits  bei 
anderer  Gelegenheit  Erwähnung  gefunden. 

292.  Die  ersten,  welche  den  Namen  Philosophen  verdienen  und  mit 
Entdeckung  naturwissenschaftlicher  Gesetze  das  Nachdenken  über  die 
Gründe  des  Seins  anregten,  waren  die  ionischen  Physiologen.  Ihre 
Blüte  fallt  in  dieselbe  Zeit,  wie  die  der  Sieben  Weisen,  in  das  6.  Jahr- 
hundert V.  Chr.  In  der  Litteratur  sind  auch  sie  wenig  hervorgetreten.  Der 
älteste  von  ihnen,  Thaies  von  Milet,  dessen  Zeit  sich  durch  die  von 
ihm  vorausgesagte  Sonnenfinsternis  von  585  bestimmt,  hat  überhaupt  nichts 
schriftlich  hinterlassen.*)  Der  erste,  von  dem  ein  Buch  erwähnt  wird,  war 
Anaximander  von  Milet,  dem  zugleich  die  erste  Anfertigung  einer  ehernen 
Erdtafel  {yewyQaq^ixog  niva^)  nachgerühmt  wird.«)  Ihm  folgte  Anaxi- 
menes  von  Milet,  der  gleichfalls  eine  Schrift  ns^l  (pvmog  in  ionischer 
Mundart  verfasste.    Alle  drei  suchten  den  Urgrund  der  Dinge   in  etwas 


im  Ebeheinen,  Hauptwerk;  Zbllsb,  Grand* 
litt  der  Gesch.  der  alten  PhiloB.,  2.  Aufl. 
LapoL  1886;  ÜMBBBWRe,  Grondriss  d.  Gesch. 
der  Philoeoidile,  1.  Teil  das  Altertnm  be* 
bodelnd,  8.  Aufl.  besorgt  von  Hrinzb, 
Bert.  1894;  Pbavtl,  Uebersicntder  griecbisch- 
rtm.  Philosophie»  2.  Aufl.  Stattg.  1868;  Pbamtl, 
Gesch.  der  Logik  im  Abendlande,  Leipz.  1855, 
I.  Band  die  griecL-rOm.  Philos.  umfassend; 
^^CBWBOLBB,  Gesch.  der  griech.  Phil.,  8.  Aufl. 
besorgt  TOD  KOSTUH,  Freib.  1883;  Windbl- 
SABn,  Gesch.  d.  alt.  Philos.,  in  diesem  Hand- 
Wh  im  11.  HcJbband,  2.  Aufl.;  Gompebz, 
Griechiscfae  Denker,  Leipz.  1.  Bd.  1896,  worin 
<he  PhiloBophie   im  Zusanunenhang  mit  den 


Wissenschaften  behandelt  ist.  -  -  Archiv  für 
Gesch.  der  Philos.,  herausgegeben  von  Stein, 
Berl.  seit  1887. 

*)  Aristot.  Met.  13:  eiai  di  riyec  oi  xal 
toitg  TittfinaXttiovg  xal  noXv  ngo  rijg  yvy 
y$yice<og  xai  ngioTOvg  ^BoXoyijcayrag  oirtatg 
otoyxai  TieQi  -irjg  (pvasiog  vnoXaßety.  Met.  l\  4: 
ol  7t€Ql  'Haiodoy  xai  rtayreg  o<roi  &6oX6yoi, 

')  Daher  sagt  vorsichtig  Aristoteles  Met 
I  3  p.  984  a,  2:  SaXijg  Xiysrai  ovrtog  ano- 
tpijyaa^tti. 

»)  Strab.  p.  7:  Agathem.  geogr.  I  1,  vgl. 
Bbbgeb,  Erdkunde  der  Griechen  17.  —  Nach 
Diog.  n  2  stand  er  Ol.  58,  2  im  Alter  von 
64  Jahren. 


412 


Ghrieohische  Litteratargesohiohte.    I.  KlasaiBohe  Periode. 


Materiellem,  indem  der  erste  aus  dem  Wasser/)  der  zweite  aus  der  unend- 
lichen ürmaterie  (arteiQov),  der  dritte  aus  der  Luft  die  Dinge  entstanden 
sein  liess. 

Über  diese  schwachen  Anfänge  der  Naturerklärung  ging  der  Ausläufer 
der  ionischen  Physiologen,  der  grosse  Denker  Herakleitos  aus  Ephesos 
(um  535  bis  um  475)  weit  hinaus.  Sein  Buch,  das  wegen  der  Dunkelheit 
der  Sprache  verrufen  war,«)  hat  bis  in  die  Zeit  der  Neuplatoniker  hinein 
Leser  gefunden,  so  dass  uns  von  demselben  nicht  wenige  Fragmente  er- 
halten sind.^)  Seine  philosophische  Orundanschauung,  die  sich  gegen  die 
Einheits-  und  Stillstandslehre  der  Eleaten  kehrte,^)  wurzelte  in  dem  Satze 
von  dem  ewigen  Fluss  der  Dinge  {ndvxa  ^sX)  und  von  dem  Krieg  als  dem 
Vater  der  Dinge  (noXsfiog  nävTwv  nattjo).  Als  UrstoflF  nahm  er  das  Feuer, 
das  feinste  und  geistigste  der  Elemente,  an  und  liess  die  Dinge  von  diesem 
aus  und  zu  diesem  zurück  einen  doppelten  Weg  gehen  tijv  avt»  odov  und 
Ti]v  xdtco  oiov.  Die  Ordnung  der  Bewegung  wird  ihm  aufrecht  erhalten 
durch  die  ewigen,  feststehenden  Naturgesetze,  die  er  nach  seiner  symbo- 
lischen Sprechweise  unter  dem  Namen  Etfiagfurrj  zusammenfasste.  Unter 
den  vielen  Sentenzen  des  kernhaften,  aristokratisch  gesinnten  Philosophen 
findet  sich  auch  der  goldene  Spruch  noXvfAad^rjtr^  vöov  ov  Stddaxei.  Die  9 
unter  seinem  Namen  uns  erhaltenen  Briefe  rühren  von  einem  hellenisti- 
schen Juden  aus  der  Zeit  der  Eleopatra  her.^) 

293.  Auch  der  Vater  der  zweiten  Richtung  philosophischen  Den- 
kens, Pythagoras  aus  Samos,  der  um  530  sich  in  Kroton  in  ünteritalien 
ansiedelte  und  Stifter  des  philosophisch-politischen  Bundes  der  Pythagoreer 
wurde,  scheint  selbst  nichts  geschrieben  zu  haben;  schon  das  berühmte 
avTog  Mffa  weist  darauf  hin,  dass  sich  die  Anhänger  unseres  Philosophen 
auf  mündliche  Aussprüche,  nicht  auf  irgend  welche  Schriften  des  Meisters 
berufen  konnten.^)  Der  erste  Pythagoreer,  der  die  Hauptsätze  der  Lehre 
in  einem  Buche  zusammenfasste,  war  Philolaos,  ein  älterer  Zeitgenosse 
des  Sokrates,    der  nach  Zersprengung  der    pythagoreischen   Vereine  in 


^)  Statt  des  Wassere  setzte  als  üretoff  das 
Nasse  {vyQov)  Hippon  der  Atheist,  dessen 
Zeit  sich  aus  der  Erwähnung  in  den  Panoptai 
des  Eratinos  bestimmt. 

')  Heraklit  selbst  erhielt  dayon  den  Bei- 
namen der  Dunkle  (o  anoiBivo^),  Speziell  rügt 
Aristoteles  Rhet.  III  5:   rcc  'HQaxXsitov  öta- 

ngoaxeirai,  r^  varegoy  ij  rcJ  TiQorsQoy,  Diese 
Schwierigkeit  begegnet  uns  ausser  in  dem 
▼on  Aristoteles  selbst  angeführten  Satze  rov 
Xoyov  T0v6*  ioytos  ael  d^vyeroi  ol  ny&gtanoi 
ylyyovfai  besondere  in  dem  locus  concla- 
matns  iy  ro  aoq>6y  fAovyov  Xiyea^ai,  ovx 
i&äXei  xal  i&dXei  Zrjyog  ovyofna, 

•)  Heracliti  Ephesii  rell.  rec.  I.  Bywa- 
TBB,  Oxon.  1877.  —  Lasalle,  Die  Philosophie 
Heraklits  des  Dunkeln,  Berlin  1858;  J.  Bbr- 
NATs,  Heraclitea,  in  Ges.  Abhandl.  I  1  ff.; 
SoHüsTBB,  Heraklit  von  Ephesus,  Acta  soc. 
philol.  Lips.  t.  III,  Pflbidbrbr,  Die  Philo- 
sophie des  Heraklit  von  Ephesus  im  Lichte 


der  Mysterienidee,  Berlin  1886;  Patik,  He- 
raklits  Einheitslehre,  Progr.  des  Ludw.  Gynui. 
München  1885;  Herakütische  Beispiele  Progr. 
Neuburg  a.  D.  1892  u.  1893.  —  üeber  ein 
neues  Fragment  hervorgezogen  aas  den 
XQfjCfjLol  xiav  'Wikrjyixtay  &€<äy  Nbctkaitv, 
Herrn.  13,  605  f.  üeber  neuere  Leistungen 
auf  dem  übeireichen  Grebiet  der  Heraklit- 
litteratur  Cbon  PhiloL  N.  F.  Bd.  I  H.  2—3, 

*)  Wenn  es  auch  wahrscheinlich  IsL 
dass  Heraklit  sein  Buch  vor  dem  Erscheinen 
des  philosophischen  Lehrgedichts  dee  Par- 
menides  schrieb,  so  konnte  er  sich  docii 
jedenfalls  schon  gegen  Xenophanes  wenden. 

^)  J.  Bbrnats,  Die  pseudoheraklitiw^en 
Briefe,  ein  Beitrag  zur  philos.  u.  religions' 
geschichtlichen  litteratur,  Berl.  1869 ;  Pfijei> 
DBBBR,  Die  ps.-heraklitischen  Briefe  und  ihre 
Verfasser,  Rh.  M.  42,  153  ff. 

^)  üeber  die  untergeschobenen  Schriften 
der  Neupythagoreer  siehe  unten  §  503. 


4.  Die  Philosophen,    a)  Die  Anfänge  der  Philosophie. 


1 293-294.)       413 


Italien  nach  Theben  gekommen  war.  Von  ihm  haben  wir  noch  umfang- 
reiche Fragmente  in  dorischem  Dialekt,  für  deren  Echtheit  Böckh  einge- 
treten ist.^)  Einige  mathematische  und  physikalische  Bruchstücke  sind 
QD8  auch  von  Archytas  aus  Taren t,  einem  Freunde  Piatons,  erhalten.*) 
Zweifellos  untergeschoben  ist  die  aus  dem  platonischen  Dialog  ausgezogene 
Schrift  des  angeblichen  Pythagoreers  Timaios  negl  ipvx&q  xai  ipvaioq,  — 
Die  Lehre  des  Pythagoras  von  der  Seelenwanderung  und  die  in  seiner 
Schule  sich  forterbende  Liebe  zur  Mathematik  und  Harmonik  scheinen 
auf  den  Einfiuss  der  ägyptischen  Priester,  welche  Pythagoras  in  seinen 
jungen  Jahren  gehört  haben  soll,  zurückzugehen.^)  Die  mathematischen 
Studien  brachten  ihn  auf  den  Gedanken,  die  Zahl  und  die  Zahlenverhält- 
flisse,  auf  denen  nicht  bloss  die  Harmonie  der  Töne,  sondern  das  Wesen 
(iatfia)  aUer  Dinge  beruhe,  zum  Prinzip  zu  erheben.  Es  bedeutete  dieses 
einen  grossen  Fortschritt  in  der  philosophischen  Erkenntnis,  da  damit 
etwas  Geistiges  anstatt  eines  Materiellen  in  den  Anfang  trat.  Aber  die 
Darchf&hrung  jenes  an  sich  richtigen  Prinzips  artete  bei  den  Schülern 
des  Meisters  in  einen  phantastischen,  spielenden  Mystizismus  aus.^) 
Fruchtbar  für  den  wissenschaftlichen  Fortschritt  war  auch  die  Anschauung 
von  der  Kugelgestalt  der  Erde,  welche  von  den  Pythagoreern  ausging 
und  auch  schon  in  Athen  zur  Zeit  Piatons  die  ältere  Vorstellung  von  der 
Erde  als  Scheibe  zu  verdrängen  begann.^) 

294.  Die  Eleaten  Xenophanes  und  Parmenides  haben,  indem  sie 
an  Hesiod  und  die  alten  Theologen  anknüpften,  ihre  philosophischen  Ge- 
danken in  Versen  niedergelegt;  von  ihnen  ist  daher  bereits  oben  beim 
Lehrgedicht  §  83  gehandelt  worden.  Der  Begründer  der  eleatischen 
Schule,  Xenophanes  aus  Kolophon  im  ionischen  Kleinasien,  ging  in  seiner 
philosophischen  Lehre  von  einer  höheren  Auffassung  Gottes  aus  und  be- 
kämpfte, indem  er  nur  einen  Gott  annahm  und  diesen  Einen  sich  ewig 
gleichbleibend  dachte,  den  Polytheismus  und  die  anthropomorphen  Vor- 
stellungen der  Volksreligion.  ^)    Parmenides  aus  Elea  in  ünteritalien,  er- 


')  Böckh,  Philolaos  des  Pythagoreers 
Iiekre  nebst  den  Bnichstficken  seines  Werkes, 
Beriin  1819.  F.  Bbckmanv,  De  Pythagoreo- 
nim  reliqoÜB,  Berlin  1844,  1850.  Neuere 
Utteratnr  bei  ÜBBBBWEe  S.  54  u.  62. 

*)  Blass,  De  Arcbytae  Tarentini  fragm. 
nuÜL,  in  Mal.  Graux  Paris  1884  p.  573  bis 
B4.  Habtensteih,  De  Arcbytae  Tar.  frag- 
meniis  philoaopbicis,  Lips.  1833.  Die  An- 
fiüurmigen  ans  philosopbischen  Scbriften,  wie 
»<^  nayiog,  negi  a^/ov,  tjcqI  twv  Sfxu  x«- 
t^^imr,  nfQi  yofiov  xai  dixaioavf^g  sind 
entschieden  unecht  und  nacbaristoteliscb. 

')  Die  Reise  des  Pythagoras  nach  Aegyp- 
ten  berichtet  als  ftltester  Zeuge  Isokrates, 
Bus.  11 ;  die  späteren  Zeugnisse  bei  Zeller  I^ 
277  ff.  Auch  die  Lehre  des  Zoroaster  soll  er 
gekannt  haben ;  ebenda  S.  275  f.  Dass  auch 
indische  Weisheit  auf  irgend  welchem  Wege 
20  Pjrthagoraa  gedrungen,  zeigt  SchbOdbb, 
Pythagoras  und  die  Inder,  Leipz.  1884.    Im 


übrigen  darf  ietzt  als  ausgemacht  gelten, 
dass  die  Angaben  der  Späteren  Über  Pytha- 
goras Reisen  zu  den  Magiern,  Indem,  Juden 
nicht  aus  geschichtlicher  Erinnerung  stam- 
men, sondern  in  der  pythagoreischen  Legende 
und  der  Verlogenheit  des  Synkretismus  ihre 
Quelle  haben. 

*)  üeber  die  Fortdauer  der  pythagorei- 
schen Sekte  in  der  alexandrinischen  Zeit  und 
ihr  Neuaufleben  bei  den  Neupythagoreem 
s.  §  503  und  Zbllbb,  Philos.  d.  Gr.  IIP  2, 
79  flf. 

^)  Aristot.  de  coelo  II 13;  Plat.  Phaedon 
p.  97  d  in  Zusammenhalt  mit  p.  61  d.  Die 
damit  verbundene  Einteilung  der  Erde  in  5 
Zonen  wird  auf  Parmenides  zurückgeführt; 
s.  Strabo  II  p.  94. 

^)  Den  Kern  der  Lehre  enthalten  die 
Verse  slg  ^$og  ay  t€  Ceolat  xai  nv^QiänoMi 
fiiyictog,  ov  ri  dcfAag  ^yijto?aiv  ofioüog 
yÖYifxa,    Vergl.  Ps.  Aristot.  De  Xeno- 


414  Qrieohisohe  Litteratnrgeaohichte.    t.  Klassische  Pariode. 

wies  in  dem  ersten  Teile  seines  philosophischen  Lehrgedichtes  jenes  Eins 
als  das  allein  wahrhaft  Seiende,  das  ewig  und  unveränderlich,  denkend 
und  gedacht  zugleich  sei,  behandelte  aber  dann  doch  im  zweiten  Teile  auch 
das  Werden  und  Vergehen  oder  die  Welt  der  trügerischen  Meinung 
(do^a  im  Gegensatz  zu  aXtj^eia),  indem  er  dieselbe  auf  zwei,  durch  den 
Eros  zusammengeführte  Prinzipien,  Licht  und  Finsternis  {^dog  xal  cxovoq 
xai  Tcc  (fvatoixctj  dgaiov  axXr^Qov  etc.),  zurückführte.^)  Die  Lehren  des 
tiefsinnigen  Meisters  wurden  später  von  seinen  Schülern  Zenon  und 
Meli  SS  OS  auch  in  prosaischer  Rede  dargelegt  und  weitergeführt. 

Mit  Parmenides  teilt  sein  Zeitgenosse  Empedokles  aus  Akragas  in 
Sikilien  die  Form  der  poetischen  Darstellung;  auch  von  ihm  ist  daher 
bereits  oben  §  83  die  Rede  gewesen.  Die  Philosophie  verdankt  ihm  die 
Unterscheidung  von  Stoff  und  Kraft.  Den  Stoff  bilden  ihm  die  4  Elemente 
(xkaaaqa  twv  ndvzwv  ^i^cSfiara),  die  er  zuerst  unterschied,  aber  noch  alle- 
gorisch mit  Namen  von  Göttern  {Zevg,  "Hqa^  'Äiiwvsvg^  Nrjaiig)  bezeichnete. 
Die  Kraft  tritt  ihm  in  zwiefacher  Gestalt  auf,  als  Liebe  ((Piiorryg),  welche 
alles  in  die  eine  Kugel  zusammenführt,  und  als  Streit  (jY«xog),  welcher 
das  Vereinigte  wieder  scheidet,  bis  von  neuem  wieder  die  Liebe  ihr  Werk 
beginnt. 

295.  Eine  neue  Bahn,  die  von  bedeutendstem  Einfluss  auf  attische 
Geistesrichtung  und  Litteratur  war,  schlug  unter  den  älteren  Philosophen 
Anaxagoras  aus  Klazomenä  ein  (geb.  um  500).  Derselbe  ist,  indem  er 
den  vovg  als  Prinzip  in  die  Philosophie  einführte,  nach  einem  bekannten 
Ausspruch  des  Aristoteles  Met.  I  3  wie  ein  Nüchterner  unter  Betrunkenen 
erschienen.*)  Im  übrigen  lehnte  er  sich  in  seinen  Anschauungen  stark 
an  Empedokles  an,  an  den  namentlich  sein  ofiov  nävta,  aus  dem  er  alles 
Seiende  entstanden  sein  Hess,  erinnerte.  Der  rationalistische  Zug  seiner 
Philosophie  bestand  hauptsächlich  darin,  dass  er  mit  Ausschluss  aller 
Symbolik  seine  Prinzipien  mit  sachlichen,  nicht  von  den  Göttern  berge* 
nommenen  Namen  bezeichnete.  Während  seines  langen  Aufenthaltes  in 
Athen,  wo  er  anfangs  an  Themistokles,  später  an  Perikles  mächtige  Grönner 
hatte,  trug  er  zur  Verbreitung  religiöser  Aufklärung  wesentlich  bei,  bis 
er  432/1  infolge  einer  Anklage  wegen  Gottlosigkeit  {daäßeta)  die  Stadt  ver- 
lassen musste.  Sein  Einfluss  überdauerte  sein  Leben;  das  verdankte  er 
dem  Fortleben  seines  Werkes  nsqi  ifvatog^  das  noch  zur  Zeit  des  Sokrates 
und  Piaton  viel  in  Athen  gelesen  wurde.*) 

Bereits  eine  ausgedehnte  litterarische  Thätigkeit  entfaltete  der  viel- 
gereiste,*) von  seinen  Zeitgenossen  wegen   des   Umfangs   seines  Wissens 

phane    Zenone    Gorgia   c.  3  und   Freuden-   '   Ueber  den  platonischen  Dialog  Parmenides  & 
THAL,  Die  Theologie  des  Xenophanes,  Breslau  |  §  307 


1886,  wonach  bei  Xenophanes  doch  noch 
von  keinem  reinen,  streng  durchgeführten 
Monotheismus  die  Rede  sein  kann: 

')  Zum   zweiten  Teil   geht  Parmenides 
über  mit  den  Versen 

iv  rtü  aoi  navato  nurtoy  Xoyov  rjd^  y6ij/4« 
a/Lt(ptg  aXrj&sLag  •  So^ag  d*  and  rovöe  ßQoxeiac 
fittv&ttye,  xofffioy  ifAtüy  iniiov  änttttjXoy  dxovioy. 


')  Aehnlich  ist  der  Aussprach  des  PlatoD 
Phaed.  97  c. 

^)  Plat  Apol.  26  d;  yon  seinem  Einftojas 
auf  Euripides  s.  §  177. 

*)  Er  selbst  bezeugt  bei  Clemens,  ström. 
1  p.  131  seinen  Aufenthalt  in  Aegypten  und 
andern  Ländern. 


4.  Die  Philosophen,    a)  Die  Anf&nge  der  Plüloeophie.    (§  295.) 


415 


angestaunte  Philosoph  Demokritos  von  Abdera  (geboren  um  460),^)  der 
mit  seinem  älteren  Genossen  Leukippos  die  materialistische  Atomenlehre 
aufbrachte  und  wegen  seiner  auf  heitere  Seelenruhe  abzielenden  Ethik  bei 
den  Späteren  den  Beinamen  des  lachenden  Philosophen  {yeXdaivoc)  erhielt.^) 
Unter  seinen  zahlreichen,  meist  naturwissenschaftlichen  Schriften  in  ioni- 
schem Dialekt,  welche  später  Thrasylos  in  15  Tetralogien  ordnete,*)  waren 
der  fiiyag  diaxocfioq^)  und  fiixQog  didxoaiiog  und  das  Buch  negii  svOvuhfi 
am  berühmtesten  ;fi)  wir  haben  aus  ihnen  nur  wenige  wörtliche  Anführungen, 
die  meisten  bei  Sextus  Empiricus  adv.  mäth.  VII  135.  Auch  sprachliche 
und  litterarische  Themen  behandelte  er  in  den  Schriften  nsQi  ^Ofi/jQov,  tisqX 
oQÖoinfir^g  xal  yXwaahwv^  nsQi  ^t^ucciwv^  dvofiaatixov.  Zu  den  echten 
Werken  kamen  später  viele  Fälschungen,  die  grösstenteils  von  dem 
Schwindler  Bolos  aus  Mendes  in  Ägypten  herrührten,  über  den  Columella 
VII 5  bemerkt:  Bolus  Mendesius,  cuius  commenta,  quae  appellantur  graece 
vjiofivrjfiaja,  sub  nomine  Democriti  falso  produntur,^)  Zu  den  Fälschungen 
gehören  die  auf  uns  gekonunenen  zwei  Briefe,  die  Bücher  negi  aviinaO-e^iav 
wri  avTt7iat^€id)v,  <i>vaixä  xal  Mvtmxd^  recoQyixd^  XeiQOXfitjva,'')  —  Aus 
einer  Sentenzensammlung  haben  sich  viele  Kernsprüche  unseres  Philosophen 
bis  auf  unsere  Zeit  erhalten.») 

Eine  vermittelnde  Stellung  zwischen  der  Lehre  des  Anaxagoras  vom 
torg  und  der  des  Anaximenes  von  der  Luft  nahm  Diogenes  aus  Apollo- 
ma in  Kreta  ein,  der  zur  Zeit  des  Perikles  nach  Athen  kam  und  für  uns 
deshalb  von  grösserer  Bedeutung  ist,  weil  sich  von  seinem  Briefe  über 
die  Natur  {tkcqI  ipvaiog)  zahlreiche  und  längere  Bruchstücke  erhalten 
haben.  Der  Komiker  Aristophanes  scheint  die  Vorstellung  von  der 
Herrschaft  der  Luft  {"Atiq)  und  von  den  beseelten  Wolkenwesen  (Nub.  264  flf.) 
aus  unserem  ApoUoniaten  Diogenes  auf  Sokrates  übertragen  zu  haben. 

In  engem  Zusammenhang  mit  den  Bestrebungen  der  Naturphilosophen 
steht  die  Entwicklung  der  ersten  Spezialwissenschaft,  der  Heilkunde  oder 
Medizin.  Sie  hat  bereits  im  5.  Jahrhundert  einen  hervorragenden  Ver- 
treter, den  Arzt  Hippokrates  aus  Kos  hervorgebracht,  von  dem  auch 
eine  grosse  Anzahl  von  Schriften  in  ionischem  Dialekte  auf  uns  gekom- 
men ist.     Wir  sparen  uns  aber  die  Besprechung  des  bedeutenden  Mannes 


^)  Sein  Leben  reichte  nach  Seneca 
QoMBt  nat.  7,  16  über  373  herab;  s.  Diels 
Rb.  M.  42,  1  ff.;  Zbllbb,  Philos.  d.  Gr.  I* 
761  fL 

•)  Aelian  V.  H.  IV  20;  Suidas  u.  Jti- 
gw^fof;  Anth.  VII  56;  Hör.  ep.  II  1,  194; 
Seoeea  de  tranqn.  an.  15,  de  ira  II  10,  5; 
Udan  Vit  auct.  18;  Jnvenal  X  28  ff.  Offen- 
b«r  ist  der  Name  des  lachenden  Philosophen 
Aos  dem  Charakter  der  ihm  beigelegten, 
>Riter  allein  gelesenen  Sentenzen  entstanden. 

')  l>i<^.  IX  45.  Auch  Schüler  hinter- 
««  Demokrit,  darunter  den  Anaxarchoe, 
"Ol  Gefihrten  Alexanders;  siehe  Gomperz, 
Amxireh  nnd  Kallisthenes,  in  Comm.  in  hon. 
Moiams.  471—86. 

*)  Der  lAiynq  duixoefAog  wurde  von  'Fheo- 
pbwt  dem  Lenkippos  beigelegt;  s.  Diog.  IX  46. 


*)  Aus  der  Schrift  nsQi  Bv&vfiirjs  schöpfte 
Seneca,  De  tranquillitate  animi,  wor&ber 
HiRZEL,  Herm.  14,  354  ff.  Die  schönsten 
Sentenzen  aus  Demokrit  sind  zusammen- 
gestellt von  Ritte R-pR£LLER,  Eist.  phil. 
n.  158. 

•)  SüSEMiHL,  AI.  Lit.  I  482  ff.,  berich- 
tiget von  Oder  Rh.  M.  48,  1  f.  Suidas  unter- 
scheidet BaiXog  JtjfÄOxgireiog  ffi'Aoaotpog  und 
BoiXoe  Meydijaiog  lIt>9tty6QCiog.  Erhalten  ist 
uns  von  jenem  zur  Zeit  des  Eallimachos  le- 
benden Bolos  eine  Wundergeschichte  des 
Kreters  Epimenides  bei  dem  Paradoxographen 
Apollonios  in  Rer.  nat.  Script,  ed.  Kelle 
p.  43  f. 

»)  Vgl.  Mbyer,  Gesch.  d.  Botanik  I  277 

8)  Vgl.  unten  §  640. 


416 


Grieehisohe  Litteratiirgesohiolite.    I.  KlaMische  Periode. 


für  den  Anhang  auf,  wo  seine  Schriften  im  Zusammenhang  mit  denen  der 
übrigen  Ärzte  des  Altertums  eine  bessere  Beleuchtung  finden  werden. 

b)  Die  attische  Periode  der  Philosophie. 

296.  Wie  nach  den  Perserkriegen  Athen  nicht  bloss  die  politische 
Vormacht  Griechenlands,  sondern  auch,  und  in  noch  höherem  Grade,  der 
Mittelpunkt  des  geistigen  Lebens  der  Nation  überhaupt  wurde,  so  be- 
gannen im  5.  Jahrhundert  auch  die  philosophischen  Regungen  sich  all- 
mählich von  der  Peripherie  Griechenlands  nach  dem  neuen  geistigen  Zentrum 
zusammenzuziehen.  Um  dieselbe  Zeit,  in  der  die  neue  Gattung  der  dra- 
matischen Poesie  in  Athen  zur  Entfaltung  und  Blüte  kam,  ward  der  Boden 
Attikas  auch  zur  Aufnahme  der  verwandten  Gattung  der  prosaischen  Lit- 
teratur  vorbereitet  und  tragf&hig  gemacht.  Pythagoreer  hatten  nach  Auf- 
lösung ihres  Bundes  Schutz  und  Stellung  in  dem  hellenischen  Festland 
gefunden;  Parmenides  war  als  Greis  nach  Athen  gekommen,  um  in  der 
Eephissosstadt  seine  Lehre  vom  Eins  und  wahrhaft  Seienden  zu  verkünden ; 
Anaxagoras  hatte  geradezu  den  bedeutendsten  Teil  seines  Lebens  in  Athen, 
im  Verkehr  mit  den  einflussreichsten  Männern  der  Stadt  zugebracht.  Aber 
eigentlich  eingebürgert  wurde  die  Philosophie  in  Athen  erst  durch  die 
Sophisten  während  der  Zeit  des  peloponnesischen  Krieges. 

Die  Sophisten  1)  bereiteten  eine  neue  Richtung  des  Denkens  und  der 
Lebensauffassung  vor,  indem  sie  die  unfruchtbaren  Spekulationen  über  den 
Urgrund  der  Dinge  und  das  Werden  der  Welt  beiseite  lassend,  die  näher- 
liegenden Fragen  der  Ethik,  der  Politik  und  des  Erkennens  mit  subjektiver 
Denkfreiheit  erfassten  und  in  geschmückten,  mehr  auf  den  Schein  als  die 
Wahrheit  berechneten  Vorträgen  (imSef^eig)  verbreiteten.    Der  Hauptver- 
treter dieser  neuen  Weisheit  war  Protagoras  aus  Abdera  (geb.  um  485),*) 
der  wie  die  meisten  Sophisten  ein  Wanderleben  führte,   Athen   aber  zum 
Hauptsitz  seiner    prunkenden   Thätigkeit  wählte,*)    bis  er  um  411    der 
Gottlosigkeit  angeklagt,  aus  Athen  fliehen  musste  und  auf  der  Flucht  nach 
Sikilien  im  Meere  den  Tod  fand.*^)     Nächst  ihm  war  am  einflussreichsten 
Gorgias  aus  Leontini,  der  427  als  Gesandter  seiner  Vaterstadt  nach  Athen 
kam  und  über  den  Tod  des  Sokrates  (399)  hinaus  als  Lehrer   und  Fest- 
redner den  Samen  der  Rhetorik  und  Sophistik  in  Hellas  ausstreute.'^)    Diesen 
beiden  Hauptträgern   der  Sophistik  reihten  sich   Hippias    aus   Elis    und 
Prodikos  aus  Keos  an,  die  neben  jenen  gefeierten  Lehrern  in  Athen  und 
anderen  Städten  Griechenlands  das  neue  Evangelium  der  Aufklärung  und 
subjektiven  Lebensauffassung  predigten. 

*)  Gbote,  Hist.  of  Greece  Vm  474-  544; 
ScHAi^z,  Beiträge  zur  vorsokratischen  Philo- 
sophie, Gott.  1867. 

')  Frei^  Quaestiones  Protagoreae,  Bonn 
1845. 

')  In  Athen  verkehrte  er  im  Anfang  des 
peloponnesischen  Krieges  mit  Perikles;  dann 
verliess  er  Athen,  um,  als  Kallias  Herr  seines 
Vermögens  geworden  war,  wieder  dorthin 
zurückzukehren. 

^)  Vor  411  oder  vor  die  Zeit  des  Rates 


der  Vierhundert  setzt  die  Anklage  _  ^  _ 
Protagoras  Müller-Stbübino,  Jahrb.  f.  PinL 
121,  84.  Einen  der  Vierhundert,  P^thodoros, 
nennt  als  Ankläger  Aristoteles  bei  Diog.  IX 
54.  Ueber  seine  Hauptschrift  KarnßaXXa^wfg 
i>AeT*jiynXoyixu  oder  Jktj&eia  s.  J.  Bkkkats. 
Ges.  Abh.  I  117—121. 

^)  Vgl.  oben  §  260.  Seine  phüosoplu> 
sehen  Anschauungen  lernen  wir  aus  Ps, 
Aristoteles  De  Xenophane  Zenone  Grorgia. 


4.  Die  Philosophen,    b)  Die  attische  Periode  der  Philosophie.    (§  296.)      417 

Der  Einfluss  dieser  Männer  auf  den  Geist  der  Zeit,  auf  die  Loslösung 
vom  Glauben  an  das  Überlieferte,  auf  die  gänzliche  Umgestaltung  der  Er- 
ziehung und  des  Unterrichtes  i)  war  ein  enormer,  dem  der  Enzyklopädisten 
im  vorigen  Jahrhundert  vergleichbar;  aber  ihre  Stellung  in  der  Litteratur 
und  im  positiven  Fortschritt  des  Wissens  ist  gering.   Das  liegt  zum  grossen 
Teil  darin,  dass  sie  ihre  Anschauungen  weniger  durch  Schriften  als  durch 
Vorträge  und  hochbezahlte  Lehrkurse*)  verbreiteten.   Von  dem  vielseitigen 
flippias   werden   mehr   geschichtliche  und  rhetorische  {ccvayga(fjj  'OAe;/x- 
nmixiov  und   TQio'ixog  loyog)  als  philosophische  Schriften  angeführt.   Gor- 
gias  hatte  ohnehin  seine  Stärke  in  den  Reden,  neben  denen  seine  dialek- 
tische, an  die  Lehre  der  Eleaten  anknüpfende  Schrift  negi  xov  fit}  ovtog 
rj  ftfQi  ^v(r€<og^)  zurücktrat.   Von  Prodikos  wird  nur  das  Buch  ^QQai  ge- 
rühmt, in  dem   der  schöne  Mythus   von  Herakles  am  Scheideweg  stand. 
Protagoras  war  nicht  bloss  der  philosophischste  Kopf  unter  den  Sophisten, 
er  hat  auch   am   meisten   von  ihnen   geschrieben;*)    von   zweien    seiner 
Schriften  kennen  wir  die  Anfänge,  in  denen  zugleich  die  Hauptsätze  seiner 
Lehre  enthalten  sind:  ndvtcav  XQrniattav  fittgov  av&gwTiog,   rwv  fji^v  ovtodv 
«$  (,da8s',  nicht  ,wie*)  «ctt*,  tciv  i^  fit]  ovtwv  (og  oix  saxiv  und  nsQi   jx^v 
x^mv  ovx  ^x^  elShvai  ov^*  wg  eiaiv^  ov&*  (og  ovx  slaiv.   Aus  der  Schrift  nsQl 
%ov  Qvxog,  in  der  er  gegen  die  Eleaten  polemisierte,  soll  selbst  Piaton  viel 
herQbergenommen  haben.  ^)   Auch  für  die  Entwicklung   der  grammatischen 
Terminologie  waren  seine  Schriften,  wie  die  nsQl  igO^osTietag,  von  Wichtig- 
keit; er  unterschied  zuerst  die  vier  Aussageformen  {xqtnoi^  modi)  eifXfoXrj 
(Optativ),  igcizr^aig,  anoxQiaig,  evrokij  (Imperativ),  und  die  drei  Geschlechter: 
c^va,  O^ijlea,  axevrj.    In  der  philosophischen  Theorie  ging  er  von  dem 
heraklitischen  Satz  vom'  ewigen  Fluss    der  Dinge  aus,    indem   er   damit 
den  weiteren  verband,  dass  unser  Wissen  lediglich  auf  sinnlichen  Wahr- 
nehmungen beruhe.^)    Dadurch  gelangte  er  zu  einem  ausgeprägten  sen- 
soalistischen  Skeptizismus,  wonach  es  nichts  Festes  und  Bleibendes,  weder 
in  den  Dingen  noch  im  Wissen  gibt,  und  wonach  wir  nur  sagen  können. 


*)  Bebok,  Gr.  Lifcfc.  IV  330:  Bisher  hatte 
odk  der  Unterricht  auf  Musik,  Gymilastik 
und  die  Elemente  des  Lesens,  Schreibens  und 
Bedmens  beschränkt;  alles  was  darüber 
junanaging,  sachte  sich  der  einzebie  selbst 
im  öffenüichen  Leben  anzueignen.  Jetzt 
Bftkmen  die  Sophisten  den  wissenschaftlichen 
Unterricht  der  Jugend  in  die  Hand;  die  Ju- 
gend, die  seit  alters  in  den  Gymnasien  und 
ffingsefaulen  den  Leibesübungen  oblag,  sollte 
jetzt  in  der  Palfistra  der  Sopbisük  geschult 
Verden,  welche  zu  ihren  Yortrfigen  gerade 
jene  Gymnasien  mit  Vorliebe  wühlte. 

*)  Protagoras  und  Gorgias  haben  für 
deo  Kots  einen  Lohn  von  100  Minen  ge- 
Bommen;  s.  Diog.  IX  52;  Diodor  XII  53; 
Snidaa  unt  Gorgias.  Prodikos  gab  in  der 
Gmnmatik  (negi  oQdoxrjio^  ovofAnttov)  einen 
Knrs  ftr  50  und  einen  kürzeren  für  eine 
Bnchme. 

*)  Der  Inhalt  dieser  Schrift   steht  bei 


Sext.  Empir.  adv.  math.  VIT  55  ff.  und  Ps. 
Aristot.  de  Melisse;  er  gipfelt  in  den  S&tzen: 
TiQtaToy  Ott  ovSev  eatty,  dsvtSQoy  Ön  ei  xal 
eatiVy  axataXtjTttov  apdgiSntp,  rgiroy  öxi  bI 
xai  XttTttXtjnroy,  aXXti  toi  y*  ayi^ourtoy  xal 
äyeQfitjyevroy  tto  neXag, 

*)  In  ioniscnem  Dialekt  ist  das  längere 
Fragment  bei  Plutarch,  Consol.  ad  Apoll.  33 
geschrieben.  —  £in  unter  den  bippokratischen 
Schriften  erhaltener  Xoyog  rixyfjg  wird  von 
GoMPERz,  Die  Apologie  der  Heilkunst,  Stzb. 
d.  Wien.  Ak.  1890  und  Griech.  Denker  I 
374  f.,  dem  Protagoras  beigelegt;  sicher 
stammte  derselbe  aus  den  Eüreisen  der  So- 
phisten. 

^)  Dieses  wies  nach  Porphyrios  bei  Euseb. 
praep.  ev.  X  3,  25. 

*)  Diog.  IX  51:  eXeye  firjif^y  bIvhi  naga 
tag  aiffSijaecg.  Die  Erkenntnistheorie  des 
Protagoras  lernen  wir  am  besten  aus  dem 
platonischen  Dinlog  Theätet  kennen. 


Bandtmcb  der  Ums.  AlterttuDiwinenachaft.    VU.    8.  Aufl. 


27 


418  Giieohisohe  Lüteratnrgesohiohte.    L  Klassisohe  Periode. 

wie  die  Dinge  uns  jedesmal  zu  sein  scheinen,  nicht  was  sie  immer  und 
was  sie  an  sich  sind.  Da  er  auf  solche  Weise  eine  objektive  Wesenheit 
der  Dinge  leugnete,  so  ward  ihm  der  Mensch  zum  Mass  der  Dinge  in 
seinen  positiven  wie  negativen  Aussagen.  Der  rhetorische  Charakter  seiner 
Philosophie  drückte  sich  in  dem  verrufenen  Satze  aus,  er  verstehe  die 
Kunst,  die  geringere  Sache  zur  besseren  zu  machen  {tov  tJtto)  Xoyor 
xQ€iTi(o  nouiv),  natürlich  vermittelst  der  Verdrehungen  der  Rhetorik  und 
der  Winkelzüge  sophistischer  Dialektik. 

Neben  den  längeren  Vorträgen  wurde  von  den  Sophisten  auch  die 
bereits  von  Zenon  und  den  Eleaten  gepflegte  Kunst  des  Disputierens  {Sia- 
Xextixtj)  betrieben,  die  bei  ihnen  meist  in  Rechthaberei  (eQiauxtj)  ausartete. 
Von  solchen  Disputationen  wurden  mit  der  Zeit  auch  Aufzeichnungen  ge- 
macht; eine  derselben,  JiaXt^Hg  rO^ixat  betitelt,  in  dorischem  Dialekt  aus 
der  Zeit  nach  Athens  FalU)  ist  uns  zufällig  erhalten.  Als  Verfasser  der- 
selben ist  Mystas  (v.  1.  Mymas)  genannt,  unter  welchem,  wahrscheinlich 
verderbten  Namen,  die  einen  den  Pythagoreer  Simmias,  die  anderen  den 
Schuster  und  Sokratiker  Simon  erkennen  wollen.^) 

Mit  den  grossen  Sophisten  des  5.  Jahrhunderts  starb  die  Sophistik 
nicht  aus,  sie  lebte  noch  im  4.  Jahrhundert  neben  Piaton  und  teilweise 
selbst  neben  Aristoteles  fort;  aber  sie  brachte  keine  namhaften  Männer 
mehr  hervor.  Zu  den  Vertretern  der  jüngeren  Sophistik  gehören  Thra- 
symachos  von  Chalkedon,  jüngerer  Zeitgenosse  des  Sokrates,  bekannt  als 
rhetorischer  Rechtsverdreher  aus  Piatons  Republik;  Polykrates,  der  um 
393  eine  Anklageschrift  gegen  Sokrates  schrieb;  die  erisüschen  Klopf- 
fechter Euthydemos  und  Dionysodoros,  die  Piaton  mit  unübertroffener 
Ironie  im  Dialog  Euthydemos  verspottet  hat;  Bryson  von  Heraklea, 
aus  dessen  dialektischen  Dialogen  Piaton  vieles  entnommen  haben  soll 
(Ath.  p.  508  d). 

297.  Sokrates  (um  469—399),  Sohn  des  Bildhauers  Sophroniskos 
und  der  Hebamme  Phainarete,  aus  dem  Demos  Alopeke  bei  Athen,  war 
der  erste  grosse  Denker  Athens,  der  originellste  und  weiseste  Mann  des 
ganzen  Altertums.  Wie  alle  grossen  Männer  der  alten  Zeit,  stand  er 
mitten  im  Volke  und  versäumte  über  philosophischem  Nachdenken  nicht 
seine  Pflichten  als  Bürger  und  Mensch.  Er  hatte  von  seinem  Vater  die 
Bildhauerkunst  erlernt,  und  am  Eingang  zur  Akropolis  zeigte  man  später 
noch  die  von  ihm  gefertigten  drei  Chariten.')  Im  peloponnesischen  K>ieg 
trug  er  für  sein  Vaterland  die  Waffen  und  focht  tapfer  bei  Potidaa, 
Delion  und  Amphipolis;  im  Jahre  406  trat  er  als  Prytane*)  mutvoll,  wenn 


*)  WiLAMowiTz,   Ind.  Gott.   1889    p*   9  |  Simon  von  Teichmüllrr,   Lüterar.  Fehden 

weist   nach,    dass   die   Schrift  um  400  von  des  4.  Jahrh.  II  97,  wo  auch  der  Text  der 

einem  Byzantier  oder  Rhodier  verfasst  sei.   I  Schrift  mit  Uehersetznng  gegeben  ist.  Ueber 

Es   heisst   deutlich   p.  210,    17    vixa   iy  ^  ,  die  Codd.  und    die  £mendation  der   Schrift 


iyixtjy  {ol  Aaxe^aifxoyioi)  ^Af^vjvaltüg  xal  ttog 
avfAfAfixois.  Auf  Kypros  als  Heimat  des  Ver- 
fassers schloss  Bergk  aus  p.  224,  29. 

*)  Simmias  ward  vermutet  von  Bebok, 
Fünf  Abhdl.  z.  gr.  Philos.  (1883)  S.  119-38, 
und  von  Blass  Jahrb.  f.  Phii.  1881  S.  739, 


s.  Schanz,  Herm.  19,  369  ff.  Eine  Nea> 
bearbeitung  von  £.  Webss  in  Philol.-hi£Rkor. 
Beitrftge  zu  Ehren  Wachsmuths,  LeiimK 
1897.  *^^ 

»)  Paus.  I  22,  8;  IX  35,  7. 

*)  Wahrscheinlich   aber  nicht   als 


4.  Die  Philosophen,    b)  Die  attische  Periode  der  Philosophie.    (§  297.)      419 

auch  ohne  Erfolg,  für  die  mit  dem  Todesurteil  bedrohten  Feldherrn  der 
Schlacht  bei  den  Arginusen  ein.     Verheiratet   hatte   er  sich,   auch  darin 
den  Bürgerpflichten  nachkommend,  mit  einer  Athenerin  Xanthippe.    Philo- 
soph von  Profession   war  er  so   wenig,  dass  er  nichts  schrieb,   nie    um 
Geld  lehrte,  in   seinem    ganzen  Auftreten   die   Regeln  der   Schulweisheit 
verleugnete.    Noch  weniger  kann  bei   ihm   von   dem  Anschluss  an  eine 
bestimmte  Schule  die  Rede  sein;  er  hatte  wohl  den  Protagoras,  Archelaos 
und  rtrmenides  gehört  und  war  in  den  Schriften  der  älteren  Philosophen 
nicht  unbewandert,^)  aber  seine  Denkweise  war  ebenso  originell,  wie  seine 
Lehrweise.     Mit  den  Sophisten  teilte  er  die  gleiche  Richtung  des  philoso- 
phischen Denkens:   von  ihm  konnte  man  ebenso  wie   von  den  Sophisten 
rühmen  quod  philosophiam  devocavit  e  caelo   et  in  urbibus  coUocavit;^)   von 
ihm  gilt  geradeso  wie  von  den  Sophisten,  dass  er  jede  Beschränkung  der 
Denkfreiheit  durch   die   Schranken    dogmatischer  Überlieferung  von  sich 
wies  und  in  den  richtig  entwickelten  Denkgesetzen  allein  die  Quelle  rich- 
tigen Wissens  erblickte.     Es  war  daher  nicht  ganz  zu  verwundern,  wenn 
er  von  fernerstehenden,   unphilosophischen  Köpfen  mit  den   Sophisten  in 
einen  Topf  geworfen  und   für  das  von  jenen  angerichtete  Unheil  verant- 
wortlich gemacht  vnirde.     Wer  aber  tiefer  blickte,  sah  den  grossen,  ge- 
waltigen Unterschied:  Sokrates  lehrte  nicht  um  Lohn,   sondern  folgte  in 
seinem  Verkehr  mit  der  Jugend  nur  dem  inneren  Drang  seines  Geistes;^) 
er  war  in  der  Einfachheit  seines  Wesens    hoch  erhaben   über  jeder  An- 
wandlung des  Hochmutes  und  der  Eitelkeit;   er  verschmähte   die  Prunk- 
reden der   Sophisten  und  suchte  statt  dessen   mit  der   Hebammenkunst 
(nauvuxt^)  seiner  Mutter,  durch  schlichte  Fragen    die  Wahrheit   aus  den 
Jünglingen  herauszulocken;   in  seinem  Bekenntnis  des  Nichtwissens  barg 
sich  zwar  ein  Stück  der  gerühmten  sokratischen  Ironie,  aber  es  war  ihm 
doch  heiliger  Ernst  mit  dem  Satze,   dass   durch  Erkenntnis    der  früheren 
Selbfittäaschung  sich  jeder   erst  den  Weg  zu  besserem  Wissen  bahnen 
müsse.    Den  Boden  des  subjektiven  Erkennens  hatte  er  mit  den  Sophisten 
gemein,  aber  aus  einzelnen  Vorstellungen  sollte  durch  richtige  Deduktion 
das  Wissen   höherer  Wahrheiten  gewonnen  und    so    von    der  io^a   zur 
imerrjfirj  fortgeschritten  werden.     Als  den  grossen  Fortschritt  der  sokra- 
tischen Philosophie    bezeichnet   daher  richtig  Aristoteles*)   die  induktive 
Erkenntnismethode  und  die  Entwicklung   allgemein   gültiger  Definitionen. 
Diese  betrafen  aber  zunächst  nur   das   Gebiet  der  Sittenlehre,   in  der  er 
von  der  Anschauung  ausging,  dass  die  Tugend  auf  Wissen  oder  der  rich- 
tigen Einsicht  in  das,    was  tapfer,   gerecht,   besonnen   etc.   sei,  beruhe.^) 


Uniher  Prytane,  sondern  als  Vorsteher  {int- 
^«r^f),  wie  Eh.  Mülleb,  Progr.  Zittau  1894 
lachweist. 

»)  Xen.  Memor.  1  1,  14;  IV  7,  6. 

»)  Cic.  Tusc.  disp.  V  4,  10;  Acad.  post. 
I  4,  15.  Völlige  Unkenntnis  der  Nator  der 
Bobatiscben  Denkweise  war  es,  dass  Äri- 
iftofiiaiies  in  den  Wolken  ihn  zum  Stem- 
gocker  machte;  s.  §  208. 

•)    Diog.    n    65:     'jQiarinnog    itifAipag 


sinovTog  IwxQarovg    t6  dttifAovioy   «rrw  fAilj 
iniTQ67iety. 

*)  Arist.  Met.  XIII  4:  dvo  ydg  iariy 
a  Tt^  ay  nnodoltj  ItoxQajei  dtxnitog  xovg  t' 
inaxTixovg  koyovg  xal  t6  OQL^so^cti  xaSoXoti^ 
vgl.  ibid.  I  6  und  De  part.  anim.  I  1. 

*)  Xen.  Mem.  III  9,  4:  aotpiay  xal  aa- 
(pQOüvyrjy  ov  ^mgi^sy  . .  Itpr}  di  xal  rijy  dixai- 
oavytjy  xal  Ttjy  aXXrjy  naaay  aQBxrjy  aotplav 
eiyat,  -  -  Vgl.  Doerino,  Die  Lehre  des  Sokrates, 
ein  soziales  Reformsystem,  Mfinchen  1896. 

27* 


420 


Grieohisohe  Litteratnrgesobiohte.    I.  Klaasisohe  Periode. 


Bei  seinen  Jüngern  erzeugte  das  Zusammenarbeiten  in  der  Herausschälung 
richtiger  Erkenntnisse  enthusiastischen  Weisheitseifer  und  schwärmerische 
Zuneigung  zu  dem  geliebten  Lehrer.  Aber  die  bornierten  Anhänger  des 
Alten  und  die  Vertreter  verletzter  Eitelkeit,  Meletos,  Anji^os  und  Lykon, 
benutzten  die  verkehrte  Meinung,  welche  die  Komiker  von  der  Richtung 
der  sokratischen  Philosophie  unter  der  Menge  verbreitet  hatten,  und  die 
Missstimmung,  welche  nach  der  Rückkehr  des  Demos  gegen  Alkibiades  und 
Eritias,  die  Schüler  und  Freunde  des  Sokrates,  herrschte,  um  den  einzigen 
Mann  in  seinem  70.  Lebensjahre  mit  einer  Klage  wegen  Verführung  der 
Jugend  und  Einführung  neuer  Götter  zu  belangen.  Zum  Tode  mit  schwacher 
Majorität  verurteilt,  trank  er  im  Kerker  den  Giftbecher  im  Mai  399.  Der 
Tod  des  Unschuldigen,  wie  er  uns  von  Piaton  im  Phaidon  mit  ergreifender 
Wahrhaftigkeit  geschildert  ist,  hat  das  Ansehen  des  edlen  Weisen  nur 
erhöht  und  die  Gemeinde  seiner  Schüler  und  Verehrer  nur  zu  engerem 
Anschluss  an  den  geliebten  Meister  zusammengeführt.  Sokrates  wirkte 
durch  die  schlichte  Wahrheit  seiner  Lehre  und  die  mit  dem  Tod  besiegelte 
Lauterkeit  der  Gesinnung  wie  ein  gottgesendeter  Religionsstifter.  Er  legte 
den  Gedanken  an  eine  solche  Sendung  seinen  Jüngern  nahe  durch  die  Berufung 
auf  das  Daimonion,  das  er  als  die  in  seinem  Innern  vernehmbare  Stimme 
der  Gottheit  befrage,  so  oft  er  etwas  Wichtiges  zu  thun  im  Begriffe  stehe ; 
er  bewährte  sich  aber  zugleich  dadurch,  dass  er  jeden  Schein  wunder- 
wirkender Kraft  von  sich  ferne  hielt,  als  echten  Sohn  Athens. 

298.  Sokrates  hat  selbst  nichts  geschrieben,^)  aber  er  hat  einen 
reichen  Samen  ausgestreut,  der  in  seinen  Jüngern  aufgegangen  ist  und 
reiche  litterarische  Früchte  trug.  Es  haben  insbesondere  seine  Schüler 
die  Gespräche,  die  er  mit  den  verschiedensten  Leuten  und  über  die  ver- 
schiedensten Gegenstände  hielt,  aufgezeichnet  und  der  Nachwelt  überliefert. 
So  reihen  sich  an  Sokrates  die  Sokratiker  und  die  2a>xQatixol  Xoyoi  an. 
Dem  grössten  der  Sokratiker,  Piaton,  widmen  wir  einen  eigenen  Abschnitt, 
von  dem  sokratischen  Historiker  Xenophon  ist  bereits  oben  gehandelt 
worden;  hier  stellen  wir  das  Hauptsächlichste  über  die  übrigen  Sokratiker 
und  ihre  Schulen  kurz  zusammen.^) 

Aischines  aus  Sphettos  schrieb  sokratische  Dialoge,  die  mit  beson- 
derer Treue  die  Manier  des  Sokrates  wiedergaben.  Unter  der  grösseren 
Anzahl  der  unter  seinem  Namen  in  Umlauf  befindlichen  Dialoge  wurden 
nur  7  (Mikxiadt^q^  KalXiag,  ^A^ioxog,  'Affnaffta,  ^Ahtißiddrfi^  T/jkavy^jg,  l^'rco») 
für  echt  befunden  (Diog.  II  61);  erhalten  hat  sich  von  ihnen  keiner. 

Eukleides  aus  Megara,  der  die  sokratische  Lehre  vom  Guten  mit 
der  eleatischen  vom  Sein  und  Eins  verband  und  zuerst  den  Namen  eTdrj 
(Ideen)  in  die  Philosophie  einführte,')  pflegte  den  Dialog  als  Werkzeug  der 


M  Ich  sehe  von  den  äsopischen  Fabeln 
ab,  die  er  im  Kerker  in  Verse  gebracht 
haben  soll.  Ausser  Betracht  bleiben  ohnehin 
die  unechten  Briefe  des  Sokrates  und  der 
Sokratiker. 

■•*)  Diog.  11  64:  ndyjtov  fieytoi  noy 
Zvjx^anxüiy  diaXoywy  Tlayalriog  aXrj&et^g  eiyui 


doxet  rov;  IlXdttüyog,  3eyo<pwyTo^f  *Jyn~ 
a^e'yovSy  Aiaxiyov  '  diora^ei  d^  ne^i  t«k 
^«idfüvoq  xal  EvxXeidoVf  lovg  cT  aXXovf  ayai^et, 
*j  Gegen  Eukleides  scheint  n&mlich  ge- 
richtet zu  sein  Plat.  Soph.  p.  246  b:  ol  n^og 
ttviovf  dfA(ficßr]xovytes  fdtiXa  evXaßms  nytüBcy 
i^  ttOQaxov  no^iy  df^vyoytaif  yofjiii  ntra  xni 


4.  Die  Philosophen,    b)  Die  attische  Perlode  der  Philosophie.    (§  298.)      421 


Dialektik.  Wir  haben  nichts  von  ihm;  das  Altertum,  das  6  Dialoge  von 
ihm  besass,  war  über  die  Echtheit  derselben  in  Zweifel  (Diog.  II  64). 
—  Unter  den  späteren  Häuptern  der  megarischen  Schule  gelangte  Stilpon 
(um  380 — 300),  der  sich  den  ethischen  Ansichten  der  Eyniker  zuneigte, 
seine  Stärke  aber  im  Disputieren  hatte,  zu  besonderem  Ansehen;  auch  von 
ihm  zirkulierten  9  Dialoge,  die  aber  Diog.  II  120  als  spitzfindig  und  frostig 
(ipvxQoQ  bezeichnet. 

Phaidon  aus  Elis,  nach  dem  der  gleichnamige  Dialog  des  Piaton 
benannt  ist,  schrieb  gleichfalls  Dialoge ;  die  2  als  echt  anerkannten  hiessen 
ZüinvQog  und  IffKov  (Diog.  II  105).^)  Die  von  ihm  in  Elis  gegründete 
Schule  wurde  von  Menedemos  im  Anfang  des  3.  Jahrhunderts  nach 
Eretria  verpflanzt. 

Antisthenes  aus  Athen,  Hörer  des  Gorgias,  dann  des  Sokrates,  war 
Gründer  der  kynischen  Schule,  welche  von  dem  Gymnasium  Kynosarges, 
wo  ihr  Stifter  lehrte,  ihren  Namen  hatte.  In  der  Lehre  und  in  den  zahl- 
reichen Schriften  trat  er,  der  Vertreter  der  Eristik  und  Dürftigkeitsmoral, 
vielfach  in  Feindschaft  zu  Piaton,  dessen  Ideenlehre  er  ins  Lächerliche  zog, 
und  den  er  in  dem  Dialoge  2dd^(ov^)  auch  persönlich  verspottete.  Auf 
der  anderen  Seite  Hess  es  auch  Piaton  nicht  an  Ausfallen  fehlen;  im 
Euthydemos  verhöhnte  er  unter. fremden  Namen  die  unfruchtbaren  Haar- 
spaltereien der  antisthenischen  Eristik.  Die  Alten  hatten  von  ihm  zahl- 
reiche Schriften,  geordnet  nach  sachlichen  Gesichtspunkten  in  10  Bänden.') 
Auf  uns  gekommen  sind  unter  seinem  Namen  zwei  der  Unechtheit  verdächtige 
Deklamationen  Afag  und  'OSvtrffsvg.^)  Von  dem  Dialoge  ^Aqx^^ccog  rj  ncQi 
ßaatXsiag  gibt  den  Hauptinhalt,  dass  nicht  Geld  und  Macht,  sondern  nur  sitt- 
liche Tüchtigkeit  den  Menschen  wahrhaft  glücklich  mache,  ein  Rhetor  der 
Kaiserzeit,  Dion  Chrysostomos  in  der  13.  Rede  wieder.  0)  —  Schüler  des 
Antisthenes  war  Diogenes  von  Sinope  (gestorben  323,  an  demselben  Tag 
wie  Alexander  d.  Gr.),  eine  originelle  Bettelmönchsfigur,  zu  welcher  schrift- 
stellerische Thätigkeit  nicht  gut  passte.  Die  ihm  beigelegten  Schriften 
wurden  bereits  von  Sosikrates  und  Satyros  für  unecht  erklärt  (Diog.  VI  80). 


dciüfittta  eiSf]  ßiaCofAsyoi  xrjv  aXrj&ivrjy  ovaiay 
tlytti.  Vgl.  Zellbb,  Geech.  d.  gr.  Phil.'*  II 
1,  252  ff. 

^)  Andeatongen  über  den  nach  dem 
Schuster  Simon  benannten  Dialog  ZlfAtoy 
geben  der  12.  und  13.  Brief  der  Sokratiker, 
worüber  Wilamowitz,  Herm.  14,  187  ff.  u. 
476  f. 

«)  Vgl.  Ath.  220  d  u.  507  a;  gegen  die 
Lehre  des  Antisthenes  sind  gerichtet  aosser 
dem  Euthydem  die  Stellen  in  Theftt.  155  e 
u.  Soph.  251  b,  vielleicht  auch  der  Spott  auf 
den  Schweinestaat  in  Polit.  II  p.  372  d.  Ueber 
seinen  Dialog  Kvqo^  rj  nsgi  ßaaiXelagf  mit 
dem  er  den  Anstoss  znr  Eyropftdie  des  Xeno- 
phon  gab,  siehe  oben  §  243. 

*)  Das  Verzeichnis  steht  bei  Diogenes 
VI  15;  YgL  DüMMLBB,  Antisthenica,  Halle 
1882;  SüsxMiHL,  Jahrb.  f.  PhU.  135  (1887) 
S.  207—14. 


*)  Ihre  Echtheit  verteidigt  gegen  mannig- 
fache Anfechtungen  Blass,  Att.  Bereds.  II 
311  ff.  Radbbmaohbb  Rh.  M.  47,  569  ff. 
behauptet  nicht  bloss  die  Unechtheit,  sondern 
weist  auch,  einem  Winke  Blass'  folgend, 
nach,  dass  die  beiden  Deklamationen  nach 
den  ^netg  eines  Dramas,  vielleicht  des  Theo- 
dektes,  gemacht  sind,  und  dass  daher  die 
vielen  teils  geradezu  vorliegenden,  teils  durch 
kleine  Aenderungen  leicht  herzustellenden 
Trimeter  der  beiden  Reden  stanmien. 

')  Dieses  hat  scharfsinnig  erschlossen 
üsener  bei  Dümmler  p.  10  aus  der  Ver- 
gleichung  des  Verzeichnisses  der  Werke 
des  Antisthenes  und  Dion  p.  424  u.  431  R. 
Auf  den  Dialog  bezieht  sich  auch  Aristoteles 
polit  III  13  p.  1284»  15  Xiyoiey  yuQ  ay 
Utrwff  äneg  'Jyria^^yrjt  ^qyrj  rot^s  Moytag  dfj- 
(AfjyoQwyxioy  ttüy  dacvnodmy  xal  to  tffoy 
d^iovyjioy  ndvxttg  exeiy. 


422 


Grieohisohe  Litieratargesohicbte.    I.  Klassische  Periode. 


Aristippos  aus  Eyrene  war  Antipode  des  Antisthenes  und  Vater 
der  kyrenäischen  Lehre  von  dem  vemunftgemässen  Lebensgenuss.  Beide 
stimmten  darin  überein,  dass  sie  die  Philosophie  auf  die  Untersuchung 
über  die  Tugend  und  das  beste  Leben  beschränkten,  die  Fragen  nach  dem 
Wissen  als  überflüssig  oder  doch  gleichgültig  ablehnten,  i)  Wenn  Aristo- 
teles Met.  p.  996a  32  den  Aristippos  einen  Sophisten  nennt,  so  hängt 
diese  respektwidrige  Benennung  wohl  damit  zusammen,  dass  derselbe 
einerseits  nach  Sophistenart  um  Geld  lehrte,^)  anderseits  mit  der  Annahme, 
dass  einzig  die  Eindrücke  {nd&rj)  der  Dinge  auf  uns  massgebend  seien, 
sich  zum  Sensualismus  des  Protagoras  bekannte.  Mit  Piaton,  dessen  Phi- 
lebos  hauptsächlich  gegen  ihn,  ohne  dass  sein  Name  genannt  sei,  ge- 
richtet ist,  3)  kam  er  in  Sikilien  an  dem  Hofe  des  Dionysios  zusanunen. 
Seine  teils  in  attischem,  teils  in  dorischem  Dialekt  abgefassten  Dialoge 
werden  von  Diog.  II  84  aufgezählt.^)  —  Die  Lustlehre  des  Aristipp  schlug 
in  einem  jüngeren  Vertreter  der  kyrenäischen  Schule,  in  Hegesias  mit 
dem  Beinamen  6  neicix^ävarog,  der  zur  Zeit  des  Ptolemaios  Lagu  lebte, 
in  vollständigen  Pessimismus  um,  indem  derselbe,  an  der  Erreichung  der 
Glückseligkeit  (etdai/iovfa)  verzweifelnd,  die  durch  den  Tod  am  sichersten 
zu  erreichende  Empfindungslosigkeit  für  das  Beste  hielt.  ^) 

c)  Piaton  (427—847),«) 
299.  Abkunft,  Jugend.  Piaton,  Sohn  des  Ariston  und  der  Periktione 
aus  dem  attischen  Demos  KoUytos,^)  ward  geboren  im  Jahre  427  am  7.  Thar- 
gelion  (Mai),  welcher  Tag  in  seiner  Schule  auch  später  noch  festlich  be- 
gangen wurde.  ^)  Seine  Familie  gehörte  zu  den  altadeligen  Geschlechtem  des 


»)  Sext.  Emp.  adv.  math.  VII  11: 
^oxovai  di  xard  tiyas  xai  oi  dno  Jtjg  Kv- 
Qtjvfjg  fÄoyoy  cit07i<iCsad-ttt  x6  rj&i,x6v  f4i^os, 
nagan^f^neiy  di  ro  tpvaixoy  xai  x6  Xoytxov 
<os  (irjdky  TtQog  t6  evdaifioyatg  ßtovy  avy^Q- 
yovyjtt,  Ariafcot.  Met.  B  2  p.  996»  32:  xtüy 
aotpiüTcSy  ttyee  oloy  'jQiaunnos  nqoBntiXd' 
xi^ov  avxdq  sc.  tag  f^a&ijfiaTixdg  intartjfiag' 
iy  fiiy  ydg  zats  dXXatg  xix^^^i  *«*  ^«^^ 
ßayavootg,  oloy  iy  xexxoyixj  xai  axvtixj, 
didxi  piXxioy  ^  x^iQoy  Xiyeadai  ndyxa,  xdq 
dh  fia^fÄaxixdg  ovdiya  noisTa&ai  Xoyoy  tisqI 
dya^foy  xai  xaxwy,  und  ähnlich  p.  104fSb  24. 

*)  Diog.  11  65:  nguixog  xdjy  Itüxgaii- 
xüiy  fiur&ovg  eiaenQu^axo. 

')  Gegen  Aristipp  ist  auch  nach  Schleier- 
machers Vermutong  gerichtet  Fiat.  Theaet. 
156  ff. 

*)  Den  Namen  unseres  Aristipp  trug 
fälschlich  ein  in  alexandrinischer  Zeit  ent- 
standenes Buch  *jQiax  17171  ov  7t6Qi  71  aXaidg 
xQVfprjg^  das  auch  Diogenes  aufführt;  siehe 
WiLAMOWiTz,  Antigonos  von  Earystos  47 
bis  53.  —  Die  Statue  des  Aristippos  im  Anhang. 

^)  Cic.  Tusc.  I  34;  Plut.  de  amore  prolis 
5;  Diog.  II  93. 

•)  Quellen:  Diog.  III;  Olympiodor,  Vita 
und  Prolegomena  zu  Alkibiades ;  Apu- 
leius,   De   dogmate  Piatonis.     Zurückgehen 


diese  Biographien  auf  Speusippos*  iyacmfitor 
nXdxti}yog,  Philippos  den  Opuntaer,  der  nach 
Suidas  71  €qI  JlXaxotvog  schrieb,  ai^  die  Pla- 
toniker  Xenokrates  und  Hennodoros,  und 
auf  die  Briefe  unter  Piatons  Namen.  — 
Neuere  Darstellungen:  Abt,  Platons  Leben 
und  Schriften,  Leips.  1816;  E.  Fb.  Hsbmavn, 
Geschichte  und  System  der  platonischen 
Philosophie,  Heidelberg  1839;  Stkiithabt, 
Platons  Leben  im  9.  Band  der  Uebersetznng 
von  Mülles,  Leipz.  1873;  Gbotb,  Plato  and 
the  other  companions  of  Socrates,  London 
1865,  3  vol.;  H.  v.  Stein,  Sieben  Bficher  x. 
Gesch.  d.  Piatonismus,  Gott.  1862—4,  im- 
vollendet  Sonstige  Litt  bei  üebbrwbg, 
Gesch.  d.  Phil.  I  §  39,  und  unten  §  302. 

^)  Da  der  Vater  des  Piaton  ein  Acker- 
los  in  Aegina  hatte,  so  liessen  ihn  einige 
nach  Diog.  III  3  aus  Aegma  stammen. 

*)  Die  Angaben  der  Alten  gingen  von 
dem  Todesjahr  unter  dem  Archon  TheopliiloQ 
Ol.  108,  1  aus  und  kamen  von  da  zu  etwas 
abweichenden  Resultaten,  je  nachdem  sie 
den  Philosophen  80  oder  81  oder  84  {UJ 
=  84  wohl  verlesen  aus  UA  =  81)  Jahre  alt 
gestorben  sein  liessen;  s.  Dibls  Rh.  M.  81, 
41  f.  u.  Zbllbr,  Gesch.  d.  gr.  Phil.  ^  II  1, 
390  f.  —  Als  sein  Glück  pries  es  Piaton  bei 
Plut  Mar.  46  als  Hellene  und  zur  Zeit  des 


4.  Die  Philosophen,    c)  Platou.    (§  299.)  423 

Landes;  sein  Vater  rühmte  sich,  ein  Eodride  zu  sein;^)  seine  Mutter  war 
eine  Schwester  des  Charmides  und  Base  des  Eritias,  der  als  vielseitiger 
Schriftsteller  und  als  einer  der  Dreissig  eine  hervorragende  Bolle  in  der 
Geschichte  Athens  spielte.  An  Geschwistern  hatte  er  zwei  leibliche  Brüder, 
Adeimantos  und  Glaukon,  deren  Andenken  er  in  der  Republik  verewigte, 
und  eine  Schwester  Potone,  ^)  deren  Sohn  Speusippos  später  das  Erbe  des 
Philosophen  in  der  Akademie  antrat.  Einem  Halbbruder  Antiphon,  Sohn  des 
Pyrilampes,  begegnen  wir  im  Eingang  des  Parmenides.  Er  selbst  soll 
anfangs  den  Namen  seines  Grossvaters  Aristokles  geführt  und  erst  von 
seinem  Lehrer  fn  der  Gymnastik  wegen  seines  breitschulterigen  Körperbaus 
den  Namen  Piaton  bekommen  haben,  s) 

Als  Sohn  einer  angesehenen  Familie  und  als  Verwandter  hochgebil- 
deter Männer  erfreute  er  sich  in  seiner  Jugend  aller  Vorteile  edler  atti- 
scher Jugenderziehung.  In  der  Musik,  Gymnastik,  Malerei  erhielt  er  Unter- 
richt; in  der  Gymnastik  brachte  er  es  so  weit,  dass  er  bei  den  isthmischen 
Spielen  im  Ringen  einen  Sieg  gewann.^)  Auch  in  der  Musik,  die  damals 
zugleich  die  Poesie  umfasste,  ging  er  über  das  blosse  Lernen  hinaus  und 
dichtete  selbst  Dithyramben  und  Tragödien.^)  Epicharmos  und  Sophron 
bildeten  auch  später  noch  seine  Lieblingslektüre;  den  ersteren  soll  er  stets 
onter  seinem  Kopfkissen  gehabt  haben.  ^)  Hohe  poetische  und  mimetische 
Begabung  spricht  auch  aus  der  scenischen  Einkleidung  seiner  Dialoge  und 
aas  der  Stellung  des  Mythus  in  seiner  Philosophie.  Aber  indem  er  den 
natürlichen  Hang  zum  poetischen  Spiel  mit  Gewalt  zu  Gunsten  der  Philo- 
sophie in  sich  unterdrückte,  eiferte  er,  gleichsam  seiner  ersten  Liebe  zum 
Trotz,  um  so  heftiger  gegen  den  nachteiligen  Einfluss,  den  die  erdichtete 
Leidenschaft  der  Tragiker  auf  die  Seelen  der  Menschen  übe,  und  verbannte 
die  Dichter  mitsamt  dem  Homer  aus  seinem  Idealstaat.  ^)  In  der  Philo- 
sophie hörte  er  nach  dem  Zeugnis  des  Aristoteles  Met.  I  6  als  junger 
Mensch  den  Herakliteer  Kratylos,  zu  dessen  Andenken  er  später  den  Dialog 
Kratylos  schrieb.*)  Vom  20.  Lebensjahre  an  schloss  er  sich  dem  Sokrates 
an,»)  dem  er  bis  zu  dessen  Lebensende  in  innigster  Verehrung  ergeben 
blieb.  Seine  eigene  Philosophie  wollte  er  nur  als  Ausfluss  der  sokratischen 
Weisheit  betrachtet  wissen,  weshalb  er  den  Sokrates  zum  Träger  des 
Gesprächs  in  seinen  Dialogen  machte  und  dieselben  geradezu  ^ooxQazixol 

Sokrates  geboren  worden  zu  sein;  vgl.  Lac-   I  *)  Diog.  III  5;    Olympiodor  3;   Aelian 

tant  Inst  div.  III  19.  |  Y.  H.  11  30.    Fabel  ist  es,  wenn  ihn  Dio- 

^)  Diog.  in  1;  Apnl.  1;   die  Annahme   |  genes  wegen  der  Dünne  seiner  Stinune  der 

tragischen  Kunst  entsagen  lässt. 

•)  Diog.  in  18;  Olymp.  3;  Valerius 
Max.  V  7. 

»)  Mbisbr,  Zu  Piatos  Phaedr.  Protag. 
Thefttet,  München  1864;  Rebeb,  Piaton  u. 
die  Poesie,  München  1864.  Wie  sehr  die 
Liebe  zur  Poesie  und  zu  Homer  in  seinem 
Innern  fortdauerte,  zeigt  sein  eigenes  Ge- 
ständnis Rep.  607  c. 

B)  Piaton  selbst  bezeugt  dieses  im  Phae- 
don  p.  96  a,  freilich  ohne  den  Namen  Hera- 
klit  zu  nennen. 

B)  Hermodoros  bei  Diog.  III  6  lasst  ihn 
8  Jahre  (407^399)  mit  Sokrates  verkehren. 


Abkunft  von  Solon  bei  Olympiodor 
scheint  sich  auf  Timaios  p.  20  e  zu  stützen, 
wo  EriÜBs  den  Solon  einen  Freund  seines 
Ti^nannog  Jgtonidtjf  nennt. 

')  Nach  einigen  bei  Diog.  III  1  hiess 
Potone  auch  die  Mutter  des  Piaton. 

»)  Diog.  III  4.  Anders  deutete  der  Sil- 
lognph  Timon  bei  Ath.  505  e  den  Namen 
Uldjuif,  indem  er  ihn  witzig  mit  nXärxto  in 
Verinndlimg  brachte:  o»;  ayinXttrra  nXaroiy  6 
^tnlMfiiva  »avfiata  eidoSg.  Wahrscheinlich 
iit  das  alles  eitel  Faselei. 

*)  Diog.  m  4  nach  dem  Zeugnis  des 
]>iklareh. 


424 


Qriechiflohe  Litteratnrgesohiohte.    I.  Klassische  Periode. 


Xoyoi  nannte.^)  Erst  in  späteren  Jahren  trat  er  auf  seinen  sikilischen 
Reisen  in  engere  Beziehungen  zu  den  Pythagoreern  und  gestattete  diesen 
bedeutenden  Einfluss  auf  seine  philosophischen  Anschauungen;  auf  die 
Eleaten  war  er  schon  früher  während  seines  Aufenthaltes  in  Megara  durch 
den  Dialektiker  Eukleides  hingewiesen  worden. 

Bei  einem  gesunden,  kräftigen  Mann,  wie  Piaton  war,  verstand  sich 
in  den  kriegerischen  Zeiten,  in  welche  sein  beginnendes  Mannesalter  fiel, 
die  militärische  Dienstleistung  fttr  das  Vaterland  von  selbst.  Aber  in  den 
Angaben  des  Aristoxenos  bei  Diogenes  m  8,  dass  er  das  erste  Mal  gegen 
Tanagra,  das  zweite  Mal  gegen  Eorinth  (394),  das  dritte  Mal  bei  Delion  im 
Felde  gestanden  sei,')  ist  Falsches  mit  Wahrem  gemischt.  Dass  er  als 
Reiter  gedient  habe,  macht  die  genaue  Pferdekenntnis  im  Phaidros  p.  253  d, 
die  weit  über  das  Mass  eines  Laien  hinausgeht,  wahrscheinlich.  Dem 
politischen  Leben  hielt  er  sich  fern.  Familientraditionen  und  eigene  Über- 
zeugung hatten  ihn  zum  entschiedenen  Gegner  der  Demokratie  gemacht ; 
aber  nachdem  die  Optimaten,  denen  er  im  Herzen  zugethan  war,  zur  Zeit 
der  Dreissig  einen  so  schnöden  Missbrauch  von  der  Gewalt  gemacht  hatten, 
zerfiel  er  überhaupt  mit  dem  politischen  Leben  Athens.^) 

300.  Reisen.  Von  Athen  entfernte  sich  Piaton  zum  erstenmal  nach 
dem  tragischen  Ende  des  Sokrates.  Den  letzten  Stunden  des  teueren 
Lehrers,  die  er  später  im  Phaidon  so  ergreifend  geschildert  hat,  konnte 
er  selbst  infolge  eigener  Erkrankung  nicht  beiwohnen.*)  Aber  bald  darauf 
verliess  er  mit  anderen  Freunden  aus  Furcht  vor  weiteren  Verfolgungen 
die  Stadt  und  begab  sich  nach  Megara,  wo  sich  um  Eukleides  ein  Kreis 
Gleichgesinnter  sammelte.'^)  Im  Eingang  des  Theätet  hat  er  später  der 
Liebenswürdigkeit,  mit  der  sich  jener  der  Sokratiker  annahm,  ein  schönes 
Denkmal  gesetzt.  Der  Umgang  mit  Eukleides  scheint  auch  die  Keime  der 
Ideenlehre  in  ihm  geweckt  zu  haben.  Später,  um  390,  unternahm  er  seine 
Reisen  nach  Kyrene  und  Ägypten.  Nach  Kyrene  ward  er  durch  den 
Mathematiker  Theodoros  gezogen,  den  er  zu  Athen  in  den  Kreisen  des 
Sokrates  kennen  gelernt  hatte.  ^)  Von  da  besuchte  er  vielleicht  auch  das 
alte  Wunderland  Ägypten,  dessen  alte  Weisheit  schon  vor  ihm  den  Solen 
und  Herodot  angezogen  hatte  und  von  der  er  bereits  im  Phaidros  nähere 
Bekanntschaft  zeigt.'') 


^)  Uebertrieben  heissfc  es  im  2.  Brief 
p.  314  c:  oit^iy  nwnox^  iyvi  nsQl  tovhov 
ysygafpa  orcT  iati  avyygafAfia  IlXaitoyog 
ovdiy  ovV  eatai,  xd  ^h  vvy  XeyofABva  £to- 
xQarovs  iüxl  xaXov  xal  viov  yeyoyorog.  Der 
Titel  Zwxgarixoi  Xoyoi  bei  Aristot.  Poet.  1; 
Rhet.  ni  16;  PoUt.  n  6;  Ps.  Plato  epist.  9 
p.  363  a;  Ath.  505c;  Diog.  II  64;  III  18. 

*)  Aelian  V.  H.  VII  14  spricht  richtiger 
nur  von  Tanagra  and  Eorinth.  Die  Herein- 
ziehnng  der  Schlacht  bei  Delion  beruht 
wohl  auf  Yerwechselnng  des  Piaton  mit 
Sokrates.  Von  seinem  Kriegsdienst  spricht 
Plato  auch  bei  Diog.  II[  24. 

•)  Nach  dem  7.  Brief  p.  325  c  brach  er 


die  Beziehungen  zu  den  Oligarchen  ab,  nach- 
dem Sokrates  von  den  Dreissig  aufgefordert, 
einen  Bürger  zum  Tode  abzuholen,  sich  dem 
ungerechten  Befehle  widersetzt  hatte. 

*)  Plat.  Phaed.  p.  59  b. 

')  Diog.  II  106:  nQof  EvxXeidijy  <pt^ir 
6  *EQfi6d<ogog  dq>ixio9tti  üXdxiayn  xai  rorc 
Xoinovs  (piXoaotpovg  ^era  Xfjy  ZttxQtrxovg  r«- 
Xevxijy  deiüayxag  xijy  tofiortjxa  xtiy  xvQtiyym^, 
üeber  Xenophon  in  Megara  s.  oben  §  246. 
üeber  Piatons  Aufenthalt  in  Megara  vergl. 
noch  Diog.  III  6  und  den  7.  Brief  p.  329  a. 

')  Theodoros  ist  einer  der  HaupttrSger 
des  Dialogs  im  Thefttet. 

^)  Noch  genauere  Kenntnis  von  Aegyptens 


4.  Die  Philosophen,    o)  Piaton.    (§  300.) 


425 


Eine  grössere  Bolle  in  seinen  Lebensgeschicken  spielen  die  Reisen 
nach  Sikilien,  wo  damals  die  Dionysioi  ebenso  wie  ehedem  Hieron  Philo- 
sophen und  Dichter  an  ihren  Hof  zu  ziehen  suchten.  Dreimal  besuchte 
er  die  dreieckige  Insel  und  Italien,  worüber  wir  den  besten  Aufschluss 
durch  den  7.  Brief  erhalten,  i)  Zum  erstenmal  kam  er  dorthin,  als  er 
nahezu  40  Jahre  alt  war,  also  um  388,  in  den  letzten  Zeiten  des  korinthi- 
schen Krieges.  Den  Anziehungspunkt  bildete  gleich  bei  der  ersten  Reise 
der  König  Dionysios  von  Syrakus,  dessen  Schwager  Dion  ein  glühender 
Verehrer  Piatons  und  der  sokratischen  Philosophie  war.  Aber  Piaton  fand 
bei  seinem  Freimut  wenig  Eingang  am  Hof.  Von  Dionysios  dem  spar- 
tanischen Gesandten  übergeben,  soll  er  sogar  Gefahr  gelaufen  sein,  in 
Aegina  als  Sklave  verkauft  zu  werden.^)  Die  zweite  Reise  unternahm  er, 
durch  denselben  Dion  veranlasst,  bald  nach  dem  Tode  des  älteren  Diony- 
sios (368)  in  der  Hoffnung,  den  jungen  König  für  die  Philosophie  und 
seine  politischen  Ideale  zu  gewinnen.  Aber  als  sich  der  König  mit  Dion 
aus  eifersüchtigem  Argwohn  überwarf  und  denselben  vom  Hofe  verbannte, 
musste  Piaton  froh  sein,  sich  der  peinlichen  Lage  durch  Rückkehr  nach 
Athen  entziehen  zu  dürfen.  Gleichwohl  liess  er  sich  nochmals  verleiten, 
der  wiederholten  Einladung  des  jüngeren  Dionysios  Folge  zu  leisten  und 
zum  drittenmal  die  Fahrt  nach  der  Charybdis  zu  wagen  (361/0).  Aber 
dieses  Mal  richtete  er  noch  weniger  aus;  eine  Aussöhnung  des  Königs 
mit  Dion  vermochte  er  nicht  zu  erwirken  und  bei  dem  König  und  seinen 
Generalen  verleumdet,  kam  er  selbst  in  Lebensgefahr,  welcher  er  nur  durch 
Vermittelung  seiner  Freunde  in  Tarent  entkam.  Die  politischen  Absichten 
des  Philosophen  bei  seinen  Reisen  nach  Syrakus  scheiterten  auf  solche 
Weise  gänzlich,  aber  von  dauernder  Bedeutung  waren  die  Verbindungen, 
die  er  in  Italien  mit  den  Pythagoreern,  besonders  mit  Archytas,  anknüpfte.^) 
Dieselben  steigerten  in  ihm  die  Neigung  zu  mathematischen  und  physi- 
kalischen Studien  ^)  und  beeinflussten  seine  philosophischen  Anschauungen 


Weisheit  zeigt  Piaton  im  Timäas  u.  Ejitias ; 
s.  meine  Plat.  Stod.  S.  55  (507)  ff.  Zusammen 
mit  Simmias  aas  Theben  lässt  ihn  auf  Grund 
guter  Quelle  Plutarch  De  genio  Socratis  p. 
578  f  nach  Aegvpten  kommen.  Da  im  7. 
Brief  von  der  Reise  nach  Aegypten  keine 
Erwähnung  geschieht,  so  haben  Neuere  die 
ganze  Reise  angezweifelt.  Uebertriebene 
Vorstellungen  von  ägyptischen  Einflüssen 
hegten  frälich  die  Späteren,  wie  Clemens 
Alex.  Strom.  I  p.  131;  auch  Strabon  schon 
p.  806  berichtet  Fabelhaftes  von  einem  ge- 
meinsamen, 13  Jahre  dauernden  Besuche 
der  Stadt  Heliopolis  durch  Flaton  und  Eu- 
dozos.  Lactantius  Inst.  IV  2  lässt  den 
Piaton  auch  zu  den  Magiern  und  Persem 
reisen,  was  zweifellos  erdichtet  ist  und  auch 
schon  von  Diogenes  3,  7  in  Abrede  gestellt 
wird. 

»)  Ausserdem  Diog.  HI  18  ff.;  Plut. 
Dion  10  ff.;  Cornelius  Nepos,  Diu  3. 

«)  Diodor  XV  7  zu  386 ;  Ath.  p.  507  b ;  Diog. 
111  19;  Plut.  Dio  5  u.  de  tranqu.  an.  12.  Der 


7.  Brief  schweigt  von  jener  Gefahr,  üeber 
seine  glänzende  anfängliche  Aufnahme  Pli- 
nius  n.  h.  VII  110;  Hatani  sapientiae  anti- 
stiti  Dionysius  tyrannus  alias  saevitiae  sw 
perbiaeque  natus  vittatam  navem  misit  oh- 
viatn,  ipse  quadrigis  albis  egredientem  in 
litore  excepit.    Üeber  die  Zeit  S.  426  Anm.  5. 

')  Ueber  den  Ankauf  der  Schrift  des 
Pythagoreers  Philolaos  berichtet  Hermippos 
bei  Diog.  VIII  85  und  Timon  bei  Gellius 
III  17.  Auch  Sophron's  Mimen  lässt  Diog. 
III  18  von  Piaton  aus  Syrakus  nach  Athen 
bringen.  Einfluss  siki lischer  Gelehrten  zeigt 
sich  in  seinen  Angaben  Über  Theognis,  s. 
§  100  u.  273. 

^)  Ueber  die  wahrscheinlich  erdichtete 
Aufschrift  seines  Hörsaales  ,ii»/tfe(?  dyeto- 
fAixQrjxog  eiali(a^  berichten  David,  Schol.  in 
Arist  cat.  26  a  10,  Philop.  de  an.  D.  6,  Tzetzes 
Chil.  VIII  972.  Die  berühmte  Stelle  Rep. 
VIII  p.  546  über  die  geometrische  Zahl  gibt 
heutzutage  noch  den  Mathematikern  Rätsel 
auf;   s.  CuRTZE,  Jahrb.  d.  Alt.  XII  3,  13  ff. 


426 


Qrieohisohe  Litteratargeschiohte.    I.  Elassisohe  Periode. 


derart,  dass  in  seinen  späteren  Schriften  die  Einfachheit  der  sokratischen 
Lehre  immer  mehr  gegen  die  Subtilität  der  Eleaten  und  die  mystische 
Spekulation  der  Pythagoreer  zurücktrat,  i) 

801.    Schulgründung.     Der  Dichter  verlangt  nach  Hörern,  die  sich 
an  seinen  Schöpfungen  erfreuen,  der  Philosoph  nach  Schülern,  die  ihm  und 
seiner  Lehre  anhängen.     Zur  Zeit  Piatons  war   zwar  mit  der   grösseren 
Ausdehnung  des  Buchhandels  auch  schon  die  Möglichkeit  gegeben,   durch 
Schriften  Anhänger  für  philosophische  Lehren  zu  werben;*)  aber  die  Haupt- 
sache blieb   doch   noch   der  mündliche  Verkehr   des  Meisters  mit   seinen 
Schülern.    Sokrates  hatte  sich  nach  der  ganzen  Anlage  seiner  Natur  mehr 
auf  zwanglose,   halb   gelegentliche    Gespräche   mit  jungen   Männern  be- 
schränkt; Piaton  ging  wohl  auch  vom  freien  Verkehr  mit  einzelnen  aus, 
errichtete  aber  bald  eine  förmliche  Schule,  in  der  die  Jünger  sich  regel- 
mässig um  den  Meister  scharten.     Dazu  wählte  er  den  etwa  20  Minuten 
vor  dem  Thore  Dipylon  gelegenen,  mit  Oymnasium  und  Parkanlagen  aus- 
gestatteten Platz,   der   von  dem  Heros  Akademos  den  Namen  Akademie 
hatte.     Daneben   erwarb  er  einen  eigenen  Garten,')  in  den   er   sich  zu 
stilleren   Studien  und  zu  geselligen  Zusammenkünften   mit   dem    engeren 
Ereis  seiner  Schüler  zurückzog.^)     Die  Gründung  der  Akademie  wird  von 
Plutarch,  de  exilio  10  mit  der  Rückkehr  des  Philosophen  von  seiner  ersten 
sikilischen  Reise  in  Verbindung  gebracht  und  fällt  vermutlich  in  die  Zeit  des 
antalkidischen  Friedens  (um  386/5).^)    Bald  drängten  sich  um  den  verehrten 
Lehrer  edle  Jünglinge  aus  allen  Teilen  Griechenlands,   daneben  der  Sage 
nach   auch   eine   wissbegierige  Frau   Axiothea  aus  Arkadien  in  Männer^ 
gewand.ö)    An  Rivalitäten  mit  anderen  Schulen  und  Schulleitern,  wie  mit 
dem  Sokratiker  Antisthenes  und  dem  Rhetor  Isokrates,  fehlte   es   auch 
nicht,  zumal  Piaton  bei  aller  Idealität  seiner  Anschauungen  doch  im  Ver^ 
kehr  mit  andern  nicht  frei  von  Eifersucht  und  Selbstüberhebung  war.  7)  Neben 


')  Die  Zahlenlehre  der  Pythagoreer  muss  ' 
nach  Aristoteles,  Metaph.  I  6  und  Aristoxe- 
nos,  Harmon.  p.  30  Meih.  in  den  Vorträgen 
des  Piaton  in  seinen  späteren  Lehensjahren 
noch  eine  viel  grössere  Rolle  gespielt  haben 
als  in  seinen  späteren  Schriften;  vgl.  Trbn- 
DELEMBDRO,  Platonls  de  ideis  et  numeris  doc- 
trina,  1837. 

»)  Beiehrend  ist  Plat.  Apol.  p.  26  d  über 
die  Bücher  des  Anaxagoras. 

«)  Diog.  III  5  u.  20;  Plut.  de  exilio 
10;  vgl.  Hermann  S.  121. 

*)  In  die  Akademie  oder  die  Schule 
Piatons  stiftete  später  Mithridates  eine  von 
Silanion  gearbeitete  Statue  des  Piaton,  auf 
die  wohl  die  sitzende  Statue  des  Philosophen 
und  seine  Büste  (s.  Helbio,  Jahrb.  d.  arch. 
Instit.  I  (1886)  71  ff.  und  Abbildung  im 
Anhang)  zurückgehen.  In  dem  Garten  be- 
fand sich  seit  alters  ein  Altai*  der  Musen 
und  die  Gruppe  der  Chariten,  worauf  sich 
die  Erzählung  bei  Plutarch  Coniug.  praec.  28 
stützt,  dass  Piaton  dem  Xenokrates  geraten 
habe,  den  Chariten  zu  opfern.  Von  den  Sym- 
posien in   der  Akademie  rühmte  man,   dass 


man  sich  nach  ihnen  auch  am  nächsten  Tage 
wohl  fühle;  s.  Ath.  419  c  und  PJutarch 
Sympos.  p.  686  b.  Vergl.  Usbnbb,  Organi- 
sation der  wissenschaftlichen  Arbeit,  in 
Preuss.  Jahrb.  1884;  Wilamowitz,  Phil,  ünt 
IV  283  ff. 

6)  Eusebios  zu  Ol.  97.  4  —  389/8:  JPiatö 
philosophu»  agnoaeitur,  was  sich  aber  eher 
auf  die  1.  Reise  Piatons  nach  Sikiüeii  be- 
ziehen  wird.  Auf  das  13.  Jahr  nach  dem 
Tod  des  Sokrates,  also  387  6,  führt  die  Notis 
bei  Strabon  p.  806.  Schwerlich  hat  mit  der 
Schulgründung  etwas  zu  thun  die  Nachricht 
des  Eusebios  zu  Ol  101,  3  =  374/3:  I^ato  et 
Xenofon  necnon  et  alii  Socratici  clari  haben- 
tuvy  die  sich  auf  die  Stelle  irgend  eines 
Historikers  bezogen  haben  wird. 

•)  Diog.  III  46.  IV  2;  Themist.  or.  XXII. 
Unter  den  Schülern  nennt  Plut.  adv.  Col. 
auch  den  Chabrias  und  Phokion.  Vgl.  8.  462 
Anm.  4. 

'')  Gegen  Antisthenes  ist  gerichtet  der 
Euthjdem,  besonders  p.  301  a  und  der  So- 
phistes  p.  251,  gegen  Isokrates  der  Schlius 


4.  Die  Philosophen,    c)  Platon. 


301—302.) 


427 


dem  Lehrberuf  war  es  die  schriftstellerische  Aufgabe,  die  Piatons  Zeit  in 
Anspruch  nahm.  Doch  sollten  seine  Schriften  keine  gesonderte  Stellung 
neben  seiner  mündlichen  Lehre  einnehmen,  sondern  gewissermassen  nur 
Erinnerungen  an  gehaltene  Gespräche  und  Vorträge  sein.  Nach  einer 
langen,  ehrenreichen  Thätigkeit,  die  ihn  trotz  seiner  stillen  Zurückgezogen- 
heit nicht  bloss  mit  auswärtigen  Herrschern,  sondern  auch  mit  hervor- 
ragenden Staatsmännern  Athens,  wie  Chabrias*)  und  Timotheos,«)  in  Be- 
ziehung brachte,  starb  er  hochbejahrt  im  81.  Lebensjahre  Ol.  108, 1  =  348/7. 
Im  Testament  setzte  er  zum  Erben  sein  Söhnchen  {jTaiSfov)  Adeimantos, 
zum  Testamentsvollstrecker  3  Männer,  darunter  seinen  Schwestersohn 
Speusippos,  ein. 

302.  Schriften  Piatons,  dialogische  Form.  Die  Schriften  Pia- 
tons') bieten  zwei  Seiten  der  Betrachtung,  von  denen  die  eine  den  Inhalt 
und  das  philosophische  System,  die  andere  die  Form  und  das  litterarische 
Verhältnis  betrifft.  Die  erste  tritt  in  einer  Litteraturgeschichte  natürlich 
zurQck,  die  zweite  muss  um  so  sorgsamer  besprochen  werden,  als  unser 
Philosoph  zugleich  der  vollendetste  Stilist  gewesen  ist  und  seine  Dialoge 
die  litterarischen  Verhältnisse  des  4.  Jahrhunderts  am  klarsten  wider- 
spiegeln. Das  höhere  Leben  Attikas,  den  geselligen  und  geistig  angeregten 
Verkehr  in  den  Hallen  und  auf  den  Spaziergängen,  die  zwanglos  heitere 
und  geistreiche  Unterhaltung  bei  den  Trinkgelagen,  die  durch  geistiges 
Band  zusammengehaltene  Freundschaft  der  Jünger  und  Lehrer,  kurzweg 
die  Glanzseiten  des  attischen  und  griechischen  Lebens  lernen  wir  durch 
keinen  Schriftsteller  besser  als  durch  Platon  kennen.  Alle  seine  Schriften 
sind  mit  einziger  Ausnahme  der  Apologie  in  dialogische  Form  gekleidet.^) 
Diese  Form  ist  keine  von  aussen  hineingetragene,  sondern  eine  natürliche 
Wiedergabe  der  Art,  wie  Sokrates  mit  seinen  Schülern  verkehrte,  weshalb 
nicht  bloss  Platon,  sondern  alle  Sokratiker  dieselbe  anwendeten.     Es  war 


de«  Enthjdein;  über  das  gespannte  Ver- 
hiltnja  zu  Xenophon  s.  §  247.  Vgl.  Dionysios 
epiat  ad  Pompeiam:  ^y  fiiy  rg  Jlkärioyog 
fprcH  itoXXag  aQexdg  i/ova^  t6  g>iJi6iifAoy, 
Heftige  Vorwürfe  erhebt  gegen  Piatons  Cha- 
nkter  Theopomp  bei  Ath.  508  c,  Aristoxenos 
bei  Diog.  III  37  nnd  57,  besonders  Hege- 
Buder  bei  Ath.  507  a.  Bei  seinen  Vortrftgen 
begegnete  ihm  dasselbe,  wie  so  manchem 
tkädemischen  Lehrer  unserer  Tage,  dass 
Hun  die  Mehrzahl  der  Schüler  nicht  bis  zum 
Schlüsse  aashielt;   siehe  Aristoxenos  Harm. 

nso. 

»)  Plut.  adv.  Col.  32. 

*)  Diog.  III  23;  über  Beziehungen  zu 
den  makedonischen  Königen  Archelaos  und 
Pbflippos  spricht  ungenau  Ath.  506  e,  womit 
der  5.  Brief  Piatons  zu  verbinden  ist. 

')  Hierüber  unterrichten  ausser  den  im 
^Saag  genannten  Schriften  Schlei bbmachbr 
vnd  SruvHAST  in  ihren  üebersetzuflgen  Fla- 
VHS,  SocHKB,  üeber  Piatons  Schriften  1820; 
SrsniHL,  Die  genetische  Entwicklung  der 
pliton.  Philosophie,  1855,  2  Bde.;    Süikow, 


Die  wissenschaftliche  u.  künstlerische  Form 
der  plat.  Schriften  1855;  Uebbrweg,  Unter- 
suchungen über  die  Echtheit  und  Zeitfolge 
plat.  Schriften  1861 ;  Schaarscumidt,  Die 
Sammlung  der  plat.  Schriften  1866;  Zblleb, 
Platon.  Studien  1889;  Bokitz,  Plat.  Studien, 
8.  Aufl.  1886;  Teighmülleb,  ütteraiische 
Fehden  des  4.  Jahrhunderts  v.  Chr.,  Bres- 
lau 1881  ff.;  Christ,  Plat.  Studien,  Abb.  d. 
b.  Ak.  1885;  Siebeck,  Untersuchungen  zur 
Philosophie  der  Griechen,  2.  Aufl.  Leipz.  1888 ; 
Fbrd.  Hörn,  Platostudien,  Wien  1898.  Eine 
zusammenfassende  Untersuchung  in  Aussicht 
gestellt  von  Lutoslawski,  wozu  ein  gut 
orientierender  Vorläufer  Memoire  sur  une 
nouvelle  mithode  pour  d^ter miner  la  Chro- 
nologie de  Platon  j  in  Comptes  rendus  de 
Vacad.  frang.  1896.  Das  grössere  Werk  im 
Erscheinen  unter  dem  Titel  Origin  and 
growth  of  Piatos  logic,  London. 

*)  ScHLOTTMAKN,  Ars  dislogorum  com- 
ponendorum  quas  vicissitudines  apud  Grae- 
cos  et  Romanos  subierit,  Rostock  1889 ;  Run. 
HiRZEL,  Der  Dialog,  Leipzig  1895  I  174—271, 


428  Grieohiaohe  Litteratargesohichte.    I.  Elassisohe  Periode. 

ihnen  der  Stempel  dieses  ihres  Ursprungs  geradezu  aufgeprägt,  indem  sie 
in  der  Überschrift   den  Titel  StoxQanxol  loyoi  führten.    Es  ist  aber  auch 
zugleich  die  dialogische  Form  in  der  Auffassung  Piatons  vom  Wesen  des 
Wissens  und  in  seiner  ganzen  Lehrmethode  tiefinnerlich  begründet.     Das 
Denken  war   ihm  eine  Zwiesprache  der  Seele  mit  sich  selbst,^)  und  nur 
auf  ein  mit  Einsprache  und  Gegenverteidigung,  d.  i.  mit  dialektischer  Kunst 
erworbenes  Wissen  legte  er  Wert.     Er  ist   mit  dieser  Form  der  echteste 
Vertreter  hellenischer  Philosophie  und  attischen  Geistes  geworden;  die  Ab- 
neigung der  Griechen  gegen  einsame  Abgeschlossenheit  und  der  demo- 
kratische Anspruch  der  Athener  auf  das  sprichwörtliche  ^iByx  i^s'yxov  ver- 
schafften von  vornherein  einer  Philosophie  Eingang,  in  der  die  Sätze  nicht 
in  langer,  salbungsreicher  Rede  de  tripode  verkündet,   sondern  in  dialek- 
tischem Zwiegespräch  entwickelt  waren.    Ob  Piaton  der  erste  war,   der 
philosophische  Dialoge  schrieb,  ist  zweifelhaft,^)  aber  jedenfalls  hat  er  dem 
Dialog  durch  anschauliche  Schilderung  der  Scenerie,')  feine  Zeichnung  der 
Charaktere,  scharfsinnige  Entwicklung  der  Begriffe,  lebensvolle  Frische  im 
Fortgang  des  Gespräches  jene  Vollendung  gegeben,   die  seitdem  ebenso- 
wenig wie  die  Erzählungskunst  des  Homer  von  irgend  jemanden  erreicht 
worden  ist.^)    Neider  haben  ihm  vorgeworfen,  er  habe  in  seinen  Dialogen 
die  Mimen  des  Sophron  kopiert  ;^)  aber  dem  gegenüber  hat  Zeller  einfach 
auf  die  Stelle  des  Aristoteles  Poet.  1  verwiesen,  wo  die  totale  Verschieden- 
heit jener  beiden  Arten  von  Dialogen  ausgesprochen  ist.    Übrigens  ver- 
steht es  sich  von  einem  Manne,   wie  Piaton,   der  sich  nicht  von   einem 
krankhaften  Streben  nach  Originalität  leiten  Hess,  von  selbst,  dass  er  auch 
von  andern  gelernt  und  nicht  umsonst  die  Mimen  des  Sophron  gelesen  hat 
In   den  50  Jahren  seiner  philosophischen  Lehrthätigkeit  blieb   sich 
Piaton  in  der  Art  der  dialogischen  Form  ebensowenig  gleich,  wie  im  In- 
halt der  Lehre  und  der  Methode  der  Forschung.    Mit  zunehmendem  AJter 
und  zunehmender  Annäherung  an  die  italische  Philosophie  büsste  er  auch 
an   Fertigkeit  lebensvoller  Darstellung  ein.     Im   Parmenides,   Sophistes, 
Politikos   entbehrt   der  Dialog   des  Zaubers   individueller  Zeichnung    der 
Sprechenden,  und  in  dem  Timaios  und  den  Gesetzen  überwiegt  so   sehr 


*)  Soph.  263e,  Phaedr.  276  e. 

2)  Diog.  III  47  und  Proleg.  in  Plat.  5 
nennen  als  Vorgänger  die  Eleaten  Zenon 
und  Farmenides,  wahrscheinlich  irrtdmlich. 
Derselbe  Diogenes  II  122  lässt  den  Sokra- 
tiker  Simon  die  ersten  sokratischen  Dialoge 
geschrieben  haben.  Aristoteles  hcqI  -noirjxmv 
bei  Diog.  III  48  u.  Ath.  505  c  bezeugt,  dass 
die  Dialoge  des  Teiers  Alexamenos  (Hirzel, 
Der  Dialog  I  100  f.)  ebenso  wie  die  Mimen 
des  Sophron  vor  die  sokratischen  fallen. 
Schon  in  der  um  425  geschriebenen  Schrift 
über  den  Staat  der  Atibener  zeigt  sich  der 
Einfluss,  den  die  Uebung  der  Philosophen 
und  Sophisten,  einen  Gegenstand  im  Gespräch 
nach  zwei  Seiten  zu  erörtern,   gehabt  hatte; 


*)  Tbikbsoh,  üeber  die  dramatische  Natar 
der  plat.  Dialoge  Abh.  d.  b.  Ak.  1837.  Die 
genaue  Zeichnung  der  Zeitverhältnisse  hin- 
derte ihn  aber  nicht,  sich  ttber  die  Zeit,  in 
der  das  Gespräch  spielt,  bei  Nebenbemer- 
kungen  wegzusetzen.  So  ist  im  Protagorms, 
der  zu  Perikles'  Zeiten  spielt,  die  Aufführnng 
der  Wilden  des  Pherekrates  erwähnt  p.  327  d\ 
wiewohl  dieselben  9  Jahre  nach  Perikles* 
Tod  zur  Auffnhrung  kamen.  Ueber  die  Zeit- 
Yerst(Vs8e  im  Menexenos  siehe  unten;  vgl. 
Zbllbr,  üeber  die  Anachronismen  in  den 
plat.  Gesprächen,  Abhdl.  d.  Berl.  Ak.  1873; 
UiBZBL,  Der  Dialog  I  181  ff. 

*)  Plut  Cic.  24:  noXXd  cT  avrov  xcri 
anofAyrjfAoyBvovaiy^  oioy  mgl  ttay  flXatm^^of 


vergleiche    auch    die    Methode    des    Prota-      ^laioytoy  tog  tov  JiSg,  ei  Xoy^  /^>7^9ac  ni- 
goras  bei   Diog.   9,   51   und  Thukydides    5,   <   fpvxsy,  ovtio  dtaXeyofiiyov, 
85—113.  ;  5)  Diog.  m  18. 


4.  Die  Philosophen,    c)  PUton.    (§  302.)  429 

bereits  der  Lehrton  zusammenhängender  Darstellung,  dass  die  Beibehaltung 
des  Dialoges  nur  noch  als  eine  lästige  Fessel  erscheint.  Nach  einer 
anderen  Seite  ist  Piaton  in  früheren  Jahren  von  den  einfachen,  direkt  be- 
ginnenden Gesprächen  mit  2  bis  3  Sprechenden  zur  verschlungeneren  Ge- 
staltung des  Dialoges  durch  Heranziehung  mehrerer  Personen  (6  im  Phai- 
don,  9  im  Protagoras)  ^)  und  Einschachtelung  des  Hauptgespräches  in  ein 
einleitendes  Gespräch  übergegangen.  Die  letzte  Form  hatte  etwas  Kom- 
pliziertes, ward  aber  von  Piaton  gewählt,  um  die  Art  zu  veranschaulichen, 
wie  das  Andenken  an  die  Gespräche  des  weisen  Sokrates  in  den  Kreisen 
der  Sokratiker  sich  erhielt  und  Verbreitung  fand ;  sie  gab  ausserdem  dem 
Aator  die  Möglichkeit,  über  die  das  Gespräch  begleitenden  Umstände,  wie 
80  einzig  schön  im  Phaidon,  zu  referieren.  Aber  in  rein  dialektischen 
Gesprächen  mussten  die  stets  sich  wiederholenden  ^9);,  r;  d*  og,  6  dsira 
Überdruss  bei  den  Lesern  erwecken,  weshalb  sich  Piaton  später  erlaubte, 
auch  wenn  er  erst  nach  einer  scenischen  Einleitung  das  Gespräch  beginnen 
liess,  dasselbe  gleichwohl  in  direkter  Form  vorzuführen.  Zuerst  that  er 
dieses  im  Theätet,  in  dessen  Eingang  p.  143  c  er  sich  ausdrücklich  dieses 
Fortschrittes  rühmt.  Von  weitertragender  Bedeutung  war  der  Versuch 
nach  Analogie  der  di*amatischen  Trilogien  und  Tetralogien  3  und  4  Dia- 
loge durch  den  Fortgang  der  Untersuchung  zu  einem  grossen  Ganzen  zu 
verbinden,  wie  er  es  in  Theaitetos  Sophistes  Politikos,*)  Politeia  Timaios 
Kritias  gethan  hat.  Piaton  ist  auf  diesen  grossartigen  Gedanken  erst  in 
semen  späteren  Jahren  gekommen,  hat  aber  dann  die  trilogische  Ver- 
knüpfung auch  äusserlich  dadurch,  dass  er  eine  Kontinuation  der  Scene 
des  Gespräches  in  den  Einleitungen  herstellte,  so  deutlich  zum  Ausdruck 
gebracht,  dass  dieselbe  schon  den  alten  Erklärern  und  Herausgebern  nicht 
entgehen  konnte.  Diese  sind  aber  dadurch  auf  lächerliche  Abwege  ge- 
raten, dass  sie  nun  alle  Dialoge  Piatons  zu  Trilogien  und  Tetralogien  zu 
vereinigen  suchten  und  selbst,  damit  die  Rechnung  glatt  aufgehe,  die 
Briefe  mit  irgendwelchen  Dialogen  zu  einer  Trilogie  oder  Tetralogie  zu- 
sanunenkoppelten.  >) 

')  \m  Alter  kehrte  er  in  dialektischen  I  nftmlich:  \)  Ev&vq>Qtay,  'AnoXoyia,  Kgiitavy 
I^itlogen  wieder  zn  einer  kleineren  Zahl  von  1  *ffi<faiK,  2j  ÄC^arrAoc,  ©««ctj^io^,  £o<fiüiiji, 
sprechenden  snrfick,   wie  za  3  im  Philehos.   |   noXiTixos^   3)  JlaQfieyiätjg,  ^iXrjßoq,  £v/4n6~ 


aioyj  4'ai^Qog,  4)  AXxißid6rjg  a,  'jXxtßid^tjg 
ß',  "Innagxog,  '^yzegaaraly  5)  Seäytjg,  Xuq- 
fiidrjg,  A"XV^>  Avctg,  6)  EvSvdrjfAog^  IlQiOTtt' 
yoQag,  Vogylag,  Meywy,  7)  'Inniag  fABi^iay^ 
'Inniag  eXtirtuy,  *'lü}y,  M^yi^evog,  8)  KXbi.xo- 
(f(6y,  UoXueltt,  TifKuog,  KQulag,  9)  Mlytag^ 
Nofioh,  'Eniyofiigj  ^Eniaio'kui,  Die  Zusammen- 
fassung der  kleineren  Dialoge  zu  einer  Gruppe 
hatte  wahrscheinlich  im  Buchhandel  ihren 
Ursprung,  indem  man  z.  B.  Apologie,  Eriton 
und  Euthyphron  leicht  in  1  Rolle  zusam- 
menschreiben konnte.  Ueber  die  tetralo- 
«ylw  oder  vielmehr  sein  vermutlicher  Ge-  gische  Anordnung  des  Derkyllides  haben  wir 
vilinmann  Tynumion  (so  üsener  Nachr.  d.  '  eine  Andeutung  bei  Varro  de  ling.  lat.  VII 
G^  Ges.  1892  8.  212)  brachte  alle  Schrif-  |  37.  Näheres  geben  meine  Platonischen  Stu- 
^1  zum  Teil  unter  Anlehnung  an  alpha-  |  dien  S.  5  ff. 
^«ittcfae  Reihenfolge,  in  Tetralogien  unter,  , 


')  Zu  diesen  3  Dialogen  beabsichtigte 
I'tstoii  noch  einen  vierten  ^iXoaotpog  zu 
flisen,  kam  aber  nicht  zur  AusfQhrung  des 
Pünes.  Ebenso  sollte  auf  den  Ejitias  noch 
ün  Hermokrates  folgen. 

')  Aristophanee  von  Byzanz  stellte  nach 
l^og-  III  61  folgende  fOnf  Trilogien  auf: 
Ij  OoiUrefct,  TifJMog,  Kq^xlag,  2)  £o<piattjg, 
ffo^rratoV,  KQtttvXog^  3)  Nofioi,  Miytagy  'Etii- 
'•^*V,  4)  Ssaitrjtog,  Ev&vipgay,  'AnoXoyla, 
5)  Xf(>»#',  ^ttidwy,  'EriKTToXai.  Die  fibrigen 
fbhrte   er  nur   einzeln  auf.    Thra 


430 


Griechische  Litteratnrgeaohichte.    I.  Klassische  Periode. 


Zahl  und  Chronologie  der  Schriften.  Unter  Piatons  Namen 
sind  auf  uns  gekommen  ausser  poetischen  Kleinigkeiten  42  Dialoge, 
13  Briefe  und  eine  Anzahl  von  Definitionen  {oqoi).  Es  sind  das  fdle 
Werke,  welche  das  Altertum  von  Piaton  kannte.  Es  zirkulierten  aller- 
dings daneben  schon  zu  Aristoteles  Zeit  Begriffszergliederungen  {diaiQiceiq)^ 
aber  das  waren  Aufzeichnungen  von  Schultibungen,  welche  Piaton  selbst 
nicht  zur  Veröffentlichung  bestimmt  hatte.  ^)  Auch  unter  den  Dialogen 
und  Briefen  befinden  sich  nicht  wenige,  welche  dem  Piaton  fälschlich 
untergeschoben  worden  sind.  Von  den  Dialogen  wurden  7  schon  von  den 
Alten  als  unecht  (rd,>o/)  bezeichnet;*)  in  unserer  Zeit  ist  namentlich  durch 
deutsche  Kritiker  noch  von  vielen  anderen  Dialogen  die  Echtheit  ange- 
fochten worden,  aber  nur  zum  kleineren  Teil  mit  durchschlagendem  Erfolg.') 
Bei  der  grossen  Anzahl  platonischer  Dialoge  schaut  man  sich  selbst- 
verständlich nach  einem  Prinzip  der  Anordnung  um.  Eine  alphabetische 
Ordnung  wäre  allerdings  hier  wie  sonst  die  einfachste ;  aber  ihr  schlecht- 
hin zu  folgen,  hiesse  auf  die  wichtigsten  Seiten  philologischen  und  philo- 
sophischen Erkennens  verzichten.  Man  wünscht  zu  wissen,  zu  welcher 
Zeit  die  einzelnen  Schriften  entstanden  sind,  und  hat  bei  einem  Philo- 
sophen noch  die  höhere  Frage  zu  lösen,  in  welchem  Verhältnis  die  ein- 
zelnen Schriften  zu  einander  stehen,  und  welche  Stellung  sie  im  Ganzen 
des  philosophischen  Systems  einnehmen.  Hinsichtlich  der  Zeit  gilt  es  vor 
allem,  die  beiden  Hauptgrenzen,  Anfang  und  Schluss  der  litterarischen 
Thätigkeit  Piatons  abzustecken.  Bezüglich  des  ersteren  Punktes  beginnt 
jetzt  immer  mehr  die  Ansicht  des  Engländers  Grote  durchzuschlagen,  dass 
keiner  der  Dialoge  vor  dem  Tod  des  Sokrates  (399)  abgefasst  sei.  Es 
war  ja  auch  in  der  Rücksicht  auf  den  verehrten  Lehrer  begründet,  dass 
der  Schüler  nicht  zu  Lebzeiten  des  Lehrers  Gespräche,  die  dessen  Eigen- 
tum waren,  veröffentlichte,  oder  gar  Dialoge,  in  denen  demselben  fremde 
Gedanken  untergelegt  waren,  für  sokratische  Gespräche  {loyoi  SwxQauxoi) 
ausgab.  Aufzeichnungen,  private,  mochten  sich  immerhin  schon  zu  Leb- 
zeiten des  Meisters  einzelne  Schüler  machen,  aber  diese  dürfen  mit  den 
für  die  Öffentlichkeit  bestimmten  Dialogen  nicht  verwechselt  werden.  Indes 
haben  wir  allerdings  Überlieferungen  aus  dem  Altertum,  die  auf  ein  früheres 


^)  Solche  diaiQsaeig  sind  erhalten  bei 
Diog.  III  80—109.  Die  Zergliederungen, 
welche  Piaton  der  Veröffentlichung  wert  hielt, 
stehen  im  Sophistes  und  Politikos;  s.  meine 
Plat.  Stud.  30  ff.  und  Zeller  IP  1,  437  ff. 

*)  Ausser  den  diaXoyov  vo^evofABvov 
{'JHoxo^,  TtSQi  dixttiov,  negl  aQBrfjg,  Jfjjuo- 
&oxog,  £iavq)ogy  'Egv^iag^  'JkxvtJy)  wurden  im 
Altertum  noch  angezweifelt  die  'JyTSQaatttl 
von  Thrasylos  bei  Diog.  IX  37,  die  Epinomis 
bei  Diog  III  37,  der  Hipparch  bei  Aelian 
V.  H.  Vlll  2,  der  zweite  Alkibiades  bei 
Ath.  506  c;  s.  Hebmaiw,  Plat.  Phil.  413  ff. 
Noch  weiter  scheint  in  der  Athetese  Proklos 
nach  Olympiodor  s  Proleg.  gegangen  zu 
sein,  worüber  Freudenthal,  Hermes  16, 
201  ff 

•)  Am  weitesten  ging  in  der  Mam'e  der 


Unechtheitserklfimng  Ast;  am  konservativ- 
sten ist  der  Engländer  Grote;  eine  Orien- 
tierung über  die  Unechtheitsfrage  gibt  Schaar- 
8C1IMIDT,  Die  Samml.  der  piaton.  Schriften 
S.  15-60;  Zbllbr,  Gesch.  d.  Phil.  II»,  388  ff. 
Die  unechten  Dialoge  mCLssen  in  der  nächsten 
Zeit  nach  Piaton  von  Nachahmern  und  pjtha- 
goreisierenden  Schülern  ausgegangen  sein. 
Denn  dem  Aristophanes  Byz.  lagen  bereits 
unechte  Dialoge,  wie  die  Epinomis  vor. 
Wichtig  ist  die  Nachricht  von  einem  Handel 
des  Platonikers  Hermodoros  mit  Dialogen 
Piatons  bei  Zenobios  V  6:  Xoyoiaiv  tl^f^o- 
d(OQoq  ifinoQSverai  '  6  ^E^fdodeogog  axQOtetijg 
ysyovB  RXfixtovog  xal  xovg  vn*  «vtov  avvte^ 
&B(,fjLiyovg  Xoyovg  {XoyiCfiovg  codd.)  xofilZuiy 
eig  IixeXlay  inaiXet. 


4.  Die  Philosophen,    c)  Piaton.    (§  303.) 


431 


Hervortreten  Piatons  hinweisen :  so  erzählt  Diogenes  III  35,  Sokrates  habe 
sich,  als  er  den  Lysis  unseres  Piaton  gelesen,  verwundernd  über  die  ihm 
in  den  Mund  gelegten  Reden  geäussert  ;i)  das  ist  aber  wahrscheinlich  nur 
die  Erfindung  eines  geistreichen  Mannes,  der  auf  solche  Weise  seiner 
eigenen  Verwunderung  über  die  freie  Zeichnung  des  Sokrates  Ausdruck 
gab.  Wenn  neuere  Gelehrte  noch  weiter  gegangen  sind  und  selbst  den 
Phaidros  und  Protagoras  vor  399  gesetzt  haben,*)  so  beruht  dieses  auf 
totaler  Verkennung  der  allmählichen  Entwicklung  der  Darstellungskunst 
und  der  philosophischen  Erkenntnis  Piatons.  Auf  der  anderen  Seite  hat 
Piaton  erst  sterbend  die  Feder  aus  der  Hand  gelegt ;  das  sieht  man  daraus, 
dass  er  die  Gesetze  und  den  Kritias  unvollendet  hinterliess  und  zur  Ab- 
fassung der  geplanten  Dialoge  Philosophos  und  Hermokrates  nicht  mehr 
gekommen  ist.  Bei  den  einzelnen  Dialogen  ist  die  Zeit,  in  welche  das 
Gespräch  gesetzt  ist,  und  die,  in  welcher  dasselbe  niedergeschrieben 
wurde,  wohl  zu  unterscheiden.  Hier  interessiert  uns  zunächst  die  letztere, 
aber  leider  stehen  uns  zur  Feststellung  derselben  nur  sehr  wenige  An- 
haltspunkte zu  Gebot.  Wenn  wir  sagen,  dass  Apologie,  Kriton  und  Phai- 
don  nach  dem  Tode  des  Sokrates  (399),  Menon  nach  395,  Symposion 
bald  nach  385,  Nomoi  und  Timaios  nach  der  Politeia,  Sophistes  und  Po- 
litikos  nach  dem  Theätet,  Theätet  nach  392,  Euthydem  nach  dem  Phai- 
dros geschrieben  sind,  so  ist  das  so  ziemlich  alles,  was  man  mit  Zuver- 
sicht behaupten  kann.  Um  so  mehr  hat  man  in  unserer  Zeit  die  anderen 
Anhaltspunkte  beachtet,  welche  der  Nachweis  eines  allmählichen  Ausbaus 
des  philosophischen  Systems, 3)  der  Wechsel  in  der  Gesprächsform,*)  end- 
lich die  teils  bewussten,  teils  unbewussten  Wandelungen  im  Wortgebrauch 
und  Stil  an  die  Hand  geben.  ^)    Ist  auch  hier  noch  vieles  problematisch 


^)  Eine  ähnliche  Geschichte  enählt  Ath. 
505  e  Yon  einer  AeuiSBerung  des  Rhetors  Gor- 
gias  aber  die  ihm  im  gleichnamigen  Dialog 
zugewiesene  Rolle,  und  ebenso  von  Phaidon 
in  gleicher  Sache. 

*)  Ueber  Protagoras  Hebmann,  Plat.  Phil. 
8.  452  u.  Anm.  323,  Qber  Phaidros  Usener 
Rh.  M.  35,  181  ff.;  dagegen  meine  Piaton. 
Stud.  49  f.  Den  Protagoras  und  Gorgias 
I&sst  vor  Sokrates  Tod  auch  Berok,  Gr.  Litt. 
IV  489  geschrieben  sein. 

')  Diesen  Gesichtspunkt  vertrat  haupt- 
sächlich Schleiermacher,  wonach  Piaton  sein 
alB  Ganzes  ihm  vorschwebendes  System  all- 
mählich in  seinen  einzelnen  Schriften  auf- 
gerollt habe,  so  dass  alle  zusammen  eine 
zusammenhängende  Reihe  bildeten,  in  welcher 
der  Anfang  des  folgenden  Dialoges  an  das 
am  £nde  des  vorausg^angenen  festgestellte 
Resultat  anknüpfe.  Diese  grossartige,  In  sich 
geschlossene  Auffassung  trägt  der  gelegent- 
lichen SchriftsteUerei  und  der  allmählichen 
Geistesentwicklung  Piatons  zu  wenig  Rech- 
nniig.  Ihr  gegenüber  vertritt  C.  Fr.  Hermann 
den  historisch-kritischen  Standpunkt. 

*)  Vergl.  oben  §  302  und  Munk,  Die 
natürliche  Ordnung  der  plat  Schriften  1857; 
Schöne,    Piatons    Protagoras   1862;    Teich- 


mOllbr,  Litterarische  Fehden  des  4.  Jahrb., 
im  2.  Bde. 

^)  Der  Gebrauch  einzelner  Paitikeln  ist 
zum  Ausgangspimkt  genommen  von  Ditten- 
bergbr,  Die  Cnronologie  der  plat.  Dialoge, . 
Herm.  16,  321—45;  Schanz,  Zur  Entwick- 
lung des  piaton.  Stils,  Herm.  21,  439—459. 
Schon  vor  beiden  hatte  den  gleichen  Weg 
beschritten  Campbell  in  Introduction  seiner 
Ausg.  des  Sophistes  und  Politikos  (dazu 
Ausg.  der  Politeia  vol.  II  46  ff.).  Weiter 
verfolgten  die  Frage  Ritter,  Untersuchungen 
über  Plato  1888;  Siebeck,  Zur  Chronologie 
der  platonischen  Dialoge,  in  Unters,  zur 
Phil.  d.  Griechen  S.  107—151  u.  253—274; 
GoMPERz,  Plat.  Aufs.  Stzb.  d.  W.  Ak.  1887  in 
II  751  ff.  und  Ztschr.  f.  Phüos.  109,  161  bis 
76;  V.  Arnim,  De  Piatonis  dialogis  quae- 
stiones  chronologicae,  Progr.  Rostock  1896/7. 
Eine  gute  Orientierung  gibt  Lütoslawski, 
Sur  une  nouvelle  m^thode  pour  döterminer 
la  Chronologie  des  dialogues  de  Piaton,  Paris 
1896.  Vieles  ist  in  diesen  statistischen 
Untersuchungen  unsicher  und  trügerisch ;  be- 
achtenswert ist  namentlich  das  spätere 
Hervortreten  von  ti  fjn^y,  ye  fxrjv,  xal  (Arjv^ 
und  der  Gebrauch  von  ovxios  im  Philebos, 
Politikos,   Timaios,   Nomoi,    Sophistes,    hin- 


432  Grieohisohe  Litteratargesobichte.    I.  Elassisohe  Periode. 

geblieben,  so  haben  sich  doch  allmählich  starke  Umwälzungen  in  den  An- 
sichten der  Gelehrten  vollzogen,  und  braucht  man  jetzt  nicht  mehr  ganz 
an  der  Lösung  des  grossen  Problems  der  Chronologie  der  platonischen 
Dialoge  zu  verzweifeln. 

304.  Arten  der  Dialoge.  Nach  dem  Charakter  der  Untersuchung 
hat  man  bereits  im  Altertum  die  Dialoge  in  verschiedene  Klassen  ein- 
geteilt. Schon  Aristot.  Met.  III  2  macht,  wahrscheinlich  nach  den  Tradi- 
tionen der  Akademie,  einen  unterschied  zwischen  dem  prüfenden  {nsiga" 
auxrj)  und  erkennenden  (yrcö^/CT/xj;)  Teil  der  Philosophie.  Zu  jenem  ge- 
hören die  vorbereitenden  und  dialektischen  Dialoge,  in  denen  eine  Be- 
griffsbestimmung oder  ein  anderes  philosophisches  Problem  nach  allen 
Seiten,  meistens  ohne  positives  Ergebnis  erörtert  wird.  In  späterer  Zeit 
hat  man  nach  Diog.  III  49  diese  Dialoge  ^tjxrjuxoi  genannt,  und  innerhalb 
derselben  wieder  didkoyoi  yv^vaaxixoi  und  aywviatixoi  unterschieden.  Der 
zweite,  erkennende  Teil  der  Philosophie  gibt  die  positiven  Resultate  des 
philosophischen  Denkens  und  liebt  mehr  den  lehrhaften,  zusammenhängenden 
Vortrag.  Nach  dem  Inhalt  wurde  innerhalb  der  yvaxftixi}  (piXotro^ia  wieder 
eine  Teilung  in  physische,  logische,  ethische  und  politische  Dialoge  vor- 
genommen. —  Da  man  durch  Prüfung  zur  Erkenntnis  kommt,  so  dürfen 
wir  im  allgemeinen  die  prüfenden  Dialoge,  wie  Lysis,  Laches,  Menon,  der 
früheren  Periode  des  Philosophen,  die  positiven,  wie  Politeia,  Timaios, 
Nomoi,  der  späteren  Zeit  gereiften  Denkens  zuschreiben.  Aber  ein  Philo- 
soph hört  nie  auf,  den  Prüfstein  an  seine  Sätze  zu  legen,  und  so  darf  es 
uns  nicht  wunder  nehmen,  wenn  uns  auch  in  späteren  Werken  Piatos,  wie 
im  Sophistes  und  Politikos,  dialektische  Untersuchungen  begegnen.  Auf 
der  anderen  Seite  bricht  auch  schon  bei  der  prüfenden  Voruntersuchung 
eine  Ahnung  des  lichtumflossenen  Glanzes  der  Schlussresultate  durch,  und 
so  thut  sich  uns  auch  bei  Piaton  schon  im  Phaidros,  wiewohl  derselbe  zu 
den  Jugendwerken  zählt,  der  ganze  Himmel  der  Ideenwelt  auf.  Ausser- 
dem entzog  sich  Piaton,  ein  so  selbständiger  Denker  er  auch  war,  doch 
nicht  ganz  dem  Einfluss,  den  andere  Denker  zu  verschiedenen  Zeiten  auf 
ihn  ausübten;  infolge  dessen  treten  die  Gegensätze  sokratischer,  megari- 
scher,  pythagoreischer  Anschauung  in  seinen  Schriften  fast  noch  schärfer 
hervor  als  die  Unterschiede  prüfender  und  erkennender  Methode.    Endlieh 


gegen  von  rw  o^ri  in  Apol.,  Enthyphro, 
Gorg ,  Lach.,  Lya.,  Protag.,  Symp.,  Phaedo. 
Mit  dem  Gebrauch  der  Partikeln  steht  in 
Einklang,  wie  zuerst  Blass  beobachtet  hat, 
das  seltene  Vorkommen  des  Hiatus  in 
Nomoi,  Pbilebos,  Timaios,  Eritias,  Sophistes, 
Politikos,  während  in  der  ersten  Klasse 
der  Dialoge  noch  keine  durchgreifende  Ab- 
neigung gegen  den  Hiatus  erkenntlich  ist.  — 
Die  höheren  Seiten  des  Stils  bieten  wem'ger 
Ausbeute  für  die  Chronologie  der  Dialoge; 
in  Betracht  kommen  besonders  die  Mythen 
und  Gleichnisse.  Im  allgemeinen  liebte  Pia- 
ton Mythen  vornehmlich  in  seinen  späteren 
und    dogmatischeren    Schriften.     Der    erste 


246  ff.;  der  Mythus  im  Goi^iias  p.  523  ist 
klein  und  bewegt  sich  noch  ganz  in  dem 
überlieferten  Volksglauben;  der  im  Menon 
p.  81  besteht  nur  in  der  Wiedergabe  einer 
pythagoreisch  gefärbten  Stelle  Pindars;  auch 
der  Mythus  im  Protagoras  p.  320  von  Pro- 
metheus und  Epimetheus  schliesst  sich  noch 
eng  an  den  Volksglauben  an  und  wird  oben- 
dfein,  indem  er  dem  Protagoras  in  den  Mund 
gelegt  wird,  als  Manier  dieses  Sophisten 
bezeichnet.  Von  den  grossen  Mythen  in  den 
späteren  Dialogen  (Symp.  189  u.  203,  Rep. 
414  u.  614,  Polit.  269,  Tim.  21,  Leg.  718. 
Critias  110  ff.)  ist  besonders  der  im  Poli- 
tikos beachtenswert,  da  man  einen  solchen  in 


grössere  Mythus  findet   sich  im  Phaidros  p.   |   einem   dialektischen  Dialoge  nicht  erwartet. 


4.  Die  PhiloBophon.    c)  Piaion.    (§§  304—305.)  433 

war  unser  Philosoph  als  Dichter  unter  den  Philosophen  auch  Gelegenheits- 
schriftsteller, der  nicht  immerfort  in  der  Weise  eines  Eathederphilosophen 
an  seinem  System  arbeitete,  sondern  auch  über  Dinge,  die  ihm  gelegent- 
lich in  den  Weg  traten,  seine  Gedanken  aussprach.  Indem  daher  auch 
wir  nicht  einseitig  einem  einzigen  Gesichtspunkt  folgen,  zählen  wir  unter 
Beachtung  der  Zeitfolge  und  des  inneren  Zusammenhanges  in  nachfolgender 
Gruppierung  seine  Werke  auf. 

3()5.  Kleinere  Dialoge  im  sokratischen  Geiste  (vor  den  Reisen). 
Ohne  filr  die  zeitliche  Folge  innerhalb  dieser  Klasse  einstehen  zu  wollen, 
stelle  ich  die  Dialoge  und  Schriften  voran,  die  sich  an  das  tragische  Ge- 
schick des  Sokrates  anschliessen : 

^Anoloyia,  Verteidigungsrede  des  Sokrates  gegen  die  Anklage  des 
Anytos,  Lykon  und  Meletos.  Die  Rede  zerfällt  in  3  Teile,  nämlich: 
1)  eigentliche  Verteidigungsrede  vor  den  Richtern,  2)  Rede  über  die  Pro- 
zessschätzung oder  das  Ausmass  der  Strafe,  3)  Anrede  an  die  Richter  nach 
der  Abstimmung.  Die  Verteidigung  ist  ohne  rednerisches  Pathos,  aber  mit 
unübertroffenem  Ethos  in  jener  schlichten  Einfachheit  durchgeführt,  welche 
der  beste  Beweis  des  reinen  Gewissens  ist.  Der  sokratische  Charakter 
zeigt  sich  zumeist  in  den  eingeflochtenen  Zwiegesprächen,  in  denen  Sokrates 
den  Politikern,  Dichtern  und  Gewerbsleuten  beweist,  dass  sie  sich  wohl 
einbilden  etwas  zu  wissen,  thatsächlich  aber  nichts  wissen.  Die  Schrift, 
die  jedenfalls  erst  geraume  Zeit  nach  dem  Tode  des  Sokrates  verfasst 
wurde  ^)  und  nur  in  freier  Weise  die  Art,  wie  sich  Sokrates  vor  seinen 
Richtern  verteidigte,  wiedergeben  wollte,  steht  mit  der  Litteratur,  die  sich 
über  die  Berechtigung  der  Verurteilung  des  Sokrates  einige  Jahre  nach 
seinem  Tode  entwickelte,  in  Zusammenhang.  In  der  Sache  hatten  sich 
der  Sophist  Polykrates,  der  im  Jahre  393  eine  Rede  gegen  Sokrates 
schrieb,^)  und  der  Rhetor  Lysias,  der  für  Sokrates  eintrat,^)  später  auch 
Xenophon  in  seiner  Apologie  und  in  seinen  Denkwürdigkeiten  des  Sokrates 
hören  lassen.  Plato  wollte  wohl  in  seiner  Apologie,  wenn  anders  dieselbe  nach 
der  Anklagerede  des  Polykrates  geschrieben  ist,^)  den  Redekünsteleien  des 
Lysias  gegenüber  zeigen,  welche  Art  der  Verteidigung  dem  Charakter  des 
edlen  Meisters  angemessen  war ;  dieselbe  ist  jedenfalls  nicht  lange  vor  393 
abgefasst  worden. 

Kgfroiv,  Dialog  des  Sokrates  mit  seinem  Freunde  Kriton  im  Gefängnis 
zur  Rechtfertigung  seiner  leicht  als  Starrköpfigkeit  zu  deutenden  Weigerung, 
durch  Flucht  sein  Leben  zu  retten ;  herrlich  ist  die  Figur  der  redend  ein- 
geführten Gesetze.  Der  Apologie  wird  p.  45  b  ausdrücklich  gedacht.  Nach 
Diogenes  II  60  und  III  36  war  es  nicht  Kriton,  sondern  Aischines,   der 


*)  Das  geht  aus  p.  48  c  hervor. 

*)  Diog.  n  39  setzt  die  Rede  des  Poly- 
krates  6  Jahre  nach  Sokrates  Tod,  da  darin 
der  Wiederaufbau  der  Mauern  Athens  durch 
Konon  erwfthnt  war.  Die  Rede  des  Polykra- 
tes erwähnen  ausserdem  Isoer.  Bus.  4; 
Quint.  n  17,  4;  Aelian  V.  H.  XI  10.  Die- 
selbe hat  noch  der  Rhetor  Libanios  in  seiner 


«)  Cic.  de  or.  I  54,  231;  Diog.  II  40; 
Quint.  II  15,  30;  Val.  Max.  VI  4.  Irrtüm- 
lich wird  hier  nach  einer  gemeinsamen 
Quelle  die  Sache  so  dargestellt,  als  ob  So- 
krates selbst  die  Rede  als  unpassend  zurück- 
gewiesen habe;  vergl   §  265  u.  247. 

*)  Schanz  in  seiner  Ausgabe  S.  100 
Ifisst  folgen:  Apologie  des  Plato,  Apol.  des  Xe- 


Apologie  des  Sokrates  benutzt.  l   nophon,  Rede  des  Polykrates,  Rede  des  Lysias. 

Handbneh  der  kla«.  AUertnmawiMenschaft.    vn.    3.  Aufl.  28 


434 


OrieohiBohe  LiiieratargeBohiohte.    I.  ElMwiBohe  Periode. 


dem  Sokrates  zur  Flucht  riet,  wozu  es  auch  stimmt,  dass  Piaton  selbst 
im  Phaidon  p.  115  d  den  Kriton  Bürgschaft  für  das  Verbleiben  des  Sokrates 
leisten  lässt.  Mein  Freund  Meiser  (Abhandlungen  aus  dem  Gebiet  d.  kl. 
Alt.  zu  Ehren  Christ  S.  5  ff.)  wagt  daraus  den  Schluss  zu  ziehen,  dass 
unser  Dialog  Kriton  nicht  von  Piaton  herrühre.  Vergleiche  dagegen 
Hirzel,  der  Dialog  I  192. 

Evd^vipQüJv  fällt,  was  die  Abfassungszeit  anbelangt,  nach  den  beiden 
zuerst  genannten  Schriften,  der  Scenerie  nach  vor  dieselben.  Die  Scene 
führt  uns  nämlich  vor  die  Halle  des  Archen  Basileus,  wo  Sokrates,  im  Be- 
griffe sich  vor  dem  Archen  zu  verteidigen,  mit  Euthyphron  zusammentrifft, 
der  dort  eine  Klage  gegen  seinen  eigenen  Vater  wegen  Tötung  eines  Tag- 
löhners  anbringen  will.  Das  führt  zur  Erörterung  des  Begriffes  der  Fröm- 
migkeit {eiaäßeia)^  wobei  Euthyphron  der  unklaren  Vorstellung  von  dem, 
was  fromm  und  gottgefällig  {taiov  xai  Bvaeßtq)  ist,  überführt  wird.  Der 
Dialog  endet  ohne  positives  Resultat.  Er  ist  von  den  Grammatikern  an 
die.  Spitze  der  Tetralogie  Euthyphron,  Apologia,  Kriton,  Phaidon  gestellt 
worden,  weil  er  das  tragische  Drama  vom  Tode  des  Sokrates  eröffiiet 
und  weil  der  Erörterung  des  Göttlichen  die  erste  Stelle  zu  gebühren  schien.^) 

Avaiq  ist  nach  einer  unverlässigen  Überlieferung  bei  Diog.  III  35 
noch  zu  Sokrates  Lebzeiten  geschrieben.  Der  Dialog  voll  jugendlicher 
Schönheit  und  mit  reichem  mimischen  Beiwerk,  spielt  in  einer  Palästra 
und  handelt,  an  die  Liebe  des  Hippothales  zu  dem  schönen  Lysis  an- 
knüpfend, von  der  Freundschaft  {nsgii  <fihaq),  oder  genauer  von  der  Art, 
wie  man  mit  seinem  Liebling  {naidixd)  umgehen  soll,  um  seine  Liebe  zu 
gewinnen  und  ihn  zugleich  sittlich  zu  veredeln.  In  echt  sokratischer 
Weise  endet  das  Gespräch  so,  dass  Lysis  und  Menexenos  von  ihren  Päda- 
gogen abgerufen  werden,  noch  ehe  der  Begriff  der  ifiKa  festgestellt  ist. 
Die  Liebe  war  bei  Sokrates  und  Piaton,  die  mit  ihren  Schülern  durch  das 
Band  inniger  Freundschaft  und  Liebe  sich  verbunden  fühlten,  ein  Lieb- 
lingsthema, auf  das  Piaton  nochmals  im  Phaidros  und  im  Symposion  zurück- 
kam und  das  Sokrates  auch  bei  Xenophon,  Mem.  II  6  mit  Kritobulos  be- 
spricht.*) 

XaQuiirjg,  in  der  erotischen  Einkleidung  nahe  mit  Lysis  verwandt, 
behandelt  das  Thema  der  Sittsamkeit  {a(a<fQoavvrj)  und  dient  zugleich  zur 
persönlichen  Erinnerung  an  den  liebenswürdigen  Charmides  und  den  be- 
redten Kritias,  mütterliche  Vorwandte  des  Piaton,  die  im  Kampfe  gegen 
den  zurückkehrenden  Demos  gefallen  waren  (403),  sowie  an  den  Leiter 
des  Gesprächs,  Sokrates  selbst.  Denn  der  Dialog  beginnt  mit  der  be- 
geisterten Aufnahme,  welche  der  vom  Feldzuge  gegen  Potidäa  (422)  heim- 
kehrende Sokrates  bei  seinen  Freunden,  namentlich  dem  wie  verrückt  auf 
ihn  losspringenden  Chairephon  fand.  Im  eigentlichen  Dialoge  werden  ver- 
schiedene Definitionen  der  (rw^Qoavvyj  aufgestellt  und  nacheinander  zurück- 
gewiesen; die  letzte  und  oberste,  dass  das  awtfgorsTv  auf  Wissen  beruhe 
und  mit  dem  yrwd^ir  aavxov  zusammengehe,   entspricht   der  von  Xenophon 


»)  Nach  Xen.    Mem.    IV  6,  2:   nQtaxoy 
«)  Nach   Vol.   Hercnl.  VI   112  und  96 


schrieb  der  Epikureer  Eolotes  n^g  roy 
JlXdtwyog  Avüiv  und  n^oi  roy  Hläimyo^ 
Ev&vdi]fÄoy, 


4.  Die  PhüoBophea.    o)  Plaion.    (§  306.)  435 

Mem.  III  4  aufgestellten  Lehre  des  Sokrates,  aber  auch  diese  kommt  nicht 
zum  Abschluss,  so  dass  schliesslich  Eritias  nur  dem  Gharmides  empfiehlt, 
sich  auch  ferner  ganz  der  Unterweisung  des  Sokrates  hinzugeben.^) 

Acix^i^;  ij  ^€Qi  avdqeiac.  Das  Gespräch  schliesst  an  die  Schauauf- 
führung  eines  Fechtmeisters  an,  zu  der  Lysimachos  und  Melesias  die  Feld- 
herm  Laches  und  Nikias  eingeladen  hatten,  um  ihren  Rat  darüber  zu  er- 
holen, ob  sie  ihre  Söhne  Aristeides  und  Thukydides  in  dieser  Kunst  sollten 
unterweisen  lassen.  In  die  Beratung  zieht  Laches  den  Sokrates  herein,  dessen 
tapferer  Beteiligung  an  der  Schlacht  von  Delion  (424)  mit  Ehren  gedacht 
wird.  Wie  in  allen  Xoyoi  neiQaanxoi  werden  mehrere  Definitionen  der 
arSQ€ia  versucht;  auch  die  von  Laches  aufgestellte,  die  Tapferkeit  sei  das 
rechte  Wissen  vom  Gefährlichen  und  Sicheren,  führt  zu  keinem  festen 
Resultat,  so  dass  zum  Schluss  Laches  nur  den  Rat  erteilt,  die  Söhne  dem 
Sokrates  zur  Unterweisung  zu  übergeben.  —  Die  Jünglinge  haben  ihrem 
Lehrer  keine  Ehre  gemacht,  indem  insbesondere  Aristeides  später  von 
Piaton  selbst  (Theaetet  150®;  vgl.  Theag.  130**)  als  einer  geschildert  wird, 
an  dem  die  guten  Lehren  keine  Früchte  getragen  haben. 

^Inniaq  iXdxTwv,  der  einfachste  und  unbedeutendste  Dialog  Piatons, 
vielleicht  auch  der  älteste.  Seine  Echtheit  wird  angezweifelt  von  Ast,  ist 
aber  durch  das  Zeugnis  des  Aristoteles,  Met.  Y  29  geschützt.  Das  Ge- 
spräch knüpft  an  einen  Vortrag  des  Sophisten  Hippias  über  Homer  an, 
indem  Sokrates  die  Frage  aufwirft,  ob  Achill  oder  Odysseus  der  tüchtigere 
sei.  Sokrates  tritt  für  Odysseus  ein,  weil  er  mit  Wissen  lüge  (ipsvöetai). 
Der  Dialog  endigt  ohne  Einigung  der  Sprechenden,  hebt  aber  die  sokratische 
Fragemethode  im  Gegensatz  zur  epideiktischen  Prunkrede  der  Sophisten 
hervor.  Ein  ähnliches  Verhältnis  zwischen  dem  Thun  mit  Wissen  und 
Thun  ohne  Wissen  stellt  Sokrates  bei  Xenophon  Mem.  IV  2,  20  auf. 

"/wr  von  ähnlichem  Kaliber  wie  der  kleine  Hippias,  und  gleich  ihm 
der  ünechtheit  verdächtigt,  richtet  sich  gegen  die  eitle,  im  Ion  repräsen- 
tierte Zunft  der  Rhapsoden,  die  ihren  Homer  auswendig  wissen  und  pathe- 
tisch berdeklamieren,  aber  nichts  von  dem  tieferen  Inhalt  desselben  ver- 
stehen. Indem  aber  auch  von  dem  Dichter  nachgewiesen  wird,  dass  er 
ohne  eigentliches  Wissen  nur  von  göttlicher  Begeisterung  ergriffen,  seine 
Gesänge  dichtet,  arbeitet  der  Dialog  der  in  dem  Phaidros  und  der  Republik 
ausgeführten  Anschauung  Piatons  von  der  Inferiorität  der  Dichtkunst  vor. 
Den  gleichen  Gedanken  lässt  Xenophon  in  seinem  Gastmahl  8,  6  den  An- 
tisthenes   mit  den  Worten  aussprechen:    ola&d  ri  ovv  iO^rog  i^kid-icitegov 

306.  Grössere  Dialoge  der  Übergangsperiode  (nach  892— ca.  380), 
in  denen  Piaton,  indem  er  über  die  einfache  sokratische  Gesprächsform 
hinausgeht  und  unter  der  Maske  des  Sokrates  eigene  Gedanken  zu  ent- 
wickeln beginnt,  tiefere  und  kunstvoller  durchgeführte  Untersuchungen 
anstellt.  Von  diesen  kennzeichnen  die  einen  (Protagoras,  Gorgias,  Euthydem, 
Kratylos)  die  Stellung  des  Sokrates  und  Piaton  gegenüber  den  Sophisten, 


1)  Die  Echtheifc  des  Gharmides  leugnet  Schanz,  Jahrber.  d.  Alt.  VII  1,  286. 

28* 


436  Grieohisohe  litteratnrgeBohiohte.    I.  Klassisohe  Periode. 

die  anderen  (Menon,  Phaidros,  Symposion,  Phaidon,  Theätet)  enthalten  die 
Keime  der  neuen,  über  Sokrates  hinausgehenden  Spekulation.^) 

Der  ngmTayoQagy  ein  wahres  Meisterwerk  unseres  Philosophen, 
bildet  gewissermassen  den  Schlussstein  der  kleinen  Gespräche  über  die 
einzelnen  Tugenden  der  Tapferkeit,  Freundschaft,  Sittsamkeit,  Frömmig- 
keit, indem  er  das  Wesen  der  Tugend  im  allgemeinen  zum  Gegenstand 
hat.  Aber  nicht  bloss  durch  den  erweiterten  Horizont  geht  der  Prota- 
goras  über  jene  kleineren  Gespräche  hinaus,  er  übertrifft  sie  auch  durch 
den  Glanz  der  Scenerie  und  die  Feinheit  der  Ironie,  mit  der  die  Aufge- 
blasenheit der  Sophistik  in  ihrem  angesehensten  Vertreter,  dem  Tugend- 
lehrer Protagoras,  getroffen  wird.*)  Das  Gespräch  ist  in  die  Zeit  verlegt, 
wo  eben  Protagoras,  sei  es  nun  zum  ersten-  oder  zum  zweitenmal,  in 
Athen  angekonunen  war  und  im  Haus  des  reichen  Eallias,  des  freigebigen 
Protektors  der  Sophisten,  sein  Absteigequartier  genommen  hatte.»)  Im 
Eingang  erzählt  Sokrates,  wie  Hippokrates,  der  Sohn  des  ApoUodor,  ihn 
in  aller  Frühe  abholte  und  wie  sie  dann,  im  Hause  des  Kallias  mit  Mühe 
aufgenommen,  bereits  dort  den  Protagoras  mit  seinen  Verehrern  gravi- 
tätisch auf-  und  abgehend  fanden.  In  dem  darauffolgenden  Hauptteil  ist 
es  vorzüglich  darauf  abgesehen,  den  Vorzug  der  schlichten  Art  des  So- 
krates, durch  Frage  und  Antwoi*t  die  Menschen  zur  höheren  Stufe  des 
Erkennens  zu  führen,  vor  den  pomphaften,  langen  Reden  der  Sophisten 
darzuthun.  Das  geschieht  an  der  Besprechung  des  Satzes  von  der  Lehr- 
barkeit  der  Tugend,  welchen  Protagoras  und  die  Tugendlehrer  seines 
Schlages  in  ihren  prahlerischen  Ankündigungen  als  zugegeben  voraus- 
setzten, Sokrates  aber  als  noch  einer  kritischen  Prüfung  bedürftig  hin- 
stellt, wobei  er  die  Methode  der  Sophisten,  philosophische  Sätze  in  das 
trügerische  Gewand  von  Mythen  zu  kleiden  oder  durch  Stellen  von  Dich- 
tern zu  stützen,  teils  als  nichtsbeweisend  ablehnt,  teils  für  die  gegen- 
teilige Meinung  verwertet.  Die  mit  reicher  Abwechselung  und  spannenden 
Wendungen  geführte  Disputation  kommt  nicht  zum  endgültigen  Abschluss,  so 
dass  schliesslich  die  Beantwortung  der  aufgeworfenen  Frage,  ob  die  Tugend 
lehrbar  sei,  von  einer  neuen,  vertiefteren  Untersuchung  abhängig  gemacht 
wird.  Dass  damit  auf  den  Menon  hingewiesen  werde,  wie  die  meisten 
Erklärer  annehmen,*)  ist  wahrscheinlich,  wenn  auch  nicht  ganz  ausge- 
macht, da  auch  dort  die  Untersuchung  nicht  zum  endgültigen  Ziele  führt. ^) 


^)  Bei  einer  systematischen  Darlegung  I  wenn  p.  327  d  die  420  aufgefOhrten  Wilden 

kann  man  auch  in  der  Aufzählung  und  Ana-  des  Pherekrates  im  Jahre   zuvor  BoUen  ge- 

lyse  der  Dialoge  von  dieser  Zweiteilung  aus-  '  geben  worden  sein,   so  dass  man  um  einen 

gehen.     Zeitlich  scheinen  Phaidros,  Gorgias,  I  Anachronismus  oder  um  eine  Unklarheit  in 


Menon  allein  vor  die  Schulgründung  i.  J. 
386  zu  fallen;  zwischen  die  Dialoge  unserer 
Gruppe  fallen  die  Reisen. 

*)  Menardus,  Wie  ist  Piatos  Protagoras 
aufzufassen?  Oldenburg  1865. 

')  Perikles,  dessen  Söhne  Paralos  und 
Xanthippos  der  Unterredung  beiwohnen,  ist 
p.  319  e  noch  als  lebend  gedacht,  weshalb 
Chow  in  der  Einleitung  seiner  Ausgabe  das 
(besprach  vor  den  Ausbruch  des  Krieges  in 
das  Jahr  432  setzt.    Dazu  stimmt  aber  nicht, 


dem  Zeitansatz  nicht  herumkommt,  mag  man 
nun  das  Gespräch  432  oder  419  setzen.  Eine 
weitere  Schwierigkeit  macht  der  Umstand, 
dass  Eupolis  in  den  421  aufgeführten  Schmeich- 
lern fr.  10  bereits  den  Protagoras  in  dem 
Hause  des  Eallias  weilen  lässt. 

*)  Hermann,  Plat.  Phü  483;  Süsbmihl, 
Entwickl.  I  83. 

^)  Im  positiven  Sinne  wird  die  Tugend- 
lehre erst  im  4.  Buch  der  Republik  behandelt 


4.  Die  PhiloBoph«n.    o)  Piaion.    (§  306.) 


437 


Einen  Anhaltspunkt  zur  Zeitbestimmung  gewährt  die  rühmende  Erwäh- 
nung der  Peltasten,  welche  mit  der  im  Jahre  392  durchgeführten  und 
erprobten  Heeresreforro  des  Iphikrates  zusammenhängt.^) 

Der  Mäv(ov  steht  mit  dem  Oorgias  und  Protagoras  in  Zusammen- 
hang, indem  in  demselben  einerseits  gleich  im  Eingang  auf  die  einfiuss- 
reiche  Thätigkeit  des  Oorgias  in  Thessalien,  woher  Menon  stammte,  hin- 
gewiesen, anderseits  die  im  Protagoras  nicht  zum  Austrag  gekommene 
Frage  über  die  Lehrbarkeit  der  Tugend  wieder  aufgenommen  wird.  Die 
Erwähnung  der  jüngsthin  vorgekommenen  Bereicherung  des  Thebaners 
Ismenias  durch  das  Gold  der  Perser^)  führt  uns  in  die  Zeit  nach  395.  Im 
EQntergrund  spielt  noch  der  E^rozess  des  Sokrates,  indem  Anytos,  einer  der 
Ankläger  und  Mitsprechenden,  so  gezeichnet  wird  (p.  91  c),  dass  seine 
Schuld  mehr  nur  als  Folge  seiner  geistigen  Beschränktheit  erscheint.  Die 
Untersuchung  wird,  dem  Gegenstand  und  der  Abfassungszeit  entsprechend, 
in  einfacher  Form  geführt  und  dreht  sich,  wie  gesagt,  um  die  bei  den 
Sophisten  viel  verhandelte  Frage,  ob  die  Tugend  lehrbar  sei.  Das  führt 
zur  Frage  nach  dem  Wesen  der  Tugend,  und  nachdem  diese  nach  meh- 
reren unglücklichen  Definitionsversuchen  in  hypothetischer  Form  auf 
Wissen  zurückgeführt  ist,  zur  Zwischenuntersuchung,  wie  man  denn  über- 
haupt etwas  wissen  könne.  Dabei  wird  mit  einer  über  Sokrates  hinaus- 
gehenden Tiefe  der  Spekulation  das  Wissen  als  ein  Wiedererkennen 
(avdiivtjmg)  aus  früherer  Existenz  gefasst.  Die  Hauptfrage  kommt  in  echt 
sokratischer  Weise  nicht  zum  Austrag,  sondern  es  wird  zum  Schluss  eine 
nochmalige  Untersuchung  über  das,  was  Tugend  ist,  gefordert. 

Der  roqylaq  ist  gegen  die  Afterweisheit  der  Rhetorik  gerichtet, 
die  hier  durch  den  Leontiner  Gorgias  repräsentiert  wird.  Das  Gespräch 
zeigt  noch  die  alte  Einfachheit  sokratischer  Dialoge  und  bewegt  sich  auch 
noch  wesentlich  im  sokratischen  Gedankenkreis:  es  ist  in  direkter  Ge- 
sprächsform gehalten,  und  es  beteiligt  sich  an  ihm  ausser  den  beiden 
Hauptsprechern,  Sokrates  und  Gorgias,  und  deren  Sekundanten,  Polos  und 
Chairephon,  nur  noch  der  vornehme  Eallikles,  bei  dem  der  gefeierte 
Rhetor  abgestiegen  war.  Auch  im  Inhalt  entfernt  sich  der  Dialog  inso- 
fern nicht  von  der  Anschauung  des  Sokrates,  als  auch  dieser  der  Schein- 
weisheit der  Rhetorik  gram  war  und  die  Beschäftigung  mit  der  Philo- 
sophie als  eine  würdigere  Lebensaufgabe  ansah.  Aber  auf  der  anderen 
Seite  ist  unser  Dialog  nicht  bloss  ungleich  grösser  als  die  der  ersten 
Periode,  sondern  zeigt  auch  in  der  dialektischen  Entwicklung  der  Haupt- 
sätze eine  weit  kunstvollere  Anlage.^)  In  der  Definition  der  Rhetorik  als 
einer  xhxrt}  drjfiiovQyog  nev&ovq  Jisiarixijg  ov  diöaaxahxrlg  Titgi  Sixaimv  xai 
ädfxar,  und  in  der  Gegenüberstellung  der  wahren  Künste  lazQixrl,  yvfiva- 


»)  Vgl.  Prot.  350  a  und  Xen.  Hell.  IV 
4, 16 ;  die  Sache  ist  beleuchtet  von  Erobchbl, 
ZtBchr.  f.  Gymn.  11,  .561  ff.  u.  Tbichnüllbr, 
Litt  Fehd.  I  20  ff.  Ich  selbst  bin  in  Plat. 
Stad.  46,  gestfitzt  aaf  die  kunstvolle  Anlage 
des  Dialoges  und  die  Erwfihnnng  der  La- 
konentOmelei  in  Prot  842  c,  noch  unter  das 
Jfthr  387  oder  den  Frieden  des  Antalkidas 


herabgegangen.  Dagegen  wendet  sich  Zbllkb 
II  *  1,  529  f. 

>)  Meno  p.  90a  u.  Xen.  Hell.  III  5,  1. 
Ob  Menon  nach  Gorgias  oder  umgekehrt 
geschrieben  sei,  wage  ich  nicht  bestimmt 
KU  entscheiden. 

*)  Üeber  den  Gedankengang  s.  Bokitz, 
Plat.  Stud.  1—46. 


438 


Griechische  litteratnrgeschiohte.    I.  Elasaische  Periode. 


CTfxij,  vofxod-Btixri^  ao<f(a  neQi  iixaiotfvvtjv^  und  der  falschen,  den  Schein 
der  Weisheit  erheuchelnden  Künste  {xoXaxevuxai),  oiponoHxij,  xofififOTixtj^ 
aoifiarixi]^  ^rjtoQixr^  tritt  uns  nicht  nur  schon  die  dialektische  Kunst  Pia- 
tons in  ihrer  vollen  Feinheit  entgegen,  sondern  haben  wir  auch  bereits 
den  Kern  der  platonischen  Lehre  von  den  Gegensätzen  des  Meinens  und 
Wissens,  des  Scheines  und  des  wahrhaften  Seins.  In  den  Dialog  ist  die 
heftige  Verurteilung  der  mit  rednerischen  Künsten  das  Volk  berückenden 
Demagogen  eingefiochten  (c.  58),  und  zittert  noch  mächtig  die  zornige 
Entrüstung  über  die  ungerechte  Verurteilung  des  Sokrates  und  die  Ver- 
teidiger des  Justizmordes  nach.  Das  hat  zur  Vermutung  gefuhrt,  dass 
der  Dialog  nicht  allzulang  nach  Sokrates'  Tod  geschrieben  sei.^)  Doch 
fällt  derselbe  nicht  bloss  nach  394,  da  in  ihm  p.  469  e  die  Wiederherstel- 
lung der  athenischen  Seemacht  vorausgesetzt  wird,  sondern  es  scheint 
derselbe  auch  erst  zur  Zeit  des  ersten  Auftretens  des  Isokrates  als  Lehrer 
der  Rhetorik  geschrieben  zu  sein,  da  der  Satz  p.  463  a  'rfox«  roivvv 
iLioiy  io  FoQyfa^  elvai  Ti  in^mjSsvfia  r€xvix6v  pLhv  otf,  ipv%rjq  dk  atoxceatixrjg 
xai  ävigsfac  xai  (pvc€i  Ssivrq  TtgocofiiXeiv  ToTg  avd-^noiq  den  anprei- 
senden Worte  des  Isokrates  in  der  um  390  geschriebenen  Rede  xava  twi» 
Coyicrwr  §  17  ^Tavta  Sk  nokXrjg  ir^i/xslsfag  deXad-a^  xai  xpv%rjg  avdqixr^g 
xai  io^aatix^g  Igyov  ehai  zur  Grundlage  diente.*)  Bei  der  grossen  Be- 
deutung der  Redekunst  im  Altertum  fand  unser  Dialog  über  die  Rhetorik 
grosse  Beachtung,  Bewunderung  bei  den  einen  und  Anfeindung  bei  den 
andern.  Der  Rhetor  Aristides  in  der  Zeit  der  Antoninen  hat  eine  eigene 
Schrift  zur  Widerlegung  desselben  geschrieben,  in  der  es  ausdrücklich 
heisst,  dass  viele  diesen  Dialog  allen  anderen  vorzogen. 

Der  0aTiQog,  das  vielbewunderte  Gespräch,  voll  von  Lenzesduft  und 
poetischem  Reiz,  ist  benannt  von  Phaidros,  einem  schwärmerischen  Jünger 
des  Sokrates,  dem  wir  auch  im  Symposion  als  Lobredner  des  Eros  be- 
gegnen, und  den  die  Medisance  zu  einem  Geliebten  Piatons  machte.') 
Der  Prolog  führt  die  beiden  einzigen  ünterredner,  Sokrates  und  Phaidros, 
und  uns  mit  ihnen  zum  Ilissosbach  unter  die  hohe  Platane.  Das  Gespräch 
knüpft  an  eine  Schulrede  des  Lysias  über  das  frostige  Thema,  dass  man 
die  Liebesgunst  eher  dem  Nichtliebenden  als  dem  Liebenden  erweisen 
soll,  an,  indem  Sokrates  an  dem  elenden  rhetorischen  Machwerk  eine  ver- 
nichtende Kritik  übt  und  dann  demselben  zwei  eigene  Reden  entgegen- 
stellt. Von  diesen  steht  die  erste  noch  auf  dem  Standpunkt  eines  rheto- 
rischen Aufsatzes,  die  zweite  aber  enthüllt  die  ganze  Tiefe  philosophischer 
Spekulation,   indem  sie  den  Eros  als  das  Streben   nach  dem  ürschönen 


")  Vergl.  WiLAMOWiTz,  PhUol.   Unters. 

I  213  ff.    Natobp,   Arch.  f.  Gesch.  d.  Phil. 

II  394  ff, sucht  zu  erweisen,  dass  der  Gor- 
gias  zwischen  Protagoras,  Laches,  Charmides, 
Menon  auf  der  einen  und  Phädrus,  Theätet 
auf  der  anderen  Seite  zu  setzen  ist.  Um- 
gekehrt nennt  Gompbbz.  Plat.  Aufs.  =  Stzb. 
d.  W.  Ak.  1887,  II  741  ff.  den  Menon  wegen 
seiner  milderen  Beurteilung  der  Staatsmänner 
p.  93—94  eine  Art  Palinodie  auf  den  Gorgias. 

')  Diese  direkte  Anspielung  wurde  be- 


reits erkannt  von  Bake,  Scholica  hypom- 
nemata  II E  38;  weiter  verfolgt  wurde  sie 
unlängst  von  Sudhaus,  Zur  Zeitbestimmung 
plat.  Schriften,  Rh.  M.  44  (1889)  52  ff.,  der 
aes  weitern  nachweist,  dass  Isokrates  in  der 
2.  Rede  an  Nikokles  (3,  2)  auf  die  Vorwurfe 
Piatons  antwortete,  weshalb  er  den  Grorgias 
bis  auf  376  herabrttcken  will. 

«)  Diog.  ni  31;  nach  Lysias  19,  15 
war  Phaidros  durch  Gutmütigkeit  in  seinen 
Vermögensverhältnissen  herabgekommen. 


4.  Die  Philosophen,    o)  Piaton.    (§  306.) 


439 


und  der  Welt  der  Ideen  fasst.  Damit  ist  die  unmessbare  Überlegenheit 
der  philosophischen  Anschauung  vor  der  Wortkünstelei  und  Gedankenleere 
der  Rhetorik  gegeben,  was  dann  noch  in  einer  eingehenden  Kritik  der 
Redeschreiberei  näher  ausgeführt  wird.  Der  Dialog  scheint  anfangs  von 
den  Grammatikern  und  Philosophen  weniger  geschätzt  worden  zu  sein, 
da  ihn  Aristophanes  nicht  in  das  Verzeichnis  der  Hauptdialoge  aufnahm 
und  Dikäarch  an  ihm  etwas  Läppisches  {(f.0QTix6v)  zu  tadeln  fand.^)  Um 
so  mehr  gelesen  und  bewundert  wurde  er  in  der  späteren  Zeit,  so  dass 
auf  keinen  der  Dialoge  öfter  als  auf  ihn  angespielt  wird.^)  —  Bezüglich 
seiner  Abfassungszeit  gehen  die  Meinungen  stark  auseinander;  schon  die 
Alten  s)  fassten  ihn  als  Jugendwerk  Piatons,  Schleiermacher  stellte  ihn 
als  Programmrede  in  den  Anfang  der  Schriften,  und  Usener  Rh.  M.  85, 
131  ff.,  wollte  ihn  gar  zu  Lebzeiten  des  Sokrates  im  Jahre  402  geschrieben 
sein  lassen.  Dem  gegenüber  hat  schon  Hermann,  Plat.  Phil.  374,  hervor- 
gehoben, dass,  wenn  man  auch  in  dem  erhabenen  Schwung  einzelner 
Stellen  und  in  dem  reichen  Schmuck  des  Ausdrucks  mit  Recht  Spuren  der 
jugendlichen  Dichterversuche  des  Philosophen  finde,  doch  in  dem  philoso- 
phischen Inhalt  vieles  übrig  bleibe,  was  einer  ganz  anderen  als  der  sokra- 
tischen  Begriffssphäre  angehört  und  uns,  wenn  nicht  auf  die  Pythagoreer 
Italiens,  so  doch  auf  den  Megareer  Eukleides,  den  Erfinder  des  eidog- 
Begriffes,  hinweist.  Sicher  ist,  dass  der  Phaidros  vor  den  Euthydemos 
und  vor  die  Rede  des  Isokrates  gegen  die  Sophisten  fällt  ;^)  vielleicht 
ist  derselbe  auch  vor  dem  Dialog  Gorgias  geschrieben,  da  er  auf  diesen 
p.  260  f.  Rücksicht  zu  nehmen  scheint.*)  Damit  stimmt,  dass  zu  jener 
Zeit  Lysias  noch  Unterricht  in  der  Beredsamkeit  gab.  Da  aber  auf  der 
anderen  Seite  die  Weisheit  ägyptischer  Priester  in  unserem  Dialog  (p.  274) 
eine  grosse  Rolle  spielt,  so  werden  wir  doch  mit  demselben  bis  auf  die 
Zeit  der  Rückkehr  Piatons  von  seiner  ägyptischen  Reise,  etwa  390,  herab- 
gehen müssen.^) 

Der  Eüd^vdfjfiog  ist  eine  ergötzliche  Satire  auf  die  dialektische 
SJopffechterei  des  Euthydemos  und  Dionysodoros,  womit  zugleich  der 
Rivale  des  Piaton,  Anthisthenes,  der  jene  fragwürdige  Kunst  der 
Sopbistik  fortsetzte,  getroffen  wird.  Trefflich  ist  die  Unwahrhaftigkeit 
jener  Eristiker  gezeichnet,  denen  nichts  an  der  Ermittelung  der  Wahr- 
heit  gelegen  ist,    sondern  die  nur  mit  ihren  verfänglichen   Fragen  den 


')  Diog.  III  36 :  Xoyo^  ^i  TiQiajoy  ygail/ai 
avfoy  toy  ^aidgay  '  xal  yag  1)[bi,  fÄBiQU- 
xtcücfeV  T«  x6  TtQoßXijfAaj  Jixaiagxos  dk  xai 
roV  TQonoy  jrjq  yQa<ptjg  okoy  ini/4ffÄ<p€Ttti 
tag  {poQtixoy.  Ueber  <poQrix6y  ^.geklliistelt'' 
B.  Theophrast  bei  Dionys.  Hai.  de  Lys.  14,  de 
Isoer.  13. 

^)  So  von  Lucian,  Bis  accus.  30,  Pisc. 
22,  Rhet  praec.  26. 

»)  DioK.  a.  0. 

^)  I^acngewiesen  ist  dieses  von  Spbngbl, 
Isokrates  und  Plato,  worüber  §  238.  Dass 
das  Original  der  übereinstimmenden  Stellen 
{Hat.  p.269d  u.  272,  Isoer.  13,  14  f.  16  f.) 
im  Phaidros  uid  nicht  in  der  Bede  des  Iso- 


krates ZQ  suchen  sei,  erweist  neuerdings 
SusBMiHL,  De  Piatonis  Phaedro,  Greifsw.  1887, 
und  Jahrb.  f.  Phil.  121,  10;  dagegen  Sibbeck, 
Unters.  129  ff.  Dittbnbbrgeb,  Die  Chronol. 
der  plat.  Dial.  hat,  indem  er  sich  von  dem 
Gebrauch  der  Partikel  firjy  leiten  Hess,  den 
Phaidros  später  als  Phaidon  und  Symposion 
gesetzt. 

^)  Phaedr.  260  e  u.  f.  führt  auf  Gorgias 
463  b  u.  453  a  zurück  Sibbeck,  Unters,  z.  Phil, 
d.  Gr.  115  ff. 

^)  Neuerdings  setzt  Süsbmihl,  Neue  pla- 
tonische Forschungen,  Ind.  lect.  Greifswald 
1898,  S.  23--43  den  Phaidros  um  393. 


440  GrieohiBohe  litteratnrgMohlohte.    L  KUsaische  Period«. 

Beifall  der  Zuhörer  erhaschen  wollen,  im  Grunde  genommen  aber  nicht 
besser  sind  als  die  epideiktischen  Sophisten  mit  ihren  langen  Reden.  Die 
Einkleidung  des  Dialoges  ist  ähnlich  wie  die  des  Protagoras  und  Sym- 
posion, indem  Sokrates  dem  Kriton  die  gestrige  Disputation  der  flristiker 
und  des  jungen  Eleinias,  welchen  jene,  mochte  er  das  eine  oder  andere 
sagen,  in  die  Enge  trieben,  wieder  erzählt.  Der  Schluss  enthält  einen 
versteckten  Seitenhieb  auf  den  nicht  mit  Namen  genannten,  aber  deutr 
lieh  gekennzeichneten  Isokrates,*)  der  beim  Weggehen  sich  verächtlich 
nicht  bloss  über  die  Eristik,  sondern  über  alle  Dialektik  äussert,  in  der 
That  aber  hinter  beiden,  dem  rechten  Staatsmann  und  dem  rechten  Philo- 
sophen zurücksteht.  Auf  solche  Weise  ward  von  Piaton  in  diesem 
Dialoge  der  Beruf  der  Philosophie,  die  wahre  Bildnerin  des  Menschen  zu 
sein,  nach  zwei  Seiten  hin  verteidigt,  auf  der  einen  Seite  gegen  die  Eri- 
stik er,  welche  sich  durch  dialektische  Haarspaltereien  nur  lächerlich 
machten,  auf  der  anderen  Seite  gegen  die  Bhetoren,  welche  sich  den 
Namen  von  Philosophen  anmassten,  aber  über  philosophische  Allgemein- 
heiten nicht  hinauskamen.  —  Yerfasst  ist  unser  Dialog  nach  dem  Phaidros, 
in  welchem  Piaton  mit  Isokrates  noch  auf  bestem  Fusse  steht,  und  vor 
dem  Theätet,  in  welchem  der  Autor  die  besonders  in  dem  Euthydem  an- 
stössige  Form  des  referierten  Gespräches  verlässt.*) 

<Pa{3(ov  ^  7r€Ql  ipvxijg  ward  von  Thrasylos  mit  Apologie,  Kriton, 
Euthyphron  zu  einer  Tetralogie  verbunden,  weil  er  die  Erzählung  von  den 
letzten  Stunden  des  Sokrates  enthält;  derselbe  ist  aber  offenbar,  wie  die 
kunstvolle  Einkleidung  und  der  Einfiuss  pythagoreischer  Philosophie  zeigt, 
erst  in  der  Zeit  nach  der  ersten  sikilischen  Reise  geschrieben.')  Die 
Dramatik  unseres  Dialoges  ist  das  Ergreifendste,  was  Piaton  geschrieben 
hat,  und  der  Schluss  desselben  sollte  auch  von  denen  gelesen  werden,  die 
der  philosophischen  Spekulation  abgeneigt  sind  und  die  Beweiskraft  der 
vorgebrachten  Unsterblichkeitsbeweise  bestreiten.  Das  würdige  Thema 
des  Gesprächs  der  letzten  Stunden  des  sterbenden  Sokrates  bildet  näm- 
lich die  Unsterblichkeit  der  Seele,  deren  Annahme  mit  der  Ideenlehre 
Piatons  und  mit  der  bereits  im  Menon  ausgesprochenen  Auffassung,  dass 
das  Erkennen  ein  Rückerinnern  an  früheres  Wissen  oder  Schauen  {aväji- 
V7^^(fig)  sei,  aufs  engste  zusammenhängt;  ausserdem  nimmt  der  Philosoph 
in  der  Beweisführung  auf  die  pythagoreische  Lehre  von  der  Seele  als  Har- 
monie, die  er  auf  seiner  sikilischen  Reise  kennen  zu  lernen  Gelegenheit  ge- 
habt hatte  und  in  dem  Dialog  durch  Simmias  vertreten  lässt,  ausdrücklich 
Bezug.  Trotz  der  Abstraktheit  der  Beweise  drang  der  herrliche  Dialog 
so  sehr  in  weite  Kreise,  dass  der  Komiker  Theopomp  auf  der  Bühne  in 
seinem  '^Hivxdqrjq  eine  Anspielung  auf  denselben  machen  konnte.^)     Nach 


^)  Erwiesen  von  Spbngbl,  siehe  S.  378 
Anin.  3. 

*)  Wegen  einiger  vermeintlicher  Schwä- 
chen des  Dialoges  zeigte  neuerdings  wieder 
Cron  (Zu  Piatons  EuÜiydem,  in  Stzb.  d.  b. 
Akad.  1891)  und  Lüdecke  Programm  Celle 
1897  sich  geneigt,  dieses  geistreiche  philo- 
sophische Satyrdrama  dem  Piaton  abzu- 
sprechen und  einem  nachahmenden  Schüler, 


etwa  dem  Speusippos  znzaeignen. 

')  Eine  Kflckbedehung  auf  den  Phaidoa 
enthält  die  Republik  p.  608  f.,  611b  u.  612  a, 
worüber  Siebbck,  Jahrb.  f.  Phil.  131  (1885) 
227 ;  umgekehrt  geht  Phaid.  72  *"  auf  Menon 
zurück,  üeber  das  Verhältnis  zu  Eratyloe 
siehe  zu  Kratylos. 

«)  Die  Verse,  erhalten  bei  Diog.  III  26, 
beziehen  sich  auf  Phaid.  p.  96  e. 


4.  Die  Philosophen,    o)  Piaion.    (§  306.) 


441 


dem  Epigramm  des  Eallimachos  Anth.  YII  471  weihte  sich  Eleombrotos 
ao8  Ämbrakia  mit  dem  Ausruf  *'Hh€  x^'^Q^  dem  Tod,  nachdem  er  den 
Dialog  über  die  Seele  gelesen  hatte. 

Der  KgaTvkogy  benannt  nach  dem  Hauptsprecher,  einem  Schüler  des 
Heraklit,  wendet  ein  Lieblingsthema  der  Sophisten  über  den  Unterschied 
von  Natur  und  Satzung  {(fvaig  und  v^ecig)  auf  die  Sprache  an.  Kratylos 
vertritt  die  Ansicht,  dass  die  Sprache  ein  Naturprodukt  sei^)  und  benutzt 
diesen  Satz  nach  Weise  der  Philosophen  jener  Zeit,  um  die  Lehre  seines 
Meisters  an  der  Hand  sprachlicher  Etymologien  zu  begründen.  Das  letzte 
wird  entschieden  zurückgewiesen  und  zugleich  angedeutet,  wie  die  Lehre 
vom  ewigen  Fluss  der  Dinge  die  Möglichkeit  des  Erkennens  (yvcoatc),  das 
aaf  das  Ständige  und  Bleibende  gerichtet  sei,  ausschliesse.  Im  übrigen 
hat  der  Dialog  für  uns  eine  besondere  Bedeutung,  als  der  erste  Versuch 
einer  Sprachphilosophie,  freilich  mit  allen  Schwächen  eines  ersten  Ver- 
suchs, die  besonders  in  den  haarsträubenden  Etymologien,  wie  ^€6g  and 
Tov  &siv^  r^i^oq^  dorisch  aXiog  äno  rov  dXiXeiv  zutage  treten.*)  —  Für  die  Be- 
stimmung der  Abfassungszeit  fällt  ins  Gewicht,  dass  Piaton  im  Phaidon  p.  80  d 
Afir^g  nach  der  gewöhnlichen  Etymologie  mit  d€iif]g  xonog  »unsichtbarer 
Kaum*  erklärt,  im  Kratylos  hingegen  p.  404  b  Ai'drfi  äno  toi  nm^a  fd  xaXd 
nisva  [ATdTjg  =  d-siSijg)  ableitet,  unter  ausdrücklicher  Ablehnung  der 
Etymologie  dno  xov  deiiovg.  Danach  scheint  der  Kratylos  erst  nach  dem 
Phaidon  geschrieben  zu  sein.  9) 

Das  SvfATtoütov  ist  leicht  das  liebreizendste  und  kunstreichste  Werk 
Piatons,  das  schon  bei  den  Alten  von  denjenigen,  welche  Piaton  mehr 
seiner  Kunst  als  seiner  philosophischen  Lehre  wegen  lasen,  vor  allen  an- 
deren Werken  bevorzugt  wurde.*)  Das  Gastmahl,  worüber  Apollodoros, 
der  selbst  wieder  von  Aristodemos  Kunde  erhalten  hatte,  seinen  Freunden 
Mitteilung  macht,  hatte  der  Tragiker  Agathen  zu  Ehren  seines  ersten  tragi- 
schen Sieges  im  Jahre  416  gegeben.  Eingeladen  war  dazu  eine  bunte  Gesell- 
schaft; ausser  dem  Sokrates,  der  noch  den  Aristodemos  mitgebracht  hatte, 
Phaidros,  Pausanias,  der  Arzt  Eryximachos,  der  Dichter  Aristophanes. 
Als  Thema  der  Tischreden  wird  auf  Phaidros  Vorschlag  der  Eros  ge- 
wählt Die  Kunst  des  Piaton  nun  zeigt  sich  in  der  Art,  wie  er  das  Thema 
von  den  einzelnen  Tischgenossen  entsprechend  ihrem  verschiedenen  Cha- 
rakter anfassen  und  nach  und  nach  zu  immer  höheren  Zielen  führen  lässt. 
Am  genialsten  ist  die  Rede  des  Aristophanes,  der  in  einem  geistreich  er- 
fundenen Mythus  die  Liebe  als  das  Suchen  der  einen  Hälfte  des  ehemals 
vereinten,  aber  von  Gott  auseinandergeschnittenen  Urmenschen  nach  seiner 
anderen  Hälfte  hinstellt.  Aber  tiefer  ist  die  an  den  Schluss  gestellte 
Auseinandersetzung  des  Sokrates,  der  seiner  Rede  die  Form  einer  Unter- 


')  Ala  Urheber  der  Gegentheorie  wird 
Pemokrit  genannt,  dessen  Argtumente  Proklos 
im  Kommentar  zam  Kratylos  p.  6  ed.  Boiss. 
infthrt  Ntiieres  Aber  den  Streit  gibt  6om- 
Kiz,  Griech.  Denker  I  318  ff. 

*)  Dbuscbxb,  Die  platonische  Sprach- 
itakwpbie^  Marbnrg  1852;  Steiitthal,  Gesch. 
l  SprachwiBaenachüft  S.  89—110;  Bbnfey, 


Aufgabe  des  plat  Dial.  Eratylns,  Abhdl.  d. 
Gott.  Ges.  d.  W.  1866;  Rosenbtock,  Piatos 
Kratylos  and  die  Sprachphilosophie  der  Nea 
zeit,  Progr.  Strassburg  in  Wpr.  1893. 

')  So  schliesst  Uskner  Nachr.  d.  Gott. 
Ges.  1892  S.  46. 

*)  Zeugnisse  in  der  Ausgabe  von  0.  Jahn. 


442 


Chrieohiflohe  LitteratargMohioht«.    I.  ElMwisohe  Periode. 


redung  mit  der  weisen  Mantineerin  Diotima  gibt  und  in  ihr  die  Liebe  als 
den  Trieb  nach  Unsterblichkeit  fasst,  der  den  Leib  der  Frauen  mit  Einder- 
samen und  die  Seele  edler  Jünglinge  mit  Weisheit  und  Tugend  befruchtet. 
Indes  wenn  auch  der  philosophische  Qehalt  des  Werkes  in  den  Beden 
steckt,  80  liegt  doch  der  eigentliche  Reiz  in  dem  mimischen  Arrangement, 
den  Zwischenreden  und  Zwischenfallen,  welche  uns  statt  in  einen  lang- 
weiligen Sprechsaal  in  ein  lebensvolles,  heiteres  Gastmahl  versetzen.  Das 
tritt  besonders  in  dem  letzten  Teil  des  Dialogs,  in  der  Scene,  die  Feuer- 
bach zum  Gegenstand  seines  grossartigen  Gemäldes  gemacht  hat,  hervor: 
noch  nicht  war  Sokrates  mit  der  Diskussion,  die  sich  an  seine  Rede 
knüpfte,  ganz  zu  Ende,  da  kommt  Alkibiades  halbberauscht  herein  und 
hält,  von  den  Tischgenossen  aufgefordert,  eine  Lobrede  auf  Sokrates,  die 
von  leidenschaftlicher  Begeisterung  für  den  verehrten  Meister  überströmt 
und  an  einem  konkreten  Fall  die  ganze  Reinheit  des  Verhältnisses  des 
edlen  Lehrers  zu  seinen  geliebten  Jüngern  nachweist.  Auch  der  Schluss 
dient  noch  dazu,  uns  den  Sokrates  in  seiner  herrlichen,  unendlich  über 
dem  pedantischen  Schulmeister  stehenden  Gestalt  zu  zeigen:  eine  neue 
Schar  von  Nachtschwärmern  war  eingedrungen;  über  dem  wüsten  Zechen 
schlichen  die  einen  davon,  die  andern  nickten  ein,  unter  ihnen  der  Er- 
zähler des  Dialoges  Aristodemos;  als  der  gegen  Morgen  erwacht,  sieht  er 
den  Sokrates  noch  ganz  geistesfrisch  mit  den  beiden  Dichtem  Agathen 
und  Aristophanes  aus  einem  grossen  Humpen  zechen  und  über  das  Thema, 
dass  der  rechte  Dichter  zugleich  sich  auf  die  Tragödie  und  die  Komödie 
verstehen  müsse,  eifrigst  diskutieren.  —  Für  die  Abfassungszeit  des  Dia- 
logs liegt  ein  Anzeichen  in  der  Anspielung  auf  die  Zerteilung  der  Stadt- 
gemeinde von  Mantinea  in  4  Landgemeinden  p.  193  a,  wonach  derselbe  im 
Jahre  385  oder  bald  nachher  abgefasst  wurde.  ^)  Wir  haben  das  Sympo- 
sion auf  den  Phaidon  folgen  lassen,  indem  wir  die  Stelle  am  Schlüsse 
des  Symposion  rov  avzoi  ardQog  slvat  xiOfifpSiav  xal  tgayfpdiat*  imcxatsd'in 
nomv  auf  Piaton  selbst  deuten,  der  es  verstanden  hat,  in  Phaidon 
ebenso  eine  ergreifende  Tragödie  wie  in  Symposion  eine  ergötzliche 
Komödie  zu  schreiben. 

307.  Die  konstruktiven  Dialoge  nehmen,  da  Piaton  in  ihnen 
seine  eigene  philosophische  Lehre  in  positiver  Weise  entwickelt  und  aus 
den  früheren  Perioden  seiner  Schriftstellerei  nur  die  Form  des  sokrati- 
sehen  Gespräches  beibehält,  die  letzte  Stelle  ein.  Das  mimische  Element 
und  die  künstlerische  Umrahmung  treten  hier  allgemach  zurück;  hingegen 
führt  der  Lehrton  zu  längeren  Vorträgen,  namentlich  in  den  Schriften 
über  Politik  und  Physik.  Die  hieher  gehörigen  Dialoge  gehören  in  das 
Gebiet  der  Staatslehre  (Politeia  und  Nomoi),  Dialektik  (Theätet,  Sophistes, 
Politikos,  Parmenides),  Ethik  (Philebos),  Physik  (Timaios). 

Die  HokiTfia^)  umfasst  10  B.,  welche  Bucheinteilung  aber,  da  die- 


1)  Vgl.  Xenoph.  Hell.  V  2.  Ueber  das 
Verhältnis  zum  zenophontischen  SymposioD 
§  247.  L.  Sybel,  Piaton  Symposion,  Marb. 
1888,  nennt  das  Symposion,  das  nach  dem 
ersten  Jahresfeste  der  platonischen  Hoch- 
schule geschrieben  war,   das  Programm  der 


Akademie. 

*)  üeber  den  Titel  noXttsuu  in 
Polit.  p.  1293  b,  1  und  Themist  or.  II  p.  SS, 
21  Dind.;  s.  Schnbidbr  im  Eingang  seiner 
Ausgabe. 


4.  Die  Philosophen,    e)  Piaion.    (§  307.) 


443 


selbe  vielfach  verkehrt  und  geradezu  sinnwidrig  ist,^)  nicht  vom  Autor  selbst 
herrfihrt.  Das  Werk  hat  die  Form  eines  Gespräches,  das  im  Hause  des 
greisen  Eephalos  gelegentlich  eines  im  Piräus  zu  Ehren  der  Göttin  Bendis 
yeranstalteten  Festes  gehalten  wurde.*)  Anwesend  waren  ausser  Kephaloö 
and  dessen  Söhnen,  Sokrates,  die  Brüder  des  Piaton  Glaukon  und  Adei- 
mantos,  der  Rhetor  Thrasymachos  und  mehrere  stumme  Personen.  Aber 
die  grosse  Ausdehnung  des  Werkes  passt  schlecht  in  den  Rahmen  des  Ge- 
spiiches  eines  Tages,  weshalb  wohl  die  Anlage  der  Schrift  ursprünglich 
auf  kleineren  Umfang  berechnet  war  und  erst  allmählich  durch  Erweiterung 
zor  Grösse  von  zehn  Büchern  angewachsen  ist.^)  Dafür  spricht  auch  eine 
Überlieferung  des  Altertums  bei  Gellius,^)  wonach  von  der  Republik  zu- 
erst nur  ungefi.hr  zwei  Bücher  in  die  Öffentlichkeit  kamen.  Ganz  ver- 
wischt sind  auch  in  dem  Werke  selbst  die  Spuren  der  allmählichen  Ent- 
stehung nicht,  indem  z.  B.  das  Hauptthema  des  3.  und  4.  Buches  noch- 
mals im  10.  Buche  behandelt  und  dabei  p.  607  b  auf  die  inzwischen  auf- 
getauchte Polemik  Rücksicht  genommen  ist.'^)  Die  Hauptteile,  in  welche 
das  umfangreiche  Werk  zerfällt,  sind  folgende:  Buch  I  enthält  die  Ein- 
leitung und  die  Untersuchung  über  das,  was  das  Gerechte  (rc  dixaiov)  ist, 


*)  Vgl.  meine  Plat  Stud.  22.  Von  einer 
äteren  ^teflnng  in  6  Bücher  hat  Sparen 
in  «nem  aDÜsttikistischen  Lexikon  nach- 
gewioen  Hikmer  Jhrb.  f.  Phil.  Suppl.  XXIII 
(1897)  676  ff.  588—92. 

')  Das  aber  die8e8  Fest  nnd  den  Fackel- 
lauf  im  Eingang  Bemerkte  zeigt,  dass  sich 
PktoD  dag  Gesprftch  an  einem  bestimmten 
l>atQm  gehalten  dachte.  Auch  ist  die  Schil- 
deroDg  des  Festes  und  der  Person  des  greisen 
Kephaloe  so  lebensvoll,  dass  man  glauben 
mochte,  Piaton  habe  selbst  noch  den  Ee- 
iriuloe  in  seiner  H&oslichkeit  gesehen.  Aber 
£e  Zeit  ist  schwer  festzustellen ;  am  meisten 
Zostnmnung  verdient  Böckh  Kl.  Sehr.  IV 
437  ff.,  der  ftür  409  eintritt.  Für  eine  so 
sptte  Zeit  spricht  insbesondere,  dass  Sopho- 
ÜeB  p.  329  b  als  Greis  gedacht  ist,  und  dass 
^  Binder  Piatons,  Glaukon  u.  Adeimantos, 
sich  nach  p.  368  a  bereits  im  Kriege  ausge- 
«idinet  hatten.  G.  Fb.  Hbbmann,  Plat.  Phil. 
^  eitiArt  sich  ffir  430,  weil  für  den  Anfang 
^es  peloponnesischen  Krieges  am  meisten 
^e  Lebensverhftltnisse  des  Lysias  sprechen, 
^  versteht  daher  unter  Glaukon  u.  Adei- 
Baiitoe  die  Oheime  des  Piaton.  Vgl.  Suse- 
WHL,  Entw.  II  76  ff.  und  Ind.  lect.,  Greifsw. 
1^84  p.  XTI  und  uns  oben  §  264. 

'j  Von  selbst  drftngt  sich  einem  in  dieser 
^oehimg  der  Vergleich  des  bedeutendsten 
Werkes  der  griechischen  Prosa  mit  dem  ge- 
feiertesten der  griechischen  Poesie  auf. 

*)  Gelliu«  XrV  3:  Xenophon  inclito  Uli 
^pfi  Plalonis,  quod  de  optimo  statu  reipu- 
Wfca«  dvitatisque  adtninistrandae  scriptum 
%  leetis  ex  eo  duobus  fere  libris  quiprimi 
w  uUgus  exierant,  opposuii  contra  conscrip- 
f'^ffu  diversum   regiae  adtninistrationis  ge- 


nu8,  quod  nuidBias  Kvqov  inscriptum  est. 
Diese  erste  Auflage  wird  die  jetzigen  Bücher 
I — IV  oder  2*/«  der  alten  Bucheinteilung 
umfasst  haben.  Dass  darin  auch  schon 
die  Weibergemeinschaft  gepredigt  war, 
möchte  man  aus  Aristoph.  Eccl.  (aufge- 
fahrt  389)  schliessen  im  ^usanmienhalt  mit 
p.  452  b:  ov  tpoßrjtiov  rd  xcHr  /«ptcVröiy 
axaiftfjtara.  Aber  von  dieser  handelt  that- 
sächlich  Piaton  erst  im  5.  Buch,  und  keine 
Spur  fuhrt  auf  die  Abfassung  irgend  eines 
Buches  der  Politeia  vor  389.  Auf  die  alte 
Ueberliefemng,  dass  Piaton  Jahre  lang  an 
der  Politeia  gearbeitet  und  sie  wieder  und 
wieder  umgearbeitet  habe,  führt  auch  die 
Anekdote  bei  Dion.  Hai.  de  comp.  verb.  25 
nnd  Diog.  3,  37,  dass  nach  dem  Tode  des 
Philosophen  ein  Blatt  gefunden  worden  sei, 
auf  dem  der  Anfang  der  Republik  wieder- 
holt unuredigiert  {noixiXtog  fjtBxaxBifjiivrj)  ge- 
standen habe. 

')  Uebertrieben  hat  diese  Verhältnisse 
Krohn,  Der  platonische  Staat  (1876j,  Die 
platonische  Frage  (1878),  der  die  Republik 
als  ein  durch  Aggregieren  allmählich  ent- 
standenes Werk  betrachtet;  ähnlich  Pflbi- 
DERKB,  Zur  Lösung  der  platonischen  Frage. 
Freiburg  1888,  der  di-ei  separate  Teile 
anninmit  I— V  471  c  und  VIII— IX;  X; 
V — VII.  Dagegen  ist  die  Einheit  gut  er- 
wiesen von  Grimmelt,  De  reip.  Plat.  com- 
positione  et  unitate,  Berl.  1887  Diss.,  Wk- 
STBBWicK,  De  rep.  Plat.,  Münster  1887  Diss., 
Apblt  Beri.  Phil.  Woch.  1895  n.  31,  und 
besonders  von  Hirmer,  Entstehung  und  Kom- 
position der  platonischen  Politeia,  in  Jahrb. 
f.  cl.  Phil.  Suppl.  XXIII  (1897)  583-678. 


444  Griechisohe  LitteratiirgMohiehte.    I.  KlassUohe  Periode. 

in  ähnlicher  Weise  wie  in  den  kleinen  Dialogen  (Laches,  Gharmides,  Lysis 
Euthyphron)  das  Wesen  der  aviqeia^  ato^Qoavttjy  ifih\  oaiotr^g  untersncht 
wird.  Die  Bücher  11 — IV  umfassen  die  Gründung  und  Organisation  des- 
jenigen Staates,  in  welchem  die  Idee  der  Gerechtigkeit  zur  Verkörperung 
kommt.  Den  Hauptgegenstand  dieses  Abschnittes  bildet  die  Erziehung, 
die  geistige  {fiovaixij)  und  körperliche  {yvfivaarixrj)  der  Staatsange- 
hörigen, woran  sich  im  4.  Buch  die  Besprechung  derjenigen  Tugenden 
schliesst,  welche  sich  in  einem  wohlorganisierten  Staat  infolge  jener 
Erziehung  der  Staatsbürger  finden  müssen,  die  Weisheit  {g^Q6%*fj<r&g  oder 
(fofpta),  die  Tapferkeit  (ävigefa),  die  Selbstbeherrschung  {traKpQoavvrj) 
die  ausgleichende  Gerechtigkeit  {dixaiwrwTj).  Die  Bücher  V — Vn  bilden 
den  3.  Teil.  Im  Eingang  des  5.  Buches  schickt  sich  Sokrates  an,  im 
Anschluss  an  das  vorausgegangene  Buch,  die  Abarten  des  richtig  or- 
ganisierten Staates  zu  besprechen;  aber  diese  Diskussion  wird  infolge 
der  Einsprache  des  Polemarchos  verschoben,  so  dass  zuerst  von  der 
Kinder-  und  Weibergemeinschaft  und  von  der  Erziehung  der  zu- 
künftigen Herrscher  des  Staates  gehandelt  wird.  In  diesem  3.  Teil 
sind  die  tiefsten  Gedanken  der  Philosophie  niedergelegt,  so  dass  mein  ver- 
ehrter Lehrer  Leonh.  Spengel  in  demselben  den  im  Eingang  des  Sophistes 
in  Aussicht  gestellten  Dialog  Philosophos  erkennen  wollte.^)  Aber  da- 
gegen spricht  schon  ein  chronologisches  Bedenken,  da  aller  Wahrschein- 
lichkeit nach  der  Sophistes  erst  nach  der  Politeia  abgefasst  wurde.  Jeden- 
falls gehört  jener  dritte  Teil  wesentlich  zur  Lehre  vom  Staat,  indem  er  die 
Erziehung  der  Herrscher,  welche  im  zweiten  Teil  ganz  kurz  abgethan 
worden  war,  zum  Gegenstand  eingehender  Erörterung  macht.  Ob  er  aber 
vom  Philosophen  erst  später  bearbeitet  und  in  die  schon  früher  geachrie- 
benen  Bücher  nachträglich  eingeschoben  wurde,  oder  ob  wir  in  der  schein- 
baren Einschiebung  nur  einen  stilistischen  Kunstgriff  des  Schriftstellers 
zu  erblicken  haben,  lasse  ich  dahingestellt.^)  Die  Bücher  VIH  und  IX 
kehren  zum  Anfang  des  5.  Buches  zurück  und  besprechen  im  Gegensatz 
zur  Staatsform  des  Philosophenkönigtums  die  Abarten  der  Timokratae, 
Oligarchie,  Demokratie,  Tyrannis,  wobei  dem  Autor  bei  der  Schilderung 
der  Tyrannis  der  ältere  Dionysios,  bei  der  der  Oligarchie  Sparta  Porträt 
gestanden  haben.  Im  Anschluss  an  die  Unterscheidung  dieser  5  Staats- 
formen wird  dann  auf  die  Glückseligkeit  {svdaifxovia)  übergegangen,  die 
in  vollkommenem  Grade  nur  dem  Gerechten  zu  teil  werde.  Damit  ist 
Plato  wieder  zum  Ausgangspunkt  des  ersten  Buches  zurückgekehrt.  Im 
10.  Buch,  das  gewissermassen  einen  Nachtrag  und  Anhang  zu  dem  bereits 
abgeschlossenen  Werke  bildet,  kommt  der  Verfasser  zuerst  nochmals  auf 
die  Poesie  zurück,  indem  er  an  seinem  früheren  Urteil  über  die  rechte 
Erziehung  festhält  und  wider  eigene  Neigung  jede  nachahmende  Poesie, 


>)  L.  Spengel,  in  Münchner  Gel.  Anz. 
1846  S.  653  und  Phüol.  19,  595,  siehe  da- 
gegen meine  Plat.  Stud.  S.  36  f. 

^)  Die  erste  Meinung  vertritt  namentlich 
Pflbidbbbr,  die  zweite  Hirmbr.  Jedenfalls 
ist   die   eingehendere   und  vertiefte  Darstel- 


lung des  Idealstaates,  wie  sie  in  den  BQchem 
Y— VII  gegeben  ist»  passend  der  Besprecfaon^ 
der  Abarten,  in  denen  statt  der  G«rechtig:- 
keit  die  Ungerechtigkeit  aEum  Aasdruct 
kommt,  vorausgeschickt. 


4.  Die  Philosophen,    o)  Piaton.    (§  807.) 


445 


die  Tragödie  und  den  Erzvater  der  Tragödie,  den  Homer,  aus  dem  Ideal- 
staat verbannt.     Sodann  zieht   er  zum  Schluss  die  Lehre  von  der  Un- 
sterblichkeit der  Seele  heran,  die  dem  Gerechten  zum  Glück  der  inneren 
Befriedigung  auch  noch  ewigen  Lohn  in  Aussicht  stellt.     Und  wie  sonst, 
wenn  die  dialektische  Erkenntnis   nicht    mehr   ausreicht,    so  greift  auch 
bier  Piaton  zum  Mythus,  indem  er  den  von  den  Toten  wiedererstandenen 
Armenier  Er  von  dem,  was  er  im  Hades  von  dem  Leben  der  Seligen  und 
Verdammten  gesehen  und  gehört  hatte,   erzählen  lässt  (eschatologischer 
Teil).^)    Die  ganze  Politeia  setzt  sich  also,   ähnlich  wie  wir  dieses  auch 
von  der  Politik  des  Aristoteles  nachweisen  werden,  aus  mehreren  Teilen 
zusammen;  aber  deshalb  ist  sie  doch  kein  Aggregat  aus  verschiedenartigen 
Elementen,  lässt  vielmehr  bei  näherem  Zusehen  trotz  einiger  Fugen  den 
einheitlichen  Aufbau  eines  echten  Kunstwerkes  erkennen.  —  Die   Abfas- 
songszeit  kann  natürlich  nicht  auf  das  Jahr  festgesetzt  werden,  da  Piaton 
an  diesem  seinem  grossartigsten  Werk  viele  Jahre,  wenn  auch  nicht  ge- 
rade 20,  gearbeitet  hat  2)  und  der  erste  Entwurf,   was  schon  die  referie- 
rende Gesprächsart  zeigt,  noch  in  die  2.   Periode  seiner  Schriftstellerei 
Mt^)    Anspielungen  finden  sich  p.  577  a   auf  des  Verfassers  Aufenthalt 
&m  Hofe  des  älteren  Dionysios,  p.  471a  auf  die  Grausamkeit  der  Thebaner 
g%en  Platää   im  Jahre  374,    p.  498  d  auf  den  Euagoras    des    Redners 
Isokrates  (verfasst  bald  nach  374).*)      In  weite  Kreise  war  das  Werk 
wohl  schon  vor  der  2.  Reise  des  Piaton  nach  Sikilien  gedrungen,  da  wir 
schwerlich  fehl  gehen,   wenn  wir  den  Dion  und  seine  Freunde  ihre  Hoflf- 
nangen  an  die  in  der  Republik    niedergelegten   Ideen  knüpfen  lassen.'') 
Ü8  hat  demnach  Susemihl,  Genetische  Entwicklung  der  Platonischen  Phi- 
losophie II  296  unser  Werk  in  die  Jahre  380-370  gesetzt:  jedenfalls  fällt 
die  Schlnssredaktion  desselben  noch  vor  den  Regierungsantritt  des  jüngeren 
Konysios  oder  vor  367. 

Der  Dialog  Tifiaiog  ist  nach  der  Fiktion  des  Proömiums  am  Tage 
nach  der  Politeia  gehalten  worden,  was  aber  nicht  zur  Annahme  nötigt, 
da«8  derselbe  von  Piaton  unmittelbar  nach  jenem  Werke  verfasst  worden 
«t  Es  enthält  der  Timaios  im  wesentlichen  dasjenige,  was  die  Späteren 
als  ^vfftxTJ  ffiXoaoifia  bezeichneten,  die  Lehre  von  der  Hervorbringung  der 
Welt  durch  den  göttlichen  Schöpfer  {SriixiovQy6q\  von  der  dem  All  inne- 
wohnenden Weltseele  und  dem  zur  Aufnahme  (vnodox^])  der  Formen  oder 
Ideen  geeigneten  unendlichen  Raum,  von  der  JBildung  der  Elemente  und 
der  Schöpfung  der  diesseitigen  Welt,  von  der  Gestaltung  des  menschlichen 


M  Wieweit  Flaton  in  seiner  Politeia 
nv  eigene  Ideen  aussprach,  Iftsst  sich 
«hwer  bestiminen.  Nach  Aristoxenos  bei 
IH«^.  tu  37  fanden  sich  die  Hauptgedanken 
^»eito  in  Protagoras'  'JvnXoyi,xd. 

»)  KaoHK,  Der  plat.  Staat,  Halle  1876; 
^  plat  Frage  1878,  wonach  die  gesamten 
woge  spftteren  Ursprungs  lüs  der  Staat 
tön  sollen.  Dagegen  Nüssbb,  Piatons  Poli- 
«t,  Amberg  1882.  Sibbbck,  Unters.  148. 
2b  Erobn  kehrt  teilweise  wieder  zurück 
Pfibobreb  a.  O. 


')  Der  erste  Entwurf  müsste,  wenn  auf 
ihn  wirklich  Aristophanes  in  den  Ekklesia- 
zusen  anspielte,  bald  nach  dem  Phaidros, 
um  390  gesetzt  werden. 

^)  Reinhahdt,  De  Isocratis  aemulis  p.  39 
hat  die  Stelle  p.  498  d  weniger  passend  auf 
den  Areopagitikos  bezogen,  wodurch  wir  bis 
auf  354  herabzugehen  genötigt  würden. 

*)  Nach  p.  499  b  weckte  der  jOng^e 
Dionysios  schon  gute  Erwartungen,  war  aber 
noch  nicht  zur  Regierung  gekommen. 


446 


Grieohische  LiiteratnrgMohieht«.    L  dasBiaoh«  Periode. 


Organismus  und  der  Harmonie  von  Seele  und  Leib.  Die  Darlegung  dieser 
mehr  sublimen  und  dunklen,  als  die  Naturerkenntnis  fördernden  Lehre  ^) 
übernimmt  der  Pythagoreer  Timaios,  womit  Piaton  selbst  die  Quelle  dieser 
Theorien  angedeutet  hat.^)  Von  sokratischer  Art  ist  in  dem  Dialog  keine 
Spur  mehr,  wenn  auch  Sokrates  noch  einer  der  Mitunterredenden  ist;  woU 
aber  zeigt  die  Hereinziehung  der  Ideen,  auf  die  schauend  Gott  die  Welt 
schafft,  dass  Piaton  die  pythagoreische  Lehre  nicht  einfach  herübergenom- 
men, sondern  mit  seinem  eigenen  Oeiste  durchdrungen  hat.  Die  durch 
den  Kommentator  Proklos  uns  erhaltene  und  im  Anhang  des  platonischen 
Dialogs  abgedruckte  Schrift  des  Timaios  nsQi  ipvxäg  xocßto  xal  qvaiag  ist 
nicht  ein  Originalwerk,  sondern  ein  jenem  Pythagoreer  untergeschobener 
Auszug  der  platonischen  Schrift.  Verfasst  ist  derselbe  wohl  in  römischer 
Zeit,  als  die  Sekte  der  Neupythagoreer  aufkam,  die  sich  nicht  scheuten, 
wie  dem  Pythagoras  selbst  so  auch  seinen  Schülern  selbstgefertigte 
Schriften  unterzulegen.*) 

Der  KgiTi'ag  sollte  nach  dem  Eingang  des  Timaios  p.  19b  die  3., 
der  Hermokrates  die  4.  Stelle  in  der  mit  Politeia  und  Timaios  begin- 
nenden Tetralogie  einnehmen.^)  Zur  Abfassung  des  Hermokrates  kam 
Piaton  gar  nicht;  der  Eritias  blieb  Fragment,  wie  uns  Plutarch,  Solon  32 
bezeugt.  Dasselbe  enthält  die  Schilderung  eines  gewaltigen  Reichs  in  der 
Atlantis,  dessen  Macht  später  an  einem  kleinen,  nach  platonischem  Muster 
eingerichteten  Staate  scheitern  sollte.  Die  Kunde  von  jenem  Reich  in  der 
Atlantis  will  Eritias  von  seinem  Ahnen  Solon  erhalten  haben,  der  sie 
selbst  von  den  ägyptischen  Priestern  in  Sais  erhalten  hatte.  Die  hiero- 
glyphischen Urkunden,  welche  das  Ereignis,  auf  das  Piaton  anspielt, 
nämlich  den  Sieg  der  Ägypter  unter  Ramses  über  eine  grosse,  von  Westen 
her  in  Ägypten  einfallende  Yölkermasse  schildern,  sind  in  unserer  Zeit 
wieder  ans  Licht  gezogen  worden.^) 

Der  &€aiTrjTog  ist  ein  dialektisches  Gespräch  zwischen  Sokrates, 
Theaitetos  und  Theodoros  über  das  Wissen  (inifStruiiD^  wieder  erzählt  in 
direkter  Redeform  ^)  von  Eukleides,  dem  megarischen  Sokratiker,  gelegent- 
lich des  Rücktransportes  des  im  korinthischen  Eriege  (392)  erkrankten 
Theätet.')  Der  Dialog  von  tiefem  philosophischem  Gehalt  fuhrt  unter 
scharfsinniger  Bekämpfung  entgegenstehender  Meinungen,  namentlich  des 
Protagoras,   die  Frage   nach  dem  Wesen  des  Wissens  zwar  nicht  zum 


^)  Vom  Standpunkte  des  heutigen  Natur- 
forschers hat  die  ganze  Naturlehre  Piatons 
einer  für  den  Philologen  und  Philosophen 
sehr  lesenswerten  Betrachtung  unterzogen 
Rothlauf,  Die  Physik  Piatos,  Münch.  Progr. 
der  Realsch.  1887  u.  1888. 

^)  Im  18.  Brief  scheint  die  Lehre  unseres 
Timaios  unter  dem  Namen  UvSayogna  ver- 
steckt zu  sein;  siehe  meine  Plat.  Stud.  30  f. 

')  Verfasst  ist  der  falsche  Timaios  vor 
dem  2.  Jahrh.  n.  Chr.,  da  er  bereits  von 
Nikomachos  Harm.  I  24  citiert  wird.  J.  R. 
Anton,  De  origine  libelli  negi  tf/v^tig  xoafÄto 
xai  (pvatogy  Naumburg  1893. 

*)  Vgl.  Grit.  p.  108  a. 


^)  DüHiCHEN,  Hist.  Inschr.  1  1—5,  von 
mir  nachgewiesen  Plat.  Stud.  55  f. 

«)  Vgl.  §  802;  die  Aenderung  der  Ponn 
scheint  diurauf  hinzuweisen,  dass  der  Thefttet 
nach  Protagoras,  Euthydem  und  Symposaoo 
geschrieben  ist. 

^)  An  den  Kampf  um  Eorinth  des  J.  368. 
dachte  Berok,  Fünf  Abh.  zur  griech.  Phil. 
S.  3.  Dagegen  Einwendungen  in  meincQ 
Plat.  Stud.  48  und  Zbllieb,  Ueber  die  zeit* 
geschichtlichen  Beziehungen  des  plat.  Thellet, 
Stzb.  d.  Berl.  Ak.  1886  8.  631  ff.  und  1887 
S.  214,  wo  die  Stelle  über  die  Peliasten  p. 
165  d  für  die  Zeit  392—390  geltend  gemacfat 
wird. 


4.  Die  PhUoBophen.    o)  Piaion.    (§  d07.) 


447 


letzten  Abschloss,  der  nur  im  Zusammenhang  mit  der  Ideenlehre  gegeben 
werden  konnte,  aber  doch  so  weit,  dass  wir  über  die  erste  Stufe  der 
sinnlichen  Wahrnehmung  {cuai^r^Cig)  und  blossen  Meinung  (rfofa)  zur  rich- 
tigen Meinung  und  weiter  zur  richtigen  Meinung  mit  Rechenschaftsgabe 
(alr^xkilg  do^a  fierd  loyov)  emporsteigen.  Zugleich  ist  die  Behandlung  des 
ganz  abstrakten  Themas  durch  herrliche  Bilder  und  Gleichnisse  belebt, 
wie  von  der  Hebammenkunst  {fxaievtixrj)  des  Sokrates  (p.  149— 151)  i)  und 
7on  der  Seele  als  dem  Taubenschlag  der  Ideen  (p.  197).^)  Der  Dialog 
erhält  seine  Fortsetzung  in  dem  Sophistes  und  Politikos,  deren  Abfassung 
aber  geraume  Zeit  später  zu  fallen  scheint.  Über  seine  eigene  Abfassungs- 
zeit geben  die  Meinungen  sehr  auseinander;  die  einen,  darunter  Zeller, 
setzen  ihn  bald  nach  der  Zeit  der  Eingangsscene,  um  392,  andere  nach  dem 
Euagoras  des  Isokrates  oder  nach  374,*)  endlich  Bergk  nach  den  zweiten 
kämpfen  um  Eorinth  im  Jahre  368  und  nach  dem  Tode  des  Königs 
Agesilaos  357.*) 

2oipi>c%r;g  und  Ilokitixog,  zwei  eng  zusammenhängende  Dialoge, 
sollten  nach  dem  Eingang  des  ersteren  den  Theätet  fortsetzen^)  und  in 
einem  nicht  mehr  geschriebenen  4.  Dialoge,  0ik6(fo<pog,  ihren  Abschluss 
finden.  6)  Die  in  ihnen  angewandte  Methode  ist  die  der  Spaltung  der  Art 
in  ihre  Spezies  {SiaiQ^aig^  divisio),  durch  die  schliesslich  die  richtige  De- 
finition des  Sophisten  und  Politikers  gewonnen  werden  soll.  Die  ganze 
Methode,  7)  deren  öde  Langweiligkeit  dem  Verfasser  selbst  nicht  entging, «) 
ist  weit  entfernt  von  der  ethischen  Wärme  der  sokratischen  Gespräche 
und  wird  von  Piaton  selbst  als  eine  fremde  dadurch  bezeichnet,  dass  der 
Fremde  (?«ro$),  den  Theodoros  mitbringt,  und  der  junge  Sokrates»)  Haupt- 
träger des  Gespräches  sind.     Schleiermacher  nahm  an,  dass  Piaton  selbst 


')  Auf  die  Hebammenkunst  des  So- 
Icnted  ist,  wie  IK^mbb  Sitzb.  d.  b.  Ak.  1896 
S.  228  nachweist,  schon  angespielt  von  dem 
Komiker  Arisiophanes  in  den  Wolken  137. 

*)  Ffir  uns  Philologen  ist  auch  die  Paten- 
nsde  des  Sokrates  auf  die  Philologie  p.  146  a 
mteressant:  o»  ti  novy  to  SeodtoQe,  iyoS  vno 

voi^tat  diaiAyBc9at  xai  q>ikovg  re  xal  nQoarj- 
T^^ovg  öiaXiyeaSai. 

')  RoBDB,  Abfassungszeit  des  piaton. 
Th^itetoB,  in  Jahrb.  f.  Phil.  1881  S.  321  ff. 
Wid  Gm.  Gel.  Anz.  1884  S.  13  ff.,  hielt,  wie 
zn  gleicher  Zeit  Bergk,  die  Stelle  p.  175  a 
tter  die  Lobreden  auf  Könige  zusammen  mit 
laocr.  Eoag.  c.  8,  wo  sich  der  Rhetor  rühmt, 
&  erste  Lobrede  auf  einen  berühmten  Mann 
^1"  Gegenwart  geschrieben  zu  haben.  Da- 
S^gen  betonte  Zeller,  dass  Piaton  nicht  von 
S^scfariebenen  Lobreden  wie  Isokrates  rede, 
nd  bezieht  die  25  Ahnen  der  piaton.  Stelle 
Bidit  auf  den  König  Agesilaos,  sondern  auf 
^MMfD  Kollegen  Agesipolis  (394—380),  auf 
^  besser  die  ZaU  25  passe.  Replik  von 
Bahde  im  Philol.  49  (1890)  1  ff.,  und  noch- 
Bils  ZeUer  im  Arch.  f.  Gesch.  d.  PhU.  V  289  ff. 
Ob  mis  nicht  doch  der  Dialog  in  einer  zwei- 


ten Bearbeitung  vorliegt,  die  aus  der  Zeit 
stammt,  in  der  Piaton  zu  dem  Theätet  den 
Sophistes  und  Politikos  fügte? 

*)  Aehnlich  DOmmler,  Chron.  Beitr.  z. 
plat  Dialogen  1890  S.  22  ff.,  der  den  Theätet 
nach  364  setzt;  auffällig  ist  allerdings  die 
fast  wörtliche  Uebereinstimmung  von  Plato 
Theät.  172  c  mit  Isokr.  or.  13  (gehalten 
353),  30.  —  Neuerdings  kommt  Süsemihl, 
Ind.  lect.  Greifs wald  1898  zu  dem  ScMuss 
,nicht  später  als  etwa  387*. 

^)  Dass  die  Anknüpfung  an  den  Theätet, 
ebenso  wie  die  des  Timäus  an  die  Politeia 
nur  eine  äusserliche  ist,  führt  gut  aus  Brdns, 
Das  litterarische  Porträt.  274  f. 

«)  L.  Spbngel,  Phil.  XIX  595  stellte 
die  bestechende  Vermutung  auf,  dass  der 
Philosophos  in  den  Büchern  V  VII  der 
Republik  enthalten  sei;  dagegen  spricht,  wie 
oben  schon  bemerkt,  die  Verschiedenheit  des 
Tons  und  die  Chronologie. 

^)  üeber  diese  Methode  der  diaiQeaig  vgl. 
Aristoteles  Metaph.  VI  12. 

8)  Vgl.  285  d. 

')  Ueber  diesen  jungen  Sokrates  vergl. 
ep.  XI  und  Aristoteles  Metaph.  p.  1036  b  25. 


448 


GiieohMolie  LittentiirgMphichte.    L  XhuMisohe  Periode. 


p.  246  b  auf  die  megarische  Schule  hingewiesen  habe  und  dass  wir  also 
in  unseren  Dialogen  die  von  Aischines  weitergebildete  Kunst  der  eleati- 
schen  Dialektik  vor  uns  haben.  Dagegen  weist  Dümmler,  Antisthenica 
p.  51  ff.  nach,  dass  die  Spitze  des  Dialoges  mehr  gegen  Antisthenes  ge- 
richtet ist.^  Die  beiden  Dialoge  scheinen  in  dem  13.  platonischen  Brief 
unter  dem  Titel  SiaiQtasiq  erwähnt  zu  sein,  wonach  ich  in  meinen  Plato- 
nischen Studien  S.  52  ihre  Abfassungszeit  um  364  setzte;  dazu  stimmen 
auch  die  von  Schanz  und  Campbell  aufgedeckten  sprachlichen  Indizien. 
Diesen  gegenüber  kann  die  frühere,  namentlich  von  Zeller  und  Susemihl 
geteilte  Meinung,  dass  die  beiden  Dialoge  wegen  ihres  prüfenden  Charak- 
ters den  Jugendschriften  unseres  Philosophen  zuzuzählen  seien,  nicht  mehr 
länger  bestehen. >) 

Der  UagfAsviStigy  ein  Qespräch')  des  jungen  Sokrates  mit  dem 
greisen  Parmenides,  wird  bereits  im  Sophistes  p.  217  c  als  loyog  ndyxaXog 
angekündigt.*)  Das  Gespräch  wird  von  Antiphon,  dem  Halbbruder  Piatons, 
wiedergegeben,  der  seinerseits  wieder  dasselbe  von  Pythodoros  gehört  und 
auswendig  gelernt  haben  will.  Im  ersten  Teile  desselben  bekämpft  der 
eleatische  Philosoph  die  Ideenlehre,  und  weicht  Sokrates  so  vor  den  Ein- 
würfen des  Gegners  zurück,  dass  er  selbst  an  der  Möglichkeit  einer  dia- 
lektischen Begründung  jenes  Grundpfeilers  der  platonischen  Philosophie 
zu  verzweifeln  scheint.  Der  zweite  grössere  Teil  enthält  eine  äusserst 
spinöse  Erörterung  über  das  Eine  und  Viele,  die  eine  Probe  der  eleatischen 
und  megarischen,  mit  Antinomien  operierenden  Dialektik  sein  will.  Wie 
aber  dieser  zweite  Teil  mit  dem  ersten  zusammenhängt,  oder  mit  anderen 
Worten,  wie  derselbe  dazu  dienen  soll,  die  im  ersten  hiüb  fallen  gelassene 
Ideenlehre  wieder  zu  stützen,  ist  schwer  zu  sagen,  ist  sicher  von  Piaton 
nicht  klar  gelegt.^)  Aber  deshalb  darf  man  nicht  an  der  Echtheit  dieses 
hervorragenden  Werkes  der  Disputierkunst  zweifeln;^)  mir  scheint  es  am 
wahrscheinlichsten,  dass  Piaton  im  Sinne  hatte,  dem  Parmenides  noch 
einen  andern  Dialog  nachfolgen  zu  lassen,  der  die  Lösung  bringen  sollte.^) 


*)  Darflber  Apblt  in  der  Note  srar  Stelle 
p.  246  b.  —  Für  die  Echtheit  der  Dialoge, 
trotzdem  sie  so  sehr  von  dem  Charakter  der 
IfOKQttjixol  Xöyoi  abweichen,  spricht  nament- 
lich, dass  Aristoteles  polit.  IV  2  p.  1289  ^  6 
sich  auf  eine  Stelle  des  Politikos  p.  303 
bezieht. 

')  Dem  alternden  Plato  werden  die 
Dialoge  auch  von  Apklt  in  den  Prolegomena 
seiner  Ausgabe  des  Sophistes  p.  37  zuge- 
wiesen. Dass  der  Politikos,  der  mehr  von 
praktischen  Gesichtspunkten  ausgeht,  nach 
der  Politeia  zu  setzen  ist,  nicht  umgekehrt, 
wie  man  früher  annahm,  beweisst  Nusskr, 
Ueber  das  Verhältnis  der  platonischen  Poli- 
teia zum  Politikos,  in  Philol.  53  (1894)  13 
bis  37. 

^)  Ueber  die  Zeit  des  Gespräches  siehe 
§  88;  der  Ton  spitzfindiger  Dialektik  passt 
schlecht  zur  Person  des  Sokrates. 

*)  Zeller  und  andere  nehmen  umgekehrt 
an,  dass  Plato  an  jener  Stelle  des  Sophistes 


sich  auf  den  kurz  zuvor  herausgegebenen 
Parmenides  beziehe;  jedenfalls  liegen  jene 
zwei  Dialoge  zeitlich  nahe  beieinander. 

^)  Zur  älteren  litteratur  bei  Subbkibi. 
II  353  kommt  noch  Shobbt,  De  Platonis 
idearum  doctrina  atque  mentis  homanae 
rationibus,  Monachü  1884.  Ungenügend  ist 
der  Ausweg  Plotins  VI  8,  dass  das  er  in 
dreifachem   Sinn  genommen  werden  könne. 

^)  Für  die  Unechtheit  Schaarbchmidt, 
Plat  Sehr.  164. 

')  Gegen  diesen  Ausweg  der  Verzweif- 
lung erklärt  sich  Apblt,  der  schon  frfüier 
in  seinen  Untersuchungen  über  den  Parme- 
nides des  Piaton  (1879)  unseren  Dialog  der 
früheren  Zeit  platonischer  Schriftstellerei  zu- 
geschrieben hatte,  in  der  Rezension  meiner 
Abhandlung  in  Phil.  Anz.  1887  S.  27.  Jack- 
son, Joum.  of  Philol.  XI  (1882)  287  ff.  n. 
X  253  ff.  findet  in  Parmenides  und  Phüeboe 
die  spätere,  dem  Aristoteles  vorschwebende 
Form  der  platonischen  Ideenlehre. 


4.  Die  Philosophen,    o)  Piaton.    (§  307.) 


449 


Die  Abfassungszeit  des  Parmenides  kann  von  der  des  Sophistes  nicht  weit 


Der  0ilrjß(jg  teilt  mit  den  dialektischen  Dialogen  der  3.  Periode 
den  Mangel  scenischer  Einkleidung,  so  dass  es  selbst  zweifelhaft  bleibt, 
ob  wir  uns  unter  Philebos  eine  wirkliche  Persönlichkeit  oder  die  abstrakte 
Fiktion  der  Jugendliebe  vorzustellen  haben.  Gegenstand  des  Dialoges  ist 
die  ethische  Frage  nach  der  Glückseligkeit,  die  weder  mit  Aristippos  in 
der  reinen  Lust,  noch  mit  den  Megarikem  in  der  blossen  Einsicht,  son- 
dern in  der  Vereinigung  beider  zu  suchen  ist.  Der  Verlauf  der  Dis- 
kussion  führt  zum  Schlussstein  der  Ideenlehre,  dem  aitodya^ov^  und  der 
Herleitung  alles  Seins  aus  der  Idee  des  Guten.  ^) 

Die  Ncfioi  in  12  B.  bilden  das  letzte  Werk  Piatons  und  fallen  in 
die  Zeit  des  jüngeren  Dionysios.*)  Der  Standpunkt  des  Philosophen  in 
diesem  Werk  bedeutet  einen  Abfall  von  dem  Idealstaat  und  ein  Anbe- 
quemen an  die  Wirklichkeit:  aus  einem  Philosophenkönigtum  wird  eine 
Aristokratie,  in  der  aber  auch  auf  den  Reichtum  Rücksicht  genommen 
wd;  die  Gütergemeinschaft  wird  als  unausführbar  aufgegeben  (p.  739  d) 
nnd  durch  Vorschriften  über  Ackerverteilung  und  Beschränkung  der  Be- 
sitzfreiheit ersetzt;  die  Ehe  wird  ebenso  wenig  wie  das  Privateigentum 
aufgehoben,  aber  sie  wie  alle  anderen  Grundlagen  des  Gemeinwesens,  Er- 
ziehung, Verteilung  der  öffentlichen  Gewalten,  kriegerische  Ordnung  und 
Zucht  werden  durch  eine  allseitige,  bis  ins  einzelnste  gehende  Gesetz- 
gebung geregelt.  Cicero  hat  das  Verhältnis  der  beiden  Werke  nachge- 
ahmt, indem  er  auf  den  Dialog  de  republica  in  späteren  Jahren  die  Leges 
folgen  Hess.  Piatons  Gesetze  spielen  in  Kreta,  also  nicht  mehr  in  Athen; 
in  ihnen  allein  auch  fehlt  die  Person  des  Sokrates  ganz.  Dass  das  Werk 
anvollendet  von  dem  Autor  hinterlassen  wurde  und  sein  Schüler  Philippos 
aus  Opus  die  Herausgabe  desselben  besorgte,  bezeugt  Diog.  III  37.  Der 
onvollendete  Zustand  tritt  uns  in  dem  Texte  vielfach  entgegen,  wie  z.  B. 
darin,  dass  im  5.  Buch,  teilweise  auch  im  8.,  11.,  12.,  die  Form  des  Dia- 
loges völlig  aufgegeben  ist,  und  dass  im  5.  und  12.  Buch  heterogene  Be- 
standteile den  Fortgang  der  Untersuchung  stören.  Die  Verwirrung  stammt 
wahrscheinlich  daher,  dass  der  Redaktor  zwei  Vorlagen  des  Autors  un- 
geschickt naiteinander  verschmolz.*)  —  Tür  das  richtige  Verständnis  dieser 
ausgedehnten  theoretischen  Beschäftigung  Piatons  mit  der  Staats-  und 
Qesetzeslehre  verdient  die  Überlieferung  Beachtung,   dass  derselbe  nicht 

selbst  von  mehreren  Staaten,   wie   Kyrene,   Theben,    Arkadien,   um 


')  Der  Dialog  gehört  jedenfalls  zu  den 
spiteren  Werken  des  sJtemden  Piaton; 
oenerdings  hat  Sieheck,  Piaton  als  Kritiker 
ttistotelischer  Ansichten  (Ztschr.  für  Philos. 
107.  Bd.),  sogar  die  Meinung  aufgestellt, 
dtts  Plato  in  der  Polemik  unseres  Dialogs 
oidit  80  wohl  die  alten  Megariker,  als  das 
jfingBt  erschienene  Buch  Proireptikos  seines 
Schalers  Aristoteles  im  Auge  gehabt  habe. 

«)  Vergl.  p.  709 e;  710d  und  658b  mit 
Ath.  541  d;  dass  die  Nomoi  nach  der  Repu- 
blik geschrieben  sind,  bezeugt  auch  Arist. 


Polit.  II  6.  Die  Gesetze  wnrden  bald  nach 
Piatons  Tod  herausgegeben,  da  dieselben  in 
Isoer.  Phil.  12  berücksichtigt  sind. 

•)  Bruns,  Piatos  Gesetze  vor  und  nach 
ihrer  Herausgabe  durch  Philippos  von  Opus, 
1880;  ähnlich  Bbkgk,  Fünf  Abh.  zur  griech. 
Philos.  S.  188  flf.  —  Ueber  die  soziale  Seite 
der  Lehre  Piatos  in  der  Republik  und  den 
Nomoi  siehe  Pöhlm ann  ,  Geschichte  des 
antiken  Kommunismus  und  Sozialismus,  Bd.  I 
S.  269—581,  München  1896. 


Baodbach  der  kl«n.  Altertumswisnenachaft.    VII.    3.  Aufl. 


29 


450 


Oriechisohe  Littoratnrgeaohiohte.    I.  lOaMisolie  Periode. 


Entwerfnng  von  Gesetzen  angegangen  wurde,  ^)  sondern  dass  auch  einige 
seiner  Schüler,  wie  Aristonymos,  Phormion,  Menedemos,  als  Gesetzesgeber 
thätig  waren.») 

308.  Unechte  und  zweifelhafte  Schriften.  Dahin  gehören 
ausser  den  7  kleinen,  im  Altertum  schon  als  unecht  erkannten  Dialogen 
'A^toxo^y^)  TieQi  iixaiov^  nsQl  aQStrjg,  Jr^fiodoxog,  Siav^og,  'EQV^i'ag,  ^AXxvtiv*) 
noch  mehrere  andere,  deren  Echtheit  erst  die  neuere  Kritik  angefochten  hat 

Der  0€dYfjc  ist  eine  plumpe  Nachbildung  des  Laches,  worin  das 
Daimonion  des  Sokrates  zum  wahren  Zerrbild  geworden  ist.^) 

*AlxißidSrjq  d  knüpft  an  den  Protagoras  und  die  Liebe  des  Sokrates 
zu  Alkibiades  an.  Der  Dialog  stand  als  Fürstenspiegel  in  grossem  An- 
sehen bei  den  Späteren,  so  dass  keine  Schrift  des  Piaton  öfter  kommen- 
tiert wurde.  Gut  und  echt  sokratisch  ist  die  Weise,  wie  Sokrates  dem 
jungen  Alkibiades  zu  Gemüte  führt,  dass  er,  bevor  er  als  Berater  des  Volkes 
auftreten  dürfe,  zuerst  über  das,  was  gerecht  (dixaiov)  und  nützlich  (cv/ii- 
9>£^oi')  ist,  mit  sich  ins  reine  kommen  müsse.  Aber  der  Ton  und  die 
Sprache  lassen  doch  durchaus  die  Feinheit  des  Piaton  vermissen.^)  Ver- 
fasst  wurde  der  Dialog  nach  dem  Frieden  des  Antalkidas  (p.  105  c,  120a) 
zur  Zeit  des  Bündnisses  von  Athen  und  Sparta  gegen  Theben  (p.  121a) 
um  874,  vielleicht  im  Anschluss  an  Xenophon,  Mem.  III  6,  1. 

'AXxißidSrjg  ß"  empfiehlt  den  Brauch  der  Lakedämonier,  Gott  einfach 
um  das  Gute  zu  bitten,  in  Übereinstinmiung  mit  Xenophon,  Mem.  I  3,  2; 
eben  diesem  haben  nach  dem  Zeugnis  des  Athen,  p.  506  c  einige  geradezu 
den  Dialog  zugeschrieben.  7) 

^Inniag  fAsi^cov  schildert  gleichsam  als  Ergänzung  des  Protagoras 
mit  vieler  Feinheit  und  mit  dankenswerter  Sachkenntnis  das  aufgeblasene 
Wesen  der  Sophisten.  Ähnlich  aber  wie  im  ersten  Alkibiades  thut  Sokrates 
in  diesem  Dialoge  dar,  dass  es  nicht  angehe,  über  schöne  Einrichtungen 
(rcr  xaXd)  viele  Reden  zu  halten,  wenn  man  nicht  zuvor  darüber  mit  sich 
ins  klare  gekommen  sei,  was  das  Schöne  ist.  Ist  der  Dialog  unecht,^) 
so  muss  man  jedenfalls  zugeben,  dass  sein  Verfasser  sich  gut  in  den  Geist 
und  die  Methode  der  platonischen  Sokratik  hineingearbeitet  hat. 

"innaQxog  interessiert  uns  zumeist  durch  die  Nachrichten  über  die 
litterarische  Thätigkeit  des  Peisistratiden  Hipparchos.  Der  Hipparch  unseres 
Gesprächs  wird  von  Sokrates  über  das  Wesen  des  <ip»Aox€^d»;g  examiniert, 
wobei  die  griesgrämige  Schulmeistermanier  des  Sokrates  himmelweit  von 
der  feinen  Ironie  des  platonischen  Sokrates  abweicht. 


M  Aeüan  V.  H.  II  42  u.  XII  30;  Diog. 
in  23;   Plut.  Vit.  Luc.  2,  ad  princ.  inert.  1. 

«)  Plut.  adv.  Col.  32. 

')  Im  Axiochos  ist  die  Lehre  Piatons 
der  epikureischen  gegenübergestellt.  Einen 
Axiochos  und  Alkibiades  schrieb  auch 
Aischines.  —  Analyse  des  Axiochos  gibt 
iMMiscH,  Phü.  Stud.  zu  Plato,  1.  Heft,  1896. 

*)  'AXxvmy  steht  unter  Lukians  Werken; 
nach  Athen.  506  c  schrieben  ihn  andere  dem 
Akademiker  Leon  zu.  Dass  er  zur  Zeit  der 
Stoa  im  2.  Jahrb.  v.  Chr.  entstanden,  be- 
weist Aug.  Brinkmann,   De  dialogis  Piatoni 


falso  addictis,  Diss.  Bonn  1891. 

^)  Zu  vergleichen  ist  Xenoph.  ConT. 
8,  5  und  Plutarch  de  genio  Socratis. 

")  Schauerliche  Hiaten,  wie  p.  105  a 
xtti  si  ttv  aot  et  nov  6  avrög.  Maoyig,  Ad- 
vers, crit.  I  402  Anm.  verwirft  den  Dialog, 
zugleich  aber  auch  den  Charmides,  Lysis 
und  Laches. 

')  Abweichimgen  vom  Sprachgebrancb 
des  echten  Piaton  verzeichnet  üsshbk,  Nachr. 
d.  Gott.  Ges.  1892  S.  48. 

8j  Die  Echtheit  verteidigt  C.  Fr.  Hrat- 
HANK,  Plat.  Phil.  487  ff. 


4.  Die  Plülosophen.    o)  Flaton.    (§  308.) 


451 


Msvs^svog  knüpft  an  die  Beratung  der  Ratsversammlung  über  die 
Wahl  eines  Redners  zu  Ehren  der  im  Krieg  Gefallenen  an,  wobei  Sokrates 
nach  kurzem  dialogischen  Vorspiel,  dem  ein  ebenso  kurzes  Nachspiel  ent- 
spricht, sich  dazu  hergibt,  das  Muster  einer  solchen  Grabrede,  welche  er 
Ton  der  Aspasia  gehört  haben  will,  zum  Besten  zu  geben.  Mit  kecken 
Anachronismen  werden  darin  Dinge  berührt,  die  längst  nach  Aspasias  Tod 
vorgefallen  sind  und  der  unmittelbaren  Gegenwart  angehören.  Aus  diesen 
Anachronismen  erhellt,  dass  die  Rede  nach  dem  korinthischen  Krieg  ^)  ge- 
schrieben ist.  Aristoteles  kennt  dieselbe  bereits  und  bezieht  sich  zweimal 
auf  sie  (Rhet.  I  9  und  in  4),  aber  ohne  den  Verfasser  zu  nennen.  Diony- 
sios  erkennt  sie  als  echt  an  und  stützt  sich  in  der  Schrift  über  die  Rede- 
gewalt des  Demosthenes  c.  24 — 32  hauptsächlich  auf  sie,  um  die  Inferio- 
rität des  Piaton  gegenüber  Demosthenes  darzuthun.  Schwerlich  aber  hat 
Piaton  auch  nur  im  Scherz  es  unternommen,  dem  Lysias  und  den  Rhetoren 
seiner  Zeit  ein  Musterstück  und  dazu  eines  von  so  zweifelhaftem  Werte 
entgegenzustellen.  >) 

Die  ^Eqaaiai  haben  den  Namen  von  den  Geliebten  zweier  Knaben, 
mit  denen  Sokrates  in  der  Schule  des  Grammatikers  Dionysios  das  Thema, 
dass  Philosophie  und  Vielwissen  zwei  ganz  verschiedene  Dinge  seien,  mit 
entlehnten  Phrasen  bespricht.^) 

KXBiTo^pmv  schliesst  sich  an  die  Politeia  an,  passt  aber  eher  in  den 
Mund  eines  Gegners  der  platonischen  Staatslehre  als  des  Piaton  selbst.^) 

'EfnvofAig  soll  als  Schlussstein  der  Gesetze  die  Erziehung  zur  Weis- 
heit enthalten;  aber  der  pythagoreische  Zahlenmystizismus  und  die  un- 
platonische  Sprache  lassen  über  die  Unechtheit  keinen  Zweifel.  Einige 
schrieben  nach  Suidas  die  Schrift  dem  Philippos,  dem  Herausgeber  der 
Gesetze,  zu.^) 

Mtvwg,  ein  geschmackloser,  eher  eines  Grammatikers  als  eines  Philo- 
sophen würdiger  Dialog,  wurde  von  dem  Grammatiker  Aristophanes  mit 
Nomoi  und  Epinomis  zu  einer  Trilogie  zusammengefasst.  Den  Namen  hat 
er  von  Minos,  der  als  Gesetzgeber  in  die  fade  Untersuchung  über  das 
Wesen  des  Gesetzes  hereingezogen  wird.  Entstanden  ist  der  Dialog  erst 
nach  dem  Tode  des  Philosophen  um  339.^) 

Briefe  sind  uns  unter  Piatons  Namen  18  erhalten,  oder  vielmehr  12, 
da  der  erste  nicht  von  Piaton,  sondern  von  seinem  Freunde  Dion  an  den 
König  Dionysios  gerichtet  ist.  Die  Sammlung  ist  aus  verschiedenen  Be- 
standteilen zusammengeflossen,  wie  man  schon  daraus  sieht,  dass  der 
13.  Brief,  wiewohl  er  an  Dionysios  gerichtet  ist,  nicht  bei  den  übrigen 
anf  sikilische  Verhältnisse  bezüglichen  Briefen  (1—8)  steht.     Die  meisten 


*)Meii.  3456. 

')  Fttr  die  Echtheit  spricht  sich  aus 
Bu88,  Att  Bereds.  U  431  ff.,  und  Dibls, 
I(m  3.  Bach  der  anst  Rhetorik  21  ff.;  yon 
anem  flüchtig  hingeworfenen  Scherz  Piatons 
Bpricht  Bbbok,  Gr.  litt  IV  460.  Einen  Dia- 
log ABpasia  achrieb  Aiachines. 

*)  In  Plat  Stad.  56  f.  wies  ich  nach, 
datB  nach  einer  Stelle  unseres  Dialoges  p. 


135  e  der  Grammatiker  Aristophanes  von  By- 
zanz  den  Beinamen  nevxa&Xoy  erhielt. 

^)  EuKEBT,  Quae  inter  Clitophontem  et 
Plat.  Rempublicam  intercedat  ratio,  Gryph. 
1881. 

»)  Zbllek,  Phil.  d.  Griech.  II»  891  ff. 

^)  BoECKH,  Comm.  in  Platonis  Minoero, 
Halis  1806;  üsenee,  Organisation  der  wiss. 
Arbeit,  Preuss.  Jahrb.  53,  20. 

29* 


452  aiieohuiehe  LüteratnrgeMhiohte.    L  KlMsisohe  Periode. 

und  längsten  der  Briefe  betreffen  die  Beziehungen  Piatons  zu  den  Macht- 
habem  Sikiliens  und  dienten  den  Parteiinteressen  der  Anhänger  Dions; 
aber  gerade  diese  sind  trotz  der  vielen  Detailangaben  entschieden  unecht 
Die  im  2.  und  7.  Brief  (p.  312  d  und  341  f)  ausgesprochene  Anschauung, 
dass  Piaton  seine  Lehren  über  die  letzten  Dinge  nicht  durch  die  Schrift 
veröffentlicht,  sondern  für  enge  Kreise  von  Eingeweihten  zur  bloss  münd- 
lichen Darlegung  vorbehalten  habe,  ist  aus  jener  Geheimniskrämerei  her- 
vorgegangen, die  erst  nach  Piatons  Tod  mit  dessen  Lehre  getrieben  wurde. 
Die  Stelle  im  8.  Brief  p.  353  e  von  dem  drohenden  Untergang  der  helleni- 
schen Zunge  durch  die  Herrschaft  der  Punier  und  Opiker  klingt  wie  ein 
augurium  ex  eventu  aus  der  Zeit  nach  dem  Pyrrhuskriege  (280).  Aber 
deshalb  brauchen  noch  nicht  alle  Briefe  unecht  zu  sein ;  die  Echtheit  des 
für  Piatons  Charakter  und  Lehre  hochwichtigen  13.  Briefes  habe  ich  Plat. 
Stud.  25  ff.  nachzuweisen  gesucht;^)  doch  scheinen  auch  in  diesen  unechte 
Zusätze,  wie  über  das  Merkmal  ernst  gemeinter  und  konventioneller  Briefe 
(p.  363  b),  eingeschoben  zu  sein. 

3<)9.  Der  Gesamtcharakter  und  die  Lehre  Piatons.')  Wenn 
wir  statt  die  Lehre  Piatons  im  allgemeinen  darzulegen,  so  lange  bei  den 
einzelnen  Schriften  verweilten,  so  hat  dieses  seinen  nächsten  Grund  in  der 
speziellen  Aufgabe  einer  Litteraturgeschichte,  die  sich  mit  der  einer 
Geschichte  der  Philosophie  nicht  deckt.  Aber  auch  zum  Verständnis 
des  Wesens  der  platonischen  Philosophie  wird  fast  mehr  ein  ein- 
gehendes, liebevolles  Hineinleben  in  seine  einzelnen  Schriften,  als  eine 
zusammenfassende  Darlegung  seines  philosophischen  Gesamtsystems  ge- 
fordert. Piaton  lebte  noch  in  der  glücklichen  Zeit  der  kleinen  Bücher 
und  hatte,  wenn  er  durch  einen  äusseren  umstand  veranlasst  oder  durch 
momentane  Schaffenslust  getrieben,  bald  seinen  teueren  Lehrer  gegen  un- 
gerechte Angriffe  in  Schutz  nahm,  bald  die  Waffen  der  Polemik  gegen  die 
Aufgeblasenheit  der  Sophisten  oder  die  Streitsucht  der  Eristiker  kehrte, 
bald  herz-  und  geisterhebende  Scenen  eines  athenischen  Gastmahls  vor- 
führte, nicht  immer  zugleich  den  Plan  eines  grossen,  nach  und  nach  im 
einzelnen  auszubauenden  philosophischen  Systems  vor  Augen.  Er  war 
ausserdem  nicht  gleich  im  Anfang  seines  schriftstellerischen  Auftretens  mit 
seiner  philosophischen  Lebens-  und  Weltauffassung  bereits  fertig;  er  empfing 
nicht  bloss  im  Laufe  der  Zeit  neue  Anregungen  von  aussen,  von  den  Me- 
garikern,  Eleaten,  Pythagoreern,  er  stiess  auch  vielfach  erst  im  Ausar- 
beiten seines  Systems  auf  Schwierigkeiten,  die  er  nicht  vorausgesehen 
hatte,  und  die  ihn  zur  Modifikation  und  Ergänzung  seiner  früheren  Auf- 
fassungen nötigten.')     Sicher  liegt  der  Glanzpunkt  Piatons   nicht  in   dem 

M  Dagegen  erheben  Einsprache  Zbllbb,  Tübingen  1896. 

Gesch.  d.  gr.  Phil.  11^  1,  483  und  Süskmihl,  •)  Tim.  p.  48e:  ra  /liy  ya^  dvo  Ixavn 

AL  Lit.  11  582.  rjy  tni   zoTg  ifiTtgoa^sy  X^j^dstcir,  iy  ftit^  wg 

*)  üeber  das   System   Piaions  handeln  TtaQu^ely/aaiof   ctdog   vnoisSey,    yoijror   xai 

TsTiNEMAHN,    System    der   plat.   Philosophie,  nei  xal  xaid   ratha   oy,   fii^tifAtt   di  na^a- 

1792,    4  Bde. ;    Heusde,    Initia    philosophiae  |   ^eiy/aarog,  ^sviSQoy  yiyicty  i/oy  xai  ogatoy  • 

Platonicae,   Utrecht  1827,  5  Bde. ;   Ribbiuo,  i   rgitoy  de  tote  fiiy  ov  dieiXo^ueSa  yofn'cayiei 

Genetische   Darlegung   der  plat.  Ideenlehre,  '   »^«  <^*'o  ^■f«*»'  Ixaywq,   vvy  di  o  Ao/oc  eoixer 

1>^63,  2  Bde.;    Pkipkbs,  Ontologia  Platonica  i   eiaayayxäCeiy    /«A«tioV    xcu    «r^vd^or   eldos 

18^3,  2Bde;  Pflbidebeb,  Sokrates  und  Plato,  I   i7iixei(>eiy  Xoyois  ifiipttylcm.    Was  hierPk- 


4.  Die  Philosophen,    o)  Platon.    (§  809.)  453 

Ganzen  seines  Systemes,  das  eben  schon  dem  Aristoteles  viele  und  be- 
denkliche Angriffspunkte  darbot,^)  sondern  in  der  Kunst  seiner  einzelnen 
Dialoge.  Aber  selbstverständlich  gehört  zur  vollen  Würdigung  Piatons  auch 
die  Entwicklung  seines  Systems. 

Platon  also  ist  gleich  im  Anfang  ausgegangen  und  immer  wieder 
Zurückgekehrt  zum  Unterschied  der  zwei  Welten,  der  Welt  der  im  ewigen 
Fluss  begriffenen,  sinnlichen  Erscheinungen  und  der  Welt  der  ewig  sich 
gleich  bleibenden,  allein  wahrhaft  seienden  Ideen  (eiSrj  oder  tSeai).  Der 
Unterschied  hat  sich  ihm  aus  der  Methode  seines  Lehrers  Sokrates  und 
aus  erkenntnistheoretischen  Untersuchungen  ergeben:  ein  Wissen  {imaxrj^rj) 
gibt  es  nur  von  dem  stets  sich  gleich  Bleibenden,  dem  Wesenhaften  der 
Dinge;  die  Sinneswahrnehmungen  oder  die  Eindrücke,  welche  die  veränder- 
liche Welt  der  Erscheinungen  auf  uns  übt,  führen  nur  zu  einem  Meinen 
((fdjflf),  keinem  Wissen  {smiXTrjfirj).  Dass  der  Begriff  {oqoc)  eines  Dinges 
verschieden  sei  von  den  einzelnen  Erscheinungen  des  Dinges,  hatte  bereits 
Sokrates  richtig  erfasst,  Platon  ging  aber  darin  über  seinen  Lehrer  hinaus, 
dass  er  diesen  Begriffen  oder  Formen  (eiSrj)  der  Dinge  ein  Sein  für  sich, 
neben  und  über  der  sichtbaren  Welt  gab  (Transcendenz).*)  Ausgebildet 
liegt  dieses  Zweiweltensystem  bereits  im  Phaidros  vor;  hier  wird  auch 
bereits  das  Verhältnis  beider  dahin  bestimmt,  dass  die  Dinge  dieser  Welt 
nur  Abbilder  (sidtoXa)  der  Ideen  sind,  was  leicht  zu  dem  weiteren  Satze 
hinöberleitete,  dass  dieselben  überhaupt  nur  insofern  sind,  als  sie  an  der 
Idee  teilhaben.  3)  Die  Mängel  dieser  Lehre  traten  erst  zu  Tag,  als  Platon 
dieselbe  zu  einem  System  zu  erweitern  und  aus  jenen  Grundbegriffen  die 
ganze  Welt  zu  konstruieren  versuchte.  Schon  das  Hinausgehen  über  die 
Sphäre  des  Ethischen,  in  der  zuerst  solche  allgemeine  Begriffe  gewonnen 
worden  waren,  führte  zu  Schwierigkeiten  und  nötigte  Platon  das  paradoxe 
Zugeständnis  ab,  dass  neben  den  einzelnen  Menschen  ein  Idealmensch 
(aiioav^Qwnog)  und  neben  den  einzelnen  Tischen  ein  Idealtisch  (avror^a- 
TTffa)  existiere.  Weitere  Schwierigkeiten  machte  der  Begriff  des  Guten 
und  Einen,  da  doch  eigentlich  das  avzodyaxhov  und  avxo  i'v  nur  die  Be- 
deutung einer  von  vielen  Ideen  hatte,  von  Platon  aber  zur  Geltung  des 
obersten  Prinzips  oder  Gottes,  an  dem  wieder  alle  Ideen  teil  hätten,  er- 
hoben wurde.*)     Vollends  bei  der  Weltschöpfung  gerät  unser   Philosoph 

ton  von  dem  vorderen  Teil  des  Dialogs  sagt, 
giH  zugleich  von  der  früheren  Periode  seines 
Lebens. 

»)  Namentlich   in   Met  A  9   u.  M,   N. 
Aristoteles  geht  in  seiner  Polemik  allerdings   I   xai  ov  xmy  aia^ijnSy  •  d^vvaxov  ydq   elvai, 
^(Hi  der  spftteren,   nicht  schriftlich   nieder-   |    tov  xoivov  öqov  xmy  aia9rjttSy  riyog,  del  ys 


ov^iv,  iy  fjLiyto^  rovroig  ro  xa&oXov  ^fjrovyros 
xai  negi  oqmfjuay  iniajijaaytog  nQiütov  Ttjv 
didyoiay,  ixetyoy  dnodc^dfieyog  did  ro  loiovxoy 
vneXaßey  ug  negl   hegtoy  rovio  yi,yv6(j,BPoy 


gelegten  Lehre  Piatons  aus,  aber  viele  der 
Angriffe  treffen  auch  die  Gestalt  der  Ideen- 
lehre,  wie  sie  nns  in  den  erhaltenen  Dialogen 
Tortiegtw 

*)  Arisi.  Met  A  6 :  ^x  yiov  ffvyij&tjg  ye- 
nfiirog  (sc.  Jlkdrioy)  TtQtSzoy  Kgatvlt^  xai 
"K  'HgaxXettsioig  do^aig,  tig  dndvxtay  ra>y 
fi^dijTtoy  aei  ^Boytaty  xai  iniCTtjfÄtjg  negi 
«Ptmy  ovx  ovcijg,  tavra  fiiy  xai  vfftegoy 
^wg  vniXaßey  '  ItoxQaxwg  &k  negl  fiky  td 
i^ixd  nqayfJtajBvofiiyov,  iebqI  di  x^g  qivcswg 


f^etetßa'AXoyttoy  .  ovt ojg  (ihy  ovv  td  roiavta 
rtoy  oyxfay  ideag  nQocrjyoQSvce^  rd  6*  aiaSrjrd 
nagd  ravta  xai  xaxd  xavta  Xiysa&a^  ndvxa, 

•)  Plat  Phaed.  p.  100c:  (palyexai  ydg 
jUOt,  st  xi  iaxiy  dXXo  xaXoy  nXrjy  avxo  xo 
xttXoy,  ovdi  dl*  l^y  aXXo  xaXoy  Biyai,  rj  dioxi 
fjLBxixB^  ixBLvov  xov  xuXov.  Dagegen  Aristot 
Met  A9  p.  991*  9  ff. 

*)  Plat  Phaed.  p.  97  c:  'Jya^ayogov  X^- 
yoyxog  <og  dga  yovg  iaxiy  6  dtaxoc/juoy  tb 
xai  ndyxtoy  aXxiog,  xavxjn  dtj  rp  alxitf  ijc^tjy  i 


3 


454 


OrieohiBche  Liiieratiirgascliiohte.    L  KUMisohe  Periode. 


auf  den  doppelten  Abweg,  einmal  den  Schöpfer  sich  ganz  in  der  Art  der 
anthropomorphen  Religion  des  Altertums  als  einen  nach  einem  Vorbild 
schaffenden  Menschen  vorzustellen,  und  dann  denselben,  damit  er  über- 
haupt aus  dem  unendlichen  Raum,  dem  grossen  Enetstoffe  {ixfiayeiov), 
etwas  formen  könne,  mehr  mit  Zahlen  und  geometrischen  Figuren  als 
mit  begrifflichen  Ideen  operieren  zu  lassen. 

Entschieden  glucklicher  war  Piaton  mit  seiner  Ideenlehre  auf  dem 
Gebiet  der  Ethik  und  Politik;  hier  blieb  er  eben  mit  den  Ideen  in  dem 
Kreise,  aus  dem  dieselben  hervorgegangen  waren.    Wenn  er  die  Unsterb- 
lichkeit der  menschlichen  Seele  begründet  und  in  der  aufleuchtenden  Er- 
kenntnis einer  Wahrheit  nur  ein  Rückerinnem  an  ein  früheres  Leben  sieht, 
wenn  er  den  irdischen  Leib  {üoSfia)   als  ein  Yerliess  {c^fJia)  fasst,   in  das 
hienieden  die  unsterbliche  Seele  gebannt  sei,  wenn  er  die  im  Kopfe  sitzende 
Weisheit  {Xoykttixov)  als  herrschende  Macht   den  zwei  anderen,  mit  dem 
Körper  enger  verbundenen  Teilen  der  Seele,  dem  &vfio€iiäg  und  im&vfAij" 
%ix6v,  gegenüberstellt,  wenn  er  endlich  den  Weisen  auch  im  Staate  zur 
Herrschaft  über  die  Krämer  und  Bauern  berufen  erklärt,  so  stützt  er  sich 
hier  überall   auf  jene   Grundanschauung   von   der   alles   Sinnliche   über- 
strahlenden Hoheit  der  Ideen.    Manche  werden  freilich  auch  diese  Sätze 
nicht  gelten  lassen,  und  dass  die  rauhe  WirkUchkeit  den  Praktiker  nötige, 
die  Forderungen  der  reinen  Idee  herabzustimmen,  hat  ja  Piaton  selbst  in 
seinen  Gesetzen  zugegeben.    Auch  wird  der  strenge  Denker  ebenso  in  dem 
die  Ethik,  wie  in  dem  die  Physik  betreffenden  Teile  der  Schriften  Piatons 
daran  Anstoss  nehmen,  dass  der  Philosoph  da,  wo  der  dialektische  Beweis 
versagt,  zu  dem  Mythus  seine  Zuflucht  nimmt.  ^)    Aber  immerhin   bleibt 
der  Idealismus  Piatons  der  leuchtende  Stern  in  dem  Streben  und  Hoffen 
der  Menschheit,  und  bleiben  seine  Werke  die  glänzendsten  Erzeugnisse  des 
hellenischen  Geistes,  in  denen  Tiefe  der  Gedanken  mit  farbenreicher  Schön- 
heit der  Sprache  in  glücklichster  Weise  gepaart  ist.    Schön  ist  dieses  aus- 
gedrückt in  einem  Grabepigramm  der  Anthologie  VH  62,   das  den  Adler 
die  Seele  des  Piaton  zum  Himmel  tragen  lässt. 

Ausser  der  philosophischen  Gesamtanschauung  kommen  bei  Piaton 
wie  bei  jedem  Schriftsteller  die  sprachlich  stilistische  Kunst  und  der  Um- 
fang des  realen  Wissens  in  Betracht.  Über  die  erstere  habe  ich  mich  be- 
reits oben  §  302  ausgesprochen :  Plato  ist  nicht  bloss  der  grösste  Meister 


TS  xal  idoS^  fioi  T^noy  uvd  bv  l/e/v  to  xov 
vovv  Eivai  ndvtfüv  aXx^ov^  xal  ijyrjaäfitjyf  ei 
10V&*  ovTOif  l/€ft,  ToV  ye  vovv  xoafiovyxa 
ndvxtt  xoofjisTy  xai  ixacxov  xi&iytu  xavxjj 
onjn  dy  ß^Xxiaxa  exn  xxX.  Rep.  VI  p.  509  b: 
ovx  ovaittf  oyxo^  lov  dya&oVf  aXX^  ixi  ine- 
XBiyt€  x^g  ovaiag  nQecßeitf  xal  dvydfASi  vneQ- 
^Xoyrog. 

^)  Solche  Mythen  sind  der  von  Prome- 
theus und  Epimetheus  (Protag.  320c  ff.),  von 
der  Beflügelung  der  Seele  (Phaedr.  246  a  ff.), 
von  der  Teilung  des  Urmenschen  in  Mann 
und  Weib  (Symp.  189  d  ff.),  von  der  Erzeu- 
gung des  Eros  (Symp.  203  a  ff.),  von  d«i  Er- 
lebnissen   des    Armeniers    Er    im    Jenseits 


(Rep.  614b  ff.),  von  den  wechselnden  WeÜ- 
perioden  und  dem  goldenen  Zeitalter  (Politie. 
269c  ff.,  Leg.  713b  ff.),  von  den  Aüantiden 
(Eritias  108  e  ff.),  von  der  SchOpfong  der 
lebenden  Wesen  (Tim.  41a  ff.).  Eäne  ähn- 
liche Bedeutmag  hat  die  schOne  Allegorie 
von  der  Höhle,  in  welcher  die  Menscheii 
nach  rflckwärts  gewandt  sitzend  nur  die 
Schattenbilder  der  Yorabergehenden  sehen 
(Rep.  514),  oder  der  Veigleidi  dee  Gatoi  nut 
der  Sonne,  durch  deren  erleuchtende  and 
schaffende  Kraft  die  Dinge  zugleich  eii:annt 
und  belebt  werden  (Rep.  509  b).  Vgl.  Hinan., 
Der  Dialog  I  259  ff. 


4.  Die  Philosophen,    o)  Piaton.    (§  810.) 


455 


des  Dialoges,  er  hat  auch  die  Reinheit  und  Schönheit  der  attischen  Sprache 
in  mustergiltiger  Vollendung  zum  Ausdruck  gebracht,  so  dass  er  den  Atti- 
kisten  der  römischen  Kaiserzeit  neben  Demosthenes  und  dem  Sokratiker 
Aischines  als  Hauptvorbild  galt.  Das  reale  Wissen  der  Griechen  stand 
zur  Zeit  Piatons  noch  nicht  auf  sehr  hoher  Stufe;  aber  was  auf  dem  Ge- 
biet der  Mathematik  und  Physik  damals  bereits  erforscht  war,  hat  er  sich 
eifrig  angeeignet  und  f&r  den  Ausbau  seines  Systems  in  subtiler,  wenn 
auch  wenig  fruchtbarer  Weise  verwertet.  *)  Für  die  Geschichte  und  die 
historische  Kritik  hatte  unser  Autor  wie  fast  aUe  Philosophen  des  Alter- 
tums wenig  Interesse;  auffällig  ist  seine  Kritiklosigkeit  in  litterarhistori- 
schen  Fragen:  er  bekannte  sich  nicht  bloss  in  litterarischen  Einzelfragen, 
wie  wir  oben  bei  Tyrtaios  und  Theognis  gesehen  haben,  zu  irrigen  Vor- 
urteilen, er  nahm  auch  aus  Voreingenommenheit  für  die  religiöse  Poesie 
die  Fälschungen  des  Onomakritos  als  echte  Schöpfungen  des  Orpheus 
gläubig  hin.  In  diesem  Gebiet  bezeichnet  Piaton  gegenüber  Herodot  einen 
entschiedenen  Rückschritt. 

310.  Die  Akademie.  Für  die  Fortpflanzung  der  Lehre  und  die 
Erhaltung  der  Werke  Piatons  sorgte  vor  allem  die  von  ihm  gestiftete 
Akademie,  die  sich  unter  verschiedenen  Wandlungen  bis  zum  Ende  des 
Altertums  erhielt.*)  Nächster  Nachfolger  Piatons  war  sein  Neflfe  Speu- 
sippos  (347 — 339),  der  die  Ideenlehre  seines  Lehrers  mit  der  Zahlenlehre 
der  Pythagoreer  verquickte,  indem  er  einerseits  das  Eins  und  die  Zweiheit  als 
die  Anfänge  {ccQxccfj  der  Zahlen  und  damit  alles  Seienden  hinstellte,  anderseits 
das  Gute  zum  Ziel  und  Schlussstein  (täXog)  des  Ganzen  machte.^)  —  Ähnliche 
Pfade  wandelte  dessen  Nachfolger  Xenokrates  aus  Chalkedon  (339 — 314), 
der  zuerst  die  3  Teile  der  Philosophie,  Dialektik  Physik  Ethik,  unter- 
schieden haben  soll  und  3  Stufen  des  Seins,  die  Welt  der  Sinne  {cdad-rjfcrj 
Qva(a)^  die  des  Geistes  (vorp:i^)  und  die  des  Himmels  oder  der  Gestirne  (rj 
to^affrrj  xai  avv&cTog,  7]  avxov  xov  ovgavov)  aufstellte.^)  —  Die  Reihe  der 
alten  Akademiker  beschliessen  Polemon,^)  Erates  aus  dem  Demos  Thria, 
Krantor,  die  sich  wieder  mehr  der  praktischen  Tugendlehre  zuwandten 
und  von  denen  sich  namentlich  der  letzte,  Erantor,  durch  sein  Erbauungs- 
buch über  den  Schmerz  {rts^l  Tiäv&ovg),  gerichtet  an  Hippokles  zum  Trost 
über  den  Tod  seiner  Einder,  einen  grossen  Namen  machte.^) 

In  der  Aikademie  wurde  auch  das  Studium  und  die  Eommentierung 
der  Werke  Piatons  sorgfaltig  gepflegt.  Während  aber  die  ältere  Zeit  sich 
auf  Schriften  über  sein  Leben  und  seine  Schriftstellerei  beschränkte,')  begann 


')  Siehe  oben  za  TimaioB  S.  446  Anin.  5. 

')  Man  nnteiBchied  die  Altere,  mittlere, 
und  neuere  Akademie  und  die  theologische 
Biehtong  der  Nenplatoniker.  Auch  ward  zur 
Zeit  des  Wiederanflebens  der  platoniflchen 
Stadien  in  der  Renaissance  gleich  wieder 
cnie  nene  Akademie  zu  Florenz  unter  der 
Leitmig  des  berOhmten  Uebersetzers  Piatons, 
Mttsiglio  Iicino,  gegründet. 

')  Erhalten  sind  von  Speusippos  Briefe, 
^inmter  einer  an  König  Philipp  unter  den 
£pisi  So<7aticorum  n.  30;  ttber  die  Echtheit 


harschen  Zweifel;  s.  Susemihl  AI.  Lit.  ü  586. 

*)  Sext.  Empir.  adv.  math.  VII  15  u.  147. 
Die  einzelnen  Schriften  sind  aufgezählt  bei 
Diog.  IV  11-14. 

Bj  Auf  dessen  Bekehrung  von  laderlichem 
Leben  zur  Philosophie  spielt  an  Horatius 
Sat.  I  3,  254. 

')  Das  Buch  ward  später  von  Cicero  in 
der  Schrift  Gonsolatio  und  von  Plutarch 
in  seiner  Trostrede  benutzt;  vgl.  Süsbhihl 
AI.  lit.  I  120  Anm.  567. 

^)  üeber  Speusippos  Lobrede  auf  Pia- 


456 


Orieohlsohe  Litteratnrgeaohiohte.    I.  Elassiache  Periode. 


mit  der  römischen  Kaiserzeit  die  bücherreiche  Periode  der  Kommentare.  Zu- 
nächst beschäftigte  man  sich  mit  der  Erklärung  einzelner  dunkler  Stellen 
(kä^eig),  deren  es  ja  in  Piatons  Schriften,  namentlich  im  Timaios,  genug 
gab;  dann  folgten  Zusammenstellungen  dunkler,  später  aus  dem  Sprach- 
gebrauch verschwundener  Wörter  (y^wcrcrai),  zusammenhängende  Erläute- 
rungen (vTioiivj  naxa)  und  Einleitungen  («Mraywya/),  die  sich  namentlich 
gegen  Ende  des  Altertums  in  den  Schulen  der  Neuplatoniker  häuften. 

Spezialwörterbttcher  verfaflsten  Harpokration,  Zeitgenosse  Cftsars,  der  nach  Snidas 
Ai^eiri  nXdiwyoi  in  2  B.  schrieb;  Didymos  Areios  unter  Kaiser  Angostas«  aus  dessen 
Schrift  Ttegl  xtäy  naqd  nXaiatyi  dnogovfieytoy  Xe^etav  Millbr,  M^langes  de  litt,  grecqne 
p.  399—406  dürftige  Exzerpte  mitgeteilt  hat;  Boethos  (2.  Jahrh.),  dessen  £vyay»yij 
Xe(€(ay  nXartoyixtiy  Photios  Cod.  154  erwähnt  nnd  in  seinem  Lexikon  fleissig  benatzt  hat; 
Theon  Smyrnäus  aus  der  gleichen  Zeit,  dessen  Schrift  negi  ti6y  xard  ro  fiai^rjfitntxoy 
XQrjalfjLtoy  siq  irjy  Dkdrwyos  dydyytamy  Hillbr  in  Bibl.  Teubn.  herausgegeben  hat;  endlich 
Timaios  (3.  Jahrb.),  von  dem  uns  ein  kompendiarisches  Glossar,  n^qi  taiy  nagd  nXdrtiyi 
Xi^ewy  xatd  axoix^loy  erhalten  ist. 

Kommentare,  die  uns  nicht  mehr  erhalten  sind,  verf aasten  Potamon  (vor  Aagustos, 
nach  Suidas)  zur  Politeia,  Galvisius  Taurus  (2.  Jahrh.)  zu  Gorgias  (s.  Gellius  VII  14,  5), 
Seyerus  und  Atticus  (s.  Müll  ach  FPG  III  175—205),  Plutarch  negl  rrjg  iy  Ttfiam 
%l}vxoyoviag,  und  Galen  zu  Timaios.  —  Im  4.  und  5.  Jahrh-  waren  die  Hauptkommentatoren: 
Herme ias,  Schüler  des  Sjrian,  dessen  weitschweifigen  Kommentar  zum  Phaidros  Ast, 
Lips.  1810  herausgegeben  hat;  Proklos,  von  dem  Kommentare  zu  Alkibiades,  Kratylos, 
Parmenides,  Politeia  (Gomment.  in  remp.  ed.  R.  Scholl,  Berl.  1886,  eine  neue  Ausg.  nach 
Cod.  Vatic.  2197  von  Pitra,  in  Spicil.  Solesm.  t.  V;  dazu  Supplementa  ad  Procli  comment 
in  Plat.  de  rep.  libr.  von  Ric.  Reitzbnstbin,  Bresl.  phil.  Abb.  4.  Bd.)i  Timaios;  Olympio- 
doros,  der  ausser  einer  Lebensbeschreibung  Piatos  Kommentare  zu  Alkibiades,  Gorgias, 
Phaidon,  Philebos  verfasste,  welche  uns  zum  Teil,  aber  in  der  rohen  Gestalt  von  Kollegien- 
nachschriften vorliegen;  Albinos  (irrig  Alkinoos)  dessen  Eiaaytoyij  und  Aöyog  dtdairxaXiMog 
ttoy  nXdi(oyog  doyfAattoy  auf  uns  gekommen  sind.  Ausserdem  hören  wir  von  Kommentaren 
des  Longinos  zu  Phaidon;  des  Porphyrios  zum  Sophistes;  des  Syrianos  zu  Phaidon, 
Politeia,  Nomoi;  des  Damaskios  zu  Alkibiades. 

unsere  Schollen,  welche  aus  den  Randbemerkungen  der  Platonhandschrilten  allmfth- 
lich  von  SiEBENKEEs,  RuBNKEN,  G AISFORD  Zusammengetragen  wurden  und  zu  Gorgias  nnd 
Timaios  am  umfangreichsten  sind,  enthalten  Exzerpte  aus  philosophischen  Kommentaren, 
grammatische  Glossen  aus  Lexicis,  darunter  auch  aus  Diogenian,  Erläuterungen  aus  Spridi- 
w5rtersammlungen  und  geographischen  Verzeichnissen;  vgl.  Mettauer,  De  Plat.  scholiorom 
fontibus,  Zürich  1880;  Naber,  Proleg.  in  Phot.  lex.  I  54  ff.  u.  113  ff.;  Gohn,  Unters,  fiber 
die  Quellen  der  Platoscholien,  in  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  13  (1882)  771  -864.  ~  Im  Mittel- 
alter ist  bei  den  Griechen  in  Byzanz  das  Studium  des  Piaton  bis  auf  Psellos  (Krum- 
BACHER,  Byz.  Litt.^  436  u.  442)  brach  gelegen;  im  Abendland  studierte  man  fleissig  den  Ti- 
maus,  aber  nach  der  unvollständigen  Uebersetzung  und  Erklärung  des  Chalcidius  aus 
dem  5.  Jahrh.  (ed.  Wrobel,  1876).  Bei  den  Arabern  blühten  am  meisten  im  Mittelalter  die 
Piatonstudien  neben  denen  des  Aristoteles;  aus  ihnen  sind  zahlreiche  Uebersetzungen  und 
Kommentare  zu  den  Hauptdialogen  hervorgegangen,  wie  zur  Republik  von  Averroes. 

Die  Codices  gehen  auf  eine  Ausgabe  der  römischen  Kaiserzeit  zurück,  in  der  die 
Ordnung  der  Dialoge  nach  Thrasylos  befolgt  war;  die  besten  sind:  Clarkianus  (B)  ge- 
schrieben 895,  ehedem  auf  der  Insel  Patmos,  jetzt  in  Bibl.  Bodleiana;  derselbe  enthält  nur 
die  sechs  ersten  Tetralogien  (s.  Schanz,  Novae  comment.  105  ff.);  Parisinus  1807  {A)  s.  X, 
enthält  die  zwei  letzten  Tetralogien;  Venetns  s.  XII,  Hauptvertreter  der  zweiten  Familie 
in  den  sechs  ersten  Teiaralogien.  Die  Beschränkung  des  kritischen  Apparates  auf  diese  drei 
Codd.  führte  Sohanz  auf  Grund  neuer  Yergleichungen  durch,  während  Bekkbb  noch  eine 
zehnfach  grössere  Anzahl  von  Codd.  herangezogen  hatte,  und  auch  jetzt  noch  andere  Ge- 
lehrte, wie  Jobdan,  Wohlbab,  Kbal,  die  Heranziehung  von  mehreren  Godd.  zur  Fest- 
stellung der  Textesaberlieferung  fOr  nötig  halten,  üeber  einen  alten  Papyrus  des  Phaidon 
Usbkbb,  Nachr.  d.  Gott.  Ges.  1892  S.  25  ff. 

Ausgaben:  ed.  princ.  ap.  Aldum  1513;  ed.  Stephanus  1578  fol.  mit  Seitenabteüangen, 
nach   denen  gewöhnlich  citiert  wird;    mit  kritischem  Apparat  von   Ihm.  Bbkkbk,    London 


ton,  über  Hermodoros  Nachrichten  vom 
Leben  und  den  Schriften  seines  Lehrers,  so- 
wie  über  die  Ordnung   der  Werke  Piatons 


durch  Aristophanes  von  Byzanz,   siehe  oben 
§  302  und  übbebwbg  V  178  ff. 


4.  Die  Philosophen,    d)  Ariototeloa.    (§  31 1 .) 


457 


1826,  11  tom.;  von  Battbr-Obblli-Winokblhann,  Turici  1842,  2  pari,  in  4^;  von  Sohatiz, 
Lipe.  ed.  maior  et  min.,  noch  nicht  vollendet  mit  grundlegendem  krit.  Apparat;  mit  latein. 
Kommentar  in  Bihl.  Goth.  von  Stallbaum,  10  vol.,  in  neuer  Bearbeitung  von  Wohlkab- 
Apblt-Eboschbl;  TextauBg.  mit  Scholien  in  Bibl.  Teubn.  von  G.  Fr.  Hbrmann-Wohlbab.  — 
Dialog!  sei.  ed.  Hbindorf-Bottkann,  Berl.  1827.  —  Ausgewählte  Dialoge  mit  deutschem 
Eonmi.  von  Dbüschlb-Cron-Wohlrab  bei  Teubner;  von  Saüppb-Gbrckb  (Gorgias  u.  Protagoras) 
\L  ScBHELZBR  bei  Weidmann;  vonScBAirz  (Euthyphro,  Eriton,  Apologie)  bei  Tauchnitz.  —  iSnzel- 
snsgaben:  De  civitate  rec.  et  annot.  Chr.  Schneider,  Lips.  1833,  3  vol.;  von  Jowett-Cahp- 
BKLL  Oxford  1894,  3  vol.  —  Sympos.  in  usom  schol.  ed.  0.  Jahn,  ed.  II  cur.  Usbnbr  1875 
mit  kritischem  Apparat  und  Scholien;  von  Huo  mit  erklärenden  Anmerkungen,  2.  Aufl., 
Leipz.  1884;  von  Rbttio,  Halis  1875.  —  Sophista  u.  Politicus  von  Campbell,  Oxford  1867. 
—  Hartiv,  ^des  sur  le  Timöe,  Par.  1841,  2  Bde;  Abohbr-Hind,  The  Timaeus  of  Plato, 
London  1887.  —  Phaedms  cum  scholiis  Hermiae  ed.  Ast,  Lips.  1810.  —  Phaedo  explan. 
Wyttbnbach,  Lips.  1825.  —  Piatos  Gesetze  mit  Eommentar  von  Konst.  Ritter,  Leipz.  1896. 
Hflfsmittel  ausser  den  oben  §  299.  302.  303.  309  angeführten :  Lat.  Uebersetzung  von 
Fra»ü8,  Flor.  1483.  —  üebers.  mit  epochemachenden  E^eitungen  von  Schlbiebmachbr, 
3.  Aufl.  1861.  —  Uebers.  von  Hier.  Müller,  mit  guten  Einleitungen  und  mit  dem  Leben 
Platons  von  Steinhart,  Leipz.  1859.  —  Lex.  Platonicum  von  Ast,  Lips.  1838,  3  vol.;  eine 
Nenbearbeitong  vorbereitet  von  der  Hellenic  Society.  —  Tbupfbl,  Uebersicht  der  plat.  Litt.  1874. 

d)  Aristoteles  (884— 822). i) 
311.  Leben.  Aristoteles  ward  384  zu  Stagira,*)  einem  Städtchen 
der  thrakischen  Chalkidike,  geboren.  Sein  Vater  Nikomachos  war  Leib- 
arzt des  makedonischen  Königs  Amyntas  II;  von  ihm  hat  der  Sohn  die 
Liebe  zur  Naturforschung  geerbt, »)  durch  ihn  ward  derselbe  auch  in  Be- 
ziehungen zum  makedonischen  Königshause  gebracht.  Seine  Ausbildung 
erhielt  er  in  Athen,  wo  er  im  Umgang  mit  Piaton  20  Jahre  bis  zu  dessen 
Tod.  weilte  (367—347).  Er  hörte  also  den  Piaton  in  der  letzten  Phase 
seiner  philosophischen  Entwicklung,  wo  er  den  Timaios  und  die  Nomoi 
schrieb  und  bereits  zur  mystischen  Zahlenlehre  der  Pythagoreer  hinneigte. 
Es  ist  das  wichtig  zur  Deutung  der  uns  vielfach  befremdenden,  von  den 
erhaltenen  Schriften  Platons  abweichenden  Darstellung  der  platonischen 
Lehre  durch  Aristoteles,  wichtig  auch,  um  den  geringen  Grad  der  An- 
ziehungskraft zu  begreifen,  den  der  alternde  Piaton  auf  den  jungen  Ari- 
stoteles übte.  Der  Gegensatz  der  beiden  Naturen,  des  schwärmerischen 
Idealismus  des  einen  und  des  nüchternen  Realismus  des  andern,  trat  später 
anverhüllter  hervor ;  doch  zeigte  auch  dann  noch  der  Jünger  eine  gewisse 
Scheu,  gegen  den  Meister  zu  polemisieren,  wie  er  das  Eth.  Nie.  I  4  mit 
den  berühmten,  auf  einen  platonischen  Ausspruch  (Resp.  595  c;  cf.  607  c) 
gestatzten  Worten  ausdrückt:  afiffoiv  (i.  e.  dkrjO^siag  xai  IlXaicovog) 
ortotr  ffiXoiv  oaiov  ngorifiav  vtjv  ähjd^eiavA)     In  jüngeren  Jahren,    wo   er 


*)  Diog.  V  1 — 35,  der  aus  der  Mono- 
graphie des  Hermippos  und  Ariston,  Demetrios 
Magnes  Ttsgi  ofjitavvfiwv,  und  Apollodors 
Clironik  schöpfte.  Vita  Menagiana  (mit  deren 
ostem  Teüe  der  Artikel  des  Snidas  stimmt) 
QB^  Vita  Marciana,  beide  kritisch  berichtigt 
bd  Placb.  Hesych.  Mü.  p.  245—255;  mit  der 
letzteren,  die  wahrscheinlich  von  Olympiodor 
befrfihrt»  stimmt  wesentlich  überein  die  Vita 
Aristot.  von  Ps.  Ammonios.  Dionys.  Halic.  ep. 
ad  Amm.  15.  —  Neuere  Darstellungen: 
BüBLB,  Vita  Arist.  per  annos  digesta,  im 
1.  Band  der  Bipontiner  Ausg.;  Stahr,  Ari- 
stotelia,  Halle  1830-2,  2  Bde;  Lewbs, 
Aiistotie,   London  1864,  ins  Deutsche  über- 


setzt von  Garus,  Leipz.  1865;  Grotr,  Ari- 
stotle  (posthumes  und  unvollendetes  Werk), 
II  ed.  Lond.  1880;  Wilamowitz,  Aristoteles 
u.  Athen.  I  311  ff.;  Gercke  bei  Wissowa. 

^)  AeltereForm  des  Namens  ist  Stagiros. 

•)  Oncken,   Staatslehre  des  Arist.  I  3  ff. 

*•)  Spätere  stellten  in  erdichteten  Anek- 
doten das  Verhältnis  schlimmer  dar,  wie 
dass  Piaton  den  Arist  mit  einem  Füllen  ver- 
glichen habe,  das  gegen  seine  Mutter  aus- 
schlage (Diog.  7  2).  Aristoteles  selbst  be- 
zeichnet sich  noch  häufig  in  der  Metaphysik 
durch  den  Plural  Uyofiev  als  Glied  der 
platonischen  Familie.  Uebrigens  kann  man 
den  Aristoteles  nicht  von  dem  Vorwurfe  frei- 


458 


Qrieeliisohe  UtieraiiirgMMhiebie.    L  ¥liBiri«<^h»  Periode. 


seinen  Gefühlen  noch  freien  Lauf  in  poetischen  ErgQssen  liess,  hat  er 
seihst  voll  schwärmerischer  Bewunderung  in  einer  Elegie  an  Eudemos  des 
Mannes  gedacht,    den   selbst   zu  loben    den   Schlechten   nicht  zukomme 
(dvdQog  ov  ovi'  aivfVv  zoTai  xaxoiai  ^^/ui^).*)     Übrigens  war  er  nicht  jene 
20  Jahre  hindurch   nur  Schüler  und  Hörer  des  Piaton;  in  der  Akademie 
arbeiteten   die  jüngeren  Genossen  neben  dem  Meister  an  freigew&hlten 
Problemen   und   hielten    neben    dem  Schulhaupt   auch  selbst   in  engeren 
Kreisen  von  Schülern  Vorlesungen.     So  scheint  Aristoteles  schon  in  jener 
Zeit  Vorträge,*)  und  zwar  spezieU  über  Rhetorik  gehalten  zu  halten.  Zum 
Schüler  hatte  er   unter  andern  den  jüngeren  Theodektes,  dessen  Namen 
seine   erste  Schrift  über  Rhetorik   trug.^)     Bei  Errichtung   dieses  Kursus 
über  Rhetorik  wird  er  wohl  in  Gegensatz  zu  Isokrates  getreten  sein;  ob 
er  dabei  auch  den  Vers  gesprochen  ahxQov  <fi(anav,  ^coxqcnrj  S'iav  A^«»*) 
lassen  wir  dahingestellt  sein.    Schlecht  stimmt  dazu  die  Anerkennung,  die 
er  dem  Isokrates  in  seiner  Rhetorik  dadurch  erweist,  dass  er  mit  ausge- 
sprochener Vorliebe  aus  dessen  Reden  Beispiele  wählt. ^)    Übrigens  behan- 
delte er  nicht  bloss  die  Theorie  der  Beredsamkeit,  sondern  bildete  sich 
auch  selbst  zu  einem  Redner  von  überzeugender  Kraft  aus,  wie  Anti- 
pater  bei  Plutarch,  Alcib.  et  Coriol.  comp.  3  bezeugt. 

312.  Nach  dem  Tode  Piatons  (347)  verlebte  Aristoteles  zuerst  emige 
Jahre  bei  seinem  Freunde  Hermeias,  Herrscher  von  Atameus  und  Assos 
in  Mysien,  den  er  schon  bei  Piaton  kennen  gelernt  hatte  ^)  und  dem  er 
bis  zu  dessen  gewaltsamen  Tode  in  warmer  Liebe  anhing.  Seinem  An- 
denken widmete  er  eine  Statue  in  Delphi  7)  und  ein  weihevolles  Skolion, 
das  uns  zum  Teil  noch  erhalten  ist.  Auch  nahm  er  dessen  Nichte  und 
Adoptivtochter  Pythias  zur  Frau.  Im  Jahre  342  folgte  er,  nachdem  er 
vielleicht  inzwischen  (344 — 2)  noch  einmal  in  Athen  gewesen  war,*)  einer 
Einladung  des  Königs  Philippos  nach  Pella »)  zur  Übernahme  der  Erziehung 
seines  Sohnes  Alexander,  die  er  3  Jahre  lang  leitete,  gewiss  nicht  ohne 
in  seinem  königlichen  Zögling  die  hochstrebenden,  durch  die  Lektüre 
Homers  genährten  Gedanken  zu  wecken,  welche  derselbe  dann  später  in 
Thaten  umsetzte.     Auch  für  seine  Heimat  verwandte  er  seinen  Einflußs 


sprechen,  über  Stellen  Piatons  ungenau  be- 
richtet zu  haben;  so  hat  er  Polit.  IV  2 
p.  1289  *>  5  die  Worte  Piatons  PoUtik.  p.  303 
offenbar  verdreht 

^)  Die  Elegie  wird  angefahrt  von  Olym- 
piodor  zu  Plat.  Gorg.  166,  und  von  ihm 
ebenso  wie  vom  Verfasser  der  Vita  Marciana 
auf  Piaton  bezogen,  der  freilich  nicht  ge- 
nannt ist.  Bernats,  Ges.  Abh.  I  141  ff.  denkt 
an  Sokrates. 

*)  Von  Vorträgen  des  Aristoteles  wäh- 
rend der  Abwesenheit  Piatons  in  Sikilien 
spricht  Aristokles  bei  Euseb.  Praep.  ev.  XV  2. 

f)  Arist.  Rhet.  III  9:  «f  d'  ff>;^ot  twv 
nsQiodioy  (T/€dbV  iy  roTg  Geodexzsloig  i^fjgid^- 
(jttivxai.  Vielleicht  hatte  Theodektes  die  Vor- 
träge des  Aristoteles  veröffentlicht. 

^)  Diog.  V  3;  darin  'laox^äxrj  gebessert 
statt  des  überlieferten  SeyoxQaifj  nach  Oic. 


de  or.  m  35,  141  und  Quint  lü  1,  14. 

»)  Gegen  Isoer.  de  antid.  83  ist  ge- 
richtet Arist.  Eth.  Nie.  X  10,  p.  1181a,  15, 
wie  Spengel  herausgefunden  hat;  umgekdut 
scheint  Isoer.  Panath.  17  gegen  Aiistoteles 
zu  polemisieren;  s.  Reihhabdt,  De  Isocratis 
aemulis  p.  40  ff.  Bergk  u.  SoBemihl  setzen 
die  rhetorischen  Vorträge  des  Aristoteles  in  £e 
Zeit  seines  zweiten  Aufenthaltes  in  AAm 
in  den  Jahren  344—2. 

«)  An  Henneias  ist  der  6.  Brief  Platou 
gerichtet. 

')  Die  Inschrift  der  Statue  bei  Diog.  V  5. 

^)  Dieser  zweite  Aufentludt,  der  nicht 
bezeugt  ist,  wird  angenommen  von  Bbmk 
Rh.  M.  37,  359  ff. 

«)  Der  unechte  EinladongiBbrief  bei  Gd- 
lius  N.  A.  IX  3  u.  Plut.  Alex,  7. 


4.  Die  PhUoftophen.    d)  Aristoteles.    (§§  812—813.) 


459 


bei  dem  königlichen  Zögling,  indem  er  den  Wiederaufbau  der  von  Philipp 
zerstörten  Stadt  Stagira  erwirkte.  Nach  dem  Regierungsantritt  Alexanders 
siedelte  er  335  wieder  nach  Athen  über,  wo  er  durch  Vorträge  in  den 
schattigen  Umgängen  {ns^inaToi)  des  Gymnasiums  Lykeion,  das  von  der 
Statue  des  *An6lXfov  AvxBioq  benannt  war,  eine  eigene  Schule,  die  der 
Peripatetiker  oder  der  wandelnden  Jünger  gründete.  Nach  Gellius  XX  5 
hielt  er  2  Arten  von  Vorträgen,  des  Morgens  für  den  engeren  Zirkel  der 
vorgerückteren  Schüler  {axQoaficnixd)^  des  Abends  in  populärer  Form  für 
einen  grösseren  Kreis  von  Wissbegierigen  (i^anteQixa),^)  In  den  letzteren 
scheint  er  auch  wieder  seine  Unterweisungen  in  der  Rhetorik  aufgenommen 
zu  haben.  Nach  dem  Tode  Alexanders,  mit  dem  ihn  während  des  asiati- 
schen Feldzugs  die  Misshandlung  seines  Neffen  Kallisthenes  zeitweilig  ent- 
fremdet hatte,*)  ward  er  durch  die  antimakedonische  Partei  in  einen  Pro- 
zess  wegen  Gottlosigkeit  verwickelt,»)  dem  er  sich  durch  die  Flucht  nach 
Chalkis  entzog,  um,  wie  er  sagte,  den  Athenern  die  Möglichkeit  zu  be- 
nehmen, sich  zum  zweitenmal  an  der  Philosophie  zu  versündigen.  Dort 
in  Chalkis  starb  er  bald  nachher,  im  Spätsommer  322,  an  einem  Magen- 
leiden.*) Sein  Testament,  zu  dessen  Vollstreckung  er  den  Antipater  be- 
stinunte,  steht  bei  Diog.  Vll;  er  hinterliess  eine  Tochter,  die  er  dem 
Nikanor,  dem  Sohne  seines  ehemaligen  Vormundes  Proxenos  bestimmte, 
und  einen  Sohn  Nikomachos,  den  er  mit  einer  Concubine  HerpylUs  erzeugt 
hatte.  Die  scharfen  Züge  des  Denkers  hat  man  ehedem  in  einer  lebens- 
grossen  Statue  des  Palastes  Spada  (s.  Taf.  18)  erkennen  wollen;  aber  diese 
Annahme  beruht  auf  falscher  Voraussetzung.^) 

313.  Schriften  des  Aristoteles.  Der  staunenswerten  Vielseitig- 
keit und  unermüdlichen  Arbeitskraft  des  Aristoteles  entspricht  die  Zahl 
ond  der  Umfang  seiner  Schriften.  Es  ist  von  denselben  vieles  und  speziell 
von  den  systematischen  Werken'  nahezu  alles  auf  uns  gekommen;  aber 
die  populären  und  vorbereitenden  Schriften  sind  fast  sämtlich  verloren 
gegangen.  Über  die  Gesamtwerke  geben  uns  zunächst  die  Kataloge  Auf- 
fichhiss;«)  aber  diese  weichen  von  einander  ab  und  hängen  mit  den  Schick- 
aalen der  Schriften  des  Philosophen  zusammen.  Diogenes  V  22—  27  gibt 
ans  ein  Verzeichnis  von   146  Werken  in  445,270  Zeilen ')   und   ungfähr 


1)  Eine  Andeutung  dieses  Unterschiedes 
gibt  Aijstoteles  selbst  Polit.  p.  1278^  32 
Mi  ywp  iv  xoiq  i^toxeQixoic  Xoyoic  i^ogiCo- 
ut^  ne^i  ttvrtSy  noXXaxi^. 

*)  SpAtere  (Flut,  vit  Alex.  77,  Aman  7, 
27,  Flin.  nat.  hist.  30,  16)  massen  dem  Arist. 
^  Schuld  einer  Yergiftnng  Alexanders  bei, 
veabdb  der  -wahnwitzige  Tyrann  Caracalla 
ttch  C^Maras  Dio  77,  7  die  Werke  des  Arist. 
Teriirannte.  Von  grossen  ünterstützongen, 
velche  Alexander  dem  Arist.  für  seine  nator- 
^riasenscliaftlichen  Bestrebungen  zugehen 
üeas,  wissen  Plinius  N.  H.  VIII 16,  Athen. 
3Wc,  Aelian  V.  H.  IV  19  zu  erzählen. 

')  Zum  Verwand  diente  der  Pftan  auf 
Hermdas,  s.  Ath.  398 e;  Diog.  V  5;  Aelian 
V.  E  IV  19;  Plin.  N.  H.  VIÜ  16,  44. 

^)  Censorinus   de   die  nat.  14,  16;    von 


einer  Selbstvergiftung  fabeln  Diog.  V  6  u.  Vit. 
Menag. 

^)  Die  Reste  der  Inschriften  führen  eher 
auf  JPIITinnog,  Matz-Duhn,  Antike  Bild- 
werke in  Rom  I  n.  1174,  Stüdniczka,  Rom. 
Mitt.  V  (1890)  12.  Ausserdem  gehört  der 
Kopf  nicht  zur  Statue.  Ueber  das  Aeussere 
seiner  Gestalt  ein  Vers  der  Vit.  Menag.:  ofnxQoq 
(paXaxQog  jQavXog  6  jTayeiQiitjg^  Xuyyog  nQO- 
ydaxoiQ  naXXaxais  avyfjfifAsyog.  Vgl.  Stahb 
I  160  ff. 

')  Abgedruckt  in  der  akad.  Ausg.  des 
Arist.  V  p.  1463  ff. 

^)  Die  Zeilenzahl  gibt  Diogenes  oder 
gab  Hermippos  auf  Grund  stichometrischer 
Angaben,  wie  sie  seit  der  alexandrinischen 
Zeit  üblich  waren  und  zur  Festsetzung  des 
Honorars  der  Abschreiber  benutzt  wurden, 


460 


Griechische  Litteratiirgeschichte.    I.  KlaMieche  Periode. 


400  Büchern.*)  Dieses  Verzeichnis,  dessen  Titel  erheblich  von  denen  der 
Handschriften  abweichen,*)  enthält  vermutlich  den  Bestandteil  der  alexan- 
drinischen  Bibliothek  auf  Grund  der  Angaben  des  Litterarhistorikers  Her- 
mippos.')  Ihm  steht  ein  zweites  Verzeichnis  gegenüber,  das  weit  mehr 
Bücher  (1000  statt  400)  umfasst  und  auf  den  Peripatetiker  Andronikos, 
der  zur  Zeit  Giceros  auf  Orund  eines  neuen  Handschriftenfundes  eine  voll- 
ständigere Ausgabe  der  Werke  des  Aristoteles  besorgte,^)  zurückzugehen 
scheint.  Von  diesem  zweiten  Verzeichnis  kennen  wir  aus  griechischen 
Quellen^)  nur  die  Gesamtzahl  der  Bücher;  die  einzelnen  Titel  gibt 
die  arabische  Übersetzung  der  Schrift  eines  gewissen  Ptolemaios  über 
Aristoteles  und  seine  Schriften.^)  Mit  dem  neuen  Handschriftenfund  aber 
hat  es  folgende  Bewandtnis.^)  Nach  dem  Tode  des  Theophrast  war  dessen 
Bibliothek,  welche  natürlich  auch  die  Werke  des  Aristoteles  enthielt,  in 
den  Besitz  eines  gewissen  Neleus  aus  Skepsis  übergegangen.  Dessen  Erben 
verbargen  die  Handschriften  aus  Furcht  vor  der  Bibliomanie  der  Attaliden 
in  einem  Gewölbe,  wo  sie  den  Motten  und  dem  Moder  preisgegeben  blieben. 
Um  100  V.  Chr.  entdeckte  sie  dort  ein  reicher  Bücherliebhaber,  Apellikon 
von  Teos,  und  brachte  sie  nach  Athen.  Bei  der  Einnahme  der  Stadt 
durch  die  Soldaten  des  Sulla  kamen  auch  die  Bücher  in  die  Gewalt  des 
Siegers,  der  sie  nach  Rom  verbringen  liess  (86  v.  Chr.).  Dort  erkannte 
der  Grammatiker  Tyrannion  den  Wert  der  Bibliothek  und  veranlasste  den 
Peripatetiker  Andronikos  einen  Katalog  derselben  anzulegen.  Mit  diesem 
Handschriftenfund  nahm  das  Studium  des  Aristoteles,  dessen  Schriften  nun 
vollständig  und  in  besserer  Ordnung  publiziert  wurden,^)  einen  neuen  Auf- 


^)  In  der  Vita  Menagiana,  die  sonst  mit 
Diogenes  stimmt,  ist  ein  Nachtrag  angehängt, 
der  aus  einem  anderen  Katalog  stammt  und 
ungeschickterweise  mit  dem  ersten  Verzeich- 
nis verschmolzen  ist,  so  dass  nun  viele 
Werke  doppelt,  zum  Teil  mit  verschiedener 
Bucheinteilung,  verzeichnet  sind.  Die  übrigen 
Abweichungen  beruhen  zum  Teil  auf  Nach- 
lässigkeiten der  Abschreiber,  wie  wenn  bei 
Diogenes  die  Metaphysika  ganz  ausgefallen 
sind. 

*)  Der  Katalog  hat  UoXi^xixrj  dxQocKn^, 
wir  UokiTixti,  wir  ^'vacxij  axQoaaig,  der  Ka- 
talog *w<Ttx«.  Von  der  Schrift  itegl  ^vxvi 
kennt  der  Katalog  nur  1  B.,  von  der  r^x^V 
^ijTOQixtj  nur  2;  das  4.  Buch  der  Metaphysik 
ffihrt  er  gesondert  unter  dem  Titel  negl  rcJy 
7r(MT«/(Jc  Xeyofieywy  an. 

')  Diese  Annahme  stdtzt  sich  darauf, 
dass  Hermippos  ein  Buch  über  Aristoteles 
geschrieben  hatte,  und  dass  er  in  einem 
Scholion  am  Schluss  der  Metaphysik  des 
Theophrast  neben  Andronikos  als  Verfasser 
von  Katalogen  der  Schriften  des  Theophrast 
genannt  wird. 

^)  Von  Andronikos  wird  ein  liber  quin- 
tus  de  indice  librorum  Aristotelis  angeführt  i 
in   dem  arabischen    Katalog   imter   No.  90. 
Porphyr,  vit.  Plotini  24:  ^Ap^qov^xo^  6  ile^t- 
naxrjTixog   rn  'AQiaxoteXovg   xal  BeotpQdatov 


Big  ngayfitcteiag  disiXey.  —  Fälschlich  dem 
AndronÜcos  zugeschrieben  ist  die  Angabe 
'Af^Qovlxov  Ttegi  rd^etog  nonjtwyy  worüber 
CoHN,  Phil.  Abb.  zu  Ehren  von  Hertz  S.  130  ff. 

^)  Vita  Marciana  9;  David  in  Arist 
categ.  24  a,  18. 

")  In  der  akademischen  Ausgabe  p.  1469 
steht  die  von  Steinschnbidbb  angefertigte 
Rückübersetzung.  Jener  Ptolemäos  war  nach 
dem  arabischen  Berichte  Philosoph  in  Rom,  viel- 
leicht eine  Person  mit  dem  Ptolemäos  Ghennus. 
Genauere  Mitteilungen  gibt  Littig,  Andro- 
nikos von  Rhodos,  Progr.  München  1890. 

')  Strab.  p.  608  f.;  Plut.  Sulla  26.  Ken- 
fundiert  sind  die  Dinge  bei  Athenaios,  der 
p.  3  den  Ptolemaios  Phüadelphos,  p.  214 
den  Sulla  die  aristotelische  Bibliothek  des 
Neleus  erwerben  Iftsst. 

^)  So  kennt  das  neue  Verzeichnia,  wie 
unsere  Handschriften,  3  nicht  2  Büchca-  der 
Rhetorik,  3  nicht  1  B.  de  anima,  13  nicht 
10  B.  der  Metaphysik,  2  nicht  1  B.  der  Poetik. 
Die  Einteilung  der  Werke  in  Bücher  scheint 
nicht  von  Aristoteles  herzurühren:  der  Philo- 
soph selbst  würde  nicht  de  an.  1.  HI  und 
Polit.  1.  VIII  an  der  Stelle  begonnen  hahen, 
wo  sie  in  unseren  Handschriften  and  Ana- 
gaben  beginnen.  —  Die  VerOffentlichnng  des 
neuen  Aristoteles  geschah  wahrscheinlich 
durch  den  Grammatiker  Tyrannion  um  46  ▼. 


4.  Die  PhüoBophen.    d)  Ariatotolos.    (g  dl4.) 


461 


Schwung;^)   auf  die  neue  Ausgabe   geht  im  wesentlichen   die  Rezension 
unserer  Handschriften  zurück.') 

Die  Schriften  des  Aristoteles  zerfallen,  wenn  wir  von  den  poetischen 
Heinigkeiten  und  den  Briefen  absehen,  in  3  Kategorien,  in  Dialoge,  vor- 
bereitende Sammlungen,  systematische  Werke.  Sie  wollen  wir  der  Reihe 
nach  durchgehen,  indem  wir  gleich  im  voraus  bemerken,  dass  uns  von  den 
beiden  ersten  Klassen  nur  dürftige  Bruchstücke  erhalten  sind. 

314.  Die  populären  Schriften  und  die  Dialoge.»)  Die  uns  er- 
haltenen Schriften  gehören  alle  der  Kategorie  der  systematischen  Werke 
des  gereiften  Alters  an.  Diesen  waren  populäre  Schriften,  die  sich  in  ge- 
wählter Form  an  einen  weiteren  Kreis  von  Gebildeten  wandten,  und 
Sammelschriften,  welche  das  Material  für  die  Theorie  und  das  System  be- 
schafften, vorausgegangen.  Die  populären  Bücher  waren  mit  den  exoteri- 
schen  («'^coTc^txol  loyoi)  verwandt.  Aristoteles  verweist  selbst  einigemal 
auf  dieselben*)  und  gebraucht  für  sie  in  der  Poetik  p.  1454b  18  den  Aus- 
druck €v  ToTg  ixdeiofievoiq  loyoig.  Da  in  diesen  eine  leichtverständliche 
Beweisform  angewendet  war,  so  sprach  man  auch  im  weiteren  Sinne  von 
einer  exoterischen  Untersuchungsweise  {(rxtipig)  und  entwickelte  sich  daraus 
die  besonders  von  Andronikos  ^)  in  Umlauf  gebrachte  Unterscheidung  von 
einer  exoterischen,  an  das  allgemeine  Verständnis  gerichteten  Lehre  und 
einer  streng  wissenschaftlichen,  nur  für  enge  Kreise  von  Eingeweihten 
bestimmten  Theorie.  Jene  populären  Schriften  hatten  grösstenteils  die 
Form  der  dialogischen  Einkleidung,  was  auch  in  dem  Worte  ^oyoi  i^tatt- 
e*««  liegt,  da  man  unter  Xoyoi^  speziell  Dialoge  verstand ;  doch  fehlte  den- 
selben das  mimetisch  dramatische  Element,  und  waren  an  die  Stelle  kurzer 
Fragen  und  Antworten  lange  Vorträge  getreten,  in  denen  die  Sache  vom 
entgegengesetzten  Standpunkt,  ähnlich  wie  es  später  Cicero  that,  be- 
sprochen war.«)  Zu  ihnen  gehörten  der  Eudemos  über  die  Unsterblich- 
keit der  Seele,  ^)  die  3  Bücher  ncgl  ipiXoao<f(aq^  worin  die  Hauptsätze  der 


Chr.;  a.  Üsbukb,  Ein  altes  Lehrgebäude  der 
Phflologie,  Siteb.  d.  b.  Ak.  1892  S.  582  ff. 

')  Daher  heiBst  es  von  den  alexandri- 
Bischen  Katalogen  bei  Phüoponos  in  Categ. 
39a^  20:  iv  taig  TtaXaiaTg  ßißXiodijxnig. 

*)  Die  Rezension  unserer  Handschriften 
wd  aber  erst  am  Ende  des  Altertums  an- 
gefertigt and  enthftlt  einiges  erst  später  hin- 
zugekommene.    Dahin  gehören  negi  xoofjiov, 

*)  Aristot.  fragmenta  ed.  Val.  Rose  im 
^.  Bande  der  akad.  Ansg.,  Berl.  1870;  Val. 
Bmb,  Aristoteles  pseudepigraphus  (weil  die 
Sciltiften  maecht  sein  sollen),  Lips.  1863  und 
in  der  BibL  Teubn.  1886;  Hbitz,  Die  ver- 
Isreoen  Schriften  des  Arist,  Leipz.  1865. 

*)  Die  Stellen  bei  Bonitz,  Index  Arist. 
p.  104  f.;  wichtig  besonders  Metaph.  p.  1076  a, 
28:  ii9QvXi]rai  yag  td  noXXd  xal  vno  xüjv 
(^we^tJy  Xoymy,  Polit.  p.  1823  a,  22:  vofjtL- 
9nneg  oir   Ixaywg  noXXd   X^ysff^ai   xai    iy 


toi'g  i^toreQixoig  Xoyoig  nsgl  i^g  dgicTrjg  Cwiyf 
Vgl.  Stahr  II  287  ff.;  Bernays,  Die  Dialoge 
des  Aristoteles  im  Verhältnis  zu  seinen 
übrigen  Werken,  Berlin  1868.  Diels,  Ueber 
die  exoterischen  Schriften  des  Arist.,  Sitzb. 
d.  Berl.  Ak.  1888  S.  477  ff.;  vergl.  Süsemihl 
Jahrb.  f.  Ph.  128,  265  ff. 

'^)  Gellius  XX  5,  10;  durch  Andronikos 
ist  beeinflttsst  Cicero  de  fin.  V  5,  12 ;  ad  Att. 
IV  16,  2;  Strabon  p.  609;  Galen  de  subst. 
facult.  IV  758 ;  Alex.  Aphrod.  in  Arist.  Top. 
261a,  25;  Simplicius  386  b,  25.  Jene  Unter- 
scheidung spukt  schon  in  den  Briefen  Pia- 
tons. 

*)  H.  Schlottmann,  Ars  dialogorum  com- 
ponendorum,  Rostochii  1889  p.  19-25;  Hirzbl, 
Der  Dialog  I  272—300. 

^)  Dem  Andenken  des  Genossen  ge- 
widmet, der  353/2  im  Feldzug  des  Dion  gegen 
Dionysios  fiel;  Beiträge  zur  Erklärung  von 
Bbbnays  Ges.  Abh.  I  130-140. 


462 


Grieohiaoho  LitteratiirgMchiohte.    I.  KUssisohe  Periode. 


n^wtrj  (fiXoaotpia  entwickelt  und  zugleich  ein  Überblick  über  die  Geschichte 
der  Philosophie  gegeben  war,^)  ein  Buch  neQi  raya^ot,  das  sich  mit  dem 
vorgenannten  Dialog  berührte  und  speziell  die  pythagoreisch  gefärbte  Lehre 
Piatons  von  der  Idee  des  Guten  behandelte,  3  Bücher  negi  noir^rwv,  femer 
rgvllog*)  rj  ncQi  QrjtoQixfjg^  Mevä^evog^^)  Nr^Qiv&og,^)  nsQi  dixaioavvtfi,^) 
7i€Qi  €vy€V€iag,^)  nsgl  nmieiag^  negl  ^iXiag,  (fvfinociov  u.  a.  In  die  gleiche 
Klasse  populär-philosophischer  Bücher  gehörten  auch  die  beiden  Send- 
schreiben an  Alexander  nsQi  ßacriXeiag ')  und  ticq!  dnoixifov,  sowie  der  an 
Themison,  König  von  Kypern,  gerichtete  Protreptikos,  der  eine  Mahnung 
zum  Philosophieren  enthielt  und  von  Cicero  in  seinem  Hortensius  nach- 
geahmt wurde. 

315.  Sammelschriften.  Aristoteles  hat  seine  Theorie  in  Philo- 
sophie, Poetik,  Politik  auf  Grund  ausgedehnter  Voruntersuchungen  über 
die  geschichtlichen  und  thatsächlichen  Verhältnisse  aufgebaut;  seinen 
systematischen  Werken  {ngayfiaTetai)  gingen  daher  historische  und  philo- 
logische Vorstudien  voraus.  Schon  in  den  Dialogen  liebte  er  es,  seine  Sätze 
durch  Beispiele  und  historische  Rückblicke  zu  beleuchten,  wie  uns  dieses 
namentlich  die  Schriften  über  die  Dichter  und  die  Philosophie  zeigen. 
Dazu  kamen  nun  aber  noch  viele  andere  Bücher,  die  mehr  Exzerpten*) 
und  KoUektaneen  glichen,  als  zu  stilistisch  abgerundeten  Werken  verar- 
beitet waren.  Dieselben  scheinen  namentlich  in  den  philologischen  Kreisen 
Alexandriens  Verbreitung  gefunden  zu  haben,  während  viele  derselben, 
nach  dem  Katalog  des  Ptolemaios  zu  urteilen,  in  der  theophrastischen 
Bibliothek  des  Neleus  fehlten,  sei  es  nun,  weil  sie  zur  Philosophie  im 
engeren  Sinne  nicht  gehörten,  sei  es,  weil  sie  in  den  Kreisen  der  Einge- 
weihten nicht  für  aristotelisch  galten.^)  Einige  dieser  Materialiensanim- 
lungen  werden  im  Zusammenhang  mit  den  erhaltenen  systematischen 
Schriften  ihre  Besprechung  finden.  Hier  seien  die  grammatischen  und 
litterarhistorischen  Schriften  namhaft  gemacht :  ^ÄTioQrjfiava  ^OfAr^Qixa^  Jida- 


*)  üeber  üire  dialogische  Form  Bernats 
Ges.  Abh.  I  148  ff.;  oene  Beiiaräge  von  By- 
WATBB  Joum.  of.  Philol.  VII 64  ff.  Eine  Stelle 
daraus,  die  uns  Aristoteles  auch  als  Mann 
der  phantasievollen  Darstellung  kennen  lehrt, 
teilt  Cicero  de  nat  11  37,  95  mit.  A.  Dybopp 
Blätter  f.  bayer.  Gymn.  XXXII  (1896)  18  ff. 
sucht  nachzuweisen,  dass  die  Stellen,  welche 
Ghalcidius  c.  128  u.  254  aus  dem  angeblichen 
Philosophos  des  Piaton  anführt,  thatsächlich 
aus  unserem  Buch  des  Aristoteles  geflossen 
sind. 

^)  Gryllos  war  der  gefeierte  Sohn  des 
Xenophon;  die  auf  seinen  Heldentod  ge- 
schriebenen Lobreden  scheinen  den  Ausgangs- 
punkt des  Dialoges  gebildet  zu  haben. 

')  Der  Titel  erinnert  ebenso  wie  der 
loffiaxrjg,  üoXirixoq  an  Dialoge  Piatons. 

^)  Nerinthos  war  ein  Bauer  aus  Korinth, 
der  das  Feld  verliess,   um  Piaton  zu  hören. 

^)  Auf  diese  Schrift  bezieht  sich  nach 
der  Vermutung  Susemihls  Jahresber.  d.  Alt. 


X  1,  3  Piaton  in  den  Gesetzen  p.  860d. 

<)  Die  Echtheit  bestritten  bei  Plut  An- 
stid.  27,  verteidigt  von  Immisoh,  Comm.  Rib* 
beck.  78. 

"*)  Aus  ihr  leitet  eine  arabische  Schrift 
über  Königtum  ab  Nissek  Rh.  M.  47,  150; 
dagegen  Zsllbb  Archiv  f.  Gesch.  d.  PhiL  VI. 

^)  Im  Katalog  des  Ptolemaios  Nr.  15 
heisst  es  geradezu:  in  ^uo  abbreviavU  ser- 
nwnetn  Piatonis  =  Td  ix  r^g  noXixua^  Hla- 
xtoyog,  Exzerpte  werden  femer  gewesen  sein 
r«  ix  Tttiy  vofjitay  nXäztoyo^^  ix  tcJf  Tifudw 
xal  '^^/t>rot).  Kritische  Polemiken  enthidten 
die  Bücher  ngo^  rd  Fagyiov,  tt^o^  rd  Mi- 
Xiffcov,  TtQog  rd  'jXxfAaltayogy  7i§gl  tmy  17»- 
dayoQBiioy,   nsgl   fijs  '^^/ore/ov  ffUoaotfivfj 

7T€^    JrifJLOXQltOV. 

*)  Alle  diese  KoUektaneen  erklftrt  mit- 
samt den  populfiren  Schriften  Val.  Rosb, 
Allst,  pseudepigraphus,  für  unecht.  Viele 
mochten  bloss  unter  der  Leitong  des  Schol- 
hauptes  von  seinen  Schülern  angefertigt  f 


4.  Die  PhÜOBopheii.    d)  AriBtotelM. 


f  S15-316.) 


463 


üxaXim,  Uvd^iovtxai^  ^YnofAVT^fiata  IfTTOQixä.^)  Aus  der  Klasse  solcher 
historischer  Schriften  ist  auf  uns  gekommen  das  Buch  über  Melissos  Xeno- 
phanes  Zenon,^J  welches  aber  im  cod.  Yat.  R  dem  Theophrast  beigelegt 
ist')  Dasselbe  weicht  so  vielfach  von  den  Angaben  in  den  echten  Schriften 
unseres  Philosophen  ab,  dass  es  nicht  von  Aristoteles  herrühren  kann.^) 
Seinem  Charakter  nach  gehörte  hieher  auch  das  oft  citierte,  verloren  ge- 
gangene Buch  nänloq^  das  von  dem  bunten  Inhalt  seinen  Namen  hatte; 
auf  dasselbe  werden  wir  unten  im  Abschnitt  von  den  Gedichten  des  Ari- 
stoteles zurückkommen. 

316.  Die  systematischen  Werke.  Die  wichtigste  Stellung  nahmen 
unter  den  Schriften  unseres  Philosophen  diejenigen  ein,  in  welchen  er  seine 
Lehre  im  Zusammenhang  und  in  streng  wissenschaftlicher  Weise  vortrug ; 
sie  Messen  äx^oaCHg,  weil  sie  von  Aristoteles  seinen  Vorträgen  zu  gründe 
gelegt  wurden,^)  oder  n^ayfiaxeTai^  weil  sie  die  sachliche  Darlegung  der 
einzelnen  Wissensgebiete  enthielten;  in  der  Schule  des  Meisters  wurden 
ffle  am  meisten  in  Ehren  gehalten,  und  dieser  Hochachtung  verdanken  wir 
ihre  fast  vollständige  Erhaltung.  Um  ein  richtiges  Verständnis  und  einen 
Enteilungsgrund  für  die  Besprechung  dieser  Schriften  zu  gewinnen,«) 
müssen  wir  uns  zuvor  im  allgemeinen  über  den  Charakter  der  aristoteli- 
schen Schriftstellerei  klar  werden.  Aristoteles  bildete  darin  einen  scharfen 
Gegensatz  zu  Piaton,  dass  er  sein  Augenmerk  lediglich  auf  die  Sache  ge- 
richtet hielt  und  daneben  der  sprachlichen  Form  nur  geringe  Sorgfalt  zu- 
wandte.') Während  Piaton  stilistische  Kunstwerke  schuf  und  mit  der 
Form  des  Dialoges  ein  poetisches  Element  in  die  Philosophie  einführte, 
behielt  Aristoteles  nur  in  seinen  Anfangsschriften  und  in  den  populär  ge- 
haltenen Werken  die  sokratische  Form  des  Dialoges  bei,  wandte  aber  in 
den  Schriften  des  gereiften  Alters  und  in  allen  uns  erhaltenen  die  lehrende 
Darstellung  des  Vortrages  an.  Mit  diesem  lehrhaften  und  systematischen 
Charakter  der  Schriften  hängt  es  zusammen,  dass  dieselben  von  äusseren 
Einflüssen  wenige  oder  gar  keine  Spuren  an  sich  tragen,  etwas  was  ihre 
chronologische  Festsetzung  wesentlich  erschwert.  Da  dieselben  ausserdem 
alle  aus  den  Vorträgen  des  gereiften  Alters  hervorgegangen  sind,  so  ist 
in  ihnen  auch  so  gut  wie  nichts  von  einer  allmählichen  Entwicklung  wahr- 
zunehmen,*) so  dass  z.  B.  die  philosophischen  Kunstausdrücke  xd  ti  r]v 
«Vflri.   ovoi'a^    dthafAig,    ivTsXex^ia^    die   Aristoteles   nachweislich    erst    ge- 


')  Yon  andern  worden  die  historischen 
Ennnenmgsblatier  dem  Theophrast,  gewiss 
mit  mehr  Recht,  zugeschrieben. 

')  Üeberliefert  ist  der  falsche  Titel  ncQi 
AEro^ctrot^,  Ttegi  Zrjviavo^,  tibqi  rogylov. 

*)  Vgl.  Zelleb  I  *  500,  wo  auch  die  um- 
^Bgreiebe  Utterator  angegeben  ist. 

*)  Zellbb,  Phil.  d.  Gr.  I*  463  ff.;  Süse- 
«HL  AI.  Lit.  1 157.;  Dibls,  Doxographi  gr. 
8. 108  ff,  setzt  die  Schrift  in  die  nächste 
Zeit  nach  Theophrast. 

')  Daher  tpvaixrj  dxgoaaig  und  dxQoaaeig 
Met  p.  994  b,  82.  Aus  der  Vortragsform 
Btanunt  die  Anrede  vftiüy  rj  jwv  axQotafAivtav 
io  Soph.  el.  p.  184  b,  2—6,  und  die  üeber- 


gangsformel  /uer«  ravxa  ort  Met.  p.  1069b, 
35;  1070  a,  4;  Anal.  pr.  init. 

•)  Die  Einteilung  der  Alten  gibt  Am- 
monios  ad  Porphyrii  isagogen  p.  11  ss.  ed. 
Busse.  Vgl.  Stahb,  Aristotelia  II  254  ff.; 
TiTZB,  De  Aristotelis  operum  serie  et  di- 
stinctione,  Lips  1826. 

^)  Sein  Standpunkt,  dass  die  Sprache 
nur  zum  Ausdruck  der  Gedanken  da  sei,  ist 
ausgesprochen  tisqi  eQfit]t'Blag  1. 

*)  Ueber  die  Reihenfolge  siehe  ausser 
TiTZB  besonders  Bbandis,  Gesch.  der  griech.- 
röm.  Phil.  IIb  111  ff.  Die  Untersuchungen 
stehen  hier  noch  im  Anfang. 


464 


GrieohiBohe  Litieratorgesohichie.    L  KlaMisohe  Periode. 


schaffen  hat,  gleichwohl  in  allen  Schriften  gleichmässig  und  in  vollständig 
ausgeprägter  Bedeutung  vorkommen.  Dazu  kommt,  dass  die  nicht  seltenen 
Verweisungen  sich  vielfach  kreuzen,  indem  z.  B.  in  der  Rhetorik  6 mal 
auf  die  Poetik,  aber  auch  Imal  in  der  Poetik  auf  die  Rhetorik  verwiesen 
ist,^)  und  dass  die  Anspielungen  auf  geschichtliche  Ereignisse  weit  aus- 
einander liegende  Zeiten  berühren,  wie  in  der  Meteorologie  III  2  der  Ver- 
fasser sich  selbst  einen  fünfzigjährigen  nennt,  aber  doch  III  1  den  um 
mehr  als  20  Jahre  zurückliegenden  Brand  des  Tempels  der  ephesischen 
Diana  als  einen  Vorfall  der  Gegenwart  bezeichnet  (vvv  ixß^ewQovfiiv).  Es 
hängt  aber  dieses  alles  damit  zusammen,  dass  Aristoteles  selbst  zu  seinen 
Lebzeiten  von  diesen  systematischen  Werken  wenig  oder  nichts  in  die 
Öffentlichkeit  hinausgegeben  hat,  dass  aber  Eudemos,  Nikomachos,  Theo- 
phrast,  die  nach  seinem  Tode  die  Veröffentlichung  des  litterarischen  Nach- 
lasses besorgten,  Manuskripte  vorfanden,  denen  die  Spuren  wiederholter 
Revision  und  nachträglicher  Erweiterung  aufgedrückt  waren,  und  die  vor 
der  Herausgabe  noch  einer  genaueren  Zusammenordnung  und  nachhelfenden 
Redaktion  bedurften.^)  Da  wir  so  unter  den  erhaltenen  Schriften  kaum 
eine  haben,  die  in  allen  Teilen  vom  Autor  zur  Herausgabe  abgeschlossen 
war,«)  so  vermissen  wir  in  ihnen  auch  den  goldenen  Fluss  der  Rede,  welchen 
Cicero  und  andere,  die  noch  die  vollständigen  Werke  des  Aristoteles  hatten 
und  die  populären  Schriften  lieber  als  die  systematischen  lasen,  an  den 
Werken  unseres  Philosophen  rühmten.*)  Dem  Inhalte  nach  zerfallen  die 
erhaltenen  Werke  in  5  Klassen:  1)  erkenntnistheoretische  oder  logische 
Schriften,  2)  naturwissenschaftliche  Schriften,  3)  Schriften  von  dem  über- 
natürlichen (transcendentalen)  Sein,  4)  Schriften,  die  sich  auf  das  Gebiet  des 
menschlichen  Handelns  (/r^arrfn')  beziehen,  5)  Schriften,  die  es  mit  dem 
menschlichen  Schaffen  {noutr)  zu  thun  haben. 

317.    Die  logischen  Schriften  verdienen  unter  den  systematischen 
Werken  die  erste  Stelle,  weil  sie  das  Werkzeug  der  Dialektik  und  wissen- 


M  Rhefc.  1372a  1,  1404a  38,  1404b  7 
und  28,  1405a  5,  1419b  5,  Poet.  1456a  35. 
Ganz  wertlos  sind  deshalb  die  Citate  zur 
Bestimmung  des  Verhältnisses  der  Schriften 
zu  einander  nicht;  es  kommt  eben  darauf 
an,  genau  zu  prüfen,  ob  dieselben  leicht  ent- 
behrt werden  können  oder  mit  der  Umgebung 
eng  verwachsen  sind,  mit  anderen  Worten, 
ob  sie  von  Aristot.  selbst  oder  von  den 
späteren  Herausgebern  und  Kommentatoren 
herrühren. 

'^)  Ich  habe  in  meinen  Ausgaben  aristo- 
telischer Schriften  die  nachträglichen  Zu- 
sätze mit  typographischen  Mitteln  von  dem 
ursprünglichen  Entwurf  zu  scheiden  versucht. 
Zweckmässig  ist  dieses  namentlich  deshalb, 
weil  die  Redaktoren  oft  die  von  Arist.  am 
Rand  angemerkten  Zusätze  und  Besserungen 
an  falscher  Stelle  einschoben.  Eine  totale 
Verwerfung  der  Blätter  und  Hefte  des  Ori- 
ginals sucht  in  überkühner  Skepsis  Essen, 
Der  Keller  zu  Skepsis,  und  Ein  Beitrag  zur 


Lösung  der  aristot.  Frage,  1866  u.  1883,  zu 
erweisen. 

'j  Freilich  besteht  in  Bezug  auf  den 
Grad  der  Ausarbeitung  ein  grosser  Unter- 
schied zwischen  den  einzelnen  Schriften  und 
sogar  zwischen  den  einzelnen  Büchern  der- 
selben Schrift. 

*)  Cic.  Acad.  post.  II  38.  119:  flumen 
orationis  aureum  fundens  Aristoteles;  vgl. 
Top.  I  8;  de  invent.  II  2,  6;  Quint.  X  1,  83. 
Nüchterner  urteilt  Dionysios,  Cens.  vet.  Script. 
4,  1 :  nuQaXijnjioy  de  xai  'A^icxotiXtj  siq 
filfirjait^  jfjq  re  7iC(}i  xrjv  BQfifjyeiay  (fciro- 
ir]Tog  xul  liJQ  dcttfrjyeiag  xni  roi7  TJdeog  xai 
TioXvfjiadovg.  Die  Schönheit  der  exoterischen 
Schriften  hebt  speziell  hervor  Themist.  or. 
XXVI  p.  3H5D.;  Philoponos  in  cat  36b,  28, 
David  in  cat.  26b,  35.  Blass  Rh.  M.  30,481  ff. 
weist  in  den  gefeilteren  Schriften  auch  eine 
grössere  Sorgfalt  in  der  Vermeidung  des 
Hiatus  nach. 


4.  Die  Philosophen,    d)  Aristoteles.    (§  317.J 


465 


schaffclichen  Forschung  bilden  i)  und  deshalb  auch  von  den  späteren  Peri- 
patetikern  ^)  unter  dem  Namen  Organen,  d.  i.  Werkzeug,  der  ganzen  Samm- 
lung vorangestellt  wurden.  Erhalten  haben  sich  von  denselben  die  wich- 
tigeren alle,  und  zwar  in  folgender  Reihenfolge: 

KaTTjyoQiai  oder  von  den  10  Orundformen  der  Aussage  vom  Seienden 
{q  ovtrta,  ro  noaov^  to  nQoq  ti,  to  noiov^  to  nov,  to  notä,  %6  xeiad^ai  rj 
i%€iv^  To  noisTv  r}  naax^iv).^)  Die  Schrift  rührt  schwerlich  von  Aristoteles 
selbst  her,  sondern  scheint  erst  nach  Aristoteles  unter  dem  Einfluss  der 
herrschenden  Schulmethode  im  Anschluss  an  die  Stelle  der  Topik  p.  103b 
20  entstanden  zu  sein.*)  Der  Unechtheit  verdächtig  ist  namentlich  der 
Schluss  mit  den  sogenannten  Postpraedicamenta  (c.  10 — 15). 

lle^l  €Q^rjv€iag,  de  interpretatione,  oder  vom  Satz,  den  Teilen  und 
Formen  desselben  (ovoima^  ^^/^^^  ^oyog,  xazdifuing^  änoipafng).  Auch  die 
Echtheit  dieser  Schrift  wurde  schon  im  Altertum  von  Andronikos  be- 
stritten.*) 

^AvakvTixd  ngorsQa  und  vtrrega  in  je  2  B.,^)  benannt  nach  der 
Terminologie  der  Mathematiker,  weil  sie  die  Zergliederung  oder  Rück- 
fährung  der  Wahrheiten  auf  die  Elemente,  aus  denen  sie  gewonnen 
werden,  bezwecken.  Die  erste  Analytik  enthält  die  Lehre  vom  wissen- 
schaftlichen Beweis  {änodei^ig  rj  sTuatrjfiri  anod^ixxixrj)  vermittelst  Satz, 
Definition,  Schluss  {TtQOTaaig,  ogog^  avXXoyKffjLog) ;  die  zweite  handelt  vom 
Erkennen  oder  Wissen  überhaupt  {fiäd^rjctg  diavoi^tixi/j),  vom  Wesen  des 
Wissens,  das  in  der  Erkenntnis  des  Grundes  wurzelt,  von  der  Möglichkeit 
des  Wissens  unter  der  Voraussetzung  gewisser  unmittelbarer  Wahrheiten, 
von  den  Wegen  des  wissenschaftlichen  Erkennens  durch  syllogistischen 
Beweis,  Induktion  {inaywYij)^  Definition  (oQKffiog),  Zergliederung  (diafgeaig). 

Ton IX ä  in  8  B.,  hervorgegangen  aus  der  Dialektik  oder  der  von  den 
Sophisten  gepflegten  Disputierkunst;  sie  enthalten  die  allgemeinen  Sätze 
(TdTroi),^)  mit  deren  Hilfe  es  möglich  ist,  über  jeden  aufgestellten  Satz  so 
zu  disputieren,  dass  man,  ohne  einen  streng  wissenschaftlichen  Beweis  zu 


1)  Aiist.  Met.  p.  1005  b,  4  sagt  selbst, 
diftfis  die  Analytik  der  Physik  und  Meta- 
physik vorangehen  müsse.  Die  Analytik  ist 
vor  der  PhyEok  verfasst  nach  p.  95  b,  11. 

*)  David  in  categ.  p.  26  a,  11:  ol  dk 
Xeyoyxeg,  ort  dei  äno  xrjs  Xoyixtjc  ap/ea^«*, 
ifpaaxoy,  oii  oQyayoy  i$  Xoyixij.  Vgl.  Diog. 
y  28.  Aehnlich  spricht  schon  Arist.  selbst 
Top.  p.  163  b,  11  von  einem  oQyayoy  ngog 
yywaiy.  Den  Ausdruck  Organen  fand  bereits 
Alexander  Aphrod.  als  allgemein  verbreitet 
vor;  8.  Pbantl,  Gesch.  der  Log.  I  582. 

•)  Der  Sachtitel  lautete  tisqI  rtJy  yeytSy 
tov  oyjoq;  s.  Waitz  in  der  Ausg.  des  Or- 
ganon  I  265. 

*)  Prahtl,  Gesch.  d.  Log.  I  207  flF.  Nach 
Simplicins  in  categ.  fol.  8  u.  Philop.  in  categ. 
39  a,  20  gab  es  unter  dem  Namen  des  Ari- 
stoteles noch  ein  anderes  Buch  Kategorien 
{(pioBitti  mal  uXXo  xtüy  xaxijyoQitSy  ßißXloy 
ms  AQtetoiiXovi),  Den  Schluss  unserer  Ea- 
Handbuch  der  ktaat.  AltertumswlsseDBchaft.    VU. 


tegorien  c.  10 — 15,  die  sog.  postpraedica- 
menta (cifAtt  und  ngoisgoy,  xiyBiy  und  ix^iy 
etc.)  gab  schon  Andronikos  für  unecht  aus; 
s.  Trbndblbmbubg,  De  Arist.  categoriis,  Berl. 
1833;  Geschichte  der  Eategorienlehre,  Berl. 
1846. 

'^)  Die  von  Andronikos  gegen  die  Echt- 
heit der  Schrift  erhobenen  Zweifel  sind  ab- 
gelehnt von  Alexander  Aphrod.  in  Anal.  I 
p.  160  ed.  Wallies. 

^)  Nach  Philop.  in  cat.  39  a,  20  gab  es 
in  den  alten  Bibliotheken  eine  Ausgabe  in 
fi  (corr.  T})  ßißX.  In  den  Katalogen  hat  die 
erste  Analytik  9  B.  Die  ersten  Analytika 
werden  von  Arist.  selbst  p.  96  a,  1  mit  iy 
xolg  ngaixoig  citiert. 

^)  Diese  xonoi  sind  als  loci  commune» 
bekannter  geworden  in  der  Rhetorik,  die  ja 
mit  der  Dialektik  nahe  verwandt  ist.  Die 
rhetorische  Topik  bildet  den  Gegenstand  der 
zwei  ersten  Bücher  nsgl  ^rjxogixi^s. 
3.  Anfl.  30 


466  OrieohiBohe  IdtteratiirgMobiohte.    I.  KUssiBobe  Periode. 

erbringen,  doch  fQr  seine  Thesis  die  Wahrscheinlichkeit  erweisen  kann.^) 
Da  sie  so  den  Weg  oder  die  Methode  des  Disputierens  angeben,  so  werden 
sie  auch  in  den  alten  Katalogen  und  von  Aristoteles  selbst,  Rhet.  I  2, 
M€^oi$xa  genannt.  Die  Topik,  in  der  sich  der  Autor  in  breiter  Ausf&h- 
rung  gehen  lässt,^)  steht  hinter  der  Präzision  der  Anal3rtik  weit  zurQck 
und  gehört  der  älteren,  noch  der  rhetorischen  Schuldialektik  näher  stehen- 
den Periode  der  aristotelischen  Philosophie  an.  3) 

Soifiazixol  ikeyxoi  oder  die  Trugschlüsse  der  Sophisten  gehören 
zur  Topik  und  bilden  in  der  Ausgabe  des  Organen  von  Waitz  geradezu 
das  9.  Buch  der  Topik  ;^)  ihre  Sonderstellung  hängt  mit  der  Scheidung  von 
Dialektik  und  Eristik  (rabulistische  Disputierkunst)  zusammen. 

Von  den  verloren  gegangenen  Schriften  gehörten  in  das  Gebiet  der 
Logik  die  iiatQstxetg,  ntQi  €vavTia>%\  negi  elimv  xai  yevwv^  i7x$x^^QT^ifJ^ct%a 
Xoyixä.  Aber  alles  Bedeutende  ist  erhalten  und  damit  das  Dauerndste,  was 
der  zergliedernde  Verstand  des  Aristoteles  im  Gebiet  der  Philosophie  her- 
vorgebracht hat.  Denn  legen  wir  auch  heutzutag  auf  die  formale  Logik 
nicht  mehr  den  Nachdruck  wie  ehedem,  so  gebührt  doch  unserem  Philo- 
sophen das  Verdienst,  die  Gesetze  der  menschlichen  Denkoperationen,  die 
Wege  des  Erkennens  und  die  Arten  der  Schlüsse  für  alle  Zeiten  festge- 
stellt zu  haben. 

318.  Naturwissenschaftliche  Schriften.  Dieselben  beschäftigen 
sich  teils  mit  der  philosophischen  Begründung  der  Natur  und  ihrer  £r^ 
scheinungen,  teils  gehören  sie  in  das  niederere  Gebiet  der  Naturbeschrei- 
bung.    Zur  ersten  Gattung  zählen: 

(Pvaixij  axQoaaig  in  8  B. ;  dieselbe  handelt  von  den  Prinzipien  {aßx<«0 
des  in  Bewegung  befindlichen  Seins  und  ist  vor  der  Metaphysik,  in  der  sie 
wiederholt  vorausgesetzt  wird,  abgefasst.  Die  Grundprinzipien  der  aristo- 
telischen Lehre,  vAr;,  viroxsifisvor^  dvvafjiig  auf  der  einen,  eidog^  f*^^Q9^r^, 
svxsXbXBia  auf  der  andern  Seite,  ferner  to  avvokov^  ro  reXog  oder  x6  ov 
i'vsxa,  ovaia  und  trvfißeßrjxota,  t6  xivovv  oder  Ox^ev  tj  xivrjaig  sind  hier  zum 
klarsten  Ausdruck  gebracht.  Die  Physik  des  Aristoteles  hat  also  mit  dem, 
was  wir  heutzutag  Physik  nennen,  wenig  zu  thun;  sie  erläutert  nur  die 
Begriffe,  unter  denen  wir  die  Erscheinungen  der  Natur  anschauen,  enthält 
nicht  auch  die  Gesetze,  nach  denen  die  Dinge  werden  und  zu  einander  in 
Beziehung  treten;  sehr  bezeichnend  nannte  sie  Hegel  eine  Metaphysik  der 
Physik.  Der  2.  Teil  derselben  (V— VIII)  handelt  von  der  Bewegung  und 
den  verschiedenen  Arten  der  Bewegung:  des  Raumes  (spo^o),  der  Be- 
schaffenheit {^eraßoXrj  oder  dXXoicoaig),   der  Grösse   («t'f  ijcrig  und  g^&itng) ; 


^)  Top.  II:  ij  fiiy  ngo&eaig  r^g  ngay- 
fiaxelag  fisd^o^oy  €VQ€iy,  c<<jp'  rjg  ^vytjaoine&a 
avXXoyiC^a&ai  ti bqI  nayrog  xov  nQoie&eyjog 
TtQoßXfjfiarog  i^  iyffo^toy. 

*)  Die  Breite  der  Topika  hftngt,  wie  am 
Schlüsse  p.  184  a  8  angedeutet  ist,  damit 
zusammen,  dass  dieselben  aus  einem  rhe- 
torisch angelegten  Lehrkurs  hervorgegangen 
sind. 


*)  Die  Topik  ist  citieri  in  Analytik  d 
24b,  12.  ^ 

*)  Vgl.  Waitz  U  528;  entscheidend  ist 
dass  am  Schluss  der  soph.'el.  eine  Rekapi« 
tulation  der  ganzen  Topik  steht.  Die  Hand- 
schriften indes  sondern  die  beiden  Werke, 
der  cod.  Lanr.  89  teilt  obendrein  die  sopli. 
el.  in  zwei  Bücher. 


4.  Die  PhiloBophen.    d)  AriBtoteleB.    (§§  818—819.) 


467 


er  hatte  davon  auch  den  speziellen  Titel  neQi  xiri](f€0)g.^)  Von  dem  7.  Buch 
liegen  die  ersten  3  Kapitel  in  doppelter  Redaktion  vor.^)  Zu  dem  ganzen 
Werk  haben  wir  aus  dem  Altertum  einen  ausgezeichneten  Kommentar  von 
Simplicius. 

Hegi  ovgavov  in  4  B.*)  und  negl  yeväaewg  xal  ifd-ogag  in  2  B. 
schliessen  sich  eng  an  die  Physik  an  und  enthalten  apriorische  Spekula- 
tionen über  den  Himmel  und  das  Entstehen,  und  zwar  handelt  die  erstere 
Schrift  von  der  ünvergänglichkeit  des  Weltalls  {nqmxoq  ovqavog)  und  von 
der  Gestalt  und  Bewegung  der  Gestirne  mit  Bezug  auf  die  Elemente  des 
Leichten  und  Schweren,^)  die  letztere  von  dem  schlechthinigen  Entstehen 
und  Vergehen  und  dem  Entstehen  und  Vergehen  durch  Mischung  und 
Änderung.  Namentlich  die  letztere  Schrift  ist  sorgfältig  durchgearbeitet 
und  von  grosser  Bedeutung  fQr  die  Erkenntnis  der  aristotelischen  Lehre. 

M€%€(OQoi,oyixd  in  4  B.  schliessen  sich  an  die  beiden  letzten  Schrif- 
ten an  und  suchen  die  Dinge  in  der  Höhe,  Kometen  Milchstrasse  Winde, 
daneben  auch  die  Erscheinungen  des  Meeres  und  die  Erdbeben  zu  erklären. 
Das  4.  Buch  hat  eine  selbständige  SteUung  für  sich  und  handelt  von  den 
Gegensätzen  des  Warmen  und  Kalten,  Trocknen  und  Feuchten,  als  den 
Elementen  der  Körperwelt.^) 

319.   Dem  Gebiet  der  Naturbeschreibung  gehören  an: 

AI  negi  %d  ^qja  iatoQiai  in  10  B.^)  Mit  diesen  in  Zusammenhang 
stehen  die  Schriften:  negl  Cvwv  fioQmv  in  4  B.,  nsgl  ^((wv  ysräasiog  in 
5  B.,^)  ntQl  noQsiag  l^tpcov  in   1  B.^)     Es   gehen  hier   zwei   Behandlungs- 


0  Andronikos  hat,  nach  Simplicius  in 
pkjB.  p.  923  f.  ed.  Dibls,  gesttttzt  auf  alte 
^eogniase,  den  drei  letzten  Büchern  den  Titel 
ntQi  xirtjceati  gegeben. 

*)  Nachgewiesen  von  Spbngbl,  Ueber 
daa  7.  Buch  der  Physik  des  Aiist.,  Abhdl.  d. 
b.  Ak.  in  305 — 49,  durchgeführt  in  der  Ausg. 
der  Bibl.  Tenbn.  von  Prabtl. 

';  Met  p.  1078  b,  5  iy  äXXois  igovfiey 
wird  von  Schwegler  auf  die  Schrift  negi 
fngarov  bezogen,  was  schwerlich  richtig  ist, 
da  umgekehrt  die  Metaphysik  später  abge- 
faßt ist,  wofür  auch  das  atat  p.  1073  a,  32 
spricht 

*)  Aristoteles  schliesst  sich  hier  an  die 
Sph&rentheorie  des  Astronomen  Eallippos 
tos  Kyzikos,  eines  Schülers  des  Eudoxos,  an, 
wonach  Bbbok,  Gr.  litt  IV  486  das  Werk  Ol. 
112  setzt 

^)  Der  Kommentator  Alexander  Aigeus 
sprach  zuerst  aus,  dass  das  4.  Buch  nicht 
n  dieser  ngayfjiaieia  gehöre,  sondern  eher 
ni  den  Büchern  nsgt  yeretFemg  xai  tp&ogägj 
».loBLSB,  Meteor.  11847—49;  Spbnoel,  Reihen- 
folge der  naturwissenschaftl.  Schriften  des 
Amt,  Abh.  d.  b.  Ak.  V  10  ff. 

*)  In  den  Handschriften  und  Katalogen 
sind  es  nur  9  B.  Das  10.  Buch,  welches 
uf  die  Begattung  der  Menschen  und  speziell 
■uf  die  Gründe  der  Unfruchtbarkeit  zurück- 
kommt und  im  Katalog  des  Diogenes  unter 


dem  Titel  r?i^^  tov  (nrj  yBvvav  angeführt 
wird,  ist  eine  im  14.  oder  15.  Jahrh  gemachte 
Bückübersetzung  der  latein.  Uebersetzung 
von  Mörbecke,  wie  Spbkobl,  De  Aristotelis 
libro  decimo  bist,  anim.,  Heidelberg  1842 
nachgewiesen  hat  Dass  auch  das  9.  Buch, 
welches  nochmals  die  Gewohnheiten  der 
Tiere  {id  reSy  C^^aiy  ij»ri)  behandelt,  nicht  Ton 
Aristoteles  herrührt,  hat  aus  Sprache  und  In- 
halt DiTTMBTBR,  Blätter  für  bayer.  Gymn. 
XXra  (1887)  16—162  überzeugend  nachge- 
wiesen.  Joachim,  De  Theophrasti  libris  negi 
^(ptoy,  Bonn  1892  S.  11  ff.  beobachtete,  dass 
in  dasselbe  Exzerpte  aus  Theophrasts  Buch 
negl  C^oi»'  ij9<oy  17  jtsgi  i^Mojy  (pgotnjaetog  ge- 
kommen sind.  Auch  das  7.  Buch,  welches 
in  den  Hdschr.  nach  dem  9.  steht  und  erst 
von  Theodoros  Gazes  an  seine  jetzige  Stelle 
gesetzt  wurde,  ist  schwerlich  echt.  —  Ex- 
zerpte aus  dem  ganzen  Werk  von  Aristo- 
phanes  und  Konstantinos  Porphyrogennetos, 
publiziert  von  Spiridion  Lambros,  Suppl. 
Aristot.,  Berol.  18>?5. 

^)  Eigentlich  sind  es  nur  vier  Bücher, 
denen  ziemlich  lose  ein  Buch  negl  na^ij' 
fÄtirtoy  ^üiwy  angehängt  ist. 

®)  pRANTL,  De  Aristot.  librorum  ad  bist 

animal.  pertinentium   ordine,  Monachii  1849 

p.  35   beweist,   dass  das  Buch  negi  nogelac 

seinen  Platz  zwischen  dem  9.  u.  10.  Kapitel 

I   des  4.  Baches  de  partibus  anim.  hatte. 

30* 


468  QrieohiBohe  Litteratiirgeaohiohte.    I.  Elaasiflohe  Periode. 

arten  der  Zoologie  nebeneinander  her,  etwas  was  noch  deutlicher  hervor- 
tritt, wenn  man  die  10  Bücher  der  Tiergeschichte  in  ihre  Teile  zerlegt. 
Es  handelt  nämlich  dieselbe  nach  einem  allgemeinen  Überblick  (I  1 — 6)^) 
von  den  Teilen  der  Tiere  (I  7— IV  7),  von  dem  Entstehen  der  Tiere  (V 
bis  VII),  von  der  Lebensweise  und  Nahrung  der  Tiere  (VIII).  Es  sind 
also  in  den  einzelnen  Teilen  der  Tiergeschichte  dieselben  Gegenstände  be- 
handelt wie  in  den  bezeichneten  Spezialschriften.  Aber  die  Betrachtungs- 
weise ist  verschieden:  die  Naturgeschichte  hat  es  mit  dem  ore  oder  den 
thatsächlichen  Erscheinungen  der  Tierwelt  zu  thun,  die  Spezialschriften, 
welche  die  Physiologie  oder  die  Philosophie  der  Tierlehre  bilden,*)  sind 
auf  das  öioti  oder  auf  den  Orund  der  Erscheinungen  gerichtet,  als  welcher 
in  letzter  Linie  die  Zweckmässigkeit  oder  das  Oute  in  der  Weltordnung 
gefasst  wird.  Auch  der  Zeit  nach  liegen  die  beiden  Arten  von  Schriften 
weit  auseinander.  Die  Tiergeschichte  wird  nicht  bloss  de  part.  animal.  II 
1  p.  646*^  9  als  abgeschlossen  vorausgesetzt,  sie  verrät  auch  an  sich  eine 
frühere  Entwicklungsstufe  im  Geistesleben  des  Aristoteles,  so  dass  sie  nicht 
bloss  vor  dem  Buch  über  die  Teile  der  Tiere,  sondern  auch  vor  der  Phy- 
sik 3)  abgefasst  zu  sein  scheint.  Die  ganze  Methode  der  naturwissenschaft- 
lichen Forschung,  woraus  zugleich  Plan  und  Ordnung  der  diesbezüglichen 
Schriften  hervorgeht,  ist  in  dem  1.  Buch  der  Schrift  von  den  Teilen  der 
Tiere  dargestellt,  weshalb  Titze  und  Spengel^)  jenes  Buch  als  gesonderte 
Schrift  allen  zoologischen  Schriften  vorausgeschickt  wissen  wollten;  aber 
es  genügt,  wenn  dasselbe  gemäss  der  Überlieferung  den  Eingang  der 
physiologischen  Schriften  bildet. 

820.  Naturgeschichtliche  Werke  von  zweifelhafter  Echtheit  sind: 
llegi  (pvrtov  in  2  B.  Das  auf  uns  gekommene  Werk  ist  nach  dem 
phrasenreichen  Vorwort  eine  Rückübersetzung  aus  dem  Lateinischen  und 
des  weiteren  aus  dem  Arabischen.  Aristoteles  hatte  ein  Buch  über  die 
Pflanzen  im  Plan^)  und  scheint  nach  der  Stelle  p.  539«  20  den  Plan  auch 
ausgeführt  zu  haben. ^)  Aber  das  Pflanzenbuch  des  Aristoteles  war,  wenn 
er  überhaupt  ein  solches  geschrieben  hat,  sicher  schon  zur  Zeit  des  Ale- 
xander Aphrodisiensis  verloren  gegangen. '')  Die  uns  erhaltene  Schrift 
wird  von  ihrem  Herausgeber  Meyer  dem  Nikolaos  Damaskenos,  der  unter 
Augustus  eine  Art  Kompendium  der  aristotelischen  Philosophie  verfasste, 
zugewiesen.  ®) 

Ilegl  x6(rfiov,  oder  über  das  wohlgeordnete  Ganze  des  Weltalls.    Das 
Buch  ist  mitsamt  dem  einleitenden  Brief  an  Alexander^)   fälschlich   dem 


^)  Eist.  anim.  I  p.  491a,  7:    et^tjrai  iv  I  ')  Wahrscheinlich  rührt  das  Citat  €1^*7- 

xvnt^  yevfÄfiTog  /«^t»'.  I   t«*  iy  t^   &60}Qi(f   rp    negi  rtay  tfvtmv  mit 

')  De  longaey.  p.  464  h,  33:   öcoy  im,-   |  seinem  hedenklichen  Eipi/ra»  von  einem  Inter- 

polator  her;  Spbngbl  wollte  Bt^ritni  in  «^(»»7- 
aejtn  Andern. 

')  Alexander  zu  p.  442  h,  28. 

*)  Vgl.  SüSBMiHL  AI.  Lit  II  317. 

*)  Bbrgk  Rh.  M.  37,  50  ff.  und  Bbrnats, 

Ges.  Ahh.  II  279,  denen  Usrnbr  und  Momm- 

SBN,  Römisch.  Gesch.  Y  494  heistimmen,  Tei> 

stehen    unter    dem   Alexander   des    Briefes 


ßriXXeir  rp  (pvaixfj  q>iXoao(pi(fj  de  part.  anim. 
p.  621a,  29:  r^  hb^I  <pvae(Oi  0€(o^nx<^. 
Vgl.  p.  653  a,  8. 

'j  Mit  Einschluss  des  Werkes  negl  ov- 
Qttyovy  das  p.  645  a,  5  citiert  wird. 

^)  Spbnobl,  Reihenfolge  der  naturwiss. 
Schriften  S.  19  ff.;  Praktl  a.  0. 

*)  p  244h,  23;  467h,  5;  656a,  3;  716a, 
1;  783h,  10.  \  nicht  Alexander  d.  Gr.,   sondern  den  Pro- 


4.  Die  PhUoBophen.    d)  AristoteleB.    (§  820.) 


469 


Aristoteles  beigelegt  worden.  Schon  die  Erwähnung  der  britannischen 
iDseln  p.  393^  17  führt  über  die  Zeit  des  Aristoteles  und  Pytheas  hinaus; 
auch  finden  sich  in  demselben  Einflüsse  der  stoischen  Lehre  i)  und  Ent- 
lehnungen aus  Poseidonios.  Neuere  Gelehrte  haben  dasselbe  teils  dem 
Stoiker  Chrysippos,*)  teils,  und  dieses  mit  grösserem  Recht,  dem  jüdischen 
Peripatetiker  Nikolaos  ^)  zuschreiben  wollen ;  in  den  Katalogen  der  aristo- 
telischen Schriften  kommt  dasselbe  noch  nicht  vor ;  *)  lateinisch  bearbeitet 
wurde  die  interessante  und  gut  geschriebene  Schrift  von  Apuleius,  de 
mundo,  ins  Syrische  übersetzt  von  Sergius  Resainensis  (6.  Jahrb.). 

Il€Qi  xivijaemg  war  der  Spezialtitel  des  zweiten  Teiles  der  Physik. 
Das  unter  dem  Titel  Ttegl  ^({ytav  xivijfrewg  auf  uns  gekommene  unechte  Buch 
sollte  nach  den  Schlussworten  desselben  der  Schrift  De  generatione  ani- 
malium  vorausgehen,  während  thatsächlich  die  letzte  Schrift  sich  unmittel- 
bar an  das  Werk  De  partibus  animalium  oder  De  incessu  animalium 
anreiht. 

IJegi  nveviAttxoq^  ein  kleiner  Schulaufsatz  verwandten  Inhalts  mit 
dem  Buche  neQi  ävanvorjg,  rührt  von  einem  Schulmeister  her,  der  sich  im 
Aufwerfen  von  Fragen  zu  ergehen  liebte. 

DsqI  xQwiAdxiov^  oder  über  den  Grund  der  Farben  bei  Pflanzen  und 
Tieren.  Das  unechte,  von  einigen  dem  Theophrast  zugeschriebene  Buch^) 
steht  nicht  in  den  alten  Katalogen ;  ebensowenig  das  Buch  nsgii  äxovarwv, 
welches  durch  die  Partikel  i^  eng  mit  dem  vorausgegangenen  verknüpft 
ist  und  wahrscheinlich  ebenso  wie  das  vorausgehende  auf  den  Peripatetiker 
Straten  zurückgeht.*) 

Die  0v(rioyv(o^ovixa  sind,  wie  schon  das  einleitende  ozi  lehrt,  ein 
Auszug,  der  indes  viele  interessante,  auch  für  die  Kunstanalyse  wichtige 
Beobachtungen  über  Eigenschaften  von  Menschen  und  Tieren  enthält. 
Dem  Auszug  liegen  2  in  den  Katalogen  der  aristotelischen  Werke  auf- 
gezählte Originalschriften  zu  grund,  die  aus  der  Schule  der  Peripatetiker 
hervorgegangen  waren  und  den  von  Aristoteles  selbst  in  der  Analytik  aus- 
gesprochenen Gedanken '')  weiter  ausführten.    Über  die  Zeit  der  Abfassung 


knntor  Jadftaa  von  46--8  n.  Chr.  Büghblbb, 
d«r  den  Anfisatz  yon  Bergk  nach  dessen  Tod 
Iwiaos^b,  ennnert  an  Alexandros,  den  Sohn 
des  Antonius  nnd  der  Eleopatra. 

'}  Spshgsl,  De  Aristotelis  libro  dedmo 
lustoiue  ammalinm  et  incerto  anctore  libri 
jt^i  xöcßiov,  Heidelb.  1842.  Zuerst  kommt 
in  dem  Bach  die  nifjmjri  ovaia  oder  quinta 
tuentia  vor. 

*)  OsAiiiv,  BeiMge  zur  griech.  u.  rOm. 
ütteratorgeach.  I  141  ff. 

>}  BsBCK  Rh.  M.  37,  50  ff.  und  294  ff. 
Dereelbe  weist  darauf  hin,  dass  jener  Niko- 
laos aas  Damaskos  nach  Simplicios  zu  Arist 
de  eaelo  p.  3, 28  ed.  Hbibbeg  eine  Schrift  negl 
ttvnarwoi  geschrieben  ha^  dagegen  Usbnbb  in 
BuHATs  Ges.  Abh.  II 281.  Zbllbb  m>  1, 681  ff. 
WgBfigt  sich,  die  Schrift  der  eklektischen 
Biäitiuig   des    ersten    vorchristlichen   Jahr- 


honderts  nnd  der  Zeit  nach  Posidonios  zu- 
zuweisen. Vgl.  SüSBMiHL  Jahrber.  d.  Alt. 
X  1,  33  ff.  und  AI.  Litt.  II  326  ff. 

^)  Im  jüngeren  Nachtrag  des  Ind.  Menag. 
steht  der  auf  unser  Buch  schlecht  passende 
Titel  ncQi  xoafiov  yByiaetag. 

*)  Fbantl  in  der  Ausgabe  der  Schrift 
S.  80  ff.  weist  die  ünechtheit  derselben 
nach,  will  aber  nicht  gerade  den  Theo- 
phrast als  Autor  anerkennen;  es  hatte  auch 
der  Peripatetiker  Straten  über  die  Farben  ge- 
schrieben. 

')  So  vermutet  Bbandis  üb  1201;  da- 
gegen Zeller  II>  2,  915. 

')  Aa.  pr.  II  27  p.  70*>  6:  ro  <W  tpvaio- 
yytofioyeiy  &vyat6y  iany,  et  rtc  dl&iociy 
Sfia  fiSxaßäXXeiy  to  avafia  xul  xtjy  iffvxijy, 
oca  fpvaixä  iari  na&ijfiara. 


470 


Orieohisohe  LüteraturgeBohiohte.    I.  Elasaisobe  Periode. 


scheint  die  Erwähnung  des  Sophisten  Dionysios  (c.  3  p.  808*  16),  der  in 
der  Zeit  Hadrians  lebte,  einen  Fingerzeig  zu  enthalten.^) 

llegl  x^aviiiaaiwv  axova^dxwv  ist  die  älteste  Schrift  in  der  Lit- 
teratur  der  Wundergeschichten,  rührt  aber  gleichwohl  nicht  von  Aristoteles 
her,  da  sie  aus  mehreren  heterogenen  Bestandteilen  zusammengesetzt  ist 
und  vieles  enthält,  was  erst  nach  des  Aristoteles  Tod  sich  ereignet  hat, 
wie  über  Agathokles  c.  HO  und  Kleomenes  c.  78.  Die  Zusammenstellung, 
bei  der  aristotelische  Schriften  mit  ausgezogen  wurden,  ist  sicher  erst 
nach  Poseidonios  gemacht  worden,  da  dessen  Schriften  c.  87  und  91  be- 
nutzt sind,^)  vielleicht  erst  nach  Hadrian,  da  c.  51  das  von  diesem  Kaiser 
erbaute  Pantheon  in  Athen  erwähnt  ist.') 

Die  UQoßXtjfAaza  in  88  Titeln  beziehen  sich  zum  grössten  Teil  auf 
naturwissenschaftliche  Dinge,  behandeln  aber  auch  Fragen  der  Musik  und 
Poesie.  Die  Methode,  Fragen  aufzuwerfen  und  Lösungen  derselben  zu  ver- 
suchen, war  dem  Aristoteles  eigen,  und  es  gebraucht  derselbe  nicht  bloss 
häufig  den  Ausdruck  nqoßhiiia^  sondern  scheint  auch  einigemal^)  auf 
Schriften  zu  verweisen,  in  denen  solche  Probleme  besprochen  und  gelöst 
waren.  Aber  unsere  Problemata  sind  ein  Konglomerat  verschiedener 
Sammlungen  und  enthalten  neben  Aristotelischem  auch  manches  Fremde 
aus  Hippokrates,  Theophrast  und  Späteren.^) 

Die  Mrjxccvixd  bilden  eine  spezielle  Art  von  Problemen;  das  Buch 
wird  in  den  beiden  Verzeichnissen  der  Schriften  des  Aristoteles  aufgeführt. 

*Avä/A(ov  d-hasiq  xai  TiQoarjyoQiai  (Windrose),  ein  Auszug  aus  der 
Schrift  negl  ainfxeicov,  welche  die  einen  dem  Aristoteles,  die  andern  dem 
Theophrast  zuschrieben. 

Von  der  Schrift  nsgi  trjg  tov  Netkov  dvaßdasfog  ist  nur  eine  lateinische 
Übersetzung  aus  dem  Arabischen  bekannt;  die  Abhandlung  hat  die  Form 
eines  Problems,  zu  dessen  Lösung  Aristoteles  die  Beihilfe  Alexanders  des 
Grossen  in  Anspruch  genommen  haben  soll;  sie  rührt  aber  nicht  von 
Aristoteles  her,  auch  nicht  von  Theophrast,^)  sondern  von  einem  erst 
nach  Eratosthenes  lebenden  Autor. 

Von  naturwissenschaftlichen  Schriften  des  Aristoteles  werden  ausser- 
dem genannt:   negi  vyuiag  xai  voaov,  welches  Buch  aber  bereits  zur  Zeit 


^)  B.  Förster,  De  Aristotelis  qaae  fe- 
rantnr  physiognomonicoram  indole  ac  con- 
dicione,  in  Philol.  Abb.  zu  Ebren  von  M. 
Hertz  S.  283  ff. ;  Corpus  scriptorum  pbysio- 
gnomicorum  Bibl.  Teubn.  1894.  Unter  die 
Werke  des  Aristoteles  ist  die  Scbrift  da- 
dnrcb  gekommen,  dass  der  erste  Satz  aus 
der  Tiergescbicbte  des  Aristoteles  ge- 
nommen ist.  

*)  Bbckmank  in  Ausg.  (1791)  p.  XYir, 
sqq.;  Westrrmamn,  Paradoxogr.  XXV,  sqq.; 
ScBBADER  Jabrb.  f.  Pbil.  97,  217  ff. 

')  Noch  weiter  gebt  mit  dem  Nachtrag 
c.  152—178  berab  Gercke  im  Artikel  Ari- 
stoteles in  Wissowas  Realenc. 

*)  BoNiTz,  Index  Arist.  u.  nQoßXtjfiata, 

')  Prantl,  Ueber  die  Probl.  des  Arist., 
Abbdl.  d.  bayer.  Ak.  VI  341  -77.  E.  Richter, 


De  Arist.  probL,  Bonn.  Diss.  1885  sucht  die 
einzelnen  Bestandteile  auseinander  zu  scheiden. 
Vgl.  Heitz,  Die  verlorenen  Schriften  des  Aiist. 
103  ff.;  SusBMiHL  AI.  Litt.  I  160  ff.  Speziell 
von  den  musikalischen  Problemen  der  19. 
Sektion  erweist  Stumpf,  Die  psendo-aristo- 
telischen  Probleme  über  Musik,  Abb.  d.  pr. 
Ak.  1897,  dass  sie  viele  Parallelprobleme 
enthalten  und  deshalb  aus  zwei  Teilen  zu- 
sammengesetzt sind.  Wenn  er  dann  aber 
den  Ursprung  derselben  in  die  Zeit  des  Plu- 
tarch  in  das  1.  oder  2.  Jahrb.  xl  Chr.  verlegt» 
so  macht  dagegen  bedenklich,  dass  damals 
das  Corpus  der  aristotelischen  Werke  bereits 
abgeschlossen  war. 

')  Rose,  Arist  psendepigr.  p.  239;  Dibijb, 
Doxogr.  226  f.;  das  gleicJie  Problem  in 
Westermanns  Pai-adoxogr.  190. 


4.  ]>i6  PhUosophen.    d)  Aristoteles.    (§§  321—322.) 


471 


des  Alexander  Aphrodisiensis  verloren  war,^)  nsgl  t(ov  dvaTOfidv,*)  welches 
Werk  den  Alexandrinern  noch  in  7  B.  und  in  einem  Auszug  von  1  B.  vor- 
lag,*) ferner  neQl  TQOifrjg^  'Onrixd  und  'AtrtQokoyixd.  —  Von  der  unter  dem 
Namen  des  Aristoteles  gehenden  Schrift  ^laxQixa  Mevioveia^  so  genannt 
nach  einem  Schüler  des  Aristoteles,  der  auf  Anregung  des  Meisters  die 
Schrift  verfasste,  haben  wir  unlängst  durch  einen  Londoner  ärztlichen 
Papyrus  nähere  Kenntnis  erhalten.^) 

321.  Werfen  wir  schliesslich  einen  Bückblick  auf  die  Gesamtheit  der 
naturwissenschaftlichen  Werke,  so  machen  dieselben  den  grösseren  Teil 
der  aristotelischen  Schriften  aus,  und  zeigt  sich  in  ihnen  die  fruchtbarste 
und  erfolgreichste  Seite  der  wissenschaftlichen  Thätigkeit  unseres  Philo- 
sophen. Wir  interessieren  uns  ja  als  Philologen  und  Philosophen  mehr 
für  die  Poetik,  Logik,  Politik,  aber  in  diesen  Disziplinen  wandelte  Aristo- 
teles alte  Wege,  wenn  auch  mit  selbständigem  Oeiste,  aber  in  der  Natur- 
geschichte und  Naturphilosophie  hatte  er  nur  unbedeutende  Vorgänger,^) 
so  dass  er  in  ihnen  wesentlich  neue  Bahnen  der  Wissenschaft  erschloss. 
Mit  einem  bei  einem  Philosophen  doppelt  anerkennenswerten  Forschungs- 
sinn  hatte  er  auch  für  das  BJeinste  in  der  Natur  ein  offenes  Auge^)  und 
umfasste  er  mit  seinem  Wissen  eine  geradezu  staunenswerte  Fülle  von 
Thatsachen.  Er  ist  Schöpfer  der  Naturlehre  geworden  und  hat  damit  die 
in  spitzfindige  Yerstandesoperationen  sich  verlierende  Spekulation  auf  das 
fruchtbare  Gebiet  des  Thatsächlichen  verwiesen.  Er  verzichtete  freilich 
nicht  auf  den  Versuch  eines  philosophischen  Begreifens  der  Natur  und  ist 
damit  zu  Prinzipien  gekommen,  die  heutzutage  zum  grössten  Teil  als  ver- 
altet angesehen  werden  müssen.  Aber  wenn  wir  auch  über  die  4  Ele- 
mente und  ihre  begriffliche  Deduktion  hinausgekommen  sind  und  selbst 
gegen  die  teleologische  Auffassung  der  Naturerscheinungen  Zweifel  und 
Einwendungen  erheben,  so  wird  doch  die  aristotelische  Unterscheidung  der 
Prinzipien  der  Form,  der  Materie,  des  Bewegenden  und  des  Zweckes  für 
immer  eine  wichtige  Etappe  auf  dem  Wege  zur  Erkenntnis  der  Natur  und 
des  Kosmos  bilden.'') 

322.  Schriften  der  Psychologie  und  Metaphysik.  Die  psycho- 
logischen Schriften  stehen  nach  der  Auffassung  ihres  Urhebers  in  engem 
Zusammenhang  mit  den  naturwissenschaftlichen,  zunächst  mit  der  Tierlehre, 
indem  darin  die  Seele  als  Entelechie  des  Leibes  und  somit  als  Sitz  nicht  bloss 
des  Denkvermögens,  sondern  auch  der  Wahrnehmung,  der  Ortsbewegung, 
der  Ernährung,   des  Lebens  überhaupt  gefasst  ist.^)    Thatsächlich  aber 


^)  Alex,  ad  Arist  de  sensu  p.436*  17.  Arist. 
selbst  stellfc  sie  in  Anssicfat  p.  464  b,  32;  vgl. 
436a  17;  480b  23;  653a  8;  s.  S.  473. 

*)  Oefters  von  Arist  selbst  citiert;  siehe 
Ind.  Arist  p.  104. 

')  Ind.  Diog.  et  Menag. 

*•)  Herausgegeben  von  Diels,  Arist  snppl. 

mi. 

^)  Dass  er  jedoch  viel  den  Schriften  des 
Hippokrates  und  der  Aerzte  entnahm,  lehrfc 
PoBOBVKBUEOBB,  Die  natorwissenschafÜichen 
Schriften  des  Arisfc.  in  ihrem  Verhältnis  zn 
den  Büchern  der  hippokratischen  Sammlung, 


Bamberg  Progr.  1887. 

')  Arist  de  part.  animal.  I  5,  p.  645  a  15. 

^)  Die  Einteilung  in  Bücher  ist  unge- 
schickt durchgeführt;  die  Ordner  hfttten  das 
2.  B.  bis  zu  III  3  erstrecken  lassen  sollen, 
wie  ich  Plat  Stud.  23  gezeigt  habe. 

^)  Der  Standpunkt  ist  klargelegt  de  part 
an.  I  1:  toiovtov  (ai;  ^  xivovaa  aQXV  ^^^ 
tig  To  r^Xog)  jov  C^'o»  ntoi  ndaa  y  ^vxfj 
rj  fii{fog  XI  avtijg  '  tSate  xal  ovjioi  av  XsKxioy 

Die  niederste  Stufe  der  Seele,  to  SQBnuxoy, 
kommt  nach  Aristot  auch  den  Pflanzen  zu. 


472  Oriechisohe  Litteimtiirgosehichie.    I.  SlaMiMhe  Poriode. 

schlagen  die  hier  zu  betrachtenden  Schriften  weit  mehr  in  das  Gebiet  der 
Metaphysik  ein,  indem  sie  den  denkenden  Oeist  (rovg)  des  Menschen  zam 
Hauptgegenstand  haben,  dieser  aber  im  Mikrokosmos  des  menschlichen 
Seins  eine  ähnliche  Stellung  einnimmt,  wie  der  göttliche  Oeist  im  Makro- 
kosmos der  Welt.  So  sind  denn  auch  in  den  psychologischen  Schriften 
die  tiefsinnigsten  Spekulationen  enthalten,^)  und  gehören  dieselben  zu  den- 
jenigen Werken  des  Aristoteles,  welche  am  schwersten  verstandlich  sind 
und  am  meisten  die  volle  Klarheit  abschliessender  Erkenntnis  vermissen 
lassen.     Das  hauptsachlichste  Werk  dieses  Oebietes  ist 

n€Qi  ipvjf^g  in  3  B.     Das  1.  Buch  enthält  nach  einleitenden  Bemer- 
kungen über  die  Bedeutung   und  Schwierigkeit  des  Gegenstandes  Unter- 
suchungen über  das  Wesen  der  Seele  in  der  dem  Aristoteles  so  sehr  be- 
liebten, auch  die  Ermittelung  der  Wahrheit  so  sehr  fördernden  Form  von 
Einwänden  {anoQiat)  gegen  die  herrschenden  Annahmen;  eingelegt  ist  in 
dieselben  ein  historischer  Rückblick   auf  die   Lehre  der  Früheren.     Das 
2.  Buch,  welches  die  Untersuchung  wieder  von  vom  aufnimmt,  gibt  zuerst 
eine  Definition  der  Seele,  nämlich  die,  dass  sie  die  Form  {eldoq)  und  das 
Lebensprincip  (o^xO  eines  zum  Leben  bestimmten  d.  i.  organischen  Körpers 
sei,  und  handelt  dann  von  den  fünf  Kräften  (c^rra/ici^)  der  Seele  oder  von 
der  Kraft  des  Emährens  (^Q€nii»6v\  Begehrens  (o^acrfxoi),  Wahmehmens 
(a«r^i;iix('r),  der  örtlichen  Bewegung  {Mvr^-tixov  xcnd  tottov),  des  Denkens 
{Starorjfrtxoi').    Eingehender  wird  von  diesen  fünf  Funktionen  die  auf  Er- 
nährung und  Wahrnehmung  gerichtete  Seelenthätigkeit  behandelt,  wobei 
für  jede  der  fünf  Wahrnehmungen  (ahä^r^csic)   ein  entsprechendes  Organ 
(ah&rjr^gtor)  aufgestellt  und  auch  den  Tieren  oder  den  niederen  ^^a  eine 
Seele,  aber  nur  eine  mit  Organen  für  die  niederen  Funktionen  ausgerüstete 
Seele  beigelegt  wird.     Im  3.  Buch  schliesst  der  Philosoph  die  Lehre  von 
den  Sinneswahmehmungen  ab   und  leitet  die  Untersuchung  auf  die  Be- 
wegungs-  und  Denkseele  über.     Dieser  letzte  Teil  berührt   die  obersten 
Probleme  der  Philosophie  und  ist  daher  von  grösster  Wichtigkeit;   leider 
aber  enthält  derselbe  nur  zu  viele  dunkle  und  abgerissene  Sätze,  so  dass 
schon   unter   den    alten  Kommentatoren   über   den  unterschied  des   voBg 
jwotrjtxog  und  rovg  nra^i^Tixoc,  und  über  das,  was  an  der  Seele  trennbar 
(x^^ffTov)  vom  Leibe   und  demnach  unsterblich   sei,   lebhafte  Differenzen 
entstanden.     Auf  den  unfertigen  Zustand  des  aristotelischen  Manuskripts 
weisen  auch  die  Spuren  einer  doppelten  Textesredaktion  hin,  welche    die 
neueren  Herausgeber  klar  gelegt  haben.') 

Gewissennassen  einen  Anhang  zu  den  drei  Büchern  über  die  Seele 
bilden  die  sogenannten  Parva  naturalia,  jedoch  so,  dass  sie  mehr  die 
niederen  Seiten  des  animalischen  Seelenlebens  behandeln  und  eine  Mittel- 
stellung zwischen  Psychologie  und  Zoologie  einnehmen.  Der  Name  Parva 
naturalia,  womit  die  acht  kleineren  Abhandlungen  nc^  mfx^vjcfwg  xal  ceia^ 
x^t^wy^  Tif^  urrurc  xoi  araurratwgy  rwf^  vTtrov  auri  iyQr^YO^fwg^  7W€Qi  ivv^ 
rwrimr  xal  rfg  xax^'  rmor  /laiTiarr^,   7W(^  fi€ixooßwTr^wog  jm  ßQaxvßiovrjXog^ 

*)  AiisL  de  «um.  I  1:    nfr  :tt^   nf^  *)  SMe  dbrtber  aoflser  der  Ausgabe  von 

i^/^(  irr«p<ci'  frXöymg  ir  ir  .*f^'r«;  ri>      Tontnk  Raub,  Azist  de  an.  L  11,  BeiL  ISB91. 


4.  Die  PhiloBophen.    d)  AristoteleB.    (§  323.) 


473 


ne^  veoTr/fog  xai  yiJQoyg,  nfQi  ^tp^g  xai  &avdtov,  negl  ävaTivorjg  zusammen- 
gefasst  werden,  stammt  aus  dem  lateinischen  Mittelalter  und  wird  zuerst 
von  Schalem  des  Thomas  von  Aquin  gebraucht.^)  Aristoteles  selbst  stellt 
gleich  in  dem  Eingang  des  kleinen  Corpus  psychologisch-physiologischer 
Abhandlungen  fünf  Paare  gemeinsamer  Thätigkeiten  des  Körpers  und  der 
Seele  auf:  Wachen  imd  Schlaf,  Jugend  und  Alter,  Einatmen  und  Ausatmen, 
Leben  und  Tod,  Gesundheit  und  Krankheit.  Aber  im  nachfolgenden  hat 
er  sich  nicht  genau  an  diese  Disposition  gehalten:  es  sind  andere  Ab- 
handlungen eingeschoben,  und  von  dem  Abschnitt  über  Gesundheit  und 
Krankheit  liegt  nur  ein  Proömium  vor,  sei  es  dass  die  Ausführung  im 
Laufe  der  Zeiten  verloren  gegangen  ist,  sei  es  dass  der  Philosoph  selbst 
zur  Ausführung  der  Sache  nicht  gekommen  ist.  Ist  das  erstere  der  Fall,  so 
muss  die  betreffende  Schrift  schon  vor  Alexander  von  Aphrodisias  verloren  ge- 
gangen sein,  da  dieser  im  Kommentar  zu  jener  Einleitung  p.  486*  17  aus- 
drücklich bezeugt,  dass  schon  in  seinem  Aristoteles  die  Schrift  über  Ge- 
sundheit und  Krankheit  fehlte.  Das  ganze  Corpus  wie  es  uns  erhalten  ist, 
zerfällt  in  zwei  Teile:  Der  erste  Teil  betrifft  das  Empfindungsvermögen  der 
Seele,  wobei  an  die  Besprechung  von  Wachen  und  Schlaf  ein  sehr  inter- 
essanter Abschnitt  über  das  Seelenleben  im  Schlaf  und  die  Möglichkeit 
einer  Erkenntnis  aus  Träumen  angeschlossen  ist.  Der  zweite  Teil,  der 
schon  in  dem  alten  systematischen  Verzeichnis  der  Werke  des  Aristoteles  ^) 
vom  ersten  durch  andere  zoologische  Schriften  getrennt  war,  behandelt  die 
Seele  als  Lebensprinzip  und  steht  in  engerer  Verbindung  mit  den  Büchern 
über  das  Werden  und  die  Teile  der  Lebewesen  (?<]?«).  Auffällig  insbesondere 
erscheint  uns  die  dort  und  in  den  latrika  Menonea  vorgetragene  Lehre 
vom  Atmen,  indem  die  durch  dasselbe  zugeführte  Luft  nicht  den  Ver- 
brennungsprozess  erzeugen,  sondern  umgekehrt  die  innere  Wärme  abkühlen 
und  so  das  Leben  erhalten  soll.  Erhöhtes  Interesse  erhalten  die  Schriften 
des  kleinen  Corpus  noch  dadurch,  dass  Aristoteles  die  abweichenden  Lehren 
der  Früheren,  des  Plato,  Empedokles,  Demokrit,  Anaxagoras,  Diogenes 
eingehender  Berücksichtigung  würdigt,  wodurch  unter  anderem  zwei  längere 
Fragmente  des  Empedokles  uns  erhalten  sind. 

823.  Die  Metaphysika  in  13  (14)  B.  nehmen  dem  Inhalte  nach  die 
oberste  Stelle  unter  den  philosophischen  Schriften  ein.  Denn  sie  bilden 
die  höchste  Stufe  der  Philosophie,  die  nQoiTr]  g^iloaofpta,  und  handeln  von 
den  obersten  Gründen  alles  Seienden,  des  beweglichen  wie  unbewegten.  •) 
Se  decken  sich  zugleich  mit  Theologie,  da  der  Volksglaube  mit  dem  Namen 
Gott  die  Vorstellung  des  obersten  Grundes  verbindet.  Das  Wort  Mtza- 
^vcixa  findet  sich  bei  Aristoteles  selbst  nicht  und  scheint  diesem  Komplex 
von  Büchern  erst  von  den  Peripatetikern  gegeben  worden  zu  sein,  weil 
sie  denselben  ihre  Stelle  nach  den  Physika  anwiesen.*)     Aristoteles  nahm 


I)  FBKCi>KirTHAL  Rh.  M.  24  (1869)  81. 

«)  Ed.  acad.  B«rol.  1.  V  p.  1471;  vergl. 
Pl«e£atio  ZOT  Ausg.  der  Parva  natnralia  in 
BibL  Teabn.  von  Biehl  p.  V. 

')  Neben  dem  Beweglichen  und  ünbe- 
vegten  {rd  xivovfdera  o.  axiyrjTa\  dem  Yer- 
gii^chen   imd   Ewigen  {q>&aQTä  u.  at^ia) 


nimmt  Arist.  noch  die  durch  Absondemng 
von  der  Materie  gewonnenen  mathematischen 
Dinge  (t«  iy  «(faiQBCu)  an;  s.  de  caelo  III 
1  p.  299»  16  und  Bonitz  zu  Met.  ^  2  p. 
982^27. 

^)  Im  Verzeichnis  des  Diogenes  fehlen 
die  Metaphysika  ganz,  vielleicht  bloss  infolge 


474  ChrieohiMlie  Liiterfttiirgosehiehte.    L  KUMioehe  Periode. 

mit  ihnen  im  gereiften  Alter  den  Gegenstand,  den  er  bereits  früher  in  dem 
populären  Werk  TifQt  iftlo<fo(fiag  behandelt  hatte,  wieder  auf,  um  ihn  nach 
den  strengen  Grundsätzen  wissenschaftlicher  Beweisführung  und  gestutzt 
auf  die  inzwischen  in  der  Physik  und  in  den  Büchern  vom  Hinmiel  ent- 
wickelten Sätze  durchzuführen.  Zur  vollen  Klarstellung  seiner  Gtodanken 
und  zur  endgültigen  Überwindung  der  dem  menschlichen  Geiste  sich  gerade 
hier  entgegentürmenden  Schwierigkeiten  hat  er  es  indes  nicht  gebracht: 
weder  sachlich  noch  in  der  Form  genügt  seine  Metaphysik.  Das  erstere 
darzuthun  ist  Aufgabe  der  Geschichte  der  Philosophie;  es  genüge,  darauf 
hinzuweisen,  dass  die  Defim'tion  der  TtQciTfj  q^ilo<fog>ta  als  Wissen  vom 
Seienden  als  Seienden  {rov  ovtog  vj  ov)  Definition  geblieben,  nicht  Aus- 
gangspunkt für  die  nachfolgenden  Untersuchungen  geworden  ist,^)  dass 
der  voiq  oder  die  Gottheit  als  die  den  Sternenhimmel  bewegende  Kraft 
höchstens  die  Bewegung  der  Sterne,  aber  nicht  die  Gebilde  des  Weltalls 
und  das  Werden  der  Dinge  erklärt,  endlich  dass  die  aus  der  Physik  her- 
übergenommenen vier  Grundprinzipien,  vir;  eliog  x6  xivovv  %6  ov  ivsxa^ 
mit  dem  vovg  in  keine  rechte  Verbindung  gebracht,  noch  in  ihrer  Ctenesis 
und  wechselseitigen  Einwirkung  beleuchtet  sind.  Wo  es  so  an  der  Ella- 
rung  und  Beherrschung  der  Sache  fehlte,  konnte  auch  die  formale  Durch- 
führung und  die  Zusammenwebung  der  Teile  zu  einem  Ganzen  nicht  ge- 
lingen.^) Gut  hängen  zusammen  und  sorgfältig  durchgearbeitet  sind  nur 
die  3  ersten  Bücher  ABT,  welche  den  Weg  zur  Lösung  durch  Kritik 
der  Vorgänger  und  Besprechung  der  Aporien  ebnen  sollen,  und  von  denen 
namentlich  das  erste  als  kritische  Rundschau  über  die  früheren  Philoso- 
pheme  mit  Recht  hochgeschätzt  ist.  Die  eigentliche  Ausführung  enthalten 
die  Bücher  E  Z  H  &  l  A^  aber  so,  dass  wir  hier  überall  die  feilende 
Hand,  ja  mehr,  das  Ineinandergreifen  und  den  Abschluss  der  einzelnen 
Untersuchungen  vermissen.  Namentlich  zeigen  sich  diese  Mängel  in  dem 
Buche  A^  welches  die  Krone  des  Ganzen,  die  Lehre  von  dem  voiq  und 
den  Göttern,  enthalten  soll.  Das  Buch  J  behandelt  die  Vieldeutigkeit  der 
in  der  Philosophie  zur  Sprache  kommenden  Ausdrücke  und  bildet  ein  Buch  für 
sich,  das  nicht  unpassend  zwischen  Tund  E  eingelegt,  aber  nicht  mit  den- 
selben organisch  verbunden  ist.  Das  Buch  K  enthält  im  ersten  Teil  eine  gute 
Zusammenfassung  der  Bücher  B  r  E,  im  zweiten  einen  weniger  genügen- 
den Abriss  derjenigen  Kapitel  der  Physik,  welche  für  die  Metaphysik  von 
Wert  sind;  dasselbe  stellt  in  Verbindung  mit  A  und  A  einen  kürzeren 
Kurs  über  Metaphysik  dar,  und  scheint  von  einem  Schüler  aus  den  Werken 
des  Meisters  ausgezogen  und  nur  mit  einigen  eigenen  Zusätzen  versetzt 

eines  Ausfalls;   der  Ind.  Menag.  hat  juera-  i  durch  Streichung  der  Sfttze  £1   p.  1026  a, 
q)vaixtt  X   und  fustafpvcixa  t\  das  arabische   |    18  wäre   —  &€oXoyixij  und  xal   rijy   wituo^ 


Verzeichnis  kennt  unsere  13  B.  Bei  den 
Alexandrinern  ist  das  4.  B.  unter  einem 
eigenen  Titel  negl  tuüy  noca^tog  XeyofAivtüv 
aufgeführt;  wahrscheinlich  hatten  bei  ihnen 
auch  noch  die  zwei  letzten  Bücher  eine  ge- 
trennte Stellung. 

*)  Natorp,  Thema  und  Disposition  der 
Metaphysik,  in  Philos.  Monatshefte  XXIY 
37—65  sucht  die  Schwierigkeit  zu  mindern 


jdxfjy  —  yiyoq  Biym, 

')  Das  Beste  darüber  gibt  Bonitz,  Atist. 
met.  II 3 — 35.  Von  Torausgehenden  Arbeiten 
hebe  ich  hervor  Rayaissok,  Essai  sur  ]& 
M^taphysique  d'Aristote,  1837.  Meine  eigenen 
Ansichten  habe  ich  teils  in  Studia  crit.  in 
Arist.  libros  metaph.  1853,  teils  in  meiner 
Ausg.  1886  (1895)  dargetiian. 


4.  Die  PhUoBopbexi.    d)  AriBtoteles.    (§  824.) 


475 


zu  sein.^)  Die  beiden  letzten  Bücher  M  N  enthalten  eine  för  sich  be- 
stehende Kritik  der  platonischen  Ideenlehre,  gehören  also  zum  Gedanken- 
kreis der  Metaphysik,  waren  aber  um  so  weniger  bestimmt,  mit  den 
anderen  Büchern  zu  einem  Werke  vereinigt  zu  werden,  als  sie  ganze 
Kapitel  mit  dem  Buche  Ä  (990»>  6—991  »>  9  =  1078*  32-1080*  11)  bis 
aufs  Wort  gemeinsam  haben. 

Nicht  in  die  Metaphysik  aufgenommen,  aber  zu  ihr  gehörig  ist  die 
von  Neueren  dem  Theophrast  zugeschriebene  Abhandlung  naql  arcjuair 
YQUfifioiVy  die  mit  der  Kritik  der  platonischen  Ideenlehre  zusammenhängt 
und  eigentlich  im  Anhang  der  Metaphysik  gedruckt  werden  sollte.  Mehr 
Qunst  hat  bei  den  alten  Aristotelikern  das  Büchlein  a  gefunden,  welches 
nach  Vorlesungen  des  Aristoteles  von  Pasikles,  einem  Neffen  Eudems,  heraus- 
gegeben,') aber  sehr  unpassend  zwischen  A  und  B  eingelegt  wurde.  Einen 
vorzüglichen  Kommentar  zur  Metaphysik  haben  wir  aus  dem  Altertum  von 
Alexander  aus  Aphrodisias. 

824.  Schriften  über  Ethik  und  Politik.  Der  Betrachtung  (^*a)- 
i^v)  der  objektiven  Welt  stellt  Aristoteles  das  subjektive  Handeln  gegen- 
über, indem  er  hier  selbst  wieder  zwischen  dem  vernunftgemässen  Handeln 
im  engeren  Sinn  {rrgaTteiv)  und  dem  künstlerischen  Schaffen  {noieiv), 
zwischen  Ethik  und  Ästhetik,  unterscheidet.^)  Der  praktischen  Philosophie 
gehört  zunächst  die  Sittenlehre  {rj^ixt}  (fiXoco^ta)  an;  öffentliche  Gestal- 
tung findet  das  vernünftige  und  sittliche  Handeln  im  Staat,  und  so  bildet 
die  Politik  einen  Anhang  der  Ethik. 

'Hx^ixd  Nixofjidxficc  in  10  B.,  ^Hd-ixd  EvSijfxeia  in  7  B.  und 
'fl^ixa  ^isydla  in  2  B.  enthalten  alle  in  gleicher  Weise  die  Grundsätze 
der  aristotelischen  Sittenlehre;  aber  sicher  hat  Aristoteles  nur  in  einem 
Werk  seine  Lehre  darlegen  wollen,  und  dieses  eine  Werk  ist  die  nach 
seinem  Sohne  Nikomachos,  vermutlich  dem  Herausgeber,  benannte  Ethik. 
Die  Eifdr.fisia  sind  eine  an  die  Vorträge  des  Meisters  und  an  die  niko- 
machische  Ethik  sich  anschliessende  Bearbeitung  des  gleichen  Gegenstandes 
dnrch  seinen  Schüler  Eudemos  von  Rhodos,^)  die  einige  Abschnitte  mit 
der  nikomachischen  Ethik  ganz  und  gar  geroein  hat.^)  in  den  meisten 
hingegen  eigene  Zusätze  und  Änderungen  enthält.  Die  'H&ixd  fjisydXa, 
welche  in  sonderbarem  Widerspruch  zu  dem  Namen  den  kleinsten  umfang 
haben,  sind  ein  jüngeres  Werk  der  peripatetischen  Schule,  in  welchem 
die  beiden  älteren  Ethiken  zu  einem  kleineren,  aber  alle  Punkte  umfassen- 
den Auszug  zusammengearbeitet  sind;«)  wenn  sein  Verfasser  gleichwohl  sich 


')  Aach  sprachliclie  Grflnde  ^ 
gegen  die  ürheberscliaft  des  Arist;  vergl. 
meme  Ansg.  p.  218  Note.  Der  Veranstalter 
^  Ansrogs  fand  noch  nicht  Bach  J  ein- 
gelegt. 

')  YgL  Note  des  Cod.  E  in  meiner  Ausg. 
P-35.  Die  Einf&gong  geschah  wohl  in  der 
Zeit  nach  Andromkos,  da  keine  Neuzählung 
<ier  13  Bftcher  des  Eataloges  vorgenommen, 
Mmdem  das  neuhinzngetretene  Buch  mit  a 
f^ior  bezeichnet  wurde. 

»)  Met  Z  1. 


^)  Dieser  Schüler  des  Arist,  der  den 
Meister  Aberlebte,  ist  verschieden  von  dem 
älteren  Mitschüler  Eudemos,  dem  der  Dialog 
Eudemos  gewidmet  war.  Das  Altertum  hatte 
auch  Ei*dijfÄOv  ttvttXvTlxn  und  q^vaxa,  die 
noch  Simplicius  las.  Eudemi  fragm.  ed.  L. 
Sp ENGEL,  Berol.  1866,  wo  aber  die  Ethika 
ganz  ausser  Betracht  gelassen  sind ;  Eudemi 
fragm.  in  Mullach  FPG  III  222—292. 

»)  Nicom.  V-Vn  =  Eud.  IV- VI. 

®)  Dieses  Verhältnis  ist  klar  gestellt  von 
Spemgsl,   lieber  die  unter  dem  Namen  des 


476  Orieohiflohe  LitteimtitrgMobiehte.    L  KUsnaehe  Pmode. 

p.  1201b  25  (SaTTSQ  ^^a^tv  iv  xotq  maXvrixotq  mit  Aristoteles  identifiziert, 
so  hat  dieses  sein  Analogen  daran,  dass  Aristoteles  selbst  in  der  Meta^ 
physik   mit   Xh'yoficr  sich   als  Angehörigen   des  platonischen  Kreises  be- 
zeichnet —  Die  Ethika  sind  im  allgemeinen  von  unserem  Philosophen  weit 
mehr   zur   Abnindung   gebracht  als   die  Metaphysika;   gleichwohl   erregt 
ihre  Komposition  mehrfach  Anstoss:  ob  die  der  nikomaehischen  and  ende- 
mischen Ethik  gemeinsamen  Bücher  dem  ersten  oder  zweiten  Werke  ur- 
sprünglich angehörten,  ist  eine  schwer  zu  entscheidende  Frage  ;^)  die  Bücher 
Vm  und  EK,  welche  von  der  Freundschaft  handeln,  sind  locker  angereiht 
und  bildeten  ehedem  eine  eigene  Schrift  ns^  9<^a^,  wie   eine  derartige 
noch  in  den  alexandrinischen  Katalogen  aufgeführt  ist;  das  gleiche  scheint 
mit  dem    10.  Buch,    das   von    der   Lust  und  Glückseligkeit  {evSaifwiw) 
handelt,  der  Fall  zu  sein,  da  auch  hier  die  alexandrinischen  Kataloge  ein 
eigenes  Buch  rwe^l  rjiovr^g  registrieren.     In  dem  Inhalt  der  Lehre  zeigt 
sich  insofern  ein  Abfall  von  Piaton,   als  die  Untersuchung  über  die  eine 
Wurzel  der  Sittlichkeit  sich  in  dem  Detail  der  Einzeltugenden  verliert') 
Aber  in  der  Schärfe  der  BegriflEBbestinmiung,  der  Klarheit  der  Auffassung 
hat  Aristoteles  auch  hier  seine  Meisterschaft  bewährt.     Er  geht  aus  von 
dem  Begriffe  des  reinen  Guten  oder  der  Glückseligkeit  (evimiiovta) ;  diese 
findet  er   nicht  in  der  Lust,  auch   nicht  im  Reichtum  und  in  äusseren 
Gütern   des   Lebens,    sondern  in  derjenigen   denkenden    und   handelnden 
Thätigkeit,  durch   die  der  Mensch  die  ihm  als  Menschen   zukommenden 
Aufgaben  erfüllt.')     Die  Tugend  ist  ihm  eine  dauernde,  auf  Einsicht  und 
Übung  beruhende  Haltung  der  Seele  (^^<^),   welche  die  rechte  Mitte  zwi- 
schen dem  zu  viel  (vTis^ßolrj)  und  dem  zu  wenig  (J^XXfi^i^)  findet  und  auf 
solche  Weise  die  Leidenschaften  und  Affekte  im  Menschen  beherrscht  und 
regelt.^)    In  Übereinstimmung  mit  der  Begriffsbestimmung  der  Eudämonie 
und  ganz  im  Geiste  des  Piaton  und  des  Altertums  überhaupt  unterscheidet 
er  des  weiteren  zwei  Arten  von  Tugenden,  die  dianoetischen  oder  geistigen 
und  die  praktischen  oder  ethischen  im   engeren  Sinn.    Die   Ausfuhrung 
und  Charakterisierung  der  einzelnen  Bethätigungen  der  Tugend  des  Geistes 
und  des  praktischen  Handelns  nimmt  sodann   den  grösseren  Raum  seines 
Werkes  ein.     Der  schwächste  Punkt  in  der  Ethik   und   der  Seelenlehre 
unseres  Philosophen  ist  die  Unklarheit  über  die  Kraft  des   Willens   und 


Arist  erhaltenen  ethischen  Schriften,  Abh.  ')  Das  tfaat  aber  Aristoteles  mit  Ab- 
el. bajer.Ak.  1111841;  daznSpBHQBL,  Aristo-  sieht,  wie  die  Stelle  in  der  Politik  I  18 
telische  Studien  I  in  Abh.  d.  b.  Ak.  X  1863.  p.  1260  *  27  zeigt:  noXv  ydg  afAj^ivov  Xiyov^u^ 
Vgl.  Ubbkrwbg,  Gnmdriss  V  195  f.;  Zbllbs  oi  i^agi^fioi'yteg  rag  a^eiagy  wane^  Fa^iagy 
II'  2,    101  f.      Ueber    die    Abschnitte    der  twr  ovttog  oQi^ofiermr. 

Mondia  magna,  welche  in  den  beiden  andeni  *)  Eth.  Nie.  I  6;  ygL  IX  9  p.  1169  >>  29: 

Ethiken  nicht  stehen,  siehe  Susbmihl  in  den  ij  «J<fai/uoW«  iregysia  tiV  icwiy. 

Proleg.  seiner   Ausgabe  der  ersten  Schrift  ^)  Eth.  Nie.  0  5:    t;  t«v  är&^nov    e£^ 

Bkbok,  Gr.  litt  IV  494  wiU  die  grosse  Ethik  '   ay  i^tg,   dtp^  ^q  dya^g  ay&^mnog   yi^cxat 

dem  Peripatetiker  Phanias  beilegen.    Einflnss  xat  ägf^  ^g  to   iavtov   i^yoy   anodiu^ei 

der  Stoa  weist  nach  Zeller  II '  2,  942.  fi&soxtig  ug  d^a  ^liy  17  a^ef  «7,   vroxa^rix^ 

M  SüSBMiHL,   Ueber  die  nikomachische  ^^  ^S^„  ,or  uscov.  Die  Definition  hat  groasen 

Ethik  des  Anst   in  Vhdl.  d.  80.  Phdologen-  Nachklang  in  der  alten  Utteratur  gefunden. 

Versammlung  1881   Ifast  sie  m  der  Haupt-  [  g^  ^^  ^i  Ho^az  ep.  I  18,  9:    Hrtus  est 

mwae  von  Anstot  stammen,  aber  aus  der  ^^^ium  vitiorum  et  utrimque  reductum. 

endemischen  Ethik  ergänit  sem.  | 


4.  Die  Philosophen     d)  AristoteloB.    (§  325.) 


477 


das  Verhältnis  des  Willens  zum  natürlichen  Begehren   und  zur  geistigen 
Einsicht. 

Die  unechte  Schrift  n€Ql  dgetäv  xat  xaxKov  enthalt  dürre  Definitionen 
der  einzelnen  Tugenden  und  Laster,  i) 

326.  Die  IloXiTixd  in  8  B.  haben  die  Ethik  zur  Voraussetzung;  am 
Schlüsse  der  nikomachischen  Ethik  ist  auf  den  Staat  hingewiesen,  durch 
den  die  Menschen  zur  Sittlichkeit  erzogen  werden  sollen;  damit  ist  der 
Zusammenhang  der  Ethik  mit  der  Gesetzgebung  und  Politik  klar  ausge- 
sprochen.*) Ein  eigenes  Kapitel  Polit.  III  3  ist  der  Frage  gewidmet,  ob 
der  sittlich  gute  Mensch  {drr^Q  äya^og)  mit  dem  politisch  tüchtigen  Bürger 
(mXiTtig  (snoviaToq)  sich  decke.  Die  Politika  selbst  handeln  einleitungs- 
weise im  ersten  Buch  von  der  Grundlage  des  Staates,  dem  Haus  oder  der 
FamiHe,  und  im  Anschluss  daran,  von  der  Hausverwaltung  und  dem  Er- 
werb (xQTjfiaxiaxixij),  Als  Teil  des  Haushaltes  erscheinen  auch  die  Sklaven, 
da  diesen  die  körperlichen  Arbeiten  des  Hauses,  welche  der  freie  Grieche 
als  seiner  unwürdig  betrachtete,*)  zuzufallen  pflegten.  —  Im  zweiten  Buch 
unterzieht  sodann  unser  Autor  nach  der  ihm  beliebten  Methode  die  An- 
sichten der  Früheren,  der  Theoretiker  wie  der  Gesetzgeber,  einer  kriti- 
schen Betrachtung,  wobei  er  ausser  Phaleas  von  Chalkedon  und  Hip- 
podamos  von  Milet,*)  besonders  die  einschlägigen  Werke  Piatons,  den 
Staat  und  die  Gesetze,  in  den  Kreis  der  Untersuchung  zieht.  —  Die  eigent- 
liche Aufgabe  löst  er  in  den  sechs  nächsten  Büchern,  und  zwar  so,  dass 
er  den  Unterschied  der  drei  guten  Staatsformen,  bei  denen  die  Herrschen- 
den das  Wohl  der  Gesamtheit  im  Auge  haben  {ßatriXeia,  dQiaioxQazia^ 
nokteia),  und  der  drei  Ausartungen,  bei  denen  die  Herrschenden  von  ihren 
eigenen  Interessen  sich  leiten  lassen  {tvQavvig^  ohyaqxia^  dr.fioxgatta),^) 
zmn  Ausgangspunkt  nimmt.  Als  beste  Staatsform  gilt  ihm  diejenige,  in 
welcher  die  Besten  oder  die  durch  Tugend,  nicht  bloss  durch  Geburt  und 
Reichtum  Hervorragenden  die  Herrschaft  in  den  Händen  haben,  als  aller- 
beste die,  in  welcher  ein  einziger,  der  zugleich  allen  andern  an  Tugend 
nnd  Einsicht  überlegen  ist,  die  Herrschaft  führt.  ^)  Von  diesem  besten 
Staat  ist  in   den  Schlusskapiteln  des  3.  Buches  (IH  14 — 18)   und   in   den 


^)  Den  Aufsatz  hat  Ps.  Andronikos  in 
aein  kompiliertes  Bach  negl  naduiv  aufge- 
DommeD,  das  C.  Schüohbardt,  Andronici 
Bhodii  qni  fertar  libelli  negi  na&toy  pars 
•Itera  de  yirtatibus  et  vitiis,  Darmst.  1883 
vif  Gnmd  eines  guten  kritischen  Apparates 
oea  ediert  hat;  frühere  Ausgabe  von  Mul- 
ucH  PPG  m  570—8. 

*)  Die  Echtheit  jenes  Schiasses  der 
^&ak  ist  freilich  von  Amsdorf  (s.  S.  478 
Aam.  1)  angefochten  worden. 

»)  Arist  Pol.  ym  2  p.  1337 »»  6:  q^a- 
f^^r  üxi  tiay  roiovnoy  dei  /äbt^x^*'*'  ^^^  ''^^ 
Z^ifimy  Tioiijaei  tov  /ier^jjfoi^ror  firj  ßäyav- 
»ör.  ßayawfoy  d'igyoy  siyai  6bZ  rovxo  yo- 
fuUtp  xai  r^/i'jy*'  Zttvxijy  xai  fid&ijctyy  oaai 
'p»V  i«c  /^i/ffcic  xai  ras  ngd^eig  ras  rijs 
ff^r^g    axgijotoy    dnsgyd^oyxai    to     ütS/da 


jtSy  iX€v&£Q(ay  rj  xrjy  ^vj[ijy  xxX.  Vgl.  p. 
1277»^  35. 

*)  Von  Hippodamos,  der  von  Hause  aus 
ein  Baumeister  war  und  um  die  Mitte  des 
5.  Jahrhunderts  blühte,  hat  uns  Stobaios 
einige  pythagoreisierende  Bruchstücke  Tiegl 
noXixeiag  und  nsQi  ev&ttifxoylag  erhalten;  s. 
C.  Fr.  Hebmann,  De  Hippodamo  Milesio, 
Marburg  1841. 

^)  Unseren  Ausdruck  Ochlokratie  kennt 
Aristoteles  noch  nicht;  er  lässt  sich  erst  bei 
Polybius  nachweisen. 

*)  Ein  unbedingter  Lobpreiser  der  Mo- 
narchie ist  also  Aristoteles  nicht,  noch  we- 
niger ein  solcher  der  erblichen  Monarchie, 
bei  der  seine  Voraussetzungen  noch  weniger 
leicht  eintreffen;   s.  insbesondere  p.  1288*^  I. 


478 


Oriechische  Litteratnrgesohithte.    L  Klassische  Periode. 


sich  daran  unmittelbar  anschliessenden  Büchern  YII  und  VIII  gehandelt.^) 
Aber  die  Behandlung  des  Gegenstandes  ist  nicht  zum  Abschluss  gekom- 
men; besprochen  sind  nur  die  äusseren  Grundbedingungen  des  besten 
Staates  und  besonders  im  Hinblick  auf  Piaton  die  Erziehung  und  Bildung 
der  Staatsbürger.  Und  selbst  dieser  Teil  ist  unvollendet  geblieben  oder 
doch  unvollendet  auf  uns  gekommen;  behandelt  sind  nur  die  vier  Gegenstände 
des  gewöhnlichen  Unterrichtes,  Grammatik,  Gymnastik,  Musik  und  Zeich- 
nen;*) zu  den  höheren  Unterrichtsgegenständen,  Philosophie  und  Ästhetik, 
ist  der  Autor  nicht  gekommen.  —  Die  mittleren  3  Bücher  IV — VI  bilden  eine 
Untersuchung  für  sich;  sie  handeln  unter  dem  Gesichtspunkt  des  Real- 
politikers«)  von  den  übrigen  Staatsformen,  von  den  Teilen  des  Staates 
(Rat,  Beamten,  Gerichte)  und  deren  Aufgaben,  von  dem  was  den  Staat 
erhält  und  ihn  zu  gründe  richtet.  Auch  hier  ist  die  Reihenfolge  der 
Bücher  nicht  in  Ordnung.  Nach  der  von  Aristoteles  selbst  IV  2  gegebenen 
Disposition  und  nach  dem  Eingang  des  5.  Buches  sollte  man  erwarten, 
dass  das  5.  Buch  den  Schluss  bilde  und  demselben  das  in  den  Hand- 
schriften an  6.  Stelle  stehende  Buch  vorangehe.*)  Aber  da  in  dem  6.  Buch 
wiederholt  (p.  1316^  34,  1317«  37,  1319  »>  37)  auf  das  fünfte  Bezug  ge- 
nommen ist,^)  so  hat  es  mir  doch  die  grössere  Wahrscheinlichkeit,  dass 
Aristoteles  jenes  6.  Buch,  in  welchem  nochmals  von  der  Demokratie  und 
Oligarchie  und  den  durch  Mischung  entstandenen  Schattierungen  jener 
beiden  Staatsformen  gehandelt  ist,  erst  nachträglich  verfasst  und  den  be- 
reits vollendeten  Büchern  IV— V  als  Ergänzung  angehängt  hat.«) 

Die  beste  Einrichtung  des  Staates  galt  dem  Aristoteles  als  eine  der 
würdigsten  Aufgaben  der  Philosophie,  wie  auch  seine  Schule,  mehr  als 
selbst  die  Stoa,  sich  mit  politischen  Fragen  abgegeben  hat.  Aber  zum 
befriedigenden  Abschluss  hat  Aristoteles  sein  Hauptwerk,  unsere  Politik, 
nicht    gebracht;    es   fehlt   nicht   bloss   die    planmässige  Ordnung   in   der 


^)  Dass  in  den  Handschriften  die  Bücher 
YII  u.  VIII  an  falscher  Stelle  stehen  und  in 
der  angedeuteten  Weise  umgestellt  werden 
müssen»  hat  schon  im  16.  Jahrh.  der  Italiener 
Segni  erkannt,  und  ist  von  Conring  in 
der  Einleitung  der  Uebersetzung  des  Gi- 
phanins  1647,  und  L.  Spbi^gbl,  Ueber  die 
Politik  des  Aristoteles,  Abh.  d.  bayer.  Ak.  V 
1847,  näher  begründet  worden.  Die  jetzige 
falsche  Ordnung  ist  vorausgesetzt  in  dem 
Citat  VII  4  p.  1325  b  34  ne^i  rng  aXXag  Tto- 
Xirelag  ijfAiy  te&etaQfjTai  nQotCQoy  und  in 
dem  Schluss  der  Nikomachischen  Ethik. 
Eine  besondere  Beweiskraft  liegt  in  dem 
Ausdruck  xai*  aQeii^v  xexoQtjyr^fASfijy  IV  2 
p.  1289«  28,  womit  auf  VII 1  p.  1324"  1  zu- 
rückgewiesen wird.  Vgl.  SüSBMiHL,  Ueber 
die  Komposition  der  arist.  Politik,  in  Verhdl. 
der  30.  Vers,  der  Phil.  S.  17—29;  Amsdorp, 
Symbolae  ad  Arist.  politicorum  crisin  spec- 
tantes,  Landshut  Progr.  1894. 

^)  BiEHL,  Die  Erziehungslehre  des  Ari- 
stoteles, Innsbruck  1875.  Das  Zeichnen  war 
nach   Plinius   N.  H.  35,  76    um    diese  Zeit 


durch  den  Makedonier  Pamphilos,  den  Lehrer 
des  Apelles,  unter  die  Untenichtsgegenstände 
aufgenommen  worden. 

»)  Hauptstelle  darüber  p.  1288*»  85:  ol 
nXetatoi  tuiy  dnotpttivofAiytay  ne(fi  noXiieiaf 
xal  ei  taXXa  XeyotHri  xaXw^j  rtSy  ye  Z9V^ 
aifitoy  dittfiaQtdyovciy  '  ov  yaQ  fdoyoy  rijy 
ttQiarijy  dei    SetjQsTy  dXXd  xal  rijy  dvyaifjy. 

^)  Dieses  Verhältnis  ist  aufgedeckt  von 
Bartb^lrmy  DB  St.  Hilairb  in  seiner  Ausg. 
1837  und  festgehalten  von  L.  Spekobl  a.  O. 
u.  Arist.  Stud.  11,  Oncken,  Staatelehre  des 
Arist.  I  98  ff.  Vgl.  Brkdixrh  in  den  Jahres- 
berichten desPhilol.Xin264ff,  XIV  332  ff., 
XVI 465  ff.  und  Susbmihl  in  der  griech.- 
deutech.  Ausg.  Einl.  4  f.  u.  58  f. 

^)  Beachte  indes,  dass  die  Definition 
der  doppelten  Art  des  tcoy  im  5.  B.  p.  1301  ^ 
30  gegeben  und  im  6.  B.  p.  1317^  4  als  ge- 
geben vorausgesetzt  wird. 

*)  Wenn  nicht,  so  müssen  jene  3  Stellen 
als  nachträgliche  Interpolationen  angesehen 
werden,  wofür  allerdings  einige  sprachliehe 
Indicien  zu  sprechen  scheinen. 


4.  Die  Philosophen,    d)  Aristoteles.    (§  325.)  479 

Reihenfolge  der  Bücher,  *)  es  fehlt  auch  die  Krönung  des  Gebäudes,  indem 
ohne  jedweden  Epilog  das  Werk  zu  Ende  geht,  mag  man  nun  die  über- 
Ueferte  Ordnung  der  Bücher  beibehalten  oder  ein  anderes  Buch,  das 
5.  oder  6.,  an  den  Schluss  stellen.  Auch  sonst  reisst  gar  oft  der  Faden 
der  Untersuchung  und  haben  die  Herausgeber  ihre  liebe  Not,  mit  allen 
möglichen  Hausmitteln  der  Kritik  einen  einigermassen  befriedigenden  Text 
herzustellen.  Aber  gleichwohl  ist  das  Werk  eines  der  bedeutendsten  und 
interessantesten,  die  uns  das  Altertum  erhalten  hat;  namentlich  machen 
die  zahlreichen  Angaben  über  die  Einrichtungen  der  buntgestalteten  Staats- 
wesen des  Altertums  das  Buch  zu  einer  Hauptquelle  für  den  Historiker 
und  Altertumsforscher.  Der  Gegensatz  zu  Piaton  tritt  eben  besonders  hier 
von  seiner  guten  Seite  uns  entgegen,  indem  der  Autor  ideologische 
Träumereien  grundsätzlich  ablehnt  und  immer  auf  das  Thatsächliche  und 
Mögliche  den  Blick  gerichtet  hält.  Freilich  hinderte  dieser  Realismus  ihn 
auch,  über  die  Beschränktheiten  und  Vorurteile  des  Altertums  hinauszu- 
kommen :  er  verteidigt  nicht  bloss  die  Sklaverei,  er  sucht  sie  auch  physio- 
logisch durch  Annahme  einer  niederen  Naturanlage  dieser  unglücklichen 
Geschöpfe  zu  begründen;*)  vor  dem  Handwerk  und  der  Arbeit  überhaupt 
hat  er  keinen  rechten  Respekt,  indem  er  den  Körper  und  die  Seele  des 
Freien  von  ihr  nicht  besudelt  sehen  möchte;»)  um  dem  Übel  der  Über- 
völkerung vorzubeugen,  hat  er  Worte  der  Entschuldigung  für  die  Abtrei- 
bung der  Leibesfrucht  und  die  Unnatur  der  kretischen  Knabenliebe.*)  Auf 
der  anderen  Seite  verkennt  er  doch  wieder  darin,  dass  er  eine  unum- 
schränkte Gewalt  nach  Piatons  Vorgang  dem  Guten  (äya^og)  zuweist,  die 
naturgemässe  Berechtigung  der  einzelnen  Bürger,  an  der  Ordnung  des 
Gemeinwesens  mit  teil  zu  nehmen.^)  —  Für  die  Abfassungszeit  des  Werkes 
gibt  der  Umstand  einen  Wink,  dass  die  Ermordung  des  Königs  Philipp  (338) 
erwähnt  ist  (p.  1311^  1),  die  Einnahme  Babylons  aber  durch  Alexander  und 
die  Invasion  Kretas  durch  Agis  H.  (332)  nicht  in  Betracht  gezogen  sind 
(p.  1276"  28  und  1272"  22).«)     Sicherlich  ist  der  Staat  des  Aristoteles  nicht 


*)  Ich  vermute,  dass  Arist  nur  mehrere,   |  p.  1337*»  6  und  p.  1255'' 35:    ooois  i^ovaia 


ursprünglich  für  sich  bestehende  Traktate, 
wie  TteQi  oixo^o/Äias  (ß.  Ij,  tisqI  aQiaroxQa- 
Tta^  (VII  4 — VIII),  ne^i  xtüv  vnaqx^^xf*^^ 
noXixBibiv  (B.  rV— V  mit  dem  Nachtrag  von 
B.  VI),  und  die  Anfänge  einer  zusammen- 
fassenden Darstellung  (1 1;  II;  III;  VII 1—3) 
hinterlassen  hat.  Die  Zusammenfassung  der 
Teile  scheint  Theopbrast  besorgt  zu  haben, 
da  einige  denselben  geradezu  für  den  Autor 
des  Werkes  ausgaben;  s.  Hesychius  Ind.  libr. 
Arist.:    noAiTtxi;;    texQOtttfBtJ^    [cJ^]    ^    Seo- 

')  Pol  12;  damit  hängt  die  Ansicht  von 
der  Gesetzmässigkeit  des  Krieges  gegen 
Barbaren  zusammen,  worüber  I  8  p.  1256^ 
27:  T^  noXsfiixfi  dsl  /^<r^«ri  ngn^  xb  rn 
^Qia  xtti  T<oy  nrSqtonoiVy  oaoi  nstfvxoxeg 
ttQx^^f^oi  fifj  &eXovciy,  oig  <pv<rH  dlxttioy 
ovxa  tovxoy  rov  n6X$fjioy. 

')  Vgl.  die  oben  schon  angeführte  Stelle 


fAij  avxoig  xttxoTia&eTy,  inUgonoc  Xafißayei 
xijy  X9V^^'*V^  ''i'f^V^i  avtol  da  noXiisvoyXM 
ij  (piXoaog)ovai. 

*)  Vgl.  p.  1335''  25  u.  1272 »  24;  leider 
fehlt  die  an  letzter  Stelle  versprochene  Aus- 
führung. 

'^)  Polit.  III  17  p.  1288«  29:  Xeinerat 
fioyoy  x6  Ttei&ea^ai  t^  xoiovxif)  xal  xvgioy 
elvai  fjirj  xaia  fjtegog  dXX^  anXuig.  Nach  Ari- 
stoteles wäre  die  absolute  Monarchie  Louis 
XIV  die  beste  Staatsverfassung  gewesen; 
denn  auch  dieser  hatte  gesagt:  nous  devona 
consid^rer  le  bien  de  nos  sujets  plus  que  le 
notre  propre  und  c'est  la  volonte  de  Dieu, 
que  quiconque  ent  n4  sujei  obHsse  sana  dis- 
certiement.  Einmal  jedoch  Polit.  III  10  er- 
kennt Aristoteles  das  Unwürdige  an,  welches 
in  dem  Ausschluss  der  Bürger  von  der  Selbst- 
verwaltung Uegt. 

*)  Der  Eianzprozess  des  Demosthenes 


480 


Oriechisoho  Litteratiirgesohioht«.    L  EUteisohe  Periode. 


nach  dem  Muster  des  Weltreiches  Alexanders  eingerichtet,  schweben  dem 
Autor  vielmehr  durchweg,  namentlich  in  dem  Kapitel  von  der  Grösse  des 
besten  Staates  (VII  4  u.  5),  die  Verhältnisse  der  kleinen  Stadtgemeinden 
der  Griechen  vor  Augen.^)  Den  Begriff  der  Nation  und  des  nationalen 
Bundesstaates  hat  er  überhaupt  nicht  erfasst. 

326.  Die  Staatslehre  hatte  Aristoteles  schon  früher  in  dem  populären 
Dialog  IloXuixiq  behandelt,  auf  den  sich  Cicero  de  fin.  V  4  und  ad  Quint. 
fratr.  3,  5  bezieht.  Es  hatte  aber  derselbe  ausserdem  in  einem  grossartigen 
Sammelwerk,  nohxeTai  betitelt,  welches  die  Beschreibung  von  nicht  weniger 
als  158  Staatsverfassungen^)  enthielt,  sich  das  sachliche  Substrat  für  seine 
theoretischen  Spekulationen  verschafft.  Jenes  Sammelwerk,  welches  zur 
reichhaltigsten  Fundgrube  für  die  Grammatiker  und  Historiker  wurde,*) 
ist  leider  nicht  vollständig  auf  uns  gekommen.  In  neuester  Zeit  indes  ist 
aus  einem  ägyptischen  Papyrus  ein  wichtiger  Teil  ans  Tageslicht  gekommen 

'Ad^r^vatoH'  noXirsia^  fast  vollständig;^)  es  fehlt  nur  ausser  dem  Anfang 
und  einzelnen  Kapiteln  der  Staatsverwaltung  die  Verfassungsgeschichte  seit 
dem  Ende  des  peloponnesischen  Krieges.  In  schöner,  durch  eingelegte  Verse 
belebter  Darstellung  gibt  das  Buch  einen  vollen  Einblick  in  die  innere 
Geschichte  Athens.  Nicht  bloss  die  Staatsformen  sind  aufs  genaueste  in 
historischer  Entwicklung  behandelt,  auch  was  mit  der  Staatsverwaltung 
zusammenhängt,  Masse,  Gewicht,  Gerichtshöfe,  Annenpflege,  ist  in  Betracht 
gezogen.  Das  Ganze  zerfällt  in  2  Teile,  einen  historischen  und  einen 
systematischen.  Der  erstere  (c.  1—41)  enthält  eine  chronologische  Dar- 
stellung der  11  Staatsverfassungen  Athens  von  der  ältesten  des  Ion  bis 
zur  gegenwärtigen,  und  schliesst  mit  einem  zusammenfassenden  Überblick. 
Der  zweite  Teil  (c.  42 — 63)  bespricht  die  Staatsorgane  der  bestehenden 
Verfassung  {^yyQcctpr^  nolmav,  ßovkrjj  ccQX^h  StxaaxriQta)  und  setzt  deren 
Wirkungskreis  auseinander.  Als  Quelle  benutzte  der  Verfasser  ausser 
den  erhaltenen  Historikern  vorzüglich  die  Atthidenschreiber ;  daneben  er- 
sparte er  sich  auch  nicht  die  Mühe  der  direkten  Einsichtnahme  wichtiger 
Staatsurkunden.     Vielfach  hat  die  neue  Schrift  unsere  Kenntnis  der  atti- 


und  Aischines  hatte  ebenfalls  noch  nicht 
stattgefanden,  da  es  nach  ihm  nicht  heissen 
konnte  p.  1299'^  29:  ov  yuQ  nia  xQiaig  yi- 
yovbv  d/^(piaßtjTovynoy  7t€Qi  rov  ovofAatog  sc. 
ttQXV^  x«(  inifjieXelag. 

M  Vgl.  p.  1327»»  31:  ro  EXXijytoy  yiuog 
iXev&CQoy  re  diareXei  xal  ßeXnoxa  TioXirev- 
ofisyoy  Xtti  dvyä/uByoy  aQXSt-y  ndyttay,  mag 
tvyxdyoy  noXiteiag. 

^)  Nach  dem  Katalog  des  Andronikos 
oder  dem  arabischen  des  Ptolemaios  von 
171  Staaten;  98  Politien  weist  Nissen  Rh. 
M.  47,  189  ff.  nach,  9  weitere  Holzinoer 
Philol.  N.  F.  6,  115. 

*)  Plutarch,  Non  posse  suav.  c.  10  be- 
zeichnet die  Politeiai  des  Aristoteles  neben 
den  Geschichtswerken  des  Herodot  nnd 
Xenophon  und  der  Erdbeschreibung  des 
Eudozos  als  die  anziehendste  Lektüre.  Von 
den  Auszügen   des  Herakleides  wird  später 


die  Rede  sein. 

^)  Zuerst  kamen  zwei  Blfttter,  die  sich 
jetzt  in  Berlin  befinden,  zum  Vorschein;  s. 
DiBLS,  Ueber  die  Berliner  Fragmente  der 
'A^tjyaiioy  noXtrela,  Abb.  d.  Berl.  Ak.  1885; 
der  aristotelische  Ursprung  des  Papynis- 
fragments  ward  zuerst  mit  glänzendem  Scharf- 
sinn erkannt  von  Bbrgk  Rh.  M.  36,  87  ff.: 
vgl.  WiLCKBN  Herm.  23  (1888)  S.  446  ff.  Später 
kamen  vier  neue  Rollen  hinzu,  welche  auf 
der  Kehrseite  Rechnungen  aus  der  Zeit  Ves- 
pasians  v.  J.  78/79  enthalten;  diese  befind«! 
sich  in  London  und  sind  zuerst  heraui^e- 
geben  worden  von  Ebnton  1891;  manches 
besser  gelesen  von  Blass  in  der  2.  Textesauag. 
BT.  1895;  Hauptwerk  Wilamowitc,  Aristo- 
teles u.  Athen,  Berl.  1893,  2  Bde.  Quellen- 
untersuchung von  Bukst,  De  Aristotelis 
TioXitelag  ^J9i]ytti<oy  partis  alterios  fönte  et 
auctoritate,  Diss.  Dorpat  1897. 


4.  Die  Philosophen,    d)  Ariitotele». 


5—328.) 


481 


sehen  Verhältnisse  bereichert  und  berichtigt;^)  aber  auch  Irrtümer  und  Wider- 
spruche mit  Angaben  der  Politika,  wie  namentlich  bezüglich  der  Regierungs- 
zeit der  Pisistratiden,  sind  dem  Verfasser  untergelaufen,  so  dass  einige 
Kritiker  sogar  den  aristotelischen  Ursprung  der  Schrift  angezweifelt 
haben. ^)  Abgefasst  ist  das  Buch  nach  329,  da  es  c.  54  auf  einen  Volks- 
besehlnss  dieses  Jahres  Bezug  nimmt,  wahrscheinlich  zwischen  824  u.  322, 
da  es  einerseits  die  Vergötterung  Alexanders  voraussezt  (c.  61),  anderseits 
die  durch  die  makedonische  Okkupation  herbeigeführte  Verfassungsände- 
rung nicht  kennt.  ^) 

Verwandter  Natur  mit  den  Politeiai  waren  die  Nofiifia  ßaQßaQtxä, 
von  denen  mehrere  Fragmente  und  neuerdings  aus  Flinders  Petri's  Papyri 
einige  weitere  Bruchstücke  auf  uns  gekommen  sind.^) 

327.  Die  Olxovo^txd  in  3  B.  sind  unecht.  Das  zweite  Buch  ent- 
hält eine  Reihe  von  Beispielen,  wie  sich  Staaten  und  Private  aus  Geld- 
verlegenheiten halfen,  und  rührt  sicher  nicht  von  Aristoteles  selbst,  son- 
dern von  einem  jüngeren  Glied  der  peripatetischen  Schule  her.  Aber  auch 
das  erste  Buch,  von  dem  im  griechischen  Original  nur  Bruchstücke  exi- 
stieren, wird  von  Philodemos  nsql  xaxmv  xal  ägstayv  col.  7  als  Werk  des 
Theophrast  citiert  und  ist  nach  Susemihl,  dem  neuesten  Herausgeber  der 
Ökonomik,  um  250 — 200  v.  Chr.  entstanden.  Das  3.  Buch,  das  den  Spezial- 
titel  vofAOi  ävdQcq  xal  yafi€%ffi  hatte,  ist  nur  in  lateinischen  Übersetzungen 
erhalten.^)  Die  echte  Lehre  des  Aristoteles  über  das  Hauswesen  enthält 
das  1.  Buch  der  Politik. 

«t28.  Die  Schriften  über  Poetik  und  Rhetorik.  Rhetorik  und 
Poetik  spielten  seit  Piaton  eine  grosse  Rolle  in  den  Untersuchungen  der 
Philosophen ;  die  Rhetorik,  weil  sie  in  das  Grenzgebiet  der  Philosophie  fiel, 
die  Poetik,  weil  sie  ebenso  wie  die  Musik  die  Aufmerksamkeit  des  Gesetz- 
gebers und  Staatsmannes  in  Anspruch  nahm.^)  Die  Stellung  des  Piaton 
und  Aristoteles  zu  diesen  Künsten  ist  eine  grundverschiedene:  jener  hat 
sie  verdammt  und  aus  dem  Idealstaat  ausgeschlossen,  dieser  hat  sie  in 
ihrem  Wesen  begriffen  und  an  ihre  richtige  Stelle  gewiesen. 

Von  der  Poetik  in  2  B.  ist  nur  das  erste  Buch  erhalten.  Dasselbe 
handelt  von  der  Tragödie  und  dem  Epos:  das  zweite  Buch  war  der  Komödie 
gewidmet.^)  Das  kleine  Büchlein,  das  nur  durch  Zufall  als  Anhang  einer 
Sammlung  rhetorischer  Schriften  im  Cod.  Paris.  1741  uns  erhalten  ist,  hat 
in  der  neueren  Zeit  mehr  Beachtung  gefunden  als  irgend  eine  der  philo- 


^)  Ad.  Baues,  Liierarische  und  histo- 
nache  Forschungen  zu  Arisioieles  ^Adriyaltay 
n9hieia,  MOnchen  1892. 

*)  Bedenken  gegen  die  Echtheit  erhoben 
Fbibdk.  Gaubk,  Hat  Arietoteles  die  Schrift 
Tom  Staat  der  Athener  geschrieben?,  >tatt- 
girt  1891  (dazu  Verhandl.  d.  41.  Phüol.Vers. 
1891  S.  221—7);  Röhl,  üeber  die  Schrift 
vom  Staat  der  Athener,  Rh.  M.  46,  426  ff., 
ÄA.  f.  Phü.  Suppl.  XVin  475  ff. 

')  Caubb  a.  0.  5  ff.  a.  Nachtrag  S.  76  f. 

*)  Flutoers  Petri  Papyri,  Dublin  1891 
tib.Iu.IX. 

^)  Spbkobl,  Arist  Stud.  lü  65  ff.    Auch 


GöTTLiNG  in  seiner  Ausg.  verwirft  die  Echt- 
heit des  zweiten  Buches. 

«)  Nach  l'oHt.  VIII  7  p.  1341  ^  39  scheint 
geradezu  die  Poetik  zu  dem  von  der  Er- 
ziehung der  künftigen  Bürger  handelnden 
Teile  der  Politik  gehört  zu  haben;  vergl. 
p.  133fJ^  25. 

^)  J.  Bernays,  Zwei  Abhandlungen  über 
die  arist.  Theorie  des  Drama,  Berl.  1880.  Im 
Katalog  des  Hesychios  finden  sich  noch  zwei 
Bücher  aufgefünrt :  t6x»'f]i  noiijtLxrjg  /J', 
ebenso  in  der  einen  Fassung  des  Ptolemäus- 
Eatalogs. 


TUiWlhnoh  der  klav.  AltertomswlMeiiBehart.   YU.    S.  Aufl. 


31 


482  Qrieohisoho  Litteraturgeaohiohte.    I.  KlMsisolie  Periode. 

sophischen  Schriften  des  Aristoteles.  Es  verdiente  eine  solche  Wert- 
schätzung, da  Aristoteles  hier  mit  bewunderungswürdigem  Kunstverständ- 
nis und  gestützt  auf  ausgedehnteste  Kenntnis  der  poetischen  Litteratur  in 
kurzen  Sätzen  für  alle  Zeiten  das  Wesen  der  Poesie  und  die  Hauptgesetze 
der  tragischen  Kunst  festgestellt  hat.^)  Ich  erinnere  an  die  berühmte 
Definition  der  Tragödie  im  6.  Kapitel,  >)  an  das  nicht  minder  wichtige 
12.  Kapitel  über  die  Teile  der  Tragödie,  an  die  Lehre  von  der  Einheit  der 
Handlung  und  von  dem  episodischen  Charakter  der  homerischen  Kompo- 
sition (c.  23),  an  die  Unterscheidung  des  Wesens  der  tragischen  und  epi- 
schen Poesie  (c.  26).  Das  Buch  ist  trotz  der  Fülle  gelegentlicher  Bemer- 
kungen streng  systematisch  angelegt.  Der  Verfasser  bespricht  zuerst  im 
Eingang  die  charakteristischen  Merkmale  der  3  Arten  der  Poesie,  der 
Epopoiie,  des  Dramas  (Tragödie  und  Komödie)  und  des  Dithyrambus,  und 
knüpft  daran  eine  kurze  Darstellung  des  Ursprungs  und  der  allmählichen 
Entwicklung  der  Poesie,  insbesondere  des  Dramas  und  seiner  Arten.  Im 
ersten  Hauptteil  (c.  6—22)  behandelt  er  die  Tragödie,  und  zwar  nach  ihren 
6  Teilen :  Handlung  {fivi^og),  Charakter  der  Handelnden  {ijO-rj),  Gedanken- 
inhalt  (diävoia),  sprachlicher  Ausdruck  (Atfftg),  Qesang  {fAslonoua),  sceni- 
sche  Darstellung  (oipig).  Von  diesen  6  Teilen  thut  er  die  scenische  Dar- 
stellung mit  ein  paar  Worten  ab,  weil  diese  Sache  des  Regisseurs  sei ;  am 
längsten  verweilt  er  bei  der  Handlung  und  ihren  Angelpunkten,  der  Peri- 
petie und  der  Wiedererkennung  {ävayvwQitng),  Der  zweite,  kürzere  Ab- 
schnitt (c.  23 — 26)  handelt  vom  Epos,  wobei  der  Philosoph  nicht  bloss 
das  Verhältnis  des  Epos  zum  Drama  scharf  und  einsichtsvoll  darlegt,  son- 
dern auch  die  vorwitzige  Frage  aufwirft,  welche  von  diesen  beiden  Dich- 
tungsarten die  höhere  sei.  Trotz  dieser  guten  Anlage  enthält  das  Buch 
doch  einige  nicht  streng  in  den  gezeichneten  Rahmen  passende  Kapitel 
und  viele  nicht  an  passender  Stelle  eingelegte  Zusätze,  so  dass  sogar 
Ritter  in  seiner  Ausgabe  die  Echtheit  desselben  zu  verdächtigen  suchte 
und  viele  Qelehrte  in  die  Verwerfung  ganzer  Kapitel,  wie  auch  des  eben 
gerühmten  zwölften,  einstimmten.  8)  Abgefasst  ist  die  Poetik  nach  der 
Politik,  da  in  dieser  p.  1341^  40  der  Philosoph  von  der  Katharsis  später 
in  der  Poetik  genauer  zu  handeln  verspricht.  —  Die  historische  Grundlage 
für  die  Theorie  der  Poetik  hatte  sich  Aristoteles  durch  eingehende  litterar- 
historische  Studien  erworben;  von  diesen  war  eine  Frucht  neben  dem  Dialog 
über  die  Dichter  das  im  Altertum  vielbenutzte  Buch  über  die  Didaskalien.^) 
329.  Die  Rhetorik  [t^xvtj  ^r^xoQixrj)  umfasst  3  Bücher.  Die  beiden 
ersten  behandeln  unter  Anlehnung  an  die  Dialektik  ^)  das  Wesen  des  red- 


*)  Wenn  Arist.  das  Wesen  der  Poesie  I  viele  Gelehrte  hinreissen,  weil  ihre  Aristo- 
und  aller  Künste  in  der  Nachahmung  {jaI~  \  telesstndien  nicht  üher  dieses  einzige  B&ch- 
fjLTjat^)  findet,   so   haut   er   auch  hie^   auf  '  lein  hinausgingen;  wer  in  seinem  Aristoteles 


Piaton  (de  rep.  III  p.  277,  Phaedr.  p.  44) 
weiter,  hefiriedigt  aher  deshalb  nicht  voll- 
ständig, weil  er  sich  zu  einseitig  auf  einzelne 
bestimmte  Künste  und  Arten  der  Poesie, 
wie  Malerei,  Plastik,  Drama,  Dithyrambus 
stützt 

>)  Siehe  oben  §  140. 

')   Zu   dieser   Hyperkritik   Hessen   sich 


bewanderter  ist,  weiss,  wie  wenig  von  sehien 
Werken  Übrig  bliebe,  wenn  mangelnder  Zu- 
sammenhang zur  Athetese  berechtigte. 

^)  Ueber  Anlage  und  Geschicke  der 
Didaskalien  s.  Richter,  Prol.  ad  Arist  Vesp. 
p.  18—29. 

^)  Gleich  im  Eingang  der  Rhetorik  heisst 
es:  ij  ^tjtOQixij  icriy  äyjlax^o<po^  tp  diakcx- 


4.  Die  Philosophen,    d)  Aristoteles.    (§§  329^330.)  488 

nerischen  Beweises  {ivd-v^r^iid)  und  die  Hauptsätze  {ronoi)  desselben ;  das 
dritte,  weitaus  interessanteste,  das  ursprünglich  ein  Buch  Air  sich  bildete,^) 
gilt  der  sprachlichen  und  stilistischen  Seite  der  Rhetorik  und  berührt  sich 
vielfach  mit  den  Schlusskapiteln  der  Poetik.  Dasselbe  hat  für  uns  Philo- 
logen und  Grammatiker  ein  besonderes  Interesse  dadurch,  dass  wir  aus 
ihm  die  Anfänge  der  Grammatik  und  die  ersten  Termini  technici  derselben, 
wie  a^K^^Vj  avviets^og^  neqiodoq^  xo^i^a  kennen  lernen.  Bezüglich  der 
Abfassungszeit  der  Rhetorik  herrschte  schon  im  Altertum  Streit,  wahr- 
scheinlich weil  man  wusste,  dass  Aristoteles  schon  bei  seinem  ersten  oder 
zweiten  Aufenthalt  in  Athen  über  Rhetorik  Vorträge  gehalten  hatte.  Gegner 
des  Demosthenes  wollten  behaupten,  dass  der  grosse  Redner  das  Beste  aus 
Aristoteles  gelernt  habe;  diesen  gegenüber  wies  der  Rhetor  Dionysios  im 
Brief  an  Ammaios  nach,  dass  Aristoteles  erst  nach  den  grossen  Reden 
des  Demosthenes  seine  Rhetorik  geschrieben  habe.  Die  Sache  hat  ihre 
Richtigkeit  ;>)  übrigens  ist  es  auffällig,  dass  Aristoteles  den  Demosthenes 
so  wenig  berücksichtigt,  was  wohl  doch  daher  stammt,  dass  die  Grund- 
linien seiner  Lehre  aus  früherer  Zeit  stammen,  in  der  Isokrates  noch  ganz 
das  Feld  der  Beredsamkeit  beherrschte. 

Tbxt'Tfi  TTJg  '&€oisxrov  ffwaycoyi]  y  als  &€oiäxT€ia  in  Rhet.  III  9 
p.  1410^  2  citiert,  enthielt  nach  Valerius  Maximus  VIII  14  Vorträge  des 
Aristoteles  aus  früherer  Zeit,  welche  derselbe  dem  Theodektes  aus  Pha- 
selos, einem  Isokrateer,  zur  Herausgabe  überlassen  hatte.') 

83IK  Unecht  ist  die  Rhetorik  an  Alexander,  der  ähnlich  wie  dem 
untergeschobenen  Buche  negi  xoafiov  ein  unechter  Brief  an  Alexander 
vorausgeht.  Das  unmittelbar  aus  der  Praxis  der  Redner  hervorgegangene 
Buch,  das  für  Würdigung  der  Kunst  der  Redner  namentlich  an  der  Hand 
der  Spengelschen  Ausgabe  von  einziger  Wichtigkeit  ist,  weicht  weit  von 
dem  philosophischen  Gehalt  der  echten  Rhetorik  des  Aristoteles  ab.  Durch 
Vergleichung  des  Buches  mit  der  Angabe  des  Quintilian  von  den  2  Gat- 
tungen und  den  7  Arten  der  Rhetorik  des  Anaximenes*)  hat  schon  Vic- 
torius   (im  Kommentar  zur  Aristotelischen  Rhetorik   1548)    erkannt   und 


7»^.     Daher   wird    sie    I   2    definiert    als 
ivvafjLi^   negi   ixdarov   i^ew^^cM  ro  ivdexo- 

^)  Im   Ind.  Diog.  wird  aofgefCLbrt  nsQi 
^leoic  ß'  nnd  texyfjs  ^ijrogixrjg  ß";  im  Ver- 
zeichnis des  Ptolemaios  ist  bereits  die  Rhe- 
torik mit  3  ß.  aufgezählt.   Der  Eingang  des 
3.  Buches  p.  1403  ^  6—15  rührt  von  der  Ver- 
einigung  der   beiden  Teile   her.     Die   von 
Sauppi  q.  a.  angezweifelte  Echtheit  des  3. 
Baches  verteidigt  Dibls,  Ueber  das  3.  Buch 
der  arist.  Rhetorik,  Abh.  d.  Berl.  Ak.  1887. 
l^as  8.  Buch  scheint  nach  der  Poetik,  auf 
^e  es    wiederholt    Rücksicht    nimmt,    ge- 
schrieben zu   sein,   umgekehrt  Poet.  19  p. 
1456*  35  nach  den  zwei  ersten  Büchern  der 
Rhetorik;  dann  aber  ist  das  Citat  1372  »*  1 
iu8  Interpolation  zu  streichen. 
,     ')  Hauptbeweisstelle  U  24  p.  1401b,  33: 
««  <f  JrifjMdrjg  rijy   JtjfÄOO&eyovg   noXiieiay 


navxfap  ttSy  xaxtay  aitlay. 

')  Quintil.  II  15,  10:  a  quo  non  dissentit 
Theodectes,  sive  ipaius  id  opus  est,  quod  de 
rhetorice  nomine  eius  inscribitur,  sive  ut 
credüum  est  Aristotelis;  vergl.  RosB,  Arist. 
pseud.  135  flP.  Der  Epikureer  Philodemos  er- 
wfthnt  und  benutzte  rag  rexyag  tag  'jQiato- 
xeXovgy  s.  Usbner,  Epicurea  p.  401. 

*)  Quint.  III 4, 9 :  Änaximenes  iudicialim 
et  contionalem  generales  partes  esse  voluit, 
Septem  autem  species  hortandi,  dehortandi, 
laudandiy  vituperandi,  accusandi,  defendendi, 
exquirendi  ^  Rhet.  ad  Alex.  II:  (fi/o  (rgla 
codd.,  dvo  aber  Syrian  ad  Hermog.  IV  60) 
yiytl  xtay  noXirixuih  etat,  Xo/toy^  ro  fi^y 
drjfiTjyoQixoy,  j6  dk  dtxayixoy,  eXdtj  di  rovrüfy 
knxd,  TtQoxQenxixoy,  dnoTQSTixixoy,  iyxtO' 
f^iaaxixoy,  x^exxixoy,  xaxtjyoQixoy ^  dnoXo^ 
yrjxixoy,  i^6X€tcrix6y. 

81* 


484  Chrieohisoho  LitteratargMohiohte.    I.  KUMisehe  Periode. 

L.  Spengel  in  seiner  Ausgabe  (1844)  ^)  erhärtet,  dass  dasselbe  von  Ana- 
ximenes,  dem  vielseitigen  Litteraten,  herrührt,  den  wir  bereits  oben 
§  257  als  Historiker  und  Epiker  kennen  gelernt  haben.')  Die  Rhetorik 
des  Anaximenes,  wie  wir  sie  getrost  nennen  können,  ist  unabhängig  von 
der  aristotelischen  und  wie  die  angeführten  Beispiele  wahrscheinlich 
machen,  vor  derselben  um  340  entstanden. 

Spezialausgabe  des  Buches  mit  vorzüglichem  Kommentar  von  L.  Spbnoel,  Turid 
1841  =  ups.  1847;  Textesansg.  in  Rhet  gr.  ed.  Spehgbl-Hammbr,  BT.  1894.  —  Beitriige 
von  UsBKBB,  Quaestiones  Anaximeneae,  Göttingen  1856;  Ipfblkofeb,  Die  Rhetorik  des 
Anaximenes  nnter  den  Werken  des  Aristoteles,  Wttrzbnrg  1889. 

331.   Briefe   und   Gedichte.     Von   unserem   Philosophen    gab   es 
ausser  den  systematischen  und  philosophischen  Werken  auch  eine  Anzahl 
von  Briefen  und  Qedichten.     Beide  sind  uns  nicht  vollständig  und  im  Zu- 
sammenhang erhalten,  so  dass  die  Reste  derselben  nur  unter  die  Frag- 
mente (fr.  594—629  ed.  acad.  Berol.)  Aufnahme  gefunden  haben.     Briefe 
zirkulierten  von  Aristoteles  an  Philippos,  Alexander,  Antipater  u.  a.     Die 
erhaltenen  Reste    des  Briefwechsels  tragen   viel  mehr   den   Stempel   der 
Echtheit  wie   die  ähnlichen  Sammlungen  von  Piaton   und   den   attischen 
Rednern. 3)  —  Von  den  Gedichten  sind   uns  erhalten   eine  Elegie   an  £u- 
demos  mit  der  berühmten  Verherrlichung  des  Piaton  drigog  or  ovd'  airnr 
total  xaxoiai  t>^r/i<c,   ein  Epigramm  auf   die  in  Delphi  aufgestellte  Statue 
seines  Freundes  Hermeias,   ein   schwungvolles  Skolion  auf  die  Uqstu   in 
daktylo-epitritischen    Versen.*)    —    Ausserdem    trägt    den    Namen    des 
Aristoteles    eine    Sammlung  von    48   Epitaphien^)    auf   die    Helden    vor 
Troja.      Dass    Aristoteles    selbst    jene    Grabepigramme    gedichtet    habe, 
daran  ist  nicht  zu  denken,  zumal  sich  unter  denselben  eines,  n.  7,  auf  Aias 
den  Telamonier  befindet,  welches  im  dorischen  Dialekt  geschrieben  ist  und 
in  der  Anthologie  VII  145   dem  Asklepiades  beigelegt  wird.     Auch    der 
älteste  Zeuge  der  Sammlung,  Diodor  V  79,  führt  zwar  das  Epitaphion  auf 
den  Kreter  Idomeneus  wörtlich  an,  aber  ohne  den  Aristoteles  als  Verfasser 
zu  bezeichnen.  Wahrscheinlich  kam  Aristoteles  dadurch  zur  Ehre  als  Ver- 
fasser dieser  Epigramme   zu  gelten,   weil  der  wirkliche  Verfasser   sich  in 
seiner  Dichtung  an  die  historische  Grundlage  hielt,  welche  eine  prosaische 
Schrift  des  echten  oder  gefölschten  Aristoteles  unter  dem  Titel  Peplos  bot.^) 
Von   dieser   Schrift    heisst   es    in   dem   Bücherverzeichnis  bei   Hesychios 

^)  Seine  These  verteidigt  Spengel  Phil.   \  Yerdächtigimg   der  Echtheit  entschieden  za 
18,  604  ff.  gegen  Campb,   der  in  Jahrh.  für  '   weit 

Phil.  45,  59  ff.  u.  Philol.  9,  106  ff.  das  ßnch  *)   Wilamowitz,     Aristot  u.  Athen    11 

in    die    römische   Kaiserzeit    setzen   wollte.   I   403  ff. 

Dasselbe  hat  nur  einzelne  Zusätze  und  Inter-  ^)  Die  Sammlung  des   cod.  Lau*.  56,  1 

polationen  aus  späterer  Zeit  erhalten,  wie 
gleich  im  Eingang  ro  di  inidetxjixoy  und  p. 
53,  21  xctjd  xd  TiQoyvfjivdafKan.  Gegen 
Spengel  erklärt  sich  neuerdings  Susexihl 
Jahresber.  d.  Alt.  XIU  1,  1  f. 

^)  Ueber  das  Leben  und  die  Schriften 
des  Anaximenes  ein  ausführlicher  Artikel 
von  Brzoska  in  Pauly-Wissowas  Realency- 
klopädie. 

»;  Stahr  II  167  ff,  Ueber  die  angeb- 
lichen Briefe   des  Aristoteles,    geht   in  der 


umfasst  48  Epigramme  unter  der  Aufschrift 
Ilov  ixttcioq  Twy  'EÄXtjyioy  riOaTtra^  xal  W 
iniyiyQa-nxtti  inl  r^  xdq>m.  Diese  Samm- 
lung  ist  aber  nicht  vollständig;  15  weitere 
bietet  Tzetzes,  darunter  auch  auf  nicht- 
hellenische Heroen,  wie  Hektor,  Aineias, 
Sarpedon  u.  a.;  eine  grössere  Sammlung  hatte 
auch  Ausonius  vor  sich,  der  unter  dem  Titel 
Epitaphia  heroum  eine  Auswahl  ins  Latei- 
nische übersetzte. 

*}  Th.  Prbobr,   Zum  aristotelischen  Pe- 


4.  Die  PhUoBophen.    d)  Aristoteles.    (§§  331—332.) 


485 


avfifjuxzatv  ^rjTYjiiaTMV  oß*,  (Sg  (prjciv  EvxaiQog  6  äxovffrrjg  avTOV^  nänXov  • 
nsQtsxei  dt  aviiinxror  iarogfav.  Da  konnte  wohl  auch  von  den  Helden  vor 
Troja  und  den  Orten  die  Rede  sein,  in  welche  dieselben  nach  der  Ein- 
nahme der  Stadt  verschlagen  worden  waren.  Es  enthielt  aber  das  histo- 
rische Miscellenbuch  auch  noch  anderes,  wie  z.  B.  von  der  Gründung  der 
hellenischen  Festspiele  {aywveg,  fr.  594).  i) 


Gesamtcharakter  und  Lehre  des  Aristoteles.  Fassen  wir 
zum  Schluss  die  Gesamtheit  der  Schriften  des  Aristoteles  ins  Auge,  so 
muss  uns  in  ihnen  vor  allem  die  an  Universalität  grenzende  Vielseitigkeit 
des  Mannes  in  Staunen  setzen:  in  dem  Reiche  der  Natur  war  er  ebenso 
zu  Hause,  wie  in  dem  der  Litteratur  und  des  Geistes,  und  nicht  bloss  be- 
trieb er  die  mannigfachsten  Disziplinen,  wie  Rhetorik,  Poetik,  Mechanik, 
Zoologie,  Botanik,  er  verfügte  auch  in  jeder  derselben  über  eine  erstaun- 
liche Fülle  von  Einzelkenntnissen.  Piaton  nannte  ihn  den  grossen  Leser, 
and  wahrlich  er  muss  unendlich  viele  Reden,  Dramen,  Geschichtswerke, 
philosophische  Schriften  gelesen  haben;  aber  daneben  hatte  er  auch  ein 
offenes  und  geübtes  Auge  für  die  Schöpfungen  der  Natur,  auch  die  kleinsten 
und  scheinbar  unbedeutendsten.  Während  aber  sonst  durch  solches  Viel- 
wissen  das  Licht  des  ordnenden  und  kombinierenden  Verstandes  verdunkelt 
zu  werden  pflegt,  verband  Aristoteles  mit  der  Fülle  des  Wissens  eine  sel- 
tene Schärfe  des  Urteils  und  eine  überaus  glückliche  Anlage  zur  konstruk- 
tiven Spekulation.  Ja  es  überwog  bei  ihm,  wenn  wir  seine  Leistungen 
mit  dem  heutigen  Massstab  der  Wissenschaft  beurteilen,  die  von  der  Schule 
des  Piaton  und  der  Sophisten  auf  ihn  übergegangene  Neigung  zur  speku- 
lativen Betrachtung  so,  dass  er,  der  der  Begründer  der  Naturwissenschaften 
war,  gleichwohl  im  Mittelalter  zum  Vorbild  dürrsten  Wortkrams  und  leerer 
Begriffsspalterei  werden  konnte.  Was  er  aber  nicht  oder  nur  in  geringem 
Grade  hatte,  war  das  Vermögen  der  Abrundung  und  künstlerischen  Gestal- 
tung. Es  trat  das  zunächst  in  der  Sprache  und  dem  Stil  hervor :  Aristo- 
teles hatte  zwar,  wie  das  namentlich  die  Poetik  und  Rhetorik  zeigt,  ein 
feines  Verständnis  für  poetische  Schönheit  und  rednerischen  Schmuck,  er 
dichtete  auch  Elegien  und  Oden  und  schrieb  überzeugende  Reden  und 
anziehende  Briefe,  aber  seine  Rede  hatte  keine  Anmut  und  keinen 
Schwung,  und  seine  Darlegungen  entbehren  des  fesselnden  Aufbaus  und 
des  krönenden  Abschlusses.^)  Der  letzte  Mangel  ist  aber  nicht  bloss  in 
Fehlem  des  Stils  zu  suchen,  er  liegt  tiefer,  er  liegt  darin,  dass  Aristoteles 
in  seinem  Denken  bezüglich  der  obersten  Begriffe  nicht  zur  vollen  Klar- 
heit mit  sich  selbst  gekommen  war.     Es  ist  gewiss  die  Unzulänglichkeit 


ploB,  in  Abhdl.  zu  Ehren  Christ,  1891  S.  53 
bia  62;  Wexding,  De  peplo  Aristotelico, 
Sinesb.  1891  S.  58  Ifiest  die  Epitaphia  250 
bis  150  y.  Chr.  gedichtet  sein.  —  Bei  Diogenes 
und  in  dem  arabischen  Verzeichnis  fehlt  das 
BacL 

*)  Gnmdlegende  Abhandlung  Aber  den 
PeploB  Ton  ScHHHDKWiH  PhfloL  I  (1846)  1  ff. 

*)  Freilich  mögen  manche  Nachlässig- 


keiten des  Stils  daher  rOhren,  dass  Aristo- 
teles die  erhaltenen  Werke  nicht  selbst  znr 
Herausgabe  vorbereitet  hat,  da  in  einzelnen 
gefeilteren  Partien,  wie  Metaph.  I  der  Hiatus 
und  die  rasche  Wiederkehr  desselben  Wortes 
mehr  gemieden  sind;  vgl.  §  316.  Ueber 
seinen  schlichten,  metapherlosen  Stil  urteilt 
gut  Longin  in  Rhet  gr.  Sp.  I  325. 


486 


Grioohisohe  Litteraturgasohiohte.    L  KlaMisohe  Periode. 


unseres  philologischen  Vermögens  nicht  allein  schuld,  wenn  wir  über  den 
vovg  noirjftixoq  und  vovq  Tta&rp^ixog^  die  xdd-agffig  na&rjfidzwVy  die  zwei  Arten 
des  Zweckes  nicht  völlig  ins  Reine  kommen.  Aber  wenn  nun  auch  Ari- 
stoteles zu  keinem  befriedigenden  Abschluss  in  der  philosophischen  Speku- 
lation gekommen  ist,  der  Weg,  den  er  einschlug,  die  i^ä^oSog,  war  vor- 
trefiflich :  er  geht  erst  zur  Entwicklung  seiner  eigenen  Gedanken,  nachdem 
er  die  Versuche  der  Früheren  einer  unbefangenen  Kritik  unterzogen  hat; 
wir  verdanken  diesem  Verfahren  die  vielen  Aufschlüsse  über  die  älteren 
Philosopheme.  Er  sucht  sich  überall  den  Weg  zu  ebnen  durch  Wegräu- 
mung der  entgegenstehenden  Hindernisse,  er  beginnt  daher  ganz  gewöhn- 
lich seine  Untersuchung  mit  Aufstellung  von  Aporien  und  deren  Lösung.^) 
Er  steigt  sodann  in  allem,  und  das  hatte  er  von  seinem  Vater,  dem  natur- 
wissenschaftlich gebildeten  Arzte,  gelernt,  von  dem  Einzelnen  und  That- 
sächlichen  zum  Allgemeinen  und  zur  Idee  auf,  und  verschmäht  dabei,  wie 
er  de  partibus  anim.  I  5  so  hübsch  auseinandersetzt,  auch  das  Unschein- 
barste nicht,  weil  die  Erkenntnis  des  Qrundes  auch  beim  Kleinsten  lauterste 
Freude  dem  wahren  Forscher  bereite. 

Bei  dieser  Richtung  seiner  Forschung  ist  es  erklärlich,  daas  die  Er- 
folge derselben  zumeist  auf  dem  Gebiete  der  Einzelwissenschaften  liegen. 
Die  Philosophie,  die  zuvor  als  Inbegriff  aller  spekulativen  Thätigkeit  galt 
und  die  Keime  der  Naturkunde,  Mathematik,  Astronomie,  Sprachlehre  in 
sich  trug,  verlor  durch  ihn  jenen  allgemeinen  Charakter  und  trat  in  ver- 
schiedene Disziplinen  auseinander.  Er  schrieb  nicht  bloss  eigene  Bücher 
über  Logik,  Psychologie,  Ethik,  er  hat  auch  durch  seine  Rhetorik  und 
Tiergeschichte  den  Ausbau  der  von  der  gemeinsamen  Mutter  sich  los- 
lösenden SpezialWissenschaften  inauguriert.  In  der  eigentlichen  Philosophie 
bekämpfte  er  mit  Erfolg  die  transcendentale  Lehre  Piatons,  indem  er  mit 
schlagenden  Gründen  nachwies,  dass  die  Ideen  nicht  ein  gesondertes  Leben 
für  sich  fuhren,  sondern  nur  in  den  Dingen  selbst  als  deren  wesenhafber 
Inhalt  Existenz  haben.  Indem  er  sodann  die  von  ihm  neuerdachten  Be- 
griffe dvvanig  (Anlage  etwas  sein  zu  können)  und  ivrslsxeia  (Verwirk- 
lichung der  Anlage)  *)  zu  Hilfe  nahm,  Hess  er  die  Materie  durch  die  Form 
zur  Verwirklichung  des  ihr  vorgesetzten  Seins  {to  %i  rjv  €iva&)  kommen. 
Damit  traten  bei  ihm  Stoff  und  Form,  Materie  und  Geist  in  ein  natüi^ 
liches,  sich  gegenseitig  bedingendes  Verhältnis.  sDamit  war  auch  zugleich 
dem  Guten  seine  passende  Stellung  in  dem  Ganzen  der  Welt  gegeben. 
Das  Gute  steht  nämlich  dem  Aristoteles  nicht  wie  den  pythagoreisierenden 
Akademikern  als  oberste  Stufe  des  Seins  ausserhalb  der  Dinge;  das  Gute 
ist  ihm  vielmehr  der  Zweck  (rd  oi»  i'vsxa)^  der  sich  dadurch  verwirklicht, 
dass  die  Anlage  sich  zu  dem,  was  sie  zu  werden  geschaffen  ist,  entwickelt 
Dadurch  erwuchs  unserem  Philosophen  aber  auch  die  schwierige  Aufgabe, 
das  Gute  oder  Zweckmässige  in  der  Welt  nachzuweisen  (Teleologie) ;  er 


*)  Freüich  haben  wir  in  diesen  Partien 
seiner  Werke,  wie  in  Metaph.  II  u.  III  viel 
sophistische  Wortklauberei,  die  Aristoteles 
aus  der  ungesunden  Atmosphäre  der  Eristik 
geerbt  hatte.    Auf  der  anderen  Seite  nimmt 


Aristoteles  manches  als  feststehend  an,  was 
es  nach  unserem  Wissen  keineswegs  ist» 
wie  die  Ewigkeit  der  Sonne  p.  1050^  22. 

>)  Wörtlich  bedeutet  it^ekezcui  ,Ziel- 
erlangung'  von  iyteXex^g  =  t6  iygeXig  I/ok. 


4.  Die  Philosophen,    d)  Aristoteles.    (§  888.)  487 

versuchte  das  in  einzelnen  Fällen,  setzte  aber  im  allgemeinen  mehr  das 
Gute  voraus,  als  dass  er  die  These  selbst  und  die  damit  zusammen- 
hängende Frage  nach  dem  Zufall  einer  unbefangenen  Prüfung  unterzogen 
hätte.') 

Die  Unzulänglichkeit  der  platonischen  Ideenlehre  zur  Erklärung  der 
empirischen  Welt  erkannte  Aristoteles  zumeist  in  dem  Mangel  einer  be- 
wegenden Kraft,  da  den  Ideen  selbst,  namentlich  wenn  sie  für  sich  be- 
standen, eine  solche  Kraft  nicht  innewohnen  könne.  Den  Mangel  hat  er 
richtig  erkannt,  auch  hat  er  im  Einzelleben,  wie  in  der  Zeugung,  die  Be- 
deutung jenes  dritten  Faktors  gut  nachgewiesen;  aber  sein  oberster  Be- 
weger (t6  TTQwtov  xirvovv,  primus  motor),  der  die  Bewegung  der  Stemen- 
welt  bewirkende  göttliche  Nus,  hat  weder  die  Eigenschaften  eines  Gottes 
noch  eines  denkenden  Geistes.  Wenn  daher  ein  neuerer  Philosoph  den 
Kernpunkt  der  aristotelischen  Philosophie  in  dem  Bestreben,  die  sokratisch- 
platonische  Begriffsphilosophie  zu  einer  die  Erscheinungen  erklärenden 
Theorie  umzubilden,  gefunden  hat,  so  ist  das  richtig,  nur  darf  man  in 
dem  Streben  nicht  auch  schon  ein  Erreichen  des  Zieles  sehen.  Gross  war 
Aristoteles  in  der  Aufstellung  und  Scheidung  von  Begriffen,  und  viele  der- 
selben, wie  Potenz  und  Aktualität,  Materie  und  Form,  Accidenz  und  Sub- 
stanz leben  noch  in  unserer  Zeit  fort,  aber  mit  der  Scheidung  von  Be- 
griffen sind  noch  nicht  die  Grundelemente  der  Dinge  und  die  Gesetze  des 
Werdens  gefunden.  Zutreffend  sodann  ist  die  Polemik  des  Aristoteles  gegen 
die  transcendente  Ideenlehre  Piatons.  Aber  indem  er  so  eine  Seite  der 
platonischen  Philosophie  erfolgreich  bekämpfte  und  wesentlich  zur  Er- 
nüchterung der  wissenschaftlichen  Forschung  beitrug,  vergab  er  in  der 
Ethik  und  Staatslehre  den  Ideen  ihr  unveräusserliches  Hoheitsrecht;  be- 
fangen in  den  Vorurteilen  der  realen  Wirklichkeit  (Realismus)  hat  er 
selbst  unnatürliche  Verhältnisse,  wie  die  Sklaverei,  nicht  bloss  als  that- 
sächlich  hingenommen,  sondern  sogar  als  Naturgesetz  zu  begründen  ge- 
sucht. 

Fassen  wir  schliesslich  unser  Urteil  über  das  Verhältnis  der  beiden 
grössten  Philosophen  des  Altertums  zusammen,  so  hat  Aristoteles  mit 
seinem  Sinn  für  das  Reale  und  Mögliche  im  einzelnen  vieles  richtiger  er- 
fasst,  gewährt  uns  aber  seine  Philosophie  als  Ganzes  bei  dem  ungenügen- 
den Ausbau  seiner  obersten  Prinzipien  weniger  Befriedigung  als  der  har- 
monisch ausgeführte,  wenn  auch  auf  einseitiger  Grundlage  errichtete  Kunst- 
bau des  platonischen  Idealismus.^) 

333.  Fortleben  des  Aristoteles.  Ein  grosser  Denker  und  Forscher 
wie  Aristoteles  konnte  nicht  verfehlen  einen  mächtigen  Einfluss  auf  Mit- 
und  Nachwelt  zu  üben.     Er  sammelte  einen   grossen  Kreis  von  Schülern 


>)  Daae  Gott  alles  zum  Guten  erschaffen 
Ittbe,  war  ein  von  Sokratee  (Xen.  Mem.  I  4 
V.  IV  3)  flberkommener  Sats,  der  allen  So- 
bitikern  wie  ein  Vemunftaziom  feststand. 
Aiiflloteles  selbst  tfaat  den  berOhmten  Aus- 
•praeh  Parv.  Nal  p.  476»  18  fddtfjy  ovd^y 
9fmfuy  noiovcay  rtjy  tfveiy. 


')  Das  hat  Goeths  in  seiner  Farben-      sucht 


lebre  S.  84  also  ausgedrtlckt:  Aristoteles 
umzieht  einen  ungeheueren  Grundkreis  für 
sein  Gebäude,  schafft  Materialien  von  allen 
Seiten  her,  ordnet  sie,  schichtet  sie  auf,  und 
steigt  so  in  regelmftssiger  Form  pyraniiden- 
artig  in  die  Höhe,  wenn  Flato  einem  Obelisken, 
ja  einer  spitzen  Flamme  gleich  den  Himmel 


488 


Ghrieohisohe  LitteratnrgMohiohte.    I.  KUsBisehe  Periode. 


um  sich  und  wurde  Begründer  einer  eigenen  Schule,  welche  sich  von  den 
Spaziergängen  {nsQfnaToi)  des  Lykeion,  in  denen  wandelnd  der  Meister 
seine  Lehre  vortrug,  die  peripatetische  nannte.  Sein  nächster  Nachfolger 
war  Theophrast  aus  Lesbos,  den  er  sterbend  vor  Eudemos  aus  Rhodos 
zur  Nachfolge  dadurch  empfohlen  haben  soll,  dass  er  von  den  Weinen, 
die  man  ihm  zur  Stärkung  reichte,  den  rhodischen  für  stark,  den  lesbi- 
schen aber  für  süsser  erklärte  (Qellius  XIII  5).  Dieser  ebenso  wie  Eu- 
demos^) und  sein  Sohn  Nikomachos  besorgten  nicht  bloss  die  Herausgabe 
seiner  Werke,  sondern  schlössen  sich  auch  in  der  Lehre  und  Methode  eng 
an  ihren  Meister  an.  Aber  über  seine  Schule  hinaus  hat  Aristoteles  Jahr- 
hunderte, ja  Jahrtausende  lang  bestimmend  auf  das  philosophische  Denken 
und  die  Entwicklung  der  Wissenschaft  eingewirkt. 

Das  gelehrte  Studium  und  die  Kommentierung  der  aristotelischen 
Werke  begann  mit  der  Auffindung  und  Veröffentlichung  seiner  Gesamt'- 
Schriften  durch  den  Peripatetiker  Andronikos^)  in  der  Zeit  nach  Sulla. 
Die  Beiträge  zur  Erklärung  erreichten  dann  seit  dem  3.  Jahrhundert  nach 
und  nach  einen  solchen  umfang,  dass  Aristoteles  selbst  von  ihnen  förm- 
lich verschüttet  wurde  und  ein  richtigeres  Verständnis  des  Philosophen 
erst  dann  wieder  eintrat,  als  man  die  weitläufigen  Kommentare  zur  Seite 
zu  werfen  und  zum  Texte  des  Autors  selbst  zurückzukehren  begann.  Die 
Erläuterung  nahmen  zunächst  die  griechischen  Peripatetiker  in  die  Hand. 
Im  6.  Jahrhundert  n.  Chr.  verpflanzte  dann  Boethius  die  gelehrte  Bearbei- 
tung nach  Italien  und  dem  Abendland.  Im  Mittelalter  beteiligten  sich 
byzantinische  Griechen,  Syrer,  Araber  und  lateinschreibende  Scholastiker 
an  der  Arbeit.  Schon  im  Altertum  war  durch  die  Lebensgeschichte  Ale- 
xanders von  Ps.  Kallisthenes  der  Philosoph  Aristoteles  mit  seinem  könig- 
lichen Zögling  Alexander  in  das  Gewebe  romanhafter  Wundererzählungen 
verwickelt  worden.  Im  Mittelalter  wurden  diese  Beziehungen  infolge  des 
phantastischen  Zuges  der  Zeit  noch  mehr  ins  Romanhafte  und  Wunder- 
bare gezogen.  In  dieser  Atmosphäre  entstanden  mehrere  dem  Aristoteles 
untergeschobene,  zum  Teil  aus  dem  Arabischen  übersetzte  lateinische  Werke, 
darunter  die  ehedem  oft  gedruckten  Secreta  secretorum,  in  denen 
Aristoteles  als  der  Erfinder  aller  möglichei;  Geheimnisse  der  Heilkunst  und 
Lebensweisheit  erscheint.  Schon  früher  hatte  man  dem  grossen  Philo- 
sophen den  Physiologus  angedichtet  und  zirkulierten  von  ihm  mystische 
Theologumena.»)  Beim  Wiedererwachen  der  Wissenschaften  wurde  der 
echte  Aristoteles  zur  Bekämpfung  des  falschen  der  Scholastik  eifrig  heiv 


')  Die  Fragmente  des  Eademos  sind  ge- 
sammelt von  L.  Spbnobl,  Eudemi  Rhodii 
fragmenta  Berolini  1866;  vgl.  Zellbr  II»  2. 
869  ff.  Gross  war  das  Ansehen  des  Eudemos 
als  Physiker  und  Historiker  der  Astrologie 
nnd  Mathematik. 

')  Andronikos  verfasste  nebst  einer 
Schrift  neQl  lioy  xijq  tffvxrjf  na&wv  (ed. 
Krbutthbb,  Heidelberg  1894),  einem  Buch 
über  die  Ordnung  der  Schriften  des  Aristot. 
und  emer  in  der  üeberarbeitung  des  Boethius 


uns  erhaltenen  Schrift  hbqI  ^lai^i^emy  Kom- 
mentare zur  Ethik,  Physik  und  zu  den  Ka- 
tegorien. Ueber  eine  Paraphrase  der  niko- 
machischen  Ethik  unter  dem  falschen  Nam«i 
des  Andronikos  s.  Stahb,  Aristot  I  181  ff.  u. 
II  262.  LiTTio,  Andronikos  von  Rhodos, 
Progr.  München  1890,  Erlangen  1894. 

')  Macrobius,  Saturn.  1 18,  1:  nam  Ari^ 
stoteles  qui  theclogumena  acripsU,  wo  andere 
Arisiodes  statt  Aristoteles  lesen;  ygL  §  €20 
extr. 


4.  Die  Philosophen,    d)  Aristoteles.    (§  333.)  489 

vorgeholt,*)  so  dass  im  16.  Jahrhundert  seine  Werke  und  die  alten  Kom- 
mentare derselben  wiederholt  in  rascher  Folge  hintereinander  ediert  wur- 
den. Dann  erkaltete  das  Studium  des  Philosophen,  bis  dasselbe  in  unserem 
Jahrhundert  durch  Trendelenburg,  Spengel  u.  a.  von  neuem  belebt  wurde. 

Erlftuternde  Schriften:  Dieselben  zerfallen  in  Anfzeichnungen  der  Schriften  {dyayQa(pai, 
indices),  Kommentare  {vnofjtvi^fAaTay  commentarii),  Sinnomschreibungen  (nttQatpQtiaHt;).  Von 
den  ersten,  den  Katalogen  des  Hermippos,  Andronikos,  Ptolemaios,  ist  oben 
§  313  f.  gehandelt.  Mit  Sihaltsangaben  verbunden  war  des  Feripatetikers  Nikolaos  Da- 
maskenos  ^stoQta  iiav  'AqmxoxiXovg^  von  der  ein  Scholion  zu  Hieophraste  Metaph.  p.  323 
ed.Brandis  Kenntnis  gibt. 

Der  bedeutendste  Kommentator  war  Alexander  Aphrodisiensis,  der  unter  Sep- 
tunios  Severus  lebte  (s.  Philoponos  ad  Anal.  pr.  fol.  33^)  und  nicht  bloss  treffliche  Kom- 
mentare zu  Aristoteles,  von  denen  uns  die  zu  Analytika  pr.,  Topika  (ed.  Wallies  vol.  II; 
nneeht  die  zu  Sophist,  el.),  Meteorologika,  de  sensu  et  sensibili  (ed.  Tbyrot  in  Not  et  extr. 
XXV),  Metaphysik  (ed.  Bonitz  1847,  ed.  Hayduck  in  Comm.  Arist.  vol.  I)  erhalten  sind, 
sondern  auch  nach  Weise  der  älteren  Peripatetiker  selbständige  Schriften  nsgi  ^vxtjg, 
ne^i  elfiaQfiäyij^,  tfvütxtay  xal  i^i^ixuiy  tinoQiiov  xal  kvaetoy  ßtßX.  y\  TtQoßXijfjiattt  i^&ix«  (Ale- 
xandri  Äphrod.  scripta  minora  ed.  Bbuns  in  Suppl.  Aristot.  II)  verfasste.  —  Vorgänger  Ale- 
xanders von  Aphrodisias  waren  Alexander  von  Aigai,  Lehrer  des  Nero,  der  die  Kate- 
gorien und  die  Bücher  de  caelo  kommentierte;  Boethos,  Schüler  des  Andronikos,  der 
Kommentare  zu  den  Kategorien  schrieb;  Adrastos  von  Aphrodisias  (Adrantos  ver- 
adirieben  bei  Ath.  673  e^,  der  negl  t^g  td^e<og  xiuv  *AQiaxoxiXovq  av/ygafifÄctTtoy  (s.  Simpl. 
ad  categ.  fol.  4)  schrieb;  Aspasios  (um  110  n.  Chr.),  der  die  Ethik  kommentierte  (ed. 
Heylbut  in  Comm.  Arist.  vol.  XIX);  Herminos,  Lehrer  des  Alexander  Aphrod.  —  Einen 
neuen  Aufschwung  nahm  die  Exegese  bei  den  Neuplatonikem  des  untergehenden  Alter- 
tums. Den  Beigen  eröffnete  unter  diesen  Porphvrios  (3.  Jahrh.)  mit  der  unendlich  oft 
abgeschriebenen,  von  Boethius  auch  ins  Lateinische  übersetzten  Isagoge  und  dem  Kom- 
mentar zu  den  Kategorien  (ed.  Busse  in  Comm.  Arist.  IV).  Ein  neuer  Strom  kam  mit  Am- 
monios  Her  mein  aus  Alexandria  (5.  Jahrb.),  Schüler  des  Proklos,  der  eine  Einleitung 
zur  Isagoge  des  Porphyrios  und  Kommentare  zu  De  Interpret,  schrieb  (ed.  Busse  1. 1.)  und 
die  besten  Kommentatoren  des  6.  Jahrhdts.,  Simplicius,  Philoponos,  David,  Asklepios,  zu 
semen  Schülern  hatte.  -  Aus  dieser  letzten  Zeit  sind  uns  umfangreiche  Kommentare  auch 
erhalten.  Der  hervorragendste  Exeget  war  Simplicius,  ein  Schüler  des  Ammonios  im 
6.  Jahrb.;  seine  durch  Sachkenntnis  und  gelehrte  Berücksichtigung  der  älteren,  nun  meisten- 
teils verloren  gegangenen  Litteratur  ausgezeichneten  Kommentare  zu  Physik  (ed.  Diels 
vol.  IX.  X),  de  caelo  (ed.  Heiberg.  vol.  VII),  de  anima  (ed.  Hayduck  vol  XI)  sind  erhalten. 
—  Der  gleichen  2^it  gehört  an  loannes  Philoponos,  gleichfalls  Schüler  des  Ammonios, 
ron  dem  wir  Kommentare  zu  Analytik,  Physik  (unbedeutend,  ed.  Vitelli  vol.  XVI.  XVII), 
Meteorologie,  de  gen.  anim.  (ed.  Vitelli  vol.  XIV  2),  de  gen.  et  corrupt.,  de  anim.  (ed. 
Hayduck  vol.  XY),  Metaphysik  besitzen  —  Andere  Kommentatoren  des  untergehenden 
Altertums  sind:  Dexippos  (4.  Jahrhundert),  von  dem  uns  ^Anogim  xal  Xvaeig  eig  tag  'Aqi- 
nnüovg  xnttjyoQiag  erhalten  sind  (ed.  Busse  vol.  IV  2);  Syrianos,  Lehrer  des  Proklos 
(kommentierte  logische  Schriften  und  von  der  Metaphysik  1.  [I.  XII.  XIII i;  Asklepios 
anaTralles  (6.  Ji^rh.),  der  umschreibende  Kommentare  zur  Metaphysik  schrieb  (ed.  Hayduck 
Tol.  VI  2);  Olympiodoros,  S^itgenosse  des  Simplicius,  David  der  Armenier  (um  500 
0.  C9ir.),  Stephan  OS  (um  610),  der  auch  ein  astronomisches  Lehrbuch  verfasste  (siehe 
Ü8BKBB,  De  Stephane  Alexan^bino,  Bonn  1880)  und  Kommentare  zur  Rhetorik  schrieb 
(ed.  Rabe  vol.  XXI 2),  wähi'end  die  andern  sich  wesentlich  mit  den  logischen  Schriften  abgaben. 

Die  langweilige  Litteratur  der  Paraphrasen  wird  eröffnet  durch  Themistios  (um 
400l,  der  Paraphrasen  zu  Anal.  pr.  (unecht  ist  die  zu  Anal,  post.),  Physik,  de  anima.  Parva 
Natoralia  verfasste  (herausgegeben  von  Speitgel,  Themistii  paraphrases,  Lips.  1856,  2  vol.). 
In  seine  Fosstapfen  trat  im  Mittelalter  Sophonias  (Schluss  des  18.  und  Anfang  des  14. 
Jahrh.),  der  im  Eingang  seiner  Paraphrase  der  Analytik  den  Themistios  und  Psellos  als 
Kbe  Vorgänger  bezeichiiet.  —  £ustratios,  Metropolit  von  Nikäa  (ca.  1050  bis  ca.  1120) 
kommentierte  unter  Benutzung  alter  Kommentare  die  Nikomachische  Ethik  (ed.  Heylbut 
voLXX);  um  dieselbe  Zeit  schrieb  Michael  Ephesios,  Schüler  des  Psellos,  Kommentare 
nr  Nikomachischen  Ethik  (ed.  Heylbut  vol.  XX)  und  zu  den  Parva  NaturaUa.  Unter  dem 
tischen  Namen  des  Andronikos  oder  Heliodoros  von  Prusa  (über  die  Fälschung  siehe  Gobn, 


*)  Luther  wollte  gründlicher  aufräumen,  indem  er  mit  der  Scholastik  auch  den  Ur- 
l^ber  derselben  über  Bord  warf. 


490  Oiiechisohe  Litteraturgesohiohte,    I.  Klmssiaoho  Periode. 

Berl.  Phil.  Woch.  1889  S.  1419)  geht  eine  Paraphrase  der  nikomachischen  Ethik.    Siehe 
im  allgeineinen  Pbantl,  Gesch.  d.  Log.  I  617  ff.,  Kbümbacher  BL.'  480  ss. 

Ausgabe  der  Scholia  in  Aristotelem  (meist  im  Anszag)  in  dem  4.  Band  der  Berliner 
akad.  Ausgabe  von  Bra^ndis.  —  E^e  neue  vollsÜLndige  Ausgabe  (nach  den  alten  Sniel- 
gaben  bei  Aldus)  Commentaria  in  Aristotelem  graeca,  in  25  vol.  von  der  preuss.  Akad. 
unter  der  Leitung  von  Torstrik  und  nach  dessen  Tod  von  Dibls  vorbereitet,  ist  nnieff 
Mitwirkung  von  Büssb,  Haydück,  Hbtlbut,  Hbibbbo,  Rabb,  Vitblli,  Wallibs  noch  im 
Erscheinen.  Von  den  lat.  Kommentaren  des  Boethius  ist  erschienen:  Comment.  in  Ubnun 
Aristotelis  hsqI  iQfitjyeiag  rec.  Mustbb,  in  Bibl.  Teubn.  2  vol. 

Die  Uebersetzungen  ins  Syrische,  Arabische,  Lateinische  haben  ihre  EUmptbedeatong 
darin,  dass  einige  Schnften  nur  durch  sie  uns  überkommen  sind,  wie  die  Bflcher  i«^ 
tpvTijy  durch  eine  arabische,  die  Kommentare  des  Themistios  zu  Metaph.  A  und  de  caelo 
durch  hebriüsche  Uebersetzungen.  Ueber  die  Th&tigkeit  der  Araber  im  Uebersetzen  und 
Kommentieren  des  Aristoteles  s.  Prabtl,  Gesch.  d.  Log.  II  807  ff ,  Klamroth  ZDMG.  41, 439. 
Anal,  orientalia  ad  poeticam  Aristoteleam  ed.  Mabooliohth  1887.  ~  Die  latein.  Ueber- 
setzungen beginnen  mit  dem  13.  Jahrb.;  einige  von  ihnen,  wie  die  zur  Rhetorik  und  Politik, 
haben  die  Bedeutung  von  Handschiifien,  namentlich  wegen  der  wortgetreuen  Wiedergabe 
des  griech.  Originals.  Der  bedeutendste  Uebereetzer  war  der  Dominikanermönch  Wilhelm 
von  Moerbecke  (um  1260),  der  durch  Thomas  von  Aquin  die  Anregung  erhielt  Die 
Problemata  sind  übersetzt  von  Bartholomaeus  Messanius,  Rat  des  Königs  Manfred 
von  Sikilien  ( 1258 — 66).  Näheres  geben  Joubdaik,  Recherches  sur  Torigine  des  tradnctions 
ktines  d'Aristot.,  Par.  1819,  ed.  II  1848,  flberaetzt  von  Stahb  1881;  Prantl,  Gesch.  der 
Log.  ü  99  ff.  u.  III  8  ff.;  v.  Hebtlino,  Zur  Gesch.  d.  aristot  Politik  im  Mittelalter,  Rh.  M. 
39,  446—457. 

Codices:  ein  kritischer  Apparat  wurde  beschafft  durch  Imm.  Bbkkeb  in  der  von  der 
preuss.  Akad.  ins  Leben  gerufenen  Gesamtausgabe  d.  Arist.,  Berol.  1881—70.  ErgSnzt, 
namentlich  durch  Ausbeutung  der  alten  Kommentare,  teilweise  auch  berichtigt  wurde  der- 
selbe durch  mehrere,  unten  anzufahrende  Spezialausgaben  und  durch  die  in  der  Bibl.  Teubn. 
erscheinende  Gesamtausg.  Die  massgebenden  Godd.  sind  in  den  einzelnen  Schriften  ver- 
schieden; ich  nenne  die  besten:  Paris.  1741  s.  XI  {A%  einzige  Textesquelle  für  die  Poetik 
(in  Photolithographie  von  AU^gre  mit  pr^face  de  H.  Omont,  Paris  1891),  hauptsAchlichste 
ftlr  die  Rhetorik;  Paris.  1853  s.  XII  {E),  Hauptquelle  fOr  Physik,  de  caelo,  de  gen.,  de  an., 
parv.  nat,  Metaphysik;  Laurent.  87,  12  s.  XII  (A^),  neben  £  Hauptquelle  fOr  Metaphysik, 
mit  Resten  stichometrischer  Angaben  (s.  Chbist,  Sitz.  d.  b.  Ak.  1885  S.  405  ff.);  Marc.  201 
s.  X  (B)  und  Urbin.  85  (.4),  wichtigste  Godd.  zu  dem  Organen.  Ueber  12  Palimpsestblfitter 
des  Yatic.  1298  s.  X  zur  Politik  s.  Hbtlbüt  Rh.  M.  42,  102  ff.,  über  die  Papyrasblfitter  za 
den  Politien  oben  §  826. 

Ausgaben:  ed.  princ.  ap.  Aldum  1495—8;  ed.  Bipont.  besorgt  von  Buhlb,  1791  bis 
1800,  5  vol.  (blieb  unvollendet);  ed.  acad.  reg.  boruss.,  Berol.  1881—70,  5  voL  4^  (nach  ihr 
wird  citiert);  die  ersten  2  Bde,  besorgt  von  Imm.  Bbkkbb,  enthalten  den  griech.  Text,  der 
8.  Bd.  die  lateinischen  Uebersetzungen  von  Pacius,  Argyropylus,  Bessario  etc.,  der 
4.  die  Scholien,  besorgt  von  Bbandis,  der  5.  die  Fragmente  naäi  der  Rezension  von  Val. 
Rose  und  den  Index  Aristotelicus  von  Bonitz);  dazu  Supplementum  Aristotelicom,  wovon 
bis  jetzt  t.  I— lU  —  Edit.  Didotiana,  besorgt  von  DObnbb,  Bussbmakbr,  Hbitz,  Paris  1848 
bis  1874,  5  vol.  —  Textausg.  der  Bibl.  Teubn.  mit  krit  Apparat,  besorgt  von  Apblt,  Bibel, 
Blass,  Ghribt,  Dittmeyeb,  PiiANTL,  RöMBR,  RosB,  SüSBMiHL,  im  Erscheinen.  —  Griech.  und 
Deutsch  mit  sacherklärenden  Anmerkungen,  Leipzig  bei  Engelmann,  besorgt  von  Pbahtl 
(Physik),  SüSEMiHL  (Politik,  Poetik)  u.  a. 

Hauptsi&chlichste  Spezialausgaben:  Organen  rec.  comm.  Waitz,  Lips.  1844—6,  2  vol. 
—  Meteorologica  rec.  et  comm.  Idelbr,  1884 — 6,  2  vol.  —  Aristot  über  die  Farben  erl.  von 
Pbantl,  Münch.  1849  —  de  anim.  histor.  rec.  comm.  J.  G.  Schkbidbr,  Lips.  1812,  4  vol.;  Ti«^ 
geschichte  von  Aubbbt  u.  Wimmbb,  Leipz.  1868  —  de  anima  rec.  comm.  illustr.  Trbkdelbh- 
bübg,  Jena  1883,  ed.  II  cur.  Bbloer  1877;  rec.  Tobstbik,  Berol.  1862.  —  Metaphys.  mit 
Uebers.  u.  Kommentar  von  Schwbglbb,  Tflb.  1847,  4  Bde;  rec.  et  enarr.  Bonitz,  Bonn  1848, 
2  vol.,  Hauptausg.  —  Ethica  Nicomachea  rec.  comm.  Ramsaubb,  Ups.  1878;  ed.  BrwATEs 
Oxford  1890  mit  Contributions  to  the  textual  critic  1892.  —  Politica  cum  vetosta  trans- 
latione  ed.  Susemihl,  Lips.  1872;  mit  sacherklftrenden  Anm.  von  Susbmibl  in  Bibl.  ICng^hn. 
1879.  —  *A^rivamy  noXiXBia  von  Wilamowitz,  Aristoteles  und  Athen,  Berl.  1898,  2  Bde.; 
Oekonomica  ed.  Göttlino,  Jena  1880  —  de  arte  poet.  ed.  annot.  Ttbwhitt,  Oxon.  1794;  ed. 
comm.  G.  Hebmamn,  Lips.  1802;  rec.  Vahlen  ed.  III,  Lips.  1885;  mit  sacherklfirenden  Anm. 
von  Susemihl,  ed.  II  in  Bibl.  Engelm.  —  Rhetorica  ed.  comm.  Yictokius,  Flor.  1648  u.  1679; 
ann.  L.  Spenobl,  Lips.  1867,  2  vol.;  ed.  Gopb-Savdys,  London  1877  in  8  Bdn. 

Index  Aristotelicus  von  Bonitz  im  5.  Bde  der  Berliner  akad.  Ausgabe.  —  EcccKir, 
Pe  Aristotelis  dicendi  ratione,  Gotting.  1866.  —  Schwab,  Bibliographie  d'  Aiistote,  Paris  1896. 


Zweite  Abteilung. 

Nachklassische  Litteratur  des  Hellenismus. 

A.  Alexandrinisches  Zeitalter. 
I.  Allgemeine  Charakteristik. 

334.  Mit  dem  Untergang  der  Freiheit  und  Selbständigkeit  der  grie- 
chischen Staaten  war  noch  nicht  das  geistige  Leben  und  die  Litteratur 
der  Griechen  zu  Grabe  getragen;  aber  dem  freien,  selbständigen  Denken 
und  Dichten  war  seit  der  Schlacht  von  Chäronea  die  eigentliche  Lebens- 
ader unterbunden.  1)  Was  von  da  an  die  Griechen  im  Reiche  des  Geistes 
noch  schufen,  hauchte  nicht  mehr  jene  frohe,  ungebundene  Schaffenslust, 
welche  den  Werken  der  klassischen  Zeit  ihren  unvergänglichen  Reiz  ver- 
liehen hatte.  Die  geistige  Kraft  des  Volkes,  gelähmt  und  gebrochen,  be- 
gnügte sich  im  wesentlichen  damit,  die  grossen  Muster  der  Vergangen- 
heit im  kleinen  nachzuahmen  und  den  herrlichen  Schatz  der  klassischen 
Litteratur  durch  Sammeln  und  Erläutern  dem  allgemeinen  Verständnis 
näher  zu  bringen.  Die  Gelehrsamkeit,  die  mühsam  erworbene,  auf  kleine 
Kreise  beschränkte,  nicht  auf  das  ganze  Volk  wirkende,  trat  an  die  Stelle 
des  von  den  freien  Gemeinden  getragenen,  mit  den  Festen  des  Volkes  und 
der  Öffentlichkeit  des  politischen  Lebens  verbundenen  Schaffens  und  Dich- 
tens. Der  Baum  der  griechischen  Litteratur,  der  einst  so  herrliche  Schöss- 
linge  getrieben  hatte,  war  alt  und  welk  geworden,  so  dass  es  hohe  Zeit 
war,  wenigstens  die  Früchte,  welche  er  in  früheren,  glücklicheren  Zeiten 
gereift  hatte,  einzuheimsen.  Wenn  hie  und  da  noch  ein  grünes  Reis  an 
ihm  emporschoss,  wenn  in  der  Philosophie,  der  Komödie,  der  bukolischen 
Poesie  die  alte  Triebkraft  noch  nicht  völlig  abgestorben  war,  so  verrieten 
doch  diese  späten  Schösslinge  nichts  von  der  Urwüchsigkeit  der  alten 
Sprossen  und  gediehen  obendrein  nur  da,  wo,  wie  in  Athen  und  Syrakus, 
der  Boden  seit  alter  Zeit  vorbereitet  war. 


>)  Bbrok  El.  Sehr.  U  533  ff.  lAsst  unsere 
Periode  erst  mit  dem  J.  300  oder  mit  der 
BegrOndaiig  der  Diadochenreiche  begimien; 
Üodich    SusEMiHL    in    seiner   Litteratorge- 


schichte  der  Alexandrinerzeit.  Wir  halten 
mis  nicht  an  ein  bestimmtes  Jahr,  gehen 
aber  im  allgemeinen  von  dem  Tpde  Ale- 
xanders aus. 


492  Chrieohisehe  Litteratnrgesohiohte.    ü.  HaohklMsisohe  Litteratnr. 

Aber  der  Verlust  der  politischen  Freiheit  und  die  dadurch  hervor- 
gerufene Erlahmung  der  Schaffenskraft  des  alten  Griechenlands  bildeten 
nur  ein   Moment  in    der  Litteratur    des  alexandrinischen   Zeitalters;  ein 
anderes,   nicht  minder  wichtiges  lag  in  der  Ausdehnung  der  griechischen 
Kultur  über  ihre  alten  natürlichen  Grenzen,  die  mit  Alexander  begann  und 
in  den  hellenistischen   Reichen,   welche  aus   dem  Weltreich  des  grossen 
Makedoniers  hervorgingen,   immer   weitere  Kreise  zog.     Denn  Alexander 
hat  nicht  bloss  die  alten  Reiche  der  Perser  und  Ägypter  zertrümmert,  er 
hat  auch,  indem  er  die  Fackel  hellenischen  Geistes  vorantrug,  die  weiten 
Länder  der  abgestorbenen  Despotien  zu  neuem  Leben  im  Glänze  des  llel- 
lenentums   erweckt.     In   Makedonien,   Ägypten,    Syrien,    Kleinasien   ent- 
standen hellenistische  Reiche,   deren  Könige  und  Generale  Griechen  oder 
doch  Halbgriechen  waren,   deren  Kraft  in  der  Überlegenheit  der  griechi- 
schen Kultur  ihre  Wurzel  hatte,  in   denen  sich  vom  Hofe  aus  die  grie- 
chische Sprache  über  die  breiten  Massen  des  Volkes  verbreitete.     Das  hatte 
natürlich   seinen  grossen  Einfluss  nach   verschiedenen  Seiten.     Einesteils 
ward   damit  der  geistige  Horizont  der  Griechen  bedeutend  erweitert;  in 
Masse  flössen  den  Naturforschern  Berichte  über  seltene  Erscheinungen  der 
Tier-  und  Pflanzenwelt  zu;  in  neue  Länder  und  Meere   drangen  wissbe- 
gierige Reisende  vor  und  überraschten  ihre  Landsleute  mit  den  Beschrei- 
bungen neuerschlossener  Erdteile.     Ward  mit  den   zahlreichen   Büchern 
über  Wunderdinge  {nfQi  S^avinaafwv)  auch  zunächst  nur  der  Neugierde  der 
leichtgläubigen  Menge  gehuldigt,   so  entwickelte   sich  doch  daneben  auch 
nach  und  nach   der  ernste   Bau  naturwissenschaftlicher,   mathematischer 
und  geographischer  Wissenschaft.    An  eigentlichen  Geistesprodukten  fanden 
die  Griechen  in  den  Ländern  der  älteren  Kultur  nichts,  was  sich  mit  ihrer 
eigenen  Poesie,  Mythologie  und  Geschichtsschreibung  messen  konnte;  aber 
nichts  desto  weniger  drangen  fremde  Göttergestalten  in  den  hellenischen 
Olymp  ein  und  mischten  sich  griechische  Bräuche  mit  orientalischen.    Die 
starre  Unterscheidung  von  Hellenen   und   Barbaren  geriet  ins    Wanken, 
noch  ehe  Eratosthenes  förmlich  erklärte,  dass  dieselbe  auf  einer  kurzsich- 
tigen Überhebung  der  Griechen  beruhe,  da  viele  der  Hellenen  schlecht  seien 
und  es  unter  den  sogenannten  Barbaren  Leute  von  feiner  Bildung,  wie  die 
Inder  und  Arianer,   und  von  überlegener  politischer  Tüchtigkeit,   wie  die 
Römer  und  Karthager,  gebe.^)  Ihren  beredten  Ausdruck  fand  jene  erweiterte 
kosmopolitische  Auffassung  der  Verhältnisse  in   dem  Historiker  Polybios 
und  mehr  noch  in  den  Lehren  der  Stoa. 

336.  Hat  so  die  Ausdehnung  der  hellenistischen  Kultur  zur  Bereiche- 
rung der  Wissenschaft  und  Erweiterung  des  Gesichtskreises  fördernd  bei- 
getragen, so  litt  auf  der  anderen  Seite  unter  jenen  fremden  Einflüssen  die 
Reinheit  des  hellenischen  Geistes  und  die  Keuschheit  der  griechischen 
Sprache.  Die  vielen,  welche  griechisch  reden  und  schreiben  mussten, 
ohne  dass  sie  die  Kenntnis  der  griechischen  Sprache  mit  der  Muttermilch 
eingesogen  hatten,  überschwemmten  die  Sprache  mit  Solökismen,  und  auch 
die  geborenen  Griechen  mischten,  nachdem  einmal  die  strenge  Norm  ge- 

^)  Eratosthenes  bei  Strabon  p.  06. 


A.Alexftiidxiiiisches  Zeitalter.    1.  AUgemeine  Charakteristik.    (§§835-836.)      493 

fallen  war  und  Athens  massgebender  Einfluss  aufgehört  hatte,  aus  der 
laxen  Umgangssprache  Wortformen,  Wörter  und  Konstruktionen  ein,  die 
man  bisher  von  der  Schriftsprache  ferne  gehalten  hatte.  So  machte  in 
der  Prosa  der  Historiker,  Philosophen  und  selbst  der  Grammatiker  der 
reine  Attikismus  der  Nachlässigkeit  des  Gemeingriechischen  {diaXextog  xoivi^) 
Platz.  1)  In  der  Poesie  ward  strenger  und  länger  auf  Korrektheit  und 
Schönheit  des  Ausdrucks  gesehen,  begegnen  uns  sogar  noch  Gedichte  in 
dorischem,  äolischem  und  ionischem  Dialekt;  aber  das  waren  nur  in  sel- 
tenen Fällen  die  Mundarten,  welche  die  Dichter  selbst  redeten;  meistens 
handelte  es  sich  dabei  nur  um  affektierte  Nachbildungen  und  dürre  Früchte 
der  Schulweisheit,  welche  die  Produkte  der  Poesie  mit  Glossen  und  dunk- 
len Ausdrücken  überluden.  Kurz,  in  allen  Gebieten  trat  auf  der  einen 
Seite  Fehlerhaftigkeit  und  Nachlässigkeit,  auf  der  anderen  Künstelei  und 
Spielerei  an  die  Stelle  natürlicher  Grazie. 

336.  Eine  weitere  natürliche  Folge  der  Errichtung  hellenistischer 
Reiche  war  es,  dass  der  Schwerpunkt  der  griechischen  Litteratur  von  den 
politischen  Zentren  des  alten  Griechenlands  in  die  neuen  Hauptstädte  der 
halbgriechischen  Staaten  verlegt  wurde.  Zwar  blühte  im  Anfang  unserer 
Periode  noch  in  Syrakus  Poesie  und  Geschichtsschreibung  und  behauptete 
Athen  zu  allen  Zeiten,  dank  seinen  Philosophenschulen  und  den  Nach- 
wh'kungen  alten  Ruhms,  eine  angesehene  Stelle  im  griechischen  Geistes- 
leben. Aber  Sikilien  ging  mit  dem  Ende  des  3.  Jahrhunderts  an  die 
Bömer  verloren,  und  in  Athen  flössen  die  materiellen  Mittel,  deren  auch 
die  Kunst  und  Litteratur  nicht  entraten  kann,  von  Jahr  zu  Jahr  dürftiger. 
Hingegen  erfreuten  sich  in  Alexandria,  Antiochia,  Pella  und  Pergamon 
die  Dichter,  Gelehrten  und  Künstler  der  freigebigsten  Unterstützung  ge- 
bildeter und  ruhmbegieriger  Könige.  Diese  Unterstützungen  förderten  die 
Wissenschaft  und  veredelten  das  Leben  und  dürfen  von  uns  um  so  weniger 
verkannt  werden,  als  wir  ihnen  zumeist  die  Erhaltung  der  kostbaren 
Schätze  der  alten  Litteratur  verdanken;  aber  die  Wissenschaft  und  Lit- 
teratur gerieten  dadurch  in  ein  persönliches  Abhängigkeitsverhältnis,  das 
sich  auch  äusserlich  darin  kundgab,  dass  nunmehr  die  Bücher  ganz  ge- 
wöhnlich einem  vornehmen  oder  reichen  Protektor  gewidmet,  meistens 
auch  durch  eine  Dedikationsepistel  eingeleitet  wurden.^)  Durch  diese  Ab- 
Ungigkeit  wurde  aber  die  Hoheit  der  Wissenschaft  und  Poesie  um  so 
mehr  beeinträchtigt,  als  es  unter  den  Herrschern  nicht  an  grausamen  und 
wollüstigen  Despoten  fehlte.  Keine  fürstliche  Gunst  aber  vermochte  die 
Impulse  zu  ersetzen,   welche  in  der  alten  Zeit  der  Beifall   und  die  Preise 


*}  Von  der  Entartong  der  Vulgärsprache  |   ^'A^«ff«*',  yf'yoyay^  iuignxec,   oXeSgerw.    All- 


zei^jeii  die  allerdings  meist  der  römischen 
Kaiseneit  angehörenden  Inschriften  and 
iWatpapyii  Aegyptens.  Die  alten  Gram- 
out&er,  wie  Eirenaios,  handelten  in  eigenen 
Sduiften  von  jener  Vulgärsprache  unter  dem 
T^tel  Tte^  lijq  rtoy  'AXB^ay&Qitov  diaXsxrovy 
indem  sie  vieles  als  speziell  alexandrinisch 
ttfthrten,   wsjb  der  Vulgärsprache  der  hei- 


gemeiner in  Gebrauch  kamen  namentlich 
die  zweiten  Aoriste  auf  «,  wie  insbesondere 
6inu,  einüfÄTjy  und  evQufirjy. 

»)  An  dem  Philosophen  Chrysippos  fand 
man  es  auffällig,  dass  er  joaftvra  ßißkla 
ygd^ag  ovdeyl  TuJy  ßuaiXimy  nQocEfpuiyrjcey 
(Diog.  Laert.  VIl  186).  Gbäfenheim,  De 
more  libros  dedicandi  apnd  scriptores  Graecos 


lenistischen  Länder  überhaupt  angehörte,  wie  |   et  Romanos,  Marburg  1892 


494 


Grieohisohe  Lüteraturgesohiohte.    II.  Naohklassisohe  Litteraior. 


eines  freien,  kunst-  und  redeliebenden  Bürgertums  auf  Dichter  und  Redner 
geübt  hatten.  Freilich  wussten  ja  auch  im  freien  Griechenland  Aristo- 
phanes  und  Demosthenes  über  die  Qunstbuhlerei  der  Demagogen  zu  klagen, 
aber  wenn  auch  das  Zugefallenreden  (ro  x<xQfX^<T^cci  tf)  irlfjifp)  jener  Zeiten 
dem  Gemeinwesen  nicht  weniger  geschadet  hatte,  so  entbehrte  es  doch  der 
erniedrigenden  Hässlickeit  persönlicher  Schmeichelei  und  verleumderischen 
Intrigantentums. 

SS7.    Alexandria.     Hauptsitz  und  gewissermassen  Vorort  der  hel- 
lenischen  Gelehrtenlitteratur  war  Alexandria,   welche  Stadt   der  ganzen 
Periode  den  Namen  gegeben  hat.     Von  Alexander  am  Meere,   an  einem 
Arme  der  Nilmündung  angelegt,  i)  wies  sie  schon  durch  die  Lage  das  neu- 
gegründete Reich   auf  Griechenland  hin.     Die  Ptolemäer,    die  Herrscher 
des  neuen  Reiches,  sahen  alsbald  ein,  dass  sie  in  einem  Land  von  uralter 
Kultur  zum  Schutze  ihrer  eigenen  Herrschaft  der  erstarrten  Weisheit  ein- 
heimischer   Gelehrten    die    Pflege    hellenischer    Bildung    entgegensetzen 
mussten.     Sie  knüpften   dabei  an  die  alten  Institutionen  des  Landes  an, 
in  welchem  seit  unvordenklichen  Zeiten  die  bevorzugte  Klasse  der  Priester 
einem   beschaulich   gelehrten  Leben   oblag.')     Den  Grund   zu  den  neuen 
wissenschaftlichen  Instituten  legte  schon  Ptolemaios  I,    Sohn   des  Lagos 
(Satrap  seit  323,   König  304—285),  der  den  gelehrten  Peripatetiker  De- 
metrios  von  Phaleron  nach  Alexandria  zog   und  nach  dessen  Ratschlägen 
mit  der  Gründung  grossartiger  Büchersammlungen  und  stiller  Musensitze 
begann.     In  die  Fusstapfen  seines  Vaters  trat  Ptolemaios  H  Philadelphos 
(285—246),   der,   weniger  durch  kriegerische  Verwicklungen  in  Anspruch 
genommen,  die  reichen  Hilfsmittel  des  Landes  den  friedlichen  Bestrebungen 
zuwenden  konnte  und  als  der   eigentliche  Vater  der   wissenschaftlichen 
Schöpfungen   des  Museums   und   der  beiden   Bibliotheken  galt.»)     Gleiche 
Liebe    für    die  Wissenschaft   bethätigte    sein   Nachfolger   Ptolemaios  DI 
Euergetes   (246—221),    indem  er  insbesondere   den  mathematischen  und 
geographischen  Forschungen   seine  freigebige  Unterstützung   lieh.     Nicht 
gleiches  Lob  verdienten  als  Regenten  die  nachfolgenden  Ptolemäer,  Ptole- 
maios  IV  Philopator   (221—204),    Ptolemaios  V    Epiphanes    (205—180), 
Ptolemaios  VI  Philometor  (180—145),  Ptolemaios  VH  Eupator,  König  auf 
Kypern  (146—5),  Ptolemaios  VIU  Euergetes  H  (145—116),  Ptolemaios  IX 
Neos  Philopator,  König  auf  Kypern  (121—119),  Ptolemaios  Apion,  König 
von  Kyrene  (116—96),    Ptolemaios  X  Soter  II  (116—108).     Doch  hielten 


*)  Kiepert,  Zur  Topographie  des  alten 
Alexandria,  Berl.  1872,  mit  einem  Plan  nach 
den  Ausgrabungen  von  Mahmud Bev.  Lübbbbt, 
Alexandria  unter  Ptolemaeus  Philadelphus 
und  Euergetes,  eine  Rede,  Kiel  1880. 

*)  Aristot.  met.  I  1:  neQl  Atyvnxoy  a( 
fxaSrjfiauxni  TiQwToy  xix^M  avviaxrjcnv  '  ixei 
ydq  ttfpBlBfj  axoXa^eiy  t6  ivjy  Uqiiov  e&yog. 

*)  Herondas  I  27:  oa'  iazl  xov  xal  ylv6i\ 
lax'  iy  AiyvnxiOj  \  »iai^  (fiXoaotpoi,  XQ^^^oy, 
vetjylaxoij  |  »ecliy  adeXg:u}y  x^fieyog,  6  ßaaiXeve 
/e^ffroV,  I  Movaioy.  Ath.  203  e  mit  Bezug 
auf  Ptolemaios  Philadelphos:  ne^l  dk  ßißXLvoy 


nXij&ovs  xtti  ßtßXio&tjxtoy  xaxaaxev^g  xal  t^c 
Big  x6  Movaeioy  avyayfoyijg  xi  dcl  xtti  XiyHV 
näai  xovxfoy  oyxtoy  xatd  ftyijfiijy;  Syncellus 
p.  271:  fiv^iddag  ßißXitay  C  dni^BXo  xaxa 
xrjy  ^AXBknySgBitty  iy  xaig  vi*  avxov  cvcxa- 
aaig  ßißXtodrfxmg.  Tzetzes  gibt  die  Bfidiei^ 
zahl  bei  einer  zwischen  Ol.  123  und  125  vor- 
genommenen Schätzung  auf  42,800  in  der 
äusseren,  und  490,000  in  der  inneren  Biblio- 
thek, zusammen  532,800  Rollen  an;  s.Rit8CHL, 
Die  alexandrinischen  Bibliotheken,  Oposc 
18  ff. 


A.  AlexftndriiiiBoheB  Zeitalter.    I.  Allgemeine  Charakteristik.    (§§  337—339.)       495 

auch  diese  an  dem  Vermächtnis  ihrer  Väter,  der  Pflege  wissenschaftlicher 
Bestrebungen,  fest,  und  liebte  es  namentlich  Ptolemaios  Physkon,  der  im 
übrigen  ein  grausames  Regiment  führte,  sich  mit  seinem  gelehrten  Hof- 
halt an  der  Besprechung  kritischer  und  litterarischer  Streitfragen  zu  be- 
teiligen. 

338.  Bibliotheken  wurden  in  Alexandria  zwei  gegründet,  1)  eine 
in  Verbindung  mit  dem  Museum  beim  königlichen  Schloss  {ev  Bqovxsi'v), 
und  eine  andere  beim  Serapistempel  (Serapeum)  im  Quartier  Rhakotis. 
Ihrer  Bereicherung,  Ordnung,  Katalogisierung  galten  vorzugsweise  die  Be- 
mühungen der  Könige  und  Gelehrten.  Mit  Ehrlichkeit  und  Treue  nahm 
man  es  dabei  nicht  allzu  genau ;  so  entlieh  Ptolemaios  Euergetes  von  Athen 
gegen  ein  Depositum  von  15  Talenten  das  Staatsexemplar  der  3  grossen 
Tragiker,  um  davon  Abschriften  für  die  Bibliothek  machen  zu  lassen,  be- 
hielt aber,  nachdem  er  die  Abschriften  gemacht,  das  Original  für  sich  und 
schickte  den  Athenern  nur  eine  Abschrift  zurück.*)  Die  Herstellung  von 
Repertorien,  in  denen  Autor,  Titel,  Zeilenzahl  genau  angegeben  waren, 
hildete  eine  Hauptaufgabe  der  Bibliothekare.'*)  Natürlich  galt  es  dabei 
nicht  einfach  zu  registrieren,  sondern  auch  zu  prüfen,  zumal  infolge  der 
hohen  Angebote  der  Könige  sich  die  Zahl  der  untergeschobenen  Schriften 
mehrte.*)  Die  Stelle  eines  Vorstandes  der  Bibliothek  galt  als  die  höchste 
in  der  Gelehrtenhierarchie  Alexandriens.  Die  gefeiertsten  Gelehrten, 
Zenodot,  Kallimachos  (?),  Eratosthenes,  Apollonios  (?),  Aristophanes,  Ari- 
starch  versahen  hintereinander  das  Amt  eines  Bibliothekars. '^) 

339.  Gelehrtenstudien.  Der  Verwertung  der  Schätze  der  Biblio- 
thek durch  Herstellung  kritisch  gesichteter  Textesausgaben  {ixioaetg,  iioQ- 
W«f«$)  und  Erläuterung  schwieriger  Stellen  (vTrofirtlfxaza)  waren  vorzugs- 
weise die  Bemühungen  der  Gelehrten  zugewendet.  Daneben  lebten  die- 
selben dem  Unterricht  und  der  Prinzenerziehung.«)  Die  Aufgabe  des 
ünterrichtens  führte  dann  von  selbst  zur  Abfassung  grammatischer  Lehr- 
bücher und  zur  Auswahl  lesenswerter  klassischer  Dichter  in  massgebenden 
Verzeichnissen  (xavoveg).'')    Die  alte  Vorstellung,  als  ob  die  Grammatiker 


'j  RiTSOBL,  Die  alexandrimschen  Biblio- 
theken in  Opusc.  I  1—112;  Pabthey,  Das 
«lexindriii.  Museum,  Beri.  1838;  Klippel, 
Heber  das  alexandrin.  Museum,  Gott.  1838; 
Deutbiadbs,    'IctoQixoy   doxlfAtoy  xtSv  'JXs- 


Eallimachos  wirklich  Bibliothekar  war,  ist 
zweifelhaft,  worüber  unten  unter  Kallimachos. 

^)  Als  Prinzenerzieher  bezeichnet  Suidas 
speziell  den  Zenodot  und  Aristarch. 

')  Quintil.  X  1,  54:  Apollanius  in  ordinem 
hrdQtiwy  ßißXto&fjxtay,  Leipz.  1871;  CoUAT,    |   a  grammaticis   datum  non   venit,   guia  Art- 


1«  mns^  d*  Alexandrie,  Annales  de  Bor- 
deiox,  I  (1879)  7—28. 

«)  Galen  t.  XVII  p  607  K. 

')  Biet,  Das  antike  Buchwesen  S.  485  ff. 

*)  Galen  in  Hippocr.  de  nat.  hom.  I  42 
t.  XV  p.  105  K.:  Xttfißnysiy  cf'  ag^afisytoy 
fit9$üy  Twy  xouiCoyrtoy  avtoig  avyygafifia 
^ttktnov  Tiyog  ay&Qog,  ovtta^  tj&tj  noXXa  \pev- 
fef  hityQtiffoyteg  ixofiiCoy.  Vgl.  M.  H.  E. 
MnER,  Opusc.  I  78  ff. 

')  Ueber  die  Zeit  der  Bibliothekare  s. 
^nscBL  Op.  I  72  f.  und  Seemaitn,  De  primis 
>a  bibliothecae  Alezandrinae  custodibus, 
fiwen  1859;  Süsbuibl,  AI.  Lit.  1 835  ff.  -  Ob 


starchus  atque  Aristophanes  neminem  sui 
temporis  in  numerum  redegerunt;  vgl.  1 4,  3. 
Erhalten  sind  uns  zwei  nur  zum  Teil  über- 
einstimmende Verzeichnisse  der  besten  Schrift- 
steller der  einzelnen  Redegattungen,  eins  von 
Montfaucon  aus  der  Bibl.  Goislin. 
veröffentlicht  (neubearbeitet  von  üsbneb, 
Dionys.  Halic.  de  imitat.  rell.  p.  129  ff.),  und 
ein  anderes  von  Gramer,  An.  Par.  IV  197 
aus  der  Bibl.  Bodleiana  ans  Licht  gezogenes, 
worüber  Steffen,  De  canone  qui  dicitur 
Aristophanis  et  Aristarchi,  Leipzig  1876; 
Kroehnert,  Ganonesne  poetarum  scriptorum 
artificum    per   antiquitatem   fuemnt?    Diss. 


496 


Grieohisohe  litteratnrgMohiohte.    n.  NaohklMsisohe  litteniiir. 


Aristophanes  und  Aristarch  in  speziellen  Werken   einen  solchen  Kanon 
aufgestellt  und  begründet  hätten,  haben  zwar  neuere  Untersuchungen  als 
irrig  erwiesen;^)    insbesondere   gilt  jetzt  als  ausgemacht,   dass  die  Aus- 
wahl mustergiltiger  Redner  erst  viel  später,  vielleicht  erst  von  dem  Rhetor 
Cäcilius  in  der  Zeit  des  Augustus  getroffen  wurde.     Aber  die  ästhetische 
Beurteilung  (xQictg) «)  und  in  Verbindung  damit  die  Auswahl  der  empfehlens- 
wertesten Dichter  und  Autoren  ging  doch  von  Alexandria  und  dem  Gram- 
matiker Aristophanes  von  Byzanz  aus.  —  Nach   anderer  Richtung  wurde 
die  Thätigkeit  der  Gelehrten  für  Übersetzung  fremder  Schriften  ins  Grie- 
chische in  Anspruch  genommen.     Teils  verlangten  die  Griechen  aus  Wiss- 
begierde die  heiligen  Bücher  und  Überlieferungen  anderer  Völker,  nament- 
lich der  Ägypter,   Juden,    Babylonier  kennen  zu  lernen,  teils   führte  das 
Zusammenströmen    der  verschiedenartigsten  Menschen    in   der  Weltstadt 
Alexandria  zum  gegenseitigen  Austausch  der  Sprachen.^)    Eine  besondere 
Rolle   spielten   dabei   die  Juden,   welche  seit  alters  viel  in  Ägypten  ver- 
kehrten,  und  auf  deren  Anhänglichkeit  die  Ptolemäer  wegen   der  unauf- 
hörlichen Streitigkeiten  mit  Syrien  grossen  Wert  legten.*)     So   entstand 
unter  Ptolemaios  Philadelphos  die  Bibelübersetzung  (zunächt  das  Pen- 
tateuch)   der  sogenannten  Siebenzig,^)    und  entwickelte  sich,    indem  die 
Juden  Alexandriens  griechisch  zu  reden  und  griechische  Bildung   in  sich 


Königsberg  1897,  wo  ausser  jenen  zwei  alten 
Verzeichnissen  noch  ein  drittes  {ixkoytj  xal 
avyxQiaig  noirjTüiv  ^rjrogtoy  tpiXoffoquoy  xed 
^eoXoywy  xard  dfodexadag)  aus  cod.  Monac. 
256  abgedruckt  ist.  Ausserdem  kommen  in 
Betracht  die  rhetorischen  Schriften  des  Dio- 
nysios  Haue,  das  10.  Buch  QuintiUans,  Vel- 
leiusl  16,  Proklos'  Chrestomathie  undTzetzes' 
Proleg.  zu  Lvkophrons  Alexandra.  —  Der 
ältere  Teil  des  von  Montfaucon  veröffent- 
lichten Kanon  lautet:  <inwy>  noirjxal  neyts' 
"OfAijQog,  'Hifiodog,  JlELüapdqog,  Ilayvaaa^g, 
'AvtifAaxog  .  'lajußtxoi  tQeig  '  lifian/idt^g,  'Jq- 
yiAo/'Off,  Inntüya^  .  Tgayaidon olol  neris' 
AiaxvXog,  2og)oxkijg,  Evf^mlirjg,  "Imy,  '^xaiog. 
K(üfnpdonoioi  a^x^iag  knta  •  'Ertixa^ftog, 
KQajivog^  EvnoXig,  ^AQiaxofpttvfjg^  4»€Q€XQattjg^ 
<KQdxrigy  XlXdxwy  '  jn^aijg  xotfii^dlag  dvo' 
^JyxKpdyrjg,  "^Afftf  Öor'peof  •  yiag  xü)fjnii&iag 
Ti^yre  •  Me'yaydQog,  ^iXinnldtjg,  Ji<piXog,  4>i- 
XijfAüty,  AnoXXodtoQog  ,lEX6y€i07toii]xai  xsüffageg' 
KaXXTyog,  MifjiyeQftog,  4>iXi]tugy  KaXXifAaxog, 
AvQixoi  iyria'  'AXxfidy,  'AXxaiog,  üaTKptOy 
IxrioLxoQog,  nlvdaQog,  BaxxvXidrjg,  'Ißvxog, 
'Ayaxqitoy,  lifutoyldrjg  .  *PfjiOQ€g  dexa  '  Jrjfio- 
a&^yrjg,  A  vciag^  Yn  s^€ldi]g*[aoxQdxrjg,A  iüxlytjSj 
Avxov^yog^  'icaiog,  'AyxKpaiy,  *Aydoxldfjgy 
JslyaQXOS  •  'IcroQixol  dexa  .  Sovxvdidrjg^  'Uqo- 
doxog,  Seyoffüjy^  4*iXiaxog,  9€6nofÄnogy"E<poQogf 
Uya^ifieyrjg,  KnXXtcaeyrjg/EXXdyixog,  JJoXvßiog. 
*)  Die  übertriebenen  Vorstellungen,  von 
denen  Ruhnken,  Hist.  crit.  oratonim  grae- 
corum  ausging,  wurden  stark  reduziert  von 
Bernhardt,  Wissenschaftliche  Syntax  der 
griech.  Sprache  S.  31,  Gr.  Litt.  I»  185;  Fbrd. 


Ranke,  De  Aristophanis  vita  p.  104  ff. 

*)  Mit  dem  technischen  Ausdrack  xgicig 
Tüiy  noiijfidraty,  womit  die  Alten  einen  Teil 
der  grammatischen  Aufgaben  bezeichneten, 
hängen  die  Wörter  iyx^iyeiy  und  ixxgiynr 
(Suidas  unter  ^ciVit^jjfOf,  Phot.  cod.  61)  zu- 
sammen. 

»)  Syncellns  p.  271  von  Ptolemaios 
Philadelphos:  ndvimy  'EXkriytüy  xb  xtd  XecA- 
daiiay  Alyvnxloiy  re  xai  'Ptofiaitay  rag  ßißXovg 
avXXe^dfieyog  xat  /letafpQdaag  tag  «Uo- 
yXiji<r<rovg  eig  rrjy'EXXdda  yXtiacay  fsvgiddng 
ßißXifoy  h    dni^BXo. 

^)  ScHÜRBR,  Geschichte  des  jüdischen 
Volkes  n  908  ff;  Sosemihl,  AI.  Lit.  11601«. 
Von  einem  abgesonderten  Quartier  der  Juden, 
einem  alten  Ghetto,  berichtet  Stnbon  bei 
losephus  Ant,  lud.  14,  7 :  iy  Aiyvnt^  xaxoutia 
tüiy  lovdalwy  iaxiy  drtodedeiyfiBi^  X**^*^^  **'* 
xrjg  tüiy  *AXe^aydQ$oiy  noXetag  d(fw^^*^ 
/leya  f^igog  rto  iS^yei  xovxip. 

^)  Euseb.  ad  Ol.  124:  nioXtfiaiog  6  #1- 
XddeXifog  xovg  xax*  Atyvntoy  aixfif^Xtifovg 
*Iovdaiovg  vno  BxoXBfJialov  xov  naxQog  «vtof 
yei'Ofjiiyovg  iXsv^sQovg  dyvjxsy  .  .  ,  xdg  hv- 
daltay  yQatfdg  ix  x^g  'Eßgaitay  tftivyjg  ek 
xrjy  'EXXdda  fÄBXaßXtjdrjyca  ienovdaCB  dtd 
ruiy  ißdofAijxoyra  dvo  nag*  'Eßgaioi^  aoq^v^ 
iy  ^uQf^  r^  ytjatfi  Ugioxiag  iy  oß'  oUotg 
avxovg  dnoxXBiaagy  xal  iy  xat^  xaxd  rijy 
'AXE^aydoBiay  xaxacxBvaadBtaaig  avxt^  ßtßXtö- 
d^rjxaig  anid^BXO  fXBxd  xdiy  aXXioy  iiXilermr 
dno  Bxdaxrjg  noXBtag  gfogoXoyrjcag  naytoltay 
ßißXitoy. 


▲.  AlexaadriniBohe«  ZeiUlter.    1.  Allgemeine  Charakteristik.    (§  340.)      49? 

aufzunehmen  begannen,  eine  spezielle  Gattung  jüdisch-hellenistischer  Bil- 
dung. Dieselbe  hat  ihre  grosse  Rückwirkung  auf  die  griechische  Welt 
erst  in  der  folgenden  Epoche  durch  den  alexandrinischen  Philosophen  Philon 
geübt;  aber  auch  schon  in  unserer  Periode  suchten  die  hellenistischen 
Juden  in  ihrer  rührigen  und  eingebildeten  Art  allerlei  Verbindungsfäden 
anzuknüpfen.  Insbesondere  war  es  der  jüdische  Peripatetiker  Aristo- 
bulos  (um  170  v.  Chr.),  der  in  seiner  Erläuterung  des  Mosaischen  Gesetzes, 
um  die  Anfänge  der  hellenischen  Weisheit  auf  die  Bibel  zurückzuleiten, 
sich  nicht  scheute,  dem  Orpheus,  Lines  und  Hesiod  eine  Masse  erdichteter 
Verse  unterzuschieben.^) 

Erste  Ausg.  der  Septoaginta  von  Melanchthon,  Basel  1545;  kritische  Ansg.  von 
Tisch ekdobf-Nebtle,  Ups.  1887;  The  old  testament  in  Greek  by  Svbte,  Oxford  1887.  Der 
Hanptcod.  Sarravianns  s.  V  in  Phototypie  in  Codd.  graec.  et  latin.  photogr.  ed.  Sijthoff,  Leyden 
1896.  —  Hinzugekommen  ist  neuerdings  aus  ägyptischen  Papyrus  das  Buch  Henoch.  Nur  in 
griech.  Uebersetzimg  ist  der  Ecclesiasticus  erhalten,  da^as  hebräische  Original  davon  veiloren 


gegangen  ist.  —  Der  lateinischen  Uebersetzung  des  Hieronymus  und  der  älteren  Itala  lag 
die  griechische  uebersetzung  der  Septuaginta,  nicht  das  hebräische  Original  zu  gründe. 

Ueber  die  Korrespondenz,  welche  der  König  Ptolemaios  mit  dem  Hohenpriester  Elea- 
zar  gef&hrt  haben  soll,  und  fiber  die  vorausgehenden  Verhandlungen  berichtet  unter  dem 
Namen  des  an  Eleazar  abgesandten  Offiziers  der  königlichen  Leibwache  Aristeas  ein 
inferessantes,  aber  die  Geschichte  zu  Gunsten  der  Juden  fiberall  fälschendes  Schreiben  an 
einen  anbekannten  Philokrates,  das  uns  selbständig  in  mehreren  Handschriften  und  durch 
Joeephos  ant.  iud.  XII  2  und  Eusebios  praep.  ev.  YIII  2  erhalten  ist.  Dasselbe  ist  neu 
herausgegeben  aus  dem  Nachlass  von  Mendblssohn,  Dorpat  1897. 

340.  Aber  nicht  bloss  Aufgaben  stellten  die  Könige  Ägyptens  den 
Gelehrten,  sie  suchten  ihnen  auch  eine  sorgenfreie  Stellung  zu  gewähren, 
damit  dieselben  ganz  der  Wissenschaft  leben  könnten.  Einzelnen  hervor- 
ragenden Gelehrten  bewilligten  sie  Jahresgehalte  (ct/vra^fic).^)  Dieselben 
waren  mitunter  sehr  freigebig  bemessen;  so  bezog  Panaretos  von  Ptole- 
maios Euergetes  einen  solchen  von  12  Talenten. »)  Den  Bedürfnissen  einer 
grösseren  Zahl  war  im  Musenhaus  (Movastov)  vorgesehen,*)  einem  weit- 
läufigen, um  den  Tempel  der  Musen  gruppierten  Gebäudekomplex  bei  dem 
königlichen  Palast,  in  welchem  die  Gelehrten  zu  gemeinsamen  wissen- 
schaftlichen Besprechungen  zusammenkamen  und  freier  Verpflegung  (rj  iv 
liovcfi(p  aiTtjifig)  sich  erfreuten.*)  Diese  grossen  wissenschaftlichen  Insti- 
tute, die  Bibliotheken  und  das  Museum,  überdauerten  die  Herrschaft  der 
Ptolemäer;  zwar  ging  unter  Cäsar  (47  v.  Chr.)  ein  grosser  Teil  der  inneren 
Bibliothek  in  Flammen  auf,  aber  der  Verlust  wurde  durch  Überführung 
der  pergamenischen  Bibliothek  nach  Alexandria  und  durch  neue  Abschriften 
wieder  ersetzt,  und  der  Ruhm  der  alexandrinischen  Gelehrsamkeit  erhielt 
»ich  auch  noch  in  den  ersten  Jahrhunderten  der  römischen  Kaiserzeit. 
Erst  durch  wiederholte  Brände  und  den  Bürgerkrieg  unter  Aurelian,  zuletzt 


*)  Yalcksnabr,  Diatribe  de  Aristobulo 
iodaeo,  ed.  Lnzac,  LB.  1806;  vgl.  Phocylidea 
oben  §  99  und  Zeller,  Philos.  d.  Gr.  ill*  2, 
258  f.  Bbrok,  Gr.  Lit  lY  534  hält  die  durch 
CleaienB  and  Eusebios  uns  erhaltenen  Frag- 
mente für  die  Fälschung  eines  jüngeren,  aber 
Boch  vor  Philon  lebenden  Litteraten. 

*)  Nach   Ath.  494  a   zahlte   Ptolemaios 


Philadelphos  fttnf  Gelehrten  (Soter,  Sosigenes, 
Bion,  ApoUonios,  Dion)  Jahresgehalte. 

•)  Ath.  552c. 

*)  Klippel  a.  0. 

*)  Timon  bei  Ath.  22 d;  Strabon  p.  793. 
In  einem  Epigramm  der  Memnonstatue  GIG 
4748  —  Eaibel  ep.  gr.  1009  nennt  sich  ein 
'Aq€io(  'OfAfjQixog  noifjxrjg  ix  Movaeiov, 


Handbocli  der  klua.  Altcrtuxnrwineiuchaft.    VIT.    8.  Aufl. 


498  Orieohisohe  LitteratiirgeaohiohU.    II.  NaohUassisohe  Litteratnr. 

gegen  Ende  des  4.  Jahrhunderts  durch  die  Streitigkeiten  der  Christen  und 
Griechen  unter  Theodosius  ging  die  alte  Herrlichkeit  gänzlich  unter. 

341.    Pergamon.    Mit  Alexandria  wetteiferte  seit  dem  Ende  des 
3.  Jahrhunderts  in  der  Förderung  der  Wissenschaft  und  Kunst  Pergamon, 
die  Hauptstadt  des  Reiches  der  Attaliden.    Begründet  war  der  Ruhm  von 
Pergamon  durch  Attalos  I  (241—197),  der  die  Gallier,  welche  jahrzehnte- 
lang weit  und  breit  die  hellenischen  Staaten  gebrandschatzt  hatten,  in 
entscheidenden  Kämpfen   niederwarf   und  dann   in  Pergamon  eine  neue 
Stätte  hellenischer  Bildung  aufrichtete.    Das  Vermächtnis  des  Vaters  ehrten 
die   beiden   Söhne   Eumenes  U  (197—159)   und  Attalus  IT   Philadelphos 
(159 — 138);  auch  nachdem  der  in  thatenlose  Schwermut  versunkene  Atta- 
lus III  sein  Reich  den  Römern  vermacht  hatte  (133),  behauptete  Pergamon 
noch  bis  in  die  ersten  Jahrhunderte  der  römischen  Kaiserzeit  hinein  sein 
Ansehen  als  Sitz  der  Gelehrsamkeit  und  Kunstpflege.  ^)    Die  wissenschaft- 
lichen Anstalten  Pergamons  waren  im   wesentlichen   denen  Alexandriens 
nachgebildet.    Die  Hauptsache  war  auch  hier  die  Bibliothek,^)  die  200,000 
Bände  umfasste,  als  sie  von  Antonius  der  Kleopatra  geschenkt  und  nach 
Alexandria  gebracht  wurde.  •)  Der  Eifer  der  Könige  sie  zu  vermehren,  hatte 
unter  Eumenes  II,  als  die  Ptolemäer  aus  Eifersucht  die  Ausfuhr  des  Papyrus 
untersagten,  zum  allgemeineren  Gebrauch  des  Pergamentes  geführte)   Den 
Gelehrten,  unter  denen  Krates  eine  hervorragende  Stellung  einnahm,  lag 
die  Anlage  von  Katalogen  ob,  die  neben  denen  der  alexandrinischen  Biblio- 
thek eine  Hauptquelle  der  Litterarhistoriker  bildeten.^)    Auch   fär  nator- 
wissenschaftliche  Sammlungen  sorgten  die  pergamenischen  Könige:  im  Vor- 
hofe der  Königsburg  war  ein  vielbewunderter  Erdglobus  aufgestellt;  der 
König  Attalus  I  hatte  selbst  ein  geographisches  Buch  hinterlassen.  <)  Die 
Richtung  der  Studien  war  in  Pergamon  nicht  ganz  die  gleiche  wie  in 
Alexandria.     Zwar  überwogen  auch  hier  die  Beschäftigungen   mit  Gram- 
matik und  Dichtererklärung,  aber  ohne  dass  daraus  Männer  vom  Scharf- 
sinn eines  Aristarch   oder  der  Gelehrsamkeit  eines  Eratosthenes  hervoi^ 
gegangen  wären.    Die  Polymathie,  die  ihr  Wissen  auch  zur  unrechten  Zeit 
anbringt  und  mehr  auf  den  Stoff  als  die  kritische  Sonderung  Gewicht  legt, 
herrschte  von  jeher  in  Pergamon  und  machte  sich  insbesondere  auch  bei 
der  Berührung   mit  Rom  geltend.     Im  übrigen  wehte  in  der  Hauptstadt 
Mysiens  ein  freierer  Geist  als  in  Alexandria,  das  sich  dem  dampfen  Ein- 

^)  Wkgbner,    De   aula  Attalica  artioin-  |  xandri  Magni  tfictoria  repertam   aneior  at 

que  fautrice,  Haan.  1836.  |  M.    Varro  eondita  in  Aegypto   Alexandria 

')  Die  RAume  derselben  aind  jetzt  wieder  I  . . .  max  aemulaiiane  circa  bibliotheeas  regnm 
aufgedeckt  worden;  s.  Conzb,  Die  perga-  j  PioUmaei  et  Eumenis  eupprimente  chartae 
menische  Bibliothek,  Sitzb.  d.  pr.  Akad.  1884  ■  Ptolemaeo  idem  Varro  memhranae  Pergami 
S.  1259—70;  sie  bildete  einen  Anhang  zam  i  tradit  repertas.  Die  Richtigkeit  dieser  An- 
Tempel der  Athena  Polias;  vgl.  Trbndblbn-  ,  gäbe  wird  bestritten  oder  doch  beschrSnkt 


BURG  in  Baumeisters  Denkm.  H  1222. 

*)  Flut  Anton.  58:  KaXovicio;  <fl  ITiri- 
aagof  halgo^  tri  xai  lavia  loiy  eiV  KXeih- 
nargay  ^yxXtjfMaTmy  'jiyrioylio  Ttgovfpfge  '  /«- 
gl<raü9m  fiiy  avrfi  rag  ix  negynfiov  ßtßho- 
^ijxrrc«  iy  n<V  fUoat  fivgtadsg  ßißXimy  anltar 
ffCay  Mtl. 

*)  PlinioB  n.  h.  XllI  21:   chartam   AU- 


von  BiRT»  Das  antike  Buchwesen  S.  52  ff. 

*)  Dionys.  de  Dinarcho  1 :  Sftn  de  ogmy 
ovdiy  axgtß^c  ovre  KaX^lfittj^oy  ovie  roiV 
ix  negyafiov  ygaiAfutuxorg  Titgi  avtov  yga- 
tffayiag.  Vgl.  Brzoska,  De  canone  decem 
oratonim  attic,  Breslau  1883  p.  56  ß. 

•)  Strab.  p.  603. 


A.  AlezaBdrinisoheB  ZeiUlter.    1.  Allgemeine  Charakteristik.    (§§  841—342.)      499 

floss  ägyptischen  Priestertnms  nie  ganz  entziehen  konnte.  Die  Attaliden 
unterhielten  engere  Beziehungen  zu  Athen  und  entnahmen  von  dort  die 
Liebe  zur  Kunst  und  die  Neigung  zu  philosophischen  und  rhetorischen 
Studien.  Die  Weihgeschenke  des  Attalos  auf  der  Akropolis  von  Athen 
und  der  grosse  Altar  auf  der  Burg  in  Pergamon  zeugen  heutzutag  noch 
von  dem  kunstliebenden  Sinn  der  Pergamener,  und  zur  glänzenden  Blüte 
der  Beredsamkeit  in  Rom  hat  auch  Pergamon  sein  Scherf  lein  beigesteuert. 
Denn  Pergamon  begünstigte  im  Gegensatz  zu  Alexandria  die  Studien  der 
Rhetorik  und  ästhetischen  Kritik,  und  durch  pergamenische  Grammatiker 
und  Rhetoren  wurden  die  gleichen  Studien  in  Rom  geweckt,  i) 

342.  Schon  ehe  Pergamon  in  die  Arena  der  Konkurrenz  eintrat, 
wetteiferten  andere  Residenzstädte  der  Diadochenreiche  mit  Alexandria. 
Antiochia  in  Syrien,  die  Hauptstadt  des  Reiches  der  Seleukiden,  ward 
von  ihrem  Gründer  Antiochos  Soter  (287—262),  besonders  aber  von  Anti- 
ochos  d.  Gr.  (224 — 181)  mit  Bibliothek,  Theater,  Zirkus  und  Kunstwerken 
ausgestattet.  Der  Bibliothek  stand  der  kenntnisreiche  und  formgewandte 
Dichter  Euphorien  aus  Chalkis  vor,  den  Antiochos  um  220  nach  Antiochia 
berufen  hatte.  Schon  zuvor  weilte  der  Dichter  Aratos  eine  Zeitlang  an 
dem  Hofe  der  syrischen  Könige.  Aber  freier  Geist  und  freie  Wissenschaft 
konnten  in  der  Umgebung  der  despotischen  Regenten  Syriens  nicht  ge- 
deihen. Antiochia  hat  durch  die  erste  Philosophenverfolgung  eine  traurige 
Berühmtheit  erlangt ;  der  famose  Erlass,  womit  Antiochos,  man  weiss  nicht 
welcher,  die  Jugendverderber  aus  Stadt  und  Land  verwies,  ist  uns  noch 
bei  Athenaios  p.  547  erhalten.  Von  der  Launenhaftigkeit  am  fürstlichen 
Hofe  zeugt  auch  die  Anekdote  bei  Lukian,  pro  imag.  5,  wonach  Strato- 
nike, die  Gemahlin  des  Seleukos,  die  infolge  einer  Krankheit  kahlköpfig 
geworden  war,  einen  Preis  für  das  beste  Lobgedicht  auf  ihr  Haar  aus- 
setzte. 

Auch  der  kunstliebende  König  Antigenes  Gonatas  von  Makedonien 
(275—239)  machte  seine  Residenz  Pella  zum  Sammelplatz  von  Dichtern 
and  Philosophen.  Insbesondere  lebten  längere  Zeit  in  Makedonien  Aratos 
und  Alexander  Aetolus,  und  pflegte  der  König  freundschaftliche  Beziehungen 
zu  den  Stoikern  Zenon  und  Persaios.  Eine  dauernde  Bedeutung  gewann 
aber  Pella   für  die  Entwicklung  der  Litteratur  und  Gelehrsamkeit   nicht. 

Auch  einzelne  Freistaaten  haben  in  unserer  Epoche  den  Ruhm  gesucht, 
als  Pflegestätten  der  Bildung  und  Gelehrsamkeit  gepriesen  zu  werden,  so 
ausser  Athen  noch  besonders  Rhodos,  dessen  berühmte  Männer  Strabon 
p.  655  aufzählt,  und  Tarsos  in  Kilikien,  dessen  Streben  nach  philosophi- 
scher und  enkyklopädischer  Bildung  derselbe  Strabon  p.  673  f.  das  glän- 
zendste Zeugnis  ausstellt.  Sikilien  und  Syrakus  blieben  auch  in  unserer 
Periode  hinter  ihrem  alten  litterarischen  und  künstlerischen  Rufe  nicht 
zurück,  aber  ihre  Kultur  begann  früh  unter  den  Füssen  des  kriegerischen 
Eroberers  zertreten  zu  werden. 


^)  Bbzobxa  a.  0.  75  ff.  Ueber  die  Fttr- 
aofge  f&r  öffentUchen  Unterricht  und  An- 
rteSnng  von   Lehrern  unterrichtet  eine  In- 


schrift von  Teos  in  Lydien  bei  Dittbnbbbgbb 
Syll.  349. 

82* 


500  Orieohuiohe  LltteraturgeMhiobte.    II.  NachkhuMisohe  litteratnr. 

343.    Charakter  der  Litteratur.     Ein  Hauptcharakterzug  der  Lit- 
teratur  unserer  Periode  ist  die  Neigung  zur  Polymathie,  der  sieh  nicht  bloss 
bei  den  eigentlichen  Grammatikern,  sondern  auch  bei  den  Philosophen  und 
Dichtern  geltend  machte.   Da  so  die  Forderung  der  Genialitat  und  Formvoll- 
endung zurücktrat  und  das  stoffliche  Interesse  sich  in  den  Vordergrund 
drängte,  so  konnten  auch  untergeordnete  Geister,  wenn  sie  nur  den  nötigen 
Fleiss  mitbrachten,  an  der  Lösung  der  gestellten  Aufgaben  in  Grammatik, 
Litteraturgeschichte,    Altertumswissenschaft  mitthun.     Arbeiter  erzeugte 
auf  diese  Weise  das  Zeitalter  in  Masse,  hervorragende  Schriftsteller  und 
schöpferische  Geister  nur  wenige.    Nur  in  der  Mathematik,  Astronomie 
und  Mechanik  hat  auch  unsere  Periode  grossartige  Entdeckungen  und  her- 
vorragende Forscher,   wie  Euklid,  Archimedes,  Apollonios,  aufzuweisen.^) 
Hingegen   blieben   in    denjenigen    Litteraturgattungen,    welche    die  Alten 
unter  dem  Namen   artes  liberales  zusammenfassten,  ganze  Gebiete  brach 
liegen,  wie  die  Beredsamkeit,  oder  fanden  nur  wenige  Bearbeiter  von  Be- 
deutung, wie  die  Geschichtsschreibung.     In  dem  Zuge  zur  stofflichen  Viel- 
wisserei  war  es  auch  begründet,   dass  die  Prosa   sich  immer  mehr  breit 
machte  und  die  Poe^sie  in  den  Hintergrund  drängte.    Doch  gilt  das  letztere 
in   vollem  Umfange  erst  von  den  2  letzten  Jahrhunderten  unseres  Zeit- 
alters, die  überhaupt  unter  der  Ungunst  der  politischen  Verhältnisse  stark 
von  der  vorausgehenden  Zeit  abfielen.    Im  3.  Jahrhundert  oder  im  Beginne 
der  Diadochenzeit  ward  die  Kunst  der  Yersifikation   noch  hoch  geboten, 
so   dass  auch  Gelehrte  und  Bibliothekare,   wie  Eallimachos,    Apollonios, 
Eratosthenes  Verse  schmiedeten  und  in  den  litterarhistorischen  Aufzeich- 
nungen zugleich  als  yqa^fxaxixoi  und  inojioioi  oder  iXsyeionoioi  aufgeführt 
wurden.     Freilich  hat  gerade  dieses  Eindringen  der  Gelehrsamkeit  in  den 
Garten  der  Musen  dazu  beigetragen,   dass  der  Duft  der  Poesie  nach  und 
nach  ganz  verloren  ging,  und  an  die  Stelle  schwunghafter  Phantasie  die 
Oede  trockener  Belehrung,  an  die  Stelle  des  vates  divinus  der  poeta  doctus 
trat.     Aber  wenn  auch  das  meiste  in  der  alexandrinischen  Poesie  unnatür- 
lich und  ungeniessbar  war,   so  dass  wir  den  Verlust  desselben  nicht  be- 
sonders zu  beklagen  haben,  so  hat  doch  auch  dieses  Zeitalter  einige  kost- 
liche Früchte  gereift,    wie  insbesondere  in  der  Gattung  des   Idylls,  der 
Elegie  und  des  Mimus,   um  von  den  geistreichen  Schöpfungen   der  neuen 
Komödie,  die  doch  auch  zum  grössten  Teil  in  unsere  Periode  hereinragen, 
ganz  zu  schweigen. 

SrsEMiHL,  Geschichte  der  griechischen  Litteratur  in  der  Alexandriner  Zeit  (=  AI. 
Lit),  Leipiig  1891,  2  Bde,  Hauptwerk.  —  Cocat,  La  po^sie  Alexandrine  soas  lee  trois 
premiers  Ptolem^s,  Paris  1882.  —  Mbinbkb,  Analecta  Alexandrina,  Berl.  1843,  gmnd- 
logend. 

Geschichtliche  Hil&werke:  Drotsek,  Geschichte  des  Hellenismus,  2  Bde,  Gotha  1842; 
Kusammen  mit  der  Geschichte  Alexanders  1877.    Nibsb,  Geschichte  der  griechischen  und 

*)    Das   Bewusstsein   der  higheren    Lei-  i^y    dia    rtoy    Xoyaty    MttaxaTiiav    iiiiace 

stunicen  der  Matliematiker  spricht  sich  ge-  narrag   ay^Qtonovg  «rraocr/iwf    C»?*'   *'  ^'cV 

iogentlich  in  einer  Stelle  des  Mathematikers  xai   iXaxitfrov  fiegov^  avfijg,  kiyu   drj  lov 

Honm.  U ober  die  Geschütze  p.  71  AVesch.  aus,  x«ra  ri;*'  xaXovfde'ytjy  ßeXorto^Tay.  —  lieber 

vro  mit  einem  verj&chtlichen  Seitenblick  auf  die    grossen     MaUiematiker ,     Astronomen, 

dio  violon  Schriften  der  Philosophen  Ober  die  Mechaniker,    Aerete   unserer    Periode   siehe 
tttuQn^i«  bemerkt  ist:  ,Mi;/rrrixi;  ?*:?(f^(rtfit  ,  unten  §§  643,  6t54— 662. 


A.  Alexandriniaolies  Zeitalter.    2.  Die  Poesie. 


I  343-345.) 


501 


nukedonischen  Staaten  seit  der  Schlacht  bei  Ghäronea  J,  Gotha  1893;  Lukbroso,  L'  Egitto 
dei  Greci  e  dei  Romani,  2.  Aufl.  1895;  Mahaffy,  The  empire  of  Ptolemies,  London  1895; 
Strack,  Die  Dynastie  der  Ptolemäer,  Berlin  1897,  im  Anhang  Sammlung  griechischer 
Ptolemfieivlnschriffcen. 

Urkunden:  Papyri  graeci  regii  Taurinensis  musei  aegyptii  ed.  Peyron,  Turin  1827. 
Papyri  graeci  musei  antiquarii  publici  Lugduni-Batavi  I  ed.  Leemans  1843.  —  Description 
of  tiie  greek  papyri  of  the  British  Museum  ed.  Forshall,  London  1839 ;  Greek  papyri  in 
the  British  Museum  ed.  Kenyon,  London  1893.  —  Papyrus  grecs  du  Mus^e  du  Louvre  ed. 
Bronet  de  Pk^sle  et  Egger,  in  Notices  et  extraits  des  manuscrits  XVIII  2,  1865.  —  Lb- 
TROKXE,  Recueil  des  mscriptions  grecques  et  latines  de  V  Egypte,  Paris  1842 — 48.  —  Aegyp- 
Uaehe  Urkunden  aus  dem  Berliner  Museum  von  Wilckbn  Krebs  Virreck,  Berlin  von 
1892  an.  —  Corpus  papyrorum  Raineri  ed.  Wessely,  Wien  1895.  —  Mahafft,  The  Flinders 
Petrie  Papvri,  Dublin  1891  u.  1893,  in  Cunningham  Memoirs  VIII.  IX.  —  Revenue  Laws  of 
Ptolemy  Philadelphus,  edited  from  a  greek  papyrus  by  Grenfell,  Oxford  1896;  dazu  Blüm- 
vn,  Verwaltungswesen,  Rechts-  und  Familienleben  Aegyptens,  Preuss.  Jahrb.  1894  S.  383  ff. 


IL  Die  Poesie. 

344.  In  der  klassischen  Zeit  hatten  sich  die  Dichter  streng  nach  den 
Gattungen  der  Poesie  geschieden.  Jetzt,  wo  nicht  mehr  die  poetische  Ader 
und  die  göttliche  Begeisterung  den  Dichter  machten,  wo  das  Dichten  zur 
Kunst,  zur  Gewandtheit  in  der  Versifikation  herabgesunken  war,  fielen 
auch  jene  Schranken  und  wandelten  nicht  bloss  Jugenderzieher  und  Oram- 
matiker  in  dem  Haine  der  Musen,  sondern  versuchte  sich  auch  ganz  in 
der  Regel  ein  und  derselbe  Versifikator  im  Epos  zugleich  und  in  der  Elegie, 
manchmal  auch  noch  im  Drama,  unter  solchen  Umständen  möchte  man 
leicht  bei  Aufzählung  der  Dichter  unserer  Periode  von  den  Gattungen  der 
Poesie  ganz  absehen  und  sich  lediglich  an  die  zeitliche  Folge  halten. 
Gleichwohl  habe  ich  der  Übersichtlichkeit  halber  die  Scheidung  nach  Dicht- 
gattungen beibehalten  und  dabei  die  einzelnen  Dichter  da  eingereiht,  wo 
das  Schwergewicht  ihrer  Leistungen  zu  liegen  schien,  i)  Zugleich  aber 
erlaubte  ich  mir,  an  derselben  Stelle,  um  das  Bild  nicht  zu  zerstreuen, 
alles  das  anzuführen,  was  der  Betreffende  in  anderen  Spielarten  der  Poesie 
oder  auch  auf  dem  Gebiete  der  gelehrten  Forschung  geleistet  hat. 

a)  Elesrlen,  Hymnen,  Epigrramme.^) 

846.  Im  Vordergrund  des  poetischen  Schaffens  unserer  Periode  stand 
die  Elegie  >)  und  das  damit  verwandte  Epigramm.  Beide  Dichtungsarten 
stammten  aus  der  klassischen  Zeit,  nahmen  aber  in  unserer  Periode  einen 
speziellen  Charakter  an.  Das  hatte  seinen  Hauptgrund  darin,  dass  das 
degische  Distichon  zur  fast  einzigen  Form  des  lyrischen  Gedankenausdrucks 
gewählt  wurde.  Die  verschlungenen  Formen  der  attischen  Dithyramben 
ond  dorischen  Oden  hatten  nur  Reiz,  wenn  ihnen  durch  die  Modulationen 
des  Gesanges  Leben  und  Seele  eingehaucht  wurde.  Wer  die  Gedichte  nur 
lesen  wollte,  dem  entschwand,  wie  wir  das  ja  selbst  erfahren,  das  Ver- 
ständnis für  die  Schönheit  und  Kunst  jener  Perioden.  In  unserem  Zeitalter 
aber  wollte  man  die  Gedichte  lesend  geniessen;  was  war  also  natürlicher, 


*)  Ich  habe,  einem  Winke  meines  Re- 
cementen  (Cbusiüs  in  CentrJBl.)  gehorchend, 
die  Elegie  vorangestellt. 

')  leh  habe  die  drei  Arten  der  Lyrik 
Tcreiidgt,  weil  der  Haoptdichter  E^allimachos 


Elegien,  Hymnen  ond  Epigramme  dichtete. 
*)  Härtung,  Die  griechischen  Elegiker 
Leipz.  1859,  2  Bde.     Die  Fragmente  anch 
bei  Bebgk  PLG  und  Anth.  lyr. 


502 


Orieohisohe  LitteraturgeBchiohte.    II.  Naohklassiache  litteratar. 


als  dass  auch  die  Dichter  sich  nicht  mehr  den  Zwang  solch  schwieriger 
Kompositionen  anthaten,  sondern  eine  einfache,  leicht  verständliche  Form 
des  Verses  und  Rhythmus  wählten?  Dazu  empfahl  sich  vor  andern  das 
elegische  Distichon,  das  sich  über  die  Einfachheit  der  ständigen  Wiederkehr 
des  gleichen  Verses  erhob  und  doch  dem  melodischen  Satz  eine  gefällige, 
jedem  ins  Ohr  gehende  Abrundung  gab.  Es  zu  wählen,  lag  um  so  näher, 
als  der  Grundton  der  lyrischen  Empfindungen  unserer  Zeit  die  Erotik  war,  die 
mit  der  Abnahme  des  Interesses  für  die  öffentlichen  Angelegenheiten  wuchs 
und  bei  den  Freunden  des  Frauendienstes  an  den  fürstlichen  Höfen  in  beson- 
derer Gunst  stand.  1)  Die  Beliebtheit  der  Elegie,  des  romantischen  Liebes- 
liedes  und  der  Erzählung  in  engem  Rahmen,  ging  Hand  in  Hand  mit  der 
Abneigung  gegen  die  langweiligen,  weitschweifigen  Epen;*)  man  wollte 
ein  kleineres,  geschlossenes  Ganze  und  kehrte  in  der  Erzählung  von  Mythen 
und  Liebesabenteuern  wieder  zur  balladenartigen  Form  des  alten  Helden- 
liedes zurück.  Der  Mangel  des  Umfangs  sollte  aufgewogen  werden  durch 
die  Neuheit  der  Erfindung  und  mehr  noch  durch  die  Sauberkeit  und  Feile 
der  Form.*)  Sorgfältiges  Studium  und  einiger  Geschmack  schienen  die 
dichterische  Ader  und  göttliche  Begeisterung  ersetzen  zu  können.  Aber 
immerhin  waren  die  Leistungen  der  Alexandriner  auf  dem  Gebiete  der 
Elegie  nicht  gering ;  bei  den  römischen  Elegikem  fanden  sie  überschweng- 
liche Anerkennung,  Eallimachos  und  Philetas  waren  diesen  hochgefeierte 
Namen.^)  Leider  hat  sich  im  Original  nur  weniges  erhalten  und  sind  wir 
darauf  angewiesen,  die  alexandrinische  Elegie  zumeist  aus  den  Nachahm- 
ungen der  römischen  Elegiker,  vornehmlich  Catulls,  kennen  zu  lernen. 

346.  Philetas,*)  Sohn  des  Telephos  aus  Kos  (daher  Cous  poeta),^) 
lebte  unter  Alexander  d.  Gr.  und  Ptolemaios  I,  welch  letzterer  ihm  die 
Erziehung  seines  Sohnes  übertrug.  Auch  Theokrit  verehrte  ihn  als  seinen 
Lehrer,^)  und  ebenso  wird  der  Grammatiker  Zenodot  von  Suidas  als  sein 
Schüler  bezeichnet.  Er  selbst  war  Dichter  und  Gelehrter  zugleich;*)  dabei 
war  er  durch  Studieren  und  Nachdenken  so  abgemagert,  dass  Witzbolde 
ihm  nachsagten,  er  trage  Blei  in  den  Schuhen,  um  vom  Winde  nicht  davon 
geweht  zu  werden.^)  Hinterlassen  hat  er  nach  Suidas  Elegien  und  Epi- 
gramme, wozu  noch  ein  in  fortlaufenden  Hexametern  geschriebenes  Epyllion 
Hermes  (Liebesabenteuer  des  Odysseus  mit  des  Äolus  Tochter  Polymele) 


')  RoHDE,  Griech.  Roman  59  flf.;  Couat, 
La  po^e  Alexandrine  p.  24.  Ausser  den 
Königinnen  waren  es  die  königlichen  Gurti- 
sanen,  denen  Pal&ste  und  Denkmale  in  Ale- 
xandria errichtet  waren. 

')  Vgl.  Eallimachos  in  Anth.  XII  43, 
und  unten  §  350. 

')  Bezeichnend  ist  das  Distichon  Ovids 
Am.   I    15   Aber    den    Hauptvertreter    der 


Battictdes  semper  toto  cantabüur  orhe: 

qiMmvis  ingenio  non  valet,  arte  valet. 

*)  Quint.   X   58:    elegiae    princepa  ha^ 

betur     Callimachtis,     secundus    confesaione 

pluritnorum    Philetas    occupavü,      Aehnlich 


Properz  III  1,  1;  Ovid  Ars  am.  IIl  829; 
Proclus  ehrest  242,  21  W. 

^)  Bach,  Philetae  Hermesianactis  Ph»- 
noclb  rell.,  Halis  1829;  Maass,  De  tribus 
Philetae  carminibus  {naiyytoyy  Demeter, 
Herakles  u.  Omphale),  Marburg  1895. 

*)  Rhodier  nennt  ihn  der  Schol.  Theoer. 
7,40. 

T)  Theoer.  7,  40. 

■)  Strab.  p.  657:  4»iXiJTag  nwrjrijt  Sfta 
xal  xQtxixoq.  Seine  grammatischen  Stadien 
betrafen  insbesondere  Homer;  gegen  seine 
verkehrten  Wortdeutungen  schrieb  Aristarck. 

•)  Ath.  552b  u.  Aelian  V.  H.  IX  4. 


A.  AlezandrinkoheB  Zeitalter.    2.  Die  Poesie. 


346—349.) 


503 


kam.  Die  Elegien  waren  meist  erotischer  Natur;  seine  Geliebte  Bittis  stellt 
Ovid  Trist.  I  6,  1  neben  die  Lyde  des  Antimachos.  Von  dem  grossen 
Ansehen,  dessen  er  sich  erfreute,  zeugt  die  Statue,  welche  ihm  seine  Lands- 
leute in  Kos  errichteten.!)  Erhalten  haben  sich  von  ihm  nur  dürftige 
Fragmente. 

84?.  Hermesianax  aus  Kolophon  war  ein  jüngerer  Freund  des  Phi- 
letas.*)  Seine  Elegien  umfassten  3  Bücher  und  galten  zumeist  dem  Preis 
seines  Liebchens  Leontion,  enthielten  aber  auch  andere  erotische  Erzäh- 
lungen. Aus  dem  3.  Buch  ist  uns  eine  grosse  Elegie  bei  Athen.  597  er- 
halten, in  welcher  er  die  Dichter,  welche  vor  ihm  ihre  Muse  geliebten  Frauen 
und  Mädchen  geweiht  hatten,  in  anmutigen  Versen  aufzählt.  Auffällig  sind 
darin  die  vielen  litterarischen  Fabeleien,  welche  von  da  den  Weg  in  die 
Bücher  der  Grammatiker  nahmen.  So  wird,  um  von  Orpheus  und  seiner 
aus  dem  Hades  zurückgeholten  Geliebten  Agriope  zu  schweigen,  dem  Ana- 
kreon  ein  Liebesverhältnis  zur  Sappho  angedichtet  und  aus  dem  Buchtitel 
'H<Hai  eine  Geliebte  Eoie  des  Hesiod  herausgelesen. 

348.  Phanokles,  dessen  Zeit  sich  nicht  näher  bestimmen  lässt, 
dichtete  einen  Elegienkranz,  "Egwieg  fj  xaXoi  betitelt,  in  welchem  er  dem 
Geschmack  seiner  Zeit  folgend,  die  Liebe  zu  schönen  Knaben  an  Beispielen 
aus  der  Götter-  und  Heroenwelt  besang.  Die  einzelnen  Abschnitte  des- 
selben waren  ähnlich  wie  bei  Hesiod  in  den  Eöen  durch  die  Formel  rj  (og 
miteinander  verknüpft.  Eine  Elegie  von  der  Liebe  des  Orpheus  zum  jugend- 
lichen Ealais  und  der  Ermordung  des  thrakischen  Sängers  durch  die  eifer- 
süchtigen Frauen  ist  uns  durch  Stobaios  Floril.  64  erhalten. 

349.  Kallimachos  (um  310— um  240),*)  der  gefeierteste  unter  den 
griechischen  Elegikern,  stammte  aus  der  dorischen  Kolonie  Kyrene.  Sein 
Geschlecht  führte  er  auf  Battos,  den  Gründer  von  Kyrene,  zurück;  sein 
Grossvater  hatte  in  der  Vaterstadt  das  Amt  eines  Strategen  bekleidet.*) 
Nachdem  er  in  Athen  zusammen  mit  Aratos  seine  Studien  gemacht  hatte,  ^) 
begann  er  zu  Alexandria,  in  der  Vorstadt  Eleusis  seine  Lehrthätigkeit  als 
Grammatiker.  Von  Ptolemaios  Philadelphos  an  den  Hof  und  zu  den  Ar- 
beiten der  Bibliothek  herangezogen,^)  wusste  er  sich  auch  noch  bei  dessen 


^)  Hennesianaz  bei  Ath.  598  f. 

')  Schol.  Nicandri  Ther.  8:  o'EQfÄrjaidva^ 
OPtOf  q>iXog  tfp  ^iXijrq  xai  yyw^ifÄOS  rjv  * 
tovTtp  ii  xd  IlBQCixd  yiyQanxtth  xai  xd  eig 
Abovx^w  xfjy  iQto/jieyrjy.  Aber  in  der  Elegie 
bei  Aih.  498  f.  ist  PhUetas  schon  als  tot  ge- 
dacht. GouAT,  La  po^sie  Alex.  35  n.  57  Iftsst 
Philetas  zwischen  340  u.  836,  Hermesianax 
zwischen  380  u.  826  geboren  sein. 

')  Eine  Vita  bei  Snidas,  wonach  er  unter 
Ptolemaios  Philadelphos  blühte  und  bis  in 
die  Zeit  des  Ptolemaios  Euergetes  hinein 
lebte.  Ueber  die  Lebenszeit  Ritschl,  Opusc. 
I  72  und  Keil  ebenda  p.  234—6,  der  Ol.  121 
und  139  als  wahrscheinlichste  Grenzen  des 
Lebens  unseres  Kallimachos  angibt.  Sichere 
Anhaltspunkte  fttr  die  Lebenszeit  bilden  die 
erhaltenen  Hymnen  des  Dichters,  worüber 
unten.  Für  das  Verhältnis  zu  Zenodot  wichtig 


der  Artikel  des  Suidas  über  Aristophanes 
Byz.:  fXa&Tjrijg  KaXXifiäxov  xai  Zrjyodoxov, 
dXXd  xoif  fjiiy  (seil.  KaXXifuixov)  yeos,  xov 
de  naig  fjxovaey,  wonach  Kallimachos  jünger 
als  Zenodot  gewesen  sein  muss. 

^)  Suidas:  KaXXifAtt/os  vlog  Bdxxov  xai 
MBodxfxaq  (Msyaxlfiaq  corr.  Hemsterhnsius) ; 
Procl.  ehrest.  240,  22  W.:  KaAAt>a/of  6 
Bdxxov.  Das  Strategenamt  des  Grossvaters 
deutet  der  Dichter  selbst,  Anth.  VII 525,  an. 
Strabon  p.  837:  Xiyexai  dh  ij  Kvgi^yti  xxiafia 
Bdxxov,  ngoyoyoy  <W  xovxoy  iavxov  (pdaxei 
KaXXifAaxog.  Von  sich  selbst  sagt  Kalli- 
machos Anth.  VII  415:  bv  fiiy  doidrjy  Bidoxog, 
iy  <f'  oXytü  xittQia  ffvyyeXdaat. 

»)  RoHDB,  Gr.  Roman  99f .  Vgl.  529  Anm.  5. 

«)  Gellius  N.  A.  17,  21:  neque  diu  post 
{initium  belli  Puniei  primi  264)  CiUlimachua, 
poeta  Cyrenensis,   Alexandriae  apud   Calli- 


504 


Orieohisohe  Litteratargesohiobte.    II.  Naohklawiisohe  Litteratnr. 


Nachfolger,  Ptolemaios  Euergetes,  in  Gunst  zu  erhalten.  Mit  ausgedehnter 
Gelehrsamkeit  verband  er  poetische  Neigung:  abhold  der  weitschichtigen 
Dichtungsart  des  Apollonios,*)  wandte  er  sich  der  Pflege  des  witzigen 
Epigramms  und  der  erotischen  Elegie  mit  Vorliebe  zu.  Hinterlassen  hatte 
er  über  800  Bücher,  von  denen  uns  Suidas  ein  nicht  ganz  vollständiges 
Verzeichnis  gegeben  hat.*) 

850.  Schriften  in  Prosa.  Von  den  gelehrten  Arbeiten  in  Prosa 
waren  am  bedeutendsten  die  IKvaxeg  %wv  er  ndarj  naideii;^  StaXafupdfrmv 
xai  (av  cvvsyqa^pav  in  120  B.,  ^)  von  denen  der  lliva^  %wv  xaxd 
XQOVOvg  xcei  an'  dqxrjg  yevopLbvwv  didaaxdXbnv  (sc  TQayoiSißv^  xfofifoSimv, 
SiO^vgdfißcov)  nur  ein  Teil  war.  Es  enthielt  jenes  grossartig  angelegte 
Werk  ein  Repertorium  der  hervorragenden  Vertreter  der  einzelnen  Lit- 
teraturgattungen  mit  genauer  Angabe  ihrer  Werke  nach  Titel,  Zeilenzahl, 
Abfassungszeit.^)  Dasselbe  hatte  5  Abteilungen,  von  denen  die  erste  die 
Dichter,  die  zweite  die  Gesetze,  die  dritte  die  Historiker,  die  vierte  die 
Redner,  die  fünfte  das  übrige  unter  dem  Gesamttitel  TtavTodand  umfasste. 
Mit  ihm  ist  Kallimachos  Schöpfer  der  Litteraturgeschichte  geworden.  — 
Rein  grammatischer  Natur  waren  die  Sammlungen  von  Glossen  oder  lokalen 
Ausdrücken,^)  mit  denen  unser  Autor  den  Anstoss  zu  den  zahlreichen 
Arbeiten  über  Glossographie  und  Lexikographie  gab.  —  Zu  der  bei  den 
Alexandrinern  so  beliebten  Litteratur  der  Denkwürdigkeiten  gehörten  die 
"^Ynofirrifiara «)  in  denen  von  Wundererscheinungen  und  Merkwürdigkeiten 
in  Geschichte,  Kunst,  Geographie,  Mythologie  gehandelt  war.  7)  Ausserdem 
hören  wir  von  einem  Buche  über  Wettkämpfe  (neql  dydvwv)^)  und  einer 
an  seinen  ehemaligen  Lehrer  gerichteten  Schrift  nqoq  JlQa^iffdvri. 


tnachum  regem  celehratus  est  Ob  er  auch 
BiblioÜiekar  war  und  als  solcher  zwischen 
Zenodot  und  Eratosthenes  der  Bibliothek 
vorstand,  ist  strittig.  Im  scholium  Plautinum 
(RiTSCHL,  Opusc.  I  125)  wird  er  ausdrücklich 
als  Bibliothekar  aufgeführt:  CalUmctchua 
aulicus  regius  bibliothecarius;  aber  Tzetzes 
(Proleg.  in  Aristoph.  bei  Ritschl,  Opusc.  I 
206)  erwähnt  nur  die  pinakographische  Mit- 
arbeit des  Kallimachos.  Siehe  über  diese 
Kontroverse  Süsbmihl,  AI.  Lit  I  385;  Wbin- 
BEROBB,  Kallimacheische  Studien,  Wien  1895 
S.  4f. 

^)  Von  Kallimachos  stammt  das  ge- 
flügelte Wort:  /ji^ya  ßißXioy  fxeya  xaxoy. 
Vgl.  fr.  165:  /uj/iT  an*  i/iev  diq>dts  fiiytt 
%l>o(p4ovaav  aoidijy. 

')  Schneider,  Callim.  11 19  ff.;  Batjb,  De 
Suid.  biogr.,  Jahrb.  für  Phil.  Suppl.  XI  462  ff. 

»)  Statt  Qx  wollte  Hbokbr  Phil.  V  433 
»«f  =  24  schreiben. 

*)  Wachsmuth,  Die  pinakographische 
Thatigkeit  des  Callimachus,  Phil.  16,  653  ff.; 
Daub  a.  0.  420  f.  Unterrichtend  ist  das 
Fragment  bei  Ath.  244  a:  KaXXLfxaxoq  iv  lif 
t(6y  navtoSanviv  nlyaxt  ygafpotr  ovtwg  ' 
detnya  oaoi  fy^aij/ay  '  XaiQBtfioy  Kvqrjßmvi^ 
€i&*  i^ijs   ttjy  aQxi^y   ün^9t]X6   „ineidij  fxoi 


noXXdxig  in^ffretXttc^'  arixtoy  roe,  Vei^l.  R, 
VoLKMAiTN,  Comm.  phil.  Bonn.  p.  717  ff. 

^)  Der  Gesami^tel  war  'Ei^yixal  owofia-' 
oittt,  Abteilungen  davon  negl  äyefitoy,  ijf- 
S-vwy,  oQyitoy,  firjytJy  TiQoarjyogiai  xar*  $9yog 
xttl  noXeif, 

^)  Die  vnofAyrifiaxa  des  Zenodot  (nicht 
des  Ephesiers)  waren  davon  eine  Epitome; 
s.  Schneider,  Callim.  II  854. 

')  Spezialtitel  waren  Kticeig  pijffmy  xai 
noXetay^  BagßaQ^xa  yofiifiu,  —  Zu  den  yno- 
uyrjfÄitTtt  stand  wohl  audh  in  Beziehung  das 
Verzeichnis  der  sieben  Weltwunder  {inra 
^safiam)  als  dawaren  Zeustempel  in  Olympia, 
rhodischer  Koloss,  hängende  Gärten  der 
Semiramis,  Babylonische  Mauer,  Pyramiden, 
Mausoleum,  Tempel  der  Ephedschen  Diana 
oder  Altar  des  Apollo  in  Delos.  Denn  wenn 
wir  von  diesen  Weltwundem  auch  erst  aus 
späterer  Zeit  Kenntois  haben,  so  scheint 
doch  die  erste  Erwähnung  derselben  auf 
unsere  Zeit  zurückzugehen;  s.  H.  Schott, 
De  Septem  spectaculis,  Ansbach  1891. 

^)  Das  Buch  negl  dytaytay  benutzte  in 
Hadrians  Zeit  Oinomaos,  woraus  Reste  in 
Euseb.  praep.  ev.  Y  34.  Vgl.  Lübbbrt,  De 
Pindari  poetae  et  Hieronis  regis  amicitia 
p.  XV  sqq.     Vielleicht  indes  bildeten,  wie 


A.  AlexaadrinMohes  Zeitalter.    2.  Die  Poesie. 


(  350—351.) 


505 


361.  Poetische  Werke.  In  den  gelehrten,  umfangreichen  Prosa- 
werken beruhte  die  eigentliche  Bedeutung  und  der  nachhaltige  Einfluss 
des  Kallimachos,  aber  den  Olanz  des  Namens  verdankte  er  seinen  dichte- 
rischen Schöpfungen,  wiewohl  ihm  die  Innigkeit  des  Gefühls  und  der 
Schwung  der  Begeisterung,  die  doch  zumeist  den  Dichter  machen,  ebenso  wie 
seinen  anderen  Zeitgenossen  abgingen.  Unter  seinen  Dichtungen  nahmen 
die  Elegien  die  erste  Stelle  ein,  so  dass  Quintilian  X  58  ihn  geradezu 
elegiae  principem  nennt.  Die  meisten  derselben  standen  zusammen  in  den 
Jhia.  Im  Eingang  dieses  aus  4  B.  bestehenden  Werkes  erzählte  der 
Dichter,  wie  er  von  Kyrene  nach  dem  Helikon  getragen  und  dort  von  den 
Musen  in  die  Geheimnisse  der  Mythenwelt  eingeweiht  worden  sei.^)  Den 
Namen  hatte  dasselbe  davon,  dass  es  der  Dichter  bei  jeder  Erzählung 
darauf  absah,  den  Grund  des  Vorfalls  oder  des  an  die  Mythe  geknüpften 
Gebrauches  anzugeben.')  Die  Aitia  begründeten  den  Ruhm  des  Ealli- 
machos  als  Elegiker^  enthielten  aber  zugleich  so  viele  dunkle,  erklärungs- 
bedürftige Stellen,  dass  sie  Clemens  Alex,  ström.  Y  p.  244  einen  Übungs- 
platz (yvinväaiov)  der  Grammatiker  nannte.'*)  —  Von  anderen  gelegentlich 
gedichteten  Elegien  war  am  berühmtesten  das  Haar  der  Berenike,  ge- 
dichtet 246  zu  Ehren  der  Königin  Berenike,  die  beim  Feldzuge  ihres  jungen 
Gemahles  Ptolemaios  Euergetes  gegen  Syrien  ihr  Haar  der  Göttin  Aphro- 
dite geweiht  hatte;  die  Versetzung  der  Locke  unter  die  Sterne  führt  uns 
in  den  Gedankenkreis  der  Phainomena  des  Arat.  Erhalten  ist  uns  diese 
Elegie  bekanntlich  durch  die  klassische  Übersetzung  des  Catull  n.  66. 
Andere  Gelegenheitselegien  der  Art  waren  die  Hochzeit  der  Arsinoe,  der 
Preis  des  Sosibios  u.  a. 

Vielgefeiert  war  neben  den  Elegien  des  Kallimachos  sein  Epyllion 
Hekale,  ein  idyllisches  Gedicht  voll  rührender  Treuherzigkeit  von  der 
gutmütigen  Alten  Hekale,  welche  den  Theseus,  als  er  zur  Bezwingung  des 
Stieres  nach  Marathon  kam,  gastlich  in  ihre  Hütte  aufnahm.*)  Striche  des 
liebreizenden  Gedichtes  hat  Ovid  in  seine  hübsche  Erzählung  von  Phi- 
lemon  und  Baucis  (Met.  8,  610  ff.)  übertragen.  Neuerdings  sind  mehrere 
Verse  dieses  berühmten  Gedichtes  auf  einer  Holztafel  der  Papyrus-Sammlung 
Erzherzogs  Rainer  gefunden  und  anlässlich  der  Philologenversammlung 
in  Wien  1893  von  Gomperz  herausgegeben  worden.^) 


Schneider  annahm,  die  Erzählungen  von  den 
Wetikftmpfen  und  ihrer  Erfindung  einen  Teil 
der  Airifie. 

^)  Daher  nennt  sie  Properz  III  33,  30 : 
inflati  somnia  CaUimachi. 

^)  Nach  Schneiders  zweifelhafter  Ver- 
mutung handelte  das  1.  Buch  der  Aitia  von 
den  Wettkftmpfen,  das  2.  von  den  Städte- 
grOndungen  im  Anschluss  an  die  Argonauten- 
sage,  das  3.  von  den  Erfindungen,  das  4. 
von  den  Opfern.  Dagegen  Einwendungen 
von  RoHDE,  Gr.  Rom.  86.  Ueher  einzelne 
Elegien  der  Aitia:  Diltbey,  De  Callimachi 
Cydippa,  Lips.  1863;  Enaack,  Analecta  Ale- 
xandnna,  Greifsw.  1880,  und  Gallimachea, 
Stettin    Progr.    1887;    CaUimachi    Aetiorum 


lih.  I  rekonstruiert  von  Euo.  Dietrich  Jahrh. 
f.  Phil.  Suppl.  23  (1896)  167—219. 

')  Ueber  die  Kommentare  des  Theon 
und  Epaphroditos  s.  Schnbidbr,  Callim.  II 37. 

*)  Das  Gedicht  ist  als  togevroy  inog  ge- 
priesen in  dem  Epigramm  Anth.  IX  545. 

^)  GoMPRRz,  Aus  der  Hekale  des  Kaüi- 
machos,  Wien  1893,  Separatabdruck  aus  dem 
6.  Band  der  Mitteilungen  aus  der  Sammlung 
Papyr.  Erzherz.  Rainer.  Erläuterungen  dazu 
von  Weinberoeb,  Kallimacheische  Studien, 
Wien  1895  S.  6  ff.;  Wilamowitz,  üeber  die 
Hekale  des  Kallimachos,  Nachr.  d.  Gott.  Ges. 
1893  Nr.  19.  —  Alte  Sammlung  der  Frag- 
mente der  Hekale  von  NIke  Rh.  M.  H  509  ff. 
=  Opusc.  II. 


i()6 


Oriaohisohe  LitteratargeBohiohU.    n.  Naohklaasisohe  Litteratar. 


Durch  die  Nachahmung  des  Ovid  bekannt  ist  das  satirische  Gedicht 
Ibis  in  Distichen,  worin  der  Autor  in  dunklen  Anspielungen  seinen  Rivalen 
Apollonios  verspottete.  0  Beide  standen  sich  gegenseitig  an  dem  Hofe  des 
Ptolemaios  im  Wege  und  gaben  durch  geringschätzige  Herabsetzung  der 
Werke  des  andern  der  Zunft  der  Gelehrten  das  böse  Beispiel  giftiger  Be- 
fehdung. Kallimachos  sprach  unverhohlen  sein  Missfallen  über  den  breiten 
Strom  der  Argonautika  des  Apollonios  aus.')  Darauf  antwortete  Apollonios 
mit  dem  bissigen,  als  Buchaufschrift  gedachten  Epigramm  (Anth.  XI  275) : 
KaXh(id%ov  t6  xa&aQfia,  %d  na/yviov,  6  ^vXivog  vovg' 
cuTiog  6  yqdipaq  Alxia  KaX)JpLa%oq, 
Die  Replik  dagegen  gab  Kallimachos  mit  der  Ibis,  in  welcher  er  den  Ri- 
valen mit  dem  unreinen,  in  seinem  eigenen  Unrat  wühlenden  Tier  auf  eine 
Stufe  stellte. 

Ausserdem  dichtete  unser  Autor  lamben  und  Lieder  {tdfißovg  xai  fis'Xrj), 
Die  letzteren  waren  durch  die  Eleganz  und  Mannigfaltigkeit  ihrer  Form 
berühmt;  zu  ihnen  gehörten  wohl  auch  die  Galliamben,  die  der  begeisterte 
Verehrer  des  Kallimachos,  CatuU  n.  63  ins  Lateinische  übertrug.  >)  Suidas 
zählt  auch  noch  Satyrdramen,  Tragödien  und  Komödien  unter  den  Werken 
des  Kallimachos  auf;  aber  das  ist  wahrscheinlich  ein  Irrtum;  wenigstens 
weiss  von  ihnen  das  ganze  übrige  Altertum  nichts. 

362.  Vollständig  erhalten  sind  uns  von  Kallimachos  6  Hymnen 
und  63  Epigramme.  Die  Letzteren,  welche  durch  die  Anthologie 
auf  uns  gekommen  sind,  enthalten  teils  Aufschriften  für  wirkliche  oder 
fingierte  Grabdenkmale*)  und  Weihgeschenke,  teils  Titel  und  Inhalts- 
anzeigen  von  Büchern,  teils  kurze  Ergüsse  der  Liebe,  Trauer,  Eifer- 
sucht; sie  atmen  nicht  die  sentimentale  Weichheit  der  Epigramme  des 
Asklepiades  und  Poseidonios,  zeichnen  sich  aber  vor  ihnen  durch  Witz  und 
geistreiches  Wortspiel  aus.  —  Die  Erhaltung  der  Hymnen  verdanken  wir 
einem  Grammatiker  des  beginnenden  Mittelalters,  welcher  die  homerischen 
und  orphischen  Hymnen  mit  denen  unseres  Dichters  zu  einem  Sammel- 
bande vereinigte.  Von  denselben  sind  fünf  in  der  typischen  Form  des 
Hexameters  gedichtet,  einer,  der  fünfte,  in  Distichen,  was  mit  dessen  In- 
halt zusammenhängt.  Denn  dieser  5.  Hymnus  auf  das  Bad  der  Pallas  und 
die  Blendung  des  Teiresias,  der  mit  sterblichem  Auge  die  Göttin  im  Bade 
geschaut  hatte,  könnte,  von  der  Einleitung  abgesehen,  ebensogut  unter 
den  erotischen  Elegien  oder  unter  den  Aitia  stehen.  Von  den  übrigen 
gilt  der  1.  der  Geburt  des  Zeus,  der  2.  dem  apollinischen  Feste  der  Kar- 


M  Ovid.  Ibis  55:  nunc  quo  Battiades 
inimicum  devovet  Ibin,  hoc  ego  devoveo  teque 
tuosque  modo. 

')  Galliin.  epigr.  28:  iz^aigto  td  nolrjfia 
To  xvxhxoy  etc.;  hymn.  in  Apoll.  II  106: 
ovx  aya/iai  xoy  aoi&ov  oq  ovd'  daa  novxoq 
äsidei.  Darauf  geantwortet  von  Apollonios 
Argon.  IIT  932.  üeber  den  Geschmacksstreit 
beider  Gebcke,  Alezandrinische  Stadien,  Rh. 
M.  44,  127  ff. 

»)  WiLAMOWiTz  Herrn.  14, 194  ff.  üeber 
Fabeln  des  Kallimachos  in  Choliamben  siehe 


Bbhgk  Kl.  Sehr.  U  552  f.  u.  560  f.  Horaz  Od. 
I  3,  8  gibt  zwei  asklepiadeische  Verse  des 
Kallim.ir.  114  wieder. 

^)  Darunter  auch  die  Aufschrift  f&r  seiii 
eigenes  Grab  ^ 

Batxiddeai  na^d  a^fitt  <pig€i^  noda^    tv  f^itt 

aoidfjy 

eiöoiogf  ev  d'  ott^to  xaiQia  avyyclaiftu. 
Das  Epigramm  43  wurde  nnlSngst  in  einem 
Hans    des    Esquilin    aofgefnnden,    worUber 
Eaibbl  Herrn.  10,  1  ff. 


A.  Alexandrinisches  Zeitalter.    2.  Die  Poeeie.    (§  352.) 


507 


neen  in  Kyrene,  der  3.  dem  Preis  der  Artemis,  der  4.  der  Verherrlichung 
TOD  Delos,  der  Qeburtsstätte  der  Letoiden,  der  6.  der  Demeter  und  dem  von 
Ptolemaios  Philadelphos  gestifteten  Korbfest,  i)  Durch  die  politischen  und 
litterarischen  Anspielungen,  welche  die  Hymnen  nach  dem  Geschmack  der 
Zeit  enthalten,  ist  es  auch  möglich,  ihre  Abfassungszeit  und  ihr  Verhältnis 
zu  einander  zu  bestimmen.^)  Der  älteste  derselben  ist  der  auch  an  erster 
Stelle  stehende  Hymnus  auf  Zeus,  gedichtet  um  280 :  er  hat  die  allseitige 
Anerkennung  des  Zeus  auf  Erden,  des  Königs  Ptolemaios  Philadelphos 
nnd  die  Anerkennung  seiner  Herrschaft  von  Seiten  seiner  Brüder  zur 
Voraussetzung.^)  Der  an  zweiter  Stelle  stehende  Hymnus  auf  Apoll,  der 
die  Erzählung  der  Liebe  des  Gottes  zur  schönen  Kyrene  mit  besonderem 
Wohlgefallen  ausfuhrt,  ist  der  jüngste  der  Hymnen  und  steht  mit  der 
Wiedervereinigung  von  Kyrene  und  Ägypten  durch  die  Heirat  der  Bere- 
nike,  der  Thronerbin  von  Kyrene,  und  des  ägyptischen  Königssohnes  Pto- 
lemaios Euergetes  in  Verbindung;  er  ist  also  erst  nach  deren  Verlobung 
(260),  vielleicht  erst  nach  der  Thronbesteigung  des  Ptolemaios  Euer- 
getes (246)  gedichtet.*)  Von  den  übrigen  Hymnen  nehmen  der  dritte 
nnd  vierte  auf  den  Einfall  der  Gallier  in  Griechenland  (IV  173  flf.)  und 
Asien  (IH  253)  Bezug;  dieselben  sind  also  erst  nach  278  gedichtet,  und 
zwar  einige  Jahre  nach  278,  da  IV  185  schon  die  Vernichtung  der  von 
Ptolemaios  anfangs  in  Sold  genommenen,  dann  gegen  ihren  neuen  Herrn 
revoltierenden  Scharen  des  Brennus  vorausgesetzt  wird.  Auf  der  anderen 
Seite  muss  der  vierte  Hymnus  vor  der  Niederlage  der  ägyptischen  Flotte 
bei  Eos  (266)  gedichtes  sein,  da  in  ihm  geradeso  wie  in  dem  Lobgedicht 
des  Theokrit  auf  Ptolemaios  die  Ägypter  noch  die  volle  Herrschaft  über 
die  Inseln  und  Küsten  des  ägeischen  Meeres  behaupten.*)  —  Im  Dialekt 
fichliessen  sich  die  4  ersten  Hymnen  den  homerischen  Hymnen  an;  in  den 
beiden  letzten  gebrauchte  Kallimachos,  wie  später  sein  Landsmann  Syne- 
8108,  den  dorischen  Dialekt  seiner  Heimat  Kyrene;  durchweg  aber  trägt 
er  eine  dunkle,  glossenreiche  Sprache  und  übel  angebrachte  Gelehrsamkeit 
Zur  Schau.   Dazu  stimmt  der  schwerfällige  Versbau,  indem  die  zahlreichen 


')  Dieses  besagt  ein  altes  Scholion  ziun 
1.  Vers.  CouAT,  La  po4sie  Alex.  223  ff.  denkt 
liingegen,  gestfttzt  auf  den  dorischen  Dialekt 
^  Hjmnns,  an  eine  Theorie  zum  karischen 
Triopion.  —  Die  Bestrafung  des  Erisichthon 
dnreh  nnersättlichen  Hnnger  ist  nachgeahmt 
▼OD  Orid  Metam.  VII  738  ff. 

*)  CouAT,  La  po^sie  Alex.  p.  200;  Gerckb 
RL  M.  42  (1887)  624  ff.;  Sdsbmihl,  AI.  Lit.  1 
359  ff.;  Ebblich,  De  Gallimachi  hymnis  quae- 
fltiones  chronologicae,  Breslau  1894,  in  Bresl. 
Phflol.  Abh.  VII  3;  Weikbbrgbb,  EaUima- 
cheische  Stadien,  Wien  1895  S.  13  ff.  Ueber 
£e  Zeit  Strack,  Die  FtolemAer  S.  193 
Amn.  12. 

*)  Die  Bengong  der  Br&der  angedeutet 
ia  V.  58  f.,  womit  Jnstinus  XVII  2,  9  zu- 
nnunenzuhalten.  Der  Hymnus  weiss  auch 
■och  nichts  von  der  Ehe  des  EOnigs  mit 
seiner  Schwester. 


*)  Die  letztere  Meinung  vertritt  Stud- 
NiZKA  Herrn.  28,  14.  Nähere  Beziehung  des 
Hymnus  auf  die  Eameen  in  Eyrene  und 
die  Vereinigung  der  Herrscherhäuser  von 
Eyrene  und  Aegypten  weist  zurück  Vahlek, 
Ueber  einige  Anspielungen  in  den  Hymnen 
des  CaUimachus,  Stzb.  d.  pr.  Ak.  1896  S.  797  ff. 
Damit  nimmt  man  meines  Erachtens  dem 
Gedicht  die  feineren  Pointen,  welche  bereits 
die  alten  Scholiasten  fanden. 

*)  Die  Verwandtschaft  der  beiden  Ge- 
dichte zeigt  sich  besonders  bei  der  Ver- 
gleichung  von  Call.  hymn.  IV  166—70  und 
Theoer.  XVII  85-94;  schwer  aber  ist  zu 
entscheiden,  ob  Theokrit  fttr  Eallimachos 
oder  umgekehrt  Eallimachos  für  Theokrit  das 
Vorbild  abgab,  oder  ob  mit  anderen  Worten 
die  Geburtswehen  der  GOttin  Leto  in  Dolos 
nach  denen  der  Eönigin-Mntter  in  Eos  oder 
umgekehrt  geschildert  sind. 


508  Grieohisohe  Littdratiirgesohiohte.    11.  ITaohklMsiiohe  Lütaratiir. 

Ausgänge  auf  2  Spondeen  stark  von  den  zierlichen  und  schlanken  Versen 
der  Epigramme  abstechen.  In  der  Anordnung  der  Gedanken  hat  man 
neuerdings  die  Siebengliederung  des  terpandrischen  Nomos  wiederfinden 
wollen ;  am  ehesten  ist  dieselbe  in  dem  2.  Hymnus,  dem  auf  Apoll,  durch- 
führbar, i)  Die  ganze  Hymnenpoesie  des  Eallimaehos  aber  isif  aus  dem 
Bestreben  der  Ptolemäer,  die  alten  Götterfeste  wieder  zu  Ehren  zu  bringen 
und  mit  erhöhtem  Glänze  zu  feiern,  hervorgegangen;  sie  lässt  sich  in 
dieser  Beziehung  mit  dem  Carmen  saeculare  des  Horaz  vergleichen,  das 
ja  auch  durch  eine  ähnliche  Strömung  der  Politik  unter  Kaiser  Augustus 
veranlasst  ward.  Auch  darin  war  die  Poesie  des  Eallimaehos  Vorbild  für 
die  römischen  Dichter  des  augusteischen  Zeitalters,  dass  er  mit  dem  Preise 
der  Gottheit  manchmal  direkt,  öfters  versteckt  die  Verherrlichung  seiner 
königlichen  Gönner  zu  verbinden  liebte. 

Scholien:  im  Altertum  kommentierten  Theon  und  Epaphroditos  die  Altia,  Archi- 
bios  Apolloniu  die  Epigramme,  Sallustius  die  Hekale  nnd  anderes;  Nikanor  adbiieli 
Tie^i  CTi.y/Ltfjg  rrjq  naga  KaXXifÄäx(p.  Marianos  unter  dem  Kaiser  Anastasios  Terfaaste 
eine  Metaphrase  der  Hekale,  Aitia,  Hymnen  and  Epigramme  in  lamben  (Snidas).  Erhalten 
sind  uns  dfirftige  Scholien  zu  den  Hymnen,  worttber  Rbiicbckb,  De  schoL  Gallim.  (Dias.  HaL 
IX),  1887. 

Codices:  Die  Hymnen  haben  dieselbe  handschriftliche  Grundlage  wie  die  homerischen, 
worüber  oben  §  48;  der  von  Aurispa  1423  aufgefundene,  inzwischen  verloren  gegangene 
Archetypus  hatte  schon  viele  LQcken  und  schwere  Korruptelen.  —  Gesamtausgabe  von 
J.  A.  Ernbsti,  LB.  1761,  2  vol.  auf  Grundlage  der  berOhmten  Fragmentensammlung  von 
Bbntlbt;  von  O.  Schnbiobk,  GaUimachea,  Lips.  1870  -3,  2  vol.  —  Kritische  Ausgabe  der 
Hynmen  von  Mbinbkb,  Berl.  1861;  von  Wilamowftz,  Berl.  1882;  Nigra,  Inni  di  Caümaco 
SU  Diana  et  sni  Lavacri  di  Pallade,   Turin  1892,  mit  neuen  handschriftlichen  Hilfemittebi. 

Schfiler  des  Kallimachos  im  grammatisch-historischen  Fach  waren  Herrn ippos  der 
Kaliimacheer,  von  dem  unter  §  432  gehandelt  ist,  und  Philostephanos  aus  Kyrene, 
aus  dessen  zahlreichen  Schriften  negl  noXsioy,  neQi  rtoy  iy  */49l<f  y^omr  etc.  die  Fragmente 
gesammelt  sind  von  MOllbr  FHG  HI  28—34, 

353.  Alexander,  Sohn  des  Satyros,')  Aetolus')  zubenannt  nach 
seiner  Heimat  Pleuren  in  Aetolien,^)  blühte  um  280  gleichzeitig  mit 
Kallimachos  und  Theokrit,  und  teilte  mit  jenen  die  Vielseitigkeit  der 
Studien.  In  der  alexandrinischen  Bibliothek  besorgte  er  die  Ordnung 
der  Tragödien  und  Satyrdramen;  als  selbständiger  Dichter  von  Tragödien 
hatte  er  die  Ehre,  dem  alexandrinischen  Siebengestirn  zugezählt  zu 
werden.  Eines  seiner  Dramen  hatte  den  Titel  'A<TTQaYaXi<Tvai\  der  an 
die  häufige  Darstellung  würfelspielender  Heroen  auf  Vasenbildem  er- 
innert; es  behandelte  die  Jugendgeschichte  des  Patroklos.  Auf  uns  ge- 
kommen sind  Abrisse  der  Elegien  'Anollwi^^)  und  Movaat,  In  der  ersten 
erzählt  er  in  gesuchter  Sprache  die  Geschichte  von  der  verbrecherischen 
Liebe  der  Gattin  des  Neliden  Phobios,  welche  den  keuschen  Antheus  in 
einen  Brunnenschacht  hinabstürzt.^)    Wie  die  anderen   alexandrinischen 

M  Kasbbibr,  Programm  von  Brandenburg  AI.  215  ff.;  Fragmentensammlnng  von  Capkll- 

a,/H.    187.S;     Lübbert.    De   Pindari    stndiis  makit,  Bonn  1830. 

Terpandreis,  Bonn  1887;    Crusius,  Wochen-  ^)  Der  Zuname  ist  gegeben  zur  Unter- 
schrift f.  Phil.  1885  N.  41,  Vhdl.  d.  39.  Vers.  Scheidung  von  Alezander  Ephesins 
d.  Phil.  S.  262  ff.;   Stbinwbg,  Kallimachos  u.  *)   Die   Abrisse    sind    uns    erhalten   in 
die   Nomosfrage,   Jahrb.  f&r  kl.  Phil.  1897  Parthenins  Erot  14. 
S.  270  ff.                                                                        *)    Aus    einem    didaktischen    Gedichte 

*)  Danach  scheint  er  selbst  bei  Theo-  Aber  Planeten  und  Sterne  stehen   mehreare 

krit  VIl  72  unter  dem  fingierten  Namen  ver-  Hexameter  bei  Theon  Smyraaeus   p.  139  ff. 

standen  zu  sein.  ed.  Hill. 

'    Meinkkb,   Alexander  Aetolus,  in  An. 


A.  AlezAndrinuiohes  Zeitalter,    d.  Die  Poesie. 


t  35^^356.) 


509 


Dichter,  so  suchte  auch  er  eine  Kunst  im  Gebrauch  verschiedenster  Metra. 
Dass  er  dabei  kein  rechtes  Verständnis  vom  Wesen  der  metrischen  Form 
hatte,  beweisen  die  anapästischen  Tetrameter,  mit  denen  er  eine  im  übrigen 
treffiche  Charakteristik  des  Euripides  gab  (Gellius  N.  A.  XV  20). 

354.  Parthenios  aus  Nikäa,i)  der  jüngste  Elegiker  unserer  Periode, 
spielte  eine  nicht  unwichtige  Rolle  als  Vermittler  der  alexandrinischen  und 
römischen  Poesie.  Im  mithridatischen  Krieg  kam  er  als  Kriegsgefangener 
nach  Rom  (73  v.  Chr.);  später  treffen  wir  ihn  in  Neapel,  wo  Vergil  sich 
seines  Unterrichtes  erfreute.  Suidas  bezeichnet  ihn  als  Verfasser  von 
Elegien  und  verschiedenen  Dichtungen;  besonders  scheint  er  die  weiche  und 
wehmütige  Art  der  Trauerelegie  geliebt  zu  haben:  dem  Andenken  seiner 
Gattin  Arete  widmete  er  ein  elegisches  Gedicht  in  8  B.;^)  auch  auf  die  elegische 
Dichterin  Archelais,  seinen  Freund  Bias  und  einen  gewissen  Auxithemis 
dichtete  er  Trauerelegien  (smxT^dHa);  einem  unbekannten  Freund  gab  er 
in  einem  poetischen  Qeleitbrief  {vfivog  rtgoTTSjumixog)  fromme  Wünsche  auf 
die  Reise  mit.  Ausserdem  werden  von  ihm  erwähnt  die  Elegien  'A(pQodiTrj, 
//^ilog,  KgivayoQag,^)  und  die  Epyllien  MerafioQfpciasigy  "^HgaxXrjgf  MvTTODTog, 
Das  letzte  Gedicht  ahmten  von  den  Lateinern  Sueius  und  Ps.  Vergilius  in 
dem  IdyU  Moretum  nach;  nach  einer  seiner  Metamorphosen  ist  auch  das 
vermeintliche  Jugendepyllion  Vergils,  die  Ciris,  gedichtet.  Erzählungen  un- 
glücklicher Liebe  scheinen  eine  Spezialität  von  ihm  gewesen  zu  sein;  aus- 
drücklich rühmt  er  sich,  Erot.  11,  die  rührende  Geschichte  von  Byblis  und 
Kaunos  in  Hexametern  behandelt  zu  haben.  Auf  uns  gekommen  ist  eine 
Sammlung  ^Eqwtixu  na&ijfjiaza  in  Prosa,  worin  er  für  seinen  Freund,  den 
römischen  Elegiker  Cornelius  Gallus,  zum  praktischen  Gebrauch  eine  Reihe 
TOD  FäUen  unglücklicher  Liebe  aus  verschiedenen  Dichtern  und  Historikern 
zusammenstellte. 

Ausgabe  des  Parthenios  in  MyÜhographi  graeci  vol.  II  ed.  Sakolowsei  in  Bibl.  Teubn. 
Eratosthenes',  des  grossen  Greographeu  gemütvoUe  Elegie  'HQiyoytj  wird  unten  zur 
Sprache  kommen;  ebenso  die  Elegien  des  Epikers  Euphorion. 

355.  Hymnen  dichter.  Ausser  von  Kallimachos  sind  uns  noch 
von  anderen  Hymnendichtem  der  alexandrinischen  Periode  Reste  erhalten. 
Zur  Dichtung  von  Hymnen  gaben  zunächst  die  Götterfeste  Anlass,  die  in 
unserer  Periode  an  den  alten  und  neuen  Sitzen  des  Hellenentums  mit 
gleichem  Glanz  wie  in  der  klassischen  Zeit  gefeiert  wurden.  An  die  Feier 
der  Götter  schlössen  sich  aber  dann  noch  die  Feste  zur  Verherrlichung 
der  Könige  an,  denen  in  jener  Zeit  schmeichlerischer  Selbsterniedrigung 
Reiche  Ehren  wie  den  Göttern  erwiesen  wurden. 

Kastorion  aus  Soloi,  dessen  Blüte  noch  in  das  Ende  des  4.  Jahr- 
hunderts fiel,  hatte   einen   Namen  als  Dichter  von  Hymnen.     Athenaios 


^)  Nach  andern  bei  Snidas  von  Myrlea ; 
T^  MxiNBKB,  An.  AI.  255  ff.;  Eiessling  in 
Comment  Mommsenianae  p.  351  ff.  In  der 
metrischen  Inschrift  eines  Denkmals,  das 
ifam  Kaiser  Hadrian  setzte  (Eaibel  epigr.  gr. 
1089),  heisst  er  aato^  'AnafAelag. 

^)  IMese  Elegien  auf  seine  Gattin  Arete 


müssen  besonders  berühmt  gewesen  sein, 
da  ihrer  der  Kaiser  Hadrian  auf  der  er- 
wähnten Inschrift  gedenkt. 

*)  Wahrscheinlich,  wie  Meineke  ver- 
mutet, der  berühmte  Epigrammatiker  Krina- 
goras,  dem  der  gemütreiche  Parthenios  in 
Freundschaft  verbunden  war. 


10  OrieohisoHe  Lüteratargesohichte.    H.  IfaohklMsisohe  Litieratar. 


p.   455   hat  uns  von  ihm  Bruchstücke  eines  Hymnus  auf  Pan   erhalten, 
dessen  Trimeter  so  gebaut  waren,  dass  mit  jeder  Dipodie  ein  Wort  schloss: 
ci  tov  ßoXatq  viifoxrvnoiq  dvaxcifieQOv 
va{ov&'  Siqav^  x^tjQOifove  Jlav,  %&6v   'ÄQxditov^ 
xkrj(f(o  yQaipfj  Tiji^  iv  coifif^  ndyxXBix*  Mnrj  xrA. 
Ausserdem  stehen  von  ihm  bei  Athen.  542  e  ein  paar  Verse  aus  einem 
Preisgedicht  auf  Demetrius  Poliorketes  in  jonischem  Versmass,   das   bei 
dem  Aufenthalt  jenes  Königs  in   Athen   (306    v.   Chr.)  im  Festzug    der 
Dionysien  gesungen  wurde. 

Hermokles  aus  Eyzikus  gehörte  der  gleichen  Zeit  an;  als  Dichter 
von  Päanen  auf  Antigonus  und  Demetrius  erhielt  er  in  Athen  den  Preis 
(Ath.  697*).  Das  ithyphallische  Prozessionslied,  mit  dem  die  Athener  den 
von  Eorkyra  zurückkehrenden  Demetrius  (302)  empfingen,  hat  uns  Athen, 
p.  253  erhalten ;  der  Dichter  streut  darin  dem  Befreier  Athens  mit  voUen 
Händen  Weihrauch,  indem  er  ihn  der  Sonne,  seine  Begleiter  den  Sternen 
verglich.*)  Im  gleichen  Metrum  sind  auch  die  'lO^vtfaXXoi  des  wohl  der 
gleichen  Zeit  angehörenden  Dichters  Theokies  bei  Athen.  497^  verfasst. 

Isyllos  war  ein  dorischer  Lokaldichter,  von  dem  wir  erst  in  neuester 
Zeit  durch  die  Ausgrabungen  des  Asklepiosheiligtums  in  Epidauros  Kenntnis 
erhalten  haben.  In  Stein  eingegraben  fanden  sich  dort  von  Isyllos  ein 
hexametrisches  Gedicht,  worin  er  von  seiner  Qrossthat,  der  Anregung 
eines  Bittganges  zu  Ehren  des  Apollon  und  Asklepios,  in  holperigen  Versen 
und  ungelenker  Rede  Kunde  gibt,  ein  Päan  auf  die  Heilgötter  Apollon 
und  Asklepios  in  78  frei  gebauten  lonikern,  worin  er  in  wesentlicher 
Übereinstimmung  mit  Hesiod  fr.  125  und  Pindar  P.  IH  die  Geburt  des 
Asklepios  von  der  thessalischen  Königstochter  Aigla  oder  Koronis  erzählt, 
endlich  ein  Dankgedicht  in  23  Hexametern  auf  die  Rettung  Spartas  und 
des  jungen  Dichters  selbst  durch  den  Heilgott  und  Schirmer  Asklepios. 
Nach  dem  letzten  Gedicht  war  Isyllos  noch  ein  Knabe,  als  Philipp  nach 
dem  Sieg  bei  Chäronea  sich  gegen  Sparta  wandte;  seine  Blüte  setzt  da- 
nach Wilamowitz,  der  dem  Dichter  im  9.  Hefte  der  Phil.  Unt.  eine  ge- 
lehrte Besprechung  widmet,  um  die  Zeit  von  280. 

Durch  die  Ausgrabungen  des  Schatzhauses  der  Athener  in  Delphi  durch 
die  Franzosen  sind  uns  neuerdings  zwei  in  Stein  gehauene  Päane  auf  Apollo 
bekannt  geworden,  der  zweite  fast  vollständig.  Dieselben  preisen  in 
stereotyper  Weise  die  Thaten  des  Gottes,  der  eine  insbesondere  den  Kampf 
des  Apoll  mit  dem  Drachen  Python  und  die  Hilfe  des  Gottes  gegen  den 
Einbruch  der  Gallier,  der  andere  überdies  die  Geburt  des  Gottes  und  seine 
Ankunft  im  Lande  der  Demeter;  zum  Schluss  rufen  beide  die  Gnade  des 
Gottes  auf  Athen  und  das  Volk  der  Pallas  herab.  Wie  der  Inhalt  sieh 
im  Geleise  der  alten  delphischen  Preisgesänge  hielt,  so  auch  die  metrische 
Form.  Das  in  fortlaufendem  Rhythmus  (numeris  continuis)  wiederkehrende 
Hauptmetrum  ist  der  Päan  -  v^  -  mit  häufiger  Auflösung  der  Länge  in 
2  Kürzen;  je  5  Füsse,   manchmal  auch   2,   3,  4,   6  sind   zu   einem  auch 

*)  Danach  Horaz  sat.  1 7,  24:  »olem  Asiae  Brutum  appellat,  stellasque  salubres  appeUat 
camites. 


A.  Alexandrinisohes  Zeitalter,    d.  Die  Poeeie.    (§  S56.) 


511 


äusserlich  gekennzeichneten  Vers  vereinigt;  gegen  Ende  gehen  durch 
Taktwechsel  {fxeraßokf  ^vi^fxov)  die  Kretiker  in  frei  behandelte  Glykoneen 
über.  Einen  besonderen  Wert  erhält  der  neue  Fund  noch  dadurch,  dass 
über  dem  Texte  auch  die  Noten  der  Melodie  stehen.  Als  Dichter  des 
ersten  Päan  wird  Aristonoos  genannt;^)  der  des  zweiten  scheint  dem 
athenischen  Verein  der  Dionysoskünstler  {texvhai  ot  nsgl  Jidvvaov),  die  den 
Päan  tanzten  und  sangen,  angehört  zu  haben.  Offenbar  waren  beide  gleich- 
zeitig und  lebten  um  100  v.  Chr.  zur  Zeit  als  bereits  Griechenland  Rom 
unterthänig  war.  Denn  im  Schlussvers  des  zweiten  Päan  ruft  der  Chor  die 
Letoiden  Apoll  und  Artemis  an,  dass  sie  mehren  die  blühende  Herrschaft 
der  Römer  (ßgxfiv  av^sT"  ay7iQdx(i}  &dXkovaav  <rvv  inaiv((i). 

Erste  Ausgabe  mit  yoUständigem  Kommentar  von  L.  Weil  und  Th.  Reinach  in  Bul- 
letin de  corresp.  hellenique  XYIl  (1894)  u.  XYIII.  Die  ersten  Bruchstücke  neubearbeitet 
und  mit  anderen  musikalischen  Texten  zusammengestellt  von  Cbcsius,  Die  delphischen 
Hymnen,  Philol.  53  (1894)  Suppl.  Neueste  Ausgabe  von  G.  Jan,  Musici  scriptores  graeci, 
p.  432  ff. 

Aehnlicher  Art  sind  die  Päane,  welche  unlftngst  am  Abhang  der  Akropolis  in  Athen 
und  in  der  ägyptischen  Stadt  Ptolemais  gefunden  wurden.  Siehe  CIA  III  1  n.  171*^  u.  171^ 
und  unten  §  451.  Bloss  den  Namen  des  priestierlichen  Dichters,  Gorgos,  ohne  seine  Oden 
hat  uns  ein  Epigramm  aus  dem  Heiligtum  des  klarischen  Apoll  aufbewahrt,  Bull,  de  corr. 
heU.  X  514. 

Eleanthes  der  Stoiker  ist  Verfasser  eines  mehr  philosophischen  als  religiösen  Hym- 
nus auf  Zeus  den  Allvater,  dessen  Erhaltung  wir  dem  Stobaios  ecl.  I  2,  12  verdanken. 

366.  Das  Epigramm.  Die  gelehrte  und  geistreiche  Richtung  der 
Zeit  kam  hauptsächlich  der  Pflege  des  Epigramms  zu  gute  und  gab  dem- 
selben eine  weit  über  seine  ursprüngliche  Stellung  hinausgehende  Bedeutung. 
Das  Epigramm  sollte  ursprünglich ,  wie  der  Name  besagt,  als  Aufschrift 
für  ein  Grabdenkmal,*)  dann  auch  einen  Tempel  oder  ein  sonstiges  Weih- 
geschenk dienen,  und  diesem  Zwecke  entsprechen  auch  die  meisten  Epi- 
granmie  der  klassischen  Zeit,  namentlich  die  des  Hauptepigrammatikers 
Simonides.  In  der  alexandrinischen  Periode  aber  wurde  das  Epigramm  zur 
beliebten  Form  für  den  kurzen  Ausdruck  eines  Urteils  über  Dichter,  Kunst- 
werke, Künstler,  zum  Begleitschreiben  für  Geschenke  und  Liebesgaben, 
zum  witzigen  und  satyrischen  Spiel  der  Gebildeten  und  Gelehrten,  so  dass 
auch  diejenigen,  welche  sonst  auf  den  Ruhm  eines  Dichters  keinen  An- 
spruch erhoben,  ein  Epigramm  zu  dichten  sich  erlaubten.  Diese  kleinen, 
meist  nur  1  bis  3  Distichen  füllenden  Gedichte^)  vergleichen  sich  den 
Gemmen  oder  geschnittenen  Steinen,^)  welche  gleichfalls  in  der  klassischen 
Zeit  gegenüber  den  öffentlichen  Bauten  und  Denkmalen  zurückgetreten 
waren,  nunmehr  aber  bei  dem  starken  Hervortreten  des  privaten  Lebens 
und  Luxus  ein  besonders  gangbares  Erzeugnis  der  Kunst  und  des  Kunst- 
gewerbes wurden.  Der  Zusammenhang  der  alexandrinischen  Kunst  und 
der  Blüte  des  Epigramms  drückte  sich  auch  äusserlich  darin  aus,  dass  auf 


^}  Auf  einem  anderen  Stein  des  delphi- 
schen Schatzhanses  der  Athener  wurde  ein 
Ehrendekret  zu  Gunsten  des  athenischen 
Dichters  Kleochares  gefunden,  der  fOr 
KnahenchOre  in  Delphi  ein  Prosodion,  einen 
Päan  und  einen  Hymnus  gedichtet  hatte;  s. 
Weil  u.  Rbikach  in  Bull,  de  corr.  hell.  XVII 
p.  569. 


2)  Vgl.  §  98;  Lbssing,  Zersta-eute  An- 
merkungen über  das  Epigramm,  Bd.  XI  der 
Ausg.  von  Lachmann-Muncker. 

*;  Eyprianos,  Anth.  IX  369  nennt  das 
schönste  Epigramm  das  aus  zwei  Distichen 
bestehende. 

*)  Vgl.  Anth.  IX  752. 


512 


Oriechiaohe  Litteratnrgeaoliiohta.    ü.  Haohklftssisohe  Litteratnr. 


die  Idealstatuen,  die  man  damals  den  litterarischen  Grössen  der  Vergangen- 
heit zu  setzen  liebte,  ganz  gewöhnlich  poetische  Aufschriften  oder  Epi- 
gramme gesetzt  wurden.^)  Die  Feinheit  des  Urteils  und  der  geistreiche 
Witz  erforderten  auch  eine  besondere  Feile  der  Form  und  des  Verses; 
durchweg  sind  die  Hexameter  des  Epigramms  mit  mehr  Grazie  als  die 
des  zeitgenössischen  Epos  gebaut.  Über  dem  Geschick  des  Epigramms 
waltete  ein  günstigerer  Stern  als  über  den  übrigen  Gattungen  der  alexan- 
drinischen  Poesie.  Eben  weil  sie  so  klein  waren  und  dadurch  leicht  in 
ihrer  Vereinzelung  verloren  gehen  konnten,  hat  man  frühe  angefangen, 
sie  in  Blumenlesen  zusammenzufassen.  Um  80  v.  Chr.  vereinigte  so  die 
besten  derselben  der  Eyniker  und  Epigrammatiker  Meleager  aus  Gadara') 
zu  einem  alphabetisch  geordneten  Kranz  {cTt^avog)^  welcher  ebenso  wie 
der  im  Beginne  der  römischen  Kaiserzeit  zusammengestellte  Kranz  des 
Philippos  Aufnahme  in  die  uns  erhaltene  Anthologie  des  Konstantinos 
Kephalas  fand. 

357.  Wir  zählen  die  hauptsächlichsten  Epigrammatiker  unserer 
Epoche  auf:  5) 

Anyte  aus  Tegea  blühte  um  300;^)  ihre  Landsleute  ehrten  sie  durch 
Errichtung  einer  Statue,  welche  die  Künstler  Euthykrates  und  Kephisodotos 
anfertigten.^)  Sie  heisst  bei  Stephanos  Byz.  fisXoTioioq  und  wird  von  Anti- 
pater  Anth.  IX  26  als  weiblicher  Homer  gepriesen;  aber  wir  haben  von 
ihr  weder  Epen  noch  Lieder,  sondern  nur  22  Epigramme,  meistens  Auf- 
schriften für  Weihgeschenke,  Quellen  und  heilige  Orte,  aUe  von  einer  Fein- 
heit des  Gedankens  und  der  Form,  dass  wir  das  hohe  Ansehen  der  Dichterin 
bei  der  Mit-  und  Nachwelt  begreifen. 

Andere  Dichterinnen  von  Epigrammen  aus  jener  älteren  Zeit  waren 
Myro  (oder  Moiro)  aus  Byzanz,  Mutter  des  Tragikers  Homeros,«)  Nossis 
aus  dem  italischen  Lokris,  die  sich  der  Sappho  zur  Seite  zu  stellen 
erkühnte, 7)  Hedyle  aus  Attika,  deren  Mutter,  Moschine,  gleichfalls  Dich- 
terin war. 


1)  Von  eioem  Epigramm  auf  der  Sappho- 
statue  des  Silanion  spricht  Cicero,  Verr.  IV 
57,  126;  vgl.  Theoer.  epigr.  16  u.  17,  CIG 
3555;  Bbnndobf,  De  anthologiae  graecae 
epigrammatis  quae  ad  artem  spectant,  Lipe. 
1862. 

*)  lieber  die  Zeit  des  Meleager  bemerkt 
ein  Scholion  der  Anthologie:  rjxfiaCev  ini 
leXevxov  tov  ia/dtov,  worüber  Jacobs  Anth. 
t  VI  p.  XXXVl  sqq. 

*)  Catalogns  poetaram  epigrammatico- 
mm  Yon  Jacobs  in  Anth.  gr.  tom.  XlII;  Hanbl, 
De  epigrammatis  graeci  histona,  Bresl.  1852; 
Enaack  in  Susemihl  AI.  Lit.  H  517  ff.;  Rei- 
TZBNSTBiN,  Epigramm  und  Skolion,  ein  Bei- 
trag zur  Geschichte  der  alex.  Dichtung, 
Giessen  189S;  Wbisshäcpl,  Die  Grabgedichte 
der  griech.  AnthoL,  Abh.  des  arch.epigr.  Sem. 
Wien  1889. 

*)  Auf  Ol.  120  führt  die  Lebenszeit  der 
beiden  Künstler,   welche  nach   Tatian  adv. 


Graecos  52  ihr  Standbild  fertigten;  siche- 
reren Anhaltspunkt  böte  das  Epigramm  Anth. 
VII  492  auf  die  drei  Jungfrauen  von  Milet, 
welche  beim  Einfall  der  Gallier  den  freige- 
wählten Tod  starben,  wenn  nicht  die  Anvie 
dieses  Epigrammes  als  Mytilen&erin  be- 
zeichnet wfire.  Von  ihrer  Stellung  als  Be- 
gründerin einer  peloponnesischen  Dichter- 
schule und  ihrer  Emwirknng  auf  den  kölschen 
Dichterkreis  Rbitzbnstein,  Epigr.  123  ff. 

B)  Tatian  or.  ad  Graec.  38;  die  Nach- 
richt als  Schwindel  ausgegeben  von  Kalk- 
mann Rh.  M.  42,  490. 

')  Von  Moiro  steht  auch  ein  episches 
Fragment  von  der  Geburt  des  Zeus  bei  Ath. 
491a;  nach  Parthenios  c.  27  hatte  sie  anch 
Elegien  unter  dem  Titel  *jQai  gedichtet. 

')  Anth.  VU  718.  Ihre  Zeit  ist  bestunmt 
durch  Erwähnung  des  KomödiendichterB 
Rhinthon.    Vgl.  Reitzenstkin,  Epigr.  1^7  ff. 


A.  AlexandriniBohea  Zeitalter,    d.  Die  Poesie.    (§  357.) 


513 


Simias  (oder  Simmias)  aus  Rhodos^)  wird  von  Strabon  p.  655  Gram- 
matiker genannt,^)  machte  sich  aber  mehr  als  gewandter  Versifikator  und 
geschmackvoller  Dichter  von  Epigrammen  bekannt.  Suidas  erwähnt  von 
ihm  ausser  einem  Glossenwerk  4  Bücher  gemischter  Gedichte.  Eine  Ku- 
riosität sind  seine  durch  die  Anthologie  uns  erhaltenen  Spielereien,  welche 
die  Form  von  einem  Flügel,  Ei  oder  Beil  haben.  3)  Epischer  Natur  war 
sein  Gedicht  foQyoi,  in  dem  Erzählungen  aus  dem  epischen  Sagenkreis  vor- 
kamen.*) Sein  von  Stephanos  Byz.  unter  'AfivxXai  citiertes  Gedicht  Mrjvsg 
war  vielleicht  das  Vorbild  für  Ovids  Fasten-  Über  seine  Zeit  gibt  das 
Zeugnis  des  Hephästion  c.  9,  das  ihn  als  Vorgänger  des  Philiskos,  eines 
Dichters  der  tragischen  Pleias,  bezeichnet,  beiläufigen  Aufschluss.  Auf  den 
Anfang  der  alexandrinischen  Periode  weist  auch  die  Mannigfaltigkeit  seiner 
Metra  hin,  da  sich  schon  von  Kallimachos  an  die  Dichter  immer  mehr  auf 
wenige  Versmasse  beschränkten. 

Asklepiades  aus  Samos,*)  von  Theokrit  7,40  als  sein  Lehrer  und 
Meister  gepriesen,  läuft  in  Zartheit  der  Empfindung  und  Schönheit  der 
Form  leicht  allen  Epigrammendichtem  den  Rang  ab.  Nur  wenige  seiner 
Epigramme  sind  als  wirkliche  Aufschriften  gedacht;  andere  gelten  dem 
Preise  der  von  ihm  verehrten  Dichter  Hesiod,  Antimachos,  Erinna;  weit- 
aus die  meisten  sind  erotischer  Natur  und  hauchen  die  ganze  Weichheit 
eines  schmachtenden,  verliebten  Dichterherzens;  sie  gehören  zu  den 
schönsten  Blüten  der  Liebespoesie  der  Alten,  zeugen  aber  auch  zugleich 
von  der  leichten  Weise,  mit  der  man  damals  die  Liebe  und  das  Leben 
überhaupt  nahm;  die  niedlichen  Schilderungen  des  kleinen  Gottes  mit 
Flügel  und  Pfeil  gemahnen  an  die  lieblichen  Eroten  von  Tanagra  und  die 
Wandgemälde  Pompeji's. 

Poseidipppos,  durch  den  Beinamen  o  €7tiyQafXfiaToyQd(pog  von  dem 
gleichnamigen  Komiker  Athens  unterschieden,  blühte  um  270,  gleich- 
zeitig mit  Asklepiades,  mit  dem  er  auch  öfters  in  der  Anspielung  auf 
die  gleichen  Hetären  zusammentrifft.  Der  erotische  Ton  seiner  Epigramme 
erhält  eine  kräftigere  Beimischung  durch  den  Preis  des  Weins  und  der 
Flasche.^)  Geistreich  ist  die  Gegenüberstellung  der  Freuden  und  Leiden 
der  verschiedenen  Lebensstellungen  (Anth.  IX  359).  Zu  den  Epigrammen 
auf  Dichter  gesellen  sich  bei  ihm  solche  auf  berühmte  Kunstwerke,  wie 
auf  den  Alexander  und  Kairos  des  Lysipp  (Anth.  IV  119.  275).  7)  Auch  ein 
episches  Gedicht  'Aamnia  und  Elegien  werden  von  ihm  erwähnt. 


^)  Daneben  kommt  ein  Epigrammatiker 
Simmiag  Thebanos  vor;  wahrscheinlich  aber 
stammt  der  Zuname  BtjßaTo^  aus  Verwech- 
Belang  unseres  Epigrammatikers  mit  dem 
Sokratiker  Simmias  aus  Theben,  üeber 
osseren  Simias  s.  Steknbach,  Meletemata 
gweca,  Wien  1886  p.  110  ff. 

*}  Zo  seiner  grammatischen  Thätigkeit 
Schart  eine  Sammlung  von  Glossen.  Ueber 
Min  Epos  ^AnoXXtoy  s.  DCntzer,  Fragm.  d. 
ep.  Poesie  II  4  f. 

';  Habkblin,  Cannina  figurata  graeca, 
Haim.1887. 

*)  Antii.  Pal.  Vll  647,  Schol.  Eur. 
Haodbaeh  der  klMa.  AltertomawlaHeiMcbAft.   VII. 


Andr.  14. 

*)  lixeXidcts  wird  er,  wohl  nach  dem 
Vater,  genannt  von  Theokrit  Yll  40  und  von 
Meleagros  Anth.  IV  1.  46.  Ueber  einen  an- 
deren Asklepiades  s.  Jacobs,  Anth.  t.  XIII 
p.  864. 

')  Zwei  neue  Epigramme  des  Posei- 
dippos  wurden  aus  einem  Papyrus  ans  Licht 
gezogen  von  Weil,  worüber  Blass  Rh.  M. 
35,  90  ff. 

^)  Die  Epigramme  überhaupt  bilden  auf 
solche  Weise  eine  wichtige  Quelle  für  Lit- 
teratur-  und  Kunstgeschichte.  Für  das  84. 
u.  35.  Buch  des  Plinius  hat  dieses  0.  Jahn,  Be- 
Aufl.  38 


514  Grieohisohe  Litteratnrgesoliiohtd.    n.  Haohklaasisohe  Litterator. 

Leonidas  von  Tarent*)  aus  der  gleichen  Zeit*)  ward,  selbst  ein 
armer,  heimatloser  Schlucker  (Anth.  VI  300,  VII  736),  der  Dichter  der 
kleinen  armen  Leute,  indem  er,  wenn  auch  nur  im  Scherz,  nicht  auf 
Bestellung»)  für  Maurer,  Weberinnen,  Jäger,  Flötenspielerinnen,  wenn 
sie  am  Lebensabend  ihr  Werkzeug  an  einen  Baum  der  Oottheit  auf- 
hingen, Epigramme  als  Weihinschriften  dichtete,  auch  in  Versen  polizei- 
liche Anordnungen  zur  Warnung  schrieb,  damit  nicht  mutwillige  Jungen 
mit  Steinen  die  Früchte  herunterschlügen,  oder  die  Mäuse  seinen  ann- 
seligen Brotkorb  zernagten.^)  Da  sich  der  Dichter  fast  durchweg^)  in  der 
Sphäre  des  niedrigen  Lebens  bewegte,  so  findet  sich  bei  ihm  eine  Unmasse 
gemeiner,  sonst  nicht  vorkommender  Wörter;  staunenswert  ist  dabei  nur, 
wie  leicht  die  neuen  Wörter  der  formgewandte  Dichter  in  den  Vers  zu 
bringen  wusste. 

Ausserdem  nahm  Meleager,  wie  er  selbst  in  dem  geschmackvollen 
Proömium  seiner  Epigrammensammlung  angibt,  noch  von  ein  paar  Dutzend 
anderen  Dichtem  Blumen  in  seinen  Kranz  auf.  Darunter  waren  ausser 
Theokrit,  Kallimachos,  Rhianos,  Euphorien  noch  folgende,  sonst  nicht  näher 
bekannte  Epigrammatiker:  Demodokos  aus  Leros,  der  vor  Aristoteles 
lebte  nach  dem  Zeugnis  des  Philosophen  in  Eth.  Nie.  VII  9,  Antagoras 
aus  Rhodos,  der  sich  längere  Zeit  an  dem  Hofe  des  Antigonos  Gk>natas 
aufhielt,^)  Hedylos,  Sohn  der  Hedyle  unter  Ptolemaios  Philadelphos, 
Phalaikos,  von  dem  der  Hendekasyllabus  den  Namen  phaläkisches  Metrum 
erhielt,^)  Dioskorides,  jüngerer  Zeitgenosse  des  Komödiendichters  Machon 
in  Alexandria, ^)  Nikias,  Arzt  und  Freund  des  Theokrit,  Mnasalkas  und 
dessen  Rivale  Theodoridas,  Zeitgenossen  des  Dichters  Euphorien,  Al- 
kaios  von  Messenien,  Epigrammatiker  und  Epikureer  aus  der  Zeit  des 
Königs  Philippos  III,^)  Diotimos  von  Adramyttion  und  Phaidimos  aus 
Bisanthe,  von  denen  auch  Epyllien  über  die  Thaten  des  Herakles  existierten,^^) 
Archimelos,   Hofdichter  des  Königs  Hieron  H  von  Syrakus,   Antipater 


richte  d.  sächs.  Ges.  d.  Wi».  1850  S.  118  bis  Gelage  waren,  nicht  am  als  Zettel  wirklicher 

125,  und  Bbnndorf,   De  anth.  gr.  epigram-  Anathemata  zu  dienen,    wendet   mit  Recht 

matis  qoae  ad  artem  spectant,    Lipe.  1862  '  gegen  meine  frOhere  Darstellung  ein  Bumor- 

nachgewiesen.    Dass  auch  bei  Cicero  de  inv.  stbih,  Epigr.  144  ff. 

11  1,  1  Aber  Zeuzis*  Helena  nnter  den  mulH  ')  Dieses  Epigramm,  Anth.  IX  79,  weist 

poetae  Epigrammatiker  zn  verstehen   seien,  indes  Sta^dtmüllbr  Jahrb.  f.  Phil.  89  (1889 

bemerkt  Urlicbs,  Ueber  griech.  Kunstschrift-  767  seinem  Namensvetter  Leonidas  Alezan 

steiler  S.  46.  :  drinos  aus  der  Zeit  Neros  zu. 

')  Job.  Gbffckbn,  Leonidas  von  Tarent,   .  ')  Wir  haben  jedoch  von  ihm  audi  einige 

Text  und  Erläuterungen,  in  Jahrb.  f.  Philol.  h&bsche  Epigramme  auf  Dichter  und  Kunst- 

Snppl.  XXI II,  1896.     Verschieden  von  dem  werke. 

Epigrammatiker  ist  Julius  Leonidas  Alexan-  ;  *)  Antagoras  hatte  auch  ein  Epos  The- 

drinus  aus  Neros  Zeit,  von  dem  ein  Fragment  bais  gedichtet. 

in  Schol.  Apoll.  Argon.  II  127  (Anth.  VI  130,  ')   Phahukos  war  wahrscheinlich   Zeit- 

von  Geffcken  fOr  unecht  erklirt,  VI  384).  genösse  des  Hedylos;  s.£jrAACK  in  Susemihls 

*)  Die  Zeit  wird  bestimmt  durch  An-  j  AI  Lit  II 523  Anm.  28. 
spielungen  auf  Pyrrhus  und  ein  Epigramm  |  ')  Anth.  VII  708. 

auf  Arat  in  Anth.  IX  25.    Auf  etwas  ältere   >  *)  Porphyrioe  in  Euseb.  praep.  ev.  X  3, 

Zeit  könnte  ein  Epigramm  Anth.  V  205  hin-   .  23  nennt  ihn   roy  rcvr  XottfoQmy  iafAßotr  xai 

weisen,  wo  die  Töchter  des  Antigenides,  des   '  hfiygafif^artor  Ttottji^y. 
berühmten  Flötenbläsers,  ihre  musikalischen   !  '^)  VgL  Wilahowitz,  Euripides  Herakles 

Instrumente  den  Musen  weihen.  '  I  310. 

')  Dass  die  Epigramme  nur  rtaiyvia  Ar  J 


A.  AlezAndriBisohM  Zeitalter.    2.  Die  Poesie.    (§  357.)  515 

aus  Sidon,  den  Cicero  de  orat.  ÜI  50  als  poetischen  Improvisator  preist 
nnd  der  eine  Reihe  poetischer  Grab-  und  Weihepigramme  im  Stile  des 
Leonidas  verfasst  hat,  Archelaos  aus  dem  ägyptischen  Chersones,  der 
Epigramme  auf  Wundererscheinungen  für  Ptolemaios  Philadelphos  schrieb ; 
femer  Nikainetos  aus  Samos,  Hermodoros  aus  Syrien,  Simonides 
aus  Magnesia.  Meleagros,  der  Ordner  des  Kranzes,  von  dem  Athenaios 
auch  die  parodischen  Gedichte  Svfinoaiov,  Aexix^ov  xai  <paxrjg  avyxQiaig, 
Xofireg  anführt,  spendete  selbst  zu  seiner  Anthologie  an  130  hübsche 
Epigramme,  meist  erotischen  Inhaltes;  besonderer  Anerkennung  erfreute 
sich  in  alter  und  neuer  Zeit  sein  Frühlingsgedicht  in  24  Hexametern 
(Anth.  IX  863).«) 

Auf  ein  Denkmal  der  pergamenischen  Geschichte  beziehen  sich  die 
19  Epigramme  des  3.  Buches  der  Anthologia  Palatina.  Dieselben  gehörten 
zu  den  Reliefen  im  Tempel  der  ApoUonis,  der  Mutter  des  Attalos  I  und 
Eumenes  II  zu  Kyzikus,^)  welche  alle,  wie  die  beigegebene  Beschreibung 
in  Prosa  noch  deutlicher  ausspricht,  Beispiele  aufopferungsvoUer  Mutter- 
liebe darstellten,  darunter  auch  schon  eine  römische  Legende,  die  Befrei- 
ung der  Servilia  von  den  Misshandlungen  des  Amulius  durch  Remus  und 
Romains. 

Die  Anthologia  Palatina,  nach  der  Bibl.  Palatina  in  Heidelberg  benannt,  rührt  von 
Konstantinos  Kephalas  her,  der  im  J.  917  Protopapas  des  kaiserlichen  Palastes  war  (Ebcm- 
BicHBB  Byz.  litt*  729).  Als  seine  Quellen  giht  er  selbst  die  Sammlungen  des  Meleagros,  Phi- 
lippos,  Agathias  an,  deren  Proömien  er  im  4.  Buche  mitteilt;  doch  gehen  auf  diese  nur 
die  Bftcher  4 — 7  und  9—11  zurück.  Der  Inhalt  der  ganzen,  aus  15  B.  bestehenden  Antho- 
logie ist  folgender:  1.  B.  X^iatiaya  iitiyQ.,  2.  B.  X^iüxodtuQov  noirjtov  Stjßaiov  (5.  Jahrh.) 
htpgttcii  Tcür  dyaXftdtur  itay  elg  x6  ^/noaiov  yvfAvdaioy  tov  inixaXovfieyov  Zev^innoVy 
3.  B.  iniyg.  iy  Kv^Mm  sie  toy  rdoy  'AnoXkvtyido^  xrjg  fiijTgos  ^AxrdXov  *ai  Evfieyovg, 
i.  B.  Xtt  jtQOoifua  xtSy  duttpoQioy  dy&oXoyiwy,  MeXedygov,  ^iXinnov,  'Aya9iov,  5.  B.  iniyQ, 
i^ucd,  6.  B.  ifnyQ.  dya^/naxixdy  7.  B.  hiiyQ,  imxvfAßM,  8.  B.  iniyQ.  rQijyogiov  xov  »so- 
^yop,  nrsprOnglidi  als  Ei^nzung  des  7.  B.  gedacht,  9.  B.  imy^.  inideixxixdy  10.  B.  intyp. 
nQOXQBnxixd,  11.  B.  driiyo.  avfinoxuid  xal  exwnxixd,  12.  B.  ItQdxwyog  xov  lagdtayov  fiovca 
ffffidbri;/,  13.  B.  iniyQ.  öMgtoQoty  ^crpoir,  die  im  3.  Jahrh.  y.  Chr.  von  einem  unbekannten 
Grammatiker  zusammengestellt  waren,  14.  B.  dQi&fiTjnxdy  alylyfutra,  ygicpoi,  15.  B.  avfA- 
tuxxtt.  Diese  Anthologie  ist  uns  erhalten  in  dem  Cod.  Palat.  23  s.  XI,  der  am  Schluss 
Boch  die  Anacreontea  enthfllt  und  ehedem  nach  einem  alten  Inhaltsverzeichnis  auch  noch 
deo  Nonnos  umfasste.  Der  Cod.  gelangte  1623  durch  Schenkung  nach  Rom,  von  wo  er 
1797,  in  zwei  Teile  auseinandergenommen,  nach  Paris  kam.  Nach  dem  Pariser  Frieden 
kam  der  vordere  Teil  (B.  1  —  12)  wieder  nach  Heidelberg  zurück,  der  zweite  verblieb  in 
Paris,  nur  ein  photographisches  Faksimile  findet  sich  jetzt  auch  in  Heidelberg.  Bekannt 
vnrde  der  Cod.  zuerst  durch  Salmasius,  der  ihn  1607  in  Heidelberg  abschrieb;  eine 
pboioty^sche  Ausgabe  desselben  wird  vorbereitet  in  der  Leidener  Sammlung,  Codices  Graeci 
et  Latini  von  Sijthoff.  Ueber  die  verschiedenen  Hände  des  Codex,  dessen  Text  Lemmata 
beigefügt  sind  und  der  von  einem  Korrektor,  zumeist  nach  dem  Exemplar  des  Michael 
Chartophylax  durchkonigiert  ist,  s.  Stadtmüllbr  in  praef.  1. 1  p.  VI. 

Eine  zweite  kürzere  und  übersichtlicher  geordnete  Sammlung  ist  uns  erhalten  in  der 
Aothologia  Planudea  in  7  B.,  wovon  das  Autographon  des  Planndes,  eines  Mönches 
des  14.  Jahrh.,  uns  in  dem  Cod.  Marcianus  481  erhalten  ist  Dazu  ein  Nachtrag  mit  ero- 
tischen Gedichten,  welche  Planudes  ausgelassen  hatte,  als  Anthologiae  Planudeae  Appendix 
Barberino-Vaticana  verüffentlicht  von  Stbbnbacr  Lipo.  1890.    Die  Anth.  Plan,  ist  auch  nach 


')  Von  Antipater  aus  Sidon,  der  um  100 
^•€br.  lebte,  ist  der  jüngere  Antipater  aus 
Tli^salonike  zu  unterscheiden;  s.  Susemihl 
ALLitnSölff. 

')  DiLTHET,  De  e]^gr.  syll.  p.  10  spricht 
^  Gedicht  dem  Meleager  ab. 


')  Radivobr.  Zu  den  Eyzikenischen  Epi- 
grammen der  Palatinischen  Anthologie  in 
Philol  bist.  Beiträgen  zu  Ehren  Wachsmuths 
1897,  verweist  die  Epigramme  wegen  der 
schlechten  Form  in  naclLheUenistische  Zeit 


516  Grieohisohe  LüteratnrgMchiohte.    II.  Haohklaflsisohe  Litteratiir. 

dem  Bekanntwerden  der  Anth.  Palat.  noch  nicht  wertlos»  da  aie  nicht  bloss  an  vielen  Stellen 
bessere  Lesarten  hat,  sondern  auch  mehrere  Epigramme  enthält,  die  dort  fehlen. 

Ausserdem  drittens  sind  noch  mehrere  kleinere  Sammlungen  auf  uns  gekommen; 
die  Sylloge  Euphemiana,  benannt  nach  Euphemos,  dem  sie  gewidmet  ist,  in  cod. 
Paris.  2720  u.  Florent.  57,  29  und  die  Sylloge  Parisina  in  codd.  Paris.  1630  u.  suppL  352, 
worflber  Dilthbt,  De  epigrammatnm  syUogis  quibusdam  minoribus,  GOtt.  1887;  StadtkOllbb 
in  Ausg.  der  Anthol.  t.  I  nraef.  XIII.   Vgl.  Artikel  Anthologia  von  Rbitzsnstbih  bei  Wiasowa. 

Ausgaben  der  AnUi.  PUn.  ed.  princ.  1494;  von  Bosch,  Utrecht  1795—1822,  5  voll, 
mit  den  meisterhaften  lateinischen  Uebersetzungen  von  H.  Gbotius.  —  Ausgaben  der  Anth. 
Palatina:  Anihologia  veterum  poetarum  graecorum  ed.  Bbunck,  neugeordnet  nach  Dichtern, 
Argent  1776.  —  Anth.  graec.  ex  rec.  Brunckü,  indices  et  comment.  adi.  Fb.  Jacobs,  Ups. 
1794-— 1814,  13  voll.;  kleinere  Ausgabe  in  3  voll,  Lips.  1813—7.  ->  Neubearbeitnng  cum 
appendice  epigrammatnm  veterum  ex  libris  et  marmoribus  ductorum,  von  Döbner,  Par. 
1864,  3  Bde  (3.  Bd.  von  Gouony,  Par.  1890).  —  Nene  grundlegende  Ausg.  mit  voUstln- 
digem  kritischem  Apparat  von  StadtmOllbb  in  Bibl.  Teubn.,  noch  im  Erscheinen,  tom.  I  a, 
1894.  —  Delectus  poetarum  anthologiae  graecae  von  Jacobs,  Gotha  1826;  von  Mbikbkb, 
Berl.  1842.  —  Hbrder,  Acht  Bflcher  Blumen  aus  der  griech.  Anthologie,  in  sehr  ireier 
Uebersetcung,  worin  unbekannte  Eigennamen  weggelassen  oder  durch  andere  ersetzt  sind, 
lieber  ältere  Uebersetzungen  Rubbnsohn,  Griech.  Epigramme  in  Uebersetzungen  des  16.  a. 
17.  Jahrb.,  Weimar  1897. 

Eine  Ergänzung  dieser  handschriftlichen  Anthologie  bilden:  Appendix  epigrammatum 
apud  scriptores  veteres  et  in  marmoribus  servatorum  von  Jacobs  ed.  min.  ü  745—880, 
wozu  eine  ergänzungsbedttrftige  Nachlese  von  Welckeb,  Sylloge  epigr.  graecorum  ex  mar- 
moribus et  libris  coli,  et  ill.,  Bonn  1829.  —  Epigrammata  graeca  ex  lapidibus  collecta  ed. 
Kaibel,  Berlin  1878,  wozu  Ei'gänzungen  von  Allbn,  Greek  versification  in  inscriptions, 
Boston  1888.  —  Epigrammata  graeca  in  Aegypto  reperta  coli.  Püchstein,  in  Diss.  Aigent 
rV  1—78.  —  DiLTHET,  Epigramm,  graec.  Pompeü  repertorum  trias,  Zflrich  1876.  —  Preoer, 
Inscriptiones  graecae  metricae  ex  scriptoribus  praeter  Anthologiam  collectae,  Lips.  1891. 

358.  Ausser  Elegien,  Epigrammen,  Hymnen  und  Idyllen  ist  von 
lyrischen  Gedichten  in  unserem  Zeitalter  nichts  Nennenswertes  produziert 
worden.  Es  begegnen  noch  ein  paar  Tändeleien  in  bizarren  Formen,  mit 
denen  die  Verfasser  von  naiyvia  und  diatpoQa  noirjfiaTa^)  ihre  Fertigkeit 
in  der  Versifikation  und  im  metrischen  Spiel  darthun  wollten.  So  gab 
sich  Simias  aus  Rhodos  die  undankbare  Mühe,  Gedichte  in  der  Form 
eines  Flügels,  Eies,  Beiles  zu  dichten  und  fand  damit  so  grossen  Beifall, 
dass  nach  seinem  Beispiele  andere  eine  Hirtenpfeife  oder  einen  Altar 
dichteten.*)  Auch  sonst  erwuchs  die  kunstvollere  Form  nicht  der  Situation 
und  der  Natur  des  Liedes,  sondern  dem  launenhaften  Spiel  der  Yersi- 
fikatoren,  wie  wenn  Phalaikos  Anth.  HI  6  eine  Grabschrift  in  Hendekar 
syllaben,  Kallimachos  die  Votivinschrift  eines  Tempels  in  Asynarteten 
dichtete,*)  Promathidas  ähnlich  wie  der  römische  Dichter  Laevius  mythische 
Stoffe  in  tändelnden  Hemiamben  behandelte.  Gleichwohl  haben  die  Me- 
triker viele  lyrische  Metra,  wie  das  Asclepiadeum,  Phalaeceum,  Simiacum, 
Archebuleum,^)  Callimacheum  nach  alexandrinischen  Dichtern  benannt, 
da  dieselben  sie  häufig  und  in  fortlaufender  Folge  {xaTaatixov)  gebrauchten.^) 

^)  Carmina  iignrata  graeca  ed.  Haebbr-   I  ^)  Beispiele  nach  dem  Metriker  Hephl- 

LiN,  ed.  II,  Hannov.  1887;  erhalten  sind  nns   I   stion  sind: 
dieselben  im  15.  Buch  der  Anthologie.  '   XoTq*  cJ  j^^vaoxe^oi^  ßaßaxxa  fi^Xto^ 


*)  Die  Syrinxwird  dem  Theokrit  bei- 
gelegt, der  Altar  dem  Dosiadas  aus  Kreta, 
dessen  Blüte  Wilamowitz,  De  Lycoph.  Alex, 
p.  13  auf  285—270  setzt. 

')  Auch  diese  erhalten  in  Anth.  XIII. 

*)  Archibulos  war  nach  Suidas  unt.  Ev- 
€poqimy  Lehrer  des  Euphorien,  lebte  also  in 
der  ersten  Hälfte  des  3.  Jahrhunderts.  In 
dieselbe  Zeit   fÄllt  auch  Phalaikos,   worüber 


Phalaikoa. 
SaifAovH  evvfAyoiaTtn  ^otßä  te  xai  Zev  diSv- 

(Airtv  yevaQx«  Kallimachos. 

roV   axvyvoy  MeXarlnnov    fpöror    al    nccr^o- 

g>6ywy  i^id-oi  Simias. 

tj^  Xffoyijj    fivctixtt  JijfATjTQi   ie   xai  ^CQce- 

g>6yii  xai  KXvfiiyt^  id  cfcu^a  PhilJakos. 
Boiaxog  ovno  Kv^ixov  naytof  ygatpcil^i  noii^* 

/Ltttioi  \  rcV  oxxdnovy  evQwy  cxi^oy  ^oiß^ 


Beitzekbtbin,  Epigr.  157.  xi^i  tfwQoy  Boiskos. 


A.  AlezAüdriiiiflohe«  Zeitalter.    2.  IMe  Poesie. 


I  358—359.) 


517 


Auch  die  ionischen  Sotadeen  und  die  mit  der  Verbreitung  des  Kultus  der 
Kybele  und  des  Priapus  zusammenhängenden  Priapeia  haben  nach  Ge- 
dichten unserer  Periode  ihren  Namen  erhalten.  —  Berühmt  war  auch  wegen 
ihrer  sanglichen  Weisen  {xQovfiara)  die  Zitherspielerin  Glauke,  deren 
fiefivx^icfisva  nafyvia  Movaimv  Hedylos  in  einem  Epigramme  bei  Athen. 
176**  (vgl.  Theokr.  IV  31)  preist;  aber  ob  dieselbe  auch  Texte  zu  ihren 
Melodien  dichtete,  ist  mindestens  zweifelhaft. 

Erhalten  ist  aus  dem  Ende  unserer  Periode  durch  Stobäus  Flor.  7, 
13  die  sapphische  Ode  der  Meli nno  auf  die  ewige  Stadt  Rom,  entstanden 
zur  Zeit  als  Rom  alle  anderen  Städte  des  Erdkreises  in  Schatten  stellte, 
nicht  lange  vor  der  Regierung  des  Kaisers  Augustus.^) 

b)  Die  bukolische  Poesie. 
859.  Der  Name  Bukolika*)  wird  gewöhnlich  Hirtenlieder  gedeutet. 
Man  geht  dabei  von  der  Bedeutung  des  Wortes  ßovxölog  =  Rinderhirt 
aus,  indem  man  annimmt,  dass  darunter  im  weiteren  Sinn  auch  die 
Qeissbuben  {atnoloi)  und  jede  Art  von  Hirten  verstanden  werden 
könnten.  Dieser  landläufigen  Auffassung  gegenüber  bringt  eine  andere 
Überlieferung  die  bukolische  Poesie  mit  dem  Kultus  der  Göttin  des  Waldes 
und  der  Flur,  der  Artemis  Lyaia  in  Verbindung.  Diese  Deutung  hat  in 
unserer  Zeit  Reitzenstein  in  dem  Buche  Epigramm  und  Skolion  wieder 
aufgenommen,  indem  er  daran  erinnert,  dass  ßovxoXoi  auch  die  Diener  des 
Dionysos  und  die  Glieder  religiöser  Genossenschaften  überhaupt  hiessen. 
Aber  diese  zweite  Bedeutung  des  Wortes  ßovxoXoi  ist  jedenfalls  die  über- 
tragene und  geht  auf  die  erstere  als  die  ursprüngliche  zurück,  so  dass 
wohl  auch  Bukolika  zunächst  die  Lieder  hiessen,  welche  von  Kuhhirten 
oder  Leuten,  welche  sich  als  Kuhhirten  vermummten,  gesungen  wurden.^) 
Richtig  wird  nur  sein,  dass  diese  Lieder  in  Lakonien^)  und  anderen 
dorischen  Landschaften  dem  Preise  einer  ländlichen  Gottheit  galten  und 
sich  auf  solche  Weise  mit  den  lobakchen  berührten.  Während  aber  diese 
vorzüglich  in  den  Weingegenden  von  Naxos,  Korinth,  Attika  zur  Blüte 
kamen,  waren  der  Entwicklung  der  Bukolika  und  der  Daphnislieder  zu- 
meist die  entlegenen  Waldgegenden  und  quellenreichen  Triften  günstig. 
Hier  erschallte  die  Schalmei  des  Hirten,  hier  belebten  sich  im  stillen  Ver- 
kehr mit  der  Natur  die  Schluchten  und  Gewässer  mit  Nymphen,  Kyklopen 
und  anderen  Natur göttern.^)    Besonders  Sikilien  mit  seinen  grossartigen 


M  So  BiBT,  De  urbiB  Romae  nomine, 
Ind.  lect  Marb.  1888  p.  XII.  Wblcker  El. 
Sehr,  n  160  ff.  hatte  die  Ode  in  die  Zeit  nach 
Benegong  des  KOnigs  Philipp  von  Make- 
dinüen,  um  195  v.  Chr.  gesetzt.  Stobaios 
8el1)et  macht  die  Melinno  za  einer  alten  les- 
ViBcheD  Dichterin. 

')  Prolegomena  za  Theokrit  ttc^^  xrjg 
f9^etK  rtSr  ßovxoXixtiy;  Probus   im   Ein- 

nzo  Vergils  Georgica;  Diomedes  p.  486  E. 
.  Hbrmakh,  De  arte  poesis  Graecomm 
Weolic«^,  1849  =  Opnsc.  VIII  329  ff.; 
Wklckbs,   Ueber  den  ürsprong  des  Hirten- 


i  liedes,  El.  Sehr.  I  402  ff.;  A.  Fritscbb,  De 
poetis  Graecorum  bucolicis,  Gissae  1844; 
Rkitzevstrin,  Epigramm  a.  SkolioD  193—268. 

')  Gegen  Reitzenstein  polemisiert  auch 
mit  gesundem  urteil  R.  Helm,  Theokritos  u. 
die  bukolische  Poesie,  Jahrb.  f.  kl.  Phil.  1896 
8.  457  ff 

^)  In  Sparta  weihte  Öfter  nach  erhaltenen 
Inschriften  (s.  Th.  Prbgbr  Mitteil.  d.  deutsch, 
arch.  Inst.  1897  S.  334  ff.)  der  ßoayoc,  Führer 
einer  Herde  oder  Riege,  der  Artemis  Orthia 
die  im  Gesangswettkampf  gewonnenen  Siege. 

^)  Schon  bei  Homer  in  der  Dias  2  525 


518 


Griechische  LüteratnrgeBohichte.    IL  Haoh  klassische  Litteratar. 


Naturschönheiten  und  seiner  witzigen  Bevölkerung  war  trefflich  ge- 
eignet, die  bukolische  Muse  zur  Entfaltung  zu  bringen.  Schon  Stesichoros 
sang  das  romantische  Lied  von  der  schönen  Kalyke  und  feierte  den  Haupt- 
helden der  Hirtenpoesie,  den  schönen  Daphnis.^)  Er  ward  daher  von  einigen 
geradezu  als  der  Erfinder  der  bukolischen  Poesie  angesehen.^)  Andere 
nannten  als  solchen  einen  gewissen  Diomos,  von  dem  wir  nur  wissen,  dass 
er  vor  Epicharm  lebte,  der  seiner  in  zwei  Stücken  gedachte.') 

360.  Die  Form  des  EUrtenliedes  war  ein  Gemisch  von  Erzählung  und 
Dramatik,  weshalb  die  alten  Grammatiker  demselben  den  gemischten 
Charakter  beilegten.^)  Der  dramatische  Dialog  scheint  aus  der  alten 
Weise  des  Wechsel-  und  Wettgesangs  der  Hirten  entsprungen  zu  sein. 
Der  herrschende  Vers  war  der  daktylische  Hexameter,  welcher  der  ein- 
fachen Schlichtheit  des  Volksliedes  entsprechend,  sich  ohne  Abwechslung 
wiederholte.  Doch  näherte  sich  das  Hirtenlied  dadurch  der  kunstvolleren 
Form  der  Lyrik,  dass  in  der  Regel  mehrere  Verse,  teils  durch  den  Re- 
frain,^) teils  bloss  durch  den  Sinn  zu  grösseren  Gruppen  oder  Strophen 
verbunden  waren.  Auch  der  Vers  selbst  ward  von  den  Bukolikem  anders 
als  von  den  Epikern  gebaut.  Die  Eigentümlichkeit  des  bukolischen  Verses 
besteht  in  dem  regelmässigen  Einschnitt  nach  dem  4.  Fuss,  der  soge- 
nannten bukolischen  Gäsur,  die  wahrscheinlich  mit  einer  alten  Melodie- 
weise zusammenhängt.  Auffälliger  Weise  hat  Vergil  in  seinen  Eklogen 
jenen  Einschnitt  vernachlässigt,  wohl  weil  er  einerseits  die  Hirtenlieder 
Sikiliens  nicht  aus  dem  Munde  des  Volkes  kannte,^)  anderseits  noch  nicht 
von  den  Metrikern  seiner  Zeit  auf  die  Eigentümlichkeit  der  bukolischen 
Cäsur  aufmerksam  gemacht  wurde.  —  Die  einzelnen  Gedichte  der  buko- 
lischen Poesie  pflegen  wir  Idyllen  zu  nennen.  Das  ist  nicht  ganz  in  dem 
antiken  Sprachgebrauch  begründet;  denn  in  dem  angegebenen  Sinne  ge- 
brauchten die  Alten  eiSvXXiov  ßovxohxov,  nicht  cidvXXiov  allein.*^)  Das 
Wort  slivkliov  ist  Diminutiv  von  eUog^  bedeutete  aber  nicht  ein  nied- 
liches Bild  des  Landlebens,  sondern  ein  kleines  zum  Gesang  bestimmtes 
Gedicht.  jETrfij  wurden  nämlich  die  grossen  lyrischen  Gedichte  Pindars 
genannt,  weil  über  jedes  die  Tonart  (eldog  dQßov(aq)^  in  der  dasselbe  ge- 
sungen werden  sollte,  geschrieben  war ;  von  jenem  eldoq  aber  ist  etdvlhov 
das  Diminutiv.^)   Der  Form  des  griechischen  Wortes  entspricht  im  Deut- 


spielen Hirten  auf  der  Syrinx,  und  schon 
in  der  Odyssee  treffen  wir  ausser  dem  ein- 
äugigen Kyklopen  die  NvfKfai,  ayQoyouoi  im 
Gefolge  der  Artemis,  Od.  C  105. 

»)  Vgl.  Diodor  IV  84 :  fiv&oXoyovci.  dk 
toy  Jdifpi,y  q>va€i  Statpogm  VQog  evfiiXBiav 
xexoQtjyijf*€yoy  i^evQsty  ro  ßovxohxoy  noltjfia 
xai  fteXofy  o  fiixQ^  "^^^  *^*'  '«^«  '^'7*'  ^^' 
xeXlay  xvyx^vBi,  diafi^yoy  iy  anodox^. 

*)  Aelian  V.  H.  X  18;  IttjcixoQoy  ye  roy 
'IfAeQmoy  x^q  roiavrijg  fisXonoitag  vTiaQ^aa&ai, 
V^.  oben  §  120. 

')  Nach  Ath.  619  a  dichtete  er  einen 
sogenannten  ßovxoXiacfiog. 

*)  Proleg.  zu  Theokrit  c.  8.  ^ 

B)    Der    alte   Refrain   (Aaxqal   d^veg  w 


MeyäXxa  wird  von  Ath.  619  d  eine  Sang- 
weise, yofAioy,  genannt. 

^)  Dieses  ist  schon  von  Servios  in  der 
Einleitung  zu  Vergils  Bucolica  bemerkt  Auf 
der  anderen  Seite  aber  hat  Vergil  die  Ver- 
bindung mehrerer  Hexameter  zu  einer  Art 
von  Strophe  aus  seinem  Vorbild  herfiber- 
genommen. 

')  Idyllia  werden  kleinere,  nicht  dem 
Hirtenleben  angehörende  Gedidite  genannt 
von  dem  jüngeren  Plinius  ep.  FV  14,  9  und 
von  Ausomus. 

")  Dieses  begründete  ich  in  einem  Vor- 
trag über  den  Namen  Idyll,  in  den  Verh.  d. 
PhüoLVers.  in  Wflrzburg  1868  S.  49  ff. 


A.  AlexftndriniBche«  Zeitalter.    2.  Die  Poeaie.    (§§  360—362.) 


519 


sehen  das  Neutrum,  das  Idyll,  nicht  das  Femininum,  die  Idylle,  wie  man 
sich  in  Deutschland  irrtümlich  nach  der  Analogie  verwandter  Wörter  wie 
Ode,  Elegie  zu  sagen  gewöhnt  hat. 

361.  Zur  Blüte  kam  die  bukolische  Poesie  erst  im  alexandrinischen 
Zeitalter.  Das  war  nicht  Zufall,  das  war  im  Charakter  der  Zeit  begründet. 
Die  Welt  war  überfeinert  geworden;  die  konventionellen  Formen  des  Städte- 
lebens beengten  den  natürlichen  Menschen;  die  Üppigkeit  der  Mahlzeiten 
und  der  Luxus  der  Kleidung  gereichten  ihm  mehr  zum  Überdruss  als  zum 
Oenuss,  er  sehnte  sich  aus  der  Atmosphäre  der  Stadt  wieder  hinaus  in 
die  freie  Natur  und  zu  dem  einfachen  Leben  der  Hirten  und  Landleute. 
Dieser  Reaktion  gegen  die  Unnatur  des  Stadt^  und  Hoflebens  verdankt 
die  bukolische  Poesie  ihre  Blüte,  ähnlich  wie  sich  die  Idyllendichtung 
Gessners,  die  Dorfgeschichten  Auerbachs  und  das  Winteridyll  Stielers  im 
Gegensatz  zur  überfeinerten  Kultur  ihrer  Zeit  entwickelten.  Auf  solche 
Weise  war  es  unserer  Epoche,  die  sonst  nur  von  Nachahmung  und  affek- 
tierter Empfindung  lebte,  vorbehalten,  eine  neue  köstliche  Frucht  am 
goldnen  Baum  der  Poesie  zu  zeitigen.  Sind  der  bukolischen  Dichter  auch 
nnr  wenige,  und  wenige  auch  nur  ihrer  Oedichte,  so  haben  wir  doch  in 
dem  wenigen  wahre,  echte  Poesie,  die  den  Vergleich  mit  den  Blüten  der 
klassischen  Poesie  nicht  zu  scheuen  braucht.  —  Schon  im  Altertum,  im  ersten 
Jahrhundert  vor  unserer  Zeitrechnung,  vereinigte  ein  Grammatiker,  Arte- 
midor,  die  verschiedenen  Bukoliker  zu  einer  Sammlung,  wovon  ein  in  den 
Handschriften  des  Theokrit  und  in  der  Anthologie  9,  205  uns  erhaltenes 
Epigramm  Zeugnis  ablegt: 

Bovxohxai  MoTaai  anoQadrjv  noxa,  vvv  i'afia  nSaai 
ivxl  fiiSg  fxdvSQag^  iv%l  fiiag  ayälag. 

Auf  diese  Sammlung  gehen  die  erhaltenen  Hirtengedichte  des  Theo- 
krit, Bion,  Moschos  zurück,  nur  ist  frühzeitig  den  bukolischen  Oedichten 
des  Theokrit  noch  eine  Auswahl  aus  dessen  übrigen  Oedichten  angehängt 
worden.^) 

362.  Theokrit  (um  310  bis  um  245)')  ist  der  erste  und  haupt- 
sächlichste Vertreter  der  bukolischen  Poesie.  Sein  Leben  ist  leider 
stark  in  Dunkel  gehüllt;  über  Herkunft,   Vaterland,  ja  selbst  Namen») 


^)  VABLEHy  De  Ariemidori  coUectione 
carmmmn  bneolicomin,  Berlin  1876;  Bethb, 
De  Theocriti  editionibus  antiqnissimis,  Rostock 
1896. 

*)  Quellen:  Fsyos  SsoxQitov  in  den  Scho- 
Hen,  ein  Artikel  des  Suidas,   ein   altes  Epi- 
ptmm  in  den  Codd.  und  in  Antb.  IX  434: 
'jXlog    6    Xiog,    iyai    di    Bfox^itog,    og    rncT 

iy^aipttj 

tt^  dno  rair  noXXuiy  slfju  ZvQaxooioiv^ 
9l6q  ÜQaiayo^ao   TtegixXeiTijs   je   ^iXiytjCf 

fAovaay  d*  oSraiav  ov  xiv*  i(p€Xxvüdfiijy, 
Ans  neaerer  Zeit:  Hauleb,  De  Theocriti 
vita  et  carminibus,  Frib.  1855;  Bbinkeb, 
De  Tbeocriti  vita  carminibnsque  subditicüs, 
Ups.  1884.    X^  HiLLEB,  Jahrb.  f.  Alt.  1883 


S.  24  ff.;  Holm,  Geschichte  Siciliens  im  Alter- 
tum II  299—324  u.  493  ff.;  Gbbckb,  Alexan- 
diinische  Stud.,  Rh.  M.  42(1887)  262  ff.  u.  44, 
127  ff.  —  Die  Chronologie  des  Lebens  und 
der  Werke  Theokrits  ist  in  starkes  Dunkel 
gehüllt,  das  durch  die  spitzfindigen  Versuche 
der  neueren,  nach  den  verschiedensten  Seiten 
auseinandergehenden  Gelehrten  nicht  gelichtet 
wurde.  Neuerdings  setzt  R.  Helm  Jahrb.  f. 
kl.  Phil.  1897  S.  389  ff.  das  Gedicht  an  Hieron 
275  und  die  Geburt  des  Dichters  305. 

'j  Aus  dem  F^vos  erfahren  wir,  dass 
einige  Moschos  als  seinen  ursprünglichen 
Namen  ausgaben;  das  rührt  vielleicht  daher, 
dass  einige  seiner  Gedichte  von  andern  dem 
Moschos  beigelegt  wurden. 


520 


Ghrieohisohe  Littaratorgesohichte.    TL  HAohJdftSBiaohe  Litteratnr. 


ward  gestritten.  Nach  dem  alten  Epigramm  Anth.  IX  434^)  stammte  er 
aus  Syrakus^)  und  war  der  Sohn  des  Praxagoras  und  der  Philine;')  aber 
der  Lexikograph  Suidas  berichtet,  dass  andere  ihn  für  einen  Eoer  aus* 
gaben,*)  und  er  selbst  nennt  sich  im  7.  IdyU  Sifiixidrjv^  wonach  man  in 
Simichos  oder  Simichides,  der  nach  dem  Zeugnis  der  Scholien  zu  Id.  7,  21 
von  Orchomenos  nach  Zerstörung  der  Stadt  durch  die  Thebaner  (364) 
nach  Kos  ausgewandert  war,  wenn  nicht  den  Vater,  so  doch  einen  der 
Ahnen  unseres  Dichters  suchen  möchte.^)  Auch  vom  östlichen  Oriechen- 
land  aus,  von  Orchomenos,  richtete  er  seine  Anfrage  an  Hieron,  den 
Herrscher  von  Syrakus  (16,  106)^),  ohne  auch  nur  anzudeuten,  dass 
Syrakus  seine  Vaterstadt  und  Hieron  der  Führer  seiner  Landsleute  sei.^ 
Aber  wenn  es  auch  trotzdem  wahrscheinlich  bleibt,  dass  unser  Dichter 
Sikilien  zur  Heimat  hatte,  und  dass  die  Grammatiker  sich  nur  durch  das 
7.  Idyll  verleiten  liessen,  ihn  zu  einem  Eoer  zu  machen,  so  treffen  wir  ihn 
doch  jedenfalls  als  angehenden  Dichter  zuerst  im  östlichen  Griechenland. 
Dort  haben  ihn  der  Elegiker  Philetas  und  der  Epigrammatiker  Asklepiades, 
welche  beide  die  alte  Biographie,  vermutlich  auf  Orund  der  eigenen  Worte 
des  Dichters  7,  30  ff.,  als  seine  Lehrer  bezeichnet,  in  die  Poesie  eingeführt; 
dort  auch  knüpfte  er  die  Bande  enger  Freundschaft  mit  dem  Arzte  Nikias 
von  Milet  und  dem  Dichter  Aratos  von  Soloi,  die  er  beide  wiederholt  in 
seinen  Dichtungen  preist;^)  dorthin  endlich  weist  uns  eines  seiner  älteren 
Oedichte,  das  schon  erwähnte  7.  Idyll  Thalysia,  dessen  Scene  bereits  die 
alten  Ausleger   nach  der  Insel  Eos  verlegten.^)    In  demselben  spielt  er 


^)  Aus  dem  Eingang  des  Epigramms, 
in  dem  an  einen  gleichnamigen  Rhetor  Theo- 
kritos  von  Ghios  aus  der  Schule  des  Iso- 
krates  angeknüpft  ist,  vermute  ich,  dass  der 
Epigrammatiker  jünger  als  der  Litterar- 
historiker  Demetrios  Magnes  war,  von  dessen 
Schrift  Tiegl  ofjuayvfAtav  noLrjxtuy  xat  avyy^a- 
(piiov  er  ausgegangen  zu  sein  scheint. 

2)  Auch  Ath.  284a  nennt  den  Theokrit 
Syrakusaner. 

^  »)  Die  Stellen  11,  7  o  KvxX^xj)  6  nag' 
tt(uv  und  28,  7  ndtQtg  ay  oJf  flgftfQag  xtlcae 
xaj'  'jQxias  weisen  deutlich  auf  Sikilien 
und  Syrakus,  wenn  auch  gerade  nicht  als 
Geburtsstätte,  so  doch  Heimatland  hin.  Ebenso 
sprechen  der  Dialekt  seiner  Idyllen,  seine 
frühe  Bekanntschaft  mit  dem  sikilischen 
Mimographen  Sophron  und  der  geographische 
Hintergrund  der  meisten  seiner  Gediente  für 
die  alte  Ueberlieferung,  dass  Theokrit  ein 
Syrakusaner  von  Geburt  war. 

*)  Dieses  offenbar,  weil  das  7.  Idyll  in 
Eos  spielte.  Aber  richtiger  sagt  die  alte 
Hvpothesis  zu  dem  Gedicht:  ra  itQayfAaxa 
ifiaxeirai  iy  K(o'  intSrjfjtrjüag  ydq  rp  yt^am 
6  SeoxQnog,  oTS  etg  'JXe^dydgnay  vQog  JJro- 
XefÄaioy  dnÜBi^  q>iXog  xaxiattj  ^QttaMfAi^  xal 
'Jyxiyiyst, 

')  Danach  sagt  auch  Suidas  ot  &k  lt,fji- 
filx^v.  Andere  wollten  nach  den  Scholien 
zu  7,  21    wegen   des   Widerstreites  mit   der 


anderen  Angabe,  dass  Praxagoras  der  Vater 
des  Dichters  gewesen  sei,  das  Wort  Stui- 
/1V17C  von  aifiog  herleiten  und  darauf  eine 
Anspielung  in  id.  3,  8  erblicken.  Noch  ge- 
suchter ist  die  von  HlBERLur,  Cann.  figor. 
p  51  u.  Philol.  49,  657  aufgestellte  Etymo- 
logie von  SifAiicg^  nach  dessen  Vorbild  Theo- 
krit die  Syrinx  gedichtet  habe. 

^)  Die  Beweiskraft  dieser  Stelle  be- 
zweifelt HoLziNGER  Philol.  1892,  S.  193  ff. 
indem  er  die  Erwähnung  von  Orchomenos 
einzig  auf  den  Kult  der  Charitinnen  in  jener 
Stadt  bezieht. 

')  Aus  der  Teilnahme,  mit  der  er  16. 
88  ff.  die  Zerstörung  des  schönen  Landes 
durch  die  Punier  beweint,  scheint  indes 
doch  etwas  Heimatsliebe  zu  klingen. 

^)  An  die  Frau  des  Nikias  ist  gmchtet 
id.  28,  an  Nikias  selbst  id.  11  u  13.  Dem 
Arat  widmete  er  sein  6.  Idyll  und  beseugte 
demselben  7,  98  und  17,  1  seine  bewundernde 
Freundschaft. 

*)  Diese  Angabe  der  Scholien  wurde 
von  G.  Hermann  Opusc.  V  78  ff.  bestritten, 
haupts&chlich  deshalb,  weil  d»  im  Eingang 
des  7.  Idylls  erwfthnte'!^AcK  mit  dem  FIQbs- 
chen  Haieis  bei  Velia  in  Lukanien,  das  der 
Dichter  6,  123  anführt,  identisch  sei.  Jetzt 
ist  inschriftlich  auf  Kos  ein  duftog  vwr 
'AXeyxitoy  nachgewiesen,  worüber  Paton, 
Class.Rev.n265  und  daraus  Hiller,  Jahieeb. 


A.  AlezAiidriiluohes  Zeitalter.    2.  Die  Poesie.    (§  862.)  521 

V.  108  auf  den  im  J.  276  von  Arat  zu  Ehren  des  Antigonos  Gonatas  ge- 
dichteten Hymnus  auf  Pan  an;^)  um  diese  Zeit  also  war  er  bereits  ein 
angesehener  Dichter,  der  die  Pflege  der  sikilischen  Muse  nach  Osten 
trug  und  in  Eos,  der  Geburtsstätte  des  Königs  Ptolemaios  II,  mit  den 
bedeutendsten  Dichtem  seiner  Zeit  zusammenkam. 

Die  weiteren  Lebensgeschicke  unseres  Dichters  sind  mit  den  Höfen 
von  Syrakus  und  Alexandria  verknüpft.  Mit  dem  16.  Gedicht,  Xdqixeg  rj 
'hQtöv  betitelt,*)  bietet  er  sich  dem  Hieron,  dem  Herrscher  von  Syrakus, 
als  Herold  seiner  Ruhmesthaten  an.  Im  Eingang  desselben  klagt  er,  dass 
seinen  Charitinnen  bisher  überall  im  Osten  [yi-cevicdv  r/r'  *Htö)  das  traurige 
Los  geworden  sei,  mit  leeren  Händen  abgewiesen  zu  werden.  Auf  wen 
damit  angespielt  sei,  ob  auf  Antigonos  Gonatas,  wie  Häberlin  meint,  oder 
auf  die  Könige  von  Ägypten,  wie  Bücheier  mit  den  meisten  Auslegern  ver- 
mutet,^) hängt  von  der  Abfassungszeit  jenes  Gedichtes  und  von  dessen 
Verhältnis  zu  dem  folgenden  Gedicht  der  Sammlung,  dem  Preislied  auf 
Ptolemaios  Philadelphos  {iyxioiiiov  sk  nzoXefjtatov)  ab.*)  In  diesem  Hymnus 
preist  nämlich  unser  Dichter  in  überschwenglichen  Worten  die  Freigebig- 
keit des  äg3rptischen  Königs,  offenbar  in  der  Absicht,  auch  auf  sich  den 
Goldregen  des  fürstlichen  Gönners  der  Dichter  zu  lenken.^)  Auch  hielt 
sich  Theokrit  zweifellos  eine  Zeit  lang  an  den  Höfen  beider  Fürsten  auf. 
Nach  S3rrakus  weist  die  ganze  Richtung  seiner  Poesie  und  das  traute 
Andenken,  das  er  auch  auf  fremdem  Boden  seinen  Landsleuten  in  den 
Idyllen  14  und  15  wahrt;  in  Alexandria  spielen  die  Adoniazusen  (id.  15)  und 
in  Ägypten  ist  das  14.  Idyll,  in  welchem  der  Dichter  Söldner  für  das  Heer 
des  Ptolemaios  wirbt,  geschrieben ;  zum  Ruhme  des  ägyptischen  Herrscher- 
hauses war  auch  das  nicht  erhaltene,  aber  von  Athen.  284  a  angeführte  Lob- 
gedicht auf  Berenike,  die  Mutter  des  Philadelphos,  gedichtet ;  speziell  vor 
Kallimachos,  dem  einflussreichen  Poeten  und  Gelehrten  an  dem  Hofe  der 
Ptolemäer,  machte  er  schon  id.  7,  45  f.  eine  Verbeugung,  indem  er  dessen 
Rivalen  Apollonios  einen  Hieb  versetzte.  Es  fragt  sich  also  nur,  ist  zuerst 
pieokrit  in  Syrakus  am  Hofe  des  Hieron  gewesen  und  von  da  erst  nach 
Ägypten  gegangen,  oder  hat  er  sich  zuerst  nach  Alexandria  gewendet  und 
ist  dann  später  erst,   als  sich   sein  Verhältnis   zu  Ptolemaios  zerschlug. 


d.  Alt  LIV  (1888),  8.  189.  -  Ueber  die  Ab- 
{usungazeit  abweichende  Meiirangeii  Philol. 
49,456. 

^)  Nachgewiesen  von  BOchblbr  Rh.  M. 
30  (1875)  55  ff. 

')  Eine  Anspielung  auf  diesen  Titel  fand 
mit  glficklichem  Scharfsinn  Gbrckb,  Alexan- 
ixmaeke  Stadien,  Rh.  M.  42,  610  in  dem  32. 
&Mgranim  des  Kallimachos 
Oi^  Ott    fAot    nXovrov   xeysai    z^Q^^f    «rAAcr 

M^yiTtTTS 

fi^  %4ye  ngog  XaQixtov  rovfioy  oyeiQoy  ifioi, 
AW  dass  dieses  Epigramm  mit  Zerwfirf- 
DÜBCT  des  Theokrit  am  Hofe  Alexandriens 
am  270/266  zusammenhänge,  ist  eine  sehr 
mnichere  Veimutong,  gegen  die  sich  mit 
Recht  VAH1.B1«,  Ind.  lect.  Berol.  1889  p.  30 


erklärt  hat. 

')  Häbbblin,  Carm.  fig.  34;  BCoheler 
Rh.  M.  30,  55  ff. 

^)  Die  Ansicht  eines  gewissen  Munatius, 
dass  das  Lobgedicht  dem  Ptolemaios  Philo- 
pator, nicht  Philadelphos,  gelte,  ist  schon  in 
der  alten  Hypothesis  mit  chronologischen 
Gründen  zurückgewiesen.  Beachtenswert  ist 
ausserdem,  damit  man  nicht  aus  der  Stellung 
einen  Schluss  auf  die  Abfassungszeit  ziehe, 
dass  in  einer  Klasse  der  Handschriften  das 
Gedicht  an  Ptolemaios  vor  dem  an  Hieron 
steht. 

')  Schon  zuvor  hatte  sich  Theokrit  7,  93, 
mit  feiner  Schmeichelei  dem  Ptolemaios  em- 
pfohlen. 


522 


Grieohisohe  IdtUratargesohiohtd.    n.  NaohklftssiBohe  Litteratar. 


nach  Syrakus  an  den  Hof  des  Hieron  gewandert.  Das  hängt  davon  ab, 
ob  das  17.  Idyll  vor  dem  16.,  oder  umgekehrt  das  16.  vor  dem  17.  ab- 
gefasst  ist.  Leider  lässt  sich  aber  das  bei  dem  Mangel  unzweideutiger 
Anzeichen  der  Kunst  oder  Chronologie  mit  Bestimmtheit  nicht  entscheideB. 
Das  17.  Gedicht  auf  Ptolemaios  kann  allerdings  nicht  vor  der  Geschwister- 
ehe  des  Ptolemaios  H  und  der  Arsinoe  geschrieben  sein,  da  in  demselben 
Y.  130  auf  die  Liebe  des  Königs  zu  seiner  Schwestergattin  angespielt  ist; 
aber  das  Datum  jener  Ehe  ist  nicht  urkundlich  bezeugt  und  kann  nur  im 
allgemeinen  zwischen  280  und  273  gesetzt  werden;^)  auch  ist  in  dem  Ge- 
dicht nicht  ausgesprochen,  ob  es  alsbald  nach  dem  Abschluss  jener  Ge- 
schwisterehe oder  erst  einige  Jahre  später  gedichtet  worden  sei.^)  Auf 
der  anderen  Seite  enthält  das  16.  Gedicht  an  Hieron  zwar  einen  deutlichen 
Hinweis  auf  ein  geschichtliches  Ereignis,  die  Besiegung  der  Karthager  in 
Sikilien  durch  die  griechischen  Bewohner  der  Insel  und  Hieron  den  Führer 
der  Syrakusaner;^)  aber  während  die  meisten  Erklärer  dabei  an  die  dem 
Ausbruch  des  1.  punischen  Krieges  unmittelbar  vorausgehenden  Händel 
der  Mamertiner  (266)  denken,  erinnert  eine  beachtenswerte  Stimme  daran,^) 
dass  in  dem  Gedichte  Hieron  alxfirjräg,  nicht  ßaatXavq  heisse  (16,  103), 
und  dass  derselbe  schon  in  seinem  Strategenamt  im  Jahre  270  glänzende 
Lorberen  im  Krieg  mit  den  Puniem  errungen  habe.  Eine  Entscheidung 
ist  unter  solchen  Umständen  schwer;  aber  doch  etwas  einfacher,  deucht 
mich,  schliessen  sich  die  Dinge  zusammen,  wenn  wir  im  Anschluss  an  die 
alte  Hypothesis  des  7.  Idylls  annehmen,  dass  Theokrit  um  273  von  Kos 
aus,  wo  wir  ihn  im  Jahre  276  zurückliessen,  nach  Alexandria  sich  ge- 
wandt hat  und  dann  später  um  265,  als  in  seiner  Heimat  mit  Hieron  ein 
neuer  Stern  den  Musen  zu  leuchten  begann,  über  Orchomenos  wieder  nach 
seiner  Heimatinsel  Sikilien  zurückgekehrt  sei,^)  wobei  wir  indes   denen 


^)  Die  Schwester  Arsinoe  erscheint  als 
Königin-Gattin  auf  der  im  12.  Regienings- 
jähr  des  Ptol.  Phil,  errichteten  Stele  von 
Fithom.  Durch  Auffindong  dieser  Stele  er- 
gibt sich  also  als  unterste  Grenze  das  Jahr 
278.  Siehe  Wiedemann  Phil.  47,  81;  Ma- 
BAFFY,  The  empire  of  Ptolemais  p.  138  ff. 
Yergl.  U.  EoEHLBR  Sitzb.  der  preuss.  Akad. 
1895  p.  971,  der  die  Ehe  von  273  auf  274 
setzt. 

^)  Weit  unter  273  kann  jedoch  mit  der 
Abfassungszeit  des  Lobgedichtes  nicht  ge- 
gangen werden,  da  in  demselben  Ptolemaios 
auf  der  Höhe  seiner  Macht  steht  und  als 
Beherrscher  der  See  über  die  Kykladen  und 
die  Küsten  von  Eilikien  und  Earien  gebietet 
(17,  88—90),  so  dass  das  Gedicht  vor  den 
Seesieg  des  Antigonos  bei  Eos  (366)  und  in 
dieselbe  Zeit  wie  der  nicht  lange  nach  der 
Niederlage  der  Gallier  gedichtete  Hymnus 
des  Eallimachos  auf  Dolos  (vgl.  §  352)  ge- 
setzt werden  muss. 

')  Wie  grosse  Erwartungen  man  damals 
von  Hieron  hegte,  zeigen  besonders  die 
Verse  85  f.: 


iX^QO^S  ix  ydcoio  xccxd  nifJLilfBiev  druyxa 
£a^&6vioy  xatfi  xvf4a    (piX<oy    fAOQOv    dyyik- 

Xoyxa^. 

^)  Yablbn,  Ueber  Theokrits  Hieron,  Mo- 
natsber.  d.  Berl.  Ak.  1884  S.  823  ff.,  dem 
Habeblin,  Carm.  fig.  57  und  Susemihl,  AL  LiL 
I  203  beistimmen;  dagegen  Bblogh  Jhrb.  f. 
Phil.  131,  366  f.  u.  Gbrckb  Rh.  M.  42,  270  iL 
n.  601  ff. 

^)  Anders  Susbmihl  AI.  Lit.  1 202  ff^  der  den 
Theokrit  zuletzt  nach  Alexandiien  geben  and 
dort  sterben  lässt,  indem  er  aus  dem  Znaam- 
mentreffen  des  Veraansgangs  <r^/C«Ao;  Bc^- 
vLxa  Theoer.  17,  57  u.  CaUun.  epigr.  51,  3sii 
schliessen  wagt,  dass  Theokrit  mindestens 
noch  248/7  zu  Anfang  der  RegienmgBseit  dee 
Ptolemaios  III  zu  Alexandrien  gelebt  bnbe. 
Anders  auch  urteilt  Mahafft  Claas.  gr.  lit 
1  2,  192,  nach  dem  Theokrit  i.  J.  269  nneb 
Syrakus  an  den  Hof  des  Hieron  ging  (id.  16) 
und  einige  Jahre  spftter  von  dort  das  Ge- 
dicht 17  an  Ptolemaios  richtete.  Aber  mit 
dem  Ansatz  jenes  Gedichtes  nach  266  (Sieg 
des  Antigonos  bei  Eos)  oder  gar  nach  258 
(Tod  des  Magas,  des  Königs  von  Kjnrene) 
Iftsst  sich  die  Schilderung  von  der  Macht- 


A.  Alezandrinisohea  Zeitalter.    2.  Die  Poesie. 


t.) 


523 


nicht  hartnäckig  entgegentreten  wollen,  die  wie  Holm,  Gesch.  Sik.  n  298 
den  Dichter  zweimal,  vor  und  nach  id.  16,  nach  Ägypten  gehen  lassen. 
Denn  dass  derselbe  später  noch  einmal  nach  dem  Osten  kam  und  dabei 
in  Milet  seinen  alten  Gastfreund  Nikias  besuchte,  ersehen  wir  aus  dem 
schönen  28.  Gedicht,  das  den  Titel  „SpindeP  nach  dem  Geschenke  trägt, 
das  bei  dieser  Gelegenheit  Theokrit  der  Frau  seines  Freundes  Nikias  mit- 
brachte. Über  die  letzten  Lebensjahre  unseres  Dichters  fehlen  sichere 
Nachrichten,  so  dass  wir  auch  nicht  sagen  können,  wann  und  wo  er  ge- 
storben ist.    Die  Worte  Ovids,  Ibis  547 

Utque  Syracosio  praestricta  fauce  poetae, 

sie  animae  laqueo  sü  via  clausa  tuae 

hat  man  ehedem  auf  Theokrit  gedeutet  und  den  liebenswürdigen  Dichter 

von  dem  argwöhnischen  Tyrannen  Hieron  erdrosselt  werden   lassen;   die 

Deutung  ist  möglich,  aber  durchaus  unsicher. 

868.  Werke  des  Theokrit.  Als  Werke  des  Theokrit  werden  von 
Suidas  aufgezählt :  ßovxoXixd,  HgoiTtSsg^  iXm'Sec,^)  vfivoiy  ijQwivai^  fmxijdeia^ 
fulrj,^)  iUysXai^  laiißoi^  imyQdiifAaxtt.  Von  diesen  ist  das  meiste  verloren 
gegangen ;  auf  uns  gekommen  sind  die  bukolischen  Gedichte,  die  auch  im 
Verzeichnis  des  Suidas  gewiss  nicht  bloss  wegen  des  Alphabetes  voran- 
stehen,  und  einer  Auswahl  aus  seinen  anderen  Dichtungen,')  im  ganzen 
32  Gedichte,^)  zu  denen  aus  der  Anthologie  noch  25  Epigramme  und  die 
Fistnla,  ein  Gedicht  in  der  Gestalt  einer  Hirtenpfeife  {(fvQiy^)^^)  kommen. 
Die  eigentlichen  Perlen  der  Sammlung  sind  die  bukolischen  Gedichte, 
welche  der  Grammatiker  Artemidor,  wie  wir  oben  sahen,  mit  den  ver- 
wandten Gedichten  des  Bion  und  Moschos  zu  einer  Gesamtausgabe  ver- 
einigte; sie  sind  liebreiche,  hübsch  nach  der  Natur  gezeichnete  Bilder 
des  Hirtenlebens,  belebt  durch  den  Dialog  nach  dem  Muster  des  Mimo- 
graphen  Sophron.  Mit  ihnen  hat  wohl  auch  unser  Theokrit  erst  die 
Dichterweihe  erhalten,  wenn  er  gleich  zuvor  schon  mit  einigen  epischen  Ver- 
suchen hervorgetreten  sein  mochte.  Nach  dem  römischen  Grammatiker  Servius 


giteee  des  Ptolemaios  17,  76—92  und  das 
Schweigen  über  Eyrene  nicht  vereinigen. 

*)  Den  gleichen  Titel  'Eknideg  finden  wir 
bei  EaUimachoB  wieder;  vgl.  Bibt,  Elpides, 
Muh.  1881,  wonach  das  21.  Idyll,  die  Fischer, 
Bi  dem  Buche  'EXnldes  gehört  hat. 

*)  Unsicher  ist,  ob  inixijdeia  /AeXrj  zu- 
flsniinemxiifassen  oder  in  zwei  Titel  zu  tren- 
ne ist;  doch  ist  das  letztere  wahrschein- 
bcher. 

>)  Sehr  schwer  ist  es  zu  ermitteln,  zu 
welchen  Werken  die  nichtbukolischen  Gre- 
dichie  Tfaeokrits  ursprünglich  gehörten.  Die 
Gedichte  28-30  gehörten  sicher  zu  den 
fulij^  die  Dioskuren  (22)  zu  den  Hymnen, 
die  Helene  (18)  und  die  Bakchai  (26)  viel- 
lacht zo  den  i^^toipai.  Aber  die  Mimen  im 
8Sl  des  Sophron,  wie  2.  14.  15.  22  wer- 
den vennatlich  schon  sehr  früh  mit  den 
e^entUcheB  Bovxohxä  zu  einem  Corpus  ver- 
«nigt  worden  sein. 


^)  Die  besten  und  ältesten  Handschriften, 
namentlich  der  Ambros.  222  (k),  und  die 
Handschrift  unserer  Scholien,  enÜialten  nur 
eine  kleinere  Zahl  von  Gedichten.  Die  Ge- 
dichte JioüxovQoi,  'HgaxXrjg  Xeoyxo(f6yos,  Ate- 
ydga,  BovxoXiaxogj  'AXteTSf  KrjQtoxXf'rtrijSj  'Ad- 
uiyidog intidtpiog^  eig  yexQoy  ^Adaiytdcif  "EQaarijs, 
irn&aXdfuog  '^;)ftAAc'ai^  bilden  eine  eigene 
Sammlung  (Sylloge  4>),  in  der  nur  die  Ji6- 
axovQoi,  BovxoXlaxog  und  'AXietg  als  theokri- 
tisch bezeugt  sind.  ~  Ueberdies  weichen  die 
verschiedenen  Klassen  von  Handschriften  in 
der  Ordnung  der  Gedichte  stark  von  einander 
ab ;  s.  Ahrens,  lieber  einige  alte  Sammlungen 
der  theokriteischen  Gedichte,  in  Phil.  33, 
385  ff. ;  dazu  Birt,  Das  antike  Buchwesen 
S.  389—401;  Hillbr,  Beiträge  zur  Teztes- 
kritik  der  Bukoliker,  1888.  Inhaltsangaben 
gibt  es  bloss  zu  den  18  ersten  Gedichten. 

^)  Ueber  diese  s.  Habbrun,  Cann.  fig. 
40  ff. 


524  Grieohiaohe  LiiieratlirgMiohiohte.    n.  NaohklaMÜiohe  Litteratnr. 

in   der   Einleitung  zu  den  Eklogen  Vergils  zählte  man  ehedem   nur  10 
Idyllen,  also  gerade  so  viele  als  Yergil  nach  dem  Beispiel  Theokrits  ge- 
dichtet hat.^)    Ob  darunter  die  10  ersten  Gedichte  unserer  Sammlung  oder 
mit  Überspringung  des  zweiten  die  Qedichte  1  und  3 — 11  gemeint  seien,  ist 
zweifelhaft,  da  auf  der  einen  Seite  das  11.  Gedicht  KvxXmxp^  wenn  es  auch 
kein  eigentliches  Hirtengedicht  ist,  doch  nach  Örtlichkeit  und  Inhalt  recht 
wohl   zu  den  bukolischen  Gedichten  gesteUt  werden  konnte,  und  auf  der 
anderen   Seite   das   zweite,   vielbewunderte  Gedicht,    ^aQjt^axevTQiai    oder 
Zauberinnen  betitelt,  nicht  auf  dem  Lande,  sondern  in  der  Stadt  spielt  und 
auch   in  einer  Klasse  von  Handschriften  seine  Stellung  nach  den  bukoli- 
schen Idyllen  hat.    Diese  10  oder  11  ersten  Idyllen  wurden  dann  zunächst 
mit  einigen  verwandten  Gedichten   zu  einem  grösseren  Corpus  erweitert, 
das  mit  den  beiden  litterarisch  wichtigen  Preisliedem  auf  Hiero  und  Ptole- 
maios   abschloss.')     Von    den    neu    hinzugekommenen  Gedichten  berührt 
sich  der  Hylas  (14)  mit  dem  Eyklops  (11)   dadurch,  dass  beide  an  den 
Arzt  Nikias   gerichtet  sind,   und  schliessen  sich  in  Sprache  und  Ton   die 
nach   dem  Muster  des  Sophron   verfassten  Gedichte  Thyonichos  (14)  und 
Adoniazusen  (15)^)  ganz  den  Hirtenliedem  an.     Zu  dieser  alten  Sammlung 
kamen   später  noch  hinzu  die  Fischer   (22)    als  Nachtrag  zu  den  in  der 
Weise  des  Sophron  gehaltenen  Gedichten,  ferner  eine  Auswahl  von  Liedern 
{fislr^   in  äolischem  Dialekt  und  in  Yersmassen  der  Sappho  (28,  29,  30), 
sodann  ein  Nachtrag  von  erotischen  Idyllen  in  dorischem  Dialekt,  wie  das 
Ständchen  Air  die  Neuvermählten  Helena  und  Menelaos  (EXh%r^g   em&a- 
Id/jiiog  n.  18),  der  Honigdieb  {KrjQioxXtnTrfi  n.  19),  der  abgewiesene  Freier 
{BovxoXf^xog  n.  20),  ausserdem  n.  28,  27,  30,  endlich  eine  Sammlung  kleiner 
Epen  teils  in  dorischer,  teils  in  homerisch-epischer  Sprache,  wie  die  Dio&- 
kuren  (22),  der  junge  Herakles  (24)  ^),  der  löwenwürgende  Herakles  (25), 
die  Kadmostöchter  {Arjval  rj  ßdxxai  n.  26).*)    Von  diesen  neuen  Zugaben 
sind  weitaus  am  schönsten  die  Lieder  {^tXij):   die  Spindel  {^HXaxtitr^  an 
die  Frau  des  Nikias  (28),  und  die  beiden  Liebeslieder  {naidixd  n.  29.  30), 
von  denen  das  letztere  erst  in  unserem  Jahrhundert  aus  einer  Mailänder 
Handschrift  (B  75)  ans  Licht  gezogen  wurde.  ^)     Die  Epyllien  sind,  wenn 
echt,  spielende  Versuche  aus  der  Jugendzeit  des  Dichters,  ehe  er  in  dem 
Hirtengedicht  und  dem  Mimus  sein  eigentliches  Element  gefunden  hatte. 
Im  übrigen   hat  sich  unter  die  Gedichte  des  Theokrit,   namentlich    unter 
die  Nachträge  und  Epyllien  vieles  Unechte  eingeschoben.     Schon    in   der 


')  Ueber  die  Nachahmimg  des  Theokrit 
durch  Vergil  s.  Ribbeck,  Gesch.  d.  röm. 
Dicht.  II  16  ff. 

')  Die  TraDkmischerinnen  (2.)  stehen  in 
Ambros.  222  (k)  nicht  unter  den  Hirtenliedem 
an  2.  Stelle,  sondern  nach  13,  indem  sich  die 
Gedichte  also  folgen:  1.  7.  3—6.  8—13.  2. 
14.  15.  17.  16.  29. 

')  Bis  hieher  reichen  allein  die  alten 
Hypotheseis  und  Scholien;  auch  der  Ambros. 
222  (k)  scheint  ursprünglich  nichts  weiter 
enthalten  ru  haben. 

^)  Dieses  schönste  Gedicht  des  Theokrit  j  Studemimds  heraus, 
ist  benannt  nach   der  zu  Alexandria  veran- 


stalteten Adonisfeier.  Den  Titel  treffen  wir 
anch  unter  den  Komödien  des  Pbiletairoe. 
Auch  der  verliebte  Kyklope  war  schon  Ge- 
genstand der  attischen  Komödie. 

^)  Der  fragmentarische  Charakter  dieaee 
Gedichtes  zeigt  sich  auch  darin,  dass  ee 
eines  rechten  Anfangs  und  Schlusses  ent- 
behrt.   Den  Stoff  bot  Pindar  N.  1. 

*)  Das  Gredicht  ist  ganz  nach  EniiiiideB 
Bakchen  gedichtet.  , 

^)  Den  Fund  machte  zuerst  Ziegler,  dann 
gab  Bergk  das  Gedicht  nach  einer  Abechrift 


A.  AlexAndrinisohea  Zeitalter,    d.  Die  Poesie.    (§  364.)  525 

alten  Sammlung  ist  das  zusammengestoppelte  Idyll  9  nicht  aus  der  Hand 
des  Theokrit  hervorgegangen,  und  erregt  auch  das  im  übrigen  allerliebste 
Gedicht  von  dem  Sangwettstreit  des  Daphnis  und  Menalkes  (8)  den  Ver- 
dacht der  ünechtheit.^)  Ganz  und  gar  aber  verdächtig  sind  die  Nachbil- 
dungen in  theokritischer  Manier,  die  zum  Teil  gar  nicht  als  theokritisch 
bezeugt  sind,  wie  der  Honigdieb  (19),  der  Verliebte  (29),  auf  den  Leich- 
nam des  Adonis  (30),  das  Liebesgeplauder  (27).  Theokrit  verleugnet  zwar 
nicht  die  derbe  Natur  der  Hirten,  aber  zu  jener  nackten  Gemeinheit,  die 
aus  dem  27.  Gedicht  spricht,  steigt  er  nie  herab. 

364.  Dichterische  Kunst.  Theokrit  ist  Naturdichter  und  Kunst- 
dichter zugleich;  diese  beiden  Seiten  treten  in  allen  seinen  Gedichten  her- 
For.  Er  lässt  seine  Hirten  die  Sprache  des  Volkes,  die  mildere  Doris  der 
Syrakusaner,^)  reden;  er  ist  damit  der  Natur  treu  geblieben  und  hat  die 
Gespreiztheit  des  Vergil,  dessen  Hirten  die  hochtönende  Kunstsprache  der 
Stadt  reden,  glücklich  vermieden.  Aber  daneben  wendet  er  in  anderen 
Gedichten  den  äolischen  und  epischen  Dialekt  an,  deren  Kenntnis  er  nicht 
mit  der  Muttermilch  eingesogen,  sondern  künstlich  aus  Büchern  gelernt 
hatte,*)  so  dass  man  die  Vermutung  nicht  abweisen  kann,  er  habe  auch 
sein  Dorisch  nicht  ganz  aus  dem  Munde  der  Landleute  Sikiliens,  sondern 
zum  grösseren  Teil  aus  den  Mimen  des  Sophron  und  den  Komödien  des 
Epicharm  gelernt.  Ebenso  hat  in  den  Gedanken  und  dem  Gesprächston 
Theokrit  vortrefflich  die  derbe  Natürlichkeit  des  Hirtenvolkes  wieder- 
gegeben; seine  Hirten  haben  Fleisch  und  Blut,  sind  keine  verkleideten 
Städter  wie  die  des  Vergil  und  keine  zahmen  Moralisten  wie  die  Gessners ; 
dabei  hat  er  mit  feinem  Sinn  in  den  Neckereien  und  Wettgesängen  der 
Hirten  an  volkstümliche  Sitten  und  Gebräuche  angeknüpft.  Aber  so  ganz 
fehlt  doch  auch  bei  ihm  nicht  die  Anspielung  und  Allegorie.  Die  Adonia- 
ZQsen  enthalten  den  ausgesuchtesten  Lobpreis  der  königlichen  Veranstalter 
des  Festes;  in  dem  14.  Idyll  versteckt  sich  unter  der  Maske  des  Werbers 
i&r  den  Kriegsdienst  des  Ptolemaios  die  vom  Preise  seines  Gönners  über- 
fliessende  Person  des  Dichters;*)  die  Thalysia  (7.  Idyll)  schildern  unter 
dem  Namen  von  Landleuten  das  Treiben  der  Glieder  des  koischen  Dichter- 
bimdes.  Endlich  auch  in  der  Vortragsweise  ist  den  Idyllen  eine  gewisse 
Zwittematur  aufgeprägt:  sie  waren  zum  Singen  bestimmt,  und  dem  hätte 
am  besten  die  Strophenbildung  der  Lyriker  entsprochen;  Theokrit  aber 
wählte    die   epische   Form   des   gleichen   wiederkehrenden   Verses^)    und 


')  Bbiitkeb,  De  Theocriti  vita  carmini-  |  den  Denominativen  der  Neuira  auf  o;  findet, 
baaqne  subditicüs,  Diss.  Rostock  1884  S.  30;      Falsche    Dorismen     sind    aavxia,    afxsQog, 


Sdsimibl,  AI.  Lit  215  An.  54. 

*)  Die  Doris  mitior  des  Theokrit  bildet 
Iki  den  Grammatikern  den  Gegensatz  zur 
Doris  severior  der  LakedAmonier.  Von  dem 
Dialekt  heisst  das  Hirtenlied  bei  Moschos  12 
dm^g  doiSa. 

')  Bei  solchen  Nachbildungen  blieben 
tuch  nicht  Missverstftndnisse  aus,  wie  wenn 
lleokrit  12,  28  oixdovifi  nach  der  falschen 
Analogie  des  homerischen  xBXeiovüi  bildet, 
wiewohl  diese  Form  sich  bei  Homer  nur  bei 


TlQttTOg. 

^)  Unter  dem  Geisshirt  Tityros  versteckt 
sich  nach  einer  Vermutung  Meinekes  Ale- 
xandros  Aitolos,  dessen  Vater  Satyros  hiess. 
Ausserdem  vermutet  Häberlin  hinter  dem 
schönen  Jttngling  Ageanax  den  Dichter  Her- 
mesianax,  und  findet  Gercke  in  seinen  Ale- 
xandrinischen  Studien  versteckte  Ausftlle 
gegen  Dichterrivalen  in  Masse;  ähnlich 
Rbxtzevstbin,  Epigr.  288  ff. 

^)  Darin  ist  vielleicht  Theokrit  den  alten 


526 


Orieohisohe  Litteimiiirge«ohiohte.    IL  HaohklMnsohe  Litteratnr. 


näherte  sich  nur  dadurch  den  Lyrikern,  dass  er  in  der  Regel  eine  gleiche 
Anzahl  von  Hexametern  zu  je  einem  Satze  verband.^)    Damit  erhielt  er 
eine  Art  Strophe,  aber  f&r  den  Oesang  und  die  Wiederholung  der  gleichen 
Melodie  war   dieselbe  doch   wenig  geeignet,  weil  die  Struktur  oder  die 
Ordnung  der  Längen  und  Kürzen  nicht  die  gleiche  in  den  sich  entsprechen- 
den Versen  war.     Und  wiewohl  der  Dichter  auf  solche  Weise  im  Versbau 
nicht  an  Gleichheit  der  Silbenzahl  gebunden  war,  fioss  ihm  doch  der  Vers 
nicht  leicht,  und  erlaubte  er  sich  oft,  dem  Metrum  zulieb  von  der  natür- 
lichen Wortstellung  in  sinnstörender  Weise  abzugehen.')    Aber  zwei  Eigen- 
schaften sind  es,  die  den  Theokrit  trotz  dieser  Mängel  zu  einem  der  lieb- 
lichsten, anmutigsten  Dichter  machen,  die  verständnisinnige,  schwärmerische 
Hingabe  an  die  Natur  und  das  hervorragende  Talent  anschaulicher  Schil- 
derung.    Die  erstere  Eigenschaft  zeigt  er  nicht  bloss  in  den  bukolischen 
Idyllen,  auch  im  Enkomion  auf  Hieron  liess  er  sich  die  Gelegenheit  nicht 
entgehen,  den  Segen  des  Friedens  durch  Hinweis  auf  die  blühenden  Saat- 
fiuren,  die  blökenden  Schafherden  und  das  liebliche  Summen  der  Zikaden 
(16,  90—96)  zu  preisen.     Man  wird  nicht  fehl  gehen,  wenn  man  die  innige 
Freundschaft  des  Dichters  mit  dem  Arzte  Nikias   auf  ihre  geistige  Ver- 
wandtschaft und  ihre  gemeinsame  Liebe  zur  Natur  zurückfuhrt.     Die  Be- 
schreibung spielt  in  den  Gedichten  des  Theokrit  fast  eine  zu  grosse  Rolle, 
indem  derselbe  nicht  mehr  wie  Homer  mit  ein  paar  Strichen  etwas  schil- 
dert und  die  Beschaffenheit  einer  Sache  aus  ihrer  Wirkung  erkennen  lässt, 
sondern  mit  Vorliebe  bei  der  Zeichnung  des  einzelnen  verweilt,  wie  des 
geschnitzten  Bechers,  den  der  Geisshirt  dem  Thyrsis  zum  Preise  aussetzt 
(1,  27 — 56),  und   des  Faustkampfes  zwischen  dem  Dioskuren  Polydeukes 
und  dem  Unhold  Amykos  (22,  80—120).     Dabei  tritt  überall  die  Neigung 
für  das  Genremässige  und  Niedliche   in  der  Natur  wie  im  Leben  hervor, 
was  an  die  gleiche  Richtung  in  der  Kunst  des  alexandrinischen  Zeitalters 
und   die  hübschen  Terrakotten  von  Tanagra  erinnert.*)     Ist  in  der  Be- 
schreibung von  Scenen  und  Gegenständen  ein  Übermass  zu  tadeln,  so  muss 
man  hingegen  ganz  des  Lobes  voll  sein  in  Anerkennung  der  lebenswarmen 
Charakterzeichnungen,  die  dem  Dichter  ebenso  bei  den  Hirten  und  Bauern 
des  Landes,   wie  bei   den  neugierigen  Festfeierinnen  und  den  verliebten 
Zauberinnen  der  Stadt  gelang.     Hier  machte  sich  zumeist  die  Kunst  des 
Sikiliers   in  mimischer  Nachahmung  und   der  Einfiuss  des  Mimendichters 
Sophron  geltend.     Eigentlich  originell  war  Theokrit  so  wenig  wie  irgend 
ein  anderer  Dichter  der  alexandrinischen  Epoche :  Stesichoros  und  Sophron 
waren  ihm  hauptsächlichste  Vorbilder;  an  Alkaios  und  Sappho  schloss  er 


kitharodischen  Nomendichtem  gefolgt;  auch 
TimotheoB  dichtete  vofiovg  fjtova^xovg  dt* 
incüv, 

»)  Siehe  oben  §  360.  Der  Refrain  {ver- 
8X18  intercalaris)  ist  zu  Hilfe  genommen  1, 
64  ff.  und  2,  17  ff.  Die  Strophenbildnng 
durch  den  Sinn  und  den  Personenwechsel 
liegt  offen  zu  Tag  in  dem  Wettgesang  des 
Battos  und  Milon  im  10.  und  des  Daphnis 
und  Menalkas  im  8.  Idyll.  Die  Strophen- 
bildnng ist  überall  angedeutet  in  der  Aus- 


gabe von  Ahrens;  vgl.  EOchly,  Carmisnm 
Theocriti  in  strophas  restitntonun  specimen, 
Turici  1858. 

')  Die  ärgste  Wortrerstellung  findet  sich 
29,  3:  xjyycü  fjikv  td  q)QBviov  iqivt  niar  h 
fivxio  und  29,  32:  xai  fjLoi  r<oQafiiyt^  cvri^r 
dd6X(üg  ai9ey. 

')  BRUim,  Die  griechischen  Bnkoliker, 
und  die  bUdende  Kunst,  in  Stzb.  d.  b.  AL 
1879,  I  1—21. 


A.  Alexandrinischea  Zeitalter.    8.  Die  Poesie.    (§  365.)  527 

sich  in  den  äolischen  Paignia  an;  auch  an  Alkman  und  Pindar  finden  sich 
Anklänge,  an  den  ersteren  in  dem  Hochzeitlied  auf  Helena  (id.  18),  an  den 
letzteren  im  Herakliskos  (id.  24) ;  homerische  Wendungen  finden  sich  ohne- 
hin in  den  hexametrischen  Dichtungen  Schritt  auf  Tritt;  auch  Anlehen 
aus  der  hebräischen  Poesie,  die  dem  Dichter  durch  die  Übersetzung  der 
Septaaginta  näher  gerückt  worden  sei,  hat  Mahaffjr,  Glass.  gr.  lit.  I  2,  195 
in  dem  Hochzeitslied  auf  Helena  i)  erkennen  wollen.  —  Der  Ruhm  und  die 
Behebtheit  der  theokritischen  Poesie  überdauerte  das  Leben  des  Dichters : 
die  Bukoliker  Bion  und  Moschos  traten  in  die  Fusstapfen  des  Begründers 
der  bukolischen  Poesie ;  die  Epigrammatiker  gefielen  sich  in  der  Nach- 
ahmung einzelner  Verse  des  Theokrit;^)  in  die  römische  Poesie  hat  Vergil 
mit  seinen  Bucolica  die  Hirtenpoesie  des  Theokrit  eingeführt ;  auch  Horaz 
muss,  wie  die  Nachahmung  Od.  I  12,  27  ff.  zeigt,  die  Qedichte  des  sikili- 
schen  Dichters  eifrig  gelesen  haben;  im  Beginne  des  Mittelalters  suchte 
Harianos  durch  seine  Metaphrase  in  jambischen  Versen  (3150  nach  Suidas) 
die  Poesie  des  Theokrit  seinen  Landsleuten  näher  zu  bringen. 

Schollen:  Die  Gedichte  des  Theokrit  waren  seit  der  Zeit  des  Cicero  Gegenstand 
obigen  Stadiums  der  Grammatiker,  insbesondere  des  Artemidor,  Theon,  Amarantos,  Ni- 
kuior,  Mmiatius  (ans  der  Umgebung  des  Herodes  Attikos)  und  zuletzfc  des  Eratosthenes 
aus  der  Zeit  des  JusUnian.  Auf  Theon  gehen  die  Scholien  zu  den  Gedichten  der  Sammlung 
I~17  rorfick;  die  H^rpotheseis  darf  man  in  ihrem  Grundstock  auf  Artemidor  zurflckfQhren. 
Ans  dem  späten  Mittelalter  stammen  die  wertlosen  Scholia  recentiora  des  Moschopulos, 
Maximns  Planudes  und  Demetrios  Triklinios.  üeber  alle  diese  handelt  Abbens  im  2.  Bde 
seiner  Ausgabe. 

Von  den  Handschriften  ist  keine  Alter  als  das  13.  Jahrb.  Dieselben  gehen  auf  ver- 
schiedene St&mme  zurück;  die  Aufstellung  eines  Stammbaumes  ist  bis  jetzt  nicht  gelungen. 
Die  besten  sind:  Ambros.  222  (k)  s.  Xfll,  Vatic.  915  (m)  s.  XIII,  Vatic.  913  (h)  s.  XIII, 
Medic.  37  (p)  s.  XIV,  Ambros.  75  (c)  s.  XV;  für  SyUoge  #  Vatic.  1824/25,  Paris.  2832. 
&en  kritischen  Apparat  bieten  die  Ausgaben  von  Gaisford,  Ahrens  und  am  besten  Ziegler. 

Ausgaben:  von  Dan.  Heinsius  1603  mit  eleganter  Uebersetzung  in  lat.  Versen;  cum 
commentarüs  Valckenarii,  Brünckii,  Toupii,  Berol.  1810,  2  vol.  —  Poetae  gr.  min.  ed. 
Gaisfobd,  Oxonii  1821  vol.  11  und  IV.  —  BucoUcorum  graecomm  reliqoiae  ed.  Ahbbns,  Lips. 
1855,  2  tom.  —  Theocriii  reliquiae  cum  animadv.  ed.  Ejesslino,  Lips.  1819.  —  Theocriti 
cannina,  tertium  ed.  Zieoler,  Tubing.  1879.  —  Theoer.  Bion  et  Moschus  ex  recogn.  Meinekii, 
^  m.  1856,  mit  scharfsinniger  Textesrekonstitution.  —  Theocriti  idyUia  commentarüs 
eriticis  atqne  exegeticis  instr.  Arm.  Fritzsobe,  ed.  alt.  Lips.  1870;  erklärende  Ausgabe  von 
ftötzscHB,  3.  Aufl.  1881  besorgt  von  Hilleb.  —  Hiller,  Beiträge  zur  Texteskritik  der 
BnkoUker,  mit  dem  Texte  der  Sylloge  #,  Lips.  1888. 

Lexicon  Theocriteum  compos.  Rumpel,  Leipz.  1879.  —  Morsbacb,  Üeber  den  Dialekt 
llieokritB  in  Gurtius  Studien  X  I — 38.  —  Kunst,  De  Theoer.  versu  heroico,  in  Dissert.  phil. 
Tmdob.  11-124. 

365.  Bion  aus  Smyrna  war  jüngerer  Zeitgenosse  und  Nachahmer 
des  Theokrit.  Über  seine  Lebensverhältnisse  klärt  uns  zumeist  das  Grab- 
gedicht {innd^iog)  auf  Bion  auf.  Danach  lebte  er  den  grössten  Teil  seines 
Lebens  in  Sikilien  und  starb  an  Gift,  das  ihm  seine  Feinde  beigebracht 
hatten.  Nach  dem  Vers  101  des  erwähnten  Grabgedichtes  starb  er  noch 
vor  Theokrit,  aber  jener  Vers  ist  eine  Interpolation  des  Musurus.  Er- 
halten sind  uns  von  ihm  deTheT^hmte'Emra^iog'Addvidog  und  17  kleinere 
Stedichte.  Der  Epitaphios,  dessen  Form  lebhaft  an  das  Klagelied  auf 
Daphnis  im  ersten  Idyll  Theokrits  erinnert,  steht  mit  den  Adoniazusen  des 
Theokrit  in  engem  Zusammenhang,   da  sich  beide  Gedichte  auf  das  unter 

^)  Yerglicben  hat  der  englische  Gelehrte   i  *)  Kehr,  De  poetarum  qni  snnt  in  antho* 

18,  23—30  mit  dem  Gesang  Sidomos  I  9,   ,   logia  Palatina  stadüs  Theocriteis,    Leipzig, 
TlÄ-10-  I  Diss.  1880. 


528 


Grieohisohe  LitteratorgeBohiohte.    n.  Haohklasaisohe  litteratnr. 


Ptolemaios  Philadelphos  mit  besonderem  Glänze  gefeierte  Adonisfest  be- 
ziehen. An  dem  2.  Tage  des  Festes  nämlich  ward  die  Wiedervereinigung 
des  Adonis  mit  Aphrodite  gefeiert,  and  auf  diesen  Abschnitt  des  Fest^ 
beziehen  sich  die  Udwviä^ovaai  des  Theokrit.  Am  ersten  Tage  hingegen 
ward  die  Todesfeier  des  auf  der  Jagd  von  einem  Eber  verwundeten  Lieb- 
lings der  Göttin  begangen,  und  für  diese  war  das  Gedicht  des  Bion  be- 
stimmt, i)  Dieses  wie  die  andern  Gedichte  des  Bion  sind  reich  an  sprach- 
lichen Schönheiten  und  Tiefe  der  Empfindung,  aber  es  mangelt  ihnen  die 
Kraft  und  die  Naturwahrheit  der  theokritischen  Muse.  Das  Übermass  von 
Sentimentalität  und  erschlaffender  Weichheit  zeigt  sich  auch  in  dem  Vers- 
bau, indem  der  Dichter  mit  Vorliebe  Versausgänge  auf  2  Spondeen,  wie 
ojQvoriai,  daxQvovTi,  anwendet. 

Mosch  OS  aus  Syrakus  (?)  wird  von  Suidas  Anhänger  des  Aristarch  (Agt- 
avuQxov  yvfOQifxog)  genannt  und  muss  demnach  nach  150  v.  Chr.  seine  Blüte 
gehabt  haben. ^)  Da  er  ferner  selbst  das  Grablied  auf  seinen  Lehrer  Bion  auso- 
nische  Muse  nennt  (V.  101),  so  wird  er  wohl  in  Unteritalien  zu  Hause  ge- 
wesen sein.  Erhalten  haben  sich  von  ihm  ausser  einigen  Kleinigkeiten 
2  längere  Gedichte,  der  schon  erwähnte,  nach  dem  Muster  des  Epitaphios 
auf  Adonis  gedichtete,  aber  gekünstelte  und  überladene  ^Enixdquoq  Moaxov, 
und  die  EvQcinrj,  an  deren  Inhalt  und  Darstellung  das  64.  Gedicht  des 
CatuU  von  der  Verlassung  der  Ariadne  anklingt,  s)  Artig  ist  auch  das  von 
Neueren,  wie  Torquato  Tasso  und  Ben  Jonson  nachgeahmte  Gedichtchen 
^'EQcag  SQanärrjg,  ein  poetischer  Steckbrief  auf  den  entlaufenen  Eros.*) 

e)  Das  Kunstepos  und  das  Lehrgedieht. 
866.  Das  Epos  kam  im  alexandrinischen  Zeitalter  am  schlechtesten 
weg.  Vom  eigentlichen  Epos,  dem  volksmässigen  Heldengedicht,  konnte 
selbstverständlich  in  einer  Zeit,  wo  es  keine  Volkshelden  gab  und  die  ton- 
angebenden Gelehrten,  losgelöst  vom  Volk,  eine  Gesellschaft  für  sich  bil- 
deten, keine  Rede  sein.  Zwar  zogen  die  Könige  jener  Zeit,  wie  später  in 
Rom  die  Kaiser,  Dichter  an  ihren  Hof,  die  ihre  kriegerischen  Thaten  in 
epischen  Gedichten  verherrlichen  sollten;  aber  die  Epen  des  Choirilos  aus 
lasos  auf  Alexander  d.  Gr., 5)  des  Simonides  Magnes  auf  Antiochos  d.  Gr., 
des  Leschides  auf  Eumenes,  des  Musaios  Ephesios  auf  Eumenes  und 
Attalos  drangen  nicht  in  das  Volk  und  sind  spurlos  zu  grund  gegangen. 
Einen  schwachen  Ersatz  bot  das  mit  mehr  Liebe  und  Erfolg  gepflegte 
Kunstepos;  dasselbe  knüpfte  an  die  letzten  Ausläufer  des  Epos  der  klassi- 


^)  Der  Gegenstand  hat  Lindensclimit 
die  Anregung  zu  dem  Bude,  Klage  der  Venus 
um  Adonis,  gegeben. 

^)  Die  Zeit  des  Moschos  möglichst  an 
die  des  Aristarch  zu  rücken,  nötigt  die  eigene 
Angabe  des  Dichters  (8,  301),  dass  Bion  sein 
Lehrer  gewesen  sei.  Bücheler  Rh.  M.  30, 
36  ff.  setzt  den  Epitaphios  unseres  Moschos 
etwas  weiter  herab  in  die  Zeit  des  Bundesge- 
nossenkrieges. Auffallig  ist,  dass  Suidas  unt. 
Mocxog  und  das  Epigramm  AP.  IX  440  die 
drei  Bukoliker  in  folgender  Reihenfolge  auf- 
führt: GeoxQiTogy  Moaxos,  Bltüv. 


')  Benutzt  ist  dasselbe  auch  von  Horaz 
Od.  3,  27,  worfiber  Lessino,  Vademecom 
für  Lange. 

^)  Bion  und  Moschos  wurden  yon  Arte^ 
midor  mit  Theokrit  zu  einer  Sammlung  ver- 
bunden, daher  auch  ihre  Ueberlieferong  und 
ihre  Herausgabe  Hand  in  Hand  geht  mit 
der  des  Theokrit. 

')  üeber  die  einzelnen  Dichter  geben 
Auskunft  die  Artikel  des  Suidas,  femer 
DOntzbb,  Die  Fragmente  der  epischen  Poesie 
der  Griechen,  2.  Bd. 


A.  AleoEandriniBchea  Zeitalter.    2.  Die  Poesie.    (§§  366—367.) 


529 


sehen  Zeit  an  und  besang  von  neuem  die  alten  Sagen  von  den  Argonauten, 
den  Sieben  vor  Theben,  von  Perseus,  Herakles,^)  den  Städtegründungen.') 
Doch  wärmten  die  Dichter  nicht  einfach  den  alten  Kohl  auf,  sondern  zogen 
auch  neue  Stoffe,  wie  Rhianos  die  Heldenthaten  des  Aristomenes,  in  den 
Kreis  der  Poesie  und  flochten,  dem  Zuge  der  Zeit  folgend,  mit  Vorliebe 
erotische  Liebesabenteuer  in  die  alten  Überlieferungen  ein.  Auch  historische 
Partien  der  Geschichte  wurden  poetisch  verherrlicht,  wie  die  sikilische 
Geschichte  durch  Polykritos,  und  gegen  Ende  unserer  Periode  der  mithri- 
datische  und  kimbrische  Krieg  durch  den  aus  Ciceros  Reden  bekannter 
gewordenen  Dichter  Archias  aus  Antiochia.^)  Am  meisten  Boden  gewann 
das  Lehrgedicht  auf  den  verschiedenen  Gebieten  der  Astronomie,  Geo- 
graphie, Mythologie,  Jagd  und  Naturkunde.  Anfangs  behielt  man  für  das- 
selbe die  alte,  durch  Hesiod  typisch  gewordene  Form  des  daktylischen 
Hexameters  bei;^)  seit  Apollodor  machte  demselben  der  iambische  Trimeter 
den  Rang  streitig. 

867.  Aratos  (um  305 — um  240),^)  der  Hauptvertreter  des  alexandri- 
nischen  Lehrgedichtes,  entstammte  einer  vornehmen  Familie  des  kilikischen 
Soloi.  Seine  höhere  Ausbildung  erhielt  er  in  Athen.  Der  Grammatiker 
Henekrates  und  die  Philosophen  Timon  und  Menedemos  werden  seine 
Lehrer  genannt,  mit  dem  Stoiker  Zenon  und  dessen  Schüler  Persaios  war 
er  befreundet.  Um  276  folgte  er  einer  Einladung  des  Königs  Antigonos 
Gonatas  an  den  Hof  von  Pella.^)  Hochgeehrt  von  den  Königen  Antigonos 
und  Antiochos  I,  stand  er  zugleich  mit  den  bedeutendsten  Dichtern  seiner 
Zeit,  insbesondere  mit  Theokrit,  Kallimachos  und  Alexander  Aetolus  in 
freundschaftlichem  Verkehr.'')    Seinen  Ruhm  bei  der  Nachwelt«)  verdankt 

^)  Antagoras  schrieb  eine  Thebais,  an  Hesiod  Nikainetos  in  dem  Frauenka 
Rhianos  eine  Herakleia,  Theo ly kos  Bax- 
Z^ia  htvi,  Mnsaios  eine  Perseis.  Epyllien 
da*  Art  sind  uns  mehrere  in  der  Auswahl 
ikeokritischer  Gedichte  erhalten.  Die  beste 
Tontellnng  gibt  uns  das  Epyllion  des  Catull 
(64)  Ton  der  Hochzeit  des  Peleus  und  der 
llietiSy  dem  wohl  ein  alexandiinisches  Ori- 
gbal  zom  Vorbild  diente. 

*)  Verse  ans  einer  anonymen  Adaßov 
xriftf  citiert  Parthenios  Erot.  21.  Apol- 
lonioB  dichtete  Kriaeig  'Po^ov,  Kavvov, 
'AU^ttvdQeittg ,  Philon  nBQt  *lBQOüoXiifjnüy, 
Tiieodotos  Tiff^c'fot'ifaictfy,  Rhianos  '^/ff(- 
^,*tiXuixtt,  Sc0<raXixdt  Mcaai^rtaxcr,  Nik an- 
der 9rjßatx(i,  Demos  thenes  Bi^vyiaxdj 
^ßaixd,  Pb  als  tos   AaxBdmfioyixd  f    Maxe- 

')  Ob  auch  Hegemon  der  Verfasser  von 
dn^avixd  nnd  eines  Epos  vom  lenktrischen 
Krieg  der  Thebaner  nnd  Lakedämonier  un- 
Krer  Periode  oder  der  römischen  Eaiserzeit 
pgehdrte,  ist  angewiss.  Stephan.  Byz.  unt. 
^AU^dvdQBia  iy  Tgoitf  ftthrt  unter  den  Be- 
rfthmtheiten  der  Stadt  an  'HyijfÄtov  inonoiog 
^  iy^tnffe  joy  uievxtgtxoy  nöXefJiov  rtay  Srj- 
^mv  xat  AaxcdttifÄoyimy,  aber  ohne  Zeitan- 
gibe.  Den  gleichen  Stoff  behandelte  in  Prosa 
der  Rhetor  der  Kaiserzeit  Aristides. 

*)  Auch  dem  Inhalte  nach  lehnte  sich 
Bsodbodi  d«r  kUu».  AltertannwlaienBchaft.    VII. 


an  Hesiod 
talog  an. 

*)  Ueber  Arat  haben  wir  ausser  einem 
Artikel  des  Suidas  4  ausfOhrliche  griechische 
und  eine  lateinische  Biographie,  gedruckt  in 
Westebmanns  Biogr.  graec.  52  ff.  Arat  war 
etwas  jflnger  als  KalUmachos  nach  der  Vita 
IV:  yr^gaii^  d^  rio  KvgriyaLt^  ineßdXXero  '  vgl. 
RiTscHL,  Opusc.  I  72,  und  oben  S.  505 
Anm.  5.  Ein  Bild  von  ihm  in  cod.  Matrid. 
A  14,  publiziert  von  Bbthb  Rh.  M.  58,  91, 
und  in  einem  Mosaik  von  Trier,  publiziert 
in  Mon.  ant.  I  (1889)  479. 

')  Suidas  gibt  als  hervorragende  Epoche 
seines  Lebens  Ol.  124  an,  die  Vitae  I  u.  IV 
Ol.  125;  vgl.  ÜSENEB  Rh.  M.  29,  42;  Koepke, 
De  Arati  Solensis  aetate,  Guben  1867. 

^)  Das  schmeichelhafte  Epigramm  des 
Kallimachos,  Anth.  IX  507,  auf  sein  Lehr- 
gedicht lautet: 

'Haiodov  TotT  deiafin  xrd    6  rgortog  '  ov   roy 

(loidtay 

lüXtttoy^dXX^  oxy4to  fjtrj  x6  ^eXt^goratoy 
tcjy   initov   6    loXsvg    dTtSfid^ato   *   x^'^Q^"^^ 

Xenral 

^iqaiBg,  ^Aqdxov  cvytoyog  dyQvnyirj. 
Theokrit  widmete  ihm  das  6.  Idyll;  des  Ver- 
kehrs mit  Antagoras  und  Alexander  Aetolus 
gedenkt  die  Vita. 

^)  Kallimachos  in  dem  erwähnten  Epi- 
Aufl.  34 


530 


Grieohiaohe  Litteratnrgesohiohte.    ü.  Naohklassiaohe  Litieratiir. 


er  dem  uns  erhaltenen  astronomischen  Lehrgedicht  <Patvdfi€va  in  1154 
Hexametern.  Ausserdem  hatte  man  von  ihm  einen  Hymnus  auf  Pan,  mit 
dem  er  sich  bei  Antigenes  eingeführt  hatte, *)  Klagelieder  auf  verstorbene 
Freunde  («ttix/JJ«««),  verschiedene  medizinische  Schriften,  eine  Sammlung 
kleinerer  Gedichte  {rä  xard  if/rrov),*)  eine  kritische  Bearbeitung  der 
Odyssee,  Briefe  u.  a.^)  Die  Briefe  galten  jedoch  als  unecht  und  als  Mach- 
werk eines  gewissen  Sabirius  Pollio.*)  —  Sein  Hauptwerk,  die  Phainomena, 
verfasste  er  im  Auftrag  seines  Gönners,  des  Königs  Antigonos.  Dem  Ge- 
dicht lag  ein  in  Prosa  geschriebenes  Werk  des  Eudoxos  zu  grund;  Arat 
wollte  durch  den  Reiz  der  metrischen  Form  der  Lehre  des  berühmten 
Astronomen  weitere  Verbreitung  geben.  Vorausgegangen  war  ihm  in 
dem  Versuch  einer  metrischen  Behandlung  der  Sternkunde  Kleostratos 
aus  Tenedos,  der  vor  Eudoxos  zur  Zeit  der  Perserkriege  gelebt  hatte. ^) 
Der  erste  und  hauptsächlichste  Teil  der  Phainomena  (1 — 732)  handelt  von 
den  Himmelserscheinungen  {(paivofiera)  und  den  an  dieselben  sich  knüpfen- 
den Stemsagen.  Ein  locker  angefügter .  Anhang  (733—1154),  der  in 
jüngeren  Handschriften  die  Aufschrift  JtoarjfjisTai  führt  und  von  Cicero 
unter  dem  Titel  Prognostica  {nQoyvwaeig  Su  arj/Ä€{(ov  bei  Hipparch)  ins 
Lateinische  übertragen  wurde,  bespricht  die  Wetterzeichen  in  wesentlicher 
Übereinstimmung  mit  der  unter  Theophrasts  Namen  erhaltenen  Prosa- 
schrift 7t€Ql  (frjfi€{(ov.^)  Die  Verse  des  Gedichtes  sind  fliessend,  bewegen 
sich  aber  meist  in  homerischen  Wendungen,  nicht  ohne  einige  Sprachver- 
stösse,  die  den  Nachahmer  verraten.*^)  Im  Ton  des  Lehrgedichtes  war 
dem  Arat  Hesiod  Vorbild; 8)  von  ihm  hat  er  auch  die  Einlage  von  Epi- 
soden, wie  der  von  dem  goldenen  Zeitalter  unter  dem  Zepter  der  Dike 
(96—136),   genommen.     Die  Beschreibung  ist  schlicht   und  einfach,    er- 


gramm; Leonidas  von  Tarent  Anth.  IX  25; 

Pfcolemaios  Append.  epigr.  70: 

n«v9^  'Hyrjaiaya^  r$  xai  "E^fAinnog   tu   xcrr* 

TelQ€tt  xal  noXXol  ravra  rd  (paiyofABy« 
ßißXoi^    iyxati&evxo   '   dnoaxontoi    (T    a^'- 

/jiaQToyf 
flXXd    TÖ    XenroXoyov   cxrjnxQov  ^AQottog 

Ovid  am.  1 15, 16 :  cum  sole  et  luna  semperÄra- 
iu8  erit.  Maximas  Tvrius  or.  30  nennt  ihn 
gar  noirjTtjy  ov6kv  doo^otegoy  xov  'OfjuijQov. 
Vgl.  Cic.  de  orat.  I  16.  In  Soli  wurde  dem 
Dichter  ein  Denkmal  gesetzt  (Mela  I  13); 
sein  Bild  setzten  die  Solenser  auf  ihre 
Münzen. 

^)  Dem  Pan  glaubte  nämlich  Antigonos 
seinen  Sieg  über  die  Gallier  bei  Lysimachia 
zu  verdanken  (277).  Aus  gleichem  Anlass 
hatte  auch  Eastorion  einen  Hymnus  auf  Pan 
gedichtet;  s.  Häbbklin,  Garmina  figur.  gr.  56. 

*)  "AQttioq  iy  ToTs  xard  Xentoy  bei  Strabo 
p.  486;  aus  Catalepta  entstand  durch  Miss- 
verstand Catalecta  Vergili,  wie  Bbrok  Rh. 
M.  20,  291  nachwies. 

')  Ein  ausführliches,  aber  doch  nicht 
vollständiges  Verzeichnis    gibt   Suidas;    die 


Vita  n  nennt  4  Hauptwerke:  'JajQtxai  ^vyä- 
fiei^y  Kayoyog  xatatOfArj ,  ^aiyofAeya,  Tie^t 
dyazoX^i.  Das  letzte  legten  andere  dem 
Hegesianaz  bei;  vgl.  Buhle,  De  Arati  So- 
lensis  scriptis,  in  Ausg.  II  449  ff.;  Maass, 
Aratea  209  ff. 

*)  Vito  I  101;  vergl.  Bbntlby,  Epist 
Phaler.  71. 

»)  Vgl.  Pliniufl  N.  H.  II  8  und  Genaorinns 
de  die  nat.  28;  2  Hexameter  des  Gredicbtes 
hat  uns  ein  Scholion  zu  Eur.  Rhes.  529  er- 
halten. 

^)  Der  Anhang  steht  an  sprachlicher 
Gewandtheit  dem  Hauptteile  nach  und  hat 
überdies  mehrere  sprachliche  Eigentümlich- 
lichkeiten,  welche  an  der  Gleichheit  des  Ver- 
fassers zweifeln  lassen.  Graubht  Rh.  M. 
a.  F.  I  336  ff.  meint,  dass  ehedem  zwischen 
den  beiden  Teilen  noch  ein  Abschnitt  nc^t 
xayoyog  gestanden  habe;  dagegen  BOckh, 
Ges.  Schrift.  IV  301  ff. 

^)  So  ist  t(fi  V.  588  als  Dativ,  InTtota 
V.  664  als  Genetiv  gebraucht,  anstAssig  sind 
namentlich  die  vielen  Flickpartrikeln  yc  t$ 
roi,    LoEBB,  De  elocutione  Arati,  Hai.  1864. 

*j  Kaibel  Herm.  29,  82  ff. 


A.  AlezandriniBohes  Zeitalter.    2.  Die  Poesie.    (§  367.)  531 

mangelt  zwar  des  dichterischen  Schwunges,  zeichnet  sich  dafür  aher  durch 
Klarheit  und  Bestimmtheit  aus.  Einen  Hauptschmuck  bilden  die  Stern- 
sagen, die  den  Himmel  mit  den  schönen  Mythen  der  Götter-  und  Heroen- 
welt beleben.  Die  Neigung,  Nymphen  und  Heroen  unter  die  Sterne  zu 
versetzen  und  die  Sternbilder  mit  den  Geschicken  der  Menschen  auf  Erden 
in  Verbindung  zu  setzen,  ist  im  alexandrinischen  Zeitalter  und  besonders 
dnrch  Arat  aufgekommen.  Aber  derselbe  hat  nicht  alle  Stemmythen  selbst 
erfunden,  vielmehr  hat  er,  ganz  abgesehen  von  den  Einflüssen  des  Orients 
nnd  der  Chaldäer,  vielfach  nur  alte  Erzählungen  an  die  neu  benannten 
Sternbilder  angeknüpft.  In  einigen  Stemsagen  waren  ihm  auch  bereits 
alte  Dichter  und  Mythographen  vorangegangen.  Schon  Homer  II.  18,  486, 
Od.  5,  273  gibt  dem  Wagen  oder  Siebengestim  den  Namen  Bär  (ceQxTog), 
indem  er  denselben  dem  himmlischen  Jäger  Orion  auf  lauem  lässt; 
sodann  liess  Pindar  bereits  in  einem  Dithyrambus  (fr.  74)  die  von  Orion 
verfolgten  Pleiaden  von  Zeus  unter  die  Sterne  versetzt  werden;  anderes 
dichteten  Musaios  und  Epimenides,  die  Yerkünder  des  Götterwillens  (Jiog 
i7iog;ijTair  Arat  164),  hinzu.  Aber  derjenige,  der  den  Himmel  mit  Göttern 
and  Halbgöttern  und  deren  Abzeichen  bevölkerte,  war  doch  erst  unser 
Arat.  Die  Aufmerksamkeit,  welche  die  Gebildeten  im  Altertum  den  Natur- 
erscheinungen und  speziell  dem  Sternenhimmel  zuwandten,  verschafften  dem 
Gedicht  einen  ausserordentlichen  Erfolg.  Zahlreiche  Gelehrte,  Mathematiker 
wie  Grammatiker,^)  schrieben  Kommentare  zu  demselben;  von  den  Römern 
haben  Varro  Atacinus,  Cicero,  Germanicus,  Avien  um  die  Wette  Über- 
setzungen desselben  geliefert.  Den  Kopf  des  Dichters  selbst  setzten  neben 
dem  seines  Landsmannes  Chrysippos  die  dankbaren  Bürger  von  Soloi,  dem 
späteren  Pompeiopolis,  auf  ihre  Stadtmünzen.  ^) 

Die  handschriftliche  üeberlieferung  ist  klar  gelegt  von  Maass  in  der  krit.  Ausg.  Da- 
Bach  Haaptvertreter  cod.  Marcian.  (M)  s.  XI,  geschrieben  v^om  Diakon  Niketas,  mit  kritischen 
Zeichen  (Ton  Theon?).  —  Eine  Stemkai-te  zu  dem  Gedicht  gibt  Maass  in  seiner  Ausg.  aus 
einem  Codex  des  Germanicus.  Dieselbe  Iftsst  sich  nicht  auf  Arat  selbst  zurückführen,  wie- 
wohl derselbe  doch  wahrscheinlich  eine  ähnliche  Karte  vor  sich  hatte. 

Ausgabe  mit  den  lateinischen  Uebersetzungen  und  den  alten  Scholien  von  Buhle, 
Ufß,  1793,  2  Bde;  von  Halma  Par.  1822;  mit  kritischem  Apparat  u.  8cholien  von  Imh. 
Bekksr,  Berol.  1828.  Hauptausgabe  von  E.  Maass,  Berolini  1893;  dazu  von  demselben 
Verfasser  Aratea  in  Phil,  ünt  XH. 

Scholien  und  Kommentare.  Die  von  dem  Mathematiker  Theon  (4.  Jahrh.  n.  Chr.) 
henührenden  Scholien  nehmen  auf  Plutarch  und  einen  älteren  Erklärer  S porös  (2.  Jahrh. 
n.  Ghr.i  Bezug.  Von  einer  Paraphrase,  die  teils  dem  Empedokles,  teils  dem  Theon  zuge- 
achrieben  wird,  gibt  Notiz  Maass,  PM.  Unt.  VI  140.  -  Von  selbständigen  Kommentaren 
isi  der  wichtigste  Hipparchi  Ttßy  ^Agatov  »al  Evdo^ov  (fawofjiivüiv  i^tjytjcsis  3  B.  (2  er- 
lialten,  gedruckt  in  retavins  Uranologium,  Paris  1630  p.  171  ff.,  neubearbeitet  von  Ma- 
mTiiTs,  lips.  1894),  in  denen  der  berühmte  Mathematiker  mit  selbständigem  urteil  die  Irr- 
t&mer  seiner  beiden  Vorgänger,  namentlich  die  des  Arat,  berichtigt  gegenüber  einem  rho- 
diachen  Grammatiker  Attalos,  der  überall  den  Dichter  in  Schutz  genommen  hatte. 
Ausserdem  hatten  Kommentare  zu  den  Phainomena  verfasst  der  Stoiker  Boethos  (2.  Jahrh. 
r.  Chr.)  und  Diodoros  von  Alexandrien,  aus  deren  Kommentaren  der  Akademiker  Eudoros 
(zur  Zeit  Strabos)   einen  Auszug  machte.     Erhalten   sind  uns  von  selbständigen  Kommen- 


*)  Ein  Verzeichnis  ttoy  tibqI  rov  noitjrov 
9vna^afi^ywy  steht  in  Vat.  191  u.  381,  wo- 
rfiber  Maass,  Herm.  16,  385  und  Boehme 
fih.  M.  42,  307  ff.  Im  Ganzen  waren  es  27 
Kommentatoren,  wozu  noch  die  Scholiasten 
ZQ  der  lateinischen  üebersetzung   des  Ger- 


manicus kommen. 

2)  Visconti,  Iconogr.  gr.  Ip.  93,  lll  p.  395 ; 
BOrchner,  Griech.  Münzen  mit  Bildnissen 
historischer  Privatpersonen,  Zeitschrift  für 
Numismatik  IX  118;  vgl.  oben  S.  529  Anm.  5. 


34* 


532 


Grieohisohe  Litteratargeachiohte.    II.  Haohklassisohe  litterfttar. 


taren  ausser  Hipparch  noch  Geminns  (oder  PoseidonioB)  Eüraytoyij  elf  rd  ipaiifofupa; 
Achilles  (nach  Suidas  'A^i^Xerg  Ixntiog  um  200  n.  Chr.)  ht  ttov  'AxiXUoi^  ngos  $iatt' 
yfoyfjy  eis  t«  'Jgäzov  (fttifofievu;  Leontios  (7.  Jahrh.)  nBQi  »atacxevi^g 'jlgareiov  cfpaiQai. 
Gesamtausgabe  der  Kommentare  in  Petavius  Uranologium,  Paris  1630;  neue  Ausgabe  er- 
wartet von  Maass. 

368.  Apollonios^)  (um  295— um  215),*)  Sohn  des  Silleus,  gewöhn- 
lich der  Rhodier  von  seinem  späteren  Aufenthalt  auf  der  Insel  Rhodos 
genannt,  ist  der  bedeutendste  unter  den  alexandrinischen  Epikern.  Seine 
Vaterstadt  war  nach  den  einen  Alexandria,  nach  den  andern  Naukratis.') 
In  seinen  Studien  schloss  er  sich  der  Richtung  des  Kallimachos  an,  welche 
Poesie  mit  Gelehrsamkeit  vereinigte;  Suidas  nennt  ihn  geradezu  einen 
Schüler  des  Kallimachos.^)  Aber  beide  vertrugen  sich  aus  Eifersucht 
schlecht,  indem  der  ältere  Kallimachos  das  dickleibige  Epos  des  jüngeren 
Genossen  verspottete  und  ApoUonios  die  Schuld  des  Zwistes  dem  Dichter 
der  Aitia  beimass.^)  Infolge  der  Zerwürfnisse  verliess  ApoUonios  Ägypten 
und  wandte  sich  nach  Rhodos,  wo  er  von  den  bildungliebenden  Bürgern 
der  blühenden  Insel  mit  offenen  Armen  aufgenommen  wurde.  Später  aber 
kehrte  er,  wenigstens  nach* der  einen  Vita,  wieder  nach  Alexandria  zurück; 
das  wird,  wenn  es  überhaupt  richtig  ist,  erst  nach  dem  Tod  des  Kalli- 
machos unter  Ptolemaios  Euergetes  (246—^221)  gewesen  sein,  unterdessen 
Regierung  Suidas  unseren  ApoUonios  gelebt  haben  lässt.  Mit  der  firag- 
lichen  Rückkehr  hängt  die  andere  Frage  zusammen,  ob  und  wann  er  in 
höherem  Lebensalter  als  Nachfolger  des  Eratosthenes  zum  Leiter  der 
Bibliothek  bestellt  worden  sei.^) 

Die  gelehrte  Thätigkeit  unseres  ApoUonios  war  nicht  bedeutend ;  auf 
seine  Schrift  Ttgog  Zr^vöSorov  wird  in  den  Homerscholien  öfters  Rücksicht 
genommen; 7)  sein  Buch  über  Archilochos,  das  auch  auf  sachliche  Erklä- 
rungen einging,  citiert  Athenaios  p.  451  d;  seiner  Studien  zu  Hesiod  wird 
in  den  Scholien  zum  Schilde  des  Herakles  gedacht.  Grösser  war  sein  An- 
sehen als  Dichter,  und  zwar  wandte  er  sich  hier  ganz  der  Gattung  des 
erzählenden  Kunstepos  zu.  Von  den  epischen  Gedichten  auf  die  Gründung 
verschiedener  Städte  seiner  alten  und  neuen  Heimat,  wie  Alexandreia, 
Naukratis,  Kaunos,  Rhodos,  Knidos,  haben  sich  nur  ein  paar  Hexameter 
erhalten.  Auch  das  Gedicht  über  Kanobos,  das  in  Choliamben  geschrieben 
war,  ist  bis  auf  wenige  durch  Stephanos  Byz.  erhaltene  Verse  verloren 
gegangen.  Aber  sein  berühmtestes  Werk,  die  'AQyovavnxa  in  4  B.,  ist 
vollständig  mit  alten  Scholien  auf  uns  gekommen.  Dasselbe  hat  ApoUonios 
als  junger  Mann  in  Alexandria  zu    dichten  begonnen,    dann  aber,   als  er 


^)  Aus  dem  Altertum  ein  Artikel  des 
Suidas  und  2  dürftige  Vitae;  aus  neuerer 
Zeit  W KICHERT,  Ueber  das  Leben  und  das 
Gedicht  des  ApoUonius  von  Rbodus,  Meissen 
1821. 

2)  Gerckb  Rh.  M.  44,  252  setzt  die  Ge- 
burt des  ApoUonios  auf  296/2. 

')  'Me^aydgevs  heisst  er  bei  Suidas  und 
Strabonp.  655,  Navxgarirtjg  bei  Ath.  p.  283  d 
u.  Aelian  H.  A.  XV  23,  wahrscheinlich  weU 
er  von  den  Bürgern  der  griechischen  Kolonie 
Naukratis,  deren  Gründung  er  besungen  hatte, 
mit  dem  Bürgerrecht  beschenkt  worden  war. 


*)  Dieses  bestreitet  Gsrckjs  Rh.  M.  44, 
240  ff.  und  Ifisst  eine  treffliche,  nur  zu  sehr 
ins  Schwarze  gemalte  Charakteristik  des 
ApoUonios  im  Gegensatz  zu  Theokrit  and 
Kallimachos  folgen. 

»)  Anth.  XI275;  vgl.  §  349. 

^)  Ol.  144/5  nach  Ritscbl,  Opusc.  173: 
was  wohl  zu  spät  angesetzt  ist.  Ein  Ehr«n- 
begräbnis  erhielt  ApoUonios  nach  der  Tita 
neben  Kallimachos,  vermutlich  i»^  ßtt^^Xtims, 
s.  Mbbkel,  Proleg.  p.  14. 

'')  Die  Stellen  zusammengestellt  von 
Merkel,  Proleg.  I  4. 


A.  Alezandrinuiohes  Zeitalter.    2.  Die  Poesie. 


i  368—369.) 


533 


damit  in  den  massgebenden  Kreisen  der  Gelehrtenstadt  keinen  Anklang 
fand,  in  Rhodos  umgearbeitet  und  in  zweiter  verbesserter  Gestalt  heraus- 
gegeben, i) 

368.  Der  Inhalt  der  Argonautika  ist  in  dem  Titel  ausgesprochen; 
der  Stoff  war  gut  gewählt,  weil  er  noch  nicht  durch  einen  berühmten 
Dichter  bearbeitet  war  *)  und  dem  Interesse  der  Zeit  für  wunderbare  Dinge 
and  fabelhafte  örtlickeiten  entgegen  kam.  Erzählt  ist  er  in  4  Büchern, 
also  in  so  vielen  als  dramatische  Stücke  von  einem  Tragiker  an  einem 
Festspieltag  aufgeführt  wurden ;  darin  wird  man  den  Einfluss  des  Aristoteles 
erkennen  dürfen,  der  Poet.  24  für  das  Epos  einen  kleineren,  der  Zahl  der 
an  einem  Tag  aufzuführenden  Tragödien  entsprechenden  Umfang  verlangte.  3) 
Die  beiden  ersten  Bücher,  welche  den  Anlass  des  Zuges,  die  Ausrüstung 
des  Schiffes  und  die  Fährlichkeiten  der  Hinfahrt  umfassen,  hängen  enger 
Zusammen  und  sind  durch  ein  Proömium  eingeleitet,  welches  sich  nur  auf 
diese  beiden  ersten  Bücher  bezieht.  Der  Dichter  erzählt  in  ihnen  mit 
epischer  Breite  die  allbekannten,  auch  durch  die  Kunst  verherrlichten 
Sagen  von  der  Landung  auf  der  Insel  Lemnos,  dem  Verschwinden  des 
schönen,  von  der  Nymphe  in  den  Quell  hinabgezogenen  Jünglings  Hylas, 
den  Ringkampf  des  Polydeukes  mit  dem  Riesen  Amykos,  die  Erlösung  des 
blinden  Greises  Phineus  von  der  Plage  der  Harpyien,  die  Fahrt  durch  die 
zusanunenschlagenden  Felsen  u.  a.^)  Im  3.  Buch  hebt  der  Dichter  ge- 
wissermassen  von  neuem  an,  indem  er  die  Erato,  die  Muse  des  Tanzes 
and  der  Liebespoesie,  anruft,  um  die  Bezwingung  der  Königstochter  Medea 
durch  die  Pfeile  des  Eros  und  den  dadurch  ermöglichten  Sieg  des  lasen 
in  den  ihm  von  Aetes  auferlegten  Kämpfen  zu  besingen.  In  diesem  Teile 
seines  Gedichtes  ist  ApoUonios  entschieden  am  glücklichsten,  indem  er, 
nicht  erdrückt  durch  die  Massenhaftigkeit  des  Stoffes,  desto  liebevoller 
auf  die  Ausmalung  des  Widerstreites  der  die  Seele  der  Medea  erfüllenden 
Gefühle  eingeht.^)  Der  vierte  und  längste  Gesang  schildert  die  phan- 
tastisch ausgeschmückte  und  doch  phantasielos  erzählte  Heimkehr  der 
Helden  durch  das  schwarze  Meer,  die  Flüsse  Ister,  Eridanos,  Rhodanos, 
das  sardische  Meer,  die  Syrten,  endlich  an  Kreta  vorbei  in  den  pagasei- 
schen  Busen.  ^)    Hier  drängt  allzusehr  ein  Ereignis  das  andere,   und  tritt 


^)  Lesearten  der  nQo^xdoat^  sind  in  den 
Scholien  am  I  285.  515.  543.  725  etc.  erwähnt, 
wonach  der  Dichter  in  der  2.  Bearbeitung 
teils  anstOssige  Formen  wie  ßelofjat  entfernt, 
teilt  magere  Schilderangen  durch  neue  Verse 
erweitert  hat.  Die  auf  die  Zeugnisse  einer 
doppelten  Ausgabe  gebauten  Annahmen  Gbr- 
BABDS,  Leci.  Apoll.,  wies  in  engere  Grenzen 
MisKBL,  Prol.  p.  XLVI  sqq.;  vergl.  Livde, 
De  di^ersis  recensionibus  Apoll.  Argon.,  GOtt. 
%8   1885. 

')  Ans  älterer  Zeit  stammen  die  Argo- 
nautika des  Epimenides,  von  denen  Diog. 
I  10  als  Inhalt  angibt:  jQyovg  vttvnijylay 
Tt  xai  laaovog  etg  KoXxovg  dnonXovv,  intj 
ft500.  Bei  Homer  Od.  fA  70  heisst  bekannt- 
ü^  die  Arge  'jlgyio  ttäai  fAsXowra,  aber  yon 
jenen  ahen  Liedern  hatte  sich  nichts  erhalten. 


Hauptvorgftnger  des  Apollonios  war  Pindar 
P.  IV. 

')  Damit  stimmt  auch  der  grössere  Um- 
fang der  einzelnen  Bflcher  flberein,  deren 
Verszahl  so  ziemlich  der  einer  Tragödie  ent- 
spricht 

*)  Scenen  der  Argonautika  sind  dar- 
gestellt auf  der  ficoronischen  Gista,  der  Talos- 
vase,  kampanischen  Wandgemftiden  mit  der 
Hylasdarstellung,  Sarkophagen  mit  den  Käm- 
pfen in  Kolchis. 

'^)  Manches  daraus  hat  Ovid  in  seinen 
Metamorphosen  7,  86  ff.  glücklich  nach- 
geahmt. 

')  Apollonios  ist  in  dieser  Partie  teil- 
weise dem  Timaios  (bei  Diodor  IV  56)  ge- 
folgt, der  nachdem  die  Früheren  die  Argo- 
nauten um  Libyen  hatten  irren  lassen,   die 


534 


Grieohisohe  Litteratiurgesohiolite.    ü.  Hftohklamnaehe  Litterfttiir. 


in  aufdringlicher  Weise  das  Bestreben  des  Gelehrten  hervor,  dunkle  Sagen 
in  sein  Qedicht  hereinzuziehen  und  nach  dem  Muster  der  Aitia  des  EaUi- 
machos  den  Qrund  der  damals  noch  bestehenden  Gebräuche  zu  erklären.^) 
Das  Gedicht  hat  im  Altertum  trotz  der  Ungunst,  der  es  anfangs  bei 
den  Eallimacheern  begegnete,  viel  Beifall  und  Bewunderung  gefunden: 
zwei  lateinische  Dichter,  Yarro  Atacinus  und  Valerius  Flaccus,  ahmten  das- 
selbe in  freier  Übertragung  nach;*)  zahlreiche  Grammatiker  (Chares,*)  Eire- 
naios,  Lukillos,  Sophokles,  Theon)  schrieben  gelehrte  Kommentare  dazu; 
die  Eyklographen  oder  Fabelsammler  benutzten  es  als  Hauptquelle  för  die 
Mythen  des  Argonautenzugs;  Künstler,  wie  der  Verfertiger  der  Ficoroni- 
schen  Cista,  entnahmen  aus  ihm  Motive  der  Darstellung;  noch  im  Anfang 
des  Mittelalters  verfertigte  der  Versifikator  Marianos  von  ihm  eine  Meta- 
phrase in  lamben.  Das  Ansehen  war  nicht  ganz  unverdient;  Apollonios 
hatte  sich  als  gelehrter  Dichter  durch  fieissiges  Studium  der  alten  Mythen 
und  Dichter  für  seine  Aufgabe  sorgfältig  vorbereitet  ;^)  er  zeigt  eine  voU- 
ständige  Herrschaft  über  die  epische  Sprache  Homers  und  bietet  doch 
viele  neue  Wendungen,  Bilder  und  Gleichnisse  ;^)  er  versteht  sich  meister- 
lich auf  Schilderung  von  Örtlichkeiten  und  Ausmalung  von  Seelenzuständen. 
Aber  den  Lichtseiten  stehen  grössere  Schattenseiten  gegenüber:  sein  Ge- 
dicht ermangelt  vor  allem  des  einheitlichen  Mittelpunktes,  so  dass  es  sich 
in  eine  Menge  mehr  äusserlich  zusammengereihter  als  innerlich  zusammen- 
hängender Scenen  auflöst.  Wie  wir  im  Anfang  über  die  Person  des  Pelias 
schlecht  aufgeklärt  werden,  so  verläuft  am  Schluss  die  Handlung  voll- 
ständig im  Sand,  indem  sogar  die  Hochzeit  des  lasen  und  der  Medea, 
welche  das  Ganze  einigermassen  hätten  abrunden  können,  mitten  in  das 
4.  Buch  hineinverlegt  wird.  Von  den  Helden  bekommen  wir  kein  leib- 
haftiges, greifbares  Bild,  sondern  nur  mythologische  Notizen,  welche  mehr 
dem  Grammatiker  als  dem  Dichter  Ehre  machen.  LedigUch  grammatische 
Exkurse  sind  der  Katalog  der  Teilnehmer  an  der  Fahrt  (I  21—227)  und 
die  Beschreibung  der  Stickereien  des  Mantels  des  Jason  (I  730 — 767);  die 
plastische  Naturwahrheit  Homers  verkehrt  sich  in  traumhafte  Romantik 
und  lyrische  Sentimentalität. 

Die  Godd.  bilden  zwei  Familien:  die  eine  reprftsentiert  durch  den  berühmten  Laurent. 
XXXII  9  8.  XI,  der  auch  den  Aischylos  und  Sophokles  enthält,  die  andere  durch  Guelfer- 
bytanuB  s.  XIII.  Ein  auserlesener  kritischer  Apparat  mit  testimonia  grammaticoniin  in 
Ausg.  von  Merkel,  Lips.  1854.  —  Schollen  beigeschrieben  im  cod.  Laur.  mit  der  Unter- 


Irrfahrten  in  den  Westen  und  Norden  Europas 
verlegte.  Auch  sonst  hat  Apollonios  vieles 
geneuert,  so  dass  er  die  Argonauten  auf  der 
Hinfahrt  nach  Lemnos  gelangen  Uess,  wäh- 
rend Pindar  P.  IV  251  dieses  Abenteuer 
auf  der  Rflckfahrt  hatte  geschehen  lassen; 
näheres  über  diese  Punkte  Max  Groegbr, 
De  Argonauticarum  fabularum  historia,  Vratisl. 
Diss.  1889. 

^)  Eallimachos  hatte  selbst  im  2.  Buch 
seiner  Aitia  einen  Abschnitt  'Jgyovg  otxMfAol. 

^)  Die  Abweichungen  der  unvollendeten 
Argonautica  des  talentvollen  römischen  Dich- 
ters Valerius  Flaccus  sind  meisterhaft  be- 
sprochen von  Ribbeck,  Gesch.  d.  röm.  Dicht. 


III  176  flF. 

')  Ghares,  der  über  die  Geschichten  der 
Argonautika  schrieb,  war  nach  Schol.  zn  11 
1052  ein  Schüler  des  Apollonios. 

*)  üeber  die  Nachahmung  älterer  Dichtex, 
wie  z.  B.  des  Eleon  (I  623),  Promathidas 
(II  911),  Antimachos  (IV  156|  geben  die 
Schollen  manche  belehrende  Winke;  vergL 
Stbndbb,  De  Argonautamm  ezpeditione,  Kiel 
1874. 

^)  Wie  wenn  er  IV  903  ff.  die  Lockun|;en 
der  Sirenen  durch  das  Saitenspiel  des  Orpheos 
vereitelt  werden  lässt,  oder  im  Sprachschats 
aus  Hipponax  (II  127)  und  den  Lokaldia- 
lekten (11  1172)  neue  Wörter  heranzieht 


A.  Alexandrinüichea  Zeitalter.    2.  Die  Poesie. 


870—371.) 


535 


Schrift  naQttxeitai  rd  axoXMt  ix  tdiv  AovxlXXov  Taggalov  xal  SotpoxXiovg  (um  100  n.  Chr.) 
tai  Sitoyog  (ältere  Kommentatoren  waren  Chares,  Schüler  des  Apollonios,  nnd  Asklepiades) 
sind  nach  neuer  Kollation  von  Keil  im  2.  Bande  der  Merkeischen  Ausgabe  herausgegeben. 
VoUstftndiger  lag  der  Auszug  den  Urhebern  des  Et.  M.  vor,  worüber  Merkel  Prol.  p.  LXYII; 
die  Anteile  der  Kommentatoren  an  den  Scheuen  ausgeschieden  von  Betbe,  Quaest.  Diodor. 
mythogr.  92  f.  —  Ausgaben:  rec.  annot.  schol.  add.  Wellauer,  Lips.  1828,  2  Bde;  emend. 
appar.  crit  et  proleg.  adiec.  R.  Merkel,  Lips.  1854,  Hauptausgabe.  —  Michaelis,  De  Apollonii 
Rhodii  fra^^entb,  Halle  1875;  dazu  Maass,  Philol.  Unters.  XU  357  über  das  Gedicht 
Kdyttßog. 

370.  Rhianos^)  aus  Kreta,  der  aus  einem  Turnplatzwäehter  und 
Sklaven  ein  Grammatiker  und  Dichter  wurde,  blühte  in  der  2.  Hälfte  des 
3.  Jahrhunderts.  Wenn  er  hei  Suidas  ein  Zeitgenosse  des  Eratosthenes 
heisst,  so  scheint  das  darauf  hinzuweisen,  dass  er  eine  Zeitlang  in  Ale- 
landria  lebte  und  mit  Eratosthenes  in  Verbindung  stand.  Aus  seinen 
grammatischen  Studien  ist  die  Diorthose  der  Ilias  und  Odyssee  hervor- 
gegangen, über  die  uns  noch  ziemlich  zahlreiche  Zeugnisse  in  den  Homer- 
scholien  vorliegen.  Seine  Gedichte  gehörten,  von  den  Epigrammen  ab- 
gesehen, dem  gelehrten  Kunstepos  an.  Ausser  einer  Herakleia,  in  der  die 
Geschicke  des  Halbgottes  von  seiner  Geburt  bis  zu  seiner  Aufnahme  in  den 
Olymp  erzählt  waren,  dichtete  er  &€<raaXixa,  ^Axctixd^  'Hhaxd^  Msaarjviaxd. 
Am  berühmtesten  war  das  letzte  Gedicht,  in  welchem  er  den  2.  messenischen 
Krieg  erzählte;^)  glücklich  ahmte  er  in  demselben  den  Homer  nicht  bloss 
in  der  Diktion,  sondern  auch  in  einzelnen  Scenen  und  in  der  Komposition 
des  Ganzen  nach.  Pausanias,  der  in  der  Beschreibung  Messeniens  wesent- 
lich dem  Rhianos  folgt,  sagt  IV  6,  3  von  dem  Haupthelden  jenes  Krieges, 
Aristomenes,  dass  derselbe  bei  Rhianos  keine  geringere  Rolle  als  Achill 
in  der  Dias  des  Homer  gespielt  habe.  Erhalten  ist  uns  durch  Stobäus 
Flor.  rV  34  ein  grösseres  Fragment,  man  weiss  nicht  aus  welchem  Ge- 
dicht, das  in  einfacher  Diktion  und  in  untadeligen  Versen  die  Verkehrt- 
heiten der  Menschen  beklagt.  Die  Epigramme  bewegen  sich  in  gewöhn- 
lichen Geleisen  und  sind  meistens  erotischer  Natur. 

371.  Euphorien  (geb.  275)3)  war  in  Chalkis  auf  Euböa  geboren; 
aber  Athen  galt  ihm  als  zweite  Heimat;  nach  Antiochia  wurde  er  im  spä- 
teren Lebensalter  von  Antiochos  d.  Gr.  berufen  und  zum  Vorstand  der 
dortigen  Bibliothek  gemacht.  Von  Natur  war  er  hässlich,  von  gelber 
Farbe,  dünnen  Beinen,  dickem  Leib,  in  der  Liebe  unmässig  und  cynisch; 
sein  grosses  Vermögen  erwarb  er  sich  durch  die  einer  reichen  Frau  er- 
wiesene Gunst.^)  In  der  Poesie  war  er  gleich  fruchtbar  als  Epiker  und  als 
Hegiker.  Seine  epischen  Gedichte  waren  ^HaioSog^  Moxponia^  XiXiddsg  in  5  B. 
zu  je  1000  Versen.**)  Von  dem  ersten  ist  uns  nichts  Näheres  überliefert, 
die  beiden  andern  waren  von  sehr  mannigfachem  Inhalt,  so  dass  die  ein- 
zelnen Abschnitte  besondere  Titel  hatten.     Die  Moiponia  enthielt  in  loser 


')  Dürftiger  Artikel  des  Saidaa;  Meikkkb, 
Bliiamu  Gretensis,  in  An.  AI.  171  ff.;  Mat- 
HOFP,  De  Rhioni  Cretensis  stadiis  Homericis, 
Progr.  Dresden  1870. 

*}  Von  Athen.  599^  wird  noch  ein  zweiter 
Verfasser  von  htti  Meactjyiaxfi  erwähnt,  der 
Alexandriner  Aischylos,  der  aach  eine 
Tragödie  'AfitpixQvav  gedichtet  hatte;  vergl. 
KcoLHABii,    Quaestiones  Messeniacae,  Bonn 


1866. 

>)  Artikel  des  Suidas;  Meinbkb.  De 
Euphorionis  Ghalcidensis  vita  et  scriptis,  in 
Anal.  Alex.  3  ff.,  wo  auch  die  Fragmente  ge- 
sammelt sind ;  die  prosaischen  Fragmente  bei 
Müller  FGH  III  71—73. 

*)  Ausser  Suidas  hierüber  Plutarch,  De 
tranq.  anim.  p.  472  d. 

^)  Vgl.  BiBT,  Das  antike  Buchw.  p.  291. 


536 


Chriechiache  Litterfttnrgesohiohte.    n.  HachklassiBohe  Litterftiiir. 


Form  bunte  Mythen  aus  der  Geschichte  Attikas  und  war  von  dem  alten 
Namen  der  Landschaft  Moxponta  benannt.  Die  Chiliades  weisen  schon  im 
Titel,  den  im  Mittelalter  wieder  Tzetzes  für  seine  bunte  Mythensammlung 
wählte,  auf  die  Mannigfaltigkeit  des  Inhalts  hin;  das  5.  Buch  handelte 
speziell  von  den  Orakelsprüchen.  ^)  In  den  Elegien  fand  Euphorien  einen 
Verehrer  und  Nachahmer  an  dem  römischen  Elegiker  Cornelius  Gallus, 
der  dieselben  auch  ins  Lateinische  übersetzte.*)  Eine  Satire  nach  Art  der 
Ibis  des  Kallimachos  scheinen  die  ^A^al  ij  notrjQioxXänxrig^  Verwünschungen 
auf  einen  Becherdieb,  gewesen  zu  sein.*)  Wie  Kallimachos  und  Lyko- 
phron,  so  gehörte  auch  Euphorien  zu  den  dunklen  Autoren,  welche  die 
Erklärungskunst  der  Grammatiker  herausforderten;^)  an  Lykophron  hat 
er  sich  insbesondere  in  der  Mythenbehandlung  und  noch  mehr  in  der 
glossenreichen  Art  der  Sprache  angelehnt.^) 

Mit  Euphorien  aus  Chalkis  wurde  frühzeitig  verwechselt  Euphorion 
oder  Euphronios  aus  Chersones^),  der  Dichter  von  Priapeien  war  und 
unter  den  Lehrern  der  Grammatiker  Aristarch  und  Aristophanes  von  Byzanz 
genannt  wird.^)  Ob  die  Prosa  werke  vnoinvrjiiiaTa  laTOQixa^  neQi  /aeXoTtoimv 
und  n€Qi  ""lad^iiiwv  den  Chalkideer  oder  den  Chersoniten  zum  Verfasser 
hatten,  lässt  sich  bei  dem  Schwanken  der  Überlieferung  nicht  mit  Be- 
stimmtheit entscheiden. 

372.  Nikandros  aus  Kolophon,^)  neben  Arat  als  der  bedeutendste 
Lehrdichter  unserer  Periode  von  Cicero  de  or.  I  16  gepriesen,  blühte  im 
2.  Jahrhundert  unter  Attalos  III,^)  den  er  im  Proömium  eines  Gedichtes 
nach  der  genealogischen  Manier  seiner  Zeit  als  Teuthraniden  und  Sprossen 
des  Herakles  anredete.  Wegen  seines  längeren  Aufenthaltes  in  Ätolien 
und  seines  lehrreichen  Spezialwerkes  über  Ätolien  ward  er  von  einigen 
geradezu  für  einen  Ätolier  ausgegeben.  Aber  er  bezeichnet  sich  selbst 
(Ther.  958)  als  Eolophonier  und  bekleidete  ein  in  seiner  Familie  erbliches 
Priesteramt  des  Apoll  im  benachbarten  Klares,  i®)  Er  heisst  bei  Suidas 
Grammatiker,  Dichter  und  Arzt;  auch  die  Art  seiner  litterarischen  Thätig- 
keit  war  ausserordentlich  mannigfaltig.  In  Prosa  war  die  Sammlung  von 
Glossen  geschrieben,  ebenso  die  'Idaewv  avvayfoyrjy  vielleicht  auch  die 
AiTcaXixd,^^)  Orjßa'ixd^  KoXoffwviaad  und  das  Buch  neql  XQyfltr^Qiwv  nartoiwr. 


')  Vgl.  Ed.  Thbämkb,  Herrn.  25  (1890) 
55flf. 

')  üeber  die  Benutzung  durch  Ovid  s. 
RoHDB,  Griech.  Roman  128. 

*)  G.  ScHULTZB,  Euphorionea,  Strassb. 
Dias.  1888,  Ifisst  die  'Agai  einen  Teil  der  Chi- 
liades bilden. 

*)  Darüber  Clemens  Alex,  ström.  Y  244. 

')  Vgl.  Enaaok,  Euphorionea,  Jhrb.  f. 
Phü.  137  (1888)  145  ff. 

*)  Ev(poQt(oy  6  XeQG.  bei  Hephaest.  c.  16, 
Ev(p^6yioq  bei  Strab.  p.  882  u.  Choiroboskos 
im  Kommentar  zu  Hephftstion  p.  78,  5  ed. 
Hörsch.    Vgl.  Meinbkb,  An.  AI.  841  ff. 

')  Schol.  Heph.  p.  185  W.  =  p.  188 
Hörsch.,  wonach  der  Artikel  des  Suidas  über 
*^^(FTo<pdfff]s  zu  korrigieren  ist. 


")  Ein  Artikel  des  Suidas;  ein  Abiiss 
negl  yivovq  Nixa'y^Qov  vor  den  Schollen.  — 
VoLKXANN,  De  Nicandri  Colophonü  vita  et 
scriptis,  Halis  1852,  und  Philol.  XV  (I86C), 
304  ff. ;  0.  Schneidbb  in  Proleg.  der  Ausg.  — 
Plabhk,  De  Nicandro  alüsque  poetis  graecis 
ab  Oyidio  in  Metamorphosibus  conscribendis 
adhibitis,  Halle  1882. 

*)  Attalos  lll  nennt  ausdrQcklich  die 
Vita,  wonach 0.  Schnei dbb  bei  Suidas  schreibt: 
xatä  xov  yiov  ^JtraXoy  rjyovy  x6y  reXevtaioy 
<or>  Toy  raXaioyixtjy.  Die  SvnchronisteD 
setzten  ihn  ungenau  gleichzeitig  mit  Arat 
und  Theokrit,  oder  unter  Ptolemaeus  V,  wes- 
halb Volkmann  f&r  Attalos  1  eintritt 

10)  Vgl.  Bübbsoh,  Elaros  84  ff. 

11)  In  Prosa  Iftsst  0.  Schneider  die  Aeto- 


A.  AlexandriniBohes  Zeitalter.    2.  Di«  Poesie. 


372-373.) 


537 


Aber  sein  Hauptansehen  verdankte  er  seinen  mythologischen  und  didak- 
tischen Epen.  Sein  bedeutendstes  Werk  waren  die  ^En^Qoiovfifva  in  5  B., 
die  verwandter  Natur  mit  den  KctraaxeQiafxoC  des  Eratosthenes  waren  und 
von  Verwandlungen  in  Tiere  und  Pflanzen  erzählten.  Es  waren  aber  diese 
Verwandlungsmythen  hervorgegangen  aus  dem  poetischen  Natursinn  der 
Griechen,  denen,  wie  Schiller  in  den  Göttern  Griechenlands  so  einzig  schön 
ausgeführt  hat,  alles  in  der  Natur  eines  Gottes  Spur  zu  tragen  schien. 
Viele  jener  Vorstellungen  hatten  seit  Hesiod  durch  Epiker  und  Dramatiker 
poetische  Gestaltung  erhalten,  i)  Nikander  band  sie  in  der  alexandrinischen 
Zeit  zu  duftigen  Sträussen  in  5  Bücher  zusammen.  Ovid  benutzte  die- 
selben mit  genialer  Kunst  in  seinen  Metamorphosen ;  in  einen  prosaischen 
Auszug  sind  sie  von  Antonius  Liberalis  gebracht  worden.  —  Von  den  eigent- 
lichen Lehrgedichten  sind  uns  ganz  verloren  gegangen  die  rewQyixd  mit 
den  dazu  gehörigen  MehtfaovQytxd,  auf  die  Cicero  de  orat.  I  16  anspielt, 
und  die  Vergil  nach  Quintilian  X  1,  56  nachgeahmt  hat.*)  Erhalten  sind 
uns  ausser  einigen  Epigrammen  die  &rjQiaxa  in  958  Hexametern,  worin 
Mittel  gegen  den  Biss  giftiger  Tiere,  und  die  'AXs^Kfdqfxaxa  in  630  Versen, 
worin  solche  gegen  Vergiftung  durch  Speisen  aufgeführt  sind.  In  der 
Sache  folgte  unser  Dichter  dem  Arzte  ApoUodor,  einem  Schüler  Deraokrits, 
in  der  Form  verstand  er  es  nicht  den  trocknen  Stoff  durch  poetische  Di- 
gressionen  und  ansprechende  Bilder  zu  beleben.  Es  gehörte  die  ganze 
Vorliebe  der  Alten  für  das  Lehrgedicht  dazu,  um  einem  so  prosaischen 
Stoff  Versifikatoren  und  deren  Versen  Leser  zuzuführen.  Gleichwohl  stand 
Nikander  hoch  in  Ehren  und  übte  auf  die  lateinischen  Dichter,  wie  Macer, 
Vergil,  Ovid,  grossen  Einfluss;  aber  dieselben  waren  nicht  blosse  Über- 
setzer, sie  haben  vielmehr  an  Anmut  und  Gefälligkeit  der  Darstellung  ihr 
griechisches  Vorbild  weit  übertroffen. 

HanptauBgabe  mit  kritischem  Apparat,  Scholien  und  erschöpfenden  Prolegomenen  von 
0.  Schneider,  Nicandrea,  Lips.  1856  (die  Scholien  bearbeitet;  von  H.  Keil);  massgebend,  aber 
lückenhaft  ist  ein  cod.  Paris,  s.  X.  Aeltere  wertvolle  Ausg.  von  J.  G.  Schneideb,  Hai.  1792, 
Lips.  1816. 

Scholia  vetera  in  Nicandri  Alexipharmaca  e  cod.  Gotting.  rec.  Abel,  Budapest  1891; 
besser  von  G.  Wbntzel  in  Abhdl.  d.  Gott.  Ges.  d.  Wiss.  XXXVII  (1892).  Die  Scholien  sind 
aus  den  Kommentaren  des  Diphilos,  Pamphilos,  Theon  und  Plutarch  geflossen.  Aus 
unbestimmter  Zeit  stammt  die  Metaphrase  eines  gewissen  Euteknios. 

373.    Neoptolemos  aus  Parion  in  Bithynien  ist  den  Freunden  des 

Horaz  bekannt  durch  die  Bemerkung  des  Scholiasten  Porphyrie  zur  Ars 

poetica:   congessü  sc,  Horidius  praecepta  Neoptolemi  rov  JlaQiarov  de  arte 

poetica.    Meineke,   De  Neoptolemo  Pariano,  in  Anal.  Alex.  p.  360  hat  die 

Vermutung  aufgestellt,  dass  damit  das  in  Hexametern  geschriebene  Buch 

TTfpi  datsiapidv  gemeint  sei.    Ausserdem  werden  von  Neoptolemos  die  Epen 

Jiovvaidq  und  ^Eqixv^ovidg  angeführt.    Mehr  bekannt  war  der  versifizierende 


lika  geschrieben  sein;  Bedenken  dagegen 
eiregt  die  durchsichtige  hexametrische  Form 
von  Fragm.  5. 

')  Schon  Eorinna  hatte  Verwandlungen, 
'EtBQoTtt,  gedichtet.  Die  Gleichstellung  des 
Zwillingspaares  mit  dem  Zwillingsgestim 
treffen  wir  schon  zur  Zeit  Lysanders  nach 
Plnt.  Lys.  12. 


*)  Die  grossen  durch  Athenaios  erhal- 
tenen Fragmente  bewegen  sich  so  in  bota- 
nischer Gelehrsamkeit,  dass  sie  zum  ein- 
schmeichelnden Ton  der  Georgika  Vergils 
wenig  stimmen.  Erwähnt  werden  ausserdem 
von  unserem  Autor  '0<piaxd^  OixaU«,  Stjßaüta, 
EvQiuTietaj  lixeXirj. 


538 


Orieohisohe  Idtteratnrgeschiohte.    IL  HaohkUsaieehe  Lüterainr. 


Grammatiker  durch  ein  glossematisches  Werk  in  Prosa,  nach  dem  er  bei 
Strabon  p.  589  den  Beinamen  yliacaoyQa^og  hat.  Seiner  Richtung  nach 
gehörte  derselbe  der  pergamenischen  Schule  an,  wie  denn  auch  seine  Vater- 
stadt gute  Beziehungen  mit  den  Attaliden  unterhielt.  Meineke  a.  0.  stellt 
die  Vermutung  auf,  dass  derselbe  mit  dem  Peripatetiker  Neoptolemos 
identisch  sei  und  gegen  Ende  des  3.  Jahrhunderts  gelebt  habe. 

Andere  Verfasser  didaktischer  Gedichte  waren  Eratosthenes  und 
ApoUodoros,  über  deren  poetische  Werke  unten  im  Zusammenhang  mit 
ihrer  gelehrten  Thätigkeit  gehandelt  werden  soll;  femer  Menekrates, 
dessen  Gedicht  vom  Landbau,  ^Eqya^  Varro  de  re  rust.  I  1  unter  seinen 
Quellen  aufführt;  Numenios  und  Pankrates,  deren  ^Ähevzixd  öfters 
Athenaios  citiert;  Boios,  dessen  ^Ogvid-oyoria  dem  römischen  Dichter 
Aemilius  Macer  zur  Vorlage  diente;  Alexander  aus  Ephesos  mit  dem 
Beinamen  Lychnos  aus  der  Zeit  Giceros,  der  Phainomena  und  ein  geo- 
graphisches Lehrgedicht  schrieb;^)  Pherenikos  aus  Heraklea,  dessen 
mythologische  intj  von  Athen.  78  **  angezogen  werden. 

d)  Dramatische  und  papodische  Poesie. 

374.  In  der  dramatischen  Poesie  ist,  von  der  neuen  attischen  Ko- 
mödie abgesehen,  in  unserer  Periode  wenig  und  nichts  Dauerndes  geleistet 
worden.  Was  zunächst  die  Tragödie  anbelangt,')  so  richtete  Ptolemaios 
Philadelphos  nach  Alexanders  Beispiel  mit  f&rstlicher  Pracht  dramatische 
Wettkämpfe  in  Alexandria  ein,  und  sprachen  die  Hof  litteraten  mit  Bezug 
auf  einen  Ol.  124  =  284/1  v.  Chr.  veranstalteten  Agon  dramatischer  Spiele 
von  einer  zweiten  Blüte  und  einem  neuen  Siebengestim  tragischer  Dichter.^) 
Die  Sterne  dieser  Pleias  waren:  Lykophron  aus  Chalkis,^)  Alexander 
aus  Ätolien,^)  Sosiphanes  aus  Syrakus,  Sositheos  aus  Alexandria Troas,^) 
Dionysiades  aus  Tarsos, ^)  Homeros  aus  Byzanz,^)  Philiskos  aus  Ker- 
kyra.^)  Ihr  Glanz  ist  mit  ihrem  Tode  erblichen;  ihre  Tragödien  sind  bis 
auf  wenige  Titel  und  spärliche  Fragmente  verschollen.     Auch  aus  OL  145 


*)  Strab.  p.  642:  "AXi^av^^og  ^xtag  6 
Avxvoq  ngoaayoQevOsig .  .  .  üvviyQa^sv  Usxo- 
Qiay  xtti  inri  xaieXtney^  iy  olg  ra  xb  ov^ävui 
diazid^erai  xal  rag  iJTteiQovg  yeaygtt^ei  xa^ 
kxäcxfjy  ixdovg  jioitjfia  '  vgl.  Mbinbkb,  Anal. 
Alex.  p.  371  ff. 

»)  Welckbb,  Griech.  Trag.  S.  1238— 1331; 
Bbthb,  Zur  Gesch.  des  Theaters,  c.  XII  das 
hellenistische  Theater. 

')  Theokrit  17,  112:  otJdc  Jitayvaov  rtg 
ayrJQ  Ugovg  xax*  aytSyag  \  ücet'  intorafieyog 
ktyvgay  ayafisX^tti  aot&ay,  \  ^  oi>  diofiyay 
ttyjtt^toy  lanacB  Tf/va^.  Snidas  setzt,  wahr- 
scheinlich nach  dem  Chronographen  ApoUo- 
dor,  und  dieser  nach  der  gelegentlichen 
Notiz  irgend  eines  Historikers  die  Blüte  aller 
Dichter  der  Pleias  auf  Ol.  124. 

«)  Soidas  zählt  von  Lykophron  20  Tra- 
gödientitel auf,  nach  Tzetzes  zn  Lykophron 
schrieb  er  46  oder  56  Stücke.  Fragmente 
hei  Nauck  TGF«  p.  817  f. 

^)  Von  Alexander  Aetolus  wird  in  den 


Schollen  zu  IL  ^86  ein  Drama,  vermutlich 
ein  Satyrspiei  'Aiftgayahirtai  erwähnt. 

')  Suidas:  IwciScog  IvQttxiwa^og  ^'A9if- 
yaiog,  fdaXXoy  &k  'AXe^ay^QCvg  fijg  TQn^Unjg 
'AXe^ayd^siag.  Er  wird  als  Erneuerer  des 
Satyrspiels  von  Dioskorides  Anth.  VU  707 
gepriesen;  von  seinem  Drama  Utyersea,  das 
die  Geschicke  des  Daphnis  behandelte,  ist 
uns  ein  längeres  Bruchstück  erhalten. 

^)  Tarsos  ist  als  Heimat  angegeben  von 
Strabo  p.  675,  das  kilikische  Mallos  von  Soidas. 

")  Seine  Mutter  war  die  Dichterin  Myro; 
Yon  einer  ihm  errichteten  Statue  handelt 
Antii.  11  407;  über  ein  Epos  Ev^vjtrXma 
Welckeb,  Gr.  Trag.  1252. 

')  Nach  ihm  benannt  ist  das  ^Ximcstay 
fiirgoy,  ein  choriambischer  Hexameter.  Als 
Dionysospriester  fungierte  er  bei  dem  grossen 
Aufzug  {TtofAnij)  unter  Ptolemaios  Philadel« 
phos,  nach  Ath.  198  c.;  gemalt  wurde  er  von 
Protogenes  nach  Plinius  n.  h.  35,  106.  fin 
in  Eos  auf  Stein  gefundenes  Epigranun  nennt 


A.  AlexandriniBches  Zeitalter.    2.  Die  Poesie.    (§  374.) 


539 


oder  200  v.  Chr.  erfahren  wir  durch  eine  orchoraenische  Festinschrift  CIG 
1584  von  den  Tragödiendichtern  Sophokles  aus  Athen  ^)  und  Dorotheos 
ausTarent,  sowie  einem  Dichter  von  Satyrdramen  Ameinias;^)  aber  ihre 
Werke  teilten  das  gleiche  Los,  rasch  vergessen  und  in  den  Wind  zer- 
stoben zu  werden.^)  Daneben  brachte  man  die  erprobten  Stücke  der  alten 
Meister  wieder  und  wieder  auf  die  Bühne.*)  In  den  Scholien  des  Euri- 
pides  ist  uns  darüber  manche  Andeutung  erhalten.  So  lesen  wir  zu  Eur. 
Or.  58,  dass,  während  bei  Euripides  einfach  im  Prolog  der  Eintritt  der 
rückkehrenden  Helena  erzählt  wird,  in  Alexandria  die  Heimkehr  mit 
grossem  Pomp  unter  Vorführung  der  Beute  als  stumme  Scene  dargestellt 
wurde.*)  Auch  kam  bereits  in  unserer  Periode  die  Unsitte  auf,  nicht  mehr 
ganze  Tragödien,  sondern  nur  einzelne  Kraftstellen  auf  die  Bülftie  zu 
bringen.  Bei  den  alten  Stücken  so  gut  wie  bei  den  neuen  scheint  der 
Chor  ganz  oder  so  gut  wie  ganz  weggefallen  zu  sein.  Für  ihn  hatte 
schon  die  Form  des  neuen  Theaters,  für  welches  das  in  unserer  Zeit  wieder 
aufgegrabene  Theater  des  Polyklet  in  Epidauros  vorbildlich  war,^)  keinen 
rechten  Platz,  wenn  anders,  wie  Vitruv  5,  7  lehrt,  nicht  auf  dem  Boden 
der  Orchestra  vor  der  säulengeschmückten  Vorder  wand  (nQoaxrnov)  des 
B&hnenhauses,  sondern  auf  der  3 — 4  m  hohen  und  ungefähr  Sf  m  tiefen 
Plattform  {XoyeVov)  zwischen  der  vorderen  (nQoaxt^viov)  und  hinteren  {oxrjvi^) 
Bühnenwand  gespielt  wurde.  7) 


eineii  Dichter  Phüiakos,  den  Rbitzbhbtbin 
Epigr.  219  ff.  mit  unBerem  Tragiker  idenii- 
fizicrt. 

*)  Soidas:  £o<poxX^g  'Adtivmoq  rgayixos 
tat  Xv^ixof,  dnoyoyoi  rov  TiaXaiov  '  yiyove 
ik  xaid  xi^y  IJXeiada. 

')  AoBserdem  dichteten  noch  Tragödien 
Äiintides  and  Euphronios,  die  von 
indem  nach  Schol.  Heph.  c.  9  statt  Diony- 
aades  nnd  Sosiphanes  zur  Pleias  gerechnet 
▼nrden, femer  Kleainetos,  Zeitgenosse  des 
Alexis,  Aischylos  aus  Alexandria,  Klei- 
sthenes,  erwfthntin  einer  teischen  Inschrift 
CI6  3105,  Euphantos  aus  Olynth  (Diog. 
Ij  110),  Ptolemaios  Philopator,  der 
einen  Adonis  dichtete;  s.  Döbpfbld-Reisch, 
Griech.  Theat.  261. 

')  Die  Fortdauer  dramatischer  Spiele 
In  in  die  römische  Zeit  bezeugen  die  neu- 
•nfgefundenen  delphischen  Inschriften  Über 
die  Agone  an  den  Soterien;  s.  Wbscheb  u. 
FoüCABT,  Insciptions  de  Delphes  N.  5  und  6. 
Andere  inschriftliche  Zeugnisse  CIA  II  1289, 
CIG  3089—3091,  Ath.  Mit.  1894  p.  96  aus 
Magnesia.  Vgl.  Brinck,  Inscr.  gr.  ad  cho- 
Rgiam  pertinentes,  Halle  1888;  Capps,  The 
dionis  in  ihe  later  greek  drama,  Am.  Joum. 
of.  areh.  X  302  f.  817,  Josephos  Ant.  14,  8. 

^)  Eine  Inschrift  von  Rhodus,  besprochen 
▼on  Kaibel  Herrn.  23,  269,  berichtet  aus  der 
Zeit  nach  Alexander  die  Aufführung  einer  so- 
pbokleischen  Tetralogie;  eine  andere,  publi- 
Bot  in  Gorr.  hell.  XIY  (1890)  396  bezeugt  die 
Aofffthnmg  von  Komödien  nnd  Tragödien  fUr 


die  Insel  Dolos. 

^)  Durch  die  Veränderungen  in  der  Art 
der  Aufführung  kamen  auch  Interpolationen 
in  den  Text  der  alten  Dramen,  wie  Eur. 
Herc.  763. 

*)  Dasselbe  diente  auch  in  Athen  zum 
Vorbild  bei  dem  im  2.  Jhrh.  v.  Chr.  erfolgten 
Umbau  des  alten  Dionysostheaters. 

')  Die  Veränderung  des  Theaters  bestand 
wesentlich  darin,  dass  das  Spielhaus  nach  vom 
einen  steinernen,  statt  hölzernen  Abschluss,  in- 
schriftlich im  Theater  von  Oropos  ngoaxijyioy 
genannt,  erhielt,  und  dass  dieser  vordere  Ab- 
schluss ca.  3  m  vor  der  alten  Scenenwand  (ffxiyvf;) 
lag,  womit  eine  zweckmässige  Verkürzung 
der  vorspringenden  Seiten  wände  (naQaaxtjvia) 
verbunden  war.  Dass  diese  Neuerung  im 
Theaterbau,  die  nur  einen  schmalen,  nicht 
mehr  für  Schauspieler  und  Chor  ausreichen- 
den Spielraum  bot,  mit  der  geänderten  Form 
des  Dramas,  insonderheit  mit  dem  Wegfall 
des  Chors  zusammenhing,  habe  ich  darge&an, 
Das  Theater  des  Polyklet  in  seiner  litterarisch- 
historischen  Stellung,  Stzb.  d.  b.  Ak.  1894, 
S.  1  ff.  Dagegen  suchen  aus  gelegentlichen 
Angaben  Capps,  The  chorus  in  Üie  later  greek 
drama,  Joum.  of  arch.  1895  S.  287  ff.,  und 
Rkisch,  Das  griech.  Theater  258  ff.  nachzu- 
weisen, dass  der  Chor  auch  in  unserer  Pe- 
riode noch  fortbestanden  habe.  Meiner  Auf- 
fassung tritt  im  wesentlichen  bei  Bbthb, 
Prolegomena  zur  Gesch.  d.  Theaters,  1896 
Kap.  XII. 


540 


Oriechisehe  Idtteratiirgesohiehte.    n.  HftehkUssisohe  Liiteraiiir 


375.   Von  Lykophron  hat  sich   ein  Gedicht  Kassandra  oder  Ale- 
xandra in  1474  iambiachen  Triroetem  erhalten.    Ihr  Verfasser  zählte,  wie 
wir  eben  sahen,  zur  alexandrinischen  Pleias  und  war  zugleich  von  Ptole- 
maios  Philadelphoß  mit  der  Ordnung  der  die  Komödien  umfassenden  Ab- 
teilung der  Bibliothek  betraut  worden.^)    Die  Alexandra,  von  der  strittig 
ist,  ob  sie  der  Dichter  noch  während  seines  Aufenthaltes  in  Ghalkis  oder 
erst  in  Alexandrien   um  274  abfasste,')   enthält  in   dunklen  orakelhaften 
Versen  die  Weissagung  der  troianischen  Königstochter  Kassandra  von  dem 
Untergang  der  Stadt  und   den  späteren  Schicksalen  der  troianischen  und 
achivischen  Helden  in  Verbindung  mit  der  Gründung  von  Städten  am  Mittel- 
meer.    Eingeflochten  sind  auch  Verse  (1226—80  und  1446—51),   welche 
sich  auf  die  Niederlassung  des  Aeneas  in  Latium  und  die  Weltstellung  des 
römischen  Reiches  beziehen,  Dinge,  von  denen  man  nicht  glauben  möchte, 
dass  sie  damals  schon  in  Griechenland  bekannt  waren.  ^)  Niebuhr,  Kl.  Schrift.  I 
438  ff.,  vermutete  daher,  dass  das  Gedicht  dem  Lykophron  untergeschoben 
sei  und  thatsächlich  erst  aus  der  Zeit  des  Flaminius,  auf  dessen  beutereichen 
Feldzug  der  Vers  1450  anspielt,^)  stamme.    Einfacher  ist  die  schon  in  den 
Scholien  zu  V.  1226  aufgestellte  Lösung,  wonach  bloss  die  beanstandeten 
Verse  von  einem  jüngeren  Interpolator  herstammen,   wobei  nur   auffSllig 
bleibt,  dass  jene  Verse  weder  im  Golorit  noch  im  Sprachgebrauch  eine  Ab- 
weichung von  den   übrigen  Teilen  des  Gedichtes  erkennen  lassen.^)     Die 
Sprache  der  Dichtung  ist  absichtlich  dunkel,  um  den  Ton  der  Orakel  und 
Weissagungen  zu  treffen ;  sie  erinnert  an  die  Sibyllendichtung,  die  ja  auch 
in  jener  Zeit  entstanden  ist.^)    In  dem  Streben  nach  mythologischem  und 
geographischem  Aufputz  berührt  sich  unser  Dichter  mit  seinem  berühm- 
teren Zeitgenossen  Kallimachos.     Das   mysteriöse   Dunkel    der  Gedanken 
wird  noch  erhöht   durch  die  Menge   fremdartiger  Ausdrücke,   welche    den 
Bombast  äschylischer  Diktion  wiedergeben  sollen,  durch  ihre  Häufung  aber 
vielfach   die  Rede  geradezu  unverständlich   machen.     Schon  Statius  Silv. 
V  3,  157   klagt  über  die  latebrae  Lycophronis,   und  Clemens  Alexandrinus 
ström.  V  p.  244  zählt  den  Lykophron  mit  Euphorien  und  Kallimachos  zu  den 
Autoren,  die  man  ohne  Kommentar  nicht  verstehen  könne.     Nur  der  Vera- 
bau ist  gut  und  mit  der  Satzbildung  passend  in  Einklang  gebracht;   ins- 
besondere macht  sich  eine  entschiedene  Abneigung  gegen  die  Auflösung 
einer  Länge  in  zwei  Kürzen  bemerkbar.^)    Das  abstruse  Gedicht  mit  seiner 


M  Stbeokbr,  De  Lycophrone,  Euphronio 
Eraiosfchene  comicomm  interpretibns,  Greifs- 
walde  Diss.  1884. 

*)  Die  ersiere  Annahme  vertritt  Wila- 
MOWiTZ,  De  Lycophronis  Alexandra,  [nd. 
lect.  Gryph.  18o4,  die  zweite  Holzinoer  in 
Ausgabe  S.  61. 

8)  iMMiscH,  Leipz.  Stnd.  VIII  281  wiU 
dieses  glaublich  machen,  indem  er  sich  auf 
die  Gesandtschaft  bezieht,  mit  der  Ptole- 
maios  den  Römerh  zum  Sieg  bei  Benevent 
gratulierte.  Hauptquelle  für  die  italischen 
Dinge  war  jedenfalls  der  Historiker  Timaios. 

^)  Abenteuerlich  ist  die  Deutung  von 
Wilamowitz  auf  den  Perser  Artabazus. 


')  Dieses  brachte  den  neuesten  Heraus- 
geber HoLziKOER  auf  die  Yermutang,  dass 
das  Gedicht  aus  der  letzten  Lebenszeit  des 
Lykophron  stamme,  und  dass  die  Verse 
1446—51  auf  die  Kampfe  des  Thesproter- 
k5mgs  Pyrrhos  mit  dem  römischen  Feld- 
herm  Fabridus  zu  beziehen  seien.  Aber  da- 
mit ist  die  Angabe  V.  1446  ^£^'  ixrwjv 
yivvav  d.  i.  nach  der  6.  Generation  (nicht 
Jahr)  unvereinbar. 

")  Die  kumäische  Sibylle  in  der  über- 
wölbten Grotte  der  kampaniscben  Ktkste  ist 
erwähnt  V.  1279,   die   erythr&ische  V.  1464. 

^)  Es  findet  sich  in  den  1474  Trimetem 
nur  19mal  eine  Lftnge  in  zwei  Kürzen  saf> 


A.  AlexasdrinisoheB  Zeitalter,    d.  Die  Poesie.    (§§.875—876.)  541 

barocken  Sprache  und  seinen  versteckten  Anspielungen  ist  nicht,  wie  es 
verdiente,  unbeachtet  geblieben,  sondern  hat  schon  im  Altertum  viele  und 
ausführliche  Erläuterungen  gefunden.  In  neuerer  Zeit  noch  hat  ihm  Jos. 
Scaliger  die  Ehre  einer  Übersetzung  erwiesen  (1584)  und  hat  es  Beinhard 
in  der  Prophezeiung  vom  Untergang  Magdeburgs  nachgeahmt. 

Schollen  des  Theon  (unter  Tiberins)  werden  öffcers  von  Stephanos  Byz.  angeführt. 
Erhalten  haben  sich  ältere  Schollen  Im  cod.  Marc.  476  s.  XI;  byzantinische  Paraphrasen 
teilt  ScHEER  in  der  Ausg.  mit.  Ans  dem  Mittelalter  stammt  der  weitschichtige,  die  älteren 
Schollen  verwässernde  Kommentar  von  Tzetzes.  —  Ausgaben:  rec.  Bacbmann,  Llps.  1830; 
rec.  Scueeb,  Berol.  1881  mit  auserlesenem  kritischen  Apparat;  ed.  Kinkel  in  Bibl.  Teubn. 
1880;  Haaptausgabe  von  C.  v.  Holzinobb,  grlech.  u.  deutsch  mit  erklärenden  Anmerkungen, 
Leipz.  1895. 

Ein  ähnliches  Curiosum  ist  die  ^E^ayonyr^^  oder  der  Auszug  der  Juden 
aus  Ägypten,  von  welcher  Tragödie  uns  beträchtliche  Stücke,  269  jam- 
bische Trimeter,  durch  die  Kirchenväter  Clemens  Alex,  ström.  I  p.  149 
und  Eusebius  praep.  ev.  IX  28  erhalten  sind.  Verfasser  derselben  ist  der 
Jude  Ezechiel,  den  deshalb  Clemens  a.  0.  den  Tragödiendichter  der  Juden 
nennt.  Beide  Dichtungen,  des  Lykophron  und  Ezechiel,  haben  durch  ihr 
Ansehen  bewirkt,  dass  man  in  der  römischen  Zeit  unter  Tragödie  nicht 
ein  Trauerspiel  im  alten  Sinne,  sondern  einen  Monolog  in  ernst-erhabener 
Sprache  verstand. 

Ausgabe  der  *El^^yfoyri  zusammen  mit  der  byzantlnlBchen  Tragödie  XqMxog  naaxtoy 
von  DCbusb,  Paris  1847. 

376.  Im  Lustspiel  leistete  unsere  Periode  das  Meiste  und  Beste, 
da  ihr  wesentlich  die  Blüte  der  neuen  attischen  Komödie  angehört.  Über 
diese  haben  wir  bereits  oben  im  Zusammenhang  mit  der  klassischen  Poesie 
Athens  gehandelt;  dort  erwähnten  wir  auch  bereits,  dass  Menander  und 
Philemon  Einladungen  von  den  fürstlichen  Höfen  Kyrenes  und  Alexandrias 
erhielten.  Alexandria  gehörte  geradezu  an  Machon  aus  Sikyon,  der  in 
der  ägyptischen  Hauptstadt  lebte  und  Lehrer  des  Grammatikers  Aristo- 
phanes  Byz.  wurde.*)  Von  den  Komödien,  die  er  dort  auffuhren  liess, 
kennen  wir  zwei  Titel,  "Ayvoia  und  'EmatoXr^.  Ausserdem  schrieb  er  in 
iambischen  Trimetern  X^eTai,  d.  i.  Brauchbare  Dinge,  in  denen  Anekdoten 
aus  der  histoire  scandaleuse  der  Diadochenhöfe  in  gewandter  Sprache  zum 
besten  gegeben  waren.')  Auch  manche  der  oben  genannten  Tragiker  mögen 
zugleich  Komödien  für  Alexandria  geschrieben  haben;  Kallimachos  und 
Timon  werden  ausdrücklich  als  Verfasser  von  Tragödien,  Komödien  und 
Satyrdramen  aufgeführt.  In  den  Komödien  hatte  noch  mehr  wie  in  den 
Tragödien  der  Chor  seine  alte  Bedeutung  verloren,  so  dass  bei  Plautus, 
dem  Nachahmer  der  Griechen,  das  lyrische  Element  ausschliesslich  auf 
eingelegte  Monodien  beschränkt  ist.  An  die  Stelle  der  die  Akte  trennen- 
den Chorgesänge  traten  Musikstücke  ohne  Text  (sfAßohfjia  f-ishi),  auf  die  auch 
noch  bei  Plautus  Pseud.  573  angespielt  ist.  Welche  Stellung  die  inschrift- 
lich erwähnten  x«^^»'^«*  xcofitpioi  (Dörpfeld-Reisch,  Das  griech.  Theat.  263) 
hatten,  bleibt  unklar. 

gelM;  eine   solche  Strenge  kehrt  erst  bei  |  ^)  Ath.  241f  u.  664  a. 

Gregor  dem  Theologen  und  den  gelehrten  |  ^)  Ath.  577  hat  uns  solche  Erzählungen 

Verskflnstlem  des  byzantinischen  Mittel-  von  den  Hetftren  Lealna  und  Lamla  erhalten. 
iHen  wieder. 


542  Grieohiaohe  LitieratnrgeBchiohte.    n.  tfftehklaMisohe  Idtteratar. 

Eine  Besonderheit  Alexandriens  war  das  Automatentheater,  das  die 
berühmtesten  Mechaniker  Ägyptens  einrichteten.  Von  Heron  aus  Ale- 
xandria ist  uns  die  Beschreibung  eines  solchen  Dramas,  die  von  Lyko- 
phron  behandelte  Fabel  des  Nauplios  darstellend,  erhalten.^) 

377.  Der  Mimus,  dem  Einakter  unserer  Theaterlitteratur  vergleich- 
bar, hat  wie  die  Komödie  auch  in  der  Zeit  nach  Alexander  seine  Zug- 
kraft bewahrt  und  grosse  Talente  wachgerufen.  Von  den  Gedichten  des 
Theokrit,  die  den  Mimen  des  Sophron  nachgebildet  waren,  war  bereits 
oben  die  Rede.  Von  dem  hauptsächlichsten  Mimendichter  unserer  Periode 
Herondas  hatte  man  bis  vor  kurzem  nur  dürftige  Reste,  die  auch  durch 
das  Wenige,  was  wir  von  seinem  römischen  Nachahmer  Mattius  wissen, 
nicht  viel  an  Licht  gewannen.  Erst  im  Jahre  1890  brachte  ein  glück- 
licher Fund  in  Ägypten  eine  Papyrushandschrift  des  Herondas  an  das 
Licht  und  bereicherte  so  unsere  Litteratur  mit  einer  der  allerköstlichsten 
Gaben.  Das  Titelblatt  der  Handschrift  und  somit  der  Name  des  Ver- 
fassers fehlt;  dass  aber  Herondas  der  Verfasser  ist,  wurde  gleich  von 
dem  ersten  Herausgeber  Kenyon  daraus  erkannt,  dass  mehrere  der  schon 
früher  bekannten  Verse  des  Herondas  in  den  neuaufgefundenen  Mimen 
vorkommen. 

Herondas  oder  Herodas  *)  war  von  dorischer  Abkunft,  seine  Heimat 
war  vermutlich  die  dorische  Insel  Kos;  er  lebte  in  der  Mitte  des  3.  Jahrb. 
V.  Chr.  unter  der  Regierung  des  Königs  Ptolemaios  Euergetes.  Seine 
dorische  Abstammung  ist  in  der  dorischen  Form  seines  Namens  ausge- 
prägt; in  Kos,  das  zu  Beginn  unserer  Periode  einen  Sammelpunkt  dichteri- 
scher Kräfte  bildete  und  als  Geburtsstätte  des  Ptolemaios  Philadelphos 
in  den  Hofkreisen  Alexandriens  hochangesehen  war,*)  spielen  zwei  seiner 
Mimen,  der  zweite  und  vierte.  Auf  die  Regierung  des  Nachfolgers  der  könig- 
lichen Geschwister  Philadelphos-Arsinoe  ist  1,  30  hingewiesen.  Von  den 
weiteren  Lebensverhältnissen  unseres  Dichters  wissen  wir  nichts.  —  Seine 
Mimen  schrieb  er  nicht  in  rhythmischer  Rede  wie  einst  Sophron,  auch 
nicht  in  Hexametern  wie  Theokrit,  sondern  in  hinkenden  lamben.  Darin 
folgte  er  dem  alten  lambographen  Hipponax,  von  dem  er  zugleich  die 
ionische  Färbung  des  Dialektes  entlehnte.  Er  nahm  sich  aber  in  Vers 
und  Sprache  den  Hipponax  zum  Muster,  wiewohl  ihn  seine  Abstammung 
eher  auf  den  dorischen  Dialekt  hingewiesen  hätte,  weil  sich  seine  Mimen 
wie  die  lamben  des  ionischen  Spottdichters  in  den  Kreisen  des  gewöhn- 
lichen Lebens  bewegten;  vielleicht  war  für  ihn  auch  der  Vorgang  des 
Sotades,  der  gleichfalls  in  ionischem  Dialekte  dichtete,  von  Einfluss. 
Dagegen  lag  eigentlicher  Spott  und  beissende  Verhöhnung  unserem  Mimen- 
dichter ebenso  fern  wie  den  Dichtern  der  neuen  Komödie;  er  wollte  nur 
Scenen  aus  dem  Leben  wahrheitsgetreu  wiedergeben,  und  das  brachte  er 


')  Proü,   Les  th^atres   d'  automates  en  durch  Athen.  86^,   ist  abgeleitet  von  "H^v 

Grdce  au  11*'  siecle  avant  Tere   chr6tienne,   •  und  hat  ihr  Analogen  an  den  vielen  bOotischen 

apr^s  les  jIvtofiaToTtotTxei  d'  H^ron  d'  Ale-  i  Namen  auf  toydas.  Daneben  findet  sich  öfters 

xandre,   Paris  1881  in  Mömoires  pr^sent^es  ;  die    yerstttmmelte    Form    'Bgw&a^,    gemein- 

ä  l'acad.  t.  IX.  ,  griechisch  'H^dijg. 

*)  Die  Namensform  Hgaiyöac,  gesichert  |  ')  Gallim.  hymn.  IV  160  flf. 


A.  AlezandriniBoheB  Zeitalter,    d.  Die  Poesie.    (g§  377-379.) 


543 


mit  einer  Meisterschaft  fertig,  dass  alle  Welt  erstaunt  wbt,  aus  der  Zeit 
gelehrter  Pedanterie  und  konventioneller  Unnatur  eine  so  köstliche  Frucht 
urwüchsigen  Realismus  zu  erhalten.  Fesselnd  und  von  naturalistischer 
Wahrheit  sind  seine  nach  dem  Le'ben  gezeichneten  Bilder,  mag  er  uns 
nun  die  verführerischen  Reden  einer  Kupplerin  (mim.  1)  oder  das  polternde 
Auftreten  eines  Hurenwirtes  vor  Gericht  (mim.  2),  die  Bestrafung  eines 
bösen  Rangen  in  der  Schulstube  (mim.  3)  oder  den  Besuch  von  Damen 
der  demi  monde  in  einem  Schuhmacherladen  vorführen.  Im  ganzen 
sind  durch  den  neuen  Fund  7  ziemlich  vollständige  Mimen  bekannt  ge- 
worden, überdies  von  2  weiteren  Mimen  grössere  Bruchstücke.  Sie  haben 
alle,  abgesehen  von  ihrem  poetischen  Wert,  grosse  Bedeutung  für  das  Ver- 
ständnis der  Kulturverhältnisse  jener  Zeit,  insbesondere  die  nackte  Sinn- 
lichkeit und  die  imnatürlichen  Verirrungen  des  Geschlechtslebens.  Der 
4.  Mimus,  der  uns  zwei  Frauen,  welche  dem  Asklepios  ein  Opfer  bringen, 
vorführt,  hat  ausserdem  ein  hohes  archäologisches  Interesse,  indem  der 
Dichter  die  Frauen  bei  jener  Gelegenheit  die  herrlichen  Schätze  des 
Tempels  an  Kunstwerken  der  Plastik  und  Malerei  betrachten  lässt. 

Ed.  princ.  von  Ebnton,  Classical  iexts  from  Papyri  in  the  British  moseum  including 
the  newly  discovered  poemB  of  Herodas,  London  1891.  —  Text  verbessert  von  Rutberforo, 
London  1891,  von  Hbrwbrden  in  Mnemosyne  N.  S.  XX  41  fif.,  von  ßöcHELER,  Bonn  1892. 
—  Text  in  Bibl.  Teubn.  von  Crusius,  dazu  Untersnchongen  zu  den  Mimiamben  des  Herodas, 
Leipz.  1892. 

378.  Des  Mäd#hens  Klage.  Dem  Mimus  verwandt  ist  ein  Frag- 
ment, das  in  jüngster  Zeit  der  Engländer  Grenfell,  An  Alexandrian  erotic 
fragment  and  other  Greek  papyrus,  Oxford  1896,  aus  einem  Papyrus  an 
das  Tageslicht  gezogen  hat.  Es  ist  eine  Arie  im  Stil  und  im  Yersmass 
der  euripideischen  Tragödie,  die  uns  einen  ganz  neuen  Einblick  in  die 
metrische  und  musikalische  Kunst  der  frühalexandrinischen  Epoche  thun 
lässt.  Das  nicht  ganz  vollständig  erhaltene  Stück  enthält  in  wechselnden 
Rhythmen,  meist  aufregenden  Dochmien,  die  leidenschaftliche  Klage  eines 
verlassenen  Mädchens,  das  aber,  auch  verlassen,  von  ihrem  treulosen  Oe- 
liebten  nicht  lässt.  Wahrscheinlich  dürfen  wir  in  dem  Fragment  ein  Bei- 
spiel der  in  der  Alexandrinerzeit  so  beliebten  Magodia  oder  Simodia  er- 
blicken, deren  päonische  Rhythmen  bei  den  Römern  einen  Widerhall  in 
den  Cantica  des  Plautus  gelinden  haben.  ^)  Crusius,  der  im  Philologus 
LV  353—384  das  Fragment  neu  bearbeitet  hat,  nimmt  geradezu  den 
Hilaroden  Simos  von  Magnesia,  von  dem  diese  Dichtgattung  den  Namen 
ctfiMdi'a  erhalten  hatte,  ^)  als  Verfasser  des  Fragmentes  an. 

3'J9.  In  Unteritalien  kam  in  unserer  Periode  die  aus  dem  Mimus 
hervorgegangene  Poesie  der  Phlyaken  oder  Spassmacher  zur  besonderen 
Bifite.')    Namentlich  war  es  das  üppige  Tarent,^)  wo  man  sich  im  Theater 


')  Dieser  Gedanke  ist  ausgeführt  von 
WiLAMowiTZ  in  den  trefflichen  Erlänteningen 
des  neuen  Fondes,  des  Mftdchens  Klage,  eine 
aiezandriniBche  Arie,  Nachr.  der  Gdtt.  Ges. 
1896  Heft  8.  Vgl.  Fb.  Lko,  Die  plautinischen 
Ctntica  und  die  hellenistische  Lyrik,  Abhdl. 
i  Gm.  Ges.  1897. 

^)  Vgl.  Strab.  648.    Hingegen  wül  Die- 


TBRicH,  Pulcinella  S.  80  das  Wort  von  Jko- 
vvaog  yivaiog  ableiten. 

»)  0.  Jahn,  Proleg.  in  Persium  p.  84  sqq.; 
Bernhardt,  Gr.  Litt.  II  2,  535  ff.;  Sommbr- 
BBODT,  De  phlyacographia  Graecorom,  Vratisl. 
1875. 

^)  Strabon  p.  280  sagt,  dass  es  in  Tarent 
mehr  Feier-  als  Werktage  gab. 


544 


Orieohisohe  Lüterftturgesohichte.    II.  Nachklauisehe  Litteratnr. 


an  derartigen  Spielen  teils  ernsteren,  teils  ausgelassenen  Inhaltes  erfreute.^) 
In  die  Litteratur  eingetreten  ist  dieser  Gattung  des  volkstümlichen  Spieles 
durch  Rhinthon  aus  Tarent,')  den  Begründer  der  Hilarotragodia.')  Er 
war  von  niederer  Herkunft,  Sohn  eines  Töpfers/)  und  blühte  zur  Zeit  des 
ersten  Ptolemaios.  Dramen  von  heiterernster  Natur,  meistens  Travestien 
des  Euripides,  hinterliess  er  48;  als  Titel  werden  genannt  Ufig4TQvm\, 
'HQaxXr^g^  'Iifiyb%'€ia^  ^OqtCTrfi^  Tf^ltifog,  Die  Heroen-  und  Göttermythen 
waren  also  auch  hier  die  unerschöpfliche  Fundgrube  des  dramatischen 
Spieles,  Von  der  Weise,  wie  die  unteritalischen  Dichter  denselben  be- 
handelten, kann  uns  der  Amphitruo  des  Plautus  eine  Vorstellung  geben, 
wenn  derselbe  auch  nicht  einem  Stücke  des  Rhinthon  nachgebildet  ist.^) 
Nach  einer  durch  Lydus  uns  erhaltenen  Notiz  hat  Rhinthon  auch  eines 
seiner  Stücke  in  Hexametern  geschrieben.^)  Ausser  Rhinthon  werden  als 
Phlyakendichter  genannt  Blaisos  aus  Kampanien,  Skiras  und  Sopater. 
VOlckbr,  Rhinthonis  fragmenta»  Hall.  Dias.  1887 ;  dazu  die  Besprechung  von  Gbusiüs 
Woch.  f.  kl.  Phil.  1889  n.  11.  —  Den  Inhalt  der  Phlyakenspiele  lernen  wir  zomeist  aas 
unteritalischen  VasejibUdem  kennen,  die  zusammenstellt  Wiesblbb,  Theatergebäude  und 
Denkmäler  des  Bahnenwesens,  Gott.  1851  tab.  IX;  Hbydbmanv,  Die  Phlyakendarstellungen 
auf  bemalten  Vasen,  Arch.  Jahrb.  I  261  —313;  Dörpfeld-Rbiscb,  Griech.  Theat.  p.  311  ff. 

380.  Zu  den  verschiedenen  Arten  des  dramatischen  Spieles  kamen 
noch  zahlreiche  Aufführungen  mehr  musikalischer  Natur  von  Ejtharoden 
und  Auloden,  welche  bei  keiner  Festversammlung  fehlten  und  zum  grössten 
Teil  beliebte  Musikstücke,  Dithyramben  und  Nomen^  der  älteren  Zeit  von 
neuem  zu  Gehör  brachten.  Zur  Entfaltung  des  Glanzes  dienten  zumeist 
die  religiösen  Aufzüge  (rtofiTiaf),  welche  zu  Ehren  der  Götter,  mehr  aber 
noch  zur  Schaustellung  des  Luxus  an  den  Höfen  und  Eultorten  aufgeführt 
wurden.  Von  einem  besonders  grossartigen  Aufzug  der  Art,  der  in  Ale- 
xandria unter  Ptolemaios  Philadelphos  stattfand,  hat  uns  Athenaios  V  25 
bis  35  eine  anschauliche  Beschreibung  geliefert.')  Auf  solche  Weise  nahmen 
im  dritten  Jahrhundert,  wiewohl  es  an  schöpferischen  Leistungen  im  Drama 
und  den  verwandten  Künsten  sehr  fehlte,  doch  die  Feste  mit  dramatischen 
und  musikalischen  Aufführungen  eine  ausserordentliche  Ausdehnung.^)  Das 
führte  zur  Umgestaltung  der  alten  gymnischen  Spiele  in  musische  und  zur 
Einführung  neuer  Festspiele,  wie  der  Olympien  im  pierischen  Dion,  der 
Soterien  in  Delphi,  der  Charitesien  in  Orchomenos,  der  Lysimachien  in 
Aphrodisias,  sowie  zur  Erbauung  von  Theatern  und  Odeen  aller  Orte 
Griechenlands  und  der  Diadochenreiche.  Das  hatte  auch  die  Begründung 
von  Genossenschaften  dionysischer  Künste  {avvodot  rdv  neQi  Jiorvaor)  zur 


^)  Vgl.  Aristoxenos  ans  Tarent,  bei  Ath. 
621c. 

')  In  dem  Epigramm  der  Nossis  Anth. 
YII  414  heisst  er  Syrakusaner,  so  dass  er 
wahrscheinlich  in  der  einen  Stadt  geboren 
ist,  in  der  anderen  gelebt  hat. 

')  Suidas:  *Piv^(av  Ta^ayjTvog  xaifUrXogj 
aQXVy^^  tkaQOXQttyi^&iag. 

*)  Die  Töpferei  war,  wie  die  nenen  Ans- 
grabnngen  zeigen,  ein  Hanptge werbe  von 
Tarent. 

B)  Siehe  §  217.  Lydus  de  magistr.  1 40 
erwähnt  unter  den   Formen  der  römischen 


Komödie  auch  die  xtofnodia  ^Pi9'9afyutij,  die 
er  mit  ij  iitarixij  (ob  ^l^iftxiy?)  erklärt 

^)  Lydus  de  mag.  I  41:  Uafidtgas 
eyga^e  TiQüitog  xtofjK^diay.  Die  Fragmente 
weisen  iambische  Trimeter  auf,  aber  an  dem 
Zeugnis  des  Lydus  muss  etwas  Wahres  sein, 
da  er  im  weiteren  Verlauf  die  Satiren  des 
Lucilius  auf  die  metrische  Form  des  Rhin- 
thon zurQckfQhrt. 

^)  Kamp,  De  Ptolemaii  Philadelphi  pompa 
bacchica,  Bonn  1864. 

^)  Rbisch,  De  musicis  Graecorum  cer- 
taminibus,  Wien  1886,  S.  105  f. 


A.  AlezAndrinischea  Zeitalter.    2.  Die  Poesie. 


I  380-881.) 


545 


Folge,^)  in  denen  Schauspieler,  Rhapsoden,  Musiker  zur  Förderung  ihrer 
Interessen  und  zur  leichteren  Inscenierung  von  Dramen  und  Festspielen 
sich  vereinten. 

881.  Ein  Seitenstück  zur  Komödie  bildete  in  unserem  Zeitalter  die 
von  nicht  geringen  Talenten  gepflegte  parodische  und  skeptische 
Poesie,')  zu  der  auch  die  ionischen  Sotadeen  und  die  launigen  Schilderungen 
von  Gastereien  gehörten.  Die  Parodie  hatte  bei  den  Griechen  in  der 
klassischen  Zeit  an  den  Dichter  xav'  i^oxrjv,  an  Homer,  angeknüpft  und 
von  diesem  auch  die  Form  des  Hexameters  entlehnt.  Auf  den  Margites 
und  die  Batrachomyomachia  folgte  dann  in  der  Zeit  des  peloponnesischen 
Krieges  der  Hauptvertreter  der  Parodie,  Hegemon  aus  Thasos,  von  dem 
bereits  oben  die  Rede  war.  In  unserer  Periode  war  die  um  sich  greifende 
Skepsis  und  der  die  Satire  herausfordernde  Hang  zum  Luxus  dieser  Gat- 
tung von  Spottpoesie  besonders  günstig.  Sie  behielt  zwar  auch  jetzt  noch 
die  alte  Form  des  Hexameters  bei,  nahm  aber  auch  neue  Yersformen 
hinzu. 

Sotades  aus  Maronea  oder  Kreta')  ist  der  Hauptrepräsentant 
der  lasciven  Spottpoesie  in  ionischen  Versen  {xivaidoXoyog).  Seine  Zeit 
bestimmt  sich  aus  seinem  Zerwürfnis  mit  dem  König  Ptolemaios  Phiia- 
delphos.  Athenaios  p.  620  erzählt  darüber,  Sotades  habe  in  Alexandria 
bei  Ptolemaios  über  den  König  Lysimachos,  in  Antiochia  bei  Lysimachos 
ober  Ptolemaios  seine  schlechten  Witze  gemacht,  habe  aber  besonders 
den  Ptolemaios  durch  den  beissenden  Vers  über  seine  Schwestergattin 
Arsinoe 

stg  ovx  oatrjv  tQVfiaXfrjv  to  xävxQov  (od^sTq 
gereizt.  Darauf  sei  er  von  Patroklos,  einem  Befehlshaber  des  Königs,  auf 
der  Insel  Kaunos  gepackt  und  in  einem  bleiernen  Fass  ins  Meer  gesenkt 
worden.  —  Die  Kinädenpoesie  knüpfte  zunächst  an  die  Trinklieder  des 
loniers  Pythermos*)  und  die  unzüchtigen  Tänze  der  alten  lonier  (motus 
ionici)  an.  Solche  Tänze  führten  gewiss  damals  schon,  wie  später  zu 
Petrons  Zeiten,^)  gemeine,  unflätige  Possenreisser  [xivaidoi)  auf  öffentlichen 
Plätzen  oder  bei  Weingelagen  zur  Belustigung  des  Volkes  und  der  Zech- 
genossen auf.  Dazu  dichteten  nun  die  Poeten  Alexandriens,  da  zu  allen 
Zeiten  bei  den  Griechen  Tanz  mit  Gesang  beliebter  als  blosser  Tanz  war, 
entsprechende  Texte  im  künstlich  nachgeahmten  ionischen  Dialekt,  aber 
im  Ton  und  Ideenkreis  der  gemeinen  Gegenwart.  Sotades  war  nicht  der 
erste,  der  diese  Gattung  pflegte;  schon  vor  ihm   hatten  Pyres  aus  Milet 


*)  FoucABT,  De  collegiis  scenicomm  ar- 
Üficmn  apad  Graecos,  Paris  1873;  Luedebs, 
Die  dionyrisclien  KflnsÜer,  Berlin  1873;  H. 
Saitfpb,  De  coUegio  artaficnm  scaenicomm 
Ind.  Gott  1876;  A.  MOlleb,  Griech.  Bühnen- 
^t  392  ff.  Diese  rf/wrcrt  oder  Jtovvco- 
toXtat^  sind  schon  erwfthnt  von  Arist.  Rhet. 
m  2  imd  Demosthenes  19,  192. 

*)  Wblahd,  De  praecipois  parodiarum 
Homeri  scriptoribns,  Gott.  1833. 

')  Suidas:  Ztotädijs  Kgys  ij  Ma^taylrrjg, 


Vgl.  Ath.  620,  der  aus  den  Biographen  des 
Dichters,  Karysiios  und  Apollonios,  Sohn 
des  Sotades,  schöpfte. 

^)  Ueher  Pyihermos  als  Dichter  von 
Skolien  und  Erfinder  der  den  Sitten  der 
lonier  angepassten  ionischen  Musik  aus  der 
Zeit  des  lambographen  Hipponax  siehe  Ath. 
625  c. 

»)  Petron  c.  23;  vgl.  Horaz  Od.  IIT  6,  21 
und  meine  Metrik'  S.  488  ff. 


Haadbacb  der  klaaa.  AlterttmwwiaseDSchaft.    YII.    3.  Aufl. 


35 


546 


Griechiaohe  Litteratnrgesohiolite.    II.  VaohklaMiflohe  Litteratnr. 


und  Alexes  (oder  Alexias)  solche  ionische  Lieder  gedichtet;^)  aber  er  galt 
als  Hauptvertreter  der  Gattung,  und  nach  ihm  ist  das  herrschende  Metrum 
dieser  Gesänge  Sotadeum  metrum  genannt.  Als  Titel  einzelner  seiner  Ge- 
dichte werden  genannt  elg  "Äidov  xatdßaaig,  UQirjTiog,  elg  BsleiXTtxip^  (Ge- 
liebte des  Königs  Ptolemaios),  'Afia^oiv.  Die  Fragmente  sind  gesammelt 
und  hergestellt  von  G.  Hermann,  Elem.  doctr.  metr.  p.  445  flf.  Sind  die- 
selben auch  nur  losgerissene  Trümmer,  so  zeigen  sie  doch,  dass  Sotades, 
weit  entfernt  nur  schlechte  Witze  zu  reissen,  auch  eine  Fülle  hübscher 
Sentenzen  in  seine  Spässe  zu  verflechten  wusste.  Ennius  hat  diese  ioni- 
schen Schwanke  unter  dem  Namen  Sota  ins  Lateinische  übertragen.  — 
Nachahmer  des  Sotades  war  Kleomachos,  ehemals  Faustkämpfer  in 
Magnesia,  von  dem  der  ionische  Dimeter  den  Namen  Gleomacheum  metrum 
hatte.  Auch  Seleukos,  der  beliebte  Verfasser  von  heiteren  Gesängen 
{IXaQwv  ^aiidxwv  7ioiriT7]g)  bewegte  sich  in  dem  gleichen  Geleise. •) 

382.  Timon  aus  Phlius^)  (um  315—226)  war  seiner  Bildung  und 
Geistesrichtung  nach  Philosoph;  in  der  Jugend  hörte  er  den  Eristiker 
Stilpon  in  Megara,  nachher  warf  er  sich  ganz  dem  Skeptiker  Pyrrhon  in 
die  Arme ;  seine  späteren  Lebensjahre  brachte  er  in  Chalkedon  als  Lehrer 
und  dann  von  ca.  278  an  in  Athen  zu.  Von  Natur  zwar  einäugig,  aber 
sonst  kräftig  gebaut,  brachte  er  es  durch  Enthaltsamkeit  und  Geistesrube, 
indem  er  fern  von  dem  Geräusche  der  Welt  der  Einsamkeit  und  dem 
Gartenbau  lebte,  zum  Alter  von  nahezu  90  Jahren.  Seine  Schriften,  von 
denen  uns  Diogenes  IX  110  ein  nicht  ganz  vollständiges  Verzeichnis  über- 
liefert hat,  waren  sehr  mannigfaltig;  es  waren  darunter  solche  in  Prosa 
und  solche  in  Versen.  Unter  den  letzteren  befanden  sich  60  Tragödien 
und  Satyrdramen,  die  wahrscheinlich  nicht  zur  Aufführung  auf  der  Bühne, 
sondern  zum  Lesen  bestimmt,  mehr  nur  Dialoge  in  iambischen  Trimetem 
waren,  ferner  Xdyoi  xivaidoi  und  eine  Elegie  ^IvdaXuoi  d.  i.  Gedanken- 
blitze, von  der  uns  ein  paar  an  Pyrrhon  gerichtete  Distichen  erhalten 
sind.  Am  berühmtesten  waren  seine  Silloi  in  3  B.,  von  denen  nach  dem 
Kommentar  des  Apollonides  (unter  Tiberius)  bei  Diog.  IX  111  das  1.  Buch 
die  Form  der  Erzählung,  die  beiden  andern  die  eines  Dialoges  in  der  Unter- 
welt*) hatten.  Hauptträger  des  Dialoges  war  der  alte  Sillograph  Xeno- 
phanes,  der  die  Lauge  des  Spottes  über  die  dogmatischen  Philosophen  der 
alten  und  neuen  Zeit  ausgoss.  Das  Gedicht  war  in  daktylischen  Hexa- 
metern geschrieben  und  wendete  Verse  und  Phrasen  des  Homer  zur  Ver- 
spottung der  Dogmatiker  an,  wie  gleich  der  Anfang  lautete 

^Eaneis  vvv  fioi  vaoi  nokvnQdynovtg  iats  tfo^iavat. 
Von  dem  witzigen,    durch  beissende  Urteile  ausgezeichneten  Werke  sind 

»)  Strab.  p.  648:  vQ^e  da  Imttöf]s  fi^v 
nQfUtog  xov  xtyaidoXoyety,  eneita  'jX^^ayd^og 
6  AlxoiXog '  aXX^  ovtoi  jit^y  iy  tpiXai  Xoytf),  f4€rd 
fi^Xovg  ö^  Avaig  x«(  Ixi  ngotegog  tovtov  6 
iTfAog.  Ath.  620 e:  o  cf^  *lwyix6g  Xöyog  xd 
Zmrddov  xal  rd  ngo  rovrov  'ttavixd  xaXov- 
^Bvft  noirjfAaxtt  \4Xe^ttvdQov  xb  xov  AixtaXov 
xal  TIvQfjxog  xov  Mi^Xrjifiov  xni  *AXb^ov  xal 
dXXvjy  xoiorxtoy  7toit]nuy  ngog^fQBXttt.  Als 
solche   andere  werden   von  Suidas  in   dem 


Artikel  über  Sotades  genannt  Theodoros, 
Timocharidas,  Xenarchos. 

*)  Ein  paar  pftderastische  Verse  von 
üim  bei  Athen  697 '^. 

»)  Diog.  IX  109-112. 

^)  Die  gleiche  Form  eines  GesprSchs 
im  Orcüs  haben  selbständig  SchiUer  ond 
Goe&e  in  den  Xenien  832 — 413  angewandt, 
worüber  Wacbsmutb,  Sillogr.  grsec.  p.  40. 


i 


A.  Alexandrinisohes  Zeitalter.    8.  Die  Poesie.    (§§  382—384.)  547 

uns  nicht  wenige  Fragmente  erhalten,  die  in  neuerer  Zeit  Wachsmuth  mit 

ingenjöser  Kombination  in  das  ehemalige  Gefiige  des  Werkes  einzuordnen 

versucht  hat. 

Sillogisphi  graeci  ed.  Wacbsmuth  im  2.  Heft  des  Corpuscalum  poesis  graecae  ludi- 
bmidae,  in  Bibl.  Teabn. 

383.  In  die  Fusstapfen  des  Timon  traten  die  Kyniker,  welche  zu 
jeder  Zeit  durch  Freimut  vor  den  anderen  Philosophen  sich  auszeichneten 
und  in  ihrer  volkstümlichen  Weise  es  besonders  liebten,  durch  leise  Um- 
modelung  von  Versen  des  populärsten  aller  Dichter,  des  Homer,  witzig 
uud  beissend  zugleich  zu  sein.  Ein  paar  Hexameter  aus  den  Sillen  des 
Erates  und  Bion  sind  uns  noch  erhalten.  Mit  diesen  im  Inhalt,  nicht 
iu  der  Form  verwandt  waren  die  Schriften  des  Kynikers  Menippos,  der 
gleichfalls  noch  in  dem  3.  Jahrhundert  gelebt  zu  haben  scheint.^)  Dieser 
schrieb  in  einer  aus  Prosa  und  Versen  gemischten  Sprache,  indem  er  seine 
in  gewöhnlicher  Rede  geschriebenen  Angriffe  auf  die  Philosophensekten, 
besonders  die  Epikureer,  mit  parodischen  Versen  durchflocht.*)  Von  seinen 
Schriften  werden  bei  Diogenes  VI  101  namhaft  gemacht  Nekyia,  Testa- 
ment, Götterbriefe,  Geburtstag  Epikurs,  Gegen  die  Physiker  und  Mathe- 
matiker. Sein  Einfluss  auf  die  spätere  Litteratur  war  sehr  bedeutend; 
Fon  den  Römern  hat  ihn  bekanntlich  Varro  Reatinus  in  den  Saturae  Me- 
nippeae  nachgeahmt.^)  Bei  den  Griechen  fand  er  nicht  bloss  an  Lukian, 
sondern  schon  früher  an  dem  Epigrammatiker  Meleager,  seinem  Lands- 
mann, Bewunderer  und  Nachahmer.*)  Es  waren  somit,  worauf  Wachs- 
muth aufmerksam  macht,  die  3  griechischen  Satiriker,  Menippos,  Meleager, 
Lukian,  nicht  Griechen,  sondern  Syrer  oder  Semiten. 

384.  Eine  besondere  Art  von  Parodie  waren  die  Jemva,  heitere, 
den  Mund  wässerig  machende  Beschreibungen  von  leckeren  Mahlzeiten, 
gewürzt  mit  witzig  gewendeten  Versen  aus  Homer;  sie  blühte  vornehm- 
lich in  der  Zeit  der  neuen  Komödie  und  berührte  sich  mit  ähnlichen 
Schilderungen  auf  der  damaligen  Bühne.  Erhalten  sind  uns  von  dieser 
Litteratur,  die  seit  Alexander  viele  und  reiche  Blüten  trieb,  ziemlich  um- 
fangreiche Reste  durch  Athenaios,  der  ganze  Seiten  aus  jenen  Dichtungen 
seinem  eigenen  Sophistenmahl  einverleibt  hat.  Die  Hauptvertreter  dieser 
Gattung  waren  Archestratos  aus  Gela,  aus  der  Zeit  des  Aristoteles, 
dessen  Gedicht  ^Hdvnd&eta,  welches  später  Ennius  unter  dem  Titel  Hedu- 
phagetica  ins  Lateinische  übertrug,  eine  gastronomische  Rundreise  ent- 
Uelt;  Matron  aus  Pitana,  der  gleichfalls  zu  Alexanders  Zeiten  lebte  und 
dessen  durch  Athenaios  IV  134—7  uns  erhaltenes  Gedicht  /tttnvov  Uvtixov 
mit  dem  parodischen  Vers  anhob  JsTnva  fioi  ^wsne^  Movaa^  noXvTQotfa 
MI  fiäXa  noXlct;  Timachides  aus  Rhodos,  der  ein  kulinarisches  Gedicht 
von  nicht  weniger  als  11  Rhapsodien  schrieb  (Ath.  I  5  a),   daneben   aber 


*)  Frfiher  setzte  man  auf  Grund   des  (  *)  Hirzel,  Der  Dialog  I  385  ff. 


Zeagnisaes  bei  Diog.  VI  99  den  Menippos 
sl«iehzeitig  mit  dem  Epigrammatiker  Me- 
Jeiger,  also  um  80  v.  Chr.  Die  Stelle  ist 
liditi^r  gedeutet  von  Maass  bei  Wachs- 
muth p.  79. 


»)  Meleager  in  Anth.  VII  417  u.  418. 

^)  Im  Geist  der  Parodien  des  Menippos 
und  Timon  ist  auch  geschrieben  Horati  sat. 
II  5. 


85* 


548  Oriechisohe  LitterfttiirgeBehiohte.    II.  HaohklaMisohe  lätteratar. 

auch  Euripides,  Aristophanes,  Menander  kommentierte;  femer  Numenios 
aus  Heraklea  u.  a. 

Brandt,  Corposcolam  poesis  epicae  graecae  ladibundae,  fasc.  I  in  Bibl.  Teabn.  1888, 
wo  auch  die  dOiftigen  Reste  des  zur  Zeit  König  Philipps  lebenden  Paroden  Euboios  m 
Faros  und  seines  glücklicheren  Rivalen  Boiotos  gesammelt  sind.  —  Archestrati  Syracaoi 
sive  Gelensis  reliquiae  rec.  W.  Ribbbck,  Berl.  1877. 

3.  Die  Prosa. 

a)  Die  Geschichtschreibungr.i) 

385.   Den  Mittelpunkt   der   prosaischen  Litteratur   unserer  Periode 
bilden  die  Arbeiten  der  Grammatiker  und  Philologen.     Diese  zogen  auch 
vieles  von  dem,   was   der  Oeschichte   angehört,  in  ihren  Kreis,    so  dass 
man  zweifeln  kann,   ob  man  Männer,  wie  Dikäarch,  Eratosthenes,  Apol- 
lodor,   die  vorzugsweise  das  Gebiet  der  historischen  Philologie   anbauten, 
unter  den  Historikern  oder,   wie  wir  vorziehen,   unter  den  Grammatiken! 
behandeln  soll.     Überhaupt  herrschte  in  der  historischen  Schriftstellerei 
unseres  Zeitalters  eine  ungemeine  Regsamkeit;  aber  der  Masse  der  Pro- 
duktionen  entsprach  nicht  ihr  innerer  Wert:   unter  den  Hunderten  von 
Historikern  begegnet  uns  nur  ein  Autor  von  entschiedenem  Talent  und 
selbständigem  Geist,  Polybios.     Charakteristisch  für  die  Zeit  ist  die  Vor- 
liebe für  das  Detail  und  das  Fremde,  so  dass  uns  eine  ganze  Reihe  von 
Lokalhistorien  und  von  Berichten  über  auswärtige  Länder  und  vorheÜenische 
Geschichte  begegnet.     Erhalten   ist  uns  ausser  Polybios  nichts  Zusammen- 
hängendes; wir  haben  wesentlich  nur  ein  Trümmerfeld  kleiner,  firagmen- 
tarischer  Litteratur  zu   durchwandern.     Aber  auch  bei  diesem  trümmer- 
haften Zustand   der  historischen  Litteratur  lässt  sich  der  Gang,    den  die 
Geschichtsschreibung  in  unserem  Zeitraum  genommen  hat,  noch  in  allge- 
meinen Zügen  wiedererkennen;   er  deckt  sich  im  wesentlichen   mit  dem 
Gang  der  Geschichte  selbst.     In  der  Diadochenzeit  gaben  die  Kämpfe  der 
Generale  Alexanders  und  die  Gründungen  neuer  hellenistischer  Reiche  auch 
der  Geschichtsschreibung  reichliche  Nahrung,  so  dass  sich  noch  grosse  Schrift- 
steller zu  diesem  Gebiete  der  Litteratur  hingezogen  fühlen   konnten.    Im 
Laufe  des  3.  Jahrhunderts  erstarb  immer  mehr  das  politische  Leben  nicht  bloss 
in  Griechenland  selbst,  sondern  auch  in  den  hellenistischen  Reichen,  und 
damit  versiegte   auch   nach  und  nach   die  Quelle  nationaler  griechischer 
Geschichtsschreibung.     Neues  Leben  kam  in  die  stagnierende  Masse  erst 
wieder  durch  das  Eingreifen  des  mächtig  aufstrebenden  Reiches  der  Römer 
seit  dem  Beginn  des  2.  Jahrhunderts.     Von  da  an  hat  denn  auch  die  Ge- 
schichtsschreibung der  Griechen  immer  mehr  den  nationalen  Boden  ver- 
lassen und  sich  den  römischen  Verhältnissen  und  den  Kämpfen  der  Römer 
mit  den  alten  Reichen  zugewandt. 

886.  Historiker  der  Diadochenzeit.  Hieronymos  von 
Kardia  war  Historiker  und  Feldherr  zugleich.  Anfangs  stand  er 
im  Lager  des  Eumenes;  nach  dessen  Vernichtung  (316)  kam  er  bei 
Antigenes,   dann  bei   dessen  Sohn  Demetrios,   und  zuletzt  bei  Antigonos 


^)  Ueber  die  litterarischen  Hilfsmittel  oben  §  227. 


A.Al«xaiidriiii8ohea  Zeitalter.  8.  Die  Prosa,  a)  Oeaohiohtsohreibiiiig.  (§§385—386.)  549 


Gonatas  zu  Ehre  und  Ansehen.  Ein  Mann  von  ungewöhnlicher  Gesund- 
heit, erreichte  er  ein  Alter  von  104  Jahren,  bis  zum  letzten  Tage  befähigt 
zu  geselligem  Verkehr  und  in  gesundem  Vollbesitz  aller  seiner  Sinne.  ^)  Seine 
Geschichte  der  Diadochen  und  deren  Epigonen  begann  mit  der  glänzenden 
Leichenbestattung  Alexanders  und  ging  bis  auf  den  Krieg  des  Pyrrhos  in 
Italien  herab  (323 — 272).  Den  letzten  Abschnitt,  der  zuerst  die  Griechen 
mit  Rom  und  dessen  älteren  Geschichte  bekannt  machte,  rühmt  Dionysios, 
Archaeol.  I  6  und  benutzte  Plutarch  im  Leben  des  Pyrrhos.  Pausanias  I 
9,  8  wirft  ihm  Gehässigkeit  gegen  alle  anderen  Könige  mit  Ausnahme 
des  Antigonos  Gonatas  vor.     Fragmente  bei  Müller  FHG  II  450—461. 

Duris  aus  Samos,  Schüler  des  Theophrast,')  der  als  Knabe  einen 
Sieg  im  Faustkampf  zu  Olympia  errang  ^)  und  später  Herrscher  von  Samos 
wurde,^)  ist  Verfasser  eines  umfangreichen  Geschichtswerkes,  ^latoglcci. 
Dach  seinen  Teilen  auch  *EXXrjvixd  und  Maxtdovixd  betitelt,  das  mit  der 
Geschichte  nach  der  Schlacht  von  Leuktra  begann  (Diod.  XV  60)  und  min- 
destens bis  281  oder  den  Tod  des  Lysimachos  herab  ging;  dasselbe  bildete 
später  eine  Hauptquelle  des  Diodor.^)  Ausserdem  schrieb  Duris  eine  Lokal- 
geschichte seiner  Heimatinsel,  Safimv  (oqoi,^)  ein  Leben  des  Tyrannen 
Agathokles  von  Syrakus,  Schriften  ne^l  dym'cov^'^)  tibqI  ^fpyQcctpoyv,  nsQi 
TOQfvJixrjg,^)  neql  TQayfpdiag.  Die  Vielseitigkeit  des  Interesses  hatte  Duris 
aus  der  Schule  des  Peripatos  geerbt,  aus  der  Werkstätte  der  Rhetoren 
das  Streben  nach  dramatisch  wirksamer,  fast  theatralischer  Darstellung. 
Fragmente  bei  Müller  FHG  II  466—88. 

Diyllos  aus  Athen  schrieb  eine  universalhistorische  Chronik  der 
Griechen  und  Barbaren  in  27  Büchern  (ßißXla)  und  3  Abschnitten  {avv- 
^^^«<^).')  Das  Werk,  das  in  seinen  2  letzten  Abschnitten  als  eine  Fort- 
setzung des  Ephoros  gelten  kann,  begann  mit  dem  phokischen  Krieg  (357) 
und  reichte  bis  zum  Tode  Kassanders  im  Jahre  297.  Eine  Fortsetzung 
fand  dasselbe  durch  Psaon  aus  Platää,  dessen  Geschichte  30  B.  umfasste 
(Diod.  XXI  5).    Fragmente  bei  Müller  FHG  H  360  f.  u.  HI  198. 

Andere  Historiker  der  Diadochenzeit  waren  Nymphis  von  Heraklea, 
der  eine  allgemeine  Geschichte  in  24  B.  bis  auf  Ptolemaios  HI  und  eine 
Spezialgeschichte  von  Hei-aklea  bis  zum  Jahre  246  schrieb;  Demetrios  von 
Byzanz,  der  nach  Diogenes  V  83  den  Einfall  der  Gallier  in  Asien  und  die 
Kämpfe    des   Antiochos  und   Ptolemaios   behandelte;    Herakleides   von 


22. 


')  Pb.  Lncian,  Macrob. 

<)  Atii.  128a. 

*)  Ueber  das  von  Hippias  gefertigte  Bild 
des  Siegen  s.  Paoa.  VI  13,  5,  wozu  Lübbbrt, 
De  I^dari  et  Hieronis  amicitia,  Bonn.  Ind. 
1886  p.  XXIV. 

')  Pausanias  a.  0.;  Athen.  337  d;  Suidas 
out.  Lynkens,  Bruder  des  Duris. 

')  Haakb,  De  Duride  Diodori  auciore, 
BoBo  1874;  BOsigeb,  De  Duride  Diodori 
et  Fhitarchi  aactore,  Gott.  1874;  Rösslbb, 
De  Dnride  Diodori,  Hieronymo  Duridis  auctore, 
G^Ht  1876;  Schvbbbt,  Die  Quellen  Plutarchs 
im  Eumenes,  Demetrios  u.  Pyrrhos,  Jhrb.  f. 
PItiL  Snppl.  IX  648-883. 


•)  Benutzt  von  Plut.  Perikl.  28. 

')  In  dieser  Gattung  von  Schriftstellerei 
folgten  ihm  dann  Eallimachos,  Ister,  Eleo- 
phanes,  Theodoros  aus  Hierapolis. 

")  ÜBL1GB8,  Griech.  Eunstschriftsteller 
S.  21  f.;  Sellbrs,  llie  eider  Plinius*  chapters 
on  the  history  of  art  p.  XLVI  sqq. 

»)  Diodor  XVI  14  gibt  27  B.,  XXI  5  nur 
26  B.  an.  Der  erste  Abschnitt  reichte  bis 
zur  Belagerung  von  Korinth,  mit  der  das 
Werk  des  Ephoros  schloss,  der  zweite  bis 
zum  Tode  des  Philipp  Arridaios.  üeber 
die  Zusammenfassung  von  je  neun  Bftchem 
zu  einer  Svntazis  s.  Rühl  Jhrb.  f.  Phil.  187 
(1888)  123  ff. 


550 


Orieobisohe  Litteratnrgesohichte.    IL  Nftohklassische  Utteratar. 


Kyme,  der  seine  Persika,  noch  ehe  das  persische  Reich  über  den  Haufen 
geworfen  war,  zu  schreiben  begonnen  hatte.^) 

887.  Sikilische  Historiker.  Sikilien,  unerreicht  von  den  Waffen 
der  Makedonier,  fuhr  auch  nach  dem  Untergang  der  hellenischen  Freiheit 
fort,  eine  bedeutende  Rolle  in  der  Geschichte  und  Litteratur  zu  spielen. 
Die  thatenreiche  Regierung  des  verwegenen  und  rücksichtslosen  Tyrannen 
Agathokles  (317—289)  fand  ihre  Darstellung  ausser  durch  Duris  und  An- 
tandros,  den  Bruder  des  Tyrannen,  durch  Kallias  aus  Syrakus,  der  die 
Oeschichte  des  Agathokles  in  22  B.  schrieb.  Diodor  XXI  17  ergeht  sich 
in  heftigen  Ausdrücken  über  dessen  Wahrheitsf&lschung  zu  Gunsten  des 
gottlosen  Tyrannen.     Fragmente  bei  Müller  FHG  H  382  f. 

Timaios  (um  345—250)*)  aus  Tauromenion  in  Sikilien,  der  berühm- 
teste unter  den  Historikern  Sikiliens,  war  der  Sohn  des  Andromachos,  des 
Gründers  und  Herrschers  von  Tauromenion.  Von  Agathokles  entweder 
gleich  bei  seinem  Regierungsantritt  (317)  oder  vor  seinem  Feldzug  gegen 
Karthago  (310)  verjagt,  brachte  er  50  Jahre  in  Athen  zu. 3)  Hier  wurde 
er  durch  den  Isokrateer  Philiskos,  als  dessen  Schüler  ihn  Suidas  bezeich- 
net, in  die  Rhetorik  eingeführt.  Unter  der  massvollen  Regierung  des 
Königs  Hieron  ü  scheint  er  als  Greis  nach  Sikilien  zurückgekehrt  zu  sein; 
er  starb  in  dem  hohen  Alter  von  96  Jahren  um  250.*)  —  Seinen  Ruhm 
verdankte  Timaios  der  umfangreichen  Geschichte  (laTogim)  Sikiliens,  die  mit 
der  ältesten  Zeit  begann  und  bis  zum  Untergang  des  Tyrannen  Agathokles 
(289)  reichte,  sich  aber  nicht  auf  Sikilien  beschränkte,  sondern  auch  die 
Geschichte  Italiens  und  Karthagos  umfasste  und  in  zahlreichen  Digressionen 
auch  auf  die  Verhältnisse  Griechenlands  einging.^)  Das  Werk  hatte  38  B.^) 
und  scheint  in  den  einzelnen  Abschnitten  eigene  Überschriften  gehabt  zu 
haben.  Den  Schluss  desselben  bildete  nach  dem  Zeugnis  des  Diodor  XXI 17 
die  Geschichte  des  Tyrannen  Agathokles  in  5  B.  Ein  weiterer  Anhang  ent- 
hielt die  Geschichte  des  Pyrrhos  (bis  272),  welche  aber  nach  Dionysios  Arch. 
1 6  und  Cicero  ad  fam.  V  12, 2  ein  Buch  für  sich  ausmachte.  Ausserdem  soD 
Timaios  einen  chronologischen  Abriss  'OXvfiniovTxai  i'roi  XQouxd  nga^iiia 
verfasst  haben;')  vermutlich  waren  dieses  nur  chronologische  Tabellen  zu 
seinem  Hauptwerk,  angelegt  entweder  von  ihm  selbst  oder  einem  Späteren.— 
Die  Schriften  unseres  Historikers  waren  im  Studierzimmer  geschrieben  und 


»)  Vgl.  RüHL  Jahrb.  f.  Phü.  137,  121  f. 

*)  Suidas:  Tifxaioq  'jy^QOfiaxov  TavQO^ 
fjLBy eitrig,  oV  'JStjyaToi  'EniTLfiaiov  (ayofjiaaaVy 
4»iXiaxov  fjtttSr^rrjs  xov  MiXijalov  .  .  .  €yQa\f/ey 
'IraXixd  xai  IixeXix«  iy  ßißXiois  r(  {Xt}  em. 
Gatschmid),  *EXXt]yixtt  xai  £ix€Xixd  [avXXoyrjy 
SrjTOQixwy  dtfogfAüiy]  ßißXla  I17  (corr.  A17), 
oXvfAntoylxag  fjtoi,  XQ^^^*^  nQaH^ia,  Der 
Titel  des  Hauptwerkes  SixsXtxd  scheint 
wegen  seines  universellen  Inhaltes  teüs  zu 
'IxaXiXtt  xai  IixsXixdf  teüs  zu  'EXXrjytxd  xai 
ZixeXixd  erweitert  worden  zu  sein  —  Eothb, 
De  Timaei  Tauromenitae  vita  et  scriptis, 
Breslau  1874;  Glasen,  Historisch-kritische 
Untersuchungen  zu  Timaios  von  Taurome- 
nion, Kiel  1883;    Süsbhihl  AI.  Lit.  I  563  flf.; 


BöDiNGER  Universalhist  51  ff. 

')  Nach  seinem  eigenen  Zeugnis  bei 
Polyb.  XII  25.  Die  Zeit  seiner  Vertreibang 
wird  geschlossen  aus  Diodor  XT7C  8  und 
XX  4. 

*)  Seine  Rttckkehr  nach  Sikilien  ist'nieht 
bezeugt  und  wird  bezweifelt;  s.  Golümbo, 
Rivista  XV  953  ff. 

^)  AusdrQcklich  indes  sagt  von  ihm  Po- 
lyb. XII  28 :  i'*7i^^  'IxaXiaq  (ioroy  xai  SixeXitt^ 
ngayfAatevofAsyog. 

*)  Ueber  die  Anordnung  des  Stoffies 
siehe  Bbloch,  Die  Oekonomie  der  Greschichte 
des  Timaios,  Jahrb.  f.  PhiL  123  (1881)  697  £ 

0  Vgl.  Gensorinns,  De  die  nat  21. 


l^AlezandriniBohea  Zeltalter.  8.  Die  Prosa,  a)  Gesohichtsohreibung.  (§§387—388.)  551 


Hessen,  was  den  wiederholten  Tadel  des  Polybios  hervorrief,  i)  das  sach- 
liche Urteil  des  praktischen  Staatsmannes  vermissen.  Aber  derselbe  hatte 
die  Quellen  mit  grossem  Fleisse  zusammengesucht,  auch  die  Inschriften 
der  Säulen  und  Tempel  verwertet  (Polyb.  XII  10  f.)  und  selbst  die  Ur- 
kunden der  Karthager  und  Phönizier  studiert.  In  der  Benützung  der 
Quellen  und  in  der  Beurteilung  der  Persönlichkeiten  war  er  von  Leicht- 
gläubigkeit weit  entfernt,  umgekehrt  nur  zu  sehr  geneigt,  seine  Vorgänger 
Lflgen  zu  strafen  und  die  Könige  von  der  schlechten  Seite  aufzufassen. 
Das  zog  ihm  scharfe  Zurechtweisungen  von  Seiten  des  Polybios  und  Diodor 
zu  und  rief  die  Gegenschriften  {avTiyQaq>ai)  von  Polemon  und  Istros  her- 
vor. Der  letztere  hing  ihm  den  Spottnamen  ''EmTffiaiog  'Tadler  an.  Aber 
doch  auch  Polybios  (XII  10  f.)  liess  ihm  die  Ehre,  die  Chronologie  berich- 
tigt und  die  wahre  Zeit  vieler  Städtegrilndungen  erwiesen  zu  haben.  ^) 
Er  reduzierte  nach  jenem  Zeugnis  die  Ephoren  Spartas,  die  Archonten 
Athens  und  die  Priesterinnen  von  Argos  auf  Olympiaden  und  setzte  so 
an  Stelle  der  lokalen  Zeitangaben  die  allgemeine  Zeitrechnung  nach  Olym- 
piaden. Seinen  Stil  tadelt  Dionysios,  de  Dinarch.  8  als  frostig  und  ge- 
sucht; auch  Pseudo-Longin,  De  sublim.  4  ist  nicht  gut  auf  ihn  zu  sprechen; 
aber  Cicero  (Brut.  95,  325  und  de  erat.  II  14,  58),  der  schon  wegen  seiner 
Beziehungen  zu  Yerres  und  Sikilien  den  Timaios  fleissig  las,  fand  an  der 
überströmenden  Fülle  seiner  Darstellung  Gefallen.  Inhaltlich  war  er  für 
die  üniversalhistoriker  Diodor  und  Trogus  sowie  für  Plutarch  im  Leben 
deß  Timoleon  Hauptquelle.*) 

Fragmente  bei  MOllbb  FHG  I  193—233  a.  IV  640  f.  —  Gsffokbn,  Timaios,  Geo- 
graphie des  WeeteiiB,  Philol.  Uniers.  H.  13. 

888.  Hellenische  Historiker  des  3.  Jahrhunderts.  Unter 
Alexander  und  seinen  nächsten  Nachfolgern  war  das  zur  Ohnmacht  herab- 
gesunkene Hellas  fast  ganz  vom  Schauplatz  der  Geschichte  verschwunden. 
Seit  dem  3.  Jahrhundert  erhob  es  sich  wieder  zu  grösserer  Bedeutung, 
indem  namentlich  die  noch  unverbrauchten  Kräfte  der  Ätolier  und  Achäer 
zn  Macht  gelangten.  Seit  der  Zeit  fand  auch  die  hellenische  Geschichte 
wieder  eifrige  Bearbeiter. 

Phylarchos,  nach  den  einen  aus  Athen,  nach  den  andern  aus  Nau- 
kratis  in  Ägypten,  setzte  in  seinen  28  Büchern  ^latoQim'  die  Werke  des 
Hieronymos  und  Duris  fort,  indem  er  nach  Suidas  die  Zeit  vom  Zuge  des 
Pyrrhos  gegen  den  Peloponnes  bis  zum  Tode  des  spartanischen  Königs 
Kleomenes  (272—220)  behandelte.  Über  seine  Glaubwürdigkeit  fällen 
Polybios  n  56  und  Plutarch  Them.  32  u.  Arat.  38  ein  ziemlich  abfälliges 
Urteil;  er  war  ein  bewundernder  Anhänger  des  Kleomenes,  bis  zur  Un- 
gerechtigkeit gegen  Arat,  und  liebte  pathetische,  auf  Rührung  berechnete 
Darstellungen;  besonders  hob  er  Frauentugend  und  Frauenheldenmut  her- 
vor. Nach  Suidas  schrieb  er  auch  über  Erfindungen  und  über  mythologische 
Gegenstände  (iTtitofAi]  fAvd^ixtj  u.  negl  ttjg  rov  Jiog  ini^aveiag)^  woraus  uns 
manches  durch  Parthenios  erhalten  ist.  Fragmente  bei  Müller  FHGI 334—358. 


')  Polyb.  Xn  3—28. 
')  Die  QrflDdang  Roms  setzte  er  indes 
inig  8S  Jahre  vor  die  1.  Olympiade,  gleich- 


zeitig mit  der  Karthagos. 

»)  Vgl.  Rbüss,  Phüol.  45,  245  ff. 


552 


Orieohiaohe  LitteratiirgMohiohie.    IL  VaohklaMisohe  Litteratiir. 


Menodotos  von  Perinth  wird  von  Diodor  XXVI  4  zu  Ol.  104,  4 
=  217/6  V.  Chr.  als  Verfasser  von  ^EXlrjvixai  ngayficneiat  in  15  B.  erwähnt; 
er  scheint  also  den  Psaon  oder  Phylarchos  fortgesetzt  zu  haben.  Derselbe 
ist  vielleicht  eine  Person  mit  dem  Menodotos  aus  Samos,  der  ein  perie- 
getisches  Buch  ttsqI  tcov  xctrd  irjv  Sdfiov  evdo^wv  schrieb.  Fragmente  bei 
Müller  FHG  HI  103—105. 

Neanthes  von  Kyzikos  lebte,  da  er  nach  Suidas  ebenso  wie  Timaios 
Schüler  des  Philiskos  war,  im  3.  Jahrhundert.  Ausser  rhetorischen  Schrif- 
ten und  einer  allgemeinen  hellenischen  Geschichte  schrieb  er  eine  Spezial- 
geschichte  seiner  Heimatstadt  und  der  Regierung  Attalos  I  (241—197).^) 
Am  meisten  Ansehen  aber  verschaffte  er  sich  durch  seine  Biographien  be- 
rühmter Männer  {negi  ivdo^wv  ardgdiv).  Fragmente  bei  Müller  FHQ  HI 
2—11. 

Aratos  von  Sikyon  (271—213),  der  berühmte  Feldherr  des  achäischen 
Bundes,  machte  Geschichte  und  schrieb  Geschichte.  Seine  Denkwürdig- 
keiten (vnofiv^fiaxa)  in  mehr  als  30  B.')  reichten  nach  Polyb.  I  3  und  IV  2 
bis  zum  sogenannten  Bundesgenossenkrieg  (220).  Nachlässig  in  der  Form,') 
beanspruchten  dieselben  nur  ein  sachliches  Interesse;  benutzt  hat  sie 
Plutarch  im  Leben  des  Arat.  Agis  und  Kleomenes.  Fragmente  bei  MüUer 
FHG  III  21—23. 

389.  Spezialgeschichten.  In  demselben  Grad,  in  dem  den  Grie- 
chen die  Fähigkeit  zur  würdigen  Auffassung  grosser  geschichtlicher  Ereig- 
nisse abzugehen  begann,  wuchs  die  Neigung  für  das  Detail  und  den  per- 
sönlichen Klatsch.  Daraus  entstanden  zunächst  die  Biographien,  die  litte- 
rarischen Porträte,  welche  mit  der  Vervollkommnung  der  Porträte  in  der 
Kunst  Hand  in  Hand  gingen.  Es  gibt  eine  ganze  Reihe  biographischer 
Schriftsteller,  meist  aus  der  Schule  der  Peripatetiker,  wie  Dikaiarchos, 
Aristoxenos,  Phanias,  Klearchos,  Hermippos,  Idomeneus  von  Lampsakos, 
Antigenes  von  Karystos.  Da  aber  die  meisten  Biographien  dieser  Männer 
Persönlichkeiten  der  Litteratur  und  Philosophie  betrafen,  so  verschieben 
wir  ihre  Besprechung  auf  den  Abschnitt  über  die  Grammatiker.*)  — 
Selbst  von  berühmten  Hetären  erschienen  Biographien  die  einen  über  die 
andern ;  Athenaios,  der  uns  p.  567  u.  586  f.  manches  Detail  daraus  er- 
halten hat,  bezieht  sich  dabei  auf  das  anekdotenreiche  Buch  des  jüngeren 
Antiphanes  von  Berge.*) 

Verwandter  Art  war  die  Litteratur  von  Memoiren  (vTzofjttnjficna).^) 
Auch  hier  waren  es  die  Peripatetiker,  die  zuerst  mit  derartigen  Büchern 
hervortraten.  Schon  von  Theophrast  gab  es  tmofivrjfiovevinaTa,  aber  der 
Hauptvertreter  dieser  Gattung  von  Schriftstellerei  war  ein  anderer  Aristo- 
teliker,  Hieronymos  von  Rhodos,   dessen  ^la%o^ixd  vjiofjLvr^iiata  ebenso 


^)  Die  Geschichte  von  Attalos  I  schreibt 
SüSEMiHi,  AI.  Lit.  I  618  einem  jüngeren  Ne- 
anthes zu. 

*)  Seine  noXvßißXog  laroQla  vnh^  r«  X 
ßißXla  txovaa  ist  erwfthnt  in  der  Biographie 
des  Dichters  Arai 

»)  Plnt.  Arat.  3. 

*)  Ueber  Neanthes  Biographien  haben  wir 


oben  bereits  gesprochen. 

')  Spassges<äiichten  (lino^iai  x^fiixm) 
schrieb  Protogenides  unter  Antiocfaos 
Epiphanes;  vgl.  0.  Schnbipbr,  Nicand.  Pro- 
leg. 15  f. 

^)  EöPKB,  De  hypomnematis  graeeis, 
pars.  I  Berl.  1842,  pars  11  Brandenburg  1868. 


i.AlexandrinLichea  Zeitalter.  8.  Die  Prosa,  a)  Geschiohtechreibimg.  (§§889—890.)  553 


wie  seine  Bücher  ne^l  noirftwv  (nsQi  xit^aQrpiwv  und  TQayffSonoiSv)  häufig 
von  AthenaioB  und  Diogenes  angeführt  werden,  i)  Von  Feldherm  und 
Staatsmännern  schrieben  Memoiren  Demetrios  und  Arat,  von  Königen 
der  Schüler  Aristarchs,  Ptolemaios  Euergetes  11.«)  Von  ähnlicher  Art 
scheinen  die  "Ataxra  des  Marsyas  gewesen  zu  sein.') 

Eine  dritte  Art  von  historischer  Kleingeschichte,  gleichfalls  von  Ari- 
stoteles und  seiner  Schule  gefördert,  betraf  die  Einrichtungen  und  Ge- 
schichte der  einzelnen  Städte  und  Landschaften;  voran  stehen  in  dieser 
Sparte  die  Werke  über  Attika. 

S90.  Uid^iSec^)  Wessen  die  auf  Sage,  Geschichte,  Litteratur,  Topo- 
graphie bezüglichen  Darstellungen  von  Attika.  In  annalistischer,  chronik- 
artiger Aufzählung,  ohne  rhetorischen  Aufputz  führten  dieselben  mit  reichem 
Detail  die  Ereignisse  vor.  Für  die  Kenntnis  der  attischen  Einrichtungen 
und  der  inneren  Geschichte  Athens  waren  sie  von  ausserordentlicher  Be- 
deutung, sie  empfahlen  sich  aber  weniger  durch  die  Kunst  der  Darstellung, 
weshalb  Dionysios,  Arch.  I  8  von  seinem  einseitig  rhetorischen  Standpunkt 
aus  verächtlich  auf  sie  herabsieht.  Das  Vorbild  zu  denselben  hatte  Hel- 
lanikos  gegeben,  aber  die  Atthiden  im  eigentlichen  Sinn  beginnen  erst  mit 
der  Zeit  des  Demosthenes  und  fanden  ihre  Blüte  in  der  alexandrinischen 
Zeit.  Die  einzelnen,  zum  Teil  noch  der  vorausgehenden  Periode  ange- 
hörigen  Autoren  sind:  Kleitodemos  (v.  1.  Kleidemos),  von  Pausanias  X 
15,  5  der  älteste  der  Atthidenschreiber  genannt;  Andre tion,  Schüler  des 
Isokrates,  gegen  den  Demosthenes  in  der  uns  noch  erhaltenen  Rede  auf- 
trat; Phanodemos,  der  neben  einer  Atthis  auch  eine  Lokalgeschichte 
der  Insel  Ikos,  einer  der  Kykladen,  schrieb;  Melanthios,  von  dem  auch 
ein  Buch  über  Mysterien  angeführt  wird ;  Demon,  Verfasser  einer  Atthis 
und  von  Schriften  71€qI  nagoifucov  und  nsQi  x^v<fim'.^)  Die  älteren  Atthiden 
bildeten,  wie  wir  oben  sahen,  eine  Hauptquelle  des  jüngst  wieder  gefun- 
denen Buches  des  Philosophen  Aristoteles  über  den  Staat  der  Athener. 

Philochoros,  Sohn  des  Kyknos,  war  der  bedeutendste  der  Atthiden- 
schreiber ;  er  lebte  in  der  Diadochenzeit  und  fiel  als  Parteigänger  des  Pto- 
lemaios Philadelphos  nach  der  Einnahme  Athens  durch  Antigenes  Gonatas 
(261).  Seine  Studien  galten  vorzüglich  der  Geschichte  Attikas,  ausserdem 
den  Mythen,  Festen,  Opfern,  zu  denen  er  durch  seine  Stellung  als  Seher 
und  Opferbeschauer  besondere  Beziehungen  hatte.  Seine  Atthis  in  17  B. 
umfasste  die  ganze  Geschichte  Attikas  von  der  ältesten  Zeit  bis  auf  261 
V.  Chr.     In    den  Anfängen  summarisch,   weitläufig   in   der  Zeitgeschichte 


')  Sein  Urteil  über  Isokrates  ist  uns  er- 
haHen  durch  Dionys.  Hai.,  Isoer.  13  and 
Gkero,  Grat.  56, 189.  Ob  die  geographischen 
Notizen  ans  Hieronymos  bei  Strabon  unseren 
Hieronymos  oder  den  aus  Kardia  angehen, 
ist  zweifelhaft.  Die  Fragmente  gesammelt 
von  HiiLBR,  Hieronymi  Rhodii  Peripatetici 
fragm.,  in  Satora  philol.  Herm.  Sanppio  oblata, 
Berl.  1879  p.  85—118. 

*)  MeLLBB  FHG  m  186—9. 

*)  Snidas  erwfthnt  drei  Historiker  Mar- 
sjas;    der    älteste    ans    Pella    schrieb    aus 


eigener  Erinnerung  MaTtsdoyixa  und  ein  Buch 
über  die  Erziehung  Alexanders. 

*)  Müller  FHG  I  prol.  p.  LXXXH  -XCI 
und  1 359—427;  Wilamowitz,  Aristoteles  und 
Athen  I  260  ff 

^)  In  weiterem  Umfang  gehören  zur 
Klasse  der  Atthidenschreiber  auch  Andren 
aus  Halikamass,  der  in  dem  umfangreichen 
Werke  IvyyiyBiai  auch  attische  Verhält- 
nisse berührte;  die  Fragmente  bei  Müller 
FHG  n  346  ff. 


Oriechiache  Liiteratargeachichte.    II.  Naohklaaaiache  Litteraiur. 


hielt  er  sich  durchgehends  an  den  chronologischen  Faden,  indem  er  die 
Ereignisse  anfangs  nach  Königen,  später  nach  Archonten  aufführte.  Von 
der  Gediegenheit  seiner  Forschungen  geben  die  wörtlichen  Anführungen 
bei  Dionysios  einen  sehr  vorteilhaften  Begriff.  Von  dem  umfangreichen 
Werk  machte  er  selbst  einen  Auszug;^)  einen  zweiten  Auszug,  den  Suidas 
anführt,  verfertigte  Asinius  Pollio  von  Tralles.  — -  Mit  der  Atthis  standen 
Spezialuntersuchungen  über  die  attische  Tetrapolis,  die  Gründung  von 
Salamis,  eine  Sammlung  attischer  Inschriften,  chronologische  Zusammen- 
stellungen der  attischen  Archonten  und  der  Olympiaden  in  Zusammenhang. 
Auf  den  Kultus  bezogen  sich  seine  Bücher  Ttegi  fiartixijg,  ti^qI  ä-vamr^ 
negi  %wv  ^Ax^r^vrjai  ayaJrwi',  ne^l  ioQTtav^  wahrscheinlich  auch  die  JrjJUaxa 
und  ^HTisiQcorixd.  Die  Durchforschung  der  Mythen  und  Feste  fährten  ihn 
auch  zu  litterarhistorischen  Arbeiten  über  die  Mythen  des  Sophokles,  über 
Euripides  und  Alkman.  Erwähnt  ist  in  den  Scholien  zu  Eurip.  Hec.  3  ein 
Brief  ns^i  TQayo^diwv  an  den  älteren  Asklepiades,  den  Verfasser  der  Tqa- 
yfpSovfieva,  Fragmente  gesammelt  bei  Müller  FHQ  I  384—417  und  IV 
646—8.  Böckh,  Über  den  Plan  der  Atthis  des  Philochoros  1832,  jetzt  in 
Ges.  Sehr.  V  397—429. 

In  spätere  Zeit  fällt  die  Zusammenstellung  der  früheren  Atthiden  von 
Istros,  auf  den  wir  unten  zurückkommen  werden.') 

891.  Nach  dem  Muster  der  Atthiden  wurden  zahlreiche  Spezial- 
geschichten  von  anderen  Landschaften  und  Städten  verfasst.  Bereits  oben 
haben  wir  des  Duris  ^ßgoi  2afii(ov,  des  Neanthes  ^Qqoi  Kv^ikt^i^wv^^)  des 
Nymphis  Geschichte  von  Heraklea  erwähnt.*)  Ausserdem  sind  uns  durch 
gelegentliche  Citate  bekannt  die  2ixv(ovixd  des  Menaichmos,  der  unter 
den  Diadochen  lebte  und  nach  Suidas  auch  eine  Geschichte  Alexanders 
schrieb;*^)  die  MsyuQixd  des  Dieuchidas,  der  zur  Zeit  der  Siteren  Atthiden- 
schreiber  lebte  ;^)  die  ^AQyohxd  des  Derkylos  und  des  Deinias,  der  vor 
dem  Geographen  Agatharchides,  wahrscheinlich  zur  Zeit  des  Aratos  schrieb; 
die  AtyivT;;tixd  des  Pythainetos,  aus  denen  die  Kommentatoren  der  ägine- 
tischen  Siegesgesänge  Pindars  schöpften;  die  Bomvixd  des  Aristophanes 
von  Theben,  auf  die  Plutarch  de  mal.  Herod.  p.  864c  und  867c  bezugnimmt; 
die  'HneiQWTixd  des  Proxenos;  die  &eaaahxd  des  Suidas  und  Eineas;  die 
il/f Ar^crmxa  des  Lykos  und  Maiandrios  (oder  Leandrios) ;  die  Na^iaxd  des 
Andriskos    und   Aglaosthenes;^)    die   Evßoixd    des   Aristoteles    aus 


')  Daneben  fOhrt  Suidas  eine  Epitome 
Ti;^  Jiovvulov  ngayfiareiag  an,  worQber 
ScHBNKL  Jahrber.  f.  Alt  XI  1,  235. 

')  Von  Spezialschriften  über  einzelne  Ge- 
schlechter Atükas  erwähnt  der  Lexikograph 
Harpokration:  Meli  ton  ttsqi  rwy  \49rfyrjci 
yeyuiyy  Drakon  n$gi  ysyaiy,  das  £.  M.  429, 
26  Theodoros  negl  Krj^vxoty  yiyovq ;  siehe 
TöPFFBR,  Attische  Genealogie,  Berlin  1889, 
S.  1  Anm. 

*)  In  spftterer  Zeit  schrieb  über  Eyzikns 
Agathokles  aus  Babylon;  Fragmente  bei 
MüLLKR  FHG  II  288—290. 

^)  In  die  Lokalgeschichte  schlagen  auch 


die  Schriften  der  Periegeten  Polemon,  Hege 
sander,  Sokrates  ein,  von  denen  im  Abschnitt 
von  der  gnunmatischen  Gelehrsamkeit  ge- 
handelt wird. 

*)  Seine  Iixx^wyixtt  citiert  Ath.  471  d  u. 
Schol.  Find.  N.  IX  20;  aus  ihnen  schöpfte 
Paus.  5,  6-6,  7;  vgl.  Lübbebt,  De  Adrasti 
regno  Si^onio,  Ind.  Bonn.  1884. 

•)  WiLAMowiTz  Phil,  ünt  V  240  f. 

^)  Aglaoethenes  lebte  vor  Eratosthenes; 
weni^tens  wird  derselbe  in  den  Katasterismoi 
p.  56,  12.  156,  13  citiert  Im  allgemeinen 
spricht  von  Nakiioy  avyyQa(p€ig  Plutarch  Mor. 
394  C. 


A.AlezandriniBcheB  Zeitalter.  8.  Die  Prosa,  a)  aeBohiohtsohreibang.  (§§391—392.)  555 


Chalkis  und  des  Archemachos;  die  Aeaßiaxd  des  My rsilos;  die  JrjXiaxa  des 
Antikleides;^)  die  TQWixd  des  Hegesianax  oder  Kephalion  (Ath.  393d); 
das  Buch  des  Peripatetikers  Phanias  über  die  Prytanen  seiner  Heimat- 
stadt Eresos;  die  erythräische  Geschichte  von  Apollodoros  aus  Erythrä;*) 
die  von  Polybios  XYI  14  gerühmten  Spezialgeschichten  der  Insel  Rhodos 
von  Zenon  und  Antisthenes;  der  Krieg  des  Königs  Philipp  mit  Byzanz 
von  Leon  dem  Byzantier;*)  die  Ilovrixa  des  Apollodoros  und  Dio- 
phantos;  die  Kaqixd  des  Apollonios;  die  KvQtjvaixä  des  Akesandros 
und  Theotimos.  Wahrscheinlich  gehörte  unserer  Zeit  auch  Dionysios 
von  Chalkis  an,  der  eine  allgemeine  Städtegründungsgeschichte  (o  rag 
xiioaq  Tü)v  nokewv  yquipaq)  in  5  B.  schrieb  und  den  Ps.  Skymnos  V.  115  f. 
als  einen  seiner  Hauptgewährsmänner  preist.^)  Über  die  verschiedensten 
Spezialgeschichten,  über  Persien,  Thessalien,  die  Tyrannen  von  Ephesos 
schrieb  der  Rhetor  Baten  von  Sinope  (Müller  FHG  IV  347  bis  350),  der 
nach  Plutarch  im  Leben  des  Agis  c.  15  Zeitgenosse  des  Arat  gewesen  zu 
sein  scheint. 

392.  Sosibios  der  Lakonier  war  der  Hauptvertreter  der  Spezial- 
geschichte  Spartas.  Derselbe  gehörte  den  Kreisen  der  Alexandriner  an; 
schon  unter  Ptolemaios  Soter  war  er  nach  Alexandria  gekommen,<^)  erlebte 
aber  seine  Blüte  erst  unter  Ptolemaios  Philadelphos.^)  Wahrscheinlich 
ist  er  eine  Person  mit  dem  Sosibios,  der  von  seiner  Geschicklichkeit 
im  Lösen  schwieriger  Fragen  den  Beinamen  o  kvnxoq  erhielt.^)  Die 
Studien  über  die  Altertümer  seiner  Heimat  legte  er  in  dem  Buche  neQi 
xav  iv  ^axedaifiovi  x}vamv  und  in  dem  weitläufigen  Kommentar  zu  dem 
altspartanischen  Dichter  Alkman  nieder.  Von  einem  weiteren  Gesichtskreis 
ging  er  in  dem  chronologischen  Buch  Xqovwv  dvayQatf'ij  aus,  das  sich  mit 
den  obengenannten  Xqovixd  des  Timaios  berührt  zu  haben  scheint.  Müller 
FHG  n  625—630.8) 

Wie  Sosibios  die  antiquarische  Spezialforschung  mit  der  Dichter- 
erklärung verband,  so  noch  mehr  Demetrios  aus  Skepsis,  der  nach 
Strabon  p.  609  in  der  Zeit  des  Aristarch  und  Krates  um  150  lebte.  ^)  Der- 
selbe verfasste,   zum  Teil  auf  den  Arbeiten   seiner  Vorgängerin,   der  ge- 


^)  Derselbe  Antikleides  ans  Athen  schrieb 
eine  Alezandergeschichte  und  ein  mytholo- 
giisches  Buch  Noaroi,  von  dem  Ath.  384  d 
ein  78.  Buch  erwfthnt;  s.  Müllbb,  Script. 
Alex.  M.  p.  147. 

*)  Vgl.  Maass,  De  sibyllamm  indicibns, 
^27ff. 

*)  üeber  die  Verwechselnng  dieses  Leon 
mit  dem  Leon  von  Alabanda  und  dem  Pen- 
pttetiker  Leon  s.  Müller  FHG  II  328  f. 

*)  Akt.  Baumstark  Philol.  53,  703  ff. 
weist  nach,  dass  dieser  Dionysios  im  2.  Jahr- 
kondert  y.  Chr.,  jedenfalls  nach  dem  Gram- 
matiker Lysanias,  dem  Lehrer  des  Erato- 
sthenes,  blfilite. 

*}  Flut.  Isis  et  Osir.  28. 

')  Dass  er  mit  dem  Sosibios,  auf  den 
Kallimachos  ein  elegisches  Siegeslied  schrieb, 
identisch  sei,  bezweifelt  0.  Sohmeidbb,  Callim. 
U220. 


')  Ueber  die  kviixoi  handelt  ausführ- 
lich Lehrs,  De  Arist.  stud.  Hom.  p.  200  ss. 
Die  von  Athen.  493  c  mitgeteilte  Lösung  der 
vermeintlichen  Schwierigkeit  im  homerischen 
Vers  A  653  Iftsst  uns  nicht  hoch  von  dieser 
Kunst  denken. 

")  Ausserdem  werden  yiaxtoyixa  eines 
gewissen  Aristokrates  erwähnt.  Auf 
einen  dieser  beiden  lakonischen  Spezial- 
forscher, am  ehesten  auf  Sosibios,  gehen 
wohl  auch  die  Nachrichten  über  die  alte 
Stellung  des  Ephorats  zurück,  welche  Plu- 
tarch (nach  Pnylarch?)  den  König  Kleo- 
menes  in  dessen  Vita  c.  10  auskramen  Iftsst. 

*)  Nach  Strabon,  der  ihn  sehr  oft  zum 
Zeugen  nimmt,  lebte  er  vor  Apollodor,  der 
ihn  in  seinem  Kommentar  zum  Schiffskatalog 
stark  benutzte,  und  nicht  vor  Neanthes, 
gegen  den  er  polemisierte;  s.  Strab.  I  p.  45. 


556 


Orieohiaohe  Litteratargeachiohte.    ü.  NaohUasaische  Liiteraiiir. 


lehrten  Alexandrinerin  Hestiaia  fussend,  i)  einen  TQmxog  itaxwffioq  in 
30  6.,^)  worin  er  hauptsächlich  die  Lage  der  von  Homer  im  Katalog  der 
trojanischen  Streitkräfte  B  811 — 877  genannten  Orte  der  troischen  Land- 
schaft zu  bestimmen  suchte.  Er  ist  in  unserer  Zeit  viel  genannt  worden, 
da  er,  vielleicht  infolge  der  Eifersucht  der  Bewohner  von  Skepsis  gegen 
die  von  Neuilion  die  Identität  der  Lage  der  homerischen  Ilios  und  der 
von  Lysimachos  neugegründeten  Stadt  bestritt  und  die  Homerforscher 
lange  in  die  Irre  führte,  bis  in  unserer  Zeit  Schliemann  mit  Spaten  und 
Schaufel  die  lang  verhüllte  Wahrheit  ans  Licht  brachte.*) 

Im  Anschluss  an  die  hellenische  Spezialgeschichte,  die  auf  die  alten 
Mythen  und  die  in  Stein  und  Erz  geschriebenen  Urkunden  hauptsächlich 
Rücksicht  nahm,  erwähne  ich  hier  noch  einige  speziell  auf  den  Mythus 
und  die  Urkunden  bezügliche  Arbeiten. 

398.  Euhemeros  von  Messana,*)  Vertrauter  des  Königs  Kassander 
(311—298),  ist  der  Urheber  der  rationalistischen  Deutung  der  alten  My- 
then, wonach  nicht  bloss  die  Heroen,  sondern  auch  die  Götter  ursprünglich 
geschichtliche  und  dann  wegen  ihrer  Verdienste  in  den  Olymp  versetzte 
Personen  sein  sollen.^)  Diese  seine  Theorie  hatte  er  in  einem  Buche,  Vff« 
avayqaifri  betitelt,  in  romanhafter  Weise  vorgetragen :  er  wollte  darin  auf 
einer  Fahrt  von  Arabien  in  den  Okean  nach  einer  Insel  Panchaia  ge- 
konmien  sein,  wo  er  auf  einer  Säule  die  Geschichte  des  Uranos,  Kronos 
und  Zeus  gefunden  habe.^)  Jene  Methode  der  Mythendeutung,  welche 
ihrem  Autor  den  Vorwurf  eines  Atheisten  eintrug,  fand  bei  den  Zeit- 
genossen und  den  Späteren  vielen  Anklang ;  Ennius  hat  sie  mit  dem  Buche 
Euemerus  unter  den  Römern  eingebürgert. 

Palaiphatos  ist  Verfasser  der  nur  im  Auszug  auf  uns  gekommenen 
Schrift  über  unglaubliche  Dinge  (n€Ql  änfatcav).  Dieselbe  ist  im  Geiste 
des  euhemerischen  Rationalismus  geschrieben,  indem  ihr  Verfasser  flir  alle 
Mythen  einen  natürlichen  Erklärungsgrund  zu  ermitteln  sucht.  ^)  Die 
Sprache  ist  schlicht  und  einförmig,  der  Ton  trocken,  die  Begründung  zum 
Teil  flach  und  verfehlt,  wie  wenn  der  Mythus,  dass  Lynkeus  auch  die 
Dinge  unter  der  Erde  sehe,  darauf  zurückgeführt  wird,  dass  derselbe  ein 
Bergmann  gewesen  sei  und  mit  seinem  Grubenlicht  das  Silber  und  Erz  in 
der  Erde  entdeckt  habe.  Auf  der  anderen  Seite  begegnen  uns  aber  auch 
geistreiche  und  zutreffende  Deutungen,  wie  z.  B.  dass  die  Bildwerke  des 
Daidalos  sich  wie  lebende  Wesen  bewegen,  weü  er  zuerst  Statuen  mit 
auseinander  gehenden  Beinen  gebildet   habe.     Wahrscheinlich  war  unser 


»)  Sfcrab.  Xra  p.  599. 

«)  Strab.  XIII  p.  609. 

»)  ScHLiBMANN,  Ilios  200  ff.  u.  761  ff.;  M. 
Haupt,  Oposc.  II  58  ff.;  Gabde,  Demetrii 
Scepsii  qnae  supersant,  Greif sw.  Diss.  1880. 

^)  Messanios  heisst  er  bei  Euseb.  praep. 
ev.  II  2,  52,  Plut.  de  Is.  et  Osir.  23,  Lactan- 
tiufl  de  fals.  rel.  I  11;  BcQyaTog  bei  Sfcrabon 
p.  47  u.  104,  infolge  der  Verwechselung  mit 
Antiphanes  von  Berga,  die  beide  als  Auf- 
schneider bezeichnet  werden  (cf.  Stephanos 
unter  hBQyrj);  Kt^o^  bei  Ath.  658  e;  Agrigentinus 


bei  Amob.  adv.  gent.  IV  15.  Vgl.  Sibroka, 
De  Euhemero,  Königsberg  1869;  Ni^hbthy, 
Euhemeri  relliqniae,  Budapest  1889. 

^)  So  z.  B.  hiess  es  nach  Lactantius  1  7 
von  der  Venus:  prima  artem  meretrieiam 
instituit  auctorque  muUeribus  in  Cypro  fuit, 
ut  vuigcUo  corpore  quaestum  faetrent. 

<)  Euseb.  praep.  ev.  11 2,  52  nach  Diodor 
V  46.  Vgl.  LoBBCK,  Aglaoph.  987  f.;  Rohde, 
Griech.  Rom.  S.  220  ff. 

^)  Davon  hat  die  Schrift  bei  Suidas  den 
j    Titel  XvCHg  rtSy  nvSixaig  ei^tjftärmy. 


A.  AlexandrinuiclieB  Zeitalter.  8.  Die  Prosa,  a)  Geschiohtaohreibnng. 


J-394.)  557 


Palaiphatos,  der  ein  Zeitgenosse  des  Euhemeros  gewesen  zu  sein  scheint,^) 
auch  Verfasser  einer  Spezialschrift  über  die  troische  Landschaft  ( TgcDixä). 
Ausgabe  in  Westermanns  Mythographi  graeci;  Fragmente  bei  Müller  FHGn338f. 
Neue  Hilfsmittel  för  die  Hauptscbrift  von  Fröhneb  Philol.  Suppl.  V  34  flf.;  Boyson  Philol. 
42,  SOOfF.;  Fssta,  ConEdderaadoni  intomo  all'  oposcula  di  Palefato,  1890;  Vitblli,  I  manos- 
critti  di  Palefato,  mit  Text  in  Stadi  ital.  di  Filol.  class.  1893. 

An  diese  älteren  Mythographen,')  die  man  richtiger  als  Mythenerklärer 
bezeichnen  würde,  schlössen  sich  gegen  Ende  unserer  Periode  die  Mythen- 
erzähler an,  welche  die  alten  Mythen  in  systematischer  Weise  zu  einem 
Kyklos  zusammenstellten.  Die  berühmtesten  derselben  waren  die  beiden 
schwer  zu  scheidenden  Dionysioi.*)  Der  Kyklograph  (o  xvxXoyqdifoq) 
Dionysios  ist  wahrscheinlich  eine  Person  mit  dem  Samier  Dionysios,  der 
Dach  Suidas  Priester  des  Helios  in  Rhodos  war  und  ausser  anderm  ein  für 
den  Unterricht  bestimmtes  Handbuch  der  Mythologie  {taroQia  naidcvrixij) 
in  10  (eher  7)  Büchern  schrieb.  Dionysios  Skytobrachion  (Lederarm) 
aus  Mytilene  (um  100  v.  Chr.)*)  erzählte  in  prosaischer  Rede  die  Mythen  des 
Dionysos,  der  Amazonen,  des  Argonautenzugs,  des  troischen  Kriegs  u.  a., 
indem  er  daneben  die  Gedichte  und  Quellen,  denen  er  folgte,  verzeichnete. 
Er  war  eine  Hauptquelle  für  den  mythologischen  Abschnitt  in  Diodors 
3.  Buch.«) 

394.  Erateros,  wahrscheinlich  der  von  Phlegon,  Mir.  32  erwähnte 
Halbbruder  des  makedonischen  Königs  Antigenes  Gonatas,  machte  in  rich- 
tiger Erkenntnis  der  Wichtigkeit  der  Inschriften  für  die  geschichtliche 
Forschung  eine  umfangreiche,  chronologisch  geordnete  Sammlung  von  Volks- 
beschlüssen  {tprjfpiafxäTwv  avvaymyij),  die  eine  reiche  Fundgrube  der  Spä- 
teren, namentlich  des  Harpokration  bildete.^)  —  Über  die  verwandten 
Arbeiten  des  Periegeten  Polemon  werden  wir  in  dem  übernächsten  Ab- 
schnitt handeln. 

Die  parische  Marmorchronik,  auf  der  Insel  Paros  gefunden  und 
1627   nach  England  gebracht,   ist  verfasst  unter  dem   attischen  Archen 


*)  Snidas  zählt  vier  Palaiphatoi  auf  und 
bemerkt,  dass  die  Schrift  tisqI  äniartoy  in 
5  B.  von  den  einen  dem  nnter  Artaxerxes  111 
lebenden  Palaiphatos  aus  Paros  (v.  1.  Parion), 
▼on  den  andern  einem  jüngeren  Palaiphatos 
«18  Athen  zugeschrieben  werde.  Gutschmid 
in  Flachs  Ausg.  des  Hesychius  nimmt  an, 
dass  diese  beiden  Palaiphatoi  eine  Person 
seien.  Vor  295  setzt  die  Publikation  der 
iniöTa  J.  ScHRAOBR,  Palaephatea,  Berl.  1896. 
Auf  seine  Heimat  in  Eleinaaien  führt  auch 
die  singnlfire  Verlegung  des  Gorgonenmythus 
an  den  Pontus  Euxinus. 

*)  Za  ihnen  gehören  auch  noch  lam- 
bnlos,  von  dem  gleich  nachher,  Themi- 
Btagoras,  der  eine  Xgvaerj  ßißXog  yerfasste 
(Mülleb  FHG  IV  512),  Staphylos  aus 
Nankrafcis  (Müllbb  FHG  IV  505—7),  citiert 
Ton  Strabon  p.  476. 

')  Ed.  Schwabtz,  De  Dionysio  Scyto- 
braefaioiie,  Bonn  1880. 

*)  Saeton  de  viris  illustr.  7:  M.  Antonius 
Gnipho   institutus   Alexandriae  .  .  ,  in  con- 


tubernio  Dionysii  Scytobrachionis. 

*)  Diod.  III  52:  «yayQaqieiy  rag  ngd- 
|€i(  netQtta6fA£&a  iv  xetpccXaloig  dxoXov&(og 
Jiovvaii^  Xi^  avvxBxayfAivm  xd  ne^l  xovg 
'Agyovavxag  xal  xov  Juivvcov  xal  ixeg« 
noXXd  xtay  iy  xolg  nnXaioxdxoig  j^Qovoig 
UQcixdeyxioy.  Diod.  III  66:  tw  Jioyvaitp  t^ 
avyxa^afxiyio  xdg  naXaidg  fjiv&onouag,  oviog 
ydQ  id  xe  ne^l  xoy  Jioyvaoy  xal  xdg  'Afiu- 
^oyagf  exi  di  xovg  'AQyovavxag  xal  xd  xaxd 
xoy  iXittxoy  noXsfJLoy  -nQax^^eyxa  xal  noXX' 
ix€Qa  avyxixaxxai,  naQaxt&elg  xd  noiiijfxaxa 
xdiy  dgxciloyy  xaiy  xe  fiv&oXoytjy  xal  xtüy 
noifjTwy. 

®)  Fragmente  gesammelt  bei  Mülleb 
FHG  II  617—622;  Cobet,  Mnemos.  N.  F.  1 
(187.S)  97—128;  Krech,  De  Crateri  ^7j(p, 
avy,  Berl.  1887.  Dass  sich  Erateros  vor 
Aufnahme  von  Fälschungen  nicht  hütete, 
zeigt  die  Urkunde  über  den  Eimonischen 
Frieden  bei  Plut.  Cim.  12.  Einen  unechten 
Brief  des  Erateros  erwähnt  Strabon  p.  712. 


558  Oriachiaohe  Liiteratnrgeaohiohte.    IL  Hachklassisohe  Lüteimtnr. 

Diognetos  Ol.  129,  1  =  264/3,  von  welchem  Jahre  rückwärts  die  Datie- 
rungen zählen,  aber  so,  dass  das  Schlussjahr  bald  miteingerechnet  ist,  bald 
nicht.  Der  anonyme  Verfasser,  der  wesentlich  attischen  Quellen,  vielleicht 
auch  dem  Timaios  folgte,  gibt  im  Eingang  selber  an,  dass  er  eine  chrono- 
logische Qeschichtstafel  von  Kekrops  bis  auf  den  Archen  Diognetos  habe 
geben  wollen.  In  die  Tafel  nahm  er  nicht  bloss  die  politischen  Ereignisse, 
sondern  auch  die  Gründung  der  Agone,  die  Lebenszeit  der  Dichter,  die 
Erfindungen  und  ähnliches  auf,  aber  weder  in  wünschenswerter  Vollstän- 
digkeit noch  mit  der  erforderlichen  Kritik.  Gleichwohl  ist  die  Chronik, 
die  leider  am  Schlüsse  verstümmelt  und  zum  Teil  nicht  mehr  leserlich  ist, 
eine  der  wichtigsten  Urkunden  für  die  alte  Chronologie  und  Geschichte. 
Ausgabe  mit  Erläuterungen  von  Böckh  CIG  II  2374.  Spezialausgabe  von 
Flach,  Tübingen  1884. 

395.  Fremdländische  Geschichte  und  Völkerkunde.  Die  Ge- 
schichte fremder  Völker  ward  in  unserer  Periode,  wo  das  Hellenische  die 
Sprache  der  Gebildeten  des  ganzen  Erdkreises  geworden  war,  Gegenstand 
der  Forschung  und  Darstellung  sowohl  von  Seiten  der  Griechen,  welche  Ge- 
legenheit hatten,  die  Gebräuche  und  Geschichte  fremder  Länder  kennen  zu 
lernen,  als  auch  von  seiten  einheimischer  Priester  und  Gelehrten,  welche 
die  hellenische  Welt  mit  den  Institutionen  und  der  Vergangenheit  ihres 
Volkes  bekannt  machen  wollten. 

Boro  SOS  (v.  I.  Berossos),  Priester  des  Bei  in  Babylon,  schrieb  Baßv- 
Xionaxd  in  3  B.^)  Er  selbst  sagt  von  sich  bei  Synkellos  p.  28  B.,  dass 
er  unter  Alexander,  dem  Sohne  Philipps,  gelebt  habe ;  sein  Geschichtswerk 
widmete  er  dem  Könige  Antiochos  I  Soter.  Dasselbe  fing  mit  dem  fabel- 
haften Urwesen  Oannes  an  und  ging  herab  bis  auf  den  Untergang  des 
babylonischen  Reiches  durch  Kyros;  ausführlicher  wurde  die  Erzählung 
erst  in  der  jüngeren  Zeit  seit  Nabonassar  (747).  Das  Buch  fand  das  be- 
sondere Interesse  der  Juden  und  später  der  Christen  durch  die  alten,  mit 
der  Bibel  übereinstimmenden,  jetzt  auch  durch  die  Keilinschriften  bestä- 
tigten Mythen  von  der  Sintflut,  dem  Turmbau,  den  Zügen  des  Nabucho- 
donosar  u.  a.^)  Infolgedessen  ist  uns  auch  das  meiste  aus  ihm  durch  die 
jüdischen  und  christlichen  Schriftsteller  Josephos  und  Eusebios  erhalten, 
deren  Nachrichten  freilich  nicht  direkt  aus  Berosos  geschöpft  sind,  sondern 
zunächst  auf  Alexander  Polyhistor  und  ApoUodor  zurückgehen.  —  Ausser 
der  Geschichte  war  es  die  spezielle  Wissenschaft  des  Chaldäerlandes,  die 
Astrologie,  welche  Berosos  durch  Lehre  und  Schrift  {XaXSai'xd)  den  Grie- 
chen zugänglich  machte.     Fragmente  bei  Müller  FHG  11  495— 510.  s) 

396.  Manetho*)  war  ägyptischer  Erzpriester  unter  den  beiden  ersten 
Ptolemäern  und   spielte  nach  Plutarch,   De  Iside  28   bei   der  Einführung 


*)  Tatian.  adv.  Graec.  58  :^  BrjQtooog  aytJQ  1    babylonischen  Epos  Jzdnbar-Nimrod. 
BaßvXcSviog,  leQevg  roi7  Tiorp'  avToig  BijXov  xcrf'   '  *)  Hohmbl,  Das nenaufgefandene Original 


XQixtp  xrjy  XaXdttitoy  UrrOQiay  iy  TQiai  ßißXioig 
avyra^ag  xal  r«  7i€Qi  Tuty  ßaat-Xsojy  ix&€f4Byogy 
atpfjyeixtti  xxX. 


der  Dynastienliste  des  Berosos,  Ztschr.  für 
Eeilschriffc  II  Heft  2 ;  Geschichte  der  Tordes^ 
asiatischen  Kulturvölker,  Handb.  der  klaas. 
AltWiss.  III  1,  30. 


*)  Die  Sage  von   der  Sintflut  ist  ganz  ;  ^)  Manethoth  im  Aegypiischen  ao  viel  als 

ähnlich   wie   in   der  Bibel   erzählt   in   dem      datus  a  Thoth, 


iullexandrinisohes  Zeitalter.  d.Die  Poesie,  a) Geachiohtschreibnng.  (§§395—396.)  559 


des  Serapiskultus  in  Ägypten  eine  Hauptrolle.  Mit  seinem  Hauptwerk 
Älyvnuaxa  in  3  B.  verfolgte  er  den  Zweck,  die  herrschende  Klasse  mit 
dem  Glauben  und  der  Geschichte  des  von  ihnen  eroberten  Landes  bekannt 
zu  machen.  Dasselbe  umfasste  die  mythische  Vorzeit  und  die  Geschichte 
der  31  ersten  Dynastien,  deren  letzte  von  Nektanebos  H,  dem  letzten  der 
einheimischen  Könige,  bis  auf  Alexander  reichte.*)  Die  hohe  Bedeutung 
des  Buches  als  urkundliche  Darstellung  der  Geschichte  des  merkwürdigen 
Landes  gegenüber  der  auf  der  Mitteilung  von  andern  beruhenden  Erzählung 
des  Herodot  ist  erst  in  unserer  Zeit  zur  vollen  Anerkennung  gekommen, 
nachdem  durch  Entzifferung  der  Hieroglyphenschrift  die  Möglichkeit  ge- 
boten war,  die  Königslisten  des  Manetho  mit  den  ähnlichen  Verzeichnissen 
des  Turiner  Papyrus  und  den  Tafeln  von  Abydos  und  Saggara  zusammen- 
zustellen.*) —  In  römischer  Zeit  haben  nicht  bloss  die  Alyvirriaxa  mannig- 
fache Erweiterungen  erfahren,  sondern  sind  auch  dem  alten  Manetho 
mehrere  Schriften  von  zweifelhafter  Echtheit,  wie  das  Sothis-Buch  und 
das  heilige  Buch  {Isqü  ßißXog),  beigelegt  worden,  wodurch  die  Sonderung 
der  echten  und  unechten  Manethoniana  zu  einer  der  schwierigsten  Auf- 
gaben der  philologischen  Kritik  geworden  ist.  8)  Womöglich  noch  verwickelter 
ist  die  Entwirrung  der  Dynastientafeln  selbst,  insbesondere  die  Frage,  ob 
nicht  mehrere  der  nacheinander  aufgezählten  Könige  nebeneinander  in  ver- 
schiedenen Teilen  Ägyptens  regiert  haben  und  inwieweit  astronomische 
Berechnungen  auf  die  enormen  Zahlen  bei  Manetho  von  Einfluss  waren.*) 
Benutzt  und  ausgeschrieben  wurde  Manetho  neben  dem  gleichzunennenden 
Hekataios  von  Diodor  in  seiner  Bibliothek.*)  Fragmente  bei  Müller  FHG 
n  511—616. 

Neben  Manetho  war  es  der  etwas  ältere  Hekataios  aus  Teos  oder 
Abdera,  aus  dem  die  Späteren  ihre  Kenntnis  der  ägyptischen  Geschichte 
schöpften.  Es  war  eine  sehr  trübe  Quelle;  der  vielgereiste  Mann,  ein 
Schüler  des  Skeptikers  Pyrron,  der  auch  ein  Buch  über  die  Hyperboreer 
geschrieben  hatte,  war  unter  dem  ersten  Ptolemäer  auch  nach  Ägypten 
gekommen  und  legte  seine  Erkundigungen  über  das  merkwürdige  Land  in 
dem  romanhaft  ausgeschmückten  Buche  Alyvnxiaxd  nieder.  Ihn,  der  kein 
Ägyptisch  kannte,  benutzte  besonders  Diodor.  ß)  —  Untergeschoben  war 
demselben  Hekataios  ein  Buch  über  Abraham,  in  welchem  zum  Beweise, 
dass  die  griechische  Lebensweisheit  in  der  jüdischen  ihre  Quelle  habe, 
eine  Menge  selbstgefertigter  Tragiker-  und  Komikerverse  aufgeführt 
waren.  T)     Fragmente  bei  Müller  FHG  H  384—396. 


1)  Wacbsmuth,  Einleit.  336  erklärt  die 
Geschichte  jener  31.  Dynastie  fllr  eine  nach- 
iiigUehe  Ei^änzung. 

')  Vgl.  £d.  Meter,  Gesch.  d.  Alt.  I  §  36. 

»)  Vgl.  Ed.  Meyer,  Gesch.  d.  Alt.  I  §  30; 
WicHsiiaTH,  Einleit.  336. 

*)  GcTSCHMiD,  De  remm  Aegypt.  scrip- 
toribos,  im  Pilol.  X  522—42  u.  663—70,  jetzt 
Kldne  Sehr.  1  35  fif.;  BGcelh,  Manetho  und 
die  Himdsstemperiode,  Berl.  1845;  ünger, 
Chronologie  des  Manetho,  Berl.  1867;   H.  v. 


Pessl,  Das  chronologische  System  Manethos, 
Leipz.  1878. 

*)  Eus.  praep.  ev.  III  2:  ygäfpu  tW  wf^i 
rovTcjy  Ttkarvxegov  (ihr  MaP6&(oy,  htixet' 
fAf}fx4vtag  &e  JtodtoQog.  Vgl.  Krall,  Manetho 
u.  Diodor,  Sitzb.  d.  österr.  Ak.  1880  (B.  96) 
237-84. 

«)  Vgl.  SüSEMiHL,  AI.  Lit.  I  310  ff. 

^)  Vgl.  0.  Gruppe,  Die  griech.  Kulte  und 
Mythen  I  424  ff.;   Susemihl,  AI.  Lit.  II  644  f. 


560 


Griechische  Litieraiurgesohichie.    IL  Haehklaaeische  Idttentar. 


397.  Megasthenes,  Verfasser  von  'IvSixä,  lebte  anter  Seleokos 
Nikator  und  war  dem  Befehlshaber  von  Arachosia  beigegeben,  in  dessen 
Auftrag  er  mehrere  Gesandtschaftsreisen  an  den  indischen  König  Sandro- 
kottos  (Chandraguptas)  unternahm.  Seine  Indika  in  4  B.  waren  mehr 
ethnographischen  als  historischen  Inhaltes  und  gaben  äusserst  interessante 
Nachrichten  über  die  Geographie,  Flora  und  Fauna  Indiens,  Qber  das 
indische  Kastenwesen  und  sonstige  Sitten  der  Inder.  Ihr  Autor  schöpfte 
nicht  wie  Berosos  und  Manetho  aus  einheimischen  Originalschriften,  son- 
dern war  auf  die  Berichte  der  Brahmanen  angewiesen ;  aber  er  hatte  doch 
mit  eigenen  Augen  Land  und  Leute  gesehen  und  hatte  so  vor  Herodot 
und  den  älteren  Historikern  der  Griechen  einen  grossen  Yorsprung.  Leider 
aber  litt  er  stark  an  den  Fehlern  der  Historiker  seiner  Zeit,  an  der  Vor- 
liebe für  das  Fabelhafte  und  an  dem  Bestreben,  griechische  und  fremde 
Mythen  zu  amalgamieren.  So  hat  er  die  Sage  von  dem  Zug  des  Gottes 
Dionysos  nach  Indien  aufgebracht  und  hatte  die  Unverschämtheit,  diese 
Mythe  den  Eingeborenen,  die  von  jenem  Gott  den  Übergang  ihres  Landes 
zur  gesitteten  Lebensweise  abgeleitet  haben  sollten,  in  den  Mund  zu  legen. 
Überhaupt  vertrat  er  die  Ansicht,  dass  die  Weisheit  der  Griechen  mit  der  der 
Brahmanen  und  Juden  übereinstimme.^)  Den  Inhalt  der  Indika  gibt  Diodor  11 
35—42  im  Auszug  wieder.  Dazu  kommen  zahlreiche  Fragmente  bei  Stra- 
bon  und  Arrian,  gesammelt  und  geordnet  von  Schwanbeck,  Megastbenis 
fragmenta  (1846),  und  von  Müller  FHG  ü  397—439.«) 

Auch  Daimachos  aus  Platää,  der  Nachfolger  des  Megasthenes  auf 
dem  indischen  Gesandtschaftsposten,  schrieb  'irdixa  (Müller  FHG  II  440). 
—  Mehr  ins  Fabelhafte  ging  der  Bericht  des  lambulos  über  seinen  Auf- 
enthalt bei  dem  hellenenfreundlichen  Könige  von  Palimbothra  und  über 
ein  glückseliges  Inselvolk  im  indischen  Okean.  Einen  Auszug  des  Buches 
gibt  uns  Diodor  II  55—60.3) 

Auch  die  phönikische  Geschichte  wurde  um  diese  Zeit  aus  einbeimi- 
schen Städtechroniken  zusammengestellt  von  Menander  aus  Ephesos, 
aus  dessen  Werk  uns  der  Jude  Josephos  manches  wichtige  Bruchstück 
erhalten  hat.     Die  Fragmente  bei  Müller  FHG  IV  445—8.*) 

398.  Pytheas,  der  Massiliote,  erschloss  als  erster  Nordpolfahrer, 
den  Griechen  den  Nordwesten  wie  Megasthenes  den  Osten  der  alten  Welt 
Er  hatte  um  300  v.  Chr.,  ausgerüstet  mit  guten  mathematischen  Kennt- 
nissen, auf  Schiffen  phönikischer  Seefahrer  zweimal  die  kühne  Reise  von 
Gades  in  den  westlichen  Okean  bis  nach  den  brittischen  Inseln  und  dar^ 
über  hinaus  nach  Thule  gewagt.  Seinen  Landsleuten  machte  er  von  diesen 
bisher  ganz  unbekannten  Gegenden  in  seinem  Buche   ticqI  dxearov  Mit- 


^)  Clemens  Alex,  ström.  I  p.  132 :  Meya- 
a&ivrjg  6  avyyQtttpBvq  6  ^cAct'xoi  tw  NixdzoQi 
avf4ßeßt(ax(üg  iv  tfj  tgUn  twv  'ly&ixtSy  tade 
yQdg>ei  '  anayrcc  fAivtot  xd  tibqI  (pvaetag 
BlgijfJLiva  naqd  roig  aQX^^^^f  Xiyerai  xal 
naqd  totg  l|e)  t^g  'EXXddog  tpiXocofpovciVy 
xd  fiiy  nttQ*  'lv6otg  vno  xiov  Bga^f^dytoy,  xd 
di   iy  xj  2vQitf   vno    xtoy   xnXovfjiiytoy  *Iov~ 


daiojy. 

*)  Ueber  seinen  S^itgenoasen  Patro* 
kies,  den  Strabon  wegen  seiner  WafarheitB- 
treue  höher  schätzt,  siehe  oben  §  258. 

>)  Vgl.  RoHDB,  Griech.  Roman  226  ff. 

«)  GuTSCHMiD  Kl.  Sehr.  IV  478  setzt  den 
Menander  ins  2.  Jahrh.  y.  Chr. 


A.AlezAndriiiiaches  Zeitalter.  S.Die  Prosa.  a)OeBOhichtsohreibiuig.  (§§397—899.)  561 

teQuDgen.  Dasselbe  enthielt  nach  der  Weise  der  Reiselitteratur  jener  Zeit 
manches  Fabelhafte  und  es  wurde  deshalb  sein  Verfasser  von  Seiten  des 
Polybios  und  Strabon,  nachdem  inzwischen  durch  die  Unternehmungen  der 
Römer  genauere  Kenntnis  von  den  westlichen  Ländern  erlangt  war,  hart 
angefochten,  so  dass  er  in  den  Verruf  eines  Aufschneiders  und  Lügners 
kam.^)  Damit  that  man  dem  kühnen  Seefahrer  sehr  unrecht,  da  manche 
Berichte,  welche  den  Zeitgenossen  unglaublich  klangen,  wie  die  von  den 
kurzen  Nächten  des  Nordens  und  der  Ähnlichkeit  des  Gefrierens  des  nörd- 
lichen Meeres  mit  den  Meerlungen,  hintendrein  ihre  Bestätigung  erhielten.^) 
Die  Nachrichten  des  Pytheas  wurden  nachher  von  einem  Geographen  aus 
der  Schule  des  Eratosthenes  oder  Hipparch  in  einen  Periplus  der  West- 
kaste Europas  verarbeitet;  diesen  legte  im  4.  Jahrh.  n.  Chr.  Avien,  ein 
altertümelnder,  römischer  Schriftsteller,  dem  ersten  Teile  seines  uns  er- 
haltenen geographischen  Lehrgedichtes  Ora  maritima  zu  gründe.  Dieses 
Gedicht  ist  neben  den  vereinzelten,  meist  polemischen  Angaben  älterer 
Schriftsteller  die  Hauptquelle,  aus  der  wir  unsere  Kenntnis  von  den  Ent- 
deckungen des  Pytheas  schöpfen.  Beleuchtet  sind  die  Fragmente  am  ein- 
gehendsten von  Müllenhoff,  Deutsche  Altertumskunde  I  211—497.') 

S99.  Römische  Geschichte  bei  griechischen  Historikern. 
Über  Rom  hatten  bereits  Hieronymos  von  Kardia,  Timaios  und  Lykophron 
Nachricht  gegeben.  Noch  ehe  dann  aber  Polybios  den  engen  Gesichts- 
kreis seiner  Landsleute  überwindend  eine  grossartige  Auffassung  der  auf- 
gehenden Weltmacht  in  seinen  Schriften  verbreitete,  hatten  die  Kämpfe 
der  Punier  griechischen  Historikern  Stof^  zu  historischen  Darstellungen 
geliefert.  Diejenigen,  von  denen  uns  Kunde,  wenn  auch  nur  spärliche, 
zugekommen  ist,  waren:  Philinos  von  Akragas,  den  Polybios  I  14  neben 
Fabius  als  Hauptquelle  des  ersten  punischen  Krieges  bezeichnet,  Silenos 
von  Kaiakte  und  Sosilos  von  Lakedämon,  welche  beide  im  Lager  des 
Hannibal  gewesen  waren  und  eine  parteiisch  gefärbte  Darstellung  des 
zweiten  punischen  Krieges  gaben,^)  Diokles  von  Peparethos,  der  ein 
Buch  über  die  Gründung  Roms  schrieb  und  dem  zumeist  Fabius  Pictor 
folgte.^)    Auch  die  Annalen  des  Fabius  Pictor,  Cincius  Alimentus,  Postum- 


»)  Der  Rhetor  Aristides  II  p.  475  ed. 
.  l^d.  sagt  deshalb  von  ihm  6  MaacaXuoirig 
^Xtdog  xat  Ttoit^Tixoe.  Mit  Einsicht  hatte 
^egen  vor  Polybios  der  grosse  Mathe- 
ttatiker  Hipparch  die  Nachrichten  des  Py- 
tiieas  für  seine  Darstellung  der  Gestalt  der 
Erde  verwertet;  vgl.  Berobr,  Erdkunde  der 
Griechen  IV  12  ff. 

')  NiLsoN,  Ureinwohner  des  skandina- 
^hen  Nordens  S.  123  f.  Eine  andere  Deu- 
tnng  der  Meerlunge  gibt  Gerland,  Zu  Py- 
^^tcas  Nordlandsfiübrten,   Beitr.  z.  Geophysik 

')  Meine  eigenen  Ansichten  habe  ich 
^vgelegt  in  der  Abhandlung,  Avien  und  die 
^«ten  Nachrichten  Über  Iberien  und  die 
WeetkOste  Europas,  Abhdl.  d.  bayer.  Ak.  XI, 


1865,  und  gegen  Einwände  Mttllenhoffs  ver- 
teidigt Jahrb.  f.  Phil.  1871  S.  707  ff.  In  den 
viel  verhandelten  Streitfragen  folge  ich  jetzt 
der  scharfsinnigen  Analyse  von  Marx  Rh. 
M.  50  (1895)  321  ff.;  AUgem.  Ztg.  Beü.  1897 
Nr.  162  f. 

*)  Sehr  wegwerfend  urteilt  Über  Sosilos, 
den  Lehrer  des  Hannibal  im  Griechischen, 
Polybios  III  20.  Silenos,  dem  Cölius  Anti- 
pater  folgte,  hatte  überdies  Sikelika  ver- 
fasst,  welche  Athen.  542  a  citiert.  Fragmente 
bei  MüLLEB  FHG  III  99—102. 

^)  Vgl.  Plutarch  Romul.  3.  Die  Frag- 
mente des  Diokles  gesammelt  von  Möllbb 
FHG  III  74-79.  Unbestimmt  ist  die  Zeit 
des  Antigonos,  von  dem  Dionys.  Halic.  I  6 
'haXixd  anführt. 


Budbadi  der  Umi.  Altertamswiaaenschaft.    VII.    8.  Aufl. 


562  Grieohiaohe  LitteratargeMhichie.    IL  g»nh¥Ta«iia<the  Litteraior. 

iu8   AlbinuB,^)    C.   Acilius  waren   ursprünglich    in    griechischer   Sprache 
(graecis  annalibus  bei  Cic.  de  div.  I  21)  abgefasst. 

400.    Polybios   (um  205  bis  um   120) ')  ist  der   einzige   namhafte 
Historiker  unserer  Periode,  der  einzige  zugleich,  von  dem  uns  etwas  Nam- 
haftes erhalten  ist.     Er  stammte  aus  Megalopolis  und  war   der  Sohn  des 
Lykortas,  eines  mit  Philopoimen  engbefreundeten  Strategen  des  achäischen 
Bundes.     Diese  seine  Abkunft   und   noch  mehr  seine  eminente  Begabung 
bahnten  ihm  früh  den  Weg  zu  hervorragender  Stellung  in  seiner  Heimat 
Noch  als  Jüngling  erhielt  er  die  Ehrenaufgabe,  die  Asche  des  Philopoimen 
in  seine  Heimat  überzuführen;')   als  junger  Mann  ward  er  181   zu   einer 
diplomatischen    Sendung    an   den  Hof   von  Alexandria  ausersehen  ;^)   im 
Jahre  169  bekleidete  er  das  Amt  eines  Hipparchen  im  achäischen  Bunde. ^) 
Zwei  Jahre  später,   nach  der  Besiegung  des  Makedoniers  Perseus,  war  er 
unter  den  1000  edlen  Achäern,  welche  als  Geiseln  nach  Rom  übergeführt 
und  16  Jahre  daselbst  zurückgehalten  wurden.     Als  Gegner  der  Römer, 
wenigstens  als  einer,  der  sich  der  Umarmung  Roms  erwehren  wollte  nnd 
einer   zuwartenden  Neutralität  das  Wort  redete,  war  er  nach  Rom  ge- 
kommen; es  erging  ihm  nicht,  wie  so  vielen  in  Boccaccios  Zeit,    die  aus 
dem  Besuche  Roms   die  Verachtung  der  römischen  Zustände  mit  in  ihre 
Heimat   zurückbrachten;    umgekehrt,    durch    den  Anblick   des    römischen 
Staatswesens  und  den  intimen  Verkehr  mit  den  römischen  Grossen  wurde 
er   ein   enthusiastischer   Bewunderer   Roms*)   und   ein   Hauptanwalt   der 
römischen  Weltherrschaft.     Insbesondere  trat  er  zu  dem  Hause   des  Ae- 
milius  Paulus  in  enge  freundschaftliche  Beziehungen  und  begleitete  den 
jungen  Scipio  Aemilianus   auf  seinen   Reisen   in  Oberitalien  und    seinen 
Feldzügen  gegen  die  Keltiberer  in  Spanien.     Auf  solche  Weise  lernte  er 
das  Räderwerk  der  römischen  Politik  aus  unmittelbarer  Nähe  kennen  und 
erwarb  sich  zugleich  jene  ausgedehnten  geographischen  Kenntnisse,   die 
ihm  später  bei  Abfassung  seines  Geschichtswerkes  zu  statten  kamen.  ^)   Im 
Jahre  150  ward  ihm   mit  seinen   Genossen   nach   17  jährigem   Exil   freie 
Rückkehr  nach  seiner  Heimat  gewährt.     Aber  später  kehrte  er  noch  zwei- 
mal nach  Rom  zurück;  im  3.  punischen  Krieg  befand  er  sich  im  Gefolge 
seines  Freundes,  des  römischen  Feldherrn  Scipio.^)    In  den  nachfolgenden 
Verwicklungen  Roms  mit  Griechenland  ward  er  von  den  Römern  vielfach 


^)  Ein  Bruchstück  publiziert  von  Cortese  nachträglich   nicht   zostand;    aber    Poljbioe 

in  Riv.  di  phil.  M  396.  rnuss  nach  seinem  eigenen  Zeugnis   34,  14 

')  Suidas  unt.  üoXvßio^,     W.  Hbnzen,  spftter  unter  Ptolemaios  Physkon,  also  nach 

Quaest  Polyb.,  de  yita,  Berl.  1840;  Webkbb,  146,    wahrscheinlich    136,    mü    Scipio    in 

De  Polybii  vita  et  itineribus,    Berlin  1877;  Aegypten  gewesen  sein. 

Run.  V.  ScALA,   Die   Studien   des   Polybios,  *)  Pol.  28,  6. 

Stuttg.l.Bd  1890;  BüDiNG ER, Universalhistorien  ,           *)  Er  pries  nicht  bloss  den  römischen 

im  Altertum  76  -103.    Sein  Geburtsjahr  er-  Soldaten  und  das  römische  Staaisregim«it^ 

gibt  sich  beilftufig  daraus,  dass  er  181,   als  er  lobte  auch  ihre  Ehrlichkeit  und  Unbestech- 

er  zum  Gesandten  erw&hlt  wurde,   ysairfgo^  lichkeit  (6,  56  u.  32,  8). 

717;  xara  fovg  yofiovq  i^lixta;  war  (Pol.  25,  i           ^)  Plinius  N.  H.  Y  9 :  Scipione  Aemiiiamo 


7),  nach  seiner  eigenen  Angabe  29,  9  aber 
das  80.  Lebensjahr  den  Zugang  zu  den  öffent 
liehen  Aemtem  erOflhete. 
»)  Plut.  Philop  20. 


^)  Pol.  5,  7.     Die   Gesandtschaft  kam  j  Marc.  24,  2. 


res  in  Äfriea  gerente  Polyhius  annalium  co»^ 
ditar  ab  eo  accepta  dasse  serutandi  iilius 
arhU  gratia  circumvectus. 

<»)  Pol.  39,  4;   Diodor  82,  8;  Ammianns 


A.  AlaxandriiÜBchm  Zeitalter.  8.  Die  Prosa,  a)  Oeeohiohtachreibiuig.  (§§400-401.)  563 

zu  politischen  und  militärischen  Sendungen  verwendet;  dabei  benutzte  er 
seine  Verbindungen  mit  den  römischen  Grossen,  um  bei  den  Römern  als 
Vermittler  fOr  seine  besiegten  Landsleute  aufzutreten  und  eine  schonende 
Behandlung  derselben  zu  erwirken.^)  In  dankbarer  Anerkennung  seiner 
Verdienste  ward  er  deshalb  von  vielen  griechischen  Staaten  mit  Ehren 
überhäuft:  die  Basis  eines  Ehrendenkmals  mit  der  Inschrift  ij  noXig  rj 
'Hliiwv  UoXvßiov  Avxoqrga  MsyakonoXixriv  ward  neuerdings  in  Olympia  auf- 
gefunden;*) in  Megalopolis  auf  dem  Markte  sah  Tansanias  VIII  30  von 
ibm  eine  Ehrensäule  mit  einer  Inschrift  in  Versen,  die  seine  Bemühungen 
f&r  die  Erhaltung  griechischer  Städte  und  seine  gesetzgeberische  Thätig- 
keit  priesen.  Den  Tod  fand  er  noch  körperlich  und  geistig  rüstig  in  dem 
hohen  Alter  von  82  Jahren  ;>)  er  war  bei  einem  Ritt  vom  Pferd  gefallen 
and  starb  infolge  dieses  Unfalls  um  120. 

401.  Das  Hauptwerk  des  Polybios  waren  seine  ^lato^iai  in  40  B.; 
er  selbst  spricht  ausserdem  10,  21  von  einer  besonderen  Schrift  über 
Philopoimen  in  3  B.*)  und  von  Kommentaren  über  Taktik.*^)  Nach  Gemi- 
QQs,  Isag.  in  Arat.  13  hat  er  auch  ein  geographisches  Werk  n€Qi  xTfi  neqi 
%6y  hfjfisQivov  (Hxjjffiwg  geschrieben,  vielleicht  aber  war  dasselbe  nur  ein 
Teil  des  ganz  der  Geographie  gewidmeten  34.  Buches  seiner  Historien;^) 
auch  das  Buch  über  den  numantinischen  Krieg,  das  Cicero  ad  fam.  V  12 
erwähnt,  war  vermutlich  nur  ein  gesondert  herausgegebener  Abschnitt  der 
Historien.  Über  die  Anlage  seines  Hauptwerkes  spricht  er  sich  selbst  im 
Proömium  I  1—5,  sodann  im  Eingang  des  3.  Buches  und  im  Epilog  (39, 
19}  ausführlich  aus.  Danach  sollten  die  zwei  ersten  Bücher,  ähnlich  wie 
das  erste  Buch  des  Thukydides,  die  Einleitung  {nQonaQatfxsvi])  bilden  und 
die  Geschichte  Roms  und  Karthagos  von  266—221  enthalten.  Mit  dem 
Jahre  221  begann  sein  eigentliches  Werk;  dasselbe  war  eine  allgemeine 
Zeitgeschichte  (tcov  xad-oXov  nQayfxavfüv  1,  4;  2,  2;  6,  6),  die  Vorkomm- 
nisse in  Griechenland,  Asien,  Italien,  Libyen  gleichmässig  umfassend.  Zur 
Einheit  sollte  diese  reiche  Mannigfaltigkeit  verbunden  werden  durch  den 
leitenden  Grundgedanken,  wie  die  verschiedeuen  Staaten  der  damals  be- 
kannten Welt  allmählich  unter  die  eine  römische  Herrschaft  gekommen 
seien. ^)  Diese  Ausdehnung  des  römischen  Reiches  war  zustande  gekommen 
in  den  Kriegen  mit  Hannibal,   Philipp  und  Antiochus  in  den  Jahren  221 


*)  Pol.  89,  14-17;    mit  Bezug   darauf  •)  Ps.  Luc.  Macrob.  22;  ükobb,  Philol. 

ngt  er  3,  5  von  seiner  Thätigkeit  wfthrend   i  41,  614  f.  setzt  seinen  Tod  nicht  lange  vor 


Zeit:  ttSy  nXsiaxwy  fjiiq  fioyoy  ttvton-  >  119,    da   er  nach  3,  39   die  Vollendung  der 

riK  c^U'  wv   fiiy  avve^yog  iv  6k  xat   /et-  |  Heerstrasse  vun   den   Pyrenäen  zur   Hhone- 

ffvriTC   yeyoviyat.     Seine   Verwendung   für  ,  mündung  erlebt  habe. 

Limdsleute  bei  den   Mächtigen  Roms  '          ^)  Cas  Buch  noch  benutzt  von  Plutarch 


ib  muaterliaft  hingesteUt  von  Plutarch  Mor.  Philop.  18. 

814 C.  ^)  PoL  9,  20;    iqfjuy    iy    toU   nBQi    tag 

*)  DiTTPirBBBOKB,  SyU.  243;  von  anderen  tctIck  rno/Äyijfiaaiy  axQißiaxsQoy  dedijXtittat. 

Elirendenkmalen   s.  Paus.  VIÜ  9,  1;    30,  8;  I  Dieselben  erwähnt  auch  Arrian  Tact.  1  und 

37. 2;  44,  5;  48,  8;  vgl.  Polyb.  39,  16.    Eine  ■  Aelian  Tact.  I  3,  19. 

▼«n  MilchhMer  auf  dem  Boden  des  alten  |           *)  Max  Scbmidt  Jahrb.  f.  Phil.  125,  118. 

Qettor  gefundene  und  trotz  des  zu  Jugend-  ^)  Pol.  3,  3:    ntog  xai   tmots  xai  did  xi 

Echen    Aussehens    auf   Polybios    gedeutete  Ttayxa  xa  yyto^i^ofAcya  /Ai^rj  xijg  oUov/46yt]g 

EeiiefiBtele  findet  sich  in  Mitteil.  d.  arch.  Inst.  '   ^^f*  ^V^  ^^^  'Ptofireiwy  ovyufdiy  iyiysxo, 

n  AÜien  Bd.  6  tab.  5.  i 

36* 


564  Grieohiflohe  LitteraiorgMohiohte.    IL  Vaohklaasisohe  litteratar. 

bis  168  und  wurde  von  unserem  Historiker  dargestellt  in  den  Büchern  3 
bis  30.^)  Dazu  fügte  derselbe  dann  später  noch,  indem  er,  wie  er  3,  4 
sagt,  gleichsam  einen  neuen  Anlauf  nahm,  die  Geschichte  von  168 — 146,') 
in  welchem  Zeitraum  sich  die  Weltherrschaft  der  Römer  befestigte  und 
sich  als  notwendig  und  segensreich  erwies.  Den  ersten  Teil  scheint  er 
schon  in  Rom  vor  150  verfasst  oder  doch  entworfen  zu  haben;  an  den 
zweiten  ging  er  erst  später  um  182;  doch  benutzte  er  nicht  bloss  daza 
ältere,  unmittelbar  nach  den  Ereignissen  abgefasste  Tagebücher,  sondern 
schuf  auch  durch  spätere  Einfügungen  die  beiden  Teile  so  zu  einem  Ganzen 
um,  dass  die  Fugen  der  Zusammenfügung  kaum  mehr  erkennbar  sind.')  — 
Auf  uns  gekommen  sind  von  dem  Werke  die  fünf  ersten  Bücher  vollstän- 
dig, sodann  umfangreiche  Auslesen  (sxXoyaf)  aus  den  ersten  18  Büchern, 
erhalten  in  einem  Codex  von  Urbino,  endlich  Reste  aus  dem  grossen  Ex- 
zerptenwerk des  Konstantinos  Porphyrogennetos.^) 

403.  Allgemeine  Charakteristik.  In  der  Auffassung  und  Behand- 
lung der  Geschichte  vertritt  Polybios  eine  neue  Richtung,  die  der  prag- 
matischen Geschichtsschreibung.^)  Nicht  zufrieden  damit,  die  blossen 
Thatsachen  zu  erzählen,  war  er  überall  bemüht,  in  das  Wesen  der  Dinge 
zu  dringen  und  die  Gründe  der  Handlungen  und  Ereignisse  zu  erforschen. 
Als  letzter  Grund  galt  ihm  die  Staatsordnung,  wie  er  6,  1  mit  den  Worten 
ausspricht:  [leyiaTijV  ahiav  ijyjyr&ov  iv  anavn  nqdyiiati  xal  TrQog  eizv^iav 
xal  tovvavTiov  ttjv  tfjg  nohreiag  (fitfraaiv.  Die  Religion  hatte  ihm  keine 
Bedeutung  an  und  für  sich ;  er  betrachtete  sie  ähnlich  wie  schon  vor  ihm 
Aristoteles «)  nur  als  Mittel,  die  Menge  und  diejenigen,  welche  der  reinen 
Weisheit  sich  nicht  zugänglich  zeigen,  in  Zucht  und  Ordnung  zu  halten: 
wäre  es  möglich,  sagt  er  6,  56,  einen  Staat  aus  Weisen  zusammenzn- 
bringen,  so  bedürfte  man  des  Hilfsmittels  religiöser  Einschüchterung  (Ssi- 


*)   Auf  frtthere   Abfassung   der   ersten  ;   Werken,  darunter  aus  Polybios,  Diodor,  Dio- 

80  B.  weisen  hin  die  Stellen  6,  52.  56;  9,  9;  nysios  Halik.,  Nikolaos  Damaskenos,  Jose- 

14,  10.     Schon   3,  32    indes   spricht  er  in  phos,  Appian,  Arrian,  Dio  Cassius,  Herodian, 

einem  später  eingesetzten  Kapitel  von  40  B.  Dezippos,  Eunapios,  Zosimos,  Piiskos,  Mal- 

*)  Nach  Unoer  Philol.  55,  76  achUesst  chos,   Prokopios,   Auszüge  unter   53  "nteln 

145/4  die  allgemeine  Geschichte,  sind  aber  anfertigen  lassen.    Von  diesen  Titeln  sind 

spoziell  von  Griechenland  noch  berücksichtigt  fünf,  nsgi  rtQ^aßBuHv^  negl  uqbtijs  xal  xaxitii, 

die   Verhältnisse    der    folgenden  Jahre    bis  ne^i  yviafiuivy  nsQi  inißovhay  xarcs  ßaaUui^v 

140/39.  y^yovvuov,  negl  noXiogxituy  {fffgait^yigfiärmv) 

')  Nissen,  Die  Oekonomie  der  Geschichte  nach   und   nach   bruchstückweise    aus   dem 

des  Polybius,  Rh.  M.  26,  241  ff.  R.  Thomxrn,  Dunkel  der  Bibliotheken  ans  Licht  gezogen 

Abfassungszeit  der  Geschichten  des  Polybius,  worden.  Näheres  bei  Krumb achbr,  Byz.  UL 
in  Herm.  20,  196  ff.    Dagegen  Einwände  von   |    1.  Aufl.  p.  64  ff.,  2.  Aufl.  p.  258  ff.    —  Dass 

Hartstein,  Philol.  45,  715  ff.  u.  53,  756  ff.  gerade  fünf  Bücher  von  Polyb  erhalten  sind. 


Da  wir  hier  zum  erstenmal  auf  dieses 
Werk  zu  sprechen  kommen,  später  aber 
noch  öfters  auf  dasselbe  zurückkommen 
werden,  so  seien  hier  gleich  einige  Notizen 
über  die  Anlage  desselben  eingelegt.  Der 
byzantinische  Kaiser  Konstantinos  (912  bis 
959)  hatte  in  einer  Zeit,  wo  man  aus  dem 
damals  noch  weit  grösseren  Umfang  der 
klassischen  Litteratur  das  Lesenswerte  aus- 
zulesen und  zu  praktischen  Zwecken  zu- 
sammenzustellen liebte,   aus  18  historischen 


wird  hier  wie  bei  Diodor  und  Livins  mit  der 
zur  Zeit  der  Pergamenthandschriffcen  erfolgten 
Einteilung  des  Gesamtwerkes  in  Pentaden 
und  Dekaden  zusammenhängen. 

')  Ulbici,  Charakteristik  59—64  und 
208—221;  P.  La-Rochk,  Charakteristik  des 
Polybios,  Leipzig  1857;  Marrbadsbr,  Der 
Geschichtsschreiber  Polybius,  seine  Weife- 
anschauung und  Staatslehre,  Münch«!  1858; 
MoMMSBN,  Rom.  Gesch.  IV  449  ff. 

<>)  Aristot.  Metaph.  p.  1074^  4. 


LAlexandrinischea  Zeitalter.  8.  Die  Prosa,  a)  aeaohiohtaohreibang.  (§§402-403.)  565 


t!idm^ov(a)  gar  nicht.  *)  Für  die  veredelnde  Kraft  der  Poesie  und  der 
geistigen  Genüsse  hatte  ohnehin  der  praktische  Mann,  der  überhaupt  mehr 
schon  Römer  als  Hellene  war,  kein  rechtes  Verständnis;')  nur  der  Pflege 
der  Musik  redet  er  4,  21  energisch  das  Wort.  Die  Tyche  oder  Fortuna, 
die  ihm  an  die  Stelle  der  alten  Götter  getreten  war,  galt  ihm  als  eine 
onheimliche  Macht,')  deren  Grenzen  einzuengen  ihm  eine  Hauptaufgabe 
wie  des  willensstarken  Mannes  so  auch  des  einsichtsvollen  Historikers 
zu  sein  schien.^)  Indem  er  so  mit  der  höheren  Anschauung  eines  Philo- 
sophen der  stoischen  Richtung^)  die  Aufgabe  des  Geschichtsschreibers 
erfasste  ^)  und  die  Geschichte  zu  einer  Lehrmeisterin  der  Menschen  über- 
haupt und  der  Staatsmänner  insbesondere  zu  machen  suchte,^)  forschte  er 
überall  nach  den  Gründen  und  leitenden  Motiven  und  wandte  der  Schil- 
derung der  staatlichen  Einrichtungen  eine  besondere  Aufmerksamkeit  zu. 
Gleich  im  Anfang  stellt  er  die  Frage,  durch  welche  Art  der  Staatsver- 
fassung die  Römer  Herren  der  Welt  geworden  seien  (1,  1),  und  widmet 
dann  fast  das  ganze  6.  Buch  der  Darstellung  des  römischen  Staatswesens 
and  dieses  mit  einer  Einsicht  und  Genauigkeit,  dass  man  etwas  Besseres  über 
die  römischen  Altertümer  und  die  Wandlungen  der  römischen  Staatsverfassung 
nicht  finden  kann.  In  ähnlicher,  nur  nicht  gleich  ausführlicher  Weise  ver- 
fihrt  er  auch  bei  anderen  Staaten,  wie  besonders  dem  der  Achäer  2,  38  f., 
und  wenn  er  auch  manchmal  etwas  aufdringlich  in  den  Belehrungen  und 
Zurechtweisungen  ist,  so  folgt  man  doch  gern  einem  Führer,  welcher  der 
geschichtlichen  Auffassung  eine  grössere  Vertiefung  und  einen  weiteren. 
Aber  die  Enge  der  griechischen  Heimat  hinausreichenden  Horizont  ge- 
geben hat.^) 

403.  Ortskunde  und  Quellen.  Auch  nach  einer  anderen  Seite  er- 
weiterte Polybios  das  Gesichtsfeld  der  EUstorie,  indem  er  die  Beschaffen- 
heit des  Landes  und  die  allgemeinen  Eulturverhältnisse  mit  in  die  Be- 
trachtang zog.^)  Die  Geographie  sah  er  als  historische  EQlfswissenschaft 
an,  ohne  welche  die  Erkenntnis  der  Ursachen  und  das  Verständis  der 
kriegerischen  Unternehmungen  unvollständig  bleibe.  Er  hatte  sich  daher 
durch  ausgedehnte  Reisen  für  sein  Geschichtswerk  vorbereitet.  Schon  in 
seiner  Jugend  hatte  er  als  Soldat  Griechenland,  Eleinasien  und  das  Land 
der  Galater  kennen  gelernt;  später  besuchte  er  Libyen,  Iberien,  Gallien 


*)  Scharf  äeht  er  37, 9  gegen  diejenigen 
zu  Feld,  welche  in  Dingen,  die  von  des 
MeuBclien  eigener  Thätigkeit  abh&ngen,  auf 
die  Götter  die  Schuld  schieben  und  von  ihnen, 
fltatt  Ton  ach  Hi]fe  erwarten;  vgl.  3,  4. 

')  Seine  Abneigung  gegen  den  Idealismus 
spricht  sich  in  seiner  Beurteilung  des  pla- 
toniBchen  Idealstaates  6,  47  aus:  «v;  av  ei 
rwr  ayaXfiiirtty  rt(  iy  ngo^ifABvo<  jovxo 
tf r^ar^Voc  roTjp  limm  xat  nenvvfiiyoig  ayd^diny, 

»)  Pol.  29,  21.  F.  Baus,  De  Tychae  in 
pngmatica  Polybii  historia,  Tub.  1860. 

*)  Pol.  2,  38;  daher  bewundert  er  die 
Btaer  xnineist  weil  sie  durch  die  SchlAge 
des  Schicksals  sich  nicht  niederschmettern 


*)  Hanptsichlich  neigte  er  zum  aufge- 


klärten Stoicismus  des  Panaitios,  mit  dem 
er  nach  Cic.  de  rep.  1,  21  in  Rom  verkehrte. 

*)  Den  gleichen  Gesichtspunkt  eignete 
sich  Cicero  de  or.  II 15  an. 

')  Pol.  12,  2,  5  g:  idy  yä^  tk  ix  t^^ 
UttoQin^  mifi  10  dvyiifisyoy  tatfeXeiy  ijfitii, 
t6  XoiTioy  ttvr^g  a^tjXoy  xal  dytotpeXi^  yiyerai 
nayteXtiig. 

*)  Diese  Wandlung  der  Anschauung  stand 
wohl  in  Verbindung  mit  der  Wandlung  der 
Dinge,  der  Unterwerfung  Griechenlands  und 
der  Resignation  in  die  neue  Lage.  Bei  Ti- 
maioe  schlug  die  nationale  Ader  des  Chiechen 
noch  krftftig. 

*)  Bbbgbr,  Gesch.  der  Erdkunde  der 
Griechen  IY  11  ff. 


566  Chrieohische  Litieratiirgesohiohte.    II.  NaohklaMUiche  Litieraiiir. 

und  das  äussere  Meer,^)  und  unternahm  sogar,  um  den  Zug  des  Hannibal 
zu  verstehen,  eine  damals  mit  ganz  anderen  Beschwerden  als  heutzutag 
verbundene  Reise  über  die  Alpen;')  Ägypten  lernte  er  136  in  Begleitung 
des  Scipio  kennen.     So  gibt  er  denn  in  seiner  Geschichte  eine  ausführ- 
liche Beschreibung  von  Italien  (2,  14—17)  und  vom  schwarzen  Meer  (4, 
39 — 44),  und  entwirft  anziehende  Bilder  von  Arkadien  (4,  20  f.)  und  Ale- 
xandrien   (34,  12);   das    ganze    34.  Buch   hatte   er   der  Erörterung  geo- 
graphischer Fragen  gewidmet.  >)     Dabei  geht  er  über  die  Figuration  des 
Landes  weit  hinaus   und  gibt  uns  auch  über  die  Lebensverhältnisse,  wie 
über   die   Preise   der   Lebensmittel   in    Oberitalien,   schätzenswerte   Auf- 
schlüsse.*) —  Nicht  minder  hoch  steht  Polybios  als  sorgfältiger  Quellen- 
schriftsteller.   Da  er  eine  zeitgenössische  Geschichte  schrieb,  so  war  er 
zumeist  auf  eigene  Beobachtungen  und  Erkundigungen   angewiesen.    Es 
kamen  ihm  dabei  zwei  Dinge  besonders  zu  statten,  erstens  dass  er  selber 
Militär  war,^)  und  zweitens  dass  er  ausgezeichnete  Verbindungen  mit  den 
einflussreichsten  Männern  seiner  Zeit,  namentlich  Scipio  und  Lälius  unter- 
hielt.   Aber  er  scheute  auch  nicht  die  Mühe,  an  Ort  und  Stelle  Erkundi- 
gungen einzuziehen,  ältere  Quellenschriftsteller  einzusehen  und  die  Archive 
nach  wichtigen  Urkunden  zu  durchsuchen.    So  verschaffte   er  sich  eine 
Übersetzung  der  alten  Verträge   zwischen  Rom  und  Karthago  (3,  22  ff.) 
und  reiste  eigens  nach  Rhodos,   um  in   dem   dortigen  Prytaneion  einen 
Brief  einzusehen  (16,  15).     Als  exakter  Historiker   wandte  er   natürlich 
auch  der  Zeitrechnung  und  der  genauen  Bestimmung  der  Jahresdata  seine 
Aufmerksamkeit  zu.    Seinen  Angaben  legte  er  vornehmlich  die  Olympiaden- 
ära zu  gründe,  wobei  er  indes  den  kleinen  Irrtum  beging,  den  Olympiaden- 
anfang  von  der  Sonnenwende,  mitte  Juli,  auf  den  September  oder  den  An- 
trittstermin der  achäischen  Strategen  zu  verschieben.  <^)     Bei  allen  diesen 
Vorarbeiten  und  in  der  Ausarbeitung  seiner  Geschichte  bewahrte  er,  was 
seinem  Werke  den  Hauptwert  gibt,    eine  unbestechliche,  strengprüfende 
Wahrheitsliebe.  7)     Ein  aufgeklärter  Geist,  steht  er  weit  über  den  Vorur^ 
teilen   der  Menge  und  entstellt  nicht  wie  Livius  seine  Geschichte  durch 
abergläubische  Mitteilung  von  Wundern  und  Zeichen.    Wo  er  auf  Berichte 
anderer   angewiesen  war,   übte   er  strenge  Kritik,^)   ging  er  sogar  nicht 
selten  in  seinem  verwerfenden  Urteil  über  das  richtige  Mass  hinaus.    Be- 
lehrend ist  sein  Exkurs  über  die  epizephyrischen  Lokrer  (12,  5 — 16),  in 


»)  Pol.  3, 59.  ;  ')  Polyb.  1,  14:    äfttsQ  yag  ^^tw  imr 

^)  Pol.  3,  48.  ;   oiffstjy   dtpaiQSM^sunöy   dx^eiovTai    to     oIok, 

~  ovTmg  icxogUtg  dyaigs&eiatK  iijff  aXt^dBiM^  to 

xataXsinofjieyoy     avrijs     armp^Xif     yiwcxai 
ditjyrjua.  ^ 

')  Vgl.  3,  20:  nQog  fikv  ovr  T04Mvxa 
rwy  avy/^ttfifidttay^  our  y^qf€i  XatQ^ag  mct 
ItüOiXog,  oviky  ttv  cf^oi  nXiov  Xäyeim  '  oo  ya^ 
laxogiag  dXXd  xov^saxijs  xai  na^dijfAOv  kaXtdg 
ifjLoi  ys  doxovifi  tä^iy  I/Cü"  xal  &6»^tcfäA^, 
Vgl.  Valbton,  De  Polybii  fontibaa  ei  ancto- 
ritate,  Utr.  1879;  Ad.  y.  Bbsbka,  Untefs. 
Aber  die  QaeUeo  des  Polyb  im  3^  Bodie, 
Berl.  1880. 


')  Max  Sobmidt,  De  Polybii  geograpbia, 
Berl.  1875;  weiteres  bei  Sobbvkl,  Jabresber. 
d.  Alt.  XI  1,  231  ff. 

«)  Pol.  2, 15;  34, 10.  Nissbit,  Ital.  Landes- 
künde  I  12  urteilt  darüber:  Seine  Stärke 
mbt  nicht  in  der  Förderung  der  allgemeinen 
Probleme  der  Erdkunde,  sondern  in  der  Be- 
handlung der  historischen  Landschaft 

')  Wie  grossen  Wert  er  gerade  hierauf 
legte,  zeigt  12,  25  g. 

')  NissBN,  Oekonomie  der  Geschichte  des 
Polybins,  Rh.  M.  26,  244;  dagegen  Unobb, 
Philol.  33,  234. 


A.  Alexand  rinisoheB  Zeitalter.    8.  Die  Prosa,    a)  Geeohiohtschreibnng.  (§  404.)    567 

welchem  er  die  Angaben  des  Aristoteles  gegen  die  Tadelsucht  des  Timaios 
in  Schutz  nimmt;  entschieden  zu  hart  ist  seine  Polemik  gegen  Pytheas 
(34,  5  und  10). 

40i.  Stil.  Die  schwächste  Seite  des  Oeschichtswerkes  unseres 
Historikers  ist  die  sprachliche  Darstellung.  Er  war  nicht  in  Attika  ge- 
boren, noch  in  den  Rhetorenschulen  Athens  gebildet  worden;  er  hatte 
einen  grossen  Teil  seines  Lebens  in  der  Fremde,  wo  nur  selten  ein  grie- 
chischer Klang  sein  Ohr  traf,  zugebracht;  er  verschmähte  grundsätzlich 
rhetorische  Zieraten  und  die  Schminke  der  Rede.  Seine  Vernachlässigung 
der  sprachlichen  Form  fand  daher  scharfen  Tadel  bei  Dionysios,  der  von 
seinem  beschränkt  attikistischen  Standpunkt  aus  den  Polybios  zu  denjenigen 
Schriftstellern  zählt,  die  ganz  durchzulesen  man  niemand  zumuten  könne.  ^ 
Im  übrigen  kann  man  demselben  Klarheit  und  Bestimmtheit  des  Ausdrucks 
nicht  absprechen;  in  der  Vermeidung  des  Hiatus  Hess  er  sich  sogar  eine 
geradezu  peinliche  Sorgfalt  angelegen  sein.^)  Seine  Sprache  ist  die  ge- 
meingriechische (xoivri),  mit  welchem  Ausdruck  der  Gegensatz  zum  Atti- 
schen und  der  Mangel  dialektischer  Färbung  angedeutet  werden  sollte. 
Sie  ist  charakterisiert  durch  den  Gebrauch  einer  Menge  von  Wörtern  und 
Wortbedeutungen,  die  sich  bei  den  Attikern  nicht  finden,  die  aber  zum 
Teil  der  Begriffssphäre  der  neuen  Philosophie  angehören,  zum  Teil  in  den 
Staatsurkunden  wiederkehren')  und  demnach  dem  Kanzleistile  eigentüm- 
h'ch  gewesen  zu  sein  scheinen.  Mehr  aber  drückt  sich  ihre  Eigentümlich- 
keit in  der  Wort-  und  Satzbildung  aus,  vor  allem  in  der  ausgedehnteren 
Anwendung  von  Nomina  abstracta,  in  den  zahlreichen  Neubildungen  von 
abgeleiteten  Zeitwörtern  {nskext^tö^  (poQoXoybw,  awogäco,  xaxonqaypiov^fo  etc.), 
im  Gebrauch  von  Adverbien  statt  präpositioneller  Wendungen  {naQado^wq 
statt  naQa  So^av,  vovvexMg,  iidaaxaXixmq  etc.),  endlich  in  dem  Umsich- 
greifen der  die  alten  Verba  umschreibenden  Phrasen  mit  noieXa&ai  und 
Yiyvsa&m.  Durch  alles  dies  bekommt  die  Sprache  einen  eigentümlichen 
Charakter,  der  denjenigen,  welcher  von  Piaton  und  Demosthenes  kommt, 
fremdartig  anmutet.^)  Bei  solchen  aber,  welche  sich  nicht  vom  Klange 
der  Sprache  leiten  Hessen,  fand  Polybios  und  seine  gereifte  Auffassung 
der  Verhältnisse  grossen  Beifall.  Namentlich  waren  es  die  Stoiker  und 
die  Kömer,  welche  ihm  ihre  Bewunderung  zollten.^)  Der  Stoiker  und 
Historiograph  Poseidonios  trat  in  seine  Fusstapfen;  Brutus,  der  ihn  vor 
der  Schlacht  von  Pharsalos  las,   machte    einen  Auszug  aus  ihm;«)   von 


*)  DionjTB.  de  comp.  verb.  4:    toiavias  I  Stud.  III  217—302;    Götzblbb,   De   Polybi 

•rrtaHii    xaiiXmoy,    oXaq    ovdslg    vnof4ey6i  '  elocutione,    Würzb.  1887.    Krebs,    Die  Ä-ä- 

fi$X^  xoQmvidog  öuXSetv.  '  Positionen  bei  Polybius,   in  Schanz  Beiix.  I, 

')  Ans  diesem  Streben  sind  manche  Un-  !  1882.   Hultsch,  Die  erzählende  Zeitform  bei 

oehtigkeiten  des  Sprachgebrauchs,  wie  vn^g  |  Polybius,  Abb.  d.  sächs.  Ges.  d.  W.  1891.  Vgl. 

fitar  n€^i  vor  Vokalen  za  erklären.  ,  Schenkl  Jahresber.  d.  Alt.  XI  1,  238  ff. 


>)  Jbrubalbm,  Die  Inschrift  von  Sestos 
(ein  lange«  Ehrendekret  ans  der  Zeit  von 
120)  imd  Polybios,  Wien.  Stad.  I  32—58. 

*)  LüTTOE,  De  Polybii  elocutione,  Nord- 
baBsen  Progr.  1863;  Stich,  De  Polybii  di- 
eendi  genere,  Acta  Erlang.  II  141-211; 
KiuuE,    De    elocatione    Polybiana,    Leipz. 


^)  Anf  römische  Leser  zumeist  hofft 
Polybios  32,  8. 

')  Suidas  nnt.  BQOvrog:  Byga^pey  inustoXag 
xal  tiüv  JloXvßiov  rov  laxogixov  ßlßXtuy  ini- 
Tofjiijy,  Vgl.  Plnt.  Brut.  4.  Snidas  erwähnt 
auch  von  Skylax  eine  'AyuyQaq>rj  ngog  rijy 
IloXvßiov  laroglay. 


568 


Grieohisohe  Litieratiurgesciliohte.    II.  Waohklassische  Liiteratiir. 


Livius  zwar,  der  ebenso  wie  Diodor  ihn  überall  benutzte  und  ausschrieb,^) 
wird  er  mit  einem  schillernden  Ausdruck  haudquaquam  »pemmdus  audor 
(30,  45)  genannt,  aber  Cicero  de  rep.  n  14  nennt  ihn  riickhaltslos  Pcly- 
bium  nostrum  quo  nemo  fuit  in  exquirendis  temporibus  diligentior. 

Cod.  Primarius  Vatic.  124  membr.  s.  XI.  Die  Exzerpte  za  I— XVin  in  cod.  ürbints 
102  zuerst  publiziert  yon  Uasiirus  (1582),  die  Eklogai  in  den  Handschriften  der  Eoostan- 
tinischen   Exzerpte,    wor&ber   Kbümbachbr  Byz.  Lit^  260  f. 

Aasgaben  von  Cabaübohus,  Paris  1609;  von  ScbwbighIüsbb  mit  Kommentar,  8Bde, 
Lipe.  1789—95;  von  I.  Bkkker,  Berl.  1844,  2  Bde;  von  L.  Dikdobf,  nenbearbeitet  tob 
BüTTKBB-WoBST  in  BiW.  Tenbn.  1882/9,  dazu  Jahrb.  f.  Phü.  1884  S.  111—122;  TonHüLTScB, 
Berl.  (1867)  2.  Aufl.  1888  mit  gutem  kritischen  Apparat.  —  Lexikon  Polybiannm  von 
äcBWEiOHAüSEB,  Separater  Nachdruck,  Oxon.  1822. 

4<fö.  Die  Zeit  nach  Polybios  hat  keine  hervorragende  Historiker 
mehr  hervorgebracht,  am  wenigsten  griechische  Nationalhistoriker.  Es 
begegnen  uns  nur  noch  Darstellungen  römischer  Geschichte  in  griechischer 
Sprache  und  kompendiarische  Zusammenfassungen  der  allgemeinen  Welt- 
geschichte. In  letzterer  Richtung  war  der  namhafteste  Schriftsteller 
Apollodor,  der  um  144  vier  Bücher  Xgovixa  in  iambischen  Trimetem 
schrieb;  von  ihm  werden  wir  weiter  unten  §  438  handeln.  In  seine  Puss- 
tapfen  trat  der  Chronist  Kastor  von  Rhodos,  der  vielleicht  eine  Person 
ist  mit  dem  gleichnamigen  Eidam  des  Königs  Deiotarus,  und  als  kühner 
Befreier  der  von  Mithridates  besetzten  Stadt  Pharmagoreia  eine  hervor- 
ragende politische  Rolle  spielte.')  Seine  Xgovixd  in  6  B.  begannen  mit 
Belus  und  gingen  herab  bis  auf  60  v.  Chr.  Von  seinen  Vorgängern  unter- 
schied er  sich  durch  den  universelleren  Standpunkt,  indem  er  über  die 
Zeit  der  Troika  hinausging  und  auch  die  Geschichte  des  Oriente  in  Be- 
tracht zog.  Dadurch,  dass  er  dabei  die  Gleichzeitigkeit  der  orientalischen 
und  griechischen  Ereignisse  beachtete,  wurde  er  Vorbild  für  die  synchro- 
nistische Geschichteschreibung  der  Späteren  und  so  auch  des  Eusebios. 
Die  Fragmente  gesammelt  von  Müller  im  Anhang  zum  Didot'schen  Herodot 
p.  153  flf. 

Poseidonios  (um  135 — 45)  ^)  war  der  bedeutendste  unter  den  eigent- 
lichen Geschichteschreibern  unserer  Epoche.  Gebürtig  aus  Apameia  in 
Syrien,  hatte  er  Rhodos,  wo  er  eine  berühmte  Schule  gründete,  zur  zweiten 
Heimat.  Von  Hause  aus  Philosoph,  und  zwar  Steiker,  warf  er  sich  doch, 
dem  enkyklopädischen  Charakter  der  Zeit  folgend,  mit  Vorliebe  auf 
histerische  und  naturwissenschaftliche  Studien.  Mit  den  bedeutendsten 
Männern  seiner  Zeit  war  er  persönlich  befreundet;  im  Jahre  87  kam  er 
als  Gesandter  nach  Rom,  78  war  Cicero  sein  Hörer  in  Rhodos,  später  be- 


^)  Die  Litteratur  darftber  bei  SchIfbb, 
Quellenkunde  IV  32,  Susbmihl  AI.  Lit.  II 121. 

^)  Von  der  letzten  That  erhielt  jener 
Kastor  den  Ehrentitel  amieus  popuH  Rotnani, 
woshalb  er  bei  Suidas  «piXoQüifzaiog  heisst. 
Gegen  die  Identität  des  Kaster  ans  Rhodos 
und  des  Kaster  ans  Galatien  erklärt  sich 
Wachbmuth,  Einl.  139.  Suidas,  der  die  beiden 
für  eine  Person  hielt,  fahrt  anch  rhetorische 
Schriften  an. 

')  üeber   ihn   ein    Artikel   des   Suidas, 


der  noch  zwei  andere  Poseidonioi  erwähnt; 
viele  gelegentliche  Zeugnisse  bei  Stntbon. 
—  Bake,  Posidonii  Rhodii  reliqoiae  doctrinae, 
LB.  1810;  ScHEppiG,  De  Posidonio  Apamensi 
Diss.  Halle  1869;  Schübleht,  Stndien  an 
Posidonius  Rhodius,  Freisinger  Progr.  1886 
u.  1891 ;  ÜNOEB,  Phü.  41,  630  ff.  u.  55,  73  ff.; 
MOllbmhoff,  Deutsche  Altertumskunde  II 
126  ff.  —  üeber  einen  älteren  Historiker 
Poseidonios  aus  der  Zeit  des  Maked<mer- 
königs  Perseus  s.  MfiUer  FHG  III  172. 


A.  AlezAndriBiaohes  Zeitalter.   8.  Die  Prosa,   a)  Oeachichtsohreibiiiig.   (§  405.)     569 


suchte  ihn  dort  zweimal,  im  Jahre  67  und  62,  Pompeius.^)  Ausserdem  hatte 
er  von  lebhaftem  Interesse  für  Völkerkunde  und  Naturkenntnis  getrieben, 
ausgedehnte  Reisen  gemacht  und  kannte  nicht  bloss  Italien,  sondern  auch 
OaUien  und  Spanien  aus  eigener  Anschauung.  In  Gades,  dem  grossen 
Handelsemporium  des  Westens,  weilte  er  30  Tage,*)  um  von  dort  aus  Er- 
kundigungen über  den  Okean  und  die  umliegenden  Länder  einzuziehen. 
Aber  nicht  bloss  von  grossem  Wissensdrang  war  er  erfüllt,  er  besass  auch 
in  hohem  Grade  die  Gabe  der  Beredsamkeit  und  schrieb  in  reinem  und 
gehobenem  Stil.')  Sein  grosses  Geschichtswerk  (laroQfai)  umfasste  52  B.; 
dasselbe  sollte  eine  Fortsetzung  des  Polybios  sein  und  umfasste  die 
Zeit  von  144 — 86.^)  Es  war  ausgezeichnet  durch  den  Reichtum  an  geo- 
graphischen und  ethnographischen  Nachrichten  und  bildete  für  den  be- 
treffenden Zeitraum  eine  Hauptquelle  des  Diodor.  —  Ausserdem  verfasste 
er  ein  eigenes  Buch  neQi  oyxeavov  und  ein  physikalisches  Werk  MexBoiQo- 
Xoytxä^  welches  der  Astronom  Geminus  in  einen  Auszug  brachte.*^)  Arrian 
im  Eingang  seiner  Taktik  führt  ihn  auch  als  Verfasser  von  Taxnxd  an, 
wie  uns  ein  solches  Werk  von  seinem  Schüler  Asklepiodotos  auch  wirklich 
erhalten  ist.^)  —  Von  seinen  philosophischen  Schriften  finden  sich  nament- 
lich die  n€Qi  H^soiv  und  nsQl  /xavuxf^g  in  den  entsprechenden  Büchern 
Gceros  benutzt ;  auch  in  den  Büchern  de  officiis  war  fiir  Cicero  die  Schrift 
desPosidonios  Ttegl  xa&r^xovTog  eine  Nebenquelle;  in  dem  verloren  gegangenen 
Hortensius  hatte  er  dessen  nQOTQsmixoq  Xoyoq  vor  Augen.  Die  Fragmente 
bei  Bake,  Posidonii  Rhodii  reliquiae,  Leiden  1810;  Müller  FHG  III 245— 296. 
Ausserdem  verdienen  von  griechischen  Historikern  Roms  noch  ge- 
nannt zu  werden  Theophanes  von  Mytilene,  der  den  Pom peius  auf  seinen 
Feldzügen  begleitete  und  eine  Geschichte  des  dritten  mithridatischen 
Krieges,  vielleicht  auch  ein  Buch  über  Malerei  schrieb;')  Metrodoros 
aus  Skepsis  (gest.  70  v.  Chr.),  der  aus  einem  Philosophen  em  Politiker  ge- 
worden war  und  in   seinen  Historien  die  zeitgenössische  Geschichte   der 


*)  DaB8  Cicero  auch  den  Posidoniiis  an- 
ging, die  Geschichte  seines  Konsulats  zu 
schieiben,  erfahren  wir  aus  Epist.  ad  Attic.  II 1. 

*j  Strab.  p.  130;  Müllbnhoff  a.  0.  128; 
nach  ÜKOEB  PhiloL  55,  256  nntemahm  er 
diese  Reise  erst  nach  75. 

>)  Strab.  p.  146;  Cic.  ad  Attic.  II  1:  ad 
Poddoninm  ut  omatins  de  isdem  rebus 
wriberet» 

^)  Die  Angabe  des  Suidas  ^gaiffsy 
inoQiay  ifjv  fietct  JloXvßioy  iiog  tov  noXifAov 
TW»  KvQijya(xov  xai  UroXefjtftlov  verwirft 
Abbold  Jahrbuch  fOr  Philol.  Suppl.  XllI  75 
bis  150,  wefl  uns  Fragmente  aus  der  Zeit 
big  znr  Diktatur  Sullas  erhalten  sind.  MOllen- 
BOFp  a.  O.  nimmt  seine  Zuflucht  zur  An- 
ttüune  einer  spftteren  Fortsetzung  des  ur- 
^llDglich  nur  ois  zum  Jahre  96  reichenden 
Werkes.  Das  im  Texte  festgehaltene  Jahr 
verteidigt  Ungbb,  Umfang  u.  Anordnung  der 
Gesdiichte   des  Poseidonios  Philol.  55,  73  ff. 

*)  Das  erhellt  aus  Simplicius  zu  Arist. 
pliys.  p.  291 ,  21  -  292,  29  ed.  Dibls.    Ausser- 


dem hat  Kleomedes  in  dem  Buche  KvxUxi^ 
t^€a)^i(t  xtoy  f46T6wg(oy  (vgl.  §  663)  nach 
seinem  eigenen  Geständnis  p.  228  das  meiste 
aus  Poseidonios  genommen.  Ein  Planetarium 
von  ihm  erwähnt  Cicero  de  nat.  deor.  II  34. 
Ueber  diese  ganze  Partie  der  Lehre  des  Po- 
seidonios vgl.  Malchin,  De  auctoribus  quibus- 
dam  qui  Posidonii  libros  meteorologicos  ad- 
hibuemnt,  Diss.  Rostock  1893;  Martini, 
Quaestiones  Posidonianae,  Leipz.  Stud.  XY II ; 
über  die  Benutzung  des  Poseidonios  durch 
Vitruv  Kaibbl  Herm.  XX  579  ff.,  M.  Thiel 
Jahrb.  f.  cL  PhU.  1897  S.  367. 

•)  Auch  ein  anderer  Schüler  des  Posei- 
donios Athenodoros  aus  Tarsos  gab  sich 
mit  historischen  Studien  ab ;  s.  Müller  FHG 
III  485—8. 

^)  Müller  FHG  III  312-6;  Hauptetelle 
Strabo  p.  617.  Arnold,  Untersuchungen 
über  Theophanes  u.  Posidonius,  Jahrb.  f.  Phil. 
Suppl.  XIII  75—150;  Fabriciüs,  Theophanes 
und  Dellius  als  Quellen  des  Strabo,  Strassb. 
1888. 


570 


GrieohiBohe  Litteratnrgesohichte.    IL  Naohklaaaisohe  litteratiir. 


Könige  Mithridates  und  Tigranes  behandelte/)  Timagenes  aus  Alexandria, 
der  nach  Suidas  unter  Pompeius  als  Kriegsgefangener  nach  Rom  kam  (55)^) 
und  dessen  in  blendendem  Stil  geschriebene  Geschichte  der  Könige  oder 
Königreiche  (rwr  ßaaiXboav  oder  ßamXemv)  dem  Pompeius  Trogus  für  seine 
Historiae  Philippicae  als  Grundlage  diente;»)  Asinius  Pollio  aus  Tralles, 
Schüler  des  Timagenes,  der  sich  mit  antiquarischen,  aber  auch  natur- 
geschichtlichen Studien  abgab ;^)  Apollodorus  aus  Artemita,  dessen  Pon- 
tika  und  Parthika  Strabon  benutzte;  So  kr  at  es  aus  Rhodos,  dessen  Buch 
über  die  Bürgerkriege  Athenaios  p.  147  E  anführt. 

406.  Geographen.  Die  Geographie  blieb  auch  im  alexandrinischen 
Zeitalter  noch  wesentlich  mit  Geschichte  und  grammatischer  Gelehrsamkeit 
verbunden,  weshalb  wir  die  meisten  Leistungen  auf  dem  Gebiet  der  Länder- 
und Völkerkunde,  wie  des  Dikäarch,  Eratosthenes,  Pytheas,  ApoUodor,  unter 
anderen  Kapiteln  unterzubringen  uns  erlauben  durften.  Hier  bleiben  uns 
noch  einige  speziell  geographische  Bücher  zu  besprechen  übrig.*) 

Hanno^)  ist  Verfasser  der  Beschreibung  einer  um  500  v.  Chr.  zu 
Handelszwecken  unternommenen  Rekognitionsfahrt  an  der  Westküste  Afri- 
kas. Das  Original  ward  zu  Karthago  im  Tempel  des  Saturn  aufbewahrt ; 
auf  uns  gekommen  ist  eine  in  der  Zeit  der  punischen  Kriege  gemachte 
griechische  Übersetzung,  die  leider  vor  dem  Schluss  abbricht.  Der  inter- 
essante Periplus  hat  auch  in  der  Darwintheorie  eine  Rolle  gespielt,  da  er 
c.  18  die  merkwürdige  Kunde  von  den  haarigen  Gorillamenschen  an  der 
V^estküste  Afrikas  enthält.    Ausg.  in  MüUer's  GGM  I  1—14. 

Eudoxos  war  der  Verfasser  einer  UeQiodog  y^g  in  mindestens  8  B., 
der  auch  eine  Karte  (niva^)  beigegeben  war.^)  Das  Werk  war  hoch- 
berühmt sowohl  wegen  des  Reichtums  seines  Inhaltes  als  wegen  der  an- 
ziehenden Form  seiner  Darstellung,  s)  Als  Verfasser  galt  schon  im  Alter- 
tum der  berühmte  Arzt  und  Astronom  Eudoxos  von  Knidos,  der  grosse 
Reisen  unternommen  hatte  und  im  späteren  Lebensalter  in  die  Akademie 
Piatons  eingetreten  war.  Aber  da  in  demselben  die  östlichen  Galater  er- 
wähnt waren  ^)  und  sein  Verfasser  120  Jahre  vor  Geminus  lebte,  i^)  so  hat 


'}  Müller  FHG  III  203—5;  s.  Strabo 
p.  609. 

')  Nftheres  über  seine  beissende  Zunge 
Horaz  ep.  I  19,  15;  Seneca  rhet.  controv.  X 
22,  Seneca  philos.  ep.  19,  13,  Plutarch  de 
adul.  27.  Die  Fragmente  bei  Müller  FHG 
III  317-^323;  ebenda  p.  324—7  die  Fragmente 
der  gleichzeitigen  Historiker  Ariston  des 
Peripatetikere  und  des  Rhodiers  Sokrates. 

')  Ueber  die  Benutzung  des  Timagenes 
durch  Pompeius  Trogus,  der  bekanntlich  von 
Justin  in  dem  uns  erhaltenen  Werke  ausge- 
z(^en  ist,  stellte  zu  weit  gehende  Hypothesen 
auf  GuTscBMiD,  Trogus  u.  Timagenes,  Rh.  M. 
37  (1882)  548  ff.  =  Kl.  Sehr.  V  218  ff.;  ge- 
leugnet oder  doch  bedeutend  eingeschränkt 
ist  die  Abhängigkeit  von  den  nachfolgenden 
Forschem;  vgl.  Wachsmüth,  Einl.  548  ff. 

*)  Suidas  unt.  ntokiioy  6  'Aalviog, 

^)  Die    hauptsächlichsten    Nachrichten 


Ober  die  Geographen  jener  Zeit  verdanken 
wir  der  Einleitung  des  Marcianus  in  die  Epi- 
tome  des  Menippos,  bei  Müller,  Geogr. 
graec.  min.  I  565  f.    Vgl.  oben  §  258. 

•)  Plinius  N.  H.  II  169:  Hanno  Cartka- 
ginis  potentia  florente  circumvecttts  a  Gadihus 
ad  finem  Arabiae,  navigatUmem  eam  pro- 
didit  scripto,  sicut  ad  extet  a  Europae  imw- 
cenda  eodem  tempore  Himüco.  Vgl.  V  8. 
Ungbr,  Philol.  Suppl.  4,  197  ff.  u.  Rh.  Mus 
38, 182  sucht  zu  beweisen,  dass  erat  zwischen 
390  und  370  der  Periplus  verfasst  sei.  G. 
Th.  Fischer,  De  Hannonis  Garthag.  periplo, 
Lipe.  1893. 

^)  Schol.  in  Dionys.  perieg.  in  Müllsbs 
Geogr.  gr.  II  428,  9. 

»)  Plut  Ne  suav.  quid.  c.  10;  Phüoatr. 
Vit.  soph.  p.  5,  4  E.;  Aeneas  Theophr.  72. 

»)  Aelian  H.  A.  17,  19. 

^^)  Gemikus,  Isag.  in  Arat  Phaen.  6. 


A.  Alexandrinisohes  Zeitalter.    8.  Die  Prosa,  a)  Geachichtsohreibnng.  (§  406.)    571 


derselbe  nicht  vor  280  v.  Chr.  geschrieben  und  kann  nicht  mit  jenem  be* 
rühmten  Eudoxos  aus  Enidos  identisch  sein.  Wahrscheinlich  war  er  eine 
Person  mit  dem  Historiographen  Eudoxos  aus  Rhodos,  den  Diogenes  8,  90 
im  Gegensatz  zu  dem  Knidier  als  Historiker  bezeichnet  und  den  auch  noch 
Mardan  G6M  I  564a  34  unter  den  Verfassern  von  Periplen  anführt.^) 

Timosthenes  aus  Rhodos,  Befehlshaber  der  Flotte  des  zweiten  Pto- 
lemäus,  war  Verfasser  eines  von  Eratosthenes  stark  benutzten  (s.  Strabon 
p.  92)  Werkes  ncQi  h^ävwv  in  10  B.,  von  dem  der  Verfasser  selbst  einen 
doppelten  Auszug  {imxoiit]  und  craöiaafiog)  in  je  einem  Buche  gemacht 
hatte.«) 

Mnaseas  aus  Paträ,  angeblicher  Schüler  des  Eratosthenes,  schrieb 
eine  mindestens  8  B.  umfassende  Periegese,  deren  Teile  unter  den  Titeln 
EvQiinri^  'Aaia^  yiißvrj  citiert  werden.  Der  Verfasser  war  ein  Anhänger 
des  Euhemeros  und  behandelte  Mythen  wie  historische  Thatsachen.  Ausser 
dem  geographischen  Buche  schrieb  er  auch  eine  Sammlung  delphischer 
Orakelsprüche.     Fragmente  bei  Müller  PHG  III  149—158. 

Agatharchides  von  Knidos,  der  Peripatetiker  und  Grammatiker 
zugleich  war,*)  schrieb  in  hohem  Alter,  wahrscheinlich  bald  nach  Ver- 
treibung des  Ptolemaios  Physkon  (131)^)  auf  Grund  genauer  und  ausführ* 
lieber  Berichte  ein  geographisches  Werk  über  das  rote  Meer  {ttsqI  sQvd^Qccg 
&aXäa<rTjg)  in  5  B.,  von  dem  das  1.  und  5.  Buch  Photios  Cod.  250  im  Aus- 
zug mitteilt.  Schon  zuvor  hatte  er  seinen  Ruhm  begründet  durch  das 
umfangreiche  Werk  7orro^#xa,  in  dem  er  von  der  Geschichte  nach  Ale- 
xander eine  Darstellung  Asiens  in  10,  eine  Europas  in  49  B.  gab;  eine 
summarische  Inhaltsangabe  desselben  verdanken  wir  gleichfalls  dem 
Patriarchen  Photios  Cod.  213.  Ein  Vorganger  Strabons,  verband  Agathar- 
chides geographische  Studien  mit  historischen.  Fragmente  bei  Müller 
FHG  m  190—197  und  GGM  I  111—195. 

Hipparch  von  Nikäa  (um  130)  und  Aristarch  von  Samos  (um 
250)  waren  die  zwei  grossen  bahnbrechenden  Astronomen,  die  mit  ihren 
astronomischen  und  mathematischen  Entdeckungen  zugleich  eine  vollstän- 
dige Umgestaltung  in  die  mathematische  Geographie  brachten.  Aristarch 
bewies  die  Bewegung  der  Erde  um  die  Sonne.  Hipparch  erwarb  sich 
besonders  um  die  Verbesserung  des  eratosthenischen  Systems  grosse  Ver- 


^)  Dieses  VerliAliziis  ist  klar  gele^  von 
Bbavdbs,  üeber  das  Zeitalter  des  Astronomen 
Geminos  und  des  Geographen  Eudoxos,  in 
Jahns  Arch.  13  Bd.  (1847)  S.  199—230,  wo 
zum  Schluss  auch  die  Fragmente  gesammelt 
sind.  Nur  eine  achwache  Seite  hat  die  Unter- 
suchung in  dem  Ansatz  des  Geminus  auf 
140  y.  Chr.,  der  zu  hoch  gegriffen  ist,  wenn 
Geminus  einen  Auszug  aus  des  Poseidonios 
Meteorologica  anfertigte.  —  Unobb,  Eudoxos 
von  Enidos  und  Eudoxos  von  Rhodos,  Philol. 
50, 191  ff ,  üher  den  letzteren  Rohdb,  Gr.  Rom. 
263  Anm.  3. 

')  Siehe  Marcian  in  Müllebs  GGM  I 
536;  E.  A  Waovbb,  Die  Erdheschreibung  des 
Timosthenes  von  Rhodos,  Leipz.  1888.    Mehr 


das  Historische  war  ber&cksichtigt  von 
Menekrates,  einem  Schttler  des  Philo- 
sophen Xenokrates,  in  seinen  Kjiaeig  und 
Uegiodog  iXXtjanoytiaxtjj  s.  Müller  FHG  II 
342—5. 

»)  Strab.  XIV  p.  656  'AyabaQxi^rjg  6  ix 
Ttoy  7i€Qinat(oy,  Phot.  cod.  213  vnoyQaqiia 
d^  xtti  ayayyaiaTijy  6  rov  Affißov  'HQaxXeldtjg, 
dl*  tüy  avti^  €^vnM€TeiTOy  naQeoxs  yywQl- 
Cea&ai. 

^)  Die  Zeit  steht  nicht  ganz  fest.  Bü- 
DiNOBR,  Universalhist.  104  will  auf  Ptole- 
maios y[ll  Lathyros  (117-7)  herabgehen; 
dagegen  spricht  aber  sein  Verhältnis  zu 
Herakleides  Lembos ;  s.  Susbmxhl  AI.  Lit.  I 
685  f. 


572  Ofieohisohe  LitieratiirgMcliiclite.    IL  WachklaMiache  Litieratar. 

dienste.  Wir  kennen  dieselben  nur  aus  den  AnfAhrungen  bei  Späteren, 
namentlich  bei  Strabon.*) 

Artemidoros  aus  Ephesos,')  den  seine  Mitbürger  wegen  seiner  er- 
folgreichen Gesandtschaft  an  den  römischen  Senat  mit  einer  goldenen  Bild- 
säule ehrten  (Strab.  642),  verfasste  um  100  v.  Chr.  nach  ausgedehnten 
Reisen  eine  von  Strabon,  Plinius,  Pausanias,')  Agathemeros  fleissig  be- 
nutzte Geographie  in  11  B.  Von  der  Erdbeschreibung  und  dem  darin  ein- 
geschlossenen Periplus  des  inneren  Meeres  machte  später  Marcianus  einen 
uns  erhaltenen,   leider  sehr   dürftigen  Auszug.    Müller  GGM  I  574  —6>) 

Skymnos  aus  Chios,  der  im  Jahre  185/4  der  Ehre  eines  delphischen 
Proxenos  teilhaftig  wurde,*)  wird  von  Stephanos  von  Byzanz  als  Verfasser 
einer  Periegese  der  drei  Erdteile,  Europa,  Asien,  Libyen,  citiert.  Dieselbe 
ist  verloren  gegangen;  dagegen  ist  uns  in  einer  Pariser  Handschrift  ein 
Periplus  Europas  in  742  iambischen  Trimetern  und  in  unmittelbarem  An- 
schluss  daran  ein  Periplus  des  Pontus  euxinus  erhalten  (Müller  GGM  I 
196—237).  Diese  beiden  Gedichte,  welche  der  Zeit  um  100  v.  Chr.  an- 
gehören und  dem  Könige  Nikomedes  von  Bithynien  gewidmet  sind, 
schrieben  Holstein  und  Is.  Voss  dem  oben  genannten  Skymnos  zu.  Die 
Vermutung  ist  nicht  unbestritten  geblieben^)  und  lässt  sich  insbesondere 
mit  dem  sicheren  Datum  aus  dem  Leben  des  echten  Skymnos,  der  im 
Jahre  185/4  ihm  verliehenen  Auszeichnung  der  delphischen  Proxenie,  schwer 
vereinigen,  weshalb  man  jetzt  lieber  von  einem  Ps.  Skjrmnos  spricht.  Der 
erhaltene  Abriss  ist  in  iambischen  Trimetern  nach  dem  Vorbild  des  Apollo- 
dor  geschrieben  und  einem  König  von  Bithynien,  Nikomedes  mit  Namen, 
gewidmet;  ob  darunter  Nikomedes  II  (147—95)  oder  HI  (95— 75)  gemeint 
sei,  ist  strittig.  7) 

b)  Die  Philosophie.«) 

407.  Auch  in  der  Philosophie  hatte  die  griechische  Spekulation  mit 
Piaton  und  Aristoteles  ihren  Höhepunkt  erreicht.  Deshalb  hörte  aber  doch 
die  Philosophie  noch  nicht  auf,  einen  wichtigen  Faktor  in  dem  Leben  und 
der  Litteratur  der  Griechen  zu  bilden.  Umgekehrt  pulsierte  seit  dem 
Untergang  der  politischen  Freiheit  das  geistige  Leben  von  Hellas  zumeist 
in  den  Philosophenschulen.  Aber  es  war  weniger  das  spekulative  Denken 
und  Schaffen,  das  in  den  Sekten  der  Akademie,  des  Peripatos,  der  Stoa, 
des  Gartens  blühte;  der  unbefangenen  Forschung  stand  viel  eher  gerade 
die  Geschlossenheit  und  gegenseitige  Feindschaft  der  Schulen  hindernd  im 
Wege.     Dagegen   war  es  in  einer  Zeit   der  allgemeinen  Auflösung   des 

^)  Bbrobr,  Die  geographischen  Fragmente  1  ^)  Vgl.  Mardan  bei  Müller,  Geogr.  gr. 

des   Hipparch,   Leipz.  1869;    Erdkunde   der  |  min.  I  p.  CXXXI. 

Griechen  III  130  ff.  i  >)   Weschbr-Foucart,    [nscriptions    de 

*)    Paus.  V  5,  9   meint   unseren    Arte-  Delphes  n.  IV  p.  26;  Dittbnbbrokr  Syll.  198. 

midor   mit   axovaa?   dy^goe   'Efpeoiov   Xeyur  I  <)  Bezweifelt  wird   die  yermutimg  von 

ToV  Xoyoyy  s.  Enman»,  Jahrb.  für  Phil.  1884  j  Müller,  Geogr.  gr.  min.  I  p.  LXXIV  sq, 

S.  510.  Nach  Kalkmann,  Pausanias  S.  159  ff.  ^     '^      -    -    -- 


hat  Pausanias  den  Artemidor  nicht  direkt 
benutzt. 

')  StiBBLB,  Der  Geograph  Artemidor  von 
Ephesos,  PhUol.  XI  193-244. 


7)  ÜNOKR  Philol.  41, 613  entscheidet  sich 
für  den  ersten,  fOr  den  zweiten  Süsrmihl 
AI.  Lit  I  678  Anm.  205. 

')  Die  allgemeine  Utteratnr  b.  oben  §  291. 


A.  AleacandriniBohea  Zeitalter.    8.  Die  Prosa,    b)  Philoiiophie.    (§  407.)      573 

Götterglaubens  vorzüglich  die  Philosophie,  welche  dem  sittlichen  Handeln 
der  Menschen  Kraft  und  Richtung  gab.  Die  Philosophie  trat  auf  solche 
Weise  über  den  engen  Kreis  der  Denker  von  Beruf  hinaus  und  ward  ge- 
wissermassen  die  Religion  der  Gebildeten.  Viele  der  namhaftesten  Dichter 
und  Historiker  nahmen  zugleich  Stellung  zur  Philosophie.  Der  Komiker 
Menander  neigte  zu  Epikur,  der  Epiker  Arat  zur  Stoa,  die  Satiriker  Me- 
leager  und  Menippos  bekannten  sich  als  Kyniker,  Poseidonios  kann  eben- 
sogut den  Historikern  als  den  Philosophen  zugezählt  werden.  Und  über 
Hellas  hinaus  übte  die  Philosophie  ihre  Macht  auf  die  Gebildeten  der  neu- 
gegründeten Reiche.  Von  dem  Herrscher  Makedoniens  Antigenes  Gonatas 
ist  es  bekannt,  dass  er  der  stoischen  Philosophie  anhing  und  mit  Stoikern, 
wie  Persaios  und  Zenon,  intim  zu  verkehren  liebte.  Besonders  aber  unter 
den  Römern  schieden  sich  seit  der  ersten  Berührung  mit  griechischer 
Litteratur  die  Gebildeten  unter  den  Staatsmännern  und  Schriftstellern  nach 
ihrer  Stellung  zu  den  verschiedenen  Philosophenschulen;  speziell  die  Stoa 
bildete  als  Glaubensbekenntnis  der  charakterfesten  Verteidiger  des  oligar- 
chischen  Freistaates  eine  grosse  politische  Macht. 

Auch  auf  die  Richtung  des  Stils  übte  die  Philosophie  Einfluss.  Es 
war  nicht  bloss  der  Verlust  der  Freiheit  und  die  Einschnürung  des  öffent- 
lichen Lebens,  was  die  Beredsamkeit  nach  Alexander  in  den  Hintergrund 
drängte,  auch  der  nüchterne  Wahrheitssinn  der  Philosophen  trat  dem  Wort- 
gepränge der  Rhetorik  feindlich  entgegen.  Hatte  schon  Aristoteles  einen 
nackten,  lediglich  dem  Ausdruck  des  Gedankens  dienenden  Stil  ausgebildet, 
so  vernachlässigten  jetzt  die  Philosophen  geradezu  die  Feile  des  Ausdrucks 
und  bekämpften  die  phrasenhaften  Schlagwörter  der  Rhetorik,  i)  Da  zu- 
gleich die  Philosophie  eine  stärkere  Richtung  auf  das  Ethische  nahm,  so 
wurden  die  Zierereien  der  Rhetoren  durch  die  Kernsprüche  der  Philosophen 
und  die  Moralpredigten  der  Kyniker  abgelöst. 

Die  Zahl  der  Philosophen  unserer  Periode  war  gross,  ihr  Einfluss 
auf  das  geistige  Leben  der  Zeit  hochbedeutsam ;  auch  ihre  Lehrsätze  lassen 
sich  noch  ziemlich  vollständig  rekonstruieren,  aber  in  der  Litteratur- 
geschichte  können  sie  keinen  bedeutenden  Platz  beanspruchen.  Viele  der- 
selben waren  geradezu  illiterati;  Diogenes  prooem.  16  hebt  insbesondere 
von  Stilpon  aus  Megara,  Pyrrhon  aus  Elis,  Menedemos  aus  Eretria  und 
Kameades  dem  Akademiker  hervor,  dass  sie  nichts  geschrieben  haben. 
Von  dem  Stoiker  Ariston  hielt  man  nur  einige  Briefe  für  echt;  von  dem 
Kyniker  Diogenes  zählt  zwar  Diogenes  6,  80  mehrere  Schriften  auf,  fügt 
aber  hinzu,  dass  die  bedeutendsten  Kritiker  dieselben  entweder  alle  oder 
zum  grössten  Teil  für  unecht  erklärten.  Diese  alle  haben  also  in  einer 
Geschichte  der  litterae  keine  Stelle.  Aber  auch  diejenigen,  welche  ihre 
Lehre  in  Schriften  niederlegten,  und  darunter  waren  einige,  wie"  der  Stoiker 
Chrysippos,  die  sehr  viel  schrieben,  und  andere,  wie  der  stoische  Eklek- 
tiker Panaitios,  die  durch  glänzende  Darstellungsgabe  herverragten,  kommen 


*)  Daher  der  scharfe  Tadel  des  Rhetors  j  schauungen  des  Chrysippos  und  seiner  Kon- 
Dionysios  de  comp.  4  über  die  Stilvernach-  |  Sorten  spricht  Seneca  ep.  100,  3  aus:  oratio 
lässigung  des  Stößers  Chrysippos.    Die  An-   ,   soUicita  philosophum  non  decet. 


574  Griechische  Litteraturgeschichte.    11.  NaohklaMisohe  Litteratnr. 

in  einer  Litteraturgeschichte  wenig  in  Betracht,  weil  sich  von  ihnen  fast 
80  gut  wie  nichts  erhalten  hat.  In  der  Besprechung  des  Wenigen  werde 
ich  mich  nicht  an  die  Zeit,  sondern  an  die  einzelnen  Schulen  halten. 

408.  Philosophenschulen.  Man  charakterisiert  die  Philosophie 
unserer  Periode  als  Sektenphilosophie,  weil  sich  in  ihr  die  verschiedenen 
Richtungen  schärfer  voneinander  sonderten  und  in  geschlossenen  Schulen 
{aiQtüsiq^  sedae)  sich  entgegentraten.  Alle  die  verschiedenen  Systeme 
fanden  ihre  Ausbildung  und  hatten  ihre  Vertretung  in  Athen.  ^)  Die 
Häupter  der  Schulen  zwar  stammten  zum  grossen  Teil  von  auswärts, 
Zenon  aus  der  phönikischen  Stadt  Kition  in  Eypern,  Ghrysippos  aus  Soloi 
in  Eilikien,  Metrodoros  aus  Lampsakos;  aber  in  Athen  lehrten  sie,  und 
Athen  war  der  Sammelpunkt  ihrer  Anhänger.  Erst  gegen  Ende  unserer 
Periode  wurden  auch  andere  Städte,  wie  Rhodos,  Tarsos,  Rom  Sitze  von 
philosophischen  Zweigschulen.  In  Pergamon  und  Alexandria  konnte  wohl 
Gelehrsamkeit  und  eine  höfische  Eunstpoesie  gedeihen,  aber  für  die  Frei- 
heit des  Denkens  war  allein  das  eigentliche  Griechenland  der  fruchtbare 
Boden.  In  Athen  hatten  nur  zeitweise  die  Philosophen  Anfechtungen  zu 
erfahren,  indem  im  Jahre  306/5  Sophokles  ein  Gesetz  einbrachte,')  das 
die  Verjagung  der  Philosophen  aus  Athen  bezweckte.  Aber  das  Gesetz 
scheiterte  an  dem  Einfluss  des  Theophrast,  und  von  da  an  bildete  bis  auf 
Justinian  Athen  eine  Freistätte  der  verschiedensten  philosophischen  Lehren. 
Die  Anhänger  der  einzelnen  Schulhäupter  bildeten  hier  geschlossene  Ver- 
eine, an  deren  Spitze  in  regelmässiger  Folge  {iiaioxtj)  ein  Vorstand  als 
Nachfolger  des  Stifters  stand.  Die  Mitglieder  fanden  sich  täglich  zum 
Studium  und  Vortrag,  ausserdem  jeden  Monat  einmal  zu  einem  gemein- 
samen Mahle  zusammen.  Für  ein  gemeinsames  Heim  war  bei  den  meisten 
durch  die  Stiftung  eines  mit  Bibliothek  und  wissenschaftlichen  Sammlungen 
ausgestatteten  Platzes  gesorgt,  in  welchem  der  Satz  xoivd  %ä  rwv  ffiXmv 
seine  volle  Geltung  hatte.  Religiöse  Weihe  hatte  dieser  Sammelplatz  und 
damit  die  ganze  Genossenschaft  dadurch,  dass  sich  daselbst  die  Bilder 
teils  der  Musen,  teils  der  als  Heroen  im  frommen  Andenken  der  Jünger 
fortlebenden  Stifter  der  Schule  befanden. 

409.  Akademie.  Unter  den  verschiedenen  Schulen  stelle  ich  die 
Akademie  voran ;  sie  war  die  älteste  und  hatte  seit  ihrem  Gründer  Piaton 
eine  ununterbrochene  Nachfolge.*)  In  unserer  Periode  nahm  ihre  Lehre 
durch  Arkesilaos  (315 — 241)  und  Karneades  (214 — 129)  eine  andere 
Richtung,  die  man  als  die  der  mittleren  Akademie  zu  bezeichnen  pflegt. 
Der  erstere,  angeregt  vermutlich  durch  den  Skeptiker  Pyrrhon  aus  Elis, 
trat  gegen  den  Dogmatismus  der  Stoa  auf,  indem  er  an  die  Stelle  der 
Gewissheit  des  Wissens  die  blosse  Wahrscheinlichkeit  (mO^arotr^c)  setzte 
und    demgemäss    in   allen    Fragen    mit    der   Zustimmung   zurückzuhalten 


^)  ZuMPT,  Bestand   der  philosophischen  ')  Ath.  GlOe.  Unoeb,  Jahrb.  f.  Phil.  135 

Schulen  in   Athen  und  die   Succession   der  |  (1887)  S.  755  erklftrt  sich  für  das  Jahr  315, 

Scholarchen,  in  Abh.  der  Berl.  Akad.  1844;  indem  er  unter  dem  dort  erwähnten  Deme- 

WiLAMOWiTZ,    Die    Philosophenschulen    und  trios  den  Phalereer  versteht, 
die  PoHtik,  Phü.  Unters.  IV  178—234  und  I  «)  Siehe  §  310. 

263—291. 


A.  Alezandrinisohea  Zeitalter.    3.  Die  Prosa,    b)  Pliilosophie. 


f  408-410.)      575 


(inäxcn')  und  die  Sache  nach  zwei  Seiten  zu  erwägen  (in  utramque  partetn 
disputare)  empfahl.  Er  selbst  hatte  aus  lauter  Zweifel,  wie  man  sagte, 
nichts  geschrieben.^)  Darin  war  ihm  auch  sein  einflussreicherer  Nach- 
folger Earneades  ähnlich,  von  dem  nach  Diogenes  6,  62  nur  einige  Briefe 
an  Ariarathes,  König  von  Eappadokien,  existierten.  Derselbe  war  indes 
nicht  bloss  ein  gewandter  Dialektiker  im  Streit  mit  den  Stoikern,  sondern 
übte  auch  durch  die  Gesandtschaft,  welche  er  zugleich  mit  dem  Stoiker 
Diogenes  und  dem  Peripatetiker  Kritolaos  im  Jahre  156/5  nach  Rom  unter- 
nahm, grossen  Einfluss  auf  die  Entwicklung  der  philosophischen  Studien 
in  Rom.')  Was  Arkesilaos  und  Earneades  versäumt  hatten,  holten  deren 
Schüler  Elitomachos  nach,  von  dem  Diogenes  IV  67  über  400  Rollen 
anfuhrt.  Seine  Polemik  gegen  die  Mantik  legt  Cicero  dem  2.  Buch  seiner 
Schrift  de  divinatione  zugrund.  —  Zur  alten  Lehre  der  Akademie  lenkten 
wieder  im  1.  Jahrhundert  vor  unserer  Zeitrechnung  Philon  von  Larissa 
und  Antiochos  von  Askalon  zurück,  indem  sie  zugleich  in  eklektischer 
Weise  das  Gemeinsame  der  verschiedenen  Schulen  aufsuchten  und  die 
Schärfe  der  Polemik  zu  mildem  suchten.  Hörer  des  letzteren  war  im 
Winter  79/8  Cicero,  der  uns  in  seinen  Academica  zumeist  über  diese  Wand- 
lungen der  Akademie  Aufschluss  gibt. 

410.  Der  Peripatos.  Die  Peripatetiker  verehrten  als  ihr  Haupt 
den  Aristoteles,  aber  die  Schule,  ein  Garten  mit  Altar,  Bildern  der  Musen, 
Weihgeschenken  und  Hallen  {neginaiot)  stiftete  erst  sein  Schüler  Theo- 
phrast.  Einer  von  dessen  Nachfolgern,  Lykon  aus  Troas,  entfaltete 
während  seiner  fast  halbhundertjährigen  Yorstandschaft  (270—226)  in  der 
Ausstattung  der  Räume  und  der  Veranstaltung  von  Symposien  einen  über- 
triebenen Luxus.')  Aber  bei  dem  Mangel  gesicherter  Revenuen  kam  die 
Schule  früh  herunter  und  hatte  in  den  letzten  Zeiten  unserer  Periode  nur 
noch  eine  ideelle  Eontinuität.  In  der  TiOhre  hielten  sich  die  Peripatetiker 
strenger  an  die  Grundsätze  ihres  Meisters  und  Stifters;  nur  Straten,  der 
Nachfolger  Theophrasts,  warf  als  ein  Vorläufer  der  mechanischen  Welt- 
erklärung den  reinen,  bewegungslosen  Geist  (vovg)  ganz  über  Bord  und 
erkannte  in  der  Natur  als  unbewusst  wirkender  Eraft  den  Grund  des 
Seienden,  wovon  er  den  Beinamen  o  ifvaixoq  erhielt.*)  Im  übrigen  gewann 
bei  den  Peripatetikern  die  Neigung  zur  Spezialisierung  der  Wissenschaft 
und  zur  Pflege  der  historischen  Forschung  immer  mehr  die  Oberhand. 
Wie  keine  der  übrigen  Schulen  hat  die  peripatetische  auch  ausserhalb 
Athens,  in  Alexandrien  Anhänger  und  namhafte  Vertreter,  wie  Hermippos 
und  Satyros,  gefunden. 


^j  Diog.  4,  30:  did  x6  tibqI  ndyiuy  ine- 
X^iy  ovcfi  ßißXioyf  (paai  rivesj  cvviyQaxpep. 

')  Grossen  Anklang  fand  allerdings  ge- 
rade bei  den  besten,  willensstarken  Römern 
jenes  Schwanken  zwischen  zwei  Meinungen 
nicht,  ebensowenig  wie  die  na^ddo^os  cvqb- 
oiXoyla  der  skeptischen  Akademiker  bei  dem 
Stoiker  Polybios  12,  26  b.  Aber  hochange- 
sehen  war  Earneades  durch  seine  ausser- 
ordentliche   Beredsamkeit,    worüber    Philo- 


l 


5  Kays, 
dem   Bericht   des 


Stratos  vit.  sophist.  1 1 

»)   Ath.  547  d   naci 
Antigonos  Earystios. 

*)  DiELS,  Ueber  das  physikalische  System 
des  Straten,  Sitzb.  d.  preuss.  Ak.  1893  S.  110  ff. 
Schon  Aristoteles  hatte  in  dem  berühmten 
Ausspruch  Parv.  Nat.  p.  476a  12  finir^y  ovdey 
oQtö/Liey  noiovaay  irjy  (pvciy  die  Natur  an 
die  Stelle  Gottes  gesetzt. 


576 


Orieehische  Litieratiirg«Mliiohie.    IL  VachklaMiMhe  Utteratar. 


411.  Theophrastos  (um  372—287)^)  aas  Eresos  in  Lesbos,  ward 
nach  seines  Lehrers  Aristoteles  Tod  Vorsteher  der  peripatetischen  Schule 
(322—287),')  die  unter  seiner  34  jährigen  Leitung  zu  grosser  BlQte  ge- 
langte. Die  Blüte  der  Schule  war  wesentlich  das  Werk  ihres  Vorstandes, 
der  bei  der  Bürgerschaft  Athens  sowohl  als  bei  den  auswärtigen  Fürsten 
Kassander  und  Ptolemaios  in  hoher  Achtung  stand.  Seinem  Ansehen 
ward  die  Annullierung  des  Gesetzes  des  Sophokles  (306  5)  verdankt,  das 
unter  Androhung  von  Todesstrafe  die  Errichtung  und  Leitung  einer  Philo- 
sophenschule von  der  Genehmigung  des  Senates  und  Volkes  abhängig 
machte.  3)  In  der  Lehre  trat  Theophrast  genau  in  die  Fusstapfen  seines 
Meisters;  er  hielt  wie  jener  Vorträge  über  Philosophie,  Naturlehre  und 
Rhetorik  ^)  und  gab  auch  den  meisten  seiner  Schriften  den  gleichen  Titel,^) 
wie  ^AvaXviixä^  Toinxd,  <Pvcixa^  Mtxaifvaixdy  ÜQoßki^fiaTa^  neQi  ff;j«»-,  offen- 
bar weil  seine  Vorlesungskurse  die  gleichen  waren  und  seine  Schriften 
ebenso  wie  die  des  Aristoteles  zum  grossen  Teil  die  Bedeutung  von  Eol- 
legienheften  hatten.  Die  Kunst  anziehender  populärer  Darstellung  zeigte 
er  in  den  ethischen  Schriften  ttcqI  cvSat/Aorfag,  KaXhcx^tvrfi  f;  neQi  niv- 
&ovg,  nsQl  (ftXtag  u.  a.,  in  denen  er  von  der  Strenge  rigoroser  Tugendlehre 
abging  und  auch  den  höheren  Lebensgenüssen  ihr  Recht  liess ;  aus  seinem 
Kallisthenes  erwähnt  Cicero  Tusc.  V  9  den  Ausspruch :  vitam  regit  fortuna 
non  sapientia.^)     Erhalten  sind  uns  von  ihm: 

Jltgi  ifwfov  laioQfag  9  B.  und  negi  ^vtäv  ahifSv  6  B.  Die  beiden 
Werke  unterscheiden  sich  in  ähnlicher  Weise  voneinander,  wie  die  be- 
schreibenden und  spekulativen  Bücher  des  Aristoteles  über  Tiergeschichte.^) 
Während  aber  in  der  Tiergeschichte  das  Ansehen  des  Aristoteles  sich  auch 
nach  seinem  Tode  ungeschmälert  erhielt,  ward  er  in  dem  Gebiete  der 
Pflanzenkunde  von  seinem  Schüler  in  Schatten  gestellt,  so  dass  des  letzteren 


»)  Diog.  V  36—57.  99  Jahre  erreichte 
er  nach  dem  Proömium  der  XoQaxtfjgcg,  an 
welcher  Angabe  Mbieb,  Oposc.  II  19B  fest- 
hält. Wir  halten  ans  an  Diog.  V  40  u.  58, 
der  ihn  85  Jahre  alt  werden  und  Ol.  123 
gestorben  sein  Ifisst. 

*)  Die  Anekdote  aber  seine  Wahl  siehe 
§  383. 

•)  Diog.  V  38:  ZotpoxXiovg  xov  'AfAKpi- 
xXeidov  yofioy  BiasyByxoviog,  fAtj^eya  ttuy 
ifiXoaöffüiy  a^oXijs  dffriyeicdat^  ay  fjitj  r/j 
ßovXß  xai  T(^  ^^h*l?  ^^^U  '  ^^  ^^  f^V^  S^fcyuToy 
Bivai  Jtjy  ^tjfilay  ....  top  yofAoy  fjihy  axvgov 
inoirjGay  'AdtjyaToij  toy  di  ZofpoxXea  niyxB 
laXayxoiq  iCrj/iitoaay  xddoSoy  re  roU  fftXo- 
a6(poig  itf/tjtpiatcyro,  l'ya  xtci  SeoipQttaTog  xn- 
tiX9oi  xai  iy  roTg  ofioioig  etrj. 

*)  Unter  den  Schriften  des  Theophrast 
befand  sich  auch  eine  neQl  ^rjroQixi^g  und 
Tisgi  Xe^siag,  s.  M.  Schmidt,  De  Theophrasto 
rhetore,  Halle  1889;  H.  Rabb,  De  Theo- 
phrasti  libris  rtegl  Xs^ciog^  Diss.  Bonn  1890. 
Von  der  göttlichen  Kunst  seiner  Rede  soll 
er   auch    den  Namen   SeoffQaffxog   erhalten 


haben,  während  er  von  Hanse  ans  den  nn- 
yerstftndlichen  Namen  TvQxttfiog  hatte ;  s.  Cic. 
Orat.  19,  62;  Quint  XI  83;  Strabon  Uli 
p.  618.  Dinarch  und  Demetrios  ans  Pha- 
leron  werden  Schüler  des  Theophrast  ge- 
nannt, so  dass  er  wie  Aristoteles  frfih  mit 
rhetorischen  Vortrügen  hervorgetreten  sein 
muss. 

')  Das  Verzeichnis  der  Schriften  bei 
Diog.  V  42— 50;  dasselbe  rOhrt  wahrschein- 
lich von  Hermippos  her,  neben  dem  noch 
ein  zweites  von  Andronikos  existierte,  wie 
das  Scholion  am  Schlnss  der  Metaphysik 
des  Theophrast  lehrt.  Das  erhaltene  Ver- 
zeichm's  ist  zerlegt  und  mit  den  anderen  Zeng- 
nissen  zusammengestellt  von  Usbnbr,  AnaL 
Theophrastea,  Lips.  1858  und  Rh.M.  16, 259  ff. 
u.  470  ff. 

")  Gegen  llieophrast  wendet  sich  Fln- 
tarch  in  der  Schrift  negl  xv^v^,  die  gerade 
mit  dem  Vers  xvxv  ^«  Syfjxwy  Tt^dyftax^ 
ovx  evßovXla  anhebt;  vgl.  Dümmlbb,  Aka 
demika  201. 

^)  Siehe  oben  §  319. 


A.  Alexandrinische«  Zeitalter.    8.  Die  Prosa,    b)  PhiloBophie.    (§411.)       577 

Schriften  über  Botanik  sich  erhalten  haben,  die  des  ersteren  früh  ver- 
schollen sind.^) 

neQi  Xivf-cav,  Fragment  eines  grösseren  Werkes  über  Mineralogie,  das 
speziell  von  den  geschnittenen  Steinen  handelt  und  für  unsere  Kenntnis 
von  der  Steinbearbeitung  der  Alten  von  hervorragender  Bedeutung  ist.*) 

n€Qi  nvQog^  eine  systematische  Erörterung  der  Probleme  über  das 
Wesen  und  die  Eigenschaften  des  Feuers,  in  verständiger,  aber  des  eigent- 
h'chen  Einblicks  in  die  Natur  des  Lichtes  entbehrender  Methode. 

I1€qI  ah&TJaewv  xal  altf^/cdv^  Bruchstück  eines  Hauptwerkes  unseres 
Theophrast,  der  Geschichte  der  physikalischen  Theorien  (^vtfixwr  öo^ai); 
wiewohl  nur  Fragment,  gibt  es  uns  doch  eine  Vorstellung  von  der  Methode 
des  Theophrast,  der  ähnlich,  nur  einlässiger  wie  Aristoteles  seiner  eigenen 
Lehre  einen  historischen  Abriss  der  Entwicklung  der  betreffenden  Disziplin 
und  eine  Kritik  der  früheren  Systeme  vorausschickte.«)  Im  Zusammen- 
hang mit  unserem  Fragment  steht  die  Metaphrase  des  Neuplatonikers 
Priscian  rciv  &€0(pQdcTOV  negl  ata&rjCscog  xal  if>av%aü(ag,^) 

Mfxafpvaixd  Bruchstück  der  Metaphysik,  welches  die  Aporien  bezüglich 
der  obersten  Gründe  des  Seins  enthält  und  somit  auf  einer  Linie  mit  dem 
2.  Buche  der  aristotelischen  Metaphysik  steht.  Dasselbe  ist  von  Brandis  zu- 
sammen mit  der  Metaphysik  des  Aristoteles  (Berl.  1823)  herausgegeben  worden. 

XaQaxTr;Q€g^  kurze  Charakterschilderungen,  die  ins  Gebiet  der  Ethik, 
zugleich  aber  auch  in  das  der  Poetik  einschlagen.  Das  grosse  Interesse, 
das  von  jeher  dieses  Büchlein  erweckte,  gründet  sich  darauf,  dass  Theo- 
phrast, der  Freund  des  Menander,  seine  feinen  Gharakterzeichnungen  nicht 
sowohl  nach  dem  Leben,  als  nach  der  Bühne  oder  der  neuen  Komödie 
entwarf,  so  dass  dieselben,  wie  zuerst  Casaubonus  in  seinem  berühmten 
Kommentar  der  Schrift  dargethan  hat  (1592),  für  das  Verständnis  der 
neuen  attischen  Komödien,  sowie  des  Plautus  und  Terenz  von  hoher  Be- 
deutung sind.^)  Geschrieben  sind  sie  nach  politischen  Andeutungen  in 
c.  8  u.  23  bald  nach  Antipaters  Tod  (319).  Nach  dem  Proömium  hätte 
Theophrasst  ausser  unserem  Büchlein,  das  lauter  lächerliche  oder  tadelns- 
werte Charaktere  enthält,  auch  noch  in  einem  zweiten  Buch  von  den  guten 
Eigenschaften  gehandelt;  aber  die  Echtheit  des  Proömiums  unterliegt  trotz 
der  Verteidigungsversuche  Meiers,  Opusc.  II  190  flf.,  den  schwersten  Be- 
denken. Das  Büchlein  selbst  geht  auf  einen  Archetypus  zurück,  liegt  uns 
aber  in  lückenhafter  und  wenig  geordneter  Fassung  vor.*) 

'jOsR.RicHTBK,  Die  botanischen  Schriften  |  ^)  Prisciani  Lydi   quae   extant  ed.  By- 

*»  Theophrast,  Jahrb.  für  Phü.  Suppl.  Vli  i  water  in  Suppl.  Aristot.  I  2,  Berl.  1886.   Die 

449—539,    nimmt    die    Exaktheit    der    Be-  I  <^v<rtxfJ«' do^ra  selbst  reichten  bis  auf  Sokrates 

obacfatongen    Theophrasts    in    Schutz.     Gu.  !  und  hatten    16  B.,   woneben  Diogenes   eine 

SniK,  Schol.  in  Aristoph.  Lysistr.  p.  XX  be-  j  Epitome  in  1  Buch  anführt, 

^eist,  dass  den  Alexandrinern  ein  vollstän-  |  ^)  Verwandten  Inhalts  war  die  Schi'ift 

^res  Exemplar  vorlag.  —  üeber  das  älteste  i  Tie()i  xtofnitdutgy  von  der  ein  Bruchstück  bei 

TT^.   ,     ,      ,       ^.    ,  ,  ^  Ath.261d. 

^)  Erhalten  sind  c.  1-  15  in  den  alten 
Pariser  Codd.  J  u.  ß,  c.  16-30  im  Va- 
ticanus  V,  Exzerpte  in  anderen  Codd.,  wie 
dem  Monac.  Vergl.  Gomperz,  üeber  die 
Charaktere  Theophrasts,  Sitzungsbericht  der 
Wiener  Akademie  1888,  dagegen  Ribbeck 
Rh.  M.  44  (1889)  S.  805  ff.;   jetzt  das  ge- 


Moterbnch  des  D  i  o  k  1  e  s  von  Karystos 
i^  Jahrh.)  a.  Wkllmann,  Das  Älteste  Kräuter- 
^h  der  Griechen,  in  Festgabe  für  Susemihl 
1898. 

*)  üeber  den  xvayog  dieser  Schrift  siehe 
Helbig,  Hom.  Ep.  79  ff. 

*)  ÜSENBR,  Anal.  Theophr.  27  f.;  Dikls, 
Doxogr.  graec.  p.  91  ff. 


Baadboeh  der  kla«.  Altertuniswiaseuscbaft.    VU.    8.  Aufl.  37 


578 


Grieohiaohe  Lüteratnrgesohichte.    ü.  HachklasBisohe  Litteratiir. 


Ausserdem  sind  noch  viele  kleinere  Fragmente  von  verschiedenem 
Inhalt,  wie  negl  oa^mv,  negl  äräjunov^  nsQi  arjjueiiov  vddxtov  xai  nvevfxaTiäv 
xai  xeiiifovfov  xal  eidim'y^)  iregl  xo/ron',  ttsq!  lÖQciTwv,  neQi  Isinoipvx^ccg  auf 
uns  gekommen.  Aus  den  0vai>uov  do^ai  haben  viele  Sätze  ihren  Weg  zu 
den  Doxographen  gefunden ;  ebenso  ist  aus  den  historischen  Vorstudien 
zur  Politik  {tioXitixcc  %d  nqoq  tovg  xaiQovg  4  B.,  vofxoi  und  vofiifjia  ßaq- 
ßaQixd)  vieles  auf  die  Späteren,  namentlich  Plutarch  übergegangen.*)  In 
ähnlicher  Weise  lebte  bei  den  frommen  Schriftstellern  der  Kaiserzeit,  ins- 
besondere dem  Neuplatoniker  Porphyrios,  das  Andenken  an  Theophrasts 
Schrift  von  der  Frömmigkeit  {Ttegl  svaeßstag)  wieder  auf.^) 

Ausg.:  ed.  princ.  Venet.  1497;  vermehrte  Ausg.  von  I.  G.  Schneider,  Lips.  1818; 
kritische  Textausg.  von  Wimmer  in  Bihl.  Teubn.  1862  und  Paris  1866;  eine  Neubeorbeitimg 
von  Stadler  steht  in  Aussicht.  —  Spezialausg.  der  XagaxT^Qeg  mit  Kommentar  von  Casau- 
BOKUS,  LB.  1592;  von  Koraes,  Par.  1799;  von  Petrrsen,  Lips.  1859;  von  üssino,  Haun. 
1868;  von  Jebb,  Lond.;  Theophrasts  Charaktere,  herausgegeben,  erklärt  und  Übersetzt  von 
der  philolog.  Gesellschaft  zu  Leipzig  1897;  M.  H.  E.  Meier,  Commentationes  Theophrasteae 
V,  in  Opusc.  II  190—262;  Gompebz,  üeber  die  Charaktere  Theophrasts,  Denkschr.  d.  Wien. 
Ak.  117  (1888).  —  DiELS,  Theophrastea,  Berl.  Progr.  1883  über  die  handschriftliche  Ueber- 
lieferung.  —  SeofpQaaiov  negl  nvQog  ed.  A.  Gercke,  Greifswald  1896,  Vorläufer  einer  kri- 
tischen Ausgabe  von  Theophr.  scripta  physica. 

412.  Stoa.*)  Den  grössten  Einfluss  hatte  unter  den  philosophischen 
Schulen  die  Stoa.  Benannt  war  sie  nach  der  mit  Gemälden  des  Polygnot 
geschmückten  Halle  {(xtod  nmxiXri)^  in  welcher  der  Begründer  der  Schule, 
Zenon  von  Kition  in  Kypern  (um  331—264)*)  zu  lehren  pflegte.  Der- 
selbe war  ausgegangen  von  der  Lehre  des  Kynikers  Krates,  hatte  sich 
aber  ein  eigenes,  über  den  beschränkten  Gesichtskreis  der  Kyniker  hinaus- 
gehendes System  gebildet.  Ein  eigenes  Heim  scheint  er  für  seine  Schule 
nicht  gestiftet  zu  haben.®)  Unter  seinen  zahlreichen  Schülern  waren  am 
berühmtesten  sein  Landsmann  Persaios,  der  Lehrer  und  Freund  des 
Königs  Antigonos  Qonatas  von  Makedonien,  Ariston  von  Chios,  der  popu- 
läre Morallehrer,  der  von  seiner  einschmeichelnden  Redegabe  den  Beinamen 
Sirene  erhielt,  Kleanthes  aus  Assos,  Nachfolger  des  Zenon  im  Schol- 
archat. Litterarischer  Begründer  und  Hauptvertreter  der  Stoa  wurde 
Chrysippos  aus  Soloi  in  Kilikien  (um  280—207),^)  der  seinem  Lehrer 
Kleanthes  in  der  Vorstandschaft  der  Schule  folgte  und  in  zahlreichen 
Schriften   alle  Seiten  der  stoischen  Lehre    darstellte.®)    Seinem  Ansehen 

naueste  in  den  Prolegomenen  der  Ansgahe 
der  philologischen  Gesellschaft  Leipzigs  1897. 

*)  üeher  dieses  ans  Theophrast  und 
Eudoxos  gezogene  Ezzerpt,  das  eine  Qaelle 
des  Arat  war  (s.  S.  530),  handelt  lo.  Bobhmb, 
De  Theophrasti  quae  fenmtur  tisqI  atjfÄeiüty 
excerptis,  Hamburg  1884. 

'^)  DuuMLER,  Zu  den  historischen  Ar- 
beiten der  ältesten  Peripatetiker,  Rh.  M.  42, 
179  ff. 

»)  Jak.  Bbrnays,  Theophrastos  Schrift 
aber  Frömmigkeit,  ein  Beitrag  zur  Religions- 
geschichte, Berl.  1866. 

^)  ScHMEKEL,  Die  Philosophie  der  mitt- 
leren Stoa,  Berlin  1891;  Thereianos,  //ta- 
yga/LtfAa  Itmxrjg  (fiXoaofflag^  Triest  1892, 
in  warmer  Bewunderung  des  sittlichen  Geistes 
der  Stoa. 


^)  Ueber  die  unsichere  Ueberliefenmg 
der  Lebenszeit  s.  Susbmihl  AL  Lit.  1  48  u.  53. 
In  dem  Brief  an  Antigonos  (Diog.  VII  8), 
dessen  £chtheit  Zeller  anzweifelt,  bezeichnet 
er  sich  als  achtzigjährig. 

^)  Ueber  seine  Schriften,  von  denen  uns 
nur  trftmmerhafte  Reste  erhalten  sind,  siebe 
Wacbsmutb,  De  Zenone  et  Cleanthe,  Ind. 
Gott.  1874. 

'')  ApoUodor  bei  Diog.  7, 184  and  Suidas 
lassen  ihn  78  Jahre  alt  OL  143  sterben;  Ps. 
Lucian  Macrob.  20  und  Yalerins  Maximns 
VIII  7,  10  lassen  ihn  älter  werden.  Nach 
Diog.  7,  18-3  rühmte  man  von  ihm : 
e«  fArj  yttQ  tjf  XQvainnog,  ovx  dy  tjr  arod, 

^)  Als  litterarischer  Vertreter  der  Stoa 
erscheint  er  bei  Horatius  sat.  I  3,  126:  n<m 
nosti,  quid  pcUer,  inquitj  Chryaippus  dieaif 


A.  AlexandriniBches  Zeitalter.    8.  Die  Prosa,    b)  Philosophie.    (§  412.)      579 


und  seiner  Gelehrsamkeit  gegenüber  traten  die  jüngeren  Stoiker  Diogenes 
der  Babylonier  und  Antipater  von  Tarsos  zurück.  Zu  neuer  Blüte 
gelangte  die  Stoa  durch  Panaitios  aus  Rhodos  (um  185—110),^)  der  in 
Rom  mit  den  bedeutendsten  Staatsmännern  seiner  Zeit,  Laelius  und  Scipio 
Africanus,  in  vertrautem  Umgang  lebte »)  und  nach  seiner  Rückkehr  nach 
Griechenland  als  Nachfolger  des  Antipater  an  die  Spitze  der  stoischen 
Schule  in  Athen  trat.  Dadurch,  dass  er  zwischen  Gut  und  Schlecht  das 
Schickliche  {ngoaf^xov)  einschob  und  überhaupt  sich  gegen  die  Ansichten 
anderer  Schulen  empfönglicher  zeigte,  8)  durchbrach  er  die  doktrinäre  Starr- 
heit der  älteren  Stoa.  Gegen  Ende  unseres  Zeitraums  nahm  durch  den 
Einfluss  der  stoischen  Pergamener  auch  die  Stoa  eine  Wendung  zur  ge- 
lehrten Polyhistorie.  Hauptvertreter  dieser  Richtung  war  Poseidonios, 
der  durch  seine  vielseitige  Gelehrsamkeit  die  Aufmerksamkeit  des  Pom- 
peius  und  Cicero  auf  sich  zog.*) 

Ihre  welthistorische  Bedeutung  und  ihren  Einfluss  auf  die  Zeitgenossen 
verdankte  die  Stoa  der  Strenge  ihrer  sittlichen  Grundsätze  und  dem  kosmo- 
politischen Charakter  ihrer  Lehre.  In  derselben  ging  sie  von  dem  Ideal 
des  Weisen  aus,  welcher  dadurch,  dass  er  die  Vernunft  zur  Herrschaft 
erhebe  und  nach  ihrer  Weisung  {avynaidx^smg)  die  Affekte  {ndvß^rj)  regele, 
das  menschliche  Handeln  in  Einklang  mit  der  Natur  {(fv(fig)  und  der  in 
der  Natur  verbreiteten  Weltvernunft  bringe.  Ausgeprägt  haben  die  Stoiker 
diese  erhabene,  mit  strenger  Konsequenz  durchgeführte  Ethik  in  den  welt- 
berühmten, wenn  auch  von  Spöttern  teilweise  als  paradox  verschrieenen 
Sätzen:^)  täkog  sivut,  %i  ofAoXoYovfAävfog  zy  <pv(f€i  tr;i'  {naturae  conv&nienter 
vivere)  '  dya&d  eivai  vdg  aQsrdg,  xaxd  S^  %d  ivavxia^  ndvxa  zdXla  ddid- 
fpoQa  •  ndv%'  ev  nouXv  %6v  aoipov^  %6v  ao(fdv  elvai  /xovov  nXoiaiov  xal  iXsv- 
x^eqov  'S)  To  dixaiov  ifvasi  €ivat  xal  jiiij  ^äaei  •')  ndvTag  dvdqdnovg  efvai 
drjfiorag  xal  noXnag^  h'va  ih  ßiov  xal  x6(ffAovJ)  Daneben  aber  haben  sie 
doch  auch  die  beiden  anderen  Teile  der  Philosophie,  die  Physik  und  Logik, 
nicht  ganz  vernachlässigt.  In  der  ersteren  schlössen  sie  sich  mit  der 
Lehre  vom  Feuer,  aus  dem  die  Welt  mit  Einschluss  des  körperlich  ge- 
dachten Geistes  entstehe  und  in  das  sie  sich  durch  Ausströmung  (ixjtvQm- 
aig)  wieder  auflöse,   an  Heraklit  an;   über  ihn  gingen  sie  hinaus  mit  der 


M  Ungeb,  Philol.  41,  625,  setzt  ihn  170 
bis  100;  dagegen  Subbmihl  AI.  Lit.  II  65 
Anm.  80. 

')  In  Rom  kam  er  auch  durch  die  Ver- 
mittelong  des  Scipio  mit  dem  Historiker 
Polybios  zusammen;  den  Scipio  begleitete  er 
141 — 139  auf  seiner  Gesandtschaf  tsreise  nach 
Aiexandria  und  dem  Orient. 

»)  Oic.  de  fin.  IV  28,  79:  semper  habuit 
in  ore  Platanem,  Aristoielem,  Xenocratem, 
Jlieophrasium,  Dicaearchum.  Vgl.  Zbllbr 
III»  1,560  ff. 

^)  In  Pergamon  ward  diese  gelehrte 
Richtung  durch  Erat  es,  in  Rom  durch 
Varro  vertreten. 

')  Cicero,  Paradoxa  Stoicorum,  Plutarch, 
"Oti  nagado^ore^tt  ol  Itutixoi  T(oy  noirjTtoy 
Xiyovc^y.     Die    einzelnen    Belegstellen    bei 


Ritter-Pbeller,  Hist.  phil.  c.  418. 415. 420—1. 

^)  Ins  Lächerliche  gezogen  durch  Herein- 
ziehung des  suior  sapiens  durch  Horaz,  sat. 
I  3,  124  ff. 

^)  Horaz  sat.  I  3,  111  stellt  entgegen  die 
Lehre  des  Epikur:  iura  inventa  metu  iniusH 
fateare  neceasest^  nee  natura  potest  iuato 
secernere  iniquum. 

®)  Wenn  hervorragende  Stoiker  in  Rom 
Republikaner  waren,  so  kann  man  doch  nicht 
sagen,  dass  die  republikanische  Staatsform 
von  den  Stoikern  gepredigt  wurde  oder  auch 
nur  eine  Konsequenz  ihrer  Lehre  war;  wohl 
aber  hat  der  Epikureismus  mit  der  Verherr- 
lichung des  gemächlichen  Privatlebens  dem 
Despotismus  der  römischen  Eaiserzeit  in  die 
Hände  gearbeitet. 


37* 


580  Ghrieohiaohe  Litteratnrgesohlohte.    II.  Naohklaasisohe  Litteratiir. 

pantheistischen  Annahme  einer  alles  beherrschenden  und  nach  festen  Ge- 
setzen (xa^'  etfiaQfiävrjV  rj  eiQfiov)  sich  bewegenden  Weltvernunft.  Damit 
hängt  der  breite  Raum  zusammen,  den  in  ihrer  Philosophie  die  religiösen 
Fragen  über  das  Dasein  Gottes,  das  Walten  der  göttlichen  Vorsehung,  die 
Mantik  und  die  allegorische  Auslegung  des  Volksglaubens  einnahmen.^) 
In  der  Logik  verfolgten  sie  mit  der  Richtung  auf  positive  Wissensmög- 
lichkeit die  verschiedenen  Stufen  des  menschlichen  Erkennens:  die  sinn- 
liche Wahrnehmung,  die  Vorstellung  vermittelst  des  von  der  Seele  er- 
fassten  und  derselben  sich  einprägenden  Bildes  [ifavtaaia  xaxaXrjTiuxr^, 
comprehenm)^  die  allgemeinen,  teils  von  vornherein  in  dem  Menschengeist 
schlummernden  (xoival  ^vvoiai  oder  nQü^r^ipeig,  communis  consensuaX  teils 
erst  durch  Nachdenken  und  Schlussfolge  gewonnenen  Gedanken  und  Sätze. 
Mit  der  Logik  und  Dialektik  verbanden  sie  das  Studium  der  Rhetorik  und 
besonders  der  Grammatik,  wobei  sie  von  dem  Grundsatz  ausgingen,  dass 
die  Wörter  Zeichen  der  Vorstellungen  seien.*) 

413.  Schriften  der  Stoiker.  Die  Schriften  der  Stoa,  so  zahlreich 
sie  waren,  ^)  sind  doch  früh  aus  den  Bibliotheken  und  dem  Buch  verkehr 
verschwunden;^)  daran  war  wesentlich  das  verhältnismässig  frühe  Ver- 
schwinden der  stoischen  Philosophen  von  dem  Schauplatz  der  Weltgeschichte 
und  der  Mangel  an  klassischen,  auch  in  der  Form  vollendeten  Werken  der 
Stoa  schuld.  —  Durch  die  Chrestomathie  des  Stobaios  ist  uns  von  Elean- 
thes  ein  Hymnus  auf  Zeus  erhalten,  von  dem  bereits  oben  §  353  die  Rede 
war.  —  Von  Persaios  wurden  avfAnovixoi  dkdXoyoi  gerühmt,  während 
sonst  die  Stoiker  die  Form  des  Dialoges  über  Gebühr  vernachlässigten  und 
insbesondere  ernsthafte  Tischgespräche  verschmähten.  —  Von  dem  be- 
triebsamen und  schreibseligen  Chrysippos,  der  nach  Diogenes  VII  180 
nicht  weniger  als  705  Bücher  geschrieben  haben  soll,  sind  nur  Fragmente 
und  Auszüge  auf  uns  gekommen.^)  Die  Schriftstellerei  desselben  betraf 
nicht  bloss  die  drei  Teile  der  eigentlichen  Philosophie,  Logik,  Physik, 
Ethik,  sondern  auch  die  Grammatik  und  Dichtererklärung.  Viele  Stellen 
aus  seinen  Werken  hat  Plutarch  in  seine  gegen  die  Lehre  der  Stoa  ge- 
richteten Bücher  nsQl  %wv  xotruiv  ivvoifov  und  negii  Stwixwv  svavtifofidiatv 
wörtlich  herübergenommen.  Das  gefeierte  Buch  über  die  Vorsehung  {rre^ 
ngoroiag)  ist  später  von  Aelian  in  seinem  gleichnamigen,  aber  gleich- 
falls nur  bruchstückweise  erhaltenen  Buche  stark  benutzt  worden ;  mit  be- 
sonderer Anerkennung  erwähnt  wiederholt  Athenaios  im  Sophistenmahl  das 


*)  NfthereB  unten   bei  Apollodor,   Hera-  !           *)   Simplicius  in   Arist.  categ.  49-*,  16: 

kleitos,  Cornutus;   vgl.  ZbllbrIII'  ],  309  ff.  |  rtaga  toig  £ia>i>xotg,   toy  i<p*  ij/itay  xai  ij  di- 

»)    Diog.   7,  41;    Cic.   de   fin.  U  6,  17;  f«"'"^*«  ««'  r«  nXtüia  tw.  avyy(fa(,fAd,w, 

Pramtl,  Gesch.  d.  Log.  I  401  ff.:  R.  Schmidt,  ■  «"♦***"''*»'• 

Stoicorin  grammatica,  Halle  1839.    Die  yie^  ,  ,      \^%  ^chnften  waren  so   viele    d«B 

ir.f«™..;«-   j«.  c+,.:wJ-    »j  .;—.;...„„„   ,«■  d«™  Abschreiber  des  Diogenes    die  Gednld 
Kategonen  der  Stoiker    xo  vTioxiifityoy,  to  .  ^       ^      Schliwsteü  des  BBcher- 

scheinen  den  ReMen  Syof^a,  nqocny^i«,  '  ^'^^^    *^    Chrysippos    weghess.     Sem 

c-  j.  .         i.i5i-,  Ausdrucks  voller  Kopf  auf  einer  MQnze  von 

^^.  avyiecf.0,  entsprochen  zu  haben.  1  j.^^^^^^^  ^„  1,^.  ^.  böechh«r,  Grie- 

')  Au.  Dyroff,    Ueber  die  Anlage   der  i  chische  Münzen  mit  Bildnissen  historischer 

stoischen  Bücherkataloge,    Progr.  Würzburg  Privatpersonen,   Zeitschr.  f.  Numiam.  9, 127 

1896.  ,  tab.  IV  13. 


A.  AlezandriBiBches  Zeitalter.    8.  Die  Prosa,    b)  Philosophie.    (§§  413—414.)      581 

anziehende  Buch  TTSQi  xaXov  xai  r^Sovtjg.  —  Panaitios,  der  Freund  des 
Laelius,  war  der  Verfasser  des  berühmten  Werkes  ns^i  tov  xa&rjxovTog, 
das  Cicero  seinen  drei  Büchern  de  officiis  zu  gründe  legte,  sowie  des 
gleichfalls  von  Cicero  de  divinatione  benutzten  Buches  nsgi  nqovoiag .  An- 
ziehungskraft auf  die  dilettantischen  Geister  Roms  übte  Panaitios  auch 
dadurch,  dass  er  ähnlich  wie  Chrysippos  und  Krantor  .seine  ausgedehnte 
Belesenheit  in  den  Historikern  benutzte,  um  durch  passende  Beispiele  aus 
der  Geschichte  seine  philosophischen  Sätze  zu  beleuchten.  —  Über  Po- 
seidonios  habe  ich,  da  sein  Schwergewicht  in  ein  anderes  Gebiet  fällt, 
bereits  oben  §  405  unter  den  Historikern  gehandelt;  ebenso  werde  ich 
auf  Apollodor  und  sein  Buch  neql  d-eaiv  in  anderem  Zusammenhang  zurück- 
kommen. Von  der  jüngeren  Entwicklung  der  stoischen  Lehre  steht  vieles 
in  den  Schriften  des  alexandrinischen  Juden  Philo,  was  an  seiner  Stelle 
zur  Besprechung  kommen  wird. 

Bagubt,  De  Chrysippi  vita  doctrina  et  reliqniis,  Annal.  Lovan.  lY,  1882;  Gbbokb, 
Chryedppea  in  Jhrb.  f.  Phü.  Suppl.  XIV  689 — 781.  —  Troost,  Zenonis  Gitiensis  de  rebus 
physicis  doctrinae  fandamentam  ex  adiectis  fragmentis  constitait,  Berl.  1891.  —  R.  Schmidt, 
Sioicorum  grammatica,  Halls  1889.  —  Strilleb,  De  Stoicorum  stadiis  rhetoricis,  Breslau  1886. 

414.  Epikureer.  Den  Gegensatz  zu  den  Stoikern  bildeten  die  Epi- 
kureer: hatten  sich  jene  an  die  Kyniker  und  Heraklit  angeschlossen,  so 
diese  an  die  kyrenäische  Schule  und  Demokrit,  indem  sie  einerseits  in 
ihren  ethischen  Anschauungen  von  dem  Hedonismus  des  Aristipp  aus- 
gingen, anderseits  in  der  Lehre  von  der  Weltentstehung  und  der  durch 
Abbilder  der  Dinge  (imagines)  erregten  Sinneswahrnehmung  die  Atomen- 
lehre Demokrits  wieder  aufnahmen ;  hatten  jene  die  Lebensaufgabe  in  die 
Tugend  und  das  naturgemässe  Leben  gesetzt,  so  fanden  diese  das  Lebens- 
glück in  der  Lust  (r^iovrj),  die  sie  von  der  Befriedigung  sinnlicher  Triebe 
nicht  trennten;  hatten  jene  die  Beteiligung  am  politischen  Leben  als  Pflicht 
des  Weisen  hingestellt,  so  befürchteten  diese  von  den  Geschäften  und  den 
Stürmen  des  öffentlichen  Lebens  eine  Störung  der  Seelenruhe  (ätaQa^iä); 
hatten  jene  der  Vernunft  das  Zepter  in  die  Hand  gegeben  und  die  ver- 
nunftgemässe  Weltordnung  mit  dem  Gottesbegriflf  identificiert,  so  erhoben 
diese  gleich  im  Anfang  ihrer  Kosmogonie  mit  der  Lehre  von  der  Dekli- 
nation der  Atome  den  Zufall  oder  die  Ttix^^j  zur  herrschenden  Macht  und 
zogen  sich  bezüglich  des  Gottesglaubens  auf  den  skeptischen  Satz  zurück, 
dass  es  entweder  gar  keine  Götter  gebe  oder  dass  doch  dieselben  sich  um 
die  menschlichen  Dinge  nicht  kümmern,  i)  Im  übrigen  waren  die  Epi- 
kureer wie  die  Stoiker  Dogmatiker,  welche  auf  die  Unfehlbarkeit  ihrer 
Lehre  pochten  und  ihre  Anhänger  auf  gewisse  Hauptsätze  gleichsam  ver- 
pflichteten, dabei  in  gleicher  Weise  der  Ethik  und  den  Fragen  des  prak- 
tischen Handelns  vor  der  theoretischen  Forschung  den  entschiedenen  Vor- 
zug gaben.  Der  tiefere  Grund  ihres  Unterschiedes  ging  auf  die  Gegen- 
sätze des  heiteren,  menschenfreundlichen,  aber  auf  der  Oberfläche  ver- 
harrenden lonismus  und  des  kosmopolitischen,  von  orientalischen  Elementen 


^)  Im  16.  und  17.  Jahrhundert  erwachten  1  dnctio  ad  Stoicam  philosophiam,   Antwerpen 

wieder  unter  den  philosophisch   angelegten  |  1604,   und   Gassendi,   De   vita   moribus   et 

Philologen  die  gleicnen  Gegensätze.   Haupt-  1  doctrina  Epicuri,  LB.  1647. 

Vertreter   derselben   waren   Lipsiüs,   Manu-  | 


582 


GriMhiMlie  litUrainrgMchieht«.    IL  Jacihkla— i»ch>  LüUntw. 


durchtränkten  Hellenismus  zurück.  Unter  den  Begründern  ond  Lehreni 
der  Stoa  waren  auffällig  viele  Männer  aus  dem  Osten,  ihre  Schulen  waren 
allwärts  in  den  hellenischen  Reichen  vertreten ;  der  Epikureismus  hingegen 
hatte  seine  eigentliche  Stätte  in  Athen,  er  reflektierte  die  Feinheit  und 
Freiheit  des  attischen  Privatlebens  und  galt  daher  auch  später  noch  den 
Christen  als  der  Inbegriff  des  griechisch-heidnischen  Cteistes. 

Begründer  der  epikureischen  Schule  warEpikur,  der  zugleich  auch 
für  ein  sicheres  Heim  der  Schule  sorgte,  indem  er  in  seinem  Testament 
einen  zwischen  der  Stadt  und  der  Akademie  gelegenen  Garten  (x^nog)  seinen 
natürlichen  Erben  mit  der  Auflage  vermachte,  denselben  seinem  Schüler 
Hermarchos  und  dessen  Nachfolgern  in  der  Schule  zum  €tebrauche  zu  über- 
lassen. Freund  und  Lehrgenosse  des  Epikur  war  Metrodoros  aus  Lamp- 
sakos,  der  aber  noch  vor  dem  Tode  des  Stifters  der  Schule  starb.  ^)  Eän 
anderer  jüngerer  Genosse,  den  wir  aus  den  Gegenschriften  des  Plutarch 
näher  kennen,')  war  Eolotes  aus  der  gleichen  Stadt,  der  in  aggressiver 
Weise  die  Lehre  des  Meisters  gegen  dessen  Gegner  verteidigte.  Auch  die 
epikureische  Lehre  hat  sich  wie  die  stoische  nicht  bloss  nach  Rom  ver- 
breitet, wo  sie  an  dem  Dichter  Lucretius  Carus  einen  begeisterten 
Anhänger  fand,  sondern  auch  noch  im  3.  und  4.  Jahrhundert  unserer  Zeit- 
rechnung dem  Ansturm  der  christlichen  Schriftsteller  hartnäckigen  Wider- 
stand geleistet.  Aber  trotz  dieser  langen  Zeit  ihres  Bestehens  hat  sie 
nur  einen  sehr  geringen  Ausbau  und  fast  gar  keine  Weiterentwicklung 
erfahren;  mehr  wie  die  Stoiker  blieben  die  Epikureer  einfach  bei  den 
kanonischen  Sätzen  ihres  vergötterten  Meisters  stehen. 

416.  Epikuros  (341 — 270)')  stammte  aus  dem  attischen  Demos 
Gargettos,  verlebte  aber  seine  Jugend  in  Samos,  wohin  sein  Vater  als 
Eleruche  gegangen  war.  Der  Vater  war  einfacher  Schulmeister  (/^aju/uaro- 
didäcxaXog)  in  Samos ;  der  Sohn  trat  als  höherer  Lehrer  anfangs  (seit  310) 
in  Mytilene  und  Lampsakos,  seit  306  in  Athen  auf,  wo  er  eine  eigene 
Schule  gründete.  In  der  Philosophie  war  er  von  Demokrit  ausgegangen, 
in  dessen  Weisheit  ihn  der  Demokriteer  Nausiphanes  eingeführt  hatte. 
Sein  eigenes  philosophisches  System  entwickelte  er  in  zahlreichen  Schrif- 
ten; man  hatte  an  300  Rollen  von  ihm.^)  Stilistische  Vollendung  und 
sorgfältige  Durcharbeitung  wurde  keiner  derselben  nachgerühmt;^)  Epikur 
schrieb  eben  zu  rasch  und  zu  viel.  Die  hauptsächlichsten  seiner  Schriften 
zählt  Diogenes  X  27  auf;  obenan  stand  das  Werk  nfgl  iftaewg  in  37  B., 
von  welchem  uns  nicht  unbedeutende  Bruchstücke  durch  die  herkulanischen 
Rollen  aus  der  Bibliothek  eines  Epikureers  erhalten  sind.  Ausserdem 
haben  wir  von  Epikur  drei  grössere  Briefe  an  Herodotos,  Pythokles,^) 
Menoikeus,  die  uns  Diogenes  im  10.  B.  zusammen  mit  mehreren  Sätzen 
der  xvQiai  Sü^m  überliefert  hat.^) 


^)  Metrodori  Epicorei  fragmenta  coli. 
Alfb.  Koebtb,  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  17  (1890) 
529—97. 

*)  Vgl.  unten  §  476. 

B)  Diog.  X  und  ein  Artikel  des  Snidas; 
vgl.  UsBNSB,  Epicurea  p.  404  f. 

*)  Diog.  X  26. 


Sext.  Empir. 


')  Cic.  de  nat.  deor.  I 
adv.  math.  I  1.  

*)  Nach  UsENEBS  Nachweisen  p.  XXXIX 
ist  dieser  zweite  Brief  unecht  und  aus  Epi- 
kurs  Büchern  ne^  (pvcents  kompiliert, 

7)  Ueber  AuszOge  aus  den  yielgelesenen 
Briefen  Epikurs  haben  wir  eine  Notis  in  den 


A.  AlezaBdriiiiBphM  Zeitalter.    8.  Die  Proea«    b)  Philosophie.    (§  415.)      583 

Darch  die  herkalanischen  Rollen  sind  uns  ausserdem  von  epikureischen 
Schriften  bekannt  geworden  das  Büchlein  neQi  äXoyov  xarafpQoirjaswg  des 
Polystratos  (die  Reste  entziffert  von  Gomperz,  Herrn.  11,  399  ff.)  und 
mehrere,  teils  philosophische,  teils  rhetorische  Abhandlungen  des  Philo- 
demos  aus  Oadara.  Der  letztere,  Hausfreund  des  Piso  (Consul  58  v.  Chr.), 
war  froher  schon  durch  Cicero  bekannt,  der  ihn  de  fin.  H  35  doctissimum 
vimm  nennt  und  in  der  Rede  gegen  Piso  c.  29  von  ihm  rühmt,  dass  er 
ein  Mann  sei  non  philosophia  solum,  sed  etiam  ceteris  studiis,  quae  fere  Epi- 
cureos  neglegere  dicunt,  perpolitus^)  In  unserer  Zeit  sind  von  ihm  aus  der 
Bibliothek  eines  Epikureers  in  Herculanum  eine  Reihe  von  Büchern,  wenn 
auch  meist  nur  bruchstückweise  ans  Licht  gezogen  worden,  die  unsere 
Kenntnis  der  epikureischen  Philosophie  bereichert,  den  Ruhm  ihres  Ver- 
fassers aber  gerade  nicht  besonders  erhöht  haben.  Das  interessanteste 
derselben  ist  das  Buch  nsQi  evaeßeiag,  das  inhaltlich  mit  Cicero  de  nat. 
deor.  I  10,  25 — 15,  41  übereinstimmt,  und  das  man  früher,  verleitet  durch 
Cic.  ep.  ad.  Attic.  XIH  39  und  auf  grund  falscher  Lesung  des  verblichenen 
Titels  für  das  Werk  des  Epikureers  Phaidros  71€qI  &€wv  ausgegeben  hatte.') 
Ausserdem  kamen  von  ihm  allerlei  Kleinigkeiten  von  Schriften  über  Ethik, 
Oekonomik,')  Rhetorik,  Musik,  Dichtkunst,  Homer,  sowie  von  einem  Ab- 
riss  über  die  Philosophenschulen  und  ihre  Lehrsätze*)  zum  Vorschein.  Über 
seine  Epigramme  s.  §  449.  —  Dem  Kirchenvater  Eusebios  verdanken  wir 
mehrere  Abschnitte  aus  den  Schriften  des  Epikureers  Diogenianos,  eines 
heftigen  Gegners  der  Stoa,  gesammelt  von  Oercke,  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl. 
UV  748—55.5) 

Epicurea  ed.  üseneb,  Lips.  1887,  Hanptscfarift  mit  Nachtrag  Rh.  M.  44,  414  ff.  —  Epi- 
cori  fra^.  de  natura  ex  t  ü  vol.  Hercul.  ed.  Orelli,  Lips.  1818;  Gohpebz,  Nene  Brach- 
Stöcke  EpikoTS,  Stzb.  d.  Wien.  Ak.  1876  S.  87  ff.,  Herrn.  5,  386  ff.,  Wien.  Stud.  1, 27  ff.;  Cos- 
siTivi,  Epicuri  de  natura  lib.  XXVIII,  Herrn.  29  (1894)  1 — 15;  Compabbtti,  Frammenti  in- 
edüi  di  Epicnro,  Riv.  di  phil.  YU  401  ff.,  Mus.  di  ant.  I  67  ff.,  angeblich  aus  der  ethischen 
8chrift  negl  algsaeioy  xal  fpvyiav,  was  übeneb,  Epicurea  p.  LI  zweifelhaft  macht.  —  Neue 
Bmchstficke  von  Epikurs  Spruchsammlung  aus  Cod.  Yatic.  gr.  1950  publ.  von  Wotke-Ussneb 
Wien.  Stud.  X  175  ff.  XII  155  ff. 


Hercul.  vol.  bei  üsbnbb  p.  132,  1.  Unter  den 
Briefen  Epikurs  war  auch  einer  an  seinen 
Landamann  Idomeneus  aus  Lampsakos  ge- 
richtet (Diog.  X  22),  von  dessen  histoiischen 
Schriften  Tisgl  ttay  Sioxgarixwy  und  negl 
hlUaymytay  Müllbb  FHG  II  489—494  die 
Fragmente  gesammelt  hat. 

')  Von  seinem  Ansehen,  zugleich  von 
seiner  laxen  Moral  zeugt  auch  Horaz  Sat.  I 
2, 121.  Der  Aufenthalt  in  Rom  spiegelt  sich 
in  den  Latinismen  seiner  Sprache,  nament- 
lich dem  Gebrauche  der  Perf.  bist,  für  den 
Aorist  Wie  sehr  aber  auch  er  auf  die 
Worte  des  Meisters  schwur,  zeigt  sein  Aus- 
in der  Rhetorik  p.  12  Sudh.:  Wenn. 
Metrodor  und  dazu  noch  Hermarch 
.  dasB  die  sophistische  Rhetorik  eine 
Kirnst  ist,  so  sind  diejenigen,  welche  dem 
wideiBprechen,  nicht  weit  von  dem  Yer- 
hrechen  der  Vatermörder  entfernt. 

')  Den  Phaidros  hält  fttr  die  gemein- 


same Quelle  des  Cicero  und  Philodemos 
DiELS,  Doxogr.  graec.  121  ff.;  Sitzb.  d.  pr.  Ak. 
1898,  116.  Ueber  die  Quellen  Dibtze  Jhrb. 
f.  kl.  PhiL  1896  S.  218  ff. 

*)  Mit  Aristoteles  Oekonomik  heraus- 
gegeben von  Göttlimo  1830;  mit  dem  10.  B. 
hbqI  nnxMÜy  ntd  rcJv  ttyztxBifjiiyioy  dgejiSy 
von  Hartüno,  Leipz.  1857. 

*)  Diog.  X  3 :  ^tXodtjfiog  6  TJnixovQSios 
iy  X(^  dexdna  xrjg  rtoy  q>iXoa6ff>iay  avyta^etog. 
Das  Verzeicnnis  der  Akademiker  aus  den 
Herkul.  Rollen  publizierte  Büchbleb,  Ind. 
Gryph.  1869/70,  das  der  Stoiker  Gomparetti, 
Riv.  di  philol.  1875;  vgl.  Wilamowitz,  Phil, 
ünt  rV  109. 

')  Ueber  andere  Epikureer,  wie  Kolotes, 
Hermarchos,  Metrodoros,  Eameiskos,  von 
deren  Schriften  uns  Fetzen  in  den  herkula- 
mschen  Rollen  erhalten  sind,  siehe  den  sorg- 
fältigen Index  von  Usehbb,  Epicurea  am 
Schluss. 


584 


GrieohiBohe  litteratnrgeschiohte.    II.  Naohklassische  Litteratnr. 


Metrodori  Epic.  fragm.  coli.  Eobrtb  Jahrb.  f.  Phil.  Sappl.  XYII  529  ff.  —  Fragmente  des 
Epikureers  Diogenes  (am  200  n.  Chr.)  aaf  Stein  in  einer  Halle  von  Oinoanda  in  Lykien  pabL 
von  Cousin,  Bull,  de  corr.  hell.  XVI  1 — 3,  revid.  von  Usbnbr  Rh.  M.  47  (1892)  414  ff.,  neu  public, 
auf  Grund  neuer  Yergleichung  von  Hbberdet  und  Ealinka  in  Bull,  de  corr.  hell.  t.  XXI, 
1897.  —  Phaedri  Epicurei  de  nat.  deor.  firagm.  ed.  Pbtbbsbn,  ELamburg  1833;  dazu  L.  Spbnobl 
Abh.  d.  bayer.  Ak.  X  127  ff.;  Gohpbkz,  Herkulanische  Studien,  Leipz.  1866. 

Philodemi  negi  xaxtoiy  lib.  X  ed.  H.  Saupfb,  Lips.  1853;  mit  Theophrasts  Charakteren 
von  UssiNG,  Hann.  1868.  —  Philod.  nt-Qi  ogyijs  ed.  Gomprbz,  Lips.  1864;  Philod.  negi 
Havdrov  lib.  quart.  ed.  M ekler,  Sitzb.  der  Wiener  Ak.  1885  S.  305  ff.  -  -  Philod.  rhetorica 
von  L.  Spengbl,  Abh.  d.  bayer.  Ak.  Bd.  III,  1831,  neu  bearbeitet  von  Sudhaus  1892  in 
Bibl.  Teubn.;  wichtige  Verbesserungen  von  lo.  v.  Arnim,  De  restituendo  Philodemi  de  rheL 
lib.  II,  Ind.  lect.  Rostock  1893.  —  Philod.  de  musica  ed.  Kbmke  1884  in  Bibl.  Teubn.  — 
Philod.  n€Ql  7toii]fAttru}y  ed.  Dübner,  Paris  1849;  Hausrath  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  XVII  (1889) 
211 — 276.  —  PHiLiPPSON,  De  Philodemi  libro  negi  atj/Äeltay  xai  cfjfÄeitoaetoy,  Berl.  1881. 

416.  Kyniker.  Neben  diesen  vier  grossen  Schulen  erhielten  sich 
noch  aus  früherer  Zeit  die  Kyniker,  die  zwar  keine  geschlossene  Schule 
bildeten,  aber  mit  ihrer  kernigen  Moral  und  ihrer  drastischen  Sprache 
grossen  Einfluss  auf  die  einfachen  Leute  aus  dem  Volke  übten.  Der  geist- 
reichste Vertreter  derselben  war  Erates,  Zeitgenosse  des  Theophrast,  aus 
einem  vornehmen  Geschlechte  Thebens,  der  den  ererbten  Reichtum  ver- 
schmähend nach  Athen  zog,  um  ein  eifriger  Anhänger  des  Eynikers  Dio- 
genes zu  werden.  1)  Dabei  besass  er  ebenso  die  Kraft  eindringlicher  Rede 
wie  die  Kunst  poetischen  Spieles.  Von  seinen  beissenden  lamben  und 
seinen  Scherzen  in  fliessenden  Hexametern  {^nt])  und  Distichen  sind  uns 
noch  manche  hübsche  Reste  erhalten.^)  Die  Echtheit  der  36  meist  ganz 
kurzen,  an  Freunde  und  Freundinnen  gerichteten  Briefe  unterliegt  schweren 
Bedenken.*)  —  Aus  der  kynischen  Schule  gingen  auch  die  moralischen  Er- 
bauungsreden des  Kynikers  Tel  es  (gegen  Ende  des  3.  Jahrh.)  hervor,  wie 
TceQi  toi  fii]  tivai  xbXoq  rjdovijv^  ttcqI  avTaQxeiag,  nsQi  ^vyijg  u.  a.  Ver- 
wandter Art,  nur  mit  mehr  Witz  durchlaugt,  waren  die  Gespräche  (rfia- 
TQißaf)  des  Bion  von  Borysthenis  (3.  Jahrh.)*)  und  des  Kynikers  Menip- 
pos  (3.  Jahrb.),  die  später  in  den  Satiren  der  Römer  und  den  Schriften 
Philons  und  Lukians  wieder  auflebten. 

Teletis  reliquiae  ed.  0.  Hbnse,  Freibm-g  i.  Br.  1889.  —  W.  Müller,  De  Teletis  elo- 
cutione,  Freib.  1891  Diss.  —  Wilamowitz,  Der  kynische  Prediger  Tales,  Philol.  Unters. 
IV  292  ff. 

417.  Skepsis.  Im  Gegensatz  zu  den  dogmatischen  Schulen  gewannen 
schon  in  unserem  Zeitraum  steigenden  Einfluss  die  Skeptiker.  Hauptver- 
treter des  älteren  Skeptizismus  waren  Pyrrhon  aus  Elis  (um  365—275) 
und  Timon  der  Sillograph  aus  Phlius,  welche  beide  zugleich  in  dem  Ver- 
zicht auf  sicheres  Wissen  eine  Quelle  der  Gemütsruhe  und  Glückseligkeit 
fanden.  Neuen  Aufschwung  nahm  die  Opposition  gegen  die  von  den 
Stoikern  ebenso  wie  von  den  Epikureern  vorausgesetzte  Möglichkeit  sicheren 


>)  Diog.  VI  85—98. 

*)  BsRGK  PLG.  Vielverbreitet  waren  nach 
Dioeenes  die  witzigen  Veree: 

Tt^ft  fjLaysLQi^  fJLPcig  rfeV,  iaxQ(^  ^Qa/f^ijy, 
xdXaxi  rd'Aayra  niyxB,  av/j,ßovXtp  xanvop, 
noQvn  xdXttvxoy^  (piXoifofptp  XQUoßoXoy, 
Vgl.  Waohsmuth,  Sillogr.  gr.  192  ff. 

*)  Angeführt  sind  die  Briefe  schon  bei 
Diog.  VI  98,   der  auch  Tragödien  von  ihm 


anführt;    Ausgabe   in    Hbrohbr  Epist.   gr. 
208—217. 

*)  Hbnse,  Teletis  rel.  prol.  XLV  sqq.  — 
Zu  Horaz  ep.  II  2,  60  Bioneis  sermonäus  et 
sale  nigro  bemerkt  der  Scholiast  Ps.  Acron: 
sunt  autem  disputationes  Bionis  phHasophi, 
quibus  stuIHtiam  vulgi  arguU,  eui  paene  com- 
sentiunt  earmina  Lueüiana.  Ric.  EbanzB, 
De  Horatio  Bionis  imitatore,  Dias.  Bonn  1889. 


A-AlexandrimscheB  Zeitalter.  8.  Die  Prosa,  c)  Gelehrte  Litteratur.  (§§416—419.)  585 

Wissens  durch  Ainesidemos  aus  dem  kretischen  Knossos,  der  in  der 
Zeit  Ciceros  lebte  und  dessen  Einwände  sich  der  jüdische  Philosoph  Philon 
in  der  Schrift  über  die  Trunkenheit  (ti^qI  fibt^rjg)  c.  41—48  aneignete.^) 

418.  Eebes  nennt  sich  der  Verfasser  eines  früher  viel  gelesenen 
Buches,  Tiha^  oder  Oemälde  betitelt,  das  eine  allegorische  Darstellung  des 
Lebens  im  platonisch-pythagoreischen  Geiste  gibt.  Den  Namen  hat  das 
Buch  davon,  dass  in  ihm  die  verschiedenen  Lebenswege  dargestellt  sind 
nach  einem  im  Vorhofe  des  Eronostempels  aufgehängten  Bilde,  das  eine 
mit  einer  Mauer  umschlossene  Burg  vorstellte,  innerhalb  derer  sich  wieder 
verschiedene  andere  Burgen  mit  einer  Masse  von  Figuren,  wie  der  Apate, 
Tyche,  Paideia,  Eudaimonia,  befanden.  Dem  Verfasser  des  Pinax  werden 
von  Suidas  auch  noch  zwei  Dialoge  'Eßdo/tirj  und  <PQvrixog  zugewiesen. 
Dass  derselbe  nicht  mit  dem  Sokratiker  Eebes  aus  Theben  identisch  sei, 
zeigt  schon  die  Erwähnung  der  Peripatetiker  in  dem  Pinax  c.  13.  Auf 
der  anderen  Seite  muss  derselbe  geraume  Zeit  vor  Lukian  gelebt  haben, 
da  dieser,  Rhet.  praec.  6  und  De  merc.  cond.  42  von  Eebes  als  einem  all- 
gemein bekannten  Autor  spricht.  Ein  Eyniker  Eebes  aus  Eyzikus  wird 
von  Athenaios  p.  156d  erwähnt;  ob  derselbe  aber  mit  dem  Verfasser 
anseres  Büchleins  identisch  sei,  dafür  fehlen  bestimmte  Anzeichen.^)  Eher 
hat  ein  anonymer  Autor  aus  dem  1.  Jahrh.  n.  Chr.  nur  die  Maske  des  aus 
Piaton  allbekannten  Eebes  aus  Theben  angenommen.^) 

Cebetis  tabula  rec.  Pbaechtbr,  Lips.  1893  in  Bibl.  Teubn. ;  das  Gemälde  im  Kronos- 
tempel  von  Kebes,  Übersetzt  und  mit  Erläuterungen  versehen  von  Fr.  Eraüss,  Wien 
2.  Aufl.  1890. 


e)  Grammatisehe  und  gelehrte  Litteratur. 

419.  Dem  Charakter  unserer  Periode  entsprechend  stand  die  gelehrte 
Litteratur  im  Vordergrund  der  litterarischen  Thätigkeit.  Von  dieser  werde 
ich  diejenigen  Werke,  welche  den  Fachwissenschaften,  Mathematik,  Astro- 
nomie, Medizin  angehören,  einem  eigenen  Abschnitt  am  Schlüsse  des 
Werkes  vorbehalten  und  hier  nur  das  behandeln,  was  in  das  Gebiet  der 
Grammatik  einschlägt.  Damit  soll  aber  nicht  gesagt  sein,  dass  den  Oram- 
matikem  die  erste  und  massgebende  Stelle  unter  den  Gelehrten  unserer 
Periode  gebühre.  Umgekehrt  sind  die  grössten  Entdeckungen  und  die 
wertvollsten  Arbeiten  an  die  Namen  eines  Euklid,  Hipparch,  Archimedes 
geknüpft,  und  verdanken  unter  den  Grammatikern  mehrere  der  bedeutend- 
sten, wie  Eratosthenes  und  ApoUodor,  den  Ruhm  bei  der  Nachwelt  nicht 
ihren  grammatischen  Schriften,  sondern  ihren  Untersuchungen  über  Erd- 
vermessung und  Chronologie.^)    Aber  in  dem  Plane   dieses  Werkes  liegt 


*)  Siehe  v.  Abniv,  Philo  und  Aenesidem, 
in  Phfl.  ünt  H.  11,  S.  53—100. 

*)  Diesen  Kehes  nimmt  Sittl,  Gr.  Litt. 
II276  als  Verfasser  an. 

*)  C.  Pbabohtbr,  Cehetis  tabula  quanam 
aetaie  conscripiA  esse  videatar,  Marb.  1885. 
Von  der  Beliebtheit  des  Büchleins  zeugt  ein 
Beiieffragment,  nach  einem  Berliner  Kupfer- 
stich heraasgegeben  von  E.  MGlleb,  Archäol. 


Zeitung  1884  8.  115  ff. 

^)  Mit  Recht  klagt  Donaldson,  Hist.  of 
gr.  lit.  1  335:  it  is  only  to  he  regretted,  that 
we  have  so  offen  saved  from  tke  ruins  of 
the  lihrary  the  resuUs  of  scholastic  industry 
instead  of  the  efforts  of  original  genius, 
which  have  left  their  impresa  on  the  intellectual 
World, 


586  Griechi^phe  Litteratargeschiohte.    IL  NachklMsisolie  Litteratnr. 

es,  dass  von  den  Schriften  der  Mathematiker  unserer  Periode  erst  weiter 
unten  im  Zusammenhang  mit  verwandten  Erscheinungen  gehandelt  wird. 

Unter  Grammatik  verstand  man  im  Altertum  nicht  bloss  die  sprach- 
liche Analyse  und  Texteskritik,  sondern  auch  die  laxoQia  oder  die  Unter- 
suchung über  die  Mythen  und  sachlichen  Verhältnisse.^)  Beide  Richtungen 
der  philologischen  Thätigkeit  hingen  in  Alexandria  auf  das  engste  zu- 
sammen, indem  einerseits  bei  dem  Studium  der  Autoren  die  Kritik  der 
Lesarten  und  die  Erklärung  der  sachlichen  Beziehungen  in  gleicher  Weise 
berücksichtigt  und  anderseits  auch  die  von  der  Texteserklärung  losgelöste, 
selbständige  Behandlung  von  Fragen  der  Mythologie,  Staatsaltertilmer, 
Topographie,  Litteratur-  und  Kulturgeschichte  von  den  Gelehrten  in  den 
Kreis  ihrer  Studien  gezogen  wurde.  Es  waren  aber  nicht  die  Grammatiker 
allein,  welche  sich  mit  der  grammatischen  Erudition  in  diesem  weiten  Um- 
fange abgaben,  auch  viele,  die  sich  Philosophen  nannten  und  einer  phOo- 
sophischen  Schule  angehörten,  beschäftigten  sich  mit  den  Aufgaben  der 
Gelehrsamkeit.  Insbesondere  waren  es  die  Peripatetiker,  welche  von  ihrem 
Lehrmeister  Aristoteles  die  Richtung  auf  die  historische  und  gelehrte  For- 
schung ererbt  hatten.  Die  Thätigkeit  auf  dem  Felde  der  sprachlichen  und 
historischen  Grammatik  war  ebenso  emsig  als  erfolgreich ;  nicht  bloss  die 
Schätze  der  Bibliothek  wurden  auf  das  eifrigste  von  den  Gelehrten  aus- 
gebeutet, auch  die  Zeugnisse  auf  Stein  und  Erz  wurden  von  ihnen  ge- 
sammelt und  die  Hilfsmittel  der  Technik  für  Vervollkommnung  der  geo- 
graphischen und  mathematischen  Kenntnisse  verwertet.  Leider  haben  sich 
nur  wenige  und  nur  kleine  Denkmale  der  gelehrten  Betriebsamkeit  unserer 
Periode  erhalten;  das  meiste  lernen  wir  aus  den  Auszügen  und  Kompila- 
tionen kennen,  welche  auf  Grund  der  grossartigen  Arbeiten  der  Alexandriner 
die  nachfolgenden  Generationen  veranstalteten.  Um  das  massenhafte  Ma- 
terial zu  bewältigen,  könnte  es  am  einfachsten  scheinen,  die  Namen  der 
Gelehrten  einfach  nach  dem  Alphabet  aufzuführen;  wir  haben  uns  aber 
doch  bemüht,  den  reichen  Stoff  in  Absätze  zu  gliedern  und  dabei  die  Rich- 
tungen, Orte  und  Zeiten  zur  Geltung  zu  bringen.  Zuerst  behandeln  wir 
den  zeitlichen  Verhältnissen  entsprechend  die  Philosophen,  welche  sich  mit 
grammatischen  Studien  abgaben,  sodann  die  Grammatiker  von  Profession. 

Ein  GorpoB  grammaticoram  graec.  im  engeren  Sinn  ward  1823  von  Dutdokp  mit  mi- 
zureichenden  Hilfsmifcteln  begonnen  und  wird  jetzt  unier  der  Leitung  von  Ublio  unter  Mit- 
wirkung  von  BÖLTF,   COHN,   EOENOLFF,   HiLGABD,   LUDWICH,   R.  SCHNBlDfiR,   R.   SüHÖLL,     StUDE- 

MCJMD  ins  Werk  gesetzt.  —  Gräfenhan,  Gesch.  d.  klass.  Philol.  im  Altertum,  Bonn  1843, 
4  Bde;  Lerscb,  Die  Sprachphilosophie  der  Alten,  Bonn  1841,  8  Teile;  H.  Stbinthal,  Gesch. 
d.  Sprachwissenschaft  bei  den  Griechen  u.  Römern,  Berl.  1863,  2.  Aufl.  1891;  La  Rochb, 
Homer.  Textkritik,  Leipz.  1866. 

420.  Unter  den  Philosophen,  welche  sich  auch  mit  Grammatik  be- 
schäftigten, steht  Herakleides  Pontikos  von  Heraklea  in  Pontus  voran. 


)    Sext.    Empir.    adv.    gramm.    p.  619,       fiv9<oy  TioQaMoaaiy  rj  $i  ii  xijg  avujf  i^ea^ 


16  B.:    trji  yQafÄfjaitxiji  to  fifv  iaziy  Icro- 

QixoVf   TO  öe  Tf/y/xoV,  TO  di  idittttcQoy  .   .  . 

laxoQixoy    dk    onov    ncQi    nqoaioTitay    oIovbl 

^citoy  re  xai    dyf^Q(07tiy<oy  xfd    ijqoiixtav  dt- 

daaxotHfiy  rj  -negl  xomoy  dtrjyovyxai  xtt&äjtsQ   <   Herodiani  scripta  tria,  Berl.  1857, 

OQtßy    tj    notafÄtüy    iy    neQt    nXaafAuibiy    xai 


iarly.  Vgl.  Dionysios  Thrax  im  Eingang  der 
T^X^V  ygttjujunnxtj,  Choiroboskos,  E*rol.  in 
Theod.  p.  104,  29  Hilg.,  Lbbrs,  De  yocabnlis 
(ftXöXoyog  ygafifiatixog  xQittxo^y  Anhang  Hl 


A.  AlezandriniicheB  Zeitalter.  8.  Die  Prosa,  o)  Gelehrte  Litteratnr.  (§  420.)  587 


Derselbe  hörte  zuerst  in  Athen  Piaton,  der  ihn  nach  Suidas  während  seiner 
Abwesenheit  in  Sikilien  zu  seinem  Stellvertreter  aufstellte,  schloss  sich 
aber  später  an  Aristoteles  an,  mit  dem  er  die  Neigung  für  Polyhistorie 
und  gelehrte  Forschungen  teilte.  Seine  zahlreichen,  zum  Teil  in  dialogi- 
scher Form  geschriebenen  Bücher  werden  von  Diogenes  V  86  eingeteilt  in 
ly^ixa,  (fvaixdy  YQaixixaTi^xd  xal  fxovaixd^  ^rjrogixd,  tatoQixccA)  Während  aber 
seine  philosophischen  Werke  früh  in  Vergessenheit  kamen,  erhielten  sich 
lange  seine  biographischen  und  grammatischen  Schriften.  Mit  Unrecht 
wurden  ehedem  die  ^AllrjyoQtai  ^O^rjQixm  unserem  Herakleides,  statt  ihrem 
rechten  Verfasser  Herakleitos  zugeschrieben.  Auch  die  erhaltenen  Ex- 
zerpte ix  xwv  '^HqaxXeidov  Ttegl  TtoXiTetwv  »)  rühren  nicht  von  unserem  Philo- 
sophen, sondern  dem  Grammatiker  Herakleides  Lembos  her  und  sind  nur 
eine  elende  Kompilation  aus  den  Politien  des  Aristoteles.  Der  Stil  unseres 
gelehrten  Philosophen  wird  von  Diogenes  gerühmt;  Cicero  de  nat.  deor.  I  13 
und  Plutarch,  Cam.  c.  22  tadeln  an  ihm  die  Neigung  zum  Fabelhaften ;  in 
seinen  Erzählungen  von  Empedokles,  Abaris,  dem  Mann  aus  dem  Mond 
(Diog.  VUI  72)  hat  er  geradezu  den  Ton  des  Romans  angeschlagen ;  in  die 
Litteraturgeschichte  hat  er  die  Fabeln  über  die  angeblichen  Vorgänger 
Homers,  Amphion,  Lines,  Philammon  etc.  eingeführt.^) 

Die  I^Vagmente  gesammelt  bei  Müllbb  FH6  II  197—207,  die  des  Heraclides  Lembos 
in  167 — 171.  —  Neue  Fragmentensammlimg  von  0.  Voss,  De  Heraclidis  Pontici  vita  et 
Bcriptis,  Rostocker  Preisanfgabe,  Lei^.  1896.  —  üeber  die  Dialoge  F.  Schmidt,  De  Hera- 
clidae  Pontici  et  Dicaearcbi  Messern!  dialogis  deperditis,  Bresl.  1867:  Hibzel,  Dialog  I 
321-34. 

Ghamaileon,  Landsmann  und  Rivale  des  Herakleides,  den  er  be- 
schuldigte, ihm  seine  Ideen  über  Homer  und  Hesiod  gestohlen  zu  haben,^) 
war  einer  jener  Peripatetiker,  die  sich  mit  Vorliebe  den  litterarhistorischen 
Forschungen  zuwandten.  Erwähnt  werden  von  ihm  Schriften  über  Homer, 
Hesiod,  Stesichoros,  Sappho,  Anakreon,  Lasos,  Pindaros,  Simonides,  Thespis, 
Aischylos,  negl  aatvQcov  oder  die  Anfange  der  Tragödie,  und  ein  umfang- 
reiches Werk  über  die  alte  Komödie,  von  dem  Athen,  p.  406  e  ein  6.  Buch 
citiert.  Daneben  hören  wir  von  einer  Mahnrede  {jiQotgeTiTixdg  Xoyog)  zum 
Studium  der  Philosophie  und  einer  von  andern  dem  Theophrast  zugeschrie- 
benen Schrift  n€Qi  ridovi]q^  von  der  die  Abhandlung  negl  fitd^rjg  nur  ein  Teil 
gewesen  zu  sein  scheint.  In  seinen  litterarhistorischen  Arbeiten  liebte  er 
weniger  die  nüchterne  Wahrheit  als  die  poetische  Ausschmückung;  wie 
damals  die  Bildhauer  die  Idealporträte  des  Homer,  Anakreon  und  anderer 


^)  Manche  der  anfgezählten  Schriften 
mOgen  nicht  ihm,  sondern  einem  der  jüngeren 
Gelehrten  gleichen  Namens,  dem  Heralileides 
Eallatianos  mit  dem  Beinamen  6  Xi^ßog, 
der  nach  Snidas  nnter  Ptolemaios  VI  Philo- 
metor  lebte,  oder  dem  Herakleides  der  über 
Inseln  und  Städte  schrieb,  oder  dem  Didv- 
meer  Herakleides  Pontikos  aus  dem  1.  Jahrh. 
n.  Chr.  angehören.  Eine  Ansscheidang  ver- 
snchten  ükger  Rh.  M.  38,  489  ff.  und 
ScHBADBR,  Heraclidea  im  Philol.  44,286—61. 
Dagegen  hftlt  Cobn,  De  Heraclide  Pontico 
etymologiarum  scriptore  antiquissimo  (1884) 
du«n  fest,   dass  auch  das  Buch  tieqi  oVo- 


fittTtüf  und  die  Citate  im  Etym.  Orionis 
unserem  alten  Herakleides  zu  vindizieren 
seien.  —  üeber  Tragödien  des  Herakleides  s. 
§149. 

^)  Heraclidis  politiarum  quae  extant, 
rec.  ScHMEiDEwiN,  Gott.  1847;  auch  im  An- 
hang von  Aristo  teils  noX.  *A(hiv.  von  Eaibel- 
WiLAMowiTZ.  Vgl.  RüHL  Jahrb.  für  Philol. 
Suppl.  XVIII  701  ff.;  HoLziNGER  Philol.  54 
(1891)  436  ff.,  56  (1893)  58  ff.;  E.  Fabbiciüs, 
lieber  die  Abfassungszeit  der  Städtebilder 
des  Herakleides,  Bonner  Stud.  1890  S.  58  ff. 

»)  S.  Bebgk,  Gr.  Litt.  I  404  f. 

*)  Diog.  V  92, 


588 


Qrieohische  Litteratargeachiohte.    IL  NaolikUssiMlie  latteratiir. 


Grössen  der  Litteratur  schufen,  so  gefielen  sich  auch  die  Litterarhistoriker 
vom  Schlage  des  Chamaileon  darin,  den  grossen  Männern  der  Vergangen- 
heit allerlei  ideale  Züge  und  geistreiche  Aussprüche  anzudichten.^) 

421.   Dikaiarchos  aus  Messene  in  Sikilien,  der  mit  Aristoxenes  aus 
Tarent  Hörer  des  Aristoteles  war,  wandte  sich  ganz  der  historischen  und 
geographischen  Forschung  zu.  Auf  Orund  einer  Reihe  von  Höhenmessungen, 
von  denen   Suidas   die   xatafisxQr-aeig  t&v  iv  neXonowriatf  oq^v  anfuhrt, 
entwarf  er  eine  Beschreibung  der  Erde,  die  er  durch  beigegebene  Tafeln 
erläuterte.*)      Sein    bedeutendstes,    vielgelesenes    Werk    war    der    Bioq 
^EkXdiog  in  3  B.,   der  erste  Versuch  einer  Kulturgeschichte,   in  welcher 
von  den  Anfängen  der  Oeschichte,   dem  goldenen  Zeitalter,   ausgegangen 
und  dann  die  Entwicklung  des  griechischen  Lebens  bis  auf  Alexander  ver- 
folgt war,    so  zwar,   dass  neben   der  Staatenbildung  auch  die  Musik,  die 
Spiele  und  Dichter  Berücksichtigung  fanden.    Wohl  Vorarbeiten  zu  diesem 
auch  in  der  Form  vollendeten  Werke  waren  die  Schriften  Ttcgi  fiowfutm' 
äy(juv(t)y\    vTioO'tcffig  twv  2o(foxXhovg  xal  EiqimSov  juv^wv,*)    noXiTsTm  Ilfi' 
Xrjvaicov  KoQivÖ^iwv  'AO^rjvaicov.    Mit   der  Sammlung  von  Politien  hing  der 
Dialog   TgiTtohtixog  zusammen,  in  welchem  Dikäarch  als  Vorläufer  Ciceroa 
die  aus  Monarchie,  Aristokratie  und  Demokratie  gemischte  Verfassung  als 
sein  Ideal  aufstellte  und  in  der  Staatseinrichtung  Spartas  verwirklicht  fand>) 
Andere  von   Cicero  hochgeschätzte  Dialoge   waren  der  KoQivd^iaxk  und 
Aeaßiaxog^  von  denen  jeder  wie  der  berühmte  Dialog  des  Aristoteles  n^^ 
(fdoaoifiag  in   3  Bücher   eingeteilt  war.^)     Für  Geschichte  der  Litteratur 
waren  bedeutsam  seine  von  den  Späteren  vielfach  ausgebeuteten  Lebens- 
beschreibungen; angeführt  werden  Bücher  über  die  sieben  Weisen,  über 
Pythagoras,    Piaton,   Alkaios;   schwerlich    aber   berechtigen   uns  die  aus 
Dikäarch    angeführten    Nachrichten    über   Homer,    Sophokles,    Euripides, 
Aristophanes,   demselben  auch  spezielle  Biographien  dieser  Dichter  beizu- 
legen ;  sie  können  recht  wohl  aus  seinem  Hauptwerk  vom  Leben  Griechen- 
lands oder  aus  seinem  Buch  über  die  dionysischen  Wettkämpfe  herrühren. 
Bei  allem   dem  war  Dikäarch  kein   blosser  Stubengelehrter,   er  gab  viel- 
mehr ausdrücklich  dem  praktischen  Leben  vor  dem  theoretischen  den  Vor- 
zug.^)    Auch  als  Redner  trat  er  in  Olympia  und  an  den  Panathenäen  auf 
und   heisst  deshalb  bei  Suidas   qiX6ao(fog   xal   ^vjnoQ  xal  yeej/^iäTQi^g.    Er- 
halten haben  sich  von  ihm  nur  wenige  Fragmente.    Eine  Zeitlang  glaubte 
man  auch  noch  grössere  Reste  aus  den  Werken  des  Dikäarch  in  einer  in 
iambischen  Trimetem   abgefassten  Beschreibung  Griechenlands  {arayQa^il 
^^Eklddog)   zu  haben; 7)   aber  dieselbe  rührt,   wie  Lehrs  Rh.  M.  2,  354  mit 


M  EOpkr,  De  Chamaeldonte  Heracleota, 
Berol.  1856. 

«)  Cic.  ad  Att.  VI  2. 

')  ScHRADER,  Quaestionum  peripatet.  pari 
Hamb.  1884  macht  wahrscheinlich,  dass  die- 
selben einen  Teil  des  Buches  nBQl  Ji^ayvoia- 
Xiüf  dy(oya)y  bildeten. 

^)  OsAKN,  Beiträge  znr  röm.  und  griech. 
Litt.  II  9  ff. 

»)   Cic.   Tusc.  disp.  I  31,  76:    acerrime 


atUem  deliciae  meae  Dicaearchus  contra  hawe 
immortalitatem  disseruit;  is  enim  tres  libros 
scripsit  qui  Leabiaci  rocantur  quod  Miitflemt 
8ermo  habetur,  in  quibus  pult  rfficere  animos 
esse  mortales;  ttber  den  Korinthiakoe  ebenda 
I  10,  21. 

•)  ac.  ad  Att  n  16,  wozu  stimmt  Plut 
an  seni  c.  26. 

7)  Text  bei  Möllbb,  Geogr.  graec  min. 
I  238—43. 


i 


i.AlezandrinisoheB  Zeitalter.  3.  Die  Prosa,  c)  Gelehrte  Litteratnr.  (§$421—422.)  5gd 

glänzendem  Scharfsinn  aus  den  Anfangsbuchstaben  der  ersten  23  Verse 
erschlossen  hat,  von  Dionysios,  Sohn  des  Ealliphon,  her.  Ebensowenig 
ist  Dikäarch  der  Verfasser  der  drei  längeren,  in  dem  Cod.  Paris.  443  er- 
haltenen Bruchstücke  einer  Periegese  Griechenlands,  welche  vielmehr  nach 
einem  CStat  des  Apollonios,  Mirab.  19  zu  dem  Werk  des  Herakleides  Kreti- 
kos^)  71€qI  T<iv  iv  Tg  ''EXXdSi  nokeoDv  gehörten.^) 

Die  Fragmente  gesammelt  und  besprochen  von  Fuhr,  Dicaearchi  quae  sapersunt 
Darmstadt  1841;  Müllbb  FHG  H  225—253,  GGM  I  97-- 110  u.  238-243. 

422.  Aristoxenos')  entstammte  einer  musikalischen  Familie  aus 
Tarent,  wanderte  aber  zeitig  nach  dem  griechischen  Festland  aus,  wo  er 
in  Mantinea  seine  Ausbildung  fand.  In  die  Musik  wurde  er  durch  seinen 
Vater  Spintharos,  den  Erythräer  Lampros  und  den  Pythagoreer  Xeno- 
philos  eingeführt.  In  der  Philosophie  hatte  er  den  Aristoteles  zum  Lehrer 
und  zeichnete  sich  so  vor  seinen  Oenossen  aus,  dass  er  auf  die  Nachfolge 
in  der  Vorstandschaft  der  Schule  sicher  rechnete  und,  als  ihm  Theophrast  vor- 
gezogen wurde,  auf  seinen  toten  Lehrer  bitter  schmähte.  Auch  sonst  stand  er 
in  dem  Gerüche  eines  schmähsüchtigen  und  finsteren  Menschen.^)  Seine 
schriftstellerische  Thätigkeit  galt  in  erster  Linie  der  Musik,  wovon  er 
auch  den  Beinamen  c  iiovaixoq  erhielt;  ein  Anhänger  der  strengen  alten 
Bichtang  vereinigte  er  praktische  Tüchtigkeit  mit  theoretischer  Einsicht, 
Von  seinen  Schriften  über  Musik  sind  zwei,  aber  beide  nur  in  stark  ver- 
stömmelter  Gestalt  auf  uns  gekommen.  Das  grössere  Werk  ist  die  Har- 
monik, worunter  die  Alten  die  Lehre  von  den  Intervallen  {SiacrTrjfiara) 
und  Tonskalen  {avarrjfiara)  verstanden.^)  Die  erhaltenen  drei  Bücher  sind 
nur  Auszüge  und  dieses  nicht  aus  einem,  sondern  mehreren  Original  werken. 
Aber  auch  so  sind  sie  von  grossem  Wert  für  die  Geschichte  der  musi- 
kalischen Theorien  im  Altertum  und  die  im  Fahrwasser  des  Aristoteles 
sich  bewegende  Schulmethode  der  Peripatetiker.  —  Von  noch  grösserer 
Bedeutung  für  das  Verständnis  der  antiken  Metrik  und  Chorlyrik  sind  die 
rhythmischen  Elemente  {^vO^fiixd  arotx^Ta),  Aber  leider  ist  uns  von  diesem 
Werk  nur  ein  längeres  Bruchstück  aus  dem  2.  Buch  erhalten  in  einer 
Handschrift  der  Marcusbibliothek  (Marc.  VI  3),  und  überdies  wertvolle 
Auszüge  in  der  rhythmischen  Einleitung  {nQoXafAßarofieva  ft^  Qv^i^iixr>v) 
des  Byzantiners  Psellus  und  in  den  von  Vincent  zuerst  herausgegebenen 
Pariser  Excerpten.  Westphal,  der  sich  um  die  Rekonstruktion  der  Lehre 
des  Aristoxenos  und  die  Erklärung  der  Fragmente  die  grössten  Verdienste 
erworben  hat,  schreibt  der  aristoxenischen  Rhythmik  massgebende  Be- 
deutung für  die  Musik  aller  Zeiten  zu.«)  Das  ist  wohl  zu  viel  gesagt; 
denn  auch  Aristoxenos  scheint,  indem  er  sich  von   den  Silbenwerten  des 

*)   Olearins   korrigierte    xqitixos.     Die   |  ')  Vita  bei  Suidas;   Westphal,  Aristo- 

rerwandte  Schrift  ne^l  yijaoty  wird  von  Har-   i   xenoa'  Melik  u.  Rhythmik  Prol.  I— XX. 

"       ~  *)  Vgl.  Aristokles  bei  Euseb.  praep.  ev. 

XV  2.  Aelian  v.  h.  VUI  13:  Xsyovoi  cfe  xal 
*AQiai6^Bvov  i(p  yiXüiii  aya  xQiiros  noXe'fÄioy 
yeyec&at. 

'^)  Die  uQfioyixtt  werden  deshalb  von 
Aristoteles  metaph.  11  p.  997  ^  21  als  ein  Teil 
der  Mathematik  angesehen. 

•)  Westphal,    Aristoxenos  t.  II  p.  VII. 


pokiation  unt.  £xQVfjLrj  dem  Herakleides  oder 
i%ilo8tephanoB,  von  Stephanos  Üyz.  unt. 
^fi^  dem  Herakleides  Pontikos  zuge- 
Kbiieben. 

')  Müllbb,  Geogr.  graec.  min.  I  praef. 
LII;  Tgl.  Wacbsmuth,  Stadt  Athen  I  44. 
TiroBB  Rh.  M.  38,  484  setzt  die  Fragmente 
Ol  147, 1  =  192/1  V.  Chr. 


590 


Orieehioclie  litteratargMohiolite.    tl.  NachkUuMÜiehe  Litteraiar. 


Textes  zu  wenig  emancipierte  und  zu  sehr  künstlichen  Zahlschematen 
nachging,  zur  richtigen  Erkenntnis  der  Zeitdauer  der  gesungenen  Töne 
nicht  gelangt  zu  sein.  —  Lebensvoller,  weil  mit  reichen  Beispielen  aus 
der  Geschichte  der  Musik  ausgestattet,  waren  des  Aristoxenos  vermischte 
Tischgespräche  {avfi^UTtta  avfinoxixa)^  von  denen  ganze  Abschnitte  Plutarcb 
in  seine  Schrift  über  Musik  aufgenommen  hat.  Ausserdem  handelte  unser 
Musiker  in  eigenen  Schriften  von  der  Melopoiie,  den  musikalischen  Instru- 
menten, dem  Tanz  und  anderen  Teilen  der  Musik.  —  Neben  den  musi- 
kalischen Schriften  erfreuten  sich  grossen  Ansehens  auch  seine  Biographien, 
in  welcher  Litteraturgattung  er  selbst  den  Dikäarch  in  Schatten  stellte, 
so  dass  er  vom  Kirchenvater  Hieronymus  geradezu  als  Begründer  der- 
selben angeführt  wird.^)  Zunächst  waren  es  Philosophen  und  Italiker,  mit 
deren  Leben  er  die  Griechen  bekannt  machte,  Pythagoras,  Archytas,  Xeno- 
philos,  Telestes,  Sokrates,  Piaton;  aber  auch  über  die  Tragiker,  speziell 
über  Sophokles  handelte  er  in  dem  Buche  neQi  tQayMioTioKav. 

Die  Harmonik  zuerst  lateinisch  herausgegeben  Yen.  1562;  griechisch  zuerst  vod 
Mbubsius  1616;  griechisch  u.  deutsch  mit  Kommentar  von  Marquard,  Berl.  1868;  ElementB 
harmoniques  d'  Aristoxöne  de  Tarente  par  Ruelle  Par.  1871.  —  Die  RhyÜimik  zaerat 
herausgegeben  von  Mobelli,  Yen.  1785.  Die  Fragmente  und  Lehrsätze  der  alten  Rhythxniker 
von  Westphal,  Leipz.  1871  a]s  Anhang  zum  1.  Bde  der  Metrik;  Derselbe,  Aristoxenos  too 
Tarent,  Melik  u.  Rhythmik  aus  den  hinterlassenen  Papieren  des  Yerfassers,  Leipz.  188di'9S, 
ä  Bde.  —  Die  Fragmente  überhaupt  bei  M&ller  FHG  II  269-292;  vgl.  Zklleb,  Gesch.  <L 
gr.  Phü.  II»2,  881ff. 

423.  Phanias  (v.  1.  Phainias)  aus  Eresos  in  Lesbos  wird  in  dem 
Lehen  des  Aristoteles^)  neben  Tbeophrast,  Eudemos,  Elytos,  Aristoxenos 
und  Dikaiarchos  als  unmittelbarer  Schüler  des  Aristoteles  aufgeführt.  Auch 
er  ererbte  von  seinem  Lehrer  die  Neigung  zu  antiquarischen  und  litterar- 
historischen  Forschungen.  Ein  Buch  von  ihm  galt  den  Einrichtungea 
seiner  Heimat,  rtegl  ngvzdvswv  ^Egetffcov^  andere,  wie  n€Qi  Swxgarixwv,  ns^ 
noir^Tun\  uQog  rovg  aoqiaTag,  den  litterarischen  Fragen.  Auf  historische 
Denkwürdigkeiten  scheinen  die  Nachrichten  bei  Plutarch  im  Leben  des 
Selon  c.  13,  32  und  des  Themistokles  c.  7,  13,  27,  29  zurückzugehen.  Die 
Fragmente,  gesammelt  bei  Müller  FHG  H  293—301,  lassen  uns  in  ihm 
einen  sorgfaltigen,  auch  auf  die  Chronologie  genau  eingehenden  Spezial- 
forscher erkennen,  aber  kritisches  Urteil  verrät  sein  Bericht  über  das 
Wunder  des  Fischregens  bei  Athen.  333  a  nicht. 

Dem  gleichen  Kreis  der  Litterarhistoriker  unter  den  Jüngern  des  Peri- 
patos  gehörte  ausser  Hier ony mos  von  Rhodos,  von  dem  wir  bereits  oben 
§  389  gesprochen,  noch  Klearchos  von  Soli  in  Kypem  an,  dessen  Bm  in 
mindestens  8  Büchern  eine  Hauptquelle  des  Athenaios  bildeten.  Dieselben 
waren  indes  nicht  Lebensbeschreibungen  berühmter  Männer,  sondern  Schil- 
derungen der  Lebensweise  verschiedener  Menschenklassen,  wie  der  Para- 
siten, Schlemmer,  Spartaner,  Perser,  Lyder.  Den  Schmeichlern  hatte  er 
ein   eigenes  Buch  gewidmet,   das  er  nach   einem   Musterexemplar  dieser 


^)  HieronymoB,  Proleg.  ad  Dextnun  im 
Buch  De  viris  UluBtribua:  Hortaris  me, 
Dexter,  ut  Tranquillum  sequens  eceleaiasti' 
cos  srriptares  in  ordinem  digeram  .  .  .  /Jc- 
eerunt  hoc   idem   apud  Graecos  Hermippua 


peripatetictis,  Antigonus  Catystius,  Sahfrui 
doctus  vir,  et  lange  omnium  dociisMmu$ 
Aristoxenus  muaicus.  Vgl.  Platardi,  Non 
posse  saay.  c.  10. 

*)  Vita  Marciana  c.  9. 


A.Alexandriiii8oh6a  Zeitalter,  d.  Die  Prosa,  c)  delehrte  Litteratnr.  (gg  423— 424.)  591 


Sorte  von  Menschen  rsQyix^ioq  taufte.  Ausserdem  schrieb  er  über  Freund- 
schaft, über  Bildung,  über  den  Schlaf,  handelte  von  den  Wassertieren, 
sammelte  Sprichwörter,  Rätsel  und  Liebesgeschichten,  indem  er  den  von 
Aristoteles  gepflegten  Sinn  für  historische  und  naturwissenschaftliche  For- 
schung noch  mehr  ins  Detail  verfolgte.  Fragmente  bei  Müller  FHG  II 
302-327. 

424.  Demetrios  von  Phaleron  (<l>airy(>ft;$),i)  Schüler  und  Freund  des 
Theophrast,  bildet  gewissermassen  die  Brücke  zwischen  Athen  und  Ale- 
xandria, Philosophie  und  Grammatik.  Von  Kassander  10  Jahre  lang  (317 
bis  307)  an  die  Spitze  von  Athen  gestellt,  fand  er  nach  seinem  Sturze 
freundliche  Aufnahme  bei  Ptolemaios  Soter  in  Alexandrien,  wo  er  den 
Grund  zur  Bibliothek  legte  und  nach  einem  thatenreichen  Leben  an  dem 
Bisse  einer  Schlange  starb  (nach  285).  Als  praktischer  Staatsmann  war 
er  gleich  ausgezeichnet  wie  als  Gelehrter,  dazu  von  der  Natur  ausgerüstet 
mit  schöner  Gestalt  und  mit  der  Gabe  einnehmender  Rede.  Seine  Schriften 
sind  aufgezählt  von  Diogenes  V  80 ;  unter  denselben  befinden  sich  ausser 
Reden,  historischen,  politischen,  rhetorischen,  popularphilosophischen  *)  Ab- 
handlungen auch  Sammlungen  äsopischer  Fabeln  {loyiov  Alaooneiüiv  awayu^Ym) 
und  denkwürdiger  Sprüche,  insonderheit  von  den  sogenannten  sieben  Weisen. ») 
Von  seinen  historischen  Schriften  waren  am  berühmtesten  das  chrono- 
logische Verzeichnis  der  attischen  Archonten,  ein  Leben  des  Sokrates,  der 
Rechenschaftsbericht  über  seine  zehnjährige  Verwaltung  Athens  (vttojuij;- 
juaiof  n€Ql  zrjg  dfxa€t€iag)  *)  und  die  halb  theoretischen,  halb  praktischen 
Broschüren  über  die  Gesetzgebung  und  die  Verfassungen  Athens  {neQi  zfjg 
W^j^rrycr»  ro^o^sfftag  in  5  B.  und  negi  tiov  'Ad^ijvtjfft  noXiTsmv  in  2  B.).  — 
Als  rhetorische  Schrift  führt  Diogenes  von  unserem  Autor  eine  ^i{ioQixrj 
in  2  B.  an  \^)  aber  das  unter  seinem  Namen  erhaltene  Buch  nsQi  iQixrjvefag^ 
worin  über  den  rednerischen  Ausdruck,  über  Periodenbau,  Hiatus,  Stil- 
arten, Figuren  gehandelt  ist,  kann  nicht  von  ihm  geschrieben  sein,  da 
darin  Bezugnahmen  auf  spätere  Zeitverhältnisse  vorkommen  ^)  und  einmal 
sogar  (c.  289)  Demetri^  der  Phalereer  selbst  citiert  wird.  Muret  und 
andere  nach  ihm')  haben  daher  an  eine  Verwechselung  des  Peripatetikers 
Demetrios  mit   dem   Sophisten   Demetrios  von  Alexandrien   gedacht,   der 


^)  Diog.  V  75  nnd  Suidas  unt.  Jijf^ijt^bog. 
Asklepiades  6  rov  *j4q6lov  hatte  ein  eigenes 
Buch  aber  ihn  geschrieben,  s.  Ath.  567  d. 

^)  Das  Buch  tib^i  rr/i;;  ist  gepriesen 
▼OD  Polybios  29,  21  und  ausgeschrieben  von 
Plotarch  in  der  Trostrede  an  ApoUonios. 

')  Bbukco,  De  dictis  YII  sapientium  a 
Bemetrio  Phal.  coUectis  Acta  sem.  Erl.  III 
2^—398 ;  Metrische  Paraphmse  der  Sprüche 
^er  Bieben  Weisen,  vermutlich  von  Pisides, 
ttB  emem  Pariser  Cod.  von  Wölfplin  Sitzb. 
ibayer.  Ak.  1886  p.  287  flf.;  neubearbeitet  von 
SuiijKK,  De  sententiarum  Septem  sapientium 
collectionibuB,  Diss.  Breslau  1891.   Vgl.  §  98. 

*)  Polybios  XII  18,  9  fällt  über  das  Buch 
^  hartes  urteil. 

*}  Jrjfiijrgiog  6  ^aXijQSvs  iv  t^  ^bqI 
i^iio^x^g  ist  citiert  von  Philodemos  in  Vol. 


Herc.  m«145. 

•)  So  7ioQ(pv(jai,  TtXareTai  c.  108,  ItotdStjg 
c.  189,  'AQxefjLmv  c.  223,  ra^uQBvg  c.  237. 
Das  Scholion  zu  Aristophanes  Nub.  400  /«^K 
iatlf  ix  arixov  lov  (tXXoiQiov,  tig  %(f>f}  Jio- 
yvaiog  6  'jlhxaQyaoaevg  if  lu)  n€(ti  iQfitjyeiag 
(c.  150)  ist  ohne  Bedeutung,  da  dasselbe 
nicht  alt  ist,  sondern  von  Musurus  herrührt, 
memoriae  errore  Dionysium  Halicarnctssen- 
sem  nominante,  wie  Dindorf  in  der  Ausg. 
richtig  bemerkt. 

'j  Walz,  Rhet.  gr.  IX  p  VIII.  Hammer, 
Demetrius  negi  eQfxrjyeiag^  München  1883, 
will  den  Rhetor  Demetrius  Syrus,  den  Cicero 
im  Jahre  78  zu  Athen  hörte  (Cic.  Brutus 
815)  als  Verfasser  aufstellen;  seine  An- 
sicht modifiziert  derselbe  Qelehrte  in  Jahres- 
bericht d.  Alt.  XIV  1,  97. 


I 


592  Arieohisobe  LitUratargeschiohte.    U.  HachklaMisohe  Litt«rattir. 

nach  Diogenes  V  84  Verfasser  von  Thxvai  ^rjzoQixai  war.i)  Die  scharf- 
sinnige Vermutung  geht  dabei  von  der  Voraussetzung  aus,  dass  unter  dem 
c.  237  citierten  FadaQsvq  der  Sophist  Theodoros  aus  Gadara,  der  Lehrer 
des  Kaisers  Tiberius,  gemeint  sei.')  Jedenfalls  ist  die  Schrift  vorHermo- 
genes,  dem  Begründer  einer  neuen  Stillehre,  geschrieben.  Der  häufige 
Gebrauch  des  Duals  führt  in  die  Zeit  der  Attikisten,  welche  eine  künst- 
liche Wiederbelebung  jener  Form  aufbrachten.*)  Vielleicht  ging  dieselbe 
ähnlich  wie  die  vom  Erhabenen  (Ps.  Longin  nsql  vipovg),  mit  der  sie  die 
gleichen  Vorzüge  feinen  Geschmacks  und  ausgebreiteter  Litteraturkenntais 
teilt,  anfangs  anonym  und  ist  erst  nachher  wegen  ihrer  Anklänge  an  den 
Peripatos  dem  alten  Demetrios  von  Phaleron  zugeschrieben  werden.  — 
Gar  nichts  hat  mit  unserem  Peripatetiker  die  von  Clemens  Alex,  ström. 
I  p.  146  angeführte  Schrift  eines  Demetrios  tisq}  toii'  «V  'lovSaif  ßaaiUmv 
zu  thun.  Den  Charakter  von  Schulübungen  aus  der  römischen  Eaiserzeit 
trägt  die  Pseudonyme,  an  einen  gewissen  Herakleides  gerichtete  Schrift 
über  die  Arten  des  Briefstiles. 

OsTKRHANK,  De  Demetiü  vita,  rebus  geatis  et  scriptonun  reliquiis,  Herefeld  1847, 
Fulda  1857;  Mülleb  FGH  II  862—369.  —  Die  rhetorische  Schrift  iibqi  iQfitjyeiaf  bei  Spshobl, 
Rhet  gr.  III  259—328.  —  Demetrii  Phalerei  Tvnoi  imaroXucoi  bei  Hbbcher,  Epistolognphi 
graeci  p.  1—6. 

426.  Praxiphanes,^)  Hörer  und  Freund  des  Theophrast,  wird  in 
den  Schollen  zu  Dionysios  Thrax  bei  Bekker,  An.  gr.  p.  729  und  Gramer, 
An.  Ox.  p.  311  als  derjenige  bezeichnet,  der  mit  Aristoteles  den  Grund  zur 
wissenschaftlichen  Grammatik  gelegt  habe.  Aber  weder  von  seiner  Gram- 
matik, noch  von  seinen  für  die  Litteraturgeschichte  wichtigen  Dialogen 
rr*^i  /Toii^/mrair  und  7r«^i  iinoQtag^)  haben  sich  mehr  als  vereinzelte  Cifcftte 
erhalten. 

Auch  von  den  eigentlichen  Grammatikern  werden  einige  wie  Her- 
mippos  und  Satyros  gelegentlich  einmal  Peripatetiker  genannt,  wie  ähnlich 
die  Grammatiker  Krates  und  Apollodor  nebenbei  auch  Stoiker  heissen.  Aber 
wenn  dieselben  auch  in  ihrer  Lebensanschauung  zu  jenen  philosophischen 
Schulen  irgendwie  Stellung  genommen  haben,  so  j^aren  sie  doch  in  ihren 
Schriften  und  Studien  so  rein  der  grammatischen  Richtung  ergeben,  dass 
sie  besser  in  dem  folgenden  Abschnitt  ihren  Platz  finden. 

436.  Die  Stoiker  griffen  nach  einer  anderen  Richtung  als  die  Peri- 
patetiker in  die  gelehrten  und  grammatischen  Studien  ein.^)    Während 

I  M  Die  Zeit  dieees  Demetrius  steht  nicht  De  Demetrii  rhetoris  aetate,  Ups.  1889,  und 

I  |l»iii  ft^st;   beliebt   sich  «uf  ihn.   wie  wabi^  Brhbiii-Schwabzbach,  Libellos /rc^c  ip^i^f'Cfac 

I  acheinlich.   die  Angube  des  Syrian  in  Rhet  qui  Demetrii  nomine  inscripins  est  qaotem- 

yr.  ed  Walz  VII  9;^  so  lebte'  er  nach  Dio-  pore  compoeitns  sit»  Kiel  1890. 

nysius  Halii*,  und  Hipparch.  *  •  Prellkb,  De  Praxiphane  Peripatetico 

^"i    Vielleicht   steckt   ein   weiteres   An-  inter  antiqniasimoe  grammaticos  nobüi,  Dor- 

n'ichen   in  dem  verderbten  i«ft»«.   T^kfun/m  pat  1842  =  Ansgew.  AufiB&ize  S.  94  ff. 

c.  I4i>.  wofiir  icf^H»  Ti/fT-ci  lu  schreiben  nahe  *)     IIp«|iy««7?f    iy    r^     nc^nrf»    m^ 

lit^t,  7tott;[ua]tmy  ist  citiert  von   Philodemoa  in 

^>  Dahi^  DemetzittS  if«^'  f^u»*f.«rc«  ein  Vol.  Herc.  IP  170;  vgl.  Marcellinns  im  Leben 

HeitTH^  tiir  Bestimmung  der  Abfai£(snn$:sBeit  des  Thnkydides   c  29;   Huzbl»   Henn.   13 

dtH-  sAritt.    IV^CT,  Zweibrücken  ISiM.   setit  U^^^»  '♦ß  ff • 

die  Schritt   auf  imind   *W  Sprecb^branchs  *»   R.  Scbjudt,   Stoicoram   grammatica, 

um    UV    u.   Chr.      Zum    gleichen    R^sultai  Balis  1839:   Stbillbs,  De  Stoiconim  stndüs 

kamen  durx^h  AuaU^  der  rucH>ne  Alt^-^bvu  rheiorida»  Bresl.  Abhdl.  1  2,  1886. 


A.  AlexandriniBohes  Zeitoltor.  8.  Die  Prosa,  o)  Gelehrte  Litterafcnr.  (§§425-427.)  593 

jene,  angeregt  von  Aristoteles,  die  Litteraturgeschichte  pflegten  und  ins- 
besondere das  Leben  der  alten  Philosophen  und  Dichter  zum  Gegenstand 
ihrer  Forschung  machten,  trugen  die  Stoiker,  welche  von  Hause  aus  die 
Logik  und  Dialektik  zum  Mittelpunkt  ihrer  Philosophie  wählten,  haupt- 
sächlich zum  Ausbau  des  grammatischen  Systems  bei.  Die  Unterscheidung 
der  Redeteile  {fi^gr;  Xoyov),  der  Casus  {nTciaeig),  der  Aussageformen  (xarij- 
yoQtjfiava)  ist  wesentlich  ihr  Werk,  so  dass  der  römische  Polyhistor  Varro 
wiederholt  die  Arbeiten  der  Stoiker  denen  der  speziellen  Grammatiker 
gegenüberstellt.^)  Die  zum  System  der  Sprachlehre  gehörigen  Begriffs- 
bestimmungen haben  dann  in  weiterer  Folge  die  Stoiker  in  den  Streit 
über  Anomalie  und  Analogie  gezogen,  an  dem  sich  namentlich  Chrysippos 
zu  Gunsten  der  Anomalie  beteiligte.^)  Ausserdem  betrieben  sie,  deren 
Forschung  überall  auf  den  Grund  des  Seienden  gerichtet  war,  mit  Eifer 
etymologische  Studien,  indem  sie  mit  verständigem  Sinn  in  der  Begriffs- 
bestimmung von  derjenigen  Bedeutung  ausgingen,  welche  die  Natur  in  den 
Kern  {sxvfjLov)  des  Wortes  gelegt  habe.  Freilich  sind  es  meist  verkehrte 
Spielereien  und  verfehlte  Versuche  allegorischer  Deutung  der  Götternamen 
und  alten  Mythen,  an  die  der  Name  der  Stoa  geknüpft  ist.^)  Hervorragt 
unter  den  Stoikern  durch  seine  grammatischen  Studien  Chrysippos  aus 
Soli  (280 — 207),*)  unter  dessen  zahlreichen  Schriften  sich  auf  Grammatik 
bezogen  die  Bücher  nf^l  T^g  avwixaXiag^  hviioXoyixMv  ^  neqi  t(üv  tov 
Xoyov  fJisQm'y  negl  tcüv  nävxe  ntoiaecoVy  nugl  avvra^€(og,  tisqI  nagoi^mv. 
Auch  in  den  Schollen  zu  Pindar  geschieht  oft  eines  Kommentars  des  Chry- 
sippos zu  den  Epinikien  Erwähnung.  Seiner  Verteidigung  der  Anomalie 
lag  eine  unbefangene  Betrachtung  der  Spracherscheinungen  zu  grund,  wenn 
er  auch  darüber  das  Gesetzmässige  in  der  Formenbildung  zu  sehr  über- 
sah. Neben  Chrysippos  nennt  Varro  de  Ung.  lat.  VI  2  den  Antipater  als 
Etymologen;  es  ist  darunter  wohl  Antipater  von  Tarsos,  der  Lehrer  des 
Panaitios,  verstanden,  der  auch  in  den  Scholien  des  Dionysios  Thrax  neben 
Chrysippos  genannt  wird  und  zu  den  fünf  Redeteilen  des  Chrysippos 
(oVojua,  nQoarjyoQia,  ^rjfia^  cfvvieGfjLog^  uqx^qov)  noch  als  sechsten  das  Parti- 
cipium  oder  die  fieaovYjg  fügte.  Spätere  Stoiker  haben  auch  litterarhisto- 
rische  Untersuchungen  angesteUt;  so  ApoUonios  aus  Tyrus,  von  dem 
Strabon  p.  757  ein  Verzeichnis  der  stoischen  Philosophen  seit  Zenon  an- 
führt und  von  dessen  Schrift  über  die  philosophischen  Frauen  Sopater  einen 
Auszug  machte ;  femer  Athen  oder  os  aus  Tarsos,  Schüler  des  Poseidonios, 
der  unter  den  Lehrern  des  Kaisers  Oktavian  genannt  wird  und  Schriften 
gemischten  Inhaltes,  wie  ntQinatoi^  nsgl  anov6i]g  xai  naididg  verfasste.*) 
427.  Die  eigentliche  Grammatik  hatte  ihre  Hauptblüte  in  Ale- 
xandria und  Pergamon;  daneben  stellte  aber  auch  Athen  und  später  Rom 


^)  Varro  de  ling.  lat.  V 9:  non  solum  ad 
Aristophanis  lucernam,  sed  etiam  ad  Cle- 
anthis  lucubravi, 

')  Dem  Chryalpp  stand  Aristarch  als 
Verteidiger  der  Analogie  gegenüber,  worüber 
uns  hauptaftchlich  Varro  de  ling.  lat.  unter- 
richtet. 

>)  Derart  waren  des  Zenon  n^oßXijf4ata 
Hft&dbuoh  der  kiMs.  AltertumswiaBenschaft.    YU.    3.  Aufl. 


'OfjijQtxd  in  5  B.,  die  der  Grammatiker  Ari- 
starch bekämpfte;  s.  Diog.  VII  4  und  Dio 
Chrys.  or.  55  p.  275  R. 

*)  Christos  Akonis,  XQvamnog  yga/Ä^a- 
tirxog,  Jena  1885.  Ueber  Chrysipps  andere 
Schriften  siehe  §  413. 

*)  Müller  FHG  lU  485—8. 


594 


Grieohisohe  Litteratiirgesohiohte.    II.  Kaohklassisohe  Littoratnr. 


einzelne  tüchtige  Gelehrte.  Ihre  Hauptaufgabe  erblickten  die  Grammatiker 
darin,  ein  allseitiges  Verständnis  der  klassischen  Schriftwerke  (avyyQdfi' 
/tora)  zu  vermitteln.  Dazu  gehörte  das  richtige  Lesen,  die  Erklärung  der 
Mythen,  die  Verbesserung  fehlerhaft  überlieferter  Stellen,  die  ästhetische 
Beurteilung.  Diesen  vier  Aufgaben  des  Grammatikers  entsprechend  zerfiel 
die  Grammatik  in  die  vier  Teile:  to  dvaYvaxfTixov,  to  i^rjyrjrtxov,  t6  öioq- 
i^ooTixoV,  ro  xQiTixovA)  Erst  in  späterer  Zeit  gingen  einzelne  Grammatiker 
über  diese  nächsten  Ziele  hinaus,  indem  sie  die  Einzelbeobachtungen  zu 
grossen  systematischen  Werken  über  Sprachlehre,  Litteraturgeschichte, 
Metrik  zusammenfassten.  Auch  in  Bezug  auf  den  geistigen  Gesichtskreis 
und  die  Richtungen  der  allgemeinen  Bildung  haben  sich  die  Anforde- 
rungen, welche  man  an  einen  Grammatiker  stellte,  stark  im  Laufe  der 
Zeit  geändert.  Die  nackte  und  dürre  Grammatik,  die  es  lediglich  auf  Ge- 
lehrsamkeit und  Scharfsinn  absah,  machte  sich  erst  im  zweiten  und  letz- 
ten Jahrhundert  v.  Chr.  breit ;  in  den  ersten  Zeiten  nach  Alexander  wollten 
die  Grammatiker  noch  als  Männer  von  Geschmack  und  poetischem  Talent 
gelten,  so  dass  manche  unter  ihnen  auch  als  Dichter  glänzten  oder  durch 
anziehend  geschriebene  Denkwürdigkeiten  sich  hervorthaten.  Viele  der 
Grammatiker  haben  wir  daher  bereits  oben  unter  anderen  Titeln  behan- 
delt, wie  Eallimachos,  ApoUonios  Rhodios,  Philochoros,  Sosibios.  Hier 
lassen  wir  die  übrigen  Grammatiker,  soweit  möglich  in  zeitlicher  Ordnung 
folgen. 

428.  Zenodotos  aus  Ephesos  (gest.  um  260),  Schüler  des  Philetas, 
war  der  erste  alexandrinische  Grammatiker  und  Bibliothekar.')  Er  lebte 
nach  Suidas  unter  Ptolemaios  I ;  seine  Thätigkeit  zog  sich  aber  auch  noch 
in  die  Zeit  des  Ptolemaios  Philadelphos  hinein.')  Als  Bibliothekar  teilte 
er  sich  mit  Alexander  Aetolus  und  Lykophron  so  in  die  Aufgabe  der  Ord- 
nung der  Bücherschätze,  dass  Alexander  die  Tragödien,  Lykophron  die 
Komödien,  er  selbst  Homer  und  die  übrigen  Epiker  übernahm.  Wie  er 
in  dieser  Beziehung  die  Grundlage  für  die  Arbeiten  der  Späteren  schuf, 
so  hat  er  auch  mit  seiner  kritischen  Ausgabe  {SioQ&comg)  des  Homer  den 
Reigen  der  alexandrinischen  Kritiker  eröfihet.  Was  er  darin  geleistet, 
erfahren  wir  fast  nur  aus  den  Entgegnungen,  die  sein  überlegener  Nach- 
folger Aristarch  gegen  einzelne  seiner  Aufstellungen  richtete.  Aber  wenn 
er  auch  von  dem  Vorwurf  der  Willkür  und  ungenauen  Sprachkenntnis  ^) 
nicht  ganz  freizusprechen  ist,  so  ist  er  doch  gleich  im  Anfang  den  rich- 
tigen Weg  gegangen:  er  hat  durch  Vergleichung  von  Handschriften  den 
Boden  für  die  kritische  Textesrecension  gelegt,  er  hat  sich  für  Entdeckung 
von  Interpolationen  und  Schäden  der  Überlieferung  das  Auge  offen  ge- 
halten, er  hat  durch  Anlegung  eines  Glossars  {yXoxraai  ^OfirjQixctt)  sich  den 
Einblick    in   den    speziellen   Sprachschatz    des   Homer    verschafft.     Auch 


')  HaupUtellen  bei  Bekker  an.  gr.  p.  683, 
14  und  Varro  bei  Diomedes  p.  426,  21  E. 
Vgl.  Ü8KNEB,  Ein  altes  Lehrgebäude  der  Phi- 
lologie, Sitzb.  d.  b.  Ak.  1892  S.  582  fF. 

")  Im  plautiniBchen  Scholion  wird  Zeno- 
dot  nicht  als  Bibliotkekar  angefahrt,  wohl 
aber    von    Suidas;   vgl.    Goüat,   La   po^sie 


Alexandrine  p.  SO  f. 

»j  So  RiTscRL,  Opusc.  166;  vgl.  Scsk- 
HiHL,  AI.  Lit.  I  335. 

^)  So  nahm  er  Komparativformen  auf 
i(ü  statt  iü>y  an  und  liess  die  Verbalendong 
auf  arai  auch  fdr  den  Singular  gelten. 


A.Alezaiidri]iifloliM  Zeitalter.  8.  Die  Prosa,  o)  Gelehrte  Litteratnr.  (§§428—429.)  595 


machte  er  wie  fast  alle  Gelehrte  jener  Zeit  Verse,  aber  von  denselben  hat 
sich  nichts,  nicht  einmal  eine  Andeutung  ihres  Inhaltes  erhalten.^) 

Als  Schüler  des  Zenodot  werden  ausser  Aristophanes  von  Byzanz 
genannt  die  Grammatiker  Theophilos  und  Agathokles,  welch  letzterer  selbst 
wieder  Lehrer  des  Hellanikos,  des  bekannten  Chorizonten,  war.*) 

429.  Eratosthenes  (um  275—195),*)  Sohn  des  Aglaos,  war  der 
vielseitigste  und  bedeutendste  unter  den  Gelehrten  Alexandriens,  der  dem 
Namen  Philologos,  den  er  zuerst  sich  beilegte,*)  alle  Ehre  machte.  Ge- 
boren in  Kyrene  um  275  v.  Chr.  erhielt  er  seine  erste  Ausbildung  in  der 
Grammatik  durch  Lysanias  ^)  und  Eallimachos ;  später  wandte  er  sich  nach 
Athen,  wo  der  Stoiker  Ariston  aus  Chios  und  der  Akademiker  Arkesilaos 
Einfluss  auf  seine  philosophische  Lebensanschauung  gewannen.^)  Lang 
indes  scheint  dort  sein  Aufenthalt  nicht  gewesen  zu  sein,  indem  ihn  bald 
Ptolemaios  III  Euergetes  nach  Alexandrien  berief,  wo  er  Nachfolger  des 
Eallimachos  in  der  Yorstandschaft  der  Bibliothek  wurde  und  von  den 
Königen  des  Landes  freigebig  unterstützt  seinen  grossen  geographischen 
und  mathematischen  Untersuchungen  obliegen  konnte.  7)  In  hohem  Alter 
drohte  ihm  völlige  Erblindung,  weshalb  er  82  Jahre  alt  8)  durch  Enthal- 
tung von  Nahrung  seinem  Leben  ein  Ende  setzte.  —  Nach  vielen  Rich- 
tungen wissenschaftlich  thätig  und  zugleich  in  Prosa  und  in  Versen 
schreibend,  erhielt  er  unter  Anspielung  auf  eine  Stelle  im  ps.  platonischen 
Dialog  Erastai  p.  135  e  den  Beinamen  BiJTa^)  oder  Uivrad^log:  in  den 
einzelnen  Gebieten  nämlich  müsse  er  sich  mit  der  zweiten  Stelle  begnügen, 
in  der  Poesie  gegenüber  Eallimachos,  in  der  Philosophie  gegenüber  Arke- 
silaos, in  der  Mathematik  gegenüber  Hipparch,  in  allem  zusammen  aber 
werde  er  von  keinem  überflügelt.  Wahrhaft  bahnbrechend  waren  seine 
wissenschaftlichen  Erfolge  auf  dem  Felde  der  Geographie.!^)  Hier  legte  er 
durch  trigonometrische  Messungen  den  Grund  zur  Anlage  eines  Erdnetzes 
und  verwertete  die  Entdeckungsberichte  des  Hanno,  Philon,  Pytheas,  Ne- 
arch,  um  eine  richtige  Vorstellung  von  dem  Umfang  und  der  Gestalt  der 


')  DüNTZBB,  De  Zenodoti  studiis  Home- 
riciSi  Gotting.  1848;  Römsr,  lieber  die  Ho- 
merrecension  des  Zenodot,  in  Abh.  d.  b.  Ak. 
1885.  Zenodots  Tageberechnnng  der  llias 
ist  herausgegeben  von  Laohmann  im  Anhang 
der  Betrachtungen  Aber  Homers  llias;  Zrjyo- 
doTov  dwfpoQti  (fiüvrjsy  wahrscheinlich  aus 
dem  Glossenwerk  stanmiend,  von  Studbmund, 
Anecd.  gr.  p.  108  u.  287  ff. 

*)  Nach  Suidas  unt.  IltoXsfjiaTog  6  ini^iirji 
war  letzterer  Schaler  des  Hellanikos,  dieser 
des  Agathokles  und  dieser  des  Zenodot. 

')  Nach  Suidas  war  er  geboren  Ol.  126 
(276/2  V.  Chr )  und  starb  80  (82  nach  Luc. 
Macrob.  27)  Jahre  alt. 

*)  SuBTON,  De  gramm.  iU.  10:  philologi 
appelltUionem  assumpsisse  videtur  Ateius, 
quia  sictU  Eratosthenes,  qui  primtis  hoc 
cognamen  sibi  vindicavit,  muUiplici  varuiqne 
doctrina  censebatur. 

^)  Ueber  die  Thfttigkeit  dieses  Gramma- 


tikers handelt  Akt.  Bauhstabk  Philol.  53, 
708  ff. 

•)  Strab.  p.  15:  fxiaos  ^y  ror  rs  fiov- 
Xofxivov  (piXoaoffBiv  xai  xov  urj  &aQQOvyroi 
iyXBiqi^Biv  iavroy  eig  xtjy  vnoax^^^*''  W. 
p.  838.  Lucian,  Macrob.  27:  'EQatoa&eptjs  6 
AyXaov  Kvgrjyatosy  6V  ov  fAovov  yQafifJLaxtxov 
akXd  xai  Ttoifjxfjy  ay  x^g  oyofAaaeif  xai  (piXo- 
aotpov  xai  ysuifiSXQijy. 

^)  Aus  dem  mathematischen  Epigramm 
V.  13  schliesst  Wilamowitz  Nachr.  d.  Gott. 
Ges.  1894,  I  17,  dass  er  auch  Lehrer  des 
Prinzen  Ptolemaios  Philopater  war. 

^)  80  nach  Suidas,  81  nach  Censorinus 
15,  82  nach  Lukian,  Macrob.  27. 

•)  Ps.  Longin  de  suhl.  34.  In  ähnlicher 
Spielerei  nannten  die  Granunatiken  den  Ari- 
starcheer  Satyros  Z^xa  und  den  Aesop  Ö^ra, 
s.  Photios  Bibl.  p.  151b,  21. 

10)  Bebobr,  Gesch.  d.  wiss.  Erdkunde  der 
Griechen  III  57  ff. 

38* 


596 


Griechische  Ljtteratargeschiohte.    ü.  Nachklassisohe  litieratar. 


Erde  zu  gewinnen.  Sein  Hauptwerk  waren  die  FeayyQaipixd  in  3  B.,  über 
deren  Anlage  uns  zumeist  die  Polemik  des  Strabon  unterrichtet.  Im 
1.  Buch  gab  er  einen  kritischen  Überblick  über  die  Geschichte  der  Geo- 
graphie von  ihren  ersten  Anfängen  bei  Homer  bis  auf  die  Geschichts- 
schreiber Alexanders.  Im  zweiten  Buch  entwickelte  er  seine  eigenen  An- 
schauungen von  der  Kugelgestalt  der  Erde  und  suchte  durch  Messung  des 
Meridianbogens  von  Alexandria  bis  Syene  die  Grösse  derselben  (250,000 
Stadien)  zu  bestimmen.  Im  dritten  behandelte  er  die  örtliche  und  ethno- 
graphische Erdbeschreibung  auf  Grund  einer  von  ihm  entworfenen  Karte, 
auf  der  er  die  bewohnte  Erde  durch  einen  von  Gades  nach  Mittelasien  ge- 
zogenen Breitegrad  in  eine  nördliche  und  südliche  Hälfte  schied  und  inner- 
halb jeder  derselben  mehrere  Segmente  (ayayWag)  annahm.  —  Nebst  der 
Geographie  war  es  die  Chronologie,  in  der  er  mit  ausgedehnter  Gelehr- 
samkeit bahnbrechende  Untersuchungen  anstellte.  Er  war  der  Schopfer 
dieser  Wissenschaft,  die  später  Apollodor  in  eine  anziehende  metrische 
Form  brachte.  Von  ihm  rührt  die  durch  Clemens  Alex,  ström.  I  p.  145  uns 
erhaltene  Tafel  von  den  Epochen  der  Geschichte  her;^)  in  weiser  Be- 
schränkung begann  er  die  erste  derselben  mit  der  Eroberung  Troias,  in- 
dem er  die  ältere  mythische  Zeit  ganz  ausschloss.  Ein  besonderes  Buch 
widmete  er  dem  Verzeichnis  der  olympischen  Siege,  die  schon  damals  das 
Gerippe  der  griechischen  Chronologie  bildeten.  Ob  auch  die  durch  Euse- 
bios  uns  erhaltenen  ägyptischen  Königslisten  auf  ein  Werk  des  Erato- 
sthenes  zurückgehen,  ist  zweifelhaft.*)  —  In  das  Gebiet  der  Granunatik 
gehörte  das  grosse  Werk  ne^i  d^x^^fag  xw^ytfiag  in  mindestens  12  B.,  in 
dem  über  Didaskalien,  historische  Anspielungen,  Masken,  schwierige  Stellen 
der  Komiker  mit  ausgedehnter  Gelehrsamkeit  gehandelt  war,  und  von  dem 
wahrscheinlich  das  2x€vo<fOQix6r,  das  Pollux  im  Eingang  des  10.  Buches 
seines  Onomastiken  erwähnt,  einen  Teil  bildete.  —  Auch  mit  rein  mathe- 
matischen Problemen  beschäftigte  sich  Eratosthenes,  wie  mit  der  Verdop- 
pelung'des  Würfels  in  einer  Schrift  llXaToovixog  und  in  einem  eleganten, 
auf  eine  Stele  gesetzten  Weihepigramm,  das  uns  zusammen  mit  einem 
wahrscheinlich  gefälschten  Brief  an  den  König  E^olemaios  erhalten  ist.^) 
Philosophische  Fragen  behandelte  er  in  einem  Kommentar  zu  Piatons  Ti- 
maios  und  in  populären  Dialogen. 

Lebend  in  einer  Zeit,  in  der  die  Gelehrsamkeit  sich  noch  nicht  mit 
Trockenheit  der  Gedanken  und  Kunstlosigkeit  der  Form  identifizierte, 
pflegte  Eratosthenes  auch  den  Garten  der  Poesie.  StofiF  bot  ihm  dazu  die 
Astronomie  und  der  bestirnte  Himmel,  der  sich  damals  mit  wundervollen 
Gebilden  der  poetischen  Phantasie  belebte.     Sein   hauptsächlichstes  astro- 


^)  Danach  rechnete  Eratosthenes  von 
der  Einnahme  Troias  bis  Rückkehr  der  He- 
rakliden  80  J.,  von  da  bis  zur  Kolonisation 
Joniens  60  J.,  des  weiteren  bis  zur  Vormund- 
schaft des  Lykurg  159  J.,  bis  zur  Olympiaden- 
grOndung  108  J.,  bis  zum  Zug  des  Xerxes 
297  J.,  bis  zum  peloponnesischen  Krieg  48 
J.y  bis  zur  Besieguug  der  Athener  27  J., 
bis  Leuktra  34  J.,  bis  zum  Tod  Philipps 
35  J.,  bis  zum  Tod  Alexanders  12  J. 


*)  Friok  Rh.  M.  29  (1874)  252  ff.;  Niisi, 
Die  Chi'onographie  des  Eratosthenes,  Henn. 
23,  92—102,  Wachsmuth,  Einl.  128. 

')  Brief  und  Epigramm  erhalten  durch 
den  Kommentar  des  Eutokios  zu  Arehimedes 
III  102  «.  ed.  Heib.  und  teilweise  durch  Pap- 
pos  III  56  ed.  Hultsch.  Das  Epigramm  er- 
läutert und  weist  als  echt  nach  Wilaxowttz, 
Ein  Weihgeschenk  des  Eratosthenes,  Nachr. 
d.  Gott.  Ges.  1894,  N.  1. 


A.  Alexaadrinischefl  Zeitalter.   8.  Die  Prosa,    c)  Gelehrte  Litteratnr.   (§  429.)    597 


nomisches  Lehrgedicht  war  der  ^EQfirjg,  von  dem  sich  ein  längeres  Frag- 
ment, welches  die  Einteilung  der  Erde  in  5  Zonen  enthält,  gerettet  hat. 
Mit  den  Sternhildem  hing  das  Gedicht  'HQiyovrj  zusammen,  ein  noirnxaxiov 
6ia  rtdvTtov  dfioifAtjTov,  wie  es  Ps.  Longin  c.  33  nennt,  in  welchem  die 
rührende  Sage  von  dem  Tode  des  Ikarios  und  der  Treue  seines  Hundes 
erzählt  war.  Vermutlich  hatte  auch  die  'AvtsQivvg,  in  welcher  die  Sage 
vom  Tode  Hesiods  vorkam,  zu  den  Sternen  und  Verwandlungen  Bezug.  — 
Mit  diesen  poetischen  Schöpfungen  berühren  sich  im  Inhalt  die  uns  noch 
erhaltenen  KaraateQiafiot,^)  in  denen  die  einzelnen  Sternbilder  in  Verbin- 
dung mit  den  Fabeln  der  Dichter  in  prosaischer  Rede  aufgezählt  sind. 
Dieselben  bildeten  im  Altertum  schon  eine  Hauptquelle  der  späteren  Fabel- 
schriftsteller, insbesondere  des  Hygin,*)  wahrscheinlich  auch  des  Ovid  in 
den  Fasten,  sind  aber  nur  in  der  Form  eines  Auszugs  auf  uns  gekommen, 
in  dem  obendrein  dem  Arat  zulieb  die  ursprüngliche  Ordnung  geändert 
ist.^)  Vom  eigentlichen  Eratosthenes  scheint  hier  nicht  viel  mehr  erhalten 
zu  sein  als  vom  Apollodor  in  der  dessen  Namen  tragenden  mythologischen 
BibUothek. 

Eratosthenes  war  so  eine  der  ersten  Grössen  der  alexandrinischen 
Zeit,  ein  Mann  von  Scharfsinn,  Geschmack  und  ausgebreitetster  Gelehr- 
samkeit. Er  verdiente  den  Namen  Philologos,  den  er  sich  im  Gegensatz 
zu  den  Grammatikern  mit  ihrem  beschränkten  Gesichtskreis  beilegte.  Wir 
bezeichnen  ihn  nach  unserer  Sprechweise  als  den  ersten  grossen  Polyhistor. 
Wenn  man  aber  sonst  leicht  von  den  Polyhistoren  den  Ausspruch  des 
Heraklit  TioXvfia^irj  voov  ov  Mdaxei  anzuwenden  veranlasst  wird,  so 
muss  man  umgekehrt  von  Eratosthenes  bekennen,  dass  er  sich  bei  aller 
Gelehrsamkeit  durch  Feinheit  des  Urteils  und  poetisches  Verständnis  aus- 
zeichnete. Er  zeigte  dieses  unter  anderem  in  der  Homererklärung,  bei  der 
er  gegenüber  den  prosaischen  Naturen,  welche  in  den  Schilderungen  der 
Schlachten  und  in  den  Irrfahrten  des  Odysseus  peinlich  genaue  Bericht- 
erstattung über  wirkliche  Ereignisse  und  Ortsverhältnisse  finden  wollten, 
an  dem  goldenen  Satze  festhielt  oti  noirjrrjg  nag  atoxa^exai  xpvxaywyiag^ 
ov  MaCxaliagA^ 

Bbruhardt,  Eratosthenica  Berol.  1822;  R.  Stiehlb,  Zu  den  Fragmenten  des  Erato- 
sthenes, Philol.  Snppl.  II  (1863)  453 — 492.  —  Die  geographischen  Fragmente  des  Eratosthenes 
von  Huoo  Bbbgeb,  Leipz.  1880.  —  Eratosthenis  carminum  rell.  dispos.  Hiller,  Lips.  1872. 


M  KaräXoyoi  heissen  dieselben  bei  Schol. 
zn  Hom.  X  29 :  Urto^t  ^Egazwf&eytjg  iv  toig 
iavxov  xataXoyoig.  In  den  Handschriften 
gebt  das  Bnch  titellos  oder  mit  der  Auf- 
■chrift  'AcjQo^tat^üyy  wie  Maass,  Eratosth. 
init  nachweist.  Der  Titel  KaxaarsQiafjLoi,  d.  i. 
Versetzong  unter  die  Steine,  ist  ans  dem 
Artikel  des  Smdas  Aber  Eratosthenes  ge- 
nommen. 

')  Die  Meinung  Bemhardys,  dass  unsere 
KnaareQtafÄoi  nur  eine  Üebersetzung  der  Fa- 
beb  des  Hygin  seien,  ist  widerlegt  von 
Bdbsiav  in  Jahrb.  f.  PhU.  1866  S.  765. 

')  Dieses  ist  nachgewiesen  von  Robert 
n  den  Pkt^leg.  seiner  Ausgabe  der  Kataare- 
^fiol  p.    33   f.     Die   Echtheit   bezweifelt 


Maass,  Analecta  Eratosthenica  (Phil.  ünt.  VI, 
Berl.  1883);  dagegen  Böhme  Bh.  M.  42, 
286  ff.;  Olivibri,  I  catasterismi  di  Erato- 
sthene,  in  Stud.  ital.  di  Filol.  class.  V  (1896) 
1 — 25;  Rbhk,  Myth  ünt.  zu  griech.  Stem- 
sagen,  Progr.  München  W.  G.  1896.  Das 
zugrundliegende  Buch  des  Eratosthenes,  von 
dem  Maass,  Aratea  Ph.  ü.  XII  377  eine  alte 
lateinische  Inhalteangabe  veröffentlicht  hat, 
war  betitelt  nsQi  dtaxoa/ÄOv  datigtov  xai 
itvjnoXoylag  ttüv  q)ai,vofjiiv(ov,  was  in  bar- 
barisches Latein  übersetzt  lautet  de  circa' 
exornatione  stellarum  et  etymologia  (pro^ 
prietate  sermonum)  de  quibus  videntur. 
*)  Strabon  p.  7. 


598 


Griechisohe  Litteraturgaschiohte.    IL  HaohklaMisohe  Litieratiir. 


—  Maasb,  Eratosthenica  in  Phil.  Unt.  VI,  worin  insbesondere  die  Fragmente  der  Erigona 
behandelt  sind.  —  Eratosthenis  catasterismonim  reliquiae  reo.  C.  Robert,  BeroL  1878; 
Pseudo-Eratosthenis  catasterismi  reo.  Olivieri,  in  Mythogr.  graec.  lU  1,  1897  in  Bibl.  Tenbn., 
mit  kritischem  Apparat. 

480.   AntigonoB  von  Karystos^)  in  Euböa,  davon  öfters  schlechtweg 
6  Kaqvciio^  genannt,  hatte  seine  Bildung  in  Eretria  bei  dem  Philosophen 
Menedemos  erhalten  und  war  dann  in  die   Kreise  der  Philosophen   und 
Künstler  Athens  eingetreten.     Von  König  Attalos  I   nach  Pergamon  be- 
rufen, ward  er  einer  der  hervorragendsten  Vertreter  der  älteren  perga- 
menischen  Schule.    Seine  Lebenszeit  reicht  über  226,  oder  über  das  Todes- 
jahr des  Philosophen  Lykon,   dessen  Leben   er  schrieb,   herab.     Die  Bioi 
g>ikoa6(p(ov  waren  sein  Hauptwerk,   dessen   einzelne  Abschnitte  unter  be- 
sonderen Titeln,  wie  sv  %^  Zt^vtovog  ßi(fi^  iv  ttp  MevsSijfiov  ßi(^^  iv  t^  ntQi 
UvQQcovog  etc.   citiert  werden.     Ein  Hauptvorzug  dieser  Biographien   vor 
ähnlichen  litterarhistorischen  Büchern  bestand  darin,   dass  sie   aus  dem 
vollen  Leben  geschöpft  waren,  indem  ihr  Verfasser  die  Philosophen,  deren 
Leben  er  schrieb,  aus  persönlichem  Umgang  kannte,  nicht  auf  Fabeln  und 
blosses   Hörensagen    angewiesen   war.     Mit    den   Philosophenbiographien 
hängen  die  7<rro^ixa  vnofAvijfiaTa  zusammen,  in  denen  unter  anderm  nach 
Athen.  610  e  von  der  Philosophenvertreibung  durch  König  Lysimachos  er- 
zählt war.     Ob  unser  Antigenes  auch  ein  Buch  über  Kunst,  spezieU  über 
Toreutik  und  Maler  >)   geschrieben  hat,  gegen  das  Polemon  polemisierte, 
oder  mit  anderen  Worten,  ob  der  Philosophenbiograph  Antigenes  und  der 
Künstler  Antigonos  eine  und  dieselbe  Person  sei,  wird  bezweifelt.')  —  Auf 
uns  gekommen  ist  unter  Antigonos  Namen   eine  flüchtig  und  planlos  ge- 
arbeitete Sammlung  von  Wundergeschichten  (ictoq^wv  TtagaSo^wv  crvvaywyiy), 
die  in  191  Paragraphen  wunderbare  Erscheinungen  meist  aus  dem  Natur- 
reich in  Verbindung  mit  mythologischen  Erzählungen  enthält.    Die  Samm- 
lung in  einfacher,  aber  korrekter  Sprache  stützt  sich  auf  eine  umfassende 
Lektüre,   so   dass  neben  Herodot  und  Homer,   der  hier  schon   o  noirjvtjg 
schlechthin  heisst,^)   Ktesias,  Aristoteles,  Eudoxos,   Timaios  u.  a.  berück- 
sichtigt sind.     Der  grössere  Teil  aber  ist  nur  eine  Auslese  {ixko/^)   aus 
der  Tiergeschichte   des  Aristoteles  und  der  Wundersammlung  des   KaUi- 
machos.     Den  Schreiber  dieser  Materialiensammlung  hält  Nebert,  Studien 
zu  Antigonos,   Jahrb.  f.  cl.  Phil.  1896  S.  780,   für  eine  Person   mit  dem 
Kunstschriftsteller  und  dem  Verfasser  einer  italischen  Geschichte  und  einer 
Periegese  Makedoniens,  von  welch  letzteren  Schriften  dürftige  Beste  auf 
uns  gekommen  sind.     Sind  die  beiden  Antigonoi  wirklich  verschieden,   so 
lebten  sie  doch  in  der  gleichen  Zeit  und  hatten  in  gleicher  Weise  Be- 
ziehungen zu  dem  Hofe  von  Pergamon. 


')  EöPKB,  De  Antigono  Caiystio,  Ber. 
1862;  WiLAMowiTZ,  Antigonos  von  Eaiystos, 
Phü.  Unt.  IV,  Berl.  1881;  Nbbbrt,  Stadien 
zu  Antigonos  von  Eaiystos,  Jahrb.  f.  kl.  Phil. 
1895  8.  363  ff.  u.  1896  S.  773  ff. 

')  Plinias  im  Index  anctorom  1.  XXXIV 
und  XXXV  68;  Diog.  VU  187. 

')  WiLAXowiTZ  geht  von  der  Identität 
beider  aus;  Bedenken  erhebt  Ubliohs,  Ueber 
griech.  Kunstschriftsteller,  WOrzb.  1887  S.  34, 


und  LoBWT,  Inschriften  griechisdier  Bfld- 
hauer  120  und  ebenso  Nebert  a.  O.  Ana- 
drttcklich  hat  der  Bildhauer  AntigoDoa 
den  Beinamen  Earystios  bei  dem  ParOmio- 
graphen  Zenobioe  V  82.  Auch  eine  Schrift 
negi  Xi^eutg  von  einem  Antigonos  Knyatioa 
wird  bei  Athen.  88  a  u.  297  a  enrihnt,  wo- 
rüber WlLAXOWlTZ  8.  174. 

^)  So  auch  schon  bei  Aiistoi.  poei.  22 
p.  1458^  7. 


A.Alexandrmi0oh60  Zeitalter.  8.  Die  Prosa,  o)  Gelehrte  Idtteratnr.  (§§  430-.432.)  599 

Ausgabe  der  nagado^my  avyaytoyij  von  0.  Keller,  Reram  naturallum  Bcriptores 
graeci  minores  I  1  in  Bibl.  Teubn.  —  Fragmente  der  Historien  bei  Müller  FHG  IV  305  f. 
—  Fragmente  des  Periegeten  und  Kxmstschriffcstellers  bei  Nbbekt,  Stadien  zu  Antigen  os 
von  Kaiystos,  Jahrb.  f.  kl.  Phü.  1896  S.  774  ff. 

431.  Istros  aus  Eyrene  (um  200),  nach  andern  aus  Makedonien  oder 
Paphos,  war  Sklave  von  Geburt,  wurde  dann  Schüler  des  Kallimachos  und 
schrieb  wie  sein  Herr  und  Meister  in  Prosa  und  Vers.  Seine  litterarische 
Betriebsamkeit  war  hauptsächlich  der  historischen  Philologie  zugewandt, 
80  dass  ihn  Plutarch,  Alex.  46,  geradezu  einen  Historiker  nennt.  Sein 
Hauptwerk  waren  die  Attika,  wovon  Athen,  p.  557a  ein  14.  Buch  anführt; 
wenn  Harpokration  unter  insvsyxsXv  und  x^soiviov  dasselbe  unter  dem  Titel 
irwaywyr}  t£v  'At&{3wv  citiert,  so  lässt  sich  daraus  entnehmen,  dass  in 
demselben  die  früheren  Werke  ähnlichen  Inhaltes  ^)  benutzt  und  zusammen- 
gefasst  waren.  Ausserdem  schrieb  er  '^VnofivrjfiaTa  oder  "Araxray  'Hkiaxd, 
'AQ/oXixä,  ^AncXXosvog  in^fpavs^Uj  Atyvnuaiv  ditoixfa^^  negl  IlToXefiatSog,  nsgl 
aywvwv,  nsQl  %wv  Kqrjctxäv  &vai£v.  Litter arhistorischen  Inhalts  waren 
seine  McXonoiOij  wenn  diese  nicht  seinem  Namensgenossen  aus  Kallatis 
angehören.  Oegen  den  Historiker  Timaios,  dem  er  den  Spitznamen  Epi- 
timaios  gab,  polemisierte  er  in  einer  eigenen  Schrift.  >)  Die  Fragmente 
sind  gesammelt  bei  Müller  FHG  I  418—427,  speziell  besprochen  von  Well- 
mann, De  Istro  Gallimachio,  Greifsw.  1886.  —  Von  dem  Kallimacheer  Istros 
verschieden  ist  Istros  von  Kallatis,  den  Stephanos  unter  KdXXaxiq  als  Ver- 
fasser eines  Buches  über  Tragödie  anführt  und  der  vermutlich  einer  spä- 
teren Zeit  angehört;  auf  besagtes  Buch  sind  die  Notizen  im  Leben  des 
Sophokles  zurückzuführen. 

433.  Hermippos  aus  Smyrna  (um  200) '),  Kallimacheer  genannt  im 
Gegensatz  zu  dem  unter  Hadrian  lebenden  Hermippos  Berytios,  schrieb  im  An- 
schluss  an  die  Pinakes  seines  Lehrers  Biographien  berühmter  Männer  {Bh^ 
iwv  iv  naiSsiijt  SiaXafAipdvraov),  Die  einzelnen  Abschnitte  jenes  Werkes  werden 
unter  besonderen  Titeln  angeführt,  wie  ttsq!  twv  imd  aotpwv,  TreQi  vofio- 
bb%m'  (wovon  bei  Athen.  619  b  ein  6.  Buch  citiert  ist),  nsQi  UQwraycqov^ 
j^fgi  *l7m(6vaxTog,  negl  FoQyiov,  negl  'IrfoxQdrovg,  nsQl  rwv  ^ItfoxQarovg  fia^ 
xhr^tmv  (in  mindestens  3  B.),  negi  ^AQKfzoräXovg^  negi  ©«oy^aoror,*)  ttsqI 
XQvafnnov,  Ein  Titel  hat  sich  im  Verzeichnis  der  akademischen  Philo- 
sophen der  herkulanischen  Rollen  erhalten:  nsqi  tcöv  dno  (fiXoaoifCag  elg 
TvggavviSag  xal  dvvaateiag  .fie&ecTr^xoTwv.  Die  biographischen  Arbeiten 
des  Hermippos,  welche  ähnlich  wie  die  des  Istros  die  Überlieferungen  der 
Früheren  vereinigten  und  abschlössen,  wurden  viel  von  den  Späteren  be- 
nutzt. Ob  der  Hermippos,  welcher  nach  dem  Biographen  des  Arat  Phai- 
nomena  schrieb  und  in  Trimetern  auch  von  Asklepios  und  seinen  Kindern 
kandelte  (Schol.  Arist.  Plut.  701),  mit  dem  Kallimacheer  Hermippos  oder 
überhaupt  mit  einem  der  zwei  bekannten  Hermippoi  identisch  sei,  ist 
zweifelhaft.    Fragmente  bei  Müller  FHG  HI  35-54. 


')  Vgl.  oben  §  390. 

>)  Ath.  272  b  largos  iy  rats  ngof  "Eth- 
tifutt^y  dvtkyifafpaCi, 

*)  Da  Chiygipp  208/5  starb,  so  schliesst 
num  daraus,  dass  üennippos  noch  dieses  Jahr 


aberlebte. 

^)  üeber  das  von  Hennippos  ausgehende 
Verzeichnis  der  Werke  des  Aristoteles  und 
Theophrast  s.  §  318. 


600 


Grieohisobe  Litteratnrgesohichte.    11.  HachUaBsische  Litteratiir. 


483.  Satyros,  der  Peripatetiker,  verschieden  von  dem  Aristarcheer 
SdtvQog  6  f^ra,  blühte  um  200,  sicher  vor  Ptolemaios  Philometor,  unter 
dem  Herakleides  6  Xspißoq  sein  Werk  in  einen  Auszug  brachte.^)  Seine 
Biographien  berühmter  Männer  {Bioi  evdo^tov  dvdgwv)  bewegten  sich  ganz 
im  Fahrwasser  der  peripatetischen  Schule,  mit  welcher  er  auch  die  kritik- 
lose Aufnahme  von  Anekdoten  teilte.  Die  meisten  derselben  galten  be- 
rühmten Philosophen  und  Dichtern;  doch  schrieb  er  auch  ein  Leben  Phi- 
lipps. Von  dem  Ansehen  und  Umfang  des  biographischen  Werkes,  von 
welchem  Diogenes  VI  80  ein  4.  Buch  citiert,  zeugt  der  Umstand,  dass 
der  Grammatiker  Herakleides  von  ihm  eine  Epitome  veranstaltete.  Der 
Titel  seines  zweiten  Werkes  negt  xaQaimfjQiov  verrät  den  Nachahmer  des 
Theophrast.     Fragmente  bei  Müller  FHG  m  159—166. 

484.  Polemon  war  in  einem  Dorfe  der  Landschaft  Dion  geboren, 
wovon  er  bei  Suidas  den  Zunamen  o  ^Ihsvg  hat.  Im  Verfolge  seiner  topo- 
graphischen und  kunstgeschichtlichen  Studien  durchwanderte  er  ganz  Hellas, 
Vorderasien,  Sikilien  und  Italien,  indem  er  sich  in  den  Hauporten  Griechen- 
lands zum  eingehenden  Studium  förmlich  niederliess.  Infolge  dessen  erhielt 
er  von  Delphi  die  Proxenie  (177/6  v.  Chr.)*)  und  wurde  von  Athen  und 
anderen  Städten ')  mit  Verleihung  des  Bürgerrechtes  ausgezeichnet,  so  dass 
scherzend  Athenaios  234 d  von  ihm  sagt:  ei^e  Idfiiog^  uxe  2ixtmviog,  «iV 
U&TjvaTog  6vofia^6/uL€vog  x^'Q^^-  Nach  Alexandria  ward  er  durch  Ptolemaios 
Epiphanes  gezogen.*)  Seinen  Hauptruhm  erwarb  er  sich  als  Perieget,  wo- 
von er  auch  den  Beinamen  TtsQirjyrjnjg  oder  (STr^Xoxonag  erhielt.  Voran- 
gegangen war  ihm  in  diesem  Zweige  der  Forschung  Diodor  von  Athen,^) 
aber  erst  er  erhob  die  Periegese  zu  ihrer  grossen  Bedeutung,  indem  er 
auf  das  sorgfältigste  an  Ort  und  Stelle  die  Kunstwerke  und  sonstigen 
Merkwürdigkeiten  untersuchte  und  die  Weihinschriften  und  Grabepigramme 
zur  Aufhellung  der  Kunst-  und  Kulturverhältnisse  heranzog.«)  Von  seinen 
Schriften  nennt  Suidas  in  einem  verworrenen  Artikel  nur  wenige:  TTf^i/- 
yrjaiq  ^Ikiov,  td  ngog,  'AdaXov  xal  'Avuyovov^  xrfaeig  täv  iv  (DaxiSi  ttoIswv^ 
xTiaeig  rwv  iv  n6vt((i  noXsfov^  negl  twv  iv  Aaxedaifiovi  dva&rjfidtfov.  Wie 
es  damals  Brauch  war,  legte  er  seine  Studien  in  Spezialschriften  nieder; 
aber  die  von  Suidas  angeführten  waren  nicht  die  bedeutendsten;  bedeu- 
tender waren  die  Schriften  nsQl  Tijg  'A&tjvtjtnv  dxQonoXstüg  in  4  B.,')  tt«^ 
TTfi  tsQag  odov  (von  Athen  nach  Eleusis),  neQi  rdv  iv  2ixtmvi  rt^&vmav, 
ncgi  rwv  iv  JeXifoXg   d'rjCavqwv^    Tteqi  ^afiod-Qfjtxijg^    negi   rwv  iv  KaQx^don 


^)  Darflber  Diog.  VIII  40.  IX  26.  Dass 
er  vor  letros  lebte,  darf  man  wohl  daraus 
Bchliessen,  dass  er  in  dem  Leben  Pindars  A 
vor  IstroB,  vermntlich  als  dessen  Gewährs- 
mann, genannt  wird. 

*)  Weschbb-Foucabt,  fnscr.  de  Delphes, 
n.  18  V.  260  lIoUfAiav  MiXrjaiov  'Ihfvg. 

')  Tm  Artikel  des  Suidas  ist  zwischen 
'j^ytjai  TroXixoygatpfjS-eig  und  Ao  xal  'EXXa- 
ifixog  inByQfitpero  durch  Homoioteleutie  aus- 
gefallen xal  iv  aXXaig  noXXatg  T^g  'EXXadog 
noXe^n, 

*)  Athen.  552  b.  Suidas  setzt  den  Po- 
lemon unter  Ptolemaios  Epiphanes  und  gleich- 


zeitig mit  dem  Grammatiker  Ariatophanes 
von  Byzanz. 

*)  Derselbe  schrieb  vor  308,  s.  Prbller, 
Polemon,  S.  170  ff.  Fragmente  bei  Müllbb 
FHG  n  358  ff. 

®)  Muster  ist  der  Artikel  TtoQamog  bei 
Ath.  234d. 

^)  Strab.  p.  396:  UoXifA^v  6  n^fiyfjti^ 
xittaga  ßißXla  <fvvByQa%pB  nsQt  rwr  ava- 
&tjfitiT<oy  ttav  iv  ttxQonoXei-.  Die  Schrift  ent- 
hielt mehr  als  der  Titel  besagte,  indem  sie 
auch  andere  Punkte  der  Stadtpeiiegese  be- 
handelte, worflber  Ealkmaith,  Pansaiiias 
S.  59  ff. 


A.Alexftiidrini8obes Zeitalter.  S.DieProBa.  o) Gelehrte Litteratnr.  (§§433—434.)  601 


ninho%*^  neQi  rSv  xarcc  noXeig  iinYQafifidxMv.  Ausserdem  kannte  das  Alter- 
tum von  Polemon  ein  Buch  über  Wunderdinge,  Briefe,  darunter  einen  an 
König  Attalos,  und  eine  Reihe  von  Streitschriften  (avziyQafpm)^  insbeson- 
dere gegen  Timaios,  Neanthes,  Anaxandrides,  und  in  kunstgeschichtlichen 
Fragen  gegen  Adaios  und  Antigenes;  dem  Eratosthenes  wies  er  solche 
Fehler  in  der  Beschreibung  Athens  nach,  dass  es  scheine,  er  habe  Athen 
gar  nicht  gesehen. i)  Bestritten  war  die  Echtheit  des  ^EXXadixoc  sc.  Xoyoc^^) 
der  vielleicht  nur  deshalb  dem  Polemon  zugeschrieben  ward,  weil  er  aus 
dessen  Werken  zusammengestellt  war ;  wie  sich  aber  diese  Schrift  zu  der 
von  Suidas  erwähnten  xotr/iixt]  TieQirjyr^tng  tjtoi  yewyQaipta  und  zu  den  von 
andern  *)  angeführten  ^ElXrjvixal  hrogfai  verhielt,  ist  unklar. 

Hauptwerk  von  Pbelleb,  Polemonis  periegetae  fragm.,  Lips.  1838;  die  Fragmente 
auch  bei  Müixeb  FGH  III 108—148;  vgl.  Bencker,  Der  Anteil  der  Feriegese  an  der  Ennst- 
schriftotellerei  der  Alten,  Dias.  München  1890. 

Von  Gelehrten  ähnlicher  Richtung  habe  ich  schon  gelegentlich  Dio- 
dor,  Duris,  Adaios,  Antigenes  genannt ;  ich  füge  hier  noch  an  die  Quellen- 
schriftsteller des  älteren  Plinius  in  den  Abschnitten  seines  Werkes  über 
Kunst,  nämlich  ausser  Antigenes  und  Duris  Xenokrates  aus  Sikyon 
(um  260),  der,  selber  Künstler  aus  der  Schule  des  Lysipp,  über  Bronze- 
statuen und  Malerei  schrieb,*)  Heliodor  aus  Athen,  von  dem  Bücher 
über  die  Akropolis  und  Dreifüsse  (Weihgeschenke)  Athens  angeführt  wer- 
den, Pasiteles  aus  Neapel,  der  in  der  Zeit  des  Pompeius  die  alte  Kunst 
durch  eigene  Schöpfungen  wieder  zu  Ansehen  brachte  und  als  Kunstschrift- 
steller über  berühmte  Werke  des  ganzen  Erdkreises  schrieb. 0)  Ausserdem 
verdienen  hervorgehoben  zu  werden  Kallixenos  aus  Rhodos,  der  zur  Zeit 
des  Ptolemaios  Philadelphos  ein  Buch  über  Alexandria  schrieb  und  dessen 
Verzeichnis  berühmter  Maler  und  Bildhauer  der  Sophist  Sopater  in 
seine  Chrestomathie  (Phot.  cod.  161)  aufiiahm;  Anaxandrides,  älterer 
Zeitgenosse  des  Polemon,  der  über  das  Orakel  von  Delphi  und  die  ge- 
raubten Weihgeschenke  des  Orakels  schrieb;^)  Mnaseas  aus  Patara, 
Schüler  des  Eratosthenes,  der  eine  Sammlung  delphischer  Orakelsprtiche 
veranstaltete;  Hegesander  von  Delphi  aus  der  Zeit  des  Königs  Perseus, 
in  dessen  Memoiren  die  Bildsäulen  und  sonstigen  Kunstwerke  seiner  Vater- 
stadt eine  hervorragende  Stelle  einnahmen;^)  Semos  von  Dolos,  aus  dessen 
Schriften  über  Päane  und  die  Geburtsstätte  der  Latoiden  uns  Athenaios 
interessante  Mitteilungen  macht;  Sokrates  aus  Argos,  dessen  mythen- 
reiche Feriegese  der  Landschaft  Argos  in  den  Scholien  zu  Pindar  und 
Eoripides  und  von  Plutarch  de  mul.  virt.  4  herangezogen  ist.  Fragmente 
bei  Müfler  FHG  HI  55-66;  106—7;  149—158;  IV  412—422;  492-9. 


M  SkrAh.  p.  15. 

>)  Daher  Atii.  479  n.  606:  BoXifiav  tj  6 
'oti^ac  Toy  IniyQatpüfjievov  'WiXaSixov. 

*)  Sehol.  Aristid.  III  321  ed.  Dind.  and 
loliofi  Afric.  bei  Ensebins  praep.  ev.  X  10»  15. 
Vielleicht  ist  eine  Erwähnung  dieses  Sammel- 
baefaes  alter  Mythen  auch  zn  suchen  in 
Sehol.  IL  r  242  »7  Urroglec  nagd  toTg  IloXe- 
(uavion  fj  roh  xvxXixoig. 

*)  Pliniufl  n.  h.  XXXIV  83.  XXXV  68. 


*)  Plinius  n.  h.  XXXVI  40.  Ueber  die 
griechischen  Quellen  der  kunstgeschichtlichen 
Notizen  des  Plinius  überhaupt  F.  Münzer, 
Zur  Kunstgeschichte  des  Plinius,  Herrn.  XYX 
(1895)  und  Miss  E.  Srllbbs,  The  older  Pli- 
ny's  chapters  on  the  history  of  art,  London 
1896. 

«)  Weniger,  De  Anaxandiida  Polemone 
Hegesandro,  Berl.  1865. 


602 


Grieohisohe  Litteraturgesohlohte.    ü.  HaohklMwisobe  Littoratnr. 


485.  Äristophanes  (um  262—185)  war  als  Sohn  des  Söldnerf&Iirers 
Apelles  in  Byzanz  am  Hellespont  geboren  (daher  Byzantius  genannt),  kam 
aber  schon  in  frühen  Jahren,  unter  Ptolemaios  Philadelphos,  nach  Ale- 
xandria, ^)  wo  er  Schüler  des  Zenodot  und  Kallimachos  wurde.')  Von  den 
Königen  Ägyptens  hochgeehrt,  bekleidete  er  als  Nachfolger  des  Erato- 
sthenes  oder  Apollonios  Rhodios  und  als  Vorgänger  des  Aristarch  das  an- 
gesehene Amt  eines  Bibliothekars.  3)  Von  einem  Versuch,  zum  König  £u- 
menes  II  von  Pergamon  überzugehen,  ward  er  mit  Gewalt  zurückgehalten. 
Hochbejahrt  starb  er  77  Jahre  alt  am  Harnzwang  um  185.  —  Äristo- 
phanes hiess  Grammatiker  und  war  dieses  im  eigentlichen,  zugleich  aber 
auch  im  eminenten  Sinne.  Seine  Studien  galten  fast  ausschliesslich  der 
Sprache,  Litteratur  und  Texteskritik;  selbst  sein  scheinbar  historisches 
Buch  über  die  Hetären,^)  sowie  seine  Schriften  über  die  Masken  und 
Sprichwörter  hingen  mit  seinen  Studien  über  die  attische  Komödie  zu- 
sammen. Für  die  Litteraturgeschichte  bedeutsam  waren  seine  Ergänzungen 
und  Berichtigungen  der  Pinakes  des  Kallimachos,^)  womit  zugleich  die 
Ordnung  der  Werke  einzelner  Schriftsteller,  wie  des  Philosophen  Piaton,*) 
und  die  Auswahl  der  mustergültigen  Autoren  in  den  einzelnen  Zweigen 
der  Litteratur,  der  sogenannte  Kanon  der  Alexandriner  in  Zusammenhang 
stand.  0  Zur  Textesbearbeitung  {dioQ&toaig)  und  Herausgabe  (ixSocig) 
wählte  er,  der  Richtung  seiner  Zeit  und  der  eigenen  poetischen  Neigung 
folgend,  nicht  die  Redner  und  Historiker,  sondern  die  Dichter.  Unserem 
Imm.  Bekker  vergleichbar,  hat  er  eine  Unmasse  von  Ausgaben  besorgt, 
geschätzt  waren  insbesondere  seine  Textesrecensionen  des  Homer,  Hesiod 
und  der  Lyriker.  Eingehend  beschäftigte  er  sich  auch  mit  der  attischen 
Komödie,  auf  die  ihn  sein  Freund,  der  Dichter  Machon,  hingewiesen  haben 
wird.  Zu  den  Dramen  der  Tragiker  lieferte  er  Einleitungen  (vnod^tcfig), 
in  denen  er  über  die  Fabel,  die  Aufführung,  den  ästhetischen  Wert  der 
einzelnen  Stücke  handelte.  Von  diesen  sowohl  als  von  den  Worterkläningen, 
namentlich  zu  Euripides,  sind  uns  noch  Reste  in  unseren  Scholien  erhalten. 
Auch  von  den  Lyrikern,  speziell  von  Alkaios,  Anakreon,  Pindar  besorgte 
er  kritische  Ausgaben  unter  besonderer  Berücksichtigung  der  Vers-  und 
Strophenabteilung.  ^)     Von    seinen   lexikalischen   Sammlungen  werden  die 


^)  Soidas:  yiyovB  dh  xard  ti^y  q(A&'  (fXQä 
y.  1.)  oXvfJLniada  ßaciXsvovxog  IlToXcfÄalov  tov 
^iXtt&eXtpov  xai  rov  f^ex*  avxov  xov  ^iXond- 
xoQog  (diezeive  de  f^^XQ^  JlxoXe/Aaiov  xov 
^iXondxoQog  xai  xov  ftex*  avtov  ßnaiXevattvxog 
corr.  Benihardy).  Ueber  den  verworrenen 
Artikel  s.  Ritschl,  Alex.  Bibl.,  p.  79  = 
Opasc.  I  64,  nnd  dagegen  Robde  Rh.  M.  33, 
168. 

')  Snidas:  fAa&rjxrjg  KaXXifidxov  xai  Ztj- 
yoifoxov,  dXXa  xov  fjikp  ysogy  xov  <W  TiaTg 
^xovae.  Ausserdem  gibt  Snidas  den  Dio- 
nysioB  lambos,  der  Tiegi  diaXexxtoy  ge- 
schrieben hatte,  und  den  Euphronidas  aus 
Eorinih  oder  Sikyon  als  seine  Lehrer  an. 
Athen.  241  f.  u.  664  a  nennt  auch  den  Ko- 
miker Machon  seinen  Lehrer. 

')  Die  Antrittszeit  des  Amtes  scheint 


von  Snidas  mit  yiyovB  dk  xaxd  rtjr  Qf*^ 
6X.  bezeichnet  zu  sein,  danach  wurde  er  nm 
204/200  Bibliothekar;  er  war  bei  dem  An- 
tritt des  Amtes  nach  Suidas  62  Jahre  alt. 

^)  Das  Buch  ist  oft  citiert  von  AtheaaioA. 

>)  Ath.  408  f.  ftthrt  an  x6  nj^s  roeV 
KaXhfidxov  niyaxas  und  p.  336  e  dray^a^ 
d^fiaxioy. 

«)  Siehe  §  303.  Auch  mit  der  Natur^ 
geschichte  des  Aristoteles  hatte  er  sick  be- 
schäftigt. 

n  Siehe  §  339  und  vgl.  das  Epigramm 
des  AeUan  GIG  1085,  11  f. 

^)  Dionys.  de  comp.  22:  xmXa  di  fu 
di^ai  vvvi  Xeye^y  oo/  o[c  'JQtcxo^rtj^  tj  Ttir 
dXXtiy  Tc;  fiexQixtiy  diexoofsij^e  rds  f»daV, 
ahnlich  c.  26. 


A.AlexaiidriiiiJiolie8  Zeitalter.  8.  Die  Prosa,  o)  Gelehrte  Litteratar.  (§§485—436.)  603 


Utfixal  l€^$tg,  Aaxoavinal  yX&aaai  und  die  Spezialschriften  nsQi  ovofiatfiag 
j^hxuivy  negl  avyysviKwv  ovofiärwv,  nsgl  nQoa(pwvij(fea)v,  neql  rwv  vnoTttsvo- 
fiivm  fiij  elQfja&ai  voTg  nakaioTg  namhaft  gemacht.  Einen  unbedeutenden 
Best  der  Is^eig  hat  in  unserer  Zeit  Miller,  M^langes  427 — 34  aus  einer 
Handschrift  des  Berges  Athos  ans  Licht  gezogen,  i)  Auch  die  Schrift  über 
die  Tiere,  von  der  uns  noch  Excerpte  erhalten  sind,  hing  mit  sprachlich- 
etymologischen Untersuchungen  zusammen.  —  Auf  unseren  Grammatiker 
geht  auch  die  Einführung  kritischer  und  prosodischer  Zeichen  zurück.^) 
Die  ersten  sollten  in  einer  Zeit,  wo  man  mit  dem  Schreibmaterial  sparen 
masste,  dazu  dienen,  um  in  Kürze  am  Rande  Andeutungen  über  Unecht- 
heit,  Eigentümlichkeiten  in  Sprache  und  Mythus,  Anfang  und  Schluss  der 
Perioden  oder  Strophen  zu  geben.  Die  prosodischen  Zeichen  für  Accent, 
Spiritus,  Quantität  sind  von  Aristophanes  nicht  neu  erfunden,  auch  nicht 
mit  der  gleichen  Eonsequenz  wie  in  unseren  Drucken  durchgeführt,  aber 
doch  häufiger  als  vordem  zur  Unterscheidung  ähnlich  aussehender  Wörter, 
wie  avr^Q  und  din^Q,  angewendet  worden.*)  Die  grossartige  Gelehrsamkeit 
anseres  Kritikers  hat  den  Sammelwerken  der  Späteren  und  den  Scholien 
der  Dichter  ihr  reichstes  Material  geliefert;  aus  ihnen  müssen  wir  heut- 
zutage die  spärlichen  Reste  der  fruchtbaren  Thätigkeit  des  vielseitigen 
Gelehrten  zusammenlesen. 

Naüok,  AiJstophanis  Byzantii  grammatici  Alexandrini  fragmenta,  Halis  1848;  dazu 
WiuxowiTZ,  Enr.  Herakl.  1 137 — 58;  Goun  in  Pauly-WiBsowa.  —  Tbesdelenburo,  Gram- 
maticomm  graec.  de  arte  tragica  iudiciomm  rellqniae,  Bonn  1867.  —  H.  Schradeb,  De  nota- 
tione  critica  a  veteribna  grammaticis  in  poetis  scaenicis  adhibita,  Bonn  1863.  —  Zur  Schrift 
ffc^t  l^tpufv  Lambbos  Supplem.  Aristotella  I  und  Robb  Anecd.  graec.  II  8—40,  Berlin  1870. 

Der  bedeutendste  Nachfolger  des  Aristophanes  war  Aristarch;  aber 
der  ist  seine  eigenen  Wege  gegangen,  hingegen  haben  sich  seine  Schüler 
im  engeren  Sinn,  ot  UQ^rtotpärsioi,  enger  an  ihr  Vorbild  angeschlossen  und 
nicht  bloss  die  Richtung  der  von  ihm  angebahnten  Studien,  sondern  auch 
die  von  ihm  eingeführten  Zeichen  beibehalten.  Die  namhaftesten  unter 
ihnen  waren:  Artemidoros  aus  dem  1.  Jahrhundert  v.  Chr.,*)  von  dem 
Athenaios  A^^^eg  oipa^vtixag  anführt  und  der  eine  Sammelausgabe  der 
Bukoliker  besorgte,  Kallistratos,  der  sich  mit  Homer,  Pindar  und  den 
Dramatikern  beschäftigte  und  von  dem  Athenaios  SvfijtuxTa  in  mindestens 
7  B.  und  ein  Buch  ttsqi  haiqwv  anführt, 5)  Diodoros,  von  dem  italische 
Glossen  citiert  werden,  der  also  in  der  Zeit  gelebt  haben  wird,  wo  die 
griechischen  Gelehrten  mit  Rom  nähere  Fühlung  bekamen. 

436.  Aristarchos  (um  220— 145),  der  berühmte  Schüler  und  Nach- 
folger des  Aristophanes,  stammte  aus  Samothrake,  war  aber  gleichfalls 
frohe  nach  Alexandria  übergesiedelt.^)    Seine  Blüte  setzt  Suidas  in  Ol.  156 


*)  Vgl.  CoHN,  De  Aristophane  Byz.  et 
Soetonio  Tranqnülo  EuBtathii  auctoribas, 
Jabb.  fftr  Phil.  Sappl.  XII  285  ff.;  Fbesbmüs, 
De  UUiar  Aristophaneanun  et  Snetonianaram 
exeentis  Byzantinis,  Wiesbaden  1875.  Von 
der  Exaktheit  des  Aristophanes  in  seinen 
ToÜBtibidigen  Werken  kann  nns  der  Artikel 
ttber  die  Namen  der  jungen  Tiere  bei  Aelian 
i.  E  Vn  47  einen  Begriff  geben. 

'}  Bezeugt  von  Ps.  Arkadios  p.  186. 


')  Vgl.  Lentz,  Herodiani  rell.  I,  praef. 
XXXVII. 

*)  Vgl.  Schol.  Aristoph.  Vesp.  1289; 
Ahbens,  Bncol.  gr.  II  p.  XXXVII.  Verschie- 
den von  dem  Grammatiker  ist  der  Geograph 
Arfcemidoros  aus  Ephesos. 

^)  R.  Schmidt,  De  Gallistrato  Aristo- 
phaneo,  in  Naucks  Buch  De  Anstoph.  Byz. 

')  Suidas:  *4Qi<rTaQ)[os*j4Xs^aydQevs  ^£<rfi^, 
tij  de  (fvaei  Zafxo^qd^^  naiQoq  W^e^fcr^/ov^ 


604 


Grieohiache  LitteratiirgMoliiohte.    ü.  HaohklaMisohe  LHUratnr. 


unter  Ptolemaios  Philometor  (180—145),  dessen  Sohn  er  erzog.    Als  durch 
den  Streit  des  Königs  mit  seinem  Bruder  Ptolemaios  Physkon   das  Ver- 
hältnis sich  trübte,  verliess  er  Ägypten  und  starb  72  Jahre  alt  in  Eypem 
an  der  Wassersucht,  indem  er  selbst  durch  Enthaltung  von  Nahrung  sein 
Ende  beschleunigte.     Aristarch  beschränkte  sich  noch  mehr  als  sein  Vor- 
gänger Aristophanes  auf  das  spezielle  Gebiet  der  Grammatik  und  insbe- 
sondere der  Texteskritik,  handhabte  aber  diese  Kunst  mit  einer  solchen 
Meisterschaft,   dass  er  den  Höhepunkt  der  grammatischen  Studien  Ale- 
xandriens  bezeichnet.     Seine  Überlegenheit  beruhte  weniger  auf  dem  Um- 
fang des  Wissens  als  auf  der  Schärfe  des  Urteils   und  der  Feinheit  der 
Divinationsgabe.^)    Damit  verband  er  als  anregender,  imponierender  Lehrer 
eine  wunderbare  Anziehungskraft,  so  dass  aus  seiner  Schule  an  40  Gram- 
matiker hervorgingen  >)   und  seine  Autorität  auch  noch  bei  den  nachfol- 
genden Geschlechtem  obenan  stand.    In  der  grammatischen  Theorie  ver- 
trat er  gegenüber  dem  Stoiker  Ghrysippos  den  Standpunkt  der  Analogie 
oder  der  regelmässigen  Formbildung;  in  der  Exegese  ging  er  unter  Ab- 
lehnung aller  nicht  zur  Sache  gehörigen  Gelehrsamkeit  von  dem  Grund- 
satze aus,  dass  man  jeden  Autor  zunächst  aus  sich  selbst  erklären  müsse; 
in  der  Kritik  war  er  ebenso  weit  von  denkfauler  Vertrauensseligkeit  als 
von  leichtfertiger  Änderungssucht  entfernt.     Diese  Prinzipien  verteidigte 
er  mit  schneidiger  Entschiedenheit  gegen  seine  Widersacher,  was  zu  hef- 
tigen litterarischen  Fehden  und  namentlich  zu  scharfer  Feindschaft  gegen 
die  von  Krates  geleitete  Schule  von  Pergamon  führte.*)   Berichtigte  Textes- 
ausgaben mit  kritischen  Zeichen^)  besorgte   er  von  zahlreichen  Autoren, 
insbesondere  von  Homer,  Hesiod,  Alkaios,  Pindar.    Die  Zahl  der  kritischen 
Kommentare  (vnofivrj/iaTa),   die  sich  auch  auf  Autoren  bezog,   von  denen 
er  keine  Ausgaben   veranstaltete  (wie  Archilochos,  Anakreon,  Aischylos, 
Aristophanes),  betrug  gegen  800,  wie  Suidas  angibt.     An  die  Kommentare 
reihten  sich  zahlreiche  Erläuterungsschriften  {ffvyYQdfifittra),  wie  über  das 
Schiffslager,   gegen   die  Chorizonten,  gegen  Philetas.     Von  litterarhistori- 
schen  Büchern  hören  wir  nichts,  aber  auch  hier  bereitete  er  der  spateren 
Forschung   den   Boden   durch  Aussonderung   des  Unechten    und    strenge 
Scheidung  der  Perioden  in  Bezug  auf  Sprachgebrauch  und  Mythus.     Ein- 
blick in  seine  kritische  Methode  gewinnen  wir  besonders  aus  den  Scholien 

zu  Homer. 

E.  Lbhbs,   De  Aristarchi  stadiis  Homericis,  Lipe.  1833,  ed.  U,   1865,  ed.  in,  1882; 
A.  Ludwich,  Aristarchs  Hom.  Textkritik,  Leipzig  1885,  2  Bde;  Stbiutual,  Geech.  d.  Sprach- 


wissensch.  II*  100  ff. 


yf'yoye  de  xaire  rtjv  gyg  oXvfÄniaifa  irti  ÜJo- 
Xeuaiov  lov  ^Xo/Jtjto^og^  ov  xai  tSy  vloy 
inai^Bvcev  ....  fia&fjTiij^  di  yiyovev  'ji^icta- 
^crVovc  Tov  yQafÄfiauxov.  Sein  Portrftt  ver- 
mutet in  einer  Bflste  des  kapitolinischen 
Mosenms  (Ann.  de  Inst  1841  tab.  G.)  von 
Marx,  Lad.  Rost.  1889. 

')  Dazu  hatte  er,  was  bei  Verstandes- 
menschen selten  ist,  ein  sehr  glOcküches 
Gedftchtms,  so  dass  er  ganze  Tragödien  aas- 
wendig wnsste;  s.  £.  M.  277,  53. 

')  Soidas:  fia&r^rai  di  avrov  yqafAfiati" 
xot  nsfH.  Tovff  fA   fyivovto. 


')  Unter  andern  verlegte  die  Irrfahrten 
des  Odysseos  Aristarch  in  die  htm  9wtkac9u^ 
fijrates  in  die  Iftü  d^äXacisa  nach  €rel]ins 
XIV  6,  3. 

^)  Unter  den  kritischen  Zeichen  eiiid 
am  bekanntesten  der  Obelos  ( — )  zom  Zeichen 
der  Unechtheit  (daher  6ß$liCeir  =  a^eretr 
=  fOr  anecht  erklftren)  and  die  Diple  {^mkij 
seil.  yQafifÄfj)  >  zum  Zeichen,  dass  an  der 
Stelle  etwas  zu  bemerken  sei;  ftber  die 
ftbiigen  s.  Rbifpbbschxid,   Saetoni  relL,  p. 

uiff: 


A.  AlezindriniioheB  Zeitalter,    d.  Üie  Proea.    c)  Gelehrte  Litteratur.   (§  437.)    605 


Unter  den  zahlreichen  Schülern  Aristarchs^)  werden  wir  die  bedeu- 
tendsten, ApoUodor  und  Dionysios  Thrax,  erst  nachher  in  besonderen 
Kapiteln  behandeln.  Hier  seien  nur  kurz  angeführt:  Poseidonios,  Vor- 
leser in  der  Schule  Aristarchs,  der  mehrere  Mal  in  den  Scholien  zu  Homer 
angef&hrt  wird;  Ammonios,  Nachfolger  des  Aristarch  in  der  Vorstand- 
schaft  der  Schule,  der  unter  anderm  über  die  homerischen  Wörter  bei 
Piaton  schrieb;^)  Aristodemos  aus  Elis,  Verfasser  von  Kommentaren  zu 
Pindar;')  Ptolemaios  Pindarion  und  Ptolemaios  aus  Askalon, 
welche  von  Ptolemaios  Epithetes,  einem  oftgenannten  Gegner  Aristarchs, 
wohl  zu  unterscheiden  sind;  Parmeniskos,  der  mit  der  Schrift  nQog 
KQ<nr/ta  den  Streit  des  Schulhauptes  gegen  die  Pergamener  fortsetzte  und 
auch  unter  den  Kommentatoren  Arats  genannt  wird;  Satyros  o  l^rjta 
genannt  von  seiner  Findigkeit  im  Aufwerfen  und  LOsen  von  Fragen  {Cv 
TTJasig),*)  Die  Schule  des  Grammatikers  Aristarch  erhielt  sich  ähnlich  wie 
die  der  Philosophen  Jahrhunderte  lang  über  den  Tod  des  Meisters  hinaus. 
Hervorragende  Aristarcheer  der  jüngeren  Generationen  waren:  Didymos, 
dem  ich  gleich  nachher  einen  eigenen  Artikel  widmen  werde;  Aristoni- 
kos,  ein  Zeitgenosse  Strabons,^)  dessen  exakte  Erläuterungen  der  von 
Aristarch  zu  Homer  gesetzten  Zeichen  uns  im  wesentlichen  erhalten  sind 
und  der  nach  Photios  p.  104  b  40  auch  eine  Schrift  über  das  Museum  zu 
Alexandria  schrieb;  Seleukos  der  Homeriker  zur  Zeit  des  Augustus  und 
Tiberias,  welcher  ausser  über  Homer  auch  neQi  twv  naq  ^Al^^avdQsvai 
na^ifiwv,  n€Qi  ^€ö>v,  7t€Ql  ^EXlrjviCfiov^  yktocaai  schrieb  ;^)  ferner  Diony- 
sodoros,  Chairis,  Dionysios  Sidonios  u.  a. 

437.  Krates  aus  Mallos  in  Kilikien  war  ein  Hauptgegner  des  Ari- 
starch und  zugleich  ein  Hauptvertreter  der  pergamenischen  Schule ;  Strabon 
P-  30  nennt  Aristarch  und  Krates  die  Koryphäen  der  grammatischen  Kunst. 
Krates  mehr  Gelehrter  und  Philosoph  (er  heisst  ffilocoffoq  Stwlxog  bei 
Snidas)  als  Qranmiatiker  und  Kritiker  suchte  in  der  Erklärung  der  Autoren, 
namentlich  des  Homer,  zu  sehr  Allegorien  und  versteckte  Bezugnahmen. 
An  Gelehrsamkeit  und  Umblick  Hess  er  es  dabei  nicht  fehlen,  indem  er 
z.  B.  unter  Heranziehung   der  Reiseberichte  des  Pytheas  die  Stelle  der 

66  X  86  iyyvg  yciq  vvxrog  tc  xai  rjfjiaTdg  elai  xäkevd-oi  auf  die  kurzen 


')  A.  Blau,  De  Aristarclii  discipaUSi 
^ena  1883;  Sehokbüsoh,  Hom.  diss.,  1 30  sqq. 

')  Ps.  Longin  de  subl.  13,  3.  Ueber  die 
Schnft  des  AmmonioB  negi  tov  fjirj  yeyoyeya^ 

^<«K,  üehe  LuDvncH,  Aristarch  I  49. 

*)  Schol.  ad  Find.  N.  7,  1.  üeber  die 
vendiiedenen  Aristodemoi  aas  Nysa,  Elis, 
JViben  8.  Müller  FHG  III  307-311;  ein 
'^^nodfjfiog  6  NtHraerg^  der  Bedehangen  zu 
Mm  hatte,  ist  erwähnt  in  der  von  Sittl 
8tib.  d.  b.  Ak.  1888.  11,  S.  275,  und  Piccolo- 
«Ri  Herrn.  25  (1890)  451  herausgegebenen 
Homervita. 

')  Schol.  ad  Hom.£' 216. 

*;  Strab.  p.  38.  Oitiert  wird  er  von  Di- 
^0«,  wie  es  scheut,  in  Schol.  Find.  0 1 33. 


')  Die  von  Athenaios  citierten  yXto<raai 
des  Seleokos  werden  vornehmlich  die  aXka 
(fvfifiixTa  des  Suidas  gewesen  sein.  —  Ein 
Seleukos  negl  ßinfv  wird  von  Harpokration 
p.  137,  14  citiert;  denselben  will  Meibb, 
Opusc.  II  152  u.  159  von  dem  Homeriker 
unterscheiden.  Vgl.  M.  ScHMinr,  Seleucus 
der  Homeriker  und  seine  Namensverwandten, 
Philol.  8,  436  ff.  Die  Fragmente  bei  Müller 
FHG  III  500;  vollständiger  bei  Max  Möller, 
De  Seleuco  Homerico,  Gott.  Diss.  1891.  Bapp, 
Comm.  Ribbeck.  258  ff.  weist  nach,  dass  die 
Abschnitte  des  Athenaios,  welche  sympoti- 
schen  oder  verwandten  Inhalt  haben,  aus 
Seleukos  genommen  sind;  dagegen  M.  Müller 
a.  0.  24  ff. 


606 


Grieohisohe  Idtterainrgeschichie.    U.  HaohklasBiaohe  Litteratnr. 


Nächte  des  Nordens  bezog  und  im  Gegensatz  zu  Eratosthenes  und  Aristarch 
die  Irrfahrten  des  Odysseus  in  das  äussere  Meer  verlegte.^)  Auch  in  der 
grammatischen  Theorie  stellte  er  sich  als  Gegner  des  Aristarch  auf  Seite 
der  Anomalie.  Verdienstlicher  waren  seine  Bemühungen  für  Bereicherung 
und  Katalogisierung  der  pergamenischen  Bibliothek,  wenn  auch  die  Kata- 
loge der  Pergamener  nicht  ausschliesslich  sein  Werk  waren.  Mit  diesen 
hingen  seine  ästhetischen  Beurteilungen  der  Autoren  zusammen,  wovon 
uns  ein  poetisches  Denkmal  in  einem  Epigramm  der  Anthologie  XI  218 
erhalten  ist.*)  Eine  reiche  Quelle  für  die  Späteren  bildete  sein  glosso- 
graphisches  Werk  n€Ql  'Artixrjg  diaXextoVy  von  dem  Athenaios  p.  497  e  ein 
5.  Buch  anführt.  Auch  um  Förderung  der  Erdkunde  bemühte  er  sich  im 
Wetteifer  mit  den  Alexandrinern,  indem  er  im  Hofe  des  pergamenischen 
Museums  einen  Erdglobus  aufstellte.*)  Von  grösstem  Einfluss  für  die  Entr 
Wicklung  der  Grammatik  in  Rom  war  sein  Aufenthalt  in  der  Hauptstadt 
des  römischen  Reiches  im  Jahre  167,  wovon  Sueton  de  gramm.  2  berichtet: 
Grates  MaUota  Arisfarcki  aequalis  missus  ad  senatum  ab  Ättalo  rege  . . .  cum 
regione  Palatii  prolapsus  in  cloacae  foramen  crus  fregisset,  per  omne  Uga- 
tionis  simul  et  valetudinis  tempus  plurimas  acroasis  subinde  fecit  assidueque 
disseruü  ac  nostris  exemplo  fuit  ad  imüandum. 

C.  Wachsmuth,  De  Gratete  Mallota,  ups.  1860. 

Zu  den  aus  der  pergamenischen  Schule  des  Krates  hervorgegangenen 
jüngeren  Gelehrten  gehören:  Zenodot  aus  Mallos,^)  der  gegen  die  Athe- 
tesen  Aristarchs  schrieb;  Demetrios  Ixion,  der  gleichfalls  gegen  Ari- 
starch polemisierte,  aber  auch  Teile  der  grammatischen  Techne  bebandelte; 
Herodikos  aus  Babylon,  dessen  Koififpdovfisva  öfters  Athenaios  anführt^) 
und  von  dem  uns  Athenaios  p.  222  a  ein  beissendes  Epigramm  auf  die 
Silbenstechereien  der  Aristarcheer  erhalten  hat;  Alexander  Polyhistor, 
von  dem  ich  unten  genauer  handeln  werde ;  Artemon  von  Pergamon,  der 
einen  Kommentar  zu  den  auf  Sikilien  bezüglichen  Siegesliedern  Pindars 
schrieb  und  der  vielleicht  eine  Person  mit  dem  Klazomenier  Artemon,  dem 
Verfasser  einer  Schrift  über  Homer  und  der  ^Qqoi  EXa^o/nevioav^  war.^)  In 
den  Kreis  der  Pergamener  gehören  auch  die  beiden,  von  Suidaa  in  einem 
konfusen  Artikel  durcheinander  geworfenen  Grammatiker  Asklepiades.^) 
Der  erstere  gehörte  der  älteren  Zeit  an  und  scheint  unter  Attalos  I  und 
Eumenes  H  gelebt  zu  haben;   der  zweite,   nach  seiner  Heimat  Myrleaner 


1)  GelliuB  XIV  6  u.  Seneca,  ep.  88. 

')  Vgl.  Brzoska,  De  canone  decem  orat. 
att.  p.  58. 

»)  MiJLLBK,  Geogr.  gr.  min.  II  428,  11  u. 
471,  17;  LuEBBERT,  Zur  Charakierlstik  des 
Krates  MaUotes,  Rh.  M.  11,  428  ff.;  Berges, 
Wiss.  Erdkunde  der  Griech.  III  113  ff.  Vol. 
Herc.  XI*  147  erwähnt  von  Erates  ta  nBQi 
xrjg  aq^aiqonoitagy  was  Usenbb,  Epicnrea, 
p.  410  auf  einen  Kommentar  des  Arat  be- 
zieht. 

*)  ZrjyodoTog  'JXeiav^Qevg  heisst  er  bei 
Suidas,  vermutlich  weil  er  in  Alexandria 
lehrte. 

*)    C.  Schmidt,    De    Herodico    Crateteo, 


Elbinger  Progr.  1886;  dass  er  vor  Didymos 
lebte,  der  ihn  benutzte,  bemerkt  Scbökb- 
KANN  Rh.  M.  42,  468;  dagegen  Susskihl  AI. 
Lit.  U  24. 

«)  Müller  FHG  IV  341;  üngbr,  Phüol. 
41,  650.  Die  /^üae«  tpo^fdiy^  P.  I  1  eiUfirt 
er  mit  der  Fabel,  Hieron  habe  dem  Pindar 
eine  goldene  Leier  versprochen;  damit  zeigt 
er  sich  als  ein  homo  pusilli  animi. 

^)  Verschieden  von  diesen  sind  der  oben 
§  257  erwähnte  Asklepiades  von  Tragiloa, 
und  ein  versifizierender  Asklepiadee,  ymi  dem 
TzBTZEs,  Chil.  IV  198  einen  hinkoiden  Jam- 
bischen Trimeter  anfOhrt. 


A.  AlezAadrinüicheB  Zeitalter.    3.  Die  Prosa,    o)  delehrte  Litteratur.    (§  438.)     607 

znbenannt,  lebte  nach  Dionysios  Thrax  ^)  in  der  Zeit  des  Pompeius  und 
war  ein  sehr  fruchtbarer  Schriftsteller,  der  die  beiden  Teile  der  Grammatik, 
den  sprachlichen  und  sachlichen,  in  gleicher  Weise  kultivierte  ;^)  angeführt 
werden  von  ihm  Jlavvodand^  ferner  Alyvnxiaxä^  Bi&vnaxä,  TovQdrjtavfag 
neQirjr^cig  und  das  umfangreiche  aus  mindestens  11  Büchern  bestehende 
Werk  ne^i  yQafifAauxwv,^)  auf  das  in  letzter  Linie  viele  litterarhistorische 
Artikel  des  Suidas  zurückgehen.^)  Scholien  haben  sich  von  ihm  zu  Homer 
und  Pindar  erhalten.*)  Auch  der  Grammatiker  Eukleides,  dessen  Schrift 
über  die  Teile  der  Tragödie  der  Byzantiner  Tzetzes  neQl  TQayixrjg  noir.aetoq 
(in  Westphals  Prolegom.  zu  Aeschylus  Tragödien  XI  ff.)  benutzte,  scheint 
der  pergamenischen  Schule  anzugehören. 

488.  Apollodoros,  Sohn  des  Asklepiades  aus  Athen, <^)  war  zugleich 
Schüler  des  Grammatikers  Aristarch  und  des  stoischen  Philosophen  Dio- 
genes von  Seleukia.  Ohne  als  kritischer  Forscher  den  älteren  Gelehrten 
Alexandriens  nahe  zu  kommen,  hat  er  gleichwohl  durch  das  Geschick  zu- 
sammenfassender Darstellung,  teilweise  auch  durch  die  Kunst  der  Yersi- 
fikation  seinen  Schriften  einen  grossen  Leserkreis  verschafft.  Seine  Studien 
galten  vorzugsweise  der  historischen  Seite  der  Philologie;  von  den  Schriften 
mql  2(6^Qo^'og,  neqi  'EnixceQfJiov,  n€Qi  hvfioXoyidv^  tisqI  rdv  'Ad-t]vrjaiv  hat- 
Qidwv^  negl  vscHv,  nsqi  yfjg,  nsgi  &e(üv,  Xqonxd  sind  es  in  aufsteigendem 
Grad  die  letzteren,  welche  Beachtung  und  Nachahmung  fanden.  Die 
Schrift  7t€Qi  vscov  war  ein  ausführlicher  sachlicher  Kommentar  des  home- 
rischen Schiffskataloges  in  12  B.;  gegründet  war  derselbe  auf  die  Vorar- 
beiten des  Eratosthenes  und  Demetrios  von  Skepsis,  für  Strabon  bildete 
er  eine  Hauptquelle.  ^)  Kompendiarischer  Natur  war  die  allgemeine  Geo- 
graphie, yijg  neqiodog  oder  neQ^rjriaig  betitelt,  in  iambischen  Trimetern.*) 
Von  derselben  werden  zwei  Bücher  citiert;  von  der  allgemeinen  Ver- 
breitung des  handlichen,  aber  schwerlich  von  Apollodor  selbst  herrührenden 
Kompendiums  zeugen  die  häufigen  Citate  bei  Stephanos  von  Byzanz,  der 
indes  nicht  den  Apollodor  selbst,  sondern  einen  von  dem  Grammatiker 
Epaphroditos  angefertigten  Auszug  benutzte.*)  Grossartig  angelegt  war 
das  Werk  negi  -i^eäv  in  24  B.,   worin   der  Verfasser  seine  stoischen  An- 

1)  Vgl.  Athen.  489a  und  Seztas  Empir.  1   Schiffskatalog  als  Quelle  Strabos,  Rh.  M.  32 
idv.  gramm.  I  72.  I   (1877)  267  ff.,  Schwartz  a.  0.;  über  die  Be- 


')  Ueber  sein  grammatisches  System 
Sextas  Empir.  adv.  gramm.  1 252:  'JaxXrjntddrjq 
^«'  x^  nsgi  yQttfAfxatixrii  XQta  (prjcag  r« 
n^xa  Tfjg  yqafdfdaitx^g  fiiqtj^  iBxy^xov  laro- 
9^6r   yQ€tfÄfA«ni,x6y ,    ohbq    dfjiKpoii^tav    itp- 

*)  Etym.,  M.  uni  dlxgoy, 

^)  Lbhbs,  De  Asclepiade  Myrleano,  in 
Herodiani  scripta  tria,  p.  428—448.  Yergl. 
Baus,  De  Said,  biogr.,  Jhrb.  f.  Phil.  Suppl.  XI 
457  ff.;  ScsBJfiBL  AI.  Lit.  II  15  ff.  Die  Frag- 
nenle  bei  MCllbb  FHG  III  298—306. 

*)  Yergl.  Werfeb,  Acta  philol.  Monac. 
n  5.38. 

*)  Artikel  von  Suidas;  Schwabtz  in 
Paoly-Wiaeowa  I  2855  ff. 

')  NiESSy   Apollodors  Kommentar  zum 


nutzung  durch  Diodor  im  Inselbuch  Bethe 
Herrn.  24  (1889)  402  ff. 

®)  Die  yijf  neQiodoSf  bezeugt  schon  von 
Strabon  p.  677,  erklären  Diels  Rh.  M.  31 
(1876)  9  ff.  und  Schwartz  bei  Wissowa  I 
2862  für  untergeschoben.  —  Der  Vers  war 
der  laxe  Trimeter  der  Komiker,  welchen 
Apollodor  für  das  Lehrgedicht  einführte  (s. 
Ps.  Skymnos  V.  34  und  Suidas  unt.  'j4noXX.\ 
nachdem  früher  der  daktylische  Hexameter 
herrschend  gewesen  war;  der  Griff  war  ent- 
schieden glücklich,  da  der  Hexameter  für 
diese  halbprosaische  Dichtungsgattung  zu 
feierlich  klang. 

»)  Steph.  Byz.  u.  Jvfjiij,  Vergl.  Niese 
Rh.  M.  32,  276. 


608 


Arieohiftohe  Litteraturgesohiohte.    II.  HaohklaMisohe  Litteratnr. 


schauungen  über  die  Natur  des  Mythus  entwickelte.  Die  Fragmente  zeigen, 
mit  welch  umfassender  Gelehrsamkeit  er  seine  Sätze  gestützt,  zugleich  aber 
auch,  wie  wenig  er  sich  über  die  etymologischen  Spielereien  der  Stoiker 
erhoben  hat.  —  Am  meisten  Namen  verschafften  unserem  Grammatiker  seine 
in  iambischen  Trimetern  abgefassten  ÄQonxd  in  4  B.^)  Dieselben  waren 
dem  König  Attalos  II  von  Pergamon  gewidmet  und  behandelten  nach  der 
Angabe  des  Ps.  Skymnos  V.  22  ff.^)  in  chronologischer  Ordnung,  mit  den 
Troicis  beginnend,  die  Ereignisse,  nicht  bloss  die  staatlichen,  sondern  auch 
die  litterarhistorischen,  von  1040  Jahren,  also  bis  auf  144  v.  Chr.  oder  bis 
auf  die  Unterwerfung  von  Makedonien  und  Achaia.^)  Auch  ins  Lateinische 
wurde  das  durch  Reichtum  und  Genauigkeit  ausgezeichnete  Buch  durch 
Cornelius  Nepos  übertragen,  worauf  sich  Catull  in  seinem  Widmungsgedicht 
an  Nepos  mit  den  Worten  bezieht:  ausus  es  unus  Italorum  omne  aevom 
tribus  explkare  chartis  doctis  Juppiter  et  laboriosis.  Die  litterarhistorischen 
Angaben  des  Buches  bildeten  die  Hauptquelle  der  Späteren,  so  dass  uns 
vieles  aus  demselben  durch  Diogenes  und  Eusebios  erhalten  ist.  Mannig- 
fache Schwierigkeiten  in  der  Benutzung  der  Fragmente  entstehen  nur  da- 
durch, dass  die  Zeitangaben  mit  /«yovc  und  rjxfxa^ev  mehrfache  Deutungen 
zulassen. 

Fragmente  gesammelt  von  Müller,  FHG.  I  428—469;  vermehrt  und  berichtigt  von 
Wacbsmuth,  Einl.  in  d.  alt.  Gesch.  131.  —  Rob.  Münzel,  De  Apollodori  negl  &€t5if  libris, 
Bonn  1883,  mit  Nachtrügen  von  Schwartz  bei  Wissowa  I  2873.  —  lieber  die  f&lsehlich  den 
Namen  des  Apollodor  tragende  BißXio&ijxtj  siehe  unten  §  576. 

439.  DionysiosThrax,  Schüler  des  Aristarch,  hat  in  der  Geschichte 
der  Philologie  einen  Namen  als  Verfasser  der  ersten  griechischen  Gram- 
matik {Ttx^rj  YQafAfiaTixrj),  Derselbe  hatte  in  Alexandrien  den  Aristarch 
gehört,*)  war  aber  dann  nach  Rhodos  übergesiedelt, 5)  wo  er  Lehrer  des 
älteren  Tyrannio  wurde.  Seine  Grammatik  war  als  reife  Frucht  aus  den 
textkritischen  Studien  der  Alexandriner  und  der  begrifEspaltenden  Dialektik 
der  Philosophen  hervorgegangen.  Die  älteren  und  berühmteren  Gram* 
matiker  hatten  sich  wesentlich  nur  mit  dem,  was  man  den  empirischen 
Teil  unserer  Wissenschaft  nennt,  abgegeben;  aber  die  Kritik  und  Text- 
erklärung hatten  allmählich  zur  Unterscheidung  der  Redeteile  und  zu 
Regeln  über  die  Abwandlung  der  Nomina  und  Verba  geführt.  Grössere 
Klarheit  kam  in  diese  Regeln  durch  den  Streit  über  Analogie   und  Ano- 


^)  Die  lateinische  Bearbeitmig  des  Nepos 
hatte  nur  3  B. 

*j  Derselbe  nennt  zwar  den  Apollodor 
nicht  mit  Namen,  kennzeichnet  ihn  aber  deut- 
lich; ich  setze  die  wichtigen  Verse  gleich  her: 

ßaaiXevaiy,  utv  rj  do^a  xal  jB^ytjxoxfov 
naQtx  ndciy  rifJilv  l^iuca  cft«  nayiog  (jiiyBi, 
Tüiy  AiTixüiy  r*?  yyrjaltoy  le  (piXoXoytayj 
ysyoytog  äxovaxrjs  Jioyiyovg  tov  Zxioixov, 
avyscxoXttxwg  6i  noXvv  'jQiazaQXH^  XQ^^^^t 
avyetd^tti*  dno  xrjq  Tgca'Cxijg  aXtScecag 
X^oyoyqaq>ltty  aim^ovatty  oc^Qt  tov  yvy  ßiovy 
ht]  di  XBüaagdxoyxa  ngog  xoig  j^U/oa^ 
wgiafÄ^ycDg  iU^exo  xxX, 
Vgl.  MüLLBB  PHa  I   praef.  XLIII;    ükgbb, 


Philol.  41,  602—651;  Dislb,  Untersnchimgen 
über  Apollodors  Chronik,  Rh.  M.  31  (1876), 
1  ff.;  Wachskütb,  Einl.  in  alt  Gesch.  131  ff. 

')  Schwierigkeit  machen  mehrere  Frag- 
mente, welche  Verhältnisse  vor  und  nach  den 
gegebenen  Endpunkten  berühren.  Siehe  Dislb 
Rh.  M.  31,  54  und  oben  §  405.  Sdbshibl  AI. 
Lit.  n  35  hilft  sich  mit  der  Annahme  einer 
zweiten  Ausgabe,  Schwartz  mit  der  einer 
jüngeren  Fortsetzung  um  120  v.  Chr. 

«)  Nach  £.  M.  277,  53  stellte  er  seinen 
Lehrer  Aristarch  mit  der  Tragödie  auf  der 
Brust  dar  Sid  x6  dnocxrj^l^eir  avxor  nn9tty 
xi^g  xQecy(pdi(*y, 

B)  Ath.  489  a  und  Strab.  p.  655. 


A.  AlexandriniBohes  Zeitalter.  8.  Die  Prosa,  o)  Gelehrte  Litteratnr.  (§§  439—440.)    609 

malie,  der  zwischen  den  Aristarcheern  auf  der  einen  Seite,  Erates  und 
Chrysippos  auf  der  anderen  geführt  wurde.  Die  Philosophen  aber  und 
vorzüglich  die  Stoiker,  welche  durch  die  Beschäftigung  mit  der  Logik  auf 
die  Zergliederung  der  Sprache  geführt  wurden,  drückten  der  heranwach- 
senden grammatischen  Theorie  ihren  Stempel  dadurch  auf,  dass  sie  nach 
der  Methode  der  Dialektik  überall  zuerst  auf  Feststellung  des  Begriffs 
(oQog)  und  dann  auf  die  Angabe  und  Erklärung  der  begleitenden  Eigen- 
schaften (ra  (fviJißeßrjxoray  td  nagendjULeva)  drangen.  Durch  das  Zusammen- 
wirken der  Grammatiker  und  Philosophen  erhielt  so  die  griechische  Gram- 
matik eine  ungleich  höhere  Vollendung  als  die  indische;  die  Inder  sind 
aber  die  einzigen  neben  den  Griechen,  welche  die  Sprachlehre  selbständig 
aasgebildet  haben.  Die  Grammatik  des  Dionysios  Thrax,  ein  Büchlein  von 
ganz  massigem  Umfang,  beginnt  mit  der  Definition  der  Grammatik  und 
ihrer  Teile  oder  Aufgaben  {dvayvwaig^  *f 'J}'^«^*?,  yXwarrwv  xal  IcxoQmv  äno- 
ioaiq,  hvfjioXoYia,  dvaXoyiaq  ixloyKffiogy  xQitfig  Troirjjuiariov)^  geht  dann  zur 
Lehre  vom  Accent  (Tovog),  der  Interpunktion  (crw/jui;),  den  Lauten  und 
Slben  [aro&x^Ta  xal  avXXaßal)  über,  um  schliesslich  in  ihrem  Hauptteil, 
ausgehend  von  den  verschiedenen  Redeteilen  (ovofia^  ^^^/*a,  /^^^o/ij,  ccq^qov, 
inwvvfu'a,  ngod'saig^  emQQtjfia,  (fvvisafiog),  die  Deklination  und  Konjugation 
abzuwandeln;  von  einer  Syntax  oder  gar  Stillehre  ist  noch  keine  Rede. 
Dass  Dionysios  Verfasser  des  Büchleins  sei,  ist  allerdings  schon  im  Alter- 
tum bezweifelt  worden,^)  und  Neuere  haben  gar  die  Abfassung  desselben 
in  die  Zeit  nach  Konstantin  herabrücken  wollen;^)  aber  dasselbe  lag  schon 
den  grossen  Grammatikern  der  Kaiserzeit,  ApoUonios  und  Herodian,  und 
dem  römischen  Grammatiker  Remmius  Palämon,  der  unter  Nero  ein  ähn- 
liches Kompendium  für  die  Lateiner  schuf,  in  seiner  heutigen  Gestalt  vor; 
es  kann  höchstens  nur  von  einigen  unbedeutenden  Zusätzen  die  Rede  sein.^) 
Weitläufig  kommentiert  wurde  dasselbe,  ähnlich  wie  die  Schulbücher  des 
Arat,  Donat  und  Hermogenes,  von  den  Grammatikern  des  beginnenden 
Mittelalters  Choiroboskos  oder  Heliodor,  Melampus  oder  Diomedes,  Stepha- 
nos,  Porphyrios;  im  Beginn  des  Mittelalters  widerfuhr  ihm  auch  die  Ehre, 
ins  Armenische  und  Syrische  übertragen  zu  werden. 

Zuerst  ediert  wurde  die  Grammatik  von  Fabbicius  in  Bibl.  gr.  t,  VII;  mit  SchoUen 
▼OD  luv.  Bekkeu  in  An.  gr.  t.  II,  Berl.  1816.  Hauptausgabe  von  Uhlio,  Lips.  1888  mit  Be- 
imtEong  der  besten  Codices  (Monac.  Yictorii  n.  310  und  Leid.  76)  und  der  alten  Ueber- 
aetzangen;  dazu  Nachträge  von  Eoenolff  Jahresber.  d.  Alt.  XIV  1, 116  flf.  —  Hobrsohblmann, 
DeDionyaii  Thracis  interpretibus,  Lips.  1874;  Hiloabd,  De  artis  gramm.  ab  Dionysio  Thrace 
coDipoeitae  interpretibus  veteribus,  Progr.  Heidelberg  1880. 

440.  Alexander  Polyhistor,  aus  Milet,  nach  andern  aus  Myndos, 
einem  Städtchen  Kariens,*)  gehörte  der  grammatischen  Schule  von  Pergamon 
an.  Als  Kriegsgefangener  zur  Zeit  des  Sulla  nach  Rom  übergeführt,  ward  er 
von  Cornelius  Lentulus  in  Freiheit  gesetzt  ^)  und  erhielt  von  demselben  den 

*)  Bekker  An.  gr.  p.  672.  '   Apoll.  Rhod.  I^  925 :  iajv  xal  xj^Q^ovriaog  Ka- 

*)  Göttuno  zu  Theodosius  p.  V.  '    ^t«?,    iy&ey   tjy   'AXi^aydqog  6   nsgi    Kagiag 

V^.   M.  Schmidt  PWlol.  VII  (1852)      yqa^ng,    Stephanos  Byz.  erwähnt  ihn  weder 
.  unter  Af/Ai/r  Off  noch  unter -/lft»V<foff.  lieber  die 

versuchte  Unterscheidung  der  beiden,  des 
Cornelius  Alexander  Polyhistor  und  des  Ale- 
xander Myndius  gleich  nachher. 

*)  Suidas:    'AXi^ay^Qog  KoQyijXiog,    ffiött 
KoQyfjXLtf)  A€ytovX<fi   aixf^aXoDjiadsig  inqa&fj 


360  ff,  Vlil  (1858)  231  flf.,  510  flf. 

^)  Suidas  nennt  ihn  einen  Milesier,  viel- 
leicht weil  Milet  die  bedeutendeste  Stadt  der 
Gegend  war.  Plutarch,  Aelian,  Diogenes 
eitleren  ihn  immer  als  Alexander  Myndius 
oder  Alexander  schlechthin.    Vgl.  Schol.  ad 


Handtmch  der  Unn.  Altertumswlatenschaft.    vn.    U.  Aufl.  39 


610 


Grieohisohe  Idtteratnrgeschiohte.    IL  Jachkla««sdhe  Litterator. 


Gentilnamen  Cornelius,  i)  Er  starb  hochbejahrt  bei  einer  Feuersbninst  in 
Laurentum;  einer  seiner  jüngeren  Schüler  war  der  unter  Augustus  blühende 
Grammatiker  und  Bibliothekar  Hygin.^)  Ein  Mann  von  ungewöhnlicher  Viel- 
seitigkeit schrieb  er  unzählige  Werke  {ßißh'a  ägi^iiov  xQshxm  Suidas),  die 
aber  mehr  auf  wüster  Kompilation  als  auf  kritischer  Forschung  beruhten. 
Die  meisten  derselben  gehörten  der  geographisch-historischen  Periegese 
an,  so  die  Alyvmiaxd^  Atßvxd^  'Ivdixüy  Kgr/rixa,  negi  Kaqiag^  negi  Awuccq, 
TtBqi  Q>Qvyiaq^  nsQi  2vQiag,  nsgl  Biv^wia^,  Ttegi  Ev^eivov  novxoVy  negl  Ki- 
hxiag^  n€Ql  UatpXayoviaq^  neqi  *lXXvQ(ag^  negi  ^iovdcUwVy^)  Xaldaixdy  negi 
^Pbofirjg,  nsgl  twv  naq  ^AXxfJiävi  romxcog  elQrjfJtävav,  negi  Tor  iv  JsX^fUg 
XQrjCTrjQiov,^)  Auch  ein  Kompendium  der  Nachfolgen  in  den  Philosophen- 
schulen, das  unter  andern  Diogenes  Laertios  benutzte,  verfasste  der  viel- 
schreibende Polyhistor.  Von  einer  rein  grammatischen  Schrift  hören  wir 
durch  Ps.  Herodian.^) 

Unter  dem  Namen  des  Alexander  kursierten  im  Altertum  auch  natur- 
geschichtliche  Schriften:  eine  Tiergeschichte  in  mindestens  3  B.,  deren 
2.  Buch  speziell  von  den  Vögeln  handelte,  eine  Sammlung  wunderbarer 
Geschichten  aus  der  Tier-  und  Pflanzenwelt  {t^avfiaaiwv  avrayioytj)^  die 
noch  dem  Photios  Bibl.  cod.  188  vorlag,«)  Mv&ixd  in  mindestens  9  B., 
deren  Hauptinhalt  die  Verwandlungssagen  bildeten,  endlich  ein  Traumbuch^ 
dessen  zu  wiederholten  Malen  Artemidor  in  den  uns  erhaltenen  "Or^i^o- 
xQiTixd  gedenkt.  Auch  diese  Schriften  tragen  den  gleichen  Stempel  un- 
kritischer Kompilation  und  weisen  auch  auf  die  gleiche  Entstehungszeit 
hin,  werden  aber  von  Susemihl  und  Wellmann  nach  dem  Vorgange  Freuden- 
thals, Hellenistische  Studien  H  204,  einem  homonymen  Autor,  dem  Ale- 
xander Myndius,  zugewiesen. 

Fragmente  gesammelt  bei  Müller  FHG  III  206 — 244.  —  Hullamak,  De  Com.  Ale- 
xaDdro  Polyhistore  in  Mise,  philol.,  Utrecht  1849;  Freüdenthal,  Hellenistische  Stadien  1.  a. 
2.  Heft  bespricht  die  Fragmente  bei  Eusebios. 

441.  Demetrios  aus  Magnesia, 7)  älterer  Zeitgenosse  des  Cicero  und 
Freund  des  Attikus,  hatte  für  die  Litteraturgeschichte  eine  grosse  Bedeu- 
tung als  Verfasser  des  Buches  ntql  dfiwvvfAwv  noitjTfov  xal  cvyyQa^äiav. 
Da  es  nämlich  mit  der  Zeit  eine  Unmasse  von  Dionysioi,  Demetrioi,  Ptole- 
maioi  in  der  Litteratur  gab,  so  steUte  es  sich  Demetrios  in  jenem  Buche 
zur  Aufgabe,  die  verschiedenen  Dichter  und  Gelehrten  gleichen  Namens 
voneinander  zu  unterscheiden.     Wie  er  dieses  that,  erhellt  noch  deutlich 


xttl  ttvii^  Ttaidayioyog  iyeveto.  Aehnlich 
Servins  zu  Yerg.  Aen.  X  388.  Siehe  indes 
Ungeb  Phil.  47  (1889),  177  flf.  Dagegen 
ScHWARTZ  bei  Wissowa  1  1449. 

»)  Ob  der  von  Plut.  Crass.  3  als  Be- 
gleiter des  Crassas  erwähnte  Peripatetiker 
Alexander  mit  unserem  Polyhistor  identisch 
sei,  ist  bestritten. 

')  Sueton  de  gramm.  ill.  20. 

')  Von  dem  Buche  über  die  Juden  sind 
uns  mehrere  interessante  Bruchstücke  bei 
Eusebius  erhalten. 

*)  Dass  darauf  Paus.  X  12  zurückgeht, 
weiset  Maass,  De  siby  Ilarum  indicibus,  p.  12  ff. 
nach. 


*)  Ps.  Herodian  Philet  am  Schlnsa:  xai 
'jXc^äydgt^  r^o  KoQrfjXiw  (r^  xoi^rjr^  codd., 
em.  Studemund)  cvyyeyQantai  ewray/iaritkr, 
iv  (ff  TioXXa  rovtoig  cv/itpfgerai. 

* «)  Aus  ihr  führt  Athen.  221  die  merk- 
würdige Stelle  von  den  Gorgonen  an,  welche 
die  Soldaten  des  Marius  im  joguithinisdien 
Kriege  beobachtet  haben  wollten.  —  Wbll- 
MANN,  Ueber  Alexander  von  MyndoB,  Herrn. 
26  (1891)  480  ff.  weist  nach,  wie  viel  die 
Späteren  und  insbesondere  Aelian  ans  der 
Naturkunde  unseres  Alexander  geschöpft 
haben. 

')  ScREUBRLBBB,  De  Demetrio  MafDete. 
LB.  1858. 


A.  AlezAadriniBcbeB  Zeitalter,  d.  Die  Prosa,  o)  Gelehrte  Litteratnr.  (§§  441—443.)     611 

aus  einem  längeren  Artikel  desselben  bei  Dionysios  Halic.  de  Dinarcho 
c.  1.  Das  Werk  ist  viel  von  den  Späteren,  wie  Diogenes,  Plutarch,  Athe- 
naios,  benutzt  worden,^)  woraus  sich  erklärt,  dass  das  Verzeichnis  der 
homonymen  Autoren  in  unseren  Litteraturgeschichten  von  Cicero  an 
aufhört,  oder  doch  spärlicher  wird.  Eine  ähnliche  Aufgabe  stellte 
sich  Demetrios  auch  in  dem  seltener  angefahrten  Buche  ttsqI  ofKovvfuav 
noXewv. 

442.  Tyrannio  der  ältere,  ein  Schüler  des  Dionysios  Thrax,*) 
stammte  aus  Amisus  in  Kleinasien  und  war  als  Kriegsgefangener  im 
mithridatischen  Krieg  nach  Rom  gekommen,  wo  er  durch  seine  Gelehr- 
samkeit und  die  auserlesenen  Schätze  seiner  Bibliothek  zu  grossem  An- 
sehen gelangte,  üsener's  Scharfsinn  hat  in  ihm  den  gelehrten  Berater 
des  Atticus  in  der  Herausgabe  griechischer  Autoren,  wie  des  Aristoteles 
und  Theophrast,  erkannt  und  auf  ihn  die  zerstreuten  Reste  eines  auf  der 
YiergUederung  beruhenden  Lehrgebäudes  der  Grammatik  zurückgeführt.^)  — 
Der  jüngere  Tyrannio,  der  im  Kriege  des  Antonius  und  Cäsar  in  Kriegs- 
gefangenschaft geraten,  dann  aber  in  Rom  von  Terentia,  der  Gattin  Ciceros, 
frei  gelassen  worden  war,  trat  in  die  Fusstapfen  des  älteren,  indem  er 
unter  anderem  eine  i^riyr^iq  tov   TvQuvviayvog  fieQiajutov  schrieb.*) 

Derselben  Zeit  gehören  an  der  Rhodier  Aristokles,  den  Strabon 
p.  655  als  einen  Gelehrten  seiner  Zeit  bezeichnet  und  dessen  gelehrtes 
Werk  über  die  äusseren  Verhältnisse  der  Dichtkunst,  über  Chöre  und 
Wettkämpfe,  eine  Hauptquelle  des  Didymos  und  der  Späteren  war  ;'^)  ferner 
der  Grammatiker  Zenon  aus  Myndos,  von  dem  es  auch  Epigramme  gab 
(Diog.  7,  35)  und  der  wie  sein  Landsmann  Alexander  die  historische 
Seite  der  Grammatik  kultivierte;  ein  4.  Buch  t(5i'  evd-vvwv  {i&vixwv  em. 
Preger)  ißt  von  ihm  erwähnt  in  Cramers  An.  Ox.  III  350. 

448.  Didymos  aus  Alexandria  lebte  in  der  Zeit  des  Antonius  und 
Cicero,  bis  in  die  Regierungszeit  des  Kaisers  Augustus  hinein.^)  Seine 
Bedeutung  bestand  darin,  dass  er  einesteils  in  zahlreichen  Schriften  die 
Arbeiten  der  Früheren  zusammenfasste,  andemteils  die  Verpflanzung  der 
gelehrten  Studien  von  Alexandria  nach  der  Hauptstadt  des  römischen 
Weltreiches  inaugurierte.  Mit  eisernem  Fleisse,  der  ihm  den  Beinamen 
XahcävreQog  eintrug,  schrieb  er  eine  Unmasse  von  Büchern  zusammen, 
angeblich  mehr  als  3500,^)  so  dass  er  zuletzt  seine  eigenen  Kinder  nicht 


')  Dass  auch  Snidas  oder  Hesychios  Mil. 
den  Demetrios  direkt  benutzt  habe,  bestreitet 
mit  Recht  Daub  de  Snid.  biogr.,  Jahrb.  fOr 
PhiL  Snppl.  XI  470  ff. 

')  Snidas  unt.  TvQayyltoy  and  Jioyvaiog 
'AU^ayd^evK  SqucB.  Planrr,  De  Tyrannione 
grtmmatico,  Berlin  1852  Progr. 

*)  UsBUBB,  Ein  altes  Lehrgebäude  der 
Pbflologie,  in  Sitzungsb.  d.  bayer.  Akad.  1892 
S.  582  ff: 

*)  Snidas  nnt.  TvQayyitoy  führt  ausserdem 
TOD  ihm  an  ns^i  i'^g  'OufjQixi^g  n^oat^dlag, 
nc^   jiiy  fACffiov  tov    XoyoVf   negi    r^c  'Po*- 


(jLalxijg  diaXexTov  oji  iatly  ix  T^g  *EkXf]~ 
yixrjg  xai  ovx  avOtycnjg. 

»)  Bapp,  Leipz.  Stud.  VIII  87—107  be- 
leuchtet das  Verhältnis  von  Didymos  zu  Ari- 
stokles. Bei  Ath.  620  d  ist  nach  Rohdes 
Vermutung  'J^icioxk^g  aus  'AQtaro^eyog  ver- 
derbt. 

*)  Suidas:  Jidvfiog  JidvfAov  laQixonaiXov, 
yqafjifjittxixog  'AqMTttQX^^'^^i  '^Atlaydjpet'f,  ya- 
yoytog  inl  ^Jyjtjylov  xal  Kixeqioyog  x«i  iutg 
Avyovüxov. 

')  Suidas,  Ath.  139  c,  Seneca  ep.  88,  37. 


39* 


612 


Grieohisohe  LitieratargeBohiohte.    II.  NaohklmsBisobe  litieratar. 


mehr  kannte   und   mit   beissendem   Spott  ßißhokd&ccq  genannt  wurde. ^) 
Seine  meisten  Bücher  waren  Kommentare,  mit  denen  er  fast  alle  Dichter- 
autoren versah.     Die  erhaltenen  Scholien  zu  Homer,   Pindar,  Sophokles, 
Euripides,   Aristophanes    gehen   zum    grossen  Teil   auf  ihn  zurück.    Die 
Zeitgenossen  werden  aus  ihnen  wenig  Neues  gelernt  haben ;  für  uns  haben 
sie  den  hohen  Wert,  dass  wir  aus  ihnen  fast  allein  näheres  über  die  ge- 
lehrten Forschungen  der  Alexandriner,  namentlich  des  Aristarch  erfahren. 
Didymos  war  eben  ein  Mann  von  stupendem  Fleiss,  aber  von  geringer 
Urteilskraft  und  zweifelhafter  Verlässigkeit,  so  dass  uns  z.  B.  bei  Homer 
die  kurzen  Notizen  des  Aristonikos  über  die  Textesrecension  des  Aristarch 
ein  ungleich  besserer  Führer  sind  als  die  breiten  Noten  des  Didymos.    Bei 
den  Römern  freilich,  welche  die  ganze  Gelehrsamkeit  der  Alexandriner  nur 
durch  ihn  kannten,  galt  er  als  grammaticorum  facüe  erudUissimus  omnium- 
que  quique  sint  quique  fuerint  instructissimus  (Macrob.  Sat.  V  18).  —  Eine 
nicht  minder  ergiebige  Fundgrube  für  die  späteren  Grammatiker  der  Eaiser- 
zeit  waren   die  lexikalischen   Sammlungen  unseres  Didymos,  welche  sich 
nicht  bloss  auf  die  Dichter,   sondern  auch  auf  die  Historiker  und  Redner 
erstreckten    und    nach    Schriftstellern   und    Litteraturgattungen   angelegt 
waren;*)  erwähnt  werden  unter  andern  Xt^eig  Tgayixai,  xo)fiixai\  ^InnoxQa- 
Tovg,    Leider  sind  die  in  jenen  Werken  aufgehäuften  Schätze  nur  in  sehr 
verkürzter,  zum  Teil  entstellter  Gestalt  durch  die  Mittelstufe  des  Diogenian 
und  Hesychios  auf  uns  gekommen.  —  In  das  Gebiet   der   grammatischen 
Techne  gehörten  die  Bücher  nsgl  oQx^oyQatplaq  und  nagl  naO^wv.     Für  die 
Litteraturgeschichte  von  Bedeutung  war  sein  Buch  neql  noirjtm'^  oder  wie 
es  mit  dem   genaueren  Spezialtitel   citiert  wird,   ttsqI  Av^txoJv  noiijwv^  in 
welchem  von  den  einzelnen  Gattungen  der  Poesie,  Hymnus,  Elegie,  Päan, 
und   den  Hauptvertretem   derselben   gehandelt  war.     Die  Sätze  und  An- 
gaben   desselben   gingen   zumeist   in   die  litterarhistorischen  Bücher   der 
Späteren,  wie  insbesondere  des  Proklos  über.»)    Litterarhistorische  Fragen 
waren  neben  anderen  berührt  in   den  2vfjino<naxd,   die  wegen   ihres  ge- 
mischten Inhaltes  auch  Svfifiixra  hiessen  und  gewiss  auch  dem  Athenaios 
für  sein  Sophistenmahl  reiche  Ausbeute   gegeben  haben;   Didymos   selbst 
hat   dabei   hauptsächlich   die    sorgfältigen  Untersuchungen   des   Rhodiers 
Aristokles  benutzt.  —  Endlich  schrieb  unser  Grammatiker  noch  über  manche 
andere  Dinge,   wie   über  Sprichwörter  (ttsq!  nagoifii^v),   wunderbare  Ge- 
schichten (?*r?;  taxoQia),  die  Gesetzestafeln  des  Selon  (neqi  %6iv  a^ovatv  %mv 


»)  Athen.  139  c;  Quintil.  I  8,  19. 

')  Naber  ad  Phot.  lex.  I  9  nimmt  an, 
dass  erst  der  Schüler  des  Didymos,  Theon, 
aus  den  verschiedenen  li^u^  seines  Lehrers 
ein  alphabetisch  geordnetes  Lexikon  angelegt 
habe.  Das  durch  Miller,  M^l.  399—406 
bekannt  gewordene  Lex.  Platonicum  hat  nicht 
unseren  Didymos,  sondern  den  Akademiker 
Didymos  Areios  zum  Verfasser. 

•)  Aehnliche  Werke  litterarischen  In- 
haltes erschienen  um  diese  Zeit  von  Dio- 
nysios  aus  Phaseiis,  dessen  Buch  nsgl 
noirjrwy  im  Leben   des  Nikander  angeführt 


wird,  femer  von  Amphikrates,  dessen 
Buch  tibqI  h'do^tay  ayd^y  Athen.  576  c 
citiert;  denn  diesen  scheint  mit  Recht  Müller 
FHG  lY  300  mit  dem  gleichnamigen  Rhetor 
bei  Flutarch,  Luculi.  22  zu  identifizieren. 
Von  Didymos  oder  einem  zeitgenSasiachen 
Dichter  rührt  auch  die  Einteilung  der  Oden 
in  Tta^aiyertxaiy  vnoSeT^xal,  nQOTfeftTtrtxmy 
TtQoctptoyijtixal,  her,  von  der  sich  Spuren  in 
den  Scholien,  namentlich  zu  Horaz,  finden; 
s.  Christ,  Horatiana,  Sitzb.  d.  bayer.  Ak.  1893 
S.  103. 


Ba)  Römiaohe  Periode  Tor  Eonatantin.  1.  Allgemeine  Charakteriatik.  (§  444.)      613 

loiMvog  mTiyQa^tj  ngog  *J(fxXrjnidiriv) ;  auch  eine  Streitschrift  verfasste  er 
gegen  Ciceros  Bücher  de  republica. 

Die  Fragmente  gesammelt  von  M.  Schmidt,  Didymi  Ghalcenteri  fragm.,  Lips.  1854. 
—  Arth.  Ludwich,  Aristarchs  Homerische  Textkritik  nach  den  Fragmenten  des  Didymos, 
Leipsig  1885.  —  Wilamowitz,  Enr.  Herakl.  I  157  £f. 


B.  Römische  Periode 

a)  von    Augustus    bis    Konstantin. 

1.  Allgemeine  Charakteristik. 

444.  Der  Einfluss  Griechenlands  auf  Italien  und  Latium  geht  auf 
ferne  Zeiten  zurück ;  er  beginnt  mit  der  Kolonisation  von  Cumä  durch  die 
ionischen  Chalkidier  und  mit  den  alten  Handelsverbindungen  der  dorischen 
Kolonien  Sikiliens  mit  den  Völkern  Jilittelitaliens.  In  jenen  alten  Zeiten 
empfingen  die  Lateiner  von  den  Griechen  die  Schrift  und  die  Elemente 
höherer  Kultur,  wovon  uns  noch  heute  die  alten  Anlehen,  welche  die 
Sprache  Latiums  von  Griechenland  machte,  wie  nauta  =  vavtrjg,  guter- 
naior  =  xvßeQvdrag,  ancora  =  ayxvQa^  aplustre  =  a(pXaaxov^  vinum  = 
fHHvog^  malum  —  fiakov^  cera  =  xrjQog,  clavis  =  xXa/sig^  machina  =  fiaxavd, 
balneum  =  ßahveiov,  nummus  =  vovfifiog,  sprechendes  Zeugnis  ablegen.^) 
In  jener  alten  Zeit  erhielten  auch  bereits  die  Latiner  zusammen  mit  den 
£tniskem  Kenntnis  von  den  Heldengestalten  der  griechischen  Sage,  wie 
Hercules,  Castor,  Pollux,  Helena,  welche  Kenntnis  ihnen  hauptsächlich 
darch  die  Darstellungen  auf  importierten  Vasen  vermittelt  wurden,  wie 
ehedem  den  Griechen  die  Mythen  des  Orients  durch  die  Inselsteine.  Auch  mit 
Apollo,  dem  Wahrsagergott,  und  seinem  Orakel  zu  Delphi  trat  neben  Etrurien*) 
auch  Rom  früh  in  Verbindung,  indem  es  nach  der  Einnahme  von  Veji 
(396)  ein  Weihgeschenk  nach  Delphi  schickte  und  in  dem  Schatzhaus  der 
Massilioten  niederlegen  liess.*)  Von  Sikilien  kam  dann  auch  nach  Mittel- 
italien und  Rom  der  Kultus  der  dort  zumeist  verehrten  Gottheiten,  der 
Demeter  (Ceres)  und  Persephone  (Proserpina),  sowie  der  Dioskuren.*) 
Selbst  griechische  Maler  sollen  bereits  493  in  Rom  bei  der  Ausschmückung 
des  Cerestempels  mit  Wandfresken  thätig  gewesen  sein.^) 


')  Vgl.  Saalfeld,  Theeanrns  italo-graecus. 
HxLBio,  Sopra  le  relazioni  commerciali  degli 
Aienjesi  coli'  Italia,  Acad.  d.  Lincel  1889  p.  79 
bis  93. 

*)  Das  Orakel  des  Apollo  (Apln)  be- 
fragten bereits  537  die  etraskiscnen  Be- 
wohner von  Cftre;  s.  Herodot  1 167. 

')  Diodor  XIV  93;  weniger  genan  Livins 
V21,23. 


^)  Proserpina  kommt  schon  vor  m  einem 
alten  Weihgeschenk  der  Pftligner  in  sator- 
nischen  Versen  bei  Büchblbr,  Anth.  lat.  17. 
Im  allgemeinen  s.  Bbokbb-Mabquabdt,  Handb. 
d.  röm.  Alt.  IV  48  ff. 

^)  Plinius  n.  h.  85,  154;  vergl.  Urlichs, 
Malerei  in  Rom  vor  Cäsars  Diktator,  Wttrz- 
bmrg  1876. 


614 


QriechiBohe  Litteratnrgesohiohie.    IL  NachklassiBohe  Litteratnr. 


Aber  das  war  doch  alles  nur  oberflächliche  Berührung;   in  direkte 
Verbindung  mit  griechischer  Kultur  und  Litteratur  kam  Rom  erst,  als  es 
seine  Waflfen  gegen  die  griechische   Kolonie  Tarent  in  ünteritalien,  die 
blühende  Hauptstadt  Sikiliens,  Syrakus,    und  dann  in  weiterem  Verlauf 
gegen  Korinth  in  Griechenland  selbst  und   die  hellenistischen  Reiche  in 
Makedonien  und  Vorderasien  zu  tragen  begann.     Die  Hellenen  unterlagen 
in  jenen  Kämpfen  zum  zweitenmal  der  Gewalt  fremder  Waflfen   und  ver- 
loren damit  den  Rest  der  Freiheit,  den  sie  sich  nach  den  Siegen  Philipps 
und  Alexanders  noch  bewahrt  hatten.     Aber  die  Überlegenheit  der  gei- 
stigen Kultur  erwies  sich  doch  stärker  als  die  physische  Übermacht,  und 
mit  Recht  konnte   der  venusinische  Dichter  sagen:  Oraecia  capta  ferutn 
victorem    cepü    et  artes   intulü  agresti  Latio.     Wie   dieses  Verhältnis  ent- 
scheidend auf  die  Entwicklung  Roms  und   der  lateinischen   Litteratur,*) 
aber  auch  zersetzend  auf  die  alte  römische  Sitte  eingewirkt  hat,^)  dieses 
darzuthun  ist  hier  nicht  der  Ort.     Hier  interessiert  uns  das  Fortleben  des 
griechischen  Geisteslebens  in  dem  römischen  Reich  und  der  Einfiuss,   den 
ihrerseits  die  gewaltigen  Hilfsmittel  Roms  auf  die  griechische  Litteratur 
geübt  haben. 

446.  Die  Griechen  hatten  einst  unter  Alexander  und  seinen  Nach- 
folgern die  fremden  Länder  Asiens 'und  Ägyptens  vollständig  mit  ihrer 
Kultur  durchsättigt  und  die  Barbarenreiche  hellenisiert :  einen  solchen  Ein- 
fiuss vermochten  sie  nicht  mehr  gegenüber  Rom  auszuüben.  Dafür  waren 
sie  dieses  Mal  die  Besiegten,  nicht  die  Sieger,  dafür  war  auch  die  staat- 
liche Organisation  Roms  zu  fest  und  zu  gewaltig.  Die  Überlegenheit  der- 
selben fand  gleich  von  vornherein  bei  den  Einsichtsvollen  unter  den  Grie- 
chen, wie  Polybios,  Strabon,  Dionysios,  unbedingte  Anerkennung.')  Auch 
ersparte  das  Siegesbewusstsein  der  Römer  den  um  ihre  Gunst  buhlenden 
Griechen  nicht  die  demütigende  Stellung  unterwürfiger  Diener  {ChraecuUy 
Zwar  drangen  griechische  Ausdrücke  in  die  lateinische  Sprache  ein,  und 
mischte  nicht  bloss  Lucilius  griechische  Wörter  unter  lateinische,  sondern 
schrieben  auch  die  ältesten  Historiker^)  und  auch  später  noch  Sulla,  Gor- 
nutus,  Germanicus  ihre  Memoiren,  philosophischen  Aufsätze  und  poetischen 
Scherze  in  griechischer  Sprache.     Aber  das  waren  nur  vereinzelte  Fälle; 


^)  Ed.  Zarncke,  Der  Einflnss  der  grie- 
chischen Litteratur  auf  die  Entwickelung  der 
rönuBchen  Prosa,  in  Comment.  philol.  für  0. 
Ribbeck,  Leipz.  1888. 

*)  Am  schftrfsten  hat  den  bösen  Einflnss  der 
Griechen  der  alte  Cato  bei  Plinius  n.  h.  29, 
14  ausgedrückt:  quandoque  isla  gens  suas 
litteras  dabit,  omnia  corrumpet.  In  schwfir- 
sesten  Farben  malt  denselben,  allerdings  mit 
Bezug  auf  sp&tere  Verhältnisse  Juvenal,  in 
der  dritten  Satire.  Ein  erster  scharfer  Gegen- 
stoss  gegen  das  Eindringen  griechischer  Sitte 
bestand  in  dem  Verbot  der  Bacchanalien- 
feier 186  V.  Chr. 

')  Dionys.  De  erat.  ant.  S:  aitla  6'  olfxai. 
xttl  agxv  ^VS  xocavxrjg  uetaßoXijs  iyivsxo 
f^  navxwv  x^arovaa  ^Pio/itj,  ngdf  iaviijy 
ayayxdCovaa    xag    öXag    noXeis    anoßXineiy, 


xtti  ravTtjg  r'  avrijg  ol  SvyttiftBvorr§g  «tr* 
d^ettjy  xal  nno  rov  XQaxUtxov  rcr  xoiyd 
dioixovpTBg,  svnttldevToi  nayv  xai  yeyyaiM 
tng  xglffBig  yeyofiBvoi. 

^)  Dass  Q.  Fabiufi  und  L.  CinciiiB  ihre 
Historien  ursprOnglich  in  griechischer  Sprache 
schrieben,  bezeugt  Dion.  Hid.  ant.  I  6;  das 
Gleiche  berichtet  von  Aul.  Albinus  (Consnl 
151)  Macrobius  zugleich  mit  der  schlagenden 
Erwiderung  des  kernfesten  Römers  Cato,  Sa- 
turn, praef.  14:  Nam  »um,  inqmi  9c.  Alhimu, 
hämo  Bomanus,  niUus  in  Latio,  et  eloquium 
graecum  a  nobis  aJienisHmum  est;  ideoque 
veniatn  gratiamque  maiae  existimatiami»,  si 
quid  esset  erratum,  postulavit.  JEa 
legisset  M,  Getto:  ne  tu,  inquit,  Auie, 
nugator  es,  cum  maluisti  eulpam  ätfr^cari 
quam  culpa  vctcare. 


Ba)Bömiflohe  Periode  Yor  Konstantin.  1.  Allgemeine  Charakteristik.  (§445.)     615 

die  lateinische  Sprache  bewahrte  im  grossen  Ganzen  ihre  keusche  Rein- 
heit ebenso  wie  die  griechische,  i)  und  die  besten  Römer  schrieben  vor  wie 
nach  in  ihrem  vaterländischen  Idiom.  Hingegen  gewannen  griechische 
Lehrer,  Grammatiker  und  Philosophen  in  Rom  steigenden  Einfluss,  und 
verlegten  hervorragende  Gelehrte,  verlockt  durch  die  glänzenden  Aus- 
sichten, die  ihnen  in  der  reichen  Weltstadt  mit  ihren  grossen  Hilfsmitteln ') 
und  ihrer  bildungsdurstigen  Gesellschaft  winkten,  ihren  Wohnsitz  von  Ale- 
xandria und  Eleinasien  nach  Rom.  Schon  Polybios  weiss  von  den  vielen 
griechischen  Litteraten  zu  erzählen,  welche  in  der  Hauptstadt  des  römi- 
schen Reiches  zusammenströmten.^)  Die  Zahl  derselben  . mehrte  sich  seit 
Sulla,  so  dass  Strabon  XIV  p.  675  sagen  konnte  „Rom  ist  voll  von  Grie- 
chen aus  Tarsos  und  Alexandria".*)  Noch  mehr  steigerte  sich  der  Pro- 
zentsatz griechischer  Einwohner  Roms  unter  den  Kaisern,  von  denen  gleich 
die  ersten,  Augustus  und  Tiberius,  griechische  Philosophen  in  ihrer  Um- 
gebung zu  haben  und  mit  griechischen  Tischgenossen  gelehrte  Gespräche 
zu  f&hren  liebten.^)  Nach  und  nach  ist  so  Rom  eine  halbgriechische  Stadt 
geworden,  so  dass  sich  mit  Ingrimm  der  Römer  Juvenal  in  der  berühmten 
dritten  Satire  gegen  die  Qraeca  urbs  aufbäumte,  in  der  die  Hefe  Griechen- 
lands aus  allen  Teilen  der  hellenistischen  Welt  zusammenfliesse  und  den 
alten  ehrlichen  Römer  um  seine  Stellung  bringe.^)  Nicht  bloss  wurde  es 
in  der  vornehmen  Gesellschaft,  namentlich  bei  den  Damen,  Mode  griechisch 
statt  lateinisch  zu  sprechen,^)  auch  bei  den  öffentlichen  Festen,  wie  bei 
den  Säcularspielen  des  Jahres  17  v.  Chr.,  gab  man  der  griechischen  Lit- 
teratur  neben  der  lateinischen  einen  ebenbürtigen  Platz,  ^)  und  bei  dem 
im  Jahr  86  n.  Chr.  von  Domitian  eingeführten  kapitolinischen  Wettkampf 


')  Nur  in  dem  Briefstiel,  der  die  Nach- 
lisfligkeit  der  Umgangssprache  liebte,  er- 
laubte man  sich  häufiger  die  Einmischmig 
grief^ischer  Wörter.  Einzelne  technische 
AosdrCLcke  waren  schon  mit  Polybios  in  die 
griechische  Sprache  eingedrungen;  vgl.  Im- 
1I16CH,  De  glossis  lexici  Hesychiani  Italicis, 
Leipz.  Stud.  VIII  267-378. 

*)  Schon  Lucullus  hatte  viele  Bücher 
nach  Rom  gebracht  (Flui  Luc.  42);  Sulla 
Tetpflanzte  die  mit  philosophischen  Werken 
be^ns  ausgestattete  Bibliothek  des  Apelli- 
koD  nadi  Rom  (Strab.  p.  609).  Die  von 
Augustus  gegrfindete  Bibl.  PaJatina  hatte 
eine  griechische  Abteilung  und  einen  grie- 
cUschen  Bibliothekar.  Diodor  1  4  rfihmt 
ktoifAOjdzag  xal  nXslotag  afpo^fAag  'Pto/Ätjg. 

»)  Polyb.  82,  10:  noXv  ydg  dtj  u  <pvXoy 
«no  T^c  'EXXddog  ijif^gäoy  6q<o  xaxd  rS  nagoy 
tmv  xfnovTwv  dv^Qwntov,  d.  i.  t(öv  anovda' 
Corritfv  liBQi  td  fia^ij/Atfia.  Ueber  die  Stel- 
long  der  Römer  zu  dem  Guten  von  ander- 
wSrts  Arrian  tact  83:  ini  xi^Ss  d^ioi 
httiweiaSiU  *PtofjiaTM,  öxi  ov  xd  oixeta  xal 
Tir  ndx^a  ovxw  xi  ijyanfjifayy  oig  xd  navxd- 
XoHr  naXd  iniXeidfAeyoi  oixsia  CfpUny 
hoitjcayxo. 

*)  AxFB.  HiLLSCHBB,  Homtnum  Httera- 


torum  graec&rum  ante  Tiberii  mortem  in  urbe 
Roma  commorantium  historia  critica,  Jhrb. 
f.  kl.  Phü.  Suppl.  XVIII  355—444. 

')  Sueton  Aug.  89:  magütro  usus  ÄpoU 
lodoro  Pergameno,  deinde  eruditione  etiam 
varia  repletus  per  Arei  phUosophi  fUorum^ 
que  eins  Dionysi  et  Nieanoris  contubernium. 
Vgl.  Suet.  Tib.  56;  Claud.  42;  Plutarch  Mor. 
814  D.  Vgl.  FribdlIndbb,  Sittengeschichte 
Roms  m  275  fF. 

")  Juven.  8,  60:  non  possum  ferre  Qui- 
rites,  I  Graecam  urbem;  quamvis  quota  portio 
faecis  Ächaei?  I  iam  pridem  Syrus  in  Tiberim 
defluxit  Orontes.  Id.  3,  75 :  quemvis  hominem 
secum  attulit  ad  nos,  \  grammaticus  rhetor  geo- 
metres  pictor  aliptes  \  augur  sohoenobates 
medicus  magus,  omnia  novit  \  GraeetUus 
esuriens. 

')  Juven.  6,  186  £F.  Der  Graecomanie 
der  Frauenwelt  jener  Zeit  haben  wir  die 
französische  Modesucht  unserer  Damen  im 
vorigen  Jahrhundert  zur  Seite  zu  stellen. 

^)  Das  wissen  wir  jetzt  genau  aus  den 
aufgefundenen  Akten  jener  Sftkularspiele, 
worQber  Mommsen,  Ephem.  ejpigr.  VIII  225 
bis  815;  Christ,  Horatiana,  Sitzb.  d.  b.  Ak. 
1898  S.  146  ff. 


616 


GrieohiBohe  Litteratorgesohichte.    IL  HaohklaasiBohe  Lüteratnr. 


waren  f&r  griechische  Dichtungen  nicht  minder  als  für  lateinische  Preise 
ausgesetzt.  1)  Selbst  in  das  Staatsleben  und  die  öffentlichen  Urkunden 
drang  die  griechische  Sprache  ein,  indem  z.  B.  der  Kaiser  Augustus  sein 
politisches  Testament,  in  dem  er  von  seinen  Thaten  und  ßegierungsgrund- 
Sätzen  Rechenschaft  ablegte,  das  sogenannte  monumentum  Ancyranum  in 
lateinischer  und  griechischer  Sprache  abfassen  Hess.  So  hat  also  in  Rom 
die  griechische  Sprache  zwar  nicht,  wie  in  den  Diadochenstaaten,  die  ein- 
heimische verdrängt,  aber  doch  neben  ihr  sich  eingenistet  und  behauptet 
Auch  wir  werden  daher  in  der  Darstellung  der  griechischen  Litteratur 
der  römischen  Kaiserzeit  auf  die  nebenher  laufenden  Erscheinungen  der 
lateinischen  Litteratur  Bücksicht  nehmen  und  geeigneten  Orts  die  Licht- 
und  Schattenseiten  jeder  derselben  gegeneinander  abwiegen. 

446.    Die  römische  Kaiserzeit  von  Augustus  bis  zum  letzten  Kaiser 
Roms,  Romulus  Augustulus,  ist  so  wenig  für  die  Litteratur  wie   für  die 
polititsche  Geschichte  eine  einheitliche  Masse.     Wir  teilen  daher  die  Lit- 
teraturgeschichte   der  Kaiserzeit   in  zwei  Perioden,  in   die  Zeit  vor  Kon- 
stantin und  in  die  Zeit  nach  Konstantin.     Als  Scheidepunkt  wählen  wir 
die  Regierung  des  Kaisers  Konstantin,  da  mit  der  Gründung  eines  oströ- 
mischen, wesentlich  griechischen  Reiches  und  mit  dem  Übertritt  des  Kaisers 
Konstantin  zum  Christentum   eine   tiefgreifende  Änderung  im  Charakter 
der  Litteratur  eingetreten  ist.     Was  wir  in  unserer  ersten  Periode  be- 
handeln, ist  noch  wesentlich  auf  dem  Boden  der  alten  hellenischen  Welt- 
anschauung erwachsen  und  hängt  vielfach  noch   mit  den   geistigen  Be- 
strebungen der  alexandrinischen   Zeit  zusammen.     Besonders  im  Anfang 
dieser  unserer  Periode  begegnen  uns  noch  dieselben  Lebensbedingungen 
und  dieselben  Richtungen  der  Litteratur  wie  in  der  Diadochenzeii.     Die 
Grammatiker   Heliodor    und    Herodian   betrieben    dasselbe   in   Rom,    was 
Aristophanes  und  Aristarch  in  Alexandrien  betrieben  hatten,  und  die  ge- 
lehrten Institute   der   ägyptischen  Hauptstadt  sorgten  vor  wie  nach   für 
einen  tüchtigen  Nachwuchs  von  Lehrern  und  Gelehrten,  nur  dass  die  Sitze 
und  Freiplätze  der  römische  Kaiser,  nicht  mehr  der  König  aus  dem  Hause 
der  Ptolemäer  verlieh.')     Hingegen  riss  mit   der  Regierung  Konstantins 
und  der  Erhebung  des  Christentums  zur  Staatsreligion  der  Faden,  welcher 
die  Kultur  des  römischen  Reiches  mit  den  alten  Anschauungen  des  Grie- 
chentums verband.     Nur  in  einigen  wenigen  Zweigen  der  Litteratur   be- 
zeichnete auch  die  Regierung  des  Konstantin  noch  keinen  tiefen,  eine  völlige 
Trennung  rechtfertigenden  Einschnitt.    Wer  wollte  z.  B.  den  Origenes  von 
Eusebios  oder  die  Romane  vor  Konstantin  von  denen  des  untergehenden  Alter- 


^)  Schon  zuvor  berichtet  von  Kaiser 
Caligola  Sueton  Gal.  20:  certamen  quoque 
Graecae  Latinaeque  facundiae  in  Gallia 
Luguduni  edidit.  Vom  Kaiser  Vespaaian 
rtthmt  Tacitos  hist.  II  80 :  satis  decorus  etiam 
Graeca  facundia.  Von  öffentlich  ange- 
stellten Professoren  der  lateinischen  und  grie- 
chischen Beredsamkeit  berichtet  Sueton  im 
Leben  des  Yespasian  c.  18:  primus  e  fisco 
Grctecis  Latinisque  rhetaribus  annua  centena 
comtituü.    Auch  die  jüdische  Synagoge  und 


die  älteste  christliche  Gremeinde  Roms  be' 
diente  sich  der  griechischen  Sprache,  wes- 
halb die  Evangelien,  auch  die  in  Rom  ent- 
standenen, in  griechischer  Sprache  abgeCaast 
sind. 

>)  MoMMSBV,  Rom.  Gesch.  V  *  589  flL  Der 
ganze  5.  Band  des  grossen  Histoiikers  ist 
▼on  einziger  Wichtigkeit  f&r  die  Stellung 
des  Griechischen  in  den  einzelnen  ProYimen 
des  römischen  Reichs. 


Ba)B5]iiiBohePeriodeTOrEoiiBtantin.  LAllgemeineCharakteristik.  (§§446—447.)  617 


toms  scheiden?  Ausserdem  tritt  in  der  Philosophie  der  Umschlag  nicht 
erst  mit  Konstantin,  sondern  bereits  im  8.  Jahrhundert  mit  dem  Aufkommen 
der  mystisch-religiösen  Richtung  des  Neuplatonismus  ein.  Endlich  ist  es 
bei  mehreren  Schriften,  namentlich  bei  grammatischen  Kompendien  und 
versifizierten  Lehrbüchern  sehr  schwer  zu  bestimmen,  wann  sie  entstanden 
sind,  ob  noch  im  3.  Jahrhundert  oder  erst  gegen  Ende  des  Altertums, 
unter  solchen  Umständen  haben  wir  wohl  zwei  Teile  der  römischen  Periode 
unterschieden,  aber  zwischen  ihnen  keine  scharfe  Grenze  gezogen  und 
z.B.  den  Roman  insgesamt  in  die  zweite  Abteilung  verwiesen,  unbekümmert 
darum,  dass  die  Anfänge  dieses  Zweiges  der  Litteratur  schon  in  die  Zeit 
vor  Konstantin  fallen. 

447.  Auch  unsere  erste  Periode  selbst  trägt  keineswegs  einen  durch- 
weg einheitlichen,  gleichmässigen  Charakter.  Namentlich  trat  mit  dem 
Aufblühen  der  Sophistik  unter  Hadrian  und  den  Antoninen  ein  starker 
Unterschied  in  dem  geistigen  Leben  der  Griechen,  ja  des  ganzen  Reiches 
ein.  Doch  war  derselbe  immerhin  nicht  so  tiefgreifend,  dass  er  uns  zu 
einer  weiteren  Spaltung  der  Litteraturgeschichte  nötigte.  Wir  begnügen 
uns  daher  damit,  hier  in  der  allgemeinen  Einleitung  eine  kurze  Charakte- 
ristik der  politischen  Verhältnisse  zu  geben  und  den  Einfluss  derselben 
auf  den  Gang  der  Litteratur  in  grossen  Linien  zu  zeichnen. 

Unter  den  Kaisern  der  julischen  (30  v.  Chr.  bis  68  n.  Chr.)  und  flavi- 
schen  Dynastie  (69 — 96)  bewahrte  das  römische  Reich  bei  straffer  Konzen- 
tration der  Regierungsgewalt  seinen  ausgeprägt  römischen  Charakter.  Die 
Staatsgewalt  und  die  Gesetzgebung  blieben  in  römischen  Händen:  nur 
lateinische  Reden  wurden  im  Senat  und  in  den  Gerichtshallen  gehört;  nur 
Römer  konnten  es  unternehmen  zeitgenössische  Geschichte  im  grossen  Stil 
zu  schreiben ;  selbst  in  der  Poesie  fielen  die  höheren  Gattungen  des  Epos 
und  der  Satire  ausschliesslich  den  Römern  zu.  Den  Griechen  verblieb  die 
gelehrte  Litteratur,  die  Historie  der  älteren  Zeit,  die  leichte  Gattung  des 
Epigramms  und  des  Mimus.  Bezeichnend  ist  es  für  die  sprachliche 
Scheidung  der  Litteratur,  dass  der  Kaiser  Caligula  die  Geschichte  seines 
Lebens  und  des  bürgerlichen  Friedens  unter  Augustus  in  lateinischer, 
das  gelehrte  Werk  tyrrhenischer  und  karthagischer  Geschichte  in  griechi- 
scher Sprache  schrieb.  Keine  nachhaltende  Änderung  schuf  in  dieser  Be- 
ziehung die  Vorliebe  des  Kaisers  Nero  für  die  leichten  Seiten  des  grie- 
chischen Lebens ;  sein  Auftreten  als  Citharöde  und  Schauspieler  blieb  ohne 
Wirkung,  der  römische  Geist  war  noch  stark  genug,  um  diesen  kaiser- 
lichen Komödianten  von  sich  abzustossen.  Wirkungsvoller  war  die  von  ihm 
verkündete  Befreiung  Griechenlands.  Denn  war  auch  an  der  Sache  viel 
eitler  Wortschwall,  so  ward  doch  damit  das  autonome  Leben  der  griechi- 
schen Städte  begründet,  was  selbst  ein  Plutarch,  der  sicher  über  jeden 
Verdacht  der  Schmeichelei  erhaben  ist,  mit  aufrichtigem  Danke  aner- 
kannte.^) —  Weit  besser   für   die  Griechen   gestalteten  sich  die  Verhält- 


*)  Plut.  De  Bera  num.  vind.  567  F:  otpsl- 
Uff^a»  Sä  rt  xai  /^lyaroi'  avTcJ  {Nigayt) 
Ti«Qa  9€ufy,    ort  joSy  vntjxofay   t6   ßeXttaroy 


xat    d60(fiXeataxoy    yivog   rjXBvd^iQioae,    rrjy 
'EXXada. 


618 


Orieohisohe  LitteraturgeBchiohie.    II.  HaohUasaisol^e  Lüteratnr. 


nisse  unter  Trajan  und  seinen  Nachfolgern.     Trajan  zwar  war  noch  zn 
sehr  durch  kriegerische  Unternehmungen  in  Anspruch  genommen,  als  dass 
er  für  die  Künste  des  Friedens  und  die  von  ihm  hochgeachtete  griechische 
Litteratur  viel  zu  thun  vermochte.    Aber  immerhin  kam  der  kräftige  Ann 
der  wieder  erstarkten  römischen  Eaisergewalt  auch  dem  Griechentum  zu- 
gut  und  schützte  derselbe  namentlich  die  zerstreuten  griechischen  Städte 
an  den  äussersten  Grenzen  des  Reiches,  wie  Seleukia  am  Euphrat,  die 
PentapoHs  in  Mösien,  die  Bosporaner  an  den  Nordgestaden  des  schwarzen 
Meeres,   vor  den  Übergriffen  der  angrenzenden  Barbaren.     In  Pergamum 
zeugen  heutzutage  noch  die  Reste  des  nach  dem  Kaiser  genannten  Pracbt- 
baus  Traianeum  von  der  werkthätigen  Gunst,  welche  Trajan  der  griechi- 
schen  Kunst  und    Bildung   zuwandte.     Mehr   aber   hat   sein   Nachfolger 
Hadrian  (117 — 138)  für  das  Wiederaufblühen  griechischen  Geistes  gethan. 
Derselbe  trug  eine  entschiedene  Vorliebe   und  ein  feines  Verständnis  für 
griechische  BUdung  zu  Schau;  derselbe  unternahm  es  zugleich,  die  Reichs- 
gewalt zu  decentralisieren  und  neben  Rom   die  Städte  der  Provinzen  und 
nicht  am  mindesten  Athen  zu   selbständigem  Leben  gelangen  zu  lassen. 
Den  grösseren  Teil  seines  Lebens  brachte  er  ausserhalb  Roms  zu,  zwei- 
mal verweilte  er  zu  längerem  Aufenthalt  (123 — 6  u.  132 — 3)  in  Griechen- 
land und  in  der  alten  Bildungsmetropole  Athen.    In  kaiserlicher  Freigebig- 
keit schmückte  er  Griechenland  mit  Werken  der  Kunst,  baute  neue  Tempel, 
wie  den  Kolossaltempel  des  olympischen  Zeus  in  dem  nach  ihm  benannten 
Stadtteile  Athens,  und  restaurierte  alte  Stätten  des  Geisteslebens  Griechen- 
lands,   wie    das  Dionysostheater  in  Athen    und    den  Mysterientempel   in 
Eleusis,  leitete  auch  selbst  als  Agonothet  gymnische  und  musische  Wett- 
spiele, i)     In  Rom  selbst  erbaute  er,  gleichsam  Hellas  nach  der  Reichs- 
hauptstadt verpflanzend,    ein  Gymnasium   mit  dem  Namen  Athenaeum.') 
Das  alles  konnte  nicht  verfehlen,  das  Griechentum  zu  neuem  Leben  zu  er- 
wecken und   auch  der  griechischen  Litteratur  neue  Bahnen  zu  eröffnen. 
Freilich  die  geheimnisvolle  Macht  echter  nationaler  Geistesgrösse  vermag 
auch  die  freigebigste  Unterstützung  einzelner  Gönner  nicht  hervorzuzaubern, 
und  die  rhetorische  Sophistik,  welche  unter  der  Gunst  Hadrians  und  seiner 
Nachfolger  erblühte^  war  nur  ein  sehr  schwacher  Abglanz  der  Beredsam- 
keit des  alten   freien  Hellas.  —  Die   durch  Hadrian  inaugurierte  Neube- 
lebung der  griechischen  Litteratur  erhielt  sich  unter  dessen  Nachfolgern^ 
den  friedliebenden  und   edelgesinnten  Antoninen   (138—180),   von   denen 
Antoninus   Pius  Lehrstühle  der  Rhetorik   allwärts  im  Reiche   gründete,^) 
und  Marc  Aurel  selbst  als  griechischer  Schriftsteller  mit  seinen  Selbstbe- 
trachtungen auftrat.     Die  fortschreitende  Decentralisation  des  Reiches  und 


^)  In  Olympia  baute  er  das  Leonidalon, 
in  Delphi  eine  grosse  Wasserleitung,  worüber 
PoMPTow,  Beiträge  zur  Topographie  von 
Delphi,  S.  35.  Der  griechischen  Kunst  kam 
auch  die  Anregung  zu  statten,  welche  das 
kaiserliche  Beispiel  auf  reiche  Griechen  wie 
Herodes  Atticus  übte. 

')  Aurelius  Victor  Caes.  14,  1:  Äelius 
Hadrianus  . . .  Bomae  . . .  gymnasia  doctores- 


que  curare  eoepü,  adeo  quidem,  ut  etuim 
ludutn  ingtnuarum  ariium,  quod  Äthenaeum 
vocant,  constituerit: 

')  Capitolinus  Anton.  I^us  11,  3:  rkeUh- 
ribtis  et  phüosophis  per  omnes  provineias  et 
honores  et  salaria  dikulit.  Auch  den  Gram- 
matikern und  Aerzten  wandten  die  Kaiser 
fthnllche  Freigebigkeit  zu  nach  Modeatums 
Digest.  XXVn  1,  6. 


Ba)B0iiii8ohe  Periode  Tor  Konetantin.   1.  Allgemeine  Giiarakterietik.   (§448.)    619 

das  Interesse  für  griechische  Bildung  begünstigten  auch  noch  unter  den 
nachfolgenden  Kaisem,  namentlich  unter  Septimius  Severus  (193—211)  und 
Alexander  Severus  (222—235),  das  Fortleben  der  griechischen  Litteratur. 
Die  Ausdehnung  des  römischen  Bürgerrechtes  auf  alle  Reichsangehörige 
unter  Caracalla  (212)  musste  für  die  östlichen  Provinzen,  in  denen  die 
Mehrzahl  der  Einwohner  griechisch  sprach,  auch  eine  Erstarkung  des 
griechischen  Elementes  zur  Folge  haben.  Auch  die  Partherkriege  im  Osten 
des  Reiches  waren  dem  Griechentum  eher  günstig  wie  nachteilig,  da  die- 
selben die  Kaiser  öfter  in  die  östlichen,  griechisch  redenden  Teile  des 
Reiches  führten.  So  erzeugte  denn  diese  Zeit  noch  ganz  beachtenswerte  Ver- 
treter der  griechischen  Litteratur,  wie  den  Historiker  Cassius  Dio  und  die 
Sophisten  Philostratoi.  Aber  in  der  Mitte  des  3.  Jahrhunderts  lasteten  die 
ewigen  Bürgerkriege  und  Militärrevolutionen  schwer  auf  dem  ganzen  Reich, 
80  dass  eine  allgemeine  Zerrüttung  der  Gesellschaft  eintrat  und  von  einem 
freudigen  Schaffen  im  Reiche  des  Geistes  keine  Rede  mehr  sein  konnte: 
mit  der  lateinischen  Litteratur  verstummte  zugleich  die  griechische,  die 
Säulen  der  alten  Bildung  kamen  ins  Wanken,  römische  Kraft  und  grie- 
chische Geistesfreiheit  wichen  fremden  Einflüssen. 

448.  Um  schliesslich  auch  noch  die  Statten,  an  denen  in  der  römi- 
schen Kaiserzeit  die  griechische  Litteratur  blühte,  einleitungsweise  zu  er- 
wähnen, so  war  in  unserer  Periode,  namentlich  seit  dem  Beginne  des 
zweiten  Jahrhunderts  wieder  das  griechische  Stammland  (Achaia)  und  in 
diesem  Athen  der  Hauptsitz  des  geistigen  Lebens  Griechenlands;  auch 
auf  die  Gebildeten  Kleinasiens,  Syriens  und  Italiens  übte  die  Feinheit 
attischen  Lebens  von  neuem  eine  mächtige  Anziehungskraft.  Nächst- 
dem  blühten  Schulen  und  litterarische  Bestrebungen  in  den  Städten  der 
vorderasiatischen  Küste  oder  der  beiden  Provinzen  Asia  nnd  Bithynia,  wie 
in  Smyma,  Ephesos,  Pergamon,  Rhodos,  Prusa,  Nikäa,  Nikomedia.  Von 
den  mehr  nach  dem  Innern  zu  gelegenen  Städten  Kleinasiens  wetteiferten 
in  der  Pflege  griechischer  Bildung  Xanthos  in  Lykien,  Laodicea  und  Apa- 
mea  in  Phrygien,  Amasia  in  Galatien,  Cäsarea  in  Kappadokien,  Tarsos  in 
Kihkien.  Dazu  kamen  die  ehemaligen  Hauptstädte  der  zwei  grössten 
hellenistischen  Reiche,  Alexandria  und  Antiochia,  die  auch  in  der  römi- 
schen Zeit  ihre  hervorragende  Stellung  behaupteten.  Neu  trat  hinzu  Rom, 
das  als  Hauptstadt  des  Reiches  eine  grosse  Anziehungskraft  auch  auf  die 
Griechen  übte  und  namentlich  unter  Augustus  mehrere  hervorragende 
Grössen  der  Litteratur,  wie  Strabon,  Diodor,  Dionysios,  an  sich  zog,  seit 
dem  Aufblühen  der  Sophistik  aber  gegenüber  den  griechischen  und  helle- 
nistischen Städten  wieder  in  den  Hintergrund  trat.  Von  den  Städten  des 
Reiches,  wo  nur  sporadisch  Griechen  wohnten  und  griechische  Kultur 
pflegten,  verdienen  noch  eine  Erwähnung  Ktesiphon  und  Seleukia  am 
Eophrat,  welche  im  äussersten  Osten  den  Samen  griechischer  Kultur  er- 
hielten und  die  Kenntnis  griechischer  Schrift  und  Sprache  nach  dem  Reiche 
der  Arsakiden  verbreiteten.^) 


>j  Ueber  die  ArsakidenmOnzen  mit  griechischer  Schrift  s.  Gutbchmid. 


620 


Grieohisohe  Litteratnrgesohichte.    ü.  Naohklassiaobe  Litieratur. 


2.  Die  Poesie. 

449.  Die  Schöpfungen  im  Reiche  der  Poesie  sind  der  Gradmesser  des 
höheren  geistigen  Lebens  einer  Nation.  Waren  dieselben  schon  in  dem 
alexandrinischen  Zeitalter  immer  mehr  gesunken,  so  gingen  dieselben  in 
unserer  Zeit  fast  auf  den  Nullpunkt  herab.  Zu  einer  nationalen  Poesie 
fehlte,  nachdem  die  Nation  selbst  untergegangen  war,  die  natürliche  Nah- 
rung. Ein  Volk,  das  selbst  keine  Thaten  mehr  vollbringt,  bietet  auch  dem 
Dichter  keinen  geeigneten  Stoflf  mehr  zur  epischen  Erzählung.  Die  Thaten 
römischer  Grosser  aber  zu  besingen,  blieb  selbstverständlich  den  römischen 
Dichtem  tiberlassen.  Leuten,  die  zu  dienender  Stellung  verurteilt  waren, 
fehlte  auch  die  gehobene  Stimmung,  um  bei  öffentlichen  oder  privaten  An- 
lässen den  Gefühlen  der  Seele  klangvollen  Ausdruck  im  Liede  zu  geben. 
Überdies  überwog  immer  mehr  die  Neigung  des  Publikums,  bei  festlichen 
Gelegenheiten  lieber  rein  musikalische  Vorträge  als  langweilige  Päane  und 
Hymnen  über  abgedroschene  Themata  zu  hören.  Theater  wurden  zwar 
auch  in  unserer  Zeit  noch  in  Griechenland,  sowie  in  hellenistischen  Städten 
des  Orients  und  selbst  in  Rom  gebaut,  ^  aber  sie  dienten  mehr  für  Volksver- 
sammlungen^) und  für  Aufführung  von  Mimen,  Pantomimen  und  selbst 
Naumachien»)  als  für  Schöpfungen  der  Muse  Melpomene.  Als  dami  aber 
später  unter  Hadrian  und  den  Antoninen  Hellas  wieder  ein  selbständigeres 
Leben  zu  führen  und  die  alten  Feste  mit  neuem  Glänze  zu  feiern  begann, 
da  war  die  Kraft  der  Poesie  bereits  so  abgestorben,  dass  sie  nichts  Grosses 
mehr  zu  schaffen  im  stände  war.  So  treten  wir  denn  mit  dem  römischen 
Kaisertum  in  die  Periode  der  Prosa  ein  und  haben  der  Poesie  nur  wenige 
Blätter  zu  widmen.  Die  hervorragendste  Stelle  behauptete  in  derselben, 
namentlich  in  dem  Beginne  des  römischen  Kaiserreichs 

Das  Epigramm.  Es  sind  uns  durch  die  Anthologie  hübsche  und 
geistreiche  Spiele  von  teils  griechischen,  teils  römischen  Dichtern  er- 
halten, welche  denen  der  alexandrinischen  Zeit  nicht  viel  nachstehen, 
zum  grössten  Teil  aber  doch  nur  die  alten  Themata  von  neuem  variieren. 
Nur  in  der  Neigung  zum  witzelnden  Spottepigramm  finden  wir  eine 
neue,  mit  besonderem  Glück  verfolgte  Richtung,  die  uns  daran  erinnert, 
dass  wir  es  mit  den  Zeitgenossen  des  Martial  zu  thun  haben.  Die 
Kunst  des  Spottepigramms  veranlasste  dann  auch  eine  Erweiterung  der 
metrischen  Form;  neben  dem  elegischen  Distichon  finden  wir  jetzt 
häufig,  geradeso  wie  bei  Martial,  iambische  Trimeter  und  Skazonten 
verwandt,  beide  gebaut  nach  der  strengen  Norm  der  lambographen. 
—  In  die  Anthologie  sind  die  Epigramme  unserer  Periode  vornehmlich 
durch  Philip pos  gekommen,  der  unter  Caligula  dem  Kranze  des  Meleager 


*)  Von  griechischen  Theatervorstellungen 
neben  römischen  bei  den  Säkularspielen  des 
Jahres  17  lesen  wir  jetzt  in  den  Akten  jener 
Spiele. 

')  Bezeichnend  ist,  dass  in  Tralles  nach 
Vitruv  YII  5  das  kleine  Theater  geradezu 
den  Namen  ixxXijaiaaxiJQioy  hatte.  In  ähn- 
licher Weise  ist  von  Plntarch  Mor.  823^ 
das  Wort  Xoyetoyj  welches  ursprünglich  die 


Schauspielerbflhne  bedeutete,  von  der  Redn»- 
bühne  im  Theater  gebraucht  Aach  das 
Theater  von  Antiochia  diente  nach  TacitoB 
bist.  II  80  der  Volksberatung. 

')  Selbst  in  Athen  erlitt  unter  Nero  das 
alte  Dionjsostheater  zum  Zwecke  y<Hi  Gla> 
diatorenspielen  und  Naumachien  einen  förm- 
lichen Umbau;  Dörpfeld,  Das  griech.  Theat» 
S.  91  f. 


Ba)  BOmiaohe  Periode  Yor  Konstantm.    2.  Die  Poesie.    (§  449.) 


621 


einen  neuen  zur  Seite  setzte.^)  In  dem  Proömium  hebt  derselbe  als  die- 
jenigen Dichter,  aus  denen  er  die  Blumen  gesammelt,  folgende  hervor:^) 
Antipater  von  Thessalonike,  Freund  und  Verehrer  des  aus  Horaz  a.  p. 
bekannten  L.  Calpumius  Piso  (cons.  15  v.  Chr.);*)  Krinagoras,  den  Stra- 
bon  p.  617  unter  den  zeitgenössischen  Dichtem  Mytilenes  anführt  und  der 
durch  seine  poetischen  Spenden  in  besonderer  Gunst  an  dem  kaiserlichen 
Hofe  des  Augustus  stand ;^)  Antiphilos  von  Byzanz,  dessen  Zeit  durch 
das  Epigramm  auf  den  von  Agrippa  angelegten  Damm  von  Puteoli  (Anth. 
7,  379)  und  ein  anderes  (9,  178)  auf  den  Aufenthalt  des  Tiberius  Nero  in 
Rhodos  bestimmt  wird;  Tullius  Laurea,  Freigelassener  des  Redners 
TuDius  Cicero;  Philodemos  aus  Gadara,  der  mit  dem  bekannten  Epi- 
kureer aus  Ciceros  Zeit  eine  Person  zu  sein  scheint;*^)  Diodoros  mit  dem 
Beinamen  Zenas  von  Sardes,  Zeitgenosse  des  Mithridates,  den  Strabon 
p.  628  als  Verfasser  von  Gedichten  und  historischen  Werken  anführt; 
Bianor  aus  Bithynien,  dessen  Zeit  durch  das  Epigramm  auf  das  Erdbeben 
vom  Jahre  16  n.  Chr.  (Anth.  9,  428)  bestimmt  wird;  Antigenes  aus  Ea- 
rystos,  der  mit  dem  berühmten  Biographen  der  pergamenischen  Epoche 
nicht  verwechselt  werden  darf;*)  Diodoros  von  Tarsos,  der  wohl  eine 
Person  mit  dem  von  Strabon  p.  675  als  Grammatiker  angeführten  Diodoros 
ist;  endlich  Euenos,^)  Antiphanes,  Automedon,^)  Parmenion.  Na- 
türlich hat  auch  Philippos  aus  Thessalonike  *)  geradeso  gut  wie  vordem 
Meleager  eigene  Dichtungen  seinem  Kranze  einverleibt;  unter  seinem 
Namen  sind  über  80  zierliche  Epigramme  teils  in  elegischem,  teils  in 
iambischem  Versmass  auf  uns  gekommen,  darunter  auch  das  berüchtigte 
auf  die  woi*tklaubenden  Grammatiker,  die  Kinder  des  Momos  (11,  321). 
Nach  dem  Epigramm  auf  die  Bienen,  welche  in  die  Trophäen  von  Aktion 
ihre  Waben  bauen  (6,  236),  und  einem  andern  auf  den  Damm  von  Puteoli 
(9,  708)   möchte  man  den  Verfasser  in   die  Zeit  der  ersten  Kaiser  der 


')  Infolgedessen  Bind  in  der  Anthologie 
die  Epigramme  dieser  Periode  mit  den  ver- 
wandten Epigrammen  des  Kranzes  des  Me- 
leager (s.  §  356)  verbunden;  beide  Kränze 
waren  alphabetisch  nach  den  Anfangsbuch- 
staben geordnet;  s.  Passow»  De  vestigiis  co- 
ronanun  Meleagri  et  Philippi  in  Antihologia 
Constantini  Ceph.,  Opusc.  c.  IX. 

*)  Nftheres  bei  Jacobs,  Catalogus  poe- 
tarom  epigrammaticorum  t.  XIII  829  ff.; 
HttiscHBB  Jahrb.  f  Phü.  Suppl.  XVIIl  (1891) 
400  ff. 

')  Nach  einem  seiner  Epigramme,  Anth. 
9, 3  hat  ein  römischer  SchQler  die  in  ovidi- 
Bche  Handschrift  als  Lflckenbüsser  einge- 
schobene Elegie  vom  Nussbanm  gedichtet, 
worflber  Ribbbck,  Gesch.  der  röm.  Dicht.  II 
362.  Ein  anderes  auf  den  Ringer  Qlykon 
VII  692  ist  von  Lessing  auf  den  Gljcon  bei 
Horaz  epist.  I  9,  30  bezogen  worden. 

*)  Nähere  Kenntnis  über  Krinagoras 
brachten  mehrere  neuerdings  aufgefundene 
loscbriften  von  Mytilene,  wonach  unser 
Dichter  45  u.  26  v.  Chr.  an  Ehrengesandt- 
Bcbalten   von   Mytilene    an    den    römischen 


Kaiser  Augustus  beteiligt  war;  s.  Gjohorius, 
Rom  und  Mytilene,  Leipz.  1888,  S.  47—61; 
die  Epigramme  gesammelt  von  Rubbnsobn, 
Grinagorae  epigrammata,  Berl.  1888;  dazu 
Th.  Mommsen  Sitzb.  d.  ßerl.  Ak.  1889  S.  973  ff. 

^)  Kaibel,  Philodemi  Gadarensis  epi- 
grammata, Ind.  lect.  Greif swald  1885. 

")  Derselbe  Antigonos  hatte  ein  Idyllion 
'JyjinaiQog  und  'Akkoiaiaeig  gedichtet;  siehe 
WiLAMowiTZ,  Phü.  ünt.  IV  169  und  389. 

^)  In  der  Anthologie  erscheinen  drei 
Euenoi,  einer  aus  Athen  (9,  602),  einer  aus 
Sikilien  (9,  62),  einer  aus  Askalon  (9,  75); 
angefahrt  wird  ein  Euenos  von  Arrian,  Epict. 
IV  9  und  Artemidor  I  5. 

^)  Es  gab  zwei  Epigrammatiker  des 
Namens  Automedon,  einen  Aetolier  (7,  534) 
und  einen  Kyzikener  (11, 46);  einer  derselben 
feiert  den  zur  Zeit  Nervas  lebenden  Redner 
Niketes  (10,  23),  wenn  nicht  hier  mit  Hill- 
scher S.  415  ein  älterer  Rhetor  Niketes  aus 
der  Zeit  des  Augustus  zu  verstehen  ist. 

^)  Ein  Philippos  aus  Karystos  ist  Ver- 
fasser von  dem  Epigramm  7,  394. 


622 


Grieohiache  Litter ainrgeBohiohie.    It.  NaohklMsiaohe  Lltteratnr. 


iulischen  Dynastie  setzen,  i)  Aber  auf  spätere  Zeit,  auf  die  2.  Hälfte  des 
1.  Jahrhunderts,  scheinen  viele  der  Epigramme  hinzuweisen,  die  man  fär 
Blätter  aus  dem  Kranz  unseres  Philippos  auszugeben  pflegt.  VieUeicht 
aber  sind  in  die  Anthologie  des  Kephalas  auch  aus  späteren  Blutenlesen, 
namentlich  der  des  Diogenianos,  Epigramme  gekommen,^)  so  dass  man  aus 
den  jüngeren  Spielereien  nicht  auf  eine  spätere  Lebenszeit  des  Philippos 
zu  schliessen  berechtigt  ist. 

Ausser  den  von  Philippos  ausdrücklich  genannten  Dichtern  begegnen 
in  der  Anthologie  noch  folgende  Epigrammatiker  der  römischen  Periode: 
Archias,  vielleicht  derselbe,  den  Cicero  verteidigte,  der  indes  seinen  Haupt- 
ruhm den  epischen  Gedichten  auf  den  kimbrischen  und  mithridatischen 
Krieg  verdankte;»)  Theophanes  der  Geschichtschreiber  des  Pompeius; 
Boethos  aus  Tarsos,  ein  Günstling  des  Antonius;^)  Julius  Polyän,  der 
mit  dem  gleichnamigen  Sophisten  aus  Cäsars  Zeit  identisch  zu  sein  scheint; 
Alpheios  von  Mytilene  und  Thallos  von  Milet,  beide  aus  der  Zeit  des 
Augustus;  Leonidas  aus  Alexandria  unter  Nero;  Erykios  von  Kyzikos 
oder  Thessalien,  vermutlich  aus  der  gleichen  Zeit;  ferner  Cäsar  Ger- 
manicus,  Lollius  Bassus  (unter  Tiberius),  Gätulicus  (unter  Caligula),^) 
Lucilius  (v.  1.  Lukillos),«)  der  nach  Anth.  10,  572  unter  Nero  2  Bücher 
Epigramme  schrieb,  M.  Argentarius,')  Geminus,  Traianus,  Hadria- 
nus,  Ammianus  (Zeitgenosse  des  Sophisten  Polemon),  Fronto  aus  Emesa 
(Rhetor  unter  Severus  nach  Suidas),  endlich  mehrere  Dichter  von  Spott- 
epigrammen, wie  Lukian,«)  Nikomachos  (Zeitgenosse  des  Plutarch), 
Philon  aus  Biblos  unter  Hadrian,  Antiochos,»)  Apollinarios.*^) 

450.  Straten  von  Sardes  veranstaltete  unter  Hadrian  oder  bald 
nachher  1^)  unter  dem  Titel  Movaa  nmSix}]  eine  Sammlung  von  Epigrammen 
auf  schöne  Knaben,  welche  den  Grundstock  des  12.  Buches  der  Palatini- 
schen Anthologie  bilden.  ^^)  Stösst  uns  in  denselben  auch  oft  das  nackte 
Bekenntnis  sinnlicher,  jedes  idealen  Zuges  barer  Liebe  ab,  so  muss  man 
doch  dem  Dichter  die  Ehre  grosser  Formgewandtheit  lassen.  Auch  werden 
trotz  des  gemeinen  Untergrundes  einzelne  Gedanken  dieses  Musenspiels, 
wie  ipvxiiq  €a%lv  iQtog  äxovtj  (12,  18)  oder  xaigog  iqwn  (piXog  (12,  31)  ihre 
Geltung  und  ihren  Reiz  behalten.  —  Ähnliche  Sammlungen  von  Epigrammen 
waren  in  der  Kaiserzeit  noch  mehrere  entstanden:   Laertius  Diogenes 


*)  Jacobs,  Anth.  VII  p.  XLIV  setzt  ihn 
unter  Aogastiis-Tiberius;  Hillsohsk  S.  413  ff. 
lAsst  richtiger  den  Kranz  unter  Caligula  ge- 
sammelt sein. 

«)  Vgl.  Weiqand  Rh.  M.  3,  552  ff. 

«)  Vgl.  Strab.  p.  757;  M.  Haupt  Opusc. 
III  409  f. 

*)  Strab.  p.  674;  einen  Boethos  als  Stu- 
diengenossen erwähnt  Strab.  p.  757. 

')  Vermutlich  derselbe,  den  Martial.  1. 
init.  u.  Plinius  ep.  III  5  erwähnen. 

•)  UsENEB  Sitzb.  der  b.  Ak.  1892  S.  644 
identifiziert  ihn  mit  dem  Gnunmatiker  Lu- 
killos  Tarrhaios. 

^)  Vielleicht  identisch  mit  dem  Rhetor 
Argentarius  in  Senecas  Suasorien. 

')  Es  sind  33  Epigramme;  dass  ihr  Ver- 


fasser eine  Person  mit  dem  berlllimten  Sati- 
riker sei,  ist  unwahrscheinlich. 

')  VieUeicht  identisch  mit  dem  Sophisten 
Antiochos  aus  Aigai,  bekannt  ans  Philostr. 
Vit.  soph.  II  4. 

'^)  Zweifelhaft  ist,  ob  derselbe  identisch 
mit  dem  Freunde  des  Libanios  ist. 

'^)  Diogenes  V  65  führt  einen  Slraton 
noiijTtjy  imyqafifjiaruty  an;  ein  ESpigramm 
11, 117  geht  auf  Eaiäto,  den  Leibarzt  des 
Hadrian ;  s.  Jacobs,  Anth.  gr.  VI  p.  XL  VI  sqq. 

")  Der  grössere  Teil  dieses  12.  der 
Knabenliebe  gewidmeten  Buches,  XII  37  bis 
172,  rOhrt  aus  dem  Kranz  des  Meleager  her; 
WbisshXupl,  Die  Grabgedichte  der  grieck 
Anth.,  Wien  1889, 


B  a)  ROmifliohe  Periode  Tor  Konatantin.    d.  Die  Poesie.    (§§  450—451.)        623 

schrieb  ein  Buch  ndfifÄSTQov  auf  berühmte  Männer,  aus  dem  er  selbst 
mehrere  Verse  in  seinen  Philosophenbiographien  anführt;  Diogenianos 
aus  Heraklea  verfasste  unter  Hadrian  ein  ^AvO-oloyiov  irnygafifiattovA)  Von 
einer  gewissen  Julia  Balbilla,  Hofdame  der  Sabina,  der  Gemahlin  Ha- 
drians,  sind  uns  mehrere  Epigramme  erhalten,  welche  auf  den  Schenkeln 
und  Füssen  der  Memnonstatue  in  Oberägypten  eingegraben  sind,  darunter 
fünf  in  äolischem  Dialekt;  diese  und  andere  Kleinigkeiten  der  Art  hat 
Kaibel  in  seine  aus  Steinen  gesammelte  Epigrammata  graeca  aufgenommen. 
Die  Gräber  und  Tempeltrtimmer  bringen  immer  noch  neue  Früchte  dieser 
Gelegenheitspoesie  zum  Vorschein,  wie  unlängst  in  der  Ebers  zu  seinem 
60.  Geburtstag  gewidmeten  Festschiift  ein  witziges  Gedicht  auf  einen 
schwarzen  Knaben  in  iambischen  Trimetern  veröffentlicht  wurde. 

461.  Lyrische  Dichtungen.  Von  Mesomedes,  einem  Freige- 
lassenen Hadrians,^)  sind  ein  Vorspiel  {nqooi^uov)  an  die  Muse  Kalliopeia 
und  zwei  Hymnen  an  Helios  und  Nemesis  auf  uns  gekommen.  Es  sind 
einfache  Anrufungen  an  den  Sonnengott  und  die  Göttin  der  strafenden 
Gerechtigkeit,  ohne  mythologische  Erzählung.  Sehr  wohlklingend  und 
leicht  verständlich  ist  das  Versmass,  bestehend  in  aufsteigenden  zwölf- 
zeitigen Logaöden  und  abschliessenden  Parömiacis ;  aber  das  Hauptinteresse 
knüpft  sich  doch  an  die  Melodie,  die  in  alter  Notenschrift,  zu  deren  Ent- 
zifferung uns  der  Traktat  des  Alypios  den  Schlüssel  bietet,  über  dem  Text 
geschrieben  steht. 

Ed.  pr.  von  Bürette  in  Histoire  de  V  acad.  des  inscriptions  et  belies  lettre»,  Paris 
1729;  Hanptansg.  von  Bellbrxann,  Die  Hymnen  des  Dionysius  Alexandrinus  und  Mesomedes, 
Berlin  1840;  neoe  Textesrevision  von  C.  Jaw  in  Mus.  Script,  gr.  p.  454  ff.,  wozu  Th.  Rein  ach 
in  Revue  des  ötud.  grecques  IX  (1896}  n.  33. 

Ein  Päan  an  den  Heilgott  Asklepios  wurde  unlängst  auf  einem 
Stein  der  ägyptischen  Stadt  Ptolemais  gefunden.  Die  Inschrift  nennt 
den  Kaiser  Trajan ;  ob  auch  der  Päan  erst  in  dieser  Zeit  gedichtet  wurde, 
ist  nicht  ausgemacht,  da  er  wohl  Verse  enthält,  die  sich  auf  Ägypten  und 
Ptolemais  beziehen  und  also  auch  nur  hier  entstanden  sein  können,  aber 
keine  Beziehung  auf  den  Kaiser  oder  den  kaiserlichen  Statthalter  durch- 
blicken lässt.  Aber  immerhin  ist  derselbe  durch  seine  metrische  Form, 
die  nichts  gleiches  in  der  Litteratur  nach  Alexander  hat,^)  hochinteressant. 
—  Ein  ganz  ähnlicher  Päan  des  elioq  xavd  ddxxvXov  und  ein  in  leichten 
vierfüssigen  Logaöden  gedichteter,  welche  beide  gleichfalls  nach  der  Form 
der  Buchstaben  aus  der  römischen  Zeit  stammen,  haben  sich  in  dem  Be- 


')  Bezeugt  von  Suidas.  \  aus    einem   Fragment    des    Joannes  Lydus 


')  Suidas :  Meaofujiffjg  ^QiJK  Xvqixos^ 
yiY^ywg  ini  xtuy  'Jdgiarov  /poVoi»',  änekev- 
*e^  ttviov  ij  ir  roig  fiaXiaia  (piXog '  ygatpci 
•w  elf  'Jifxivoov  ina^yoy,  ög  rjy  'AdQiayov 
ffauftxcr,  xai  aXXa  ffiätpoQa  fieXtj.  Eusebius 
nun  7.  Regierungsjahr  'des  Kaisers  Antoninus  : 
^fcofi^drjg  K^g  noir^fijg  vofiiay  xt&aQfftdixtu  y 
iyyttQi^oyro  xtti  TavQog  IlXaitoyixdg  xai 
^•TWf.  Cf.  Capitolinus  vit.  Antonini  c.  7. 
Sd  Epigramm  von  Mesomedes  Anih.  Pal.  14, 
^  0.  Anih.  Plan.  328.  Dass  unsere  ngooifAia 
Ton  Mesomedes  herrtthreU;  hat  schon  Bürette 


erkannt.  Das  einleitende  Prooimion  hat  man 
früher,  verleitet  durch  den  cod.  Neapel.  262 
dem  Dionysios  zugeschrieben,  aber  die  Bei- 
schrift Jvwyvaiov  bezieht  sich,  wie  neuer- 
dings Jan  bekräftigt  hat,  nicht  auf  das  fol- 
gende Lied,  sondern  auf  den  vorausgehenden 
Traktat  Ubei  Musik. 

*)  Die  Verse  sind  in  der  Inschrift  nicht 
abgeteilt  und  lassen  vermuten,  dass  ebenso- 
wenig bei  Pindar  und  den  anderen  chori- 
schen Lyrikern  die  Verse  und  Kola  ehedem 
abgeteilt  waren. 


624 


GrieohiBOhe  LitteratnrgeBohichie.    II.  NachklMsisohe  Lltteratiir. 


zirk   des  Asklepiosheiligtums  von  Athen  gefunden;^)  leider  aber  sind  die 

einzelnen  Zeilen  des  ersteren  stark   am  Ende  verstümmelt;^)    als  Dichter 

desselben  nennt  sich  ein  gewisser  Max€6\_oviog],  der  aber  jedenfalls  von 

dem  viel   späteren,   unten  §  591   zu  erwähnenden  Epigrammatiker  Make- 

donios  verschieden   ist.     Man   sieht  aus  diesen  Päanen,  ähnlich  wie  aus 

den   oben   §  355  besprochenen   delphischen  Hymnen,  dass  Kultlieder  der 

späteren  Zeit  Figuren  aus  einer  Form  gleichen:   das  Metrum  war  ebenso 

stereotyp  wie  der  Inhalt;  der  neue  Dichter  bewies  sich  als  ein  anderer 

nur  durch  kleine  Modifikationen. 

£d.  princ.  von  Baillet  in  Rey.  arch^ol.  XIII  (1889)  70  £F.;  neue  Bearbeitung  von 
Ziebarth-Weiomakn  in  Gommentationes  philologicae  Monacenses,  Mfinchen  1891  p.  1—21. 

Poetische  Spielereien,  die  sich  in  der  Zeit  des  Hadrian  einer  beson- 
deren Beliebtheit  erfreuten,  waren  die  Anakreontea,  gefallige,  in  tän- 
delnden Dimetern  gedichtete  Nachahmungen  von  Liebesliedern  des  Ana- 
kreon.  Sie  sind  den  Epigrammen  verwandt  und  auch  mit  diesen  durch 
dieselbe  Handschrift  auf  uns  gekommen.')  —  Zur  Klasse  der  Anakreontea 
gehört  auch  das  unlängst  in  Tralles  in  Kleinasien  aufgefundene  Liedchen, 
das  Seikilos  sich  auf  den  Grabstein  setzen  Hess;  es  fordert  zu  frohem 
Lebensgenuss  auf,  da  nur  kurz  die  Zeit  des  Lebens  ist.  Besonderes  Inter- 
esse haben  auch  diese  Zeilen  dadurch,  dass  über  dem  Text  die  Noten  der 
Melodie  geschrieben  sind.  Ausgabe  von  Crusius  Philol.  53  (1894)  160,  und 
C.  Jan,  Mus.  script.  gr.  p.  452. 

Die  drei  Bücher  Plaudereien  (Atcr^m)  des  Grammatikers  Herakleides 
Pontikos  in  Hendekasyllaben  hatten  nur  die  Form  lyrischer  Gedichte, 
behandelten  aber  einen  möglichst  unpoetischen  Stoff,  nämlich  Streitfragen 
der  Grammatiker.*) 

452.  Dramatische  Poesie.  In  dieser  Gattung  der  Poesie  Waren 
die  Lateiner  und  Griechen  gleich  unfruchtbar  in  unserer  Periode.  Unter 
dem  Druck  der  despotischen  Gewalt  musste  das  freie  Lustspiel  verstummen, 
und  selbst  auch  für  den  mahnenden  Ernst  der  Tragödie  fehlte  in  dem 
kaiserlichen  Rom  die  richtige  Stimmung.  Alte  Tragödien  der  klassischen 
Zeit  bekam  man  zwar  noch  zu  hören,  aber  auch  von  ihnen  nur  einzelne 
Kraftstellen,  ö)    Unter  der  Regierung  des  Hadrian  und  der  Antoninen  waren 


»)  VeröfFentiicht  im  Athenaion  VI  (1877) 
p.  14  u.  CIA  3,  1,  u.  171 '  u.  171  b.  Vier  Päane, 
darunter  der  alte  des  Ariphron  sind  zusammen- 
geschrieben auf  einem  jetzt  in  Kassel  befind- 
lichen Stein  CIA  III  171. 

')  Der  Fortgang  des  Rhythmus  über  die 
Zeile  ist  auf  dem  Stein  durch  Einrücken 
bezeichnet,  was  an  das  ixxi^eyai  und  et'a- 
ji^ivm  der  Heliodorscholien  zu  Äristophanes 
erinnert;  vgl.  TniBMAKy,  Heliodori  colom. 
Aristoph.  p.  VI.  Dieses  hat  darin  seinen 
tieferen  Grund,  dass  die  einzelnen  rhythmi- 
schen Sätze  des  Pftan  über  den  Umfang 
eines  Verses  (otixog)  hinaus  zu  grossen 
Perioden  (ti  e^tocfog)  angewachsen  sind.  In 
wechselnden  RhyÜimen  sind  auch  gedichtet 
die  Ode  auf  das  Apolloorakel  in  Pisidien  bei 


Kaibsl,  Epigr.  gr.  n.  1040,  besser  nach  nener 
Abschrift  bei  Sterbet,  The  Wolf  expedition 
in  Asia  minor,  Boston  1888, 1. 1  p.  312,  ferner 
das  von  Buresch,  Klaros,  Leipz.  1889  veröffent- 
lichte Orakel  des  klarischen  Apoll,  gefunden 
auf  einem  Stein  der  lydischen  Stadt  Kaisareia 
Troketta,  und  das  wahrscheinlich  gleichfalls 
von  Klaros  kommende  Orakel  der  thrakischen 
Stadt  Kallipolis  bei  Eaibbl,  Ep.  gr.  n.  1084, 
verbessert  bei  Burescb,  Klaros  S.  81. 

«)  Siehe  oben  §  114. 

^)  Suidas:  l/^ai//6  ^('^^  £anfptx^  i^ro« 
^ttXaxeiift  ßißXia  y  dtf^rsQfxijysvta  xai  Ttolkijn' 
irjv  anomay  l^^^^^  nQoßaXXofiii^mr  Ci?"?- 
(Ädxoavy  atiya  XeaxiS  ixdXsc^y. 

*J  Dio  Chrys.  or,  19  p.  487  R:  xtjg  t^ay^ 
dlag  rd  fjiäy  iaxvQa  dg  ioixe  fji€y$iy  Xiym  ^ 


Ba)  Römische  Periode  vor  Eonstantin.    2.  Die  PoeBie.    (§  452.) 


625 


die  öffentlicheil  Verhältnisse  der  Entfaltung  der  dramatischen  Poesie  wieder 
günstiger  gewesen;  aber  es  liess  sich  das  erloschene  Feuer  nicht  mehr 
wieder  anfachen,  zumal  einerseits  die  Prunkrede  der  Sophistik  Ersatz  för 
das  Drama  zu  bieten  schien,  und  anderseits  das  Publikum  fast  nur  für 
die  Posse  und  den  Mimus  Interesse  zeigte.  Für  den  Mimus  aber,  zumal 
er  nach  und  nach  in  den  Pantomimus  oder  wie  die  Griechen  sagten, 
in  den  Tanz  (o^x*/^*$)  überging,  i)  bedurfte  es  mehr  nur  guter  Schau- 
spieler als  gedankenreicher,  sprachgewandter  Dichter,  so  dass  Lukian  im 
Leben  des  Demonax  c.  27  ganz  unverblümt  vom  Drama  sagt :  t^j  Jiqvv<S((> 
%6  likv  nouXv  xoofKpiiag  ij  tQayqyS^ag  iielsleimai.  Den  Stoff  entnahm  der 
Mimus  und  Pantomimus  zum  Teil  der  griechischen  Mythologie  (vnod^äasiq)^ 
wie  die  Titel  Autonoe,  Pelopea,  Philomela,  Agave  beweisen,^)  zum 
Teil  dem  gewöhnlichen  Leben  {naiyvia).  Wie  der  Stoff  verarbeitet  war, 
darüber  können  wir  bei  dem  fast  vollständigen  Verlust  dieser  flüchtigsten 
aller  Schöpfungen  der  Poesie  nicht  mehr  urteilen.  Wir  ersehen  nur  aus 
den  Versen  des  Philistion,  des  einzigen  Dichters  biologischer  Komödien 
oder  Mimen  von  dem  uns  etwas  erhalten  ist,  dass  der  Mimus  doch  nicht 
ganz  schöner  Verse  und  Sentenzen  entbehrte ;  sie  sind  von  Grammatikern 
in  einer  Sammlung  mit  ähnlichen  Sentenzen  des  Menander  zusammen- 
gestellt in  der  2vyxQiaiq  MsvdvSgov  xal  ^iXi<XTi(ovogJ) 

Eine  eigentümliche  Erscheinung  unserer  Periode  sind  die  Lesedramen 
von  Philosophen  und  Sophisten.  So  schrieb  der  jüdische  Peripatetiker 
Nikolaos  Damascenus  in  seiner  Jugend,  wie  er  von  sich  selbst  in  seiner 
Lebensbeschreibung  rühmt,  r^ayyJia^  xal  xcofKp^iag  €viox(iiovg.^)  Ebenso 
führt  von  dem  älteren  Philostratos  Suidas  48  Tragödien  und  14  Ko- 
mödien an,   wie   auch  von   andern  Sophisten,  Skopelianos,  Niketes,^) 


xd  hfißeia  '  xeu  Tovtwy  fiiQtJ  die^laatv  iv 
tois  ^fdrgoig,  xd  &i  fjtuXaxtaxBQa  i^SQQvrixB 
xd  ne^i  id  fiiXrj.  Solche  Teile  von  Tragödien 
werden  diejenigen  gewesen  sein,  welche  Nero 
nach  Snet  Ner.  21  recitierte,  und  ebenso  wird 
man  über  die  Aufffthrung  der  Meropescene 
aus  Eoripides  Eresphontes  bei  Plntarch  Mor. 
998^  und  die  bei  den  Gastgelagen  nach 
Plut  Sympos.  VU  8,  3  (vgl.  p.  531ß.  673B. 
8d4B)  vorgetragenen  Komödien  arteilen  müs- 
sen. Dass  auch  noch  ganze  Tragödien, 
namentlich  von  Enripides,  aufgeführt  worden 
seien,  sacht  P.  Sobülze  Jahrb.  für  Phil.  135 
(1887),  117  ff.  zu  erweisen.  Plotin  IIT  2,  15 
qnicht  von  der  Bühne  und  den  die  Rollen 
wechselnden  Schauspielern  so,  dass  er  noch 
wirkliche  Aufführungen  vor  Augen  gehabt 
zu  haben  scheint 

^)  Nach  Dio  Chrys.  or.  32  u.  Aristides 
or.  50  diente  das  Theater  in  Alexandria  nur 
dem  Pantomimus  und  der  Posse.  Aehnlich 
sagt  Libanioe  tibqI  ray  o^/i^arcJv  p.  391  R., 
dass  die  Tftnzer  an  die  SteUe  der  TVagödien- 
Schreiber  getreten  seien.  Dass  aber  auch 
der  Tanz  selbst  entartet  war,  beklagt  Plu- 
tarth  Sympos.  IX  15,  2:  ovdiy  ovxws  to  vvy 
dnoUXavxB  x^g  xaxofiovalag  tog  «;  oQ^rjaig, 
Bandbacfa  der  klam.  Altertimwwlasexuicbaft.    VU. 


*)  Näheres  bei  O.  Jahk  in  den  Prolego- 
mena  seiner  Ausgabe  des  Persius  p.  LXXXIV 
sq.  Ueber  den  Unterschied  von  vno&eneig 
und  naiyyia  s.  Plutarch  Sympos.  VII  8,  4  u. 
IX  15.  Darstellungen  solcher  Mimen  sind 
uns  in  Wandgemälden  der  Villa  Pamfili  er- 
halten, veröffentlicht  von  O.  Jahn  Abhdl.  d. 
b.  Ak.  VIII  (1858)  231  ff.  Verwandtes  bei 
DiETKRicH,  Pulcinella,  Leipzig  1897. 

•)  Ueber  Philistion  ein  verwirrter  Artikel 
des  Suidas  und  ein  Epigramm  AP  VII  155. 
Die  Fragmente  neubearbeitet  von  Stüde- 
MUND,  Menandri  et  Philistionis  comparatio, 
Ind.  lect.  Vratisl.  1887.  -  Auf  einer  me- 
trischen Grabinschrift  von  Lamaka  in  Kypem 
aus  dem  3.  Jahrhundert  n.  Chr.  (publiziert 
von  Obbrhüiimer  Sitzb.  d.  b.  Ak.  1888. 1  311) 
erscheint  ein  mimischer  Schauspieler  Uya- 
^oxXiioy  ßtoXoyog,  ein  ^Xdßiog  jXs^ay^gog 
'O^eitfrjg  aus  Nikomedia  im  Theater  von  Tralles 
bei  Waddmgton,  Voyage  arch^l.  1652*^. 

<)  Wblcker,  Gr.  Trag.  1322  f.  Eines 
der  Dramen  des  Nikolaos  behandelte  die 
Fabel  der  Susanna. 

*)  Welcker  a.  O.  Von  Philostr.  Vit.  soph. 
II  11  wird  '[aayoQag  6  x^g  XQayto&iag  noi^ijxrjg 
genannt. 
S.  Aufl.  40 


626 


Griechisohe  litteratnrgesohlohte.    II.  HachklasBisohe  Lüteratnr. 


Isagoras,  und  von  dem  Kyniker  Oinomaos*)  Tragödien  genannt  werden. 
Einen  hohen  Begriff  werden  wir  uns  von  denselben  nicht  machen  dürfen; 
was  die  Zeit  in  dieser  Gattung  zu  leisten  vermochte,  zeigen  uns  am  besten 
die  rhetorischen  Tragödien  des  Seneca;  wahrscheinlich  waren  aber  die 
griechischen  Tragödien  nicht  einmal  das,  sondern  nur  Monologe  oder  dra- 
matische Deklamationen  {^rjceig)  nach  Art  der  Kassandra  des  Lykophron 
und  der  Tragodopodagra  des  Lukian.  Dramatischer  Dichter  wird  wohl 
auch  Q.  Pompeius  Gapito  gewesen  sein,  dem  die  Athener  neben  Me- 
nander  eine  Erzstatue  im  Theater  setzten,  von  der  jetzt  die  Basis  mit  der 
Inschrift  üofinijtov  tov  xal  'A^rp^aTov  navu  fiäTQfj)  xai  ^v&fi(i)  lijv  fieya" 
Xo^arj  Trjg  noirjtfsfoq  äQsrrjv  inidci^dfisvov  aufgedeckt  ist.*) 

453.  Epos.^)  Zum  heroischen  Epos  fehlte  den  griechischen  Dich- 
tern in  unserer  Periode  nicht  bloss  die  Neigung  des  Publikums,  sondern 
auch  das  Notwendigste,  der  Stoff.  Die  lateinischen  Zeitgenossen  waren 
hierin  besser  daran:  in  ihrer  Sprache  waren  noch  nicht  alleThaten  der  alten 
Heldensagen  Griechenlands  besungen ;  es  konnte  also  noch  ein  Statins  mit 
seiner  Thebais,  ein  Valerius  mit  seinen  Argonautica  auf  lohnende  Aner- 
kennung rechnen ;  auch  die  nationale  Geschichte  bot  den  römischen  Dichtem 
würdigen  Stoff,  so  dass  Lucan  mit  seinen  Pharsalica  bewundernde  Leser  fand. 
Den  Griechen  ging  beides  ab,  ihre  alten  Sagen  waren  ausgesungen,  und 
neue  Thaten  brachten  sie  nicht  mehr  hervor.  Sie  haben  daher  im  Heldenepos 
nichts  Nennenswertes  mehr  und  nichts,  was  die  Zeit  überdauert  hätte,  her- 
vorgebracht. Wir  lernen  nur  durch  gelegentliche  Anführung  einige  dürre 
Früchte  der  Stubenpoesie  kennen:  der  Sophist  Skopelianos  unter  Trajan 
dichtete  eine  Gigantomachie ;  ein  gewisser  Arrianos,  verschieden  von 
dem  Historiker,  übersetzte  die  Georgica  des  Vergil  und  schrieb  eine  Ale- 
xandrias in  24  B.  ;^)  der  Grammatiker  Ptolemaios  Ghennos  aus  Ale- 
xandria verfasste  einen  Gegenhomer  {^Avx^6fir^(fog)  in  24  B.  und  eine  7Aia; 
ksinoyQdjiifAatog,  in  der  jeder  Gesang  je  einen  Buchstaben  nicht  enthielt;*) 
Peisandros,  Sohn  des  Dichters  Nestor  aus  Laranda,  schrieb  unter  Ale- 
xander Severus  ^HQwixai  ^eoyafifai  in  60  B.;^)  von  Soterichos  aus  Ägypten 
unter  Diokletian  erwähnt  Suidas  ein  mythologisches  Epos  Ba(X(ra^i»d  i; 
Jiovvataxd  und  eine  versifizierte  Alexandergeschichte.  ^) 

454.  Lehrgedicht  und  Fabel.  Die  kümmerliche  Poesie  des  Lehr- 
gedichtes fand   noch   am   meisten    auf  dem   sterilen   Boden   unserer  Zeit 


^)  Julian  or.  YII 210  stellt  die  Tragödien 
der  Eyniker  Diogenes,  Phiüskos,  Oinomaos 
nebeneinander. 

«)  CIA  III  769.  Dazu  verglich  Kuma- 
nudis  die  Stelle  in  Dio  Gkrysost.  or.  31  p.  100 
Emp.  —  Von  Pompeius  Macer  sind  uns  ein 
paar  ergreifende  Yerse  aus  einer  Tragödie 
erhalten  bei  Stobäus  Flor.  78,  7. 

')  DüNTZBB,  Fragmente  der  epischen 
Poesie  II. 

*)  Ein  Artikel  des  Suidas  über  'jQQiayog 
inonoiog.  Von  ihm  existiert  auch  ein  Epi- 
gramm auf  die  Sphinx  in  Memphis  CIG 
4700  =  Kaibbl  ep.  gr.  1015. 

')  Auch  Nestor  von  Laranda  hatte  nach 


Suidas  eine 'fAecK  leiTfoy^ftfiaro^  geschrieben, 
lieber  die  fthnliche,  nur  noch  grössere  Spie- 
lerei der  Isopsephie  der  Distichen  in  den 
Epigrammen  des  Leonidas  s.  STADTMÜLUBRf 
Zur  Anthologie  Palatina,  Jahrb.  f.  Phil.  1889 
S.  769. 

^}  Fragmente  des  Pisander,  der  noch 
von  Malalas  und  Joannes  Antiochenus  be- 
nutzt wurde,  hinter  dem  Didot'schen  Herodoi 
^)  In  die  Alexandergeschichte  des  Ps. 
Eallisthenes  sind  Gholiamben  eingestreut 
welche  der  Herausgeber  0.  Müller  auf  des 
Soterichos  Epos  'JXe^ayff^taxow  zurSckfUhren 
möchte. 


Ba)  BdmiBobe  PeHode  Tor  KonsUntin.    2.  Die  PoeBie.    (§§  453—455.)        627 


Nahrung.  Die  Vorliebe  für  dasselbe  hatte  unsere  Periode  aus  der  ale- 
xandrinischen  herübergenommen;  genährt  wurde  dieselbe  durch  das  Be- 
dürfnis und  die  Methode  der  Schule,  die  nun  einmal  im  Altertum  eine 
Unterstützung  des  Gedächtnisses  durch  die  metrische  Form  für  zweck- 
mässig hielt.  Mit  dem  Lehrgedicht  verband  sich  die  Fabel,  deren  Pflege 
gleichfalls  durch  die  Schule  hervorgerufen  und  gefördert  wurde.  Denn 
zu  den  rhetorischen  Vorübungen  {nqoyviAvdaiiaxa)  gehörte  auch  die  Fabel 
{ahog^  ixv^oq),  weshalb  dieselbe  in  den  uns  erhaltenen  Progymnasmaten 
regelmässig  durch  Übungsbeispiele  erläutert  wird,  und  der  Bhetor  Niko- 
stratos  unter  den  Antoninen  eine  ganze  Sammlung  in  10  B.  unter  dem 
Titel  JexafAvd-ia  (Hermog.  de  ideis  II  12,  8  und  Suidas  unt.  NixccTQcerog) 
veranstaltete.  Von  diesen  beiden  Arten  poetischer  Schöpfungen  sind  nun 
auch  noch  Originalwerke  erhalten,  so  dass  wir  wieder  einmal  Autoren  auf- 
zuführen und  zu  besprechen  Gelegenheit  haben. 

455.  Babrios,^)  ein  hellenistischer  Dichter  Asiens  von  italischer  Her- 
kunft,^) ist  Verfasser  einer  erst  nach  und  nach  vollständiger  ans  Licht  ge- 
zogenen Sammlung  äsopischer  Fabeln  (fAv&iafißoi  Alaomsioi),  Dieselbe  umfasst 
in  alphabetischer  Ordnung  {xaxd  atoi%6iav)  123  Fabeln  in  zwei  Büchern,*) 
bricht  aber  mitten  im  Buchstaben  o  ab.  Der  Verfasser  redet  in  dem  Proömium 
des  ersten  Buches  und  in  Fabel  74  einen  gewissen  Branchos  air;  dieser  ist 
offenbar  eine  Person  mit  dem  im  Proömium  des  zweiten  Buches  erwähnten 
Sohne  des  Königs  Alexander.  Der  Name  Branchos  fährt  uns  nach  dem 
Orient;  wessen  Königs  Sohn  aber  derselbe  gewesen  sei,  ist  zweifelhaft, 
da  es  viele  Könige  (reges  und  reguli)  mit  dem  Namen  Alexander  gab. 
In  Betracht  gezogen  wurden  von  Keller  ^)  der  Seleukide  Alexander  I  Balas 
(150  V.  Chr.),  von  Bergk  der  von  Antigonos  vergiftete  Alexander  Ätolus 
(3.  Jahrh.  v.  Chr.),^)  von  Lachmann  *)  der  von  Vespasian  zum  König  einer 
Insel  Kilikiens  erhobene  Alexander  aus  dem  Stamme  des  Herodes  (Jos. 
ant.  18,  5,  4),  von  Boissonade  und  Crusius  7)  der  römische  Kaiser  Alexander 
Severus  (222—235  n.  Chr.).  Der  weite  Spielraum,  der  damit  gegeben 
scheint,  engt  sich  dadurch  ein,  dass  litterarische  Citate  und  Eigentümlich- 


^)  Gbübius,  De  Babrii  aetate,  Leipz.  Stud. 
II  (1879)  127-248 ;  derselbe  im  Artikel  Babrius 
bei  Paoly-Wisaowa ;  Werner,  Quaestiones 
Babrianae,  Berlin  1891. 

')  Dass  er  den  vollen  Namen  Yalerius 
Babrius  gehabt  habe,  kann  ans  den  Lesarten 
Ba'Asß^iov  des  cod.  Athons,  und  Baßgiov 
BaXeQiov  des  Harleianus  3521,  die  ans  Ba- 
ßgiov  verderbt  zu  sein  scheinen,  nicht  mit 
Sicherheit  geschlossen  werden.  Uebrigens 
Iftast  Crusius  mit  Recht  ihn  in  Asien  leben, 
aber  von  italischer  Abkunft  sein,  da  der 
Gentilname  Babrius  im  Altumbrischen  und 
Lateinischen,  nicht  aber  im  Griechischen  vor- 
kommt. 

*)  Suidas  schreibt  unserem  Babrios  10  B. 
Choliamben  zu,  woraus  Crusius  den  Schluss 
adeht,  dass  wir  nur  einen  Auszug  des  echten 
Babrios  erhalten  haben;  bereits  Avianus  in 
Poet,  lai  min.  Y  34  ed.  BjLhr.  erwähnt  nur  j 


2  Volumina.  Das  2.  Buch  beginnt  mit  dem 
Buchstaben  M. 

*)  Jahrb.  f.  Phil.  SuppL  IV  888  f.  Gut- 
scHviD  Jahrb.  f.  Phil.  87  (1868),  323;  Männel 
Philol.  29,  169  ff.  Dass  Babrius  im  2.  Buch 
prooem.  8  Fabeln  in  Mythiamben  als  seine 
Erfindung  {yf'a  Movaa)  preist,  während  bereits 
Eallimachos  einzelne  Fabeln  in  Choliamben 
erzählte,  reicht  gegenüber  den  entgegen- 
stehenden Momenten  zur  Begründung  eines 
so  hohen  Alters  nicht  aus. 

*)  Kl.  Schrift.  II  547  ff. 

*)  In  seiner  Ausg.  p.  XII. 

')  Crusius,  De  Babrii  aetate,  Leipziger 
Stud.  II  (1879),  127  ff.;  ihm  stimmen  bei 
Ruths RFORD  in  der  Einleitung  seiner  Aus- 

gibe,  Ficus,  De  Babrii  vita  capita  tria,  1889. 
och  bleibt  jetzt  Ousius  im  Artikel  bei  Wis- 
sowa  und  in  seiner  Ausgabe  p.  XXVII  nicht 
mehr  strenge  bei  seiner  alten  Meinung. 

40* 


628 


Grieohiftohe  Lüteratnrgeschioht«.    II.  HaohklaMiBohe  Utteratar. 


keiten  des  YersbauB  und  der  Sprache  uns  nötigen,  unseren  Babrios  in  die 
Zeit  der  ersten  Periode  der  Sophistik  zu  setzen.     Denn  einerseits  hatten 
unsere  Fabeln  nicht  bloss  schon  im  4.  Jahrb.  die  römischen  Dichter  Au- 
sonius  und  Avianus  vor  sich/)  sondern  auch  bereits  im  Anfang  des  3.  Jahr- 
hunderts (207)  der  Grammatiker  Dositheus  (Interpret.  III  p.  37  Bö.)^)  Ander- 
seits folgt  Babrios  im  Bau  der  Choliamben  Regeln,  die  im  Charakter  der 
lateinischen  Sprache  begründet  sind  und  demnach  erst  aus  der  römischen 
Poesie  in  die  griechische  gekommen  sein  können.^)     Die  Choliamben   des 
Babrios  haben  nämlich,  wie  zuerst  Ahrens,  De  crasi  et  aphaeresi  p.  31  beob- 
achtet hat,  regelmässig   den  Accent   auf  der  vorletzten  Sylbe.     Das  war 
aber  Regel  nicht  bei  den  älteren  lambograph^n  der  Griechen,    auch  noch 
nicht  bei  Herondas,  wohl  aber  bei  den  lateinischen  Dichtem  und  ergab 
sich   bei   diesen  von  selbst  dadurch,    dass  im  Lateinischen  die  vorletzte 
Sylbe,   wenn  sie  lang  war,   regelmässig   den  Accent  hatte.     Sodann  hat 
Babrios  geradeso  wie   die  römischen  lambographen   und  schon  vor  ihnen 
Plautus  und  Terenz,  es  vermieden,  eine  Länge  in  zwei  Eiirzen  derart  auf- 
zulösen,  dass  die  vorletzte   Sylbe  eines  drei-  oder  mehrsylbigen  Wortes 
den  Versictus  erhielt,  während  die  alten  Griechen  infolge  der  verschiedenen 
Betonungsgesetze  ihrer  Sprache  an  einer  derartigen  Betonung  keinen  An- 
stoss  nahmen.^)   Wir  dürfen  also  unseren  Babrios  zum  Prinzenerzieher  des 
Königs  Alexander  von  Issias  in  Kilikien  machen  und   seine  Blüte  in  das 
schliessende  erste  und  beginnende  zweite  Jahrhundert  unserer  Zeitrechnung 
setzen.  —  Den  Stoff  zu  seinen  Fabeln  nahm  unser  Dichter  wesentlich  aus  den 
älteren  Sammlungen  äsopischer  und  libyscher  Fabeln.^)   Was  neues,  sei  es 
von  ihm  selbst,  sei  es  von  anderen,  zum  alten  Fabelschatz  zugefügt  wurde, 
wie   die  Fabel  von   dem  lügenhaften  Araber  (157),    von   dem  lüderlichen 
Ehepaar  (116),*^)  vom  Esel  der  Kybelepriester  (126),  hält  keinen  Vergleich 
mit  den  hübschen  alten  Fabeln  aus.     Aber  die  Form  ist  dem  Babrios  sehr 
gut  gelungen:   der   leichte  Ton   der  Umgangssprache  entspricht   trefflich 
dem  Wesen  der  Fabel;   die  Verse  sind  korrekt  und  elegant  gebaut;   die 
Wahl  des  Choliamb,  der  zwischen  der  Ungebundenheit  der  Prosa  und  der 
Strenge  der  geradlaufenden  Verse  die  Mitte  hält,  ist  dem  populären  Cha- 
rakter der  Sprache  bestens   angepasst.     Auch  erfreuten   sich   die  Fabeln 
des  Babrios  grosser  Popularität   in   den   nachfolgenden  Jahrhunderten,  so 
dass   man    die    alten    Fabeln    nur    noch   in    der    von    ihm    geschaffenen 
Form   las.     Aber  es  hat  lange  gedauert,  bis  man  den  populären  Fabel- 


^)  AusonioB  ep.  16  versteht  den  Ba- 
brius  unter  Aesopia  trimetria,  vergl.  Crü- 
81ÜS*  Ausgabe  p.  7.  Avianus,  der  Fabel- 
dichter, dessen  Lebenszeit  von  der  neueren 
Forschung  in  die  zweite  Hälfte  des  vierten 
Jahrhunderts  gesetzt  wird,  sagt  in  dem 
Widmungsbrief  an  Theodosius:  qucut  {seil. 
Aesopi  fabulas)  graecis  iambis  Babriua  re- 
pefens  in  duo  volumina  coartavit,  Phaedrus 
etiam  partem  aliquam  quinque  in  libellos 
resolvU, 

^)  Siehe  die  Testimonia  in  Crusius* 
Ausg.  p.  3  ff. 

*)  Deutsohmann,  De  poesis  Graecomm 


rhythmicae  priraordiis,  Malmedy  1883,  will 
die  Betonung  der  vorletzten  Sylbe  lediglich 
auf  allgemeine  rhythmische  Grfinde  zurflck- 
führen. 

*)  Ausserdem  sind  die  hfibschen  Fabeln 
bei  den  älteren  Dichtem  und  bei  den  Hiato- 
rikem,  wie  Herodot  I  141,  Philistos  fr.  16, 
Theopomp  fr.  139,  Xenophon  Mem.  Ü  7, 
ganz  so  wie  der  Rhetor  Theon  bei  Spengel 
II  65  verlangt,  von  Babrios  aufgenommen;  s. 
Cbusius  bei  Wissowa  11  2662. 

^)  Diese  milesische  Erzählung  findet  sidi 
auch  bei  Apuleius,  Metam.  9,  26;  s.  Cbusius 
Philol.  47  (1889)  448. 


Ba)  BOmuiohe  Periode  vor  Konstantin.    2.  Die  Poesie.    (§  456.) 


629 


dichter  wiedergewann.    In  die  Neuzeit  hatten  sich  nämlich  zunächst  aus 

dem  Mittelalter  nur  Fabelsammlungen  in  Prosa  gerettet.^)    In  ihnen  und 

den  zahlreichen  Citaten  bei  Suidas  erkannte  zuerst  der  Engländer  Tyrwhitt, 

Dissertatio  de  Babrio  1776,   die  Spuren  des  choliambischen  Gefüges,   so 

dass  er  aus  der  prosaischen  Paraphrase  wieder  eine  Reihe  von  Versen 

herauslas.     Das  Original  selbst,  zwar  nicht  von  allen,  aber  doch  von  123 

Fabeln,  entdeckte  1843  der  Grieche  Minas  in  einer  Pergamenthandschrift 

des  Berges  Athos,   die  sich  jetzt  im  brittischen  Museum  (Cod.  gr.  22087) 

befindet.     Später,  im  Jahre  1857,   trat  derselbe  Minas,  ähnlich  wie  er  es 

bei  dem  christlichen  Buche  Hermas  machte,^)   mit  der  angeblichen  Kopie 

einer  zweiten  Handschrift  des  Athos  mit  weiteren  95  Fabeln  in  Choliamben 

auf;  dieselbe  erwies  sich  aber,  hauptsächlich  durch  das  Yersmass,  als  eine 

plumpe  Fälschung.    Dagegen  gelang  es  neuerdings  (1877)  Pius  KnöU,  aus 

dem  Cod.  Vatic.  gr.  777  noch  mehrere  neue  Fabeln  des  Babrios  ans  Licht 

zu  ziehen,  wozu   allerneuestens   noch  sieben  Wachstafeln  kamen,  welche 

van  Assendelft  in  Palmyra  von  einem  Araber  erworben  und  der  Leidener 

Bibliothek  vermacht  hat.«) 

Ed.  princ.  von  Boissotiade,  Paris  1844;  ed.  Lachmankits  et  amici,  Berlin  1845;  ed. 
ScBVEiDB-wiN,  IJps.  1853;  ed.  Ebebbard,  Berl.  1875;  rec.  Gitlbauer,  Wien  1882;  with  infcro- 
doctoiy  dissertations,  commentary  and  lezicon  ed.  Rütbbrfobd,  London  1883;  ed.  Cbusius 
1897  in  Bibl.  Teubn.,  Hauptausgabe.  —  Ficus,  Ueber  den  Bau  des  griech.  Gholiambus,  ins- 
besondere ttber  den  des  babrianischen  Mythiambns,  in  Rossbachs  Metr.*  808—848. 

456.  Oppianos  aus  Korykos  in  Eilikien  lebte  vor  Athenaios,  der 
ihn  p.  13  b  citiert,  unter  M.  Aurel.*)  Sein  Vater,  ein  reicher  und  ange- 
sehener Bürger  seiner  Heimatstadt,  war  in  Ungnade  gefallen,  weil  er  beim 
Durchzug  des  Kaisers  Verus  sich  der  Huldigung  seines  kaiserlichen  Herrn 
entzogen  hatte,  und  wurde  zur  Strafe  dafür  auf  die  Insel  Melite  im  adriati- 
schen  Meere  verbannt.  Der  Sohn  begleitete  den  Vater  in  die  Verbannung, 
kam  aber  nach  dem  Tode  des  Verus  (169)  bei  dem  Kaiser  M.  Aurel  so 
in  Gunst,  dass  derselbe  ihm  zulieb  die  Begnadigung  des  Vaters  verfügte 
und  ihn  selbst  königlich  belohnte,  indem  er  4hm,  wie  man  erzählte,  für 
jeden  Vers  ein  Goldstück  schenkte.  Aber  der  hochgefeierte  Dichter  starb 
bald  darauf  in  der  Blüte  des  Lebens  im  30.  Lebensjahre;  sein  Andenken 
ehrten  seine  Mitbürger  durch  ein  Standbild.  Seinen  Ruhm  verdankte  er 
dem  uns  noch  erhaltenen  Lehrgedicht  vom  Fischfang,  Halieutika  in  5  B., 
das  er  dem  Kaiser  M.  Aurel  und  dessen  Sohn  Commodus  widmete.  Dem 
Gedicht  fehlt  es  nicht  an  Glätte  des  Versbaus  und  Schmuck  der  Rhetorik, 
aber  das  hohe  Ansehen  desselben  bleibt  uns  doch  unverständlich.  Dem- 
selben Oppian  werden  ausserdem   vom  Verfasser  der  Vita  als  Jugendar- 


^)  Ueber  die  Paraphrasenhandscbriffcen 
des  Babrios  s.  Cbusius  Ausg.  praef.  p.  XIV  ss., 
Aber  Ignatios  nnd  andere  Nachanmer  des 
Babrtas   ebenda  p.  X^I  ss.  und  p.  264  ss. 

*)  Vgl  unten  §  672. 

*)  Nachriebt  gaben  Hessblino,  Jonm.  of 
HelL  sind.  XIII  (1892)  293  ff.,  Weil,  Journal 
des  Savants,  Mars  1894,  Grusius  Philol.  53, 
228  ff.  Der  letzte  teüt  in  der  Ausg.  Pboio- 
typien  der  Tafeln  mit. 


^)  Suidas:  'Onniayog  ysyoytog  inl  MaQxov 
*Avjiovlvov.  In  die  Vita,  gedruckt  bei  Westbb- 
MANN,  Biogr.  gr.  63,  ist  durch  Verwechselung 
des  Mitregenien  Verus  (gest.  169)  mit  dem 
Kaiser  Severus  (193 — 211)  Verwirrung  ge- 
kommen; siehe  Rudolph,  Leipz.  Stud.  VII  6. 
Eine  zweite  Vita  in  politischen  Versen  von 
Eonstantinos  Menasses  gleichfalls  bei  Wester- 
mann. Ad.  Aüsfeld,  De  Oppiano  et  scriptis 
sub  eins  nomine  traditis,  Gotha  1876. 


630 


Grieohisohe  LitteratnrgeBcbichte.    II.  NaohklassiBohe  Litteratiir. 


beiten  Kvvrjyexixd  und  *I^€vnxa  beigelegt,  von  denen  die  ersten  in  4  B.^) 
uns  erhalten  sind,  aber  nicht  dem  Verfasser  der  Halieutika  angehören. 
Denn  abgesehen  von  ihrem  geringeren  poetischen  Gehalt  gibt  sich  ihr 
Verfasser  dadurch  deutlich  als  einen  verschiedenen  Dichter  kund,  dass  er 
2,  123  u.  156  Apamea  in  Syrien  als  seine  Heimat  bezeichnet.  Sein  Ge- 
dicht widmete  er  dem  Kaiser  Caracalla,  wonach  dasselbe  erst  nach  211, 
wahrscheinlich  im  Jahre  212,  geschrieben  sein  wird.*)  Auch  der  Versbau 
weicht  in  einigen  Kleinigkeiten,  wie  in  der  Zulassung  iambischer  Wörter 
vor  der  Hauptcäsur,  von  der  Eleganz  der  Halieutika  ab.^)  Die  Ixeutika, 
vom  Vogelfang  mit  Leimruten,  sind  verloren  gegangen ;  auf  uns  gekommen 
ist  die  Metaphrase  eines  gleichbetitelten  Lehrgedichtes  in  3  B.  von  Dio- 
nysios,  wahrscheinlich  demselben,  der  nach  Suidas  auch  ^t&taxä  ge- 
schrieben hatte. 

Cod.  Yen.  479,  worüber  0.  Tüselxann,  Zur  handschriftlichen  üeberliefemng  yon 
Oppians  Eynegetika,  Progr.  Nordhausen  1890.  —  Ausg.  von  Rittershüsius,  LB.  1597  mit 
Itommentar;  von  J.  G.  Schneioeb,  Ärgent.  1786,  mit  kurzen  Noten,  lips.  1813;  von  F.  S. 
Lbhrs  in  den  Poet  buc.  et  didact,  Paris  1846  mit  der  Metaphrase  der  Ixeutika,  die  unter 
dem  Titel  negi  oQylSaty  auch  bei  Gbambb  An.  Par.  1 21  ff.  steht.  —  M.  Miller,  Oppians  des 
Jüngeren  Gedicht  von  der  Jagd,  Amberger  Progr.  1885.  —  Eine  Paraphrase  der  Kyne- 
getika  von  Euteknios  teilt  Tuselmann  mit;  vgl.  Gbüsiüs  Herm.  21,  487  ff. 

457.  Unbedeutend  sind  die  Reste,  die  von  anderen  didaktischen  Ge- 
dichten unserer  Periode  erhalten  sind,  nämlich  Verse  aus  den  ^iralixd 
x^safiara  des  Heliodor  über  die  Heilquellen  von  Puteoli,  GrjQiaxd  von 
Andromachos,  Oberarzt  unter  Nero,  in  174  elegischen  Distichen,  ein 
Abschnitt  der  'larQixd  des  Markellos  aus  Side  unter  den  Antoninen,*) 
ein  am  Anfang  und  Schluss  verstümmeltes  Lehrgedicht  ncQl  ivvdfjtewg  %mv 
ifvifov  in  215  Hexametern.  Auf  das  grösste  und  bedeutendste  Lehrgedicht 
der  Eaiserzeit,  die  Periegese  des  Dionysios,  werden  wir  unten  in  dem 
Abschnitt  über  Geographie  zurückkommen.  —  Zu  den  alten  Stoffen  des 
Lehrgedichtes  trat  in  unserer  Zeit  die  mit  dem  wissenschaftlichen  Mäntel- 
chen der  Mathematik  sich  umkleidende  Afterwissenschaft  der  Astrologie.^) 
Dieselbe  hatte  sich  schon  in  der  jüngeren  Alexandrinerzeit  von  Chaldäa 
und  Ägypten  aus  über  die  hellenistische  und  römische  Welt  ausgebreitet, 
fand  aber  besonders  in  der  Kaiserzeit,  trotz  wiederholter  Verbote,  eifrige 
Anhänger  in  den  wundersüchtigen  Kreisen  der  vornehmen  Welt.  Durch 
das  phantasieerregende  Halbdunkel  ihrer  Lehre  und  durch  den  Ausblick 
in  die  Wunderwelt  des  Sternenhimmels  eignete  sie  sich  mehr  wie  andere 
Wissensgebiete  zur  poetischen  Darstellung  und  fand  dieselbe  auch  reich- 
lich in  lateinischer  und  griechischer  Sprache.  Von  den  astrologischen 
Lehrgedichten  der  Griechen  ist  das  bedeutendste  die  Unoreleafiatixd  des 
Manetho  in  6  B.,  von  denen  die  ältesten,  2.,  3.,  6.,   unter  den  Kaisern 


^)  Die  Vita  spricht  von  5  B.;  Snidas 
stimmt  in  der  Angabe  von  4  B.  mit  unserem 
Texte  aberein. 

')  Das  Jahr  212  nach  dem  Kaisertitel 
in  V.  4  angenommen  von  Hibscbfeld  Herm. 
24  (1889)  158. 

*)  Lbhbs,  Quaest  ep.  diss.  V  de  Halieu- 
ticonun  et  Gynegeticorum  discrepantia;  W. 
M£YBB,  Zur  Gesch.  des  griech.  u.  lat.  Hexa- 


meters, Sitzb.  d.  b.  Ak.  1886  S.  985  f. 

*)  Von  diesem  Marcellus  auch  ein  Ge- 
dicht zu  Ehren  des  He^odes  Atticus  inachrift- 
lich  erhalten  in  dem  an  der  Appischen  Strasse 
von  Herodes  Atticus  zu  Ehren  seiner  ver- 
storbenen Gemahlin  errichteten  TropaioD, 
Eaibel  epigr.  gr.  1046. 

^)  NiBSS,  Astrologie,  in  der  Realency- 
klopädie  von  Pauly-Wissowa. 


B  a)  BOmisohe  Periode  vor  Konstantin.  8.  Die  Prosa,  a)  Diodoros.  (§§  457—459.)     631 

aus  dem  Hause  Severus,  dessen  männliche  wie  weibliche  Glieder  der  Astro- 
logie zugethan  waren,  entstanden  sind.  Ausserdem  haben  wir  astrologische 
Lehrgedichte  von  Maximus  ncQi  xatuQx^v  (wohl  noch  der  jüngeren  Ale- 
xandrinerzeit angehörend),  Dorotheos  nsQi  tdav  xatagxm'  (aus  dem  1. 
oder  2.  Jahrh.  n.  Chr.),  Annubion  (vor  Firmicus  Maternus  der  ihn  citiert) 
ncQi  fAoiQag  (OQoaxonovcriqy  das  letzte  Gedicht  in  Distichen.  —  In  das  Ge- 
biet der  naturgeschichtlichen  Wunderlehre  gehörten  die  Gedichte  Ilav- 
ax€iu  'Allheilmittel'  und  UksSixtjTtog  'Gartenschutz',  des  unter  Alexander 
Severus  lebenden  Epikers  Nestor  von  Laranda,  welche  sogar  die  Ehre 
fanden,  von  Cassianus  Bassus  im  6.  Jahrhundert  kommentiert  zu  werden. 

Die  genannten  Lehrgedichte  zosanunen  mit  den  astrologischen  Fragmenten  des 
Dorotheos,  Annabion  und  Maximus  in  Poetae  buc.  et  didact.  von  F.  S.  Lbhbs  und 
Abn.  EOchly,  Paris  1846  u.  1857.  Die  'AnoxBXaüfAanxn  des  Manetho  von  Eöobly,  Lips. 
1857;  Maximus  von  Ludwich  Lips.  1877.  —  Das  Gredicht  ttber  die  Pflanzenkr&fke  ist  mit 
neuen  Hilfsmitteln  bearbeitet  von  M.  Haupt,  Opusc.  II  475  ff.;  Maroblli  Sidbtax  medici 
fragm.  rec.  Max  Sohmbidbb,  in  Gomm.  Ribbeck.  p.  115—81. 

8.  Die  Prosa. 

458.  Wie  schon  oben  bemerkt  und  in  dem  ganzen  Charakter  der 
Zeit  begründet  ist,  steht  die  Prosa  in  dem  Vordergrund  der  Litteratur 
unserer  Periode.  Im  allgemeinen  entfernte  sich  dieselbe  von  dem  Zuge 
gelehrter  Polyhistorie,  welche  den  Werken  der  alexandrinischen  Zeit  das 
Gepräge  gegeben  hatte,  und  wandte  wieder  der  Form  der  Darstellung  er- 
höhte Aufmerksamkeit  zu.  Das  steht  in  Zusammenhang  mit  den  rhetori- 
schen Studien,  welche  gleich  im  Beginne  unserer  Zeit  sorgsame  Pflege 
durch  hervorragende  Schriftsteller  gefunden  hatten  und  seit  dem  2.  Jahr- 
hundert in  den  Werken  der  Sophistik  ihren  schöpferischen  Ausdruck 
fanden.  Innerhalb  der  Prosa  mischten  sich  die  verschiedenen  Gattungen: 
Dionysios  von  Halikamass  verfasste  zugleich  historische  und  rhetorische 
Werke;  Plutarch  schrieb  über  philosophische,  historische  und  rhetorische 
Themata.  Infolge  dessen  geht  es  nicht  wohl  an,  auch  in  unserer  Periode 
die  Scheidung  der  Prosa  nach  ihren  Gattungen  strenge  durchzuführen. 
Ich  werde  mir  daher  unter  grösserer  Beachtung  der  zeitlichen  Folge  einen 
freieren  Gang  einzuschlagen  erlauben,  aber  doch  so,  dass  ich  in  der  Haupt- 
sache zuerst  die  Historiker  und  Geographen,  sodann  die  Philosophen  und 
Sophisten  und  zuletzt  die  Rhetoren  und  Grammatiker  behandele. 

a)  Historiker  und  Rhetoren  aus  dem  Beginne  der  Kaiserzeit. 

469.  Diodor,*)  geboren  in  Agyrion,  einem  Städtchen  Sikiliens,  blühte 
unter  Augustus.»)    Er  ist  Verfasser  der  Bibliothek  oder  einer  allgemeinen 


')  Erwähnt  werden  die  Gedichte  in  den 
Georgika  XV  1  n.  XII  16,  worttber  Oobb  Rh. 
M.  48, 9.  Von  anderen  Dichtongen  des  Nestor 
erfahren  wir  durch  Snidas:  NeattaQ  Aagay- 
dsvg  ix  AvxK.f*foyylag,  htonoU^j  naxrJQ  Uei- 
eär&Qov  rov  noiijtovy  yeyoytüg  inl  ießiJQov 
rov   ߀UftX^tag,   'tk^äda   XemoygdfÄfÄatoy   .  .  . 


xaevg,  xai  &XXa. 

*)  Ein  kurzer  Artikel  des  Suidas;  Diodor 
I  1-5.  Waohsmüth,  Einleit.  81—103;  BO- 
DiNGBB,  üniversalhist.  112—183. 

*)  Sicher  lebte  er  bis  21  v.  Chr.;  denn 
auf  Ereignisse  dieses  Jahres  bezieht  er  sich 
16,7. 


632 


Grieohische  Lüteratnrgesohichte.    ü.  HaehklaMisohe  Litteratar. 


Geschichte  in  40  B.^)  vom  Anfang  der  Dinge  bis  auf  Cäsars  Krieg  mit 
den  Galliern*)  oder  bis  auf  das  Archontat  des  Herodes  60/59  v.  Chr.  In 
dem  Proömium  des  Werkes  (I  1 — 5)  spricht  er  sich  selbst  über  die 
Anlage  desselben  und  über  seine  Vorstudien  aus:  30  Jahre  hatte  er  auf 
die  Ausarbeitung  verwendet,  hatte  zu  diesem  Behufe  grosse  Reisen  unter- 
nommen, 3)  sich  zur  griechischen  Muttersprache  auch  noch  die  Kenntnis 
des  Lateinischen  angeeignet^)  und  in  Rom  fleissig  die  reichen  Hilfismittel 
der  Bibliotheken  und  Archive  studiert.  Von  hohen  Vorstellungen  über 
den  Beruf  des  Historikers  und  die  Nützlichkeit  einer  allgemeinen  Geschichte 
erfüllt,  hat  er  doch  in  der  Ausführung  weniger  geleistet,  als  er  in  der 
glänzenden  Einleitung  seines  Werkes  verspricht.  Sein  bewundertes  Vor- 
bild war  ihm  Ephoros;  über  ihn  ging  er  nach  zwei  Richtungen  hinaus: 
einerseits  fügte  er  zur  griechischen  Geschichte  die  römische,  anderseits  zog 
er  auch  die  mythische  Vorzeit  in  den  Bereich  seiner  Darstellung.^)  War 
das  erste  in  den  natürlichen  Verhältnissen,  der  Lebenszeit  des  Verfassers, 
begründet,  so  war  das  zweite  durch  den  Einfluss  des  Euhemeros,  der  in 
den  Göttermythen  einen  Niederschlag  historischer  Ereignisse  sah,  hervor- 
gerufen. Eine  Universalgeschichte  sollte  sein  Werk  aber  nicht  bloss  dem 
zeitlichem  Umfange  nach  sein,  er  suchte  ihr  auch  einen  allgemeinen  Cha- 
rakter dadurch  zu  geben,  dass  er  neben  den  Ereignissen  und  Handlungen 
den  geographischen  Verhältnissen  und  den  Sitten  der  Völker  seine  Auf- 
merksamkeit zuwandte  und  ausser  den  politischen  Persönlichkeiten  auch 
die  Dichter,  Schriftsteller,  Künstler  beachtete.*)  Der  Plan  wÄre  somit 
gut  gewesen ;  wenn  aber  trotzdem  das  Werk  so  wenig  befriedigt,  so  liegt 
der  Grund  teils  in  dem  geistigen  Unvermögen  des  Autors,  teils  in  der 
Anlage  und  Disposition  des  Werkes.  Diodor  war  grossgezogen  in  den 
Rhetorenschulen  und  Bibliotheken,  nicht  im  Feld  und  im  praktischen  Leben ; 
so  entbehrte  er  des  politischen  Scharfblickes  in  der  Auffassung  der  staat- 
lichen Kämpfe  und  der  leitenden  Persönlichkeiten.  Er  war  ein  fromm- 
gläubiger Mann,  der  festhaltend  an  dem  alten  Volksglauben  das  Walten 
der  Gottheit  in  den  Erfolgen  der  Gottesfürchtigen  und  dem  Unglück  der 
Ruchlosen  suchte,^)  aber  er  besass  nichts  von  jener  kritischen  Schärfe, 
welche  das  Wahre  vom  Falschen  zu  scheiden  und  die  Thatsachen  auf  ihre 
wirklichen  Gründe  zuiilckzuführen  lehrt.    Vollends  war  er  nicht  der  Mann, 


')  Za  beachten  die  gleiche  Zahl  von 
40  B.  bei  Polybios. 

')  Nach  5,  21  f.  möchte  man  annehmen, 
dass  er  noch  den  Zug  Cäsars  nach  Britannien 
zn  erzählen  im  Sinne  hatte.  Vogel,  Die  Ver- 
5ffentlichang  von  Diodors  Geschichtswerk, 
Philologenvers.  in  München  1891  S.  228 
bringt  diesen  Widerspruch  in  Zusammenhang 
mit  der  Klage  des  Diodor  40,  8,  dass  ihm 
Teile  seines  Werkes  vor  der  abschliessenden 
Revision  gestohlen  und  veröffentlicht  worden 
seien,  so  dass  teilweise  die  nicht  revidierte 
Ausgabe  auf  uns  gekommen  sei;  dagegen 
Wachsktttb,  Einleit.  83  ff. 

•)  Aegypten  hatte  er  um  die  180.  Olym- 
piade besucht  (1,  44).     Dass  er  dort,  wie 


einst  Herodot  von  den  Priestern    sich  be- 
lehren Hess,  erzählt  er  3,  11. 

^)  Mit  Diodors  Kenntnis  des  Lateinischen 
war  es  indes  nicht  weit  her,  indem  er  s.  B. 
aus  dem  Ablativ  Fidenate  und  Laenate  einen 
Nominativ  ^idfjydxTjg  (12,  73)  und  Aatr«%rfi 
(16,  15)  konsiziiierte.  üeber  Missrwst&nd- 
nisse  der  lateinischen  Vorlage  siehe  Büdibgbr, 
Universalhist  122. 

^)  Diod.  4,  1.  Darin  war  ihm  ApoUodor 
vorangegangen. 

^)  So  versucht  er  12, 1  eine  Schilderung 
des  perikleischen  Zeitalters. 

')  £inf&ltigerweise  läset  er  den  Kfinig 
Philipp  die  Stimmen  derPhokerwe 
Frömmigkeit  erhalten  (14,  76). 


B  a)  RdnÜBohe  Periode  vor  Konstantin.  3.  Die  Prosa,  a)  Diodoroa.  (§  459.)    633 


ein  Prinzip  streng  durchzuftihren  oder  gar  eine  Weltgeschichte  im  Geiste 
eines  Weltbürgers  zu  sehreiben.  Er  bezeichnet  zwar  die  Gesamtheit  der 
Völker  als  eine  grosse  Gemeinde  {nolig),^)  aber  er  hat  keine  Ahnung  von 
einer  fortschreitenden  Entwicklung  des  Menschengeschlechtes;  er  merkt 
die  Blüte  der  Dithyrambendichter  Philoxenos,  Timotheos,  Telestes  und 
Polyeidos  an  (14,  46),  aber  von  Aischylos  und  selbst  von  Aristophanes 
erfahren  wir  nichts.  —  Zu  dem  Mangel  an  Kritik,  planmässiger  Konsequenz 
und  praktischer  Erfahrung  kam  aber  noch  eine  ganz  verfehltjB  Anlage. 
Diodor  befolgt  in  dem  grössten  Teil  seines  Werkes  die  annalistische  Me- 
thode, indem  er  den  einzelnen  Abschnitten  die  Bezeichnung  des  Jahrs  nach 
Olympiaden,  attischen  Archonten  und  römischen  Konsuln  vorausschickt. 
Es  liegt  von  vornherein  in  dieser  Bezeichnung  eine  Ungenauigkeit,  indem 
sich  bekanntlich  der  Amtsantritt  der  Archonten  und  Konsuln  nicht  genau 
deckt.*)  Aber  abgesehen  davon,  ist  für  eine  Universalgeschichte  eine 
Jahresepoche  zu  klein;  stossen  wir  uns  schon  bei  Thukydides  öfter  an  der 
Zerreissung  der  Darstellung  durch  den  Sommer-  oder  Winterschluss,  so 
wird  vollends  bei  Diodor  unsere  Nachsicht  auf  harte  Probe  gestellt,  wenn 
wir  alle  fünf,  sechs  Kapitel  von  Griechenland  nach  Sikilien,  Makedonien, 
Rom  gezerrt  werden.  Und  hätte  sich  nur  Diodor  nach  dem  Beispiel  des 
Thukydides  streng  an  das  vorausgeschickte  chronologische  Lemma  gehal- 
ten; so  aber  greift  er  in  der  Ausführung  ein  über  das  andere  Mal  über 
die  Grenzen  der  vorangestellten  Zeit  hinaus,  so  dass  z.  B.  in  der  Pente- 
kontaetie  oder  in  der  Geschichte  der  50  Jahre  vor  dem  Beginne  des  pelo- 
ponnesischen  Krieges,  in  der  wir  hauptsächlich  auf  Diodor  angewiesen 
sind,  die  genaue  Festsetzung  der  Zeit  eine  wahre  Sisyphusarbeit  geworden 
ist.  Diodor  lobt  es  zwar  an  Ephoros,  dass  derselbe  in  den  einzelnen 
Büchern  die  Erzählung  um  einen  Mittelpunkt  gruppiert  habe,^)  aber  ihm 
selbst  gelingt  dieses  nur  in  einzelnen  Partien,  wie  in  dem  5.  Buch  und 
in  der  Geschichte  Alexanders ;  meistens  macht  ihm  jene  verkehrte  Anlage 
einen  Strich  durch  die  Rechnung,  so  dass  er  zu  allgemeinen  Betrachtungen 
fast  nur  in  den  Einleitungen  der  einzelnen  Bücher  und  in  den  Nachrufen 
grosser  Männer  kommt.  In  diese  Unzukömmlichkeiten  geriet  er  aber 
hauptsächlich  deshalb,  weil  er  nicht  selbständig  seinen  Plan  entwarf,  son- 
dern in  der  ganzen  Anlage  von  der  Chronik  des  ApoUodor  (und  dessen 
Fortsetzers  Kastor)  abhängig  war.^)  Er  hat  gewissermassen  nur  die  kurzen 
chronologischen  Register  seines  Vorgängers  mit  ausführlichen  Exzerpten 
aus  historischen  Spezialwerken  ausgefüllt.  Passend  heisst  daher  auch  sein 
Werk  BtßXio^xTj  (oder  BißXio&rjxai),  d.  i.  ein  Buch,  in  dem  man  alle 
möglichen   historischen  Werke,  wenn   auch  nur  in  Exzerpten  zusammen- 


^)  Das  war  stoische  Auffassung;  siehe 
Bu8ox.T,  Diodors  Verh&ltaiis  zum  Stoicismus, 
Jahrb.  f.  Phü.  139  (1889)  297-315). 

*)  ÜHOEK,  Die  Jahresepoche  des  Diodor, 
PhiL  39,  305  fT.;  40,  48  ff.;  41,  78  ff.  Die 
NachÜssigkeit  Diodors  bot  dem  Scharfsinn 
üngers  die  Möglichkeit,  die  Quellen  Diodors 
zu  echeiden.  üeber  chronologische  Fehler 
Diodors  steht  die  ältere  Litteratur  bei  Voss, 


De  bist.  212  und  die  Berichtigungen  Clintons 
in  DiNDOBFS  ed.  min.  111  praef.  XXX  bis 
XXXYUl.  Sorgfältige  Einzeluntersuchungen 
von  F.  Rbuss,  Die  Chronologie  Diodors,  Jahrb. 
f.  cl.  Phil.  1896  S.  641—671. 

')  5,  1 :  Tioy  yaq  ßißXwy  ixdattjy  ne- 
noit^xe  Trepte/tii'  naxd  yivog  rag  nQa^eig. 

*)  Diese  Abhängigkeit  gesteht  er  selber 
I  5  zu. 


634 


Qriechisohe  Lüteratargesohiobt«.    II.  Haohklamisohe  Litteratiur. 


findet.  1)  Aber  trotz  der  unleugbaren  Mängel  war  das  Unternehmen  Dio- 
dors  ein  grossartiges,  das  des  Beifalls  der  Nachwelt  sicher  sein  konnte. 
Zwar  in  der  nächsten  Zeit  hat  dasselbe  keine  besondere  Beachtung  ge- 
funden. Aber  seit  dem  3.  Jahrhundert,  nachdem  die  älteren  Werke  des 
Thukydides,  Ephoros,  Theopomp  und  Polybios  ihre  Leser  verloren  hatten, 
war  es  vorzüglich  Diodor,  aus  dem  sich  Heiden  wie  Christen  über  die 
grossen  Zeiten  der  alten  Welt  Belehrung  holten.*) 

460.  Einteilung  des  Werkes.  Über  die  Einteilung  des  Werkes 
spricht  sich  der  Verfasser  selbst  im  Proömium  (I  4  f.)  aus.^)  Demnach  ist 
dem  Ganzen  eine*  aQx^^okoyta  oder  eine  Darstellung  der  alten  mythischen 
Zeiten  in  6  B.  vorangeschickt.  Von  diesen  behandeln  die  drei  ersten  nach 
einer  kurzen  Einleitung  die  Vorgeschichte  der  Barbaren,  der  Ägypter 
(B.  1),  der  Assyrier,  Babylonier,  Meder,  Indier,  Skythen,  Hyperboreer, 
Araber  (B.  2),  der  Äthiopier,  Libyer,  Atlantier  (B.  3).  Die  drei  übrigen 
Bücher  gelten  der  mythischen  Vorzeit  der  Griechen  und  Europäer,  das 
fünfte  speziell  den  Inselbewohnern.  Von  diesen  sechs  Büchern  sind  uns 
die  fünf  ersten  vollständig  erhalten;^)  von  dem  sechsten,  das  die  Götter- 
geschichte nach  dem  historischen  Deutungssystem  des  Euhemeros  enthielt, 
haben  wir  nur  spärliche  Reste.  Die  eigentliche  Geschichte  will  Diodor 
wieder  in  zwei  Teile  zerlegt  wissen,  in  einen  älteren,  der  die  Zeit  von 
den  Troicis  bis  zu  Alexanders  Tod  umfasst  (B.  7 — 17),  und  einen  jüngeren, 
der  von  da  bis  zu  Cäsars  gallischem  Kriege  reicht  (B.  18 — 40).  Von 
diesen  historischen  Teilen  ist  die  zweite  Dekade  (11—20),  mit  dem  Zug 
des  Xerxes  beginnend  und  bis  zu  dem  Kriege  gegen  Antigonos  reichend, 
vollständig  auf  uns  gekommen.^)  Im  übrigen  sind  wir  auf  Exzerpte  und 
chrestomathische  Auslesen  angewiesen.  Solche  sind:  1)  die  Eclogae 
Hoeschelianae,  dürftige  Exzerpte  der  Bücher  21—26,  veröffentlicht  aus 
einer  jetzt  verloren  gegangenen  Handschrift  von  dem  Augsburger  Huma- 
nisten Höschel  (1603),  2)  die  Exzerpte  des  Photios  (Bibl.  cod.  244)  aus  den 
Büchern  31 — 40  mit  einigen  vollständig  ausgehobenen  Partien,  darunter  das 
interessante,  in  antisemitischem  Geiste  geschriebene  Kapitel  über  die  Juden 
(34,  1),  3)  Teile  aus  den  vier  Rubriken  des  konstantinischen  Exzerpten- 
werkes negl  nq^aßemv^  nsQi  aQetijg  xal  xaxiag,  nsQi  yv(üf.iu)v.  negi  intßovhwVj 
4)  Fragmente  aus  gelegentlichen  Citaten,  namentlich  aus  Eusebios  und 
den  Byzantinern  Synkellos,  Tzetzes,  Eustathios.«) 


0  Den  Titel  erwähnt  rOhmend  ein  Geistes- 
verwandter unseres  Autors,  Plinius  n.  h. 
prooem.  25.  Den  Plural  ßißXioffijxat  sucht  als 
den  ursprünglichen  Titel  zu  erweisen  Bü- 
DINGEB  a.  0.  113. 

')  Dieses  spricht  am  deutlichsten  aus 
Eusebios  praep.  evang.  II  in.:  JMatgog  ix 
nXeioyfüy  reis  laioQiag  d^aXe^afievos  xal  tog 
€yi  fiaXuna  xd  nag*  ixdaroig  %&psai>v  anrjxgi' 
ß?jxo)g  i7ng)atft)g  avrjg  xal  do^ay  ov  /uixgdy 
TiaiJeiag  nagd  ndai  (piXoXoyotg  xitjaafAeyog 
xal  drj  ndoay  xtjy  naXaidy  avyayaytoy  lato- 
giav.    Vgl.  praep.  evang.  1  6,  9. 

■j  Eine  nützliche  Oeconomia  Historien 
Diodori  gibt  der  5.  Band  der  grossen  Din- 


dorf  sehen  Ausgabe. 

^)  Dass  uns  gerade  die  5»  nicht  die  6 
ersten  Bücher  erhalten  sind,  muss  daher 
kommen,  dass  das  Werk  in  der  Zeit  der 
Pergamentbände  geradeso  wie  das  des  Livins 
nach  Dekaden  und  Halbdekaden  abgeschrie- 
ben wurde;  vgl.  Polybios  und  Casmos  Die. 

')  Lücken  weist  die  handachrifÜiche 
Ueberlieferung  im  13.  17.  u.  18.  Buch  auf; 
ein  vollständigeres  Exemplar  setzen  die  den 
einzelnen  Büchern  vorausgehenden  Inhalts- 
angaben voraus. 

^)  Die  Unechtheit  der  von  Weeseliiig 
in  seine  Ausgabe  au^enommenen  65  Briefe 
ist  jetzt  allgemein  anerkannt  und  sind  die- 


B  a)  EOmiiohe  P«riode  vor  Konatantin.  3.  Die  Prosa,  a)  Diodoroa.  (§§  460—461.)    635 

461.  Stil  und  Quellen.  Die  Bedeutung  der  Bibliothek  des  Diodor 
besteht  wesentlich  in  dem  Reichtum  ihres  Inhalts.  Dass  ihr  Verfasser 
der  Aufgabe  eines  kritischen  Historikers  nicht  gewachsen  war,  zeigt  jedes 
Katt.^)  Auch  sein  Stil  hat  nichts  Originelles  und  nichts  Anziehendes. 
Photios  zwar  lobt  die  Sprache  und  rühmt  an  ihr  die  schlichte  Klarheit, 
welche  zwischen  der  Affektiertheit  der  Attikisten  und  der  Fehlerhaftigkeit 
der  Yulgärsprache  eine  glückliche  Mitte  halte.  >)  Aber  aus  diesem  gün- 
stigen Urteil  spricht  die  Vorliebe  des  Mittelalters  für  das  Vorbild  der 
byzantinischen  Chronisten;')  in  der  That  ist  der  Stil  des  Diodor  eintönig, 
ermüdend  durch  die  Wiederkehr  gleicher  Übergangsformeln,  anstössig 
durch  die  ungriechische  Häufung  von  abstrakten  Wörtern.*)  Aber  wenn 
der  Autor  nicht  durch  sich  und  seine  Kunst  anzieht,  so  nimmt  er  dagegen 
in  hohem  Grad  durch  die  Fülle  des  Inhalts  unsere  Aufmerksamkeit  in 
Anspruch ;  seine  Bibliothek  bietet  uns  Ersatz  für  den  Verlust  der  grossen 
historischen  Werke  der  vorangegangenen  Zeit;  von  vielen  Historikern  und 
ihren  Büchern  haben  wir  überhaupt  nur  durch  ihn  Kenntnis.  Von  einem 
solchen  Werk,  das  fast  ganz  aus  Exzerpten  zusammengesetzt  ist,^)  würden 
wir  heutzutage  erwarten,  dass  unter  den  einzelnen  Abschnitten  regel- 
mässig die  Quelle  angemerkt  sei.  Diodor  thut  dieses  nicht;  er  wollte 
offenbar  den  Schein  vermeiden,  als  ob  sein  Werk  auf  einer  so  niederen 
Stufe  stehe;  er  war  wohl  auch  nicht  ein  so  armseliger  Skribent,  dass  er 
immer  nur  einer  Quelle  sich  sklavisch  anschloss.  Er  hat  daher  nur  selten 
wie  2,  32  und  3,  67,  wo  er  in  indirekter  Rede  die  Angaben  des  Ktesias 
und  Dionysios  referiert,  seine  Quelle  ausdrücklich  genannt.  Im  übrigen 
lässt  er  uns  nur  erraten,  woher  er  seine  Weisheit  geschöpft  habe,  hat 
uns  aber  dazu  einen  guten  Fingerzeig  gegeben,  indem  er  von  den  be- 
nutzten Historikern  an  zukommender  Stelle  anmerkt,  mit  welchem  Jahre 


selben  als  modeme  Fftlachaiig  ans  den  neueren 
Ausgaben  ganz  verschwunden. 

')  MüLLBB,  Geogr.  gr.  min.  I  174  weist 
als  beiaonderes  Zeichen  kritikloser  Nachlfissig- 
keit  nach,  dass  Diodor  3, 40  ein  nQOHQrjxafABv 
srglos  aus  seiner  Quelle,  dem  Agatharchides, 
herilbergenommen  hat,  ohne  dass  er  auch 
selbat  die  betreffende  Nachricht  im  Voraus- 
gehenden gegeben  hatte.  Aehnlich  verhält  es 
sich  mit  dem  aus  einem  alten  Annalisten, 
wahrscheinlich  Fabius,  genommenen  Satz 
ftber  Luceria  19,  72:  ifag  ttöp  xa*V  ijfda^ 
XQÖ^toy  ^iexiXBCttv  oQfurjtr^Qitp  )[Q(jSfi€y(n  xara 
imy  TtXrjoioy  iSvtjy. 

*)  Phot.  Bibl.  p.  d5a,  6:  xixQfjtai  (pQaaei 
€a«pei  TS  X€d  ax6fA%lH^  xal  [aroQitf  ftaXtcx« 
n^enovafi,  xai  f*rjte  tag  (os  av  e{;io^  iiq  Xiay 
vjiBfffjtftxuffUyai  xai  aQx^f^^^f^ovg  dicJxtoy 
0vyra^eif,  f^fjxe  ngof  itjy  xa&tüfiiXijf4^yijy 
revatr   navtshäg  a'AXu   t^  fABCio   ttiy  Xoytoy 

*)  Eoseb.  praep.  ev.  I  6,  9:  o  lixBlnaxrjg 
Ji6d»gogy  yytagtfjuataTo^  dytJQ  tots  *EXXrjyfay 
Xoyimtaxoii.  Justinus  Martyr  ad  Gr.  c.  26 : 
iy^o^otttto^    twy    l<iioQioyQd(pmy,      Malalas 


Ghron.  83:  Modtago^  6  aogmtaro^. 

*)  Daneben  aber  ist  Hiatus  vermieden; 
8.  Ealker,  De  hiatu  in  libris  Diodori,  Leipz. 
Stud.  m  303  ff.  -  Mängel  der  Diktion  ein- 
zelner Bücher  entschuldigt  Diodor  40,  21  mit 
zu  frühzeitiger  Herausgabe:  raJv  ßißXitjy  xiveg 
TtQo  xov  diog&tadrjyai  xai  xrjy  dxgißrj  avy- 
xiXutty  Xaßeiy  xXanetoat  TTQOBiedo&fjaay  ovnto 
ffvyevageaxovfjiiytoy  ijfÄwy  xfi  yQtt(pfj. 

')  Hetnb,  De  fontibus  et  auctoribus  histo- 
riarum  Diodori  (1872),  abgedruckt  im  5.  Bande 
der  Dindorf  sehen  Ausg.;  Volqüardsbn,  üeber 
die  Quellen  der  griechischen  und  sikilischen 
Geschichte  bei  Diodor  XI — XVI;  Nissen,  Kri- 
tische Untersuchungen  über  die  Quellen  der 
4.  u.  5.  Dekade  des  Livius,  Berl.  1863;  Unobb, 
Die  Quellen  Diodors  für  die  Diadochen- 
geschichte, Sitzb.  d.  b.  Ak.  1878,  I  368  ff.; 
Broker,  üntersachungen  über  Diodor,  1879 ; 
Modeme  Quellenforscher  und  antike  Ge- 
schichtsforscher, 1882.  BÜDiNGER  Univer- 
salhist.  124  ff.  gibt  einen  kritischen  lieber- 
blick  über  die  zum  grossen  Teil  recht  zweifel- 
haften Resultate  der  Quellenforschung  im 
Einzelnen. 


636 


Grieohisohe  Littoraturgesohichte.    IL  HaohklaMiaohe  Litteratiir. 


ihre  Annaleu  begonnen  und  mit  welchem  sie  geendigt  haben. ^)  Es  hat 
sich  aber  unser  Historiker  im  allgemeinen  in  dem  geschichtlichen  und 
chronologischen  Teile  an  ApoUodor  und  Ephoros,  in  dem  geographischen 
an  Agatharchides  und  Artemi dor  gehalten.')  In  den  einzelnen  Abschnitten 
folgt  er  seinen  speziellen  Quellen,  so  in  der  griechischen  Mythologie  dem 
Dionysios  Skytobrachion,')  in  der  ägyptischen  Geschichte  dem  Manetho 
und  Hekataios  von  Abdera,^)  in  der  persischen  dem  Etesias,^)  in  der 
griechischen  neben  Herodot,  Thukydides  und  Ephoros  dem  Theopomp, ^) 
in  der  Geschichte  Alexanders  dem  Aristobulos  und  Klitarch,  ^)  in  den  Diadochen- 
kämpfen  dem  Hieronymos  und  Duris.^)  In  der  mit  sichtlicher  Vorliebe 
und  Ausführlichkeit  behandelten  Geschichte  seiner  Heimatinsel  Sikilien 
verfügte  er  über  ein  sehr  reiches  Quellenmaterial,  hielt  sich  aber  doch 
hauptsächlich  an  Timaios.^)  Ausserdem  hatte  er  bei  einzelnen  Personen 
und  Völkern  wiederum  seine  besonderen  Quellen,  so  über  Herakles  (IV 
8—16)  die  Lobrede  des  Rhetors  Matris  auf  jenen  Heros,i^)  über  die  ethno- 
graphischen Verhältnisse  Galliens  (V  25 — 40)  den  Poseidonios,  über  die 
Inseln  im  sogenannten  Inselbuch  (B.  5)  den  Kommentar  des  ApoUodor  zum 
homerischen  Schiffskatalog.  ^^)  Bezüglich  seiner  Quellen  in  der  älteren 
römischen  Geschichte  urteilt  ein  massgebender  Kenner,  Mommsen,  Herrn. 
5,  274:  die  Fasten  Diodors  sind  die  ältesten  und  glaubwürdigsten.^*)  In 
der  neueren  römischen  Geschichte  folgte  er  vornehmlich  dem  Polybios  und 
Poseidonios. 

Godd.  sind  wie  bei  Livius  verschieden  zn  den  einzelnen  Abteünngen:  för  B.  I — V 
sind  massgebend  Vindob.  79  membr.  s.  XI  and  Vatic.  130  s.  Xll;  fOr  B.  XI  -XV  Paris.  1664 
bomb.  8.  XV;  für  B.  XVI-XX  Paris.  1665  membr.  XII;  fftr  B.  XI -XX  Laur.  70,  12  chart 


*)  ZonAchst  indes  sind  diese  Angaben, 
wie  Volqoardsen  S.  12  nachweist,  aus  der 
Chronik  des  ApoUodor  geflossen.  Daher  sind 
dieselben  nur  mit  Vorsicht  f&r  die  Quellen- 
forschong  zu  benutzen,  da  z.  B.  von  Thuky- 
dides und  der  hellenischen  Geschichte  des 
Xenophon  Anfang  und  Schluss  genau  ange- 
merkt (12,  37;  13,  42;  15,  76  u.  89),  in  den 
betreffenden  Abschnitten  aber  vielfach  ab- 
weichende Darstellungen  gegeben  sind. 

^)  £.  A.  Wagneb,  Zu  Diodors  drittem  und 
erstem  Buch,  Jahrb.  f.  Phü.  1895  S.  145—170; 
1896  S.  327—346. 

*)  Gitiert  ist  derselbe  ohne  den  Beinamen 
Skytobrachion  in  52  u.  67;  Bbtbb,  Quaestionee 
Diodoreae  mythographicae,  Göttingen  1887, 
setzt  an  dessen  Stelle  ein  aus  den  grösseren 
Werken  der  Dionysioi  zusammengestelltes 
mythologisches  Kompendium. 

*)  Dabei  thut  Diodor  so,  als  habe  er 
selbst  die  sorgsame  Prüfung  der  hieroglyphi- 
schen Urkunden  {dyayg(«pai)  vorgenommen 
(1,  69),  während  er  selbst  des  Aegyptischen 
unkundig  war;  s.  Kball,  Manetho  u.  Diodor, 
Sitzb.  d.  östr.  Ak.  1880  (B.  96)  237—84. 

^}  Etesias  ist  citiert  II  32  u.  XVI  46, 
aber  nach  Jacoby  Rh.  M.  30,  555  ff.  nur  in- 
direkt benutzt.  Dass  Diodor  den  Ktesias  nur 
durch  Agatibarchides  kannte,  beweist  Mab- 
QüABT,  Philol.  Suppl.  6,  504  ff. 


•)  Theopomp  ist  citiert  XIII 42  tL  XVI 3, 
ausserdem  Anaximenes  XV  89,  Ejülistheoes 
IV  1  u.  XVI  14,  Demophilos  XVI  14. 

7)  Diod.  II  7  und  Wessrlino  zu  XVH  75. 
Die  Benützung  des  Klitarch  stellt  in  Abrede 
BüDiNORB  üniversalhist.  164.  AngefUirt  ist 
auch  Marsyas  XX  50. 

»)  Diod.  XV  60 ;  Rösiobb,  De  Duride  Samio 
Diodori  Siculi  et  Plutarchi  auctore,  Gott  1874; 
s.  oben  §  886. 

>)  Citiert  sind  Timaios  V  1;  XIII  90  n. 
109;  XX  89;  XXI  12;  Philinoe  XUI  103  u. 

XV  89;  ausserdem  Antiochos  XII  71;  Diyllos 

XVI  14;  Hermeias  XV  37;  Eallias  und  Ant- 
andros  XXI  12. 

^^)  Nachgewiesen  von  Holzbb,  Matris,  ein 
Beitrag  zur  Quellenkunde  Diodors,  T&bingen 
1881. 

'')  Bethb,  Untersuchungen  za  Diodors 
Inselbuch,  Herm.  24  (1889)  402  ff. 

")  In  einer  Einzelfrage  nachgewiesen  yod 
Kabbst,  Die  römischen  Nachrichten  Diodors 
und  die  konsularische  Prorinzrert^ung . 
Philol.  48,  306  ff.  Welches  die  speziellen 
Quellen  Diodors  waren,  ob  neben  Kastor 
Fabius  Pictor  oder  Galpumius  Piso,  wird  ge- 
stritten; S.TÜ1CXBL  Jahrb.  f.  Phil.  1B89  8. 347 
bis  54;  Badeb,  De  Diodori  renun  Boma- 
narum  auctoribus,  Ups.  1890;  BOddigkb  a.  0. 
167  ff. 


B  a)  BömiBche  Periode  vor  Konstantin.  S.  Die  Proaa.  a)  Diodoro«.  (g§  462-^463.)    637 


-XYI  8.  X,  von  dem  Bbrokann,   Diodori  hist. 
Berl.  1867,   Notiz  gab,   ist  jetzt  herangezogen 


8.  XIY.  Der  alte  Cod.  in  Patmos  von  B.  XI 
Hb.  XI  1 — 12  ex  cod.  Patmio  ed.  Bbbokann, 
von  VooEL. 

Ausgaben:  Zuerst  erschienen  in  lat.  Uebersetzong  die  ersten  5  B.  von  Poggio,  1472; 
erste  voUst&ndige  Ausgabe  im  griechischen  Originaltext  von  Stepbanus,  Paris  1559;  cum 
suis  alionunque  annot.  ed.  Wessblino,  Amstel.  1746,  2  t.  in  fol.,  Hauptausgabe;  ex  rec. 
L.  Di2<D0EFii  mit  Sammelanmerkungen,  Lips.  1828 — 31,  5  vol.;  von  C.  Müller  bei  Didot 
1842 — 4.  Die  Textesausgabe  von  Dindorf  in  Bibl.  Teubn.  erscheint  in  neuer  Bearbeitung 
mit  handschriftlichem  Apparat  von  Vogel. 

462.  Dionysios  aus  Halikamass,  Sohn  des  Alexander  und  ver- 
schieden von  dem  Musiker  Dionysios  aus  Halikarnass  unter  Hadrian,  war 
Rhetor  und  Geschichtschreiber  unter  Augustus.  Nach  seinen  eigenen  An- 
gaben, Arch.  1  7,  war  er  nach  Beendigung  des  Bürgerkrieges  im  Jahre  30 
V.  Chr.  nach  Rom  gekommen  und  hatte  in  den  22  Jahren,  die  er  daselbst 
zubrachte,  die  lateinische  Sprache  gelernt  und  mit  römischen  Grossen 
mannigfache,  durch  die  Dedikationen  seiner  Schriften  bezeugte  Beziehungen 
angeknüpft.  Die  Kreise,  in  denen  er  verkehrte  und  in  die  er  durch  seinen 
Freund,  den  Rhetor  Cn.  Pompeius  Qeminus,  eingeführt  wurde,  gehörten  zu 
den  Parteigängern  des  Senates,  woher  die  aristokratischen  Ideen  stammen, 
die  sein  Geschichtswerk  durchziehen.  Insbesondere  zählte  er  den  Rufus 
Melitius^)  und  Aelius  Tubero*)  zu  seinen  Gönnern.  Zur  Hauptaufgabe 
stellte  er  sich  während  seines  römischen  Aufenthaltes  die  Ausarbeitung 
eines  Werkes  über  römische  Geschichte;  daneben  gab  er  Unterricht  in 
der  Rhetorik  und  versäumte  es  nicht,  in  seinen  Schriften  auf  die  Not- 
wendigkeit der  Ergänzung  der  theoretischen  Lehren  durch  die  Übungen 
der  Schule,  natürlich  seiner  Schule,  aufmerksam  zu  machen.»)  Ob  er  nach 
Vollendung  seines  Geschichtswerkes  im  Jahre  8  v.  Chr.  noch  länger  in 
Rom  geblieben  ist  und  wie  lange  er  den  Abschluss  seines  Hauptwerkes 
überlebt  hat,  darüber  fehlen  uns  Nachrichten.  Sein  litterarischer  Nach- 
lass  besteht  aus  jenem  Geschichtswerk  und  aus  rhetorischen  Schriften,  die 
aus  seiner  Lehrthätigkeit  hervorgegangen  sind. 

463.  Die  ^Ptofiaixr]  aqxaioXoyia  {antiquUates  Romanae)  in  20  B. 
ist  das  hauptsächlichste  historische  Werk  unseres  Autors.  Daneben  hatte 
er  ein  tabellarisches  Buch  nsgii  x^oi'wr  geschrieben,  in  welchem  er  die 
römische  Zeitrechnung  auf  die  griecliische  des  Eratosthenes  reduzierte;*) 
dasselbe  wurde  auch  noch  von  christlichen  Schriftstellern,  wie  Clemens 
Aiexandrinus,  häufig  benutzt.  In  dem  Hauptwerk  stellte  er  die  römische 
Geschichte  von  ihren  Anfängen  bis  auf  den  Beginn  der  punischen  Kriege 
(266)  dar.  Er  wollte  also  mit  ihm  eine  Ergänzung  des  polybischen  Ge- 
schichtswerkes nach  rückwärts  liefern ;  er  that  es,  weil  er  noch  von  keinem 
griechischen  Schriftsteller  die  ältere  Geschichte  Roms  in  genügender  Weise 
dargestellt  fand.^)     Er  gedachte   so  zugleich  den  Römern  für  die  Wohl- 


')  Dien,  de  comp.  verb.  1  p.  6  Seh. 

*)  Thnc.  lud.  1. 

>)  Dion.  de  comp.  20  p.  284  Seh.;  rhet. 
10,  19. 

^)  Nach  der  Andeutung,  die  er  Arch.  I  74 
von  dem  Inhalt  dieses  Buches  gibt,  war  das- 
selbe nicht  identisch  mit  dem  Abriss  (atV- 


o\pig)  der  römischen  Archäologie  in  5  B.,  die 
Photios  cod.  84  las.  Diese  letztere  hatte  nach 
Photios  den  Dionysios  selbst  zum  Verfasser. 
Ebüqe»,  Comm.  hist.  et  crit.  p.  262  hält  das 
Buch  nBQi  xQoytoy  fdr  eine  Ueberarbeitung 
des  über  annalis  des  Attikus. 
6)  Arch.  I  4  u.  5. 


638 


Oridchisohe  Litteratnrgeftohichio.    Ü.  ttaohklassiBcho  Litteratar« 


thaten,  die  er  während  seines  römischen  Aufenthaltes  empfangen  hatte, 
den  Tribut  des  Dankes  zu  erstatten.^)  Von  den  20  Büchern  ist  uns  die 
erste  Dekade  (1 — 10)  und  dazu  durch  eine  jüngere  Klasse  von  Hand- 
schriften das  11.  B.,  welches  die  Geschichte  der  Decemvim  zu  Ende  fuhrt, 
erhalten.  Von  den  neun  letzten  Büchern  haben  wir  nur  Fragmente  aus 
dem  Exzerptenwerk  des  Eonstantinos  Porphyrogennetos  und  eine  von 
Angelo  Mai  in  einer  Mailänder  Handschrift  aufgefundene  Epitome.  In 
der  Durchführung  seiner  Aufgabe  steht  Dionysios  durchweg  auf  dem  Stand- 
punkt eines  griechischen  Rhetors.^)  Wie  ein  panegyrischer  Redner  sucht 
er  gleich  bei  der  Wahl  des  Stoffes  nach  einem  würdigen,  dankenswerten 
Thema;')  die  Geschichte  selbst  ist  ihm  Philosophie  in  Beispielen,^)  und 
auf  Beispiele,  die  der  Gesetzgeber,  Staatsmann,  Redner  gebrauchen  könne, 
hat  er  es  überall  abgesehen.^)  Mit  dem  lieblichen  Köder  fiiessender  Reden, 
ebenso  reich  an  Worten  als  arm  an  Gedanken,^)  sucht  er  die  Darstellung 
auch  von  Zeiten  zu  beleben,  wo  der  wortkarge  Römer  kaum  so  viele 
Worte  sprach,  als  Dionysios  ihm  Sätze  unterlegt.  Überhaupt  gelten  ihm 
der  rhetorische  Aufputz  der  Darstellung  und  der  Wohlklang  der  Perioden 
als  Hauptaufgaben;  sie  zumeist  sollten  sein  Werk  über  die  ungeniess- 
baren  Historien  des  Phylarchos,  Duris  und  Polybios  erheben. '')  Ausser- 
dem macht  er  in  seiner  pragmatischen  Auffassung  die  Geschichte  zur 
Lehrerin  der  Moral  und  Richterin  menschlicher  Thaten ;  durch  sie  soll  der 
Leser  in  der  Frömmigkeit  und  im  alten  Glauben  bestärkt  und  vor  der 
Gottlosigkeit  der  atheistischen  Philosophen  bewahrt  werden.®)  Dabei  ist 
aber  nichts  von  dem  animus  Romanus  und  dem  Geiste  der  alten  Zeit  in 
den  griechischen  Rhetor  gefahren.  Die  Verhältnisse  Roms  betrachtet  er 
mit  der  griechischen  Brille  und  färbt  die  Darstellung  der  alten  Institu- 
tionen nach  den  römischen  Einrichtungen  seiner  Zeit,  von  denen  er  oben- 
drein doch  nur  eine  kärgliche  Anschauung  gewonnen  hatte.  Auch  Livius 
war  aus  der  Schule  der  Rhetoren  hervorgegangen,  aber  er  war  ein  Römer 
und  seine  kraftvolle  Darstellung  und  seine  markigen  Reden  lassen  weit 
die  geschwätzigen  Tiraden  des  Griechen  hinter  sich:  was  Livius  in  drei 
Büchern  erzählt  hatte,  dafür  brauchte  Dionysios  11,  wobei  freilich  in  Be- 
tracht zu  ziehen  ist,  dass  derselbe  weiter  ausholte  und  von  den  alten  Be- 
wohnern Italiens  erst  im  zweiten  Buch  zur  Gründung  Roms  kommt.  Im 
übrigen  benutzte  Dionysios  gute  Quellen,  über  die  er  sich  selbst  eingehend 
in  dem   Proömium  1,  6  f.  ausspricht.     Von  griechischen  Historikern   zog 


^)  In  der  eitlen  Weise  eines  echten  Grae- 
culns  vindizierte  er  den  Römern  auch  die 
filire,  zu  den  Griechen,  nicht  Barbaren  zu 
gehören,  Arch.  I  5. 

*)  ÜLBici,  Charakteristik  227  fif.;  Liebs, 
Die  Theorie  der  Geschichtschreibung  des 
Dionys  von  Halikamass,  Waldenburger  Pro- 
gramm 1886;  Wachsmüth  Einleii.  637  ff. 

*)  Arch.  I  1  u.  2.  In  dem  Brief  an  Pom- 
peios  I  3  macht  er  dem  Thukydides  die 
schlechte  Wahl  des  Stoffes  {ixXoyfj  vno- 
^ioBtag)  zum  Vorwurf. 

^)  Rhet.  II  1 :  Uixoqla  tfiXoao<pia  iarly  ix 
n  ttQaö  wyfÄUtüiv, 


*)  Arch.  V  56  u.  75;  XI  1.  Nach  Thnc. 
ind.  2  hatte  er  eine  eigene  Schrift  geschrieben 
vnhQ  tijg  noXitixijg  q>iXoaog>iag,  —  Die  Be- 
tonung der  Beispiele  erinnert  an  die  Exempla 
des  Cornelius  Nepos. 

^)  Viele  Phrasen  sind  nach  berfilmiteii 
Mustern  attischer  Prosaiker  geformt,  worflber 
Flirble,  Ueber  Nachahmungen  des  Demo- 
sthenes,  Thukydides  und  Xenopbon  in  den 
Reden  der  Römischen  Archftologie  des  Diony- 
sius,  Progr.,  München  1890. 

')  De  comp.  verb.  4  p.  64  Seh. 

8)  Arch.  II  68;  VHI  56. 


B  a)  Eömisobe  Periode  vor  Konetantin.  S.  Die  Prosa,  a)  Dionysios.  (g  464.)    639 


er  den  Hieronymus  von  Kardia,  den  Timaios  und  Polybios  heran;  haupt- 
sächliche Führer  aber  waren  ihm  die  römischen  Historiker  und  Annalisten. 
Er  selbst  nennt  1,  8,  wo  er  seine  Quellen  aufzählt,  ausser  Cato's  Origines 
die  Annalen  des  Fabius  Maximus,  Valerius  Antias,  Licinius  Macer,  Aelius, 
Oellius,  Calpurnius ;  namentlich  scheint  ihm  der  fabulierende  Valerius  Antias 
(citiert  III  13)  erwünschten  Stoflf  geboten  zu  haben.  Durch  ihre  Be- 
nutzung, insbesondere  durch  die  des  Cato  im  ersten  Buch,  hat  seine  Ar- 
chäologie auch  für  die  kritische  Geschichtsforschung  Wert  erhalten,  so 
sehr  auch  im  übrigen  seit  Niebuhrs  einschneidender  Kritik  der  Glaube  an 
die  Verlässigkeit  seiner  Berichte  geschwunden  ist.*)  Auffällig  ist  es,  dass 
das  Werk  bei  den  Späteren  so  wenig  Beachtung  fand,  und  dass  von  den 
zwei  gleichzeitigen  Historikern  Dionysios  und  Livius,  wiewohl  sie  den 
gleichen  Stoflf  behandeln,  keiner  auf  den  andern  Rücksicht  nimmt.*) 

464.  In  den  rhetorischen  Schriften»)  des  Dionysios  finden  wir 
den  Autor  auf  seinem  eigensten  Gebiet,  und  hier  gewährt  er  uns  auch 
ungleich  grössere  Befriedigung.*)  Er  zeigt  sich  hier  als  Anhänger  des 
guten  Geschmacks  der  attischen  Beredsamkeit  und  als  Gegner  des  über- 
fliessenden  Schwulstes  der  Asiäner.  Die  Reden  der  Attiker  und  die  Ge- 
schichtswerke der  klassischen  Zeit  hatte  er  sorgfältig  studiert '^)  und  die 
in  den  Katalogen  der  alexandrinischen  und  pergamenischen  Bibliothek 
niedergelegten  litterarhistorischen  Hilfsmittel  ebenso  fleissig  wie  die  Werke 
des  Demetrios  Magnes  und  der  pergamenischen  Rhetoren  durchgearbeitet. 
Aber  sein  eigenes  Können  war  auch  hier  nicht  gross;  nicht  bloss  sind 
seine  Reden  in  der  römischen  Archäologie  zum  grossen  Teile  nur  aus 
demosthenischen  und  xenophontischen  Reminiszenzen  zusammengeflickt, 
auch  in  der  Theorie  der  Rede  wurde  er  von  den  römischen  Rhetoren 
Ck)mificius  und  Cicero  weit  überholt;  nur  in  dem  litterarhistorischen  Detail 
und  in  der  ästhetischen  Beurteilung  zeigt  er  exakte  Gelehrsamkeit  und 
geschultes  Urteil.  Da  man  ihn  als  den  Hauptvertreter  der  stilistischen 
Rhetorik  ansah,  so  hat  man  ihm  später  auch  manche  fremde  Werke  unter- 
geschoben.^)    Die  einzelnen  Schriften  sind  folgende: 


^)  In  mancheD  Fragen  kehrt  freilich  die 
moderne  Geschichtskritik  wieder  zu  Dionysius 
znrOck,  wie  wenn  sie  in  vielen  sagenhaften 
Endüüimgen  der  älteren  römischen  Geschichte 
üebertragong  griechischer  Geschichten  auf 
römischen  Boden  erhllckt.  So  erinnert  schon 
Dionysios  IV  56  (ehenso  Zonaras  VIT  10)  bei 
Erzählung  von  dem  versteckten  Rat,  den 
Tarqninius  seinem  Sohne  Sextus  mit  dem  Stab 
and  den  Mohnköpfen  gibt,  an  die  ähnliche 
Geschichte  des  Milesiers  Thrasybul  bei  Hero- 
dot  V  92. 

*)  Dionys.  arch.  I  8  werden  nach  den  mit 
Namen  genannten  Vorgängern  noch  im  all- 
gemeinen  genannt  xal  itsQoi  avj[voi  aydgeg 
ovx  atpayets,  aber  dass  darunter  auch  Livius 
gemeint  sei,  lässt  sich  nicht  belegen. 

*)  Blass,  De  Dionysii  Hallcamassensis 
Boiptis  rhetorids,  Bonn  1863.  Ob  die  rhetori- 
schen Schriften  alle  vor  seine  römische  Ge- 
schichte fallen,  ist  nicht  ausgemacht;  nach 


dem  Schlüsse  des  Buches  über  Demosth.  c.  58 
iay  c(^Cü  ^^  ^MfJiöviov  i^f4,ag  und  der  ähn- 
lichen Wendung  in  der  Schrift  de  comp  verb. 
p.  14  Seh.  möchte  man  eher  glauben,  dass 
er  dieselben  im  Alter  geschrieben  habe.  Die 
Reihenfolge  der  rhetorischen  Schriften  wird 
von  Blass  in  folgender  Weise  festgesetzt: 
^TitaroXrj  ngog  'AfjkfAaloy  a,  negl  avy&daeo^s 
oyofjLuxüty^  negl  X(ßy  «^/«toiv  ^ijioQtoy,  inir- 
azoXij  TiQos  Ilofjinrfioy^  tisqI  fjiifjifiaemg,  negi 
Sovxvdidov,  iniüioXt}  Ttgoi  *AfjLfi«loy  ß'y  Tiegl 

JetyttQX^^' 

*)  Ein  Anonymus  bei  Spengel,  Rhet.  gr. 
I  460,  26  nennt  ihn  xayoya  rrjg  tisqI  §r^io~ 
gixrjy  fjis'kixfjq. 

^)  Am  meisten  tritt  die  Gediegenheit 
seiner  Studien  in  der  Abhandlung  über  Dinarch 
hervor,  wo  er  keine  Vorarbeiten  hatte. 

•)  Vgl.  unten  §  551  über  Ps.  Longin  nBQi 
vifjovg. 


640 


Orieohisohe  Litteratiurgesohiohte.    II.  NachklaBSMohe  litteratar. 


IleQi  avv&äaetog  ovofithtov  {de  cotnpositione  verborum)  ist  die  reifste 
Schrift  unseres  Autors  und  behandelt  ein  von  den  Alten  mehr  als  von 
uns  beachtetes  Kapitel  der  Stillehre.  Dionysios  geht  in  derselben  davon 
aus,  dass  man  in  der  ästhetischen  Beurteilung  über  das  blosse  Fühlen 
hinauskommen  und  die  Gründe,  warum  eine  Rede  oder  ein  Gedicht  schön 
oder  schlecht  sei,  sich  zum  Bewusstsein  bringen  müsse.  Die  Gründe  aber 
sollen  hauptsächlich  in  der  Wahl  {ixloyi])  und  in  der  Zusammenfügung 
{avv&eaig^  verwandt  aber  nicht  identisch  mit  avvta^ig)  der  Wörter  zu 
suchen  sein.  Die  Zusammenfügung  nun  behandelt  der  Autor  in  unserm 
Buch  unter  steter  Vorführung  von  Beispielen  aus  Dichtern  und  Prosaikern 
in  der  Art,  dass  er  auf  den  Zusammenstoss  der  Laute,  den  rhetorischen 
Rhythmus,  die  Stilunterschiede  {iä^ig  aiVriy^a,  yXaffvqd^  xoiv^)  Rücksicht 
nimmt  und  hochinteressante  Bemerkungen  über  Periodenbau,  Metra,  musi- 
kalische Kompositionen  1)  einflicht.*)  Schwere  Bedenken  erregt  nur,  dass 
unser  Rhetor  in  der  rhythmischen  Zergliederung  einzelner  Sätze  so  mangel- 
hafte Kenntnisse  der  Grammatik  und  Prosodie  an  den  Tag  legt,  dass  er 
c.  18  darüber  im  unklaren  ist,  ob  die  letzte  Sylbe  von  evvoiav  und  die 
mittlere  von  xovxovi  als  Länge  oder  Kürze  zu  behandeln  sei.  —  Einen  Wink 
über  die  Abfassungszeit  scheint  die  Verweisung  in  dem  Buche  über 
Thukyd.  c.  49  und  50  auf  unsere  Schrift  zu  bieten,  aber  die  Beweiskraft 
dieses  Zeugnisses  wird  dadurch  geschwächt,  dass  umgekehrt  in  unserer 
Schrift  c.  11  die  Untersuchung  über  die  Stilcharaktere  noch  als  ausstehend 
bezeichnet  wird.») 

Il€Qi  fiifirjaccag  war  eine  Schrift  in  drei  Büchern,  deren  Inhalt  Dio- 
nysios selbst  im  Brief  an  Pompeius  c.  3  skizziert.  Danach  handelte  das 
erste  Buch  von  der  Nachahmung  und  ihrer  Bedeutung  im  allgemeinen; 
das  zweite  von  den  Dichtern,  Philosophen,  Historiographen,  Rednern,  die 
vornehmlich  nachgeahmt  zu  werden  verdienten ;  das  dritte  von  der  Weise, 
wie  man  die  Musterautoren  nachahmen  solle.  Das  wichtigste  Buch  war 
natürlich  das  zweite,  das  sich  im  wesentlichen  mit  dem  berühmten  zehn- 
ten Buch  der  Institutiones  oratoriae  des  Quintilian  deckte,  sich  aber  auch 
mit  dem  Briefe  des  Liv^s  an  seinen  Sohn  über  die  Auswahl  der  zu 
lesenden  Autoren  berührte.  Den  Plan  desselben  legt  der  Verfasser  in  der 
Einleitung  der  Schrift  über  Thukydides  dar;  näheres  über  den  Abschnitt 
von  den  nachzuahmenden  Historikern  erfahren  wir  aus  dem  Brief  an  Pom- 
peius c.  3—6,  über  den  Inhalt  des  ganzen  Buches  aus  dem  erhaltenen 
Auszug,  Tm'  dQxamv  xgitng  betitelt,  den  im  4.  Jahrhundert  ein  platoni- 
sierender  Rhetor  angefertigt  hat. 

Jl€Qi  TCür  uQxaiwv  ^rixoQtov  vTiofirr^fiaTiafioi  stehen  mit  der 
zuvor  genannten  Schrift  in  Zusammenhang  ;^)  sie  geben  eine  spezielle  Be- 


^)  Das  11.  Kapitel  enthält  eise  Um- 
schreibung der  Melodie  der  Parodos  des 
enripideischen  Orestes. 

')  Die  Behandlung  der  Lehre  neQt  ix- 
^oyfjg  xiav  oyo/näitoy  verspiicht  er  De  comp, 
p.  l4  Seh.  im  nftchsten  Jahr  zu  geben;  erhalten 
ist  uns  von  derselben  nichts. 

»)  BLASS  a.  0.  8  f.  hilft  sich  mit  der  An- 


nähme,  dass  die  Schrift  Über  Thukyd.  damals 
schon  geschrieben,  aber  noch  nicht  publizieri 
gewesen  sei;  vergl.  IKVsslbh,  Dionys.  HaUc 
Script,  rhet.  p.  4  sq.;  Ebbbhabd,  Jahrber.  d. 
Alt.  lY  1,  206;  Rabe,  Die  Zeitfolge  der  rhe- 
torischen Schriften  des  Dionys.  Haiic,  Rh.  M. 
48,  147.  151. 

*)  Herausgegeben  indes  war  die  ^ 


B  t)  B5muiohe  Periode  vor  Konstantin.    8.  Die  Prosa,    a)  Dionyaios.    (§  464.)     641 

sprechung  der  hervorrageDdsten  attischen  Redner,  wobei  ein  kurzer  Lebens- 
abriss  vorausgeschickt  und  dann  auf  die  Reden  und  den  Stil  derselben  im 
Detail  eingegangen  ist.  Nach  der  an  Ammaios  gerichteten  Einleitung 
sollten  von  der  älteren  Generation  Lysias,  Isokrates,  Isaios,  von  der  jüngeren 
Demosthenes,  Hypereides,  Aischines  besprochen  werden;  aber  nur  der  erste 
Teil  ist  auf  uns  gekommen,  vielleicht  auch  allein  von  dem  Autor  ausge- 
führt worden.^)  Demselben  angehängt  ist  eine  Charakteristik  des  Deinar- 
chos,  den  unser  Rhetor  von  seinen  Vorgängern  allzusehr  vernach- 
lässigt fand. 

Die  Schrift  tvsqI  zfjg  kexrixrjg  Ji^noCx^tvovq  dsivoxrjTog  (de  ad- 
mirabüi  vi  dicendi  in  Demosthene)  *)  muss  uns  als  teilweiser  Ersatz  für  den 
Verlust  des  zweiten  Teils  der  vorgenannten  Schrift  gelten.  Es  wird  darin 
Demosthenes  als  das  non  plus  ultra  von  einem  Redner  hingestellt  mit  ver- 
ständnisreicher Besprechung  einzelner  Stellen,  aber  in  einem  etwas  über- 
schwenglichen Tone.  Auch  diese  Schrift  ist  an  Ammaios  gerichtet;  der 
Verfasser  verspricht  am  Schlüsse  derselben  noch  eine  zweite  Schrift  über 
die  Geschicklichkeit  des  Demosthenes  in  Behandlung  der  Sache  {tisqI  tijg 
nQoyßcnixfjg  dsivoTifcog)  nachfolgen  zu  lassen,  wenn  Gott  ihm  noch  das  Leben 
schenke;  aber  zur  Ausführung  dieses  Planes  ist  es  nicht  gekommen. 

IIsQi  Tov  Qovxvdldov  xaQaxxiJQog  ist  an  Aelius  Tubero,  den  be- 
rühmten römischen  Rechtsgelehrten  und  Historiker,  gerichtet  und  hat  das 
Werk  neQi  /iiinrjasoog  zur  Voraussetzung.  Die  neue  Schrift  gibt  eine  ein- 
gehende, aber  in  der  Hauptsache  ungerechte  Charakteristik  des  Thukydides. 
Das  gut  geschriebene  Buch  muss  man  lesen  nicht  bloss  des  Thukydides 
^en,  sondern  auch  um  das  Geschichtswerk  des  Dionysios  selbst  richtig 
aufzufassen. 

Ergänzungen  und  Antworten  auf  die  Anfeindungen,  welche  die  Ur- 
teile des  Dionysios  hervorgerufen  hatten,  enthalten  die  übrigen  kleineren 
Schriften  unseres  Autors.  In  dem  Brief  an  Ammaios  nimmt  er  seinen 
Demosthenes  vor  dem  Vorwurf  der  Peripatetiker,  dass  derselbe  das  beste 
dem  Aristoteles  verdanke,  durch  den  Nachweis  in  Schutz,  dass  die  Rhe- 
torik des  Aristoteles  nach  den  Reden  des  Demosthenes  abgefa^st  sei.  In 
dem  Brief  an  Pompeius  hält  er  sein  Urteil  über  die  stilistische  Inferiorität 
des  Piaton  gegenüber  dem  Demosthenes  aufrecht  und  spricht  sich  nochmals 
über  den  Stil  der  Haupthistoriker  Herodot,  Thukydides,  Xenophon,  Philistos, 
Thedpomp  und  ihr  Verhältnis  zu  einander  aus.  Im  zweiten  Brief  an  Am- 
maios kommt  er  auf  sein  Urteil  über  Thukydides  zurück  und  gibt  auf  Ver- 
langen seines  Freundes  eine  spezielle  Besprechung  der  Stileigentümlich- 
keiten (iVicö/mTor)  des  Historikers.»)  Von  dem  verlorenen  Buch  tisqI  axrj' 
/mrcov  gibt  Quint.  IX  3,  89  Zeugnis ;  vgl.  Demosth.  iud.  39. 


gegangene  Schrift  noch  nicht,   da  sie  Dio-  zugleich  mit  dem  Anfang  der  Schrift;  weg- 

npioe  in  Dem.  ind.  in.  als  noch  unvollendet  gefallen;  er  beruht  auf  ^gänzung  aus  dem 

[ttuXijs)  bezeichnet;  vgl.  Blass  p.  20.  Inhalt. 

*)  Aus  dem  Eingang  des  Buches  über  ^)   Dass    er   dieselben    wesentlich    aus 

Dinarch  schliesst  Blass  p.  U,  dass  Dionysios  älteren  Scholien  zu  Thukydides  zusammen- 

to  Plan  auch  ausgeftthrt  habe  gerafft  habe,  erweist  Usbneb,  Dionys.  Halic. 

')   Der  Titel  ist  in  den  Handschriften  |   ad  Ammaeum  epist,  Bonn  1889. 

Bttdimefa  der  kla«.  AltertimwwiaBeiiachAft.   VIL  8.  Aufl.                                                          41 


642 


GrieehiBohe  LitteratnrgMohioht«.    IL  NachklMsisobe  littoratiir. 


Unecht  ist  die  Schrift  Täxvrj  ^rjtoQixrj  in  11  Abschnitten.  Dieselbe 
ist  kein  vollständiges  Lehrbuch  der  Rhetorik,  sondern  eine  Sammlung  von 
mehreren  auf  die  rhetorische  Theorie  bezüglichen  Abhandlungen.  Der 
erste  Teil,  der  (c.  1 — 7)  an  einen  gewissen  Echekrates  gerichtet  ist,  ent- 
hält die  Topik  der  epideiktisohen  Rede,  insbesondere  eine  Anleitung  zum 
Reden  bei  öffentlichen  Pestversammlungen  (navr^yvQeiq).  Der  zweite  Teil 
besteht  selbst  wieder  aus  mehreren  Traktaten.  Von  diesen  behandelt  der 
erste  (c.  8  u.  9)  die  Verstellungsrede  {Xoyoq  iffx^jfAavKrfiävog,  oratio  figurata)^ 
wofür  die  Reden  des  Agamemnon  und  Diomedes  im  zweiten  und  neunteo 
Gesang  der  Rias  als  Muster  herhalten  müssen.  Der  zweite  Abschnitt  (c.  10) 
handelt  von  den  Stilfehlern  (ttAij^u/«« Aiy/uara),  woran  sich  ein  Kapitel  (c.  11) 
über  die  Stilprüfung  (xQ(mg)  anschliesst.  Das  ganze  Buch  ist  skizzenhaft 
angelegt  und  des  Dionysios  unwürdig;  selbst  in  der  allein  massgebenden 
Handschrift,  cod.  Paris.  1741  ist  nicht  der  ganzen  Schrift,  sondern  bloss 
den  zwei  letzten  Kapiteln  der  Name^  des  Dionysios  vorgesetzt.  Im  ersten 
Teil  c.  2,  9  wird  auf  Nikostratos,  der  unter  den  Antoninen  lebte,  Bezug 
genommen,  so  dass  dieser  nicht  vor  dem  Schluss  des  2.  Jahrhunderts  ge- 
schrieben sein  kann.^) 

Codices:  Ueber  die  handBchriftUche  Ueberlieferung  der  rhetoriBchen  Schriften  iuindebi 
ÜSBNXR,  lud.  Bonn.  1878  und  Jahrb.  f.  Philol.  107  (1878)  145  ff.;  Sad^e,  De  Dionya.  Script 
rhet.  quaestiones  criticae,  Argent.  1878;  Sohrnkl,  Wien.  Stud.  II  21— 32.  Der  wichtigste 
Cod.  ist  der  Parisinus  1741.  —  Von  der  Archftologie  sind  die  besten  Codd.  ein  Urbinas  8.X 
und  ein  Chisianns  s.  X,  verwertet  in  der  Ausgabe  von  Eibsslixo.  Wertvolle  Beitrflge  van 
Kritik  von  Cobbt,  Observ.  crit.  ad  Dionys.  Halle.  LB.  1877. 

Erste  vollständige  Gesammtausgabe  von  Stlbuho,  Frankf.  1586,  2  vol.;  von  Rsisu, 
cum  not.  var.,  Lips.  1774,  6  vol.  —  Spezialausgabe  der  römischen  Arch&ologie  von  Eins- 
LiNO  in  Bibl.  Teubn.,  neubearbeitet  von  Jacob y.  Ausgabe  der  rhetorischen  Schriften  mit 
kritischem  Apparat  von  üsbneb-Radebhacheb,  Leipzig  im  Erscheinen.  —  Spezialausgabe  des 
Buches  De  compos.  verb.  von  Schäfeb,  Lips.  1808;  von  GOlleb,  Jen.  1815;  der  Utischen 
Schriften  von  Gbos,  Exam.  crii  de  D^nys  d'Halic,  Par.  1826.  —  Rösslbb,  Dion.  Hai.  scrip- 
torum  rhetoricorum  fragm.  collegit,  disposuit,  praefatus  est,  Lips.  1873.  —  üsbnbr,  Dion. 
Hai.  de  imitatione  librorum  rell.  epistulaeque  duae  criticae,  ed.  üsbnbb,  Bonn  1889.  - 
Jacoby,  Act.  Lips.  I  287  ff.  und  Philol.  36,  129  ff.  u.  37,  325  ff.  berichtet  Aber  die  Kritik  und 
den  Sprachgebrauch  der  Archftologie.  —  Ammon,  De  Dion.  Hai.  scriptorum  rhetorioonun 
fontibus,  Münch.  1889,  Progr.  d.  Wilh.Gymn. 

465.  Mit  Dionysios  wird  in  der  Regel*)  Cäcilius  von  Kaiakte, 
Schüler  des  pergamenischen  Rhetors  ApoUodoros,  verbunden,  den  Dionysios 
selbst  im  Brief  an  Pompeius  c.  3  seinen  lieben  Freund  nennt.  Er  hat 
neben  jenem  hauptsächlich  zur  Belebung  der  rhetorischen  Studien  in  Rom 
und  der  Forschungen  über  die  attischen  Redner  beigetragen.  Eine  Haupt- 
schrift von  ihm  handelte  von  dem  Stilcharakter  der  zehn  attischen  Redner 
{n€Ql  Tov  x^Q^^^^QOQ  ^«^  <^«'^of  ^tjTOQwv),  woraus  man  sieht,  dass  er  bereits 


')  Auf  die  Zeit  der  gefestigten  Kaiser- 
herrschaft führt  auch  1,  7  von  dem  Preis  der 
Könige  als  Friedensschirmer.  Bursian,  Ueber 
den  Rhetor  Menandros,  Abb.  d.  b.  Ak.  XVI  26, 
weist  im  Menander  p.  899,  12  Sp.  eine  Be- 
zugnahme auf  unsere  Techne  c.  2  nach,  so 
dass  also  dieselbe  jedenfalls  vor  Menander 
oder  vor  250  zu  setzen  sei.  Der  Verweis  auf 
eine  noch  anzustellende  Untersuchung  ne^l 
uifÄTjüBtog  (10, 19)  spricht  dafür,  dass  die  3.  Ab- 
nandlung,  wenn  nicht  von  Dionysios  selbst, 


so  doch  aus  seiner  Schule  stammt.  QuinÜL 
III  1,  16  und  andere  bei  Walz,  Rhet.  gr.  III 
611;  V  213;  VI  17;  VU  15  bezeugen,  dass 
ein  rhetorisches  Lehrbuch  unseres  Dionysioe 
ehedem  in  Umlauf  war. 

*)  Quintil.  ni  1 ;  IX  3;  Ps.  Phit  de  decem 
orat.  fast  auf  jeder  Seite.  Ueber  Kaixih9? 
ein  guter  Artikel  des  Suidaa,  wonach  einige 
ihn  für  den  Sohn  eines  Sklaven  und  einen 
Juden  ausgaben. 


Ba)R0miBoh6  Periode  YorKonataBtin.  8.  Die  Prosa.  b)Jüd.  Historiker.  (§§465-466.)  643 


den  Kanon  der  zehn  attischen  Redner  kannte;  doch  hat  er  denselben  nicht 
zuerst  aufgesteDt,  sondern  von  seinem  Lehrer  ApoUodor  herübergenommen,  i) 
Auf  den  Forschungen  jenes  Buches  basiert  hauptsächlich  die  ps.  plutarchische 
Schrift  von  den  zehn  Rednern.  Eine  andere  namhafte  Abhandlung  unseres 
Cäcilius  handelte  von  dem  Erhabenen  im  Stil  (negl,  vipovg),  gegen  welche 
das  gleichbetitelte  Buch  des  Ps.  Longin  gerichtet  ist.  Von  seiner  Neigung, 
die  Vorzüge  verwandter  Männer  gegeneinander  abzuwägen,  zeugen  die 
verlorenen  Schriften  über  Demosthenes  und  Aischines,  Demosthenes  und 
Cicero,  unter  den  übrigen  von  Suidas  angeführten  Schriften  unseres  Rhe- 
tors  war  die  'ExXoytj  Xs^emv  xatd  aro^x^Tov  (wahrscheinlich  nur  von  den 
Rednern),  deren  wahrer  Titel  KaXXiQ^rjfioavvr]  war,«)  von  besonderer  Wich- 
tigkeit filr  die  mit  ihr  beginnende  Litteratur  der  attischen  Rednerlexika. 
Auch  ein  historisches  Werk  über  die  Sklavenkriege  wird  von  ihm  an- 
gefahrt. 3)     Fragmente  gesammelt  von  Burckhardt,  Basel  1863. 

b)  Jüdisehe  Historiker. 
466.  Die  Juden  hatten  seit  Alexander  einen  immer  steigenden 
Einfluss  in  der  hellenistischen  Welt  gewonnen.  Namentlich  hatte  Ale- 
zandria  eine  grosse  Judenkolonie  und  interessierten  sich  die  Könige 
Ägyptens  schon  aus  politischen  Gründen  lebhaft  für  die  Geschichte  und 
Sitten  des  rührigen,  durch  Glaubensstärke  mächtigen  Volkes.  So  wurde 
schon  unter  Ptolemaios  Philadelphos  das  alte  Testament  durch  die  soge- 
nannten Siebzig  ins  Griechische  übersetzt,  und  spann  der  jüdische  Philo- 
soph Aristobulos  um  170  v.  Chr.  ein  ganzes  Gewebe  von  Truglehren 
über  den  Ursprung  hellenischer  Weisheit  aus  orientalischer  und  speziell 
jQdischer  Quelle.^)  Mit  der  Geschichte  der  Juden  wurden  die  Griechen  in 
jener  Zeit  bekannt  gemacht  durch  Demetrios  (um  220),  Eupolemos 
(am  160)  und  Aristeas  (um  100).'^)  Nach  dem  Untergang  der  heUenisti- 
schen  Reiche  wanderten  mit  den  Grammatikern  und  Gelehrten  auch  Juden 
nach  Italien  und  Rom,  so  dass  bereits  unter  Cicero  und  Augustus  die  Juden 
in  Rom  eine  einflussreiche  Kolonie  bildeten.  Strabon  sagte  an  einer  durch 
Josephos  arch.  Jud.  14,  7  uns  erhaltenen  Stelle  seines  Geschichtswerkes: 
,in  alle  Städte  schon  ist  das  Volk  der  Juden  gekommen,  und  es  gibt 
keinen  Ort  des  Erdkreises,  der  dieses  Volk  nicht  aufgenommen  hat  und 
von  ihm  beherrscht  wird.""  Allerwärts,  in  Damaskus,  Antiochia,  Alexan- 
dria, Eyrene,  Ephesos,  Thessalonike,  Eorinth  gab  es  jüdische  Gemeinden 
and  Synagogen  (awaytaym);  besonders  aber  war  es  die  Hauptstadt  des 
Beiches,  deren  Reichtum  und  Machtstellung  die  Juden  an  sich  zog.  Horaz 
erwähnt  nur  nebenbei  und  mit  leichtem  Scherz  ihre  Proselytenmacherei 
und  ihre  Sitte  der  Beschneidung.  ^)  Aber  bald  nachher  muss  ihre  Feind- 
seligkeit gegen  den  römischen  Staatsgedanken  grösseren  Anstoss  erregt 


M  S.  oben  §  261. 

')  RoHDB,  Griecli.  Rom.  326. 

»)  MüLLBB,  FHG  m  330—3. 

*)  S.  oben  §  339;  vgl.  im  allgemeinen 
MoKKSBK,  R0m.  Gesch.  V  489  ff. 

*)  üeber  diese  s.  Fbbudbnthal,  Hell. 
Stad.  I  35  ff.  u.  105  ff.  n.  136  ff.;  Susemihl  AI. 
Ut  n  647  ff.;  Ober  Eupolemos  Ad.  Scblattbn, 


Eupolemos  als  Ghronolog  und  seine  Be- 
ziehungen zu  Josephus  und  Manetho,  in  Theo- 
logische Studien  und  Kritiken  1891  S.  633 
bis  703. 

*)  Hör.  Bat  I  4,  143  veluti  te  Judaei  co- 
gemus  in  hanc  concedere  turbam;  sat.  I  9,  70 
vin  tu  curtis  Judaeis  oppedere?  cf.  sat.  I 
5,100. 

41* 


644  ChrieohiBohe  Litteratargesohiohte.    II.  NaohklaBdisohe  Litteratur. 

haben:  die  Kaiser  Tiberius  und  Claudius  erliessen  Ausweisungsdekrete 
gegen  die  Juden,  und  Domitian  verschärfte  die  Gesetze  über  die  Eintrei- 
bung der  Kopfsteuer  von  den  wirklichen  und  geheimen  Juden,  i)  In- 
zwischen hatte  der  Aufstand  der  Juden  in  Jerusalem  und  die  blutige 
Unterdrückung  desselben  durch  römische  Soldaten  die  Autinerksamkeit  der 
Römer  in  erhöhtem  Grade  auf  das  fanatische  Volk  und  ihre  Sitten  gelenkt 
Die  Zerstörung  Jerusalems  (71  n.  Chr.)  hatte  wohl  den  Untergang  des 
jüdischen  Nationalstolzes  besiegelt,  abek>  die  jüdische  Diaspora  hatte  des- 
halb nicht  an  Bedeutung  verloren.  Wie  gross  namentlich  in  Rom  und 
besonders  in  dem  Kreise  der  Frauen  der  Einfluss  der  Juden  geblieben 
war,  ersieht  man  aus  Juvenal,  der  keine  Gelegenheit  versäumt,  die  Geissei 
des  Spottes  über  das  abergläubische  Bettel volk  zu  schwingen.^)  Wenn  es 
ihnen  aber  so  leicht  gelang,  in  Italien  und  Rom  festen  Fuss  zu  fassen 
und  bald  auch  in  der  Litteratur  eine  Rolle  zu  spielen,  so  hatte  dieses  zum 
Teil  darin  seinen  Grund,  dass  Rom  in  der  Kaiserzeit  eine  zweisprachige 
Stadt  geworden  war,  die  Juden  also  mit  dem  Griechisch,  das  sie  bereits 
in  Alexandria  und  Antiochia  zu  lernen  genötigt  waren,  auch  in  Rom  leicht 
auskommen  konnten.  Schon  in  Alexandria  hatten  sie  griechisch  geschrie- 
ben, und  griechisch  war  auch  in  der  Kaiserzeit  die  Sprache,  mit  der  sie 
in  die  Weltlitteratur  eintraten.  —  Weitaus  der  bedeutendste  jüdische 
Schriftsteller  unserer  Periode  war  Philo  von  Alexandrien.  Von  ihm 
werden  wir  weiter  unten  in  dem  Abschnitt  von  den  Philosophen  handeln; 
hier  wollen  wir  nur  die  historischen  Schriftsteller  der  Juden  abhandeln. 
467.  Nikolaos  von  Damaskus  war  zwar  nicht  Jude,  trat  aber  da- 
durch, dass  er  die  grössere  Zeit  seines  Lebens  (37 — 4  v.  Chr.)  an  dem 
Hofe  des  jüdischen  Königs  Herodes  verbrachte,«)  in  nähere  Beziehung  zu 
dem  Judentum.  Sein  Hauptwerk,  das  er  auf  Veranlassung  des  Königs 
Herodes  verfasste,  war  eine  allgemeine  Weltgeschichte  in  144  B.,*)  die 
ähnlich  wie  das  verwandte  Werk  des  Diodor  von  der  ältesten  Zeit  bis 
zur  Gegenwart  reichte.  Eine  zweite  historische  Schrift  unseres  Autors 
betraf  die  Zeitgeschichte  und  behandelte  in  panegyrischem  Tone  das  Leben 
und  die  Erziehung  des  Kaisers  Augustus  (ayioyrj  tov  ßiov  Kaicagog),^)  Beide 
Werke  sind  verloren  gegangen,  aber  wir  haben  von  dem  letzteren  und 
den  sieben  ersten  Büchern  der  allgemeinen  Geschichte  umfangreiche  Aus- 
lesen im  Exzerptenwerk  des  Konstantinos  Porphyrogennetos.  —  Von  Haose 
aus  war  Nikolaos  Philosoph  der  peripatetischen  Richtung ;  auch  als  solch» 
entwickelte  der  schreibselige  Autor  eine  grosse  Thätigkeit:  er  verfasste 
ein  Kompendium  der  aristotelischen  Philosophie,   welches  die  Lektüre  der 


»)  Suet.  Tib.  36;  Claud.  25;  Domit.  12; 
Dio  66,6;  Jnven.  14,  100. 

=»)  Juv,  3,  U;  6,  545  fif.;  14,  96  S.  Die 
Verachtung  der  Juden  spricht  auch  aus  dem 
bitteren  Spott  über  die  Triumphalstatue  des 
geborenen  Juden  Ti.  Julius  Alexander,  sat 
1,  130. 

')  Schon  frühe  sahen  sich  die  Hohen- 
priester und  Könige  Judas  genötigt,  für  diplo- 
matische Sendungen  Griechen  in  ihren  Dienst 
zu  ziehen.  Unter  den  nach  Rom  zu  ver- 
schiedenen Zeiten  abgeordneten  Gesandten  be- 


gegnen uns  bei  Josephus  fast  nur  griechische 
Namen. 

*)  Athen.  249a  gibt  144  B.  an,  indem  er 
das  Werk  ausdrücklich  noXvßißXoq  nenot; 
auch  citiert  das  124.  Buch  Josephos  arcb. 
XnS.  Wenn  daher  Suidas  nur  80  B.  aagS^ 
so  ist  das  ein  Irrtum. 

*)  Statt  ßiov  korrigiert  Daub  Itßasxm. 
Daneben  erwähnt  Suidas  von  ihm  ein  Bock 
nBqi  tov  i^Lov  ßiov  xal  i»;^  iavrov  aytuyi^i 
wovon  umfangreiche  Fragmente  bei  MüuB 
FHG  m  348-356. 


Ba)B0mi8ohe  Periode  YorKonatantin.  8.  Die  Prosa.  b)JoBepho8.  (§§467—468.)     645 


Schriften  des  Philosophen  ersetzen  sollte,^)  und  eine  Sammlung  auffälliger 
Gebräuche  {naQaio^cov  i^wv  avXXoyij).  Fragmente  bei  Müller  FHG  HI 
343-464  und  Dindorf  HGM  I  1—153. 

468.  Josephos,')  nachmals  Flavius  Josephus  genannt,  war  37  n.  Chr. 
geboren  und  stammte  aus  einem  vornehmen  jüdischen  Priestergeschlecht; 
mütterlicherseits  war  er  sogar  mit  dem  königlichen  Haus  der  Makkabäer 
verwandt.  Zusammen  mit  seinem  Bruder  Matthias  in  Jerusalem  sorgfältig 
erzogen,  entwickelte  er  früh  ungewöhnliche  Geistesanlagen.  Von  den  drei 
Sekten  der  damaligen  Juden,  den  Pharisäern,  Sadduzäern  und  Essäern, 
zog  ihn  die  erste,  die  der  Stoa  der  Griechen  gleichgestellt  wurde,  am 
meisten  an.  Nach  Rom  kam  er  zum  erstenmal  im  Jahre  63,  um  einige 
seiner  Landsleute  bei  dem  Kaiser  zu  verteidigen ;  er  erwirkte  deren  Frei- 
lassung durch  Vermittlung  der  Poppäa,  der  bekannten  Gemahlin  des  Kaisers 
Nero,  deren  Vertrauen  er  zu  gewinnen  wusste.  Bei  dem  Ausbruch  des 
Aufstandes  der  Juden  nahm  er  anfangs  eine  zweideutige  Haltung  an; 
dann  Hess  er  sich  zum  Befehlshaber  erwählen,  schloss  aber,  als  er  nach 
dem  Falle  von  Jotapata  in  Kriegsgefangenschaft  geraten  war,  seinen 
Frieden  mit  Vespasian,  dessen  Gunst  er  sich  dadurch  erworben  haben  soll, 
dass  er  ihm  die  zukünftige  Kaiserkrone  weissagte.  Von  der  Einnahme 
der  Hauptstadt  Jerusalem  war  er  im  Lager  des  Titus  Augenzeuge.  Später 
lebte  er  unter  den  Kaisern  Vespasian,  Titus  und  Domitian  in  Rom,  mit 
der  Abfassung  seiner  Geschichtswerke  beschäftigt.  Dieselben  schrieb  er 
auf  Anregung  seines  Freundes  Epaphroditos,  eines  angesehenen  griechi- 
schen Grammatikers,  um  die  Hellenen  über  sein  Volk  aufzuklären;  sie 
erfreuten  sich  schon  bei  seinen  Zeitgenossen  eines  ausserordentlichen  An- 
sehens, so  dass  sie,  wie  Eusebios  in  der  Kirchengeschichte  3,  9  bezeugt, 
in  der  öffentlichen  Bibliothek  mitsamt  seiner  Büste  aufgestellt  wurden. 

Das  interessanteste  und  bestdurchgearbeitete  Werk  des  Josephos  ist 
der  jüdische  Krieg  {TtsQi  tov  'lovSaixov  noXäfxov)  in  7  B.,  das  er,  wie  er 
selbst  in  der  Streitschrift  gegen  Apion  I  9  bemerkt,  anfangs  in  seiner 
Muttersprache  geschrieben  und  dann  griechischen  Litteraten  zum  Über- 
setzen ins  Griechische  übergeben  hatte.  Hier  erzählte  er  Selbsterlebtes 
mit  Wärme  und  Sachkenntnis.  Denn  wenn  er  auch  im  ersten  Buch  bis 
auf  die  Zeit  der  Seleukiden  und  Antiochos  Epiphanes  zurückgreift,  so  bil- 
det doch  den  Hauptgegenstand  des  Werkes  der  Aufstand  der  Juden  und 
die  Bewältigung  desselben  durch  Vespasian  und  Titus  (64 — 70).  Es  hatte 
auch  ein  römischer  Autor  und  kein  geringerer  als  Tacitus  die  Geschichte 
des  jüdischen  Krieges  erzählt;  aber  leider  ist  der  betreffende  Abschnitt 
seiner  Historien  bis  auf  den  Anfang  verloren  gegangen,  so  dass  wir  uns 
über  ihn  nur  aus  der  Chronik  des  christlichen  Schriftstellers  Sulpicius 
Severus,  der  den  Tacitus  benutzt  hatte,  eine  annähernde  Vorstellung  bil- 


*)  Ueber  die  Vermutmig,  dass  Nikolaos 
auch  Verfasser  der  pseudaristotelischen  Schrift 
negi  xoafAov  sei,  s.  oben  §  820. 

')  Die  Hauptnachrichten  verdanken  wir 
der  Selbstbiographie  des  Autors,  neben  wel- 
cher der  daraus  gezogene  Artikel  des  Soidas 
nicht  in  Betracht  kommt.  Wichtig  ist  ausser- 


dem das  Zeugnis  des  Eusebios,  Hist.eccl.3,9: 
/ndXt4fTa  di  T(oy  x«r*  ixetyo  xaigov  ^lovdalay 
ov  Tia^a  fioyoig  totg  ofÄoeSyictv  dXXa  xal 
nagd  'Ptofialoig  yfyoyey  dytJQ  inido^oratoc, 
tag  avtoy  fj^y  dya&^aet  dy&QiäyTog  knl  tijg 
'Pütftaimy  ri/ittj&^ytn  noXstog,  rovg  di  cnovda- 
a&iytag  avrto  Xoyovg  ßißXio%9ijxtjg  d^t<a&ijyai. 


646 


Qrieohisohe  IdtteratargMohiohte.    IL  NaohkUMiache  Idttaratnr. 


den  können.^)  Josephos  selbst  hatte  von  seinem  Werk  eine  zweite 
verbesserte  und  erweiterte  Ausgabe  zu  liefern  im  Sinne  (arch.  20,  12), 
scheint  aber  nicht  zur  Ausführung  dieses  Planes  gekommen  zu  sein. 
Das  Werk  wurde  im  4.  Jahrhundert  auch  ins  Lateinische  übersetzt  und 
kursierte  im  lateinischen  Abendland  unter  dem  entstellten  Namen  Hege- 
sippus,  d.  i.  Joseppus.»)  —  Das  umfangreichere  spätere  Werk  unseres 
Autors  ist  die  ^lovdaixtj  aqxaioXoyia  in  20  B.,  welche  mit  der  Erschaffung 
der  Welt  an  der  Hand  der  Bücher  Moses  beginnt  und  bis  auf  Nero  herab- 
geht. Dieselbe  lehnt  sich  in  Titel  und  Buchzahl  (der  Autor  selbst  bezeugt 
in  dem  Schlusswort  die  Einteilung  in  20  B.')  eng  an  die  römische  Ar^ 
chäologie  des  Dionysios  von  Halikarnass  an,  behandelt  aber  nur  in  den 
11  ersten  Büchern  die  alte  Geschichte  der  Juden  (bis  auf  Esther)  an  der 
Hand  der  einheimischen  heiligen  Bücher>)  Abgeschlossen  hat  Josephos  das 
Werk,  in  dem  er  neidische  Konkurrenten  hatte,  im  13.  B<egierungsjahre 
Domitians  (93  n.  Chr.),  im  56.  seines  Lebens  (arch.  20,  12).  Seine  aus- 
gesprochene Absicht  war,  die  Hellenen  und  Römer  auf  solche  Weise  mit 
der  Vergangenheit  und  den  Sitten  seines  Volkes  bekannt  zu  machen. 
Merkwürdig  ist  in  dem  Buche  die  Stelle  18,  3  über  Jesus,  da  sie  das 
älteste  aussertestamentliche  Zeugnis  über  den  Stifter  unserer  Religion  entr 
hält;  doch  ist  dort  nur  ganz  nebenbei  von  dem  weisen  Manne  Jesus  und 
dem  Volk  der  Christen  die  Rede,  so  dass  man  sieht,  wie  Josephos  noch 
keine  Ahnung  von  der  welthistorischen  Mission  des  Heilandes  hatte;  über- 
dies ist  die  Stelle  durch  Interpolationen  von  späterer  Hand  entstellt^) 
Nach  einer  anderen  Seite  geben  der  jüdischen  Archäologie  ein  besonderes 
Interesse  die  vielen  Aktenstücke,  die  darin  über  die  Beziehung  der  Juden 
zum  römischen  Senate  mitgeteilt  werden.^)  Dem  Reichtum  des  Inhaltes  ent- 
spricht nicht  die  Feile   der  Form,  indem  namentlich  die  letzten  Bücher 


^)  Jak.  Bbbnays,  Die  Chronik  des  Snl- 
piciuB  Severus,  1867. 

*)  Als  Verfasser  der  lateiDischen  Ueber- 
setzung  ward  früher  Ambrosins  angenommen; 
dass  es  vielmehr  ein  getaufter  Jude  war,  be- 
weist Vogel,  De  Hegesippo  qni  dicitor  Josephi 
interprete,  Erlang.  1881. 

')  Jos.  arch.  20,  12 :  xaxanavcto  xrjy  dg- 
XaioXoyiav  ßißXois  fJtkv  etxoci  neQieiXfjjUfASvtjy, 
§^  dd  fivQuiüt  <rttx(ov.  Ueber  die  hohe  Zahl 
von  60,000  Zeüen  des  Werkes  s.  Bist,  Das 
antike  Buchwesen  S.  203. 

*)  Jos.  c.  Apion.  I  10:  rijy  fjLkv  yd^ 
ttQXttioXoyiay  ix  rtor  le^y  y(fafifidTwy  fie9^ 
ijQfiijyevxa  yeyoyias  IsQei^s  ix  yiyovg  xal 
f^eteaxv^fos  t^s  q>iXoao(piag  ttjg  iy  ixeiyois 
xoig  ygdfifiaaiy, 

*)  los.  Ind.  arch.  18, 8, 3 :  yiyerai  cf^  xatd 
xovxoy  toy  XQoyoy  *Iijaovg,  ao<p6q  dyiJQ  '  Bt  ye 
dydga  avxSy  Xfyety  XQV'  V^  Ydq  naqadolioy 
iQytoy  no^tjxijg,  diddüxaXos  ay&Qoinoiy  xtSy 
i^doyp  xdXtj&ij  dexof^iyfoy  '  xal  noXXovf  fjtky 
lovdaiovg,  noXXovg  di  xal  xov  *EXXrjyixov 
infjydyexo,  [o  XQunos  ovxos  fjy.]  xal  avxoy 
iydsi(€$  XiSy  nQtoxmy  dydowy  naQ^  ^f*^^ 
cxavQi^    inixexif4ijx6fog   DiXaxov    ovx    inav^ 


cayxo    ol   x6   nQtaxoy   avxoy   ayamjcarxH' 

Si<pdyij  yoQ  avxoU  tQixrjy  %x^^  fjfiä^ay  ndXuf 
',<iSy,  Twy  &eiwy  n^ofjprixtuy  ravxd  r«  sm 
dXXa  fiVQia  &avfAdcia  ns(fl  avrov  figipmtmy.] 
Biaixi,  XB  yvy  xeSy  XQUfxiayiuy  dno  xovit 
tayofxaafjiiyoty  ovx  iniXinB  x6  tpvXoy,  Den 
Namen  Xqicxos  nennt  unser  Autor  anch 
Arch.  20,  9:  ''Ayayog  noQayaytoy  ek  ^to 
(sc.  avy^dQioy)  xoy  ddeXfpoy  *Itjcov  xov  Xiyo- 
fiiyov  Xqiotov  '  *Jdxtoßog  oyofjia  avx^ '  xai 
xiyag  ixi^ovg  cJc  noQayofitjcdyxtor  xaxfpro^vy 
noitjadfieyog  naQi&taxBy  wg  Xcwf^ijcofiBrovs. 
Diese  letzte  Stelle  hatte  Origenes  c.  Gels.  1 35 
im  Ange,  wenn  er  schrieb  *l4aiTfptof  »m'roi  yt 
dituntay  x^  'Jrjaov  tis  Xfwntp,  die  erste  im 
Kommentar  zu  Matth.  13.  Ausserdem  hat 
losephos  18, 5, 2  auch  noch  des  Tftofers  loamies 
Erwfihnuiig  gethan.  Vgl.  SghGub,  GetcL 
des  Jüdischen  Volkes  I  455  ff.  —  Der  Zeit- 
genosse des  losephos,  lustus  von  TiberiaSy 
hat  nach  Photios  bibl.  cod.  33  p.  6^  35  Chn- 
stus  und  seine  Wunder  gar  nicht  erwihat 
*)  RiTSOHL,  Bdmiache  Senatskonsulte  bei 
Josephus  hl  Opusc.  V  114  ff.;  MmDBissoni, 
Senati  consulta  Romanottim  qoae  mit  in  Jo- 
sephi Antiquitatibus,  Acta  lips.  V  87—288. 


Ba)SOnUflohe  Periode  Yor  Kenstantin.   8.  Die  Proea.   b)  Joeephos.    (§468.)    647 

die  sorgfältige  Durcharbeitung  nur  zu  sehr  vermissen  lassen,  i)  Die  Zeit- 
angaben gab  der  jüdische  Verfasser  nach  dem  Kalender  seiner  Heimat, 
setzte  aber  zum  leichteren  Verständnis  für  seine  griechischen  Leser  die 
jüdischen  Monatsnamen  in  makedonische  um,  was  mannigfache  Störungen 
und  Miss  Verständnisse  verursachte.^)  —  Ein  persönliches  Pendant  zu  der 
Archäologie  bildet  die  Selbstbiographie  des  Historikers  {OXaovtov  ^Itoar^Tiov 
ß(oq).  Dieselbe  hat  der  eitle  Autor  verfasst  und  veröffentlicht,  um  seine 
hohe  Abkunft  ins  rechte  Licht  zu  setzen  und  seine  Feinde  und  Neider 
zum  Schweigen  zu  bringen  (arch.  20,  12).  Nach  dem  Schlusswort  c.  76 
hat  er  sie  mit  der  Archäologie  seinem  griechischen  Freunde  Epaphroditos 
zugesandt.  —  Ausserdem  möchte  man  aus  mehreren  Gitaten  des  Josephos ') 
schliessen,  dass  er  noch  eine  dritte  historische  Schrift,  über  syrische  Ge- 
schichte, verfasst  habe.  Doch  erwähnt  er  dieselbe  nicht  an  den  zwei 
Stellen  (arch.  20,  12,  c.  Apion  1,  9  f.),  wo  er  von  seiner  Schriftstellerei  im 
allgemeinen  spricht,  so  dass  entweder  ein  Lrrtum  in  den  Citaten  vor- 
liegt, oder  Josephos  selbst  das  nicht  in  das  Griechische  übertragene  Werk 
über  Syrien  später  ignorierte.^)  —  Eine  allgemeinere  Bedeutung  haben 
die  zwei  Bücher  gegen  Apion  (xa%d  ^Ämwvog).  Es  sind  dieselben  erst  nach 
der  Archäologie  unter  Domitian  im  Jahre  94/5  geschrieben  und  enthalten 
eine  apologetische  Antwort  auf  die  Anklagen,  welche  der  damals  bereits 
verstorbene^)  Granunatiker  Apion  aus  Alexandria  gelegentiich  einer  Ge- 
sandtschaft an  den  Kaiser  Galigula  gegen  die  Juden  vorgebracht  hatte. 
Die  Schrift  enthält  interessante  Mitteilungen  aus  Berosos,  Manetho  und 
anderen  orientalischen  Hellenisten.  Der  Verfasser  verteidigt  darin  sehr 
geschickt  die  Sache  der  Juden,  indem  er  sich  auf  das  höhere  Alter  der 
biblischen  Urkunden  beruft  und  die  Schönfärberei  der  griechischen  Histo- 
riker rügt.^)  —  Ein  fremdartiges  Gepräge  trägt  die  Rede  eig  Maxxaßaiovg 
^  Tregi  avxoxqatoQog  XoyiCfioVy  worin  an  der  Hand  der  jüdischen  Geschichte, 
besonders  der  Makkabäer,  gezeigt  ist,  dass  die  Vernunft  die  Herrschaft 
über  die  Leidenschaft  hat.^)  Josephos  selbst  kündigt  am  Schlüsse  der 
Archäologie  mehrere  theosophische  Schriften  im  Geiste  des  Philon  an,  wie 
über  Gott  und  sein  Wesen,  über  die  Gesetze,  scheint  aber  durch  einen 
frühzeitigen  Tod  an  der  Ausführung  dieser  Pläne  gehindert  worden  zu  sein. 


1)  Eine  8<vgf&ltig6re  Redaktion  des  Jüdi- 
schen Krieges  zeigt  sich  auch  in  der  grösseren 
Seltenheit  des  Hiatus,  worüber  Ebbbs,  Die 
PrApcNÜtionaadYerbien  in  der  späteren  histori- 
schen Grftzität,  Münch.  1884. 

>)  Ueber  diese  subtilen  Fragen  üngbb, 
Die  TagdAta  des  Josephos,  Sitzb.  d.  b.  Ak. 
189a  S.  453—492.  üeber  andere  Punkte  der 
Josephoefragen  Derselbe,  ebendaselbst  1895 
a  551  ff.;  1896  8.  357  ff.;  1897  S.  189  ff. 

•)  Arch.  Xn  5,  2;  Xm  2,  1—4;  4,  6; 
5,  II;  12,  6  mit  xaMg  xal  ir  aXXotg  dedtjhti- 
xmuer,  wozu  noch  mehrere  Stellen  mit  iy 
aÜoi^  ^e^rjXmrai  kommen. 

*)  DcsTiNOV,  Die  Quellen  des  Flayins 
Joaephns,  1882,  S.  21 — 29,  nimmt  an,  dass 
Joeej^oB  jenes  Werk,  auf  das  er  sich  an  den 


bezeichneten  Stellen  bezieht,  gar  nicht  selbst 
geschrieben  habe,  sondern  dass  vielmehr  die 
Citate  den  Quellen  angeboren,  der  Josephos 
an  jenen  Stellen  gefolgt  sei.  Gegen  diese 
Hypothese  wendet  sich  Unobb,  Das  yerlorene 
Geschichtswerk  des  Josephos,  Sitzb.  d.  b.  Ak. 
1897  S.  223  ff. 

»)  Jos.  c.  Ap.  2,  13. 

*)  Einen  gelehrten  Kommentar  zu  der 
interessanten  Schrift  gibt  GurscHMin,  El.  Sehr. 
IV  336-589. 

7)  Fbbudbwthal,  Die  Fl.  Josephos  bei- 
gelegte Schrift  Ueber  die  Herrschaft  der  Ver- 
nunft, eine  Predigt  aus  dem  ersten  nach- 
christlichen Jahrhundert,  Breslau  1869;  Abx. 
WoLSGHT,  De  Ps.  losephi  oratione  nsql  apxo- 
xgäroQos  Xoyi^fiovj  Marb.  1881. 


648 


Griechische  Litteraturgeschichte.    ü.  NachklasBiBche  Litteratar. 


Kommentierte  Ausgabe  von  Kaybrcahp,  LB.  1726.  —  TezteaauBgabe  von  Ihm.  Bbkkbb 
in  der  BibL  Teabn.;  neubearbeitet  von  Nabbb;  kritische  Ausgabe  mit  handscbrifÜichem 
Apparat  von  Nibsb,   Berlin  in  6  vol.,  ed.  maior  und  minor;   dazu  die  Epitoma,   Berl.  1896. 

—  Böttgbb,  To^graphisch-Historisclies  Lexikon  zu  Josephus,  Leipz.  1879.  —  W.  Schbidt, 
De  FUyii  Josepm  elocutione  obseirationes  criticae,  Jbrb.  f.  Phil.  Suppl.  XIX  (1894)  341—550. 

469.  Der  namhafteste  jüdische  Historiker  nach  Josephos  war  sein  Rivale 
Justus  von  Tiherias.  Derselbe  schrieb  eine  Chronik  der  Juden  von  Moses 
bis  zum  Tode  des  Judenkönigs  Agrippa  II  (100  n.  Chr.)  und  eine  Geschichte 
des  Judenkriegs  unter  Yespasian  und  Titus.  Beide  Bücher  sind  verloren 
gegangen;  schon  der  Patriarch  Photios,  der  Bibl.  cod.  33  eine  summa- 
rische Inhaltsangabe  gibt,  scheint  nur  einen  Auszug  vor  sich  gehabt  zu 
haben. 

Von  anderen  Schriftsteilem,  die  in  griechischer  Sprache  vom  Orient 
handelten,  nenne  ich  kurz:  Menander  von  Ephesos,  der  nach  Josephos 
c.  Apion  I  18  eine  chronikartige  Zusammenstellung  der  Könige  phönizi- 
scher  Städte  aus  einheimischen  Quellen  gab  (Müller  FHG  IV  445— 48);  i) 
Di  OS  und  Philostratos,  die  gleichfalls  die  alten  Chroniken  der  Phöni- 
zier verarbeiteten  (Müller  FHG  IV  398);  Th alles,  ein  Syrer,  dessen 
Chronik  der  Kirchenvater  Eusebios  in  seiner  Chronik  benutzte  und  den 
schon  Minucius  Felix  21  und  Tertullian  Apolog.  10  neben  Diodor  als  üni- 
versalhistoriker  anführen  (Müller  FHGIII  517—9);  Chairemon,  Stoiker 
aus  der  Zeit  Neros,  der  über  die  heiligen  Schriften  der  Ägypter  schrieb.') 

—  Über  die  Übersetzung  der  phönizischen  Geschichte  des  Sanchuniathon 
durch  den  Grammatiker  Herennios  Philon  werden  wir  unten  in  dem 
Abschnitt  von  den  Grammatikern  handeln. 


c)  Plutarch  (um  46  bis  naeh  120). 

470.  Leben.  Plutarch, »)  Sohn  des  Autobulos,  geboren  um  46  n. 
Chr.^)  entstanmite  einer  angesehenen  wohlhabenden  Familie  von  Chäronea 
in  Böotien;^)  er  war  also  Landsmann  des  Hesiod  und  Pindar,  denen  er 
mit  gemütvollem  Lokalpatriotismus  eine  besondere  Aufmerksamkeit  in 
seinen  Schriften  widmete.  Seine  höhere  Ausbildung  erhielt  er  in 
Athen,  wo  er  sich  dem  akademischen  Philosophen  Ammonios  anschloss, 
den  er  im  Jahre  66,  als  Nero  Griechenland  und  Delphi  besuchte,  ab 
Schüler  hörte.«)  Alexandria,  die  alte  Stätte  der  Gelehrsamkeit,  lernte  er  nur 
durch   einen   flüchtigen  Aufenthalt  von  wenigen  Monaten   kennen,  t)    In 


^)  Auf  eine  Ergftnzung  der  Sammlung 
durch  Jos.  arch.  IX  14,  2  macht  Wachsmuth, 
Einl.  404  aufmerksam.  Derselbe  Iftsst  mit 
GüTSCHMiD  El.  Sehr.  lY  478  f.  unseren  Men- 
ander im  2.  Jahrh.  n.  Chr.  leben. 

»)  MüLLBR  FHG  m  495—9;  0.  Gruppe, 
Die  griech.  Kulte  und  Mythen  I  438—9.  Eine 
Stelle  der  Jiyvntiaxd  des  Chairemon  hat 
Fsellos  Obermittelt,  publiziert  von  Sathas, 
BuU.  de  corr.  hell.  1  121  ff. 

*)  Ein  magerer  Artikel  des  Suidas; 
WiSTBsxAim,  De  Flut,  vita  et  scriptis,  Lips. 
1855;  YoLKMAvv,  Leben,  Schriften  und  Philo- 
sophie des  Plutarch,   Berl.  1869;   Graux  in 


Einleitung  der  Ausgabe  von  Plui.  vita  Dem. 

p.  I— xvm. 

«)  MoMXSBN,  Herrn.  IV  295  ff.  setzt  seine 
Geburt  46 — 48;  die  Zeit  wird  dadurch  be- 
stimmt, dass  er  66,  als  Nero  in  Griedienland 
weilte,  studierender  Jüngling  war. 

^)  Ein  Inschriftstein  von  ChAronea  GIG 
1627  nennt  Si^tov  KXavdioy  .4rt ößovXoi^  ofim- 
yvfjLov  T^  natQl  ixror  ano  17Jlopra^/or. 

•)  Plut.  de  Ei  c.  1,  Vit  Titi  12,  vit  Anton. 
88;  Phot.  Bibl.  400b,  5:  morrirp/oc,  »c  mrrof 
xtiy  T(p  na^yri  naQaXXijX«^  jtac  iy  oflloK 
(pfj<r(y,  ini  Nigmyos  ^y.  Vgl.  Mw.  p.  887  P. 

^)  Plut.  Quaest.  conv.  V  5,  1. 


B  a)  Bömisehe  Periode  vor  Konstaniin.  8.  Die  Prosa,  c)  Plntaroh.  (§§  469—470.)      649 


die  Physik  und  Naturwissenschaften  ward  er  durch  den  Arzt  Onesikrates 
eingeführt.^)  Dass  er  sich  auch  mit  der  Rhetorik  in  seiner  Jugend  be- 
schäftigte, ersieht  man  aus  seinen  rhetorischen  Jugendschriften  über  das 
Glück  Roms,  über  den  Vorzug  des  Wassers  oder  Feuers  u.  ä.  Doch  gab 
er  sich  nur  in  der  Jugend  infolge  des  damaligen  Unterrichtsganges  mit 
der  Kunst  der  Schönrederei  ab;  im  späteren  Leben  trat  er  als  Anhänger 
Piatons  in  entschiedenen  Gegensatz  zur  sophistischen  Richtung  seines 
Jahrhunderts.  Aber  auch  die  Richtung  eines  grübelnden  Philosophen  und 
einsamen  Gelehrten  verschmähte  er  und  widmete  sich,  soweit  es  die  Ver- 
hältnisse in  der  römischen  Eaiserzeit  gestatteten,  dem  öffentlichen  Leben. 
Schon  als  junger  Mann,  vermutlich  unter  Vespasian,  ward  er  von  seiner 
Vaterstadt  in  wichtiger  Angelegenheit  als  Gesandter  an  den  römischen 
Prokonsul  von  Achaia  abgeordnet.  >)  Nach  der  Metropole  der  damaligen 
Welt,  nach  Rom,  kam  er  mehrmals.  Mit  hervorragenden  Römern,  wie 
Sossius  Senecio,  Mestrius  Florus, «)  Junius  Arulenus  Rusticus,  Fundanus, 
Paccius,  Satuminus  knüpfte  er  dauernde  Verbindungen  an.  Namentlich 
mit  dem  ersten  der  Genannten,  der  viermal  unter  Trajan  Konsul  war,  sich 
aber  auch  zeitweise  in  Griechenland,  und  speziell  in  Plutarchs  Heimatstadt 
Chäronea  aufhielt,*)  stand  er  auf  vertrautem  Fusse,  wie  man  unter  an- 
derem daraus  ersieht,  dass  er  ihm  seine  Hauptschriften,  die  Parallel- 
biographien und  Tischgespräche  und  überdies  die  kleine  Schrift  über  die 
Fortschritte  in  der  Tugend  widmete.  Auch  dem  Favorinus,  dem  an- 
gesehenen Philosophen  Roms,  muss  er  nahe  getreten  sein,  da  er  ihn  nicht 
bloss  in  den  Tischgesprächen  VIII  10  unter  den  Freunden  des  Florus  er- 
wähnt, sondern  ihm  auch  die  Schrift  nsQi  tov  n^xov  ipvxQov  übersandte.*) 
Selbst  an  dem  kaiserlichen  Hof  gewann  er  durch  seine  vielseitige  Bildung 
und  sein  humanes  Wesen  grossen  Einfluss.  Nach  Suidas  hat  ihn  Trajan 
mit  der  Würde  eines  Konsularen  ausgezeichnet  und  die  Statthalter  Achaias 
angewiesen,  sich  in  der  Verwaltung  der  Provinz  an  seine  Ratschläge  zu 
halten.^)  Dass  ihm  auch  die  Gunst  des  hellenenfreundlichen  Kaisers 
Hadrian  nicht  fehlte,  lässt  sich  erwarten, 7)  wiewohl  die  Angabe,  dass  der 
Kaiser  Hadrian  sein  Zögling  gewesen  sei,  erst  im  Mittelalter  aufgekommen 
ist.*)  Aber  trotz  der  ihm  in  Rom  zu  teil  gewordenen  Auszeichnungen 
blieb  er  zeitlebens  seinem  Heimatland  und  insbesondere  der  Stadt  Chä- 
ronea in  patriotischer  Treue  zugethan.    Dort  verwaltete  er  das  Amt  eines 


1)  Flut,  de  mus.  1.  2.  43. 

«)  Plut.  polit.  praec.  c.  20  p.  816  d. 

')  Von  diesem  Freunde  nahm  er  den 
GentLhiainen  Mestrius  an,  mit  dem  er  in  der 
Inaehrifb  CIG  1713  genannt  ist. 

'*)  Bas  ersieht  man  ans  Plutarch  Sympos. 
IV  3,  1. 

»)  Beachtenswert  Suidas :  ^aßtagiyo^  • 
avT€<piXorifi€rro  xal  C^Aof  et^s  ngog  nXovt' 
a^X^^  ^^^  Xat^wj/^a  is  t6  ttav  avytarto- 
fiirtay  ßißXiaty  aneigoy, 

*)  Suidas:  /leradovg  avt<p  TgaCaros  (ob 
yerschrieben  fOr  'Adgiayog'^)  x'^g  Xiüv  vnaxtav 
aHag  Tt^ocixa^e  (jLfjisva  xtSy  xaxd  xrjy  *lXXv- 
(fida    (damals   vielmehr  "W/atcri/)   dqx^^^*' 


nccgH  tijg  avxov  yyaifiijg  xt  dittnQdxxea&ai. 

^)  Auf  eine  Auszeichnung  durch  Hadrian 
geht  Eusebios  zu  dem  Jahre  119:  UXotxaQxog 
XniQtayevg  <piX6(Tog>og  iniXQonevsiy  'EXXddog 
Xttxeaxd&i]  yegaiog.  Ze^xog  tpMaofpog  xal 
'Aya^oßovXog  xal  Oiyo/naog  iyyojQiCsxo.  Bei 
Hieronjmus  und  in  der  armenischen  Ueber- 
setzung  sind  die  2  Sätze  zusammengezogen 
zu:  Plutarchtis  Chaeroneus  et  Sextus  et  Aga- 
thöbulos  et  Oenomaus  philoaophi  insignes 
habentur. 

^)  Im  Mittelalter  kursierte  eine  apokryphe 
Schrift  De  institutione  principis  epistola  ad 
Traianum;  yergl.  Sohaarsohhidt,  Johannes 
Saresberiensis,  Leipz.  1862  S.  123  f. 


650 


Griechisohe  LitterailirgMohiohte.    II.  NaohklaMisohe  littarator. 


Bauaufsehers  ^)  und  Archen, ')  vielleicht  auch  das  eines  Boiotarchen.  Von 
Athen  wurde  er  durch  Verleihung  des  Ehrenbürgerrechtes  ausgezeichnet. 
Mit  der  Priesterschaft  in  Delphi  unterhielt  er,  wie  ehedem  Pindar,  intime 
Beziehungen;  namentlich  im  höheren  Alter,  als  er  sich  vom  politischen 
Leben  abgewandt  hatte,  trat  er  in  engen  Verkehr  mit  den  Priestern  und 
Priesterinnen  des  Apollo  und  widmete  sich  förmlich  dem  Dienste  des 
Gottes.  3)  Zum  Dank  setzten  ihm  später  die  Delphier  nach  dem  Beschlüsse 
der  Amphiktyonen  einen  Gedenkstein,  dessen  AufBchrift  noch  er- 
halten ist:^) 

JeXtpoi  XaiQWvevaiv  ofiov  nXovtaqxov  MxhjTtav 

Im  häuslichen  uud  gesellschaftlichen  Leben  bewährte  er  die  hohe  sittliche 
Gesinnung,  die  er  in  seinen  Schriften  predigte.^)     Er  war  in  glücklicher 
Ehe   mit   Timoxena   verheiratet,    aus  welcher  Verbindung   ihm  in  jener 
kinder-  und  ehelosen  Zeit  vier  Söhne  und  eine  Tochter  erblühten ;  er  lebte 
mit  seinen  Brüdern  und  Mitbürgern  in  schönster  Harmonie,  und  unterhielt 
mit   zahlreichen  Römern  und  Griechen  herzliche  Freundschaft  und  Oe* 
selligkeit.     Einen   grossen  Teil  aber  seiner  Zeit  widmete  er  der  Untei^ 
Weisung  seiner  Söhne  und  anderer  junger  Leute,  jedoch  ohne  deshalb  eine 
förmliche  Schule   zu   gründen.     Von   den    freien  Vorträgen  und   den  Ge- 
sprächen, die  er  mit  seinen  Schülern  und  Anhängern  hielt,  sind  uns  Auf- 
zeichnungen   in    seinen   Schriften    erhalten.     So  erreichte   er  unter  an- 
genehmen Verhältnissen  und   bei   gesunder  Lebensweise   ein  hohes,  mit 
Ehren  geschmücktes  Alter.    Aus  Eusebios  sehen   wir,  dass  er  noch  das 
3.  Regierungsjahr  des  Kaisers  Hadrian  erlebte.     In  der  Schrift  über  Isis 
und  Osiris  c.  72  erwähnt  er  eiuen  Fall  fanatischer  Feindschaft  zwischen  An- 
betern verschiedener  Tiere  in  Ägypten ;  steht  dieser  in  unmittelbarem  Zu- 
sammenhang mit  demjenigen,    den  Juvenal   sat.  15  beschreibt,   so   muss 
Plutarch  bis  nach  127  gelebt  haben.     Denn  in  dieses  Jahr  oder  in  das 
Konsulat  des  Junius  fällt  das  von  Juvenal  erwähnte  Ereignis.^)    Nach 
dem  Tode  des  Vaters   haben   seine  Söhne  Autobulos  und  Plutarch  der 
Jüngere  seine  Schule   fortgesetzt  und  auch  noch  manches,  wie  z.  B.  den 
Erotikos,  aus  seinen  Papieren  veröffentlicht. 

471.    Die  Schriften  des  Plutarch  sind  zum  grösseren  Teil  uns  noch 
erhalten ;  sie  sind  überaus  zahlreich  und  zeugen  von  einer  ungewöhnlichen 


*)  Flut,  de  rep.  ger.  15. 

*)  Plut.  Quaest.  conv.  11  10;  VI  8;  vgl. 
An  seni  p.  785  C. 

^)  In  der  von  Plutarch  im  Greisenalter 
yerfassten  Schrift  An  seni  p.  792  F  spricht 
er  von  mehreren  Pythiaden,  in  denen  er 
bereits  dem  Gotte  diene.  Nach  delphischen 
Inschriften  (s.  Pomptow,  Fasti  Delphici  in 
Jahrb.  f.  cl.  PhU.  1889  p.  549  ff.)  erhielt  er 
um  95  das  lebenslängliche  Priesteramt  in 
Delphi,  das  er  sicher  noch  120  bekleidete. 

*)  PoMPTow,  ■  Beiträge  zur  Topographie 
von  Delphi  1889  S.  77;  vgl.  CIG  1713. 

^)  Vergleiche  die   klassische  Stelle  bei 


Plut.  Mor.  p.  1038  B :  ^bl  ydg  ov/  ovri»  ror 
^toQa  xar*  Alaxiyfiy  (Ctes.  4)  tavxd  tf^dy- 
yec&tti  xal  roV  yofioy,  ti^  roV  ßior  Toe  «ptXo- 
aofpov  Xi^  Xoytp  cvfitpatyov  eiytu. 

*)  Dieses  Datum  steht  fest  durch  Ju- 
venal 15,  27.  Die  Angaben  des  Juvenal  und 
Plutarch  hat  schon  Salmamus  Exerc  Plin. 
p.  452  auf  dasselbe  Ereignis  beneben  woUen; 
doch  stimmen  die  Städte  nicht»  bei  Juvenal 
Ombi  und  Teiyra,  bei  Plutarch  Oxyryiicfaitae 
und  Eynopolitoe,  und  erwähnt  Platarch  nnr 
die  Schlachtung  eines  Hundes,  nicht  eines 
Menschen;  vgl.  Chbibt  Sitib.  d.  bajer.  Aknd. 
1897  S.  132  ff. 


B  a)  B^misohe  Periode  vor  Konstantin.  3.  Die  Prosa,  o)  Plataroh.  (§§  471—472.)      651 


Fruchtbarkeit  und  Vielseitigkeit  unseres  Autors,  i)  Dass  trotzdem  nicht 
wenige  verloren  gegangen  sind,  ersieht  man  aus  dem  vollständigen  Ka- 
talog des  Lamprias,  eines  angeblichen  Sohnes  des  Plutarch,  der  nicht 
weniger  als  210  Nummern  von  Schriften  Plutarchs  aufweist.*)  Aber  auch 
manches  fremde,  herrenlose  Out  hat  sich  schon  im  Altertum  in  die  Samm- 
lung eingeschlichen.')  Die  Schriften  zerfallen  in  zwei  Hauptklassen,  in 
die  Biographien  oder  historischen  Werke  und  in  die  philosophisch-littera- 
rischen Abhandlungen,  welche  unter  dem  Titel  'ff^ixa  oder  Moralia  zu- 
sammengefasst  zu  werden  pflegen.  Auch  eine  poetische  Schift  nsgi  ^(pwv 
aioyfov  noiTjTixog  führt  der  Lampriaskatalog  an.*)  Über  die  Abfassungszeit 
der  einzelnen  Schriften  Plutarchs  ist  es  schwer  zu  einem  klaren  Urteil  zu 
kommen,  so  dass  sein  letzter  Biograph,  Volkmann  I  78,  offen  gesteht,  über 
sie  nichts  Festes  ermitteln  zu  können.  So  ganz  hoffnungslos  steht  nun 
zwar  die  Sache  nicht,  da  wir  nicht  bloss  über  mehrere  Schriften  ganz 
genaue  Angaben  haben,  sondern  auch  bei  Plutarch  so  gut  wie  bei 
Piaton  einen  bestimmten  Entwicklungsgang  in  seiner  Geistesrichtung  und 
Schriftstellerei  nachweisen  können.  Aber  trotzdem  wird  es  angebracht 
sein,  in  der  Besprechung  der  Schriftstellerei  Plutarchs  anderen  Gesichts- 
punkten als  den  zeitlichen  zu  folgen. 

472.  Historische  Werke.  Parallelbiographien  {Bm  nagdXXrjXoi) 
sind  uns  46  (2X28)  in  mindestens  12  B.  erhalten,  nämlich  von  Theseus 
und  Eomulus,  Lykurgos  und  Numa,  Selon  und  Valerius  Publicola,  The- 
mistokles  und  Camillus,  Perikles  und  Fabius  Maximus,  Alkibiades  und 
Marcius  Coriolanus,  Timoleon  und  Aemilius  Paulus,  Pelopidas  und  Mar- 
cellus,  Aristides  und  Cato  maior,  Philopoimen  und  Quintius  Flamininus, 
Pyrrhos  und  Marius,  Lysander  und  Sulla,  Kimon  und  LucuUus,  Nikias 
und  Crassus,  Eumenes  und  Sertorius,  Agesilaos  und  Pompeius,  Alexander 
und  Cäsar,  Phokion  und  Cato  minor,  Agis  u.  Kleomenes  und  Tiberius  u.  Gaius 
Gracchus,  Demosthenes  und  Cicero,  Demetrios  Poliorketes  und  Antonius, 
Dion  und  Brutus.  Dazu  kommen  noch  die  vier  einzeln  stehenden  Lebens- 
beschreibungen des  Artaxerxes,  Aratos,  Galba  und  Otho ;  ^)  mehrere  andere, 
wie  die  des  Epaminondas,  Leonidas,  des  älteren  und  jüngeren  Scipio  sind 
verloren  gegangen.    Litterarische  Persönlichkeiten,  die  nicht  zugleich  wie 


*)  Das  anetQoy  ttSy  cvvraxTOfjLivtov 
ßißXimp  des  Plutarch  hat  nach  Suidas  schon 
im  Altertum  Staunen  erweckt  und  die  Eifer- 
sacht des  Favorinus  hervorgerufen. 

*)  Dieser  Katalog  wurde  zuerst  von 
HtecBSL  im  16.  Jahrh.  aus  einer  Florentiner 
Hdschr.  bekannt  gemacht.  Neuerdings  wurde 
derselbe  genauer  untersucht  von  Wachsmüth, 
üeber  den  Katalog  der  plut.  Schriften  von 
dem  sogenannten  Lamprias,  in  Philol.  18, 
577  ff.,  und  Treu,  Der  sogen.  Lampriaskatalog 
der  PlntaixhBchriften,  Waidenburg  1873. 

')  Ob  dabei  die  Konfundierung  unseres 
Plutarch  mit  seinem  gleichnamigen  Sohne 
and  einem  späteren  Plutarch,  einem  Neu- 
^atoDiker  des  5.  Jahrhunderts,  mitgewirkt 
habe,  lassen  wir  dahingestellt.  Leichter 
wfirde    sich   die   Vermischung  von   Echtem 


und  Unechtem  erklären,  wenn  die  Vermutung 
von  WiLAMOWiTz,  Ind.  Gott.  p.  27,  dass  Plu- 
tarch seine  Schriften  teilweise  unter  fremdem 
Namen  herausgegeben  habe,  sich  bestätigte. 

*)  Crusius  hat  im  Rh.  M.  39  (1884)  581 
Reste  dieser  poetischen  Schrift  im  Protreptikos 
des  Galen  nachzuweisen  gesucht,  später  aber 
selbst  diese  seine  Ansicht  zurückgenommen 
Ind.  lect.  Tub.  1895  p.  8. 

*)  üeber  diese  sogenannten  Kaiserbio- 
graphien, welche  Plutarch  als  junger  Mann 
unter  Domitian  schrieb,  siehe  Mommsbn  Herm. 
4,  295  ff.  —  Nach  dem  Lampriaskatalog  hat 
Plutarch  auch  das  Leben  der  übrigen  Kaiser 
bis  auf  Vitellius  geschrieben,  zu  welcher 
Nachricht  man  vergleiche  Plut.  Galba  2, 
Otho  18. 


652  Grieohisohe  Litteraturgesohichte.    n.  NaohklamiBohe  Litterainr. 

Demosthenes  und  Cicero  eine  politische  Rolle  spielten,  hat  Plutarcli  im 
Gegensatz  zu  Nepos  und  seinem  Zeitgenossen  Sueton^)  aus  dem  Plan 
seines  Werkes  ausgeschlossen.  Dass  er  dem  Hannibal  keine  eigene  Vita 
widmete,  hängt  mit  der  Absicht  zusammen,  nur  Griechen  und  Römer  zu 
einander  in  Vergleich  zu  setzen.  Auffälliger  ist  es,  dass  er  nicht  wie 
Nepos  ein  Leben  des  Miltiades,  Pausanias,  Thrasybul,  Konon,  Chabrias, 
Timotheos  schrieb.  Wenn  er  umgekehrt  Männer,  die  dort  übergangen 
waren,  wie  Philopoimen,  Agis,  Arat,  EJeomenes,  Pyrrhos  in  den  Kreis 
der  Darstellung  zog,  so  liess  er  sich  darin  wohl  durch  seine  Quellen  leiten, 
da  ihm  für  Philopoimen  die  vorzügliche  Monographie  des  Polybios,  für 
Arat  dessen  Memoiren,  fflr  Pyrrhos,  Kleomenes  und  Agis  die  Geschichts- 
werke des  Hieronymos  und  Phylarchos  reichliches  Material  an  die  Hand 
gaben. 

Die  Ordnung,  in  der  die  Biographien  in  den  Handschriften  und  Aus- 
gaben auf  einander  folgen  und  die  im  ganzen  der  Zeitfolge  entspricht, 
rührt  nicht  von  Plutarch  her  und  steht  nicht  mit  der  Abfassungszeit  der 
einzelnen  Biographien  in  Einklang.  So  sind  z.  B.  die  in  die  mythologische 
Vorgeschichte  hinaufreichenden  Lebensbeschreibungen  des  Theseus  und 
Romulus,  welche  in  unseren  Ausgaben  den  Reigen  eröffnen,  nach  des  Ver- 
fassers eigenem  Zeugnis')  zuletzt  geschrieben  worden.  Ebenso  wissen 
wir  durch  den  Autor  selbst,  dass  die  Lebensbeschreibungen  des  Demo- 
sthenes und  Cicero  das  5., 3)  die  des  Perikles  und  Fabius  das  10.,^)  die 
des  Dion  und  Brutus  das  12.  Buch  der  Parallelbiographien  bildeten.^) 
Ausserdem  zeigen  die  Proömien,  welche  einzelnen  Biographien  (Demo- 
sthenes, Perikles,  Demetrius,  Theseus)  vorausgeschickt  sind,  in  anderen 
gänzlich  fehlen,  dass  der  Verfasser  regelmässig  mehrere  Doppelpaare  von 
Biographien  zu  grösseren  Gruppen  oder  Büchern  vereint  zu  sehen 
wünschte,  während  auf  der  anderen  Seite  die  Widmung  an  Sossius 
Senecio,  welche  den  Biographien  des  Demosthenes,  Dion,  Theseus  vor- 
gesetzt ist,  es  wahrscheinlich  macht,  dass  er  sämtliche  Lebensbeschrei- 
bungen um  dieselbe  Zeit,  und  zwar  alle  unter  Trajan^)  geschrieben  hat  und 
als  ein  Ganzes  angesehen  wissen  wollte.^) 

473.  Die  Verbindung  von  je  zwei  Lebensbeschreibungen,  eines 
Griechen  und  eines  Römers,  entsprang  einem  alten,  schon  aus  Cornelius 
Nepos  erkennbaren  Brauch  der  Biographen ;  sie  passte  trefflich  zur  Lebens- 
stellung des  Plutarch,  der  an  der  grossen  Vergangenheit  seines  Volkes 
mit  ganzer  Seele  hing,  aber  auch  die  überlegene  Kraft  des  römischen  Staats- 
wesens willig  anerkannte,  der  ausserdem  mit  Griechen  und  Römern  in  gleicher 
Weise  befreundet  war  und  zur  griechischen  Muttersprache   auch  die  la- 


')  Dass  Plutarch  den  Sneton  kannte, 
steht  fest;  er  benutzte  ihn  im  Leben  des 
Cicero,  worüber  unten. 

»)  Thes.  1. 

«)  Dem.  3. 

*)  Pericl.  2. 

»)  Dion  2. 

"j  Das  Leben  des  Sulla  ist  nach   c.  21 


geschrieben  i.  J.  115. 

')  Die  Abfassnngszeit  suchen  idüier  sa 
bestimmen  Michablis,  De  ordine  vitamm 
parall.  Plutarchi,  Berol.  1875;  Murl,  Plotar» 
chische  Studien,  Augsb.  1885;  Graux  in 
Einleit.  zu  Vit.  Dem.;  vgL  Scbsnkl  .Tahrb.  d. 
Alt  Wiss.  Xn  1,  180  ff. 


Ba)  BOmisohe  Periode  vor  Konetantin.   8.  Die  Prosa,   o)  Plntaroh.    (§  473.)    653 

teinische  hinzugelernt  hatte.  ^)  Bei  den  meisten  Paaren  liegt  der  Grund 
der  Zusammenstellung  auf  der  Hand,  wie  wenn  die  grössten  Redner,  De- 
mosthenes  und  Cicero,')  die  ältesten  Gesetzgeber,  Lykurg  und  Numa,  die 
bedeutendsten  Feldherren,  Alexander  und  Cäsar,  miteinander  verbunden 
werden.  Übrigens  hat  Plutarch  bei  19  Paaren*)  am  Schluss  in  einer 
eigenen  Vergleichung  {avyxQimg)  die  gemeinsamen  Seiten  und  die  kleineren 
Verschiedenheiten  der  zusammen  gestellten  Männer  dargelegt.  —  Der  Ge- 
sichtspunkt des  Biographen  ist  überall  nicht  der  eines  historischen  For- 
schers, der  die  Thatsachen  kritisch  zu  ermitteln  und  urkundlich  zu  be- 
legen bemüht  ist,  sondern  der  eines  philosophischen  Charaktermalers,  der 
vor  allem  das  volle  Bild  der  Persönlichkeit  festzustellen  sich  bestrebt  und 
durch  den  Spiegel  der  Geschichte  seine  Leser  zur  Tugend  und  praktischen 
Tüchtigkeit  erziehen  will.*)  Daher  die  vielen  Züge  aus  dem  Privatleben, 
die  anmutigen  Scherze  und  witzigen  Aussprüche,*)  das  Übermass  ethischer 
Betrachtungen,  der  Schmuck  der  Dichtercitate,  über  welchen  Vorzügen 
die  historische  Kritik  und  die  politische  AufTassung  zu  kurz  kommen.  <^) 
Das  Material  zu  seinen  Lebensbeschreibungen  hat  Plutarch  sich  aus 
einer  sehr  umfangreichen  Lektüre  griechischer,  zum  Teil  auch  lateinischer 
Historiker  beschafft.^)  Für  die  ältere  griechische  Geschichte  bis  Ale- 
xander benutzte  er  im  allgemeinen  ausser  Herodot,  Thukydides,  Xenophon 
insbesondere  Ephoros,  Theopomp,  Eallisthenes  und  Philistos,  für  die 
spätere  griechische  Geschichte  den  Hieronymos  von  Kardia,  Duris,  Phyl- 
archos,  Timaios  und  Polybios.  Von  der  Benutzung  des  Diodor  und  Ni- 
kolaos  findet  sich  keine  Spur;  Plutarch  kehrte  eben  lieber  zu  den  Origi- 
nalwerken zurück,  als  dass  er  sich  nach  Art  der  Späteren  mit  Kompen- 
dien und  Zusammenstellungen  begnügte.  Für  die  römischen  Biographien 
benutzte  er  gleichfalls  mit  Vorliebe  griechische  Historiker,  namentlich 
Polybios,  Poseidonios,  Dionysios  von  Halikarnass,  Juba.  Daneben  las  er 
aber  auch  lateinische  Geschichtschreiber  und  citiert  neben  Livius,  Salu- 


*)  Freilich  erlernte  er  erst  spät  (s.  vit. 
Dem.  2)  und  nnyoUkommen  die  lateinische 
Sprache.  Irrtümer  des  Platarch  aus  man- 
gelnder Kenntnis  des  Latein  weist  nach 
SiCKorGKB,  De  lingnae  latinae  apud  Plutar- 
chum  reliquiis  et  vestigüs,  Freib.  Diss.  1883. 

*)  Beide  Redner  wurden  schon  ver- 
glichen von  Cftcilius;  s.  §  465. 

*)  Die  Vergleichung  fehlt  bei  Themist. 
md  CamllL,  Pjrrhos  und  Marius,  Alex,  und 
CftBar,  Phokion  und  Cato. 

*)  Vit.  Tim.  1:  i/noi  fxky  xrjg  xmv  ßlwy 
atfma&at  fdiy  yQnfftj^  ffvyeßtj  di*  ii^Qovg, 
inifsiyeiy  (fi  xai  <fiXoxü>QSiy  ijdrj  xai  di* 
ifiatrfoy,  £cn€Q  iy  iaonxQi^  tj  latoQiif  tibi- 
qtif/uyoy  aftatayintos  xoafdsty  xai  dtpofxoiovy 
Tigos  xai  ixeiywy  aQardg  toy  ßioy,  vgl.  PericL, 
Nie.  1. 

')  Alex.  1 :  ovte  ydg  latoqlas  yQä<pofA€y, 
Md  ßiovi,  ovxB  xaig  i7iiq>aye<ndxtctg  ngd^eai 
ndrxmq  iyeaxi  d^Xwng  dQexfjf  rj  xaxlag, 
iXkd  n^yfta  ßQHc^v  noXXdxtg  xai  ^fia  xai 
naiöid    rK   if^fpaciy   ^9ovg  inolt^e  fuiXXoy 


fj  (Aaxni  fAVQiovBXQOi  xai  naQttxu^eig  al 
fÄsyiffxai  xai  noXioQxlai  noXetay. 

')  Gbbabd,  De  la  morale  de  Plui :  c'est 
la  v^rit4  morale  non  Ja  v^rit4  historique 
quHl  poursuit,  Vune  West  pour  lui  que  le 
moyen,  Vautre  est  le  biU. 

^)  Die  Litteratur  Aber  die  Quellen  des 
Plutarch  ist  bis  ins  Ungemessene  angewach- 
sen. Ich  begnüge  mich»  anzuführen:  Hbbbbn» 
De  fontibus  et  auctoritate  vitarum  parall. 
Plut.,  Gott.  1820;  M.  Hauq,  Die  Quellen 
Plutarchs  in  den  Lebensbeschreibungen  der 
Griechen  (Erstlingsarbeit  des  berühmten 
Orientalisten),  Tüb.  1854;  Pbtbb,  Die  Quellen 
Plutarchs  in  den  Biographien  der  Römer, 
Halle  1865;  H.  Sauppb,  Die  Quellen  Plutarchs 
für  das  Leben  des  Perikles,  in  Ausg.  Schrift 
p.  481—508.  Die  Benutzung  des  Sueton  De 
viris  illustr.  weist  für  das  Leben  Ciceros  nach 
GuDBHAN,  Transact.  of  the  amer.  phil.  assoc. 
XX  (1889)  139—58.  —  Im  übrigen  siehe 
MioHABLis  Jahresb.  d.  philol.  Vereins  in  Ztschr, 
f.  Gymn.  1877,  1879,  1883. 


654 


QrieohiBobe  liUeratnrgesohichte.    II.  HaehklaBslBche  Littorainr. 


stius,   Cornelius  Nepos  und  Cäsar   gelegentlich  auch  den  Fabius  Pictor 
(Rom.  3.  8.  14),  Yalerius  Antias  (Rom.  14,  Num.  22,  Flamin.  18),  Cornelius 
Piso  (Num.  2,  Mar.  45),  Asinius  Pollio  (Pomp.  72,   Caes.  46).     Zu  diesen 
Historikern,   welche  er  im  allgemeinen  benutzte,  kommen   nun  aber  noch 
viele  Specialwerke,  welche  er  in  einzelnen  Partien  heranzog,  so  den  Hel- 
lanikos  und   die  Atthidenschreiber  im  Leben   des  Theseus  (c.  17.  25.  26. 
27),   das  Pamphlet  des  Stesimbrotos  im  Themistokles  (c.  2.  4.  14),   Eimon 
(c.  4.  14.  16),  Perikles  (c.  8.  13.  36),  ferner  den  Demetrios  von  Phaleron  im 
Aristides  (c.  1.  5.  27)  und  Demosthenes  (c.  9.  11.  14.  28),   den  Sosibios  im 
Lykurg  (c.  25),   die  Memoiren  des  Arat  im  Arat,  die  des  Sulla  im  Sulla, 
die  Monographie  desPolybios  über  Philopoimen  im  Philopoimen,  die  Spe- 
cialschriften des   Empylos  und   Straten  im  Brutus  (c.  2.  52).     Als  Hilfs- 
mittel benutzte  er  gelegentlich  auch  das  Urkundenbuch  des  Krateros,  die 
Politien  des  Aristoteles,^)  die  chronologischen  Tafeln  des  ApoUodor.    Auch 
von  den  Porträts  der  grossen  Männer  nahm  er  Notiz  (Alex.  4)  und  sam- 
melte   namentlich   die  kleinen   Charakterzüge    und  Aussprüche   aus   den 
Biographien    des    Rhodiers    Hieronymos    (Aristid.   27),    des   Aristoxenos 
(Lyc.  31,  Aristid.  27,  Alex.  4),  Phanias  (Themist.  4.  7.  13.  27.  29,  Sei.  14. 
32),  Herakleides  Pontikos,  Hermippos  u.  a.    Erstaunlich  war  also  die  Masse 
der  Bücher,  welche  Plutarch  bei  Abfassung  seiner  Biographien  excerpierte; 
aber  damit  erhalten  wir  noch  keine  Gewähr  für  die  Zuverlässigkeit  seiner 
Berichte.     Im   allgemeinen  zwar  können  wir  nach   dem  grossen   Schiff- 
bruch,   den  die   griechische  Litteratur   erlitten  hat,    nur  zum   kleinsten 
Teile  die  Genauigkeit  des  Plutarch  in  der  Benutzung  seiner  Quellen  kon- 
trollieren;  aber  Unbefangenheit   und  Nüchternheit  des  Urteils  war  nicht 
die  starke  Seite  unseres  Autors ;  dazu  war  er  zu  sehr  Optimist  und  zu  sehr 
Freund  von  schönen  Anekdoten  und  moralischen  Betrachtungen.     Auch 
durch  die  zahlreichen  Stellen,   wo  er  die   abweichenden  Angaben  seiner 
Gewährsmänner  nebeneinander  stellt  und  an  denselben  Kritik  übt,^)  darf 
man  sich  nicht  täuschen  lassen.     Wie  unfähig  er  war,  strenge  nüchterne 
Kritik  zu  üben,   ersieht  man  namentlich  aus  seiner  Schrift  über  die  Bos- 
haftigkeit    des    Herodot,    besonders    c.   31,    wo    er    der    späteren    Aus- 
schmückung der  Kämpfe  bei  Thermopylä  den  Vorzug  gibt  vor  dem  alten 
einfachen  Bericht  des  Herodot.     Bedenken  erregt  ausserdem  die  kritiklose 
Naivetät,  mit  der  er  offenbare  Fälschungen,  wie  die  Briefe  des  Piaton  und 
die   Probleme   des  Aristoteles,  als  zuverlässige  Zeugen  anfuhrt.*)     Aber 
sehen  wir  von    dem  Mangel  kritischer  Quellenforschung  ab  und  lassen 
wir  neben  dem  Geist  und  Verstand  auch  dem  Herz  und  Gemüt  ihr  Recht, 
so  bilden  die  Biographien  des  Plutarch  die  anziehendste  und  belehrendste 


^)  In  dem  Buche  Ne  Buaviter  qnidem 
c.  10  zählt  er  zu  den  anziehendsten  Schriften 
ausser  Herodot,  Xenophon  und  Eudozos  die 
Politien  des  Aristoteles  und  die  Biographien 
des  Aristoxenos. 

')  Siehe  besonders  Aristid.  27,  wo  Plu- 
tarch selbst  die  Frage  aufwirft,  ob  die  von 
ihm  herangezogene  Schrift  des  Aristoteles 
716^1  avyeyeiag  echt  sei. 


*)  Die  Inschrift,  welche  Plutarch  Arni.  1 
ffir  die  choregischen  Leistungen  aeines  Helden 
vorführt,  ist  uns  noch  erhalten  CIA  11  1257, 
aber  dieselbe  stammt  nach  den  SchriftzUgen 
aus  jüngerer  Zeit.  Im  allgemeinen  charak- 
terisiert WiLAMOwiTZ,  Aristot  und  Athen  11 
290  scharf  aber  richtig  unseren  Plutarch: 
,  stilistisch  hervorragend,  historisch  uitdlB- 
los,  chronologisch  unbekfimmert*. 


Ba)  fiOmisohe  Periode  vor  Sonsianün.    d.  Die  Prosa,    c)  Platarch.    (§  474.)     655 


Lektüre;  sie  fanden  schon  im  Altertum  bewundernde  Leser  und  Verehrer; 
sie  haben  in  unserer  Zeit  Dichtern  und  Künstlern  reicheren  Stoff  als 
irgend  ein  anderes  historisches  Werk  des  Altertums  geliefert;  i)  sie  haben 
aiiwärts  den  Anstoss  zu  ähnlichen  Biographien  gegeben,  so  dass  jetzt  fast 
keine  Nation  ihres  Plutarchs  entbehrt. 

474.  Gewissermassen  einen  Anhang  zu  den  Biographien  bilden  die 
'Ano^^byfiara  ßaatXäwv  xai  atQaTtjydVj  denen  ein  Widmungsbrief 
an  den  Kaiser  Trajan  vorausgeht.  Der  Brief  ist  abgeschmackt ;  auch  die 
Aussprüche,  welche  mit  den  Biographien  nicht  ganz  übereinstimmen, 
rühren  in  der  überlieferten  Form  schwerlich  von  Plutarch  her,  wiewohl 
wir  aus  der  Schrift  De  coh.  ira  c.  9  erfahren,  dass  sich  derselbe  mit  der 
Sammlung  solcher  Aussprüche  abgegeben  hatte.')  Noch  ungeschickter  ist 
die  Kompilation  der  sich  daran  anschliessenden  kleinen  Sammlungen, 
'Anoy>0-€yfiara  Aaxwvixd^  Uno(ffx^äy/jLaTa  AaxaivSv,  Td  naXatd  väv  Aaxs^ 
iaifioviiüv  inhTT^devuaxa.  —  Zu  einer  verwandten  Gattung  gehört  die  an- 
ziehende Sammlung  heldenmütiger  Tugenden  von  Frauen  {rvvMxiov  aQexaC).^) 
Dieselbe  ist  an  die  delphische  Priesterin  Klea  gerichtet,  mit  welcher  der 
greise  Plutarch  während  seines  delphischen  Aufenthaltes  in  enger  Be- 
ziehung stand,  und  der  er  auch  seine  Schrift  über  Isis  und  Osiris 
widmete. 

Li  nahem  Zusammenhang  mit  den  Biographien  und  speziell  mit  der 
des  Leonidas,  wie  der  Verfasser  p.  866  D  selber  andeutet,  steht  die 
Schrift  über  die  Geschichtsfälschung  des  Herodot  (neQi  r^g  ^Hqo66tov 
xaxorj^ttag).  Der  Vater  der  Geschichte  war  dem  Plutarch  ein  Dorn  im 
Auge,  weil  er  das  Verhalten  seiner  Landsleute  in  den  nationalen  Kämpfen 
gegen  die  Perser  in  möglichst  ungünstigem  Lichte  dargestellt  hatte.  Er 
suchte  daher  in  der  besagten  Schrift  nachzuweisen,  dass  sich  Herodot 
überhaupt  durch  parteiische  Voreingenommenheit  und  durch  die  Neigung, 
von  den  Menschen  möglichst  schlecht  zu  sprechen,  habe  leiten  lassen. 
Aber  wenn  er  auch  dem  Herodot  durch  gelehrte  Heranziehung  anderer 
Zeugen  manche  Unrichtigkeiten  und  Verzeichnungen  nachgewiesen  hat, 
so  kann  doch  seine  eigene  Leichtgläubigkeit  und  optimistische  Schön- 
färberei noch  viel  weniger  die  Sonde  des  historischen  Kritikers  ertragen.^) 

Mit  der  Geschichtschreibung  berühren  sich  auch  die  Besprechungen 
seltsamer  Gebräuche  bei  den  Römern  und  Griechen  {ahia  ^Paifiaixd,  quae- 
stiones  romanae,  und  aiTia  ^EXlr^vixd,  quaestiones  graecae),  zu  denen  dem 
Platarch  hauptsächlich  Aristoteles,  Varro,  Juba  das  Material  lieferten,'^) 


*)  Shaketspeare  entnahm  ans  Plutarcli 
die  Fabel  zum  Coriolan  nnd  Jnlins  Cftaar; 
Jean  Paul  nannte  den  Plutarch  den  biogra- 
phischen Shakespeare  der  Weltgeschichte. 

«)  YouKXAinf,  Leben  Plnt.  1215  ff.;  C. 
ScHvnxr,  De  apophthegmatom  quae  Flu- 
ttfdü  nomine  femntor  coOectionibns,  Greifsw. 
Dun.  1879.  Der  letztere  weist  nach,  dass  die 
ApophÜiegmata  eine  Kompilation  ans  Plu- 
tvebs  Schriften  sind  nnd  bereits  dem  AeL'an 
Torlagen. 


*)  Die  Echtheit  gegen  Gobets  Bedenken 
verteidigt  von  Dinse,  De  libello  Plnt.  yvy. 
a^exai  inscripto,  Berl.  1868. 

*)  Mehrere  Widersprüche  mit  anderen 
Schriften  des  Plutarch  li essen  an  der  Echt- 
heit des  Buches  zweifeln.  Dagegen  G.  Lah- 
MEYER,  De  libelli  Plutarchei  qui  de  maligni- 
täte  Herodoti  inscribitnr  et  auctoritate  et 
auctore,  GOttingen  1848;  Holzapfel  Philol. 
42,  28  ff. 

*)  Thilo,  De  Varrone  Plut.  quaest.  rom. 


656 


0rieohisohe  Litteratorgeschiohte.    II.  NachklMUUAohe  Litterainr. 


femer  die  rhetorischen  Deklamationen  Hoxbqov  ^Äx^rjvaXot  xaxa  noXspLov 
fj  xard  aoifiav  ivSo^oTCQoi  (de  gloria  Atheniensium),  UbqI  rJjg  UIsSccvSqov 
Tvxrfi  #;  ccQsxrfi^  IJeQi  tr^g  '^P<ofJia{(av  Ttix^fi  ?  aQBxr^q,  —  Eine  plumpe  Fäl- 
schung sind  die  sogenannten  Parallela  minora  {avYaywyr^  laxoQ^v  na- 
QaXXtjXcov  ^EXXfjVixon'  xal  ^Pwfiaixm),  deren  Verfasser  ebenso  wie  der  des 
gleichfalls  unechten  Buches  IJegi  notafiwv  mit  erlogenen  Citaten  aus  sonst 
nicht  bekannten  Autoren  und  Schriften  um  sich  wirft.  ^) 

476.  Die  Moralia  oder  philosophischen  Schriften.  Die  Moralia 
haben  ihren  Namen  a  potiore  parte,  indem  der  grössere  Teil  der  83  unter 
jenem  Titel  zusammengestellten  Schriften  sich  auf  ethische  Fragen  be- 
zieht. Aber  der  Inhalt  derselben  ist  ein  viel  reicherer;  neben  ethischen 
Fragen  werden  religiöse,  politische,  physikalische,  litterarische  behandelt 
Auch  die  Form  ist  nicht  durchweg  die  gleiche,  in  dialektischen  Fragen 
und  in  Thematen,  welche  schon  die  Vorgänger  dialogisch  behandelt  hatten, 
überwiegt  die  dialogische  Einkleidung,  in  ethischen  Aufsätzen  die  Form 
der  apodiktischen  Belehrung.  Den  Dialog  hatte  Plutarch  von  Piaton 
herübergenommen,  freilich  ohne  auch  nur  annähernd  sein  Vorbild  zu  er- 
reichen. 2) 

Voran  stehen  in  der  Sammlung  wegen  ihres  einführenden  Charakters 
die  Schriften  IIcqI  naiSwv  ayonyriq^  n&q  Sh  xov  vsov  Tfoirjficezwv  dxovsiv^ 
Jlegi  Tov  axovsiv.  In  der  letzten  Schrift  gibt  Plutarch  einem  jungen  Mann 
Nikander,  der  eben  die  Toga  virilis  angelegt  hatte  und  sich  zu  philo- 
sophischen Studien  anschickte,  beherzigenswerte  Anweisungen  über  die  ver^ 
nünftige  Benutzung  der  Freiheit  und  das  erfolgreiche  Anhören  von  Vor- 
trägen. In  der  mittleren  weicht  Plutarch  von  Piaton  insofern  ab,  als  er 
nicht  geradezu  die  Dichterlektüre  abweist;  aber  auch  er  lässt  die  Poesie 
nicht  voll  zu  ihrem  Recht  kommen,  indem  er  sie  nur  als  Vorstufe  der 
philosophischen  Studien  gelten  lässt  und  ihre  Werke  wesentlich  nur  vom 
moralischen  Gesichtspunkt  beurteilt.«)  Die  Schrift  über  Erziehung  rührt 
nach  Wyttenbachs  Nachweis  nicht  von  Plutarch  her;  sie  enthält  zwar 
manche  treffliche  Gedanken  und  drastische  Aussprüche  eines  erfahrenen 
Schulmannes,  aber  man  vermisst  eine  tiefere  psychologische  Begründung 
der  Gemeinplätze  und  eine  planmässigere,  über  die  Äusserlicbkeiten  des 
Lebensganges  hinausgehende  Anordnung  des  Stoffes.  Ob  das  zur  Be- 
gründung der  ünechtheit  ausreicht,  bleibt  freilich  zweifelhaft.*) 

An  diese  einleitenden  pädagogischen  Schriften  schliessen  sich  wegen 
ihres  verwandten  Charackters  an  die  populären  Aufsätze:  Wie  man  den 
Schmeichler  von  dem  Freunde  unterscheiden  kann  {ntZg  av  xig  diax^dnu 


auctore  praecipno,  Bonn  1858;  A.  Babth, 
De  lubae  'OfAOionjaty  a  Flut,  expressis  in 
quaestionibus  Romanis,  Göttingen  1876 ;  Dümm- 
LBB  Rh.  M.  42,  189  ff.  Dass  Plutarch  den 
y  arro  nur  durch  Juba  kannte,  erweist  Glaesser, 
De  Varronianae  doctrinae  apud  Plutarchum 
vestigüs,  Diss.  Leipz.  1881. 

^)  Hebcher  in  der  Ausgabe  De  fluviis. 
Benutzt  sind  die  Parall.  min.,  wenn  auch 
nur  indirekt  von  Clem.  Alex,  protr.  3, 42  und 
Strom.  I  p.  144,   worüber  C.  Müllbb,  Geogr. 


gr.  min.  U  p.  LEI  und  Hillsb  Herrn.  21, 
126  ff. 

«)  HiBZBL,  Der  Dialog  II  124—237. 

>)  Daneben  gut  die  auf  Piaton  zortck- 
gehende  Auffassung  der  Poesie  als  nach- 
ahmende Kunst  c.  3  u.  7. 

*)  Auch  sprachliche  Momente  bringt  f&r 
die  Ünechtheit  der  Schrift  bei  Wiisax5- 
BEBQEB,  Die  Sprache  Plutarchs  und  die  pseudo- 
plutarchischen  Schriften,  Progr.  Straobing 
1895  S.  41  ff. 


B  a)  BAmisohe  Periode  Yor  Konstantin.  8.  Die  Prosa,  c)  Plntarch.  (§§  475>-476.)      657 

Tov  xoXaxa  roi  ix^Qov),  Wie  man  seine  Fortschritte  in  der  Tugend 
warnehmen  kann  {nwg  av  tig  aiaO^oixo  iavrov  nQoxomovTog  iv  aQszfj), 
Wie  man  von  seinen  Feinden  Nutzen  ziehen  soll  (ttwc  av  vig  an'  ixx^qwv 
wipsXoixo),^)  Alle  drei  Schriften  verbinden  in  echt  plutarchischer  Weise 
den  Charakter  allgemeiner  Belehrung  mit  dem  gemütvollen  Tone  eines 
wohlmeinenden  Rates  an  einen  guten  Freund. 

476.  Die  philophischen  Schriften  im  engeren  Sinn  sind  aus  der 
Lehrthätigkeit  des  Plutarch  hervorgegangen  und  enthalten  teils  philoso- 
phische Erörterungen,  die  Plutarch  mit  geistesverwandten  Freunden  über 
Streitfragen  der  Schulphilosophie  führte,  teils  philosophische  Unterweisungen, 
welche  derselbe  als  Lehrer  seinen  Schülern  und  Söhnen  übersandte.*)  Sie 
alle  sind  der  Natur  der  Sache  nach  in  lehrhaftem  Tone  geschrieben  und 
entbehren  fast  ganz  des  Reizes,  den  die  übrigen  Schriften  unseres  Autors 
durch  die  Fülle  der  Dichtercitate  und  die  Einlage  anziehender  historischer 
Beispiele  üben.  Der  Erklärung  schwieriger  Stellen  in  den  Dialogen 
Piatons  sind  gewidmet  die  IlXaTbovixd  ^rjri^fiata  und  das  lückenhaft  er- 
haltene Buch  BsqI  trjg  iv  Tifiaup  tpvxoyoviag.  Man  kann  diesen  nicht 
nachrühmen,  dass  sie  eine  gesunde  Richtung  der  Interpretation  vertreten; 
vielmehr  leistet  der  Verfasser  Grosses  im  unterlegen  und  im  Suchen  nach 
nicht  beabsichtigten  Dingen,  wie  wenn  er  Quaest.  Plat.  2  aus  den  Worten 
des  Timaios  rt  Sij  noxs  xov  ävtotdxfa  x^eov  natäga  rtav  ndvTtov  xai  noujri^v 
7i^<T€tn€v;  absolut  einen  tiefsinnigen  Unterschied  von  natrjQ  und  noirfirfi 
herausinterpretieren  will.')  Ganz  auch  des  historischen  Sinnes  entbehrt 
der  Lösungsversuch  der  10.  Frage,  warum  Piaton  Sophist.  262  C  die  Rede 
nur  aus  ovo^iaxa  und  ^r^iaxa  bestehen  lasse.  Denn  statt  zu  erkennen, 
dass  die  damaligen  Anfänge  der  Grammatik  noch  nicht  über  die  Unter- 
scheidung der  zwei  Hauptredeteile  hinausgekommen  waren,  ergeht  sich 
Plutarch  in  unnützen  philosophischen  Feinspinnereien  über  die  Gründe, 
warum  Piaton  die  Präpositionen,  Conjunctionen,  Pronomina  übergangen  habe. 
Andere  Schriften  verwandter  Art  dienen  der  Polemik  gegen  die  Stoiker  und 
Epikureer,  So  weist  er  den  ersteren  den  Widerstreit  ihrer  Lehre  mit  ihrer 
Lebensführung  und  den  Sätzen  des  gesunden  Menschenverstandes  nach  in 
den  Schriften  nsqi  Srmxwv  evavtKofiätMv  (über  die  Widersprüche  in  der 
Lehre  der  Stoa),  ^Oti  naQaio^ateQa  ot  2t(oixoi  zwv  noir^tcov  Xtyovci^  IleQl  kov 
xfHväv  svvouov  nQog  tovg  2v(oixovg  (über  die  Paradoxa  oder  td  naqd  %dg 
xoivdg  ivvoiag).^)  Heftiger  kämpfte  er  gegen  die  den  Menschen  erniedri- 
gende Moral  und  die  Unverfrorenheit  der  Epikureer  in  den  Dialogen  llgdg 
KoXcixrjV  und  ^Ori  ovSi  ^fjv  Mctiv  rjSäwg  xat*  ^EmxovQov,  die  beide  an  eine 
Schrift  der  Epikureers  Kolotes  "Ovi  xaxd  zd  twv  akXoyv  ipiXocoifiov  ioyfxata 


1)  Die  letzte  Schrift  ist  an  Cornelius 
Pnlcher  gerichtet  und  nach  einer  Bemerkung 
im  Anhang  erst  nach  den  TloUtixd  nagay- 
yiXfiara  abgefasst;  die  mittlere  geht  gegen 
ein  Paradozon  der  Stoiker  und  ist  dem  Sos- 
sh»  Senecio,  dem  HauptgOnner  des  Plutarch, 
gewidmet;  die  erste  übersandte  er  dem  auch 
aas  den  Tischgesprächen  bekannten  Exkönig 
von  Kommagene  Antiochos  Philopappos. 

*)  So  Mgt  die  Schrift  über  die  Psycho- 


gonie  im  Timaios  die  Aufschrift:  6  naxrJQ 
JvToßovkip  xai  nXovtaQxifi  ev  nQcixTHy. 

')  Aus  der  7.  Untersuchung  geht  hervor, 
dass  in  jener  Zeit  die  Stelle  des  Phaidros 
p.  246  d  noch  nicht  durch  ein  Glossem  ver- 
unstaltet war. 

*)  Den  letzteren  Dialog  leitet  nicht  Plu- 
tarch, sondern  sein  Bruder  Lamprias.  Gegen 
die  Echtheit  der  Schrift  Wbissknbbrgbb  a.  0. 
p.  86  fif. 


Bmdtmeb  der  klan.  Altertnmswisseiiflchafl.    VII.    S.  Aufl. 


42 


658 


Orieohiflohe  Litteratargesohiobte.    ü.  Naohklassiaohe  litieratiir. 


ovdi  C^v  lativ  anknüpfen.^)  Gleichfalls  gegen  Epikur  ist  die  kleine  Schrift 
Ei  xakdig  eiQfjtai  %6  ka&e  ßioiaaq  gerichtet,  vielleicht  auch  die  verstümmelt 
erhaltene  Satire  FQvXXog^)  Die  letzte  Klasse  von  Schriften  dient  mis 
zugleich  als  Ersatz  fiir  den  fast  gänzlichen  Verlust  der  Originalschriften  der 
Stoiker  und  Epikureer,  indem  Plutarch  viele  Stellen  aus  Chrysipp,  Epikur 
u.  a.  wörtlich  anfQhrt.  Besonders  hat  das  Buch  gegen  Eolotes,  in  welchem 
der  Verfasser  die  Angrifife  jenes  Epikureers  auf  die  älteren  Philosophen 
unter  Berufung  auf  Stellen  des  Heraklit,  Demokrit,  Parmenides,  Empe- 
dokles  widerlegt,  eine  hervorragende  Bedeutung  für  die  Geschichte  der 
griechischen  Philosophie. 

477.  In  selbständigerem  Gedankengang  hat  Plutarch  mit  Vorliebe 
Fragen  der  Ethik  behandelt,  und  zwar  auf  Grund  der  Psychologie,  der 
er  selbst  ein  eigenes,  bis  auf  Bruchstücke  verloren  gegangenes  Werk  ge- 
widmet hatte.  ^)  Den  erhaltenen  ethischen  Schriften  dient  gewissermassen 
als  Einleitung  die  Untersuchung  Ei  didaxrov  i)  agsttj.  Eine  eigentliche 
Untersuchung  enthält  indes  der  kleine  Aufsatz  nicht,  indem  Plutarch  gegen- 
über dem  alten  Problem,  ob  die  Tugend  lehrbar  sei,  die  Lehrbarkeit  als 
selbstverständlich  mit  einigen  Exklamationen  behauptet.  Näher  auf  das 
Wesen  der  Tugend  geht  er  in  dem  umfangreichen  Buche  Ilfgi  t!jg  tj^xrj; 
ägezr^g  ein.  Hier  sucht  er  unter  Berücksichtigung  der  älteren  philoso- 
phischen Systeme  und  unter  entschiedener  Bekämpfung  der  Stoiker  die 
natürliche  Vernunft  zu  ihrem  Rechte  zu  bringen,  indem  er  ausgehend  von 
dem  Satze,  dass  die  menschliche  Seele  aus  einem  vernünftigen  und  einem 
vemunftlosen  Teile  bestehe,  die  Aufgabe  der  Tugend  dahin  bestimmt,  dass 
sie  die  unvernünftigen  Triebe  und  Neigungen  (nad^rj)  nicht  zwar  aus- 
rotte, wohl  aber  nach  Massgabe  der  praktischen  Einsicht  {^Qovtfltg^  regle. 
Das  Prinzip  dieses  grundlegenden  Buches  wird  im  einzelnen  ausgeführt 
in  den  nachfolgenden  Schriften  über  die  Seelenruhe  {neQi  svd-viiiccq)^  über 
Tugend  und  Laster  {tisqI  aQsztjg  xal  xaxiag),  über  die  Stellung  der  sitt- 
lichen Menschen  zum  Schicksal  {negl  rvx^ß)^  über  die  Beherrschung  des 
Zorns  (7t€Qi  doQyrjaiag),  über  die  Schwatzhaftigkeit  (negi  ä3oX€<rx^'ag),  über 
die  Neugierde  (/rc^t  noXvnQay^ioavvrfi)^  über  die  Geldliebe  {nsQi  ^tionXot*- 
Ti'ag)^  Über  die  Verschämtheit  {Ttegi  dvtSiümag)^  über  das  Selbstlob  (rr*^ 
tov  iavtov  iTtaivslv  dvemxpd^o v(og)^  über  die  Freundesmenge  (^i«^*  nolv- 
(fiXtag),  ob  die  Schlechtigkeit  an  sich  schon  unglücklich  macht  {ei  aviä^ 
xr^g  i)  xaxia  nQog  xaxoiaifxovtav),  ob  die  Krankheiten  der  Seele  oder  des 
Körpers  schlimmer  sind  (noteQov  xd  trjg  yjvxfjg  ^  td  tov  amßazog  nd^r^ 
XeiQova),    Alle  diese  Schriften,   die   zum  Teil   durch   Zusendung  an  hebe 


^)  In  der  angegebenen  Reihenfolge  schrieb 
Plutarch  selbst  nach  p.  1086  D  die  beiden 
Schriften;  in  den  Ausgaben  ist  die  Ordnung 
umgekehrt. 

*)  Unpassend  ist  der  frtther  übliche  Titel 
itegl  10V  Tfi  aXoya  Ao;'^  XQV^^^h  ^ö  Usekeb, 
Epicurea  p.  LXX  nachweist.  Dagegen  Hirzbl, 
Der  Dialog  II  128  ff.,  wonach  der  Gryllos 
keine  Satire,  sondern  ein  sophistisches  Mach- 
werk des  jungen  Plutarch  ist. 


')  G.  SiEFBRT,  De  aliquot  Plntarchi  scrip- 
torum  moralium  compositione  atque  indole, 
Comment.  Jen.  t.  Via.  1896;  behandelt  sind 
die  enge  zusammengehörigen,  leicht  hinge- 
worfenen Schriften  n^Qi  ^vd-vfiiag,  itegl  ^^C, 
nsQi  ttQSTfjg  xai  xaxitti,  m^i  rrzV^y  ^^  AA«- 
Tov  ij  ttQetij,  noTBQov  Ja  rijf  ^^ZV^  V  '*  ^^^ 
OüSfÄnros  nadti  x^tQoytty  ei  avta^Ktj^  jj  xaxia 
rr^og  xaxo&nifAOvlayy  ntog  nr  rtg  ata&wio  n^ 


B  a)  BOmisohe  Periode  vor  Konstantin.  8.  Die  Prosa,  o)  Plutarch.  (§§  477—478.)      659 


Freunde  und  Gönner  noch  einen  gemütvolleren  Zug  erhalten,  zeigen  uns 
Plutarch  gewissermassen  als  Seelenarzt:  i)  sie  sind  wohlgemeinte  Predigten, 
anziehend  durch  die  Fülle  der  Beispiele  und  Dichtercitate,  auch  reich  an 
tre£Flichen  Anweisungen  und  feinen  Beobachtungen,  aber  ohne  tiefere  Auf- 
fassung und  ohne  neugestaltende  Ideen.  Solche  Aufsätze  waren  seit 
Erantor  und  Theophrast  an  der  Tagesordnung  bei  den  Akademikern,  Peri- 
patetikem  und  Kynikern,  wie  man  aus  den  Katalogen  ihrer  Schriften 
sieht ;  erhalten  sind  uns  ähnliche  von  dem  römischen  Philosophen  Seneca. 
Was  Plutarch  neu  hinzuthat,  war  die  Menge  von  lehrreichen  Beispielen 
aus  dem  Leben  der  Griechen  und  Römer,  worin  sich  zugleich  der  Zu- 
sammenhang dieser  Abhandlungen  mit  den  Parallelbiographien  kundgibt. 
Unser  Verfasser  hatte  sich  zu  diesem  Zweck  eine  reiche  Sammlung  von 
Aussprüchen  und  Anekdoten  angelegt,  die  ihm  für  seine  Gelegenheits- 
schriften ein  stets  bereites,  reiches  Material  boten.  >) 

Durch  ganz  bestimmte  Anlässe  hervorgerufen  sind  die  3  Trostreden 
{naQaiiv&r/tixo(\  von  denen  die  eine  Plutarch  an  seine  eigene,  durch  den 
Tod  ihrer  Tochter  schwer  niedergebeugte  Gattin,  die  zweite  an  einen 
durch  politische  Umtriebe  aus  seiner  Heimat  verjagten  Freund  {nsql 
^vyrjg),  die  dritte  an  den  um  seinen  frühverstorbenen  Sohn  trauernden 
Apollonios  gerichtet  hat.  Die  letzte  vielgepriesene  Schrift  unterscheidet 
sich  von  den  beiden  andern  dadurch,  dass  sie  sich  fast  nur  in  Allgemein- 
heiten bewegt  und  von  ungewöhnlich  langen  Citaten  aus  Dichtern  und 
Philosophen  förmlich  strotzt,  auch  öfters  die  Sorgfalt  des  Plutarch  in  der 
Vermeidung  des  Hiatus  vermissen  lässt.  Es  wurde  dieselbe  deshalb  von 
Wyttenbach  dem  jungen  Plutarch  zugeschrieben,  von  Volkmann  dem 
Plutarch  vollständig  abgesprochen.«)  Geschöpft  hat  der  Verfasser,  mag 
es  nun  Plutarch  oder  ein  anderer  gewesen  sein,  aus  dem  gefeierten  Buch 
des  Akademikers  Krantor  über  die  Trauer  {nsgl  ntv^ovg).^) 

478.  Die  Ethik  stand  bei  unserem  konservativen  Autor  in  engster 
Beziehung  zur  Religion,  und  so  hat  er  nicht  bloss  im  Leben  als  Priester 
der  Religion  gedient,  sondern  auch  in  seinen  Schriften  den  Glauben  und 
Kultus  zu  läutern  und  mit  der  philosophischen  Einsicht  in  Einklang  zu 
bringen  gesucht.  Mit  seiner  Bekämpfung  des  Aberglaubens  in  der  Jugend- 
schrift neql  dcKriiaifioviag,^)  sowie  mit  seiner  Stellungnahme  gegen  den 
Atheismus  der  Epikureer  und  den  pragmatischen  Rationalismus  der 
Euhemeristen  wird  man  sich  leicht  einverstanden  erklären;  aber  was  er 
selbst  jenen  gegenüberstellt,  die  Dämonenlehre,  die  Mantik,  die  allegorische 
Erklärung,  vermag  ebensowenig  zu  befriedigen.  Charakteristisch  für  seine 
religiöse  Stellung  in  den  späteren  Jahren  ist  namentlich  seine  Hinneigung 


<)  Er  selbst  vergleiclit  sich  Mor.  524  B 
dem  Arzte,  der  die  Leidenschaft  heilt  und  den 
Seelenfrieden  herstellt  Vgl.  §  508  aber  Epiktet. 

«)  Vgl.  Mor.  p.  464  F:  at^eXe^iifÄr^y  ttbqI 
€v&vfAiaf  ix  Ttjy  vnof4yrjf4är(oy,  (ov  ifAnvnti 
ntnoiijfiiyog  hvyxavov. 

*)  YoLKMAinr,  De  consolatione  ad  Apol- 
lomam,  Janer  1867.  Einen  weiteren  Grand 
filr  die  Verwerfang  leitet  Fuhr  Rh.  M.  83, 
590  ans  dem  Gebranch  vom  jb  xai  ab. 


^)  M.  H.  E.  Mbibb,  De  Crantore  Solensi, 
Opnsc.  II  267  f. 

*)  Die  Schrift  über  den  Aberglauben,  in 
der  sich  Plutarch  mit  echt  griechischem  Frei- 
mut gegen  das  in  seiner  Zeit  immer  mehr 
um  sich  greifende  Unwesen  heimischen  und 
fremden  Aberglaubens  wendet,  gehört  in 
eine  ganz  andere  Entwickelungsperiode  des 
Autors  wie  die  Über  die  Isis  und  scheint 
seiner  Jugendzeit  anzugehören. 
42* 


660 


GrioobiBoho  Litteratnrgesohiohte.    II.  NaohklMSWche  litteratnr. 


zum  Synkretismus  oder  zur  Verquickung  griechischer  und  orientalischer, 
besonders  ägyptischer  Theosopheme.  Dieser  Synkretismus  ist  nicht  in  dem 
Kopfe  des  Plutarch  selbst  entstanden,  dex  selbe  lag  in  jener  Zeit  bereits 
ausgebildet  vor  in  den  Bräuchen  und  Lehren  der  Priester  an  den  alt- 
griechischen Qöttersitzen.  So  war  die  delphische  Thyiade  Klea,  die  intime 
Freundin  des  greisen  Plutarch,  an  welche  die  Hauptschrift  dieser  Gattung 
gerichtet  ist,  selbst  in  die  Isismysterien  eingeweiht,  i)  Aber  Plutarch 
bleibt  doch  der  hauptsächlichste  litterarische  Vertreter  jener  Wandlung 
der  religiösen  Ideen,  durch  welche  die  Klarheit  des  griechischen  Geistes 
getrübt  und  die  hellenische  Weltanschauung  allmählich  dem  Untergang 
geweiht  werden  sollte. 

Die  Symbolik,  speciell  die  pythagoreische  Zahlensymbolik,  macht 
sich  besonders  in  der  Schrift  über  das  E  in  dem  Eingang  des  delphischen 
Tempels  {Hegl  rov  E  %ov  iv  Jek^dig)  breit.*)  Doch  verwirft  schliesslich 
Ammonios,  der  Hauptwortführer,  die  natürliche  Deutung  des  E  als  Zeichen 
für  die  Zahl  5,  indem  er  dasselbe  als  EI  deutet,  womit  der  in  Andacht 
versunkene  Besucher  Delphis  den  Gott  als  wahrhaft  Seienden  den  wer- 
denden und  vergänglichen  Sterblichen  gegenüber  stellt.  —  Der  zweite  py- 
thische  Dialog  üegl  zov  iir]  xqäv  ififA€TQa  vvv  riijv  Uvd^iav  enthält  Scenen 
aus  einer  Periegese  Delphis,  in  der  aber  nicht  die  archäologischen  Erklärungen 
der  Kunstwerke  und  Weihgeschenke,  sondern  die  Reflexionen  und  Er- 
zählungen der  theologischen  Exegeten  zu  Wort  kommen.  Den  Titel  hat 
die  Schrift  von  dem  Inhalt  des  Hauptgesprächs,  woher  es  komme,  dass 
die  Pythia  ihre  Orakel  nicht  mehr  in  Versen,  sondern  in  nackter  Prosa 
gebe.  In  die  Besprechung  dieser  Frage  ist  eine  geistvolle  Erörterung 
über  das  Wesen  und  den  Unterschied  von  Prosa  und  Poesie  verflochten 
(p.  405  f.). 8)  —  Von  der  Abnahme  der  Orakel  selbst  handelt  der  Dialog 
JIcqI  t(ov  SxleXoiTioTODv  xQV^^^iQi^^i  wobei  besonders  interessant  der  Er- 
klärungsgrund des  Platonikers  Ammonios  (c.  8)  ist,  indem  danach  die 
Abnahme  der  Orakelstätten  mit  der  Abnahme  der  Bevölkerung  zusammen- 
hing, die  so  gross  war^  dass  ganz  Hellas  damals  kaum  mehr  als  3000 
Hopliten  stellen  konnte,  so  viel  als  einst  das  einzige  Megara  zur  Schlacht 
nach  Platää  entsendet  hatte.*)  Im  übrigen  geht  unsere  Schrift  über  den 
nächsten  Gegenstand  des  Gesprächs  weit  hinaus,  indem  sie  von  dem  Grund 
der  Mantik  überhaupt  handelt  und  unter  mannigfachen  Abschweifungen 
die  Orakel  auf  die  Dämonen  oder  die  Zwischenwesen  zwischen  Götter 
und  Menschen  zurückführt,  den  Antrieb  aber  zum  Wahrsagen  in  dem  aus 


*)  Plut.  de  l8id.  35:  et  yi,yv(6axeiv,  J 
KXia,  drj  ngoaijxoy  iaiiv,  ^QXVY^^  i"*^  ovaav 
iy  JeXtpolq  itoy  ^vidötoy,  tolg  (T  OaiQMXoiq 
xa9waiü}f4eytjy  UQoig  and  nazQog  xai  (uijiQog. 

*)  Dieser  Dialog  und  der  folgende  wer- 
den von  Plutarch  selbst  p.  384  E  unter  dem 
Titel  Dvdixol  Xoyoi  zusammengefasst,  weil 
sie  in  dem  pythischen  Delphi  gehalten  worden 
sind;  sie  fallen  in  die  spätere  Lebenszeit 
unseres  Autors,  als  er  seinen  Sitz  nach  Delphi 
verlegt  hatte;  gerichtet  sind  sie  an  Sarapion, 
Chorsänger  in  Athen,  den  wir  auch  aus  den 


Tischgesprächen  kennen  lernen.  In  der  Fonn 
der  Tempeldialoge  war  dem  Plutarch  der 
Römer  Varro  (s.  Hibzel,  Dialog  I  558)  Toraii* 
gegangen. 

>)  HiRZEL,  Der  Dialog  II  208  Anm.  weist 
als  vermutliche  Quelle  dieser  Erörtening 
Dikaiarchos  nach. 

^)  Die  Schrift  ist  angezogen  von  Euse- 
bios  praep.  evang.  Y  16  ff.  Bezüglich  des 
Titels  erinnere  ich  an  Jnvenal  YI 555 :  Detphis 
oracula  cesaant. 


Ba)SOmiBohe  Periode  vor  KonBtantin.    8.  Die  Prosa,    o)  Plntaroh.    (§479.)    661 


der  Verdunstung  aufsteigenden  Hauche  der  Gottbegeisterung  {iv&ovtficctfrixov 
Tvvevfia)  sucht.  —  Der  Versuch  einer  Mythendeutung  ist  am  sorgfaltigsten 
durchgeführt  in  dem  hochinteressanten  Buch  von  Isis  und  Osiris  {lleQl 
*'lciS<K  xal  'OaiQidoq)^  ohne  dass  es  indessen  auch  hier  dem  Autor  gehngt, 
eine  befriedigende  Erklärung  des  romanhaft  ausgeschmückten  Mythus  i) 
von  den  wunderbaren  Geschicken  der  Isis  in  der  Suche  nach  ihrem  ge- 
liebten Osiris,  und  ihres  Sohnes  Horos  in  den  Kämpfen  mit  dem  bösen 
Dämon  zu  geben.  —  Ganz  anderer  Art  ist  der  von  Plutarch  in  früheren 
Jahren  verfasste,  ^)  durch  Tiefe  der  Gedanken  und  Reichtum  des  Inhaltes 
gleich  ausgezeichnete  Dialog  über  die  späte  Bestrafung  der  Gottlosen 
{llegl  Tfäv  vno  rov  S-ciov  ßqaSäwg  rificoQoviiu'vcoi^),  der  ähnlich  wie  die  Po- 
Uteia  des  Piaton  mit  einer  phantastischen  Schilderung  des  Jenseits  ab- 
schliesst.')  Doch  ist  auch  in  ihm  philosophisch  haltbar  fast  nur  der  bei- 
läufige Satz,  dass  der  Schlechte  nicht  erst  eines  bestrafenden  Gottes  be- 
dürfe, da  ihm  das  böse  Gewissen  und  das  zerrüttete  Leben  Strafe  genug 
sei  (c.  11).  —  Zu  den  theosophischen  Schriften  im  weiteren  umfang  ge- 
hört auch  noch  der  Dialog  über  das  Daimonion  des  Sokrates,  in  dem  aber 
der  philosophische  Kern  von  der  scenischen  Einkleidung,  die  uns  nach 
Theben  in  die  Versammlung  der  Verschwörer  vor  der  Befreiung  der 
Kadmea  versetzt,  ganz  überwuchert  ist.  Dieser  historische  Teil,  der  die 
Vorkommnisse  jener  grossen  Zeit  der  Geschichte  Thebens  in  spannendster 
Weise  schildert  und  insbesondere  auf  den  Charakter  des  Epaminondas 
hellste  Streiflichter  fallen  lässt,  nimmt  zumeist  unser  Interesse  in  An- 
spruch.^) Nur  eingeflochten  in  diese  Erzählung  ist  das  Gespräch  des 
kranken  Philosophen  Simmias  mit  anderen  Thebanern  über  das  Daimonion 
des  Sokrates,  von  dem  die  Schrift  selbst  den  Namen  hat.^)  Die  Quellen 
des  Plutarch  scheinen  ausser  einem  Dialog  des  Simmias  alte  Aufzeich- 
nungen eines  Teilnehmers  an  der  Verschwörung  gewesen  zu  sein.  — 
Schwertich  echt  ist  das  Buch  vom  Schicksal  (ncQi  stfiaQfAsvr^g),  da  dasselbe 
sich  mehr  in  aristotelischer  Terminologie  bewegt  ^)  und  in  seinem  trockenen 
Schulmeisterton  die  Eigenart  des  geistreichen  Chäroneers  vermissen  lässt. 
479.  In  der  Physik  hatte  Plutarch  an  seinem  Vorbild  Piaton  wenig 
Anhalt;  hier  lehnte  er  sich  mehr  an  Aristoteles  und  Straten,  teilweise 
anch  an   die  Stoiker  und  die  anekdotenliebenden  Grammatiker  Juba  und 


1)  Plntarch  selbst  p.  358  F  yergleicht 
den  Mythos,  enthalten  in  c.  12—19,  tots 
nXiiffAaci  rtov  Xoyoy^dtptay  und  gewiss  ist 
derselbe  in  der  vorliegenden  Gestalt  erst  in 
der  alexandrinischen  Zeit  nnter  dem  Einfluss 
▼on  heUenistisclien  Schwindlern  wie  Heka- 
Udoe  TOB  Abdera  entstanden. 

s)  Winke  znr  Bestimmung  des  terminns 
post  gaem  enthält  die  Enfthlong  von  dem  Ge- 
schick des  Kaisers  Nero  im  Jenseits  p.  567  F 
and  der  Hinweis  anf  den  Ausbrach  des  Vesuvs 
p.566  E.  Anf  der  anderen  Seite  weisen  innere 
Gründe,  die  Reife  der  sittlichen  Auffassung 
und  das  Hervortreten  der  Person  des  Plutarch, 
auf  ein  höheres  Alter  des  Verfassers.  Hirzel, 
Der  Dialog  n  215  setzt  unseren  Dialog  nach 


den  pythischen. 

')  Von  der  Benutzung  des  alexandrinl- 
schen  Dichters  Euphorion  in  dieser  Schrift 
s.  ThrImbe  Herm.  25  (1890)  55-61. 

^)  Im  wesentlichen  stimmt  die  Erzählung 
unseres  Dialoges  zu  der  im  Leben  des  Pelo- 
pidas  c.  6—12,  doch  gibt  unser  Dialog  mehr 
Einzelheiten,  üeber  Abweichungen  Hibzel, 
Der  Dialog  H  153  f. 

^)  Benutzt  ist  das  Buch  des  Plutarch 
von  Apuleius  in  seiner  ähnlich  betitelten 
Schrift  De  deo  Socratis. 

•)  Vergleiche  besonders  p.  571  c  und  Arist. 
met.  p.  1026  b,  28.  Vgl.  Volkmakn,  Leben 
Plut.  1 146  ff.,  u.  FuHB  Rh.  M.  88,  590. 


662 


Qrieohisoho  Lüteratargeschichte.    n.  NaohklasBiaohe  Litteratnr. 


Alexander  Myndius  an.  Übrigens  ist  auch  die  Physik  die  schwächste 
Seite  unseres  Philosophen.  Am  bedeutendsten  noch  ist  der  Dialog  über 
das  Gesicht  im  Mond  {JleQi  tov  €fi(pmvofAsvov  nqoadnov  x^  xvxi^  xvfi 
(XekTjvrjg),  Leiter  des  Diidogs,  an  dem  sich  Philosophen,  Mathematiker  und 
Grammatiker  beteiligen,  ist  Lamprias,  der  Bruder  des  Plutarch,  sei  es 
dass  derselbe  auch  Verfasser  des  Buches  war,  oder  dass  nur  Plutarch  auf 
diese  Weise  andeuten  wollte,  dass  in  seiner  Schule  zu  Chäronea  dieser 
Teil  der  Philosophie  nicht  von  ihm,  sondern  von  seinem  Bruder  behandelt 
wurde.  Das  Gespräch  endet  wie  so  mancher  andere  Dialog  des  Plutarch 
und  Piaton  mit  einem  Mythus,  den  Sulla,  einer  der  Teilnehmer  am  Ge- 
spräch, von  einem  vielgereisten  Fremden  *)  erfahren  haben  will.  Jener 
Fremde  lässt  den  Menschen  nicht  aus  zwei,  sondern  drei  Teilen  bestehen, 
Körper  (ccö/ia),  Seele  {ipvxrj)  und  Geist  (vovg),  von  denen  der  erste  von 
der  Erde,  der  mittlere  von  dem  Mond,  dem  Sitze  der  Dämonen,  der  dritte 
von  der  Sonne,  dem  Urquell  des  Lichtes,  stamme  und  ebendahin  wieder 
zurückkehre.  Das  eigentliche  Hauptgespräch  (c.  1—25)  bespricht,  von  der 
Erscheinung  des  Gesichts  im  Mond  ausgehend,  in  subtiler  Weise  die  Spe- 
kulationen der  alten  Mathematiker  und  Philosophen  von  der  Substanz  des 
Mondes,  der  Brechung  des  Lichtes,  der  Anziehungskraft  des  Erdmittel- 
punktes. Wir  lernen  daraus  viel  Interessantes  fiir  die  Geschichte  der 
Astronomie  und  die  Lehre  der  Stoa ;  besonders  hören  wir  von  der  grossen 
Entdeckung  des  Astronomen  Aristarch  von  Samos  (c.  6),  der  ein  Vorläufer 
des  Kopemikus,  bereits  den  Satz  aufgestellt  hatte,  dass  die  Erde  sich 
zugleich  um  ihre  eigene  Achse  und  um  die  Sonne  in  der  Ekliptik  drehe.*) 
—  Anziehend  durch  gemütreiches  Eingehen  auf  das  Seelenleben  der  Tier- 
welt und  die  auch  den  Tieren  gegenüber  zu  übende  Humanität  sind  die  Dia- 
loge   nOTCQU    T(OV    ^(püOV    (fQOVlfluifSQa   TCC   X^Q^^^^    ^    ^«    h'vjQa    und  U^^i    TOV 

td  aXoya  Xoyo^  xQriCx^ai,^)  Spricht  sich  Plutarch  schon  in  diesen  Schriften 
dahin  aus,  dass  auch  die  Tiere  nicht  der  Seele  entbehren^)  und  daher  auf 
humane  Rücksichtnahme  Anspruch  haben,  ^)  so  lässt  er  in  den  beiden 
Deklamationen  über  das  Fleischessen  {neqi  aaQxo(payiaq  loyoi  ß")  noch 
mehr  die  ethische  Tendenz  hervortreten,  indem  er  zwar  nicht  mit  der 
gleichen  Entschiedenheit  wie  die  Neupythagoreer  die  Fleischnahrung  als 
sündhaft  verwirft,   aber   doch  von   derselben  auf  jede  Weise  abrät.      Die 


^)  Das  Festland  jenseits  des  Ozeans,  zu 
dem  man  auf  der  Fahrt  yon  Britannien  Über 
drei  westlich  dayon  liegende  Inseln  gelangte, 
ist  offenbar  Amerika.  Es  waren  demnach 
bereits  um  100  n.  Chr.  kühne  Schiffer,  wie 
später  wieder  im  14.  Jahrb.,  über  Island,  Grön- 
land, Baffinland  nach  der  Küste  von  Nord- 
amerika gekommen.  Bezüglich  des  ganzen 
Abschnittes  über  die  Reise  des  Fremdlings 
vergleiche  man  den  um  diese  Zeit  entstan- 
denen Roman  über  die  Dinge  jenseits  von 
Thule. 

*)  Der  grosse  Astronom  Eepplbr  schrieb 
zu  dem  Buch  einen  Kommentar,  wiederholt  in 
Kepplers  Opera  von  Frisch  t.  VIII,  worüber 
ScHMEBToscH  iu  Phüol.  -  Histor.  Beiträge  zu 


Ehren  Wachsmuths,  1897  S.  52  ff. 

')  An  keinem  der  beiden  Gespräche  be- 
teiligt sich  Plutarch;  in  dem  ersten,  das  ein 
grosses  naturwissenschaftliches  Wissen  be- 
kundet, ist  HauptwortfÜhrer  Autobulos,  der 
Sohn  des  Plutarch,  was  wieder  ein  Zeichen 
dafür  sein  dürfte,  dass  Plutsurch  die  natur- 
wissenschaftlichen Unterweisungen  anderen 
Gliedern  seiner  Familie  überliess. 

*)  Ad.  Dtboff,  Die  Tierpsychologie  des 
Plutarchos,  Progr.  Würzburg  1897. 

')  Von  dieser  edlen  Humanität  stechen 
widerlich  ab  die  Beispiele  grausamen  Raf> 
finements  der  Feinschmecker  jener  Zeit  De 
esu  cam.  II 1. 


Ba)SOmisohe  Periode  vor  Konstantin.    8.  Die  Proea.    o)  Plntaroh.  (§480.)      663 


Pjrthagoreer  stützten  nämlich  ihr  Gebot  der  vegetabilischen  Ernährung 
durch  die  Lehre  von  der  Palingenesie,  da  die  Seelen  der  Menschen  in  die 
Tiere  übergehen,  und  daher  auch  leicht  der  Vater  oder  ein  Verwandter 
in  dem  zur  Scihlachtbank  geführten  Tiere  wohnen  könne.  Plutarch  gibt 
nun  zwar  nicht  zu,  dass  dieser  Satz  von  dem  Fortleben  der  Menschen- 
seele strikte  erwiesen  sei,  hält  aber  doch  die  Richtigkeit  desselben  keines- 
wegs für  ausgeschlossen.  Er  hat  sich  so  im  Greisenalter  ^)  nicht  blos  von 
der  ägyptischen  Geheimlehre  der  Isisanbeter,  sondern  auch  von  dem  My- 
sticismus  der  Pythagoreer  stark  beeinflussen  lassen.  Da  standen  die 
Stoiker  fester  als  die  Akademiker  bei  der  hellenischen  Fahne  des  auf- 
geklärten Rationalismus.  —  Ausserdem  gehören  in  das  Gebiet  der  Physik 
die  an  Favorinus  gerichtete  Untersuchung  über  das  Wesen  der  Kälte 
{tisqI  tov  ttqwtqv  ^vxqov),  die  diätetischen  Unterweisungen  {vyieivd  naqay^ 
ybXfiaxa)  in  dialogischer  Form,  die  sophistische,  von  dem  Vers  des  Pindar 
^ÄQiaTov  iihv  vicoQ  ausgehende  Deklamation  über  das  Thema,  ob  das  Wasser 
nützlicher  sei  oder  das  Feuer  {nfnsQov  v6(oq  rj  nvq  xqrjai^mTSQov)^  endlich 
die  Jlrim  (ptHftxat,  in  denen  ähnlich  wie  in  den  römischen  und  griechischen 
Fragen  einzelne  naturwissenschaftliche  Probleme  aufgeworfen  und  dann  in 
Kürze  erklärt  werden.*)  —  Ausserdem  werden  mehrere  in  das  Gebiet  der 
Naturlehre  einschlagende  Fragen  in  den  Tischgesprächen  behandelt,  da  in 
der  Gesellschaft  der  Honoratioren  damals  schon  neben  den  Philosophen, 
Rhetoren,  Grammatikern,  Musikern  auch  die  Ärzte  nicht  zu  fehlen 
pflegten. 

480.  Mehr  auf  seinem  Felde  bewegt  sich  Plutarch  in  den  poli- 
tischen Schriften.  Denn  getreu  der  Lehre  der  Akademie  verwarf  er 
den  epikureischen  Grundsatz  i,ä&€  ßiwcag  und  hielt  sich  und  seine  Freunde 
verpflichtet,  an  den  Staatsgeschäften  teilzunehmen.  Von  den  hieher  ge- 
hörigen Büchern  sind  mehrere  Gelegenheitsschriften;  so  gleich  das  beste, 
UoXiTixd  naQayYskfiara,  worin  er  einem  jungen  Mann  aus  Sardes,  Mene- 
machos,  praktische  Anleitungen  zur  politischen  Thätigkeit  gibt.  Das 
lesenswerte  und  schon  zur  Zeit  des  Plutarch  viel  gelesene  *)  Buch  enthält 
keine  dürre  Theorie,  sondern  eine  farbenreiche  Belehrung  aus  dem  Leben 
der  Staatsmänner  der  Vergangenheit;  praktisch  ist  hier  gezeigt,  dass  die 
Geschichte  die  beste  Lehrmeisterin  für  den  künftigen  Staatsmann  sei. 
Einen  besonderen  Wert  erhält  das  Buch  noch  dadurch,  dass  der  Verfasser 
in  seinen  Anweisungen  auch  auf  die  thatsächlichen  Verhältnisse  und 
namentlich   auf  die  Stellung  der  griechischen  Staaten  zu  den  römischen 


1)  Ein  ftnssereB  Anzeicheiii  um  die  Reden 
nt^  aagxog>ayias  in  diese  Zeit  zu  Beizen, 
habe  ich  nicht;  aber  der  Entwickelungsgang 
unseres  Antors  führt  zwingend  zu  dieser  An- 
nahme. In  den  sicher  datierbaren  Jugend-  und 
Manneascliriften  desPlutarchs  findet  sich  keine 
Spar  der  schwächlichen  Hinneigung  zum  Py- 
thagoreismus;  erst  im  Alter,  als  ihm  die  Zähne 
ausgefallen  waren  und  das  Zerbeissen  des 
Fleisches  schwer  geworden  war,  ward  er 
auch  der  pythagoreischen  Abstinenzlehre  zu- 
gänglich. 


')  Der  letzte  Teil  der  Schrift  ist  nur 
in  lateinischer  Uebersetzung  auf  uns  ge- 
kommen; die  ganze  Schrift  ist  unbedeutend 
und  des  Plutarch  unwürdig. 

')  Einen  Fingerzeig  Ar  die  Abfassung 
enthält  die  Stelle  p.  815  D  ola  IleQyafAfjyovs 
inl  NiQioyo^  xateXaße  n^ßayfÄat«  xai  'Podiovs 
Ifttyxoq  inl  JofjiBtiavov,  In  der  Schrift 
Tiioi  ay  xig  an*  ix^Qfoy  (otpeXotro  c.  1  sagt  er 
von  unserer  Schrift  ixeiyo  ro  ßißXloy  oqoj  ce 
nQox^tQoy  Ijj^oi^ra  noXXäx^g. 


664 


Grieohiaoho  Litieratargesohiohte.    U.  NaohklaaBiBoho  Litteraiar. 


Herrschern  in  sehr  massvoller  und  vernünftiger  Weise  Rücksicht  nimmt 
(c.  16— 19).i)  —  Aus  einem  äusseren  Anlass  ist  die  kleine,  aber  vorzügliche 
Schrift  Ei  nqeaßvräQfiy  noXitevxsov  hervorgegangen,  in  der  Plutarch  seinen 
Freund  Euphanes  aus  Athen  von  dem  Entschlüsse  abzubringen  sucht,  seine 
Stelle  als  Vorsitzender  des  Areopags  und  Mitglied  des  Amphiktyonenbundes 
wegen  vorgerückten  Alters  niederzulegen.  Er  selbst  stand  damals  schon  in 
höherem  Alter  und  hatte  dem  Gotte  in  Delphi  bereits  mehrere  Phythiaden 
als  Priester  gedient  (c.  17).  —  Mehr  aUgemeiner  theoretischer  Natur  ist  das 
fragmentarisch  erhaltene  Buch  n€Ql  pLovaQxiaq  xai  di^iioxQaxiag  xal  o>U- 
yaQXf'ag^  worin  er  im  Sinne  Piatons  und  unter  Anlehnung  an  die  realen 
Verhältnisse  seiner  Zeit  der  Monarchie  den  Vorzug  vor  den  anderen 
Staatsverfassungen  gibt.  —  Dazu  kommen  zwei  kleinere  einleitende  und  des- 
halb in  den  Ausgaben  an  die  Spitze  dieser  Abteilung  gestellte  Schriften 
UcqI  tov  oTi  naXiaza  roTg  rjyefioci  ist  tov  q>iX6aoq>ov  diaXdysax^at^  worin 
Plutarch  aus  praktischen  und  humanitären  Gründen  den  Verkehr  mit  den 
Mächtigen  der  Erde  empfiehlt,  und  Ilqdg  rjycfiova  anaÜEvxov^  worin  er  aus- 
gehend von  dem  schönen  Ausspruch  des  Königs  der  Spartaner  Theopomp, 
dass  er  durch  Einrichtung  des  demokratischen  Ephorates  das  Königtum 
wohl  beschränkt,  aber  zugleich  befestigt  habe,  den  Herrschenden  über- 
haupt zu  Qemüte  führt,  dass  jede  Herrschaft  auf  der  Grundlage  des  Ge- 
setzes und  der  Vernunft  beruhen  müsse.  —  Angehängt  ist  eine  Schrift, 
welche  in  das  Gebiet  der  Wirtschaftslehre  eingreift  IIsqI  tov  /*iJ  SsTv  ia- 
v€i^€a&ai^  in  welcher  der  Verfasser  vor  den  Wucherern  warnt,  und  seinen 
Landsleuten  rät,  lieber  ein  einfacheres  Leben  zu  führen  und  das  kostbare 
Tafelgeschirr  zu  verkaufen,  als  unter  Verpfilndung  des  ererbten  Landgutes 
von  den  fremdea  Geldjuden  Geld  auf  Zinsen  zu  leihen.*) 

481.  Die  Wurzeln  des  Staates  bilden  die  Familie  und  die  Gesellschaft ; 
das  erkannte  richtig  unser  Plutarch,  und  wie  er  selbst  im  Leben  ein  aus- 
gezeichneter Vater,  Gatte,  Sohn,  Bruder  und  Freund  war,  so  trat  er  auch 
mit  der  Feder  warm  für  diese  Tugenden  ein.  Es  gehören  hieher  die 
Schriften  Ileql  (fiXadeX^piag,  UsqI  Trjg  slq  td  Mxyova  fptXoaxoQyiaq^^)  Ilfog 
av  Tig  diaxQivoi  tov  xoXaxa  tov  (piXov,^)  'EgwTixog,  FapLixa  naQayyäXfia%a. 
Die  treflflichen  Lehren  der  letztgenannten  Schrift  sind  einem  neuvermählten, 
dem  Autor  befreundeten  Paare  gewidmet.  Der  interessante  Dialog  Ero- 
tikos  lässt  den  Plutarch  in  einem  ähnlichen  Licht  erscheinen  wie  den 
Sokrates  der  Phaidros  Piatons,  indem  Autobulos,  der  Sohn  des  Plutarch,«) 


*)  Im  Anschluss  an  die  berühmten  Worte, 
die  Perikles  sich  vorhielt:  ngoaexe,  UsQixXetg' 
iXev&äqay  äg^eiSj  *EXXijy(ay  ff^/e«f,  nohrtay 
Udtiyalioyy^  sagt  er  c.  17  dem  jetzigen  Be- 
amten: uQxof^Bvog  ap/e«?,  vnorBxctyfxiyrjg 
nokBfoq  av&vnaroig,  inuQonoig  Kaiaa^oq.  ,  , 
evoTttXeffTiQtty  det  rrjy  /Xaf^vda  noisTy.  .  . 
oqojyta  tovg  xaXriovg  indyto  trjq  xetpaXijg. 

*)  Die  Echtheit  der  interessanten  Schrift 
wird  verdächtigt  von  Heikze,  Plut.  Untersuch., 
Berlin  1872. 

')  Fragment,  dessen  Echtheit  zweifel- 
haft ist;  s.  Weissenberger  a.  0.  p.  66  ff. 


^)  Diese  Schrift  habe  ich  bereits  oben 
§  475  unter  den  einleitenden  Schriften  des 
Plutarch  angefahrt,  wie  denn  fiberiianpt 
mehrere  der  philosophischen  Schriften  des 
Autors  in  die  eine  oder  andere  Klasse  ein- 
gereiht werden  können. 

^)  Ich  wiederhole  diese  Behauptung  trotz 
des  Widerspruchs  von  Wjttenbach,  Animadv. 
in  Plut.  171  und  Volkmann,  Leben,  Schriften 
und  Phil,  des  Plut  I  31,  welche  den  Auto- 
bulos dieses  unseres  Dialogs  von  dem  in  den 
sonstigen  Schriften  Plutarchs  erwShnten  gleich- 
namigen Sohne   des  Plutarch  unterscheiden 


B  a)  Sömisohe  Periode  vor  Konstantin.  8.  Die  Prosa,  o)  Plntaroh.  (§§  481—483.)    665 

einem  gewissen  Flavianus  das  Gespräch  wiedererzählt,  welches  sein  Vater 
ehedem  bei  Gelegenheit  der  Feier  der  Erotidien  in  Thespiä  mit  anderen 
Freunden  über  die  Liebe  gehalten  habe.  Das  Gespräch  ist,  wie  der  Name 
andeutet,  eine  Nachahmung  des  platonischen  Phaidros ;  es  dient  der  Ver- 
herrlichung der  Gattenliebe  im  Gegensatz  zu  der  Unnatur  der  Päderastie 
und  schliesst  mit  der  rührenden  Erzählung  von  der  treuen  Liebe  der 
Gattin  des  Sabinus,  durch  deren  Hinrichtung  der  Kaiser  Vespasian  sein 
Andenken  bei  der  Nachwelt  befleckt  hat.i)  In  den  Dialog  ist,  ähnlich  wie 
in  der  oben  besprochenen  Schrift  über  das  Daimonion  des  Sokrates,  eine 
gleichzeitige  Liebesgeschichte  der  vornehmen,  aber  schon  älteren  Dame 
Ismenodora  zu  dem  schmucken  Jüngling  Bakchion  eingewoben.  —  Ganz 
der  plutarchischen  Grazie  entbehren  die  kleinen  erotischen  Novellen  (Eqo)- 
uxal  SnjyijiTsig),  welche  aus  dem  grossen  Kollektaneenfach  der  Bibliothek 
des  Plutarch  stammen  und  bloss  wegen  des  verwandten  Inhalts  dem  Buche 
Erotikos  angehängt  sein  mögen. 

482.  Philosophie  paarte  sich  seit  Aristoteles  mit  Philologie  und 
litterarischer  Kritik;  kein  Schriftsteller  aber  war  in  den  Dichtern 
gleich  belesen  wie  Plutarch.  So  hat  er  denn  nicht  bloss  alle  seine 
Schriften  mit  Citaten  aus  Dichtem  gewürzt,  sondern  auch  der  Exegese 
und  litterarischen  Untersuchung  eigene  Schriften  gewidmet.  Kommentare 
schrieb  er  zu  Hesiod,  Arat  und  Nikander,  von  denen  uns  in  den  Scholien 
der  betrefifenden  Dichter  dürftige  Reste  erhalten  sind.  Einzelne  littera- 
rische Fragen  behandelt  er  in  den  uns  noch  erhaltenen  Schriften  lleQi 
TTJg  '^HQodotov  xaxor^siaq^*)  2vyxQi(ng  'ÄQKfTo^dvovg  xai  Msvdvdqov  und 
nBQi  fiovmxijg.  Seine  Vorliebe  für  den  feinen  gesitteten  Menander  gegen- 
über dem  genialen,  über  die  Stränge  schlagenden  Aristophanes  erklärt  sich 
aus  seiner  Abneigung  gegen  alle  Ausschreitungen  der  Freiheit.^)  Von 
grosser  Wichtigkeit  für  die  Geschichte  der  Musik  und  Metrik  ist  der 
Dialog  neql  fioviXixfjg,^)  hauptsächlich  dadurch,  dass  der  damals  noch  junge 
Plutarch  ganze  Partien  aus  den  besten  Autoren  dieses  Faches,  dem  Ari- 
stoxenos  und  Herakleides,  herübergenommen  hat.<^) 

483.  Tischgespräche.  Die  Palme  möchte  man  leicht  demjenigen 
Werke  des  Plutarch  reichen,  in  dem  er  die  ganze  Vielseitigkeit  seiner 
Studien  in  der  unterhaltendsten  und  anmutigsten  Weise  dargelegt  hat,  ich 
meine  die  2vi.inoaiax(i,  Das  Werk  umfasst  neun  Bücher,  von  denen  jedes 
10,   das  letzte  15  Probleme   enthält.^)     Entstanden   ist  dasselbe   aus   der 


wollen.  Eine  solche  Homonymie  bei  dem- 
selben Sehriftsteller  scheint  mir  ganz  un- 
glaubhaft. 

^)  Graf,  Plntarchisches  in  Comm.  Rib- 
beek.  p.  70  will  den  jungen  Plutarch,  den 
Binder  des  Autobulos,  zum  Verfasser  des 
Dialoges  machen;  ihm  stimmt,  wenn  auch 
zweifelnd  bei  Hibzel,  Der  Dialog  U  234. 

*)  Ueber  diese  Schrift  habe  ich  bereits 
oben  §  474  gehandelt. 

*)  Der  Anfang  und  damit  der  grössere 
TeQ  der  von  Beruardakis  ohne  ausreichenden 
Gnmd  mit  dem  Zeichen  der  Unechtheit  ver- 


sehenen Schrift  ist  verloren  gegangen.  Ganz 
ähnliche  Gedanken  über  den  Unterschied 
der  alten  und  neuen  Komödie  stehen  in  den 
Tischgesprächen  VHS. 

*)  Die  Echtheit  der  Schrift  wird  ange- 
zweifelt; auch  der  Gebrauch  von  re  xai 
spricht  nach  Fuhr  Rh.  M.  33,  590  gegen  die 
Echtheit. 

*)  Vergl.  Wbstphal  in  Ausgabe  des 
Schriftchens  und  in  Aristoxenos  11  p.  GCVII  ss. 
Ueber  sprachliche  Anzeichen  der  Unechtheit 
8.  Weissbnbrrobr  a.  0.  p.  82  ff. 

^)  Die  9  Bücher  sind  nicht  auf  einmal, 


666 


Oriechisoho  Lüteratnrgesohtohie.    IL  HaohklAMuohe  Idtteraiiir. 


schönen   geselligen  Sitte   der  Hellenen,   bei  Tisch  inter  pocola  über  ver- 
schiedenene    Gegenstände    sich   zu   unterhalten.    Die   Scene   wechselt  in 
unseren  Tischgesprächen  fast  bei  jedem  Problem  und  f&hrt  uns  bald  nach 
Athen,  bald  nach  Rom,  bald  an  dem  gastlichen  Tisch  des  Autors  und  seiner 
Freunde,  bald  zu   der  Feier  eines  Festes  oder  musischen  Sieges.    Noch 
mannigfaltiger  ist  der  Inhalt  der  Gespräche:  neben  Gesprächen,   die  zu 
dem  Mahle  direkt  in  Beziehung  stehen,   wie  über  die  Bekränzung  beim 
Mahle  (III  1),  über  die  bessere  Verdaulichkeit  gemischter  Nahrung  (IV  1), 
über  die   geeignetste  Wahl  der   Unterhaltungen  bei  Tisch  (VII  8),   be- 
gegnen uns  Gespräche  über  die  Enthaltsamkeit  der  Juden  vom  Schweine- 
fleisch (IV  5),  über  die  Zahl  der  Musen  (IX  14),  über  die  drei  Arten  des 
Tanzes  (IX  6),  über  das  Okulieren  der  Bäume  (11  6),  über  das  Epitheton 
äykaoxaQTiog  bei  Homer   (V  8),    und    das   alles   in   der   unterhaltendsten 
Weise  mit  reichsten   und  bestangebrachten  Reminiszenzen  aus  Dichtern 
und  Prosaikern.    Die  einzelnen  Gespräche  fallen  in  weitauseinanderliegende 
Zeiten,    sind    aber    von    Plutarch  nach    früheren    Aufzeichnungen   rasch 
hintereinander  zu  dem  erhaltenen  Corpus  zusammengestellt  worden.  Später 
hat   viele   von   ihnen  Macrobius  in   seine    Saturnalia   herübergenommen, 
indem   er  sich   dabei  manche   Zusätze    erlaubte,    die   für  Leser,    welche 
weniger  belesen  als  die  Kreise  des  Plutarch  waren,  notwendig  schienen. 
Ein  Gegenstück  zu  diesen  Tischgesprächen  der  Gegenwart  bildet  das 
Gastmahl  der  sieben  Weisen  {avpLnoaiov  tcov  imd  ipiXoa6fpwv\  das  uns  an 
den  Hof  des  Periander  versetzt  zu  einem  Gastmahl,   an  dem  die  sieben 
Weisen  Griechenlands  und  ausserdem   der  Fabeldichter  Aesop  und  zwei 
Frauen  teilnehmen.    Der  Gedanke  einer  Zusammenkunft  der  sieben  Weisen 
war  nicht  neu,  schon  Ephoros  hatte  dieselben  bei  dem  König  Krösus  zu- 
sammenkommen  lassen.^)     Auch  hat  Plutarch   die  Idee  recht  geschickt 
durchgeführt,  indem  er  in  das  Tischgespräch  die  vielen  hübschen  Sprüche  und 
Anekdoten,  welche  von  den  sieben  Weisen  in  Umlauf  waren,  hereinzog 
und  die  Darstellung  ausserdem  noch   durch  manche  andere  Erzählungen, 
wie  die  von    der  Rettung   des  Meisters  der  Töne  Arion,  sinnig  belebte. 
Aber  wir  vermissen  in  dem  Buch   doch  ganz  die  moralisierende  Art  des 
gereiften  Plutarch   und   fühlen   uns  vielmehr  durch   die    koketten  Schil- 
derungen und  obscönen  Anzüglichkeiten  in  die  Sphäre  der  novellistischen 
Sophistik  versetzt.     Das  Buch  dürfte  daher,   wenn  es  überhaupt  echt  ist, 
nur  von  dem  jungen  Plutarch  herrühren.*) 


sondern  erst  nach  und  nach  in  grosseren 
Gruppen  von  je  3  Büchern  herausgegeben  wor- 
den; 8.  £.  Graf,  Plutarchische  Entstehungs- 
weise der  Symposiaka,  in  Comm.  Ribbeck. 
57—70.  Gewidmet  ist  die  ganze  Sammlung 
und  mit  eigenen  ProOmien  übersandt  dem 
römischen  Gönner  des  Plutarch  Sossius  Se- 
necio,  demselben,  dem  er  auch  seine  Parallel- 
biographien widmete.  Durch  die  aus  dem 
Wiener  Archetypus  (Vindob.  148)  in  die  an- 
deren Handschnften  übergegangenen  Lücken 
ist  der  Schluss  von  dem  4.  B.  und  die  Mitte 
von  dem  9.  B.  verloren  gegangen. 

»)  Diodor  IX  26;  Diog.  I  40.   Vgl.  oben 


§  98  und  Hahbo  Wulf,  De  fabeUis  com  eol- 
legii  Septem  sapientium  memoria  conionctis 
quaestiones  criticae,  Diss.  Hai.  XUI,  1896. 

^)  HiBZEL,  Der  Dialog  ü  142  erklärt  den 
Dialog  für  ein  rhetorisches  Kunstwerk  des 
jungen  Plutarch.  Gegen  die  Echtheit  er- 
klftrten  sich  G.  HsRitANff,  Quaestiones  criticae 
de  Plutarchi  Moralibus,  Halle  1875,  und  Volk- 
MANN,  Leben  Plutarchs  I  188  ff.;  letzterer 
sucht  nachzuweisen,  dass  der  peeudonyme 
Verfasser  den  Porphyrios  benützt  habe.  Für 
die  Echtheit  treten  ein  Muhl  Plut.  Stud.  27 ff.; 
Haück,  Plutarch  von  Chftronea  der  Verfasser 
des  Gastmahls  der  7  Weisen,  Progr.  Burg- 


B  a)  aomiaoho  Periode  vor  Konstantin.  8.  Die  Prosa,  c)  Plntarch.  (§§  484—485.)    667 


484.  Unter  den  Moralien  des  Plutarch  befinden  sich  auch  mehrere 
teils  sicher  unechte,  teils  zweifelhafte  Schriften.  Die  unter  dem  Namen 
des  Plutarch  gehende  Vita  Homeri  besteht  aus  zwei  ganz  verschiedenen 
Teilen,  von  denen  der  erstere  sicher  nichts  mit  Plutarch  zu  thun  hat. 
Auch  die  ünechtheit  des  zweiten  Teiles  wurde  angefochten,^)  da  das 
echte  Buch  des  Plutarch  über  Homer  nach  den  Anführungen  des  Gellius 
n  8,  9,  IV  11  mehreres  enthielt,  was  in  unserer  Vita  nicht  steht;  aber 
dass  unsere  Schrift  nichtsdestoweniger  echt  plutarchische  Gedanken  ent- 
halte und  wahrscheinlich  aus  dessen  VjurjQixai  jutekh'tai  excerpiert  sei,  hat 
der  neueste  Herausgeber  Bernardakis  Moral.  VII  praef.  IX  5  ss.  nach- 
gewiesen. —  Zu  den  unechten,  aber  zum  Teil  hochbedeutsamen  Schriften 
gehören:  Das  Leben  der  10  Redner,  das  hauptsächlich  auf  den  For- 
schungen des  Rhetors  Cäcilius  fusst,  aber  in  wichtigen  Dingen  von  der 
Darstellung  des  Plutarch  im  Leben  des  Demosthenes  abweicht;^)  die  fünf 
Bücher  von  den  Lehrsätzen  der  Philosphen  {neQi  tmv  aqeaxovxwv 
fpiloaag>oig,  <pvaixwv  dayfidTcov  iniTofirf}^  die  aus  dem  umfangreichen  Werke 
des  Philosophen  Aetios  kompiliert  sind; 3)  die  Schrift  von  den  Flüssen, 
gleichen  Kalibers  mit  der  unverschämten  Fälschung  der  Parallela  minora,  ^) 
eine  Sammlung  von  Sprichwörtern  {negi  rav  naq'  'Aks^ardgeoffi  na- 
pat/ui<Sr),  deren  Inhalt  wesentlich  aus  dem  Buche  des  Grammatikers  Se- 
leukos  TrcQi  tcov  nag'  ^Ake^avdQivtn  nagoifAKov  geflossen  ist;^)  eine  Zu- 
sammenstellung von  Versmassen  {nsgi  ii6tqwv)\  endlich  ein  Buch  nhQi 
fvy€V€iag^  welches  von  einem  Fälscher  der  Renaissance  aus  Stellen  des 
Stobaios  zusammengestoppelt  ist. 

486.  Charakteristik.  Fassen  wir  zum  Schluss  die  Schriftstellerei 
und  Philosophie  unseres  Autors  zusammen,  so  war  Plutarch  einer  der  ge- 
bildetsten, liebenswürdigsten,  furchtbarsten  Schriftsteller  der  Kaiserzeit, 
der  mit  seiner  kolossalen  Belesenheit  uns  einen  wertvollen  Ersatz  für  die 
vielen  und  grossen  Verluste  bietet,  welche  die  griechische  Litteratur  der 
klassischen  wie  alexandrinischen  Zeit  erlitten  hat.  Aber  er  war  nicht 
bloss  ein  ausgezeichneter  Kenner  der  klassischen  Litteratur  und  Geschichte, 
er  hatte  auch  den  Geist  echter  Humanität  und  hellenischer  Bildung  in 
sich  aufgenommen  und  in  Wort  und  That  zur  Geltung  gebracht.  Zu  feiner 
Bildung  und  edler  Sittlichkeit  gesellt  sich  bei  ihm  strenges  Masshalten  in 
Lob  und  Tadel,  gemütliche  Treuherzigkeit  und  optimistische  Auffassung 
aller  Verhältnisse,  was  alles  zusammen  die  Lektüre  seiner  Werke  zu  einer 
ebenso    anziehenden   als    erhebenden    macht.  ^)     Aber   deshalb   war   doch 


hausen  1893;  Weissenbbroeb,  Die  Sprache 
Fliitttrchs  und  die  pe.plutarchischen  Schriften, 
I^ogr.  Siaranbing  1895  S.  50  ff.;  vgl.  auch 
Fuhr  Rh.  M.  33,  591. 

>)  Vgl.  oben  §  22  Anm. 

*)  A.  Schafes,  De  libro  X  erat.,  Dresden 
1844;  dagegen  Sbbligeb,  De  Dionysio  Flu- 
tarchi  anctore,  Budiasae  1877.  Der  Wert  des 
BdchleiDa  wird  noch  erhöht  durch  den  An- 
hang inschriftlicher  Belege. 

>)    DiELS,  Doxographi  graec.  p.  48. 

'*;    Die    F&lschung    nachgewiesen    von 


Herchee  in  seiner  Ausgabe  der  Schrift. 

»)  0.  Ceüsius  Ind.  lect.  Tüb.  1887  u.  1895. 

^)  Sehr  gut  charakterisiert  unseren  Autor 
MoMMSBN  Rom.  Gesch.  V  252 :  es  gibt  genug 
mächtigere  Talente  und  tiefere  Naturen,  aber 
schwerlich  einen  zweiten  Schriftsteller,  der 
mit  so  glücklichem  Mass  sich  in  das  Not- 
wendige mit  Heiterkeit  zu  finden  und  so  wie 
er  den  Stempel  seines  Seelenfriedens  und 
seines  Lebensglückes  seinen  Schriften  ein- 
zuprägen gewusst  hat. 


668 


Grieohisohe  litieraturgesohiobte.    ü.  NachklMsisohe  Lütoratnr. 


Plutarch  noch  kein  HeUene  der  perikleischen  Epoche.    Die  spiessbürger- 
lichen  Verhältnisse  seiner  Zeit  und  der  optimistische  Quietismus  seiner 
Natur  Hessen  keine  hochstrebende  Plane  und  flammende  Freiheitsgedanken 
in  ihm  aufkommen.   Die  Einseitigkeit  der  ethischen  Auffassung  verschloss 
ihm  das  Verständnis  fQr  fessellose  Originalität  in  Kunst  und  Poesie;  das 
konservative  Festhalten  an  dem  Überlieferten  und  der  naive  Glaube  an 
den  Humbug  der  Orakel  und  Mysterien  trübten  die  Klarheit  seines  Geistes.^ 
Es  treten  daher  auch  in  seinen  Schriften  die  Genauigkeit  der  Beobachtong 
und    die   Schärfe   des  Urteils  hinter   der  Neigung   zur  mystischen  Ver- 
schwommenheit und  glanzvoller  Ausmalung  patriotischer  Tugenden  zurück. 
Dazu  kommen  die  gewöhnlichen  Fehler  der  Vielschreiberei  und  der  6e- 
dächtnisstärke :  überall  fiel  ihm  ein  Dichtercitat  ein  und  er  liebte  zu  sehr 
diesen  Flitter  des  Stils,  als  dass  er  eines  derselben,   auch  wenn  es  zum 
Tone  des  Beweises  nicht  passte,  unterdrücken  konnte.     So  vermissen  wir 
an    ihm    wie   die    Folgerichtigkeit    des   Denkens,    so    auch    die    Kraft 
schöpferischer  Gedanken:  wir  können  ihn  weder  als  einen  kritischen  Hi- 
storiker  und  unbefangenen  Beobachter,   noch   als  bahnbrechenden  Philo- 
sophen, noch  endlich  als  guten  Grammatiker  preisen.    Auch  in  der  Form 
und  in  dem  Stil  nämlich  ist  er  keineswegs  über  dem  Tadel  erhaben.    In 
der  Sprache   vermeidet  er  zwar   mit  Sorgfalt   den  Hiatus')   und  belebt 
durch  trefifende  Reminiszenzen  die  Darstellung;  aber  die  Dichtercitate  sind 
zu  häufig,  der  weitschweifige  Satzbau  ermangelt  der  durchsichtigen  Klar- 
heit und  Rundung,  die  vielen  Abstrakta  geben  der  Rede  ein  unattisch^ 
Gepräge.     Die   Phrasenziererei  und    gesuchten  Antithesen  der    Rhetoren 
hat  er  mit  Recht  abgelehnt,  aber  die  sprachreinigenden  Bestrebungen  der 
Attikisten  hat  er  nur  zu  seinem  eigenen  Nachteil  vernachlässigt  s)    Darf 
man  ihn  auch  den  Klassiker  der  römischen  Kaiserzeit  nennen,  so  blieb  er 
doch  hinter  der  umgeschminkten  Grazie  und  der  schöpferischen  Originalität 
der  klassischen  Zeit  weit  zurück. 

Codices:  Dieselben  sind  nicht  die  gleichen  zu  allen  Schriften.  In  den  Biograj^en 
beruht  der  kritische  Apparat  von  Sintenis  auf  Sangerman.  319  s.  X  {A),  Palatinos  283  s.  XI, 
Paris.  1671 — 6,  Barocc.  137;  einen  besseren  Zwillingsbnider  zn  Paris.  1676  entdeckte  Hor- 
cher in  dem  Seidenstettner  Codex  (S),  eine  neue  Quelle  Graux  in  dem  Madrit  55  s.  XIV. 
üeber  stichometrische  Angaben  Dbachmank  Herrn.  30  (1895)  476  f.  —  Ueber  die  hand- 
schriftliche Grundlage  der  Moralia  belehrt  Trku,  Zur  Gesch.  der  üeberliefernng  von  Plut. 
Moralia,  Breslauer  Progr.  1877  u.  1884  und  Bebnadakis  in  den  Präfationen  seiner  Ansgabe; 
danach  sind  die  wichtigsten  Codices  Parisin.  1956  (D)  1672  (£)  1675  (B)  1955  (C)  1957  (F), 
Urbinas  97,  Ambros.  82,  Vindob.  148  (Hanptiiandschriffc  fOr  Sympos.).  Eine  syrische  Ueber- 
setzimg  Yon  negi  äo^yrjaias  publizierte  Lagabde,  Analecta  Syriaca,  Lips.  185§. 

Ausgaben:  ed.  princ.  apud  Aldum  1509—19,  besorgt  von  dem  Kreter  Dukas;  ed. 
Xylander,  Venet.  1560-70  mit  trefflichen  Emendationen;  ed.  Rsiske,  Lips.  1774-82; 
Pariser  Ausg.  bei  Didot  1846—55  besorgt  von  Döunbr  und  DObner.  —  Spezialausgaben  der 
Yitae  von  Eobabs,  Par.  1809—14  in  6  Bde;  mit  krit.  Apparat  von  Sintenis,  Lips.  1839 — 46; 
ausgewählte  Biographien  mit  deutschen  Anmerkungen  von  Sibfert-Blass  bei  Tedbiteb,  vom 


*)  Plut.  Erot.  p.  756  b:  oQxei  ij  ndtgio^ 
xal  naXaiic  nlaxiq,  rjg  ovx  BOiiy  einety  ovd* 
ttpevQsTv  texf^iJQioy  ivttgyiaxBQOv. 

^)  Darüber  die  klassische  Stelle  Mor. 
p.  534  f :  Movg  yovp  ogtüfABv  ovdi  (payijsyri 
cvyxqovcai  fpwvrJBv  iy  tw  Xe'yeiy  vno~ 
fjLiyoyttt^, 

')  Index  graecitatis  von  Wyttenbach  im 


Anhang  der  Ausg.  der  MoraliA.  TrefflidM 
Monographie  von  Stbom akn,  Ueber  den  Ge- 
brauch der  Negationen  bei  Plutarch,  (xeeste- 
mflnde  Progr.  1882;  der  ganz  seltene  Ge- 
brauch von  re  xai  bei  Plutarch  wird  fllr  die 
Echtheitsfrage  verwertet  von  Fuhr  Rh.  M. 
33,  584 — 91,  ebenso  der  Eßotos  von  Yolk- 
MAEN,  Leben  Plutarchs. 


Ba)B0mi8ohe  Periode  vor  Konstantin.  8.  Die  Prosa.  d)Arrian.  (§§  486—487.)     669 

SiNTBNis-FuHR  bei  WsiDMAim;  Demosth.  n.  Cicero  von  Graüx,  Paris  1881.  —  Moralia  ed. 
WTTTBirBACH  mit  Animadv.,  Lips.  1796—1884,  5  vol.  u.  3  vol.;  neue  kritische  Ausgabe  mit 
teilweisem  apparat.  crit.  von  Bbrnardakis  in  Bibl.  Teubn.  —  Plut.  Moral,  selecta  (Eroticus  und 
Erot  narr.)  ed  Winckslhamn,  Tnrici  1886.  —  lieber  Isis  und  Osiris,  von  Parther,  Berlin 
1850.  —  n€Qi  noxttfjuoy  rec.  Herohbr,  Lips.  1851,  rec.  C.  Müller  in  Geogr.  gr.  min.  —  TIbqI 
fiovaixrj^  rec.  Yolkmann,  Lips.  1856;  Wbstphal,  Plutarcb  über  die  Musik,  Breslau  1865.  — 
ßm  syrisch  erhaltenes  Fragment  des  Ps.  Plutarch  negl  diTxijc€(og  herausgegeben  von  Gilde- 
M EiSTEB-BüGHELBR  Rh.  M.  27,  520  ff.  —  Lexicou  Plntarcheum  von  Wyttenbagh  1843. 


d)  Die  Historiker  der  grieehlschen  Wiedergreburt 

486.  Das  Aufblühen  der  griechischen  Bildung  unter  Hadrian  und  das 
Emporkommen  griechisch  gebildeter  Männer  unter  den  Antoninen  kam 
auch  der  griechischen  Historiographie  im  2.  und  3.  Jahrhundert  zu  gut. 
Waren  im  Anfang  der  römischen  Kaiserzeit  die  griechischen  Historiker 
nicht  viel  mehr  als  Antiquare,  welche  die  Darstellung  der  grossen,  welt- 
bewegenden Ereignisse  der  Gegenwart  Historikern  aus  dem  herrschenden 
Volke  der  Römer  überlassen  mussten,  so  fiel  jetzt  wieder  das  ganze  Ge- 
biet der  Geschichte,  der  zeitgenössischen  wie  der  alten,  den  Griechen  zu. 
Noch  bedeutsamer  war,  dass  die  Geschichtsschreibung  wieder  dem  be- 
schränkten Kreis  der  Rhetoren  und  Stubengelehrten  entrissen  und  prak- 
tischen Staatsmännern  und  Militärs  zurückgegeben  wurde.  Denn  die 
meisten  griechischen  Historiker  unserer  Periode  waren  zugleich  hohe 
Funktionäre  der  Staatsgewalt,  welche  die  Geschichte  nicht  bloss  aus  den 
Büchern,  sondern  auch  aus  dem  Leben  kennen  gelernt  hatten  und  in  die 
Triebfedern  der  öffentlichen  Dinge  durch  amtliche  Stellung  eingeweiht 
waren.  Die  hervorragendsten  der  Historiker,  die  wir  hier  zu  betrachten 
haben,  sind  Appian,  Arrian,  Cassius  Dion,  Herodian. 

487.  Arrian  (um  95 — 175),  i)  mit  dem  vollen  Namen  Eflavius  Ar- 
rianus  aus  Nikomedia  in  Bithynien  ist  ein  Hauptvertreter  der  griechischen 
Renaissance  unter  Hadrian.  In  seinem  Leben  und  in  seinen  Schriften 
bildete  er  eine  treue  Kopie  des  Xenophon:*)  wie  jener  den  Philosophen 
Sokrates  als  seinen  Lehrer  verehrte,  so  er  den  Philosophen  Epiktet;  wie 
jener  sich  nicht  die  philosophische  Spekulation,  sondern  die  praktische 
Thätigkeit  zur  Lebensaufgabe  stellte,  so  trat  auch  er,  nachdem  er  als 
Jüngling  den  Epiktet  gehört  hatte,  ^)  in  den  praktischen  Dienst  des 
Staates.  Im  Jahre  130  unter  Hadrian  zur  Würde  eines  Consul  suffectus 
erhoben,  stand  er  6  Jahre  lang  (131—7)  als  Legatus  Augusti  pro  praetore 
der  Verwaltung  der   Provinz    Kappadokien   vor.*)      Später   zog   er    sich, 


*)  Ein  Artikel  des  Soidas;  Lnkian,  Alex. 
2  a.  55;  Photios  cod.  58  n.  91—3.  Cassius 
Dio  hatte  nach  Suidas  em  Leben  des  Arrian 
g^^hriehen.  Kritische  Untersuchung  über  das 
Leben  Arrians  von  Nissbn,  Die  Abfassungs- 
zeit von  Arrians  Anabasis,  Rh.  M.  43  (1888) 
236 — 57;  derselbe  setzt  die  Geburt  Arrians 
90 — 95  n.  Chr.  Ein  guter  Artikel  von  Schwabtz 
in  Paoly-Wiflsowa  ü  1230  ff. 

*)  Davon  heisst  er  väog  Seyoqxuy  bei 
Soidas  nnd  Photios  cod.  58,  p.  17b,  15;  vgl. 
Arrian  Cyneg.  1,  4:  ofjttovvfAtoi  da  loy  Ssyo- 
^fmtrti  xai  noXeofs  rijg  avr^g  xal  dfjLfpl  xavtd 


dno  yiov  iüirovdaxüJSy  xvytjy^aia  xal  arga- 
tijyiay  xal  ao(piay. 

»)  Schwerlich  hörte  er  den  Epiktet  in 
Rom,  wahrscheinlich  in  Nikopolis,  wohin  sich 
Epiktet  nach  der  Philosophenvertreibnng  des 
Domitian  (94)  von  Rom  aus  begab. 

^)  Das  Konsulat  ist  bezeugt  durch  Ziegel- 
stempel nach  BoRGHESi  Oevres  lY  157,  die 
Verwaltung  Eappadokiens  durch  eine  In- 
schrift von  Nikomedia  in  'EXXrjycxog  avXX. 
in  p.  253  n.  5,  wo  er  xonaQXV^  Kannadoxiag 
heisst. 


670 


GrieohiBohe  Litteratnrgesohiohte.    II.  NaehUaMisohe  Utteratiir. 


wieder  ähnlich  wie  Xenophon,  von  dem  öffentlichen  Dienst  in  die  Stille 
des  ruhigen  Lebens  einer  Musenstadt  zurück.  Im  Jahre  147  treffen  wir 
ihn  als  Archen  in  Athen,  ^)  ebenda  zu  Anfang  der  siebziger  Jahre  an  der 
Spitze  einer  Prytanenliste.*)  Das  Priesteramt  der  Demeter  und  Ferse- 
phone,  dessen  er  in  seiner  bithynischen  Geschichte  gedachte,')  ver- 
waltete er  wahrscheinlich  schon  in  einer  früheren  Lebenszeit.  Zur  Zeit  der 
bald  nach  180  abgefassten  lukianischen  Schrift  Alexandres  war  er  nach 
c.  2  nicht  mehr  am  Leben. 

Die  schriftstellerische  Thätigkeit  Arrians  ist  geradeso  mannigfaltig 
wie  die  Xenophons:  er  schrieb  philosophische,  historische,  militärische 
Schriften.  Die  philosophischen  waren  dem  Andenken  seines  Lehrers  ge- 
weiht; es  waren  die  JiatQißal  'E7iixTt]rov  in  acht  B.,  von  denen  die 
vier  ersten  sich  erhalten  haben,*)  und  das  'EyxciQiSiov  'EnixTrjTov, 
ein  leicht  fassliches  Kompendium  der  Moral,  das  zusammen  mit  dem  Kom- 
mentar des  Simplicius  auf  uns  gekommen  ist.^)  Es  waren  dieses  Jugend- 
schriften, in  denen  sich  noch  nichts  von  der  litterarischen  Selbständigkeit 
des  Verfassers  zeigt.  Es  folgten  dann  die  Schriften,  die  er  als  prak- 
tischer Staatsmann  in  der  unentwickelten  Form  von  Berichten  verfasste. 
Die  Periode  der  historischen  Schriftstellerei  unseres  Autors  beginnt  erst 
mit  der  Müsse  seines  athenischen  Aufenthalts. 

Von  den  historischen  Werken  ist  das  bedeutendste  die  'Av  aß  affig 
UXe^dviQov  in  7B.  Der  Titel  wie  die  Zahl  der  Bücher  ist  dem  Xeno- 
phon  nachgebildet.  Das  Werk  enthält  aber  nicht  bloss  den  Zug  (waßa^tg) 
Alexanders  gegen  das  Perserreich,  sondern  eine  vollständige  Geschichte 
des  bewunderten  Königs  von  dem  Antritt  der  Regierung  bis  zu  seinem 
Tod.  Die  Erzählung  verrät  schon  in  ihrer  schmucklosen  Einfachheit  den. 
wahrheitlifebenden  Geschichtsforscher  und  unterscheidet  sich  dadurch  vor- 
teilhaft von  der  rhetorisch  aufgeputzten  Darstellung  des  Curtius.  Die 
Hauptquellen,  die  Arrian  benutzte  und  getreu  wiedergab,  waren  nach 
seiner  eigenen  Angabe  in  dem  Proömium  Ptolemaios  und  Aristobulos,  von 
denen  er  selbst  hinwiederum  dem  ersteren  als  dem  nüchterneren  und  sach- 
kundigeren Gewährsmann  den  Vorzug  gab.«)     Ausserdem  zog  er  an  ein- 


>)  CIA  3  n.  1116. 

«)  CIA  3  n.  1029  u.  1032. 

')  Auch  in  der  Inschrift  von  Nikomedla 
heisst  er  Ugsvg  JrjfjLrjXQog  xai  Il6Qa€<p6ytjg. 

*)  Siehe  unten  Epiktet. 

^)  Identisch  mit  den  JiatQißai  sind  offen- 
bar die  JittXe^sig  Epicteti  db  Ärriano  di- 
gestaßj  von  denen  Gellius,  an  den  die  Vor- 
rede der  MttTQißal  gerichtet  ist,  XIX  1, 14  das 
5.  Buch  anfahrt;  ebenderselbe  nennt  sie  1 2,  6 
diasertcttiones  Epicteti  digestae  ah  Arriano, 
ähnlich  auch  XVII  19, 2.  Auf  die  von  Photios 
cod.  58  erwähnten  'OfAiXita  'EjiixttJTov  in  12  B. 
ist  kein  rechter  Verlass,  da  wir  von  diesen 
sonst  nichts  hören,  abgesehen  von  dem  Gitat 
Stob.  flor.  47,  28  ^x  tcJv  'Aggithrov  Tigorgenu- 
xojy  ofukvwy.  Vielleicht  liegt  in  der  Buch- 
zahl eine  Verwechselung  mit  den  12  B.  Selbst- 
betrachtuDgen  des  Kaisers  M.  Aurel  vor,  wenn 


nicht  vielmehr  auch  hier  eine  verschiedene 
Bucheinteilung  Verwirrung  brachte.  Denn  auch 
die  von  Gellius  I  2, 6  citierte  Stelle  findet  sich 
nicht,  wie  dort  angegeben,  im  1.,  sondern  im  2.  B. 
H.  Schenk L,  Zur  Geschichte  des  Epiktetnach- 
lasses,  Verhdl.  d.  Münchener  Philolc^enveia. 
1891  S.  196  läast  das  ganze  Werk  aus  4 
Bachern  JiaxQißtti,  4  B.  JiaXe^CK  und  4  B. 
'OfÄiXiai  bestehen. 

«)  Vgl.  Anab.  V  14, 5;  VI  2, 4.  -  Hanpfc- 
untersuchung  von  Alf.  Sohöhb,  De  reram 
Alexandri  Magni  scriptoribns,  inprimis  Arriani 
et  Plutarchi  fontibus,  Lips.  1870;  FbItikku, 
Die  Quellen  der  Alexanderhistoriker,  BresL 
1883;  LuBDBCKB,  De  fontibus  quibus  nsos 
ArrianuB  Anabasin  conscripseiit,  Leips.  Stad. 
XI  1--86;  ScHWABTz  in  Pauly-Wissow»  n 
1237  ff.  Schöne  stellt  die  paradoxe  Meimutg 
auf,  dass  Arrian  den  Ptolemaios  und  Arisfca- 


B  a)  BOmiaehe  Periode  vor  Konstantin,    d.  Die  Prosa,    d)  Arrian.  (§  487.)    671 


zelnen  Stellen  auch  den  Nearch,  Elitarch,  Megasthenes  und  Hieronymos 
heran;  die  blosse  Legende  {tcc  keyofxera)  scheidet  er,  wenn  er  sie  über- 
haupt anzuführen  der  Mühe  wert  hielt,  von  dem,  was  ihm  durch  jene 
Gewährsmänner  feststand.  Mit  Selbstvertrauen  verweist  er  denjenigen, 
der  sich  wundere,  wie  er  nach  so  bedeutenden  Autoren  eine  neue  Ge- 
schichte Alexanders  zu  schreiben  habe  unternehmen  können,  auf  die  Lek- 
türe des  Werkes  selbst.  Ganz  befriedigt  wird  es  aber  schwerlich  jemand 
aus  der  Hand  legen;  in  der  Zeichnung  Alexanders  ist  der  Verfasser  zu 
nachsichtig  gegen  dessen  tyrannische  Natur  gewesen;  in  dem  Glauben  an 
Vorzeichen  und  Wunder  übertrifft  er  noch  die  Leichtgläubigkeit  Xeno- 
phons.  Im  übrigen  hängt  das  ganze  Unternehmen  des  Arrian  eine  Ge- 
schichte Alexanders  zu  schreiben,  mit  dem  Alexanderkultus  der  Sophisten- 
zeit zusammen,  der  auch  in  dem  Namen  des  Kaisers  Alexander  Severus 
einen  Ausdruck  gefunden  hat.i)  —  Der  Anabasis  schliesst  sich  die 
7t'rfixi;  in  ionischem  Dialekte  an,  deren  Abfassung  Arrian,  schon  zur  Zeit, 
als  er  die  Anabasis  schrieb,  plante.^)  Das  Buch  ist  mehr  geographischen 
als  historischen  Inhaltes;  den  Stoff  dazu  bot  dem  Verfasser  das  Studium 
der  Alexandergeschichte.  Neben  den  dort  benutzten  Autoren  war  ihm  hier 
noch  besonders  Eratosthenes  zur  Hand.  Die  gekünstelte  Form  des  io- 
nischen Dialekts  ist  aus  der  modischen  Sucht  der  Herodotnachahmung  ent- 
standen. Beide  Schriften  hat  Arrian  im  gereiften  Alter  in  den  Jahren 
166  und  168  verfasst,^)  also  später  als  die  nachher  zu  besprechenden 
Bücher  über  Taktik  und  über  die  Beschiffung  des  schwarzen  Meeres. 

Verloren  gegangen  ist  bis  auf  einzelne  Bruchstücke  die  Geschichte 
nach  Alexander  (ra  /i€T'  'Akä^ardQor  in  10  B.);  ein  Auszug  derselben 
steht  bei  Photios  cod.  92.*)  Geschrieben  hatte  ausserdem  Arrian  Lebens- 
beschreibungen des  Timoleon  und  Dion,**)  ein  Geschichte  Bithyniens  (Ä- 
&vi%axd  in  8  B.)  von  den  mythischen  Zeiten  bis  auf  den  letzten  König 
Bithyniens  Nikomedes  III  (gest.  85  v.  Chr.), «)  eine  Darstellung  der  Par- 
therkriege unter  Trajan  {IlaQ&ixa  in  17  B.).')  Aber  alle  diese  Werke  sind 
untergegangen.  Dagegen  von  seiner  Geschichte  der  Alanen  {'AXavixrj  bei 
Photios  cod.  58)  ist  ein  kleiner  Abschnitt,  betitelt  Aufmarsch  der  römischen 


boloe  nicht  selbst,  sondern  nur  Ueberarbei- 
tnngen  derselben  gelesen  habe.  Den  Gegen- 
satz KU  Arrian  in  der  Auswahl  der  Quellen 
bildet  Plutarch  im  Leben  Alexanders. 

1)  ESne  Alexandergeschichte  schrieb  auch 
AmyntianoB  und  eine  Alexandrias  dichteten 
Arrianos  und  Soterichos. 

*)  Anab.  V  5,  1 :   vtibq  'IvSvjy  idiif  /äol 

*)  Ans  Lukian,  gegen  den  Anab.  VII 30, 1 
gerichtet  ist,  nachgewiesen  von  Nissen,  Rh. 
M.  43»  242  ff.,  der  eine  Herausgabe  der  Ana- 
basis in  2  Teilen,  6.  1—3  und  B.  4—7,  wahr- 
Bcfaeiidich  macht. 

^)  Der  Auszug,  der  uns  f&r  die  ver- 
lorenen Werke  der  Diadochengeschichte  Er- 
satz bieten  muss,  umfasst  nur  2  Jahre  und 
briekt  mitten  ia  den  Eriegsvorbereitungen 
des  Antipater  gegen  Eumenes  ab,  woraus  ich 
Bchüesse,    dass  das  Werk  mehr  als  10  B. 


hatte  und  dass  dasselbe  dem  Photios  nicht 
mehr  voUständig  vorlag.  Hanptquelle  des 
Arrian  war  hier  Hieronymos  von  Kardia.  — 
Ausser  dem  Auszug  hat  neuestens  ein  grös- 
seres Fragment  im  cod.  rescr.  Vatic.  gr.  495 
entdeckt  und  publiziert  Reitzenstein,  Arriani 
nßp  /4ST*  'jXe^tydgoy  libri  septimi  fragm.,  in 
Breslauer  Philol.  Abh.  HI  3.  Den  Arrian  selbst 
hat  später  Herennius  Dexippus  verarbeitet. 

^)  Es  waren  dieselben  nach  Phot.  p.  73  b 
vor  den  Bithyniaka  geschrieben.  Nach  Lu- 
kian  Alex.  2  schrieb  er  auch  das  Leben  des 
Räubers  Tilliboros. 

•)  Darüber  Phot.  cod.  93;  die  Bithyniaka 
sind  nach  demselben  Photios  vor  der  Ana- 
basis geschrieben. 

'  I  Notiz  darüber  bei  Phot.  cod.  58 ;  ge- 
schrieben waren  die  Parthika  vor  der  Ana- 
basis;   vgl.  Nissen  Rh.  M.  43,  249  f. 


672  Grieohiseho  littaratiirgeschioliie.    EL  VachUftMisclie  littoratar. 

Truppen  gegen  die  Alanen  {ixta^ig  xat'  UXav£v),  auf  uns  gekommeiL 
Derselbe  ist  trotz  seiner  Kürze  von  grosser  Wichtigkeit  f&r  unsere  Kenntnis 
der  Militarverhältnisse  jener  Zeit,  da  er  von  den  Legionen  und  Truppen- 
teilen, die  damals  in  Asien  ihr  Standquartier  hatten,  genaue  Angaben  entr 
hält.  Wahrscheinlich  hing  das  ganze  Buch  Ulanxtj,  geradeso  wie  der  gleich 
zu  erwähnende  Periplus,  mit  der  praktischen  Thätigkeit  unseres  Autors 
zusammen  und  war  zunächst  dazu  bestimmt,  über  die  zum  Schutze  der 
römischen  Provinz  gegen  die  drohende  Invasion  der  Alanen  ergriffenen 
Massregeln  Bericht  zu  erstatten.  —  Fragmente  der  verloren  gegangenen 
historischen  Werke  des  Arrian  bei  Müller  FHG.  m  586—601. 

Von  geographischen  Werken  des  Arrian  hat  sich  ausser  der  be- 
reits erwähnten  'ivdtxn]  ein  Periplus  des  Pontus  euxinus  erhalten. 
In  demselben  erstattet  der  militärische  Autor  an  den  Kaiser  Hadrian 
Bericht  über  die  Befahrung  der  Küste  des  schwarzen  Meeres,  die  er  als 
kaiserlicher  Legat  im  Jahre  131  vorgenommen  hatte.  —  Mit  diesem 
Periplus  des  schwärzen  Meeres  war  seit  alters^)  wegen  des  verwandten 
Inhaltes  verbunden  ein  Periplus  des  roten  Meeres  (nBQij^lovq  ir*^ 
igv^Qog  ^aläirr^^),  der  die  Fahrt  durch  das  rote  Meer  um  Sudarabien 
herum  nach  Vorderindien  bis  zum  Kap  Komorin  beschreibt  und  anhangs- 
weise auch  noch  über  Ostindien,  den  Ganges  und  die  ferneren  Lander 
Asiens  vom  Hörensagen  berichtet.  Aber  dieser  Periplus  hat  einen  ganz 
anderen,  merkantilen  Charakter,  weshalb  besonders  auf  die  Häfen,  in 
denen  die  Kaufschiffe  anlegen  konnten,  und  die  Pflanzen  und  Waren,  die 
an  den  einzelnen  Orten  zu  kaufen  waren,  Rücksicht  genommen  ist.  Auch 
weicht  die  einförmige,  vulgäre  Sprache  stark  von  dem  eleganten  Atticis- 
mus  des  echten  Arrian  ab.  Geschrieben  ist  derselbe  von  einem  ägyp- 
tischen Kaufinann  zur  Zeit  des  älteren  Pünius,  noch  vor  Herausgabe  von 
dessen  Naturgeschichte  im  Jahre  77.') 

Auch  eine  Taktik  (rc/rr^  Taxr^xQ  des  Arrian  ist  uns  erhalten; 
dieselbe  ist  geschrieben  im  Jahre  136  im  20.  Regierungsjahr  des  Kaisers 
Hadrian  (c.  44)  und  berührt  sich  im  ersten  Teil  infolge  der  gleichen  Be- 
nutzung des  Asklepiodotos  vielfach  mit  der  unter  Trajan  verfassten  Taktik 
eines  gewissen  Aelian.  Das  Büchlein  besteht  nämlich  aus  zwei  locker 
zusammenhängenden  Teilen,  von  denen  der  erste  die  Taktik  der  Griechen 
und  Makedonier,  der  zweite  die  Reiterparaden  nach  der  Reform  des 
Kaisers  Hadrian  zum  Gegenstand  hat  Köchly  hatte  auf  dieses  Verhältnis  die 
Vermutung  gebaut,  dass  infolge  des  Ausfalls  eines  Blattes  ein  späterer 
Schreiber  die  zwei  von  verschiedenen  Verfassern  herrührenden  Traktate 
unter  einem  Namen  zusammengefasst  habe.') 

Endlich  schrieb  unser  Arrian  auch  eine  Schrift  von  der  Jagd  {xv%%- 
/^rixdc),  worin  er  eine  Ergänzung  zu  der  gleichnamigen  Schrift  des  Xeno» 


M  ScLon  der  Heidelberger  Cod.  39S  über-  *)  R.  Föbstkr  Herrn.  12,  426  ff.  gegen 

schreibt  ihn  'Jgo:tt»ov,  Köchlt,    De   librb  tactidB   qni    Arriani  et 

^)   Dieses   ist   erwiesen  von   Diluiask  Aeliani  fenmtnr,  Turid  1851 ;  ebenso  G.  Habt- 

Monatsb.  d.  Berl.  Ak.  1ST9  S.  413  ff.  und  weiter  makk,   Ueber  die  Taktik  des  Anian,  IVogr. 

aosgeführt  von  B.  Fjlbucics  in  der  Knleitong  Bambeig  1895. 
seiner  Ausgabe.  £.  Glasss  Aasland  1S9L  io  f. 


Ba)BOmi8oh6  Periode  vor  Eonstantiii.  8.  Die  Prosa,  d)  Appian.   (§488.)    673 

phon  liefern  wollte.    Die  Schrift  ist  in  Athen  verfasst  (I,  4)  und  gehört 
somit  der  späteren  Periode  der  SchriftsteUerei  des  Arrian  an. 

In  der  Schreibart  folgte  Arrian  der  Richtung  der  Grammatiker  und 
Rhetoren  seiner  Zeit,  welche  die  Rückkehr  von  den  metapherreichen 
Schnörkeln  der  Asianer  und  den  Nachlässigkeiten  der  Vulgärsprache  zur 
Korrektheit  und  Einfachheit  der  alten  klassischen  Muster  predigten. 
Durch  deren  Bemühungen  lebte  allerdings  wieder  die  Schönheit  der 
attischen  Sprache  auf;  aber  die  Reaktion  gegen  die  seit  Polybios  herr- 
schende gemeingriechische  Sprache  (xoivrj)  hatte  auch  ihre  Schattenseiten ; 
sie  war  eine  gekünstelte  und  gewaltsame,  sie  störte  den  natürlichen  Oang 
der  Dinge  und  bewirkte  eine  unnatürliche  Entfremdung  der  Sprache  der 
Gebildeten  von  der  des  Volkes,  an  der  noch  heutzutage  die  Entwicklung 
der  hellenischen  Nation  und  Sprache  leidet.  Arrian  gehörte  mit  Lukian 
und  Cassius  Dion  zu  denjenigen,  welchen  die  künstliche  Wiederbelebung 
der  alten  Sprache  am  besten  gelang ;  aber  auch  ihm  kamen  unwillkürlich 
Fehler  gegen  den  attischen  Gebrauch  der  Modi  und  der  Präpositionen  in 
die  Feder,  welche  erst  die  schärfere  Beobachtung  der  modernen  Sprach- 
forscher aufgedeckt  hat.  In  einer  Einzelheit,  in  dem  Streben  nach  Ver- 
meidung des  Hiatus  liess  sich  Arrian  nicht  von  peinlichen  Schulregeln 
leiten ;  er  bewegte  sich  in  dieser  Beziehung  freier  als  Polybios  und  selbst 
auch  als  Plutarch.  Im  allgemeinen  war  unserem  Arrian  auch  im  Sprach- 
gebrauch Hauptvorbild  Xenophon;  daneben  galten  ihm  Thukydides  und 
Herodot  als  Muster;  den  letzten  ahmte  er  in  der  Indike  auch  im  Dia- 
lekt nach.^) 

Codices  f&r  Anab.  n.  Ind.  Paris.  1753  u.  1683,  fttr  Cjneg.  u.  Peripl.  Palat  398,  für 
Tad  Q.  Alan.  Lanr.  55,  4,  fttr  Epict.  Bodl.  251.  Kritischer  Apparat  in  der  Gesamtausgabe 
▼on  DüBKER  tt.  C.  MÜLLEB,  Par.  1846,  and  von  Hbrchbr,  Arriani  scripta  min.  der  Bibl.  Teubn., 
neabeaorgt  von  Eberhard.  —  Spezialausgabe  der  Anabasis  von  KrOobb,  Berl.  1835—48, 
2  vol.  (ed.  min.  in  osnm  schol.  1851);  erkl&rende  Aasgabe  mit  Karte  von  SiifTENis  bei  Weid- 
mann, von  Abicht  bei  Teubner.  -  -  Epicteteae  phUosophiae  monomenta  ed.  Schwbiohausbr, 
LipB.  1799,  5  vol.;  neabearbeitet  anter  dem  Titel  Epictetas  von  Schenel.  —  Geographica 
in  MOllbb  G6M  I  257—401.  —  Der  Periplus  des  erythrfiischen  Meeres  von  Fabricios, 
Leips.  1888. 

488.  Appian')  aus  Alexandria  kam  unter  Hadrian  nach  Rom,  wo 
er  anfangs  als  Sachwalter  auftrat,  bis  er  durch  Yermittelung  seines 
Freundes  Fronte')  die  ansehnliche  Stellung  eines  Prokurators,  man  weiss 
nicht  ob  in  Ägypten  oder  sonstwo,  erhielt.  Sein  Qeschichtswerk  'Pcofia'ixd 
schrieb  er  in  der  Müsse  des  Alters  um  160  n.  Chr.  Dass  wir  keine  be- 
stimmtere Angabe  machen  können,  daran  ist  er  selbst  schuld,  da  er  in 
seiner  Abneigung  gegen  Zahlen  im  Proömium    seines  Werkes   nur  sagt, 


^)  Rbhz,  Arrianns  qnaienas  imitator  Xeno- 
phontis  Bit,  Rostock  1879;  E.  Mbyrr,  De 
Arriano  Thncydideo,  Rostock  1877;  Grund- 
XAiTN,  Quid  in  elocatione  Arriani  Herodoto 
debeatnr,  Berl.  Stad.  11 177-268;  BGbner,  De 
Arriani  dicendi  genere,  in  Acta  sem.  Erlang. 
IV  1—57.  Vgl.  ScHEHKL  Jahrb.  d.  Alt.  XI  1, 
180  «F. 

*)  Phot.  cod.  57;  Suidas  unt  *^7i;i*ai'oV. 
Appian,  Prooem.  15:  tcV  ^^  for  lavta  awi-- 

Baodbncb  der  ktaM.  AltertnnMiwteenflchaft.  YU.    3.  Aufl.  43 


ygaiff tt,  noXXoi  fjikv  %aaai  xorc  avxog  nQoifpfjvay 
aatfiaxBQov  d^sineiy  'Annittvog  UXe^ayd^evs 
ig  T«  TTQtota  ijxcDy  iy  xg  nttXQi&i^  xal  dixttig 
iy  'Pw|U5  avyayoQBvaas  inl  xaty  ßtt<nXi(oy 
<^J&Qiayov  xttl  'j4yxtoylyov>,  fiexQi  fie  afpdSy 
initQoneveiy  ij^ltoaay. 

')  Fronte  ep.  ad  Antonin.  9 ;  griechischer 
Briefwechsel  des  Appian  and  Fronte  bei 
Fronto  ed.  Naber  p.  244—251. 


674 


GrieohiBohe  Litteratnrgeschiohte.    11.  NaohklaMisohe  Lüterator. 


dass  das  römische  Reich  nunmehr  bei  900,  und  die  Eaiserherrschaft  bei 
200  Jahre  bestehe.  *)  Das  Werk  hatte  24  B.,  scheint  aber  vom  Verfasser 
nicht  zum  beabsichtigten  Abschluss  gebracht  worden  zu  sein,  da  er  an 
drei  Stellen  (Bell.  civ.  II  18.  V  65,  Syr.  51)  eine  UaQ&ixrj  y^^t]  in  Aus- 
sicht stellt,  die  schwerlich  ein  eigenes  Werk  bilden,  sondern  in  dem 
letzten  Teil  der  "^PayfjLaixa  neben  den  Jaxixd  Platz  haben  sollte.  Die  in 
unseren  Handschriften  an  die  Sv^iaxr;  angehängte  Haqd-^xiq  ist,  wie  Xy- 
lander  und  Perizonius  erkannt,  ein  Machwerk  des  byzantinischen  Mittel- 
alters, aus  den  einschlägigen  Partien  des  Plutarch  mühsam  zusammen- 
geschrieben. Die  Anlage  des  Werkes,  über  die  sich  der  Autor  im  Pro5- 
mium  ausführlich  äussert,  ist  einem  selbständigen  und  guten  Gedanken 
entsprungen.  Appian  hatte  eingesehen,  dass  durch  die  annalistische  Me- 
thode seiner  Vorgänger  das  Zusammengehörige  vielfach  zerrissen  werde, 
und  suchte  daher  nach  einer  besseren  Gruppierung  der  Ereignisse;  diese 
fand  er  in  dem  Gedanken  einer  Darstellung,  wie  die  einzelnen  Teile  des 
römischen  Weltreiches  allmählich  zum  Reiche  gekommen  seien.  Seine 
'PcofAaixd  bestanden  daher  ähnlich  wie  die  Historien  des  Ephoros,  den  er 
sich  zum  Vorbild  nahm,  aus  einzelnen  Spezialgeschichten  mit  besonderen 
Titeln.  Sie  umfassten  die  ganze  römische  Geschichte  bis  auf  die  Gegen- 
wart, da  das  1.  B.  die  Königszeit,  die  zwei  letzten  die  ünternehrauiigen 
Traians  gegen  die  Geten  und  Araber  enthielten.  Vollständig  auf  uns  ge- 
kommen sind  von  dem  vielgliedrigen  Werke  nur  die  ^IßrjQixrj  (B.  6  des 
Gesamtwerkes),  'Avvißaixr;  (B.  7),  ^ißvxrj  (B.  8),  Svgiaxi]  (B.  11),  JMi- 
&Qi6aT€iog  (B.  12),  'IUvqixtj  (2.  Teil  von  B.  9),  "Efitfvha  (Bürgerkriege) 
in  5  Büchern  (B.  13 — 17).  Ausserdem  haben  wir  noch  die  Einleitung 
zum  Keltenbuch  (B.  4)  und  umfangreiche  Fragmente  des  Abschnitts  über 
Makedonien  (B.  9).  Alle  Teile  haben  wesentlich  nur  ein  stoffliches  Inter- 
esse; kritische  Genauigkeit  ging  über  den  Horizont  Appians;  selbst  in 
allbekannten  geographischen  Dingen,  wie  über  den  Lauf  des  Ibems 
(Iber.  c.  6),  Hess  er  sich  grosse  Irrtümer  zu  schulden  kommen.  Seine 
Darstellung  erhebt  sich  nirgends  zu  höherem  Schwung,  sein  Stil  bewegt 
sich  in  dem  Alltagston  der  gewöhnlichen  Rede  und  verrät  in  den  Latinis- 
men die  Abhängigkeit  von  den  lateinischen  Quellen.  Gleichwohl  ist 
Appian  als  geschichtliche  Quelle  von  grosser  Bedeutung,  da  er  namentlich 
in  dem  Abschnitt  von  den  Bürgerkriegen  seine  alte  und  gute  Vorlage 
ausführlich  wiedergegeben  und  auch  in  der  älteren  römischen  Geschichte 
eigene  Quellen  neben  Dionysios  und  der  Epitome  des  Livius,  benutzt  hat 
So  sind  durch  ihn  wertvolle  Partien  der  Annalen  des  Yalerius  Antias 
und  der  Bürgerkriege  des  Asinius  PoUio,  freilich  untermischt  mit  roman- 
haften Geschichtsfalschungen,  auf  uns  gekommen.^) 

Ausgabe  von  Schwbiohäuseb,  Lips.  1785,  3  vol.  —  Kritische  Ausgabe  von  Mkhdels- 
80HN,  in  Bibl.  Teubn.,  2  vol.;  der  Text  beruht  hauptsächlich  auf  Vat.  141.  —  Kratt,  DeÄp; 
piani  elocutione,  Baden  1886.  —  Götzelbr,  Quaestiones  in  Appiani  et  Polybii  dicendi 
genus.  Würzb.  1890.  —  Weitere  Litteratur  bei  Schenkl,  Jahrb.  d.  Alt.  XI  1,  170—80. 


*)  Prooem.  c.  7  u.  9. 

*)  Wachsmüth  Einleit.  604f.;  Sohwabtz 
in   Pauly-Wissowa  II  216  flf.,    wo   auf   die 


ebenso  ausgedehnte  wie  wenig  glatte  Resul- 
tate liefernde  Quellenlitteratur  im  einzelneo 
eingegangen  ist. 


Ba)B5mMoh6  Periode  vor  Konstantin.    8.  Die  Prosa,    d)  Dion.    (§489.)     675 


489.  Dion  (um  150  bis  um  235)/)  mit  dem  vollständigen  Namen 
Cassius  Dio  (nicht  Dio  Cassius)  Cocceianus,^)  der  bedeutendste  griechische 
Historiker  der  Eaiserzeit,  stammte  aus  einer  vornehmen  Beamtenfamilie 
von  Nikäa  in  Bithynien.  Grossvater  von  mütterlicher  Seite  war  der  be- 
rühmte Redner  Dion  Chrysostomos ;  sein  Vater  Apronianus  bekleidete  unter 
M.  Aurel  die  Statthalterschaft  von  Dalmatien  und  von  Eilikien.^)  Er  selbst 
kam  180,  zu  Beginn  der  Regierung  des  Kaisers  Commodus,  nach  Rom  und 
stieg  auf  der  Beamtenleiter  bis  zum  Prätor  (193)*)  und  zweimaligen  Kon- 
sul empor.  Unter  Macrinus  im  Jahre  218  erhielt  er  die  Aufgabe,  die  Ver- 
hältnisse von  Pergamon  und  anderer  Teile  der  Provinz  Asia  zu  regeln;^) 
nach  dem  Regierungsantritt  seines  Hauptgönners,  des  Kaisers  Alexander 
Severus,  ward  er  als  Prokonsul  in  die  Provinz  Afrika  und  später  nach  Dal- 
matien und  Oberpannonien  abgeordnet.^)  Nach  seinem  zweiten  Konsulat 
(229),^)  das  er  gemeinsam  mit  dem  Kaiser  verwaltete,  zog  er  sich,  an- 
geblich wegen  Kränklichkeit,®)  von  den  Staatsgeschäften  zurück  und  ver- 
brachte den  Rest  seines  Lebens  in  seiner  Heimat. 

Zur  Geschichtschreibung  entschloss  sich  Dion  schon  in  den  vierziger 
Jahren  seines  Lebens.  Nach  seinen  eigenen  Mitteilungen  (72,  23)  trat 
er  zuerst  mit  einer  Schrift  über  die  Träume  und  Wahrzeichen,  durch 
die  Severus  den  Kaiserthron  erhoffte,^)  hervor  und  Uess  sich  dann, 
als  er  auf  die  Widmung  eine  freundliche  und  aufmunternde  Antwort 
von  Severus  erhalten  hatte,  durch  die  Stimme  seines  Innern,  des  Dai- 
monion  wie  er  sagt,  bestimmen,  die  Geschichte  des  Kaisers  Commodus 
zu  schreiben.  Da  er  mit  dieser  den  ausnehmenden  Beifall  des  Kaisers 
Septimius  Severus  fand,  fasste  er  den  Plan  einer  allgemeinen  römischen 
Oeschichte.  Er  zog  sich  deshalb,  so  oft  es  ihm  seine  amtlichen  Geschäfte 
erlaubten,  in  die  Stille  von  Kapua  zurück,  um  dort  den  Vorbereitungen 
und  der  Ausführung  seines  grossen  Unternehmens  zu  leben. ^o)  10  Jahre 
(201—210)  verwandte  er  auf  die  Sammlung  des  Materials;  in  den  nach- 
folgenden zwölf  Jahren  (211—228)  kam  er  mit  der  Ausarbeitung  bis  zum 
72.  Buche;  den  Rest  muss  er  unter  Alexander  Severus  vollendet  haben. 
Von  den  beiden  anderen  Schriften,  welche  Suidas  ihm  beilegt,  wird  die 
Geschichte  des  Traian  (ra  xard  Tgaiavor)  nur  ein  getrennt  ausgegebener 
Teil  der  römischen  Geschichte  und  die  Biographie  seines  Landsmannes 
Arrian  eine  Jugendarbeit  oder  eine  nebenbei  geschriebene  Gelegenheits- 
schrift gewesen  sein.  —  Die  jPwjwaixiJ  tarogia  hatte  80  Bücher  und  um- 
fasste  die  ganze  römische  Geschichte  von  der  Ankunft  des  Aeneas  bis 
zum  Jahre  229.  Erhalten  sind  uns  von  dem  grossen,  in  Dekaden  und 
Pentaden  zerfallenden  Werk  die  Bücher  36—60,  welche  die   Geschichte 


*)  Phot.  cod.  71;   Suidas  unt.  Jitay;'  die- 
Hauptangaben  enthalten  die  Bttcher  des  Dion 
selbst.   Einzeilitteratar  bei  SchIfeb,  Qaeilen- 
kunde  IP  150  ff.;    Gütschmid   Kl.  Sehr.  V 
547-62. 

*)  Cocceianus  hiess  er  mit  Rücksicht  auf 
seinen  Grossvater  Dion  Chiysostomos,  der 
sich  zu  Ehren  seines  Gönners  Cocceius  Nerva 
jenes  Cognomen  beigelegt  hatte. 

»)  Dio  49,36;  69,1;  72,7. 

*)  Dio  78,  12. 


5)  Dio  79,  7. 

•)  Dio  80,  1  u.  4. 

')  Dio  80,  4  u.  CIL  m  5587;  das  1.  Kon- 
sulatsjahr fiel  in  das  J.  222  oder  228. 

^)  Dio  80,  4:  nodoSy  dqqtoatiff. 

*)  Es  ist  das  wohl  dieselbe,  die  Suidas 
unter  dem  Namen  ivo^ia  aufzählt. 

*®)  Dio  76,  2:  Kanvrjyj  iy  p,  oadxtg  dy 
iy  xft  'ItaXit^  oixai,  diäyiOy  ,  ,  .  IV«  c^^^V^ 
dno  ruiy  daitxdiy  JiQayfidxfoy  dyaty  ravra 
yod^cum. 

48* 


676 


Grieohisohe  LitteratnrgMohiohte.    IL  Naohklaasüiolie  Liiteraiiir. 


von  68  y.  Chr.  bis  47  n.  Chr.  enthalten,  also  gerade  derjenigen  Zeit,  in 
welcher  sich  die  wichtigsten  politischen  Umgestaltungen  vollzogen  und 
über  die  uns  zeitgenössische  Geschichtschreiber  abgehen.  Für  die  folgende 
Zeit  sind  wir  auf  den  Auszug  des  Joannes  Xiphilinos  angewiesen,  der 
im  11.  Jahrhundert  eine  Epitome  der  römischen  Geschichte  des  Dion  vom 
36.  Buche  an  verfasste,^)  in  seiner  Vorlage  aber  bereits  bei  Buch  70  eine 
grosse  Lücke  vorfand,  durch  welche  die  Regierung  des  Antoninus  Pius 
und  die  ersten  Regierungsjahre  des  Marc  Aurel  bis  zum  Jahre  172  aus- 
gefallen sind.  Nur  die  Bücher  78  und  79  sind  uns  noch  in  fortlaufendem 
Texte,  wenn  auch  vorn  und  hinten  verstümmelt,  auf  zwölf  Pergament- 
blättem  des  Cod.  Yatic.  1288  erhalten.  Für  die  ältere  Zeit  bietet  teii- 
weisen  Ersatz  der  byzantinische  Geschichtschreiber  Zonaras  (12.  Jahrb.), 
welcher  in  seiner  imvofxr  taxoqiwv  die  römische  Geschichte  wesentlich 
nach  Dion  erzählt.  Zahlreiche  und,  was  von  besonderem  Werte,  unbe- 
schnittene Reste  enthält  das  konstantinische  Exzerptenwerk.  Endlich 
gehen  die  Epitomatoren  des  Mittelalters  in  ihren  Erzählungen  aus  der 
römischen  Geschichte  zum  grössten  Teil  direkt  oder  indirekt  auf  unseren 
Dion  zurück.*) 

Auch  von  dem  Werke  des  Dion  liegt  der  Hauptwert  in  der  stofflieben 
Seite;  er  liefert  die  reichhaltigste  und  umfangreichste  Darstellung  der 
römischen  Geschichte  und  ist  namentlich  für  die  Eaiserzeit  und  teilweise 
auch  für  die  Zeit  des  Niedergangs  der  römischen  Republik  eine  Quelle 
ersten  Ranges.')  Seine  Geschichte  interessiert  nicht  bloss  den  Historiker, 
sondern  auch  den  Erklärer  Cäsars,  Ciceros,  Horaz' :  aus  ihm  lernt  er  den 
gallischen  Krieg  von  einer  anderen  Seite  kennen,  erfährt  er  die  Gegen- 
rede des  Antonius  auf  die  Philippica  des  Cicero,  wird  er  über  den  ge- 
schichtlichen Hintergrund  der  Verse  des  venusinischen  Dichters  unte^ 
richtet.  Aber  der  Inhalt  ist  es  doch  nicht  allein,  was  uns  das  Studium 
Dions  wertvoll  macht;  der  Verfasser  besitzt  auch  ein  grosses  Talent  an- 
schaulicher Schilderung  und  lebensvoller,  von  militärischer  und  politischer 
Sachkenntnis  zeugenden  Darstellung;^)  an  seinem  Stil  erkennt  man  die 
reife  Frucht  der  attikistischen  Studien  der  Sophistenzeit:  er  ist  kein 
affektierter  Nachahmer,  aber  in  Syntax  und  Wortbildung  ist  er  rar 
Korrektheit  und  Schönheit  der  guten   Zeit  zurückgekehrt;   selbst  ganze 


^)  Zum  Teil  fllgte  Xiphilinos  auch  Eigenes 
aus  anderen  Quellen  zu,  wie  71,  9  in  der  Er- 
zählung von  dem  wunderbaren,  augeblich 
durch  die  christliche  Schaar  des  rtiyfjia  x€- 
gavyoßoÄoy  herabgeflehten  Regen,  durch  den 
im  Quadenkrieg  174  n.  Chr.  das  Heer  des 
Marc  Aurel  gerettet  wurde. 

')  Dieses  gilt  nicht  bloss  von  Xiphilinos 
und  Zonaras.  sondern  auch  von  Leo  gramma- 
ticus,  den  Salmaaischen  Exzerpten  (Crameb, 
An.  Par.  t.  II),  dem  Anonymus  Tiegl  avyzti^etas 
(Bbkkeb,  An.  gl-.  117  fif.),  den  Eklogen  eines 
byzantinischen  Grammatikers  in  Cod.  Paris, 
suppl.  607  (publiziert  von  Treu,  Ohlau  Progr. 
1880),  den  Pianudeischen  Exzeipten  (mitge- 
teilt von  Haupt  Herm.  14,  36  ff.  u.  431  ff.). 
Vgl,  SoTiKiADKS,  Zur  Kritik  des  loannes  von 


Antiochia,  Jahrb.  f.  Phü.  Suppl.  XVL 

')  In  den  Bürgerkriegen  haben  wir  an 
Appian  eine  bessere  Quelle,  wie  insbesondere 
SA^LBER,  Dio  CassiuB  Ober  die  letzten  Efimpfe 
gegen  Sextus  Pompeius  ( Abb.  zu  Ehren  Chiuts 
1891  S.  211  ff.)  durch  Vergleichung  von  Dio 
40, 1-10  und  Appian  bell.  dv.  V  104-122 
nachweist. 

*)  So  ist  f&r  die  kaiserl.  Staatsordmui 
einzig  wichtig  die  Programmrede,  welche 
Dion  42,  14—40  dem  Mäcen  in  den  MoiMi 
legt,  die  sich  aber  auch  auf  InstitntioDeD 
späterer  Zeit  bezieht  und  daher  nicht  eine 
wirkliche  Rede  des  Mäcen  wiedergibt,  wo- 
rüber P.  Meysr,  De  Maecenatis  onUtooe  • 
Dione  ficta,  1891. 


Ba)  ROmiBohe  Periode  vor  Konstantin.    8.  Die  Prosa,    d)  Herodian.    (§  490.)     677 


Sätze  hat  er  aus  seinen  attischen  Vorbildern  in  seine  Darstellung 
herübergenommen.i)  Den  Thukydides,  der  ihm  hauptsächliches  Vorbild 
war,*)  hat  er  zwar  nicht  erreicht,  aber  er  ist  ihm  doch  in  der  Gedrängt- 
heit der  Darstellung,  in  der  Sachlichkeit  der  Berichte,  in  dem  Gedanken- 
reichtum der  Reden  und  Staatsdokumente  nahe  gekommen.  Auf  der  andern 
Seite  erkennt  man  den  Verfall  der  alten  Kunst  und  ürteilsgradheit  auch 
bei  Dion  an  der  abergläubischen  Beobachtung  von  Wundern  und  Wahr- 
sagungen, an  der  sittlichen  Laxheit,  mit  welcher  er  die  despotischen  Will- 
kürakte der  Kaiser  ohne  ein  Wort  des  Tadels  hinnimmt,  endlich  an  dem 
Mangel  psychologischen  Verständnisses  in  der  Schilderung  der  handelnden 
Personen.  Von  dem  Freimut  und  der  aufflammenden  Entrüstung  des 
Tacitus  ist  vollends  bei  Dion  keine  Spur;  selbst  dem  Byzantiner  Xiphilinos 
war  manchmal  bei  seinem  Autor  die  unterwürfige  Verleugnung  des  Mannes- 
mutes zu  arg. 

Cod.  MediceoB  70,  8;  MarciannB  395.  Nähered  Boisseyain,  De  codicibuB  Dionis,  Mnem. 
XIII  811—45  und  AnBgabe. 

Hauptausgaben  von  Rbiiiabub,  Hamburg  1750—2,  2  vol.  foL;  yon  Ihm.  Bbkkbb,  Lips. 
1849,  2  vol.;  com  not.  var.  von  Dindokf,  Lips.  1863 — 5,  4  vol.  Neue  Ausgabe  mit  kritischem 
Apparat  von  Mblber  in  Bibl.  Tenbn.;  von  Boissbvain,  Berlin  seit  1895. 

49U.  Herodian')  aus  Syrien,  verschieden  von  dem  Grammatiker 
Herodian,  gehört  dem  3.  Jahrhundert  an  und  hat  sich  wie  Arrian  und  Dion 
in  praktischer  Amtsthätigkeit  Kenntnis  der  von  ihm  erzählten  Zeitgeschichte 
erworben;  aber  eine  hervorragende  Stellung  im  Staate  nahm  er  nicht  ein; 
er  spricht  nur  von  kaiserlichen  und  öflfentlichen  Diensten  {vnrjQeaCai  ßaai- 
Xixai  xai  irjfjiociat  I  2,  5),  die  er  bekleidet  habe;  ihn  mit  dem  Ti.  Claudius 
Herodianus  legatus  provinciae  Sicäiae  (Inscr.  lat.  5604  bei  Orelli-Henzen) 
zu  identifizieren,  sind  wir  nicht  berechtigt.  Sein  Geschichtswerk  TV;g  fiaTcc 
Mdgxov  ßaaileiag  tanoQiat  in  8  B.  umfasst  die  59  Jahre  von  dem  Tode 
Marc.  Aureis  bis  zum  Regierungsantritt  Gordian's  lU  (180—238)*)  und 
erzählt  in  redseliger  Breite  und  unter  ständigen  Reflexionen  jene  traurige 
Zeit  der  Palastrevolutionen  und  Militärdiktaturen.  Ganz  in  der  Betrach- 
tung des  äusseren  Ganges  der  Eaisergeschichte  aufgehend,  hat  er  kein 
Auge  für  die  innere  Entwicklung  und  die  sozialen  Bewegungen,  so  dass 
wir  z.  B.  von  dem  Umsichgreifen  des  Christentums  und  von  der  Ausdeh- 
nung des  römischen  Bürgerrechtes  unter  Caracalla  durch  ihn  nichts  er- 
fahren. Er  legt^  wohl  durchweg  die  Gesinnung  eines  ehrenvollen  Mannes, 
der  die  Tugend  achtet  und  die  Treulosigkeit  verabscheut,  an  den  Tag,  aber 
es  mangelt  ihm  ganz  und  gar  der  tiefere  Blick,  der  mitten  in  der  Fäulnis 
der  herrschenden  Klassen  die  Anzeichen  einer  nahenden  besseren  Zeit 
erkennt.  Überdies  verabsäumt  er  in  seiner  Vorliebe  für  glatte  Erzählung 
und  rhetorische  Ausschmückung   die  Genauigkeit  in  der  Ermittelung  der 


*)  Dass  dieses  Streben  der  Nachahmung 
natörUch  die  historische  Treue  bedeutend 
schmälerte,  wird  klargelegt  von  Mblber  in 
dem  oben  citierten  Aufsatz ;  femer  in  Comment. 
Woelfflin.  290  ff.,  üeber  die  Seeschlacht  gegen 
die  Yeneter;  im  Progr.  des  Max-Gymn.  Mfln- 
eben  1891,  üeber  die  Darstellung  des  galli- 
schen Kriegs  Gäsars. 

')  Lisch,  De  Cassio  Dione  Thucydidis 


imitatore,  1898. 

')  Phoi  cod.  93;  Eritutzbr,  De  Herodiano 
remm  Bom.  scriptore,  Bonn.  Diss.  1881. 

^)  Nach  II  15,  7  hatte  er  beabsichtigt  die 
Geschichte  von  70  Jahren  zu  schreiben,  so 
dass,  wenn  kein  Irrtum  in  den  Zahlen  vor- 
liegt (in  der  Einleitung  11,5  spricht  er  nur 
von  60  Jahren),  sein  uns  erhaltenes  Werk  un- 
Yollstftndig  ist. 


678 


Qrieohische  Lttteratargesohiolita.    II.  Naohklacwisohe  Litteratiir. 


Thatsachen,  so  dass  er  überall,  wo  wir  ihn  durch  die  genaue  und  inhalt- 
reiche  Darstellung  des  Dio  oder  Lampridius  kontrollieren  können,  den 
kürzeren  zieht.  Nur  in  den  beiden  letzten  Büchern  zeigt  er  mehr  Sinn 
für  historische  Kritik  und  ist  so  namentlich  für  die  richtige  Beurteilung 
des  von  den  Römern  verachteten  Kaisers  Maximin  eine  unentbehrliche 
Quelle.^)  In  der  nachfolgenden  Zeit  hat  seine  Geschichte  viele  Leser  und 
Nachahmer  gefunden:  die  Scriptores  historiae  Augustae  haben  sie  benutzt 
und  citiert,  Joannes  Antiochenus  hat  ganze  Abschnitte  aus  ihr  ausgezogen. 
Herodian  ist  zuerst  durch  die  lateinische  Uehersetzung  des  Politianus  (1493)  be- 
kannt geworden.  —  Erste  kritische  Ausgabe  von  Bekkeb  1826;  Hauptansgabe  mit  kritischem 
Apparat  von  Mendelssohn,  Lips.  1883.  —  Ausgabe  mit  weitläufigem  Kommentar  von 
Ibmisch,  Lips.  1789,  5  vol.  —  Unbedeutend  und  des  grossen  Namens  unwürdig  ist  die  Aus- 
gabe von  F.  A.  Wolf,  Balis  1792.  —  Sibvebs,  üeber  das  Geschichtswerk  des  Herodian, 
Philol.  36,  630  ff.;  eine  scharfe  Kritik  seiner  Barstellung  des  Gommodus  und  Alexander 
Sevems  und  Maximinus  geben  Zübchee  und  DIndlikbb  in  Büdingers  Untersuchungen  zur 
römischen  Kaisergeschichte  11  223-  263  u.  III  205—315. 

m 

e)  Chronographen  und  historische  Sammler  des  2.  und  8.  Jahrhunderts« 

491.  Was  sonst  unsere  Periode  an  Historikern  hervorgebracht  hat, 
gehört  zum  grössten  Teil  der  Klasse  der  Chronographen,  Lokalhistoriker 
und  Anekdotensammler  an.  Von  den  Chronographen  oder  Verfassern  sum- 
marischer Abrisse  der  Geschichte  ist  uns  nichts  vollständig  erhalten,  wes- 
halb ich  mich  auf  eine  kurze  Aufzählung  der  Namen  und  Bücher  be- 
schränken kann. 

Phlegon  aus  Tralles,^)  Freigelassener  des  Kaisers  Hadrian,')  schrieb 
ein  chronologisches  Kompendium  der  Oeschichte  von  der  1.  bis  zur  229. 
Olympiade  in  16  B.  Die  Olympiaden  waren  nicht  bloss  der  Erzählung 
als  chronologischer  Leitfaden  zugrund  gelegt,  es  waren  auch  in  der  Aus- 
führung die  olympischen  Spieler  und  die  Sieger  in  den  einzelnen  Agonen 
ausführlich  behandelt.  Von  dem  vielgelesenen  Werke  sind  uns  mehrere 
Kapitel  durch  Photios  und  Synkellos  erhalten.  Vollständig  sind  seine 
kleineren  Schriften  ttsqI  &avfiaai(ov^)  und  ncQi  fiaxQoßiiov^)  auf  uns  ge- 
kommen.«) Auch  eine  periegetische  Schrift  verfasste  er  negl  vwv  na^d 
^Pcofxaioig  Tonwv  xai  (ov  inixäxXrjvrai  6vofiät(ov.  Fragmente  bei  Müller 
FHG  III  602—624. 

Kephalion,  Rhetor  und  Historiker  unter  Hadrian,  ahmte  den  Herodot 
nach  und  schrieb  in  ionischem  Dialekt  navvo6anaX  iüTOQiai  bis  auf  Ale- 
xander in  neun  nach  den  Musen  benannten  Büchern.  Für  den  fabulierenden 
Charakter  des  Buches  zeugt  ein  Schreiben  des  Königs  Priamus  an  den 
assyrischen  König  Teutamus;  gleichwohl  fand  dasselbe  bei  den  Späteren, 
wie  dem  Rhetor  Sopater  und  dem  Kirchenvater  Eusebius,  gläubige  Leser. 
Fragmente  bei  Müller  FHG  HI  626—631. 


^)  DIndukeb,  Die  drei  letzten  Bücher 
Herodiana  in  Büdingers  Untersachnngen  znr 
römischen  Kaisergeschichte  III  281. 

*)  Wacusmuth  Einleit.  104-7. 

')  Nach  Suidas  gaben  ihn  andere  irrtüm- 
lich für  einen  Freigelassenen  des  Augustus  aus. 

^)  Dieselben  sind  aufgenommen  inWESTEB- 
jcAiTNB  Paradozogr.  gr. p.  197  ff.;  aus  dem  I.Ka- 
pitel  entnahm   Goethe  den  Stoff  zu  seiner 


Braut  von  Korinth. 

'^)  Dieselbe  ist  eine  dürre  AuficShlung  der 
Leute,  welche  über  100  Jahre  alt  geworden 
waren,  nach  den  Censuslisten ;  tLbexdieVer- 
wandtischaft  des  Büchleins  mit  dem  gleich- 
betitelten des  Ps.  Lukian  s.  §  541. 

^)  Suidas  führt  von  Phlegon  noch  an: 

io^xwiy. 


Ba)  SönÜBohe  Periode  vor  EonBtaiitiii.  3.  Die  Prosa,  e)  Chronographen.  (§  491.)    679 

Amyntianos  war  Verfasser  einer  an  Antoninus  Pius  gerichteten 
Geschichte  Alexanders  d.  Gr.,  über  die  Photios  Cod.  131  in  abfalliger 
Weise  berichtet.  Ein  Bruchstück  derselben  glaubt  Papadopulos-Kerameus 
in  dem  Fragment  einer  Handschrift  von  Saba  Über  die  Thaten  Ale- 
xanders d.  Gr.  von  der  Schlacht  am  Granikus  bis  zu  der  von  Arbela  (ab- 
gedruckt von  Reinach,  Revue  des  ^tudes  grecques  V  (1892)  306—26) 
entdeckt  zu  haben.  ^)  —  Amyntianos  hatte  nach  Photios  auch  Bio%  naqdl' 
Xr]Xoi,  wie  des  Dionysios  und  Domitian,  des  Philippos  und  Augustus,  ge- 
schrieben. In  den  Schollen  zu  Pindar  Ol.  3,  52  wird  von  ihm  auch  eine 
Schrift  über  Elephanten  angeführt. 

Charax,  Priester  und  Philosoph  aus  Pergamon,  über  dessen  Zeit 
schon  Suidas  nichts  Bestimmtes  wusste,  wird  von  Müller  FHG  III  636  mit 
dem  Charax  bei  M.  Aurel  VIII  25  identifiziert.  Derselbe  war  Verfasser 
von  ^Ellrjnxä,  welche  besonders  eingehend  die  mythische  Zeit  behandelten 
und  häufig  von  Stephanos  Byz.  sowie  von  den  Byzantinern  Lydos  und 
Eustathios  angeführt  werden.    Fragmente  bei  Müller  FHG  III  636—645. 

Dexippos  (um  210 — 273),  mit  vollem  Namen  11.  ^Egävnog  Jä^mnog 
UroXsfAahv  Egfieiog,^)  war  eine  der  glänzendsten  Gestalten  des  nieder- 
gehenden Griechentums.  Durch  historische  und  rhetorische  Studien  viel- 
seitig in  Anspruch  genommen,  verabsäumte  er  doch  nicht  die  Pflichten 
des  Bürgers.  Er  bekleidete  die  Ämter  eines  ccqx(ov  ßaaiXevg  und  of^/cöv 
endvvfiog  in  seiner  Vaterstadt  Athen,  und  als  dieselbe  im  Jahre  267  von 
den  Goten  schwer  bedrängt  wurde,  wusste  er  durch  beredte  Worte  seine 
Mitbürger  zur  tapferen  Gegenwehr  zu  entflammen.  Schon  zuvor  hatten 
ilrni  die  Bürger  zum  Lohn  für  seine  Verdienste  um  die  Stadt  die  höchsten 
Ehren  erwiesen  und  ihm  ein  Standbild  gesetzt,  dessen  Basis  mit  der  In- 
schrift noch  erhalten  ist.  Seine  historischen  Werke  waren:  Td  fierd 
'AXe'^avdqov  in  4  B.,')  2xv&Md  (von  den  Gotenkriegen  im  3.  Jahrhundert), 
Xgovixd  in  12  B.  bis  auf  Kaiser  Claudius  11  (270).  Die  gedrängte  Dar- 
stellung verschaffte  seinen  Werken  grosse  Verbreitung  bei  den  Zeitgenossen 
und  Nachkommen.  Von  den  Ghronika  schrieb  im  4.  Jahrhundert  Eunapios 
eine  Fortsetzung,  in  der  er  eingangs  eine  Charakteristik  seines  Vorgängers 
gibt.  —  Verschieden  von  dem  Historiker  war  der  Philosoph  Dexippos,  der 
nach  seinen  eigenen  Worten  in  der  Einleitung  seines  Kommentars  zu  den 
Kategorien  des  Aristoteles  nach  dem  Neuplatoniker  lamblichos  im  4.  Jahr- 
hundert lebte. 

Fragmente  bei  Müllbb  FHG  III  666—687;  Dindorp  HGM  I  165—200;  Böhme,  Dexippi 
fragm.,  in  Gomment.  phil.  len.  II  1-  88.  —  Die  ed.  princ.  des  aristotelischen  Kommentars 
besorgte  L.  Spenoel,  München  1859;  eine  neue  Bearbeitung  Busse  in  Gomment.  in  Arist. 
t.  IV  2,  Beri.  1889. 


^)  Dagegen  erklären  sich  Wachsmuth 
finleit  576  und  Rühl  Jahrb.  f.  PhU.  1895 
S.  557  flf. 

')  Ausser  dem  Artikel  des  Suidas  be- 
lehren uns  Photios  cod.  82  und  mehrere  In- 
schriften, namentlich  die  grosse  in  Prosa  und 
Vers  abgefasste  Aufschrift  seiner  Ehrensftule 
CIG  380  =  CIA  ni  716  -  Kaibel,  ep.  gr. 


I  n.  878  und  die  kleineren  Inschriften  CIA  in 
714,  717,  70*^;  s.  Dittenbkrger,  Die  attische 
Panathenaidenftra ,  in  Comment.  in  hon. 
Momms.  245-53,  und  Busse  Herrn.  23  (1888) 
S.  402-9. 

*)  Das  Buch  war  wohl  ein  Auszug  aus 
dem  gleidibetitelten  Werke  des  Aman;  be- 
nutzt wurde  es  von  Capitolinus  und  Zosimos. 


680 


Grieohisohe  LiiteratlirgMohiohte.    IL  HaohklMsisohe  LitUratnr* 


492.  Die  Lokal-  und  Spezialgeschichte,  die  bei  den  Gelehrten 
des  alexandrinischen  Zeitalters  in  besonderer  Blüte  gestanden  war,  fand 
auch  in  unserer  Zeit  noch  in  den  Kreisen  der  Grammatiker  und  Gelehrten 
manche  Liebhaber.  Verfasser  von  Spezialgeschichten  über  Italien,  Make- 
donien, Böotien,  Arkadien,  Galatien,  Afrika,  zählt  in  Unmasse  Ps.  Plutarch 
in  dem  Buche  nsQi  naQaXXrjhav  elXrp^ixav  xal  ^oo/iai'xcov  auf.  Da  aber  die 
Treue  und  Verlässigkeit  jenes  Schreibers  sehr  zweifelhaft  ist,  so  übergehe 
ich  die  Namen  und  Buchtitel  jener  Schrift  und  führe  nur  einige  Lokal- 
schriftsteller an,  von  denen  wir  sichere  Kunde  haben: 

Hippostratos  6  xd  negi  Sixeh'ag  y^vealoytav  behandelte  in  seinen 
SikeUka^)  die  ältere  Geschichte  Sikiliens  und  die  in  Sikilien  zu  Ansehen 
und  Herrschaft  gelangten  Geschlechter.  Er  war  eine  Hauptquelle  der 
Pindarscholiasten  *)  und  gehörte  vieUeicht  noch  der  vorausgehenden  Pe- 
riode an,  wenn  anders  die  betreffenden  Scholien  (zu  0.  2,  8  u.  16;  P.  6,  4; 
N.  2,  1)  auf  Didymos  zurückgehen.  Jedenfalls  lebte  er  vor  Hadrian,  da 
Phlegon,  Mirab.  30  eine  Schrift  über  Minos  von  ihm  citiert.  Fragmente 
bei  Müller  FHG  m  432— 3.  —  Ein  verwandtes  Werk  des  Polemon,  Über 
die  wunderbaren  Flüsse  Sikiliens,  wird  von  Macrobius,  Saturn.  V  19  an- 
geführt.*) 

Memnon  aus  Heraklea,  der  sicher  nach  Cäsar,  vermutlich  in  der 
hadrianischen  Zeit  lebte,  war  Verfasser  der  gerühmten  Spezialgeschichte 
des  pontischen  Heraklea  in  mehr  als  16  B.  Wir  kennen  das  Werk  aus 
dem  Auszug,  welchen  Photios  cod.  224  von  den  Büchern  9—16  (von  363 — 46 
V.  Chr.)  gemacht  hat.*) 

Hermogenes,  über  dessen  Lebenszeit  keine  bestimmte  Anzeichen 
vorliegen,  schrieb  eine  Geschichte  Phrygiens,  die  besonders  die  mythische 
Vorgeschichte  Phrygiens  berücksichtigte.  Fragmente  bei  Müller  FHG  HI 
523  f. 

Theagenes,  der  Makedonier  verfasste  Maxsiovixä^  die  der  Geograph 
Stephanos  Byz.  eifrig  benutzte,  und  ein  Buch  ncQi  Myivrjg,  das  wir  in  den 
Pindarscholien  zu  Nem.  HI  21  citiert  finden.  Auszüge  aus  seinen  Maxe- 
dovixd  naTQia  nahm  nach  Photios  bibl.  104  b  18  der  Sophist  Sopater  in 
sein  Sammelwerk  auf.     Fragmente  bei  Müller  FHG  IV  509—511. 

493.  Von  historischen  Sammelschriften  ist  uns  das  Buch  des 
Polyän  {UoXvanog)  über  Kriegslisten  erhalten.  Derselbe  war  gebürtig 
aus  Makedonien  und  blühte  in  Rom  unter  M.  Aurelius  und  L.  Vems.  Diesen 
Kaisern  widmete  er  auch  die  bis  auf  eine  Lücke  im  sechsten  und  am  Ende 
des  siebenten  Buches  erhaltenen  SrgaTrjyi^fiaTa  in  acht  Büchern.  Die 
von  Suidas  erwähnten  Schriften  desselben  Autors  über  Theben  und  über 
Taktik  sind  spurlos  verloren  gegangen.  In  dem  erhaltenen  Werk  gibt  der 
Verfasser  mit  der  Feder  mehr  eines  witzigen  Rhetors  **)  als  eines  kritischen 
Historikers  oder  erfahrenen  Kriegsmannes  eine  Zusammenstellung  von 
900  Kriegslisten.     Mit  Vorliebe  verweilt  er  bei  Beispielen  der  griechischen 


»)  Em  7.  Buch  angefahrt  in  Schol.  Find. 
0.  2,  8. 

*)  Ueberdies  Schol.  Theoer.  6,  40:  tag  ol 
nB^l  'InnoctQaroy  dvatpalvovc^v, 

»)  Ueber  den  gleichfalls  von  Macrobius 


angeführten  Kallias  s.  §  887. 

*)  Vgl.  MüLLKB  FHG  m  525. 

')  Im  Prooeminm  des  8.  Backes  sagt  er 
selber  von  sich:  nqiHugiüu  ßiov  xai  Xoymt 


Ba)BO]iiisehe  Periode  vor  Konstantin.  8.  Die  Prosa.  f)Strabon.  (§§  492—494.)     681 


Greschichte;  des  Lateins  weniger  kundig,*)  hat  er  mit  Schilderungen  römi- 
scher Kriegslisten  nur  einen  Teil  des  achten  Buches  gefüllt.  Die  Ge- 
schichte der  letzten  zwei  Jahrhunderte  seit  Augustus  ging  bei  ihm  fast 
ganz  leer  aus,  wahrscheinlich  weil  hier  dem  rasch  arbeitenden  Jünger  der 
Sophistenschule  keine  leicht  zugänglichen  Vorlagen  zu  Gebote  standen. 
Der  Anordnung  des  reichen  Stoffes  liegt  kein  klarer,  konsequent  festge- 
haltener Plan  zu  grund,  doch  lassen  sich  immerhin  für  einzelne  Bücher 
leitende  Gesichtspunkte  erkennen.  So  hat  er  das  vierte  Buch  ganz  den 
Kriegskünsten  der  Makedonier,  seiner  Landsleute,  gewidmet;  in  dem 
siebenten  stehen  die  Strategemata  der  Barbaren,  in  dem  ersten  Teil  des 
achten  (VUI 1 — 25)  die  der  Römer,  im  zweiten  die  der  Frauen,  im  sechsten 
sind  die  Kriegslisten  ganzer  Volksstämme  und  Städte  zusammengestellt. 
Grosse  Mühe  hat  dem  Verfasser  die  Arbeit  sicher  nicht  gekostet;  er 
scheint  das  Material  wesentlich  nur  aus  älteren  Sammlungen  und  aus  den 
gangbarsten  Universalgeschichten  von  Ephoros  und  Nikolaos  zusammen- 
gebracht zu  haben ;  wie  weit  er  darüber  hinaus  auch  die  grossen  Spezial- 
werke  der  griechischen  und  sikilischen  Geschichte  einsah,  ist  strittig.  Von 
seiner  Gedankenlosigkeit  zeugen  die  zahlreichen  Dubletten,  indem  er  oft 
eine  Kriegslist,  weil  er  sie  in  verschiedenen  Quellen  verschieden  dargestellt 
fand,  für  zwei  ausgab ;  bedenklich  sind  auch  seine  Verwechselungen  gleich- 
namiger, aber  verschiedener  Männer,  wie  des  makedonischen  Königs  Per- 
dikkas  und  des  gleichnamigen  Kampfgenossen  Alexanders  (IV  10).  So 
enthält  das  Werk,  wie  Niebuhr,  Kl.  Sehr.  I  454  treffend  bemerkte,  einen 
Schatz  wichtiger  Nachrichten,  der  zur  Verwertung  aber  strenger  Sichtung 
bedarf. 

Hauptcodex  ist  der  Laurent  56,  1,  der  bekannte  Taktikercodex;  ausserdem  eine 
brauchbare  Epitome  in  Laur.  55,  4.  —  Ausgabe  mit  Noten  von  Gasaübonus,  LB.  1589. 
Textesausgabe  in  Bibl.  Teubn.  von  Wölfflin,  neubearbeitet  von  Mblbeb.  —  Sorgfältige 
Quellenunt^rsuchung  von  Melber,  üeber  Quellen  und  Wert  der  Strategemensammlung 
Polyfina,  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  XIV  417—688;  von  Knott,  De  fide  et  fontibus  Polyaeni,  Lips. 
1883,  welch  letzterer  den  Kreis  der  selbstgelesenen  Quellenwerke  des  Polyftn  aiif  ein  Mini- 
mum reduziert. 

f)  Die  Geographen« 
494.  Die  Geographie  ist  wie  keine  andere  Wissenschaft  an  die  Hilfs- 
mittel grosser  Reiche  gebunden.  So  lange  die  Griechen  auf  die  engen 
Grenzen  ihrer  Heimat  angewiesen  waren,  konnte  sich  bei  ihnen  eine  Erd- 
kunde im  grossen  Stil  nicht  entwickeln.  Dazu  bot  erst  das  Weltreich 
Alexanders  d.  Gr.  die  nötigen  Voraussetzungen  und  die  Freigebigkeit  der 
Könige  des  Ptolemäerreiches  die  wünschenswerte  Unterstützung.  Noch 
mehr  aber  kam  in  unserer  Periode  die  Grösse  des  römischen  Reiches,  das 
fast  den  ganzen  damals  bekannten  Erdkreis  umfasste,  und  die  wohlorgani- 
sierte Verwaltung  desselben  der  Entwicklung  der  Erdkunde  zugut.  Zu- 
nächst wurde  durch  römische  Waffen  der  Zugang  zu  neuen  Ländern  er- 
schlossen, so  dass  z.  B.  durch  die  Feldzüge  Cäsars  viel  genauere  Vorstel- 
lungen über  den  Nordwesten  Europas,  insonderheit  Galliens  und  Britanniens 


^)  Den  lateinischen  Verfasser  von  Kriegs- 
listen, den  Frontin,  hat  er  nicht  benatzt, 
stimmt  aber  mit  demselben  vielfach  ttberein; 


anch    Cäsars    Kommentare    des    gallischen 
Krieges  sah  er  zu  8,  23  nicht  ein. 


682 


Grieohisohe  Idtteratargesohiohte.    IL  HaohUaMiaohe  Littorainr. 


verbreitet  wurden  als  die  alexandrinischen  Gelehrten  aus  den  Reiseberichten 
des  Pytheas  gewinnen  konnten.  Sodann  sorgte  die  Reichsverwaltung,  wenn 
auch  zunächst  nur  in  militärischer  Absicht,  für  Anlage  eines  grossartigen 
Strassennetzes  und  sorgfaltige  Aufoahme  der  Seewege,  teilweise  auch  schon 
für  genaue  Vermessung  einzelner  Länder  und  Provinzen.  Von  besonderer 
Wichtigkeit  war  die  Herstellung  einer  grossen  Reichskarte  in  der  Säulen- 
halle der  Paula  am  Marsfeld,  die  Agrippa  geplant  und  nach  dessen  Tode 
(12  V.  Chr.)  der  Kaiser  Augustus  zu  Ende  geführt  hatte,  i)  Jedermann  in 
Rom  konnte  jetzt  bequem  beim  Spazierengehen  das  Bild  des  Erdkreises 
und  der  Reichsgrenzen  sich  einprägen.  Aber  wenn  auch  die  Reichskarte 
durch  Römer  und  für  Römer  geschaffen  war,  so  steUte  doch  Oriechenland 
die  geistigen  Kräfte  für  alle  diese  Unternehmungen  der  Erderforschung 
und  Erdvermessung.  Auch  in  der  geographischen  Litteratur  behaupteten 
die  Griechen  den  unbestrittenen  Vorrang.  Waren  ihre  Leistungen  in  der 
römischen  Kaiserzeit  auch  nicht  grösser  als  in  der  vorausgehenden  Periode, 
so  haben  sie  doch  jedenfalls  für  uns  die  grössere  Bedeutung  dadurch,  dass 
sie  uns  auch  erhalten  sind.  Es  bestehen  aber  die  geographischen  Denk- 
male unserer  Periode  teils  in  allgemeinen  Büchern  über  Erdkunde,  teils 
in  Reisebeschreibungen  zu  Land  und  See,  sogenannten  Periegesen  und 
Periplen ;  sie  wollen  wir  der  Reihe  nach  durchgehen,  und  zwar  in  der  Art, 
dass  wir  auch  hier  die  übrige  litterarische  Thätigkeit  der  einzelnen  Autoren 
zugleich  mitbesprechen. 

495.  Strabon  (um  64  v.  Chr.  bis  19  n.  Chr.)»)  hat  wie  sein  Vor- 
gänger Agatharchides  geographische  Studien  mit  historischen  verbunden 
und  ist  auf  beiden  Gebieten  schriftstellerisch  hervorgetreten;  die  Geographie 
selbst  bezeichnet  er  im  Eingang  seines  geographischen  Werkes  nur  als 
einen  Teil  der  Philosophie;')  womit  es  in  Einklang  steht,  dass  er  von 
Suidas  und  Stephanos  Byz.  unter  'Afidasia  als  stoischer  Philosoph  aufgeführt 
wird.  Geboren  war  er  zu  Amaseia,  einer  Stadt  der  Provinz  Pontes,  aus 
einer  vornehmen  griechischen  Familie.  Als  Jüngling  hörte  er  in  Nysa 
am  Mäander  den  Grammatiker  Aristodemos,  Sohn  des  Aristarcheers  Mene- 
krates;*)  mit  dem  Peripatetiker  Xenarchos*^)  und  dem  Grammatiker  Ty- 
rannion, die  er  ebenfalls  gehört  hatte,  ^)  scheint  er  erst  in  Rom  zusammen- 


*)  Zu  der  in  dem  Porticus  der  Panla,  der 
Schwester  des  Agrippa,  aufgemalten  Welt- 
karte gehörten  Erläuterungen  in  Worten.  Das 
waren  die  commentarii  Agrippae,  die  Plinius 
n.  h.  3,  17  nennt,  und  auf  die  sich  auch 
Strabon  wiederholt  p.  224.  225.  261.  266.  277. 
285  zu  beziehen  scheint.  Ueber  die  um- 
strittene Frage  der  Existenz  und  Ausdehnung 
eines  solchen  Kommentars  oder  einer  zur 
Karte  gehörigen  /wpo^'^cttjp««  s.  Müllenhoff, 
Weltkarte  und  Chorographie  des  Kaisers 
Augustus,  Kiel  1856,  u.  Herm.  9  (1875)  182— 
195;  Schweder,  üeber  die  Weltkarte  und 
Chorographie  des  Kaisers  Augustus.  Piniol. 
54,  319  «.  u.  56,  130  ff. 

2)  Ein  Artikel  des  Suidas;  Hasbnmüllbr, 
De  Strabonis  vita,  Bonn  1863;  Nibse,  Beitr. 
zur  Geographie  Strabos,   Herrn.  13,  33  ff.  u. 


Rh.  M.  38,  567  flf.,  42,  559  ff.;  Ettobb  Pais, 
Intomo  al  tempo  ed  al  luogo  in«cui  Strabone 
compose  la  geografia,  Memorie  deU'  acad.  di 
Turino  t.  XL  (1890).  Auf  68  v.  Chr.  seist  das 
Geburtsjahr  P.  Meyer,  Leipz.  Stad.  II  47  ff.; 
ÜNGER  Philol.  55,  248  auf  67/66  ▼.  Chr. 

»)  VgL  Strab.  p.  15,  cf.  p.  41.  164.  784. 

*)  Strab.  n.  650:  'jl^iarodijfiov  «ftijxop- 
aafABv  TffAsTg  saxttToyiJQov  vioi  nartehig  ir 

^)  Wenn  Strabon  trotzdem  Stoiker  hdaat, 
so  muss  dieses  daher  kommen,  dass  er  sich 
in  seinen  Anschauungen  am  meisten  dem 
Stoiker  Poseidonios  anschloss,  auf  den  er  ja 
auch  beständig  in  seiner  Geographie  lar&dL- 
kommt. 

«)  Strab.  p.  548  u.  670,  wo  er  beidesmal 
den  Ausdruck  ^xQoaaüfAeSa  gebraucht. 


Ba)  Bömisohe  Periode  vor  Konstantin.  8.  Die  Prosa,  f)  Strabon.  (§§495^496.)     683 


gekommen  zu  sein.^)  Nach  Rom  reiste  er  fast  zur  selben  Zeit  wie  der 
Rhetor  Dionysios,  bald  nach  Beilegung  der  Bürgerkriege,  im  Jahre  29;  den 
Weg  dahin  nahm  er  über  die  Kykladen  und  Korinth.*)  Bald  darauf  aber 
verliess  er  wieder  Rom,  um  im  Gefolge  des  Aelius  Oallus,  den  Augustus 
im  Jahre  24  zum  Befehlshaber  der  Expedition  gegen  die  Araber  aufgestellt 
hatte,  Ägypten  von  Alexandria  bis  Philä  zu  bereisen.')  Nach  dem  un- 
glücklichen Ausgang  des  Feldzugs  und  einem  längeren  Aufenthalt  in  Ale- 
xandria kehrte  er  um  20  v.  Chr.  wieder  nach  Rom  zurück.*)  Über 
weitere  Reisen,  die  er  später  von  Rom  aus  unternahm,  fehlen  uns  be- 
stimmte Angaben;  er  selbst  sagt  p.  117  nur  im  allgemeinen,  er  habe  die 
Erde  von  Armenien  bis  Sardinien  und  vom  Euxinus  bis  zu  den  Grenzen 
Aetbiopiens  besucht.  Seine  geringe  Kenntnis  der  Dinge  in  Rom  während 
der  zweiten  Hälfte  der  Regierung  des  Augustus  ^)  lässt  vermuten,  dass  er 
diese  Zeit  wieder  in  Asien  verlebte,  wo  er  damals  zur  Königin  von  Pon- 
tuSy  Pythodoris,  deren  Verhältnisse  er  oft  berührt,  in  nähere  Beziehung 
getreten  zu  sein  scheint.  Sein  Leben  erstreckte  sich  bis  in  die  Regie- 
rungszeit des  Tiberius  hinein ;  er  überlebte  nicht  bloss  den  Sturz  des  Mar- 
bod,  sondern  auch  den  Tod  des  Königs  Juba  von  Mauretanien.^) 

496.  Geschichtswerk.  Strabon  war  zugleich  Historiker  und  Geo- 
graph. Sein  früheres  Werk,  worauf  er  in  der  Geographie  wiederholt  (p.  13. 
70.  515)  Rücksicht  nimmt,  hatte  den  Titel  ^Ynofirrifiaxa  lavoQixd  und  um- 
fasste  43  Bücher.  Dieselben  behandelten  in  zwei  Abschnitten  die  Zeit  vor 
und  nach  Polybios,')  die  erstere  nur  in  allgemeinen  Umrissen,  die  letztere 
in  grosser  Ausführlichkeit.  Das  Werk  ging  bis  auf  die  Gegenwart,  wahr- 
scheinlich bis  zum  Jahre  27  v.  Chr.  herab.  Den  Verlust  desselben  müssen 
wir  doppelt  beklagen,  nachdem  auch  die  einschlägigen  Partien  der  römi- 
schen Geschichte  des  Livius  verloren  gegangen  sind.®)  Als  Quellen  be- 
nutzte er  wesentlich  die  gleichen  Bücher  wie  in  der  Geographie,  vornehm- 
lich also   die  Geschichtswerke   des  Poseidonios,   ApoUodoros,   Theophanes. 

Fragmente  bei  MÜlleb  FHG  HI  490 — 4;  P.  Otto,  Strabonis  tatoQixuiv  vnofAvtjfAanov 
fragm.,  Leipz.  Stad.  XI  (1891). 


0  In  Born  wird  er  wohl  auch  mit  Boethos, 
dem  Schfller  des  Peripatetikers  Andronikos, 
zusanunenstudiert  haben,  s.  Strab.  p.  757. 

»)  Strab.  p.  118.  379.  485.  Nach  seiner 
Aussage  p.  381  über  das  Gemälde  des  Ari- 
stides  im  Demetertempel  müsste  er  schon 
vor  31,  wo  nach  Dion  50,  10  Jener  Tempel 
abbrannte,  in  Bom  gewesen  sem.  Pais  a.  0. 
p.  25  lAsst  ihn  daher  bereits  44  y.  Chr.  das 
erste  Mal  nach  Bom  konmien. 

»)  Strab.  p.  806  u.  816;  vgL  Schrötbb,  De 
StrabonJs  itineribns,  Ups.  Diss.  1874;  P.  Mbybb, 
Straboniana,  Grimma  Progr.  1890. 

*)  Dass  er  nicht  vor  20  nach  Bom  zurtick- 
kehiie,  schüesst  Pais  p.  26  aus  der  Nach- 
richi  aber  die  grosse  Schlange  p.  719  a.706. 

^)  So  weiss  aoffftlligerweise  Strabon  nichts 
von  der  wichtigen  Inschrift  auf  dem  grossen 
Tropaion,  das  Augustus  zum  Andenken  der 
Untwwerfdng  der  Alpenvölker  bei  Nizza  er- 
richten Hess  und  von  dem  Plinius  n.  h.  III 


136  ganz  genaue  Mitteilung  macht.  Noch 
mehr  f&Ut  es  auf,  dass  Strabon  über  die  Feld- 
züge  in  Germanien  und  Pannonien  der  Jahre 
4—11  n.  Chr.  vollständig  schweigt 

«)  Strab.  p.  290  und  p.  828. 

')  Suidas  in  dem  Artikel  UoXvßiog :  syQnipe 
6k  xttl  STQaßüty  Tff  fASTtt  UoXvßioy  iy  Xoyoig 
(jLy\  Nach  Strabon  p.  515  war  das  6.  Buch 
der  Hypomnemata  das  2.  ttay  fAexd  IloXvßi^oy, 
woraus  sich,  wenn  td  fjLSxd  TloXvßioy  allein 
48  B.  umfassten,  fOr  das  Ganze  47  B.  er- 
geben würden.  Vor  Strabon  war  schon  aus  der 
benachbarten  kleinasiatischen  Stadt  Amisus 
ein  Historiker  hervorgegangen,  der  von  Strabon 
oft  angeführte  Hypsikrates. 

^)  Interessant  ist  darunter  eine  durch 
losephus,  Ant.  lud.  14,  7  uns  erhaltene  Notiz 
über  die  Juden,  üeber  die  Aufnahme  des 
jüdischen  Jahve  unter  die  altgriechischen 
Götter  unter  dem  Namen  'läo)  s.  Bubbsch, 
I  Klares  S.  48  ff. 


684 


GrieohiBche  Litteratnrgesohiohte.    II.  HaohklaasiBolie  Litteratar. 


497.  Die  Geographie.  Bekannter  ist  Strabon  als  Geograph  ge- 
worden. Sein  uns  erhaltenes  grosses  Werk  über  Erdkunde,  recayQatfixd 
in  17  B.,  behandelt  in  B.  1  und  2  die  physikalisch-mathematische  Geo- 
graphie, in  B.  3 — 10  die  Geographie  Europas,  in  B.  11 — 16  die  Asiens,  in 
B.  17  die  Afrikas.  Das  Ganze  enthält  die  Frucht  langjähriger  Studien 
und  ist  erst  allmählich  gereift  und  ans  Licht  getreten ;  zum  vollständigen 
Abschluss  scheint  dasselbe  überhaupt  nicht  gekommen  zu  sein.^)  Das 
vierte  Buch  und  somit  wenigstens  die  vier  ersten  BQcher  wurden  nach 
dem  ausdrücklichen  Zeugnis  des  Autors  p.  206  im  Jahre  18  n.  Chr.  ver- 
öffentlicht;*) aber  das  17.  Buch,  in  welchem  p,  828  der  Tod  des  Königs 
Juba  und  der  Regierungsantritt  seines  Sohnes  Ptolemaios  erwähnt  ist, 
führt  uns  noch  etwas  weiter  herab.*)  —  Über  seine  Vorstudien  und  Quellen 
hat  er  sich  p.  117  f.  im  allgemeinen  ausgesprochen.  Danach  hatte  er 
selbst  die  Empfindung,  dass  er  für  einen  Geographen  oder  Beschreiber  der 
Erde  eigentlich  zu  wenig  von  der  Erde  gesehen  habe.  Er  entschuldigt 
sich  wegen  dieses  Mangels  zunächst  damit,  dass  auch  die  früheren  Ver- 
fasser geographischer  Werke  in  dieser  Beziehung  nichts  vor  ihm  voraus 
hätten;  er  versichert  aber  des  weitem  dann,  dass  er  sich  über  Länder, 
welche  zu  sehen  ihm  selbst  nicht  vergönnt  gewesen  sei,  bei  andern,  die 
sie  gesehen  und  darüber  geschrieben  hätten,  sorgfältig  erkundigt  habe. 
Jene  andern^)  waren  aber  ausser  seinen  nächsten  Gewährsmännern,  den 
Geographen  Eratosthenes  und  Artemidoros,  der  Grammatiker  Apollodor 
aus  Athen,  dem  er  hauptsächlich  in  der  Geographie  Griechenlands  folgte,^) 
ApoUodoros  aus  Artemita  in  Assyrien,  Geschichtschreiber  der  Pariher- 
kriege,  den  er  p.  118  als  seine  Hauptquelle  für  die  Länder  Hyrkanien  und 
Baktrien  bezeichnet,^)  Megasthenes,  Nearch  und  Onesikritos,  aus  denen 
er  ganze  Seiten  über  die  Völker  und  Bewohner  Indiens  ausschrieb,')  Theo- 
phanes  aus  Milet,   dessen  Geschichte   der  Feldzüge  des  Pompeius   ihm  in 


M  Meineke,  Vind.  Strab.  p.  81 :  ita  enim 
existimOf  geographumena  sua  Strahonem  im- 
perfecta reliquisse  neque  ad  eam  eantposUionis 
speciem  absoluta,  quam  ipse  animo  praefor- 
matam  habuit. 

^)  Nach  der  angeftthrten  Stelle  p.  206  war 
es  damals  das  83.  Jahr,  seit  die  Alpen  Völker 
durch  Drusus  und  Tiberius  unterworfen  wor- 
den waren  (15  v.  Chr.),  was  uns  eben  auf  das 
J.  18  n.  Chr.  fahrt.  Dazu  stimmen  auch  die 
Angaben  im  6.  Buch  p.  288. 

*)  Der  Tod  des  Juba  ist  auf  28  n.  Chr. 
gesetzt  von  Müllbb,  Numism.  de  V  ancienne 
Afrique  111  113  ff.  Die  Richtigkeit  dieses  An- 
satzes bestreitet  Niese  Herm.  13,  85,  indem 
er  den  Juba  frtther  sterben  lässt,  so  dass  das 
ganze  Werk  des  Strabon  in  den  Jahren  18 
und  19  n.  Chr.  niedergeschrieben  sei.  Pais 
a.  0.  schliesst  aus  der  mangelhaften  Berück- 
sichtigung  der  Unternehmungen  des  Augustus 
in  der  zweiten  Hälfte  seiner  Regierung,  dass 
Strabon  seine  Geographie  in  den  J.  29-— 7 
V.  Chr.  geschrieben  und  später  im  J.  18  n.  Chr. 


nur  einer  oberflächlichen  Neuredaktion  unter- 
zogen habe. 

*)  Heeren,  De  fontibns  geographiae  Stra- 
bonis,  Gott.  1828  genügt  dem  heutigen  Stand- 
punkt der  Quellenforschung  nicht  mehr.  Du- 
Bois,  Examen  de  la  göographie  de  Strabon, 
Paris  1891,  Hauptbuch,  üeber  Stnibos  An- 
sicht von  der  Erde  J.  Bergbb,  Erdkonde  der 
Griechen  IV  46  ff. ;  Colümba,  Gli  stadi  geo- 
grafici  nel  I.  secolo  deir  impero  Romano, 
Torino-Palermo  1893. 

»)  NiBSB  Rh.  M.  32, 267  ff.  u.  Henn.  13,42 
weist  nach,  dass  Strabon  von  Griechenland 
nur  Eorinth  ans  eigener  Anschaunng  kannte 
und  das  meiste  in  B.  8 — 10,  som  Teil  aach 
in  12 — 14  dem  Kommentar  des  Apollodor 
zum  homerischen  Schiffskatalog  entnahm. 

^)  Arn.  Bbhr,  Apollodori  Ariemit€«ii  reli- 
quiae,  Argent.  Dias.  1888.  Nach  Behr  leinte 
Strabon  den  Apollodor  durch  Poeeddonios 
kennen. 

^)  A.  Miller,  Die  Alexandergem^bichte 
nach  Strabo,  Würzburg  1882  n.  1891. 


B  a)  Bömisohe  Periode  vor  Konstantin.  3.  Die  Prosa,  f)  Strabon.  (§  497.)     685 


der  Geographie  Armeniens  und  anderer  Teile  Kleinasiens  Führerin  war,*) 
Polybios  und  Poseidonios,  die  er  in  allen  Teilen  seines  Werkes  mit  Vor- 
liebe berücksichtigt,  denen  er  aber  insbesondere  die  Kenntnis  von  Spanien 
und  dem  Keltenland  verdankte,^)  endlich  Antiochos,  dessen  alte  Nach- 
richten über  Sikilien  und  Unteritalien  er  von  neuem  zu  Ansehen  brachte. 
Römische  Autoren  hat  er,  vielleicht  weil  er  der  lateinischen  Sprache  doch 
nicht  so  ganz  mächtig  war,  weit  weniger  benutzt.  Er  erwähnt  zwar 
ausser  Cicero  auch  einmal  die  Kommentare  Cäsars  vom  gaUischen  Krieg 
(p.  177),  die  Annalen  des  Coelius  Antipater  (p.  230),  die  Historien  des 
Asinius  (p.  193),  das  Oeschichtswerk  des  Dellius  über  den  Feldzug  des 
Antonius  gegen  die  Parther  (p.  523),  drückt  sich  aber  im  übrigen  sehr 
geringschätzig  über  die  römischen  Schriftsteller  aus  (p.  166),  so  sehr  er 
im  übrigen  ein  offenes  Auge  für  die  eminenten  Vorzüge  des  praktischen 
Sinns  der  Römer  hatte.  ^)  Übrigens  darf  man  auf  der  anderen  Seite  aus 
Strabons  Citaten  noch  nicht  sofort  schliessen,  dass  er  die  citierten  Bücher 
auch  selbst  gelesen  habe:  den  Pytheas,  Sosikrates,  Demetrios  von  Skepsis 
und  selbst  den  Eudoxos  scheint  er  nur  aus  den  Werken  anderer,  beson- 
ders seiner  Hauptgewährsmänner,  Apollodor,  Polybios,  Artemidor,  gekannt 
zu  haben.  Übrigens  gehen  Neuere,  wie  Wachsmuth,  zu  weit,  wenn  sie 
die  Mängel  an  Genauigkeit  und  Kritik  bei  Strabon  auf  eine  Linie  mit 
denen  bei  Diodor  stellen. 

Strabon  galt  den  Alten,  wenn  er  auch  erst  spät  zur  allgemeinen  An- 
erkennung kam,*)  als  der  Geograph  xat'  i^oxrjv,  und  sein  Werk  bezeichnet 
am  deutlichsten  den  Standpunkt,  welchen  die  Geographie  im  Altertum  ein- 
nahm. Von  den  Anforderungen,  die  wir  heutzutag  an  eine  Erdkunde 
stellen,  ist  dasselbe  freilich  weit  entfernt:  Strabon  war  wohl  ein  unter- 
richteter, vielseitig  gebildeter  Mann;  er  war  auch  ein  aufgeklärter  Kopf 
und  hatte  Sinn  für  landschaftliche  Beobachtung ;  aber  er  fasste  einerseits, 
wie  er  gleich  in  dem  Proömium  kundgibt,  die  Geographie  allzusehr  von 
dem  Gesichtspunkt  der  praktischen  Nützlichkeit  auf,  und  verrät  anderseits 
überall  mehr  den  Buchgelehrten  als  den  wissenschaftlichen  Naturbeob- 
achter. Leser,  die  bei  den  modernen  Geographen  in  die  Schule  gegangen 
sind,  werden  namentlich  an  den  vielen  und  langen  Exkursen  über  Homer- 
interpretation Anstoss  nehmen.  Die  hängen  nun  freilich  damit  zusammen, 
dass  die  geographische  Wissenschaft  der  Alten  sich  an  der  Homerexegese 
der  Grammatiker  emporgerankt  hat;  aber  Strabons  Geographie  Griechen- 
lands sieht  geradezu  wie  ein  Kommentar  zu  Homer  aus  und  ist  in  der 
That  in  mehreren  Partien  wesentlich  aus  den  Kommentaren  des  Gram- 
matikers Apollodor  zu   dem  homerischen  Schiffskatalog   hervorgegangen. 


*)  E.  J.  Nbumakn,  Strabons  Landeskunde 
▼OD  Eankaaien,  in  Jahrb.  f.  Philol.  Suppl.  XIII 
319—54;  Fabriciüs,  Theophanes  von  Myti- 
lene  und  Q.  Dellius  als  Quellen  der  Geo- 
graphie Strabons,  Strassb.  1888. 

^)  Zimmermann,  Quibus  auctoribus  Strabo 
in  libiro  tertio  usus  sit,  Halle  1883  u.  Herrn. 
23,  103—30;  Wilkbns,  De  Strabonis  rerum 
Gallicarmn  fontibus,  Marb.  1886. 

*)  BerOhmte  Hauptstelle   p.  235:    x(üy 


'EXXiqvüip  negi  ras  xTiceig  BvaxoxrjffM  fjt(iktara 
6o^dvTtop,  Ott  xaXXovs  iaxoxd^ovio  xai  igv- 
fiyoxfiiog  xai  Xt^ivtay  xal  joi^a;  BV(fvovi^ 
ovtov  (ol  'PwfJLaloi)  TtQOvyofjaav  fzuXiaxa  *uy 
wXiyuiQtjaay  ixeiyot,  aiQüiaecDg  odtoy  xal  vdti- 
X(oy  eiaaytoyrjg  xai  vnovofjuav  xtov  dvyttfiepfov 
ixxXvl^eiy  xti  Xv/uaxa  xijg  noXetag. 

*)  Plinius  nimmt  auf  Strabon  nirgends 
Rücksicht. 


686 


Grieohisohe  LitteratargeBohiohta.    II.  HaohklassiBohe  litteratar. 


Ebenso  vermissen  wir  bei  Indien  und  dem  östlichen  Asien  eigene  Beob- 
achtungen und  Erkundigungen  bei  neueren  Reisenden,  fQr  deren  Mangel 
uns  die  massenhaften  Notizen  aus  den  Geschichtsschreibern  Alexanders 
einen  nur  ungenügenden  Ersatz  bieten.  Kurz,  die  ganze  Geographie  Stra- 
bons  trägt  eine  historische  Färbung  und  zeigt  uns  mehr  den  Untergrund 
der  Vergangenheit  als  das  Licht  der  Gegenwart.^)  Aber  immerhin  hat 
er  eine  Fülle  wichtiger,  speziell  für  uns  Philologen  wichtiger  Nachrichten 
mannigfachster  Art  zusammengetragen  ')  und  danken  die  Litterarhistoriker 
es  ihm  noch  besonders,  dass  er  bei  den  einzelnen  Städten  die  berühmten 
Männer,  welche  aus  denselben  hervorgegangen  waren,  anzumerken  nicht 
versäumt  hat.') 

Im  Stil  und  sprachlichen  Ausdruck  trat  Strabon  ganz  in  die  Fuss- 
tapfen  seines  hochgepriesenen  Vorgängers  Polybios:  wie  jener  so  ver- 
schmähte auch  er  die  rhetorischen  Schnörkel  und  befleissigte  sich  eines 
einfachen,  sachgemässen  Stils.  Nur  bei  der  Beschreibung  der  Länder  liebt 
er  es,  wie  es  scheint,  nach  dem  Vorbild  des  Artemidor,  die  geographische 
Figuration  durch  Bilder  zu  erläutern.  So  vergleicht  er  Europa  mit  einem 
von  Westen  nach  Osten  ausgestreckten  Tierfell  (p.  137),  Sikilien  mit  einem 
Dreieck  (p.  265),*)  die  Pelopinsel  mit  einem  Platanenblatt  (p.  335).*)  In 
dem  Wortgebrauch  und  der  Grammatik  zeigt  er  keine  Spur  von  der  atti- 
kistischen  Richtung:  er  ist  wie  Polybios  ein  Vertreter  der  ungeschminkten, 
halbnachlässigen  xoivrj,  namentlich  hat  er  eine  Menge  von  Verbis  auf  fw, 
gebildet  von  zusammengesetzten  Nomina,  wie  evoxpäw^  yQa^fxctro^oQäa},  xono- 
yga^äo),  (fiko^evtiu),  SixaioSovtw,  in  die  griechische  Schriftsprache  eingeführt; 
auch  vor  falschen  Formen,  wie  namentlich  dem  oft  gebrauchten  Aorist 
syevjj&rjv  =  iysvofirjv^  und  vor  anstössigen  Hiaten  hat  er  sich  nicht  gehütet 
Daneben  hielt  er  alles  auf  Reinerhaltung  des  griechischen  Idioms  vor 
fremden  Eindringlingen,  Die  römischen  Amtsnamen  procurator,  legaiu^y 
iudex  mussten  sich  ebenso  wie  die  lateinischen  Wörter  aquaeductus,  sinus 
eine  griechische  ümmodelung  gefallen  lassen.  Das  that  er  aber  nicht  aus 
beschränktem  Nationaldünkel,  wiewohl  er  in  dem  Glauben  an  griechische 
Fabeleien  sehr  weit  ging  und  selbst  das  etrurische  Caere  aus  dem  Zuruf 
xaTQ€  zu  erklären  keinen  Anstand  nahm  (p.  220) ;  denn  im  übrigen  ergriff 
er  gern  die  Gelegenheit,  die  politische  Überlegenheit  Roms  und  dessen 
Verdienste  um  Strassenbauten  (p.  235)  und  die  verschiedenen  Zweige  der 
Staatsverwaltung  (p.  797)  zu  preisen. 

Codd.:  Die  Textesgeschichte  und  handschriftliche  Ueberlieferung  ist  klargelegt  von 
Krämer  in   der  Praefatio  seiner  krit.  Ausg.  1844.    Die   Codd.  sind  stark   verdeibt;   der 


*)  Auf  der  anderen  Seite  bemerkt  er  selbst 
richtig  p.  177 :  oaa  fxkv  (pvaixtUi  ditagiüTM  del 
UyBiy  ToV  ye<oyQa<poy  xal  öaa  idyixdgy  oxav 
fl  Xttl  fivijfAfjg  a^ia,  öca  &*  ol  rjysfAovsg  nqSg 
toyg  xuiQovg  noXnevofieyoi  diaidixorai  not- 
xt'Aöif,  ttQXBi  xay  iy  XBg^aXaio)  ug  etrtn. 

*)  Wichtig  far  Mythologie  und  Kultur- 
gescWchte  smd  viele  der  eingelegten  Exkurse, 
wie  der  über  die  Kureten  p.  467—474. 
k-  *  '^    Ed.  Stmplinger,    Strabons    literar- 
iustonsche  Notizen,  Diss.  München  1893.  Eine 


merkwürdige  Bestätigung  erhielt  der  von 
Strab.  648  angemerkte  Fehler  auf  der  Ehren- 
statue des  KitharOden  Anaxenor  durch  die 
neu  aufgefundene  Basis  in  Magnesia,  Atiben. 
Mitteil.  19,  15. 

*)  Dabei  missbrauchte  er  die  Etymologie 
des  Namens  BQiyaxia^  der  eben  nicht  auf 
T^itt  ftx^o  l/ovao  gedeutet  werden  darf. 

')  lieber  solche  Vergleiche  s.  die  Zn- 
sammenstellung des  Eustatiiios  zu  Dionys. 
perieg.  157. 


Ba)  BOmisohe  Periode  Tor  Konstantin.    8.  Die  Prosa,    f)  Ptolemäns.    (§  498.)     687 


beste,  Parifl  1897  (J)  membran.  enthält  nur  die  9  ersten  B.;  alle  17  B.  enthält  Par.  1393 
bombyc,  aber  anch  er  mit  Lücken,  besonders  der  grossen  im  7.  B. ;  einige  ergänzende 
Pergamentblätter  entdeckte  Cozza  in  einem  Palimpsest  von  Grottaferrata,  worüber  Cobet 
Mnem.  4,  48  ff.  —  Ausserdem  haben  wir  alte  Inhaltsangaben  {xE<pdXai€t)  und  Epitomen ; 
darunter  sind  die  bedeutendsten  Epit  Palatina  in  einem  Heidelberger  Pergamentcod.  398  s.  X, 
Epit.  Yaticana  in  Cod.  482  bombjc.  s.  XIV,  beide  wichtig  für  Ergänzung  der  Lücken.  Ohne 
Bedeutung  sind  die  Eclogae  des  Georgios  Gemistos  Plethon  in  einem  cod.  Yen.  379. 

Ausgaben:  Der  Text  erschien  zuerst  in  lat.  Uebersetzung  von  Guarino  1470.  — 
Ed.  princ.  gr.  apud  Aldum  1516  aus  schlechter  Handschr.  —  Ausg.  mit  Kommentar  von 
Casaubonus,  Par.  1620  (nach  ihr  sind  in  den  Citaten  die  Seiten  gezählt).  —  ed.  Eoraes, 
Par.  1815,  8  vol.;  dazu  kommentierte  Uebersetzung,  herausgegeben  von  Lbthonne,  1819, 
5  Bde.  —  Kritische  Hauptausg.  von  Krahbr,  Berol.  1844 — 52,  3  vol.  —  Textesausg.  von 
MBniBKB  in  BibL  Teubn.  —  Ausg.  von  Gab.  MOllbr,  mit  15  Karten,  Paris  1858.  —  Karo- 
UDES,  £tQaßü}yog  y€(oyQa<pix(üy  t«  negl  Mixgäf  ^Aaltt^y  Athen  1889.  —  Excerpta  ex  Stra- 
bone  ed.  C.  Müllbr  in  Geogr.  gr.  min.  II  529—636.  —  Uebersetzung  mit  erklär.  Anm.  und 
Sachregister  von  Groskurd,  dem  kenntnisreichen  Bewunderer  des  Autors,  Berl.  1881—4. 

498.  Claudius  Ptolemäus  von  Alexandria,  der  berühmte 
Astronom  und  Qeograph,^)  lebte  nach  Suidas  zur  Zeit  Marc  Aureis 
(161—180),  nach  der  Vita  blühte  er  unter  Hadrian  (117—138)  und  lebte 
bis  zur  Zeit  Marc  Aureis ;  ^)  die  von  ihm  selbst  angestellten  Be- 
obachtungen fallen  zwischen  125  (Almagest  4,  8)  und  151  (Almag.  10,  1). 
Ptolemäus  ist  uns  der  Hauptvertreter  der  geographisch -astronomischen 
Studien,  wie  sie  in  Alexandria  seit  Gründung  der  Stadt  unter  An- 
lehnung an  die  altägyptische  Priestörweisheit  betrieben  wurden.  3)  Die- 
selben blieben,  gestützt  durch  feste  Organisation  und  ständige  Hilfsmittel, 
von  dem  Wechsel  der  Herrschaft  und  des  Zeitgeistes  unberührt:  im  An- 
fang der  alexandrinischen  Periode  steht  Eratosthenes  mit  seinen  bahn- 
brechenden Beobachtungen,  am  Ende  des  Altertums  bewährten  Theon  und 
Pappos  den  alten  Ruhm  der  alexandrinischen  Schule,  in  der  Zeit  der  An- 
tonine ist  es  unser  Ptolemäus,  der  von  der  fortschreitenden  Entwicklung 
der  astronomischen  und  geographischen  Studien  Alexandrias  Zeugnis  gibt. 
Er  war  nicht  der  grösste  der  Astronomen  des  Altertums :  nicht  bloss  über- 
ragten ihn  an  genialen  Entdeckungen  Aristarch  von  Samos  und  Hipparch 
von  Nikäa,  er  entbehrte  auch  des  hellen  Blickes  in  der  Beurteilung  der 
Leistungen  seiner  Vorgänger;  aber  von  ihm  allein  sind  grössere  Werke 
auf  uns  gekommen.  Seine  in  erster  Linie  die  Astronomie,  dann  auch  die 
Geographie  und  Harmonik  betreffenden  Schriften  haben  sich  nicht  bloss 
im  Originaltext  erhalten;  dieselben  wurden  auch  bei  dem  grossen  Ansehen, 
das  ihr  Verfasser  genoss,  frühzeitig  in  Übersetzungen  nach  dem  Orient, 
zu  den  Arabern  getragen,  von  wo  sie,  ähnlich  wie  die  Werke  des  Ari- 
stoteles, schon  zur  Zeit  Kaisers  Friedrich  H,  noch  ehe  man  sie  im  Ori- 
ginal kennen  lernte,  durch  lateinische,  nach  dem  Arabischen  gemachte 
Übersetzungen  ins  Abendland  gelangten. 

Von  den  astronomischen  Werken  ist  das  hauptsächlichste  A\e  MeyaXr} 
avvta^ig  Trjg  äaxQovofiiaq  in  13  B.,  von  Ptolemäus  selbst  in  der  Geo- 


^)  Ein  Artikel  des  Suidas;  das  n^oolfiioy 
sie  ttjy  aat^oyofiiay  von  Theodoros  Melite- 
niotes;  eine  Tita  vor  der  Tetrabiblos,  alle 
zusammengestellt  von  Boll,  Studien  über 
Claadias  Ptolemäus,  Jahrb.  f.  Phfl.  SuppL  XXI 
(18»4)53ff. 

*)  Vita  vor  Tetrabiblos:  ovrog  6  JItoXs- 


difJQxeae  d^  xal  fJLixQi  Mdqxov  'Jytioyiyov, 
Nach  Olympiodor  zu  Piaton  Phaidon  p.  47  hat 
er  40  Janre  auf  der  Sternwarte  von  Eanobos 
zugebracht. 

*)  Als  der  erste  Astrolog  ward  nach  der 
Vita  Ptol.  Oinopides  aus  Chios  angesehen, 
der  am  Ende  des  peloponnesischen  Krieges 
gelebt  haben  soll. 


688 


GrieohUche  Litteratargesohiohte.    II.  Naohklasauiohe  Litteratnr. 


graphie  VIII  2,  3  einfach  Ma&rj/iaTixrj  avvta^tg  genannt.  Dasselbe  ge- 
hörte zu  den  früheren  Arbeiten  unseres  Gelehrten,  ist  aber  nach  der 
eigenen  Angabe  des  Verfassers  X  1  nicht  vor  dem  14.  Regierungsjahre 
des  Antoninus  Pius  oder  vor  151  n.  Chr.  abgeschlossen  worden.*)  Als  das 
bedeutendste  Handbuch  der  Astronomie  ist  es  schon  im  Altertum  von 
Theon  und  Pappos  kommentiert  und  im  9.  Jahrhundert  unter  dem  Titel 
Tabrir  dl  magesthi  (woraus  entstellt  „Almagest")  ins  Arabische  übersetzt 
worden.  In  demselben  legt  Ptolemäus,  auf  den  Beobachtungen  und  Schrif- 
ten früherer  Forscher,  insbesondere  des  Hipparch  und  Menelaos,  fussend, 
das  ganze  System  der  Astronomie  dar.  Da  dasselbe  auf  der  Annahme, 
dass  sich  die  Gestirne  um  die  Erde  drehen,  beruht,  so  nennt  man  davon 
dieses  System  das  ptolemäische  im  Gegensatz  zu  dem  kopernikanischen, 
welches  letztere  indes  bereits  im  Altertum  Aristarch,  der  Lehrer  Hipparchs, 
aufgestellt  hatte.  Diesem  astronomischen  Hauptwerk  sind  die  gleichfalls 
von  Theon  kommentierten  ')  Handtafeln  zur  Zeitrechnung  {nQoxei^i  xaviv€<;) 
entnommen. 

Die  Tetrabiblos,  genauer  Ma&rjfiatixr]  (oder  anoxsleaiicmxr)  avv- 
xcc^iq  T€TQdßißXog  genannt,  schliesst  sich  an  das  astronomische  Hauptwerk 
an  und  ist  wie  dieses  an  einen  gewissen  Syros  gerichtet.  Dieselbe  ent- 
hält die  Lehre  von  der  Astrologie,  oder  wie  der  Verfasser  selber  sagt, 
von  der  Voraussagung  durch  Sternbeobachtung  (to  rf*'  äcTQovofuag  ngoy 
vcjaTixov).  In  dem  ersten  Buch  wird  die  Möglichkeit  und  Nützlichkeit 
dieser  Wissenschaft  begründet.  Das  zweite  Buch  enthält  das  Allgemeine 
der  Völkerpsychologie  nach  der  geographischen  Lage  des  Landes  und  dem 
damit  zusammenhängenden  Einfluss  der  Gestirne  auf  die  Eigenschaften 
der  Völker.^)  Die  beiden  letzten  Bücher  behandeln  die  eigentliche  Astro- 
logie, die  Lehre  von  dem  ysve&Xiaxov  oder  der  für  die  Geschicke  des 
Menschen  entscheidenden  Konjunktur  der  Planeten  zur  Zeit  der  Geburt 
Auch  diese  Tetrabiblos  stand  im  Altertum  in  hohem  Ansehen,  wovon  schon 
die  grosse  Anzahl  der  Kommentatoren  zeugt  ;^)  in  der  neueren  Zeit  hat 
man  sich  lange  gesträubt,  den  grossen  Astronomen  Ptolemäus  zum  An- 
hänger auch  dieser  Trugwissenschaft  zu  machen,  und  auch  ich  habe  in  den 
früheren  Auflagen  dieses  Buches  die  Tetrabiblos  zu  den  unechten  Schriften 
unseres  Astronomen  gezählt.  Aber  inzwischen  hat  Fr.  Boll  in  den  Studien 
über  Claudius  Ptolemäus  nachgewiesen,  dass  zahlreiche  sachliche  und 
sprachliche  Übereinstimmungen  zwischen  der  Tetrabiblos  und  den  aner- 
kannt echten  Schriften  des  Ptolemäus  bestehen,  so  dass  man  sich  wohl 
entschliessen  muss,  den  Ptolemäus  niederer  zu  hängen  und  ihm  auch  diese 
Schrift  mit  ihren  Wahnideen  zuzuschreiben.*)    Sicher  unecht  aber  ist  das 


*)  Statt  iy  t(^  id'  hei  \4vTütvlvov  schlägt 
Boll  iy  xi^  cf'  hn  vor;  dann  kftmen  wir  auf 
das  Jahr  141  statt  151. 

■)  Des  Theon  tmof^ytjfda  eig  tovc  IltoXe- 
fdttioy  n^oxBLQovq  xayoyng  hat  in  der  aos- 
fOhrlichen  Fassung  5,  in  der  kompendiarischen 
1  B.  Basselhe  ist  noch  ungedruckt,  ist  aber 
handschriftlich  erhalten  in  Vatic.  gr.  CXC  und 
Laurent.  XXVIII  12,  worüber  üsener  in  der 


Ausgabe  der  Fasti  Theonia  Alex.  p.  360 
Anm.  1. 

*)  Dieses  2.  Buch  der  Tebrabiblos  fthit 
den  Grundgedanken  der  Schrift  des  Hippo- 
krates  negi  dsQog  v&aza>y  tonmy  weiter  ans; 
etwas  übertreibend  nennt  es  Schlsidiii  Sta- 
dien p.  232  das  Genialste,  zu  dem  sich  ein 
Naturforscher  des  Altertums  erhoben  hatte. 

*)  In  dem  erhaltenen  Kommentar  des 


Ba)  BOnÜBohe  Periode  vor  Konstanim.    8.  Die  Prosa,    f)  Ptolem&iiB.    (§  498.)     689 

Centiloquium  oder  das  Buch  der  100  Sätze  astrologischer  Weisheit,  welche 
als  Frucht  aus  der  Tetrabiblos  ausgezogen  ist  und  davon  auch  den  Namen 
xaqnoq  erhalten  hat.^)  —  Der  Kavoov  ßamlsmv  ist  ein  mit  astronomischen 
Berechnungen  zusammenhängendes  Verzeichnis  der  Könige  (oder  König- 
reiche) von  Nabonassar  bis  Antoninus  Pius  mit  Angabe  ihrer  Regierungs- 
jahre. Dasselbe  ist  für  die  alte  Geschichte  und  Zeitrechnung  ein  äusserst 
wichtiges  Dokument;  seine  Erhaltung  verdanken  wir  seiner  Aufnahme  in 
die  Chronographie  des  Georgios  Synkellos.  —  Kleinere  astronomische 
Schriften  des  Ptolemäus  sind  (pdaeig  dnkavdv  äaTSQwv  xal  away^yi]  im- 
crjfiaaidav  (ein  Witterungskalender),*)  tmoO-äasig  tdv  nXavoyfnävcov^  neql  äva- 
Xrjjnfiarog  (von  der  Sonnenuhr),  anlmaig  ejiKpaveiag  aipaiqaq.  Die  beiden 
letzten  Schriften  sind  nur  durch  die  Araber  auf  uns  gekommen. 

Die  FecoYQaifixiij  viprjyriaig  (Anleitung  zum  Kartenzeichnen)  ih  8  B. 
ist  das  wichtigste  Handbuch  der  alten  Geographie,  an  welchem  sich  bis  in 
die  neuere  Zeit  hinein  die  geographische  Wissenschaft  und  die  Kunst  des 
Kartenzeichnens  emporgearbeitet  hat.  Es  beruht  ganz  auf  mathematischer 
Grundlage,  auf  Berechnung  der  Grösse  der  Erdkugel  und  Bestimmung  der 
Lage  der  Hauptorte  nach  ihrer  geographischen  Länge  und  Breite.  Voraus- 
gesetzt wird  in  ihm  die  Vorlage  von  Karten,  in  deren  Netz  die  damals 
bekannte  Erde  vom  10.  Grad  südlicher  bis  zum  60.  Grad  nördlicher  Breite 
und  von  den  westlichsten  Inseln  Europas  bis  nach  Java  und  Sumatra  im 
Osten  eingezeichnet  war.  Der  Hauptteil  des  Werkes,  B.  2—7,  besteht 
nur  in  Tabellen  über  die  Lage  der  eingezeichneten  Orte  nach  Graden  der 
Lange  und  Breite.  Im  Entwurf  der  Karten  war  dem  Ptolemäus  vorge- 
arbeitet von  Marinus  aus  Tyrus,  dessen  Verdienste  um  die  Chartographie 
er  I  6  gebührendes  Lob  spendet.*)  Übrigens  würde  man  sehr  irren,  wenn 
man  nun  glaubte,  dass  Ptolemäus  oder  sein  Vorgänger  von  allen  jenen 
Orten,  deren  Lage  er  angibt,  es  sind  an  8000,  die  Länge  und  Breite  auch 
wirklich  mathematisch  gemessen  habe.  Vielmehr  liegen  nur  wenigen  seiner 
Ortsbestimmungen  wirkliche  Messungen  zu  Grund ;  von  den  meisten  Orten 
gibt  er  nur  die  Grade  an,  in  welche  dieselben  auf  seinen  Karten  einge- 
zeichnet waren.  Das  muss  man  namentlich  bezüglich  der  zahlreichen  Städte 
Germaniens  festhalten,  von  denen  wahrscheinlich  keine  einzige  mit  mathe- 
matischen Mitteln  bestimmt  war.^)  Dem  Texte  sind  in  den  Handschriften 
auch  Karten  (27)  beigefügt;  dieselben  rühren  von  Agathodaimon  aus 
Alexandria,  einem  Gelehrten  des  beginnenden  Mittelalters,  her.^) 


Porphyrion  ist  ein  kurzes  Scholion  des  Demo- 
philoa  eingelegt,  worüber  Boll  Berl.  Philol. 
Woch.  1898  S.  2026.  Indes  hat  Sextas  Em- 
piricns  in  der  Bekämpfung  der  Astrologie  von 
unserer  Tetrabiblos  keine  Notiz  genommen. 
Auch  lässt  sich  nicht  nachweisen,  dass  der 
Uteinische  Vertreter  der  Astrologie  Firmicns 
Ifaiemns  die  Tetrabiblos  benutzt  hat. 

')  Ueber  die  noch  ungedruckte  astro- 
lo^sche  ay^oXoyia  des  Yett ins  Valens  ans 
Antiochia  in  der  Zeit  des  Antoninus  Pius  s. 
Biess  in  dem  Artikel  Astrologie  bei  Pauly- 
Wissowa  U  1822. 

^)  Nur  der  zweite  Teil  der  Schrift  ist  auf 


uns  gekommen;  Suidas  erwähnt  von  ihr  noch 
2  Bücher. 

*)  Ueber  Marinus,  der  unter  Trajan  und 
Hadrian  lebte,  s.  Bbrger,  Erdkunde  der  Grie- 
chen IV  104  flf.;  denselben  IV  127  ff.  über  die 
eigenen  Forschungen  des  Ptolemaios.  W. 
ScHWAKTZ  Rh.  M.  1893  S.  258  ff.  Ueber  die 
indirekte  Benützung  der  Chorographie  des 
Agrippa-Augustus  Dbtlefsen  Philol.  32, 606  ff. 

*)  Berüchtigt  ist  die  Fiction  einer  Stadt 
Iiaxovxayda  Ptol.  II  11,  27  aus  Tac.  ann. 
IV  72  ad  8ua  tutanda  digressis  rebelHbus. 

^)  In  den  Handschriften  selbst  heisst  es: 
ix   füiy   Kkavdiov   IlxoXBfJtaiov  yetoyQatpixojy 


Baodtmch  der  klMS.  AlteriiUDswineoschaft.    YII.    8.  Aufl.  44 


690 


Grieohisohe  Litteratargeschichte.    ü.  VaohklaMisohe  Littoraiiur. 


Die  jiQfJLovixa  in  3  B.  handeln  von  den  Intervallenverhältnissen  der 
Musik  mit  steter  Berücksichtigung  der  Lehre  des  Aristoxenos  und  der 
Pythagoreer.  Das  Ganze  ist,  wie  Porphyrios  in  seinem  Kommentar  be- 
zeugt, wesentlich  nur  eine  Kompilation  aus  der  Schrift  des  Didymos  über 
den  Unterschied  der  Musiktheorie  der  Pythagoreer  und  der  des  Aristo- 
xenos. Das  dritte  Buch,  dessen  Schluss  nach  einer  alten  Beischrift  von 
Nikephoros  Gregoras^)  ergänzt  worden  ist,  bespricht  in  geheimnisvoller 
Sprache  die  Ähnlichkeit  der  Tonarten  und  Intervalle  mit  den  Zuständen 
der  Seele  und  den  Bewegungen  der  Himmelskörper;*)  es  ist  eben  aus 
einem  ähnlichen  Untergrund  mystischer  Spekulation  entstanden  wie  die 
Arithmetik  des  Nikomachos  und  die  Musik  des  Aristides  Quintilianus. 

Von  der  Optik  {omixi^  jigayfiaTeio)  sind  nur  die  Bücher  11 — V  und 
diese  nur  durch  die  lateinische  nach  dem  Arabischen  gemachte  Übersetzung 
des  Siziliers  Eugenius  auf  uns  gekommen.^)  —  Gänzlich  verloren  gegangen 
sind  die  von  Suidas  aufgeführten  drei  Bücher  Mechanik  und  die  von  Sim- 
plicius  citierten  Schriften  tisqI  iisTQrjasfaq^  Tiegl  ^orrfjgy  rfroixsTa,  —  Auch  der 
philosophischen  Spekulation  stand  Ptolemäus  nicht  fremd  gegenüber;  das 
war  in  dem  Wesen  der  alten  Philosophie  begründet,  welche  von  Anfang 
an  den  Naturerscheinungen  ihre  Aufmerksamkeit  zugewandt  hatte  und 
stets  die  Physik  oder  die  Erforschung  der  Natur  als  eine  ihrer  Hauptauf- 
gaben betrachtete.  So  verbreitet  sich  denn  auch  Ptolemäus  im  Eingang  des 
Abnagest  über  philosophische  Grundbegriffe,  indem  er  dabei  von  den  Teilen 
der  Philosophie  bei  Aristoteles,  Metaphysik  VI  1  ausgeht.  Überdies  liebt 
er  es,  ähnlich  wie  sein  Zeitgenosse  Galen,  auch  bei  speziell  wissenschaft- 
lichen Untersuchungen  das  Wort  Philosophie  in  den  Mund  zu  nehmen  und  von 
einer  der  Philosophie  eigentümlichen  Methode  zu  reden  (Almag.  H  p.  116H, 
Tetrabibl.  1,  1,  Geogr.  I  p.  26).  Einen  einzelnen  Punkt  der  Erkenntnis- 
lehre behandelt  er  in  dem  uns  erhaltenen  Büchlein  tisqI  xQivrjQtov  xal  rjt- 
ixovixov^  das  im  Geiste  der  stoischen  Schule  geschrieben  ist,  und  an  die 
gleichbetitelte  Schrift  des  Stoikers  Poseidonios,  des  Begründers  der  natur- 
wissenschaftlichen Richtung  der  jüngeren  Stoa,  erinnert. 

In  der  Sprache  verschmäht  Ptolemaios  als  Mann  der  strengen  Wissen- 
schaft jeden  rhetorischen  Aufputz;  daher  nichts  von  Bildern  und  Figuren 
in  seiner  Rede  zu  finden  ist.  Auch  scheut  er  es  nicht,  denselben  Ausdruck 
öfters  zu  wiederholen,  wenn  die  Wiederkehr  der  Sache  es  verlangt;  ins- 
besondere liebt  er  es  wie  ein  Lehrer  der  Schule,  ehe  er  zu  einem  neuen 
Kapitel  übergeht,  das  Vorausgehende  rekapitulierend  zusammenzufassen. 
Ist  so  seine  Sprache  farblos  und  stereotyp,  so  ist  sie  doch  klar  und  kor- 
rekt ;  sieht  man  von  einigen  Neuerungen  im  Wortgebrauch  ab,  so  bewegt 
sie  sich  ganz  in  dem  Fahrwasser  des  aristotelischen  Stils. 

Geo^aphie.  Hanptausgabe  von  C.  Müller,  Com  adnotationibas  indicibiDB  tabolia, 
Paris  bei  Didot,  im  Erscheinen;   die  Ausgabe  von  Wilbebo-Grashopf,   Essen  1838 — 45  ist 


ßtßXifüy  6xT(a  xrjy  oixovfiSPtjy  nacav  'Aya&o- 
daifdoiy  'jXs^aydQBvg  vnervnaxjey. 

*)  üeber  ihn  Krumbachbr  Byz.  Lit.«  298  ff. 

*)  Verwandter  Art  wird  die  Schrift  negi 
ctatix^S  (corrige :  neQi  ncQiarattxijg)  noiijaeug 


gewesen  sein,  ans  welcher  der  Anonymus  in 
BoissoNADE,  Anecd.  lY  458  e  einen  Satz  an- 
föhrt. 

')  Nachweise  yon  Martin,  Bonoompagm 
BuUetino  IV  464  ff. 


B  a)  BAmiaohe  Periode  vor  Konstantin.  3.  Die  Prosa,  f)  Dionyeios.  (§§  499—500.)     69 1 


stecken  geblieben.  —  Der  cod.  Athone  mit  Karten  herausgegeben  Paris.  —  Berflhmte  lat. 
Uebersetzimg  mit  50  Karten  von  Willibald  Pirkheymer,  S^asab.  1525.  —  Sonderausgabe 
der  Germania  von  Sickler,  Kassel  1834. 

Ptolem.  Syntax,  ed.  Halma,  Far.  1816,  2  Bde;  von  demselben  Gelehrten  der  Kommentar 
des  Theon  zum  1.  Buch,  Par.  1821.  —  Kaytuy  ßaaiXeuoy  aus  cod.  Lanr.  28,  26  herausgegeben 
von  Wacbshuth,  Einl.  in  alt.  Gesch.  301  ff.  —  Kaytov  ßaniXeitov,  g)daeig  dnXavioy,  vno- 
^ar^K  xol  nXavtafiiyiay  cr^;|rai  ed.  Halma,  Par.  1820.  —  Sviaeig  dnXaytoy  daxiQtoy  xal  avya- 
ywyii  intofffutunwy  rec.  Wachskuth  im  Anhang  zu  Lydus  de  est.  et  calendaria  graeca,  Bibl. 
Tenbn.  —  TstQcißißXog  ed.  Cambrariüs,  NOmb.  1534;  mit  latein.  Uebers.  von  Melanchthon, 
Basel  1535.  —  Harmonica  ed.  Wallis  Oxford  1699  in  Op.  math.  t.  HI.  —  Optika  ed.  Govi, 
Torin  1885,  zusammen  mit  dem  Kommentar  des  Porphyrios.  —  IleQl  xQitrjQiov  xai 
liyefÄoyutov  cum  commentariis  ed.  Büllialdüs,  Paris  1663;  kritische  Ausgabe  von  Hanow, 
Kfistrin  1870. 

499,  Dionysios  der  Perieget  ist  der  sonst  nicht  näher  bekannte 
Verfasser  der  nsgujyrjaig  xrjq  oixovfAsvrjg  in  1187  Hexametern.  Schon  die 
Alten  ^)  waren  darüber  im  unklaren,  wem  von  den  vielen  Dionysioi  sie 
das  vielgelesene  Buch  zuschreiben  sollten,  ob  dem  Epiker  Dionysios  aus 
Korinth  oder  dem  Historiker  Dionysios  aus  Milet  oder  dem  Dionysios  aus 
Rhodos  oder  endlich  dem  Dionysios  aus  Alexandria,  der  von  Nero  bis 
Trajan  in  Rom  als  Bibliothekar  und  kaiserlicher  Sekretär  in  einflussreicher 
Stellung  lebte.  ^)  Einen  Fingerzeig  zur  Bestimmung  der  Lebenszeit  geben 
die  Yelrse  1051  und  258  von  der  Besiegung  der  Parther  und  der  Demü- 
tigung der  Nasamonen,  welche  auf  die  Regierung  des  Vespasian  und  Do- 
mitian  hinweisen; 3)  ein  direktes  Zeugnis,  dass  das  Werk  unter  Hadrian 
geschrieben  wurde,  enthält  das  neuerdings  von  Leue  entdeckte  Akrosti- 
chon.^) In  der  Anlage  des  Gedichtes  trat  Dionysios  in  die  Fusstapfen  des 
Alexander  Lychnos  aus  Ephesos,  der  in  Cäsars  Zeit  ein  astronomisches 
und  geographisches  Lehrgedicht  in  Hexametern  geschrieben  hatte.  ^)  Seinem 
Buch  wurde  ebenso  wie  den  Phainomena  des  Arat  die  Auszeichnung  zu 
teil,  dem  Schulunterricht  zu  Grunde  gelegt  zu  werden.  Infolge  dessen 
wurde  dasselbe  in  den  folgenden  Jahrhunderten  um  die  Wette  übersetzt 
und  kommentiert.  Lateinische  Übersetzungen  haben  wir  zwei,  eine  von 
Avien  und  eine  andere,  kürzere  von  Priscian.  Von  Erläuterungen  sind 
ausser  einer  Paraphrase  und  dem  weitläufigen  Kommentar  des  Eustathios 
gelehrte  alte  Scholien  aus  dem  4.  oder  5.  Jahrhundert  auf  uns  gekommen. 

Ausgabe  mit  den  alten  Kommentaren  und  Noten  von  Bernhardy,  Ups.  1820;  von 
C.  HüLLBR  in  Geogr.  gr.  min.  t.  II  p.  102—457.  —  Beitrftge  ssur  Paraphrase  gibt  Ludwich, 
Aristarch.  II  553  ff. 

6()0.  Periploi.  Dionysios  nennt  sich  der  Verfasser  des  Uvänlovg 
BocnoQov^  der  eine  hochinteressante  Beschreibung  der  häfen-  und  tempel- 


^)  Siehe  den  Artikel  des  Suidas.  Besser 
unterrichtet  ist  der  alte  SchoUast  p.  427  ed. 
Mull.  (vgl.  Fe'yog  JioyxHsiov  xov  ns^tjytjxov 
▼on  Rfihl  publiziert  Rh.  M.  29,  81):  Jioyvaiog 
6  neg&rjyrjiijg  yiyoytv  vlog  Jtoyvaiov  'jXe^ttv- 
d^äüpg '  ye'yoye  ih  im  rtüy  *P(ouaCxtuy  xQoytav 
fitr tt  JvyovcToy  Kaioaga  rj  iri'  ttvxov'  <pi- 
^omai  di  avxov  xal  dXXa  avyyQä/ifdttia^ 
AtStccxä  re  xal  'Ogyi^iaxd  xal  BaücaQixci. 

«)  Möller,  Geogr.  min.  11  p.  XV— XXH. 

»)  ÜNGBR,  Jahrb.  f.  Phil.  1882  S.  449  ff. 
entgegen  Ttcho  Mommsen  (Dionysios  der 
Periegete,  Frankf.  1879),  der  wegen  V.  920 
'jtvtUxoto  yaTa  bis  auf  92 — 83  v.  Chr.  zurück- 


gehen wollte. 

*)  Leüe  Philol.  42,  175  ff.  hat  von  Vers 
109  und  513  an  2  Akrosticha  entdeckt,  wo- 
nach der  Verfasser  aus  Alexandria  (Jtoyvalov 
ruiy  ivxog  ^cigov)  stammt  und  unter  Hadrian 
{inl  'Jdgiayov)  schrieb.  Trotzdem  hÄltÜNQER, 
Jahrb.  f.  Philol.  135  (1887)  S.  53  ff.  an  seiner 
Meinung,  dass  die  Schrift  unter  Domitian 
abgefasst  sei,  fest,  indem  er  den  Hadrian  des 
Akrostichons  für  einen  römischen  Magistrat 
erklärt. 

*)  Strab.  p.  642:  htrj  xaxiUnBv  iv  olg  rd 
re  ovgdyta  &iaxl&sxat  xal  xdg  tjnsiQovg  ys(o^ 
yqatpH  xad^  kxdtfxrjv  ix&ovg  nolrjfjia. 

44* 


692  Griechische  Litteratargeachiohte.    II.  NaohklaaaiBohe  Lüteratnr. 

reichen  Küste  des  Bosporus  gilt.  Derselbe  ist  im  2.  Jahrhundert  noch  vor 
Zerstörung  von  Byzanz  durch  Septimius  Severus  abgefasst.  Von  der 
Schrift  gab  zuerst  im  16.  Jahrhundert  der  französische  Gelehrte  Gilles  eine 
lateinische  Übersetzung;  das  griechische  Original  galt  für  verloren,  bis  es 
in  unserem  Jahrhundert  def  bekannte  Grieche  Minas  wieder  auffand  und 
in  die  Pariser  Nationalbibliothek  brachte.  Aus  der  von  Minas  wieder  auf- 
gefundenen, leider  nicht  mehr  vollständigen  Handschrift  gab  den  griechi- 
schen Text  heraus  C.  Wescher,  Dionysii  Byzantini  De  Bospori  navigatione, 
Paris  1874.  Neuere  Litteratur  von  Oberhummer  im  Artikel  Bosporus  in 
Realenc.  von  Wissowa. 

Von  Isidor  aus  Charax  am  Tigris,  der  gleichzeitig  mit  Strabon  unter 
Augustus  lebte  und  von  Plinius  dem  Älteren  als  geographische  Quelle  be- 
nutzt wurde,  haben  wir  Svad-fioi  HaQä^ixoi,  nackte,  hauptsächlich  die  Ent- 
fernungen berücksichtigende  Exzerpte  einer  Periegese  des  parthischen 
Reiches,  neben  der  Isidor  auch  noch  ein  allgemeineres  Werk  über  die 
Masse  des  Erdkreises  geschrieben  hatte.  Ausgabe  von  Müller,  Geogr.  min. 
I  244—56 ;  dazu  die  Erläuterungen  p.  LXXX  sqq. 

Ähnlicher  Art  ist  der  SzaSiaCfiog  rjtoi  nsQinXovg  tijg  (leydXrfi  x^akaaar^g 
(bei  Müller,  Geogr.  min.  I  427—514),  den  ein  anonymer  Autor  nach  einer 
alexandrinischen  Quelle^)  in  byzantinischer  Zeit  zusammengestellt  hat. 
Müller  preist  das  Buch  als  ein  opus  lacerum  quidem  sed  pretiosissimum ;  es 
enthält  die  reichste  und  sorgfaltigste  Küstenbeschreibung  des  mittelländi- 
schen Meeres  und  bietet  ungleich  verlässigere  Angaben  als  selbst  Ptole- 
maios.  —  Über  die  einschlägigen  Schriften  des  Arrian  s.  §  487. 

601.  Pausanias  heisst  der  Verfasser  der  für  Archäologie  und  My- 
thologie einzig  wichtigen  UsQirjyr^mg  rrjg  'EXXädog  in  10  B.  Das  Buch  ent- 
hält eine  Beschreibung  von  Hellas  oder  doch  des  grösseren  Teiles  von 
Hellas  in  Form  einer  Rundreise.  Es  beginnt  mit  Attika,  speziell  mit 
Sunion,  indem  der  Verfasser  über  das  ägäische  Meer  nach  dem  Festland 
Griechenlands  kommt.  Von  Attika  geht  es  weiter  über  Korinth  nach  dem 
Peloponnes,  und  zwar  auf  derselben  Route,  welche  auch  jetzt  noch  die 
Touristen  zu  nehmen  pflegen,  von  Argos  nach  Lakonien,  Messenien,  Elis, 
Achaia.  Und  wie  heutzutag  die  Reisenden  von  Athen  aus,  wenn  Zeit  und 
Geld  reicht,  noch  eine  zweite  Rundreise  nach  den  Hauptstätten  des  mitt- 
leren Griechenlands  zu  unternehmen  lieben,  so  schildert  uns  auch  Pausanias 
noch  in  einem  zweiten  Umgang  die  Landschaften  von  Böotien  und  Pfaokis 
mit  den  Hauptstädten  Theben  und  Delphi.  Die  übrigen,  für  die  Kunst- 
geschichte weniger  interessanten  und  von  den  Reisenden  schon  damals 
weniger  besuchten  Teile  des  westlichen  und  nördlichen  Hellas  lässt  er 
ausser  Betracht.^)  Demnach  hat  das  erste  Buch  den  Titel  Wimxa,  das 
zweite  KoQivd^iaxa^  unter  welchem  Titel  zugleich  Argos,  Mykenä,  Tiryns, 
Epidauros  mitinbegriifen  sind,  das  dritte  yiaxwvixd,  das  vierte  Mecat^rtctxäy 
das  fünfte  und  sechste  'HXiaxd,  das  siebente  ^Axaixd^  das  achte  ^^xacfixa. 


*)  Dieses  wird  daraus  geschlossen,  dass  1   damals  schon  Thessalien  und  Epinw  nicht 
der  Periplus  von  Alexandria  ausgeht.  zur  Provinz  Achaia  gehörten. 

'')  Dabei  ist  in  Betracht  zu  ziehen,  dass  | 


B  a)  Bömische  Periode  vor  Konstantin.    8.  Die  Prosa,   f)  Panaaniaa.    (§  501.)    693 

das  neunte  Boimrixd,  das  zehnte  Omxixa.  Oeschrieben  ist  das  Werk  unter 
den  Antoninen,  nach  Hadrian,  auf  dessen  Bauten  wiederholt  Bezug  ge- 
nommen ist;  speziell  das  fQnfte  Buch  fallt  in  das  Jahr  173,  wie  die  Stelle 
V  1,  2  zeigt,  wonach  damals  217  Jahre  seit  Wiederherstellung  von  Korinth 
verflossen  waren. 

In  der  Periegese  nimmt  der  Autor  gleich  unsern  Förster  und  Burck- 
hardt  vorzüglich  auf  die  Kunstdenkmale,  die  Bauten,  Statuen  und  Gemälde 
Rücksicht.  Mit  Vorliebe  geht  er  dabei  auf  die  Werke  der  alten  Zeit  und 
die  Weihgeschenke  der  Tempel  ein,  was  schon  in  der  hervorragenden 
Bedeutung  der  alten  Kunst  und  in  der  Vorliebe  der  Sophisten  für  die  alte 
Herrlichkeit  Griechenlands  begründet  ist,^)  aber  doch  seinen  speziellen 
Grund  in  der  Beschaffenheit  der  Quellen  unseres  Autors  gehabt  zu  haben 
scheint.  Auf  die  Neuzeit  hat  derselbe  wenig  Bezug  genommen,  ausser  wo 
er  Gelegenheit  fand,  die  Verdienste  der  letzten  Kaiser,  des  Hadrian  und 
Antonin,  hervorzuheben.  Von  den  Orten  zu  reden,  wo  man  Unterkunft 
und  leibliche  Stärkung  finden  könne,  hat  er  unter  seiner  Würde  gehalten; 
auch  fehlten  damals  noch  mehr  wie  heutzutag  die  Hotels  und  Restaurants 
in  Griechenland.  Aber  in  einer  Zeit,  in  der  die  Kunstwerke  noch  nicht 
in  Museen  aufgespeichert  waren,  musste  die  Beschreibung  derselben  not- 
wendig auch  auf  die  Topographie  der  betreffenden  Stadt  eingehen.  Die 
Landschaften,  von  denen  unser  Autor  erzählt,  hat  er  unzweifelhaft  auch 
gesehen;*)  er  war  ja  ein  Freund  des  Reisens,  hatte  Italien,  Sardinien, 
Korsika,  Arabien  und  selbst  das  Orakel  des  Juppiter  Ammon  besucht  3) 
und  war  in  Syrien  wie  zu  Haus.*)  Aber  berichtet  er  nun  auch  alles,  was 
er  uns  von  Weihgeschenken,  Kunstwerken,  Kultgebräuchen  erzählt,  auf 
Grund  eigener  Beobachtungen?  kam  er  nicht  bloss  auf  seinen  Reisen  nach 
Athen  und  Olympia,  sondern  hat  er  auch  alle  Erkundigungen  über  Bräuche 
und  Sagen  selber  eingezogen,  alle  Inschriften  von  den  Steinen  selber  ab- 
gelesen? Der  Glaube  an  eine  solche  Sorgfalt  und  Genauigkeit  des  Pau- 
sanias  ist  in  unserer  Zeit  durch  die  archäologischen  Forschungen  und  Aus- 
grabungen stark  erschüttert  worden.  Zwar  haben  viele  seiner  Angaben, 
wie  von  den  Gräbern  auf  dem  Marktplatz  von  Mykenä^)  eine  glänzende 
Bestätigung  erhalten,  aber  zugleich  hat  sich  herausgestellt,  dass  er  viele 
und  bedeutende  Denkmale,  die  zu  seiner  Zeit  noch  bestanden  und  dem 
Reisenden  in  die  Augen  fallen  mussten,  mit  völligem  Stillschweigen  über- 
geht, wenn  der  Ursprung  derselben  der  Zeit  nach  150  v.  Chr.  angehört. 
Nur  bis  dahin  z.  B.  reichen  seine  Angaben  über  Weihgeschenke  mit  In- 
schriften von  olympischen  Siegern,  während  die  epigraphischen  Funde 
unserer  Tage  zahhreiche  Siegesweihgeschenke  aus  jüngerer  Zeit  mitten  unter 


^)  Bbi7V9,  Päusanias  nnd  seine  Ankl&ger, 
m  Jahrb.  f.  Philol.  1884  S.  23  ff.,  wo  auch 
herrorgehoben  ist,  dass  Päusanias  massen- 
haft die  alten  Epiker,  sehr  selten  den  Dichter 
der  Neuzeit,  Euripides,  citiert.  Zu  vergleichen 
ist  das  ähnliche  Verhältnis  des  Panathenaikos 
des  lUietors  Aristeides. 

')  R.  Hbbebdey,  Die  Reisen   des  Päu- 


sanias in  Griechenland,  Abh.  d.  arch.-epigr. 
Seminars  X,  Wien  1894. 

»)  Paus.  V  12,  6;  YUI  17,  4;  IX  21,  1; 
1X28,8;  1X16,1;  X  17. 

*)  Paus.  VI  2,  7;  Vm  20,  2;  29,  3. 

^)  Diese  Gräber  aufzudecken  ist  unserem 
grossen  Landsmann  Schliemahit  nur  an  der 
Hand  des  Paus.  II  16,  7  gelungen. 


694 


OrieohUohe  litteraturgeschiohte.    II.  Haohkhuiaisohe  litterator. 


jenen  älteren  aufweisen.^)  Das  lässt  sich  aus  der  Vorliebe  des  Periegeten 
für  die  alte  Zeit  nicht  zur  Genüge  erklären.^)  Wenn  ihm  der  Faden  so 
plötzlich  ausgeht,  ohne  dass  das  Verstummen  mit  einer  einschneidenden 
Wendung  in  der  Kunst  zusammenfällt,  wenn  er  aus  der  früheren  Zeit  auch 
vieles  unbedeutende  und  Mittelmässige  erwähnt,  aus  der  späteren  Zeit 
aber  selbst  das  kolossale  Monument  des  Agrippa  am  Aufgang  zur  Akro- 
polis  in  Athen  mit  Stillschweigen  übergeht,  so  muss  das  mit  den  Schrift- 
quellen  unseres  Autors  zusammenhängen,  die  eben  nur  bis  zu  jener  Grenz- 
scheide ergiebig  flössen.*)  Mit  andern  Worten,  Pausanias  hat  wohl  die 
beschriebenen  Landschaften  Griechenlands  besucht,  aber  seine  Periegese 
hat  er  erst  nach  seiner  Rückkehr  geschrieben  und  sich  dabei  weniger  an 
seine  Notizen  und  dasjenige,  was  er  bei  seinem  flüchtigen  Besuch  mit 
eigenen  Augen  beobachtet  und  aufgezeichnet  hatte,  gehalten  als  an  den 
reichlicheren  Stoif,  den  ihm  die  damals  landläufigen,  enkyklopädischen 
Handbücher  über  Mythologie  und  Litteratur  und  seine  schriftlichen  Spezial- 
quellen  boten.*)  Diese  waren  aber  die  durch  zweite  und  dritte  Hand  ge- 
gangenen Schriften  des  Periegeten  Polemon,  des  Spezialhistorikers  Istros 
und  des  Geographen  Artemidor,  die  er  indes  nicht  ausdrücklich  mit  Namen 
nennt,  ^)  ebensowenig  wie  den  gelehrten  Grammatiker,  dem  er  die  aus- 
führlichen und  interessanten  Nachrichten  über  die  Geschichte  Sardiniens 
und  Korsikas  (X  17)  entnommen  hat.  In  dem  Bericht  über  die  mythische 
Vorgeschichte  Messeniens  folgte  er  speziell  dem  Dichter  Rhianos  und  dem 
Lokalhistoriker  Myron  von  Prione.^) 

Wer  war  nun  dieser  Pausanias,  und  woher  stammte  er?  Fragen  wir 
ihn  selbst,  so  bezeichnet  er  V  13,  7  '^näXonoq  dh  xai  TavrdXov  Ttjg  notq* 
rjfiiv  ivoixrjaecog  (TrjfieTa  in  xai  ig  Tode  XemsTai  Asien  und  speziell  die 
Gegend  am  Sipylos  als  seine  Heimat.  7)  Nun  wird  von  Philostratos  im 
Leben  der  Sophisten  H  13  ein  in  seiner  Zeit  hochangesehener  Sophist 
Pausanias   genannt,   der   Schüler   des   Herodes   Attikos   und  Lehrer   des 


1)  G.  HiBscHFELD,  Arch.  Zeit  1882  S.  97 
bis  130;  EisweDdongen  dagegen  von  Schd- 
BART,  Jahrb.  f.  Phil.  1883  S.  469  flf. 

*)  Diese  finden  wir  in  ähnlicher  Weise 
auch  bei  dem  zeitgenössischen  Rhetor  Ari- 
stides,  der  in  seinem  Lob  auf  Athen  mit  der 
Schlacht  von  Chftronea  abbricht;  s.  §  522. 

')  Diese  Anschauung  ist  hauptsächlich 
zur  Geltung  gebracht  worden  durch  Wila- 
MowiTz,  der  sich  im  Herm.  12,  346  folgender- 
massen  äussert:  Das  erklärt  sich  nur  durch 
die  Annahme,  dass  Pausanias  eine  alte  Vor- 
lage gedankenlos  ausschreibt,  einzeln  mit  den 
Reminiszenzen  eigener  Anschauung,  durch- 
gehends  mit  denen  anderer  Lektüre  versetzt 
und  schliesslich  mit  dem  Rokokomäntelchen 
sophistischer  d<p^Xeia  und  kindischer  Herodoi- 
imitation  umkleidet.  Näheres  bei  Hirt,  De 
fontibus  Fausaniae  in  Eliacis,  Greifsw.  Diss. 
1878;  Kalkmann,  Pausanias  der  Perieget, 
Untersuchungen  über  seine  Schriftstellerei  und 
seine  Quellen,  Berl.  1886.  Dagegen  Gublitt, 
Pausanias,  Graz  1890,   und  Bbnckbr,  Anteil 


der  Periegese  an  der  Eunstschriftstellerei 
(1890),  der  S.  68  so  weit  geht  zu  behaupten, 
dass  Pausanias  von  Polemon  ganz  unabh&Dgig 
sei.  Vgl.  SüSBMiHL  AI.  Lit  I  674  ff. 

^)  Die  Mythologie  oder  iaxo^ia  gehörte 
damals  zumeist  zum  Geschäfte  des  Periegeten, 
wie  man  aus  Plutarch  Mor.  675^  und  723 ' 
ersieht. 

^)  Angedeutet  ist  Artemidor  mit  atnlj^ 
'E<pe<Jiog  y  5,  9;  Polemon  steckt  unter  den 
oooi  fivfjfAfjp  nBQi  tov  le^ov  nBnoltjtrtai  VIII 
10,  2  und  unter  den  noXvn^ayf*^*^^"^^^ 
anovdp  ig  rovg  nhicxag  V  20,  2.  Schcm 
pRBLLER,  Polemonis  fragm.  p.  181  wunderte 
sich,  dass  Pausanias  den  Polemon  nirgends 
mit  Namen  nennt. 

•  I  Paus.  V  6, 1 ;  vgl.  PruinyrKB&,  Die  histo- 
rischen Quellen  des  Pausanias,  Jahrb.  f.  PML 
1869  S.  441  ff.;  Eohlxarn,  Quaestiones  Mee- 
seniacae,  Bonn  1866.  Ueber  Myron  vgl.  Suu- 
xiHL  AI.  Lit  n  393. 

')  Dazu  vgl.  I  24,  8;  Vm  17,  8. 


B  a)  BOmisohe  Periode yor  Konstantin.  8.  Die  Prosa,  g)  Die  Venpy thagoreer.  (§  502.)  695 

Aspasios  war,  der  also  der  Lebenszeit  nach  recht  wohl  unsere  Periegese 
geschrieben  haben  könnte.  Aber  dieser  Tansanias  stammte  aus  Gäsarea, 
nicht  aus  Yorderasien,  und  Suidas  erwähnt  von  ihm  Problemata  und  ein 
Buch  über  Syntax,  aber  keine  Periegese.  Ausserdem  passt  der  nachlässige, 
zum  Teil  inkorrekte  Stil  der  Periegese^)  wenig  zu  einem  Sophisten,  der 
den  Lehrstuhl  der  Beredsamkeit  in  Athen  inne  hatte.  Mit  Recht  haben 
sich  daher  Kayser  und  Siebeiis  ^)  gegen  die  Identität  des  Sophisten  Pau- 
sanias  und  des  Verfassers  unserer  Periegese  erklärt.  Schwerlich  auch 
darf  unser  Perieget,  wie  sein  Herausgeber  Schubart  unter  Berufung  auf 
Vm  43,  4  annahm,  mit  dem  Historiker  Pausanias,^)  der  eine  Ge- 
schichte von  Antiochia  schrieb,  identifiziert  werden.  Denn  auch  dieser 
stammte  nicht  aus  Magnesia  am  Sipylus,  sondern  aus  Antiochia  in  Syrien; 
auch  ist  die  abergläubische  Kritiklosigkeit  des  Antiochener  Pausanias  viel 
grösser  als  die  unseres  Periegeten.^)  Auffällig  bleibt  nur,  dass  der  Geo- 
graph Stephanos  von  Byzanz  die  Schriften  beider,  die  Ilsqiriyriaiq  und  die 
Kfiaig  ^Avrioxeiag,  unterschiedslos  unter  dem  einfachen  Namen  Pausanias 
anführt.  Aber  das  kann  doch  höchstens  nur  beweisen,  dass  man  im 
5.  Jahrhundert  die  beiden  Pausanias  nicht  mehr  unterschied.  Wir  be- 
gnügen uns  also  mit  der  Annahme,  dass  unser  Perieget  ein  sonst  nicht 
naher  bekannter  Schriftsteller  der  Sophistenzeit  aus  Magnesia  in  Vorder- 
asien war. 

Pansan.  ed.  et.  adnoi.  Sixbbub,  Lips.  1822,  5  vol. ;  ad  codd.  fidem  rec.  Schübabt  et 
Walz,  Lipe.  1838  mit  krit.  Apparat;  rec.  Schubart  in  Bibl.  Teabn.,  2  vol.;  ed.  Hbbm.  Hitzig 
mit  Kommentar  von  Blümner,  Berl.,  im  Erscheinen.  —  Pausanias'  Description  of  Greece 
iranalated  with  a  commentary  by  Frazer,  in  6  vol.  with  abont  30  maps,  Cambridge  1898. 
—  Spezialansgabe  Pansaniae  descriptio  arcis  Athen,  ed.  O.  Jahn,  neubesorgt  von  Miohablis, 
Bonn  1860.  —  Die  Periegese  von  Olympia  erläutert  von  Flasch,  in  Bauuxistbbs  Denk- 
mftlem  des  klass.  Alt.  S.  1606  ff.  —  Scholien  veröffentlicht  von  Sfibo  Herm.  29  (1894)  143  ff. 


g)  Die  Philosophie. 

&02.  Philosophen  dem  Namen  .nach  gah  es  in  der  römischen  Zeit 
genug,  aher  sehr  klein  war  die  Zahl  derjenigen,  welche  wirklich  den  Auf- 
gaben der  Philosophie  ihre  Thätigkeit  zuwandten  und  über  das  Niveau 
populärer  Sittenlehre  emporsteigend  die  schwierigeren  Fragen  des  philo- 
sophischen Erkennens  zu  lösen  auch  nur  versuchten.  Dadurch,  dass  die 
eklektische  Richtung  der  Philosophie  immer  mehr  Boden  gewann,  ward 
woU  die  Schärfe  der  alten  Gegensätze  gemildert,  erlahmte  aber  auch  zu- 
gleich die  Energie  eigener  philosophischer  Spekulation.  Die  wenigen, 
welche  überhaupt  noch  der  Frage  nach  den  obersten  Prinzipien  näher 
traten,  warfen  sich  entweder  dem  bequemen  Zweifel  an  der  Möglichkeit 
sicheren  Erkennens  in  die  Arme  oder  erhofften,  indem  sie  die  Wege  einer 


^)  Pausanias  gebraucht  oXlyov  diov  statt 
öXiyov  dhlv,  onoaa  Ijjfw  4g,  ta  h  =  quant  ä; 
vgl.  BöcKH,  De  Pausaniae  stilo  Asiano,  in 
Ges.  Sehr.  IV  208  ff. 

*)  Katsbb  ad  Phü.  Vit  soph.  p.  857; 
SiBBBLis  in  der  Praef.  der  Ausg.  des  Paus. 

*)  Derselbe  heisst  o  coipoSraxog  xQ^yo- 
r^tpof  bei  Malalas  p.  156,  21  u.  161,  6  in 
DurnoBFs  Büst.  gr.  min.,  wo  auch  p.  154 — 164 


die  Fragmente  desselben  gesammelt  sind.  Bei 
Constantinus  Porph.  de  them.  I  p.  17  scheint 
ovT€  Davcayiag  6  Ja/Äacxrjvos  aus  Jlavcapias 
<o  'AyxioxBvg  ovtB  NtxoXaogy  6  Jafuiax.  ver- 
stümmelt zu  sein. 

^)  Auch  die  Sprache  des  Antiocheners, 
die  mein  Schüler  Bourier  untersucht,  spricht 
gegen  die  Identität 


696 


GriechiBohe  Litteratnrgesohichte.    II.  Nachklassisohe  Liiteratiir. 


ungriechischen  Anschauung  wandelten,  statt  von  der  eigenen  Forschung, 
von  der  vermittelnden  Oflfenbarung  göttlicher  Weisheit  die  Lösung  der 
Rätsel.  Im  übrigen  aber  sank  in  den  weiten  Kreisen  der  Gebildeten  der 
Begriff  der  Philosophie  auf  das  Niveau  hausbackener  Verständigkeit  herab. 
Es  nannten  sich  daher  auch  in  unserer  Zeit  ganz  gewöhnlich  Historiker, 
Geographen,  Ärzte  und  sonstige  Gelehrte  Philosophen,  ohne  dass  sie  sich 
mit  eigentlichen  philosophischen  Fragen  ernstlich  und  in  selbständiger 
Weise  beschäftigten.  Zur  Abnahme  der  philosophischen  Denkkraft  trat 
seit  Hadrian  noch  die  Rivalität  einer  jungen  Kunst  hinzu,  welche  die 
alternde  Philosophie  in  den  Hintergrund  drängte  und  geradezu  den  Glanz 
ihres  Namens  in  Anspruch  nahm,i)  das  war  die  üppige,  geräuschvolle 
Sophistik.  Es  bestanden  zwar  noch  in  Athen  und  anderen  Städten  neben 
dem  Rhetorstuhl  (S'Qovog  ^r/roQixog)  die  alten  Lehrstühle  der  Philosophie 
und  ihrer  verschiedenen  Sekten  {alQsasig)  fort;*)  aber  dadurch,  dass  die 
Sophisten  philosophische  Themata  behandelten  ^)  und  durch  den  Glanz  der 
Darstellung  eines  höheren  Ansehens  sich  erfreuten,  sank  der  Einfluss  der 
Philosophie  und  minderte  sich  das  Interesse  für  reinphilosophische  Speku- 
lation. Die  Philosophen  von  Profession  beschränkten  sich  fast  einzig 
darauf,  die  Lehren  der  alten  Schulen  und  Meister  zu  kommentieren;  qnae 
philosophia  fuit,  facta  philologia  est,  klagt  Seneca  ep.  108,  23.  Dabei 
wurden  die  gelehrten  Philosophen  in  der  Erklärung  und  Verteidigung  der 
alten  Schriften  ihrer  Schulhäupter  um  so  einseitiger  und  befangener,  je 
mehr  sie  durch  die  Stiftungen  ihrer  Schulhäupter  und  die  nach  Sekten 
geschiedenen  Lehrstühle  gewissermassen  auf  ein  bestimmtes  Glaubens- 
bekenntnis verpflichtet  waren.  Im  übrigen  hat  es  der  Philosophie  an 
äusserer  Förderung  nicht  gefehlt ;  neben  den  reichen  Stiftungen  der  alten 
Schulen  und  den  guten  Dotationen  der  neugegründeten  Lehrstühle  kam 
derselben  auch  die  Gunst  der  Kaiser  zu  statten.  Augustus  hielt  den 
Stoiker  Athenodoros,  seinen  Lehrer,  hoch  in  Ehren,  und  erklärte  ostentativ 
nach  der  Niederwerfung  des  Aufstandes  in  Alexandria,  dass  er  nur  dem 
Philosophen  Areios  zulieb  den  Bürgern  ihren  Übermut  verzeihe;*)  Titus 
verkehrte  intim  mit  dem  Philosophen  Musonius,  Nerva  und  Trajan  mit 
Dion  Chrysostomos,^)  Marc  Aurel  mitRusticus;  selbst  der  finstere  Tiberius 
hatte  gern  den  Platoniker  Thrasylos  um  sich.^)  Auf  der  anderen  Seite 
blieben  freilich  auch  die  gewaltsamen  Reaktionen  des  römischen  Kaisertums 


*)  Philostr.  vit.  soph.  I  prol.:  oofftarag 
olnaXaiol  intayofjta^ov  ov  fioyoy  twv  ^fjtoQfoy 
Tovg  v7i6Q(pQoyovytttg  X€  xai  XafAngovg,  aXXa 
xal  T(oy  ffiXonofftay  xovg  avv  evQoiif  BQfATj- 
pevoytag,  Fayormus  heisst  bei  Gellias  regel- 
mässig phüo8ophu8y  bei  Lukian  Dem.  12  <ro- 
(pioTfjg.  Vgl.  RoHDB,  Gr.  Rom.  820  f. 

^)  Luc.  Eon.  3:  ovvtitaxxai  ix  ßaciXeto^ 
fiia&o(poQla  xi>g  ov  (pavXtj  xard  yiyij  Toig 
q)iXoa6q)oi^y  Srtotxots  Xiy<o  xal  JlXatcjyixotg 
xttl  *E7fixovQ6loig  hi  xai  xolg  ix  xov  negi- 
naxov.  ZuMPT,  üeber  den  Bestand  der  philo- 
sophischen Schulen  in  Athen,  Abh.  d.  Berl. 
Ak.  1844. 

*)  Schon  durch  den  Rheior  Hermagoras 


ward  die  Redekunst  auf  die  Besprechung  all- 
gemeiner philosophischer  Fragen  ningewieoen; 
8.  Cic.  de  mv.  I  6,  8;  vgl.  Thiblb,  Hermagoras 
S.  30  flF. 

«)  Plut.  Anton.  88;  Cassius  Dio  51,  6; 
Themist  or.  V  p.  75;  VHI  129;  X  155; 
Xni  212. 

^)  Suidas  unt.  Jltn^  und  die  angeftkrt^i 
Stellen  des  Themistios. 

•)  Suet.  Aug.  14  u.  62;  Tac.  ann.  VI  20. 
Die  Fragmente  des  Thrasylos  bei  Müllse 
FH6  III  501—5.  H.  Martin,  Recherchee  sur 
les  quatre  personnages  appel^es  Tfarasylle, 
in  AnnaL  di  sdenzi  matL  vin  (1887)  428  ff. 


B  a)  BAmiflohe  Periode  vor  Konstantin.  8.  Die  Prosa,  g)  Die  Nenp3rthagoreer.  (§  503.)  697 

gegen  den  Freimut  der  Stoiker  und  die  zersetzenden  Tendenzen  der  frem- 
den Philosophie  nicht  aus.  Nachdem  schon  Nero  bei  Gelegenheit  der  Ver- 
schwörung des  Piso  gegen  die  Philosophen,  insbesondere  Seneca  und  Mu- 
sonius,  gewütet  hatte,  folgte  eine  zweimalige  Vertreibung  der  Philosophen 
aus  Italien,  zuerst  unter  Vespasian,  dann  unter  Domitian  (94  v.  Chr.). 
Aber  diese  Verfolgungen  waren  von  keiner  nachhaltigen  Wirkung:  die 
Philosophen  kamen  wieder  oder  zogen  sich  nur  von  Rom  zu  ihren  alten 
Sitzen  in  Griechenland  und  Kleinasien  zurück. 

Die  erhaltenen  Schriften  tragen  fast  durchweg  den  Charakter  eklek- 
tischer Popularphilosophie ;  am  besten  noch  ist  die  Lehre  der  Stoa  ver- 
treten; nach  ihr  die  der  Akademie.  Der  bedeutendste  philosophische 
Schriftsteller  unserer  Periode  ist  entschieden  Plutarch;  ihm  haben  wir 
bereits  oben  einen  eigenen  Abschnitt  gewidmet.  Was  sich  sonst  noch 
von  philosophischen  Schriften  erhalten  hat,  ist  nach  Zahl  und  Wert  zu 
unbedeutend,  um  eine  Gliederung  in  besondere  Abschnitte  zu  fordern.  Wir 
werden  daher  im  möglichsten  Anschluss  an  die  Zeitfolge  mit  einer  ein- 
fachen Aufzählung  der  einzelnen  philosophischen  Schriftsteller  uns  be- 
gnügen, indem  wir  die  Vertreter  der  neupythagoreischen,  judaisierenden, 
stoischen,  sophistischen,  skeptischen,  historisch-biographischen  Richtung 
nacheinander  besprechen. 

503.  Die  Neupythagoreer.  Um  die  Zeit  von  Christi  Geburt  fand 
die  nie  ganz  erloschene,  sondern  in  religiösen  Eonventikeln,  namentlich 
Unteritaliens,  stets  fortglimmende  Lehre  der  Pythagoreer  wieder  neue 
Nahrung.  Es  war  die  Sittenlehre,  welche  schon  im  Anfang  einen  Eck- 
stein der  pythagoreischen  Philosophie'  gebildet  hatte,  jetzt  aber  von  ihren 
Anhängern  so  in  den  Vordergrund  gerückt  wurde,  dass  die  Reinheit  des 
Lebenswandels  und  die  Beherrschung  der  sinnlichen  Begierden  als  das 
Endziel  allen  Philosophierens  erschien.  Unter  den  Römern  war  es  Nigi- 
dius  Figulus,  ein  Freund  des  Cicero,  der  in  seinen  Schriften  diese  Rich- 
tung der  Neupythagoreer  vertrat,  i)  Unter  den  Griechen  traten  nur  wenige 
bestimmte  Namen  hervor,  da  diese  es  meist  vorzogen,  unter  der  Maske 
des  Pythagoras  oder  der  alten  Schüler  des  Meisters  ihre  Gedanken  in  die 
Welt  gehen  zu  lassen.  Zwar  gibt  sich  der  jüngere  Sotion  aus  Alexan- 
dria, der  Lehrer  Senecas  (ep.  49,  2),  der  das  Gebot  der  Enthaltung  von 
Fleischspeisen  mit  der  Lehre  von  der  Seelenwanderung  in  Verbindung 
brachte,*)  deutlich  als  Pythagoreer  kund,  aber  von  bestimmten  Schriften 
desselben  erfahren  wir  nichts.  Hingegen  gingen  unter  erheucheltem  Namen 
die  nv&ayoQixd  vTtofxvrjfiaza,  welche  bereits  Alexander  Polyhistor  bei 
Diog.  Vni  24  citiert,  die  goldenen  Worte  des  Pythagoras  {Xqvccc  c/rij, 
cf.  aurea  dicta  des  Epikur  bei  Lucret.  III  12), »)  die  weisen  Sprüche  seiner 
angeblichen  Frau  Theano,  die  grösstenteils  durch  Stobaios  uns  erhaltenen 
Sätze  des  alten  Pythagoreers  Archytas. 


^)  Aach  der  König  Jaba  fahndete  nach 
Schriften  der  Pythagoreer,  wobei  er  von  An- 
tiquaren wMdlich  betrogen  wurde;  s.  David 
in  Aristot  categ.  28*  13. 


«)  Siehe  Plutarch  §  479. 
^)  Dazu  ein  Kommentar  des  Hierokles 
erhalten,  worüber  nnten  g  624. 


698 


Chrieohisohe  Litteratiirgesohiohte.    IL  Vaohklasdsohe  Liiteraiar. 


Den  Namen  eines  alten  Schülers  des  Pythagoras,  des  Okellus  Lu- 
eanus,  von  dem  uns  Stobäus  ecl.  phys.  1 13  einen  Satz  in  dorischem  Dia- 
lekt erhalten  hat,  trägt  die  Schrift  von  der  Natur  des  Universums  (ttc^ 
Tfjg  €ov  Tiavzog  (fvaswq).  Das  Buch  zerfällt  in  vier  Kapitel,  von  denen  die 
drei  ersten  die  alten  Probleme  von  der  Ewigkeit  und  Unverganglichkeit 
der  Welt,  von  dem  unterschied  der  bleibenden  Substanz  und  der  ver- 
änderlichen Eigenschaften,  vom  Bestehen  der  Teile  der  Welt,  des  Himmels, 
der  Erde  und  des  Menschengeschlechtes,  von  der  Zeiten  Anfang,  in 
summarischer,  hauptsächlich  auf  Aristoteles  fussender  Beweisführung  be- 
handeln. Das  vierte  Kapitel  gibt  einen  moralisierenden  Abschluss,  indem 
es  der  geschlechtlichen  Verbindung  der  Menschen  die  Erhaltung  des  Ge- 
schlechtes durch  Zeugung  kräftiger  Kinder  zur  kosmischen  und  sittlichen 
Aufgabe  stellt.  Von  einem  hohen  Alter  der  Schrift  kann  keine  Rede  sein; 
sie  ist  in  den  Kreisen  der  späteren  Peripatetiker  entstanden  und  erinnert 
speziell  an  des  Nikolaos  Damaskenos  Buch  TteQl  %ov  nartog,  Gitiert  wird 
Okellos  bereits  in  dem  unter  die  Werke  des  Philon  aufgenommenen  Buche 
über  die  Unverganglichkeit  der  Welt.^)  Ausserdem  citiert  i}in  Censorinus 
de  die  nat.  4,  3  und  schliesst  Diels  Doxogr.  187  f.  aus  dem  Anklang  jener 
Stelle  des  Censorinus  an  Varro  de  re  rust.  II  1,  3,  dass  schon  Varro  den 
Okellos  gekannt  habe. 

Einen  Sextus  fand  als  Verfasser  einer  Sammlung  pythagoreischer 
Sprüche  der  Kirchenvater  Origenes  (c.  Cels.  8,  80;  in  Math.  19,  3)  vor.  Von 
dieser  Sammlung  sind  uns  noch  Reste  in  der  lateinischen  Überarbeitung 
des  Rufinus  und  in  syrischer  Übersetzung  erhalten.^)  Änlicher  Art  sind 
die  moralischen  Sprüche  und  Vergleichungen  des  Secundus  des  Schweig- 
samen (unter  Trajan),')  des  Demophilos,  Demokrates^)  und  eines  ge- 
wissen Eusebios.'^) 

Obelli,  Opuscula  Graecomm  vetemin  sententiosa  et  moralia,  Ups.  1821,  2  Bde;  Py> 
thagoreorum  alioromque  philosophorum  similitudines  et  sententiae,  in  Mullach  FPG  I  485  ff., 
II  1  ff.,  III 1  ff.;  Eltbr,  Gnomica,  fasc.  I  Sexti  Pythagorici  Clitarchi  Enagrii  Pontici  aententiae, 
fasc.  n  Epicteti  et  Moschionis  quae  feruntnr  sententiae,  lips.  1892,  Hauptbuch,  worflber 
Byz.  Zeitschr.  I  157  ff.   -  Sexti  sententiarum  recensiones  exhioet  Gildbmsistsb,  Bonn  1873. 

UvHayoQov  /^vff«  %nfj  ed.  Nauok,  im  Anhang  des  lamblichos,  Petersburg  1884; 
dazu  der  Kommentar  des  Hierokles  in  Müllacb  FPG  I  416  ff.,  und  Nauck  in  Melange» 
grec.  Romains  III  546  ff.  —  Schenkl,  Pythagoreersprache  aus  Vind.  phil.  225,  in  Wien.  Stod. 


*)  Philon  nsQi  dw&aQaiag  xoe/iov  c.  3 
p.  489  M. :  Eyioi  di  xat  'AQi^toxiXrj  rrjg  do^tjq 
€VQ6Tijy  Xeyovoiy,  aXXa  xai  jiiv  IJvdayoQBioiy 
Tivag  '  iyto  di  xai  ^OxMov  cvyyQtxfjtfAaxL 
Aevxayov  yiyog  ini,yQa<fOfiiy<a  negi  rrjg  rov 
nayjog  ffvasotg  iy^xvxoy,  iy  ^  nyeyrjtoy  xai 
a(f&(tQxoy  ovx  anBffttiyexo  fxoyoyy  (iXXd  xai 
cf*'  ano6el^Sü}y  xaxeaxevaCe  xoy  xoofAoy  eiyai. 
Ueber  die  Stellung  der  Frage  von  der  Un- 
verganglichkeit der  Welt  in  der  Lehre  des 
Neuplatonismus  vgl.  Sallustius  Tiegi  dewy  xai 
xofffiov  c.  17. 

*)  GiLüBMEisTER,  Soxti  sout.  1873  schreibt 
die  Sentenzen  einem  Sextus  (nicht  Sextius) 
aus  ungewisser  Zeit  zu  und  weist  das  grie- 
chische, aber  unvollständige  Original  in  den 
Vytafjiai  <so<pdiy  nach,  welche  Boissonabb, 
Anecd.  I  127—134  aus  dem  Cod.  Paris.  1630 


herausgab.  Ueber  christliche  BestandteOe  in 
jenen  Sprttchen  und  die  Schwierigkeit,  einen 
Kern  von  Gnomen  der  Sextier  herauszufinden. 
s.  Zbllbr  in»  1,  678  f. 

*)  Von  Secundus  hat  Tischendorf  einen 
piog  auf  einem  Papyrusblatt  in  Aegypten  ge- 
funden, worftber  Sauppb  Philol.  18,  523  fiL 
Auf  moralische  Sentenzen  geht  auch  Juvenal 
XIII 19. 

*)  Des  Demokrates  Sprüche  sind  in  ioni- 
schem Dialekt  geschrieben. 

')  Auch  die  durch  Stobaios  erhaltenen 
Fragmente  des  Eusebios  sind  in  ionischem 
Dialekt  geschrieben.  Unsicher  ist  die  Ver- 
mutung von  Müllach  FPG  III 5,  daas  derselbe 
mit  dem  von  Eunapios  vit  soph.  p.  48  f .  er- 
wftfanten  Platoniker  Eusebios  ans  Myndos 
identisch  sei. 


B  a)  BömiBohe  Periode  vor  Konetantin.  8.  Die  Prosa,  g)  Apollonios.  (§§  504—505.)    699 

VIÜ  (1886)  262  ff.;  Gildbmbistkr,  Pythagoreersprüche  aus  dem  Syrischen,  in  Hermes 
4, 81  ff. 

Bachmann,  Das  Leben  und  die  Sentenzen  des  Philosophen  Secundus  des  Schweigsamen, 
HaUe  1887;  Derselbe,  Die  Philosophie  des  NeopyÜiagoreers  Secundus,  mit  Nachweis  ftthio- 
vÖBcher  und  lateinischer  Uebefsetzungen,  Berlin  1888.  —  Sprüche  der  Theano  in  syrischer 
Uebersetzung  herausgegeben  von  Sachau,  Inedita  syriaca,  Wien  1870;  ebenda  eme  Vita 
des  Philosophen  Secundus,   die  auch  in  ftthiopischer  und  arabischer  Uebersetzung  existiert. 

'OxäXXov  xov  ABvxavov  nBQt  trjg  xov  navtog  (pvaetüi  in  Mullach  FPG  I  388 — 406. 

504.  Apollonios  aus  Tyana  in  Kappadokien,  dessen  Leben  uns  in 
romanhafter  Ausschmückung  von  Philostratos  beschrieben  ist,^)  gehörte 
zu  den  abenteuerlichen  Grosssprechern  und  Wunderthätern  des  hellenisti- 
schen Orients,  welche,  ohne  philosophischen  Forschungen  obzuliegen,  sich 
den  Namen  von  Philosophen  und  Pythagoreern  beilegten.  Er  lebte  unter 
Nero  und  Domitian  in  Rom,  hatte  aber  auf  ausgedehnten  Reisen  auch 
Fühlung  mit  den  orientalischen  Theosophemen  der  Magier,  Brahmanen, 
Gymnosophen,  vielleicht  auch  der  Christen  gewonnen.  Suidas  erwähnt 
von  ihm  TeksTai  ij  neQi  ^vauai\  diad-tjxrj,  xQ^l^^f^^h  euiaToXai,  üvd^ayoQOv 
ßiog.  Erhalten  haben  sich  unter  seinem  Namen  177  meist  kurze,  aber 
an  Kemsprüchen  reiche  Briefe  (Epist.  gr.  ed.  Herch.  p.  110 — 130),  die  uns 
den  Mann  von  einer  viel  besseren  Seite  als  das  Buch  des  Philostratos  er- 
kennen lassen.  Aber  die  Echtheit  dieser  Briefe  ist  sehr  fraglich,  zumal 
die  von  Stobaios  aus  Briefen  des  Apollonios  angeführten  Stellen  sich  in 
den  uns  erhaltenen  nicht  finden,  so  dass  jedenfalls  Stobaios  noch  andere 
Briefe  unseres  Philosophen  gehabt  haben  müsste.*)  Philosophische  Briefe 
waren  aber  in  jener  Zeit  der  Gedankenseichtheit  eine  sehr  beliebte  Form, 
sich  über  philosophische  Dinge,  namentlich  moralische  Fragen  auszu- 
sprechen; wir  lernen  diese  Richtung,  die  von  Epikur  an  datiert,  besser 
noch  als  aus  den  Schriften  der  Griechen  aus  den  Briefen  des  stoischen 
Staatsmannes  Seneca  kennen. 

605.  Philon  aus  Alexandria,»)  der  im  Jahre  39  n.  Chr.  als  Ver- 
treter der  jüdischen  Gemeinde  von  Alexandria  eine  Gesandtschaft  nach 
Rom  an  den  Kaiser  Gaius  Caligula  ausführte,*)  ist  der  Hauptvertreter  der 
hellenistisch-jüdischen  Philosophie.  Ein  Verehrer  Platons^)  und  ein 
Freund  der  Stoa  wurzelte  er  doch  mit  seinen  Lebensanschauungen  in  dem 
Judentum  und  im  Glauben  an  die  heiligen  Bücher  seines  Volkes.^)  Als 
Schriftsteller  war  er    ungewöhnlich    fruchtbar   und    hat    zahlreiche,    zum 

^). Benutzt  hat  Philostratos  die  älteren  |  *)  Ein  Artikel  von  Suidas  über  #(Aaiv 

Memoiren  des  Damis  aus  Ninus,   der  den  |  'lov&aTog.  aus  neuerer  Zeit  von  Steinhart  in 

Apollonios  auf  seinen  Wanderungen  begleitet  {  Paulys  Realencyklopädie  des  klass.  Alt. 

hatte,  femer  ein  Buch  des  Maximus  aus  |  *)  Joseph.  Arch.  iud.  XVIII  8,  1;  Philo 


Aigai,  das  die  Wunderthaten  des  Apollonios 
im  Afiklepiostempel  zu  Aigai  in  Eilikien  ent- 
hielt, mid  Aie'Jnofjtyrjfioyevfjtaxa  des  Apollonios 
von  Moiragenes  in  4  B.  Ein  Athener 
Moiragenes  kommt  vor  bei  Plut.  Quaest.  conv. 
IT  6.  —  Ueber  das  idealisierte  Bild  des 
Apollonios  8.  725  Anm.  3. 

^)  Die  Briefe,  von  denen  uns  nur  Citate 
erhalten  sind,  bei  Horcher  n.  78 — 116.  Die 
Echtheit  der  Briefe  bestreitet  Eaysbb,  Praef. 
ad  vit  Apoll,  p.  5;  ihm  stimmt  im  wesent- 
lidien  bei  Wbstskmakn,  De  epist.  Script,  graec.  (1891). 
n  22. 


tibqI  TiQBüßBiag  ngog  rdiot-;  Euseb.  Hist.  eccl. 
n  5,  1. 

^)  Sprichwörtlich  sagte  man  nach  Suidas: 
^  IJXttTtJv  (piXü)yiC€i  rj  ^iXtoy  TtXccitjyiCsi, 

^)  ZiBGLBB,  Ueber  Entstehung  der  ale- 
xandrinischen  Philosophie,  Vhdl.  d.  36.  Vers, 
d.  Phil.  S.  33—42,  wo  namentlich  auf  den 
Zusammenhang  der  Lehre  Philons  mit  dem 
pseudosalomonischen  Buch  der  Weisheit  hin- 
gewiesen ist.  Frbudentbal,  Die  Erkenntnis- 
lehre Philos,  Berl.  Stud.  f.  klass.  Phil.  XIII 


700 


Griechische  Litteratnrgeschiohte.    IL  Vaohklasaiaohe  Litteratar. 


grösseren  Teil  uns  noch  erhaltene,  aber  erst  nach  und  nach  ans  Licht  ge- 
zogene Schriften  hinterlassen.^)  Einige  derselben  sind  geschichtlich-bio- 
graphischer Natur,  wie  das  Leben  des  Abraham,  Joseph,  Moses;  andere 
beziehen  sich  auf  die  Zeitverhältnisse  und  die  Stellung  des  Autors  zu  den- 
selben, wie  die  von  der  Gesandtschaft  an  Gaius  und  von  dem  Statthalter 
Flaccus;*)  die  Mehrzahl  derselben  behandelt  Fragen  der  Philosophie,  ins- 
besondere der  Ethik,  teils  von  einem  allgemeineren  Standpunkt,  wie  über 
die  Tapferkeit  {Ttsgl  dv^Qciag),  über  die  Menschenliebe  (/r^^i  ^iXavd^Qiamaq\ 
über  die  Trunksucht  (neQi  fiäx^rjg)^^)  teils  im  engeren  Anschluss  an  die 
jüdischen  Sitten  und  Gesetze,  wie  über  die  Zehngebote  {ncgi  %wv  dexa 
Xoyion'),  über  die  Spezialgesetze  {ncgi  xüv  iv  siis^  vofiwv)^  über  die  Be- 
schneidung {71€qI  nsQitofi^g);  andere  endlich  enthalten  allegorische  Deu- 
tungen der  heiligen  Schriften  der  Juden,  wie  die  v6fi(ov  ie^v  äXXrffo^ca 
zu  Genes.  II  1 — 3,  III  19,  nsQi  ytydvTfav  zu  Genes.  VI  1 — 3,  o«  otQsnxov 
t6  ^eTov  zu  Genes.  VI  4—13.*) 

Durchweg  vertritt  Philon  in  seinen  Schriften  eine  synkretistische 
Richtung,  indem  er  teils  Moses  in  Piatons  Sprache  sokratische  und  stoische 
Weisheit  vortragen  lässt,  teils  die  Lehren  der  griechischen  Philosophen, 
eines  Heraklit,  Piaton,  Zenon,  aus  mosaischen  Quellen  ableitet.  Es  ist  der 
erste  grosse  Versuch,  Philosophie  mit  Religion  oder  die  Resultate  freien 
menschlichen  Denkens  mit  den  Satzungen  göttlicher  Oifenbarung  zu  ver- 
einen. Cardinalpunkt  in  diesem  System,  wenn  man  bei  so  unklarer  Ver- 
mischung von  einem  System  reden  kann,  ist  die  Lehre  von  dem  Logos, 
der  als  Mittler  zwischen  Gott  und  Welt  den  Menschen  die  Gebote  und 
Offenbarungen  Gottes  überbringt,  und  einerseits  der  Gottheit  als  Eigen- 
schaft der  denkenden  Weisheit  innewohnt,  anderseits  durch  die  sinnlich 
wahrnehmbare  Welt  als  die  in  ihr  sich  offenbarende  göttliche  Vernunft 
verbreitet  ist.*^)  Auch  diese  Theorie  ist  von  Philon  in  Verbindung  ge- 
bracht mit  einer  Stelle  des  Piaton  im  Symposion  c.  23,  wo  der  attische 
Philosoph  von  den  Dämonen  als  den  Mittelwesen  zwischen  den  sterblichen 
Menschen  und  seligen  Göttern  spricht.^)     Mit  der  Logoslehre  und  der  da- 


*)  UDYollständig  ist  das  Schriftenver- 
zeichnis bei  Suidas  und  Eusebios,  Eist.  eccl. 
II  18;  doch  enthält  dasselbe  mehrere  Schrif- 
ten, die  nicht  auf  uns  gekommen  sind.  Das 
Schriftenverzeichnis  in  Fabricius  Bibl.  gr.  IV 
728  f.  hat  später  noch  wesentliche  Ergän- 
zungen durch  den  Fund  armenischer  üeber- 
setzungen  und  einzelner  Originaltexte  er- 
fahren. Auch  Hexameter  aus  einem  Gedicht 
des  Philon  über  Jerusalem  citiert  Euseb.  praep. 
ev.  IX  20  und  37.  üeber  die  schwierige  Frage 
der  Anordnung  der  Schriften  Philos  Masse- 
BiEAU,  Le  classement  des  oeuvres  de  Philon; 
Wbndland  Herm.  31  (1896)  485  ff. 

*)  Beide  Schriften  bilden  nur  einen  Teil 
der  5  Bücher  Über  die  Stellung  der  Juden 
unter  Gaius. 

*)  Veranlasst  wurde  die  Schrift  Ttegl 
fds9ijg  durch  den  allegorischen  Kommentar 
zur  Erzählung  der  Genesis  von  Noahs  Wein- 
bau; vorausgeschickt  ist  ihr  p.  850  ed.  M. 
eine  Darstellung  der  griechischen  Erörterun- 


gen über  das  Cv^fjfjta  cioäs,  si  fiBOtnrS'^etai 
o  ootpog,  dajs  ftbr  die  Geschichte  der  stoiachen 
Philosophie  v.  Abnim»  Quellenstadien  zu  Philo, 
Phil,  ünt  XI  (1888)  101—140,  verweitet  — 
üeber  das  Verhältnis  Philos  zur  kynisch- 
stoischen  Diatribe  überhaupt  Wbsolakd,  Bei- 
träge zur  Geschichte  der  griechischen  Philo- 
sophie und  Religion,  Berlin  1895. 

*)  Zu  gründe  gelegt  ist  die  griechische 
Uebersetzung  der  Septuaginta,  in  der  Philoa 
besser  als  im  hebräischen  Urtext  bewan- 
dert ist. 

')  Hbiuze,  Die  Lehre  vom  Logos  in  der 
griechischen  Philosophie,  Oldenburg  1872, 
S.  204  ff.  Ausgegangen  ist  offenbar  Philon 
in  seiner  mysteriösen,  keineswegs  zur  kon- 
sequenten Klarheit  entwickelten  Lehre  voo 
der  Vieldeutigkeit  des  griechischen  Wortes 
Xoyog,  das  die  3  Bedeutungen  hatte:  1)  ge- 
äusserte  Rede,  2)  innere  Vernunft,  3)  Ver- 
hältnis der  Teile  eines  Ganzen  zu  einander. 

*)  Plato  Sympoe.  c.  23:    ro   «fat^onor 


Ba)B5mi8ohe  Periode  vor  Konatantin.  8.  Die  Proaa.  g)  Philon.  (§  505.)        701 

mit  zusammenhängenden  Lehre  von  den  Engeln  und  Dämonen  ragte 
Philon  in  eine  neue  Welt  hinein  und  beeinflusste  in  nachhaltiger  Weise 
die  philosophischen  Anschauungen  der  Gnostiker  und  christlichen  Kirchen- 
lehrer. Aber  eben  deshalb  fällt  auch  eine  eingehendere  Betrachtung  der 
Werke  und  Ideen  Philons  ausserhalb  der  Grenzen  unserer  Aufgabe.  Die 
meisten  seiner  Schriften  sind  überdies  Auslegungen  von  Stellen  des  alten 
Testamentes,  so  dass  dieselben  trotz  der  griechischen  Sprachform  zur 
hebräischen,  nicht  griechischen  Philologie  gehören.  Nur  von  einigen  mehr 
in  das  allgemeine  Wissensgebiet  fallenden  Schriften  noch  einige  Worte: 
Wichtig  für  die  Geschichte  der  griechischen  Philosophie  ist  besonders  die 
lehrreiche  Schrift  über  die  ünvergänglichkeit  der  Welt  {ttsqI  dg^&aQaiag  xoa- 
fjtov),  worin  dieses  von  Aristoteles  angeregte  Thema  unter  Berücksichti- 
gung des  auf-  und  abwogenden  Schulstreites  der  Peripatetiker  und  Stoiker 
behandelt  ist.  Aber  Bedenken  gegen  die  Echtheit  der  Schrift  erweckt  der 
Umstand,  dass  die  in  derselben  vorgetragene  kosmogonische  Theorie  im  Wider- 
streit steht  mit  dem  von  Philo  in  dem  Buch  nsQi  trjg  Mcovaawg  xoafionouag  ge- 
teilten Glauben  an  die  Schöpfungsgeschichte  des  alten  Testamentes.^)  — 
Für  die  Geschichte  des  Mönchtums  hochbedeutsam  ist  das  Buch  von  dem  be- 
schaulichen Leben  der  Therapeuten  {rreQl  rov  ßiov  xß-ecoQrjrixov),  welche  an  dem 
westlichen  Ufer  des  roten  Meeres  wohnend  eine  Gemeinschaft  von  Ordens- 
brüdern bildeten  und  Vorbild  für  die  christlichen  Mönchsorden  geworden  sind. 
Auch  die  Echtheit  dieser  Schrift  bildet  einen  viel  umstrittenen  Zankapfel..^) 

Codices:  Lanrent.  10,  20  s.  XUI;  Vaticanus  381;  Vindob.  Üi.  gr.  29;  Monacens.  (olim. 
Angoat.)  459  und  113.  Unsere  Handschriften  gehen  nach  einer  Schlussbemerkong  des 
Schriftenverzeichnisses  auf  Enzoios,  Bischof  von  Cäsarea  im  4.  Jahrh.,  zurück  und  des  weiteren 
auf  die  Bibliothek  des  Origenes,  der  zuerst  auf  die  Bedeutung  des  Philon  für  die  christliche 
Lehre  aufinerksam  gemacht  hatte.    Vgl.  Ausgabe  von  Cohiv-Wenoland. 

Ausgaben:  Ed.  princ.  von  Tubnebds,  Par.  1552;  vollständiger  von  Manoey,  London 
1742,  2  vol.  und  von  Pfeiffeb,  Erlang.  1795,  5  vol.  —  Neue  Funde  von  armenischen  üeber- 
setzongen  aus  einer  galizischen  (gefunden  von  Zohrab  1791)  und  einer  konstantinopolitaner 
Handschrift,  publiziert  von  Aüoher,  Yenet.  1822;  neue  griech.  Texte  De  virtute  eiusque 
partibos,  De  feste  Cophini,  De  parentibus  colendis  von  Ang.  Mai  in  der  Ämbrosiana  und 
Yaticana  gefanden  und  publiziert  Medioi.  1816/18  und  in  Script,  class.  t.  IV,  Rom.  1830. 
Diese  Funde  verwertet  in  der  Gesamtausgabe  von  C.  E.  Richter,  Lips.  1828 — 30,  8  vol.  — 
Danach  wurden  noch  neue  Philonea  ans  Licht  gezogen  von  Tisch rndobf,  Lips.  1868,  Harris 
(aus  des  Damaskenos  Parallela),  Cambridge  1866;  Wendländ,  Neuentdeckte  Fragmente 
Philos,  Berlin  1891.  —  Neue  kritische  Gesamtausgabe  maior  et  minor  im  Erscheinen  von 
CoHK  u.  Wbndland,  begonnen  Berlin  1896.  —  Einzelausgaben:  Philonis  Alexandrini  libellus 

fiexa^r  iüxt  &eov  te  xal  ^vrjxov  .  .  .  dut  1  lung  in  der  Geschichte  der  Askese,  Strassb. 
lovto  naffa  icjiv  rj  6/nXla  xal  ^  duxXsxtog  I  1879,  weist  die  Schrift  einem  christlichen 
9^€otg  TtQog  dvdqtanovg.    Von  der  Aufnahme   I   Verfasser  des  3.  Jahrhunderte  zu.    Die  Echt- 


derDSmonenlehre  in  die  synkretistische  Philo- 
sophie der  römischen  Kaiserzeit  zeugt  beson- 
ders Augustin,  de  civit  dei  IX  19:  nonnulH 
ütorum  ut  Ua  dicam  daemonicolarum ,  in 
quibus  et  Labeo  est,  eosdem  perhibent  ah 
aUis  angelos  dici,  qtios  ipsi  daemanes  nun^ 
cupant, 

')  Bbrkats,  Abhdl.  d.  Beri.  Ak.  1876  u. 
Ges.  Abhdl.  I  283—90;  v.  Arnim,  üeber  die 
pseudo-philonische  Schrift  neqi  ätpSagciag 
xoofiov,  in  Phil,  ünt  XI  1--52.  Die  Echtheit 
verteidigt  der  neueste  Herausgeber  Cumont. 
Tgl.  SusBMiHL  AI.  Lit.  I  322  ff. 

')  Lucntvs,  Die  Therapeuten  und  ihre  Stel- 


heit  des  Buches  von  den  Therapeuten  hingegen 
verteidigt  mit  guten  Gründen  Wendland,  Die 
Therapeuten  und  die  Philonische  Schrift  vom 
beschaulichen  Leben,  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl. 
XXII  695  ff.,  wozu  BoLL  Bay.  Gymn.Bl.  1898 
S.  329  ff.  —  Ohle,  Die  EssÄer  des  Philon,  in 
Jahrb.  f.  prot.  Theol.  XIII  (1887)  S.  288—394 
beweist,  dass  auch  in  der  Schrift,  Der  Weise 
ist  der  wahrhaft  Freie,  die  §§  12  u.  13  von 
christlicher  Hand  zugesetzt  sind.  In  die  Jugend- 
zelt Philos  versetzt  die  ganze^Scbrift  Kbell, 
nsQi  jov  navra  anovdttToy  sivat  iXev&eQoy, 
Echtheitsfrage,  Augsburg  Progr.  1896. 


702 


Grieohiaohe  Litteratiirgesohiohte.    IL  Vaolüdassisohe  Liiteratnr. 


de  opificio  mandi  ed.  L.  Cohh,  Vratisl.  1889;  PhiloniB  de  aeternitate  mimdi  ed.  Franc 
CuMONT,  Berl.  1891;  Philo  about  the  contemplative  life,  by  Gontbbarb,  Oxford  1895.  — 
Chrestomaihia  Philoniana  von  Dahl,  Hamburg  1800,  2  Bde.  —  Erlftatemngsschriften  von 
Gfröber,  Philo  und  die  alexandrinische  Theosophie,  2.  Aufl.  Stnttg.  1835;  Ueberweo,  Gesch. 
d.  Phü.  I '  296  ff.;  Zbllbr,  Gesch.  d.  gr.  Phüos.  III«  2,  338  ff. 

506.  Die  Sekten  der  Stoiker,  Epikureer,  Peripatetiker,  Aka- 
demiker, welche  in  der  alexandrinischen  Periode  eine  so  geräuschvolle  litte- 
rarische Thätigkeit  entfaltet  hatten,  sind  in  der  römischen  Zeit,  als  das  Inter- 
esse für  die  philosophischen  Klopffechtereien  der  sich  gegenseitig  befehdenden 
Systeme  erlahmt  war,  allmählich  still  und  schweigsam  geworden.  Die  Epi- 
kureer haben  nur  hier  und  da  nochmals  ihre  Stimme  gegen  den  herein- 
brechenden religiösen  Wunderglauben  erhoben  ;^)  von  den  Piatonikern  hat  nur 
Attikus  (2.  Jahrb.),  von  dessen  Schriften  uns  grössere  Stellen  Eusebios  er- 
halten hat,  mit  Energie  den  Kampf  gegen  Aristoteles  fortgesetzt.  Die  Peripa- 
tetiker,  unter  denen  Alexander  Aphrodisiensis  hervorragte,  haben  sich 
fast  ausschliesslich  auf  die  Erklärung  der  Werke  des  Aristoteles  beschrankt. 
Doch  hat  der  bedeutendste  unter  ihnen,  Alexander  von  Aphrodisias,  der  unter 
Septimius  Severus  blühte,  auch  in  selbständiger  Weise  von  der  Seele  (Ttegi 
y^'vxtjg),  dem  Schicksal  {nfQi  €i^a(ßiiuvrig)^  der  Mischung  und  Mehrung  (^«^ 
xQaaewg  xai  av^rjcewg)  gehandelt  und  in  der  Schule  zahlreiche  Zweifel  und 
Probleme  über  Fragen  der  Physik  und  Ethik  {^vatxäv  otioqiwv  xai 
Xva€(ov  3  B.,  r;&ix(ov  nQoßXr^fjiarwv  1  B.)  hingeworfen,  die  von  seinen 
Schülern  in  planloser  Weise  zusammengefasst  und  publiziert  wurden.«)  Die 
Kyniker  verlegten  sich  mehr  auf  das  Poltern  und  ostentatives  Schein- 
heiligtum als  auf  litterarische  Thätigkeit.  Am  meisten  sind  noch  die 
Stoiker,  an  deren  Tugendlehre  sich  die  Besten  der  Zeit  klammerten,  in 
die  Arena  des  litterarischen  Wettkampfes  getreten.  Die  beiden  ältesten 
derselben  sind  Gomutus  und  Musonius  Rufus. 

507.  L.  Annaeus  Cornutus  aus  Leptis  in  Afrika  war  Lehrer  des 
römischen  Satirikers  Persius  und  wurde  zugleich  mit  Musonius  Rufus  von 
Nero  aus  Rom  verwiesen.  Auf  uns  gekommen  ist  von  seinen  in  griechi- 
scher Sprache  geschriebenen  Werken  die  ^ETiidQofiii]  twv  xard  tjijv  "EJUij- 
vixTJv  &€oloyiav  uaQadsioiiisvm',  eine  früher  überschätzte  Kompilation  nach 
den  grösseren  Werken  der  älteren  Stoa,»)  insbesondere  des  Kleanthes  und 
ApoUodor,*)  die  uns  mit  den  allegorisierenden  etymologischen  Träumereien 
der  stoischen  Mythenerklärung  (Apollo  =  Sonne,  Athene  =  Weisheit, 
Hephaistos  =  Feuer  u.  ä.)  bekannt  macht.*) 


*)  üeher  Celsus,  den  Verfasser  des  gegen 
die  Christen  gerichteten  UXtjSijg  Xoyog  siehe 
unten  unter  Lukian  and  Origenes;  üher  den 
epikureischen  Philosophen  Diogenes  und  die 
philosophische  Steininschrift  von  Oinoanda  in 
Lykien  siehe  oben  §  415. 

*)  Alexandri  Aphrodisiensis  praeter  com- 
mentaria  scripta  minora  ed.  Bruns,  in  Arisiotel. 
suppl.  II;  vgl.  oben  p.  489. 

')  OsANN  in  seiner  Ausg.  p.  XXXIX  sqq. 
Cornutus  selbst  am  Schlüsse  seines  Buches: 
6ia  TiXeiovcjy  de  xai  i^SQyaffuxuitSQoy  eiQTjTat 
rois  TtQsaßvjeqoig  <piXo<r6g)oig  i/ÄOv  vvv  int- 
JStfAtjfieyfüs  avtd  naQadovyalcoi  ßovXtj&eyrog. 


^)  MOnzrl,  De  Apollodori  ne^  Semr  Uhro 
p.  25—30. 

^)  Ausgabe  von  Osann,  Gott  1844;  von 
C.  LkvOy  Lips.  1881.  Des  Comatua  nnwttr- 
dig  ist  der  seinen  Namen  tragende  Pernns- 
kommentar;  s.  0.  Jahn,  Proleg.  in  Persinm 
p.  CXni  sqq.  Erst  aus  dem  sp&ten  Mittel- 
alter stammen  die  sogenannten  Disücha  Cor- 
nuti,  neu  herausgegeben  von  Lisbl,  Ptogr. 
Straubing  1888.  Cornutus  schrieb  nai^  Snidas 
auch  rhetorische  Schriften,  worüber  GRaBVss, 
Comuti    artia    rhetoricae    epitome,     1891, 

p.  xxvm. 


Ba)B5m. Periode TorKonataniin.  d.BieProsa.  g)Sektenphilosophen.(§§506— 508.)  703 


C.  Musonius  Rufus  aus  Volsinii  in  Etrurien,  ein  charakterfester 
Stoiker,  der  durch  Nero  wegen  der  angeblichen  Beteiligung  an  der  Ver- 
schwörung des  Piso  nach  der  Felseninsel  Gyaros  verbannt  wurde,  i)  später 
aber  unter  Galba  wieder  nach  Rom  zurückkehrte,  schrieb  gleichfalls  seine 
philosophischen  Untersuchungen  in  griechischer  Sprache  und  dieses  in 
einer  an  Xenophon  erinnernden  Eleganz.  Suidas  fuhrt  von  ihm  philo- 
sophische Reden  und  Briefe  an.  Von  den  Briefen  ist  einer  an  Pankra- 
tides  erhalten  (Epist.  gr.  ed.  Herch.  p.  401 — 4),  worin  er  seinen  Freund  zur 
Unterweisung  seiner  Söhne  in  der  Philosophie  ermahnt.  Ausserdem  sind 
durch  Stobaios  höchst  wertvolle  Bruchstücke  der  'ATioftvYjiAorsvfiaTa  Mov- 
awviov  tov  (piXoifofpov  von  Pollio  auf  uns  gekommen.*) 

608.  Epiktetos  aus  Hierapolis  in  Phrygien,  von  Geburt  Sklave,*) 
wie  sein  älterer  Landsmann  Aesop,  war  Schüler  des  Musonius  Rufus  und 
wirkte  zuerst  in  Rom  als  hochangesehener  Sittenlehrer  der  Stoa.  Durch 
Domitian  bei  der  grossen  Philosophenvertreibung  des  Jahres  94  aus  Italien 
verjagt,  schlug  er  seinen  Sitz  zu  Nikopolis  in  Epirus  auf,  wo  er  einen 
grossen  Kreis  begeisterter  Zuhörer  um  sich  sammelte  und  bis  ins  2.  Jahr- 
hundert hinein  thätig  blieb ;  sicher  lebte  er  noch  unter  Trajan,  aber  auch 
noch  Hadrian  soll  mit  ihm  vertraulich  verkehrt  haben  (Spartian,  Hadr.  16). 
Seine  Philosophie  beschränkte  sich  wesentlich  auf  die  Sittenlehre,  die  er 
im  Geiste  der  Stoa  auf  Grundlage  der  Selbstbeherrschung  aufbaute,  in  der 
er  aber  auch  Yerkünder  einer  reineren,  von  den  Schranken  der  Nationali- 
tät und  Geburt  losgelösten  und  zur  Anerkennung  der  allgemeinen  Menschen- 
rechte sich  erhebenden  Sittlichkeit  wurde.  Die  Probleme  der  Logik  und 
Physik  lässt  er  als  überflüssige  oder  doch  untergeordnete  Fragen  bei  Seite; 
hingegen  verbindet  sich  bei  ihm  die  Pflichtenlehre  eng  mit  der  Lehre  von 
einem  allweisen  und  allgütigen  Gott,  dem  die  Seele  des  Menschen  ver- 
wandt sei.  Sein  Hauptsittengesetz  lautete  avt'x^^v  xal  dntxov^  auf  der 
Fahne  seiner  Philosophie  stand  geschrieben  taTQsTov  iatl  t6  %ov  (fiXoa6(fov 
cxoXsTov.  Seine  Sätze  sind  uns  vornehmlich  in  den  Aufzeichnungen  des 
Arrian  {Siaxqißal  *EnixTr-Tov  und  «Vx*'?''«^*^^)  erhalten.*)  In  der  Lehre  und 
noch  mehr  in  der  Form  knüpfte  Epiktet  an  die  Diatriben  des  Bion  Bory- 
sthenites  an:   wie  jener,   so  ging  auch  er  über  die  engherzigen  Systeme 


*)  Tadtus  ann.  XV  71 :  Virginium  et 
Mu9onium  Bufutn  clarüudo  twminia  expulit; 
nam  Virginius  siudia  iuvenum  eloquentia, 
Musonius  praeceptis  sapientiae  fovebat.  Dazu 
Tac,  hiat.  IH  81  u.  Dio  XVI 13. 

*)  Auf  denselben  angespielt  von  Philostr. 
▼it  Apoll.  V  20  p.  179, 1 E.  Suidas  unt.  noXitoi^ 
denkt  dabei  verkehrterweise  an  Asinius  Pollio. 
DasB  Tielmehr  L.  Claudius  Pollio  zu  ver- 
Btehen  sei,  schloss  Niküwland  bei  Peebl- 
KAHP  p.  51  ans  Flinius  ep.  VII  31,5:  Musonii 
Bassi  metnoriam  tarn  grata  praedieatione 
prorogat  et  extendit  sc.  Claudius  Pollio,  ut 
librum  de  vUa  eius  ediderit,  wo  indes  jetzt 
Keil  nach  der  besten  handschriftlichen  Ueber- 
lieframng  Anni  Bassi  liest  Da  bei  Stobaios 
Anth.  II 15,  46  ein  Awx^og  ab  Verfasser  der 


'AnofxyfjfjioyBvuata  angegeben  ist,  so  denkt 
RoHDE,  Lukians  Schrift  Aovxiog  S.  28  f.  an 
den  Philosophen  Lucius  bei  Philostr.  vit  soph. 
p.  64,  20.  Ausgabe:  C.  Musonii  Rufi  reU.  ed. 
Pberlkamp,  Harlem  1822.  Ueber  Benützung 
durch  Clemens  Alex.  s.  Wbndland,  Quaest. 
Muson.,  Berl.  1886. 

')  Sein  Herr  war  der  Grammatiker 
Epaphroditos  aus  Chftronea,  der  Freund  des 
Historikers  Josephos.  Ein  Epigramm  auf 
Epiktet  steht  Anth.  VII  676,  worin  er  als 
&ovXog  und  awfA'  dyanrjgog  bezeichnet  wird. 

*)  Ein  'Pov(pog  ix  rtay  'Enixttjrov  negl 
g)tXiag  wird  citiert  bei  Stob.  Flor.  19,  13. 
Ausserdem  gehen  die  Selbstbetrachtungen  des 
Marc.  Aurel  auf  Epiktet  zurQck. 


704  Grieohisohe  Litteraiiirgeftohiohte.    II.  HaehklaMisohe  Littfiratur. 

der  Schulweisheit  hinaus  und  liebte  in  der  Darlegung  der  sittlichen  Grund- 
sätze der  Humanität  die  zwanglose  Form  der  Unterhaltung ;  die  Verwandt- 
schaft beider  drückt  sich  schon  in  der  Gleichheit  des  Titels  aus. 

Philosophiae  Epicteieae  moniunenta  ed.  SchweiohIubbb,  Lipe.  1799;  Epicteti  difiser- 
tationes  ab  Arriano  scriptae  ad  fidem  cod.  Bodleiani  rec.  Schbnkl  1894  in  Bibl.  Teubn. 
—  Ueber  die  aus  einer  Sammlang  von  dnotpHcyfAaja  stammenden  Sentenzen  (71)  siehe 
Schbnkl,  Die  epiktetischen  Fragmente,  eine  Untersnchung  znr  Ueberlieferungsgeschichte 
der  griech.  Florilegien,  Sitzb.  d.  Wien.  Ak.  115  (1888)  443—546;  Epicteti  et  Moschionis  qaae 
feruntur  sententiae  ed.  Eltbr  Lips.  1892.  —  K.  Asmus,  Qaaestiones  Epicteteae,  Freib.  1888. 
BoNHÖFFBB,  Epiktet  und  die  Stoa,  Stuttgart  1890.  —  Zahk,  Der  Stoiker  Epiktet  und  sein 
Yerhftltnis  zum  Christentum,  Erlangen  1894;  dagegen  Nobdbn,  Antike  Eunstprosa  469. 

609.  Marcus  Aurelius,  der  Philosoph  auf  dem  Thron  (161 — 180), 
war  durch  seinen  Lehrer  lunius  Rusticus  in  das  Studium  des  Epiktet  ein- 
geführt worden.  Während  seiner  Regierung  schrieb  er  in  Mussestunden, 
zum  Teil  auf  seinen  Kriegszügen  im  Lager  von  Oran  und  Gamuntum,  die 
uns  erhaltenen  Selbstbetrachtungen  (ra  dq  iavrov  in  12- B.),  die  in  apho- 
ristischer Form  ein  erhebendes  Bild  philosophischen  Seelenadels  enthalten. 
Auch  er  weist  wie  Epiktet  die  rein  theoretischen  Untersuchungen  als 
schwer  lösbar  und  wenig  fruchtbar  ab  und  findet  das  Schwergewicht  der 
Philosophie  in  der  Bildung  des  Charakters  und  der  Beruhigung  des  Ge- 
mütes. Lebend  in  einer  Zeit  des  Egoismus  und  der  sittlichen  Fäulnis  be- 
trachtet er  das  Leben  mit  einem  tiefen  Anflug  von  Melancholie.  Die  Weit 
des  Körpers  ist  ihm  ein  unbeständiger  Fluss,  die  der  Seele  Traum  und 
Wahn,  das  Leben  selbst  Krieg  und  Wanderschaft  in  der  Fremde  (II  17). 
Dabei  verflicht  Marc  Aurel  in  die  philosophischen  Sprüche  viele  IBemer- 
kungen  über  seinen  Lebensgang  und  gedenkt  namentlich  mit  edler  Pietät 
seiner  Lehrer  und  der  von  ihnen  erhaltenen  Unterweisungen.  Ausser  dem 
griechischen  Buche  sind  uns  von  unserem  Kaiser  auch  mehrere  lateinische 
Briefe  in  den  Werken  des  Fronte  erhalten. 

Oinomaos  aus  Gadara,  ein  Kyniker  des  2.  Jahrhunderts,  zog  nach 
Art  seiner  älteren  Zunftgenossen  Menippos  und  Meleagros  mit  rückhalts- 
losem Freimut  gegen  den  Mythenglauben  und  den  damals  üppig  blühenden 
Orakelhumbug  zu  Feld.  Seine  Schrift  ForjTon'  tpwqa^  von  der  uns  der 
Kirchenvater  Eusebios,  Praep.  ev.  V  19-36  einen  längeren  Abschnitt  ei^ 
halten  hat,  nennt  Jak.  Bernays  (Lukian  und  die  Kyniker  S.  35)  die  leben- 
digst geschriebene  Prosaschrift  des  2.  Jahrhunderts,  i) 

Textausgabe  des  Marcus  Aurelius  von  Stich  1882  in  Bibl.  Teubn.;  Ausgabe  mit  Kom- 
mentar von  Gatakbb  1662;  H.  Schbnkl,  Zur  handschriftlicben  Ueberlieferung  von  M.  Anto- 
ninus  Biq  kavxov,  in  Eranos  Yindobonensis  1893  S.  163  ff.  —  Saarmann,  De  Oenomao  Ga- 
darensi,  Diss.  1887,  wozu  die  abfällige  Kritik  von  Buresch,  Klaros  S.  63  ff. 

610.  Rhetorisierende  Philosophie.  Wie  oben  schon  bemerkt, 
nahm  im  2.  Jahrhundert  die  Sophistik  die  Maske  der  Philosophie  an. 
Wie  in  Piatons  Zeit  erhoben  auch  jetzt  die  Sophisten  den  Anspruch,  die 
Vertreter  der  eigentlichen  Lebensweisheit  zu  sein.  Aber  doch  nur  einige 
von  ihnen  haben  sich  näher  mit  Philosophie  beschäftigt  und  haben  aber 
philosophische  Dinge  in  ihrer  Art  geschrieben.     Zu  diesen   gehören  vor- 


^)  Suidas  unter  Oiyouaog  erwähnt  von   1   noXit$ia,  negi  tijq  xa&*  'X>fiif]^09^  ifiXa9o<piai^ 
ihm  noch  ne^l  xwmfAOv  {rj  xvyog  aviotpoiyia),   \   ne^i  KQaifjtog  xal  Jioyirovg, 


Ba)BOm.PeriodeTor  Konstantin.  S.D.Prosa.  g)ahetoriB.  Philosophen.  (§§509-511.)  705 

nehmlich  ausser  Dion  Ghrysostomos,  den  wir  unten  unter  den  Sophisten 
behandeln  werden,  Favorinus  und  Maximus  Tyrius. 

Favorinus^)  aus  Arelate  in  Gallien,  von  Geburt,  wie  man  sagte, 
Androgyn,  war  der  gelehrteste  und  angesehenste  Sophist  und  Philosoph 
der  hadrianischen  Zeit.  Die  Verbindung  von  Philosophie  und  Rhetorik 
hatte  er  von  seinem  verehrten  Lehrer  Dion  Chrysostomos  geerbt.  Seine 
ausgebreitete  Gelehrsamkeit  und  seine  weniger  folgerichtige  als  vermittelnde 
Art  zu  philosophieren  lernen  wir  zumeist  aus  seinem  Bewunderer,  dem 
römischen  Grammatiker  Gellius,  kennen.  Verdankte  er  auch  sein  Ansehen 
zumeist  seinen  gutgesetzten  und  mit  klangvoller  Stimme  gesprochenen 
Vorträgen,  so  hat  er  doch  auch  durch  zahlreiche  Schriften  seinen  Namen 
auf  die  nächsten  Generationen  vererbt.  Dieselben  waren  ähnlich  wie  die 
seines  befreundeten  Zeitgenossen  Plutarch^)  teils  philosophischen,  teils 
historischen  und  grammatischen  Inhaltes.  Eine  Fundgrube  mannigfacher 
Gelehrsamkeit  bildete  fUr  die  Späteren,  insbesondere  für  Diogenes,  sein  Mis- 
cellanenwerk  J7a%i;oSanrj  taxoQia  aus  mindestens  acht  Blichern.  Verwandten 
Inhaltes  waren  seine  'AT^ojuivrjftovsv/^iata,  die  gleichfalls  öfters  von  Diogenes 
citiert  werden,  und  der  von  dem  Geographen  Stephanos  unter  'Ponetg  er- 
wähnte Auszug  aus  den  Historien  der  Pamphila.  Von  seinen  philosophi- 
schen Schriften  erwähnen  Gellius  XI  5  und  Suidas  in  dem  einschlagenden 
Artikel:  UvQQwveioi  TQonoi  in  10  B.,  ttsqI  rrjg  ^Ofir^Qov  <piXo<fo(piag,  negl 
2foxqa%ovg  xai  rrjg  xccr'  avTOv  SQtöTix^g  Tsxvr^g,  neql  nXÜTwvog^  negt  Tfjg 
iiairtfi  twv  q>iXo<f6(p(ov  u.  a.*) 

Die  Fragmente  sind  gesammelt  von  Mabres,  De  Favorini  Arelatensis  vita  studiis 
acriptis,  Utr.  1852;  Müller  FHG  III  577—585.  —  Fb.  Nitzschb,  De  Favorino  Arelatensi  im 
Rh.  M.  18,  642  ff.  Aus  seiner  von  Suidas  erwähnten  Gnomensammlung  hat  neuerdings 
Frbudenthal  Rh.  M.  35,  416  ff.  aus  einem  Cod.  Paris.  1168  einige  Reste  mitgeteilt. 

511.  Maximus  Tyrius  (vollständig  Cassius  Maximus  Tyrius),  den 
man  wie  den  Favorinus  ebensogut  den  Sophisten  wie  den  Philosophen  zu- 
zählen könnte,  lebte  nach  Suidas  unter  Kaiser  Commodus;  er  war  Zeit- 
genosse des  Artemidor,  der  ihm  die  drei  ersten  Bücher  seiner  Traum- 
deutungen widmete.  Schon  von  Eusebios  ward  er  mit  dem  Stoiker  Maxi- 
mus verwechselt,  den  der  Kaiser  M.  Aurelius  zu  seinem  Lehrer  hatte. 
Erhalten  sind  uns  von  unserem  eklektischen  Platoniker  41  Aufsätze,  Sta- 
^'i^ig  genannt,*)  deren  Erhaltung  wir  nur  dem  Zufall  verdanken,  da  ihr 
innerer  Gehalt  keineswegs  ein  so  bevorzugtes  Geschick  verdiente.  Es 
sind  Vorträge  populärer  Natur  meist  über  abgedroschene  Themata,  wie 
7T€qI  ijcfor^g,  n€Ql  ^QcoTog,  tC  täXog  (fiXoaoifiag^  ei  iariv  ayad^ov  ccya^^ov  fiel- 
^avy  %i  %6  dcufioviov  JSwxQarovg.  Selbst  die  Aufsätze  sl  x^soTg  aydX^axa 
tiqvtäov  (or.  8)  und  el  avfxßdXXevca  TtQog  ägevt^v  xd  iyxvxXia  fxad-rjfiara 
(or.  37),  die  etwas  mehr  versprechen  und  unseren  Autor  als  einen  viel- 
gereisten Mann  und  begeisterten  Freund  der  Musik  erkennen  lassen,  er- 
heben sich  nicht  viel  über  das  Niveau  allgemeiner  Reflexionen.     Auch  die 


^)  Phüostr.  Vit.  soph.  I  8  mit  den  Erläu 
tenmgen  Kaysbb's  p.  181  ff. 


*)  Vgl,  Plutarch  Sympos.  VIU  10. 
*)  Neuere  haben  dem  Favorin  die  Eorin- 
tfaiflche  Rede,  welche  unter  den  Reden  Dions 

BMidbuch  der  klaas.  AltertumswiaseDSchaft.    VII.    3.  Aufl.  45 


steht,  zugewiesen,  worüber  unten  §  520. 

^)  Die  ersten  6  Vorträge  haben  die  ge- 
sonderte Ueberschrift  rcJi'  iy  'Ptof^n  diaX^^etoy 


706 


Grieobisohe  Litteratnrgesohiohte.    II.  HaebklaMMche  Idtteratiir. 


Form  der  Unterredungen  ist  nicht  sonderlich  zu  rühmen;  überall  werden, 

meist  zur  Unzeit,  Verse  aus  Homer  eingelegt,^)   hie  und  da  auch  solche 

aus  Sappho,   wie  namentlich  im  24.  Aufsatz,  wo  die  Erotik  des  Sokrates 

durch  übereinstimmende  Stellen   aus  Piaton  und  der  lesbischen  Dichterin 

beleuchtet  wird.     Geschmacklos   im  Stil   ist  namentlich  die  Masslosigkeit 

in  der  Anwendung  der  Anaphora  und  Epimone ;  hielten  gute  Redner  darauf, 

nicht  leicht  mehr   als  drei  synonyme  Ausdrücke  zu  gebrauchen,  so  kann 

sich  Maximus  mit  sechs  und  zehn  nicht  genug  thun. 

Ausgabe  ex.  rec.  Davisii  cum  adn.  Marklandi,  cur.  Rbiskb,  Lips.  1774;  ed.  DCbkkb, 
Par.  1840. 

512.  Sextus  Empiricus  liess  die  Lehre  der  alten  Skeptiker,  des 
Pyrrhon  aus  Elis  und  Ainesidemos  aus  Knossos,  wieder  aufleben.  Über 
die  Persönhchkeit  und  Lebenszeit  desselben  ermangeln  wir  sicherer  An- 
gaben. Aus  Diogenes  IX  116,  der  ihn  unter  den  letzten  Skeptikern  auf- 
fuhrt, ersehen  wir  nur,  dass  er  kurz  vor  Diogenes  lebte,  Schüler  des  Hero- 
dotos  aus  Tarsos  und  Lehrer  des  Saturninus  war.  Da  auf  der  anderen 
Seite  Galen  ihn  nirgends  erwähnt,  wiewohl  er  oft  Oelegenheit  dazu  gehabt 
hätte,  so  wird  er  nicht  vor  Galen,  aber  vielleicht  noch  vor  dessen  Ableben, 
um  180,  geschrieben  haben.  Suidas  konfundiert  ihn  mit  dem  Nefifen 
des  Plutarch  und  Lehrer  des  M.  Aurel,  Sextus  aus  Chäronea,  sowie  mit 
dem  christlichen  Historiker  Sextus  Africanus ;  denn  wenn  er  den  Verfasser 
der  üvQQmveia  Libyer  nennt,  so  steht  dem  die  erhaltene  Stelle  des  Sextus, 
Pyrrh.  HI  213  entgegen,  wo  sich  der  Verfasser  ausdrücklich  als  Griechen 
bezeichnet  und  die  Griechen  den  thrakischen  und  libyschen  Barbaren  gegen- 
überstellt. Seines  Berufes  war  unser  Philosoph  ein  Arzt  der  empirischen 
Richtung,  wovon  er  auch  den  Beinamen  o  ifiTteigixog  erhalten  hat.*)  Li 
seiner  Jugend  hatte  er  auch  über  medizinische  Dinge  geschrieben ;  er 
selbst  erwähnt  Log.  I  202  seine  ^Icctqixcc  vnofAVTJfiaza^  von  denen  die  'E/a- 
TteiQixd  vnofAvrjiKXTa  (citiert  adv.  gramm.  61)  nicht  verschieden  gewesen 
sein  werden.  Hinterlassen  hat  er:  1)  IlvQQcivsioi  imoximwasig  in  3  B.,') 
in  welchen  er  die  Lehre  des  Pyrrhon,  des  Begründers  der  Skepsis,  in  den 
Hauptumrissen  {iv  tvmi)  oder  tmoxv7i(6aei)  darlegt,  2)  Sxsmtxd  in  10 
(11)  B.,^)  in  denen  er  die  zweifelnden  Einwände  gegen  die  Sätze  der  ein- 


^)  Den  Homer  hat  Mazimus  immer  auf 
den  Lippen,  gleichwohl  ist  er  so  urteilslos 
in  der  30.  Unterredung  dem  Homer  den  Arat 
als  noirjTtjy  ovdiy  udo^oxaqoy  gegen&ber  zu 
stellen. 

')  Die  empirische  Richtung  der  Medizin 
liebte  es  die  ärztliche  Lehre  mit  philosophi- 
scher Spekulation  zu  umkleiden;  ein  Vor- 
gänger unseres  Sextus  war  Asklepiades 
zur  Zeit  des  mithridatischen  Krieges,  der  aus 
einem  Rhetor  Arzt  geworden  war  und  die 
Atomenlehre  des  Epikur  medizinisch  begrün- 
dete; über  ihn  Süsexihl  AI.  Lit.  U  428  ff. 

')  Aehnlich  lautete  der  Titel  des  Haupt- 
werkes, welches  Ainesidemos  schrieb,  näm- 
lich ÜVQQtavBiioy  Xoytay  ßtßXia  oxtta  nach 
Diog.  IX  116 ;  über  deren  Benützung  durch 
Sextus  s.  DiBLS,  Doxogr.  209  ff. 


*)  Crewöhnlich  wird  dieses  Werk  mit  dem 
Titel  adv.  mathem.  dtiert,  aber  dieser  Titel 
kommt  nur  dem  1.  Teil  des  Werkes  so.  Der 
Titel  £x6ntixä,  wofür  Haas,  Ueber  die  Schrif- 
ten des  Sext.  Empirikus  (Progr.  von  Bnrg- 
hausen  1888)  S.  10  'YnofAvtjfAaxa  cxcnTuat 
nach  den  Andeutungen  des  Autors  selbst 
(Geom.  116,  Mus.  52  etc)  vorschlfigt,  findet 
sich  nicht  in  den  Handschriften,  wohl  aber 
bei  Suidas  u.  Diogenes  IX  116.  Bekker  be- 
titelt das  Werk  nach  Math.  85  '^yti^Qijtixd, 
Die  Ausgaben  deuten  durch  Ueberschriflen 
11  B.  an;  wenn  Suidas  u.  Diog.  nur  10  B. 
angeben,  so  beruht  dieses  wahrscheinlich 
darauf,  dass  der  kleine  Abschnitt  g^gen  die 
Arithmetiker  mit  dem  verwandten  gegen  die 
Geometer  zu  1  Buch  verbunden  wurde. 


Ba)Böm.Period6Tor  Konstantin.  S.B.Prosa.  g)Rhetori8.  Philosophen.  (§§512— 514.)  707 


zelnen  Wissenschaften  entwickelt.  Von  diesen  zehn  Büchern  sind  nach 
der  überlieferten  und  bis  auf  Bekker  auch  in  den  Ausgaben  befolgten 
Ordnung,  die  aber  dem  zeitlichen  Verhältnis  der  Abfassung  nicht  ent- 
spricht, die  fünf  ersten  Bücher  gegen  die  Vertreter  der  enkyklopädischen 
Disziplinen  {n^g  fia&rjfiaTixovg),  nämlich  Grammatik,  Rhetorik,  Geometrie, 
Arithmetik,  Astrologie,  Musik  gerichtet,  die  fünf  letzten  gegen  die  dog- 
matischen Philosophen  {TtQog  ioyfiatixovg)^  und  zwar  gegen  die  drei  Haupt* 
teile  der  dogmatischen  Philosophie,  Logik,  Physik,  Ethik.  Die  beiden* 
Schriften  sind  mit  logischer  Schärfe,  aber  in  trockener,  nur  durch  häufige 
Dichtercitate  unterbrochener  Sprache  geschrieben.  Ihr  Hauptwert  besteht 
in  der  reichen  Belehrung,  die  sie  uns  über  die  genannten  neun  Disziplinen 
und  ihre  Hauptvertreter  bieten.  —  In  den  Handschriften  und  älteren  Aus- 
gaben stehen  nach  jenen  zwei  echten  Schriften  noch  fünf  ethische  Dekla- 
mationen 1)  in  dorischem  Dialekt.  Dieselben  rühren  aber  von  einem  Stoiker 
her  und  gehören  wahrscheinlich  dem  Sextus  von  Ghäronea,  dem  Neffen 
Plutarchs  an. 

Sezti  Emp.  opera  cum  versione  et  notis  ed.  Fabrioius  LipB.  1718;  kritische  Ausgabe 
von  Ihm.  Bbkkeb,  Berl.  1842;  die  ethischen  Aufsätze  stehen  in  Opusc.  graec.  sentent  ed. 
Obblli  II  210  ff.  —  Pappenhbim,  De  Sext  Empirici  librorum  numero  et  ordine,  Berl.  1874; 
Yon  ebendemselben  Uebersetzung  mit  Erläuterungen  in  Kirchhanvs  Philosoph.  Bibl.,  Leipz. 
1877.  —  Ueber  die  handschriftliche  Grundlage  E.  Wbbbb  in  philol.-histor.  Beiträgen  zu 
Ehren  WachsmuÜis,  Leipz.  1897  S.  34  f. 

513.  Auch  andere  Ärzte  in  der  Zeit  des  Hadrian  und  der  Antonine 
liebten  es,  mit  philosophischen  Fragen  sich  abzugeben ;  neben  Sextus  Em- 
piricus  war  ein  Hauptvertreter  dieser  Richtung  der  vielseitige  und  schreib- 
selige Arzt  Galen,  auf  den  wir  unten  bei  den  Spezialwissenschaften 
zurückkommen  werden.  Diesem  Oalen  wird  in  den  Handschriften  auch 
ein  vielverbreitetes  Kompendium  der  Geschichte  der  Philosophie  [Fakr^^ov 
twcqI  q^iXoaoffov  tütoQiaq)  zugeschrieben,  das  aber  erst  gegen  Ende  des 
Altertums  entstanden  ist  und  dadurch,  dass  die  Mediziner  es  als  Leitfaden 
für  die  Einführung  in  die  Philosophie  gebrauchten,  unter  die  Werke  des 
Galen  gekommen  zu  sein  scheint.^) 

514.  Laertius  Diogenes,  oder  wie  andere  sagen  Diogenes  Laertius,^) 
nimmt  unter  den  Historikern  der  Philosophie  die  erste  Stelle  ein,  freilich 
wesentlich  nur  dadurch,  dass  uns  sein  Hauptwerk  Bioi  g^iXoaoiffov,  genauer 
Bio*  xai  yrco/Aat  jo)v  iv  ipiXoao<fff  svSoxifir^aavtwv  in  zehn  Büchern  auch 
erhalten  ist.  Von  den  Lebensverhältnissen  und  der  schriftstellerischen 
Thätigkeit  des  Verfassers  wissen  wir  nichts,  ausser  dass  er  neben  dem 
erhaltenen  Werk  auch  noch  Epigramme  in  verschiedenen  Versmassen*) 
auf  berühmte  Männer  geschrieben  hat.     Selbst  über  seine  Lebenszeit  er- 


>)  Suidas  fand  sie  schon  vereint  vor,  wenn 
er  dem  Sextus  Ghaeronens  beilegt  ijf^txd  €\ 
7iv<Qg*oveiny,  üxs-nrixd.  Seine  von  ihm  selbst 
citierte  Schrift  Ttsgi  xffvx^s  ist  nicht  auf  uns 
gekommen. 

*)  Bearbeitet  ist  dasselbe  von  Dibls, 
Doxogr.  gr.  p.  597-648;  vgl.  p.  258. 

S)  Die  Lesart  schwankt  in  den  Hand- 
flclniften  des  Diogenes  selbst  und  in  Steph. 
Byz.  239,  15  M.  zwischen  AaSQttog  Jioy^yrjg 


u.  Jioyiyrjg  ^iaegriog;  in  Steph.  695,  7  steht 
Jioyivriq  6  Aaegrtevg.  Im  ei-sten  Fall  bezieht 
sich  AaiQTiog  auf  die  römische  gens,  in  welche 
er  oder  einer  seiner  Vorfahren  aufgenommen 
war,  im  zweiten  auf  die  Stadt  Laerte  in  Ej- 
likien,  aus  der  er  stammte. 

^)  Die  gleiche  Spielerei  mit  verschiedenen 
Versmassen  begegnet  uns  bei  dem  Lateiner 
Terentianus  Maurus,  einem  Zeitgenossen  un- 
seres Diogenes. 

45* 


708 


Grieohisohe  Idtteratnrgeaohiohte.    II«  HaohklftMiaohe  Litteratiir. 


mangeln  wir  eines  ausdrücklichen  Zeugnisses;  mit  Bestimmtheit  können 
wir  nur  sagen,  dass  er  nach  Sextus  Empiricus,  den  er  IX  116  nennt,  und 
vor  Stephanus  von  Byzanz,  der  ihn  citiert,  gelebt  haben  muss.  Am  wahr* 
seheinlichsten  ist  es,  dass  er  vor  dem  Aufblühen  des  Neuplatonismus, 
unter  Alexander  Severus  und  seinen  nächsten  Nachfolgern  geschrieben 
hat.  Ein  selbständiger  Denker  und  philosophischer  Kopf  war  er  nicht; 
er  hat  nicht  einmal  zu  einer  der  bestehenden  philosophischen  Sekten  be- 
stimmte Stellung  genommen;  es  bricht  nur  hie  und  da  seine  Hinneigung 
zur  Lehre  des  Epikur  durch;  er  hatte  in  erster  Linie  nur  Sinn  für  die 
litterarische  Seite  der  Philosophie,  insbesondere  für  den  Anekdotenkram 
und  das  Privatleben  der  Philosophen.  Dem  erhaltenen  Werk  ist  wahr- 
scheinlich ursprünglich  ein  Widmungsbrief  an  eine  hohe  Dame,  eine 
Freundin  der  platonischen  Philosophie,  vorangegangen,  i)  Im  Proömium 
führt  er  die  Anfänge  der  Philosophie  auf  die  Magier,  Chaldäer,  Gymno- 
sophisten  und  Druiden  zurück.  Sodann  behandelt  er  in  B.  I — 11,  4  die 
ältesten  griechischen  Philosophen  und  Weltweisen  bis  auf  Anaxagoras  und 
Archelaos,  in  B.  II  5— IV  Sokrates  und  die  Sokratiker,  in  B.  V  Aristoteles 
und  die  Peripatetiker,  in  B.  VI  Antisthenes  und  die  Kyniker,  in  B.  YU 
die  Stoiker  von  Zenon  bis  auf  Chrysippos,  in  B.  VIII  Pythagoras  und  die 
Pythagoreer  mit  Einschluss  des  Empedokles  und  des  Mathematikers  £u- 
doxos,  in  B.  IX  Heraklit,  die  Eleaten  und  Skeptiker,  in  B.  X  Epikur,  dem 
er  wie  Piaton  ein  ganzes  Buch  widmete. 

Das  Werk,  wichtig  und  interessant  durch  die  Fülle  von  biographischen 
und  litterarischen  Nachrichten,  ist  es  weniger  durch  das  Verdienst  des 
Verfassers,  als  durch  die  Studien  seiner  kritiklos  ausgeschriebenen  Vor- 
gänger.^) Es  steht  so  Diogenes  auf  einer  Stufe  mit  Älian  und  Athenaios; 
er  stimmt  aber  auch  darin  mit  jenen  überein,  dass  er,  um  sich  den  Schein 
grosser  Gelehrsamkeit  zu  geben,  mit  Citaten  von  Werken  um  sich  wirft, 
die  er  nie  gesehen  und  die  er  nur  aus  den  von  ihm  ausgeschriebenen 
Kompendien  kannte.  Die  richtige  Erkenntnis  dieses  Verhältnisses  ist  be- 
sonders in  neuerer  Zeit  durchgedrungen,*)  wenn  auch  die  bestimmte  Er- 
mittelung des  Autors,  den  Diogenes  unmittelbar  ausschrieb,  nicht  gelungen 
ist.  Vorgelegen  haben  zunächst  dem  Diogenes  ein  kompendiöses  Buch 
von  den  Successionen  {Siadoxai)  in  den  einzelnen  Philosophenschulen,  eine 
Sammlung  der  Lehrsätze  {Soyfiara)  der  einzelnen  Sekten,  eine  Sammlung 
von  philosophischen  Aussprüchen  {d7to(p&f:Yfiaza)  berühmter  Männer.    Von 


»)  Vgl.  III  47  u.  X  20;  unter  jener  Dame 
haben  die  einen  die  Arria,  die  Freundin  des 
Galen,  andere  die  Kaiserin  Julia  Domna,  die 
Gönnerin  des  Philostratos^  vermutet. 

^)  Als  auf  ein  Zeichen  seines  Unver- 
standes sei  auf  das  Verzeichnis  der  Werke  des 
Aristoteles  verwiesen,  das  er  nach  den  alten 
alexandrinischen  Katalogen  gab,  während  doch 
schon  längst  die  Schriften  des  Aristoteles 
vollständiger  durch  Andronikos  ediert  worden 
waren.  Die  Nachlässigkeit  des  Diogenes  und 
seiner  Abschreiber  im  Zusammenleimen  ihrer 
Exzerpte  und  Vorlagen  beleuchtet  Useneb, 


Epicurea  XXI  sqq. 

*)  Fr.  Nietzsche,  De  Laertii  fontibas,  im 
Rh.  M.  25,  632  ff.;  24,  181  ff.;  26,  181  ff.,  wo 
Favorinus  und  Diokles  als  Hauptqaellen  an- 
genommen sind;  Maass,  De  biographis  graecis 
quaestiones  selectae,  in  PhiL  Unt.  III,  der 
alles  auf  Favorinus  zurUckfUiren  wUl,  und 
dem  Rudolph,  Leipz.  Stud.  VII  126  ff.  be- 
pflichtet;  dagegen  Wilamowitz  in  der  voraus- 
geschickten Epistola  und  in  Phil.  UnL  IV 
330—849;  vgl.  Freudenthal,  HdL  Stad.  lU 
exe.  4. 


B  a)  Böm.  Periode  Tor  Konstantin.  8.  Die  Prosa,  g)  Rhetoris.  Philosophen.  (§  515.)    709 

den  zusammenhängenden  Werken,  die  er  als  seine  Quellen  citiert,  kannte  er 
aus  eigener  Lektüre  die  ""EmdQOfirj  (piXoaogxov  des  Magnesiers  Diokles,  die 
Philosophengeschichte  des  Nikias  und  die  Ilavxoianrj  tatoQfa  des  Pavorinus. 
Aber  in  diese  seine  Quellen  war  vieles  übergegangen  aus  den  älteren  Htterar- 
historischen  Werken  des  Hermippos,  Antigonos  von  Karystos,  Apollodor,i) 
Demetrios  Magnes  und  ausserdem  aus  einigen  Spezialwerken  der  Philo- 
sophengeschichte. Die  Erinnerungen  an  die  grossen  Philosophen  hatten 
sich  nämlich  zunächst  durch  die  Traditionen  der  Philosophenschulen  er- 
halten, welche  in  den  Testamenten  und  Bibliotheken  ihrer  Stifter  einen 
festen  Rückhalt  hatten.  Aus  jenen  Schulen  waren  auch  Darstellungen  des 
Lebens  und  der  Lehre  der  Stifter  und  einzelner  hervorragender  Glieder  der 
Schule  hervorgegangen,  wie  der  Platoniker  Speusippos  über  Piaton  (Diog. 
ni  2),  der  Epikureer  Apollodoros  über  Epikur  (Diog.  X  3),  der  Peri- 
patetiker  Hermippos  über  Aristoteles  (Diog.  VI)  geschrieben  hatte.  Eine 
zusammenhängende  Darstellung  brachten  die  Jiadoxal  ifiloaotpfov^  die 
seit  dem  2.  Jahrhundert  v.  Chr.  aufgekommen  zu  sein  scheinen  und  sich 
dann  durch  die  ganze  Folgezeit  hindurchzogen.  Als  Verfasser  solcher 
Jiadoxai  werden  genannt  Sotion  (um  200  v.  Chr.),  dessen  umfangreiches, 
aus  13  (v.  1.  23)*)  Büchern  bestehendes  Werk  Herakleides  Lembos  um 
150  v.  Chr.  in  einen  Auszug  brachte,  ferner  Nikias  aus  Nikäa  (in  der 
Zeit  des  Nero),  der  Hauptgewährsmann  unseres  Laertius  Diogenes  war 
und  aus  dem  allein  er  auch  die  Kenntnis  von  Sotion  geschöpft  zu  haben 
scheint,')  sodann  Sosikrates  aus  Rhodos,  dessen  Buch  die  handliche 
Form  eines  Kompendiums  hatte,^)  endlich  die  Kompilatoren  Alexander 
Polyhistor,  Diokles  aus  Magnesia  (um  80  v.  Chr.),  Philodemos,  Antisthenes, 
Hippobotos. 

Ed.  princ.  Basil.  1533;  cum  adnot.  variomin  (Menaoii  al.)  ed.  Meibomiüs,  Ämstelod. 
1692;  ed.  Huebnbr  et  Jaoobitz,  Lips.  1833,  4  vol.;  ex  italicis  codicibus  nnnc  piimum  ex- 
cuBsis  rec.  Cobbt,  Paris  1850  u.  1862.  Eine  Ausgabe  mit  ausreichendem  kritischen  Apparat 
gehört  noch  zu  den  desideria  philologorum ;  über  die  wichtigsten  Htmdschriften  s.  Wachs- 
ifüTH,  Sillogr.  gr.  51  ff.  und  üsbkeb,  Epicurea  prol.  VI  sqq. 

615.  Wir  schliessen  an  Diogenes  dasjenige  an,  was  uns  von  alten 
Doxographen  oder  von  Sammlern  der  philosophischen  Lehrsätze  erhalten 
ist.  Neben  der  Nachfolge  in  den  einzelnen  Philosophenschulen  waren  es 
die  charakteristischen  und  unterscheidenden  Lehrsätze  (doynaxa^  io^ai, 
aQtaxovTa),  welche  die  philosophisch  gebildeten  Gelehrten  der  alexandrini- 
schen  und  römischen  Zeit  interessierten.  Die  Peripatetiker  hatten  diese 
Richtung  philosophischer  Geschichtsforschung  angeregt.  Schon  Aristoteles 
hatte    in   mehreren  Werken,    besonders    in   der  Metaphysik   und   in   den 


*)  Ausser  den  filteren  litterarhistorischen 
Werken  benutzte  Diogenes  auch  noch  das 
Buch  des  Argivers  Lobon  TtsQl  no^rixöiy, 
den  HiLLEB  Rh.  M.  XXXIII  518—589  als  einen 
Hauptf&lscher  entlarvt  hat. 

«)  Vgl.  SüSBHiHi  AI.  Lit.  T  497. 

*)  Das  erhellt  aus  Diog.  9, 109  und  Athe- 
naioe  p.  162^  u.  505^,  wie  Usener,  Die  ünter- 
L^e  des  Laertios  Diogenes,  Sitzb.  d.  pr.  Ak. 
p.  1023  ff.  nachgewiesen  hat.  Aus  die- 


sem Verhältnis  erklärt  es  sich  auch,  dass 
Diogenes  bei  den  meisten  Successionen  nicht 
unter  200  ▼.  Chr.  herabgeht. 

*)  Ein  3.  Buch  citiert  Ath.  163  f.;  nach 
ebendemselben  p.  26  le,  263f,  561e  und  Stra- 
bon  p.  474  schrieb  er  auch  KQt^tixd;  unter 
den  berühmten  Rhodiem  nennt  ihn  Strabon 
p.  655  nicht,  woraus  man  schliessen  möchte, 
dass  er  nach  Strabon  gelebt  habe. 


710 


Grieohisohe  Littoratargesohichte.    IL  Haohklasaische  LitUratur. 


Büchern  von  der  Seele,  der  eigenen  Spekulation  einen  historisch-kritischen 
Abriss  der  früheren  Anschauungen  vorausgeschickt.  In  seine  Fusstapfen 
trat  Theophrast  mit  seinen  18  Büchern  (Pvaixciv  So^ai.  Von  den  Stoikern 
hat  der  zu  historischen  Forschungen  sich  hinneigende  Poseidonios  ähnliche 
Zusammenstellungen  gemacht,  aus  denen  Cicero  und  Seneca  schöpften. 
Näheres  wissen  wir  von  den  Sammlern  der  Kaiserzeit:  Areios  Didymos, 
ein  eklektischer  Stoiker  aus  Alexandria,  schrieb  im  Beginne  unserer  Zeit- 
rechnung eine  Epitome  der  ethischen  und  physikalischen  Lehren  des  Piaton, 
Aristoteles  und  der  Stoa;  dieselbe  war  eine  Hauptquelle  des  Stobaios; 
einige  Abschnitte  daraus  hat  uns  der  Kirchenvater  Eusebios  erhalten. 
Aetios  um  100  n.  Chr.  ist  der  Vater  des  umfangreichen  Werkes  über  die 
Sätze  der  Naturlehre,  von  dem  uns  unter  dem  Namen  des  Plutarch  der 
wichtige  und  vielbenutzte  Auszug  nsQi  ttav  agsaxorttov  q>i,koa6q>oiq  tfvtnxiot* 
doyfxäTiov  und  ausserdem  vieles  durch  Stobaios  und  den  christlichen  Bischof 
Theodoretos  erhalten  ist. 

DlBLS, 

graecorum  reli 


8,  Dozographi  grseci,  Berol.  1879,  wo  p.  265 — 656  UDter  dem  Titel  Dozographoram 
reliqoiae  die  Reste  dieser  Litteratur  herausgegeben  sind. 


h)  Die  Sophistik. 
616.  Die  alten  Rhetoren  haben  drei  Perioden  der  Beredsamkeit 
unterschieden,  eine  der  alten  Staatsmänner  Athens,  eine  zweite  der  soge- 
nannten zehn  attischen  Redner,  und  eine  dritte  der  sophistischen  Rhetoren 
Asiens  zur  Zeit  der  römischen  Kaiser,  i)  Diese  dritte  Periode  geht  auf 
Dionysius  und  Cäcilius  zurück,  die  unter  Augustus  das  Studium  der  atti- 
schen Redner  in  Rom  eingeführt  hatten.  Denn  dieser  Zweig  der  griechi- 
schen Litteratur  fand  wie  kein  zweiter  Beifall  bei  den  Römern,  welche 
in  den  stürmischen  Zeiten  des  untergehenden  Freistaates  die  Schlagfertig- 
keit der  Rede  als  Haupthebel  politischen  Einflusses  ansahen  und  auch 
nachher  noch  der  auf  die  Waffen  gestützten  Gewalt  der  Kaiser  die  Macht 
der  Rede  im  Senat  und  vor  Gericht  entgegenstellten.  Aber  wenn  auch 
so  die  griechische  Beredsamkeit  von  vornherein  in  Rom  Verständnis  und 
Beifall  fand,  so  musste  sie  sich  doch,  so  lange  den  Griechen  im  öffent- 
lichen Leben  der  Mund  verschlossen  blieb,  in  den  engen  Grenzen  der 
Theorie  und  der  Schule  halten.  Erst  als  das  Griechentum  grössere  Be- 
deutung im  römischen  Reiche  gewann  und  einzelne  Griechen  zu  einfluss- 
reichen  Stellungen  bei  Hof  und  in  der  Staatsverwaltung  gelangten,  trat 
auch  die  griechische  Beredsamkeit  aus  dem  Dunkel  der  Schule  allmählich 
mehr  in  das  Licht  der  Öffentlichkeit,  so  dass  die  grossen  Vorbilder  der 
Vergangenheit  nicht  mehr  bloss  gelesen  und  kommentiert,  sondern  auch 
nachgebildet  wurden.  Das  geschah  in  steigendem  Grade  im  2.  Jahrhundert 
unter  Hadrian  und  den  Antoninen,   die  ihre  Vorliebe  für  griechische  Bil- 


1)  Proleg.  in  Aristid.  Fanath.^111  737: 
TQetg  (pogal  ^rjxoQtay  yByoyaaiv,  tav  ij  fjtky 
nqvixrj  dygatpiag  sXsysy,  ijg  icrl  BefxiaxO' 
xXijq  xai  JlBQixXrjg  xat  ol  xar'  ixeiyovg  ^ij- 
roQ$g,  rj  d^  devriga  iyyQdfptag  eXByev,  rjg 
ictl  JfjfioaOiyrjg  xal  Alaxlytjg  xal  ^Icoxgaxtjg 
xai   avy  avxolg  ij   nqaxtofAiyri  roSy  ^tjxoQioy 


dsxdg  *  xttl  avxai  <il  dvo  tpogal  iy  \49ijrakg 
yByoyaayf  ^  di  xvxfj  xal  xij  *Aaitf  rovrwr 
dtogeixai  fpoqdy,  xqixtjy  ovaay  intarwjufjy, 
^g  i<nl  UoÜfÄtoy,  *H^dijg  xal  l^fi^rci«^ 
xai  oV  xard  xovroyg  rovg  /^Vov(  yByöwam^ 
^xoQBg. 


Ba)  BönisohePeriodeTor  KoBstantin.  8.Die  Prosa,  h)  Die  Sophistik.  (§§  516-517.)    711 


düng  überall  zu  Schau  trugen,  in  Athen  und  den  griechischen  Städten 
Kleinasiens  Lehrstühle  für  Philosophie  und  Rhetorik  errichteten  und  selbst 
griechisch  zu  schreiben  sich  bemühten.^)  Damit  wuchsen  den  Griechen 
wieder  die  Flügel;  zwar  die  alte  Freiheit  und  Selbständigkeit  wieder  zu 
gewinnen,  dazu  machten  sie  nirgends  einen  Anlauf;  sie  erkannten  willig 
die  Oberherrlichkeit  der  Römer  an,  aber  sie  pochten  umsomehr  auf  ihre 
Überlegenheit  in  geistiger  Bildung  {naidsio)  und  priesen  Athen  und  die 
alten  Städte  Griechenlands  als  die  geistigen  Nährmütter  aller  im  römischen 
Reiche  vereinigten  Völker.*)  Natürlich  wurden  solche  Ansprüche  am 
liebsten  da  gehört,  wo  in  der  Bevölkerung  das  griechische  Element  über- 
wog und  Schulen  griechischer  Weisheit  blühten;  das  waren  aber  ausser 
Athen,  der  alten  Burg  griechischer  Bildung,  die  hellenischen  Städte  Klein- 
asiens, Smyma,  Ephesos,  Rhodos,  Pergamon.  Nach  verschiedenen  Seiten 
erstand  hier  das  Griechentum  zu  neuem  Leben :  die  nationalen  Gtötterfeste 
wurden  wieder  in  altem  Glänze  gefeiert,')  neue  Tempel  und  Odeen  erhoben 
sich,  geschmückt  mit  den  Bildwerken  archaisierender  Künstler;  nicht  nur 
Theater  und  Gymnasien  thaten  sich  wieder  auf,  auch  zur  Unterweisung 
in  der  Weisheit  drängte  sich  wieder  wie  zur  Zeit  des  Piaton  und  Iso- 
krates  eine  lernbegierige  Jugend  um  die  Lehrkanzeln  berühmter  Schul- 
häupter. ^)  Die  Litteratur  aber,  in  der  diese  neue  Richtung  hellenischer 
Renaissance  ihren  entsprechenden  Ausdruck  fand,  war  die  Sophistik.'^) 

517.  Der  Name  Sophist  ist  uns  schon  aus  der  sokratischen  Zeit  und 
aus  den  Dialogen  Piatons  bekannt;  man  bezeichnete  damit  nicht  bloss 
die  mit  dem  Schein  der  Weisheit  prunkenden  Afterphilosophen,  sondern 
auch  Männer  wie  Gorgias  und  Thrasymachos,  welche  weniger  auf  ihr 
philosophisches  Wissen  als  auf  ihre  Kunst  im  Reden  stolz  waren  und  teils 
als  Lehrer  der  Beredsamkeit,  teils  als  wandernde  Festredner  auftraten.^) 


^)  Vgl.  Bbbnbardt,  Innere  Gesch.  der 
gr.  Litt.  509  ff.;  Rohdb,  Griech.  Sophistik  der 
fi[ai8eizeit  in  Griech.  Roman  288  ff.;  Gbbgo- 
B0TIU8,  Der  Kaiser  Hadrian,  3.  Anfl.  S.  307  ff. 
und  342  ff.  Als  philosophischen  SchriftsteUer 
haben  wir  bereits  oben  M.  Anrel  kennen  ge- 
lernt; auch  Hadrian  schrieb  nach  Gassius  Bio 
69,  3  TreC«  xai  ip  iTiea  noi^tjfjiaxa  navjo- 
dwendy  seine  fieXhai  erwähnt  Photios  cod.  100, 
seine  xarax^yM  im  Geiste  des  Antimachos 
Spartianns,  vit.  Hadr.  14,  grammatische  Briefe 
an  Yalerins  Geier  Priscian  11  p.  547,  12,  Ser- 
mones  Gharisins  p.  209,  12.  222,  21. 

»)  Aristid.  Panath.  p.  183  Jebb:  ij  yvy 
a^X"^  y^^  '*  *"'  ^«ilarTi/ff  (sc.  'Ptofialtov) 
ovx  ayaiy$xai  rag  'A&ijyas  fjirj  ovx  iy  didä' 
axäkwy  xai  xgofpiay  fiiget  xocfieiy. 

*)  In  Atlika  wurden  wieder  die  grossen 
Dionjsien,  die  Eleusinien  und  PanaÜienäen 
begangen;  nach  den  letzteren,  die  i.  J.  126/7 
HeiVNdes  Attikos  in  glfinzendister  Weise  er- 
neuerte, wurde  sogar  eine  neue  Jahreszfthlung 
ein^ftüirt;  s.  Dittskbebgeb,  Die  attische 
PanaihenaidenSra,  ]nGonmient.in  hon.  Momms. 
242 — 53.  Anch  in  Sparta  kamen,  wie  In- 
scfaiifien  bezeugen,  die  musischen  Wettkämpfe 


zu  Ehren  der  Artemis  Grthia  wieder  in  Auf- 
nahme. 

^)  Einen  vom  Kaiser  besoldeten  Lehr- 
stuhl der  Rhetorik  (o  ay<ü  ^goyog)  gab  es  seit 
Vespasian  (Suet  vit.  Vespas.  18)  in  Rom,  seit 
Antoninus  Plus  in  Athen  (Gapitol.  vit.  Ant.  1 1) 
und  bald  auch  in  andern  Städten.  Daneben 
statteten  die  Gemeinden  Lehrstühle  der  Rhe- 
torik und  Philosophie  mit  Privilegien  und  Ge- 
halten aus.  Ueber  ihre  Zahl  unterrichtet  der 
Godicill  des  Antoninus  Pius  bei  Modestinus 
Dig.  XXVII  1,  6:  ai  fiky  iXdxxovq  noUtg 
dvyayxai  neyts  iaXQovg  axsX$ig  l/6iv  xai 
XQBtg  ao(piaxdg  xai  yQafifÄaxixovg  rotfg  taovg, 
al  &i  fisi^ovg  noXetg  dexa  iaxgodg  xai  ^ijxogag 
niyis  xai  ygaf^fiaxMovg  xovg  taovg.  Vgl. 
RoHDB,  Gr.  Rom.  301  ff. 

')  Bezeichnend  ist  der  Ausspruch  Lu- 
kians  Rhet.  praec.  1 :  x6  CBfxyoxaxoy  xai  ndv- 
xifAoy  oyofjta  aoffiaxijg, 

•)  Plat.  Tim.  p.  19e:  x6  di  rtoy  ao(picx<oy 
yiyog  av  noXXiay  fjiky  Xoytoy  xai  xaXtoy  äXXoiy 
fjidX^  ifjinHQoy  ^yovfiahy  tfoßovfiai  di  fiij  ntog, 
ax€  TtXayrjtdy  6y  xaxd  noXsig  oixijceig  te 
idiag  nvdaiAfj  dtoMtjxog,  aaxoxov  afia  ^»Ao- 
cofptov  aydgtoy  (^  xai  noXittxtSy, 


712 


Grieohisohe  Littoratnrgeftohiohte.    II.  HaohklAMisohe  Iditeratar. 


An  diese  zweite  Art  von  Sophisten  knüpfte  die  neue  Sophistik  der  römi- 
schen Eaiserzeit  an;^)  denn  auch  sie  ging  aus  den  Übungen  der  Rhetoren- 
schulen  hervor  und  suchte  in  den  Vorträgen  der  Wanderredner  ihren 
Olanz.  Ihr  Ursprung  aus  dem  Schatten  der  Schule  verriet  sie  darin,  das« 
der  grössere  Teil  ihrer  Reden  nicht  Fragen  des  öffentlichen  Lebens  betraf, 
sondern  sich  im  Kreise  fingierter  Schulthemata  bewegte.  Aber  mit  dem 
stillen  Leben  in  der  Schule  gab  sich  die  eitle,  prunkliebende  Sophistik 
nicht  zufrieden;  sie  suchte  und  fand  Gelegenheit  zur  Entfaltung  ihrer 
Kunst  in  der  Öffentlichkeit.  Zwar  das  eigentliche  Feld  der  rednerischen 
Thätigkeit,  die  politische  Beratung  war  derselben  so  gut  wie  ganz  ent- 
zogen, und  auch  zu  den  Gerichtsverhandlungen  war  ihr  der  Zugang,  wenn 
nicht  geradezu  versperrt,  so  doch  erschwert.  2)  Das  kaiserliche  militfiiische 
Regiment  duldete  nicht  einmal  im  Reichssenat  die  Aufregung  öffentlicher 
Verhandlungen,  geschweige  denn,  dass  es  den  Griechen,  welche  keinen 
Anteil  an  der  Reichsverteidigung  durch  militärische  Dienste  nahmen,  die 
Freiheit  politischer  Reden  gestattete.  So  war  fQr  den  Ehrgeiz  eines 
Themistokles  oder  Perikles  im  Hellas  der  römischen  Kaiserzeit  kein  Platz, 
und  ebensowenig  für  die  politische  Beredsamkeit  eines  Demosthenes  oder 
auch  nur  eines  Isokrates.  Aber  bei  dem  Empfang  der  Kaiser  und  kaiser- 
lichen Statthalter,  bei  der  Einweihung  von  Tempeln  und  Odeen,  bei  den 
Leichenfeiern  und  öffentlichen  Festen^)  glänzte  der  Sophist  im  festlichen 
Talar^)  mit  dem  auserlesensten  Schmuck  seiner  Kunst,  und  auch  ohne 
solchen  äusseren  Anlass  fand  sich  überall  in  jenen  Zeiten  des  müssigen 
Schöngeistertums  zu  den  populären  Erörterungen  philosophischer  und  lit- 
terarischer Fragen  ein  Kreis  beifallspendender  Zuhörer  zusammen.^) 

518.  Damit  war  auch  schon  Geist  und  Richtung  dieser  neuen  Litteratur- 
periode  bestimmt.  Auf  sachliche  Belehrung  kam  es  den  Sophisten  wenig 
an,  alles  Gewicht  legten  sie  auf  Schönheit  der  Sprache  und  geistreiche 
Wendungen,  auf  den  Prunk  gelehrter  Bildung  {ßntdfixvvcx^cu)  und  die 
Schlagfertigkeit  im  Reden  aus  dem  Stegreif  (aixoax^dta^eiv).  Die  Zu- 
hörer wollten  durch  den  Redner  nicht  aufgeklärt  und  überzeugt,  sondern 
nur  in  einen  Rausch  der  Begeisterung  versetzt  werden.  Von  den  drei 
alten  Gattungen  der  Rede  kam  nur  die  eine,  die  epideiktische  Prankrede 
in  ihren  verschiedenen  Spielarten  {Xoyoi  navyyvqixoi\   imjdKfioij  emxrjieioiy 


^)  Dion  Ghrys.  anterscheidet  or.  XII 
p.  372  R  noch  ^xoQccg  und  aotpmxdgy  gebraucht 
aber  doch  meistens  schon  beide  AusdrQcke 
promiscue;  ebenso  Juvenal  YII  167.  Der 
Name  cofpiatjjg  erhielt  den  Vorzug,  weU 
^ijxtoQ  bei  den  Griechen  den  Staatsredner  und 
Staatsmann  bezeichnete.  Schon  Philodemos 
in  der  Rhetorik  gebraucht  wiederholt  <ro- 
(piffTijc  im  Sinne  eines  Lehrers  der  Bered- 
samkeit. 

')  Ganz  ausgeschlossen  waren  die  So- 
phisten aus  den  GeiichtssAlen  nicht,  wie  man 
aus  dem  Beispiel  des  Niketes,  Tlieodotos, 
Apollonios  bei  Philostr.  vit.  soph.  I  19,  1; 
21,  3;  II  20,  1;  32,  4  und  Dion  or.  VU 
p.  229  f.  ersieht. 


*}  Seit  dem  ersten  vorchnstlichen  Jahi^ 
hundert  waren  an  den  'JfÄfptaQda  und  'Pkk 
fiaia  Preise  ausgesetzt  nicht  nur  fQür  Rha- 
psoden, Eitharoden,  Auleten,  sondern  auch 
ByxotfÄita  Ao/tx^,  worQber  DiTTBNBEiraBB  S7IL 
421.426,  Bethe,  Proleg.  z.  Gesch.  d.The«t  275. 

^)  Siehe  Lucian  Rhei  praec.  15;  Philoslr. 
Vit.  soph.  I  25, 2;  II 10, 2;  Synes.Dion  p.  34 R. 
Später  wurde  der  r^ßtov  tpoiyixov^  die  pri- 
vilegierte  Uniform  der  Sophisten  in  Athen;  s. 
Olympiodcn-  in  FHG  lY  63  f.  Daher  sUmmt 
wohl  der  rote  Talar  der  Professoren  der  Jnns- 
prudenz. 

')  Von  1000  Zuh5rem  eines  Sophisten  er 
zfthlt  Arrian,  Epict  III  23. 


Ba)  B6misohe  Periode  Tor  EonsUntin.  8.  Die  Prosa,  h)  Die  Sophistik.  (§  518.)     713 


eYx(afua,  nqoüfpwvriaeiq)  zur  Geltung  im  öflFentlichen  Leben ;  daneben  machten 
sich  die  Übungsreden  {(ABlsxai)  in  der  Schule  und  die  Plaudereien  (XaXiaC) 
in  den  Unterhaltungssälen  breit,  i)  Für  die  formale  Bildung  war  diese 
Übung  im  Reden  und  im  Nachahmen  der  alten  klassischen  Muster  von 
grossem  Einfluss;  ihre  Bedeutung  machte  sich  nicht  bloss  in  den  Reden 
und  Deklamationen,  sondern  auch  in  allen  anderen  Zweigen  der  Litteratur 
geltend;  sie  bewirkte  die  Rückkehr  zum  Attikismus  und  nährte  die  gram- 
matischen Studien  der  Attikisten ;  sie  drängte  die  Nachlässigkeit  des  Stils, 
die  in  den  Schriften  der  Sektenphilosophen  und  der  gelehrten  Sammler 
eingerissen  war,  erfolgreich  zurück;^)  sie  weckte  und  belebte  das  Studium 
der  klassischen  Meister.  Aber  man  darf  darüber  nicht  die  Kehrseite  des 
Bildes  übersehen ;  die  ganze  Richtung  der  Litteratur  ward  eine  gekünstelte, 
unnatürliche;  hiess  es  einst  von  der  echten  Beredsamkeit  pedus  est  quod 
disertum  facit,  so  redete  sich  jetzt  der  Redner  förmlich  in  eine  affektierte 
Begeisterung  hinein.  Die  Rede  wurde  unwahr  und  geriet  sachlich  und 
sprachlich  in  eine  gespreizte  Überschwenglichkeit,  bei  der  Gemüt  und 
Herz  leer  ausgingen.  Sie  verfiel  um  so  mehr  dieser  falschen  Richtung, 
als  sie  sich  an  die  Stelle  nicht  bloss  der  Philosophie,  sondern  auch  der 
Poesie  zu  setzen  suchte.«)  Die  Sprache  der  Prosa  bekam  so  eine  un- 
natürliche poetische  Färbung,  die  einfache  Grazie  der  klassischen  Zeit 
ward  in  einer  Unmasse  von  Metapheni  und  Neubildungen  ertränkt. 
Schlimmer  noch  war  eine  andere  Schattenseite  der  Sophistick:  dadurch 
dass  dieselbe  den  rednerischen  Tiraden  zulieb  die  Sachlichkeit  des  Inhaltes 
hintansetzte,  ja  geradezu  Mangel  an  Exaktheit  des  Wissens  zu  Schau 
trog,  ist  sie  innerlich  leer  und  hohl  geworden  und  hat  der  Kritiklosigkeit 
und  dem  Aberglauben  der  Zeit  Vorschub  geleistet.  Mag  mancher  ge- 
dächtnisstarke Gelehrte  mit  Zahlen  und  Eigennamen  uns  übermässig  be- 
lästigen, mehr  doch  lernen  wir  von  ihm  als  von  jenen  Sophisten,  welche 
überall  der  Nennung  von  Zahlen  und  Namen  durch  affektierte  Umschrei- 
bungen aus  dem  Wege  gingen  oder  die  Bestimmtheit  der  Angabe  durch 
hinzugesetztes  olpai  wieder  verwischten.*)  Um  ja  nicht  die  Reinheit  des 
griechischen  Sprachgewandes  zu  beflecken,  hat  ein  Hauptrepräsentant  der 
Sophistik,  Aristides,  in  seiner  Lobrede  auf  Rom  keinen  einzigen  römischen 
Namen  gebraucht.  Infolgedessen  tragen  die  Schriften  der  Sophisten  so 
ausserordentlich  wenig  zur  Bereicherung  unseres  historischen  und  archäo- 
logischen Wissens  bei,  infolgedessen  kamen  aber  auch  ihre  Zeitgenossen 
immer  mehr  von  der  Schärfe  des  Denkens  und  der  Genauigkeit  der  Be- 
obachtung ab  und  warfen  eich  statt  dessen  der  schwärmerischen  Ekstase 


^)  Eine  reiche  Materialsammlung  des 
Treibens  der  Sophisten  gab  der  belesene 
Jesuit  Lud.  Cbesolli,  Theatrum  veterom 
riietoTom  oratorom  declamatorum,  Par.  1620. 

*)  Das  Hauptbuch  aber  diese  Rückkehr 
zur  reinen  Sprache  der  klassischen  Zeit  W. 
ScHMiD,  Der  Atticismns  in  seinen  Hauptver- 
tretern,  4  Bde,  Stuttgart  1887—96.  Ueber 
einen  einzelnen  Punkt,  die  Wiederbelebung 
des  Dual  Hbbx.  Sghhid,  De  duali  Graecorum 


et  emoriente  et  reviviscente,  Bresl.  philol. 
Abhandl.  Bd.  VI  Heft  4,  1893. 

'}  Das  Wort  ^de^y  wurde  geradezu  für 
Xeyeiy  gebraucht,  worüber  Radbbhachbr 
Jahrb.  f.  Phil.  1896  p.  116  f. 

*)  Vgl.  Aristid.  t.  n,  p.  346  ed.  Jebb:  e(prj 
d*  €ig  MsQonrjy  terT(iQ(Op,  oifiai  di  xai  If 
€1716  fAtjvdiy  avTOi^ey  eivai  nXovv,  U  415  oida 
di  Xttl  Aaxtai/ixag  rivag  ogx^csig  xecl  jQa- 
yixdg  y  iiB^ag,  ifAfAeXslag  oifjiai  xahtvfAivag, 


7U 


Grieohisohe  LitteratnrgeBohichte.    IL  HaohklMsische  Litteratiir. 


und  dem  fremden  Aberglauben  in  die  Arme.  Kurzum,  die  Sophistik  gab 
das  preis,  was  das  klassische  Altertum  gross  gemacht  hatte,  «die  edle 
Einfalt  und  stille  Grösse/ 

519.  Die  Sophistik  hat  zwei  Glanzzeiten  gehabt,  eine  ältere  unter 
Hadrian  und  den  Antoninen  und  eine  jüngere  unter  Julian  und  dessen 
Nachfolgern.  Beide  haben  ihre  Geschichtschreiber  gefunden,  die  ältere  an 
Philostratos,  die  jüngere  an  Eunapios.^)  Ihre  Biographien  müssen  uns  frir 
die  grossen  Verluste,  welche  die  Litteratur  an  wirklichen  Reden  erlitten 
hat,  Ersatz  bieten.  Denn  von  den  meisten  Sophisten  ist  gar  nichts  auf 
uns  gekommen,  und  selbst  die  gefeiertesten  unter  ihnen  sind  für  uns  blosse 
Namen.  In  den  Kanon  wurden  von  den  Sophisten  10,  also  gerade  so  viele 
wie  attische  Redner  aufgenommen,  nämlich  Dion  Chrysostomos,  Nikostratos, 
Polemon,  Herodes  Attikos,  Philostratos,  Aristides,  und  wahrscheinlich  noch 
Libanios,  Themistios,  Himerios,  Eunapios.^)  —  Auf  die  lateinische  Litteratur 
hat  die  Richtung  der  Sophistik  wenig  Einfiuss  gehabt;  denn  die  Dekla- 
mationen des  Seneca  und  Quintilian  waren  reine  Schulübungen,  und  nur 
die  Thätigkeit  des  Apuleius  lässt  sich  mit  der  der  griechischen  Sophisten 
vergleichen.  Es  war  eben  die  Sophistik  eine  Pflanze,  welche  speziell  auf 
dem  Boden  griechischer  Renaissance  gedieh.  —  Den  Anstoss  zur  Ent- 
Entwicklung der  Sophistik  gab,  wie  wir  oben  bereits  bemerkt  haben,  das 
unter  Augustus  von  Dionysios  und  Cäcilius  neubelebte  Studium  der  atti- 
schen Redner.  Aber  als  den  eigentlichen  Wiedererwecker  der  Sophistik 
bezeichnet  Philostratos  im  Leben  der  Sophisten  I  19  den  Niketes  aus 
Smyma,  der  in  der  Zeit  des  Nerva  blühte.  Bezeichnend  ist  dessen  Her- 
kunft aus  dem  asiatischen  Smyma,  ila  sich  darin  der  enge  Zusammenhang 
der  Sophistik  mit  der  asianischen  Beredsamkeit  des  Hegesias  und  seiner 
Schule  kundgibt.*)  Noch  ein  älterer  Vorläufer  der  sophistischen  Bered- 
samkeit war  Lesbonax  aus  Mytilene,  Zeitgenosse  des  Pompeius,  der  sich 
ausserordentlichen  Ansehens  bei  seinen  Zeitgenossen  erfreute.^)  Von  ihm 
las  Photios  cod.  74  noch  16  Reden;  auf  uns  gekommen  sind  drei  kleine 
Deklamationen,  welche  nach  dem  Muster  der  olynthischen  Reden  des  De- 
mosthenes  Aufforderungen  zum  Kriege  gegen  die  Thebaner  in  phrasen- 
reicher Sprache  enthalten.  Unter  dem  Namen  des  Lesbonax  geht  auch 
eine  theoretische  Schrift  von  den  sprachlichen  Figuren. 


^}  Den  Philostratos  und  Eunapios  be- 
nutzte Suidas  oder  dessen  Gewänrsmann 
Hesychios,  der  aber  daneben  noch  andere 
Hilfsmittel  gehabt  haben  muss,  wie  man  aus 
den  Artikeln  ^AQiaxeiirjg  und  'lu^Qiog  sieht. 

^)  Ueber  diesen  zweiten  Rednerkanon 
s.  Suidas  unt.  NtKoax^atog^  Schol.  zu  Lucian 
de  Salt.  69,  Philostratos  vit.  soph.  II  1,  14, 
Anthol.  VII  573. 

»)  RoHDE  Rh.  M.  41,  170.  Unser  Sophist 
scheint  eine  Person  zu  sein  mit  Nicetes 
Sacerdos  bei  Tac.  Dial.  15  u.  Plinius  £p. 
VI  6. 

^)  Von  diesem  Lesbonax  heisst  es  bei 
Suidas    Aeaßwya^    MvuXrjyaiog     g>i.X6coipog, 


yeyoyußs  ini  Avyovatov,  nariJQ  Doiafuayof 
tov  <piXo<r6<pov.  Die  Zeitangabe  kann  nicht 
ganz  richtig  sein,  da  nach  Inschriften,  welche 
unlftngst  Gichorius  in  Mytilene  fand  (Rom 
und  Mytilene,  Leipz.  1888),  Potamon,  der 
Sohn  unseres  Lesbonax,  im  J.  29  oder  schon 
45  V.  Chr.  als  Mitglied  einer  Gesandtschaft 
nach  Rom  kam.  Damit  modifiziert  sich  das 
Resultat  der  Untersuchung,  welches  Robdb, 
Gr.  Rom.  341  f.  über  die  verschiedenen  Le8> 
bonax  anstellte.  Die  Mytileneer  ehrten  ihren 
verdienten  Mitbürger  durch  die  Mfinzanf- 
Schriften  Aeaßtoya^  (piX6<to<pog  und  Aeitfitirtt^ 
^Qtag  yeog  (Mionnet  descr.  des  moim.  116 
suppl.  84  u.  85). 


Ba)RO]iii8oh6  Periode  vor  Konatantin.  S.DieProsa.  h)Die8ophi8tik.  (§§519—520.)  715 


620.  Dion,^)  der  von  seinem  Oönner,  dem  Kaiser  Nerva,  den  Bei- 
namen Gocceianus,  und  später  von  seiner  Beredsamkeit  den  Ehrennamen 
Chrysostomos  (Qoldmund)  erhielt,  *)  ward  um  die  Mitte  des  1.  Jahrhunderts 
in  Prusa;  einer  Stadt  Bithyniens,  von  angesehenen  Eltern  geboren.  Schon 
unter  Vespasian  zu  Ehren  gelangt  und  nach  Rom  gezogen,  geriet  er  bei 
dem  argwöhnischen  Kaiser  Domitian  wegen  seiner  Verbindung  mit  einem 
vornehmen,  von  dem  grausamen  Despoten  hingerichteten  Römer  »)  in  Ver- 
dacht und  wurde  infolgedessen  aus  Italien  verbannt.  Dem  Wanderungs- 
trieb seiner  Zeit  folgend  zog  er  hierauf,  angeblich  auf  den  Rat  des 
delphischen  Orakels,  zu  den  Nordgestaden  des  schwarzen  Meeres  ins 
Land  der  Skythen  und  Geten,  wovon  er  uns  selbst  Näheres  in  seiner  bory- 
sthenitischen  Rede  erzählt.  Aber  nach  dem  Sturze  des  Tyrannen  wurde 
er  nach  vierzehnjährigem  Exil  von  Nerva  zurückgerufen  (96)  und  er- 
freute sich  nach  dem  frühen  Tode  dieses  seines  kaiserlichen  Freundes 
auch  von  Seiten  des  Kaisers  Trajan  hoher  Auszeichnungen.  Doch  wählte 
er  nicht  Rom  zum  ständigen  Aufenthalt,  sondern  kehrte  zunächst  nach 
Asien  und  seiner  Heimatstadt  Prusa  zurück,  von  wo  er  erst  um  100  als  Ge- 
sandter seiner  Heimat  auf  kurze  Zeit  nach  Rom  an  das  kaiserliche  Hoflager 
reiste.  Seine  Verbindungen  mit  dem  Kaiser  und  seiner  Umgebung  benutzte  er, 
um,  ähnlich  wie  sein  Zeitgenosse  Plutarch  und  früher  schon  Polybios,  die 
Gunst  der  römischen  Machthaber  für  die  Wünsche  Prusas  und  der  hel- 
lenischen Provinzialen  Asiens  zu  erwirken.^)  Auch  in  eigener  Person 
wirkte  er  vor  und  nach  seiner  Gesandtschaftsreise  für  das  Aufblühen  von 
Prusa,  das  er  als  städtischer  Baukommissar  mit  Hallen  und  Wasser- 
leitungen versorgte.^)  Von  Prusa  kam  er  als  Wanderredner  auch  nach 
vielen  anderen  Städten  Kleinasiens  und  Ägyptens.  Über  die  Zeit  seines 
Todes  ist  nichts  bekannt;  während  der  Stadthalterschaft  des  jüngeren 
Plinius  in  Bithynien  im  Jahre  112  war  er  noch  am  Leben.  ^) 

Dion  wird  von  seinem  Biographen  Philostratos  in  die  Klasse  jener 
Sophisten  gestellt,  welche  die  Kunst  der  Rede  mit  dem  Studium  der 
Philosophie   verbanden.     In    der   That   war    er  fast  mehr   Philosoph    als 


*)  Phüostr.  vit.  Boph.  I  7;  Synesios  Jltav; 
Smdae  unt.  Jiiay;  Phoi  cod.  209.  Ehpebius, 
Oposc.  phil.  et  bist.  102—10;  Bubckhahdt, 
Wert  des  Dio  Chrys.  für  die  Kenntnis  seiner 
Zeit,  trefflicher  Aufsatz  in  Schweiz.  Mus.  lY 
97—191;  V.  Abnim,  Leben  u.  Werke  des  Dio 
von  Pmaa,  mit  einer  Einleitung,  Sophistik, 
Rhetorik,  PhiloBopliie  in  ihrem  Kampf  um 
die  Jugendbildung,  Berlin  1898;  Hirzel,  Der 
Dialog  n  84—119;  W.  Scbmid,  Atticismus 
I  72—191,  wo  speziell  von  der  Sprache 
oiftseres  Bhetors  gehandelt  ist. 

')  Der  Beiname  findet  sich  noch  nicht 
bei  Philoetratos;  er  scheint  unserem  Dion 
eist  sp&ter  im  Gegensatz  zu  dem  Historiker 
Dion  gegeben  worden  zu  sein. 

*)  Nach  einer  Vermutung  von  Ehperiüs, 
De  eziüo  Dionis,  war  es  Flavius  Sabinus, 
der  im  J.  82  hingerichtet  wtirde. 

*)  üeber  ein  Vorrecht  von  Prusa  gegen* 
Ober  der   Nachbarstadt  Apameia  s.  Or.  40 


p.  175  ed.  Reiske. 

^)  Bei  dem  Statthalter  hatten  gegen  Dion 
zwei  seiner  persönlichen  Feinde,  Eumolpus 
und  Archipptts,  Klagen  angebracht,  weil  er 
über  die  ordnungsmflssige  Verwendung  der 
öffentlichen  Gelder  bei  den  st&dtischen  Bau- 
untemehmungen  keine  Rechenschaft  abgelegt 
habe,  und  weil  er  sich  dadurch,  dass  er  in 
dem  Säulenhof  des  mit  der  Statue  des  Kai- 
sers Trajan  geschmückten  Gebäudes  seine 
Gattin  und  seinen  Sohn  bestattet  hatte,  einer 
Majestätsbeleidigung  schuldig  gemacht  habe. 
Wie  wir  aus  dem  Briefwechsel  des  Plinius 
und  Trajan  erfahren,  ep.  X  81  u.  82,  wies  der 
Kaiser  die  zweite  Klage  von  kurzer  Hand  ab 
und  verwies  die  eiste  auf  den  Weg  der 
Rechenschaftsablage,  zu  der  sich  Dion  bereit 
erklärt  hatte. 

<)  Or.  45  p.  203  ff.;  die  Rede  hat  nach 
ihrem  Inhalt   den  Titel   dnoXoyutfA^g   ontag 


716 


Grieohiifohe  Litteratnrgeaohiohte.    IL  HaohklaMisehe  Litterator. 


Rhetor  und  eiferte  in  seinen  späteren  Jahren  heftig  gegen  die  charakter- 
lose Marktschreierei  der  Sophisten,  ^)  wenn  er  auch  früher  bei  seinem  ersten 
Aufenthalt  in  Rom,  als  er  sich  noch  in  den  Bahnen  der  sophistischen 
Beredsamkeit  bewegte,  gegen  Albernheiten  und  politische  Umtriebe  von 
Philosophen  öffentlich  Stellung  genommen  hatte.  >)  Seine  philosophischen 
Anschauungen  wurzelten  in  der  Tugendlehre  der  Eyniker  und  erhoben 
sich,  der  Zeit  voraneilend,  bis  zur  Anerkennung  der  allgemeinen  Menschen- 
rechte. 3)  Von  den  alten  Philosophen  waren  Sokrates  und  Piaton,  Anti- 
sthenes  und  Diogenes  seine  Ideale,  denen  er  nicht  bloss  allgemeine  Ge- 
danken, sondern  auch  einzelne  Phrasen  und  Wendungen  entlehnte.^)  Die 
von  ihm  verfassten  Reden,  von  denen  80,  oder  da  die  korinthische  (37.) 
fälschlich  ihm  untergeschoben  ist,  ^)  79  auf  uns  gekommen  sind,  ^)  haben 
meist  auch  die  Form  von  Reden;  einige  kleinere  sind  dialogisch  abgefasst, 
darunter  auch  die  Paraphrase  des  Prologes  von  Euripides'  Philoktet.^) 
Verloren  gegangen  ist  uns  ausser  anderm  das  kulturgeschichtliche  Werk 
reuxd,  zu  dem  Dion  in  seiner  Verbannung  an  Ort  und  Stelle  das  Material 
gesammelt  hatte.  ^)  Unter  den  erhaltenen  Reden  verdienen  an  umfang 
und  innerem  Wert  vor  andern  folgende  namhaft  gemacht  zu  werden: 
die  Borysthenitica,  in  der  uns  der  Autor  höchst  interessante  Nachrichten 
von  der  Bedrängnis  der  griechischen  Kolonien  an  den  Nordgestaden  des 
schwarzen  Meeres  durch  die  Skythen  und  von  dem  Fortleben  des  Homer- 
kultus in  jenem  äussersten  Winkel  des  Hellenentums  gibt;  die  Olympica, 
in  welcher  er  dem  Pheidias  eine  recht  hübsche  Erklärung  seiner  Zeus- 
statue in  den  Mund  legt ;  die  Rhodiaca,  in  der  er  gegen  die  Unsitte,  alte 
Statuen  durch  veränderte  Aufschrift  zu  Ehrendenkmalen  berühmter  Männer 
der  Gegenwart  umzugestalten,  eifert;  die  Alexandrina,  eine  heftige  Ka- 
puzinade  gegen  die  im  Taumel  eines  genusssüchtigen  Lebens  aufgehende 
Bevölkerung  der  volksreichen  Stadt  Alexandria.    Auch  die  übrigen  Städte- 


*)  Or.  11  p,  309:  xaxodaifuovBi  cotptaraL 

*)  In  den  verlorenen  Reden  xarti  rwv 
(piXoa6(p(oy,  rt^og  Movüwvioy,  vnkq  \)fiiJQOV 
ngdg  IlkaTtoi/tt. 

•)  Or.  15  negl  «fovÄct«?  xal  iXev&egiagy 
or.  7  p.  270:  xoiy^  x6  dy&Qointvoy  yiyog 
anap  eyrijuoy  xal  ofjioti/Aoy  vno  tov  qwcayros 
&€ov  xavxd  atifABLtt  x€tl  cvfjLßoXa  Ix^^  ^^^ 
tif4äc&ai  &ixai(ag,  xal  Xoyoy  xal  ifinBi^lay 
xaXtay  xe  xal  aiaxQtuy,  yiyoyBy. 

^)  P.  Hagen,  Qnaestiones  Dioneae,  Kiel 
1887. 

')  Die  GorinihJaca  behandelt  einen  ähn- 
lichen Gegenstand  wie  die  Rhodiaca  und  ist 
wahrscheinlich  auf  diese  Weise  unter  die 
Reden  des  Dion  geraten.  Dass  sie  nicht  von 
ihm  herrührt,  beweist  schon  der  ganz  ab- 
weichende Stil,  worüber  neuerdings  Norden, 
Die  antike  Eunstprosa  S.  422—7.  Ehpebius, 
De  or.  Gorinthiaca  falso  Dioni  Ghrys.  ad- 
scripta  (Opusc.  p.  18—41)  hat  sie  dem  be- 
rühmten Polyhistor  Favorinus  zuweisen  wol- 
len, wozu  gut  der  gelehrte  Inhalt  der  Rede, 
insbesondere  aber  die  Erwähnung  der  Kelten 
als  Landsleute   des   Redners   stimmt.     Dem 


Urteil  Emperius'  tritt  bei  Maass,  Philol. 
Unters.  III  133—136  unter  Widerlegung  der 
von  Markes,  De  Favorini  Arelatenais  vita 
studiis  sciptis  (Utrecht  1853)  erhobenen  Ein- 
wände. 

*)  Verloren  gegangen  sind  die  Reden 
gegen  Domitian,  die  er  or.  45  in.  erwShnt» 
ein  von  Philostratos  angeführter  i^rrcrxor 
enaiyog,  die  vorhin  angeführten  Reden  gegen 
die  Philosophen.  -  Die  Ordnung  der  erhal- 
tenen Reden  ist  in  den  verschiedenen  Haad> 
schrifteidclassen  verschieden;  s.  v.  Abnik, 
Ueber  die  Schriffcsammlung  des  Dion  von 
Prusa,  Herrn.  26,  366  ff.  —  Ueber  die  leii- 
liche  Folge  der  einzelnen  Reden  v.  Asinx, 
Leben  und  Werke  des  Dio  von  Prosa. 

')  Or.  59;  in  Verse  zurückübersetzt  ist 
der  Prolog  von  Bothb;  einige  Verse  herans- 
gelesen  von  Nauck,  Trag,  graec.  fragm. 
p.  484. 

B)  Angeführt  sind  die  rsrixä  von  Phiios^. 
vit.  soph.  I  7,  benutzt  von  lordanes,  dem 
lateinischen  Historiker  der  Goten.  Zar  Ver- 
gleichung  bietet  sich  die  um  die  gleiche  Zeü 
geschriebene  Grermania  des  Tacitos. 


Ba)  BOmisohe  Periode  vor  Konetantin.  8.  Die  Prosa,  h)  Die  Sophistik.  (g  520.)      717 

reden  an  die  Bewohner  von  Prusa  und  Äpameia,  die  er  zur  Eintracht  und 
Aussöhnung  ermahnte,  femer  an  die  Bürger  von  Tarsos,  Eelainai,  Niko- 
media,  Nikaia  sind  für  die  Kenntnis  der  Zeit  Trajans  wichtig  und  zeugen 
von  der  wachsenden  Autonomie  der  griechischen  Freistädte,  zugleich  aber 
auch  von  ihrer  kleinlichen  Bivalität  und  ihrem  sittlichen  Zerfall.  Beson- 
ders sorgfältig  ausgearbeitet  sind  die  vier  Reden  über  die  Königsherrschaft 
{n€Qi  ßaciXetaq),  alle  für  Trajan  bestimmt,  aber  wiederholt  auch  vor 
grösserem  Publikum  gehalten;  das  Herrscherideal,  das  er  hier  entwirft 
und  dem  Kaiser  vorhält,  basiert  auf  der  Überzeugung,  dass  von  den  ver- 
schiedenen Staatsformen  die  monarchische  die  beste  sei:  der  Kaiser  soll 
hier  auf  Erden  die  Hoheit  und  den  Vatersinn  des  Zeus  im  Himmel  re- 
präsentieren.^) —  In  den  philosophischen  Reden  und  Dialogen  war  Dion 
Vorläufer  Lukians,  indem  auch  er  es  liebte,  einfache  Moral  unter  der 
Maske  des  Sokrates  und  Diogenes  zu  predigen.  Aber  von  ihm  unter- 
schied er  sich  dadurch,  dass  er  auch  innerlich  ein  überzeugter  Anhänger 
der  Moralphilosophie  des  Antisthenes  und  der  Kyniker  war.  In  der  13. 
Rede  hat  er  geradezu  ein  sokratisches  Gespräch  {keYOfievov  vtio  Tirog  ScoxQd- 
xovq  p.  424  R.)  des  Antisthenes  in  neuer  Form  wiedergegeben,*)  indem 
er  dem  Sokrates  den  Gedanken  der  Kyniker  in  den  Mund  legt,  dass 
nicht  Wissen  und  künstlerische  Fertigkeit,  sondern  einzig  Tugend  und 
Gerechtigkeit  den  Menschen  zum  tüchtigen  Bürger  machen.  Im  übrigen 
sind  die  meisten  der  philosophischen  Reden  {diaXi^Biq)  unseres  Dion  aus 
seiner  mündlichen  Lehrthätigkeit  während  des  Exils  hervorgegangen.  — 
Als  Kind  seiner  allegorisierenden  Zeit  erscheint  er  in  seinen  mytholo- 
gischen Aufsätzen.  Darin  verlieren  die  Heroen  unter  der  euhemeristischen 
Deutung  ganz  ihren  poetischen  Glanz;  insbesondere  kann  uns  die  Rede 
an  die  Bier,  worin  umständlich  nachgewiesen  wird,  dass  Homer  gelogen 
habe  und  Dion  nicht  erobert  worden  sei,*)  als  ein  Musterstück  flachen 
Rationalismus,  oder  wenn  man  lieber  will,  sophistischer  Spielerei  gelten. 
Gehoben  wird  das  Ansehen  ihres  Autors  gewiss  nicht  dadurch,  dass  er 
sich  zum  Beweise  für  die  Möglichkeit  irriger  Angaben  des  alten  Epos 
auf  die  schwankenden  Meinungen  der  Gegenwart  beruft,  indem  von  einem 
historischen  Ereignis,  der  Seeschlacht  von  Salamis,  die  einen  behaupten, 
dass  es  vor,  die  andern,  dass  es  nach  der  Schlacht  von  Platää  statt- 
gefunden habe  (or.  11  p.  805  R.).*)  —  In  das  Gebiet  der  Litterargeschichte 
und  des  Unterrichtes  gehören  zwei  Aufsätze   über  die  Übung  im  Reden 


M  Der  Redner  vertritt  hier  die  gleichen  >  ')  Er  scheint  darin   dem  sophistischen 


Ansehaanngen  wie  der  Dichter  Horaz  in 
C.  I  12,  57 :  minor  Jove  Caesar  latum  reget 
aequus  orhem. 

')  Als  Vorlage  vermateten  Dühhlbr, 
Antisthenica  p.  10  den  Archelaos  des  Anti- 
sthenes (vgl.  oben  S.  421  Anm.  5),  v.  Arnim, 
Dion  Yon  Prosa  S.  256  ff.,  einen  Xoyo^  ngo- 
iQtnrtxo^  desselben  Antisthenes,  an  den  sich 
auch  der  Verfasser  des  psendoplatonischen 
Dialoges  EJitophon  gehalten  habe.  —  Im 
übrigen  vgl.  £.  Wbbbr,  De  Dione  Chrys. 
Cjnicomm  sectatore. 


Grammatiker  Daphidas  (für  eine  Person 
mit  Daphitas  am  250  v.  Chr.  halt  diesen 
WiLAMowiTZ  Ind.  Gott.  1889  p  11  f.)  gefolgt 
zu  sein,  Von  dem  Suidas  sagt:  ysyQatfmg 
ne^L  'OfitJQov  xal  lije  noiijaeiog  (ivrou  on 
i%ff£vcato  '  'Jdfjyaioi  ydq  ovx  iajQazevaay 
in'  mtoy. 

*)  Dem  Verfasser  des  neuen  Baches  ftber 
Dio  von  Prosa  soll  übrigens  gerne  zugegeben 
werden,  dass  derartige  sophistische  Reden 
des  Dio  seiner  früheren  Entwicklongsstofe 
angehören. 


718 


Grieohische  LitieraturgMohiohie.    Ü.  KachklaMiBohe  Litteratur. 


(18.),  und  über  die  Darstellung  des  Philoktet  bei  den  grossen  Tragikern 
Aischylos,  Sophokles,  Euripides  (52.).  Den  letzteren  haben  wir  bereits 
oben  §  173  verwertet;  der  erstere  berührt  sich  mit  dem  10.  Buch  des 
Quintilian,  kann  sich  aber  mit  demselben  weder  an  Feinheit  der  Charak- 
teristik noch  an  Reichtum  der  Beispiele  messen.  —  Einen  hervorragenden 
Rang  in  der  Litteratur  nimmt  endlich  der  Euboikos  oder  Jäger  (Evßmxoq 
ri  xvvrjyog)  ein,  ein  liebliches  Idyll  von  dem  unschuldsvollen  Leben  zweier 
Jägerfamilien  an  der  waldbewachsenen  Küste  Euböas,  wohin  Dion  durch 
einen  Schiffbruch  verschlagen  war.  Dem  Bilde  der  Sittenreinheit  und  der 
Oeisteseinfalt  des  Landlebens  ist  wirkungsvoll  die  Schilderung  von  der 
Stadt  mit  ihren  Bordellen,  Sykophanten  und  herumlungernden  Prole- 
tariern entgegengesetzt;  doch  thut  es  dem  Werte  der  Schrift  Abbruch, 
dass  sie  sich  schliesslich  in  zwar  verständige,  aber  zu  weit  gesponnene 
Reflexionen  über  die  Schädlichkeit  des  Zudrangs  der  Leute  zu  den  Städten 
ergeht. 

Dion  wurde  von  Philostratos  und  den  Eunstrichtem  der  Sophistik 
nicht  unter  die  ersten  Grössen  der  sophistischen  Beredsamkeit  gezählt; 
dazu  fehlte  ihm  die  glänzende  Phrase;  dazu  hatte  er  zu  viel  philoso- 
phischen Inhalt  und  ungeschminkte  Naturwahrheit.  Doch  ist  er  auch  als 
Stilist  durchaus  nicht  zu  verachten;  er  hatte  sich  die  klare  Einfachheit 
des  Xenophon  zum  Vorbild  genommen  i)  und  dieselbe  in  den  eingelegten 
Erzählungen  und  Fabeln  auch  glücklich  erreicht.  Als  einer  der  ersten 
Vertreter  der  attikisierenden  Richtung  hat  er  die  Sprache  von  dem  Keh- 
richt der  Vulgärsprache  gereinigt,  aber  auch,  entgegen  dem  natürlichen 
Gange  der  Entwicklung,  wieder  alte,  längst  abgestorbene  Formen,  wie  den 
Dual,  einzuführen  gesucht.  Ausser  Xenophon  hat  er  besonders  Piaton  im 
Sprachschatz  nachgeahmt.')  Ein  Fehler  seiner  Komposition  sind  die  über- 
langen Proömien,  anstössig  auch  ist  der  häufige,  aus  Piaton  genommene 
Ausgang  auf  einen  Mythus.  Gerühmt  werden  von  Philostratos  am  Stil 
unseres  Dion  die  Bilder  (slxoveg),  die  von  aufmerksamer  Naturbeobachtnng 
zeugen,  aber  nur  in  einigen  Reden,  wie  in  dem  Eingang  der  olympischen, 
häufiger  vorkommen. 

AuBgaben:  Dionis  Chrysostomi  orationes  ex  rec.  Rsiskii,  Lipsiae  1784,  yon  Reiakea 
Frau  besorgt,  nach  ihr  ist  citiert;  mit  kritischem  Apparat  von  Eicpebius,  BrunsT.  1844; 
Textesansgabe  von  L.  Dindobf,  in  Bibl.  Teubn.,  mit  einer  längeren,  für  den  Sprachgebrauch 
der  späteren  Rhetoren  wichtigen  Präfatio;  Dion  Prus.  ed.  apparatu  critico  instruxit  de  Abkoi, 
BerL  1893. 

521.  Aelius  Aristides  (129— 189),*)  mit  dem  Zunamen  Theodoros, 
war  im  Jahre  129  zu  Hadrianoi  in  Mysien  als  Sohn  des  Priesters  Eudaimon 
geboren.*)     In   die   Sophistik  wurde  er   durch  die  berühmtesten   Lehrer 


')  Der  Rhetor  Menander  bei  Speitoel, 
Rhet.  gr.  III  390  stellt  als  Muster  der  hroQia 
uTiXrj  xal  ('((fsXijg  neben  Xenophon  den  Niko- 
stratos,  Dion  Ghrysostomos  und  Philostratos 
auf. 

')  ScRxiD,  Atticismus  I  141  ff. 

•)  Philostr.  Vit.  soph.  11 9;  Sopater  Proleg. 
ad  Panathen.;  Suidas  unt.  *jQiffrst&rjg.  Masson, 
Collectanea  historica  ad  Aristidis  vitam,  ab- 
gedruckt im  3.  Bd.  der  Ausg.  von  Dikdobf; 


Waddinotov,  La  Chronologie  de  la  vie  du 
rh^teur  Aristide,  Mem.  de  V  Acad.  des  inscr. 
t.  XXVI  (1867)  203  ff.;  Hbrm.  BArvoAsr, 
Aelius  Aristides  als  Repräsentant  der  sophiati- 
schen Rhetorik  des  2.  Jahrhunderts  der 
Eaiserzeit,  Leipz.  1874;  W.  Scbhid,  Die  Le- 
bensgeschicke des  Rhetors  Aristides,  Rh.  M. 
48  (1892)  54  ff. 

^)  Eine  dem  Aristides  von  den  Hellenen 
Aegyptens  gesetzte  Ehreninschrift  CTG  4679. 


BA)B6mi0ohe  Periode  yor  Konstantin,  d.  Die  Prosa,  h)  Die  Sophistik.  (§521.)    719 

seiner  Zeit,  Aristokles  in  Pergamon  und  Herodes  Attikos  in  Athen,  ein- 
geführt. In  der  Grammatik  und  Litteratur  hatte  er  den  Alexander  von 
Eotyäon  zum  Lehrer,  dem  er  selber  in  der  erhaltenen  Grabrede  ein  ehren- 
des Denkmal  gesetzt  hat.  Teils  zu  seiner  Ausbildung,  teils  in  Ausübung 
seiner  Kunst  kam  er  viel  in  der  Welt  herum,  durchwanderte  Ägypten 
bis  hinauf  zu  den  Katarakten,  ^)  Hess  sieh  in  Athen,  bei  den  isthmischen 
Spielen  und  in  verschiedensten  Städten  Asiens  hören,  sah  die  Hauptstadt 
des  Reichs  und  hielt  in  Rom  Vorträge  (i.  J.  156).  Seinen  Hauptsitz  hatte 
er  in  Smjrma,  um  welche  Stadt  er  sich  hohe  Verdienste  erwarb.  Denn 
als  dieselbe  im  Jahre  178  durch  ein  fürchterliches  Erdbeben  zu  einem 
Trümmerhaufen  geworden  war,  erwirkte  er  durch  seine  Fürsprache,  dass 
die  Kaiser  M.  Aurelius  und  L.  Commodus  sich  der  unglücklichen  Stadt 
annahmen  und  dieselbe  wieder  aufbauten.  Die  dankbaren  Bürger  ehrten 
die  Verdienste  des  einflussreichen  Rhetors  durch  eine  eherne  Statue  auf 
dem  Markte,  der  wir  die  Erhaltung  des  Bildes  unseres  Autors  verdanken.^) 
Eine  grosse  Rolle  spielt  in  seinem  Leben  und  seinen  Reden  eine  schwere 
Krankheit,  die  ihn  um  156  ergrijBf  und  an  der  er  mit  Unterbrechungen 
fast  17  Jahre  zu  leiden  hatte.')  Er  starb  nach  Philostratos  zwischen 
seinem  60.  und  70.  Lebensjahr,  wahrscheinlich  im  Jahre  189. 

Seine  Hauptbedeutung  hatte  Aristides  als  Redner;  der  Thätigkeit 
eines  Lehrers  der  Rhetorik  lag  er  zwar  auch  ob,  und  es  ist  uns  sogar  unter 
seinem  Namen  eine  theoretische  Schrift  über  die  politische  und  schlichte 
Rede  erhalten,^)  aber  einen  besonderen  Erfolg  hatte  er  als  Lehrer  nicht. 
Man  machte  ihm  geradezu  den  Vorwurf,  dass  er  es  sich  zu  wenig  an- 
gelegen sein  liess,  Schüler  an  sich  zu  ziehen  und  für  das  Studium  der 
rhetorischen  Kunst  zu  gewinnen.^)  Auch  von  Versen  spricht  er,  die  er 
geschmiedet  habe  und  deren  Kunde  bis  nach  Ägypten  gedrungen  eei;^) 
aber  schon  die  Alten  hielten  dieselben  nicht  der  Erwähnung  wert,  und 
wir  werden  den  Verlust  der  frostigen  Muse  des  asianischen  Rhetors  noch 
leichter  als  den  der  Verse  Ciceros  verschmerzen.  Der  eigentliche  Ruhm 
des  Aristides  gründete  sich  auf  seine  Reden,  und  von  diesen  sind  55,  so 
ziemlich  alles,  was  das  Altertum  kannte,  auf  uns  gekommen.     Nicht  alle 


')  Die  Jahreszahl  berechnet  sich  nach 
der  or.  26  p.  519  erwähnten  Konstellation, 
wonach  es  sich  nur  um  117  oder  129  als 
Geburtsjahr  handeln  kann;  das  letztere  Datum 
gebilligt  von  Schmid. 

')  Die  Statae  befindet  sich  im  Vatikan; 
der  Kopf  ist  von  uns  nach  Visconti  Iconogr. 
gr- 1  pl.  31  in  der  angehängten  Tafel  repro- 
duziert. 

')  Die  Krankheit  ergriff  ihn  156;  nach 
kurzer  Befreiung  im  J.  165  erfasste  ihn  die 
Krankheit  von  neuem;  yoUe  Genesimg  er- 
ha^e  er  erst  172. 

*)  Des  Aristides  Tix^ai,  ^ijioQtxai  tj  Tiegi 
noXinxov  Xoyov  xal  aipeXovg  Xoyov  berühren 
sich  durchweg  mit  der  Lehre  des  etwas 
jQngeren  Hermogenes  und  sind  in  nachlässi- 
gem Stile  geschrieben,  so  dass  sie  L.  Spbnoel, 
fihei  gr.  t.  II   p.  XIX  mit  Recht  dem  ge- 


feierten Redner  absprach  und  einem  späteren 
Kompilator  zuwies.  Dagegen  hat  sich  Baum- 
OABT  S.  139  ff.  erklärt,  indem  er  die  Schrift 
fOr  eine  Art  Kollegienheft  ausgab  und  in 
Hermogenes  II  267  Sp.  eine  Bezugnahme  auf 
Aristides  fand.  Baumgarts  Darlegung  hat 
Volkmann  überzeugt,  so  dass  derselbe  in 
der  zweiten  Auflage  seiner  Rhetorik  der 
Griechen  und  Römer  S.  553  seinen  Einspruch 
gegen  die  Echtheit  der  Schrift  zurückzog. 

*)  Auf  die  Vorwürfe  antwortete  er  ohne 
besonderes  Glück  in  der  Rede  ngog  rovs 
aiTtwfit'yovg  ort  firj  fieXetoirj.  Auf  sein  leeres 
Auditorium  gehen  die  Spottverse  in  der  Ausg. 
Dindorfs  III  p.  741 

XaiQej*  'jQiareidov  rov  ^ijroQog  iura  fiaf^rfialy 
reaca^eg  ol  toixoi  xal  rgia  ampsXia, 

•)  Arist  I  810  Jebb. 


720 


Griechische  Litteratargeschichte.    II.  KaohUamische  Litt^raitir. 


sind  Reden  im  eigentlichen  Sinne  des  Wortes;  mehrere  sind  Sendbriefe, 
wie  der  Brief  über  Smyma  an  die  römischen  Kaiser,  und  die  schöne  Ge- 
dächtnisrede auf  den  Grammatiker  Alexander,  welche  an  den  Rat  und 
das  Volk  der  Eotyäer  gerichtet  ist.^)  Ausserdem  wollen  die  meisten 
seiner  Reden  gar  nicht,  was  doch  Aufgabe  jeder  echten  Rede  sein  sollte, 
auf  den  Willen  und  die  Entschliessung  der  Zuhörer  einwirken,  sondern 
sind  lediglich  theoretische  Vorträge  oder  Erörterungen  in  der  Form  von 
Reden. 

522.  Reden.  Gewissermassen  sein  Programm  entwickelt  Aristides  in 
den  zwei  Reden  JiQog  nXdtava  ne^l  ^r/roQM^g,  mit  denen  noch   die  Rede 
an  Capito   zu   verbinden  ist,   in  der  er  seine  Angriffe   auf  den   grossen 
Philosophen  rechtfertigt.     Zunächst  knüpft  er  in  seiner  Polemik  an  den 
Gorgias   des  Piaton  an,   indem  er  die   geringschätzige  Meinung,   die  dort 
Piaton  von  der  Afterweisheit  der  Rhetoren  ausspricht,  mit  allen  Mitteln 
seiner  Kunst  bekämpft.     Aber   so    viel   Emphase   auch   der  Rhetor   auf- 
wendet und  so  sehr  er  sich  auch  bemüht,   die  Vorwürfe  des  Philosophen 
auf  die  Ausartungen  der  Redekunst  abzuwälzen,  so  hat  er  doch  den  Kern 
der  platonischen  Lehre  nicht  erkannt:  seine  eigenen  Reden  beweisen  am 
besten,  dass  es  den  Sophisten  weniger  um  das  Wesen  der  Sache  als  um 
hohles  Phrasengeklingel   zu   thun  war.')  —  An  die  Schule  erinnern   am 
meisten  von  seinen  Reden  diejenigen,  welche  Themata  aus  der  Geschichte 
der   Vergangenheit  behandeln.     Dieselben   sind  ähnlich   wie  die  meisten 
Reden  des  Isokrates  Musterbearbeitungen  von  Schulthematen ;  sie  hingen 
aber  auch  mit  den  Bestrebungen   der  Hellenen  jener  Zeit   zusammen,  da 
sie   gleichsam    den  Geist   des   klassischen  Hellenentums   wieder    herauf- 
beschwören sollten.    Zu  dieser  Klasse  von  Reden  gehören  die  Gegenreden 
über  die  Expedition    nach  Sikilien   {ttsqI    %ov  näiinsiv    ßotjt^s^av    roig  dv 
SixsXiif),  über  den  Frieden  mit  Lakedämon  {vti^q  r^g  ngog  Aaxsdcufioviovg 
Blqrivrfi),  über  das  Bündnis,  das  die  Athener  den  Thebanem  antrugen,  als 
Philipp  von  den  letzteren  den  Durchzug  gegen  Attika  verlangte.     Gar  zu 
fünf  Reden  gab  eine  einzige  Situation  den  Stojff,  nämlich  die  Stellung  der 
Athener  zu  den  Lakedämoniern  und  Thebanern  nach  der  Schlacht  von 
Leuktra.*)  —  Sehr  fällt  von  der  wenn  auch  nur  erkünstelten,  doch  immer- 
hin  an  Demosthenes   erinnernden  Kraft  dieser  Reden  die  läppische  Ge- 
sandtschaftsrede an  Achill  ab.     Ein  noch  ungünstigeres  Urteil  haben  die 
zwei    an    die   Leptinea   des   Demosthenes    anknüpfenden    Deklamationen 
nQoq  /irjfioiSx^ävrpf  negl  areXciag  und  T^Qog  Asmivrjv  vnlq  ateXeiag  erweckt; 
aber  diese  beiden  Deklamationen  gehören  nicht  dem  Aristides,  werden 


^)  lieber  diesen  Grammatiker  Steph.  Byz. 
unt.  KoivaBioy'  Iv^ev  rjv  ^AXi^av^Qog  6  'AaxXtj- 
Ttiadov  yQafjtfxanxog  noXvfjLa^iaxaxog  X9V' 
fiariCwy^  o  negl  navio&anrjg  vXrjg  xcT  syQatpe 
ßißXovg.  Vgl.RBiTZBNSTBiN,  Gesch.  d.  gr.  Etym. 
389. 

^)  Anf  diese  Rede  scheint  anzuspielen 
Lukian,  Bis  accus.  34:  Xvnet  (sc.  MXoyog) 
avxoyy  ort  (atj  ta  yXitsxQ^  ixeTva  xal  XenTti 
xndrjf^at   nqog  avToy  a^ixQoXoyovfieyog  .... 


ei  ij  ^ijTOQixij  noXiTixijg  fiOQiov  et^aXoy,  ««- 
XttXBLttg  ro  xixaQJov. 

•)  In  der  Hypothesis  zu  den  Xoyoi  Jf rat- 
XQixol  heisst  es:  9avfiaCoyTta  de  nurv  hti 
xe  Tfl  detyoxrjxv  xal  Tot^  inij[et^fia0iy.  Noch 
Lionardo  Bruno  soll  sich  dieselben  in  8eia«r 
Lobrede  anf  Florenz  zum  Vorbild  genommeii 
haben.  Ueber  die  Behandlung  des  gleickeo 
Stoffes  in  Versen  durch  Hegemon  vgl  S  '^^- 


B  a)  Bömisohe  Periode  yor  KonsUntin.  3.  Die  Prosa,  h)  Die  Sophietik.  (§  522.)    721 

auch  nicht  in  den  Handschriften  dem  Aristides  zugeschrieben,  sondern 
sind  ihm  nur  auf  Grund  einer  Stelle  der  Rede  gegen  Capito  p.  315  bei- 
gelegt worden.^) 

Von  den  Reden,  welche  wirklich  gehalten  wurden,  haben  am  meisten 
Leser  und  Bewunderer  gefunden  der  Panathenaikos  und  die  Lobrede  auf 
Rom.  Die  letztere,  'Poijuij^  iyxdiiiov^  gehalten  in  Rom  um  156,  ergeht 
sich  in  überschwenglicher  Lobpreisung  der  Stadt  und  in  bewundernder 
Anerkennung  der  römischen  Staatsordnung,  in  der  die  Vorzüge  der  De- 
mokratie, Aristokratie  und  Monarchie  vereinigt  seien.  —  Der  Panathenaikos 
ist  eine  Nachahmung  der  gleichnamigen  Rede  des  Isokrates  und  sollte, 
wie  der  Schluss  sagt,  der  Burggöttin  an  ihrem  Feste  statt  des  Peplos 
dargebracht  werden.  Bei  ihrer  grossen  Ausdehnung  konnte  sie  schwerlich 
auf  einmal  gesprochen  werden,  sondern  wurde  wahrscheinlich,  wie  Reiske 
vermutete,  in  zwei  Abteilungen  vorgetragen. >)  Mit  Benutzung  älterer 
Werke,  namentlich  des  Ephoros  und  platonischen  Menexenos^)  hat  hier 
der  Redner  ein  glänzendes  Bild  von  der  Schönheit  der  Stadt  und  ihrer 
grossen  Vergangenheit  entworfen ;  mit  der  Schlacht  von  Chäronea 
bricht  die  Herrlichkeit  und  damit  auch  die  Lobrede  ab;^)  von  der  Gegen- 
wart wird  nur  rühmend  hervorgehoben,  dass  die  Athener  die  Führer  in 
der  Bildung  und  in  jeglicher  Weisheit  geblieben  seien.  Wie  weit  aber  in 
dieser  Glanzrede  die  Übertreibung  und  Abgeschmacktheit  der  Sophistik 
geht,  dafür  genüge  das  eine  Beispiel,  dass  von  den  ionischen  Kolonien  in 
Eleinasien  gesagt  wird,  sie  hätten  den  Überschuss  der  Mutterstadt  an  ge- 
sunder Luftmischung  mit  nach  Asien  genommen,  ß)  —  In  gleicher  Weise 
bildet  die  Verherrlichung  Athens  und  seiner  Geschichte  den  Grundton  der 
grossen  Rede  vnhq  iwv  retTaQiov,  die  unter  Bekämpfung  der  Stelle  des 
platonischen  Gorgias  p.  515  d  eine  Rechtfertigung  oder  vielmehr  eine  Lob- 
preisung der  vier  grossen  Staatsmänner  Athens,  Themistokles,  Miltiades, 
Perikles,  Kimon,  enthält.^)  —  Unter  den  übrigen  Reden  zeichnet  sich  durch 
stilistische  Vollendung  die  Trostrede  an  die  von  einem  fürchterlichen  Erd- 
beben heimgesuchten  Rhodier  (^Podiaxog)  aus. 

Eine  eigentümliche  Stellung  nehmen  die  heiligen  und  die  Götterreden 
ein.     Die   heiligen   Reden    {icqoI  Xoyoi),   fünf   an    der    Zahl  (or.  23—28), 


)    H.   Ed.   Foss,    Declamationes   duas  ;  ^)  Das  erinnert  an  die  Weise  des  Perie- 


Leptineas  non  esse  ab  Aristide  scriptas, 
Altenb.  Progr.  1841.  Das  Thema  war  in  den 
Rhetorenschnlen  beliebt;  auch  Lollianus  schrieb 
nach  Philostratos  vit.  soph.  I  23  gegen  die 
Leptinea  des  Demosthenes.  Vgl.  oben  §  275. 
^)  Die  zweite  Rede  scheint  p.  147  ed. 
Jebb,  p.  238  ed.  Dind.  mit  6^  (Ltky  ovy  be- 
gonnen zu  haben.  Nach  den  Scholien  p.  739 
Dind.  zerfiel  die  Rede  in  vier  Teile. 

')  Hauby,  Qoibns  fontibus  usus  sit  Ari- 
stides in  Panathenaico,  Augsb.  1888;  die  An- 
gabe des  Sopater  in  den  Scholien  t.  III 
p.  739  Dind.,  dass  Aristides  direkt  den  He- 
rodot,  Thokydides,  Xenophon,  Theopomp  be- 
nutzt habe,  beroht  auf  Irrtum. 

BADdtrach  der  Ums.  AltertDmswissenschaft.    VIL    S.  Aufl.  46 


geten  Pansanias;  vgl.  §  501. 

*)  p.  100  Jebb:  roaarriy  d*  iariy  rj  negiov- 
aia  xrjg  evrvxing,  maxe  xcci  ttöp  äXXioy  yeyuiy 
ttl  tavTtjg  anoixoi  noXetg  al  tfjy  yvy  ^liovlay 
Exovaai  a^tara  xexQaffdac  doxovaty,  dianSQ 
akXo  Tt  Tujy  oXxo^ey  fiexeiXrjtpvtai. 

*)  Ueber  das  Ansehen  dieser  Rede  siehe 
Synesius,  Dio  p.  18  R.:  'jQtareidijy  6  tjqos 
JlXttXwya  Xoyog  vnk^  itay  XBtfaaQtay  noXvy 
ixiJQv^y  iy  xolg  'EAAiyaty.  A.  Haas,  De  fon- 
tibus Aelii  Aristidis  in  componenda  decla- 
matione  vn^Q  xcay  XBxxaQtay,  Gryph.  1884. 
Dagegen  schrieb  nach  Suidas  der  Neuplato- 
niker  Porphyrios  n^og  '^QUfxeidrjy  (T. 


722 


Griechisohe  LitieratnrgeBohiohte.    II.  Naohklamuiohe  Litleraiiir. 


drehen  sich  alle  um  die  langwierige  Krankheit  des  Autors  und  die  an  den 
Mesmerismus  gemahnenden  Wunderkuren,  durch  die  er  nach  siebzehn- 
jährigem Siechtum  endlich  Heilung  fand.  Sie  geben  uns  ein  merkwürdiges, 
aber  wenig  erfreuliches  Bild  von  dem  Aberglauben  jener  Zeit  und  von  dem 
Unwesen,  das  die  Asklepiospriester  mit  den  Träumereien  und  Halluci- 
nationen  der  kranken  Menschheit  trieben.  Indes  steht  bei  Aristides  im 
Hintergrund  all  dieser  Visionen  seine  eigene  masslose  Eitelkeit,  da  ihm 
in  den  Träumen  vorzugsweise  Kaiser  und  Götter  erscheinen,  die  ihu  in 
der  Rede  das  hauptsächlichste  Heilmittel  suchen  heissen  und  ihm  seinen 
Ruhm  in  den  schmeichelhaftesten  Wendungen  vorausverkünden.  ^)  —  Er- 
freulicher sind  die  Götterreden  oder  Predigten  (praedicationes)  auf  Zeus, 
Athene,  Poseidon,  Dionysos,  Herakles,  Asklepios,  Sarapis,  von  denen  die 
auf  Poseidon  bei  den  isthmischen  Spielen  wirklich  gehalten  wurde,  und 
die  auf  den  Asklepios  in  der  Einweihungsrede  des  Asklepios-Tempel  in 
Kyzikus  ein  Seitenstück  hat.  Dieselben  sind  an  die  Stelle  der  poetischen 
Hymnen  und  Prosodien  der  klassischen  Zeit  getreten,')  sind  aber  nicht 
ein  Ausfluss  echter  Frömmigkeit  und  tiefer  Religiosität,')  sondern  ver- 
raten überall  die  Neigung  der  Zeit,  durch  allegorische  Deutungen  die  alten 
Mythen  der  Griechen  sich  mundgerecht  zu  machen  und  mit  den  religiösen 
Vorstellungen  anderer  Völker  in  Einklang  zu  bringen.  Reich  an  inter- 
essanten Nachrichten  über  die  Mysterien  und  die  Geschichte  von  Eleusis 
ist  die  Eleusinische  Rede  auf  den  Unglücksfall,  der  das  alte  Heiligtum 
im  Jahre  182  zerstörte.*) 

523.  Charakteristik.  Ein  Hauptzug  in  dem  Wesen  des  Aristides 
besteht  in  der  Liebe  zur  Selbstberäucherung  und  in  der  grenzenlosen  Ein- 
bildung auf  seine  Kunst.  Die  Rede  ist  ihm  der  Inbegrijff  aller  Weisheit, 
das  grösste  Gut,  das  ihm  so  viel  gilt  wie  anderen  Macht,  Kinder,  Eltern.^) 
Aber  das  Wort  koyog  fasst  er  nicht  nach  seinem  tieferen  geistigen  Inhalt, 
sondern  lediglich  von  der  Seite  der  formalen  Redegewandtheit.  Daher 
seine  Geringschätzung  der  Philosophie,  daher  die  Hohlheit  und  Inhalt- 
losigkeit  seiner  Reden.  Die  Kunst  des  Schilderns  in  schwungvollen 
Perioden  und  Bildern  besass  er  allerdings  in  hohem  Grade,  aber  wir  er- 
halten aus  seinen  zahlreichen  Schilderungen  von  Städten,  Landschaften, 
Tempeln  kein  anschauliches  Bild  des  Gegenstandes.  Die  Akropolia  von 
Pergamon,   deren  Umrisse  und  Kunstwerke  heutzutage  in  klaren  Linien 


')  Besonders  in  der  vierten  Rede  p.  331. 
RiTTERSHAiNy  Der  medizin.  Wunderglanben 
und  die  Inkubation  im  Altertum,  Berl.  1878, 
erklärt  den  Aristides  ftir  zeitweilig  verrückt. 
Den  Weg  der  Suggestion  durch  hypnotischen 
Schlaf  erweist  experimentell  du  I*rel,  Mo- 
demer Tempelschlaf,  in  Sphinx  lan.  Febr.- 
Heft  1890. 

*)  ApsiNES,  Rhet.  gr.  I  343  Sp.  nennt  sie 
mit  dem  alten  Namen  der  Hymnen  TiQooi/Äia. 

')  Viel  zu  günstig  urteilt  Weloker  El. 
Sehr.  III  138  f. 

*)  Vgl.  0.  RuBENSoHN,  Die  Mysterien- 
heiligtümer in  Eleusis  u.  Samothrake,  Berl. 
1892  S.  102  u.  210.     Gehalten  hat  Aristides 


die  Rede  nach  einer  handschiifÜichen  Notiz 
(I  415  Dind.)  im  53.  Lebensalter  nnter  dem 
Statthalter  Makrinos. 

^)  11421  Jebb:  iftol  d^  Xoyoi  nana^  n^o^ 
yoQiag  xal  ndaag  dvrtifteig  i^^vat  *  xni  y«^ 
nmdag  xal  yoviag  xal  n^^eig  re  »al  aru^ 
navaug  xal  ndyxa  i&ifiijy  rovzovg,  I  S7: 
ei  ydq  ovv  oXotg  fjihy  xigdog  da^Ogtän^  rot 
ßlov  xal  (oaneQei  xeg>dXaioy  ij  nf^i  rovg 
Xoyovg  diatQißijy  xtoy  da  Xoytoy  ol  ne^  torg 
^eovg  dyayxaiotttxoi  .  .  ovte  r^  &€^  xaXXimy 
/a^^C,  oi/jiai,  tijg  inl  ttuy  Xoytoy  orte  tmg 
Xoyoig  BXf^^fJt^v  oy  eis  ort  XQeh To»f  ZQV^^^" 
fte&a.  II 44:  rettagtoy  ovt»y  fAOfnmy  x^ 
d^er^g  anayxa  did  ^r^xo^xijg  nBntUfjta^ 


Ba)&OmiBohe Periode yor Konstantin.  S.BleProaa.  h) Die Sophistik.  (§§523—524.)  723 

unserem  geistigen  Auge  vorschweben,  weiss  er  nicht  anders  zu  schildern 
als  mit  der  allgemeinen  Phrase  äxQonolig  fih*  avrrj  loaavxri  t6  fiäye&og 
noQqwd'BV  aaiQanvovca  and  nä(fifjg  slaoiov^  (otrnsq  xoivrj  ng  xoQvgnj  tov 
f^hfovg.  Die  Fertigkeit,  aus  dem  Stegreif  zu  reden,  verschmähte  er;  er 
liebte  die  gefeilte,  sauber  ausgearbeitete  Rede.  Als  der  Kaiser  Marcus, 
80  erzählt  uns  Philostratos  im  Leben  des  Aristides,  ihn  fragte,  wann  er 
ihn  hören  könne,  antwortete  er,  stelle  heute  das  Thema  und  morgen 
kannst  Du  mich  hören :  ov  yäq  iaiihv  xtav  ifiovvKov,  aXXd  täv  axQißovvttov. 
Ihm  so  wenig  wie  dem  Isokrates,  mit  dem  er  auch  die  Überschätzung  der 
Redekunst  teilt,  war  die  gefällige  Leichtigkeit  der  vom  Munde  fliessenden 
Bede  eigen;  dafür  strebte  er  der  Redegewalt  des  Demosthenes  nach, ^) 
blieb  aber  hinter  dessen  von  wahrem  Zorn  erfüllter  Wuchtigkeit  der 
Sprache  himmelweit  zurück.  Was  seinem  Stile  aus  jener  Nachahmung 
geblieben  ist,  das  ist  die  Yerschlungenheit  des  Periodenbaues  und  die 
Dunkelheit  des  Ausdrucks,  so  dass  Reiske  von  ihm  sagt:^)  scriptorum 
graecorum  quotquot  legi  post  oratorem  Tkucydidem  unus  Aristides  est  omnium 
inteUectu  difficülimus  cum  propter  incredibüem  argumentationum  et  crebri- 
totem  et  subtilüatem  tum  propter  graecitatis  exquisüam  elegantiam.  Den 
Zeitgenossen  ^)  und  den  nächstnachfolgenden  Geschlechtern  imponierte  der 
erborgte  Schein  tiefer  Gelehrsamkeit  und  die  täuschende  Subtilität  ge- 
drungener Beweisführung  so  sehr,  dass  seine  Reden  viel  in  den  Schulen 
gelesen  wurden*)  und  angesehene  Rhetoren,  wie  Metrophanes ß)  und 
Sopater  von  Apamea,  seine  Werke,  namentlich  den  Panathenaikos  und  die 
Rede  vti^q  räv  %€TTdq(av  kommentierten.  Erst  nach  und  nach  hat  in  der 
Neuzeit  eine  nüchterne,  wahrheitsgemässere  Beurteilung  Platz  gegrijffen, 
so  dass  jetzt  Aristides  eher  unterschätzt  wie  überschätzt  wird. 

Ck)d.  Laurentianas  LX  3  (F)  y.  J.  917  für  Erzbischof  Arethas  (s.  Eruhbaoheb  Byz. 
lAiJ  524)  geschrieben,  1.  Hftlfte  desselben  ergänzt  Paris.  2951;  s.  Br.  Ekil  Herrn.  25,  314. 
—  Schotien  in  t.  HI  Dind.,  dazu  alte  Subskriptionen  zu  or.  IL  V.  X.  XIX. 

Ausgaben:  Aristides  ex  rec.  G.  Dindobfii,  Lips.  1829  in  drei  Bänden  mit  kritischem 
ApiNurat  und  den  Noten  der  früheren  Bearbeiter  Gantor  (1566),  Jebb  (1722)  und  Rbjske; 
der  3.  Band  enthält  auch  die  Scholien.  Ergänzungen  zu  diesen  weist  aus  Cod.  Marc.  423 
nach  WiLAxowiTZ,  De  Rhesi  scholüs,  Greifsw.  1877.  —  Dabbste,  Quam  utilitatem  conferat 
ad  liistoriam  sui  temporis  illustrandam  Aristides  rhetor,  Paris  1844.  —  Ueber  die  Sprache 
des  Aristides  handelt  W.  Scbkid,  Der  Atticismus  in  seinen  Hauptvertretem,  2.  Bd.,  Stutt- 
giut  1889. 

624.  Philostratoi.^)  Der  Sophisten  dieses  Namens,  die  alle  von 
der  Insel  Lemnos  stammten  (Arffinoi)^   nennt  Suidas   drei.'')    Der  älteste 


*)  I  325  Jebb  träumt  ihm,  der  GoH  habe 
über  seine  Rede  das  Urteil  gefällt:  naq^X^eg 
yfitty  T(p  ä^ioifiuT^  xSv  Jtjfxoa&iyri, 

^}  In  der  praefatio  bei  Dindobf  t.  III 
p.  788. 

*)  Sehr  anerkennend  urteilte  Über  ihn 
der  Attikist  Phiynichos  bei  Photios  Cod.  158 
p.  101  a,  18  Bekk. 

'*)  Siehe  die  von  Jebb  gesammelten 
Yetemm  et  recentiorum  de  Aristide  iudicia 
et  testJmonia  in  Dindobfs  Ausgabe  t.  III 
p.  772,  und  Überdies  das  Urteil  des  Longin 
in  Rhet.  gr.  1 325, 22  Sp.:  JrjfAoc&evrjg  dnyora- 


iufUyetj  dXX'  avtos  yiyetai  rex^V  7toXXdxt<:, 
(iKJovTtog  xai  'jQiarBi&ij^,  und  p.  326,  30:  ttjy 
nXeoyttaaoay  ne^l  ri^y  *Aüiay  Exkvaiy  avBX- 
t^ffato  'jQiateidfjs  *  avyex<»S  Y^Q  ^^"^^  ^tti 
^6<oy  xai  nt'&ayog, 

')  Des  Metrophanes  vnofjtytifjia  sig  'Aqi- 
ax€idi]y  erwähnt  Suidas;  auf  Sopater,  dessen 
Namen  p.  757,  24  Dind.  ausdiücklich  ge- 
nannt ist,  geht  der  Grundstock  unserer  Scho- 
lien zurück. 

^)  Suidas  unt.  ^tkoargatos  und  ^Qoyrtoy. 
Rohdb  Gott.  gel.  Anz.  1884  p.  32  ff.  Bbrok,  Die 
Philostrate,  Fünf  Abhdl.  S.  173—181. 

')  Einen  Sophisten  Philostratos  Aigyp- 

46* 


724 


Griechisphe  Litteratargesohlohte.    II.  NaohklaMisohe  Litteraitir. 


war  Philostratos,  Sohn  des  Veras,  der  nach  Suidas  unter  Nero  lebte, 
den  aber  der  Verfasser  der  Bhi  üo^ict&v  nicht  erwähnt,  sei  es,  weQ 
er  vor  die  Zeit  des  erneuten  Aufschwungs  der  Sophistik  fiel,  sei  es, 
weil  er  überhaupt  nicht  existierte.  Von  den  ihm  beigelegten  Schriften 
ist  der  Dialog  Nägayv^  und  dieser  an  fremder  Stelle,  unter  den  Schriften 
Lukians,  auf  uns  gekommen.^)  Der  Dialog  enthält  ein  Gespräch  des 
Lemniers  Menekrates  mit  dem  verbannten  Philosophen  Musonius  Rufus 
über  die  von  dem  Kaiser  Nero  geplante  Durchstechung  des  Isthmus  von 
Korinth  und  die  bei  dieser  Gelegenheit  von  dem  Despoten  verübten  Greuel. 

Philostratos  II,  der  nach  Suidas  Sohn  eines  Philostratos  und  Enkel 
eines  Veras  war ,  nennt  sich  selbst  im  Eingang  der  Sophistenbio- 
graphien Flavios  Philostratos  *)  und  wird  von  Eusebios  wiederholt  Athener 
genannt.  3)  Nach  Suidas  lehrte  er  zuerst  in  Athen,  später  in  Rom  und 
blühte  unter  Septimius  Severus  (193 — 211),  dessen  Gemahlin  Julia 
Domna  ihn  zur  Abfassung  des  Lebens  des  Apoilonios  von  Tyana  be- 
wogen hatte,  und  dem  er  durch  seinen  Lehrer  und  Freund  Antipatros, 
den  Geheimschreiber  des  Kaisers  und  Erzieher  der  kaiserlichen  Prinzen, 
näher  getreten  war.^)  Er  ist  der  Verfasser  der  Geschichte  des  Apoilonios 
und  der  Lebensbeschreibungen  der  Sophisten. 

Philostratos  III,  Sohn  des  Nervianus  und  Schwiegersohn  des  zweiten 
Philostratos,  wird  von  dem  letzteren  in  den  Sophistenbiographien  regel- 
mässig unter  dem  Zunamen  Lemnios  angeführt.  Seine  Lebenszeit  bestimmt 
sich  dadurch,  dass  ihn  als  jungen  Mann  von  24  Jahren  der  Kaiser  Cara- 
calla  (211 — 217)  mit  der  Steuerfreiheit  auszeichnete;^)  er  lehrte  in  Athen, 
ward  aber  in  Lemnos  begraben.  Beigelegt  werden  ihm  von  Suidas  ^Moveg^ 
Jlava&tivaixogy  TQmxog  (wohl  identisch  mit  ^HQ<oix6g),^)  naqa^qamg  rijg 
'Ofir^Qov  aandog^'^)  MsXtrai.  Nach  dem  Lexikographen  schrieben  ihm 
einige  auch  die  Lebensbeschreibungen  der  Sophisten  zu. 

Ein  vierter,  von  Suidas  gar  nicht  erwähnter  Philostratos,  der  den 
dritten  zum  Grossvater  mütterlicherseits  hatte   und  demnach  schwerlich 


tios  aus  der  Zeit  der  Kleopatra  erwähnt 
Philostr.  vit  soph.  I  5. 

')  Dass  der  älteste  Philostratos  Verfasser 
des  Dialoges  ist;  hat  Katser  erkannt;  auf 
ihn  ist  Vit.  Apoll.  ¥19  angespielt.  Die 
meisten  Schriften  aher,  welche  Suidas  dem 
Philostratos  I  heilegt,  wie  die  Xoyoi  navrj- 
yvQixoi,  Xoyoi  'EXevaiyiaxol^  fieXetaVy  scheinen 
nicht  jenem  unter  Nero  lebenden  Philostratos, 
sondern  dem  Philostratos  III  anzugehören. 
Den  Philostratos  unter  Nero  streicht  über- 
haupt HiHZBL,  Der  Dialog  II  340. 

')  Ein  L.  Flavius  Philostratus  aus  dem 
Demos  Steiria  wird  in  einem  Ephebenver- 
zeichnis  CIA  III  1202  als  Archen  des  Jahres 
254/5  oder  257/9  oder  262/3  bezeugt. 

')  'Af^rjynTog  <PtX6oTQttxog  wird  von  Eu- 
sebios in  Hierocl,  p.  371, 13;  373, 5;  406, 29 K. 
der  Verfasser  der  Geschichte  des  Apoilonios 
genannt.  Bei  Eunapios,  Vit.  soph.  init,  und 
Synesios,  Dion  p.  35  a  u.  Insomm.  p.  155  b 
hat  dagegen  der  Verfasser  der  Sophisten- 
biographien   den   Beinamen   Lemnins.     Der 


Verfasser  der  Briefe  heisst  in  den  Hand- 
schriften ^iXoctQ,  U^^yatogy  dieser  sdbst 
aber  bezeichnet  im  70.  Brief  Lemnos  als 
seine  Heimat. 

^)  Phil.  Vit.  soph.  II  24  p.  109  Kays. 
Suidas  dehnt  sein  Leben  bis  aof  Philippos 
(244—9)  aus:  cotpictevaag  äy  'jl^ijyat^,  etra 
iy  'Pto/njj  im  leß^Qov  xov  ßttcüiätog  xai  iaK 
^iXlnnov,  was  nicht  unmöglich  ist,  aber  viel- 
leicht doch  auf  einer  Verwechselung  mit 
Philostratos  III  beruht. 

6)  Philostr.  Vit  soph.  p.  122,  20. 

•)  Der  Tgmxog  wird,  was  ja  auch  der 
Inhalt  nahe  legt,  nicht  verschieden  gewesen 
sein  von  dem  uns  erhaltenen  'HQmtxog,  Eumal 
der  Rhetor  Menander,  Rhet.  gr.  III  890,  2  Sp. 
demselben  Autor  den  'H^mlxog  und  die 
£/xoVef  zuweist:  'PiXoarQtitov  jov  Tioy*H^tdxüy 
rtjy  i^ijyrjciy  xai  rag  Eixoyag  ygtinfHcyfOf. 

')  Diese  letzte  Angabe  ist  schon  inao- 
fem  ungenau,  als  die  Schüdbescbroibang 
nicht  ein  eigenes  Buch  ist,  sondern  das 
10.  Kapitel  der  Eixoyeg  bildet. 


Ba)  Römische  Periode  yor  Konstantin.  S.Die  Prosa,  h)  Die  Sophistik.  (§§525—526.)  725 

vor  dem  4.  Jahrhundert  gelebt  haben  kann,  hat  die  zweiten  Etxoveg  nach 
dem  Muster  der  ersten  verfasst. 

625.  Auf  uns  gekommen  sind  unter  dem  Namen  Philostratos,  wenn 
wir  von  dem  Dialog  Neron  und  den  zweiten  Eixoveg  absehen,  sechs  Schrif- 
ten :  das  Leben  des  ApoUonios  von  Tyana  [vd  ig  t6v  Tvaväa  UnoXküiviov), 
Lebensbeschreibungen  von  Sophisten  {ßioi  aotpitfrcov),  Bilderbeschreibungen 
{cixoveg),  der  Heroikos,  der  Gymnastikos,  eine  Sammlung  von  Briefen 
[erricToXm)  mit  einem  Anhang  von  zwei  Aufsätzen  (iiaXä^sig).  Wie  diese 
unter  Philostratos  11  und  Philostratos  III,  denn  diese  allein  kommen  in 
Betracht,  zu  verteilen  seien,  darüber  herrschte,  wie  wir  sahen,  schon  im 
Altertum  Streit,  und  gehen  auch  in  unserer  Zeit  die  Meinungen  der  Ge- 
lehrten stark  auseinander.  Als  sicher  kann  angenommen  werden,  dass 
das  Leben  des  ApoUonios  und  die  Sophistenbiographien  von  Philostratos  11 
verfasst  sind,^)  und  dass  die  erste  Dialexis,  in  der  vom  Briefstil  gehandelt 
ist,  von  Philostratos  ni  herröhrt.  8)  Ausserdem  schreibt  die  Überlieferung 
so  entschieden  die  Elxoveg  und  den  "^Hqwixoc  dem  Philostratos  HI  zu,  dass 
davon  abzugehen  mir  bedenklich  scheint.  Für  den  gleichen  Ursprung  dieser 
beiden  Schriften  und  ihre  Unterscheidung  von  den  übrigen,  sind  von 
Fertig,  De  Philostratis  sophistis,  Würzburg  1894,  auch  beachtenswerte 
sprachliche  und  sachliche  Gründe  beigebracht  worden.  Freilich  hat  da- 
gegen der  beste  Kenner  der  Sprache  jener  Zeit,  W.  Schmid,  Attikismus 
ly  7  sich  dahin  ausgesprochen,  dass  bei  der  grossen  Übereinstimmung 
sämtlicher  Schriften  in  der  sprachlichen  Form  und  in  dem  Tone  leichter, 
anmutiger  Schreibart  man  am  besten  thue,  jede  Unterscheidung  fallen  zu 
lassen  und  alle  Schriften  bis  auf  die  Briefe  dem  Philostratos  II  zuzuweisen. 

626.  Das  Leben  des  ApoUonios  von  Tyana  {td  ig  rov  Tvaväa 
'AnoXXaiviov)  in  8  B.  ist  von  Philostratos  11  auf  Wunsch  der  schöngeistigen 
Kaiserin  Julia  Domna  (gest.  217)  verfasst  worden.  Das  Leben  des  Helden 
unseres  Romans  lag  damals  bereits  um  100  Jahre  zurück,  so  dass  desto  leichter 
der  merkwürdige  Mann  in  dem  Glorienschein  eines  Heiligen  und  Wunder- 
thäters  glänzen  konnte.')  Benutzt  hat  Philostratos  ältere  Darstellungen 
des  Lebens  und  der  Wunderthaten  des  ApoUonios,^)  hauptsächlich  aber 
Hess  er  sich  von  seinem  eigenen  Hang  zum  Wunderbaren  leiten,  ohne  da- 
mit eine  besondere  Nebenabsicht  zu  verbinden.  Nicht  unwahrscheinlich 
jedoch  ist  es,  dass  seine  Auftraggeberin,  die  Kaiserin  Julia,  zugleich  mit 
dem  Leben  jenes  Wunderthäters  ein  Gegenstück  zu  den  biblischen  Erzäh- 

^)  Der  Verfasser  der  Sophktenbiographien  |  Aufschrift    hat    'Aünaaii^    (Aanaffi<^    vnlgo. 

unterscheidet  sich  selbst  wiederholt  (p.  117,  |  corr.  Olearius).    Im  übrigen  tragen  die  ein- 

11.    122,  20.    123,  16.    126,  1  E.)    von    dem  zelnen  Briefe  der  Sammlang  einen  sehr  ver- 

Lemnier,  und  bezieht  sich  p.  77,  1  E  auf  '  schiedenen  Charakter:  die  erotischen,  welche 

sein  froheres  Werk   ,das  Leben  des  Apol-  den  Grundstock  bilden,   wollen  zu  keinem 


lonios*.  Auch  die  Zeiten  stimmen,  nur  muss 
dann  der  Verfasser  in  späteren  Lebensjahren 
wieder  von  Rom  nach  Athen  zurückgekehrt 
sein. 

^)  Auf  diese  Dialexis  ist  in  der  Sophisten- 
biographie p.  126,  19  angespielt:  47  ^h  ^vyys- 
yg€LfA(i4yfi  hiiatoXtj  rto  ^iXoatQaxtp  (seil. 
AiifAvlif))  negl  tov  ntSg  X9V  iTtMX^XXety  ngos 
totr  *j4cnaifiov  tsiyei,   weshalb  sie   auch  die 


der  Philostratoi  stimmen. 

')  Von  der  abgöttischen  Verehrung  des 
Mannes  zeugt  das  Bild,  das  von  ihm  Eaiser 
Alexander  Severus  neben  denen  von  Christus, 
Abraham  und  Orpheus  in  seinem  Lararium 
hatte  (Lampridius,  vit.  Alex.  Severi  c.  28);  eine 
Eopie  von  demselben  ist  wohl  die  Büste  eines 
Contomiaten  bei  Bauxbistbb,  Denkm.  n.  115. 

*)  Vgl.  oben  §  504. 


726 


Grieohisohe  LitteratiirgMchiohie.    II.  NaohklaMisolie  Litteratiir. 


lungen  vom  Leben  Christi  geliefert  zu  sehen  wünschte.^)  Jedenfalls  haben 
die  Späteren  dasselbe  gegen  die  Lehren  und  den  Glauben  der  Christen 
ausgespielt.  Wir  wissen  das  bestimmt  von  EQerokles,  der  von  Diokletian 
in  Bithynien  zum  Richter  ttber  die  Christen  gesetzt,  eine  gegen  das 
Christentum  gerichtete  Schrift,  Xoyog  g)iXaXij^i]g,  herausgab,  gegen  die 
wieder  Eusebios,  der  Kirchenvater,  in  einer  uns  noch  erhaltenen,  hinter 
Philostratos  abgedruckten  Schrift  polemisierte.') 

Der  Heroikos  ist  in  ähnlichem  Geiste  wie  das  Leben  des  ApoUonios, 
aber  nach  der  Überlieferung  nicht  von  Philostratos  II,  sondern  Philostratos  HI 
geschrieben.')  Derselbe  enthält  das  Gespräch  eines  nicht  ungebildeten,  aber 
im  Aberglauben  befangenen  Winzers  des  thrakischen  Chersones,  der  von  dem 
dort  verehrten  Heros  Protesilaos  des  wiederholten  Besuches  und  vertrauten 
Umgangs  gewürdigt  wurde,  und  eines  phönikischen  Seefahrers,  der  an  der 
Küste  angelegt  hatte,  um  günstigen  Fahrwind  abzuwarten.  Der  Winzer 
erzählt  auf  die  Fragen  des  SchifEmanns  im  wesentlichen  Anschluss  an 
Homer  und  die  Kykliker,  was  er  aus  dem  Munde  des  Protesilaos  über  die 
troischen  Helden,  über  Protesilaos  selbst,  dann  über  Palamedes,  Odyssens, 
Hektor,  Achill  u.  a.  erfahren  haben  wollte.  Der  Autor  beabsichtigte  damit  eine 
der  poetischen  Ausschmückung  entkleidete,  in  dem  dann  zurückbleibenden 
Kern  aber  als  wahr  festzuhaltende  Geschichte  der  Heroen  zu  geben  und  auf 
solche  Weise  den  Heroenkultus  der  Altvordern  zu  neuem  Ansehen  zu  bringen. 

Die  Bioi  aog>i(rT£v  in  2  B.^)  sind  dem  Konsul  Antonius  Gordianos 
gewidmet  und  in  der  nächsten  Zeit  nach  229  von  Philostratos  IX  ge- 
schrieben.^) Das  Ganze  zerfällt  in  drei  ungleiche  Teile.  Der  erste  han- 
delt von  den  philosophisch  gebildeten  Männern,  die  wegen  der  auf  die 
Schönheit  der  Sprache  verwandten  Sorgfalt  unter  die  Rhetoren  aufge- 
nommen zu  werden  verdienten,  wie  Eudoxos,  Leon,  Kameades,  Dion;  der 
zweite  umfasst  die  Sophisten  der  älteren  Zeit,  von  Gorgias  und  Protagoras 
an  bis  auf  Isokrates  und  Aischines;  der  dritte  hauptsächlichste  Teil  ent- 
hält die  Biographien  der  berühmten  Sophisten  der  Gegenwart  Eröflhet 
wird  diese  neue  Periode  der  Sophistik  mit  Niketes  aus  Smyma,  der  in 
der  Zeit  des  Nerva  blühte,  und  herabgeführt  bis  auf  Aspasios  unter  Ale- 
xander Severus;  nicht  erwähnt  hat  der  Verfasser  Apsines  den  Phönizier 
und  Philostratos  den  Lemnier,  weil  er  mit  diesen  durch  zu  enge  persön- 


')  Dieses  ward  angenommen  von  dem 
berOhmten  Tübinger  Theologen  Baur,  Apol- 
lonios  und  Christus,  in  der  Tflb.  Zeitschr.  f. 
Theol.  1832,  jetzt  in  Drei  Abhandlungen 
S.  1—227.  Vgl.  Jacobs  in  der  Einleitung 
seiner  Uebersetzung,  Stuttg.  1829;  Ed.  Müller, 
War  Apollonius  von  TVana  ein  Weiser  oder 
ein  BeMger  oder  ein  Schwärmer  und  Fana- 
tiker? Breslau  1861;  Iw.  Müller,  Commen- 
tatio  qua  de  Philostrati  in  componenda  me- 
moria ApoUonii  Tyanensis  fide  quaeritur, 
Onoldi  1858  et  Landavii  1859—60. 

^)  Cregen  Hierokles  wendete  sich  auch 
Lactantius  Inst.  div.  V  8.  Seit  der  Renais- 
sance haben  besonders  Lord  Herbert  von 
Cherbury  (1582-1648)  und  Jean  de 
Castillon  (1709  -91),  letzterer  auf  Anregung 


Friedlich  des  Grossen,  das  Buch  des  Philo- 
stratos gegen  die  kirchliche  Lehre  ausgespielt 

')  Jacobs  in  der  Einleitung  seiner  Ueber- 
setzung  weist  den  Dialog  der  Jugendz^t  des 
mittleren  Philostratos  zu,  Berok  a.  O.  legt 
ihn  nach  dem  Zeugnis  des  Suidas  dem  dritten 
Philostratos  bei.  Eine  annfthemde  Zeitbe- 
stimmung ist  darin  gegeben,  dass  p.  194. 14K. 
auf  den  unter  Hsdrian  entstandenen  jiyiv 
Tffftocfov  xttl  'Ofiijgov  hingewiesen  und  p.  147. 
15  der  Athlet  Helix,  der  sich  im  Jahre  219 
bei  den  Spielen  des  Heliogabal  auszeichnete, 
erwShnt  ist. 

^)  Suidas  spricht  von  4  B. 

^)  Die  Zeit  folgt  darms,  daas  Oerdiaa 
in  dem  Widmungsbrief  als  F^konsnl  ange- 
redet wird;   s.  Rudolph,   Leipz.  Stud.  YD  5. 


B  a)  BOmisohe  Periode  yor  Konstantin.  8.  Die  Prosa,  h)  Die  Sophietik.  (§  526.)    727 


liehe  Freundschaft  verbunden  war.  Die  Biographien  sind  in  leichtem 
Feuilletonstil  geschrieben,  enthalten  viele  interessante  Notizen  und  Anek- 
doten, gehen  auch  auf  die  Charakteristik  des  Stiles  der  einzelnen  Sophisten 
ein,  lassen  aber  eine  nähere  Bezeichnung  der  Werke  der  Redner  ver- 
missen und  noch  mehr  ein  gesundes  Urteil  über  den  eigentlichen  Wert 
und  die  innere  Bedeutung  der  weitüberschätzten  Sophisten. 

Der  rvfAvatftixog  oder  die  Abhandlung  von  der  Gymnastik  wird 
von  Suidas  unter  die  Werke  des  ersten  Philostratos  gestellt.  Da  aber  in 
demselben  der  Athlet  Helix  erwähnt  ist  (p.  287,  19  K.),  der  nach  Cassius 
Die  79, 10  bei  den  von  Heliogabal  219  gegebenen  Spielen  sich  auszeichnete,^) 
so  hat  Kayser  mit  Recht  ihn  einem  der  späteren,  und  zwar  dem  mittleren 
Philostratos  zugewiesen.  Geleitet  wird  der  Verfasser  von  dem  Streben,  in 
dem  verzärtelten,  durch  Luxus  und  Prasserei  herabgekommenen  Geschlecht 
wieder  die  Lust  zu  den  gymnischen  Spielen  zu  wecken  und  dasselbe  zur  rechten 
Übung  der  Gymnastik  anzuleiten.  Wird  dadurch  schon  bei  allen  Freunden  der 
Tumerei  lebhaftes  Interesse  für  die  Schrift  hervorgerufen,  so  wird  dasselbe 
noch  gesteigert  durch  die  vielen  wichtigen  Nachrichten,  die  uns  der  Ver- 
fasser von  der  Geschichte  der  olympischen  Spiele  und  den  verschiedenen 
Arten  der  Gymnastik  gibt.  Dabei  sieht  man,  was  die  Pflege  dieser 
Übungen  und  der  Anblick  der  nackten  Jünglinge  für  die  Schärfung  des 
Auges  hellenischer  Künstler  und  Kunstfreunde  vermochte;  lebte  sonst 
unser  Sophist  in  dem  Schatten  der  Schule  und  der  trüben  Atmosphäre 
mystischen  Wahnglaubens,  so  weiss  er  hier  mit  staunenswerter  Exaktheit 
die  körperlichen  Eigenschaften  zu  schildern,  welche  für  den  Läufer,  Ringer, 
Boxer,  Pankratiasten  erforderlich  waren  und  durch  jene  Übungen  geför- 
dert wurden.  Das  Büchlein,  von  dem  man  ehedem  nur  Fragmente  und 
Auszüge  hatte,  ist  erst  in  neuester  Zeit  durch  eine  von  dem  Griechen 
Minas  entdeckte  Handschrift  vollständig  bekannt  geworden. 

Briefe  des  zweiten  Philostratos  erwähnt  Suidas;  die  auf  uns  gekom- 
mene Sammlung  scheint  aus  der  Vereinigung  zweier  älterer  Sammlungen 
entstanden  zu  sein.  Der  erste  grössere  Teil  besteht  aus  kleinen  Liebes- 
briefen, billets  doux,  deren  Liebesgetändel  nicht  recht  zu  dem  strengen 
urteil  des  Gymnastikos  über  die  entnervende  Wirkung  der  Liebe  passen 
will.')  Von  den  übrigen  Briefen  ist  der  73.,  der  an  die  Kaiserin  Julia 
gerichtet  ist,  von  hohem  litterarischen  Interesse;  er  enthält  interessante 
Mitteilungen  über  Gorgiaß,  den  Ahnherrn  der  Sophisten.  Angehängt  sind 
den  Briefen  zwei  Aufsätze  (diaki^eig),  von  denen  der  erste  über  den  Brief- 
stil in  abgerissenen  Sätzen  handelt. 

Die  Eixovsq  (Imagines)  des  dritten  Philostratos  repräsentieren  eine 
besondere  Litteraturgattung  der  Sophistik.  Dieselbe  betrachtete  nämlich 
als  formales  Bildungsmittel  die  Übung  in  der  Beschreibung  und  nahm  da- 
her die  ix<pQa(fig  mit   unter  die  Progymnasmata  auf.    Insbesondere  aber 


^)  GassiiiB  Bio  79,  10  nennt  ihn  freilich 
Jv^Xiot  AiXi^y  aber  an  der  Identität  wird 
nicht  am  zweifeln  sein. 

')  Geradeza  der  sinnliche  Kitasei  ist  als 
Zweck  der  Liebespoesie  hingestellt  im  68. 


Brief:  ol  iQauxol  xtov  noitjtaSy  aya^tj  crx^o- 
aats  xal  i^wQots  '  17  yuQ  ivyovaia  rtSy  tot" 
iäy&B  rj  ovx  iniXrjaei  <f$  atp^&urlioy  rj  aya- 
(4yfjcei, 


728 


Grieohiaohe  litteratargMohiohte.    ü.  NaohklMsisohe  litteraiar. 


gefielen  sich  die  Sophisten  darin,  Nachahmungen  der  Natur,  das  ist  Ge- 
mälde und  Werke  der  Plastik,  zu  beschreiben  und  so  in  einer  Zeit  des 
erneuten  Eunstaufschwungs  dem  Gefallen  an  Schöpfungen  des  Meisseis  und 
Pinsels  als  redegewandte  Führer  zu  dienen.  Zuerst,  soweit  wir  nach- 
weisen können,  schrieb  der  Rhetor  Nikostratos  aus  Makedonien,  der 
nach  Suidas  unter  M.  Aurel  lebte,  solche  Gemäldebeschreibungen.  Aber 
auch  Lukian,  Polemon,  Apuleius,  Heliodor,  Himerios,i)  verstanden  sich  auf 
diese  elegante  Kunst.  Erhalten  nun  ist  uns  von  Philostratos  HI  die  schon 
im  Altertum  wegen  der  Reinheit  und  Anmut  der  Sprache  hochgepriesene') 
Beschreibung  einer  Gallone  von  64  Bildern  in  Neapel,  b)  Bei  der  geringen 
Zahl  von  erhaltenen  Werken  der  Malerei  gewinnt  dieser  geschmackvolle 
Führer  einer  untergegangenen  Pinakothek  doppeltes  Interesse,  das  noch 
durch  die  kritische  Frage  erhöht  wird,  inwieweit  Philostratos  als  treuer 
Erklärer  wirklicher  Gemälde  oder  als  genialer  Erfinder  künstlerischer  Situ- 
ationen anzusehen  ist.  Gegen  Friederichs,  der  dem  Buche  jeden  kunst- 
geschichtlichen Wert  absprechen  wollte,  hat  Brunn  die  Übereinstimmung 
der  Schilderung  mit  erhaltenen  Vasen  und  Sarkophagen  kenntnisvoll  nach- 
gewiesen.*) 

Eine  zweite  Serie  von  Elxovsg  schrieb  Philostratos  IV,  der  sich  selbst 
in  der  Einleitung  als  Enkel  des  Verfassers  der  ersten  Gemälde  oder  des 
dritten  Philostratos  bezeichnet.  Lange  nicht  mit  dem  Geschick  seines 
Grossvaters  und  ohne  den  gleichen  Eindruck  wahrheitsgetreuer  Schilderung 
zu  hinterlassen,  beschreibt  derselbe  einem  fingierten  Schüler  alte  Kunst- 
werke, auf  die  er  zufällig  gestossen  sein  will.^)  Der  Schluss  des  Buches 
ist  verloren  gegangen,  so  dass  dasselbe  mitten  in  der  Beschreibung  des 
17.  Gemäldes  abbricht.  Das  10.  Bild,  HvQQog  tj  Mvaoi  überschrieben,  scheint 
von  seiner  Hauptdarstellung  auch  den  Titel  TiaqcufQaaiq  %fjg  ^Ojtir^Qov  dam- 
Sog  gehabt  zu  haben,  unter  dem  es  als  ein  eigenes  Werk  neben  den  £i- 
xovsg  von  Suidas  angeführt  wird. 

Den  Eix(iv€g  der  Philostrate  pflegen  in  den  Ausgaben  wegen  des  ver- 
wandten Inhaltes  die  'Exfpqdaeig  des  Kallistratos  angehängt  zn  sein. 
Dieselben  geben  ohne  Einleitung  in  ajffektierter  Sprache  die  Beschreibung 
von  10  Werken  in  Stein  oder  Erz,  wobei  meistens  auch  der  Schöpfer  des 
Werkes  angegeben  ist.^)    Der  Exeget  bleibt  nicht  bei  Griechenland  stehen; 


0  Polemon  bei  Athen.  XI  p.  484  c;  Lu- 
kian de  domo;  Apaleius  Florid.  c.  15;  Heliodor 
V14;  Achill.  Tat.  V  2,  4;  ffimer.  or.  XXV; 
Aelian  fr.  99. 

«)  Philostr.  iun.  p.  390,  9  K.:  itrnovda- 
atal  Tig  y^ccfpixtjg  igyiüy  6xg)Q(«ng  rtofjn^ 
6fA(avv(jt(a  TS  xal  firjTQoncctogt.  Xlay  dttixtug 
rijg  yXcotrijg  e/ot;<r«  }vy  wQtf  re  HQorjyfA^vj^ 
xal  r6y<o.  Moschopulos  schrieb  eine  *ExXoyij 
Ttoy  oyofAfitfoy  attix^y  ixXeyeiaa  nno  zijg 
teX^oXoyiag  ttSy  elxoycjy  tov  ^tXoaxQtifov. 

')  Nebenbei  sind  derselben  auch  andere 
technische  Bemerkungen  eingelegt,  wie  I  28 
über  die  Emailkunst  bei  den  Barbaren  des 
Oceans  (Britannien). 

*)  K.  Fbibdbrichs,  Die  Philostratischen 


Bilder,  ein  Beitrag  zur  Charakteristik  der 
alten  Kunst,  Erlangen  1860,  und  schon  vor 
ihm  Passow,  Verm.  Schrift  S.  223  ff.;  H.Bbunn. 
Die  Philostr.  Gemälde  gegen  Friederichs  ver- 
teidigt, in  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  IV  177-303 
u.  Jahrb.  f.  Phil.  1871  S.  1-33.  81—105. 
Einen  vermittelnden  Standpunkt  vertritt  Mais, 
De  Philostratorum  in  desciibendis  imaginibus 
fide,  Bonnae  1867.  —  Der  PImi  weimariseher 
Kunstfreunde,  eine  Folge  philostratischer  Ge- 
mälde in  Kupferstichen  herauszugeben,  gab 
Goethe  Anlass  zu  einem  Aufsatz  Aber  Phi- 
lostrats Gemälde,  Ges.  W.  Bd.  39. 

*)  Philostr.  p.  391,  26. 

^)  Die  Beschreibung  von  Kunstwerken 
fand   auch  noch  bei  Späteren  Anklang  und 


B  a)  BOmisohe  Periode  yor  Konstantin.  8.  Die  Prosa,  h)  Die  Sophistik.  (§  527.)    729 


er  beschreibt  auch  die  Statue  des  Memnon  in  Äthiopien  und  eine  Gruppe 

von  Nymphen  am  Indus. 

Ausgaben:  Philostratomm  qaae  snpersnnt  reo.  et  notis  illustr.  Olearius,  Lips.  1709; 
ed.  Katseb,  mit  krit  Apparat  in  Bibl.  Tenbn.,  nach  der  gewöhnlich  citiert  wird;  ed.  Westbr- 
■ANN,  Par.  1849;  mit  ^tischen  Vorarbeiten  za  einer  neuen  Ausgabe  ist  Stubm  beschäftigt. 
—  Spezialausgabe  der  Vitae  soph.  mit  inhaltreichem  Kommentar  von  Katbek,  Heidelb. 
1838.  —  Imagines  rec.  Jacobs  mit  Observationen  Wblokers  Leipz.  1825;  PhUostrati  maioris 
Imagines  rec.  seminariorom  Vindobonensium  sodales  1893  in  Bibl.  Teubn. 

627.  Die  übrigen  von  ihrem  Biographen  Philostratos  hervorgehobenen 
Sophisten  unseres  Zeitraums  waren:  Isaios,*)  Skopelianos,*)  Dionysios 
von  Milet,  Lollianos,  Theodotos  von  Athen,  Aristokles,  Antiochos 
von  Aigai,  Alexander  Peloplaton,»)  Adrianos  von  Tyrus,*)  Antiochos 
von  Kilikien,  Hippodromos  aus  Thessalien,  Nikostratos  aus  Makedonien, 
Pausanias  aus  Eappadokien,  Ptolemaios  von  Naukratis,  Herodes 
Attikos  und  Antonius  Polemon.  Von  ihnen  war  der  gefeierteste 
Herodes  Attikos,^)  auch  kurzweg  Herodes  genannt  (100—175).  Hoch- 
geehrt als  philosophisch  gebildeter  Redner  und  als  Lehrer  der  Kaiser  Marc 
Aurel  und  Yerus,  hat  er  gleichwohl  noch  grösseres  Ansehen  durch  seine 
politische  Stellung  und  seinen  enormen  Reichtum  erlangt.  Neben  den 
höchsten  Ehrenstellen  Athens  begleitete  er  im  Jahre  140  das  Consulat  in 
Rom.  Sein  mehr  als  fürstliches  Vermögen  verwendete  er  in  freigebigster 
Weise  zur  Anlage  von  öjffentlichen  Bauten  in  Attika  und  anderen  Orten 
(Olympia,  Delphi,  Eorinth,  Alexandria  Troas,  Ganusium)  und  zur  Aus- 
schmückung seiner  Landhäuser  in  Eephisia  und  Marathon  mit  Werken 
der  Plastik.  Durch  Reste  dieser  Bauten  und  litterarische  Inschriften 
(Kaibel  ep.  gr.  104b),  gefunden  namentlich  in  dem  Triopeum  an  der  Appi- 
schen  Strasse  Latiums,  sind  wir  auch  zumeist  über  die  Lebensverhältnisse 
des  grossen  Beschützers  der  Kunst  unterrichtet.  Aber  auch  der  Schön- 
rederei und  Sophistik  wandte  er  durch  Lehre  und  Freigebigkeit  seine 
Gunst  zu.  Auf  uns  gekommen  ist  die  unbedeutende  Rede  neQi  noXireiag 
oder  über  das  Bündnis  der  Böotier  mit  den  Peloponnesiem  gegen  den 
König  Archelaos  von  Makedonien  im  Jahre  405.^)  —  Neben  Herodes  er- 
freute sich  Antonius  Polemon,  geboren  um  85  n.  Chr.,-  als  Haupt  der 
älteren  Rhetorenschule  von  Smyrna  und  gewandter  Stegreifredner  ganz 
besonderen  Ansehens  und  Beifalls.  7)    Bei  der  Einweihung  des  von  Hadrian 


Nachahmung.  So  hat  Eayser  m  Philostr.  de 
gymn.  Turici  1840  ixq>Qt<aBtq  christlicher 
Bilder  publiziert  von  einem  gewissen  Markos 
£iige]]iko8  aus  der  Zeit  des  Konzils  von 
Florenz. 

^)  Die  Nachrichten  über  die  einzelnen 
Sophisten  hat  Eayser  in  dem  Kommentar 
der  Bioi  cotpiartay  zusammengestellt.  Ueber 
Isaios  s.  ausser  Philostratos  den  Brief  des 
jüngeren  Plinius  II  8. 

')  Den  Freunden  des  Weins  empfahl 
sich  seine  Rede  vrtiQ  dfAn^Xavy  die  gegen 
Domitianfl  Verordnung  gerichtet  war. 

>)  Den  Grund  des  Spottnamens  gibt 
Phflostr.  Vit.  soph.  If  5,  3.  üeber  Aristokles, 
der  ans  einem  Philosophen  ein  Rhetor  wurde, 


spricht  Synesios,  Dion  p.  12  R. 

^)  Nikostratos  ward  in  den  Kanon  auf- 
genommen, worüber  §  519. 

*)  FüLLBS,  De  Ti.  Cl.  Attici  Herodis  vita, 
Bonn  1864;  Dittenbbbqer  Herm.  13  (1878) 
66  ff.  und  Ind.  lect.  Hai.  1892/3;  Maass,  Or- 
pheus S.  34  ff. 

')  Die  kurze  Rede  abgedruckt  im  5.  Band 
von  Bekkers  Orat.  att.,  neubearbeitet  von 
Hass,  De  Herodis  Attici  oratione  nsgl  no- 
Xiteias,  Kiel  1880.  Ueber  den  Stil  Schkid, 
Atticismus  I  192  ff. 

')  Artikel  des  Suidas;  Eusebios  setzte 
den  Polemon  131  aus  unbekanntem  Grund. 
FöRSTBR,  Script,  physiognom.  Proleg.  LXXXV 
sqq. 


730 


Grieohiflohe  LitteratiirgeBohiohte.    II.  NaohklaMisohe  Litteratnr. 


ausgebauten  Olympieion  in  Athen  hatte  er  die  Ehre,  die  Festrede  zu 
halten.  Auf  uns  gekommen  ist  uns  von  ihm  eine  Deklamation  auf  die 
Marathonskämpfer  Kynegeiros  und  Eallimachos.^)  Die  erhaltenen  Reden 
des  Polemon  und  Herodes  sind  blutarme  Geburten  der  Sophistik,  zusammen- 
gestöppelt aus  Reminiscenzen  des  Demosthenes,  ohne  Mark  und  •  Bein. 
Polemo  ist  auch  Verfasser  einer  Physiognomik,  die  uns  aber  nur  durch 
eine  arabische  Übersetzung  und  die  Paraphrase  eines  gewissen  Adamantios 
(8./4.  Jahrh.)  erhalten  ist,  während  in  griechischer  Sprache  nur  Excerpte 
von  Excerpten  des  Polemo  auf  uns  gekommen  sind.') 

Eine  Vorstellung  von  dem  inhaltsleeren,  phrasenreichen  Inschriften- 
stil jener  Zeit  gewähren  die  zahlreichen  Ehrendekrete,  Erlasse  und  Briefe, 
welche  uns  inschriftlich  aus  der  Kaiserzeit  erhalten  sind.  Von  einem  ge- 
wissen Opramoas,  einem  freigebigen  und  hochgestellten  Lykier  aus  der 
Zeit  des  Antoninus  Pius,  sind  allein  an  60  Urkunden  jenes  Schlages  auf 
uns  gekommen,  welche  der  eitle  Mann  an  den  Wänden  seines  Grabdenk- 
mals in  Rhodiapolis  hatte  einmeisseln  lassen  und  welche  unlängst  Petersen 
und  Luhthan,  Reisen  in  Kleinasien,  Wien  1888,  11  76  ff.  veröffentlicht 
haben. 


1)  Buntsehriftstellerei. 

528.  An  die  Sophisten  reihen  wir  die  auf  dem  gleichen  Boden  ober- 
flächlicher Betrachtung  entstandene  Schriftstellerei  der  Anekdotensammler, 
Paradoxographen,  Gastmahlbeschreiber  und  verwandter  Litteraten  an.  Je 
mehr  nämlich  die  Ausdauer  zu  strenger  systematischer  Forschung  nach- 
liess,  desto  mehr  wuchs  die  Neigung  zu  buntem  Wissen  und  mannig- 
fachem Neuigkeitskram.  Zunächst  waren  es  neue  und  fabelhafte  Vor- 
kommnisse der  Naturgeschichte,  deren  Erzählung  anzog  ;^)  dann  aber 
suchte  man  auch  merkwürdige  Ereignisse  aus  der  Geschichte  und  inter- 
essante Notizen  aus  der  Litteratur  und  Kunst  zusammenzutragen.  So  ent- 
stand in  der  römischen  Kaiserzeit  bei  Griechen  und  Lateinern  die  reiche 
Litteratur  der.  Varia  {navxodanrj  vXtj^  noixiXa)^  Miscellanea  {cvfipuxia)^ 
Memorabilia.  In  der  Regel  reihte  man  die  verschiedenen  und  verschieden- 
sten Notizen  kunstlos  aneinander;  wollte  man  zu  einer  höheren  Kunstform 
aufsteigen,  so  empfahl  sich  dazu  besonders  die  Form  des  Tischgesprächs. 
Denn  auch  bei  Tisch  pflegte  man,  dem  Zuge  der  Zeit  folgend,  sich  Heber 
über  verschiedene  Dinge  und  bunte  Neuigkeiten  zu  unterhalten,  als  das 
Gespräch  um  einen  Gegenstand  und  eine  Frage  zu  konzentrieren. 

529.  Claudius  Aelianus^)  war  in  Präneste  bei  Rom  geboren,  wes^ 
halb  er  sich  wiederholt^)   als  Römer  bezeichnet.     In  die  griechische  Litr 


*}  Polemo  ed.  Hinck,  Lips.  1873;  über 
seinen  Stil  Schmid  a.  0.  p.  47  ff. 

^)  Polemonis  de  ph^siognomia  Über  bei 
FöBSTBB,  Sciiptores  physiognomici,  Lips.  1893 
vol.  I.  Ebenda  die  Paraphrase  des  Adaman- 
tios und  Pseudopolemonis  physiognomica. 
Vgl.  Val.  Rosb,  Anecd.  gr.  I  25  u.  59  ff. 

*)  Mitunter  stecken  in  jenen  Wunder- 


erzählungen  richtige  Beobachtungen  yon  fos- 
silen Tieren,  Schlammfischen,  NaphtfasqueUen; 
s.  Haileb,  Ein  Beitrag  zur  antiken  Paläon- 
tologie, Bayer.  Gymn.Bl&tt  1896  S.  556  ff. 

«)  Ein  Artikel  des  Suidas  nnd  Philosir. 
Vit.  soph.  U  81. 

»)  Var.  bist,  ü  38.  XH  25.  XIV  45. 


Ba)BOm.  Periode yorEonBtantin.  8. D.  Prosa.  i)BimtBohriftetellerei.  (§§528-529.)  731 

teratur  ward  er  durch  den  Sophisten  Pausanias  eingeführt  und  eignete  sich 
unter  dessen  Leitung  so  sehr  die  Herrschaft  über  das  fremde  Idiom  an, 
dass  man  ihm  das  allerdings  übertriebene  Kompliment  machte,  er  spreche 
attisch  wie  einer  der  mitten  in  Attika  geboren  sei.^)  Aber  weder  strebte 
er  nach  politischen  Ehren,  noch  widmete  er  sich  der  sophistischen  Dekla- 
mation, sondern  suchte  seinen  Ruhm  lediglich  in  der  fleissigen  Schrift- 
stellerei  über  kleine,  aber  seiner  wissenschaftlichen  Neigung  entsprechende 
Dinge.  Er  erreichte  ein  Alter  von  über  60  Jahren,  soll  sich  aber  trotzdem 
gerühmt  haben,  nie  über  die  Grenzen  Italiens  hinausgekommen  zu  sein  oder 
nur  ein  Schiff  bestiegen  zu  haben.')  Das  kann  indes  nicht  ganz  richtig  sein 
oder  muss  sich  auf  eine  Äusserung  aus  seiner  früheren  Lebenszeit  beziehen, 
da  er  in  der  Tiergeschichte  XI 40  ausdrücklich  erwähnt,  dass  er  in  Alexandria 
im  Zeuspark  ein  Rind  mit  5  Füssen  gesehen  habe.^)  Seine  Zeit  bestimmt 
sich  dadurch,  dass  er  ein  Zeitgenosse  des  Lemniers  Philostratos  war  und 
noch  vor  dem  Tod  des  Verfassers  der  Sophistenbiographien  starb.  Ein 
noch  bestimmteres  Anzeichen  liegt  in  der  Anekdote,^)  dass  als  er  eine 
Anklageschrift  gegen  Gynnis,  worunter  offenbar  der  weibliche  Heliogabal 
zu  verstehen  ist,  dem  Philostratos  vorlas,  dieser  ihm  beissend  sagte:  id-av- 
litt^inf  av  €1  fcovTog  xatrjyoQTjaag,  Danach  muss  er  also  jedenfalls  jenen 
Kaiser  (gest.  222)  überlebt  haben.  In  seiner  Geistesrichtung  war  Aelian 
ein  echtes  Kind  seiner  Zeit.  Auf  den  Stil  und  die  sophistische  Redekunst 
legte  er  allen  Wert;^)  es  fehlte  ihm  auch  nicht  an  Belesenheit  und  sau- 
berem Fleiss,  aber  er  holte  sein  Wissen  aus  Büchern,  nicht  aus  selbstän- 
diger Beobachtung  und  entbehrte  nicht  bloss  der  Fähigkeit  eines  streng 
systematischen  Denkens,  sondern  war  auch  ganz  in  dem  kritiklosen  Myste- 
rien- und  Wunderglauben  seines  Jahrhunderts  befangen.^)  Dabei  kannte 
er  aber  recht  wohl  den  Leserkreis,  auf  den  er  spekulierte :  Leuten,  welche 
gerne  von  Wundem  hörten  und  die  strenge  Zucht  systematischen  Denkens 
scheuten,  bot  er  mit  seinen  bunten  Geschichten  eine  anziehende  und  unter- 
haltende Lektüre. 7)  Auch  im  Mittelalter  waren  seine  Bücher  viel  gelesen; 
Konstantinos  Porphyrogennetos  veranstaltete  aus  ihm  naturgeschichtliche 
Exzerpte,  Suidas  citiert  kaum  einen  anderen  Schriftsteller  öfter  als  ihn, 
Phües  hat  ihn  im  14.  Jahrhundert  in  Verse  gebracht.^) 

Das  Hauptwerk   des  Aelian   hat    den  Titel    nsgi  fycor  tiiovtjtog 
(de  natura  animalium).     Eingeleitet  durch  ein  Proömium  und  geschlossen 

er:    on<og  di  avtd  einoy  xal  a^y  oatf)  noyw. 


*)  Philostr.  Vit.  8oph.  IT31:  ijtrlxiCey  oianeQ 
ol  iy  xff  (Ascoyalq  *J&rjyaioi.  Aber  in  seinen 
Schriften  begegnen  doch  viele  Fehler  gegen 
die  Reinheit  der  griechiBchen  Sprache;  siehe 
Index  graecitatas  in  Jacobs  Ausgabe  der 
Tiergeschichte.  —  Auch  gegen  den  Hiatus 
zeigte  er  sich  voUständig  gleichgültig. 

')  Philostr.  Vit.  soph.  II  31. 

')  Früher  woUten  deshalb  bedeutende 
Gelehrte,  wie  Valckenaer,  dem  Sophisten 
Aelian  die  Tiergeschichte  absprechen.  Andere 
nehmen  an,  dass  Aelian  nachlftssigerweise 
das  iSsaaafiijy  aus  seiner  Vorli^e  herttber- 
genommen  habe. 

*)  Phüostr.  a.  0. 

*)  Im  Epilog  der  Naturgeschichte  sagt 


t6  t*  BvyBvkq  Xfjg  Xi^Btag  onoioy  xttl  trjg  avy^ 
Sfjxijs  XiSy  j*  6yof4ttT(oy  xal  itoy  oyofiaztoy 
x6  xdXkoqy  onocoif  ny  fjirj  /^i^croifiat  noyrjQoTg 
XQixaTg.  Btaoyrai  ixsTyoi. 

^)  Das  zeigt  sich  besonders  in  den  Resten 
seines  Buches  Ober  die  Vorsehung. 

')  Epilog  der  Naturgeschichte:  r^  not- 
xiXio  xijs  dyayyto0ea)s  x6  i(poXx6y  9tjQ(dy  xal 
xtjy  ix  Xfov  Ofioiüty  ßdsXvyfiiay  dnodidQaaxtay 
oloysi  XBifitSyd  xiva  rj  ax^tpayoy  togaioy  ix 
x^g  noXvxQoiag  tag  dy&satpoQtoy  xdSy  Cfj^toy 
xiuy  TtoXXtoy  t^i^&rjy  dBiy  x^ydß  vfpdyai  xe  xal 
dtanXi^ai  xtjy  cvyyQatpfjy. 

«)  Vgl.  Erumbaohbb  Byz.  Lit.>  775  bis 
779. 


732 


Griechische  Litieratargesohichie.    n.  NaohklaMieohe  litteratnr. 


durch  einen  Epilog,  enthält  dasselbe  in  17  B.  bunte  Erzählungen  aus  dem 
Tierleben.  In  ihnen  berücksichtigt  der  Verfasser  hauptsächlich  die  Seelen- 
eigenschaften  der  Tiere,  die  Gelehrigkeit  der  Elephanten,  die  Treue  der 
Hunde,  die  Geschicklichkeit  der  Bienen,  die  Geilheit  der  Lippfische,  und 
liebt  es  dabei  den  Menschen  so  nebenher  aus  der  Tierwelt  einen  moralischen 
Spiegel  vorzuhalten.  Geschrieben  ist  das  Buch,  wie  aus  10,  1  hervorgeht, 
nach  Dions  Geschichte  Caracallas;^)  einen  unmittelbaren  Vorgänger  hatte 
Aelian  an  Demostratos,  einer  Autorität  in  Fragen  der  Fischerei,  deren 
er  15,  19  mit  besonderer  Hochachtung  gedenkt.  Ausserdem  benutzte  er 
namentlich  die  älteren  Wunderschriftsteller  gleichen  Kalibers,  Alexander 
Myndios  und  Juba  und  die  Alyvmiaxd  des  Apion. 

Weniger  sorgfältig  ausgearbeitet  und  schlechter  erhalten  ist  das  Werk 
noixiXt]  tazoQia  (varia  historia)  in  14  B.,  wovon  die  ersten  15  Kapitel 
naturgeschichtliche  Gegenstände  l3ehandeln,  alles  übrige  der  Geschichte  der 
Menschen  angehört.  Wir  besitzen  dasselbe  nur  in  einem  Auszug,*)  wie 
schon  das  oit  im  Anfang  vieler  Artikel  zeigt.')  Daraus  erklärt  sich  der 
Mangel  einer  Einleitung  und  die  grosse  Verschiedenheit  in  der  Grösse  der 
einzelnen  Bücher  und  Erzählungen.^)  Das  Material  hat  auch  hierzu  Aelian 
aus  den  Wundergeschichten  und  einer  kritiklosen  Lektüre  des  Ktesias, 
Theophrast,  Theopomp,  Timaios  zusammengebracht.*)  Ob  Aelian  den 
Athenaeus  oder  umgekehrt  Athenaeus  den  Aelian  ausgeschrieben  habe, 
oder  ob  die  Übereinstimmung  aus  der  Benutzung  der  gleichen  Quelle  her- 
zuleiten sei,  ist  eine  alte  Kontroverse.^) 

Von  ähnlichem  Gehalt  waren  auch  die  unter  sich  zusammenhängenden 
Schriften  TteQi  ngovoiaq  und  n€Qi  d^emv  ivaqysimv^  von  denen  uns  zahl- 
reiche Fragmente  durch  Suidas  erhalten  sind.  Dieselben  basierten  auf  dem 
Buch  des  Stoikers  Chrysippos  über  die  Vorsehung  '^)  und  waren  gegen  die 
Gottesleugner,  insbesondere  gegen  die  Epikureer  gerichtet.  Im  Gegensatz 
zu  Lukians  Zeig  rqayffidog  suchten  sie  das  Eingreifen  der  Gottheit  in  Be- 
strafung der  Missethäter  und  Belohnung  der  Gerechten  an  Beispielen  der 
Geschichte  nachzuweisen. 

Unter  Aelians  Namen  sind  auch  20  Bauernbriefe  (oyQoijuxal  emirto- 
lai)  auf  uns  gekommen;  dieselben  sind  erotischen  Inhaltes  und  der  idylli- 
schen Poesie  verwandt,   passen  aber  mit  ihrer  eleganten  Form  mehr  für 


»)  Rudolph,  Leipz.  Stud.  VII  8  ff. 

^)  Hbrcheb,  De  Aelianl  varia  historia, 
Rudolstadt  1857,  und  in  der  Praefatio  der 
Pariser  Ausgabe,  wo  nachgewiesen  ist,  dass 
uns  viele  Kapitel  bei  Stobaios  und  Suidas 
vollständiger  erhalten  sind.  Ungewiss  ist, 
worauf  das  Citat  bei  Stephanos  Byz.  unt.  Xsq- 
^ovfjaog  '  AiXiayog  iy  ß'  UrroQCXTJg  dictXe^eotg 
geht. 

')  Auf  Aelian  selbst  will  dieses  ort  zu- 
rückfahren Rudolph  a.  0.  p.  100  f. 

*)  Die  Bücher  X  u.  XI  füllen  nur  wenige 
Seiten;  die  breitausgeführte  Erzählung  von 
der  schönen  Aspasia  XII  1  steht  in  keinem 
Verhältnis  zu  den  vielen  ganz  kurzen  Anek- 
doten. 


^)  Siehe  Index  autorum  der  Ausg.,  nnd 
Rudolph,  De  fontibus  quibus  Aelianns  in 
Varia  historia  componenda  osos  sit,  Leipt. 
Stud.  VII  18  ff.  Viele  Quellenschriften,  die 
Aelian  anAlhrt,  hat  er  nicht  im  Original  ge- 
lesen; nach  V.  H.  XVII  37  scheint  er  nicht 
einmal  Aristophanes  Wolken  gelesen  zu  haben. 
Eine  HauptqueUe  war  ihm  Favorinos'  nur- 
To^anrj  Ufjoqia^  aus  der  er  die  Namen  der 
primären  Quellen  entnahm.  Die  Gleichheit 
der  Quellen  erklärt  die  vielfache  Ueberein- 
stimmung  mit  Athenaios  und  Plutardi. 

^)  A.  Bbunk  comm.  phil.  in  hon.  sod. 
phil.  Gryph.,  Berlin  1891;  Wellmahk  Heim. 
26  (1891)  483  ff. 

')  Ghiysipp  ist  citiert  fr.  81. 


B  a)  BömiBche  Periode  vor  Konstantm.  8.  Die  Prosa,  i)  Bnntsohriftstellerei.  (§  530.)  733 


einen  attischen  Sophisten  als  einen  römischen  Anekdotenschreiber.  Auch 
scheint  der  Verfasser  am  Schlüsse  des  letzten  Briefes  mit  den  Worten 
ov  yd^  i<XfA€v  ovT£  AißvBg  ovte  Aviol  aXX'  Uv^r>vatoi  yBWQyoi  unter  der  Maske 
des  Briefschreibers  sich  selbst  als  Athener  zu  bekennen,  i)  —  Endlich 
werden  unserm  Aelian  die  Distichen  auf  Homer  und  Menander  zuge- 
schrieben (CIG  6092  u.  6083  =  Kaibel  epigr.  gr.  1084—5),  die  in  Rom  im 
Hause  eines  Aelian  den  Hermen  des  Homer  und  Menander  beigeschrieben 
waren. 

Der  Text  des  Aelian  ist  durch  zwei  stark  voneinander  abweichende  Hands«hriften- 
familien  auf  uns  gekommen;  Haaptvertreter  der  älteren  Familie  ist  ein  Vaticanus,  jetzt  in 
Paris.  —  Ed.  princ.  von  Gonr.  Gbssneb,  Zürich  1556;  kritische  Ausgabe  von  R.  Hbbchbr, 
Par.  1858  und  in  Bibl.  Teubn.  1864.  —  Spezialausgabe  der  Hist.  anim.  cum  priorum  et  suis 
animadv.  ed.  J.  G.  Scbnbider,  Lips.  1784;  ad  fidem  codicum  restit.  et  annot.  illustr.  Fb. 
Jacobs.  —  Var.  hist.  ed.  PsRizomüs  mit  Kommentar,  2  vol.,  LB.  1701. 

530.  Paradoxographen.  An  Aelian  mögen  sich  die  übrigen  Anek- 
dotenschreiber, deren  Schriften  Westermann  zu  einem  Corpus  paradoxo- 
graphorum  vereinigt  hat,*)  anreihen.  Die  Litteratur  der  Wundergeschichten 
geht  auf  die  alexandrinische  Zeit  zurück,  aus  der  wir  bereits  die  Samm- 
lungen von  Eallimachos  und  Antigenes  kennen  gelernt  haben.  ^)  In  die 
spätere  Zeit  fallen:  Apollonios,  dessen  7crirop<a*  ^aviaätnai  uns  in  ver- 
stümmelter und  gekürzter  Form  vorliegen;*)  Phlegon  von  Tralles  aus 
der  Zeit  Hadrians,  dessen  historisches  Handbuch  bereits  oben  §  491  be- 
sprochen wurde;  Isigonos  aus  Nikäa  (1.  Jahrh.  v.  Chr.),  aus  dessen  Schrift 
nsQi  an(a%(ov  uns  Reste  in  einem  mageren  Auszug  ix  tüv  (rnoQdSijV  nsQi 
norafAcav  xal  xqtjvwv  xai  hfivdov  nuQixdo^oXoyov^ävfav  erhalten  sind.^)    Ada- 


^)  Suidas  erwähnt  ayqoixi,xtti  iniatoXai 
von  den  Sophisten  Zonaios  und  Meleser- 
mos;  erhalten  sind  uns  solche  im  3.  B.  des 
Alkiphron.  Die  Echtheit  unserer  Sammlung 
sucht  zu  verteidigen  Hbbobbb  in  der  Pariser 
Ausg.  praef.  X.  Auch  Herm .  Rkich,  De  Alci- 
phronis  Longique  vita,  Diss.  Eönigsherg  1894, 
p.  26—45  hält  die  Autorschaft  des  Aelian 
aufrecht,  indem  er  wie  Horcher  die  Briefe 
dem  jungen  Aelian  zuschreibt.  Sicher  hat 
der  scharfsinnige  and  geschmackvolle  Doktor 
erwiesen,  dass  der  Verfasser  unserer  Briefe 
den  Alkiphron  nachgeahmt  hat,  und  dass 
Aiistainetos,  indem  er  einem  seiner  Briefe 
n  1,  in  welchem  er  stark  Aelian  ep.  7  u.  8 
benutzt,  die  üeberschrift  Atkiavov  KaXvxjj 
gibt,  unsere  Briefe  unter  dem  Namen  des 
Aelian  vorgefunden  hat. 

*)  Dazu  ergänzend  Keller,  Rerum  natu- 
raliuin  scriptores  graeci  minores,  Lips.  1867 
in  Bibl.  Teubn. 

')  Wbstbrmank  in  der  Vorrede  seiner 
Ausgabe  gibt  ein  Verzeichnis  sämtlicher  Para- 
doxographen. Ausser  Eallimachos  und  Anti- 
gonos  schrieben  unter  Ptolemaios  Philadel- 
phos  Archelaos  und  Aristokles  in  Versen 
fiber  wunderbare  Dinge  (Aelian  A.  H.  XI  4; 
Antigen,  c.  19).  Um  dieselbe  Zeit  schrieben 
Nymphodoros  ns^l  ttSy  iy  IixeXitf  &avfia~ 
iogjtiymy  und  in  ähnlichem  Ton  Lykos  aus 


Rhegium;  femer  Lysimachos  aus  Alexan- 
dria, der  Aiyvnxiaxd  nagd^o^a  und  9i]ßaixd 
nagd^o^a  schrieb.  Fragmente  bei  Müller 
FHG  U  372-81;  III  334—42.  Dem  Ari- 
stoteles untergeschoben  ward  die  Schrift 
TtsQi  ^ttvfxnamv  dxovcfjiduay.  Auch  das 
romanhafte  Buch  des  Hekataios  aus  Abdera 
über  die  Hyperboreer,  und  des  Jambulos 
über  eine  fabelhafte  Insel  des  indischen 
Ozeans  gehörten  in  das  gleiche  Gebiet.  Ueber 
die  ganze  Wunderlitteratur  der  alexandrini- 
schen  Zeit  Susemihl  AI.  Lit.  I  c.  17. 

*•)  Der  Anfang  des  Buches  scheint  ver- 
loren gegangen  zu  sein;  Phlegon  c.  11  u.  13 
citiert  Angaben  des  Apollonios,  welche  in 
unseren  51  Kapiteln  nicht  enthalten  sind.  Auf 
einen  Auszug  weist  der  ganz  verschiedene 
Umfang  der  einzelnen  Kapitel. 

')  Sotion  wird  als  Verfasser  des  Auszugs 
angegeben  von  Photios  cod.  189  and  Tzetzes 
Chil.  7,  645.  Der  Auszug  stammt  aus  der 
Zeit  nach  Phlegon,  wenn  anders  die  Ver- 
besserung von  ^AESSIN  c.  35  in  *AErüN 
durch  Westermann  richtig  ist.  Der  Philosoph 
Sotion  ist  selbst  am  Schlüsse  des  Auszugs 
als  eine  Quelle  genannt,  aber  sicher  nicht 
aus  ihm,  eher  aus  dem  Geoponiker  Sotion 
ist  das  Schriftchen  excerpiert.  Rose,  Anecd. 
graec.  Berl.  1864  p.  10  schreibt  die  Schrift 
direkt  dem  Isigonos  von  Nikäa  zu. 


734 


Grieohisohe  LittoratnrgMohiohto.    II.  Naohklftsaisohe  Idtieratitr. 


mantios,  Sophist  des  3.  Jahrhunderts,  von  dem  uns  eine  von  Yal.  Rose 
herausgegebene  Schrift  über  die  Winde  erhalten  ist.  Einer  späteren 
Zeit  gehört  das  Büchlein  des  Philon  Byzantius  ncQl  iSv  iura  ^safiarwv 
an,  das  Rohden  nach  den  Anzeichen  des  streng  vermiedenen  Hiatus  der 
zweiten  Periode  der  sophistischen  Beredsamkeit,  genauer  dem  Anfang  des 
6.  Jahrhunderts  zuweist. 

Paradozographi  graec.  ed.  WBsrsRMAim ,  Braunschweig  1839 ;  Rerom  nafcoralioin 
scriptoreB  graeci  minores  ed.  Ksllbb  1877  in  Bibl.  Teubn.  —  Val.  Rose,  Anecdota  graeca, 
Berl.  1864,  2  Bde.  —  Philonis  Byzantii  de  Septem  miracalis  ed.  Orelli,  Ups.  1816;  Bobdkk, 
De  mandi  miraculis,  Bonn  1875;  H.  Schott,  De  Septem  spectacnlis,  Progr.  Ansbach  1896.  — 
RoHDE,  De  Isigonl  Nicaeensis  de  rebus  militaribns  breviariom  (Anszog  des  cod.  Vatic  12) 
in  Acta  soc.  philol.  Lips.  I  25 — 42. 

531.  Artemidoros,  der  Traumdeuter,  kann  auch  zu  den 
Wunderschriftstellem  im  weiteren  Sinne  gerechnet  werden.  Derselbe  ist 
Verfasser  der  uns  erhaltenen  ^OveiQoxgiuxä  in  fünf  Büchern,  von  denen 
das  dritte  unter  dem  Spezialtitel  (PiXäXrjO^eg  rj  ^Evodiov  einen  Nachtrag  sra 
den  zwei  ersten  bilden  sollte  und  das  fünfte  eine  gesonderte  Zusammen- 
stellung von  Beispielen  erfüllter  Träume  {oveiQoav  anoßaaeiq)  enthalt.  Sui- 
das  nennt  ausserdem  von  ihm  Oloavocxonixd  und  XeiQocxomxd.  Er  stammte 
aus  Ephesos,  nannte  sich  aber  Daldianos  von  der  Stadt  Daldis  in  Lydien, 
wo  er  seinen  Wohnsitz  gehabt  zu  haben  scheint;  sein  Leben  fiel  in  die 
Zeit  der  Antonine,  befreundet  war  er  mit  dem  Rhetor  Cassius  Maximus 
(§  511),  dem  er  die  drei  ersten  Bücher  seiner  Traumdeutungen  widmete. 
Die  Traumdeuterei  gehörte  in  das  weite  Gebiet  der  Mantik,  mit  der  sich 
schon  in  der  alexandrinischen  Zeit  nicht  bloss  Liebhaber  von  Anekdoten, 
wie  Artemon  aus  Milet,  Phoibos  aus  Antiochia,  Alexander  Myndios,*)  son- 
dern auch  ernste  Denker,  wie  insbesondere  die  Stoiker*)  abgaben.  Unser 
Artemidor  gibt  in  seinem  elegant  geschriebenen  Buch  mit  ernster  Miene 
eine  förmliche  Theorie  der  Traumdeuterei,  lässt  aber  doch  für  Verlegen- 
heiten allerlei  Hinterpförtchen  offen,  indem  z.  B.,  wenn  einem  träumt,  dass 
ihm  Ameisen  in  das  Ohr  kriechen,  dieses  für  den  Sophisten  glückverkün- 
dend ist,  für  andere  Menschen  aber  nahen  Tod  bedeutet.  Wichtiger  als 
durch  den  Humbug  der  Traumdeuterei  ist  das  Buch  durch  die  Citate  und 
gelehrten  Notizen,  die  der  belesene  Schriftsteller  seiner  Darstellung  ein- 
flicht. —  In  ähnlichem  Fahrwasser  bewegen  sich  die  Orakel  des  Astram- 
psychos,  die  sich  vielfach  mit  den  lateinischen  Sortes  Sangaüenses  (ed. 
Winnefeld,  Bonn  1887)  berühren. 

Artemidor  rec.  Hercher,  Lips.  1864  auf  Grundlage  des  cod.  Lanr.  87  und  Marc  268. 
—  Astrampsychi  oraculorum  decades  CHI  ed.  Heboheb,  Berl.  1868,  Programm  des  Joachims- 
thaler  Gymn. 

632.  Athenaios  aus  Naukratis  in  Ägypten  ist  Verfasser  des  So- 
phistenmahles (dsmvoaoifiiaxMv)  in  15  B.,  das  bis  auf  den  Schluss  und  die 
ersten  Bücher  (B.  1,  2  und  Anfang  von  3),  die  wir  nur  im  Auszug  haben, 
vollständig  auf  uns  gekommen  ist.»)     Von  der  Person  des  Verfassers  be- 


>)  Odeb  bei  Susemihl  AI.  Lit.  I  868  ff. 
Regeln  der  Traumdeuterei  erwähnt  bereits 
Aischylos  Prom.  484. 

■)  W.  Rkiohabdt,  De  Artemidoro  Dal- 
diano,  in  Comm.  Jen.  V  (1893)  111  ff.,  sucht 


auch  unseren  Artemidor  zu  einem  Stoiker 
zu  machen.  lieber  des  Poseidonkw  5  Bficher 
nBQi  ^ayjixijg  siehe  oben  §  405. 

')  Neben  der  Ausgabe  in  15  B.  existierte 
eine  solche  in  80  B.,  worüber  Vermerke  in 


Ba)Röm.Periodevor  Konstantm.  S.D.Prosa.  i) Bimtsohriftstellerei.  (§§531-582.)  735 


merkt  Suidas  bloss:  ^A^rjvatog  NavxQcnnrjg  yQa/xfAauxogy  ysyovcog  inl  tcov 
XQovmv  MtxQxov.  Auch  aus  anderen  Quellen  erfahren  wir  nichts  Näheres 
über  ihn,  wir  ersehen  aber  aus  seinem  Werke,  dass  er  ein  Mann  von 
grosser  Belesenheit  und  glücklichem  Gedächtnis  war,  der  ob  seines  mannig- 
faltigen Wissens  und  seines  mitteilsamen  Wesens  gern  in  der  Tischgesell- 
schaft der  vornehmen  Welt  Roms  gesehen  wurde.  Von  seinen  früheren 
Arbeiten  erwähnt  er  selbst  eine  Spezialuntersuchung  über  den  Seefisch 
^qrnxa  (c.  329c)  und  eine  Schrift  über  die  Könige  Syriens  (p.  211a).i) 
Der  reiche  Inhalt  seines  Hauptwerkes  ist  in  die  Form  von  Tischgesprächen 
bei  einem  Gastmahl  des  Larensis  gekleidet,  und  zwar  so,  dass  Athenaios, 
der  selbst  unter  den  Tischgenossen  gewesen  war,  seinem  Freunde  Timo- 
krates  erzählt,  was  bei  jenem  Mahle  geschehen  oder  vielmehr  gesprochen 
worden  sei.  Wer  erkennt  hier  nicht  sofort,  auch  wenn  nicht  das  irjhf 
nXaziavix^  beigefügt  wäre,  die  Einkleidung  des  platonischen  Gastmahls 
wieder?  Aber  während  dort  dramatisches  Leben  herrscht  und  die  Tisch- 
gespräche von  einem  Umfange  sind,  dass  sie  auch  wirklich  so  gehalten 
sein  konnten,  verliert  Athenaios  oft  ganze  Bücher  hindurch  die  Scenerie 
aus  dem  Auge  und  pfercht  eine  solche  Unmasse  von  Dingen  in  den 
Rahmen  eines  Gastmahles,  dass  wir  die  ganze  Einkleidung  als  eine  un- 
glückliche, völlig  missglückte  Nachahmung  betrachten  müssen.  Der  Gast- 
geber also  ist  Larensis,  ein  hochgestellter,  in  beiden  Sprachen  bewanderter 
Römer,*)  den  der  Kaiser  M.  AureH)  zum  Pontifex  gemacht  hatte,  so  dass 
wir  unwillkürlich  bei  den  vielen  Schüsseln  des  Mahles  an  die  berühmten 
coenae  pontificum  erinnert  werden.  Geladen  waren  29  Gäste  aus  ver- 
schiedenen Lebensstellungen,  doch  alle  durch  ihre  Bildung  des  Ehrentitels 
aoipiaiai  würdig.  Da  waren  die  Juristen,  die  Dichter,  die  Grammatiker, 
die  Philosophen,  Rhetoren,  Ärzte,  Musiker  vertreten;  aber  die  meisten, 
wie  z.  B.  auch  der  Arzt  Galen,  spielen  die  Rolle  stummer  Personen;  in 
den  Vordergrund  des  Gesprächs  treten  hauptsächlich  der  Rechtsgelehrte 
Masurius,  der  im  ganzen  fünften  Buch  allein  das  Wort  führt,  der  Kyniker 
Kynulkos,  der  mit  seinen  Polterreden  auf  die  Üppigkeit  und  die  Hetären- 
poesie die  lustige  Person  des  Gespräches  abgibt,  und  der  Rhetor  Ulpian 
aus  Tyrus,  der  den  Spitznamen  KsiTovxeirog  führt,  weil  er  immer  mit  der 
Frage  xehai,  ov  xehai;  bei  der  Hand  war.  Über  die  Zeit,  in  welcher 
das  Gastmahl  gehalten  wurde,  scheint  die  Stelle  p.  686  c,  welche  Schweig- 
häuser auf  den  im  Jahre  228  erfolgten  Tod  des  berühmten  Juristen  Ul- 
pian bezog,  ein  Anzeichen  zu  enthalten.  Aber  die  Voraussetzung,  dass 
der  Jurist  Ulpian  und  der   gleichnamige  Sprecher  unseres  Buches  eine 


Cod.  A.  Kaibbl  praef .  XXII  ss.  erblickt  darin 
Anzeichen,  dass  der  uns  erhaltene  Text  ans 
einem  YoÜstHndigeren  ausgezogen  sei. 

')  Eine  dritte  Schrift  deutet  er  an  p.  155a: 
oTi  di  xai  ol  Mvdo^oi  xal  ol  rjysfJLoveg  ifJLOvo- 
Hdxovy  xai  ix  n^xXtjaeag  rovr^  inoiovv,  iy 
ttXXoii  eiQTixafAsy, 

')  Mit  Larensis  und  nicht  mit  Laurentius 
mnaBj  wie  mich  Dittenberger  belehrte,  das 
griechische  Aa^yaoq  wiedergegeben  werden. 
Als  seinen  Ahnen  bezeichnet  Larensis  p.  160c 


den  berOhmten  Polyhistor  Varro. 

•)  Athen.  I  p.  2c:  XiyBi  d^  avroy  xal 
Xtt&etyrafxsyoy  inl  tdÜy  Ugioy  eiyai  xai  d^vauoy 
vnd  tov  nayj*  aQiatov  ßatnXitog  MaQxov. 
Daraus  ist  wohl  das  inl  raiy  j^goytoy  Mdgxov 
in  den  Artikel  des  Suidas  gekommen.  Ein 
P.  Livius  Larensis  pontif.  minor  kommt  vor 
auf  einer  Ära  des  vatikanischen  Museums 
CIL  VI  2126;  vgl.  Dsssaü  Herm.  25  (1890) 
156  ff. 


736 


Ghriecliuiche  litteratnrgesohiohto.    II.  HaohklMuiische  Lüteratnr. 


Person  seien,  gründet  sich  nur  auf  die  Gemeinsamkeit  des  Namens  und 
der  Vaterstadt  Tyrus,  wird  aber  dadurch  zweifelhaft,  dass  der  Jurist  ge- 
waltsam ermordet  wurde,  unser  Tischgenosse  aber  eines  ruhigen  Todes 
starb  (p.  686  c).  Von  einer  so  weit  herabgehenden  Jahreszahl  also  müssen 
wir  absehen  und  uns  darauf  beschränken,  anzunehmen,  dass  das  Qastmahl 
in  die  nächste  Zeit  nach  dem  Tode  des  Kaisers  Gommodus  (193)  M. 
Denn  die  höhnende  Bemerkung  über  jenen  Kaiser  p.  537  f.  hätte  Athe- 
naios  nicht  zu  dessen  Lebzeiten  zu  machen  gewagt.  In  Betracht  kommt 
ausserdem,  dass  schon  Aelian  und  Macrobius  das  Sophistenmahl  unseres 
Athenaios  benutzt  zu  haben  scheinen,  i) 

Das  Sophistenmahl  ist  eines  der  inhaltreichsten  Bücher,  das  für  uns 
nach  den  grossen  Verlusten  der  Litteratur  der  neuen  Komödie  und  der 
alexandrinischen  Periode  von  unschätzbarem  Werte  ist.  Nur  in  einigen 
Abschnitten,  wie  in  dem  13.  Buch,  das  den  speziellen  Titel  egaotixoc  Xoyog 
führt,  ist  der  enge  Gedankenkreis  der  alten  Tischgespräche  festgehalten; 
aber  auch  in  der  Besprechung  dieses  Themas  herrscht  der  antiquariseh- 
litterarhistorische  Gesichtspunkt  vor,  der  neben  dem  grammatischen  das 
ganze  Werk  durchdringt.  Man  hat  dasselbe  ein  Lexikon,  gekleidet  in  die 
Form  von  Tischgesprächen,  genannt,  und  in  der  That  verraten  einige  Ab- 
schnitte, wie  die  von  den  Fischen  (B.  8),  von  den  Trinkgefässen  (B.  11), 
von  den  Kuchen  (Schluss  von  B.  14),  von  den  Früchten,  Salben,  Kränzen 
schon  durch  die  alphabetische  Aufzählung  den  lexikalischen  Ursprung. 
Aber  auch  sonst  versteckt  sich  gewiss  oft  hinter  dem  prunkenden  Schein 
ausgedehntester  Belesenheit  nur  die  wohlfeile  Arbeit  des  Exzerpierens  ge- 
lehrter Artikel  der  Lexika  des  Didymos  und  Pamphilos.  Selbst  die  mit 
der  Maske  eines  gewiegten  Kritikers  zum  Überdruss  oft  zugefügte  Be- 
merkung €l  yvrjaiov  t6  ßißkiov  scheint  zum  grossen  Teil  nur  das  kritische 
Urteil  jener  Lexikographen  und  der  von  ihnen  ausgezogenen  Grammatiker, 
nicht  das  eigene  des  Verfassers  zu  enthalten.^)  Aber  immerhin  bietet  das 
Werk  eine  staunenswerte  Fülle  gelehrter  Bemerkungen  und  gehörte  sein 
Verfasser  zu  jener  Klasse  viellesender  und  gedächtnisstarker  Philologen, 
wie  sie  das  Altertum  zahlreicher  als  die  Neuzeit  hervorgebracht  hat. 

Athenaios  hat  mit  seinem  Sophistenmahl  nichts  Neues  geschaffen,  er 
hatte  zahlreiche  Vorgänger,  die  er  fleissig  benutzte.  Seit  Piaton  und  Xeno- 
phon  mit  ihren  Symposien  vorangegangen  waren,  waren  ähnliche  Werke 
in  Masse  gefolgt.^)  Nach  Piaton  schrieb  zunächst  Epikur  ein  Gastmahl, 
das  Athenaios  V 12  einer  sehr  abfälligen  Kritik  unterzieht,*)  sodann  Persaios, 
dessen  2v/inoTixol  dialoyot  aus  den  Erinnerungen  des  Megarikers  Stilpon 
und  des  Stoikers  Zenon  zusammengesetzt  waren.  Gemischten  Inhaltes 
waren  die  SvfifAixva  avfXTiouxd  des  Aristoxenos,  die  sich  Plutarch  in  seinen 
2vfA7to<naxd  nQoßh]i.iaTa  zum  Vorbilde  nahm.  Dem  speziellen  Gebiete  der 
Grammatik  und  Philologie  gehörten   die  ^vfinociaxd  av^i^nxxa   des  Didy- 


*)  Ueber  diese  zum  Teil  bestrittene  Be- 
nutzung vgl.  Wentzrl  im  Artikel  Athenaios 
bei  Pauly-Wiasowa  II  2027. 

^)  So  kommt  es,  dass  derselbe  Athenaios 
das  Buch  ne^l  fxi&fig  p.  427c  dem  Theo- 
phrast,  p.  461a  dem  Ghamaileon  zuschreiben 


konnte. 

*)  Ueber  die  SymposienUtteratur  Hiszn., 
Der  Dialog  I  860  ff. 

^)  Die  Fragmente  bei  Usbnkr,  Eniciunea 
p.  115  ff. 


Ba)  Römische  Periode  vor  Konstftntin.  8.  Die  Prosa.  i)Bimt8chriftstellerei.  (§532.)  737 

mos^)  und  das  Svfjinwfiov  des  Herodian  an.^)  Dazu  kamen  zahlreiche 
Symposien  in  Versen,  wie  die  'Hdvnä&€ia^)  des  Archestratos,  eines  Zeit- 
genossen des  jüngeren  Dionysios,  die  elf  Bücher  Jeinvwv  des  Rhodiers 
Timachidas,^)  die  parodischen  Gastmahle  des  Matron,^)  Hegemon,^)  Nume- 
nios,^)  Heri^eides  aus  Tarent.^)  Reichen  Stoff  zu  den  Gesprächen  über 
den  materiellen  TeU  des  Mahles  boten  dem  Athenaios  ausserdem  die 
poetischen  und  prosaischen  Verfasser  von  ^AXuvrixa^^)  'OipaQTvrixd,^^) 
Qr^Qiaxä,^^)  sowie  die  Schriften  der  Philosophen  über  die  Lust  (ttsqI  T^Sovijg), 
in  denen  auch  der  Genüsse  des  Mahles  gedacht  war.^>)  Mehr  aber  als  die 
Fische,  Brühen,  Weine,  Salben  interessieren  uns  die  nagoipijfiatay  die 
Notizen  über  Musik,  Lieder,  Tänze,  Spiele,  Hetären,  Parasiten  und  die 
Anekdoten,  die  sich  an  dieselben  knüpfen;  wer  hat  nun  dazu  unserem 
Athenaios  den  Stoff  geliefert?  zur  Beantwortung  dieser  Frage  liefei*te  der 
reiche  Index  von  Schweighäuser  nur  das  Material;  die  Antwort  selbst 
gaben  neuere  Spezialuntersuchungen,^')  indem  sie  die  Lexikographen  Didy- 
mos,  Tryphon  und  Pamphilos,^*)  das  Sammelbuch  des  Favorin,^^)  das  Buch 
des  Dioskorides  über  das  Leben  der  Heroen  bei  Homer  als  Hauptquellen 
des  Athenaios  nachwiesen.  Schwer  aber  im  einzelnen  zu  entscheiden 
bleiben  immer  noch  die  Fragen,  inwieweit  Athenaios  direkt  oder  indirekt 
seine  Quellen  benutzt,  und  inwieweit  er  seine  Vorlagen  einfach  ausge- 
schrieben oder  mit  eigenen  Excerpten  vermischt  hat.  Auch  kann  man 
aus  seinen  Angaben,  wenn  sie  im  Präsens  vorgetragen  sind,  nicht  immer 
schliessen,  dass  nun  auch  die  geschilderten  Eulturzustände  zu  seiner  Zeit 
noch  existierten.  So  handelt  er  XV  665 — 69  von  dem  Kottabosspiel  so, 
als  ob  dasselbe  damals  noch  im  Brauch  gewesen  sei;  thatsächlich  aber 
war  dasselbe  schon  mehr  als  300  Jahre  zuvor  ausser  Übung  gekommen. 

Alle  Handschriften  des  Atii.  gehen  auf  einen  Archetypus,  den  cod.  Marcianos  J  zu- 
iUck;  daneben  existiert  noch  eine  Epitome  im  cod.  Laor.  60,  2  n.  Paris.  3056,  die  aus  einem 


')  M.  SoHHiiyT,  Didymi  fragm.  p.  308  sq. 

')  Ueber  die  Benützung  des  letzteren 
RaiTZEKSTBiir,  Geschichte  der  E^mol.  371  ff. 

')  So  betitelt  das  Werk  Kallimachos; 
Chiysippos  nennt  es  TaaxQovo^La,  Elearchos 
JetnroXoyia,  andere  'Otponoua-  s.  Ath.  4e; 
witzig  heisst  der  Verfasser  selbst  bei  Ath. 
310a  6  ttoy  o^oqxiyojy  'Haiodog, 

^)  Ath.  5a;  nach  der  Fassung  dieser  Stelle 
scheint  aber  Athenaios  von  dem  Buche  nur 
durch  andere  Kenntnis  gehabt  zu  haben. 

')  Ein  grosses  Stttck  daraus  bei  Ath. 
134—137. 

«)  Ath.  5b. 

^)  Das  Werk  des  Numenios,  der  vor 
Nikander  lebte  nach  schol.  Nicandr.  Thes.  737, 
heisst  p.  5a  Jstnyov,  p.  13b  werden  citiert 
'JXiBvuxd.  Vgl.  Max.  Wbbbb,  Gurae  crit.  in 
epicoe  gr.  Numenium  etc.,  Progr.  Gotha  1891. 

*)  Von  ihm  ist  angeführt  ein  £vfin6ai,ov 
p.  64a,  67e  u.  a. 

*)  Aufgezählt  sind  dieselben  bei  Ath. 
p.  13b. 

»•)  Aufgeführt  p.  516  c. 

")  Besonders   hftufig   berief  sich   Athe- 


naios auf  den  Dichter  Nikander. 

^')  Das  Buch  des  Ghrysipp  tisqI  »aXov 
xai  ijöoy^g  erwfthnt  Athenaios  oft  mit  be- 
sonderer Anerkennung,  so  p.  565  a:  x^^Q^ 
nayv  ti^  ay&Ql  diä  te  xrjy  noXvfAuS-lay  xai 
tijy  Tov  rj9ovg  inuixBiay. 

^')  Bapp,  De  fontibus  quibus  Athenaeus 
in  rebus  musicis  lyricisque  enarrandis  usus 
Sit,  in  Leipz.  Stud.  VUI  86—160.  Beitr&ge 
zur  Quellenkunde  des  Athenaeus,  in  Comm. 
Ribbeck.  253—65.  Fel.  Rudolph,  Die  Quellen 
und  die  Schriftstellerei  des  Athenaios,  Philol. 
Suppl.  VI  (1891)  109—162.  Schon  Lbntz, 
Herod.  techn.  rell.  praef.  p.  CLXI  hatte  be- 
merkt: Athenaeuniy  qui  diu  tamquam  vastae 
eruditiofiis  exemplar  admirationi  fuit,  Pam- 
philum  ifa  exacripsisse,  ut  eius  copiis  tam- 
quam suis  se  iactaretf  scriptores  a  Pamphifo 
in  tesiimonium  vocatos  quasi  ipse  legisset 
afferens  nemini  non  notum  est» 

»*)  Vgl.  Wellmann  Herm.  23,  687  ff. 

^^)  Das  Sammelwerk  des  Favorinus  wollte 
zur  Hauptquelle  erheben  Rudolph,  De  fon- 
tibus Aeliani,  in  Leipz.  Stud.  VII  109  ff.,  da- 
gegen Bapp,  Leipz.  St.  VIII  151. 


Baadbuoh  der  Uim.  Altertunswinenschaft.    vn.    3.  Aufl. 


47 


738 


Orieohisohe  Litteratargesohiohto.    n.  HachklaMisohe  Littoratiir. 


dem  A  verwandten  Codex  ausgezogen  iat,  0.  Kaibbl,  Ind.  lect.  Rost.  1883  n.  Praef.  der  Ausg. 
XIY  88.;  W188OWA,  De  Athenaei  epitome,  in  Gomment.  in  honorem  ReifPerscheidii.  —  Erste 
bedeutende  Ausgabe  von  Is.  Casaubonus,  Genev.  1597,  nach  deren  Seiten  citiert  wird;  mit 
den  Anmerkungen  der  Früheren  von  SoirwBioniLusBB,  Argent.  1801 — 7,  14  vol.;  recogn. 
Meikbke  in  Bibl.  Teubn.  1858,  3  vol.,  neubearbeitet  von  Eaibbl. 

k)  Lukianos  (um  120  bis  nach  180). 

633.  Wenn  ich  im  Anschluss  an  die  Sophisten  von  Lukian  handele, 
so  bedarf  dieses  der  Entschuldigung.  Denn  Lukian  ragt  nicht  bloss  turm- 
hoch über  die  Sophisten  gewöhnlichen  Schlages  hervor,  er  hat  auch  wie 
kein  zweiter  die  Schattenseiten  der  in  dem  trügerischen  Glänze  einer  er- 
logenen Bedeutung  sich  sonnenden  Sophistik  durchschaut  und  gegeisselt 
Aber  gleichwohl  gehört  derselbe  seinem  Bildungsgang  und  sozusagen  seiner 
Profession  nach  der  Klasse  der  Sophisten  an.^) 

Leben  Lukians.  Lukian^)  war  in  Samosata,  der  Hauptstadt  der 
syrischen  Landschaft  Kommagene,  um  120  geboren')  und  erreichte  seine 
Blüte  unter  den  Antoninen.  Seine  Eltern  waren  wenig  bemittelt  und  be- 
rieten daher,  als  der  Knabe  herangewachsen  war,  in  einem  Familienrat, 
ob  sie  denselben  studieren  lassen  oder  seinem  Onkel,  einem  tüchtigen  Bild- 
hauer, in  die  Lehre  geben  sollten.  Die  Erwägung,  dass  das  Studieren 
[naiieici)  viel  Zeit  und  namentlich  viel  Oeld  koste  und  ohne  hohe  Protek- 
tionen doch  nicht  leicht  zu  einem  auskömmlichen  Dasein  führe,  bestimmten 
sie  dem  ehrsamen  Handwerk  den  Vorzug  zu  geben,  zumal  der  Kleine  schon 
bei  dem  Spielen  mit  Wachsfiguren  ein  ungewöhnliches  Talent  für  die  Kunst 
an  den  Tag  gelegt  hatte.  Aber  da  der  Lehrling  das  Unglück  hatte,  gleich 
in  den  ersten  Tagen  durch  einen  zu  kräftig  geföhrten  Hammerschlag  einen 
Marmorblock  zu  zertrümmern  und  dafür  von  seinem  Meister  den  Riemen 
zu  schmecken  bekam,  so  lief  er  wieder  zu  seinen  Eltern  und  weigerte 
sich  hartnäckig,  in  die  Lehre  zurückzukehren.  Es  waren  ihm  nämlich  im 
Traume  die  Techne  und  die  Paideia  erschienen,  und  es  hatte  die  letztere 
mit  so  glänzenden  Vorspiegelungen  die  erstere  aus  dem  Felde  geschlagen, 
dass  er  sich  fest  entschloss,  dem  Weg  der  Bildung  zu  folgen  und  sich  zu 
dem,  was  damals  als  höchstes  Ziel  der  Bildung  galt,  zu  einem  Rhetor 
auszubilden.  Das  alles  hat  er  uns  selbst  in  dem  Buche  »Der  Traum* 
allerliebst  erzählt.  Von  weiterer  Bedeutung  sind  uns  aber  diese  Mit- 
teilungen aus  der  Jugendzeit  des  Lukian,  da  sie  uns  das  feine  urteil, 
welches  derselbe  in  Kunstfragen  bewährt,  begreifen  lassen.^) 

Zuerst  nun  trat  unser  junger  Semite,  nachdem  er  erst  die  griechische 
Sprache  erlernt^)   und  bei  einem  ßhetor,  wir  wissen  nicht  wem,  in  die 


^)  £r  nennt  sich  selbst  Bis  accus.  14 
^roQa  IvQOVy  c.  25  Xoyoyqdfpov  Xvqov, 

')  Von  Lokian  gilt  das  horazische  omnis 
votiva  pateat  veJuti  descripta  tabella  vita  senia. 
Ausser  seinen  Schriften  belehren:  Jacob,  Gha- 
rakteiistik  Lukians  von  Samosata,  Hamburg 
1832;  C.  Fr.  Hermann,  Zur  Charakteristik 
Lukians,  in  Ges.  Sehr.,  Gott.  1849;  P.  M. 
BoLDEBMANN,  Studia  Lucianea,  Lejden  1893. 

*)  Suidas  unt.  Aovxtnyog:  yiyove  6k  ini 
Tov  KaiaaQog  TgaXttyov   xai  inixuptt.     Aber 


da  Lukian  in  dem  Dialog  Bis  accaB.32,  der 
zwischen  162—165  geschrieben  ist,  sich  als 
einen  Vierziger  bezeichnet,  so  kann  er  kaum 
vor  120,  eher  erst  125  geboren  sein;  s.  Robdb 
Rh.  M.  83,  174  f.  und  Daub,  Stad.  m  Soidms 
S.  63  f.;  BoLDREMANN  geht  auf  115  hinauf. 

«)  Welckrb,  Alte  Denkm.l  420;  Bhtm- 
NER,  Archftologische  Studien  zu  Lokianos, 
Bresl.  1867. 

')  Bis  accus.  28:   iyto   tovtoA   »ofudfi 


B  a)  BOmisohe  Periode  vor  Konstantin.   8.  Die  Prosa,   k)  Lnkianos.  (§  533.)    739 


Schule  gegangen  war,  in  derjenigen  Gattung  der  Beredsamkeit  auf,  welche 
damals  als  die  erste,  d.  i.  unterste  Stufe  galt,  in  der  gerichtlichen,  und 
zwar  nach  einer  Notiz  des  Suidas  in  Antiochia,  dem  Sitz  der  Behörden 
der  Provinz  Syrien.  Lange  aber  scheint  er  das  Amt  eines  Sachwalters 
nicht  geführt  zu  haben,  da  er  dasselbe  in  demjenigem  Dialoge,  in  dem  er 
von  seinem  weiteren  Bildungsgang  erzählt,  in  dem  Jig  xaTYjyoQoviiisrog  nicht 
einmal  einer  Erwähnung  würdigt.  Vielmehr  wandte  er  sich  bald  der- 
jenigen Richtung  der  Rhetorik  zu,  welche  am  meisten  damals  Ruhm  und 
Gewinn  versprach,  der  epideiktischen  oder  sophistischen.  Eingeführt  wurde 
er  in  dieselbe  in  lonien,  vermutlich  in  Smyrna,  wo  damals  der  Sophist 
Polemon  eine  mächtige  Anziehungskraft  ausübte.  Er  zog  dann  selbst  als 
Wanderredner  durch  Kleinasien,  Griechenland,  Makedonien,  Italien  und 
Gallien,  1)  um  bei  Festversammlungen,  wie  wiederholt  in  Olympia,*)  oder 
bei  anderen  Gelegenheiten  sich  hören  zu  lassen.  In  diese  Art  von  Thätig- 
keit  schlagen  von  den  erhaltenen  Schriften  unseres  Autors  mehrere  so- 
phistische Deklamationen  ein,  wie  über  den  Tyrannenmörder,  über  Pha- 
laris,  über  den  Enterbten  (ATtoxrjQvttofisvog)^  das  Lob  der  Mücke,  der 
Streit  der  Buchstaben  {Jixrj  tfxavi^ävrwv) ; »)  doch  fühlt  man  in  den  meisten 
derselben  schon  den  Satiriker  heraus,  wie  namentlich  in  dem  zweiten 
Phalaris,  wo  der  Delphier  als  Vertreter  des  Satzes  von  der  Kirche  mit 
dem  guten  Magen  unbedenklich  die  Geschenke  des  grausamen  Tyrannen 
anzunehmen  rät. 

Aber  so  glänzende  Erfolge  er  auch  als  Rhetor  erntete,  lange  hielt 
ihn  doch  diese  Beschäftigung  nicht  fest;  er  erkannte  zu  bald  die  Hohl- 
heit der  geschminkten  Buhlerin*)  und  wandte  sich  von  ihr  ab,  um  etwas 
Höheres  und  Grösseres  in  den  Lehren  der  Weisheit  zu  suchen.  Von  Be- 
deutung für  diese  Umkehr  war  der  Besuch  des  Platonikers  Nigrinus  in 
Rom,  wie  er  uns  selbst,  noch  ganz  hingerissen  von  der  edlen  Gestalt 
dieses  echten  Weisen,  in  dem  gleichnamigen  Dialoge  erzählt.^)  Bezeich- 
nend ist  es  dabei,  dass  gleich  von  vornherein  unseren  Autor  nicht  die 
einfache  Tugendlehre  anzog,  sondern  die  damit  verbundene  Geringschätzung 
des  eitlen,  lächerlichen  Treibens  der  Mehrzahl  der  Menschen.^)  Ihm  sagte 
eben  nicht  die  pathetische  Rolle  eines  stoischen  Tugendpredigers  zu,  son- 
dern die  anheitemde  Art  eines  geistreichen  Satirikers.  Durchdrungen  also 
von  der  Erkenntnis  des  Scheinwissens  der  Sophistik  und  erfüllt  von  einem 


xal  fÄovov  opjf  xäy&xfy  iydedvxora  ig  tov 
^AtravQtoy  rqonoy  negl  irjy  'I<oyiay  evgovaa 
nXal^6fji€yoy  lr&  xal  oti  /^^aero  iavr^  ovx 
eldora  na^aXaßovffa  inaidevaa.  Seine  Mutter- 
sprache 'wird  schwerlich  die  lateinische  ge- 
weaen  sein,  wiewohl  sein  Name  lateinisch  klingt. 

>)  Alex.  56,  Bis  accns.  27,  Apol.  15,  de 
electro  2. 

«)  Peregr.  24,  Alex.  7. 

*)  Es  ist  der  Streit  des  Sigma  gegen  das 
Tan  vor  dem  Gerichtshof  der  Vokde,  indem 
sneh  das  Sigma  üher  die  Gewaltthätigkeit  he- 
kla^  mit  der  es  durch  das  Tan  in  jener  Zeit 
des  affektierten  Attikismus  aus  einer  Menge 
Yon  Wörtern,  wie  cijfjiegoy,  ^dXttaaa,  Bett- 


ffaXia  verdrängt  worden  sei. 

*)  Bis  accus.  31. 

^)  Dieser  Nigrinus  wird  sonst  nirgends  ge- 
nannt, so  dass  ihn  Boldermann  S.  65  geradezu 
fOr  eine  Fiktion  des  Lukian  erklärt.  Jeden- 
falls hat  Lukian  in  seiner  Art  den  Eindruck, 
den  der  Philosoph  auf  seine  Lehensrichtung 
gemacht  hahen  soll,  ühertriehen.  Noch  einem 
anderen  der  zeitgenössischen  Philosophen 
hringt  er  gelegentlich  seine  Huldigung,  dem 
Epiktet,  den  er  adv.  ind.  13  &avfxnaioy  yi- 
qovxa  nennt. 

°)  Nigr.  14  u.  59.  Seine  Bekehrung  zur 
Philosophie  und  seine  haldige  Enttäuschung 
auch  in  dieser  Disziplin  erzählt  er  Piscator  29  f. 

47* 


740 


Ghriechisohe  liittoratlirgeschiohto.    II.  HaöhkUuMUiohe  Litteratnr. 


höheren,  in  der  Philosophie  wurzelnden  Streben  gab  er  das  Wanderleben 
auf  und  verlegte  seinen  Sitz  nach  Athen,  der  Stadt  des  Geistes  und  der 
feinen  Bildung.  Zugleich  änderte  er  die  Form  seiner  Schriftstellerei:  an 
die  Stelle  langer,  in  wohlgesetzten  Perioden  sich  bewegenden  Reden  traten 
kurze,  Scherz  und  Witz  atmende  Dialoge.  Der  Dialog  war  zwar  seit  Alters 
in  der  Philosophie,  speziell  in  der  Akademie,  zu  Haus,  aber  Lukian  nahm 
ihm  den  erhabenen  Ernst  und  die  spitzfindige  Dialektik  und  belebte  ihn 
mit  dem  Witz  und  Geist  der  Komödie.  So  konnte  er  von  sich  rühmen, 
dass  er  eine  neue  Gattung  in  die  Litteratur  eingeführt  habe,^)  wiewohl 
er  insofern  in  dem  Fahrwasser  der  Sophistik  blieb,  als  er  seine  Dialoge 
zunächst  zum  Vortrage  bestimmte  und  dieselben  erst  nachträglich  durch 
Abschriften  in  die  Öffentlichkeit  brachte.^)  Seine  Glanzzeit  als  Satiriker 
und  Dialogschreiber  erreichte  er  unter  M.  Aurel  und  Commodus;  speziell 
in  die  ersten  Regierungsjahre  des  M.  Aurel,  zwischen  162  und  165,  fallt 
der  witzige  Dialog  Jig  xaTrjyoQovfAevog,^)  in  dem  er  die  neue  Form  seiner 
Schriftstellerei,  durch  die  er  damals  bereits  zu  Ansehen  und  Ruhm  ge- 
langt war,  geistvoll  verteidigt. 

Aber  auch  das  Leben  eines  Dialogschreibers  führte  Lukian  nicht 
bis  zu  seinem  Ende  fort.  In  den  späteren  Jahren  wurde  er  verbitterter, 
und  auf  die  heiteren  Witze  über  göttliche  und  menschliche  Dinge 
folgten  die  sarkastischen  Angriffe  auf  einzelne  Persönlichkeiten.  Auch 
blieb  er  nicht  bei  der  Form  kleiner  Dialoge  stehen,  sondern  erging  sich 
in  breiterer  Darstellung ;  selbst  zur  Stellung  eines  Deklamators  kehrte  er, 
nachdem  er  bereits  alt  geworden,*)  von  neuem  zurück.*)  In  geistreicher 
Weise  leitet  er  diese  Rückkehr  durch  den  Prolog  {7iQoi,ahii)  Herakles  ein.^) 
Zu  den  Reden  aus  dieser  Zeit  scheinen  der  Dionysos,  Zeuxis,  Prometheus 
in  Reden,  Wahre  Geschichten  zu  gehören.  Im  Alter  knüpfte  er  mit  den 
Mächtigen  des  Reiches  Verbindungen  an,  welche  für  seine  letzten  Lebens- 
geschicke von  entscheidender  Bedeutung  waren.  Er  nämlich,  der  vordem 
in  der  Schrift  II€qI  twv  inl  /itCvff^  avvovrcov  in  so  grellen  Farben  das  be- 
dauernswerte Los  der  Gebildeten,  die  bei  anderen  in  Lohn  stehen,  geschil- 
dert hatte,  opferte  schliesslich  selbst  seine  Selbständigkeit  und  nahm  im 
Alter,  ähnlich  wie  sein  römischer  Geistesverwandter  Juvenal,  einen  gut- 
bezahlten Posten  in  Ägypten  an.  In  der  Apologie  7)  rechtfertigt  er 
diesen  seinen  Schritt,  indem  er  auf  den  grossen  Unterschied  einer  privaten 

ntxQodov  ravttjg  iaxonov^ijy  nQog  ^/uavroV, 
et  fjLOi  xaXtSg  l/^t  tijXixf^^e  opti  xal  nakat 
ttöy  irndei^eiay  nenavfiiyip  ov^k  vni^  ifuev^ 
Tov  \f»j<poy  MoyM  roaovTois  dixaatai^.  Eine 
Recitation  hielt  er  des  Jahres  darauf,  xa 
welcher  der  Jioyvcog  die  Prolaüa  bildete,  wie 
der  Verfasser  am  Schlosse  derselben  andeutet 
Dass  beide  Einleitongen  m  den  2  Bfichem  der 
'JXtj&tjs  UsxoQia  gehörten,  ist  eine  speziose 
Yermatung  Thimmes  Jahrb.  f.  Phil.  137  (1888) 
S.  562  ff.  —  Die  nQoXaUai  vergleichen  sich  den 
Prooimia  der  alten  Rhapsoden  nnd  den  ein- 
leitenden Trimetem  des  loannes  Gaiaena  und 
Paulus  Silentiarius. 
^)  Apolog.  11. 


^)  Prom.  in  verbis  3.    Hirzbl,  Der  Dia-  I 
log  n  269—334. 

*}  Lukian,  Pisc.  6;  vgl.  Rohdb,  Griech. 
Roman  S.  305. 

')  Diese  Zeitbestimmung  ergibt  sich  aus 
c.  2,  wo  auf  den  Partherkrieg  angespielt  ist, 
der  mit  dem  Triumphzug  der  Kaiser  im  Jahr 
165  abschloss. 

*)  Dionys.  6,  Hercul.  7,  Pro  lapsu  inter 
salut.  1. 

^)  Thimhb,  Quaestionum  Lucianearum 
capita  quattuor,  Halle  1884  p.  1  ff.  widerlegt 
die  früher  verbreitete  Annahme  einer  zweiten 
Rundreise  und  nimmt  bloss  eine  Wieder- 
aahiahme  der  Recitationen  an. 

")  Herc.  7 :  i^oi  dk  iqyixa  ne^i  t^g  dev^o 


B  a)  BOmisohe  Periode  vor  Konstantin.  3.  Die  Prosa,  k)  Lnkianos.  (§  584.)    741 


Hofineisterstelle  und  eines  öfifentlichen  Amtes  hinweist.  Er  starb  als  Greis 
nach  180.  Suidas  lässt  ihn  ähnlich  wie  den  Euripides  von  Hunden  zer- 
rissen werden;  das  war  wahrscheinlich  nur  eine  später  missverstandene 
Allegorie,  bei  der  unter  den  xvrec  die  Kyniker,  die  bitteren  Feinde  des 
Lukian,  verstanden  waren. 

684.  Schriften  Lukians.  Erhalten  sind  uns  unter  Lukians  Namen 
82  Schriften,  darunter  manche  zweifelhafte  und  unechte,  i)  Sie  sind  alle 
von  massigem  Umfang  und  zum  grösseren  Teil  in  dialogische  Form  ge- 
kleidet. Neben  Schriften  in  Prosa  befinden  sich  darunter  zwei  dramatische 
Scherze,  ^Qxvnovg  und  TQay(t;ido7voddyQa  mit  Dialog  und  Chor,*)  und  53  ele- 
gante witzige  Epigramme,  welche  in  die  Anthologie  Aufnahme  fanden, 
aber  eben  schon  deshalb  nicht  von  unserem  Satiriker,  sondern  einem 
älteren  Dichter  des  ersten  Jahrhunderts  herzurühren  scheinen.^)  Die 
Schriften  nach  der  zeitlichen  Folge  zu. ordnen,  wäre  schier  unmöglich; 
denn  nur  von  wenigen,  wie  von  "^EQfjiozifjLog  (um  165),*)  Jig  xaTrjyoQovfAevog 
und  Elxovsg  (162 — 165),  Ilwg  äet  latoQiav  avyyqdffsiv  (bald  nach  165), 
mQ€yqXvog  (167),6)  Evvovxog  (bald  nach  176),«)  'Akä^avdqog  (bald  nach  180),^) 
'ÄTvokoyia  und  IlBQi  xov  iv  nqoaayoqsvasi  maia/naTog  (während  des  ägyp- 
tischen Aufenthaltes)  können  wir  die  Abfassungszeit  mit  Sicherheit  an- 
geben. Bei  andern  vermögen  wir  nur  das  gegenseitige  Verhältnis  zu 
ermitteln,  wie  dass  der  Nigrinus  die  erste  Periode  der  sophistischen  Be- 
redsamkeit abschloss,  dass  vor  der  Schrift  Jig  xazrjyoQovfievog  sich  Lukian 
bereits  durch  kleinere  Dialoge  einen  Namen  gemacht  hatte,  ^)  dass  der 
Fischer  und  der  Doppelt^Angeklagte  der  gleichen  Zeit  angehören,  dass 
die  jQanärai  nach  dem  Peregrinus  fallen,  weil  daselbst  c.  7  der  Verbren- 
nung jenes  Scheinphilosophen  gedacht  ist,  dass  die  Prolalia  Herakles  und 
Dionysos  dem  vorgerückten  Alter  unseres  Autors  angehören.  Bei  vielen 
andern  ist  uns  nicht  einmal  eine  relative  Zeitbestimmung  möglich,  und  da 
nun  auch  in  den  Handschriften  und  älteren  Ausgaben  ein  irgend  ver- 
nünftiges Prinzip  der  Anordnung  nicht  zu  erkennen  ist,^)  so  haben  Imm. 
Bekker,  Sommerbrodt  u.  a.  eine  Neuordnung  nach  stilistischen  und  sachlichen 
Gesichtspunkten  versucht,  ^^)  an  die  ich  mich  im  wesentlichen  halten  werde. 


^)  Nicht  erhalten  ist  une  das  im  Demo- 

c.  1 .  erwähnte  Bnch  über  den  Böotier 
Sostratos. 

')  Eine  Komödie  'SUvnovg  des  Akakios, 
dnes  FrenndeB  des  Rhetors  Libanios,  ist  er- 
wfilint  in  des  letzteren  Briefen  n.  1380;  diesem 
will  SiRVEBS,  Leben  des  Libanius  S.  138, 
unsere  Humoreske  zuschreiben.  Die  gute 
metrische  Form  unserer  beiden  zusammen- 
gehörigen Stücke  'Sbtvnovg  und  Tlo^dyga,  über 
welche  Fribdbichskbier,  De  Luciani  re  me- 
trica,  Kiel  1889,  gehandelt  hat,  ist  dieser 
Hypothese  nicht  günstig. 

»)  Vgl.  g  449. 

^)  Nach  Hermot.  13  war  er  damals  40 
Jahre  alt. 

*)  Dieses  Jahr  ist  ermittelt  von  Nissen 
Rh.  M.  43  (1888),  255. 


°)  £nn.  3  bezieht  sich  auf  eine  Vakanz 
der  im  J.  176  gegründeten  philosophischen 
Lehrkanzel. 

')  Alex.  48  ist  geschrieben  nach  dem 
Tode  des  Kaisers  M.  Anrel. 

^)  Zu  diesen  gehörten  nach  Boldermann 
die  Dialoge  der  menippischen  Form,  Me- 
nippos,  Ikaromenippos,  lupiter  tragoedus, 
Charon,  die  Totendialoge,  femer  die  Philo- 
sophenversteigerung  und  Hermotimos. 

*)  In  Bezug  auf  die  Folge  der  Schriften 
weichen  die  Codices  stark  von  einander  ab; 
hier  die  ursprünglich  den  Handschriften  zu 
gmnd  liegende,  von  Lukian  oder  dem  Heraus- 
geber seiner  Werke  beabsichtigte  Ordnung 
wiederzufinden,  wäre  eine  lohnende  Aufgabe. 
^^)  Imm.  Bekker,  üeber  die  Reihenfolge 
der  Schriften  des  Lukian,  Monatsber.  der  BerL 


742 


Orieohisohe  Littoratargesohiohte.    II.  HaohklassiBohe  Litteratnr. 


585.  Die  Deklamationen  bilden  den  geringfügigsten  Teil  der  luki- 
anischen  Schriften ;  sie  hängen  mit  der  Thätigkeit  ihres  Autors  als  Wander- 
redner zusammen  und  sind  zum  grössten  Teil  bereits  oben  in  seinem 
Lebensabriss  von  uns  angeführt  worden.  Zu  den  dort  schon  erwähnten, 
TvQavvoxTovogy  *A7toxrjQVTt6iA€Vog,  (PdXaQigy  Mviaq  eyxoi^uoVy  Jixij  ^(avrjävrfßVy 
füge  ich  hier  noch  einige  andere,  die  er  in  Athen  oder  bei  kürzeren,  von 
Athen  aus  unternommenen  Reisen  gehalten  zu  haben  scheint,  nämlich: 
^HQoiotog  rj  'Äsiiwv,  worin  von  der  Vorlesung  der  Historien  des  Herodot 
und  der  Ausstellung  eines  Gemäldes  des  Aetion  in  Olympia  gehandelt  ist, 
Zev^ig^  der  von  der  Schilderung  der  Hippokentauren  des  Malers  Zeuxis 
seinen  Namen  hat,  ITtQi  tov  oTxot;,  eine  geschmackvolle  und  kunstverstän- 
dige Beschreibung  eines  schönen,  mit  Gemälden  ausgerüsteten  Sales.  Auf 
seine  Thätigkeit  als  sophistischer  Redner  haben  auch  Bezug  das  ^Evvnvm\ 
in  dem  er  mit  Stolz  auf  seine  Erfolge  als  epideiktischer  Redner  hinweist, 
und  der  JlQOfirj^evg  et  iv  loyoig,  worin  er  das  ihm  beigelegte  ehrende  Bei- 
wort nqofiri^evg  iv  Xoyoig  auf  seine  Findigkeit  in  der  Ausbildung  neuer 
Litteraturformen  deutet. 

536.  Die  Dialoge  zerfallen  zeitlich  und  inhaltlich  in  mehrere 
Klassen.  Die  eine,  die  ältere,  umfasst  die  meistens  kleineren  Dialoge,  die 
den  Götterglauben,  die  Philosophensekten,  die  Marktschreierei  der  Sophisten, 
die  Schwächen  und  Verkehrtheiten  der  Menschen  überhaupt  lächerlich 
machen  und  mehr  launig  und  scherzhaft  als  bitter  und  verletzend  sind. 
Unter  ihnen  nehmen  den  ersten  und  grössten  Platz  die  Götterdialoge 
ein,  welche  ähnlich  wie  einst  die  Komödien  des  Epicharm  und  die  Hilaro- 
tragödien  des  Rhinthon  lustige  Scenen  aus  der  Götterwelt  vorführen,  jedoch 
so,  dass  neben  dem  Gefallen  an  den  scherzhaften  Seiten  des  alten  Mythus 
die  Absicht  der  Verspottung  des  Götterglaubens  durchblickt.  Dahin  ge- 
hören: JidXoyoi  •^«(iöVji)  nqoiAYid-evg  ij  Kavxaaog^  ^Evahoi  SidXoyoi^  NfXQixai 
didloyoi,^)  KaTanXovg.  Mit  den  letzteren  verwandt  sind  die  geistreichen, 
vielgelesenen  Dialoge  Gharon  und  Menippos.  In  dem  ersteren  kommt  der 
Fährmann  Gharon  aus  der  Unterwelt  herauf,  um  von  dem  auf  den  Ossa  und 
Olymp  getürmten  Parnass  Heerschau  über  die  Menschen  und  ihre  Thoi^ 
heiten  zu  halten.  Im  Menippos  erzählt  der  gleichnamige  Philosoph,  dessen 
witzige  Art  wie  dem  Römer  Varro  in  seinen  Saturae  Menippeae,  so  auch 
unserem  Satiriker  zum  Vorbild  diente,  was  er  drunten  in  der  Unterwelt 
gesehen  hatte.')  An  den  Menippos  schliesst  sich  der  Ikaromenippos 
an,  in  welchem  jener  Philosoph,  nachdem  er  sich  nach  Ikaros'  Beispiel 
Flügel  angelegt  hat,  zum  Mond  und  weiter  zum  Himmel  auffliegt,  um  mit 
eigenen  Augen  von  dem  Treiben  der  Selene  und  des  Zeus  Kenntnis  zu 
nehmen.^)     Spielen  in  diesen  Dialogen  die  Götter  und  Heroen  mehr  nnr 

Forschangen  S.  174. 

')  Dass  dieselben  166  oder  aniang  167 
in  Athen  geschrieben  sind,  beweist  Nissn 
Rh.  M.  43,  244  f. 

*)  An  den  Menippos  erinnern  schon  die 
Titel  der  Totengesprftche,  Ki^na,  'E^fionfioi 
rj  TiBQi  alQäceioy,    Siehe  oben  §  383. 

«)  Die  Echtheit  des  Dialogs  wird  in  Ab- 
rede gestellt  von  Fb.  Jacobs;  seine  AhfaB- 


Ak.  1851  S.  359—365 ;  Sohmebbbodt  in  Proleg. 
seiner  Ausgabe  ausgewfthlter  Schriften  Lu- 
kians;  A.  Planck,  Quaest.  Lucianeae,  Tubing. 
1850 ;  Fb.  Fbitzsche  in  der  grossen  Ausg.  III,  2 
p.  ISIK  ff.;  P.  Vogt,  De  Luciani  libellonun 
pristino  ordine,  part.  I,  Marburg  1889;  Boldbb- 
MANN,  Stndia  Lucianea,  Leyden  1893. 

^)  Die  Götterdialoge  wurden  nachgebildet 
von  Hans  Sachs;   s.  Stiefel,   Hans -Sachs- 


B  a)  BOmisohe  Periode  vor  KoBBtantin.  8.  Die  Prosa,  k)  Lakianos.  (§§  585—587.)    743 


eine  burleske  Rolle,  so  wird  in  dem  Zevg  zQayfpSog^)  und  Zevg  sXey- 
x6fA€vog  direkt  der  Götterglaube  angegriffen.  In  dem  zweiten  der  ge- 
nannten Dialoge  muss  sich  Zeus  von  einem  Epikureer  in  der  Gestalt  eines 
Kynikers  {Kvviaxog)  über  die  logische  Ungereimtheit  der  gleichzeitigen  An- 
nahme eines  allbeherrschenden  Schicksals  und  der  freien  Willensmacht 
der  Götter  examinieren  und  ad  absurdum  führen  lassen.  Im  Juppiter 
tragoedus  wird  uns  in  grossartiger  Scenerie  die  Disputation  des  Epikureers 
Damis  und  des  Stoikers  Timokles  vorgeführt,  in  der  der  Epikureer  seinen 
Satz,  dass  es  keine  Vorsehung  gebe,  so  siegreich  durchführt,  dass  sich 
zuletzt  die  Götter  mit  dem  Tröste  begnügen  müssen,  es  werde  doch  trotz- 
dem die  Zahl  der  Frommgläubigen  noch  immer  gross  genug  bleiben.  >)  Die 
Göttermaschinerie  liegt  auch  dem  interessanten  Dialog  Jlg  xavrjyoQov" 
fievog  zu  grund;  doch  bildet  in  ihm  den  Hauptinhalt  die  Verteidigung  des 
Lukian  selbst  gegen  die  Anklagen  der  Rhetorik  und  des  philosophischen 
Dialogs,  die  beide  behaupten,  von  dem  syrischen  Rhetor  verlassen  und 
misshandelt  zu  sein.  Ähnliches  gilt  von  dem  hübschen,  auch  unter  die 
Schullesestücke  aufgenommenen  Dialoge  Timon,  der  schon  in  dem  Titel 
an  die  gleichnamige  Komödie  des  Antiphanes  erinnert  und  den  Menschen- 
hasser Timon  darstellt,  wie  er,  durch  seine  Freigebigkeit  in  bittere  Not 
geraten,  von  Hermes  mit  dem  Funde  eines  grossen  Goldklumpens  beglückt 
wird,  nunmehr  aber  den  Schatz  für  sich  behält  und  die  Schmarotzer,  als 
sie  sich  wieder  nahen,  mit  der  Hacke  von  sich  abwehrt.')  Weit  stehen 
hinter  diesen  Dialogen  der  Blütezeit  Lukians  die  Saturnalien  {tcc  nqoq 
Kqovov)  zurück,  die  offenbar  einer  späteren  Zeit  der  welkenden  Kraft 
unseres  Autors  angehören. 

637.  Eine  zweite  Reihe  bilden  diejenigen  Dialoge,  welche  sich  mit 
der  Philosophie  oder  vielmehr  mit  den  menschlichen  Vertretern  der  gött- 
lichen Weisheit  beschäftigen.^)  Von  Nigrinus  und  Demonax^)  abgesehen, 
erscheinen  die  Lehrer  der  Weisheit  bei  Lukian  als  wahre  Karikaturen. 
Seine  Philosophen  fUhren  nur  den  Namen  Tugend  und  Weisheit  im  Mund, 
sind  aber  innerlich  von  Habgier,  Streitsucht,  Sinnlichkeit  erfüllt.  Fast  in 
jedem  Dialog  ergreift  er  die  Gelegenheit,  um  über  diese  Afterphilosophen 
die  Schale  des  Spottes  auszugiessen.  Geistreich  besonders  ist  der  Einfall 
der  Philosophenversteigerung  {Bicov  TiQäaig),^)  des  Fangs  der  Philosophen 


Bungszeit  setzt  Fbitzbche,  Ausg.  II  1  p.  159 
in  den  Winter  180;  um  10—15  Jahre  frOher 
jBHm,  Beitrftge  zu  Lncian,  Frauenfeld  1876.  — 
Schon  Heraklidea  Pontikos  hatte  eine  roman- 
hafte Schrift  Aber  den  Mann  aus  dem  Mond 
geschrieben,  worüber  Hibzel,  Dialog  I  327. 

^)  Der  Name  t^aytpdog  kommt  daher, 
dass  in  dem  Dialoge  die  Götter  ähnlich  wie 
in  der  Tragödie  teilweise  in  pathetischen 
Versen  sprechen. 

')  Den  entgegengesetzten,  frommglftu- 
Ingen  Standpunkt  ver&at  Aelian  in  seinem 
Buche  negl  n^ovoiaf. 

*)  Wie  in  der  Neuzeit  wieder  durch  Bo- 
jurdo  and  Shakespeare  der  Timon  för  das 
bester  zurückgewonnen  wurde,  erzählt  Hib- 


ZEL,  Der  Dialog  I  201  f. 

^)  Bbuns,  Lucians  philosophische  Schrif- 
ten, Rh.  M.  43  (1888)  161  ff. 

')  Die  Echtheit  des  Demonax  ist  wieder- 
holt, wie  von  Bekker  und  Bemays,  bezweifelt 
worden,  und  allerdings  ist  die  Schrift  skizzen- 
haft und  unbedeutend.  Auch  passt  die  Person 
des  im  Eingang  gepriesenen  Eremiten  So- 
stratos  nicht  zur  Lebensanschauung  unseres 
Lukian. 

*)  Der  hübsche  Dialog  im  Mittelalter 
nachgebildet  von  Theodoros  Prodromos;  s. 
Ebümbaohkb  Bjz.  lii*  756.  Vorangegangen 
war  dem  Lukian  Menippos  mit  Jioyivovi 
nqdaig. 


744 


Orieohische  Litteratargesohiohte.    II.  HaohklauiMhe  Litteratiir. 


mit  dem  Ooldköder  (Alieig),  und  die  Parodie  des  platonischen  Philosophen- 
gastmahls, Svfinotfwv  rj  Aan(&ai  betitelt,  weil  es  bei  dem  Mahl  zu  einer 
förmlichen  Keilerei  zwischen  den  Vertretern  der  verschiedenen  Philosophen- 
schulen kommt.^)  Verwandter  Art  ist  der  Parasit,  in  welchem  mit  der 
Maske  philosophischen  Ernstes  bewiesen  wird,  dass  das  Schmarotzerleben 
eine  Kunst  sei.  Gehaltvoller  und  ernster  ist  der  Hermotimos,  vom  Ver- 
fasser nach  c.  13  im  40.  Lebensjahr  geschrieben,*)  der  zu  dem  positiven 
Resultate  kommt,  dass  der  Weise  nicht  einseitig  und  blindlings  den  Lehren 
einer  Schule  anhängen  dürfe,  und  dass  keine  Philosophie  etwas  tauge, 
deren  Prediger  nicht  durch  makellose  Sittlichkeit  selbst  sich  auszeichnen. 
Kaum  des  geistreichen  Spötters  würdig  ist  der  läppische  Dialog  Kynikos, 
dessen  Hauptsatz,  dass  es  Thorheit,  nicht  Weisheit  sei,  die  Güter,  welche 
die  Mutter  Natur  uns  gegeben,  nicht  zu  benutzen,  ebensogut  gegen  die 
christlichen  Bettelorden  gerichtet  sein  könnte.') 

538.  In  eine  andere  Sphäre  menschlicher  Schwäche  führen  uns  die 
"^Eiaiqtxoi  Staloyoiy  die  durch  die  Nacktheit  des  Hetärenlebens  Anstoss  er- 
regen, aber  für  die  Sittengeschichte  des  Altertums  von  hohem  Interesse 
sind.  Sie  sind  den  Vorstellungen  der  attischen  Bühne  entnommen  und 
atmen  ebenso  wie  die  damit  verwandten  ^'Egateg  frisches  dramatisches 
lieben.  Hingegen  ist  dadurch,  dass  auf  ein  kurzes  Vorgespräch  ein  langer 
Vortrag  folgt,  des  dialogischen  Charakters  halb  entkleidet  die  Schrift 
vom  Tanz  {negl  oQx^trefag),  in  der  Lukian,  seine  syrische  Herkunft  nicht 
verleugnend,  sich  zum  Verteidiger  des  Theaters  und  Pantomimus  aufwirft. ^) 
—  In  dialogischer  Form  wird  die  griechische  Gymnastik  verherrlicht  in 
dem  Anacharsis,  und  der  edle  Freundschaftssinn  der  Skythen  im  To- 
xaris.  In  den  letzteren  Dialog  sind  mehrere  hübsche  Erzählungen  ein- 
gelegt, die  zu  dem  Besten  gehören,  was  die  Erzählungskunst  im  Altertum 
geliefert  hat.  An  den  Anacharsis  und  Toxaris  schliesst  sich  der  Sky  the 
an,  in  welchem  Dialoge  hübsch  Lukian  sich  den  Syrer  dem  Skythen  Ana- 
charsis zur  Seite  stellt,  da  auch  er  niemand  mehr  als  Leute  wie  Selon 
und  Alkibiades  sieh  zu  Freunden  wünsche.  —  In  das  Gebiet  der  Kunst 
schlagen  ein  ausser  den  soeben  bereits  erwähnten  Aufsätzen  Zsv^ig  und 
nsQl  Tov  oixov  die  Dialoge  Eixoveg  und  vti^q  tcov  eixovcov.  Der  erstere  Dia- 
log, ein  Muster  ausgesuchter  Schmeichelei,  ist  geschrieben  zur  Zeit  der 
Partherkriege  zum  Preise  der  schönen  Smyrnäerin  Panthea,  der  Geliebten 
des  Kaisers  Verus.  Die  Verteidigung  dieses  überschwenglichen,  durch  den 
Vergleich  mit  Werken  der  Kunst  belebten  Lobes  ist  gegeben  in  dem  Dia- 
log ^YnkQ  Twv  elxovmv.  In  beiden  Schriften  ist  der  Dialog  nur  ein 
Mäntelchen,  das  der  Schöpfer  dieser  neuen  Litteraturgattung  zur  2^it  der 


')  üeber  die  Verwandtschaft  mit  Alki- 
phron  8,  55  s.  Kock  Rh.  M.  43,  40  ff. 

«)  ScHMiD  Philoi.  50  (1891)  297  setzt  den 
Dialog  in  die  sp&tere  Lebenszeit  Lukians  nach 
dem  Tod  des  Marc  Am-el.  Dagegen  gute  Ein- 
wendungen von  Fb.  Hofmann,  Kritische  Unter- 
Buchungen  zu  Lucian,  Nürnberg,  Fh>gr.  Neu. 
Gymn.  1894  S.  29  ff. 


*)  Die  ünechtheit  des  Eynikos  erweist 
Fritzscbb  in  der  Ausg.  11  2, 295  ff.  Als  einen 
Dialog  der  froheren  Zeit  veiteidigt  ihn  Hibzkl, 
Der  Dialog  H  311  ff. 

^)  Gegen  die  Echtheit  der  Schrift  qiricht 
sich  neuerdings  aus  P.  Schulze  Jahrb.  f.  d. 
Phüol.  1891  S.  829  ff.  —  Gegensdiriften 
von  den  Bhetoren  Aristides  und  libanioe. 


B  a)  Bömiflohe  Periode  Tor  KonBtantin.  8.  Die  Prosa,  k)  Lnkiaaoe.  (§§  538—539.)    745 

besonderen  Vorliebe  für  die  neugeschaffene  Form   auch  Stoffen  umhing, 
die  nach  ihrem  inneren  Wesen  zu  einem  Zwiegespräch  sich  nicht  eigneten. 

539.  Die  Zeit  des  ausgelassenen  Witzes  und  der  heiteren  Laune  geht 
für  jeden  Menschen  vorüber;  auch  in  Lukian  sprudelte  nicht  immer  der 
heitere  Humor,  er  ward  mit  den  Jahren  ernster  und  zugleich  infolge  un- 
gerechter Anfeindungen  bitterer,  so  dass  er,  statt  mit  den  lächerlichen 
Seiten  des  Menschenlebens  harmlos  zu  spielen,  vielmehr  gegen  bestimmte 
Persönlichkeiten  und  Htterarische  Yerimingen  die  Pfeile  seines  Spottes 
richtete.  In  diese  Kategorie  von  Schriften  gehört  die  Mehrzahl  der  Dia- 
loge, in  denen  unser  Autor  selbst  unter  dem  Namen  Lykinos^)  Haupt- 
träger  des  Dialoges  ist,  wie  der  Pseudosophistes^)  und  Lexiphanes, 
Pasquillen  auf  beschränkte  Grammatiker  und  Attikisten,  und  der  um  die- 
selbe Zeit  geschriebene  Eunuchos,  der  den  Wettstreit  des  Diokles  und 
des  Eunuchen  Bagoas  um  den  erledigten  Lehrstuhl  der  peripatetischen 
Philosophie  enthält.  Gleich  giftigen  Ton  hauchen  die  Drapetai,  ausge- 
rissene Sklaven,  welche  das  edle  Weib  Philosophia  entfuhren,  und  der 
Philopseudes,  unter  welchem  Titel  der  abergläubische  Lügenphilosoph 
Eukrates  an  den  Pranger  gestellt  ist. 

In  die  Form  von  Briefen  kleidete  Lukian  mehrere  verwandte  Schrif- 
ten des  gereiften  Alters,  die  gleichfalls  teils  durch  bestimmte  Anlässe  her- 
vorgerufen, teils  gegen  ganz  bestimmte  Persönlichkeiten  gerichtet  waren. 
Hieher  gehört  ausser  den  im  Lebensabriss  unseres  Schriftstellers  bereits 
besprochenen  Schriften  über  den  Hofmeister  und  die  Apologie  das  Buch 
Ufig  SsT  ia%0Qiav  avyyQdifsiv.  Dasselbe  war  veranlasst  durch  den  im 
Jahre  165  beendeten  Krieg  der  Römer  mit  den  Parthern  und  richtet  sich 
gegen  die  unberufenen  Geschichtschreiber,  welche  jenen  Krieg  nach  Art 
des  Herodot  oder  Thukydides  zu  beschreiben  unternahmen.')  Ehedem  über- 
mässig bewundert,  findet  dasselbe  heutzutag  eine  kühlere  Beurteilung:  es 
enthält  nichts,  was  sich  über  die  alltäglichsten  Gemeinplätze  erhebe.  Gegen- 
über den  zahmen  Expektorationen  dieser  Schrift  lassen  andere  von  ähn- 
lichem Schlag  stärker  den  Stachel  des  Satirikers  hervortreten.  Der  Pere- 
grinos,  geschrieben  im  Jahre  166,  gibt  eine  von  Verachtung  diktierte 
Schilderung  des  Kynikers  Peregrinus,  der  sich  nach  einem  abenteuerlichen 
Leben  in  Olympia  freiwillig  unter  grossem  Spektakel  nach  dem  Beispiel 
des  mythischen  Vogels  Phönix  dem  Flammentod  weihte. **)  Der  Alexan- 
dres oder  der  Lügenprophet  (ipavSofiavtig)  enthält  eine  Lebensbeschreibung 
des  grossen  Schwindlers  und  religiösen  Betrügers  Alexanders,  welche 
Lukian  für  den  befreundeten  Epikureer  Celsus^)  mit  sittlicher  Entrüstung 

1)  ylrxiyof  sollte  in  jener  attikiflierenden  .   Berl.   1879,   worin   nachgewiesen  ist,    dass 
Zeit  Äe  echtgriechische  Form  fftr  das  latei- 
nisch-barbarische /iovxtavog  sein. 

*)  Bezfiglich  der  Abfassungszeit  fällt  ins 
Gewicht,  dass  Lukian  Pseudosoph.  5  seinen 
Aufenthalt  in  Aegypten  erwfthnt. 

»)  Vgl.  MöLLBR  FHG  m  646—655;  eben- 
da p.  659—662  die  Fragmente  der  Ha^Sixä  ,   Rh.  M.  42,  1. 
des  Asinius  Quadratos.  !  ')  Dieser  Epikureer  Gelsus,  der  ein  Buch 

^)  J.  Bbrhats,  Lukian  und  die  Eyniker,   ,  über  die  religiösen  Schwindler  {xard  /Ättyioy) 


Lukian  die  Schrift  zunftchst  gegen  den  über- 
lebenden Eyniker  Theagenes  gerichtet  hat, 
den  Bemajs  unter  Berufung  auf  Galen  X 
p.  109  ed.  K.  und  Gellius  XII  11  in  günsti- 
geres Licht  zu  rücken  sucht.  Entgegnungen 
von  Yahlev,  Lid.  lect.  Berol.  1882/3  s.  Bruks 


746 


Qrieohiflche  Litteratiirgaschiohte.    n.  HaohklaMisohe  litterfttnr. 


bald  nach  dem  Tode  des  Kaisers  M.  Aurel  geschrieben  hat.  Der  Redner- 
lehrer {^PrjTOQmv  SiSacxaXog)  ist  die  giftigste  Persiflage  unter  Lukians 
Werken;  er  entwirft  ein  wahres  Zerrbild  von  einem  Professor  der  Rhe- 
torik, hinter  dem  man  offenbar  eine  bestimmte  Persönlichkeit  suchen  muss. 
Man  hat  auf  den  auch  im  Lexiphanes  verspotteten  Litteraten  PoUux  ge- 
raten, i)  wohl  mit  Recht,  doch  macht  einige  Schwierigkeit  die  Zeit,  da 
PoUux  erst  von  Commodus  zum  Professor  der  Rhetorik  in  Athen  ernannt 
wurde.*)  Ähnlicher  Art  sind  die  im  Geiste  des  Archilochos *)  geschriebenen 
Satiren  \p€violoyiü%r^g  und  ÜQoq  %6v  änaidewov^  von  denen  die  erste 
gegen  den  Sophisten  Timarchos,  die  zweite  gegen  einen  anonymen  BibUo- 
manen  gerichtet  ist. 

540.  Mit  der  Romanschriftstellerei  befassen  sich  die  "^Älrj^P^eXg  tifTo- 
Qiai  in  2  B.,  die  eine  beissende  Satire  auf  die  Aufschneidereien  der  Ro- 
manschreiber und  speziell  auf  die  phantastischen  Reiseabenteuer  des  „Land 
über  Thule**  enthalten.  —  Ein  Roman  selbst  ist  der  ^ovxiog  ^  cvog,  der 
ein  seit  Wieland  vielverhandeltes  Thema  der  philologischen  Echtheitskritik 
bildet.*)  Nach  dem  Patriarchen  Photios  cod.  129  hatte  nämlich  ein  ge- 
wisser Lucius  aus  Paträ  denselben  Stoff  in  seinen  Metamorphosen  behan- 
delt,^) und  stimmte  der  Esel  des  Lukian  mit  den  zwei  ersten  Büchern 
jenes  Lucius  fast  ganz  überein.  ^)  Dieselbe  Geschichte  ist  uns  dann  in 
wesentlicher  Übereinstimmung  mit  Lukian  in  den  Metamorphosen  des  Apu- 
leius  erhalten,  nur  dass  der  letztere  allerlei  Novellen,  darunter  auch  die 
Geschichte  von  Amor  und  Psyche,  in  die  Erzählung  verflocht  und 
einen  neuen,  auf  seine  persönlichen  Verhältnisse  passenden  Schluss  hin- 
zudichtete. Es  fragt  sich  also,  in  welchem  Verhältnis  die  drei  Werke 
zu  einander  stehen.  Rohde^)  hat  die  Frage  dahin  beantwortet,  dass  zu- 
erst Lucius  die  Verwandlungsgeschichten  in  gläubigem  Ernst  erzählt, 
Lukian  dann  in  seinem  Esel  eine  boshafte  Satire  auf  jene  albernen  Aben- 
teuer geschrieben,  und  Apuleius  schliesslich  sich  in  seiner  Wiedererzählung 
trotz  des  abweichenden  Titels  an  den  Esel  Lukians  gehalten  habe;  andere 


geschrieben  hatte  und  gegen  den  sich  auch 
der  Arzt  Galen  in  einem  Brief  ngos  KiXaov 
'ErtixovQBioy  wandte,  ist  wahrscheinlich  mit 
dem  gleichnamigen  Verfasser  des  'AXri&rjg 
Xoyog^  gegen  den  der  Kirchenvater  Origenes 
in  einem  noch  erhaltenen  Werke  polemisiert, 
identisch;  vgl.  Büresoh,  Elaros  p.  68  und 
unten  §  684.  Ueber  den  Alexander  s.  Zellbb, 
Vorträge  und  Abhandl.,  2.  Samml. 

^)  So  schon  die  Scholien  und  von  den 
Neueren  C.  Fb.  Ranke,  PoUux  und  Lucian, 
Quedlinb.  1831,  und  C.  Fr.  Hermann,  Zur 
Charakteristik  Lucians,  Ges.  Abh.  S.  209  f. 

*)  Philostr.  Vit.  soph.  II  12;  auf  frühere 
Zeit  scheint  hinzuweisen  c.  26  der  Schrift  des 
Lukian.  Boldermann  denkt  wegen  c.  24  xots 
Jiog  xai  jiijdag  naialv  o^nivvfjtog  yeveytjfiai 
an  einen  Grammatiker  mit  dem  Namen  Dios- 
kurides. 

■)  Luc.  Pseudolog.  c.  2. 

*)  Die  Geschichte  der  Frage  bei  Schanz, 


Gesch.  d.  röm.  Lit.  III  93. 

')  Der  Lucius  des  Lukian  sagt  von  sich 
c.  55  xdyto,  neetfjQ  ^ivy  M(prjy  .  .  .  ecn  /um 
Aovxiog^  Tip  (f^  ädeXtpto  t^  ifna  Fatog'  a(jupm 
&k  rti  Xomd  dvo  oyo/Äata  xotyd  t^ofACv.  xdyti 
fjthy  Uno^tSy  xal  aXXtoy  eifil  üvyygatfev^f  6 
di  no^tjrijg  iXeyeitay  iari  xai  (Adyttg  dyadog- 
TtaTQig  dk  ^fuy  ndzQa^  r^c  'J^^^^^-  Danach 
scheint  es  fast,  dass  Photios  den  Lados 
als  Verfasser  des  Romans  nur  deshalb  an- 
genommen hat,  weil  der  seine  eigenen  Ge- 
schicke  erzählende  Held  des  Romans  sidi 
Lucius  nennt. 

^)  Der  umfang  des  Lukianiachen  Esela, 
36  Teubnerische  Seiten,  ist  für  2  Bflcher  za 
klein;  daher  werden  von  den  Zms&tzen  des 
Apuleius  manche  noch  den  2  Büdiem  des 
Originals  angehört  haben. 

^)  RoBDB,  Ueber  Ludaiis  Sduifl  Awixfi 
V  oyog>  Leipz.  1869  und  Rh.  M.  40  (1885),  93. 


Ba)  Römische  Periode  vor  Konstantin.  8.  Die  Prosa,  k)  Lnkianos.  (§§  540—541.)    747 


erklären  mit  mehr  Wahrscheinlichkeit  die  grossen  Übereinstimmungen 
zwischen  Lukian  und  Apuleius  aus  der  Benutzung  der  gleichen  Vorlage, 
ohne  dass  dabei  eine  Abhängigkeit  des  lateinischen  Erzählers  vom  grie- 
chischen (Lukian)  oder  umgekehrt  stattgefunden  habe.^)  Wahrscheinlich 
ist  überhaupt  Lukian  nicht  der  Verfasser  des  Esels;  jedenfalls  sind  die 
grossen  Bedenken  nicht  entkräftet,  welche  gegen  die  Echtheit  des  luki- 
anischen  Esels  von  Seiten  der  Sprache  erhoben  wurden.^) 

541.  Dem  Lukian  ist  es  ähnlich  wie  anderen  grossen  Schriftstellern 
des  Altertums  gegangen,  dass  seine  Art  Nachahmer  fand  und  dass  die  in 
seinem  Geiste  geschriebenen  Nachahmungen  unter  seine  echten  Werke  ge- 
rieten. Zufällig,  wie  es  scheint,  kamen  unter  seine  Schriften  zwei  fremde 
Dialoge,  'AXxvoiv  und  NsqwVj  von  denen  der  zweite  von  dem  älteren  Philo- 
stratos,')  der  erste  von  dem  Akademiker  Leon^)  herrührt.  Als  unecht 
werden  dann  fast  allgemein  anerkannt:  (PiloTtaTQig,  ein  fingiertes  Zwie- 
gespräch zwischen  einem  Christen  und  einem  Anhänger  des  Heidentums 
mit  weidlicher  Verspottung  des  Götterglaubens,  das  nach  den  Anspielungen 
auf  die  Zeitgeschichte  wahrscheinlich  im  10.  Jahrhundert  unter  der  Re- 
gierung des  Nikephoros  Phokas  geschrieben  ist;^)  MaxQoßioi,  eine  trockene 
Aufzählung  langlebender  Griechen  aus  der  Zeit  des  Caracalla,  sich  be- 
rührend mit  den  römischen  MaxQoßioi  des  Phlegon  von  Tralles;^)  IIsqI 
aaTQoXoyttjg^  geistlose,  nach  dem  Muster  der  gleichfalls,  aber  schwerlich  mit 
Recht  angezweifelten  Schrift  HsqI  jrjg  Svgir^g  x^soi'^)  in  ionischer  Mund- 
art von  einem  abergläubischen  Menschen  geschriebene  Abhandlung;  Jr^fio- 
a&€vovg  eyxwjAiov,  eine  überschwengliche  Lobrede  auf  den  grossen  Redner;®) 
*Inniag^  Beschreibung  vod  einer  grossartigen  Badeanlage,  geschrieben  nach 
dem  Muster  ähnlicher  Schilderungen  Lukians,  aber  ohne  dessen  Geist, ^) 
endlich  IleQi  d'vaiwvj  II^qI  nävd^tvg^  XaQidrjfxog,  "EQWTeg.^^)  Andere  sind 
noch  weiter  gegangen  und  haben  auch  den  Demonax,^^)  IIsQi  zov  fjLTJ  ^tfdiwg 


*)  C.BuEBGBB,  De  Lucio  Patrensi,  Berl. 
Diss.  1887;  Ribbbck,  Gesch.  d.  rOm.  Dichtung 
in  328;  ScHAKZ,  Gesch.  d.  rOm.  Lit.  m  91  f. 

')  GoBBT  var.  lect.  p.  260:  quicunque 
scripsit  Lucium  sive  Asinum,  aliquanto  aerius 
quam  Lueianus  vixit  et  Graecitate  utitur  diu 
quanto  deteriore,  müUa  negligenter  et  plebeiis 
erroribua  scriptitans. 

»)  Vgl.  §524. 

«)  Aih.  506  c  und  Diog.  lU  62;  vgl.  §  308. 

^)  In  diese  Zeit  gesetzt  von  Nibbuhb 
KL  Sehr,  n  74  und  Rohde,  Bjz.  Zeitschr.  V 
(1896)  1  ff.  Anf  die  Zeit  des  Heraklios 
(7.  Jahrh.)  werden  die  Anspielungen  gedeutet 
von  GuTSCHMiD  El.  Sehr.  V  433  f. ;  Cbamfb, 
Pliilopatris,  Diss.  Halle  1894;  Byz.  Zeitschr. 
VI  (1897)  144  flf. 

•)  C.  Fb.  Ramkb,  Pollux  u.Lucian,  S.  16  ff.; 
Wbstbbmasii,  Paradox,  p.  XXXIX;  Bbbgk, 
Lukian  u.  Phlegon,  Z.  f.  A.  1849  N.  23;  Roth- 
flTSiir,  Qnaest.  Lucianeae  p.  157  ff.;  Bebto- 
LOTTO,  RivistaXIV282'-92.  Ihre  Ahfassungs- 
zeit  unter  Caracalla  zwischen  212—217  er- 
wiesen von  HiBscnrELD  Herrn.  24  (1889) 
156  ffl,   da  in  c.  7   auf  den   hochbetagten 


Senator  Oclatinius  Adventns,  den  Caracalla 
212  zum  praefectus  praetorio  erhob,  ange- 
spielt ist.  Der  Hauptgew&hrsmann  des  Ver- 
fassers ist  indes  ein  Schriftsteller  aus  der 
Zeit  des  Tiberius,  aus  dem  auch  Phlegon 
seine  Anleihen  gemacht  hat. 

^)  Die  Schnjft  über  die  syrische  Göttin 
h&lt  Ed.  Meteb,  Gesch.  d.  Alt.  I  249  unbe- 
dingt fttr  echt. 

«)  Gbaubbt,  Histor.-philol.  Anal.  289  f. 

^)  Blühkbb,  Archftol.  Studien  zu  Lucian 
S.  53  ff. 

^^)  In  den  'S^cur^C}  einem  unflätigen,  der 
Verherrlichung  der  Knabenliebe  dienenden 
Machwerk,  ist  wie  in  Jtj^oa^Buov^  iyx,, 
üatQi'dog  iyx.,  Xtt^i^tifjtog  der  Hiatus  ab- 
weichend vom  sonstigen  Gebrauch  des  Lucian 
mit  peinlicher  Sorgfalt  vermieden;  s.  Rohdek, 
De  mundi  miraculis,  Bonn  1875  p.  37. 
Die  Verdachtsgrttnde  suchen  abzuschwächen 
SoHMiD  Phiiol.  50,  302  f.  und  Hibzbl,  Der 
Dialog  II  281  f. 

li)  Der  Demonaz  ermangelt  jedenfalls 
der  letzten  Hand;  Ummodelung  durch  christ- 
liche Hand  sucht  zu  erweisen  Sohwabz,  üeber 


748 


Grieohisohe  LüteratnrgMohiohte.    II.  NaohklASsisohe  Lüteratnr« 


mcteimv  diaßoly,  Ikaromenippos,  und  selbst  den  Menippos,  Toxaris,  Pere- 
grinos  ^)  angezweifelt.  *) 

542.  Gesamtcharakter.  Um  zum  Schluss  noch  die  einzelnen  Züge 
des  Mannes  zusammenzufassen,  so  stehen  wir  nicht  an,  den  Lukian  den 
geistreichsten  und  formgewandtesten  Schriftsteller  der  Kaiserzeit  zu  nennen. 
In  einer  Zeit  lebend,  in  der  das  Interesse  für  Verse  abgestorben  war,  er- 
setzt er  uns  mit  seinen  Dialogen  und  Satiren  die  lamben  und  Komödien 
der  klassischen  Periode.')  Schon  seine  vollendete  Beherrschung  der  atti- 
schen Sprache  erregt  billig  unsere  Bewunderung,  zumal  er  das  Griechische 
nicht  mit  der  Muttermilch  eingesogen  hatte.*)  Leicht  und  schön  fliesst 
ihm  die  Rede,  voll  Kraft,  wenn  er  mit  scharfem  Pfeil  den  Gegner  ver- 
folgt, voll  Anmut  und  Grazie,  wenn  er  ein  Bild  beschreibt  oder  eine  seiner 
burlesken  Figuren  vorführt.  Dabei  versteht  er  es,  den  Stil  in  wunder- 
voller Weise  durch  eine  Fülle  sprichwörtlicher  Wendungen  und  ausge- 
wählter Reminiszenzen  aus  den  Dichtem  und  den  besten  Rednern  zu  be- 
leben. Ein  besonderer  Reiz  der  Lektüre  des  Lukian  besteht  daher  für 
den  gebildeten  Leser  darin,  dass  er  überall  an  Stellen  und  Scenen  seiner 
Lieblinge,  bald  an  Demosthenes  Reden,  bald  an  Aristophanes'  Komödien, 
bald  an  Homer,  Pindar  und  Piaton  erinnert  wird,*^)  und  das  nicht  in  auf- 
dringlicher Weise,  sondern  so,  dass  er  sich  freut,  wenn  er  die  Beziehungen 
merkt,  aber  auch  nicht  im  Genüsse  gestört  wird,  wenn  ihn  seine  Gelehr- 
samkeit im  Stiche  lässt.^)  Mit  ausgebreiteter  Litteraturkenntnis  verband 
sodann  unser  Autor  ein  treffliches  Urteil  in  Kunstsachen,  das  ihn  beffihigte, 
seiner  Darstellung  durch  plastische  Schilderungen  eine  Anschaulichkeit  zn 
geben,  wie  wir  sie  grösser  selbst  nicht  bei  Piaton  finden.  Aber  mehr  als 
die  Form  muss  uns  für  Lukian  der  Inhalt  seiner  Schriften  einnehmen;  er 
lebte  in  einer  Zeit,  von  der  es  mehr  wie  von  einer  anderen  galt  dißcile 
est  satiram  non  scribere;  und  Lukian  hat  mit  einem  feineren  und  ausge- 
bildeteren Auge  als  selbst  Juvenal  die  Schwächen  seiner  Zeit,  den  Aber- 
glauben, das  Parasitentum,  die  Heuchelei  der  Philosophen,  die  Geschmack- 
losigkeit der  Grammatiker,  erkannt  und  teils  mit  heiterem  Scherz,  teils 
mit  bitterem  Spott  gezeichnet.  Das  that  er  aber  nicht  bloss,  um  das 
Lachen   seiner  Zuhörer  und  Leser  zu  erregen,  es  leitete  ihn  auch  ein 


Lukians  Demonaz,  Ztschr.  für  österr.  Gymn. 
1878  S.  561  ff.;  siehe  dagegen  Ziboler,  Jahrb. 
f.  Phil.  1881  S.  327  ff. 

*)  CoTERiLL,  Peregrinas  Proteus,  Edin- 
burg  1879;  dagegen  Wiohmann,  Zeitschr.  f. 
Gynm.  1880  S.  227  ff. 

^)  Am  weitesten  ist  gegangen  Imm.  Bbk- 
KBR  in  seiner  Ausgabe,  indem  er  28  Schriften 
als  unecht  ausschied.  Einen  konservativen 
Standpunkt  vertritt  Fr.  Fritzschb  in  seiner 
Ausgabe  III  2  p.  LXV-LXXXI. 

')  EocK,  Lncian  u.  die  Komödie,  Rh.  M. 
43,  29  ff.  weist  in  vielen  Gesprächen  Sce- 
nerien  u.  Verse  der  Komödie,  namentlich  der 
neueren,  nach. 

*)  Bis  accus.  23.  Du  Mbsnil,  Gramma- 
tica  quam  Lucianus  in  scripUs  suis  secutus 


est  ratio  cum  antiquomm  AtUcorom  ratione 
comparatur,  Stolpe  1867;  W.  Schmid,  Atti- 
kismus  I  221  ff.;  Heller,  Absichtss&tEe  bei 
Lukian,  Berl.  1880. 

*)  ScHwiDOP,  Observationes  Locianeae, 
5  Königsberger  Frogr.  1848—70;  E.Zimblib, 
De  Luciano  poetarum  indice  et  imitatore, 
Gott.  1872.  Brakes,  Citate  und  Reminissenzfin 
bei  Lucian,  Eichst&tt  1888. 

*)  Auch  an  Horaz  u.  Juvenal  finden  fläch 
viele  Anklftnge;  A.  HEniRicH,  Lukian  u  Ho- 
raz, Wien  1885,  will  direkt«  Kenntnis  des 
Horaz  nachweisen.  Eine  Stelle  in  Um;  ^t 
laxoqiav  cvyyQ.  60:    iv  fiBCt^  ^ereoc,   sc  o 

avtov  stimmt  auffiLllig  zu  TacituB  Gennania  3, 
klingt  aber  auch  an  Herodot  H  123  an. 


B  a)  Bömische  Periode  Tor  Konstantin.  8.  Die  Prosa.  1)  Die  Rhetorik.  (§§  542—543.)  749 


höheres  sittliches  Ziel.^)  Die  heitere  Klarheit  und  Schönheit  des  Hellenen- 
tums,  sagt  schön  ein  trefflicher  Kenner,^)  gegen  die  Dunkelmänner  und 
Heuchler  und  Halbbarbaren  zu  schützen,  war  der  Kern  seiner  Thätigkeit. 
Der  aufgehenden  Sonne  des  Christentums  stand  er  allerdings  feindlich 
gegenüber,  aber  dieses  nur,  weil  er  den  Kern  der  neuen,  welterlösenden 
Lehre  nicht  kannte  und  deshalb  dieselbe  nur  als  eine  Art  philosophischer 
Sekte  anschaute.*)  Eher  verdient  er  einen  berechtigten  Vorwurf  darüber, 
dass  er  mit  den  Gaukelgestalten  der  alten  Mythologie  und  mit  den  Wahn- 
vorstellungen der  religiösen  Geheimbünde  zugleich  die  Gottesfurcht  und 
den  Glauben  an  die  Gottheit  selbst  untergrub.  Auch  zur  Höhe  allgemeiner 
Humanität  hat  er  sich  nicht  erhoben:  Sklave  sein  genügt  ihm,  um  zu 
einer  geringeren  Menschenklasse  zu  gehören.  In  dieser  Beziehung  sind 
seine  Angriffe  gegen  die  Kyniker  übertrieben  und  selbst  ungerecht.  Noch 
weniger  hat  er,  aufgezogen  in  der  Leichtfertigkeit  griechischen  Hetären- 
lebens, die  veredelnde  Wirkung  eines  gesitteten  Familienlebens  an  sich 
erfahren  oder  die  Notwendigkeit  strenger,  auch  auf  das  Geschlechtsleben 
gerichteter  Sittenordnung  erkannt.  Oft  erhält  man  den  Eindruck,  als  habe 
Lukian  gemeint,  die  Negation  des  Verkehrten  genüge,  um  die  geistigen 
und  gemütlichen  Bedürfnisse  der  Menschen  zu  befriedigen.*)  Aber  des- 
halb ist  er  doch  kein  Nihilist,  wie  ihn  seine  Gegner  genannt  haben;  auch 
bei  dem  Mangel  positiver  Geistesrichtung  hat  mit  Recht  der  feine  und 
geistreiche  Spötter  von  Samosata  viele  Leser  im  Altertum  und  bewundernde 
Verehrer  in  der  neueren  Zeit  unter  den  Philologen,  Dichtern  und  Künst- 
lern gefunden. 

Codices:  Einen  kritischen  Apparat  haben  die  Ausgaben  von  Jacobitz  und  Fritzsche, 
aber  ein  einfaches  Stemma  der  Handschriften  ist  noch  nicht  hergestellt;  jedenfalls  gehen 
dieselben  anf  zwei  Stämme  zortlck.  Hervor  ragen:  Vindob.  128  (6)  s.  X  mit  Scholien,  Har- 
leianns  (E);  Vatic.  87  und  90;  Marcian.  434  (ß);  vgl.  Rohdb,  üeber  Lukians  Onos  S.  43  ff. 
u.  Phü.  Anz.  1872  S.  489  f.;  Fmtzsche  in  Ausg.  III  1  p.  XVII;  Maass,  M61.  Graux.  p.  759  ff. 

—  Von  Scholien  werden  unterschieden  Scholia  Galei  (aus  Paris.  2955)  und  Scholia  Vos- 
siana,  gesammelt  im  4.  Band  der  Ausgabe  von  Jacobitz;  neue  Notizen  aus  Florentiner 
Handschrift  von  Vitblli,  Spicil.  Florent.  p.  15  ff.,  aus  römischen  von  Rohde  Rh.  M.  25,  548  ff. 

—  Syrische  Uebersetzung  von  Lucian  ncQi  tov  fjirj  ^aditag  nicxevBiv  publiziert  von  Sachaü, 
Inedita  Syriaca,  Wien  1870,  für  die  Kritik  verwertet  von  Baumstark,  Lucubr.  Syrograecae, 
Jahrb.  f.  Phü.  Suppl.  XXI  453  ff. 

Ausgaben:  cum  versione  latina  et  notis  variorum  cur.  Hemsterhusids  et  Rejtzius, 
1730—45;  annot.  Lehmann,  Berl.  1822— 9,  9  Bde.;  rec.  Jacobitz,  Lips.  1836—41;  rec.  Fr. 
Fritzsche  1882 — 5,  unvollendet;  Textausgabe  von  Jacobitz  in  Bibl.  Teubn.;  von  Sommer- 
brodt  bei  Weidmann ;  dazu  Jahrb.  f.  cl.  Phil.  1894  S.  655  f.  —  Ausgewählte  Schriften  mit 
deutschen  Anmerkungen  von  Jacobitz  bei  Teubner;  von  Sommerbrodt  bei  Weidmann.  — 
Klassische  Uebersetzung  mit  Anmerkungen  und  Erläuterungen  von  Wieland,  Leipz.  1788 
bis  99.  —  R.  Förster,  Lucian  in  der  Renaissance,  Rektoratsrede  Eael  1886. 

1)  Die  Rhetorik.^) 
543.   Mit  der  Pflege   der  Beredsamkeit  und  Sophistik  ging  Hand  in 
Hand  die  Ausbildung  der  Rhetorik  und  Stillehre.     Die  Anfänge  der  Rhe- 


^)  Nicht  gerecht  ist  der  Ausspruch  von 
LuzAC,  Lect.  Att.  186:  Samosatemis  seu  ioci 
seu  ealumniae  nullius  famam  minuent. 

')  RofiOB,  üeber  Lucians  Onos  S.  81. 

»j  Peregtin.  11 — 14.  Wegen  dieses  Pe- 
regnnus  ward  dem  Lukian  im  vorigen  Jahr- 
Itondert  die  Aufmerksamkeit  zuteil,  auf  den 


Index  librorum  prohibitorum  gesetzt  zu  werden, 
üeber  die  verschiedenen  Ansichten  von  Lu- 
kians Stellung  zum  Christentum  siehe  Jacob, 
Charakteristik  Lukians  S.  155  ff. 

*)  J.  Bbbnays,  Lukian  und  die  Kyniker 
S.  42. 

^)  Sammelansgaben:  Rhetores  graeci,  apud 


750 


(Meohisohe  LÜteratargesohiobte.    11.  HaohkltMiiBohe  Lüieratnr. 


torik  gehen  auf  die  klassische  Zeit  zurück;^)  die  grossen  Redner  Lysias, 
Isokrates  und  Isaios  gaben  zugleich  Unterricht  in  der  Redekunst,  und  noch 
der  klassischen  Periode  gehören  die  zwei  ältesten  Lehrbücher  der  Rhetorik 
an,  das  aus  der  lebendigen  Praxis  der  Redner  hervorgegangene  des  Ana- 
ximenes  und  das  von  philosophischem  Qeist  durchdrungene  des  Aristo- 
teles. Einer  der  grossen  Redner  des  freien  Griechenlands,  Aischines,  ver- 
pflanzte die  rhetorische  Kunst  von  Attika  nach  Rhodos,  wo  sich  der  durch 
überströmende  Fülle  charakterisierte  asianische  Stil  der  Beredsamkeit  aus- 
bildete, als  dessen  eigentlicher  Begründer  Hegesias  aus  Magnesia  (um 
280  V.  Chr.)^)  genannt  wird.  Zu  Alexandria  fanden  in  der  Hofatmosphäre 
die  rhetorischen  Studien,  welche  von  ihrem  Ursprung  her  einen  republi- 
kanischen Beigeschmack  hatten,  wenig  Anklang;  auch  war  dort  die  ganze 
Richtung  der  gelehrten  Einzelforschung  der  Pflege  der  Beredsamkeit  un- 
günstig. Qegen  Ende  der  alexandrinischen  Periode  hat  in  Pergamon  und 
Rhodos»)  die  Theorie  des  Stils  und  der  Prozessfälle  {aTcecsig)  neue  Nah- 
rung erhalten,  so  dass  sich  ähnlich  wie  in  der  Philosophie  und  Medizin, 
so  auch  in  der  Rhetorik  förmliche  Schulen  und  Sekten  {ai^ätreig)  bildeten. 
Die  Häupter  dieser  Deklamatorenschulen,  Hermagoras  aus  Temnos,^) 
Apollodoros  aus  Pergamon^)  und  Theodoros  aus  Gadara*)  kennen  wir 
fast  nur  aus  den  Anführungen  der  Lateiner,^)  welche  wie  in  der  Kunst 


AI  dum  1508,  2  vol.;  bedeutend  vermehrt 
von  Walz,  Stuttg.  1882—6,  9  Bde;  eine 
Auswahl  von  L.  Spbnorl  in  Bihl.  Teubn. 
1856, 3  Bde.  Erlftuterungsschiiften :  Wbster- 
MANN,  Gesch.  d.Beredsamk.,  Leipz.  1833, 2  Bde; 
VoLKMAifN,  Die  Rhetorik  der  Griechen  und 
Römer,  2.  Aufl.  1885;  L.Spbngbl,  Ueber  das 
Studium  der  Rhetorik  bei  den  Alten,  akad. 
Vortrag,  München  1842;  Blass,  Die  griech. 
Beredsamkeit  von  Alexander  bis  Augustus, 
Berl.  1865. 

')  Ueber  die  Anfänge  und  den  Fortgang 
der  Rhetorik  steht  die  klassische  Stelle  bei 
Quintil.  m  1,  8—18. 

«)  Wbstbrmann,  Gesch.  der  Ber.  I  8  ff.; 
RoHDE  Rh.  M.  41,  172  ff.  Ein  abfälliges  Ur- 
teil über  Hegesias  fällt  und  begründet  Dio- 
nysios  Halik.  De  compos.  verb.  p.  144. 

')  Die  rhodische  Schule  gelangte  im 
1.  Jahrh.  v.  Chr.  zur  besonderen  Blüte;  ein 
Hauptvertreter  derselben  war  Molen,  den 
Cicero  zuerst  in  Rom  bei  einer  Gesandtschaft 
(81)  sah  und  dann  in  seiner  Heimat  selbst 
hörte  (78). 

*)  G.  Thiblb,  Hermagoras,  ein  Beitrag 
zur  Geschichte  der  Rhetorik,  Strassburg  1893. 
Suidas  erwähnt  von  unserem  Hermagoras 
T^/»'nft  ^oQixai,  ebenso  Strab.  p.  621  u.  Cic. 
de  invent.  I  6,  8.  Verschieden  von  ihm  war 
ein  jüngerer  Hermagoras,  den  Planudes  Rhet. 
gr.  V  337  (vgl.  Sopater  in  Rhet.  gr.  V  8  und 
Gregor  Corinth.  VII  1219)  zwischen  Lollianus 
und  Minucianus  setzt,  und  dem  vielleicht  die 
anderen  Schriften  bei  Suidas,  ncQl  i^e^ya^ia^, 
Tiegi  nffinoyxog^  neql  (pQtiaeo}^,  negl  oyfjud- 
T«v,  angehören.  Die  Zeit  unseres  Hermagoras, 


der  als  Begründer  der  Lehre  von  den  araVfK 
eine  wichtige  Stelle  in  der  Geschichte  der 
Rhetorik  einnimmt,  bestimmt  sich  dadurch, 
dass  ihn  Quintilian  IH  1,  16  vor  Molon  ge- 
lebt haben  Iftsst,  femer  dadurch,  dass  Qin 
bereits  Cicero  Brut.  76,  263  u.  78,  271  und 
Gomificius  I  2,  3  anführen,  und  Poaeidomofi 
nach  Plut.  Pomp.  42  gegen  ihn  im  Jahre  62 
vor  Pompeius  emen  Vortrag  hielt.  Danach 
blühte  er  in  der  1.  Hälfte  des  1.  Jahrhdts. 
V.  Chr.  Sein  Buch  war  auch  noch  zur  Zeit 
Juvenals  sat.  VII  177  allgemein  in  Gebrauch. 
Habnbckbr  Jhrb.  f.  Phü.  1885  S,  69  ff.  will 
den  Rhetor  mit  dem  stoischen  Philosophen 
Hermagoras,  einem  Schüler  dee  Peraaioa, 
identifizieren. 

^)  Hieronymus  setzt  ihn  Ol.  179, 1  =  63 
V.  Chr.;  Augustus  hörte  ihn  nach  Quintil. 
in  1,  17  (vgl.  Sueton  Aug.  89)  lu  Apollonia; 
über  seine  Schule  {^AnoXkoSti^Bioq  a^ftfif) 
s.  Strab.  p.  625.  Ueber  die  Lehre  derselbeD 
im  Gegensatz  zu  der  des  Theodor  s.  Schavz, 
Die  ApoUodoreer  und  die  Theodoreer,  Heim. 
25  (1890)  36—54.  Tacitus  dial.  19  spricht 
von  den  aridissimis  Hermagarae  et  ApoUo- 
dort  libris. 

*)  Ueber  Theodoros  ausser  Quini  IH  1» 
17  ein  ausführlicher  Artikel  des  Suidas;  er 
war  Lehrer  des  Kaisers  Tiberias;  er  be- 
schränkte sich  aber  nicht  auf  die  Theorie 
der  Rhetorik,  sondern  schrieb  aneh  nfQ* 
UrxoQta^f  negl  noUreiai,  negi  xoiXrj^  £vgicf. 

^)  Ausser  den  Lateinern  CScero,  Quinti- 
lian, Seneca,  erwähnt  sie  anch  wiederholt 
der  Anonymus  nsgl  ^ogix^^  in  Rh.  gr.  I 
425  ff.  Sp. 


B  a)  BftmiBohe  Periode  yör  Konstantin.  8.  Die  Prosa.  1)  Die  Rhetorik.  (§§  544—545.)  751 

der  Rede,  so  auch  in  der  Theorie  bei  den  Griechen  in  die  Schule  gingen, 
rasch  aber  ihre  Lehrmeister  überflügelten.  Zuvor  schon  hatten  sich  die 
Philosophen,  nachdem  ihnen  Aristoteles  vorangegangen  war,  auch  mit  der 
Theorie  der  Rede  abgegeben,  so  dass  uns  nicht  bloss  von  Theophrast, 
sondern  auch  von  Kleanthes,  Chrysippos  i)  und  Epikur  Schriften  über  Rhe- 
torik genannt  werden.  Von  der  Rhetorik  des  Epikureers  Philodemos  sind 
uns  auch  Reste  in  den  herkulanischen  Rollen  erhalten.^) 

644.  Im  Beginne  der  römischen  Kaiserzeit  wurden  die  rhetorischen 
Studien  von  neuem  belebt  und  in  die  Bahnen  ästhetischer  Kritik  geleitet 
durch  Dionysios  von  Halikamass  und  Gäcilius  von  Kaiakte.  Über  die 
Schriften  und  die  Stellung  dieser  beiden  Männer  haben  wir  bereits  oben 
in  anderem  Zusammenhang  gehandelt.  Die  Richtung  ihrer  Studien  erhielt 
in  der  nächstfolgenden  Zeit  eine  Ablenkung  auf  die  attische  Lexikographie, 
doch  so,  dass  daneben  auch  das  Gebiet  der  rhetorischen  Theorie  unter 
besonderer  Betonung  des  Stils  und  der  epideiktischen  Redegattung  fleissig 
kultiviert  ward.  Geleistet  aber  haben  die  rhetorischen  Lehrmeister  der 
Griechen,  eines  wie  grossen  Ansehens  sich  auch  einzelne  von  ihnen  bei 
ihren  Zeitgenossen  erfreuten,  nichts  Grosses  und  nichts,  was  sich  mit  den 
Listitutiones  oratoriae  des  Quintilian  messen  könnte.  Auf  uns  gekommen 
sind  teils  Bücher  über  die  tsxvtj  ^rjvoQixr^  im  allgemeinen,  teils  solche  über 
einzelne  Teile  derselben  (nQoyvfxvdcfxaxa^  cxrifiaxa^  ISsat  koyov), 

546.  Die  Figurenlehre.  Figuren  {axrjficcTo)  und  Tropen  (tqotioi)^) 
bildeten  von  jeher  einen  Hauptgegenstand  der  Stillehre.  Beide  betreffen 
die  kunstvolle  Redeweise  in  Wort  oder  Satz,  im  Unterschied  von  der 
ganzer  Reden,  und  zwar  so,  dass  (fxw^  ^^r  allgemeinere  Begriff  ist, 
xQonog  hingegen  speziell  von  der  übertragenen  Wortbedeutung  gebraucht 
wird.  Von  diesen  Hauptmitteln  des  Schmuckes  der  Rede  kommen  einige, 
wie  n€ta(poQd,  elQwveia,  naqaßoXr]^  bereits  bei  Aristoteles  und  Anaximenes 
vor;  aber  erst  in  Pergamon  und  Rom  zur  Zeit  des  Wiedererwachens  der 
rhetorischen  Studien  hat  die  ganze  Lehre  einen  sorgfaltigeren  Ausbau 
durch  griechische  und  römische  Rhetoren  gefunden.  Das  bedeutendste 
Werk  über  Figuren  {axrjficcfa)  war  das  des  jüngeren  Gorgias  in  4  B., 
welches  selbst  verloren  gegangen  ist,  aber  seinem  Hauptinhalt  nach  uns 
in  der  lateinischen  Figurenlehre  des  Rutilius  Lupus  vorliegt.*)  Die  Zeit 
des  Gorgias  bestimmt  sich  dadurch,  dass  er  Lehrer  von  Ciceros  Sohn  war.^) 
Der  auch  in  der  Überarbeitung  des  Rutilius  hervortretende  Hauptvorzug 
seines  Werkes  bestand  in  der  grossen  Auswahl  trefflicher  Beispiele  aus 
älteren  Rednern,«)  welche  bekanntlich  Ruhnkens  berühmte  Untersuchungen 
über  die  Geschichte  der  griechischen  Redner  hervorgerufen  haben. 


»)  Chrysippos  wird  neben  Aristoteles  noch  j  *)  Quint.  IX  2,  102:    Rutilius  Gorgiam 

heracksichügt  von  dem  gelehrten  Anon.  in  <  secutusj   non   illum   Leontinum,   sed   alium 

SpengeLs  rhet.  gr.  I  454,  4.  |  sui  temparis,  euius  quattuor  libros  in  unum 

*)  Philodemi  volomina  rhetorica  ed.  Süd-  {usum  coni,  Ahrens)  suum  transtulU. 

HAUB  in  BibL  Teubn.  1  ^)  Plut.  Cic.  24. 


>)  üeber  den  Unterschied  der  heiden  Be- 
griffe and  die  Unsicherheit  ihrer  Grenzen 
VoLKMANV,  Rhetorik  415. 


^)  Einzelne  Beispiele  sind  anch  aus  He- 
gesias,  Lykon,  Isidoros  genommen. 


752 


Grieohiache  LitteratargMoliichte.    II.  VaohklasBiBohe  Litteratnr. 


Massgebend  für  die  Folgezeit  wurde  der  Rhetor  Alexandres  Nu- 
meniu,  der  unter  Hadrian  ausser  einer  allgemeinen  Rhetorik^)  ein  spezielles 
Buch  71€qI  twv  Trjg  diavoiag  xal  %r^q  X4^€wq  axrii^i(xt(av  schrieb,  das  aber  nur 
im  Auszug  auf  uns  gekommen  ist,  wie  die  lateinische  Bearbeitung  des 
Originals  durch  den  Rhetor  Aquila  erkennen  lässt.^)  Auf  seinen  Schultern 
stehen  die  späteren  Bearbeiter  der  Figurenlehre:  Tiberios  nsgl  zwr  nagd 
JijfioaO^bvst  axri^dzbüv^  der  nach  Apsines  lebte  und  vieles  aus  Cäcilius  her- 
übergenommen hat;*)  Phoibammon  ixbqI  cxr^iiaxfinv  ^rjroQixm'^  der  jeden- 
falls nach  Athenaios,  den  er  p.  44,  11  Sp.  citiert,  geschrieben  hat,  und 
wahrscheinlich  Zeitgenosse  des  Synesios  (ep.  143)  war;  Herodianos  nsgi 
(TXrjfxdiwv^  der,  verschieden  von  dem  berühmten  Grammatiker  gleichen 
Namens,  zwar  manche  Notizen  ausgewählter  Gelehrsamkeit  aus  seinen 
Vorlagen  gibt,  aber  doch  schon  nach  Art  der  Späteren  sich  wesentlich 
auf  die  vulgären  Beispiele  aus  Homer  beschränkt,  endlich  Polybios  aus 
Sardes,*)  Zonaios*)  und  mehrere  Anonymi. 

In  dem  verwandten  Gebiet  der  Tropenlehre  ist  das  bedeutendste 
Buch  das  des  Tryphon  ne^i  zqotkov^  das  die  Grundlage  der  späteren 
Kompilationen  bildete.^)  Aber  dasselbe  ist  doch  immer  noch  zu  ungelehrt 
und  sprachlich  fehlerhaft,  als  dass  es  von  dem  gelehrten  alexandrinischen 
Grammatiker  Tryphon  herrühren  könnte.  Da  aber  Suidas  unter  des  letz- 
teren Schriften  auch  ein  Buch  nsQi  tqotkov  erwähnt,  so  ist  möglicherweise 
das  uns  erhaltene  Büchlein  ein  Auszug  aus  demselben. 

An  die  rhetorischen  Figuren  reihe  ich  die  grammatischen  an.  Diese 
hatten  teils  von  den  Autoren,  bei  denen  sie  sich  häufig  fanden,  wie  <rz^/i« 
'Ißvxeiov  {nafi^ai'vjjai  statt  nafi(paiv€i)^  IlivSaQixov  {teleaev  aifyai  statt 
Täkeaav  avyai),  teils  von  dem  Ort,  aus  dem  die  betreffenden  Schriftstellen 
stammten,  wie  ^AtTixov,  Xakxi6ix6v^  'Aaiarov^  ihren  Namen.  Schon  Ari- 
starch  hatte  für  die  Homererklärung  solche  Abweichungen  von  der  regel- 
mässigen Syntax  verzeichnet  (schol.  zu  £4;  x  513).  Spätere  erweiterten 
dann  die  Lehre,  indem  sie  die  Eigentümlichkeiten  im  Sprachgebrauch  der 
einzelnen  Autoren  zusammenstellten.  Auf  uns  gekommen  ist  das  Büchlein 
nsQi  axriiict%(ov  von  Lesbonax,  wahrscheinlich  demselben,  den  Lokian  de 
salt.  69  (dazu  die  Scholien)  erwähnt.  Dasselbe  ist  uns  nur  im  Auszug,  und 
zwar  in  doppelter  Recension  erhalten;  kritisch  bearbeitet  von  Rud.  Müller, 
De  Lesbonacte  grammatico,  Greifswald  1890,  Dissert.  ^ 

646.  Die  Progymnasmata.  Eine  beliebte  Schulübung  jener  Zeit 
die  sich  bis  in  das  Mittelalter  und  die  Renaissance  erhielt,  bestand  in  den 


^)  Auf  ilin  beziehen  sich  2  Artikel  des 
Suidas  ^AXe^av^Qog  Novfxrjvlov  und  N^ovfiijyiog. 
Auf  seine  Rhetorik  ist  öfter  von  dem  Anony- 
mus in  Spengels  Rhet.  gr.  I  p.  427,  13;  431, 
21  ff.  Bezug  genommen. 

*)  Steüslopp,  Quibus  de  causis  Alexandri 
Numeniu  über  putandus  sit  spurius,  Breslauer 
Diss.  1861. 

*)  Apsines  und  C&cilius  sind  citiert  p.  75, 
15  u.  27  Sp. 

*)  Von  diesem  Polybios  existiert  auch 


ein  Traktat  über  Barbarismus  und  Solökismus 
in  BoissoNADE,  Anecd.  Hl  229  ff.,  N^luck,  Lex. 
Vind.  283  ff. 

^)  Von  dem  Sophisten  Zonaios  erwähnt 
Suidas  auch  Briefe,  worflber  unten. 

•)  Unter  den  späteren  BUchern  ne^  rgö- 
ntav  haben  wir  eines  von  dem  beka]mt«D 
Grammatiker  Choiroboskos  und  ein  KOr 
deres  von  einem  gewissen  Kokondrios,  bei 
Walz  VH!  799—820  und  Sphigkl  TH  280 
bis  243. 


Ba)  BOmiflohe  Periode  vor  Konstantin.  3.  Die  Prosa.  1)  Die  Rhetorik.  (§  546.)    753 

sogenannten  Progymnasmaten.  Man  verstand  unter  denselben  Anfangs- 
übungen im  Ausarbeiten  von  Fabeln  {fit&oi),  Erzählungen  {öirjyijfiaTa), 
Chrien  [xgeiai),^)  Gemeinplätzen  (tonoi  xoivoi),  Vergleichen  (crvyx^i'ö'«!^), 
Beschreibungen  (ix^Qacsig),  Charakteristiken  {i^&o7iouai)  u.  a.  Das  Be- 
deutendste, was  aus  diesem  Gebiete  auf  uns  gekommen  ist,  sind  die  leider 
am  ScUuss  verstümmelten  Progymnasmata  des  Theon  (Rhet.  gr.  I  145  bis 
257  Walz;  11  57—130  Spengel),  in  denen  die  einzelnen  Übungen  unter 
Heranziehung  auserlesener  Beispiele  der  Litteratur  mit  Gelehrsamkeit  und 
Geschmack  behandelt  sind.  Suidas  schreibt  dieselben  dem  Ailios  Theon, 
einem  Sophisten  aus  Alexandria,  zu,  von  dem  er  auch  Kommentare  zu 
Xenophon,  Isokrates  und  Demosthenes,  sowie  ^r/roQixai  imod-iaeiq  und  f  #;- 
Ttjfiaza  neqi  awra^stog  koyov  anführt.  Der  Gentilname  Ailios  führt  in  die 
Zeit  des  Hadrian;  jedenfalls  lebte  Theon  nach  den  grossen  Lehrmeistern 
Hermagoras  und  Theodoros,  wie  er  selbst  p.  120,  18  Sp.  bezeugt.*)  —  Unbe- 
deutender sind  die  Progymnasmata  des  gleich  näher  zu  behandelnden 
Rhetor  Hermogenes')  und  seines  Nachtreters  Aphthonios  aus  Antiochia 
(4.  Jahrh.),^)  welch  letzterer  die  Zahl  der  Progymnasmata  von  12  auf  14 
erhöhte.^)  Aus  späterer  Zeit  stammen  die  jtQoyvfxvdaiiaTa  des  Nikolaos 
aus  Myra  in  Lykien  (um  480)^)  eines  Schülers  des  Proklos  und  jüngeren 
Platarch,  und  die  dir^yrnxaxtt  und  rjä-onoitm  des  Severus,  eines  römischen 
Sophisten  aus  Alexandria,  der  um  dieselbe  Zeit  wie  Nikolaos  in  Alexandria 
thätig  war.^) 

Eine  besondere  Art  von  Progymnasmaten,  die  Fabel,  bildete  den 
Gegenstand  einer  Sammlung  in  10  B.  (dexafivd^ia)^)  von  dem  gefeierten 
Sophisten  Nikostratos  aus  der  Zeit  der  Antonine.^)  Die  Sammlung  um- 
fasste  nicht  bloss  Tierfabeln,  sondern  auch  Argumente  von  Dramen,  letztere 
wohl  in  der  Weise  des  unter  dem  Namen  des  Hygin  uns  überkommenen 
lateinischen  Fabelbuchs.  ^^)  Wie  sich  aber  die  prosaische  Mythensammlung 
unseres  Nikostratos  zu  der  metrischen  des  Babrios  verhielt,  ist  noch  nicht 
aufgeklärt. 


^)  üeber  die  ftltesten  Chrien  des  alexan- 
drinischen  Komikers  Machon  s.  §  376. 

*)  Verschieden  ist  nach  Snidas  der  Pro- 
gymnastiker  Theon  von  dem  Stoiker  Theon 
imter  Augnstus,  der  auch  rixyai  ^rjtoQMai 
in  3  B.  schrieb  nnd  auf  den  sich  Quintil.  JII 
6,  48  n.  IX  3,  77  bezieht.  Beide  hftlt  f&r 
identisch  Hoppichler. 

»)  Dieselben  sind  unter  dem  Titel  Prae- 
exercitamenta  von  Priscian  ins  Lateinische 
fibersetzt.  Scholien  dazu  von  Dozopatres  u.  a. 
bei  Walz  Rhet.  gr.  t.  II. 

*)  HoppicHLEB,  De  Theone  Hermogene 
Aphthonioque  progjnoinasmatum  scriptoribus» 
Würzbarg  1884.  P.  Schäpbb,  De  Aphthonio 
sophista,  Breslau  1854.  Guter  Artikel  von 
Bbzoska  bei  Wissowa.  Verschieden  ist  Aelius 
Festas  Aphthonius,  von  dem  nach  einer  sub- 
scriptio  des  4.  Buches  der  grössere  Teil  der 
unter  dem  Namen  des  Marius  Victorinus 
gehenden  lat  Grammatik  herrfihrt. 

^)  Die  Progymnasmata  des  Aphthonios 
Handtraeli  der  Ums.  Altertumswlneiuohaft.    Vn. 


hatten  im  Mittelalter  grosses  Ansehen  in  den 
Schulen,  so  dass  im  10.  Jahrb.  loannes  Geo- 
metra  zu  ihnen  einen  Kommentar  schrieb,  den 
Doxopatres  fieissig  benutzte;  s.  Gbaevbn,  Cor- 
nuti  art.  rhet.  epitome  p.  XXI;  Ebukb acher 
Byz.  Lit.^  735. 

')  Suidas  unt.  NixoXaog^  wo  von  ihm  auch 
fÄsXhat  ^rixoQixai  angeführt  sind.  Gedruckt 
sind  die  Progymnasmata  bei  Walz  I  266 
bis  420. 

^)  lieber  Severus  s.  unten  §  605. 

^)  Nach  der  Zahl  der  Bücher  ist  auch  das 
indische  Fabelbuch  Panäatantram  —  Fünf- 
bücherbuch genannt. 

•)  Suidas  unt.  TiixoaxQatog '  syQn\pe  dexa- 
/ÄV&iay,  eUoyag  xal  iyxtofjLia  Big  re  roy  Mdq~ 
xoy  xal  äXXovg. 

^^)  Hermogenes  de  ideis  II  12,  3:  Nixo- 
<rr^aro(  xal  ftv&ovg  avtog  noXXovg  enAoMTfv, 
ovx  Jiaioneiovg  fAoyov  dXV  oXovg  eiyal  ntag 
xai  ^QafJittXixovg. 


8.  Aufl. 


48 


754  Grieohisohe  LitteratnrgeBohiohte.    n.  VaohklasBiBohe  Littentnr. 

547.  Hermogenes  aus  Tarsos ^)  mit  dem  Beinamen  o  ^wrti/JQ^  war 
ein  frühreifes  Wunderkind,  indem  er  schon  als  Jüngling  zu  solchem  An- 
sehen als  Redner  kam,  dass  der  Kaiser  M.  Aurel  ihn  des  Besuches  seiner 
Vorlesungen  würdigte.»)  Aber  zum  Manne  herangewachsen,  ging  er  früh- 
zeitig geistig  zurück,*)  so  dass  der  Sophist  Antiochos  spottend  von  ihm 
sagte:  ovTog  ^EQfioyävrfi  6  iv  naial  fikv  y*'^wi',  iv  6h  yrjQMxovci  naTg.  Gleich- 
wohl stand  er  bei  den  nachfolgenden  Qeschlechtern  mit  seinen  in  frühen 
Jahren  geschriebenen  Büchern  in  solchem  Ansehen,  dass  er  bei  den  Byzan- 
tinern der  Techniker  schlechthin  hiess,  wie  Homer  der  Dichter  und  Demo- 
sthenes  der  Redner.  Aber  dieses  Ansehen  verdankte  er  nur  der  Be- 
schränktheit seiner  Verehrer;  thatsächlich  war  er  ein  mittelmässiger  Kopf, 
der  nur  die  Kunst  besass,  für  Leute,  welche  ohne  grosse  Anstrengung  die 
Hauptsätze  der  Rhetorik  sich  aneignen  wollten,  ein  handliches  Kompendium 
zu  schreiben.  Neue  Ideen  hat  er  in  die  Rhetorik  nicht  eingeführt;  gleich- 
wohl haben  wir  von  vielen  Sätzen  der  rhetorischen  Theorie  nur  durch  ihn 
Kenntnis.  Unter  seinen  Büchern  standen  in  der  Praxis  die  Progymnas- 
mata  voran;  sein  Hauptwerk  aber  ist  die  rs'xrrj  ^r/voQixrj.  Dieselbe  zer- 
fällt in  die  Lehre  von  den  Rechtsfällen  {negl  axdaeiov^  Status  causae),  von 
der  Erfindung  {ne^fl  evQäffewg,  inventio)  in  vier  Abschnitten,  von  den  Stil- 
arten {ticqI  iSewv)  in  zwei  Abschnitten  mit  einem  Anhang  nsQi  fie&oSov 
d€iv6tr]Tog.  Am  wichtigsten  ist  von  diesen  Teilen  der  über  die  Stilarten, 
der  auch  von  praktischer  Wichtigkeit  für  die  Gegenwart  ist,  da  eine 
solche  Schulung  in  den  verschiedenen  Arten  des  Stils  unsere  Schulpraxis 
noch  nicht  kennt. ^)  Die  Lehrsätze  des  Hermogenes  haben  in  der  Folge- 
zeit kanonisches  Ansehen  erhalten,  so  dass  dieselben,  namentlich  die  über 
die  azdaeig^  massenhaft  abgeschrieben  und  fleissigst  kommentiert  wurden. 

Kommentatoren,  ältere:  Metrophanes  ans  Eukarpia  in  Phrygien,  worüber  Snidas 
und  Walz  IY  294,  nicht  erhalten;  Syrianos,  der  bekannte  Neuplatoniker  dea  5.  Jahr- 
hunderts, ed.  Rabb  in  Bibl.  Teubn.  vol.  II;  Sopatros  der  Jüngere,  Lehrer  der  Beredsamkeit 
in  Athen  um  500,  (verschieden  nach  Suidas  von  dem  gleichnamigen  Philosophen,  einem 
Schaler  des  JambUchos),  der  auch  eine  selbständige  rhetorische  Schrift,  cftoc^^K 
Zi]itjfitti(op^  hinterlassen  hat  (gedruckt  bei  Walz  t.  VIII);  Markellinos,  der  wahr- 
scheinlich mit  dem  Verfasser  des  Lebens  des  Thukydides  identisch  ist  und  derselben 
Zeit  wie  Sopater  oder  einer  etwas  älteren  angehört  (Syiiani  Sopatri  et  MarceUini 
scholia  ad  Hermogenis  Status,  gedruckt  bei  Walz  Rhet.  gr.  t.  IV);  Troilos  (um  400), 
Lehrer  des  Eirchenhistorikers  Sokrates,  Verfasser  dUrftiger  Prolegomena  zur  Rfaetoiik  des 
Hermogenes,  mitgeteilt  Walz  VI  42—55;  Phoibammon  aus  Aegypten,  Verfasser  der 
Einleitung  sig  t6  Tie^i  ideioy  'EQfjioyivovg.  —  Weitläufige  Kommentare  lieferte  das  byzan- 
tinische Mittelalter;  handschriftlich  sind  von  demselben  erhalten  und  unverdient«rweise 
jetzt  auch  grösstenteils  durch  den  Druck  veröffentlicht:  Schollen  von  Planudes  bei  Walz 
t.  V;  Joannes  Doxopatres  aus  Sikilien  (11.  Jahrb.,  nach  Bdbsian  Abh.  d.  bayer.  Akad. 
XVI  13),  wovon  Prolegomena  und  Schollen  bei  Walz  V  1—211.  VI  1—32.  56—504,  Exzerpte 
bei  Gramer  An.  Oxon.  IV  155—169,  Notiz  über  Kommentare  in  cod.  Vindob.  130  von  R- 
FöRSTER  M61.  Graux  p.  680;  Gregorios  von  Eorinth  (um  1150),  dessen  weitläufiger  Kom- 
mentar zu  Hermogenes  tibqI  jueffodov  de^yoTtjtog  bei  Walz  VE  1089  —  1352,  wozu  Wblckbb, 
Gr.  Trag.  p.  777;  Georgios  Diairetes,  Christophoros,  der  vor  Eustathios  lebte  und 
von  dessen  Kommentar  Rabe  Rh.  M.  50,  241  ff.  Mitteilung  macht.     Der  Kommentar   des 

^)  Philostratos  vit.  soph.  II  7;  aus  ihm   {  um  das  24.  Jahr  den  Verstand  verlieren  Utest 


schöpfte  Suidas.  Ein  älterer  Hermogenes  hatte 
Über  Phrygien  geschrieben,  worüber  Mülles 
FHG  HI  528. 

*)  Cassius  Dion  LXXI  1,  4. 

')  Suidas  Übertreibt,  wenn  er  ihn  schon 


Philostratos,  seine  einzige  Quelle,  sagt  nmr: 
ig  di  äy&gag  ^xt^y  dtpff^iStj  tfjy  ßir. 

*)  Ueber  die  verwandte  Sdiiift  des  Aii- 
stides  TTf^  noUxMov  xal  ätpeXovg  hiywf  s. 
§  521  Anm. 


B  a)  BOmiMhe  Periode  yor  Konstantin.  8.  Die  Prosa.  1)  Die  Bhetorik.  (§§  547—550.)  755 


Enstathios,  worüber  Fuhb  Rh.  M.  51,  45  ff.,  ist  yerloroD  gegangen.  Ausser  den  Kom- 
mentaren mit  Namen  noch  viele  anonyme,  gedruckt  bei  Walz  t.  IY.  VT.  VII.  Auch  metrische 
Erläuterungen  in  politisohen  Versen  schrieben  Tzetzes  und  Psellos,  publiziert  von  Waxz 
in  670  -703. 

648.  Noch  vor  Hermogenes  fällt  der  Verfasser  der  växvtj  xov  noh- 
Tixo?  loyov  (Rhet.  gr.  I  427—460  Sp.),^)  welche  ehedem  anonym  lief,  von 
dem  neuesten  Herausgeber  Graeven  aber  dem  Cornutus  zugeschrieben 
wird.  Dieselbe  nimmt  unter  den  rhetorischen  Schriften  der  Eaiserzeit  eine 
hervorragende  Stelle  dadurch  ein,  dass  sie  auf  die  abweichenden  Defini- 
tionen und  Lehrsätze  der  Vorgänger  Rücksicht  nimmt.  Als  solche  er- 
scheinen ausser  Aristoteles  und  den  Anhängern  des  Apollodor  vorzüglich 
Theodoros,  Alexandres  Numeniu,  Zenon,^)  Neokles  und  Harpokration.  Es 
kann  demnach  unsere  Schrift  nicht  vor  Mitte  des  2.  Jahrh.  n.  Chr.  ge- 
schrieben sein,  schwerlich  aber  auch  nach  dem  2.  Jahrh.,  da  sie  den  Her- 
mogenes, die  grösste  Auctorität  bei  den  Späteren,  völlig  ausser  Acht 
lässt.«) 

549.  Von  den  Technographen  nach  Hermogenes  ist  uns  näher  be- 
kannt Apsines^)  aus  Gadara,  der  in  Athen  lehrte  und  unter  Kaiser  Maxi- 
minus (235—8)  die  Würde  eines  Konsul  bekleidete.  Derselbe  war  Schüler 
des  Basilikos  und  Freund  des  mittleren  Philostratos.  Auf  uns  gekommen 
ist  uns  von  ihm  eine  Thx^rj  ^rjTOQixrj  (Rhet.  gr.  I  329  bis  424  Sp.),  die  kein 
ausgebildetes  Lehrgebäude  der  Rhetorik  ist,  sondern  nur  in  abgerissener 
Form  einige  Punkte  der  gangbaren  Lehrbücher  ergänzt.  Der  zweite  Teil 
derselben  hat  den  speziellen  Titel  negl  zSv  iaxrj^iatiaiitviov  nQoßXrjfxccToyVy 
oder  über  Verstellungsreden,  von  welcher  Art  von  Reden  wir  bereits  oben 
§  464  einen  Abschnitt  in  der  Rhetorik  des  Ps.  Dionysios  kennen  gelernt 
haben. 

Minukianos,  der  unter  Gallien  (260—8)  lebte  und  nach  Suidas  eine 
t^X^fj  ^fjtoQixij  und  TiQoyvfivda^aTa  schrieb,  hat  ein  kleines  Bruchstück 
TiBQi  intx^ii(i]iid%fa%\  von  den  Beweisen,  hinterlassen,  das  nach  der  Über- 
schrift von  andern  seinem  Vater  Nikagoras  zugeschrieben  wurde.  ^) 

Ruf  US  aus  unbestimmter  Zeit  ist  Verfasser  des  kurzen  und  unbe- 
deutenden Abrisses  der  vexv^]  ^r/voQixij  bei  Spengel  I  463—9. 

550.  Menandros  aus  Laodikea  am  Lykos,  welcher  in  der  Zeit  nach 
Hermogenes  und  Minukianos  gelebt  haben  muss,  da  er  zu  diesen  nach 
dem  Zetugnis  des  Suidas  Kommentare  schrieb,  ist  uns  als  Verfasser  von 
Scholien  zu  Demosthenes  und  zu  dem  Panathenaikos  des  Aristides  bekannt 
und  wird  in  den  Handschriften  als  Autor  zweier  Traktate  über  Festreden 
{ne^i  imSfixTixwv  Rhet.  gr.  HI  329—466  Sp.)  genannt.  Von  diesen  ist  der 
erste  am  Schluss  und  der  zweite  am  Anfang  verstümmelt.    Beide  sind  in 


')  Erste  Ausgabe  von  SiouiER  de  St. 
Bbisbon,  Paris  1840  aus  cod.  Par.  1874;  die 
neueste  von  Gbaeyen  unter  dem  Titel  Gor- 
Duti  artis  rhetoricae  epitome,  Berl.  1890. 

*)  Ein  Zenon  lebte  unter  den  Antoninen 
nach  Philostr.  vit.  soph.  II  24. 

')  Graeven  a.  0.  setzt  den  Verfasser  der 
Sehlift  ins  3.  Jahrb.,  da  Harpokration,  den 
derselbe  unter  seinen  Quellen  nennt,  die  Lehre 


des  Hermogenes  bekämpft  hatte. 

*)  Suidas  erwähnt  2  Sophisten  Apsines: 
einen  älteren  aus  Gadara,  und  einen  jüngeren 
aus  Athen.  Hajimbb,  De  Apsine  rhetore, 
Günzburg  Progr.  1876. 

^)  Verschieden  ist  ein  älterer  Rhetor 
Minukianos,  der  vor  Hermogenes  lebte,  wor- 
über Grabvbn,  Minuciani  artis  rhet.  epitome 
p.  XXIK. 

48* 


756 


Grieohiflohe  LittaratargeBOhiohte,    U.  VaohklMsisohe  Litteratnr. 


der  gleichen  Atmosphäre  der  mittleren  Sophistik,  etwa  um  270,^)  ent- 
standen, können  aber  nicht  als  Teile  eines  Werkes  und  schwerlich  auch 
nur  als  Schriften  eines  Autors  gelten.*)  Der  erste  Traktat,  mit  dem  genauen 
Titel  6iaiQ€<Ttg  twv  imdeixtixdv,  trägt  im  cod.  Paris.  1741  die  Überschrift 
MtvttviQov  ^TjTOQog  r€V€^kiwv  (rj  Fere^Xiov  var.  lect.  der  gleichen  Hand), 
woraus  man  schliessen  könnte,  dass  einige  diesen  Traktat  dem  Genethlios 
aus  Petra  in  Palästina,  einem  Schüler  des  Minukianos,^)  zugeschrieben 
haben.  Aber  Bursian,  der  mit  reicheren  Hilfsmitteln  die  beiden  Schriften 
neu  herausgegeben  und  die  litterarische  Kontroverse  geklärt  hat,  schreibt 
mit  grösserer  Wahrscheinlichkeit  die  erste  Abhandlung  unserem  Menander 
und  die  zweite  einem  anonymen,  aus  der  Troas  stammenden  Rhetor  zu, 
weil  in  der  letzteren  wiederholt^)  das  troische  Alexandria  als  Heimat  des 
Verfassers  bezeichnet  ist. 

551.  Longinos,  mit  dem  Gentilnamen  Gassius  und  dem  Ehren- 
namen Philologos,^)  war  einer  der  angesehensten  Rhetoren  des  3.  Jahr- 
hunderts und  wird  von  Eunapios,  vit.  soph.  p.  456  a  2,  wegen  seiner  grossen 
Belesenheit  eine  lebende  Bibliothek  {ßißhoÖr,xri  i/jiipvxog  xal  negmccrovr 
lAovaelov)  genannt.  Derselbe  hat  sich  als  Rhetor  wie  als  Philosoph  einen 
Namen  gemacht^)  und  zählte  sogar  einen  namhaften  Philosophen,  den 
Neuplatoniker  Porphyrios,  zu  seinen  Schülern. '')  Er  lehrte  zu  Athen, 
ward  aber  in  die  politischen  Wirren  des  römischen  Kaiserreichs  gezogen 
und  nach  dem  Falle  von  Palmyra  als  Anhänger  der  Zenobia  von  Kaiser 
AureUan  hingerichtet  (273).  Suidas  erwähnt,  wie  gewöhnlich,  nur  einen 
Teil  seiner  Schriften  mit  Namen,  und  zwar  nur  solche,  die  inzwischen  ver- 
loren gegangen  sind  {djioQr^fxaTa  ^OfuirjQixäy  ei  (piX6ao<pog  "Ojuij^og,  ngoßkrj- 
fiara  ^OiJii^Qov  xai  Xvaetg,^)  'Atuxwv  kä^eoDv  ixioaeig  ß');  gerade  die  bedeu- 
tendste, die  philologischen  Unterhaltungen,  von  der  er  den  Zunamen  Phi- 
lologos  erhielt,  ist,  weil  sie  in  der  alphabetisch  geordneten  Vorlage  des 
Lexikographen  am  Schlüsse  stand,  nicht  erwähnt.®)  Erhalten  sind  uns 
unter  seinem  Namen,  ausser  Prolegomena  zu  dem  Metriker  Hephästion 
und  einem  Brief  in  dem  von  Porphyrios  hinterlassenen  Leben  Plotins,  das 
Bruchstück  einer  Rhetorik  (Rhet.  gr.  I  299—320  Sp.)  und  das  berühmte 


^)  Bdbsian,  Der  Rhetor  Menandros  und 
seine  Schriften,  in  Abhdl.  d.  b.  Ak.  t.  XVI 
(1882)  S.  17  Bchliesst  aus  der  Erwähnung  der 
noXets  KttQTtiai  p.  358,  29  Sp.,  dass  wir  den 
Menandros  von  Laodikea  oder  den  Verfasser 
des  1.  Traktats  in  die  Zeit  nach  Diokletian 
zu  setzen  haben. 

«)  BüRsiAN  a.  0.  18  ff. 

*)  Suidas  unt.  Tepi^Xio^  nennt  ihn  ausser- 
dem einen  Rivalen  des  Rhetor  Kallinikos, 
der  in  dem  2.  Traktat  p.  370,  U  u.  386,  30 
citiert  wird.  Nitschb,  Der  Rhetor  Menandros 
und  die  Scholien  zu  Demosthenes,  Berl.  Progr. 
1883  weist  Uebereinstimmungen  mit  dem 
Grundstock  der  Demosthenesscholien  nach. 
QA  IIJ"^^  bestimmtesten  p.  437,  10;  439,  20. 
30;  440  10;  442,  1.  20;  4U,  3.  38  in  der  Lob- 
rede  auf  den  Apollo  Smintheus,  aber  auch 


sonst  p.  387,  6;  426,  12.  23;  429,  1. 

^)  BüHNKEN,  Disputatio  de  vita  et  acriptis 
Longini,  1776,  in  Opusc.  I  488—528. 

^)  Longin  heisst  tfiXöcoipö^  bei  Suidas, 
bei  Vopiscus,  vit.  Aurel.  30  und  in  den 
Hephästionscholien.  Porphyrios,  vit.  Plotini 
p.  XXX  K.  erwähnt  von  ihm  2  philosophische 
Schriften  ns^l  or'^/cJt^und^iAcr^jirfffo;;  ausser- 
dem schrieb  er  Kommentare  zum  Timaios 
und  Phaidon.  Als  Philosoph  hatte  er  den 
Ammonios  und  Origenes  zu  Lelirera. 

')  Suidas  unt.  Aoyylyo^  und  Eunapios  a.0. 

^)  Man  erkennt  daraus  den  Lehrer  des 
Porphyrios,  des  Verfassers  der  homerischen 
Probleme. 

*)  Die  ^iXoXoyoi  ofiiXiat  hatten  minde- 
stens 21  B.;  8.  Rhet  gr.  VI  225  n.  VII  968 
ed.  Walz. 


Ba)  BOmiBohe  Periode  Tor  Konstantin.  8.  Die  Prosa.  1)  Die  Bhetorik.  (§  551.)     757 


Buch  nsgi  vtpovg  oder  vom  Erhabenen.  ^  Die  Rhetorik  handelt  in  Kürze 
von  den  Mitteln  der  Rede  {a^oQfxai  Xoyov)^  der  Ökonomie,  dem  sprachlichen 
Ausdruck,  dem  Vortrag,  dem  Gedächtnis,  indem  der  Verfasser,  ohne  irgend- 
wie in  die  Tiefe  zu  gehen,  einem  Schüler  ermunternde  Anweisungen  zur 
Redekunst  gibt.  Dass  Longin  diese  Anleitung,  die  in  den  Handschriften 
mitten  in  die  Rhetorik  des  Apsines  hineingeschoben  ist,  verfasst  habe,  hat 
mit  glänzendem  Scharfsinn  Ruhnken  erkannt,  indem  er  auf  die  Identität 
eines  von  den  byzantinischen  Kommentatoren  des  Hermogenes  (bei  Walz 
V  451  u.  VI  119)  aus  Longinos  Philologos  citierten  Satzes  mit  einer  Stelle 
unseres  Abrisses  p.  310,  10—12  hinwies.»)  Auf  die  Rhetorik  lässt  Spengel 
in  den  Rhet.  gr.  I  325—8  höchst  wertvolle  Exzerpte  «x  tdiv  Aoyyhov  folgen, 
welche  zuerst  Egger  aus  einer  Florentiner  Handschrift  (Laur.  24, 58)  heraus- 
gegeben hat,  die  aber  Spengel  selbst  dem  Longin  abspricht.  Dieselben 
sind  allerdings  nicht  aus  der  Rhetorik  unseres  Autors  exzerpiert,  enthalten 
aber  vielleicht  Auszüge  aus  dessen  (PilöXoyoi  o(xiX(ai,  Ihre  Zeit  bestimmt 
sieh  daraus,  dass  sie  ausser  einem  Hinweis  auf  Longin')  ein  Urteil  über 
den  Rhetor  Aristides  enthalten. 

Weit  interessanter  ist  die  Schrift  vom  Erhabenen  {negl  vipovg),  in 
welcher  der  Autor  zur  Ergänzung  und  Berichtigung  einer  ähnlichen  Ab- 
handlung des  berühmten  Rhetors  Cäcilius^)  zuerst  das  Wesen  des  Er- 
habenen feststellt  und  dann  in  kenntnisreicher  Weise  die  Quellen  oder 
Mittel  des  erhabenen  Stils  nachweist.  Das  Hauptinteresse  erregten  gleich 
bei  dem  ersten  Bekanntwerden  des  Buches  die  vielen  Gitate  aus  klassi- 
schen Autoren,  insbesondere  die  Einlage  eines  Gedichtes  der  Sappho  (c.  10). 
Aber  auch  abgesehen  davon  ist  die  Schrift  ein  wertvolles  Denkmal  der 
von  den  Alten  geübten  ästhetischen  Kritik  {xQiaig  /roti^/iarwr),  welche  die- 
selben als  einen  Teil  der  Grammatik,  und  zwar  als  den  vorzüglichsten  der- 
selben ansahen.  Dieselbe  ist  vom  Verfasser  mit  ebenso  grosser  Feinheit 
des  Urteils  als  umfassender  Gelehrsamkeit  geübt:  er  zieht  Dichter  wie 
Prosaiker,  Schriftsteller  der  klassischen  wie  der  alexandrinischen  Zeit 
heran;  unter  anderm  gibt  er  auch  eine  geistvolle  Parallele  zwischen  Cicero 
und  Demosthenes.  Über  die  Person  und  die  Zeit  des  Verfassers  herrschte 
schon  im  Altertum  Zweifel;  das  ersieht  man  aus  der  Überschrift //iovrcioi; 
rj  Aoyyivov  nsQi  vif)ovq.  Wahrscheinlich  lief  das  Buch,  das  einem  gewissen, 
sonst  nicht  näher  bekannten  Terentianus  gewidmet  ist,  ehedem  anonym, 
und  sind  beide  Namen  geraten  und  dieses  falsch.  Auf  den  Dionysios  riet 
man,  weil  man  unberechtigter  Weise  die  Stelle  c.  39,  1  vnhq  ffvvd^äaswq 
iv  dvclv  änoxQ(ovT(og  änoiedfoxoTsg  avvtdyiiaai  auf  das  Buch  des  Dionysios 
ncqi  cwö-sastag  ovofjiatwv  bezog.  Eher  könnte  man  glauben,  dass  mit  dem 
zweiten  Namen,  Longin,  das  Richtige  getroffen  sei:  der  ganze  Charakter 


1)  Ob  die  von  Eusebios  benfitzten  Chro- 
nika  des  Gasains  Longinns  in  18  B.  von  nn- 
aerem  Longinua  herrflhren,  ist  zweifelhaft,  da 
sie  nur  bia  228  reichten;  a.  Müllbb  FHG 
m  688. 

s)  Nftherea  bei  Walz  t.  IX  p.  XXm  aq. 

»)  p.  325,  7  Sp.:  ort  6  'jQKftotiXtjs  tovg 
nttvra    fAeTag>dQoytag     alviyfAata     yQdg>uy 


iXeyev  Sio  X4yov9iv  {Xiyst  emend.  Ruhnken) 
Aoyylvog  airayitog  xe/^^<r^ai  xal  jovxto  z^ 
etdet. 

*)  RoTHSTEiv,  Cftcilios  von  Kaiakte  und 
die  Schrift  vom  Erhabenen,  Herrn.  28  (1888), 
1 — 20;  CoBLBNTz,  De  libelli  n.  v.  anctore, 
Disa.  Argent.  1888. 


758 


Griechische  LitteratargcBchiohte.    II.  Vachklassische  litteratnr. 


des  Buche»  passt  trefflich  zu  dem  Beinamen  o  xQivixog,  den  man  dem 
Cassius  Longinus  gab;^)  der  philosophische  Charakter  des  ersten  Kapitels 
und  die  vielen  Citate  aus  Piaton  stimmen  gut  zur  philosophischen  Ricli- 
tung  unseres  Longin.  Aber  das  alles  reicht  zur  Begründung  der  Vater- 
schaft nicht  aus  und  vermag  nicht  die  entgegenstehenden  Bedenken  zu 
entkräften.  Nicht  bloss  verrät  die  Sprache  und  der  fast  triviale  Charakter 
der  echten  Schriften  des  Longin  keine  Verwandtschaft  mit  dem  vorzüg- 
lichen Buche  vom  Erhabenen;  auch  der  Umstand,  dass  in  dem  letzteren 
die  Hauptrhetoren  der  antoninischen  Zeit,  Alexandres  Numeniu  und  Her- 
mogenes,  vollständig  ignoriert  und  nur  Schriftsteller  aus  der  Zeit  vor 
Tiberius  angeführt  werden,»)  verbietet  uns,  mit  dem  Verfasser  bis  in  die 
Mitte  des  3.  Jahrhunderts  herabzugehen.  Wir  schliesen  uns  daher  der 
Meinung  der  Neueren')  an,  dass  der  Verfasser  unseres  Buches  ein  Ano- 
nymus ist,  der  im  1.  Jahrhundert  bald  nach  Cäcilius  und  vor  Hermogenes 
lebte.*) 

Das  Buch  negl  v^ovg  iat  erhalten  dm-ch  den  cod.  Paria.  2036,  von  dem  alle  anderai 
Handscliriften  abstammen.  Kommentierte  Ausgabe  mit  den  Noten  der  FrCkheren  (Toa]», 
Ruhnken,  Larcher)  von  Weiskb  1809;  kritische  Ausgabe  mit  Proleg.  von  0.  Jabjt  (1867), 
neubearbeitet  von  Vablen,  Bonnae  1887.  Textesausgabe  in  den  Rhet.  gr.  I  von  Spshobi- 
Hammbb  18d4. 

m)  Die  Grammatik.») 
562.  Die  grammatischen  Studien  waren  in  der  letzten  Zeit  der  römi- 
schen Republik  durch  Didymos,  Tyrannion,  Alexander  Polyhistor  und  andere 
von  den  alten  Sitzen  der  Gelehrsamkeit  nach  Rom  verpflanzt  worden.  Da- 
durch wurden  nicht  bloss  die  Römer  zur  Durchforschung  ihrer  eigenen 
Sprache  und  Litteratur  angeregt,  sondern  erblühten  auch  in  Rom  gram- 
matische Schulen  der  Griechen.  Daneben  blieben  Athen  und  in  noch 
höherem  Grade  Alexandria  und  Pergamon  ^)  mit  ihren  reichen  litterarisehen 
Hilfsmitteln  treue  Pflegerinnen  der  philologischen  Gelehrsamkeit.  Auch  in 
anderen  Städten  Griechenlands  und  Kleinasiens,  wie  Smyma,  Tarsos,  Bery- 
tos,  Byblos,  führte  schon  der  Bildungs-  und  ünterrichtsgang  zur  Errich- 
tung und  Erhaltung  grammatischer  Schulen.  Aber  die  Zeit  der  grossen 
Philologen  und  selbständigen  Forscher  war  vorüber;  selbst  ApoUonios  Dys- 
kolos  und  Herodian,  welche  sich  des  meisten  Ansehens  unter  den  Gram- 
matikern unserer  Periode  erfreuten,  und  deren  Sätze  die  Richtschnur  für 


^)  Suidas  unt.  ^Qoyraty;  Photios  p.  492a, 
29;  EunapioB  p.  456a,  18. 

')  Dass  auch  der  c.  13,  3  citierte  Am- 
monios,  der  die  Nachahmungen  Homers  bei 
Piaton  zusammengeschrieben  haben  soU,  nicht 
der  Neuplatoniker  Ammonios  sei,  sondern  der 
Aristarcheer,  dessen  Buch  tisqI  xtHy  vno 
nXdttjyos  fAexfjvsyfjidpfoy  i^  'Of^tjgov  auch  in 
den  alten  Homerscholien  (A)  zu  II.  1 540  citiert 
wird,  hat  Röprr  PhÜ.  I  630  nachgewiesen.  — 
Auch  der  Sprachgebrauch  des  Buches  tibqI 
vtjfovs  zeigt  keine  Spur  von  einem  Einfluss 
des  Atticismus. 

')  BccBBHAU,  De  scriptore  libri  nBQi 
vipovs,  Marb.  1849,  denkt  an  die  Zeit  des 
Vespasian;  weiter  hinauf  geht  Martems,  De 


libello  nsQl  vtpovs^  Bonn  1877,  der  die  Blflte 
unseres  Rhetors  unter  Tiberius  setzt  Beach- 
tenswert ist,  dass  der  Verfasser  c.  9  Kennt- 
nis der  Genesis  zeigt;  s.  Bernays,  Ges.  AbL 
I  353  und  Mommsbn,  R5m.  Gesch.  V  494 
und  551. 

*)  Wenn  ich  auf  einen  Namen  raten 
sollte,  80  würde  ich  am  ehesten  an  Tbeon 
denken,  der  ein  Buch  ne^  o-vrrcfleoK  Hyov 
geschrieben  hatte. 

'^)  Ueber  die  Litteratur  im  aUgemeinen 
s.  §  419. 

*)  Zahlreiche  Grammatiker  unserer  Pe> 
riode  heissen  bei  Suidas  'Als^uy^^H.  Als 
Pergamener  werden  b^Beichnet  Demetiios 
Ixion  und  Telephos. 


B  a)  BOm.  Periode  vor  Konstantin.  8.  Die  Proaa.  m)  Die  Grammatik.  (§§  552—553.)     759 

die  nachfolgenden  Generationen  bildeten,  verarbeiteten  nur  dasjenige,  was 
Aristarch  und  die  Alexandriner  erforscht  hatten.  Dazu  kam,  dass  seit 
Hadrian  das  steigende  Ansehen  der  Sophistik  den  trocknen  Studien  der 
Grammatik  hinderlich  in  den  Weg  trat  und  höchstens  nur  in  stiUstischem 
Interesse  die  Richtung  der  Attikisten  begünstigte.  —  Innerhalb  unserer 
Periode  trat  ein  merklicher  Unterschied  zwischen  den  Grammatikern  vor 
und  nach  Hadrian  hervor:  im  Anfang  überwogen  noch  die  Empiriker,  die 
teils  auf  den  verschiedensten  Gebieten  der  grammatischen  Erudition  sich 
bewegten,  teils  der  Kritik  und  Erklärung  der  Autoren,  jetzt  nicht  mehr 
ausschliesslich  der  alten,  sondern  auch  der  alexandrinischen  ihre  Studien 
zuwandten.  Von  dem  2.  Jahrhundert  an  bekamen  die  Systematiker  die 
Oberhand,  welche  sich  die  Ausbildung  des  Lehrgebäudes  der  Grammatik 
und  Metrik  und  überdies  die  Anlage  zusammenfassender  Werke  über  Lexi- 
kographie und  Litterarhistorie  angelegen  sein  Hessen. 

Grammatiker  des  1.  Jahrhunderts. 

568.  Juba  (um  50  v.  Chr.  bis  23  n.  Chr.)i)  ^ar  nicht  der  König 
unter  den  Grammatikern,  aber  ein  Grammatiker  königlichen  Geblütes. 
Nachdem  sein  Vater,  der  König  von  Numidien  und  Mauritanien,  den  Waffen 
der  Römer  unterlegen  war  (46  v.  Chr.),  kam  er  selbst  als  junger  Mensch 
nach  Rom  in  die  Kriegsgefangenschaft,  ward  aber  später  von  Oktavian 
wieder  mit  einem  Teil  seines  väterlichen  Reiches  belehnt.  In  der  Ge- 
fangenschaft hatte  er  sich  mit  den  Studien  befreundet,  so  dass  er  einer 
der  gelehrtesten  Männer  seiner  Zeit  wurde:  ändvTwv  taxoQixdratog  ßaai- 
lewv  heisst  er  bei  Plutarch  im  Leben  des  Sertorius  c.  9;*)  die  Athener 
setzten  ihm  im  Gymnasium  des  Ptolemaios  ein  Standbild,  das  noch  Pau- 
sanias  sah.^)  Seine  Studien  galten,  ähnlich  wie  die  des  Alexander  Poly- 
histor, vornehmlich  der  historischen  und  antiquarischen  Seite  des  Alter- 
tums; aus  ihnen  gingen  seine  altrömische,^)  libysche,^)  arabische,^)  assy- 
rische Geschichte  hervor,  aus  ihnen  auch  sein  Hauptwerk  'O/xoiotrjzeg  in 
mindestens  15  B.,  in  welchem  er  an  der  Hand  des  Yarro  die  Ähnlich- 
keiten römischer  Sitten  mit  denen  anderer  Völker  verzeichnete.')  Ein 
Kapitel  der  Kunstgeschichte  behandelte  er  in  dem  Buch  über  Malerei  und 
Maler  {ne^i  yqa(pixrjq  xal  negl  CH^yga^av),  von  dem  bei  Harpokration  ein 
achtes  Buch  citiert  wird.  Viel  benutzt  von  den  Späteren  wurde  seine 
0€avQixr^  IcTOQla^  worin  von  den  musischen  Agonen,  Dichtern,  Schauspielern, 
Musikern  gehandelt  war.  ^)    In  seinen  philosophischen  Liebhabereien  neigte 

^)  Siiidas  nnt.  ^loßag.  lieber  das  Todesjahr  |   tauschen  Feldzug  nach  Plinins  n.  h.  VI  141. 
des  Juba,  19  oder  23  n.  Chr.,  s.  S.  684  Anm.  3.   |  '')  Die  historischen  Schriften  des  Juba 


*)  Aehnlich  Flui.  Caes.  55,  Anton.  87; 
PUnius  n.  h.  V  1,  16;  Ath.  83b. 

*)  Paus.  I  17,  2;  bezflglich  des  Platzes 
war  von  Einfluss,  dass  er  mit  einer  Tochter 
der  Eleopatra,  Selene  mit  Namen,  verhei- 
ratet war. 

*)  Als  'Pto/4aixfj  aQX^iioXoyia  citiert  von 
Stephanos  Byz. 

^)  Benutzt  von  Appian,  worftber  Gut- 
scHxiD  Kl.  Sehr.  V  346  ff. 

*)  Geschrieben  waren  die  'AQaßixä  zur 
Orientierung  des  C.  Caesar  für  seinen  orien- 


wurden  viel  benutzt  von  Plutarch,  Appian  und 
Cassius  Dio,  worüber  Schäfbb,  Quellenkunde 
11*  95;  H.  Pbter,  üeber  den  Wert  der  histo- 
rischen Schriffcstellerei  von  König  Juba  11, 
Meissen  1879.  Die  Wundergeschichten  der- 
selben bildeten  namentlich  eine  reiche  Fund- 
grube für  Plinius  und  Solinus. 

^)  RoHDE,  De  Pollucis  fontibus  sucht  in 
dieser  Schrift  eine  Hauptquelle  des  PoUuz, 
was  Bafp  Leipz.  Stud.  VUI  110  ff.  insofern 
beschränkt,  als  er  zwischen  Juba  und  Polluz 
den  Lexikographen  Tryphon  einschiebt. 


760 


QrieohMche  Litteraturgesohiohte.    ü.  NachklasBisohe  Litteratnr. 


er  sich  der  Sekte  der  Neupythagoreer  zu.^)  Als  einen  bahnbrechenden, 
scharfsinnigen  Forscher  bewährte  sich  Juba  nirgends,  wohl  aber,  wie  dieses 
bei  Leuten  seines  Schlages  öfters  vorkommt,  als  einen  unterrichteten  Mann 
und  guten  Eompilator.  Die  Fragmente  gesammelt  bei  Müller  FHG  Hl 
465—484. 

564.  Tryphon*)  aus  Alexandria  war  jüngerer  Zeitgenosse  de&Didy- 
mos  und  blühte  unter  August.  Treu  den  Traditionen  der  alexandrinischen 
Schule  beschäftigte  er  sich  vornehmlich  mit  dem  sprachlichen  Teil  der 
Philologie.  Seine  bedeutendsten  Leistungen  lagen  auf  dem  Gebiet  der 
Dialektforschung,  der  lokalen  wie  der  litterarischen.»)  Eine  reiche  Aus- 
beute für  die  Späteren  bildete  auch  sein  nach  Sachtiteln  angelegtes  Lexi- 
kon nsQi  dvofiaffuav.  Von  seinen  Traktaten  über  die  Wortveränderungen 
{71€qI  nat^wv)  und  über  die  Hauche  {neQi  nvev^azwv)  sind  uns  elende  Ex- 
zerpte erhalten.*)  Neuerdings  ist  auch  aus  einem  ägyptischen  Papyrus 
(Kenyon,  CJassical  texts  from  papyri,  London  1891)  der  Schluss  einer 
Täxvjj  YQaf.ifiaTtxi]  des  Tryphon  ans  Licht  gekommen;  aber  derselbe  ist  so 
trivial,  dass  er  schwerlich  etwas  mit  unserem  hochangesehenen  Gram- 
matiker zu  thun  hat.  Auch  ob  das  unter  Tryphons  Namen  überlieferte 
Buch  über  Tropen  von  unserem  Grammatiker  herrührt,  haben  wir  oben 
§  545  in  Zweifel  gezogen.  Die  Fragmente  sind  gesammelt  von  Arthur 
V.  Velsen,  Berol.  1853,  vermehrt  von  Schwabe,  Dionys.  et  Pausan.  fr.  p.  69. 

566.  Theon  unter  Augustus  und  Tiberius,  Vorgänger  des  Apion  auf 
dem  grammatischen  Lehrstuhl  Alexandriens,^)  wird  passend  der  Didymos 
der  alexandrinischen  Dichter  genannt,  insofern  er  für  die  Kritik  und  Exe- 
gese des  Theokrit,  Apollonios,  Kallimachos,  Lykophron,  Nikander  ähnliches 
wie  Didymos  für  Homer  und  die  Dichter  der  klassischen  Zeit  geleistet 
hat.  Unsere  Schollen  zu  Apollonios  gehen  teilweise  auf  ihn  zurück.  Nach 
dem  Brief,  den  Hesychios  seinem  Glossar  vorausschickt,  hat  er  auch 
Glossen  zu  den  Tragikern  und  Komikern  verfasst,  wahrscheinlich  in  der 
Art,  dass  er  die  einzelnen  Aä^eig  des  Didymos  in  ein  alphabetisch  geord- 
netes Gesamtlexikon  brachte,«)  Die  Fragmente  sind  gesammelt  von  C. 
Giese,  De  Theone  grammatico  eiusque  reliquiis,  Münster  1867. 

666.  Pamphilos  aus  Alexandria,^)  ein  Aristarcheer,  blühte  in  der 
Mitte  des  1.  Jahrhunderts.«)  Sein  Hauptwerk  war  ein  glossematisches 
Lexikon  neQl  yXwaauyv  r-toi  Aaffcöv  in  95  B.,  das,  ähnlich  wie  das  latei- 
nische  Lexikon   des  Verrius  Flaccus,    später   unter  Hadrian    zuerst  von 


^)  David  im  Oomment.  in  Arist.  cat.  p.  28a 
bezeugt,  dass  lobates  pythagoreische  Schiiften 
sammelte,  dabei  aber  auch  ordentlich  be- 
trogen wurde. 

*)  Snidas  imt.  TQv(f(oy.  Vgl.  Nabbr  ad 
Phot.  lex.  I  75  ff.;  Bapp  Leipz.  Stud.  VIII 108. 

*)  Einzelne  Titel  waren:  negl  rrjs  'EX- 
Xijywy  diaX^xrov  (ttsqI  'EXXijyurfiov)  xal 
'J^yeifoy  xixi  'Prjylvmy  xai  Jta^dfov  xal  IvQa- 
xovaiüjp,  71  eQi  nXsoyaaf40v  xov  iv  rp  AloXidi 
dtaXixTffj, '  negi  ttoy  nag*  'OfiiJQto  diaX^xttoy 
xal  ZifAfoyl^i^  x«i  my&ttQif)  xal  AXxfjLäyi,  xal 


totg  aXXois  XvQixoTg. 

*)  In  Cod.  Matrit  95  fol.  148  -150;  s. 
Egenolff,  Ortboepische  Stad.  S.  26. 

•)  Soidas  unt.  ^Anit^y.  fjy  di  dwSoxoi 
S^toyog  xov  ygafjifjiatixoVy  was  wohl  auf  den 
Lehrstahl  in  Alexandria  geht 

«)  So  stellt  das  Verhältnis  Nabkb,  Phot. 
lex.  I  9  dar. 

^)  Soidas  uni  UafifpiXog  'AIb^.;  s.  Wxbbb 
Philol.  Snppl.  m  467  ff.;  Jül.  Scbokhbmauf, 
De  lexicographis  antiquis,  Hannoy.  1886. 

8)  Vgl.  Ath.  642  e. 


Ba)  Rom.  Periode  Tor  Konstantin.  8.  Die  Prosa,  m)  Die  Grammatik.  (§§554-557.)  761 


Vestinus  und  dann  von  Diogenian  in  einen  Auszug  gebracht  wurde.^) 
Der  Plan  des  reichhaltigen  Sammelwerkes  rührte  indes  nicht  von  ihm, 
sondern  von  Zopyrion  her,  der  auch  als  Verfasser  der  vier  ersten  Bücher 
genannt  wird.  Eine  Ergänzung  zu  dem  Lexikon,  gewissermassen  selbst 
ein  Lexikon  mit  sachlicher  Anordnung,  war  das  Sammelwerk,  das  von 
seinem  bunten  Inhalt  den  Titel  Aei^wv  hatte  ^)  und  in  dem  unter  anderm 
die  Fabeln  des  alten  Mythus  und  der  Verwandelungslitteratur  unter  sorg- 
fältiger Anführung  der  Quellen  behandelt  waren.*)  Ein  Werk  von  den 
Pflanzen  in  6  B.  führt  häufig  der  Arzt  Galen  an,^)  nicht  ohne  sich  über 
den  Grammatiker,  der  sich  um  die  sachlichen  Verhältnisse  wenig,  um  so 
mehr  aber  um  die  Namen  und  Ammenmärchen  kümmere,  zu  ereifern.  Ob 
dasselbe  aber  einen  Teil  des  Aeiiimv  bildete,  oder  zu  den  anderen,  von 
Suidas  aufgeführten  Spezialschriften  unseres  Grammatikers  gehörte,  oder 
überhaupt  nur  von  ihm  herrührte,*)  ist  ungewiss.  Die  Bücher  des  Pam- 
philos  wurden  wegen  ihres  gelehrten  Inhaltes  und  ihrer  bequemen  Anord- 
nung wie  die  keines  andern  Gelehrten  von  Scholiasten  und  Sammelschrei- 
bern benutzt;   namentlich   bildeten   sie  eine  Hauptquelle  des  Athenaios.^) 

Eine  Namensverwandte  und  Zeitgenossin  des  vorgenannten  Gram- 
matikers war  die  gelehrte  Pamphila,*^)  die  unter  Nero  lebte  und  sich 
eines  ausserordentlichen  Rufes  erfreute.  Ihre  avfjLfxixra  taxoQixa  vno^vij- 
liaxa  in  33  B.  waren  litterargeschichtliche  Lesefrüchte  der  verschieden- 
sten Art;  ein  Kuriosum  des  Blaustrumpfs  war  das  Buch  negl  aif^odiadov. 

Des  verwandten  Inhaltes  wegen  sei  hier  noch  erwähnt  Amerias  der 
Makedonier  aus  unbekannter  Zeit,^)  von  dem  uns  Athenaios  und  Hesychios 
mehrere  Glossen  anführen,  darunter  auch  makedonische  aus  der  Heimat 
unseres  Glossographen. 

667.  Apion  mit  dem  Beinamen  Moxx^og,^)  Schüler  des  ApoUonios 
Archibiu  und  Pflegesohn  des  Didymos,  war  Nachfolger  des  Theon  in  der 
Vorstandschaft  der  alexandrinischen  Schule,  führte  aber  im  übrigen  ein 
unstetes  Leben,   mehr   in  der  Art  eines  ruhmredigen  Rhetors  und  auf- 


^)  Die  Epitome  des  Diogenian  umfasste 
bloss  5  B.,  sie  ist  nns  erhalten  im  Lexikon 
des  Hesychios.  Reste  in  den  Scholien  des 
Oregor  von  Nasdanz  nachgewiesen  von  Nobdbn 
Henn.  28  (1892)  625  ff. 

')  Verwandt  waren  das  Sammelwerk 
UartoSantj  vXtj  des  Favorin  and  die  Prata 
des  Sueton;  vgl.  Reiffbrsoueid,  Snet.  rell. 
p.  455,  der  den  Leimon  nnd  das  Lexikon 
nnaeres  Pamphilos  für  ein  Werk  hielt. 

')  Vgl.  EuG.  Odbb,  De  Antonino  Libe- 
rali, Bonnae  1886,  p.  46.  Indem  ich  das 
Lexikon  und  den  Leimon  fQr  verschiedene 
Bflcher  halte,  setze  ich  bei  Suidas  ^yQaiffs 
XetfÄWfu  {hfti  (f^  7ioixiX(oy  nsgiox^),  negl 
yXwfawy  fjtoi  UU^y  ßißXia  Zi  vor  nBqi  ein 
Komma. 

*)  Galen  t.  XI  p.  794,  2  ed.  Kühn:  oixo^ 
(sc.  ndfi<p&Xo^)  fiky  II  sy^icifje  {HfyQtcipc 
yulgo,  emend.  Lobeck)  BtßXia.  Zuvor  p.  793 
sagt  er  von  ihm:  fct;^*  eiogaxws  tag  ßordras 


vn^Q  tap  &irjy€ttai  fjnjre  r^g  dwctfAStog  avtiav 
TienBiqttuivog,  dXXd  roig  ttqo  avrov  yeyga- 
q>6aiy  hnaciv  ayev  ßaaäyov  nertiaTBvxüig  .  .  . 
nX'^&og  ovofjttttoiy  ifp'  ixdcT^  ßotayn  ngoa- 
ti&eig. 

<^)  Baumstark,  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  XXI 
500  nimmt  eine  Namensverwechselung  an. 

')  Ueber  die  Benutzung  durch  Athenaios 
s.  Bapp  in  Comment.  Ribbeck.  p.  253 — 8. 

')  Suidas:  IlafjKpiXfj  ^7ti,dav(fia  aotpij, 
&vydTijQ  SfoffiQiSov,  ov  Xiysrai  eiyai  xiti  la 
avyxdyfJLttta,  wg  Jtovvaiog  iy  rw  X'  rtjg  fiov- 
ifixijg  Ifftogiagj  w?  (fd  iregoi  ysyQatpaai,  Sah- 
XQaTida  Tov  aydgog  avtijg  '  laxoQtxd  vno- 
fiyrjfiartt  xtX.  Die  Fragmente  bei  Müller 
FHG  in  520—2. 

^)  WissowA  in  Realenc.  setzt  ihn  in  die 
alexandrinische  Zeit  und  vor  Aristarch. 

^)  Suidas  unt.  'Anmy.  Lehrs,  Quaest. 
epicae  p.  1—34;  Mohmsbv,  Rom.  Gesch.  V^ 
519. 


762 


GriechiBohe  litteratiirgeBohiohte.    n.  VaohUaMWohe  Litteratiir. 


schneidenden  Schwindlers  als  eines  soliden  Grammatikers.  *)  Als  Führer 
der  Antisemitenpartei  in  Alexandria  führte  er  das  Wort  bei  einer  Gesandt- 
schaft an  den  Kaiser  Caligula ;  auf  seine  Beschuldigungen  antwortete  spater 
Josephos  in  der  uns  erhaltenen  Schrift  xazd  'Aniwrog.^)  Geschichtlichen 
Inhaltes  waren  die  Aiyvnuaxa  in  5  B.  {iatoQia  xa%'  l&vog  bei  Suidas),  aus 
denen  Gellius  5,  14  die  rührende  Erzählung  von  Androklos  und  dem  Löwen 
mitteilt.  Von  seinen  grammatischen  Schriften  waren  am  angesehensten 
die  rkiiaaai  ^Ofir^Qixaf,  die  bald  nach  ihm  Apollonios  der  Sophist  in  das 
noch  erhaltene  Homerlexikon  verarbeitet  hat  (§  43) ;  von  ihnen  haben  wir 
auch  Auszüge  (gedruckt  im  Anhang  von  Sturz  Etymologicum  Gudianmn), 
deren  Echtheit  aber  starken  Zweifeln  unterliegt.')  Apion  gab  sich  zwar 
für  einen  Aristarcheer  aus;  dass  aber  von  einem  Phantasten,  der  in  den 
zwei  ersten  Buchstaben  der  Dias  MH  eine  Andeutung  der  Buchzahl  (48) 
der  beiden  homerischen  Dichtungen  fand  (Seneca  ep.  88,  40),  keine  ge- 
diegenen Erklärungen  im  Geiste  des  Aristarch  zu  erwarten  waren,^)  ver- 
steht sich  von  selbst.  Fragmente  gesammelt  von  Müller  FHG  in  506 
bis  516. 

558.  Heliodoros,^)  ein  geschmackvoller,  von  den  zeitgenössischen 
Dichtern  der  Anthologie  ^)  .vielgenannter  Grammatiker,  blühte  unter  den 
Kaisern  der  julischen  Dynastie.  Er  war  als  Vorgänger  des  Hephästion 
Hauptbegründer  der  Metrik;  von  ihm  rührt  der  Stamm  der  metrischen 
Scholien  des  Aristophanes  her; 7)  ausserdem  finden  sich  seine  Sätze  viel- 
fach von  den  alten  Erklärern  des  metrischen  Handbuchs  des  Hephästion 
angezogen.  Durch  Juba  artigraphus,  der  sich  eng  an  ihn  anschloss,  ist 
seine  Theorie  auf  die  lateinischen  Metriker  übergegangen.^)  Als  seinen 
Schüler  bezeichnet  Suidas  den  Eirenaios  (Pacatus),  welcher  zu  den  her- 
vorragenden Attikisten  der  hadrianischen  Zeit  gehörte. 

559.  Ptolemaios  Ghennos  lebte  nach  Suidas  in  der  2.  Hälfte  des 
1.  Jahrhunderts  und  war  Verfasser  der  Sphinx,  eines  mythologisch-gram- 
matischen Dramas,  ferner  eines  Epos  'AvÖ^ofirjQog  in  24  Rhapsodien,  einer 
UagaSo^og  tatoQia  und  einer  Kaivrj  IffroQia.^)  Die  letzte,  welche  Eustathios 
und  Tzetzes  viel  benutzten,  hatte  sechs  Bücher  und  ist  uns  näher  aus 
dem  Auszug  des  Photios  cod.  190   bekannt.     Danach  verbreitete   sie  sich 


\)  Witzig  bemerkt  von  ihm  Plinius  n. 
h.  jHTOoem.  25.  Tiberius  Caesar  cymbalum 
mundi  vocahat,  cum  propriae  famae  tum- 
partum  potius  videri  passet. 

«)  Vgl.  §  466. 

^)  Die  Echtheit  des  Aaszags  gegen  Lehre 
in  Schatz  genommen  von  Kopp  Herm.  XX 
161  ff.  Dass  die  von  Enstathios  aus  einem 
angeblich  von  Apion  und  Herodoros  ver- 
fassten  Buche  angeführten  Homererklärungen 
nicht  aus  Apion,  sondern  aus  unsern  Homer- 
Bcholien  stammen,  hat  Lehrs,  De  Aristarchi 
studiis  Homericis  p.  870 — 5  erwiesen. 

*)  Lbbrs,  Quid  Apio  Homero  praestite- 
rit,  in  Quaesi  epicae  p.  1 — 34. 

^)  Der  Artikel  des  Suidas  fiber  ihn  ist 
leider  ausgefallen;  hat  Hermann  die  Stelle 
des  Priscian  p.  396  Kr.  richtig  emendiert,  so 


lebte  er  vor  Claudius  Didymus;  aber  mit 
dem  Heliodarus  Graecarum  longe  doeUsn- 
mus,  der  den  Horaz  auf  der  Reise  nach  Bnm- 
disium  begleitete  (Sai  I  5, 2),  dürfte  er  doch 
nicht  identisch  sein.  Vgl.  Keil,  Quaest 
gramm.  14  f. ;  Wachsmuth  Phaol.  XVI  (1860) 
648  ff. ;  0.  Hbnse,  Heliodorische  Untersuch- 
ungen, Leipz.  1870;  I.  Lipsius,  Jahrb.  f&r 
Phil.  1860  S.  607  ff. 

•)  Antii.  XI  134.  137.  138.  183.  256. 

^)  Thibmanh,  Heliodori  colometriA  An- 
stophanea,  Hai.  1869;  vgl.  §  214. 

*)  0.  Hense,  De  Juba  artigrapho  in  Acta 
Lips.  t.  IV. 

^)  Vielleicht  war  unser  Ptolemaioa  auch 
Verfasser  des  Buches  von  den  Schriften  des 
Aristoteles  s.  §  813. 


Ba)  Rom.  Periode Tor  Konstantin.  8.  Die  Prosa,  m)  Die  Orammatik.  (§§558—560.)   763 


über  alle  möglichen  und  unmöglichen  Dinge  der  Fabelwelt  und  tischte  eine 
Menge  sonst  nicht  bekannter  Mythen  auf,  indem  als  Gewährsmänner 
Schriftsteller  aufgeführt  waren,  von  denen  wir  zum  grossen  Teil  sonst 
nirgends  etwas  zu  lesen  bekommen.  Hercher  in  dem  geistreichen  Auf- 
satz über  die  Glaubwürdigkeit  der  neuen  Geschichte  des  Ptolemaios  Chen- 
nos,^)  stellt  diesen  unseren  Ptolemaios  und  die  Verfasser  der  unter  Plu- 
tarchs  Namen  laufenden  Parallela  minora  und  des  Buches  über  die  Flüsse 
in  die  Klasse  jener  unverschämten  Aufschneider  und  Schwindler,  welche 
von  neugierigen  Römern  bei  Tisch  nach  einer  Mythe  gefragt,  nie  um  eine 
Antwort  in  Verlegenheit  waren,  sondern  in  Ermangelung  wirklichen  Wissens 
mit  irgend  einem  fingierten  Namen  aufwarteten.  Es  fällt  aber  das  Leben 
unseres  Schwindlers  in  dieselbe  Zeit,  in  der  ein  Dares  und  Diktys  sich 
in  ihren  Erzählungen  vom  troianischen  Krieg  auf  beschriebene  Gypressen- 
tafeln  beriefen,  welche  sie  in  Gräbern  aus  der  Heroenzeit  gefunden  zu 
haben  vorgaben. 

560.  Andere  Grammatiker  aus  dem  Anfang  der  römischen  Kaiserzeit 
waren:  Aristonikos,  der  mit  der  Genauigkeit  eines  richtigen  Gramma- 
tikers über  die  Zeichen  der  aristarchischen  Textesrecension  des  Homer 
und  Hesiod  schrieb;  Philoxenos  aus  Alexandria,  der  unter  Tiberius  in 
Rom  lehrte  und  sich  besonders  mit  etymologischen  und  dialektischen  (ticqI 
^ddog^  7i€Qi  ^FwfAaixf^g  iiaXextov^  ncgi  ^ElXrjvuffjiov)  Forschungen  abgab ;^) 
Apollonios  Archibiu,  den  Suidas  Lehrer  des  Apion  nennt,  so  dass  er 
schwerlich  Verfasser  des  uns  erhaltenen,  aus  späterer  Zeit  stammenden 
Homerlexikons  sein  kann;')  Herakleon  aus  Ägypten,  angesehener  Homer- 
erklärer; Claudius  Didymus,  aus  dessen  Schrift  negi  T!jg  naQcc'Pfüfiamg 
ävaXoytag*)  uns  ein  interessantes  Fragment  bei  dem  lateinischen  Gram- 
matiker Priscian,  De  figuris  numerorum  p.  411 K.  erhalten  ist;^)  Dorotheos 
aus  Askalon,  Lexikograph  zwischen  Tryphon  und  Apollonios  Dyskolos;^) 
Epaphroditos  aus  Chäronea,  Bibliothekar  unter  Nero  und  Nerva,  intimer 
Freund  des  Geschichtschreibers  Josephos;  Eirenaios  oder  Minucius  Pa- 
catus,  Schüler  des  Heliodor;^)  Ptolemaios  aus  Askalon  und  Alexion, 
oft  zusammen  genannte  Homererklärer;  Herakleides  Milesios  (um  100), 
Vorläufer  des  Herodian  und  Verfasser  einer  xax^oXixr^  nqoafridia  und  eines 
Buches  TiBql  ivüxhrwv  ^rjfAdrcov ;  ^)  Amarantes  aus  Alexandria,  Erklärer 


»)  Jahrb.  f.  Phüol.  Sappl.  I  269—293; 
Widerspruch  erhob  gegen  Horchers  Annahme 
C.  MüLLEB,  Geogr.  gr.  min.  II  p.  LYII.  Schon 
dem  Photioe  erschien  unser  Ptolemaios  als 
avyaywyerg  vjioxeyog  xal  tiqos  dXa^oyeiay 
tiTorjfÄiyoq.  Auf  die  xainq  larogia  führt 
Boss,  Anecd.  gr.  p.  14  auch  die  im  cod.  Laur. 
56,  1  erhaltenen  Sammlungen  von  Wunder- 
thaten  Eurflck. 

^)  Elbist,  De  Philoxeni  studüs  eiymo- 
logicis,  Greifswald  1865;  M.  Schmidt,  De 
Phfloxeno  Alex.,  Phüol.  IV  (1849)  627  ff., 
VI  (1851)  660  ff. 

^  Vgl.  Meier  Opnsc.  II  53  f.  In  dem 
Einleitungsbrief  des  Hesychios  Alex,  wird 
ausdrücklich  *AnoXXtoyiog  6  tov  'A^x^ßlov  als 


Homerlexikograph  genannt. 

^)  In  dieser  Schrift  war  die  römische 
Sprache  als  eine  mit  dem  Aolischen  Dialekt 
verwandte  Abart  der  griechischen  erwiesen 
worden. 

^)  Derselbe  war  auch  Verfasser  einer 
musikalischen  Schrift  nsQl  SiatpoQaq. 

*)  Vgl.  FiELiTZ,  De  comoedia  bipartita, 
p.  51. 

')  M.  Haupt,  Opusc.  II  434  ff. 

B)  CoHV,  De  Heraclide  Milesio  gramma- 
tico,  in  Berl.  Stud.  I  603—718,  und  Fbyb, 
De  Heraclidae  Milesii  studüs  Homericis,  in 
Leipz.  Stud.  VI  93  ff.  Die  meisten  Frag- 
mente sind  uns  durch  Eustathios  erhalten« 


764 


QriechiBohe  litteratargeachiohte.    U,  NaohUasBisohe  Litteraiar. 


des  Theokrit  und  Verfasser  eines  Buches  Tiegl  axr^vtjg,  das  Athenaios  p.  343* 
und  414^  ausschrieb;  Lukillos  aus  Tarra  in  Ereta,^)  Kommentator  des 
ApoUonios,  Sammler  von  Sprichwörtern,  wahrscheinlich  auch  Verfasser 
der  seinen  Namen  tragenden  Epigramme  der  Anthologie. 


Grammatiker  des  2.  Jahrhooderts. 

661.  Herennios  Philon  (um  64—140)*)  aus  Byblos  schrieb  ausser 
einer  Geschichte  des  Hadrian  und  einem  Buche  über  Anlage  von  Biblio- 
theken {n€Qi  xTijaewg  xai  ixXoy^g  ßtßXtwv  in  12  B.) ')  ein  berühmtes  litterar- 
historisches  Werk  n€Qi  noXetav  xaX  ovq  ixdavrj  avrwv  ivio^ovg  Tjvsyxsv  in 
30  B./)  das  eine  Hauptquelle  der  späteren  Grammatiker  war  und  insbe- 
sondere von  Hesychios  Milesios  und  Stephanos  Byzantios  fleissig  benutzt 
wurde.  Wahrscheinlich  war  er  auch  Verfasser  des  Buches  über  Synony- 
mik, von  dem  Ammonios  den  uns  erhaltenen  Auszug  machte.  Berühmter 
noch  ist  unser  Grammatiker  geworden  durch  die  Überarbeitung  der  Ph5- 
nikischen  Geschichte  des  Sanchuniathon,  der  angeblich  in  vortroianischer 
Zeit  eine  Geschichte  Phönikiens  verfasst  hatte.  Von  dem  ersten  Buch 
dieser  Geschichte  hat  uns  der  Kirchenvater  Eusebios,  Praep.  ev.  I  9  u.  10 
und  IV  16  denjenigen  Abschnitt  mitgeteilt,^)  der  sich  auf  die  Theogonie 
und  die  Anfänge  der  menschlichen  Geschichte  bezieht.  Derselbe  ist  äusserst 
interessant,  rührt  aber  gewiss  nicht  von  einem  so  alten  Autor  her;  viel- 
mehr scheint  Philon  oder  dessen  Gewährsmann  hellenistisch  gefärbte  und 
aus  jüngeren  Quellen  geschöpfte  Nachrichten  unter  dem  ehrwürdigen 
Namen  des  Sanchuniathon  in  die  Welt  geschickt  zu  haben.  Durch  angeb- 
liche Funde  aus  dem  berühmten  Werk  hat  sich  die  gelehrte  Welt  nur 
vorübergehend  täuschen  lassen.^) 

Hermippos,  Berytios  zubenannt  im  Gegensatz  zu  dem  Eallimacheer 
Hermippos,   war  ein  Schüler  des  ebengenannten  Philon   und  schrieb   ein 


^)  Steph.  Byz.  unter  Td(f(fa.  Usbhbb, 
Ein  idtes  Lehrgebäude  der  Philologie,  Stzb. 
d.  bay.  Ak.  1892  p.644.  Von  seiner  Schrift  nsQl 
yQafjLfjiaTtüv  sind  uns  noch  einzelne  Reste  in 
den  Kommentaren  des  Dionysios  Thrax  er- 
halten. 

*)  Suidas  unt.  ^iXtov  BvßXio^,  vgl.  Daub, 
De  Suidae  biographis,  in  Jahrb.  f.  Philol. 
Suppl.  XI  437  ff.  NiBSB,  De  fontibus  Ste- 
phani  p.  28  bestimmt  seine  Zeit  auf  64-141 
n.  Chr.  Nicht  ganz  sicher  ist  die  Kombi- 
nation, die  ihn  mit  Herennius  cons.  suff.  im 
Jahre  124  in  Verbindung  bringt. 

*)  Daraus  ist  ein  9.  Buch,  das  von  me- 
dizinischen Schriften  handelte,  citiert  von 
Oreibasios  III  687  ed.  Dar. 

*)  Verwandt  damit  war  sein  Buch  negl 
laTQiJvf  das  Stephanos  Byz.  unt.  KvQiog  ci- 
tiert. -  Dass  unser  Herennios  wahrschein- 
lich auch  Verfasser  eines  von  Ammonios 
neubesorgten  Synonymenlexikons  war,  da- 
raber  §  629. 

^)  I  9:  laroQsi  di  xavta  2ayxovyui9<oy, 


avfJQ  naXaltato^  xai  rtay  T^faixtiv  /^örMr 
cüV  (faai  n^ecßvfCQogy  oV  xai  4n*  dxQtßelif 
xai  ttXi]&ettf  rij^  <Potyt,xue^i  icxo^laq  anodex- 
&^yM  fiOQTVQOvci  '  ^iXmy  d^  rovTov  nd^ay 
xfjy  avyjyagytjy  6  BvßXiog,  ov^  6  "Eß^aioCj 
fAeraßaXioy  and  ri;;  ^<Hytxwy  yX»Jaifrjf  iitl 
Xfjy  EXXdda  tptoyrjy  i^edtoxe  .  jnffiyijrai  xov- 
xaty  6  xa&*  i]fidg  xijy  xa^  ^fi»y  Ttenoitjui- 
yos  cvcxetnjy  d.  i.  DoQipvQio^.  Erwfthnt  ist 
der  alte  Historiker  auch  bei  Athen.  126*: 
nagd  xoTs  xd  ^oiyixixd  avyyeyQatpoüi,  lay^ 
Xovyiai&toyi  xai  Mcü/cü. 

*)  Sanchuniathonis  Berytü  qoae  feron* 
tur  fi^ftgmenta  ed.  Obblli,  Lips.  1826.  Der 
vollständige  von  Waobnfbld  (1836)  angeb- 
lich aus  einem  portugiesischen  Kloster  her- 
vorgezogene Text  erwies  sich  als  F&ischiing. 
Die  Fragmente  auch  in  Müllbr  FHG  IH 
560—76.  Erläuterung  derselben  von  O.Grüppb, 
Die  griech.  Kulte  und  :&ir7then  I  850—409; 
Wachsmuth,  Einl.  406;  Ed.  Mbtbb,  G^ch. 
d.  Alt  I  249. 


Ba)  Rom.  Periode  TorKoiiBtantiii.  8.  Die  Prosa,  m)  Die  Chrammatik.  (§§561—564.)  765 
gleichfalls  von  den  Späteren  vielfach  ausgebeutetes  Buch  neqi  tcSv  iv  nai- 

562.  Dionysios  aus  Halikarnass  mit  dem  Beinamen  o  iiova^xog 
blühte  unter  Hadrian  und  war  Verfasser  einer  Movaixrj  lavoQta  in  36  B. 
Von  der  Anlage  dieses  bedeutenden  Werkes  geben  uns  einzelne  vollständig 
aus  demselben  ausgehobene  Artikel  des  Suidas,  wie  über  den  Grammatiker 
Epaphroditos,  und  das  Exzerpt  des  Rufus  bei  Photios  cod.  161  eine  an- 
nähernde Vorstellung.  Danach  hatte  der  Verfasser  das  Wort  iiovaixrj  im 
weiteren  Sinne  genommen,  so  dass  er  in  der  Geschichte  derselben  nicht 
bloss  die  Kitharöden  und  Flötenspieler,  sondern  auch  die  Dramatiker  und 
Epiker  behandelte.^) 

Dieser  Dionysios  Musikos  war  vermutlich  eine  Person*)  mit  dem 
Attikisten  Ailios  Dionysios,  dessen  Blüte  gleichfalls  von  Suidas  unter  Ha- 
drian gesetzt  wird  und  der  nach  Photios  cod.  152  ein  attisches  Lexikon 
in  5  B.  und  in  zwei  Ausgaben  besorgte.  Derselbe  Photios  erwähnt  cod.  153 
ein  ähnliches  Lexikon  des  Pausanias,  eines  Syrers  und  Zeitgenossen  des 
Grälen,  8)  und  gibt  den  Rat,  die  drei  Werke  zu  einem  Lexikon  zu  verbinden.*) 
Das  sind  die  vielgenannten  Ae^ixd  QrfuoQixä,  aus  denen  Eustathios  und  die 
byzantinischen  Lexikographen  vornehmlich  ihre  Weisheit  schöpften.'^)  Rhe- 
torisch hiessen  dieselben,  weil  sie  einerseits  hauptsächlich  auf  den  Sprach- 
gebrauch der  attischen  Redner  zurückgingen  und  anderseits  zunächst  zur 
Heranbildung  künftiger  Redner  dienen  sollten. 

563.  Nikanor,^)  Sohn  des  Hermeias  aus  Alexandria,  blühte  unter 
Hadrian  und  beschäftigte  sich  hauptsächlich  mit  der  Interpunktionslehre, 
wovon  er  auch  den  Beinamen  Stigmatias  erhielt.  Seine  Hauptwerke  waren : 
nsQi  vTjg  aziyfi^g  zijg  xax^oXov  in  6  B.,  neQl  rrjg  aTiyfirjg  rr^g  naq  ^OfiijQfr}, 
7i€Qi  CTiyiÄrjg  Ttjg  naqd  KaXXifjidx(p,  nsqi  vava%dd^iJiov^  KünfAf^doviieva.  Ob 
unser  Nikanor  mit  dem  von  Harpokration  unter  dxr^  erwähnten  NixdvcoQ 
6  7T€Qi  ^€Tovofia<xiwv  ysyqa^dg  identisch  sei,  ist  zweifelhaft,  da  dieser  eher 
einer  früheren  Zeit  angehörte. 

564.  Die  Grammatik  im  engeren  Sinne  erhielt  unter  Hadrian 
und  den  Antoninen,  nachdem  200  Jahre  zuvor  Dionysios  Thrax  den  Grund 
gelegt  hatte,  ihre  spezielle  Ausbildung  durch  ApoUonios  und  Herodian. 
Beide  haben  fast  kanonisches  Ansehen  bei  den  späteren  Grammatikern 
erlangt  und  erfreuten  sich  unter  den  Gelehrten  der  römischen  Zeit  eines 


>)  Vergl.  Daub,  De  Snidae  biographis, 
Jahrb.  f.  Phü,  Suppl.  XI  410  ff.  Ein  Frag- 
ment in  xrjq  (Aovmxrjg  Urtoqiag  in  schol. 
Aesch.  7  Dind. 

*}  Ihre  Identität  stellt  in  Abrede  Meieb, 
Oposc.  l\  63-  82. 

»)  Mbieb,  Opußc.  II  82  ff. 

*)  Diesen  Rat  hat  vermutlich  der  Verf. 
des  anonymen  Ib^ixov  ^xoqixoy  des  Eusta- 
thios befolgt 

»)  Nabbr  ad  Phot.  lex.  I  24  ff.;  Rind- 
FLsjscB,  De  Pausaniae  et  Aelii  Dionysii  lexi- 
eis  rhetoricis,  Eönigsb.  1866;  Tb.  Schwartz, 


Aelii  Dionysii  Halic.  rell.,  Utrecht  1877;  über 
die  Mftngel  dieser  Fragmentensammlung  s. 
Egemolfp,  Jahresber.  d.  Alt.  VII  1,  100  ff.; 
Hbtdbn,  Quaest.  de  Aelio  Dionysio,  Leipz. 
Stud.  1885.  Neue  Sammlung  mit  umfang- 
reichen Prolegomena:  Aelii  Dionysii  et  Pau- 
saniae Atticistarum  fragm.  coli.  Ern.  Schwabs, 
lips.  1890. 

')  Suidas  unt.  NtxäyioQ,  und  dazu  Jak. 
Wackbbnaqbl  Rh.  Mus.  31,  482  ff.  Fbibd- 
lXndbb,  Nicanoris  rell.  Regiom.  1850,  die 
Fragmente  zur  Odyssee  von  Gabnuth,  Berl. 
1875. 


766 


Orieohisohe  LittorainrgMohiohte.    II.  KachklMmche  Litteratar. 


ähnlichen  Ansehens  wie  Aristophanes  und  Aristarch   bei   den  Alexandri- 
nern.^) 

Apollonios,*)  Dyskolos  von  seinem  mürrischen  Wesen  zubenanni, 
stammte  aus  Alexandria  und  brachte  auch  den  grössten  Teil  seines  Lebens 
in  Alexandria  zu.  In  Rom  weilte  er  nur  kurze  Zeit  unter  Antoninus  Plus. 
Er  hat  den  Ruhm,  das  grammatische  Lehrgebäude  {^txvr]  yqaiii^iaTixrj)  aus- 
gebaut zu  haben  ;^)  doch  schrieb  er  keine  vollständige,  in  sich  geschlossene 
Grammatik,  sondern  behandelte  nur  in  Spezialschriften  einzelne  Teile  der- 
selben.^) Am  bedeutendsten  waren  unter  denselben  die  Schrift  über  die 
Redeteile  (nsql  iisqiaiiov  tSv  tov  Xoyov  fieQOJv)  in  4  B.,  das  *Oi'o/iomxdi', 
von  der  Deklination  der  Nomina,*)  das  '^PrjfiaTixov,  von  der  Konjugation 
der  Verba.  Auf  uns  gekommen  sind  die  kleineren  Abhandlungen  ntgi 
dvTcovvfu'ag  (Pronomen),  n€Ql  sniQQrjfxätcov  (Adverbia),  7i€Qi  awöäcfitor  (Kon- 
junktionen).«) In  diesen  Spezialschriften  über  den  Gebrauch  und  die 
Beugung  der  Redeteile  (i^eQrj  tov  Xoyov)  steht  er  nicht  sowohl  auf  dem 
Standpunkt  des  schulmeisternden  Theoretikers,  der  allgemein  gültige  Regeln 
für  den  Schriftgebrauch  aufstellt,  als  auf  dem  des  historischen  Forschers, 
indem  er  die  bei  den  verschiedenen  Autoren  und  in  den  verschiedenen 
Dialekten  (Jtaqig^  *Idg^  AloXig^  'AtÖ^ig)  vorkommenden  Formen  nachweist 
Ausser  der  Formenlehre  hat  aber  Apollonios  auch  schon  der  Syntax,  die 
bei  Dionysios  Thrax  noch  ganz  beiseit  gelassen  war,  seine  Aufmerksam- 
keit zugewandt;  über  sie  handeln  die  vier  nur  unvollständig  erhaltenen 
Bücher  nsQl  avvvä^edog^  die  auch  heutzutag  noch  nicht  -ganz  veraltet  sind, 
wenn  sie  auch  weit  hinter  den  Anforderungen,  die  wir  jetzt  an  eine  Syntax 
stellen,  zurückbleiben.  7)  Ob  auch  die  bereits  oben  §  530  berührte  Schrift 
^latoQfai  x^avfAtimai  unserem  Grammatiker  oder  einem  andern  der  vielen 
Apollonioi  angehört,  wage  ich  nicht  zu  entscheiden. 

Erste  Ausgabe  der  grammatischeii  Schriften  des  Apollonios  von  Ihm.  Bbkkbb  in  Mos. 
ant.  I  n.  Anecd.  gr.;  De  constr.  Berl.  1817 ;  neae  Bearbeitung  von  R.  Schniidbr  und  Guar. 
Uhlio,  Lips.  im  Corpus  gramm.  graec,  im  Erscheinen. 

565.   Herodian  {JiXiog  'HQcjSiavog,  6  vexvtxog),  der  berühmte  Schaler 

des  berühmten  Vaters,   war   gleichfalls  in  Alexandria  geboren,   wanderte 

^)  Dass  dieses  kanonische  Ansehen  über 
die  wirkliche  Bedeutung  der  Männer  hinaus- 
ging, dass  sie  nicht  ihrer  Kraft,  sondern  der 
Schwäche  der  Nachfolger  ihre  Grossstellung 
verdankten,  hat  zutreffend  Wilamowitz,  Eur. 
Herakl.  I  179  bemerkt;  übrigens  standen  sie 
doch  weit  über  dem  Rhetor  Hermogenes,  der 
eine  ähnliche  kanonische  Autorität  in  der 
Rhetorik  erlangte. 

')  Ausser  einem  Artikel  des  Suidas 
haben  wir  eine  ausführliche  Vita  des  Apol- 
lonios bei  Flach,  Hesychius  Mües.  p.  243. 

')  Dem  Priscian,  der  ihm  und  Herodian 
hauptsächlich  folgt,  ist  er  XI  1  maximus 
auctor  artis  grammaticae. 

^)  Die  Zusammenordnung  der  einzelnen 
Schriften  zu  einer  planmässig  angelegten  voll- 
ständigen Grammatik  versucht  Dronkb  Rh. 
M.  11,  549  ff. 

')  Zu  dem  'Oyofiauxoy  schrieb  Zeno- 
bios  einen  Kommentar,  von  dem  sich  viele 


Reste  im  Et.  M.  finden,  welche  G.  SchOhaüb 
in  einem  Danziger  Programm  1881  zusam- 
mengestellt hat;  dazu  Rbitzbksteif,  G}each. 
der  gr.  Etym.  360  f. 

*)  Dass  der  Schluss  des  Buches  negi 
ttyiutyvfilas  abzutrennen  und  dem  Rhematikon 
zuzuweisen  ist,  hat  R.  Scnnbidbb  Rh.  M.  24, 
592  bemerkt.  Auch  das  Buch  ne^  inig^fj- 
fAattay  enthält  einen  fremdartigeB,  zur  Syn- 
tax gehörigen  Zusatz. 

')  L.  Lange,  Das  System  der  Syntax 
des  Apollonios  Dyskolos,  Gott.  1852;  Eookk, 
Apollonius  Dyscole,  Par.  1854;  DobiaS,  Ueber 
die  Syntax  des  Apollonios  Dyskolos  (maaiachs 
besprochen  im  Joum.  d.  Wiss.  f.  Volksanf- 
klärung  1883,  Sept  113—118.  Nach  dem 
Vorbild  des  Apollonios  hat  auch  Priadan  in 
seinen  Inst  gramm.  am  Schlnase  2  Badber 
über  Syntax  gegeben,  die  Planudea  (Bach- 
MAMM,  An.  gr.  II  105—166)  ins  Qriecbiacfae 
rücküberaetzt  hat 


B  a)  E5m.  Periode  vor  Konstantia.  8.  Die  Prosa,  m)  Die  C^rammatik.  (§  565.)    767 

aber  zeitig  nach  Rom  aus,  wo  er  sich  bei  dem  Kaiser  M.  Aurel  besonderer 
Gunst  und  Auszeichnung  erfreute.  Auf  Anregung  desselben  verfasste  er 
sein  Hauptwerk  über  Prosodie,  Kax^oXixvj  nQoatpdia  in  21  B.,  wozu  die 
Spezialschriften  über  die  homerische  und  attische  Prosodie  ergänzend  hin- 
zutraten. Das  Hauptwerk  umfasste  in  den  ersten  19  Büchern  die  Regeln 
(xavovsq)  über  die  eigentliche  Prosodie  oder  die  Accente  (ngocfpitai,  rovoi) ; 
das  20.  enthielt  die  Lehre  von  den  Zeiten  (xQovoi,  Quantität)  und  den 
Hauchen  {nvevfAata,  Spiritus);  das  21.  bildete  eine  Art  Anhang,  der  von 
der  Modifikation  der  Accente  beim  fortlaufenden  Lesen,  insbesondere  von 
den  Enkliticis,  der  Diastole,  Synalöphe  handelte.  Herodian  ist  damit  der 
eigentliche  Schöpfer  der  griechischen  Prosodik  geworden;  doch  steht  er 
ganz  auf  den  Schultern  der  grossen  alexandrinischen  Gelehrten  Aristarch 
und  Tryphon  und  hat  eigentlich  nur  das  Verdienst,  die  Einzelbeobachtungen 
jener  Forscher  in  ein  umfassendes  System  gebracht  zu  haben,  i)  Das  Ori- 
ginalwerk selbst  ist  uns  verloren  gegangen,  aber  wir  haben  mehrere  Aus- 
züge daraus,  namentlich  den  des  Theodosios  oder  Arkadios,  auf  den  wir 
unten  zurückkommen  werden.  —  Ausserdem  schrieb  Herodian  zahlreiche 
Bücher  über  verschiedene  Teile  der  Grammatik,  wie  TtsQi  nadtov,  nsQi 
o^d'oyQa^iag,  negi  ovofÄdrfov^  nsQi  xXfaecog  o^'o/iccrcov^  negi  ^rjiLidtüoVj  negl 
av^vyitoVy  nsql  ävTfovv fiiwv,  txsqI  iniQqrnidxwv^  neQi  axrjiiccxwv^  nfqi  naQw- 
vifAtav^  TtfQi  fiovocvXXdßwVy  nsgii  fiovi]Qovq  Xk^swq.^)  Gleichfalls  grammatische 
Dinge  betraf  das  nach  dem  Muster  des  Didymos  geschriebene  2vixn6aiov 
und  die  Schrift  neql  ydfAov  xai  (fvfißuiaewg.  Von  diesen  zahlreichen 
Schriften  ist  nur  eine,  und  zwar  eine  von  den  minder  bedeutenden,  negi 
fiovTjQovg  Xä^ewg,  oder  über  singulare,  ausserhalb  der  Analogie  stehende 
Formen  vollständig  erhalten.*)  Von  den  übrigen  haben  wir  nur  Überar- 
beitungen, Auszüge  und  Citate,  hauptsächlich  in  den  Homerscholien  und 
bei  Stephanos  Byzantios.*) 

Das  Ansehen  des  Herodian  wie  seines  Vaters  Apollonios  war  bei  den 
Zeitgenossen  und  den  nachfolgenden  Generationen  ein  enormes,  bei  Licht 
besehen  waren  aber  ihre  Verdienste  um  die  Wissenschaft  nicht  weit  her: 
Gelehrsamkeit,  Exaktheit  und  Subtilität,  Haupteigenschaften  eines  Gram- 
matikers, zeichneten  allerdings  auch  sie  aus;  aber  weder  waren  sie 
schöpferisch  und  damit  wahrhaft  fruchtbar,  noch  besassen  sie  eine  rich- 
tige Einsieht  in  das  Wesen  und  Leben  der  Sprache.  Namentlich  mit 
seiner  Pathologie  oder  der  Lehre  von  dem,  was  die  Sprache  durch  Ab- 
fall, Zusatz,  Zusammenschiebung  erleidet  {Tregi  naü^wv)  hat  Herodian  lange 
Zeit  die  Forschung  auf  falsche  Bahnen  geleitet;  die  Wissenschaft  musste 
sich  erst  wieder  von  der  Autorität  der  herodianischen  Schulweisheit  eman- 
zipieren, um  nicht  mehr  in  dem  i  von  ovdeig  oder  gar  in  dem  zweiten  y 


')  Einen  untergeordneten Vorgftnger  hatte  1  nische  der  Grammatiker  Statilins  Maxi- 
er an  Herakleides  von  Milet,  von  dem  oben  |  mus,  von  dessen  Schrift  De  singularibus 
I  560  gesprochen  ist.  !  positis  uns  Charisins  noch  zahkeiche  Reste 

')  Das  Verzeichnis  bei  Lbhrs,  Herodiani  erhalten  hat. 

scripta  tria  p.  418  ff.,  und  Lentz,  Herod.  rell.  |  ^)  Ueber  andere  Reste  bei  Theodoretos 

I  praef.  XY  sqq.  >  Philoponos,   Sergios  siehe  unten  im  letzten 

>)  Nach  dem  Muster  des  Herodian  be-  1  Teil  der  Litteratnrgeschichte. 

handelte  denselben  Gegenstand  fürs  Latei-  | 


768 


Grieohiaohe  Litteraturgeaohiohte.    II.  KaohklaMisohe  Litteratnr. 


von  Yiyvofiiai  einen  blossen  Pleonasmus  zu  sehen.  Verhängnisvoll  war  auch 
das  Unvermögen  Herodians,  Stamm,  Ableitung,  Flexion  von  einander  zu 
scheiden,  wodurch  es  kommen  konnte,  dass  er  nsgl  fiov,  Xe^.  p.  45  D.  Ha- 
fiTjv  für  einen  Aorist  med.  hielt  und  demnach  dieses  Wort  unter  die  Erlasse 
der  vereinzelt  stehenden  Formen  aufnahm. 

Auo.  Lbktz,  Herodiani  technici  reliquiae,  Lipe.  1867,  3  vol.,  wo  mit  stannenswtttem 
Fleisse  die  Reste  gesammelt  und  zur  Rekonstruktion  der  Lehre  des  einflussreichen  Crelefarten 
verwertet  sind.  —  Die  Schrift  negi  fjioyrJQovq  Xf^ew?  zuerst  herausgegeben  von  Dimdorf, 
Gramm,  gr.  I  1—47,  Lips.  1823,  von  Lshbs,  Herodiani  scripta  tria,  Regiom.  1848,  Beii.  1857. 
—  Nachträge  zur  Ausgabe  von  Lentz  und  über  die  handschriftliche  Grundlage  veröffent- 
lichten Abth.  Kopp,  Beiträge  zur  griech.  Exzerptenlitteratur  S.  121  ff.,  Hiloabd,  Exceipta 
ex  libris  Herodiani  technici,  Heidelb.  1887 ;  Eobnolff  Rh.  M.  35,  98  ff.,  Jahresber.  d.  Alt  XII 
1,  62  ff.;  dieselben  sollen  in  dem  grossen  Corpus  gramm.  graec.  einen  Supplementbaud  zur 
Ausgabe  von  Lentz  bilden.  Von  der  Schrift  des  Herodian  ne^l  oQ^oyga^iai  Reste  auf  elf 
Palimpseststreifen  des  Cod.  Tischendokf  2  zu  Leipzig,  wortlber  BIeitzenstbin,  Gesch.  d.  gr. 
Etymol.  299  ff.  —  Die  Lehre  des  Herodian  von  den  na&ri  wurde  in  ihren  Grundlinien  £t» 
rekonstruiert  von  Lobeck,  Pathalogiae  graeci  sermonis  elementa,  Eönigsb.  1843. 

Von  den  unechten  und  zweifelhaften  Schriften  des  Herodian  sind  herausgegeben  der 
Philetairos  von  Pierson-Eoch  im  Anhang  der  Ausgabe  des  Moria  p.  412  f.  (fto*  die  Echt- 
heit spricht  sich  aus  Reitzenbtein,  Gesch.  d.  Etym.  377);  nsgl  ^fittQjtjfiiyfoy  Xi^Btav  von 
G.  Hesii AKN  im  Anhang  zur  Schrift  De  emendanda  ratione  graecae  grammaticae,  und  Geahsb 
An.  Ox.  III  246—262  (vgl.  Cohw  Rh.  M.  43,  405  ff.;  eine  vermehrte  Neuausgabe  verspricht 
das  Corpus  gramm.  gr.);  nsgl  ßaQßagiCfxov  xai  coXoixicfiov  von  Valckbnabk  im  Anhang 
des  Ammonius  und  Crameb,  Anecd.  Ox.  IH  237 — 45 ;  die  stdrj  des  Hexameters  von  Studb- 
MUND  Jahrb.  f.  Phil.  1876,  S.  609  ff.;  naQexßoXal  lov  fieyaXov  ^fiatog  von  La-Roche,  Hom. 
Textkrit.  p.  114  ff.    Ueber  die  'EfUfiB^icfioi  u.  a.  s.  Lentz  I  praef.  XV  sqq. 

Metriker. 
666.  Die  Metrik^)  hatte  sich  schon  bald  nach  Aristoxenos,  dem 
musikkundigen  Peripatetiker,  als  eigene  Disziplin  von  ihrer  natürlichen 
Mutter,  der  Musik,  losgelöst, »)  nicht  zu  ihrem  Vorteil.  In  den  Dienst  der 
Grammatik  trat  sie  bereits  in  Alexandria,  als  Aristophanes  und  seine  Ge- 
nossen kritische  Ausgaben  der  Lyriker  und  Dramatiker  besorgten  und 
dabei  auch  den  Kontroversen  über  die  Versabteilung  {xwXofisTQia)  nicht 
aus  dem  Wege  gehen  konnten.  Dort  in  Alexandrien,  wenn  nicht  schon 
zum  Teil  in  Attika,  ist  wohl  auch  die  Mehrzahl  der  metrischen  termini 
technici,  wie  Pentameter,  lonikos,  Bakcheios,  Glykoneion,  Phalaikeion  u.  a. 
ausgeprägt  worden.  Aber  einen  förmlichen  Ausbau  fand  die  Metrik,  so- 
weit wir  nach  unseren  Quellen  urteilen  können,  erst  gegen  Anfang  der 
römischen  Kaiserzeit.  Bei  dem  Versuche  einer  systematischen  Anlage 
schieden  sich  gleich  im  Anfang  zwei  Richtungen.  Die  einen  legten  die 
zwei  gebräuchlichsten  Metra,  den  daktylischen  Hexameter  und  iambischen 
Trimeter,  zugrund  und  suchten  von  diesen,  nach  der  grammatischen  Theorie 
der  nqmroxvna  und  naQcivvfia,  alle  übrigen  Versmasse  abzuleiten,  so  dass 
sie  z.  B.  durch  Zerschneidung  des  Hexameters  in  zwei  Teile  (vofiat)  die 
Glieder  des  Pentameter  und  den  Parömiacus  entstehen  Hessen.  Die 
andern  gingen,  indem  sie  die  Theorie  der  Redeteile  auf  die  Metrik 
übertrugen,  von  der  Unterscheidung  der  hauptsächlichsten  Versfüsse  aus 
und   Hessen   aus    diesen,   nicht   ohne  bedenkliche   Künsteleien,    sämtliche 


u  \?^^  Liniamente  einer  Gescbichte  der 
?i  i°:i~?*^  ßind  entworfen  von  Westphal, 
Metok  der  Griechen,  2.  Anfl.  (1867)  1 1—232 


")  Aristoxenos,  Harm.  82,  8  Meib.  lehrt 
noch,  dass  i;  aQfioy^xij,  ^  ^v&fd^xtj,  ^  ftetQ^t 
rj  oQyay^xij  Teile  der  Musik  seien. 


Ba)BOm.  Periode  Tor  Konstantin.  8.  Die  Prosa,  m)  Die  Orammatik.  (§§566—567.)  769 

Metra  entstehen.  Dabei  nahmen  die  einen  acht  Grundfüsse  {nQcozotvna) 
an,  iambicum,  trochaicum,  dactylicum,  anapaesticum,  paeonicum,  ionicum 
a  maiore,  ionicum  a  minore,  choriambicum,  andere  fügten  noch  einen 
neunten  hinzu,  den  Antispast  Heliodor,  den  Proceleusmaticus  Philoxenos. 
Das  erste  System,  das,  bei  den  Römern  wenigstens,  vor  dem  zweiten  auf- 
tritt, wird  durch  die  lateinischen  Metriker  Varro  und  Cäsius  Bassus  (zur 
Zeit  Neros)  und  in  der  Praxis  durch  die  römischen  Dichter  Horaz  und 
Seneca  vertreten.^)  Dass  auch  es  auf  griechische  Quelle  zurückgeht,  ist 
bei  der  durchgängigen  Abhängigkeit  der  Römer  von  den  Griechen  kaum 
zweifelhaft,  aber  einen  bestimmten  Autor  unter  den  Griechen  zu  ermitteln, 
ist  bis  jetzt  noch  nicht  gelungen.^)  Das  zweite  System  steht  in  Zusammen- 
hang mit  der  Kolometrie  der  Alexandriner  und  mit  der  Vorliebe  der  alten 
Musiker  für  dipodische  Messung;  die  beiden  Metriker  aber,  aus  denen  wir 
dasselbe  kennen,  Heliodor  und  Hephästion,  gehören  der  römischen  Eaiserzeit 
an.  Von  diesen  hat  der  erstere,  von  dem  wir  bereits  oben  §  558  gehandelt 
haben,  ebenso  massgebenden  Einfluss  auf  die  späteren  Metriker  der  Römer 
(Juba,  Atilius  Fortunatianus,  Marius  Victorinus)  geübt,  wie  der  zweite  auf 
die  späteren  Griechen  und  Byzantiner.  Im  Original  ist  uns  nur  der  zweite 
erhalten. 

567.  Hephaistion,  alexandrinischer  Grammatiker  unter  den  Anto- 
ninen, 3)  war  älterer  Zeitgenosse  des  Athenaios,  der  ihn  p.  673 e  als  einen 
gemeinen  Plagiator  hinstellt.  Ausser  anderm  verfasste  er  ein  grosses 
Werk  negi  jästqwv  in  48  B.,  von  welchem  er  später  mehrere,  grössere 
und  kleinere  Auszüge  machte.  Von  diesen  ist  der  kleinste  in  1  B.  unter 
dem  Titel  iyxsiQidiov  tibqI  fiäTQODv  auf  uns  gekommen.*)  In  einfacher, 
präziser  Sprache  sind  hier  nach  zwei  einleitenden  Kapiteln  über  Prosodie 
die  einzelnen  Füsse  und  Verse  vom  Standpunkt  des  Grammatikers  ohne 
Bezugnahme  auf  die  Geltung  der  Sylben  im  Gesang  behandelt.  Angehängt 
ist  der  spezieDen  Metrik  ein  interessantes  Schlusskapitel  ntgi  noiijfiavog 
oder  über  die  verschiedenen  Arten  der  poetischen  Komposition,  in  doppelter 
Fassung.^)  Das  metrische  Handbuch  unseres  Hephaistion  wm-de  geradeso 
wie  die  Grammatik  des  Dionysios  Thrax  dem  Unterricht  in  der  Schule  zu 
grund  gelegt  und  infolgedessen  vielfach  kommentiert.  Auf  uns  gekommen 
sind  Prolegomena  unter  dem  Namen  des  Longinos,  Reste  der  Exegesis  des 
Choiroboskos  und  anonyme  Scholien  von  verschiedenem  Alter  und  Wert; 


^)  Wenn  z.  B.  bei  Horaz  der  1.  Fuss 
des  Asklepiadeus 


immer  ein  Spondeus,  nie  eine  TrochäuB  oder 
Jambus  ist,  so  rfihrt  dieses  daher,  dass  ihm 
der  1.  Teil  jenes  Verses  eine  tofxrj  nsydri- 
fufdegfjf  daxtvXtx'tj  ist 

*)  Leo,  Die  beiden  metrischen  Systeme 
des  Altertums,  Herm.  24  (1889)  280  ff.  ver- 
mutet pergamenischen  Ursprung. 

*j  Capitolinns,  vit.  Yen  2  bezeichnet  den 
Hephistion  als  Lehrer  des  Yems  und  Zeit- 
genossen des  Harpokration.  Suidas  nennt 
unt.  ÜToXiuttiog  und  'Fjnatpqo^ixog  einen  He- 
pb&9tion  als  Vater  des  Ftolemaios  Chennos, 


es  wird  dieses  vielleicht  der  Grossvater 
unseres  Hephästion  gewesen  sein.  Der  Vater 
unseres  Metrikers  hiess  nachTzBTZBS  (Gramer, 
An.  Ox.  III  302)  KiXXsqoi,  d.  i.  Celer;  siehe 
indes  Rh.  M.  25,  319. 

*)  Longin,  Prol.  ad  Heph.  p.  88,  21  W.: 
iaxiov  66  ön  nqiotoy  inoitjae  neQi  fiStQwy 
fjirf  ßißXictf  cly  varegoy  initefiBy  aviä  sig 
iydexttj  eira  naXiv  eig  r^ia,  etzr(  nXioy  eis 
iy  Tovtov  roi»  iy^etQ^^iov. 

^)  Die  kürzere  Fassung  wird  in  den 
Scholien  nicht  berücksichtigt  und  scheint  von 
einem  späteren  Metriker  mit  kleinen  Ab- 
änderungen aus  der  längeren  ausgezogen  zu 
sein. 


Handbttoh  der  klam.  AltertmuBwlBsenschaft.    Vn.    S.  Aufl.  49 


770 


QriechiBohe  Litteratargeachiobte.    II.  KaohkUsBisohe  Littaratar. 


die  älteren  des  cod.  Saibantianus,  in  denen  noch  Heliodor  und  das  grössere 
Werk  des  Hephaistion  benutzt  sind,  haben  für  uns  fast  mehr  Wert  als 
das  Handbuch  selbst. 

Hephaestionia  Alex,  enchiridion  neQi  fAiigtoy  xal  noififidtmy  ed.  Gaisford  Oxon.  1810, 
itenim  1855,  2  tom.  —  Scriptores  metr.  gr.  ed.  Wbstphal  in  Bibl.  Teabn.  1866;  der  ente 
allein  erschienene  Band  enthält  den  Hephftation  mit  den  Scholien.  —  Scholia  Hephaestionea 
altera  ed.  HoERSCBELHAifK,  Dorpat  1882;  FetaQyiov  xov  XoiQoßoaxov  i^tjytjtfig  ek  i6  ror 
'Htpaicxiiavog  iyxB^QiSiov  und  Scholia  Hephaestionea  Ambrosiana  ed.  Stübemund,  An.  gr. 
38  ff. ;  Tractatus  Harleianns,  wahrscheinlich  von  Triklinios,  neubearbeitet  von  Studekuhd 
im  Ind.  Vrat.  1887/88. 

Verwandten  Inhaltes  sind  der  Traktat  negi  r^s  x<Sf  no6my  oyofduaiag,  publiziert  von 
Kbil,  Anal.  Ambros.  1848,  von  Nauck,  Lex.  Vind.  253—67;  Ps.  Hbrodiak  ober  die  eStf^des 
Hexameters,  Studemund  Anecd.  var.  gr.  I  185  -  88.  Andere  Kleinigkeiten  von  Studbmukd 
in  Jahrb.  f.  Phil.  1876  S.  609  ff.  und  in  Anecd.  I  211  ff.  —  Pseudo-Hephaestion  De  meiziB, 
eine  Kompilation  des  14.  Jahrb.,  herausgegeben  von  Jaoobsmühlbn,  Strassb.  1888,  in  Disa 
Argent.  X  187-298. 

668.  Drakon  von  Stratonikeia,  der  vor  ApoUonios  Dyskolos^)  lebte, 
hat  über  grammatische  und  metrische  Dinge  geschrieben.  Aber  keines 
der  von  Suidas  aufgezählten  Bücher  {negl  fiävQwv^  negl  aaxvQmv^  ne^  %m 
n^vittQov  fieXm'^  negl  twv  Santpovg  pLätqwv^  neql  täv  ^Alxaiov  fifiMv)  ist 
auf  uns  gekommen.  Denn  die  unter  seinem  Namen  im  Cod.  Paris.  2675 
erhaltene  Schrift  negi  luxqwv  notrjnxcSv  ist  eine  wertlose  Kompilation  des 
16.  Jahrhunderts.*)  Eher  darf  man  vermuten,  dass  die  metrischen  Scholien 
des  Pindar  in  ihrem  Grundstock  auf  Drakon  zurückgehen.  Ausgabe  des 
Draco  von  G.  Hermann,  Lips.  1812. 

569.  Aristides  Quintilianus,  über  dessen  Lebenszeit  uns  bestimmte 
Angaben  fehlen,  der  aber  wahrscheinlich  Ende  des  3.  Jahrhunderts  n.  Chr. 
zur  Zeit  der  Neuplatoniker  lebte,  8)  ist  Verfasser  des  uns  erhaltenen  und 
von  Martianus  Capeila  teilweise  ins  Lateinische  übersetzten  Werkes  nf^ 
^ovcixijg  in  3  B.  In  dem  ersten  Buch  behandelt  er,  wesentlich  auf  Aristo- 
xenos  gestützt,  die  Lehre  von  der  Harmonik  und  Rhythmik;  es  ist  der 
weitaus  wichtigste  Teil  des  Werkes,  der  über  die  lyrischen  Metra 
der  Alten  ebenso  wichtige  Aufschlüsse  wie  schwierige  Probleme  gibt 
Das  zweite  und  dritte  Buch  sind  mehr  philosophischer  Natur.  Das  zweite 
handelt  von  dem  Einfluss,  den  die  verschiedenen  Tonarten  und  Rhythmen 
auf  die  Sitten  der  Menschen  üben,  das  dritte  von  den  Beziehungen  der 
Musikverhältnisse  zu  den  Zahlen  und  damit  nach  pythagorischer  Auffassung 
zum  Universum.  Das  Ganze  hat  für  uns  durch  die  alten  Quellen,  die  uns 
über  die  einseitige  Theorie  der  erhaltenen  Metriker  hinauf  in  die  Zeit  der 
Verbindung  (ccov  (TvfiTiXexovTcov)  der  Metrik  und  Rhythmik  fuhren,  hohe 
Bedeutung;  der  Wert  desselben  wird  nur  stark  getrübt  durch  die  neu- 
platonischen   Träumereien,    die    wesentlich    zwar   Zuthaten   des  Aristides 


*)  Vergl.  Apoll,  de  pron.  p.  20b. 

*)  Ueber  die  ünechtheit  s.  Lehrs,  Hero- 
diani  scripta  tria  p.  402  ff.  —  Voltz,  De 
Helia  Monacho,  Isaaco  Monacho,  Ps.  Dracone 
(1886),  weist  nach,  dass  das  Buch  erst  nach 
1526  fabriziert  wurde  unter  Zugrundelegung 
des  gleichnamigen  Buches  von  Isaacus  Mo- 
nachus  (ed.  Bachmann,  An.  gr.  II  167—196). 
Dass  der  betreffende  Codex  von  Diassorinos, 


einem  Grenossen  des  FAlschers  PalaiokapiML, 
geschrieben  ist,  beweist  L.  Cohh,  Phil.  Abh. 
zu  Ehren  von  Hertz  8.  133  ff. 

')  Caesar,  De  Aristidis  Quint  miuieae 
scriptoris  aetate,  Ind.  Marb.  1882.  Dagegen 
wollte  ihn  Alb.  Jahx  Ausg.  p.  XXI  il  XXXI 
der  ersten  Hälfte  des  2.  Jahrh.  znweiseiL 
Wkstphal  Metrik  P  20  macht  ihn  zom  Frei- 
gelassenen des  lUietors  Qmntilian. 


Ba)  Rom.  Periode  Tor  Konstantin.  8.  Die  Prosa,  m)  Die  Grammatik.  (§§568—571.)    77 1 


selbst  sind,  zum  Teil  aber  doch  auf  der  alten,  bis  auf  Pythagoras  zurück- 
reichenden Verquickung  von  Musik  und  Philosophie  beruhen. 

HanptaiiBgabe  toh  Alb.  Jahn  1882;  Nachträge  aus  den  Papieren  Stademnnds  von 
AxsBL  Breelaner  philoL  Abh.  13.  —  Das  System  klargelegt  von  Caesar,  Die  Gmndzttge 
der  griech.  Mythmik  im  Anscbiluss  an  Arisbdes,  Marburg  1861. 

Von  sonstigen  Büchern  über  Musik  sind  auf  uns  gekommen  das  rein 

theoretische  Werk  des  Ptolemaios  über  Harmonik,   das  wir  bereits  oben 

§  498  besprochen  haben,  und   die   dürftigen   Einführungen  in   die  Musik 

{jeiaayeoyal  läxvrfi  fjiovatxrjg)  von  Alypios,  Nikomachos,  Bakcheios,  Dionysios, 

Gaudentius  aus  den  letzten  Jahrhunderten  des  Altertums.  —  Der  Zeit  vor 

Ptolemaios  gehört  an  Didymos  nsQi  dia(poQäg  rijg  IIv&ayoQ€(ov  iiovatxfjg 

nQog  zrjv  'Aqiüzo^hVHov^  aus  welcher  Schrift  uns  einiges  in  dem  Kommentar 

des  Porphyrios  zur  Harmonik  des  Ptolemaios  erhalten  ist. 

Mbibok,  Antiquae  musicae  auctores  Septem,  Amstel.  1652;  G.  v.  Jan,  Musici  scriptores 
graeci,  1895  in  Bibl.  Teubn.  —  Wsstphal,  Die  Fragmente  der  Rhythmiker  und  die  Musik- 
reete  der  Griechen,  Anhang  zur  Metrik  der  Griechen,  2.  Aufl.  1867.  Nachtrftge  aus  spanischen 
Bibliotheken  von  Rübllb,  Etudes  sur  Tancienne  musique  grecque,  Par.  1875.  —  C.  v.  Jan, 
Die  Eisagoge  des  Bacchius  (aus  der  Zeit  Konstantins),  Strassburg  Programm  1890  u.  1891; 
dazn  Rh.  M.  46,  557-76. 

Lexikographen  und  Attlklsten. 

570.  Die  Anfange  der  Lexikographie  gehen  bis  auf  die  ersten  Ale- 
xandriner zurück.^)  Schon  Philetas,  Zenodot,  Lykophron,  in  grösserem 
Stile  sodann  Aristophanes  von  Byzanz,  Erates  von  Mallos  und  ihre  Schüler 
hatten  seltene  Ausdrücke  der  Umgangssprache  (yXwaaai)  und  erklärungs- 
bedürftige Lesungen  {Xe'^cig)  der  Autoren  zusammengestellt  und  erläutert. 
Umfassende  Lexika  aber  brachten  erst  die  ersten  Zeiten  der  römischen 
Periode,  aus  der  wir  die  Arbeiten  des  Didymos,  Tryphon,  Pamphilos  an 
ihrer  Stelle  bereits  erwähnt  haben.  Jenen  Wörtersammlungen  waren  Unter- 
suchungen über  den  Ursprung  (to  hvfiov)  der  einzelnen  Wörter  zur  Seite 
getreten,  welche  die  Stoiker  Chrysipp  und  Apollodor  angeregt  und  unter 
den  Grammatikern  vornehmlich  Philoxenos  weiter  verfolgt  hatten.  Die 
lexikalischen  und  etymologischen  Werke  der  älteren  Zeit  sind,  von  einigen 
Speziallexicis  abgesehen,  nicht  auf  uns  gekommen;  aber  auf  den  verloren 
gegangenen  grösseren  Werken  beruhen  die  Lexika,  welche  auf  unsere  Zeit 
sich  gerettet  haben.  Von  ihnen  fallen  die  meisten  in  die  letzte  Periode 
der  alten  Litteratur;  hier  werde  ich  nur  die  lexikalischen  Werke  des  2. 
und  3.  Jahrhunderts  zusammenstellen. 

571.  Die  Attikisten.«)  Attische  Wörter,  d.  i.  solche,  welche  bei 
attischen  Autoren  in  Gebrauch  waren,  hatten  schon  ältere  Grammatiker, 
wie  Philemon  der  Athener,  5)  Ister  der  Kaliimacheer,  Aristophanes  und 
Krates,  später  im  Beginne  der  Kaiserzeit  die  Pergamener  Demetrios  Ixion 


^)  Mbibr,  Opusc.  ir  10  ff.,  wo  noch 
weiter  zurückgegangen  wird  auf  Demokritos' 
TTc^  yXüHfaituv  und  ovofAaanxow  imd  auf  das 
oyofiaisxiTtoy  des  Gorgias. 

*)  Meibk,  De  lexicis  rhetoricis,  Opusc. 
II  30  ff.  u.  62  ff. 

•)  Die  'Jtrixtti  X^^eis  des  Philemon  wer- 
den  öfter    von    Athenaios   citiert;    derselbe 


lebte  sicher  vor  Tryphon,  der  ihn  bei  Am- 
monios  unt.  novtjQog  citiert;  dass  er  der  Sjeit 
vor  Arlstarch  angehört,  erweist  Rob.  Weber, 
De  Philemone  Atheniensi  glossographo ,  in 
Gomm.  Ribbeck.  441—50;  ein  anderer  Phi- 
lemon, Verfasser  von  avfAfJUxra,  lebte  zwi- 
schen Alexander  Cotyaeus  und  Porphvrius; 
tlber  einen  dritten  untergeschobenen  s.  g  634. 

49» 


772  Qiieohisohe  Lüteratargesohiohte.    IL  Haohkbuwviolie  Litteratnr. 

und  Alexander  Polyhistor,  sowie  der  Rhetor  Gäcilius  Calactinus  zusammen- 
gestellt. Diese  Sammlungen  erhielten  aber  erhöhte  Bedeutung  im  Zeit- 
alter der  Sophisten/)  als  man  alle  Ehre  darein  setzte,  rein  attisch  zn 
schreiben  {ätTtxiCfn'),  und  auf  diejenigen,  welche  sich  Wörter  und  Formen 
der  Yulgärsprache  erlaubten,  verächtlich  als  auf  Halbbarbaren  herabsah. 
Diesem  stilistischen  Zwecke  soUten  auch  die  lexikalischen  Arbeiten  der 
Attikisten  dienen,  in  welchen  die  attischen  Formen  den  vulgaren  {iXXrjviatiy 
xoiv(og  elQTjfihva)  gegenübergestellt  und  zum  ausschliesslichen  Gebrauch  em- 
pfohlen wurden.  Rhetorische  Lexika  hiessen  daher  auch  die  bereits  oben 
§  562  erwähnten  Hauptwerke  dieser  Art,  die  des  Aelius  Dionysius  und 
Pausanias.  Ähnlicher  Art  waren  zahlreiche  Schriften  aus  der  Blütezeit 
der  Sophistik  im  2.  Jahrhundert,  wie  von  Eirenaios  nsQi  'Atvixiafiov,  ne^ 
^Äitixiav  ovoficerwv,  negl  ^Attixtjc  avvrj&€{ag  r^$  iv  Xä^et  xal  JiQoatpdi^,*)  von 
Julius  Vestinus,  Geheimschreiber  Hadrians,  ixXoyfj  orofidrcov  ix  rwv 
Jfjfioa&ävovg  Oovxvdidov  *Iaaiov  ^laoxQorovg  xal  &Qacviiaxoi\  von  Valerius 
Pollio  avvaywyij  ^Aixixwv  Xt^iwv^'^)  von  Valerius  Diodorus,  einem  Sohne 
des  Pollio,  ^riiLviisva  nagd  toTg  i  ^rjTOQCiv^*)  von  Telephos  dem  Perga- 
mener^)  negi  awra^stog  Xoyov  Uvtixov,  Auf  uns  gekommen  sind  ausser 
den  Wörterbüchern  des  Harpokration  und  PoUux  die  Xä^fig  Uruxai  des 
Moiris,  der  anonyme  'AvtaTtixiatijg,  und  die  Auszüge  aus  Phrynichos. 
Das  Hauptwerk  des  letzteren,  den  Suidas  einen  Sophisten  aus  Bithynien 
nennt,  war  die  ao^fiatixr;  naQaaxsvrj  (grammatisches  Rüstzeug  für  die  So- 
phistik) in  36  oder  72  B.,  mit  einer  an  den  Kaiser  Gommodus  gerichteten 
Widmungsepistel.  ^)  Als  Hauptmuster  für  den  Attikismus  galten  dem  Phry- 
nichos Piaton,  Demosthenes  und  der  Sokratiker  Aischines;  neben  einzelnen 
Wörtern  fanden  auch  ganze  Phrasen  (xo^ifiara  xal  xdXa)  in  seinem  Werke 
Berücksichtigung.  Auf  uns  gekommen  sind  nur  dürftige  Auszüge:  ^x  tw 
^Qvvi'xov  Tov  *AQQaßiov  Trjg  ao^iavixrjg  naqaaxsvf^g.  Gegen  seine  Auf- 
stellungen polemisierte  der  Grammatiker  Oros,  der  in  der  Weise  des  uns 
erhaltenen  ^AriaxtiTuatifi  manches,  was  jener  beanstandet  hatte,  durch  gute 
Autoren  belegte. 

Moeris  com  notis  variorom  ed.  Pierson,  LB.  1759,  denuo  ed.  Koch,  lipe.  1830,  mit 
dem  Philetairos  des  Ps.  Herodian  im  Anhang;  rec.  lux.  Bekkkb,  Berol.  1833,  mit  Harpo- 
kration. —  Pfaiynichus  cum  notis  variorom  ed.  Lobbck  1820  mit  einem  auf  den  gansen 
Attikismus  eingehenden  Kommentar;  The  new  Phrynichos  with  introdoctions  and  commen- 
tary  by  Ruthebfobd,  Lond.  1881.  —  üeber  die  attikistischen  Schriften  unter  dem  Namen 


^)  Dionysios  Halik.  in  der  Zeit  des  Au-  ■  Jolianus  erwShnt  Photios  cod.  150;  s.  Ed. 
gustus  bezeichnet  noch  nicht  die  Reinheit  '  Mbisr,  Opusc.  II  149  f.  Ein  Brochstilck  der 
des  Ausdrucks  mit  «xtixi^t^v,  die  Pedanterie  .  Zr^tovfieya  des  Diodor  publizierte  Mellbb, 
des  Attikismos    auch  in  der  Auswahl  der  |  M^langes  p.  1 — 74. 

Wörter  kommt  erst  mit  Herodes  Atticus  auf;   j  ^)  Ueber  diesen  Telephos,   der  ein  sehr 

s.    W.  Schmidt,    Der   Atticismus   in   seinen      fruchtbarer  Schriftsteller  auf  dem  Gebiet  der 
Hauptvertretem,  Stuttg.  1887,  I  10.  [  Grammatik  und  Poljhistorie  war,  haben^  wir 

*)  üeber  diesen  Eirenaios  oder  Minucius 
Pacatus  handelt  Haupt,  Opusc.  II  434—440, 
wo  auch  die  Fragmente  gesammelt  sind; 
ebenda  p.  435  über  Vestinus. 

')  Von  Pollio  ausserdem  ein  Buch  nsQi 
ri/c  Kitjüiov  xXort^g  und  TtBQi  iijg  'Hgodorov 
xioTiiji  bei  Euseb.  pr.  ev.  X  3,  24. 


*)   Lexika   des   Philoetratos,    Diodoros,   {  B.  plante. 


einen  inhaltreichen  Artikel  des  Suidas.  Frag- 
mente bei  MüLLKB  FHG  III  634  f.  Vielleicht 
steht  der  Name  des  Telephos  auch  bei  De- 
metrios  negi  sQfiijyeiag  c.  149  in  dem  koi^ 
rupten  nagd  TrjXsfjiäxio. 

*)  Darüber  Photios    cod.   158,    wonach 
Phrynichos  ein  Werk  von  2  x  37  (conr.  86) 


Ba)E5m.  Periode  Tor  Konstantin.  9.  Die  Prosa,  m)  Die  arammatik.  (§§572—573.)  773 

des  Herodian  ns^i  ^fAaqxrjfji^viav  XiUfov  und  ^tXittaQoq^  die  aus  der  späteren  Eaiserzeit 
stammen,  s.  §  565.  —  In  dem  Corpus  gramm.  graec.  sollten  die  Attikisten  mit  neuen  Hilfs- 
mitteln bearbeitet  werden  von  R.  Scholl  und  L.  Gomr.  Ueber  die  Ueberlieferung  des  Aus- 
zugs des  Phrynichos  und  die  Hilfsmittel  einer  neuen  Ausgabe  handelt  mein  inzwischen  ver- 
storbener KoÜege  SoHÖLL,  Ueber  die  ixXoyrj  des  Atticisten  Phrynichos,  Sitzb.  d.  b.  Ak.  1894 
Bd.  H  S.  493-540. 

572.  Harpokration,  mit  dem  Gentilnamen  Valerius,  aus  Alexandria 
wird  von  Suidas  als  Verfasser  der  uns  noch  erhaltenen  ^e'^stg  twv  iäxa 
^rjTOQwv  angeführt.^)  Das  Buch  enthält  sorgfältige,  für  unsere  Kenntnis 
des  attischen  Gerichtswesens  äusserst  wichtige  Besprechungen  von  Eigen- 
namen und  erklärungsbedürftigen  Ausdrücken  der  zehn  attischen  Redner. 
Zur  Erläuterung  sind  von  der  älteren  Litteratur  die  Periegeten  und  At- 
thidenschreiber  herangezogen ;  von  jüngeren  Gelehrten  ist  besonders  Didy- 
mos  ausgebeutet,  daneben  auch  der  Rhetor  Dionysios  von  Halikarnass  und 
der  Lexikograph  Dionysios,  des  Tryphon  Sohn.  Das  werden  aber  auch 
die  jüngsten  Gelehrten  sein,  die  Harpokration  benutzte,  da  es  zweifelhaft 
ist,  ob  der  unter  axij  citierte  Nikanor  mit  dem  berühmten  Grammatiker 
Nikanor  Stigmatias  identisch  ist.  Die  Zeit  des  Verfassers  unseres  Lexi- 
kons hat  Suidas  anzugeben  unterlassen;  vermutlich  ist  er  der  gleiche  Har- 
pokration, den  Capitolinus,  vit.  Veri  2,  als  Lehrer  des  Antoninus  Verus 
im  Griechischen  angibt.') 

üeberliefert  ist  das  Lexikon  in  zwei  Recensionen,  einer  vollständigeren  nnd  einer 
abgekfirzten;  aber  auch  die  erstere  enth&lt  nur  einen  verstümmelten  Text,  wie  neuerdings 
ans  der  volleren  Fassung  der  einschlägigen  Artikel  in  dem  Speziallexikon  zu  Demosthenes 
Aristocratea  erkannt  wurde;  s.  Herm.  17,  148  ff.  —  Hauptausgabe  mit  den  Noten  der 
Froheren  von  6.  Dindorf,  Oxon.  1853,  2  vol.;  kritische  Textausgabe  von  Ihm.  Bekkeb, 
BerL  1833.  —  Boysen,  De  Harpocrationis  fontibus,  Kiel  1876.  —  Von  Harpokration  ist  ab- 
hängig das  Lexicon  rhetoricum  Gantabrigiense  bei  Nauck,  Lex.  Yindob.  p.  329 — 58. 

678.  Julius  PoUux  (IloXvdsvxrjc)  aus  Naukratis  in.  Ägypten,') 
Schüler  des  Rhetors  Adrianos,  war  wie  Phrynichos  ein  Mittelding  zwischen 
Qrammatiker  und  Sophist.  Durch  die  Gunst  des  Kaisers  Gommodus  erhielt 
er  den  Lehrstuhl  der  Sophistik  in  Athen,  den  er  bis  zu  seinem  im  58. 
Lebensjahre  erfolgten  Tod  inne  hatte.  Aber  in  das  Ansehen  eines  tüch- 
tigen Stilisten  wusste  er  sich  bei  den  Kennern  nicht  zu  setzen.  So  wenig- 
stens spricht  sich  Philostratos,  vit.  soph.  11  12  aus;  schlimmer  noch  geht 
mit  ihm  Lukian  um,  der  ihn  im  Sophistenlehrer  zur  Zielscheibe  bittersten 
Spottes  gemacht  hat.^)  Ausser  mehreren  andern  von  Suidas  aufgezählten 
Schriften  schrieb  er  das  uns  noch  erhaltene  "Ovof^iaaxixov  in  zehn  Büchern, 
von  denen  jedes  mit  einem  Brief  an  den  Kaiser  Gommodus  eingeleitet  ist. 
Das  Lexikon  ist  nach  Kategorien  geordnet  und  befolgt  auch  innerhalb  der 
einzelnen  Kategorien  nicht  die  alphabetische  Ordnung.  Beabsichtigt  ist 
von  dem  Verfasser  zunächst,  seinen  Lesern  Verzeichnisse  der  attischen 
Namen  für  die  einzelnen  Gegenstände  zu  geben;  Belegstellen  und  Zeug- 
nisse sind  nur  teilweise  und  in  verschiedenem  Umfang  beigegeben.     Am 


>)  Snidas  erwähnt  noch  3  andere  Männer  I  ')  Mbibr,   Opusc.   II   147  ff.   setzt  den 

Namens    Harpokration;    der  unsere    heisst  1   Harpokration   auf  Grund   der  Citate  in  die 

^io>g,  und  steht,   was  wegen   der  Zeit  zu  |   Zeit  des  Tiberius. 

beachten  ist,  an  letzter  Stelle.   Sein  Namens-  ')  C.   F.   Ranke,   Pollux   et  Lucianus, 

Terwandter   Aelius  Haipokration  hatte  eine      Quedlinburg  1831. 
T^/Kf;  ^o^utij  geschrieben,  die  Rh.  gr.  I  ^)  Siehe  oben  §  538. 

428, 18;  440, 4;  447, 20;  459, 5  Sp.  citiert  wird. 


774  Grieohidohe  Lütoratnrgesohiohto.    II.  NftohklaMisobe  litteratar. 

interessantesten  sind  das  vierte  und  achte  Buch,  von  welchen  das  erstere 
von  den  Wissenschaften  und  Künsten,  und  im  Anschluss  daran  vom  Theater, 
den  Masken,  musikalischen  Instrumenten  handelt,  das  letztere  die  Behörden 
und  die  Gerichte  Attikas  aufzählt.  Selbst  gesammelt  hat  PoUux  die  Namen 
nicht  und  noch  weniger  die  Belegstellen;  er  hat  auch  in  den  einzelnen 
Büchern  nicht  dieselben  Hilfsmittel  benutzt,  wie  er  selber  sagt,  dass  er 
erst  bei  dem  neunten  Buch  das  Onomastiken  des  Sophisten  Gorgias  zu 
Rate  gezogen  habe.  Seine  Quellen  waren  in  erster  Linie  die  grossen  lexi- 
kalischen Vorarbeiten  des  Didymos,  Tryphon,  Pamphilos,  Suetonius;*)  im 
zweiten  Buch  hat  er  sich  speziell  an  die  uns  in  der  Hauptsache  noch  er- 
haltene Schrift  des  Arztes  Rufus  nsgi  ovofAaütag  tSv  tov  av&^nov  fioQimv 
angelehnt.  Das  nützliche  Werk  ist  leider  nur  im  Auszug  erhalten,  wobei 
namentlich  viele  Belegstellen  weggefallen  sind. 

Hauptausgabe  mit  den  Noten  der  Frfliieren  von  Dimdobf,  Lips.  1824,  5  vol.;  ex  rec. 
Imx.  Bbkkeri,  Berl.  1846.  —  üeber  den  Apparat  einer  neuen  kritischen  Ausgabe  erstattet 
vorlftufigen  Bericht  Bethb,  Nachr.  d.  GOtt.  Ges.  1895  S.  322  ff.  —  Rohdb,  De  Pollnds  in 
apparatu  scaenico  enarrando  fontibus.  Ups.  1870;  Stoientin,  De  lulii  Pollucis  in  pablicis 
Atheniensiam  antiquitatibus  enarrandis  anctoritate,  Vratial.  1875;  R.  Michaelis,  De  lulii 
Pollucis  studiis  Xenophonteis,  Halle  1877 ;  Ed.  Zabuke,  Symbolae  ad  Julii  Pollucis  tractatiim 
de  partibus  corporis  humani,  Lips.  1885. 

Dem  Pollux  wollte  der  französische  Oelehrte  Boucherie  auch  das 
griechisch-lateinische  Lexikon,  'EQfjt^rjrevfiaTa,  zuschreiben,  welches  ehedem 
unter  dem  Namen  des  Magister  Dositheus  umlief,  weil  es  in  einigen  Hand- 
schriften mit  der  lateinischen  Gramimatik  des  Dositheus  verbunden  ist.  In 
der  That  gehört  dasselbe,  wie  Erumbacher  nachgewiesen  hat,  weder  dem 
einen,  noch  dem  anderen  an,  sondern  einem  Anonymus,  der  im  Beginne 
des  3.  Jahrhunderts  für  die  Römer,  welche  Griechisch,  und  die  Oriechen, 
welche  Latein  lernen  wollten,  ein  bequemes  Gesprächswörterbuch  in  3  B. 
zusammenstellte,  von  welchen  drei  Büchern  das  dritte,  welches  Wörter 
des  alltägigen  Gesprächs  {negi  dfiiXiag  xad^rjfisQivfjg)  enthält,  auf  uns  ge- 
kommen ist.  Dasselbe  ist  für  unsere  Kenntnis  der  Yulgärsprache  jener 
Zeit  nicht  ohne  Bedeutung;  auch  über  das  Privatleben  in  Schule,  Gericht, 
Bad,  Essen,  gibt  es  interessante  Aufschlüsse.  Im  Mittelalter  stark  ver- 
breitet, hat  es  vielfache  Interpolationen  und  Umarbeitungen  erfahren,  so 
dass  die  erhaltenen  Handschriften  in  mehrere,  erheblich  abweichende  Stämme 
auseinander  gehen. 

Hanptausg.:  Hermeneumata  Psendodositheana  ed.  Gobtz,  in  Corpus  glossariomni  latinomm 
vol.  UI,  Lips.  1892.  —  CoUoquinm  Pseudodositheanum  Monacense  mit  Erläuterungen  von 
Kbumbachbr  in  Abhdl.  zu  Ehren  Christa  1891  p.  807  ff.;  zuvor  Erumbachbr,  De  codicibus 
quibus  Inierpretamenta  Psendodositheana  nobis  tradita  sint,  Monachii  1883.  —  Ehedem  waren 
nur  einzelne  Proben  des  Büchleins  veröffentlicht  von  Boüchbrib,  Notices  et  extraits,  t.  XXII 
p.  329— 477;  Haupt,  Opusc.  II  508-520.  —  In  dem  1888  erschienenen  ersten  Bande  des 
Corpus  gloss.  lai  von  Goetz  mehrere  andere  glossae  latino-graecae  und  idiomata  L  e.  WOrter, 
deren  Geschlecht  im  Lateinischen  und  Griechischen  verschieden  ist,  worüber  vergleiche 
Charisius  Inst,  gramm.  1.  IV  de  idiomatibus.  —  Ein  neues  CoUoquium  scholicum  Harleiannm 
von  Götz  im  [nd.  Jen.  1892. 

Hingewiesen  sei  hier  auch  noch  auf  die  Zusammenstellung  von  'Eni&era  Jios,  'JnoX- 
Xatvog^  üoceidwyogy  "jQSOSy  Jtovvirov,  'H<paictoVy  *EQfiov,  'A&tjyagy  '*B^a(,  'Jfp^ditijSy  Jfjfitjr^af, 
'AQjifAiSog,  welche  Stüdemund,  Anecd.  gr.  I  264  sqq.  ediert  hat,  und  die  Yoces  anima^lhiwi. 


^)  Insbesondere  gehen  die  Artikel  über  I  "EXktiaf,  nai&iioy,  worüber  G.  Böhm,  De  eot- 
die  Spiele  zurück  auf  Sueton  ne^l  rwy  nag'  \  tabo,  Bonn.  I>is8.  1898  p.  8—8. 


B  a)  BOmkohe  Periode  vor  Konataiitin.  8.  Die  Proea.  m)  Die  Grammatik.  (§  574.)    775 

wovon  Proben  bei  Stuobhund,  Anecd.  gr.  I  102-6,  reichere  Mitteilungen  von  Bancalari, 
Snl  trattato  greco  de  vocibns  animaliiiTn,  Stud.  italiani  di  fil.  class.  I  75  ff.  mit  Nachtrag  von 
Fb8Ta  ebenda  m  496. 

Pardmlographen  und  Mjthographen. 

574.  Sprichwörtersammlungen.  Die  griechische  Sprache  hatte 
eine  grosse  Fülle  schöner  Sprichwörter  (nagoifitai),  von  denen  die  ältesten 
in  metrische  Form  gekleidet  waren,  alle  aber  von  dem  Witz  und  der 
scharfen  Beobachtungsgabe  des  Volkes  zeugten.  Ihre  Erklärung  gehörte 
natürlich  mit  zur  Aufgabe  der  Grammatiker  und  führte  früh  zu  Samm- 
lupgen von  Sprichwörtern.  Von  Didymos  haben  wir  schon  oben  §  443 
eine  solche  Sammlung  in  13  B.  kennen  gelernt;  aber  er  war  nicht  der 
erste,  der  sich  mit  diesem  Oegenstande  abgab.  Schon  von  Aristoteles  wird 
im  Verzeichnis  seiner  Schriften  ein  Buch  nsgi  nagoipiSv  angeführt,  und 
der  Isokrateer  Eephisodoros  macht  bei  Athen.  60  d  dem  Philosophen  geradezu 
einen  Vorwurf  aus  dieser  kleinlichen  Beschäftigung.  Dem  Vorgang  des 
Meisters  waren  dann  der  Peripatetiker  Klearchos  und  der  Stoiker  Chrysippos 
mit  ähnlichen  Arbeiten  gefolgt.  Auch  die  älteren  Grammatiker  und  Peri- 
egeten  hatten  sich  dieses  Gebiet  der  Forschung  nicht  entgehen  lassen. 
Demon  der  Atthidenschreiber,  Aristophanes  von  Byzanz,  Aristides  von  Milet, 
besonders  aber  Lukillos  aus  dem  kretischen  Tarra  hatten  sich  durch  ihre 
Schriften  über  Sprichwörter  einen  Namen  gemacht.  In  der  Zeit  der  Sophisten 
erlangten  diese  Sammlungen  eine  erhöhte  praktische  Bedeutung  dadurch, 
dass  die  Schriftsteller  in  der  Verwendung  von  Sprichwörtern  ähnlich  wie 
in  der  von  Figuren  einen  auszeichnenden  Schmuck  der  Rede  suchten.  Be- 
kannt ist,  wie  häufig  der  begabteste  Schriftsteller  der  Sophistik,  Lukian, 
seine  Rede  durch  geschickte  Einlage  von  Sprichwörtern  belebt.  0 

Aus  dieser  Zeit  nun  stammen  auch  die  Sammlungen  der  uns  erhal- 
tenen Parömiographen.  Die  vollständigste  ist  die  des  Sophisten  Zenobios, 
der  zu  Rom  in  der  Zeit  des  Hadrian  lehrte  und  von  dem  Suidas  ausser 
der  Sprichwörtersammlung  auch  eine  griechische  Übersetzung  des  Sallust 
und  eine  Geburtstagsrede  auf  Hadrian  anführt.  Jene  Sammlung  wird  von 
Suidas  als  eine  innofirj  xwv  naQoifimr  Jidvfiov  xal  Taggahv  iv  ßißXioig 
/  bezeichnet.  Es  ist  uns  also  auch  hier  nur  ein  Auszug  der  gelehrteren 
Werke  der  älteren  Zeit  erhalten,  und  Schneidewin  hat  in  der  Präfatio 
seiner  Ausgabe  p.  XIV  sqq.  gezeigt,  wie  uns  hie  und  da  in  den  Schollen 
des  Piaton  noch  die  gelehrten  Ausführungen  der  kurzen  Angaben  des 
Zenobios  vorliegen.  Die  Sprichwörter  dieses  unseres  Zenobios  wurden  im 
Mittelalter  zu  Schulzwecken  in  eine  alphabetische  Ordnung  gebracht  und 
mit  zwei  anderen  Sammlungen  zu  einem  Corpus  paroemiographorum  ver- 
einigt. Nach  dem  Vorschlag  des  Erasmus  Hess  dann  Schott  an  die  Stelle 
der  alten  Ordnung  nach  Büchern  die  Zählung  nach  Centurien  treten,  welche 
Zählung  noch  in  der  Ausgabe  von  Leutsch-Schneidewin  beibehalten  ist. 
Erst  in  unserer  Zeit  ist  es  mit  Hilfe  des  Cod.  Athens  gelungen,  die  Samm- 
lung wieder  in  ihre  drei  Elemente  zu  zerlegen.  Den  Grundstock  und  den 
ersten  Teil  bilden  die  drei  Bücher  des  Zenobios.     Der  zweite  Bestandteil 


')  Jacobitz  in  seiner  Ausgabe  Lukians  t.  IV  328  f. 


776  Qrieohiaohe  Litteraturgesohiohte.    II.  Nachklassisoha  Litteratiir, 

trägt  die  Überschrift  nlovxaQxov  naqoinim^  afg  ^AXe^avÖQfTg  ixq&%no  (131 
Nummern);  diese  zweite  Sammlung  geht  auf  den  Grammatiker  Seleukos 
zurück,  der  nach  Suidas  neq]  rwv  naQ*  'Ale^avdQsifffi  naQoifiiwv  geschrieben 
hatte;  wie  Plutarch  dazu  kam,  Vaterstelle  fQr  dieselbe  zu  vertreten,  ist 
noch  nicht  aufgeklärt.  Die  dritte,  alphabetisch  geordnete  und  reichhaltigere 
Sammlung  entstammt  dem  Sprichwörterlexikon  eines  anonymen  Rbetors; 
von  Diogenian,  dem  berühmten  Lexikographen,  scheint  sie  nicht  direkt 
herzukommen,  wiewohl  in  den  Mischhandschriften  die  eine  Rezension  den 
Titel  trägt:  naqoiniat  irjfioiSing  ex  rrjg  /tioysviavov  avvay(oyr^g.  Die  Samm- 
lungen von  Gregorios  von  Kypern  (13.  Jahrhundert),  Makarios,  Chrysoke- 
phalos  und  Apostolios  (15.  Jahrhundert)  sind  auf  Grund  der  alten  Samm- 
lungen im  Mittelalter  zusammengestellt  worden  und  haben  keinen  selb- 
ständigen Wert. 

Die  Codices  gehen  in  zwei  Familien  auseinander,  von  denen  die  ältere  (cod.  Athoos 
8.  Xni;  Lanrent.  80,  13;  Escorialensis  1  I  20)  die  Teile  gesondert  enthält,  die  jüngere  die- 
selben zu  einem  Gemisch  zusammengeworfen  hat. 

Ausgaben:  Paroemiographi  graeci  ed.  Gaisfobd,  Oxon.  1836;  ed.  y,  Lbütsoh  et 
ScHNBiDEWiN,  Gott.  1839.  Eine  neue  Ausgabe  auf  Grundlage  der  älteren  Handschriitenklasse 
erwarten  wir  von  O.  Crusius;  vorläufig  orientieren  Grüsius,  Analecta  critica  ad  paroemiogr. 
graec,  Lips.  1883;  über  die  griech.  Proömiographen,  in  37.  Phüol.Vers.  zu  Dessau  8.  217  ff.; 
zur  handschriftlichen  Ueberlieferung,  Kritik  u.  Quellenkunde  der  ParOmiographen,  mit  Zu- 
sätzen von  CoHN  Philol.  Suppl.  6,  201  ff.;  Hotop,  De  Eustathii  proverbüs,  im  Jhrfo.  f.  PbüoL 
Suppl.  XYI  249—814;  wozu  ergänzend  Kdrtz,  Die  Sprichwörter  bei  Eustathios,  Philol.  SuppL 
6,  307  ff.;  Krumbaoher,  Byz.  Lit.*  600  ff. 

575.  Die  Mythographen.  Eine  Hauptaufgabe  der  Grammatiker 
im  Altertum  bildete  die  Erklärung  der  Mythen.  Nach  dieser  Richtung 
bewegten  sich  die  Inhaltsangaben  {vriod-äceig)  der  einzelnen  Dichtungswerke, 
die  Zusammenstellungen  der  von  den  Dramatikern  behandelten  Stoffe,  die 
Zyklen  {xvxXoi)  der  epischen  Sagen.  Die  hreher  gehörigen  Arbeiten  des 
Aristophanes  von  Byzanz,  des  Asklepiades  von  Tragilos  und  der  Kyklo- 
graphen  Dionysios  und  Lysimachos  gehören  noch  der  vorausgehenden 
Periode  an  und  sind  deshalb  schon  oben  an  ihrer  Stelle  besprochen  worden. 
Mit  grosser  Belesenheit  hatte  insbesondere  der  Kyklograph  Dionysios 
Skytobrachion  die  Sagenvarianten  bei  den  alten  Autoren,  Dichtern  und 
Logographen,  zusammengestellt,  indem  er  dabei  das  ganze  weite  Gebiet 
der  griechischen  Göttermythen  und  Heroensagen  umspannte.  Lysimachos 
hatte  sich  speziell  mit  dem  reichen  Sagenkreis  Thebens  und  mit  den  Kosten 
oder  den  wunderbar  ausgesponnenen  Sagen  von  der  Heimkehr  der  troisehen 
Helden  beschäftigt.  —  Zu  einer  pragmatischen  Deutung  der  Mythen  hatte 
Euhemeros,  der  Freund  des  makedonischen  Königs  Kassander,  den  An- 
stoss  gegeben;  in  seine  Fusstapfen  war  dann  Palaiphatos  in  der  oben 
§  393  besprochenen  Schrift  getreten.  Später  gewann  durch  den  Einfluss 
der  Stoa  die  allegorische  Auslegung,  gestützt  auf  bodenlose  Etymologien, 
Eingang  und  ward  speziell  für  Homer  zur  Zeit  des  Augustus  in  ein  förm- 
liches System  gebracht,  i)  Wie  in  anderen  Zweigen  der  Litteratur,  so 
sind  auch  hier  die  älteren  und  bedeutenderen  Werke  verloren  gegangen; 
erhalten  haben  sich  die  für  den  Schulgebrauch  bestimmten  Kompendien.') 

^)  DiBLs,  Doxogr.  gr.  p.  88  sqq.  1  fach  mit  den  Paradoxographi,  von  denen  wir 

*)  Die  Mythographi  berühren  sich  viel-   |  bereits  oben  §  530  gehandelt  haben. 


Ba)BOm.  Periode  TorKonstantiii.  8.  Die  Prosa,  m)  Die  Grammatik.  (§§575—576.)    777 


Mythographi  graeci  ed.  Wbstbbmakv,  Braonschweig  1844.  —  Mythographi  graeci  ed. 
Wagnbb-Sakolowski-Martiki  in  Bibl.  Teabn.;  von  dem,  was  bis  jetzt  erschienen,  enthftlt 
YoL  I  ApoUodori  bibliotheca  und  Job.  Pediasimi  (13.  Jahrb.)  llbellus  de  duodecim  Herculis 
kboribns,  vol.  I[  1  Parthenios  und  AntoninDS  Liberalis.  —  Ed.  Schwartz,  De  Dionysio 
Seytobrachione,  Bonn  1880;  De  scholiis  Homericis  ad  historiam  fabularem  pertinentibns, 
Jhrb.  f.  Phil.  Suppl.  XII.  —  Radkb,  De  Lysimacho  Alexandrino,  Argentorati  1893. 

576.  Apollodors  Bibliothek  enthält  in  summarischem  Überblick  die 
Mythen  von  der  Herkunft  der  Götter  und  die  Abstammungssagen  der  Ge- 
schlechter des  Deukalion,  Inachos,  Pelasgos,  Atlas,  Asopos;  am  Schluss 
stehen  die  attischen  Geschlechtssagen,  in  deren  Aufzählung  das  Buch 
mittendrin  abbricht.  Der  Patriarch  Photios  cod.  186  hatte  noch  ein  voll- 
ständigeres Exemplar,  in  dem  die  Sagen  bis  auf  die  Heimkehr  des  Odysseus 
herabgefQhrt  waren.  Aus  einem  solchen  vollständigen  Exemplar  ist  die 
von  Wagner  aus  dem  Cod.  Vatic.  950  ans  Licht  gezogene  Epitome  (des 
Tzetzes)  geflossen,  durch  die  wir  jetzt  auch  über  Inhalt  und  Anordnung 
des  verloren  gegangenen  letzten  Teiles  der  Bibliothek  unterrichtet  sind. 
Der  ganze  Tenor  des  Buches,  dessen  Titel  offenbar  dem  des  Diodor  nach- 
gebildet ist,  zeigt,  dass  dasselbe  für  den  Schulgebrauch  bestimmt  war,^) 
und  dazu  hat  die  bequeme  übersichtliche  Anordnung  in  alter  und  neuer 
Zeit  gute  Dienste  geleistet.  Auf  die  Originalquellen  und  die  Abweichungen 
der  Mythen  bei  den  verschiedenen  Dichtern  geht  dasselbe  wenig  ein.  An- 
geblich will  der  Verfasser  für  sein  Büchlein  die  alten  Werke  des  Akusi- 
laos,  Pherekydes,  Asklepiades  benutzt  haben;  thatsächlich  ist  dasselbe  nur 
ein  Auszug,  allerdings  ein  sehr  geschickt  angelegter  Auszug  aus  einem 
mythologischen  Handbuch  des  1.  Jahrh.  v.  Chr.,  welches  auch  Diodor, 
Pseudo-Hygin  und  Proklos  benutzt  haben.  Als  Verfasser  des  Buches  wird 
in  den  Handschriften  und  bei  Photios  der  gelehrte  Grammatiker  ApoUodor 
von  Athen  genannt.  Aber  dagegen  spricht  das  Buch  selbst,  da  in  dem- 
selben II  3,  1  die  Chronika  des  Eastor  citiert  sind,  der  unter  Pompeius, 
fast  ein  Jahrhundert  nach  dem  berühmten  Chronographen  Apollodor,  lebte. 
Man  hat  deshalb  an  einen  Auszug  aus  den  echten  Werken  des  Apollodor, 
besonders  aus  seinem  umfangreichen  Werke  über  die  Götter  gedacht.^) 
Damit  lässt  sich  aber  schwer  der  Umstand  vereinigen,  dass  viele  Angaben 
von  den  echten  Fragmenten  des  Apollodor  abweichen  und  nicht  zu  dessen 
Stellung  als  Aristarcheer  stimmen.  Was  die  mutmassliche  Abfassungszeit 
des  Büchleins  anbelangt,  so  muss  man  mit  derselben  jedenfalls  unter 
Kastor  und  Diodor  herabgehen;  wahrscheinlich  ist  dasselbe  erst  unter 
Hadrian  oder  Alexander  Severus  entstanden,  wo  eine  grosse  Vorliebe  für 
die  altepische  Poesie  herrschte  und  der  Glaube  an  die  Heroensage  von 
oben  herab  begünstigt  wurde. 


*)  Der  Scholiast  des  Sophokles  hat  daher 
zu  den  Trachinierinnen,  wozn  ihm  keine  alte 
Hypothesis  von  Anstophanes  oder  Salustius 
zo  Gebote  stand,  das  betreffende  Kapitel  aus 
Apollodor  dem  Stück  vorgesetzt.  Besonders 
aasgebeatet  wurde  unsere  Bibliothek  von 
Tzetzes  im  Kommentar  zu  Lykophron.  Wie 
beliebt  aber  das  Handbuch  war  und  wie  sehr 
es  infolgedessen  die  filteren  Originalwerke 
verdrSngte,  zeigen  die  anonymen  Disticha  bei 
Photios  bibl.  p.  142^: 


AUavog  anBiQYjfJL«,  aq)vacdfi6yos  an*  ifABio 
nai^tlrjq  juiv^ovg  yytS&t  naXatyey^ag  ' 

fÄi]d*  ig  'OfjifjqBirjv   asXld*  e/ußkene  fiijd^  iXe- 
ysirjv, 
f4tj  TQttytxijy  Movaav  /nrjd^  fAeXoyqtttplrjv^ 

f4tj  xvxXlioy  ^i^TU  noXvd-Qovy  cxlxov  '  Big  i/4^ 

evQijaeig  iy  ifÄol  ndvxP  oaa  xoc/nog  exet. 
^)   Clavibr  in  Ausg.  1805;   Welckeb, 
Ep.  Cycl.  I  83  ff. 


778 


GrieohiBohe  litteratiirgesohiohte.    IL  ll>chkU«ti«oh»  Littentiir. 


ApoUodori  bibliotheca  rec.  Hbthb,  Gott.  1782;  ed.  IT,  1808;  ed.  WBSTKBKABif  mit 
kritiBchem  Apparat  in  Mjthogr.  gr.  p.  1 — 128;  besser  jetzt  von  Waohsr  in  Mythogr.  gr. 
vol.  I,  Lips.  1894.  Früher  veröffentlicht  waren  die  jetzt  in  die  nene  Ausgabe  anfgenommeneo 
Epitoma  Vaticana  ApoUodori  bibllothecae,  ed.  Wagitbb,  Lips.  1891,  und  Fragmenta  Sabbai- 
tica  von  Papadopülos  Kbrambus  Rh.  M.  46  (1891)  161  ff.  ->  Robbst,  De  ApoUodori  biblio- 
theca, Berl.  1873.  —  Ueber  den  mit  ApoUodor  nahe  verwandten  Epischen  Kyklos  siehe 
unten  §  637. 

577.  Herakleitos  und  ein  Anonymus  nsgi  aniattov  spinnen  den 
von  Palaipbatos  in  dem  bereits  oben  §  393  besprocbenen  Buche  m^i 
am'isvfov  begonnenen  Faden  der  Mythendeutung  weiter;  hie  und  da  wird 
auch  in  Gegensatz  zu  jenem  eine  andere  Deutung  versucht.  So  deutet 
Palaipbatos  c.  21  die  SkyUa  auf  ein  tyrrhenisches  Piratenschiff  mit  Namen 
Skylla,  Herakleitos  c.  2  aber  auf  eine  schöne  Hetäre,  die  mit  ihren  Para- 
siten die  Habe  der  Fremden  verschlungen  habe.  Ausserdem  blickt  aus 
den  Deutungen  des  Heraklit  der  Stoiker  heraus,  der  ähnlich  wie  Cornutufi 
mit  ethischen  und  physikalischen  AUegorien  das  Dunkel  der  MythenbUdung 
zu  erleuchten  versucht.  Auf  Homer  hat  Heraklit  das  Kunststück  allego- 
rischer Deutung  angewandt  in  den  ^OfirjQixai  dXltjyoQimA)  Denn  beide 
Schriften,  die  homerischen  AUegorien  und  das  Buch  über  die  Wunder- 
dinge, tragen  ein  und  dasselbe  Gepräge,  und  ohne  alle  Berechtigung  wurden 
ehedem  nach  dem  Vorgänge  Gesners  die  Allegorien  dem  Philosophen  Hera- 
kleides zugeschrieben.  Bestimmte  Angaben,  wann  jener  HerakUt  gelebt 
habe,  fehlen;  nach  dem  ganzen  Charakter  seiner  Schriften  setzt  man  ihn 
in  die  Zeit  des  Augustus. 

578.  Antoninus  Liberalis  aus  der  Zeit  der  Antonine  ist  Verfasser 

einer  Sammlung   von  41  Verwandlungen  (ßszafioQgxoccwv  (xvvayfayij),  die 

zumeist  auf  den  ^EtcQo^ovfieva  des  Nikander  und  der  ^Ogn&oyovia  der  ale- 

xandrinischen  Dichterin  Boio  fiisst.*)  —  Mit  derselben  verwandt  und  wohl 

auch  um  dieselbe  Zeit  entstanden  sind  die  dem  Eratosthenes  fälschlich 

zugeschriebenen  KaTatrteQKTjioiy  welche  von  den  unter  die  Sterne  versetzten 

Sterblichen  handeln.*)  —  Nur  durch  den  Auszug  des  Photios  cod.  186 

kennen  wir  die  mythischen  Erzählungen  (50)  eines  gewissen  Konon,  der 

in  der  Zeit  Cäsars  lebte  und  dem  gelehrten  Könige  Archelaos  von  Eappa- 

dokien   sein   Werk   widmete.     Über    den   Hauptaufschneider   Ptolemaios 

Chennos  und  seine  Neue  Geschichte  {xaivt;  latoqia)  haben  wir  bereits  oben 

§  559  gehandelt. 

Antoninus  Liberalis  MerttfAOQtptüoeaty  cvyaywyij  auf  handschriftlicher  Grundlage 
herausgegeben  von  Martini  in  Myth.  gr.  vol.  II,  1896. 


>)  Siehe  oben  §  48. 

')  üeber  die  Quellen  der  Verwandlungs- 
fabeln kl&ren  uns  die  Scholien  auf,  welche 
selbst  wieder  nach  dem  Scholion  zu  fab.  28 


aus  Pamphilus  schöpften;  s.  Eüo.  Odbb,  De 
Antonino  Liberali,  Bonn.  Diss.  1886,  p.  42  ff., 
mit  einer  Nachvergleichung   des  Palat  398. 
*)  Siehe  oben  §  429. 


Bb)  Bömisolie  Periode  naoh Konstantin,  t  Allgemeine  Charakteristik.  (§§577^579.)  779 


B.  Römische  Periode 

b)von    Konstantin    bis    Justinian. 

1.  Allgemeine  Charakteristik. 

679.  Die  Regierung  des  Kaisers  Konstantin  (324 — 337)  ^)  bezeichnet 
für  die  griechische  Litteraturgeschichte  einen  wichtigen  Einschnitt  in 
mehrfacher  Beziehung.  Nachdem  in  der  Mitte  des  3.  Jahrhunderts  (256 
bis  267)  wiederholt  die  griechischen  Städte  des  eigentlichen  Hellas  und 
der  Küsten  des  schwarzen  Meeres  von  barbarischen  Horden  greulich  ge- 
plündert und  verwüstet  worden  waren,  ward  durch  Konstantin  der  Schwer- 
punkt der  römischen  Macht  nach  Osten  verlegt  und  Konstantinopel  an  der 
Stelle  von  Rom  zur  kaiserlichen  Residenz  erhoben  (330).  Die  Neugründung 
der  altgriechischen,  im  Läufe  der  Zeit  herabgekommenen  Kolonie  Byzanz 
und  die  Ausschmückung  der  neuen  Hauptstadt  {xaivi^  ^Poii^irj)  mit  allem 
Glänze  des  Reichtums  und  der  Kunst  war  schon  an  und  für  sich  von  weit- 
tragender Bedeutung.  Damit  entstand  im  Norden  Griechenlands  an  der 
Schwelle  zweier  Weltteile  ein  neuer  Brennpunkt  griechischer  Kultur.  War 
unter  Alexander  und  in  den  nächstfolgenden  Jahrhunderten  hellenische 
Sprache  nach  Osten,  Süden  und  Westen  getragen  worden,  so  ward  nun 
das  Zentrum  des  auf  griechischer  Bildung  und  römischer  Tapferkeit  be- 
ruhenden Reiches  nach  Nordosten  verlegt.  Die  Folgen  davon  für  den 
Gang  der  Geschichte  und  Kultur  traten  erst  in  dem  byzantinischen  Mittel- 
alter in  ihrem  ganzen  umfange  hervor,  indem  von  Konstantinopel  aus  die 
griechisch-katholische  Kirche  und  in  ihrem  Gefolge  die  griechische  Schrift 
und  byzantinische  Kunst  sich  über  den  Norden,  Serbien,  Bulgarien  und 
Russland,  verbreiteten.  Aber  auch  schon  in  den  letzten  Jahrhunderten 
des  Altertums  machte  sich  der  Einfluss  der  Neugründung  von  Konstanti- 
nopel geltend.  Die  neue  Stadt  ward  selbstverständlich  mit  reichen  Hilfs- 
mitteln der  Kunst  und  Wissenschaft  ausgestattet.  An  neuen  Kunstwerken 
zwar  wurde  nur  weniges  hervorgebracht;  die  Neuschöpfungen  bestanden 
wesentlich  nur  in  dem,  was  auch  ohne  den  göttlichen  Funken  des  Genies 
mit  den  Mitteln  einer  entwickelten  Technik  geleistet  werden  konnte,  in 
der  Erbauung  von  Palästen,  Marktplätzen,  Bädern.^)  Zur  Ausschmückung 
der  Gebäude  mit  Statuen  und  Bildsäulen  mussten  nach  dem  schlimmen 
Beispiel,  das  einst  Rom  gegeben  hatte,  die  alten  Stätten  der  Kunst  her- 
halten. Was  man  da  alles  zusammenbrachte,  kann  insbesondere  die  Be- 
schreibung des  Gymnasiums  des  Zeuxippos  von  Christodoros  im  zweiten 
Buch  der  palatinischen  Anthologie  lehren.  Näher  berührte  das  litterarische 
Leben  die  Gründung  von  Bibliotheken  und  Lehranstalten.     Kaiser  Julian 


')  BuBCKHARDT,  Die  Zeit  Konstantins  des 
Grossen,  2.  Aufl.,  Leipz.  1880. 

>)  Wie  sehr  die  gestaltende  Kraft  der 
Kunst  zurQckgegangen  war,  ersieht  man  be- 
sonders aus  den  Münzen,   die  nach  Gallien 


ein  zunehmend  sich  verschlechterndes,  zu- 
letzt halbbarbarisches  Gepräge  zeigen,  worüber 
OsK.  Hey,  Zum  Zerfall  der  römischen  Mttnz- 
tjrpik,  in  Abhandl.  zu  Ehren  von  Christ  S. 
42—52. 


780         GriechUohe  LitteratiirgMohiohU.    II.  HaohklaaBÜiohe  Litieratnr. 

errichtete  in  der  Eönigsballe  eine  Bibliothek,  f&r  deren  Vermehrung  durch 
neue  Abschriften  Kaiser  Valens  Sorge  trug.^)  Die  Gründung  und  Dotation 
einer  hohen  Schule  Hess  sich  schon  Konstantin  angelegen  sein;  nähere 
Bestimmungen  über  die  ökumenische,  d.  i.  üniversallehranstalt,  traf  die 
Verfügung  des  Theodosius  II  (425),')  wonach  an  derselben  fünf  griechische 
und  drei  lateinische  Rhetoren,  zehn  griechische  und  zehn  lateinische  Gram- 
matiker, ein  Philosoph  und  zwei  Juristen  als  Lehrer  angestellt  wurden. 
Natürlich  konnte  eine  so  reichausgestattete  Stadt  schon  an  und  für  sich 
nicht  bedeutungslos  für  die  griechische  Litteratur  sein;  aber  wichtiger 
wurde  ihr  Einfluss  dadurch,  dass  sie  zugleich  die  Hauptstadt  eines  grossen 
Reiches  war  und  den  Ton  für  die  ganze  hellenistische  Welt  abgab. 

580.  Konstantin  hatte  nur  den  Sitz  der  Reichsregierung  von  Rom 
nach  K^nstantinopel  verlegt;  das  ungeheure,  die  verschiedensten  Länder 
umfassende  Reich  sollte  damit  nicht  in  seiner  Einheit  aufgehoben  werden. 
Aber  die  natürlichen  Verhältnisse  waren  mächtiger  als  der  Wille  des  Ein- 
zelnen: noch  ehe  Theodosius  I  das  weite  Reich  unter  seine  beiden  Söhne 
Honorius  und  Arkadius  teilte  und  dem  Arkadius  die  östliche  Hälfte  des- 
selben zuwies  (395),  war  mit  der  Gründung  von  Konstantinopel  die  Tren- 
nung der  beiden  Reichshälften  und  die  Schaffung  eines  eigenen  Ostreichs 
angebahnt  worden.  Das  bedeutete  gewissermassen  einen  neuen  heUenisti- 
schen  Nationalstaat,  in  welchem  die  griechische  Sprache  die  herrschende 
war  und  wo  am  Hof  und  in  den  Provinzen  in  griechischer  Sprache  ver- 
handelt wurde.  In  die  Kanzleien  und  Gerichtshöfe  war  allerdings  eine 
Masse  lateinischer  Ausdrücke,  wie  aaxsXXccQiogy  xofxrjc^  ßQ^ß^^,  xcJdtxfc, 
xttXdvdai^  aus  dem  alten  römischen  Reiche  eingewandert;  auch  behauptete 
sich  auf  den  Münzen  die  lateinische  Titulatur,  und  wurde  in  den  Schulen 
Konstantinopels  neben  der  griechischen  Grammatik  regelmässig  auch  die 
lateinische  gelehrt;*)  aber  in  der  Litteratur  und  im  Verkehr  der  Gebil- 
deten bewährte  von  neuem  die  griechische  Sprache  ihre  alte  Kraft,  indem 
sie  teils  durch  Neubildungen,  teils  durch  Umstempelung  altgriechischer 
Ausdrücke  das  Eindringen  der  fremden  Elemente  bemeisterte.  Die  Kaiser 
und  die  Mehrzahl  der  Generäle  und  Minister  redeten,  wenn  sie  auch  in 
der  ersten  Zeit  noch  dem  thatkräftigeren  Geschlechte  der  R^mer  ent- 
nommen zu  werden  pflegten,  doch  alle  griechisch  und  befleissigten  sich 
mit  Eifer  und  Ostentation  griechischer  Bildung.  Der  Kaiser  Julian  nahm 
geradezu  eine  hervorragende  Stelle  unter  den  griechischen  Schriftstellern 
ein;  aber  auch  die  andern  Kaiser  begünstigten  griechische  Lehrer  und 
Gelehrte,  und  nicht  bloss  der  Philosoph  Themistios  sah  oft  den  Kaiser  und 


»)  Zosimos  111  11,  5;  Cod.  Theodos.  XIV 
9   2. 

•)  Cod.  Theodos.  XIV  9,  3.  Schlossbb, 
Universit&ten,  Studierende  und  Professoren 
der  Griechen  zu  Jub'ans  und  Theodosius  Zeit, 
in  Archiv  f.  Gesch.  I  217--72;  Usenbb,  De 
Stephane  Alexandrino,  Bonn  1880  p.  3  ff. 

')  Seit  Augustus  schon  waren  wichtige 
Gesetze  und  kaiserliche  Erlasse  in  den  zwei 
Sprachen  veröffentlicht  worden;  so  existieren 
inschriftlich  der  Bericht  des   Augustus  von 


seinen  Thaten  und  das  Dekret  des  Diokletian 
von  den  Kaufpreisen  in  griechiacher  und 
lateinischer  Sprache.  Auf  den  Mflnsen  blieb 
auch  noch  lange  nach  Konstantin  die  latei- 
nische Titulatur  die  massgebende,  üeber  die 
Verbreitung  des  Lateinischen  im  Orient  Über- 
haupt und  den  Einfluss  der  römischen  Rechts- 
schulen s.  BüDiNszKT,  Die  AuBbreitong  der 
lat.  Sprache  Aber  Italien  und  die  IVoyiiiien 
des  römischen  Reichs,  Berl.  1881  &  2S4  £ 


Bb)  ROmiBohe  Periode  nach  Konstantin.  1.  Allgemeine  Charakteristik.  (§580.)    781 

kaiserliche  Prinzen  unter  seinen  Zuhörern,  auch  der  Grammatiker  Orion 
wurde  in  seinen  Vorträgen  von  der  Kaiserin  Eudokia  mit  ihrer  Anwesen- 
heit beehrt.  So  bekam  denn  auch  der  nie  verleugnete  Stolz  der  Griechen 
auf  ihre  nationale  Bildung  neue  Nahrung;  er  drückt  sich  bei  dem  Rhetor 
Himerios  in  den  selbstbewussten  Sätzen  aus:  "EXXriveg  nqineQov  fih'  roig 
oTiXoigj  vvvi  rf*  äQ€TticTg  navtag  viKmav  (or.  V  10)  und  fiäyiaTOv  xai  xdXXi- 
axQV  idiv  v(p'  TjXiov  To  T<Sv  ^EkXijvcov  yävog  nemarevrai  (or.  XV  31). 

So  belebten  sich  von  neuem  im  oströmischen  Reich  die  alten  Bildungs- 
stätten der  Griechen  und  wurden  zu  den  alten  neue  gegründet.^)  Vor 
allem  behauptete  Athen  seine  bewährte  Anziehungskraft  und  erhob  sich 
im  4.  und  5.  Jahrhundert  zum  Hauptsitz  der  neuaufblähenden  Sophistik. 
Hier  fanden  am  wenigsten  und  spätesten  die  Ideen  des  Christentums  Ein- 
gang, so  dass  noch  bis  in  die  Zeit  des  Justinian  hinein  griechische  Philo- 
sophie und  Sophistik  in  der  Eephissosstadt  eine  feste  Stätte  hatten.  Auch 
der  Einfall  des  Gotenkönigs  Alarich,  durch  den  das  übrige  Griechenland 
und  namentlich  der  Peloponnes  so  schrecklich  heimgesucht  wurde,  war 
an  Athen  ziemlich  gnädig  vorüber  gegangen  (395—7):  die  Stadt  ward 
zwar  eingenommen,  blieb  aber  vor  Plünderung  und  Zerstörung  verschont.^) 
—  Nach  Athen  behauptete  den  nächsten  Rang  Alexandria,  das  über- 
haupt .  unter  den  Städten  des  römischen  Reichs  eine  bevorzugte  Stellung 
einnahm,^)  insbesondere  aber  in  unserer  Periode  wieder  mächtiger  her- 
vortrat und  gegen  Ende  des  Altertums  sogar  an  produktiver  Kraft  alle 
andern  Städte  übertraf.  Hier  schlug  die  neuplatonische  Philosophie 
tiefe  Wurzeln,  fand  das  Epos  und  der  Roman  hervorragende  Pflege,  und 
hoben  sich  im  Gefolge  der  Philosophie  wieder  die  mathematischen  und 
astronomischen  Disziplinen.^)  Einen  Stoss  erlitt  das  heidnische  Alexandria 
durch  den  Untergang  der  Bibliothek  (391),  als  der  Serapistempel  auf  Be- 
fehl des  Kaisers  Theodosius  zerstört  wurde;  den  vollständigen  Niedergang 
bezeichnet  die  rohe  Ermordung  der  Philosophin  Hypatia  durch  den  vom 
fanatischen  Bischof  Kyrillos  aufgehetzten  Pöbel  in  den  Strassen  der  Stadt 
(415).^)  —  Unter  den  Städten  Asiens  nahm  den  ersten  Platz  die  alte  Haupt- 
stadt des  Seleukidenreichs  Antiochia  ein,  die  schon  in  der  ersten  Kaiser- 
zeit durch  ihre  Bauten,  industrielle  Betriebsamkeit  und  vielseitigen  Handels- 
verbindungen mit  dem  inneren  Asien  zur  grossen  Blüte  gekommen  war,^) 
in  unserer  Periode  aber  auch  als  Sitz  einer  angesehenen  Rhetorenschule 
grosse  Bedeutung  in  der  Litteratur  erlangte,  bis  durch  den  Fanatismus 


^)  Bernhardt,  Innere  Gesch.  d.  griech.   I  Aegyptisches  Testament  v.  J.  189  n.  Chr., 
Litt  555«:;   .1.  B.  Büry,  A  history   of  the   ,   Stzb.  d.  Berl.  Ak.  1894  S.  47  ff.;   vgl.  oben 


later  Roman  empire,  London  1889,  t.  1  S. 
816—30. 

*)  Näheres  bei  Greoobotius,  Geschichte 
der  Stadt  Athen  im  Mittelalter,  Stuttg.  1889, 
Bd.  I  S.  29  ff. 

')  üeber  die  selbständige  Verwaltung 
Aegyptens,  sein  Finanz-  und  Beamtenwesen 
klärten  in  letzter  Zeit  besonders  die  Papyri 
auf;  B.  Hartbl,  Ein  griech.  Papyrus  aus  dem 
Jahr  487,   Wien.  Stud.  V   1  ff.;    Mommsen 


§  343.  —  Die  Bevölkerungszahl  Alexandrias 
betrug  nach  Mommsen,  Rom.  Gesch.  V  582 
in  der  Eaiserzeit  300,000  freie  Einwohner. 

*j  Menander  in  Rhet.  gr.  III  360  Sp.: 
hl  &i  xai  yvy  tovg  'jXs^ay&Qeag  ini  yQOf^~ 
fiaTixp  yeojfÄST^iif  xai  (ftXoaotpitf  fAsyiaroy 
tpQoy^aM  (paaiy. 

'^)  MoMMSBN,  Rom.  Gesch.  V  456  ff. 

*)  RicH.  Förster,  Antiochia  am  Orontes, 
Jahrb.  d.  Archäologie  1897  S.  103—149. 


782 


Grieohiaohe  LitteraturgMohiohte.    II.  HaohkltMisohe  Littoratvr. 


des  Jovianus  im  Jahre  363  die  Bibliothek  ihren  Untergang  fand^)  und 
das  geistige  Leben  der  Stadt  zertreten  wurde.  —  Ausserdem  zeichneten 
sich  als  Bildungsstätten  in  Asien  aus:  Berytos,  das  eine  berühmte  Rechts- 
schule hatte;  Nikomedia  in  Bithynien,  das  im  4.  Jahrhundert  grosse 
Rhetoren  an  sich  zog  und  zugleich  hervorbrachte;  Cäsarea  in  Eappa- 
dokien,  das  ein  Hauptsitz  der  Grammatik  und  Rhetorik  im  4.  und  5.  Jahr- 
hundert war;  Ankyra  in  der  Landschaft  Galatien,  die  ihren  keltischen 
Charakter  auszog  und  sich  griechische  Rhetoren  und  Philosophen  bestellte;') 
Gaza  in  Palästina,  wohin  sich  von  Alexandria  aus  die  schönen  Künste 
verbreiteten.  3)  Von  den  alten  Glanzstätten  Vorderasiens  hatte  Smyma 
durch  wiederholte  Erdbeben  und  Ephesos  durch  den  Gotenbrand  von  262 
so  sehr  gelitten,  dass  sie  in  unserer  Periode  keine  Rolle  mehr  spielten. 
581.  Immer  massgebenderen  Einfluss  aber  gewann  die  Hauptstadt 
des  Ostreiches,  Eonstantinopel  selbst.  Dieser  Einfluss  war  indess,  wenn 
er  auch  der  griechischen  Sprache  und  der  formalen  Seite  der  Litteratur, 
der  Vervollkommnung  des  Stils  und  der  Verskunst,  zu  gute  kam,  doch  im 
Grund  genommen  dem  Geiste  des  echten  alten  Hellenentums  eher  nach- 
teilig als  förderlich.  Das  war  er  in  zweifacher  Beziehung,  dadurch,  dass 
er  eine  abhängige  Hoflitteratur  hervorrief,  und  dadurch,  dass  er  die  Ver- 
breitung der  christlichen  Religion  und  Litteratur  begünstigte.  D^r  ver- 
rufene Byzantinismus,  der  kein  freies  Wort  aufkommen  Hess  und  in 
einem  pedantischen  Zeremoniell  die  freie  Bewegung  der  Geister  erstickte, 
kam  zwar  erst  im  Mittelalter  zur  vollen  Herrschaft,  ward  aber  bereits 
durch  die  Reichs-  und  Hofordnung  des  Konstantin  mit  ihrer  eitlen  Titel- 
sucht und  ihrer  pedantischen  Etikette  vorbereitet.^)  Das  Christentum  aber 
war  schon  durch  den  Übertritt  des  Kaisers  Konstantin  zur  bevorzugten 
Stellung  gegenüber  dem  Hellenismus  erhoben  worden.  Der  aus  dem  Juden- 
tum ererbte  Geist  der  Unduldsamkeit  und  Exklusivität  sorgte  dafür,  dass 
aus  der  bevorzugten  Stellung  bald  eine  herrschende  und  ausschliesslich 
herrschende  wurde.  Die  Reaktion  des  Kaisers  Julianus  Apostata  (361  bis 
363)  hielt  den  Gang  der  Dinge  nicht  auf;  von  seinen  unmittelbaren  Nach- 
folgern wurde  um  so  eifriger  der  heidnische  Kultus  zurückgedrängt;  unter 
Theodosius  erfolgte  die  vollständige  Schliessung  oder  Vernichtung  der 
heidnischen  Tempel  (391),^)  die  fanatische  Zerstörung  des  Serapeums  in 
Alexandria  (391)  und  bald  nachher  auch  des  Mameums   in  Gaza  (401).^) 

Erlass  gegen  die  Astrologen  und  Harospieee^ 
Cod.  Theod.  IX  16,  1  n.  Cod.  Justin.  IX  18,  3. 
Schon  vor  391  war  im  Jahre  354  die  Schlie»> 
sang  aller  Tempel  (Cod.  Inst  I  11,  1)  und 
im  Jahre  357  die  YerpOnnng  der  Orakelbe- 
fragung (Cod.  lost  IX  18,  5)  durch  kaiaer- 
liehe  blasse  angeordnet  worden.  Auch  die 
olympischen  Spiele  wurden  393  durch  Theo- 
dosius aufgehoben.  Nftheres  bei  Lasaulx, 
Der  Untergang  des  Hellenismus  und  die  Ein- 
ziehung seiner  Tempelgüter  durch  die  christ- 
lichen Kaiser,  Manchen  1854. 

*)  Nachricht  darüber  in  Marci  Diaconi 
Tita  Porphyrii  episcopi  Gasensia  ed.  M.  Haupt, 
Berl.  1874. 


^)  Suidas  unt.  'loßtavog, 

>)  MoMMSsN,  Rom.  Gesch.  V^  314. 

')  Eil.  Sbitz,  Die  Schule  von  Gaza,  Hei- 
delberg 1892  Dissert;  Demosthenes  Rüssos, 
Tq^U  Ta^aloi.  IvfißoXai  elg  rrjy  latogiay  xijq 
(pikoXoyiug  xwv  ra^aitav,  Eonstantinopel  1893. 

^)  Aus  ihr  datiert  die  Unnatur  der  An- 
rede in  3.  Person,  die  leider  unsere  deutsche 
Sprache  aus  jener  Quelle  herübergenommen 
und  sich  so  zu  eigen  gemacht  hat,  dass  sie 
schwer  wieder  auszutreiben  sein  wird. 

^)  Cod.  Theod.  XVI  10,  10  u.  12;  Zosim. 
IV  33,  8.  -  Das  erste  Edikt,  ein  Toleranz- 
edikt, wurde  erlassen  im  Jahre  313;  s.  Euseb. 
bist.  eccl.  X  5  und  Lactantius,  De  mort 
persec.  48;   darauf  folgte  im  Jahre  319  der 


Bb)  BOmiaohe  Periode  nach  Constanim.   d.  Die  Poesie.    (§§  581—583.)       783 

Damit  verschwanden  freilich  noch  nicht  die  Leute,  welche  dem  christlichen 
Gottesdienste  fem  blieben  und  in  Schrift  und  Rede  die  altgriechischen 
Anschauungen  vertraten.  *)  Aber  die  Ermordung  der  Hypatia  zeigte,  wie 
wenig  der  kirchliche  Fanatismus  auch  nur  die  stille  Freiheit  des  Geistes 
zu  dulden  gewillt  war.  Nur  in  Athen  erhielten  sich  noch  länger  die  grie- 
chischen Philosophen-  und  Rhetorenschulen.  Aber  auch  diesen  setzte  der 
Kaiser  Justinian  ein  Ende,  indem  er  dieselben  durch  kaiserlichen  Befehl 
aufhob  (529)*)  und  die  letzten  sieben  Philosophen,  Damaskios,  Diogenes, 
Hermeias,  Eulalios,  Isidoros,  E^scian,  Simplicius,  zur  Auswanderung  an 
den  Hof  des  Perserkönigs  Eosroes  nötigte.  Mit  Justinian  schliessen  wir 
daher  auch  unsere  Periode  und  damit  zugleich  die  altgriechische  Litteratur- 
geschichte. 

582.  Die  Litteratur  unserer  Periode  trägt  den  Charakter  einer  Über- 
gangszeit: Der  Hellenismus  stirbt  allmählich  ab  und  flackert  nur  in  einigen 
kräftigeren  Erscheinungen  nochmals  auf;  das  Christentum  beginnt,  nach- 
dem es  zuerst  durch  die  sittliche  Macht  einer  reineren  und  edleren  Lehre 
die  Herzen  der  Völker  erobert  hatte,  nunmehr  auch  durch  korrekte  Werke 
der  Prosa  und  Dichtung  in  die  Litteratur  einzudringen.  Von  einer  ab- 
sterbenden Litteratur  ist  nicht  viel  zu  erwarten;  gleichwohl  hat  unter  den 
oben  entwickelten  Umständen  die  sophistische  Beredsamkeit  und  die  Kunst 
der  Yersifikation  nochmals  einen  erfreulichen  Aufschwung  genommen.  Die 
historische  Litteratur  hat  nichts  Bedeutendes  hervorgebracht;  hingegen 
errang  die  griechische  Philosophie  teils  in  dem  Streben  der  Verschmelzung 
verschiedenartiger  Lebensanschauungen,  teils  in  dem  Widerstand  gegen 
die  neue  Macht  des  Christentums  nochmals  eine  achtunggebietende  Stellung. 
In  der  Grammatik  und  in  den  verschiedenen  Zweigen  des  exakten  Wissens 
war  es  das  vasa  coUigere,  was  die  Gelehrten  vor  dem  Abzüge  beschäftigte: 
von  Selbständigkeit  der  Forschung  und  Klarheit  der  Auffassung  ist  nicht 
mehr  die  Rede;  die  Gedankenlosigkeit  der  Kompilation  und  die  Magerkeit 
der  Auszüge  beherrschen  die  gelehrte  Litteratur.  Im  Gegensatz  zur  inneren 
Geringwertigkeit  steht  die  Zahl  der  erhaltenen  Schriften,  da  hier  wie  überall 
die  neuesten  und  gangbarsten  Bücher  sich  am  meisten  in  die  nächstfolgende 
Zeit  vererbten. 


2.  Die  Poesie. 

688.  Von  der  Poesie  unserer  Periode  gilt  der  Vers  der  Anthologie 
XU  178  Svofievog  yäq  ofiwg  rjXiog  iauv  ^xi,  Waren  in  der  Blütezeit  der 
Sophistik  die  Musen  fast  ganz  verstummt,  so  erwachte  gegen  Ende  des 
Altertums  nochmals  ein  regeres  Leben  in  den  Musenhainen.  Mit  Glück 
versuchten  sich  heidnische  und  christliche  Dichter  in  den  verschiedenen 
Formen  des  antiken  Versmasses,  und  standen  auch  der  Glätte  des  Verses 


*)  Vgl.  VoLKMAiro,  Synesins  S.  11. 

>)  loann.  Malalas  XVllI  451  ed.  Bonn. 
Ueber  die  Zweifel,  ob  ein  direkt  gegen  die 
Akademie  Athens  gerichteter  Erlass  ergangen 
aei,  8.  Gregoroyius,  Gesch.  Athens  I  55  f. 
Dass  es  übrigens  unter  Jostinian  noch  viele 


Anhänger  des  Heidentums  gab  und  dass  sich 
Justinian  nicht  scheute,  durch  Mord  Anders- 
gläubiger die  kirchliche  Einheit  herbeizu- 
führen, berichtet  Prokop  arc.  bist.  84,  3. 
Siehe  auch  Gelzer  in  Knimbacher  Byz.  Lit* 
939. 


784 


Grieohisohe  LüterAturgeschiolite.    II.  HAohklMMisohe  Litteratiir. 


und  der  Gewandtheit  des  sprachlichen  Ausdrucks  nicht  gleich  hohe  Vor- 
züge des  Inhaltes  zur  Seite,  so  fehlte  es  doch  auch  nicht  ganz  an  geist- 
reichem Witz  und  schöpferischer  Kraft  der  Phantasie.  Der  abgestorbene 
Körper  des  Dramas  konnte  freilich  nicht  mehr  zu  neuem  Leben  elektri- 
siert werden,  aber  auf  dem  Gebiete  des  Epigramms  und  anakreontischen 
Spieles  herrschte  frisches  Leben,  insbesondere  aber  im  Epos  wurde  Neues 
und  Namhaftes  geleistet.  Vorzüglich  in  Ägypten  trieb  noch  nach  Jahr- 
hunderten der  von  den  alexandrinischen  Dichtern  ausgestreute  Samen 
frische  Sprossen ;  von  dort  verpflanzte  sich  gegen  Ende  des  Altertums  die 
Liebe  zum  poetischen  Spiel  auch  an  den  glänzenden  Hof  des  Kaisers 
Justinian. 

Ausser  den  erhaltenen,  einzeln  zu  besprechenden  Epen  Bruchstücke  bei  DDbtzbb, 
Fragmente  der  epischen  Poesie  II  107  ff.  —  Nur  durch  gelegentliche  Anführungen  sind  uns 
einige  panegyrische  Epiker  bekannt:  Eallistos,  der  die  Ruhmesthaten  des  Kaisers  Julian 
besang  (Nicephorus,  Hisi  eccl.  VI  34),  Eusebios  und  Ammonios,  welche  den  Goten- 
fOhrer  Gainas  zum  Helden  ihrer  Gedichte  machten  (Socrates,  Hist.  eccl.  VI  6;  Jacobs  Antfa. 
XIII  841;  Oros  in  Et.  M.  unt.  Mifioyjog),  Ghristodoros,  der  in  seinen  sechs  Rhapsodien 
'laavQixd  den  Kaiser  Anastasios  verherrlichte  und  in  Versen  nach  dem  Vorbild  des  Apol- 
lonios  die  Geschichte  (ta  ndtQitt)  von  Konstantinopel,  Thessalonike,  Nakle,  Milet,  Tralies, 
Aphrodisias  (Suidas)  besang. 

684.  Quintus  Smyrnäus  ist  Verfasser  des  uns  erhaltenen  Epos 
Ta  fx€x^'  "^OfurjQov  in  14  B.  Über  seine  Person  erfahren  wir  aus  unseren 
litterarhistorischen  Quellen  nichts,^)  so  dass  wir  einzig  auf  seine  eigenen 
Angaben  und  auf  Schliisse  aus  dem  Charakter  seiner  Poesie  angewiesen 
sind.  Es  erzählt  aber  derselbe  Xu  310,  dass  er  ehedem  zu  Smyrna  beim 
Tempel  der  Artemis  die  Schafe  gehütet  und  in  früher  Jugend,  noch  ehe 
ihm  der  Bart  sprosste,  vom  armen  Hirten  zum  Dichter  sich  emporge- 
schwungen habe.  Über  die  Zeit,  in  der  er  lebte,  gestattet  der  Versbau 
nur  den  allgemeinen  Schluss,  dass  seine  Blüte  vor  Nonnos  fiel,  da  sich 
bei  ihm  noch  nicht  die  charakteristischen  Eigentümlichkeiten  der  Verse 
des  Nonnos  finden,  welche  für  die  daktylischen  Dichter  nach  Nonnos  fest- 
stehende Norm  wurden.  Der  Beiname  Calaber,  den  man  unserem  Dichter 
zu  geben  pflegt,  bezieht  sich  darauf,  dass  die  einzige  Handschrift  des- 
selben in  Calabrien,  und  zwar  vom  Kardinal  Bessarion  im  Jahre  1450  ge- 
funden wurde.*)  Das  Epos  des  Quintus  sollte  die  damals  veralteten  Werke 
des  epischen  Kyklos  ersetzen;*)  diesen  Ursprung  sieht  man  dem  Gedicht 
auch  äusserlich  an,  da  es  aus  vier  Teilen  gewissermassen  zusanunen- 
geschmiedet  ist.  Die  fünf  ersten  Gesänge  geben  den  Inhalt  der  Aithiopis 
wieder;  die  Bücher  6—8  sind  gleichsam  eine  kleine  Dias,  in  welcher  Eury- 


*)  Ein  Epigramm  der  Anth.  VI  230  trftgt 
den  Namen  (juintos. 

*)  Eitel  Phantasterei  ist  der  Versuch  des 
Italieners  Ignarra,  in  dem  ^etog  'jlXxißiddrjg 
dydgwy  iJQvJwy  xoo/aijkoq  einer  in  Neapel 
gefondenen  Inschrift  CIG  5815  unseren  Quin 
tus  wiederzufinden  und  dann  denselben  nach 
dem  Schriftcharakter  jener  Inschrift  in  die 
Zeit  des  Kaisers  Philippus  zu  setzen;  siehe 
KöcHLY,  Proleg.  p.  VII. 

*)  Ob  dem  Quintus  Smymaeus  noch  die 
alten  Gedichte   des  epischen  Kyklos  selbst 


vorlagen,  ist  zweifelhaft  Kemptzow,  De 
Quinti  Smymaei  fontibus  et  mythopoeia,  Kiel 
1891;  NoAOK  in  der  Besprechung  jener  Dis- 
sertation in  Gott.  Gel.  Anz.  1892  N.  20, 
Baumstark,  Phiiol.  55,  284  ff.  suchen  za  er- 
weisen, dass  dem  Quintus  nur  Ezcerpte  der 
Troika  vorlagen,  ähnlich  denjenigen,  die  uns 
durch  Proklos  und  Apollodor  erhalten  sind. 
Auf  Nachahmung  des  Originale  hingegen 
führt  die  Vergleichung  von  Quintus  U  404 
und  Pind.  N.  VI  150,  worauf  ich  in  der  Note 
zu  Pindar  aufitnerksam  machte. 


Bb)  ROmisohe  Periode  naoh  Konstantin.    2.  Die  Poesie.    (§§  584—585.)      785 

pylos,  der  Sohn  des  Mysierkönigs  Telephos,  die  Rolle  des  Hektor,  Neopto- 
lemos  die  des  Achill  spielt;  die  Bücher  9  u.  10  bilden  dazu  ein  schwaches 
Nachspiel,  in  welchem  der  aus  Lemnos  herbeigeholte  Philoktet  die  Führer- 
rolle spielt  und  den  Anstifter  des  Streites,  Paris,  überwindet;  die  Bücher 
11 — 14  endlich  erzählen  den  schliesslichen  Fall  der  Priamosveste,  die  bei 
der  Einnahme  der  Stadt  verübten  Greuel  der  Achäer  und  den  Schiffbruch 
der  heimkehrenden  Sieger  bei  den  gyraischen  Felsen.  Auf  solche  Weise 
entbehrt  das  Werk  des  einheitlichen  Mittelpunktes,  indem  die  Erzählung, 
wenn  sie  bereits  auf  dem  Höhepunkt  angelangt  zu  sein  scheint,  in  dem 
nächsten  Gesang  wieder  von  vorne  anhebt.  Auf  der  anderen  Seite  aber 
erfreut  dasselbe  durch  anschauliche  Schilderungen,  Einfachheit  der  Er- 
zählung und  schöne  Gleichnisse.  Die  letzteren  lassen  den  ehemaligen 
Hirten  erkennen,  der  mit  der  Natur  Eleinasiens  zusammengelebt  und  ihre 
gewaltigen  Konvulsionen  in  Erdbeben  (EI  64)  und  Bergstürzen  (I  696, 
XI  396)  gesehen  hatte.  Auch  ein  frommer  Dichter  ist  Quintus,  der  an- 
stössige  Scenen  meidet  und  mit  seinem,  fast  möchte  man  glauben,  für  die 
Jugend  bestimmten  Gedicht  nicht  bloss  unterhalten,  sondern  auch  zu 
Tugend  und  Edelmut  erziehen  will.  Er  erinnert  in  dieser  Beziehung  an 
Yergil,  dessen  Aeneis  er  offenbar  kannte,^)  wenn  er  auch  von  ihr  eben- 
sogut wie  von  Homer  in  Einzelheiten  abwich.^)  Die  Sprache  hat  manches 
Eigentümliche,  das  den  Spätling  erkennen  lässt,  wie  die  Verbindung  von 
ä^sXov  mit  dem  Indikativ  des  Aorist,  den  Gebrauch  von  Mxno^ev  für 
Tio&sv,  von  h'x^€v  für  iv&a,  die  Zweiwertigkeit  des  Vokals  vor  muta  cum 
liquida  u.  a. 

Der  Cod.  archetypas,  den  Bessarion  bei  Otranto  in  Galabrien  gefunden  hatte,  ist  ver- 
loren gegangen;  wir  Bind  daher  auf  dessen  Abschriften  oder  Abschriften  von  Abschriften 
angewiesen.  —  Ausgabe  von  Rhodonannus,  Hannov.  1604;  rec.  Ttchsen,  Argent.  1807;  rec. 
prolegg.  et  adnott.  crit.  instr.  Eöcblt,  Lips.  1850;  edit.  minor  in  Bibl.  Teubn.  —  Erläuterungs- 
wogramme von  Stbuve,  Petersb.  1843  und  Kasan  1846,  1850.  —  Sainte  Bevve,  Oeuvr.  t.  I, 
Etudes  sur  Yirgüe  suivie  d'une  ötude  sur  Quintus  Smymaeus. 

585.  Nonnos  aus  Panopolis  in  Ägypten^)  ist  der  begabteste  Dichter 
unserer  Periode,  der  eine  neue  Richtung  des  Epos  schuf,  welche  von 
Ägypten  ausging  und  in  der  Üppigkeit  der  Phantasie  den  orientalischen 
Ursprung  nicht  verleugnete.'*)  Über  die  Lebensverhältnisse  unseres  Dich- 
ters sind  wir  vollständig  im  unklaren;  ein  Epigramm  der  Anthologie  IX 
198  meldet  von  ihm  nur: 

Novvog  iyd.     Jlavog  fi^v  efxiij  noXig,  iv  (Puqitj  d^ 
Myxs'i  (pcovifjsvti  yora^  rjfjir](fa  FiyccvTcov.^) 
Die  Vermutung  Weicherts,  dass  er  identisch  sei  mit  dem  Nonnos,  dessen 
Sohne  Synesios  ep.  43   ein   Empfehlungsschreiben  ausstellt,  ist  unsicher. 
Aus  seinen  eigenen  Dichtungen  ersehen  wir,   dass  er  als  Heide  geboren 
war  und  erst  in  späteren  Lebensjahren  zum  Christentum  übertrat.    Ausser- 


*)  Die  Benützung  des  Vergil  wird  von  '   Dichter,  Petersburg  1817. 


EdcBLY  bezweifelt  in  ed.  min.  XIII  sq.  Stark 
benutzt  sind  die  Argonautika  des  ApoUonios, 
worftber  Ebxptzow  a.  0. 

*)  Vgl.  die  Beschreibung  des  Schildes 
des  Achill  V  7—101. 

*)  OüWAROPF,  Nonnos  von  Panopolis  der 


^)  Eunapios  p.  493:  xtCv  AiyvntLoiv  to 
ed-yos  inl  noirjrixß  fAkv  CfpoSqa  fAalvovxaf,, 
6  cT^  anovdatoi  'Eq/htjs  avjdiv  anoxsxfoQtjxey. 

^)  Der  Name  Nonnos  ist  ägyptisch  und 
bedeutet  ,rein,  heilig";  er  ist  verwandt  mit 
unserem  -Nonne*. 


Handbach  der  Uim.  Altertnmswtaenacbaft.    Vn.    8.  Attfl.  50 


786 


Grieohisohe  LitieratnrgMohiohte.    ü.  HAohklMsisohe  Lüteratiir. 


dem  macht  die  Zeit  seiner  Nachahmer  und  nachgeahmten  Vorbilder  es 
wahrscheinlich,  dass  er  selbst  am  Schlüsse  des  4.  Jahrhunderts  lebte. ^) 
Das  grosse  Epos,  das  seinen  Namen  verewigt  hat,  sind  die  Jiovüaiaxa  in 
48  Gesängen,  also  in  so  vielen,  als  die  Ilias  und  Odyssee  zusanmien  haben. 
Dasselbe  hat  zum  Gegenstand  die  phantastische  Mythe  vom  Zuge  des 
Gottes  Dionysos  gegen  Indien,  die  selbst  sich  aus  dem  Sagenreichen  Zuge 
des  Königs  Alexander  gegen  Indien  und  der  beliebten  Vergleichung  des 
J^önigs  mit  Dionysos  und  seiner  Feinde  mit  Giganten  entwickelt  hatte.*) 
Schon  vor  Nonnos  hatte  unter  Diokletian  der  Dichter  Soterichos  jenen 
Zug  des  Bakchos  in  vier  Büchern  besungen.  In  den  Hauptmythus  hat 
aber  unser  Dichter  so  viele  andere  Mythen  eingeflochten,  dass  dem  Werke 
die  unser  Interesse  auf  einen  Punkt  hinleitende  Einheit  vollständig  ab- 
geht. Nicht  bloss  gehen  dem  Beginne  des  Zugs  zwölf  Gesänge  voraus, 
sondern  schliesst  auch  die  Erzählung  nicht  mit  der  Besiegung  des  Königs 
der  Inder  Deriades  ab,  sondern  folgt  dann  noch  eine  lange,  auf  alle  mög- 
lichen Abenteuer  abschweifende  Schilderung  des  Rückzugs.  Von  Homers 
unübertroffener  Kunst  hat  er  eben,  wie  er  selbst  25,  8  andeutet,  bloss 
das  eine  herübergenommen,  dass  er  von  den  sieben  Jahren  des  Krieges 
nur  das  letzte  behandelt;  im  übrigen  aber  hatten  für  ihn  Aristoteles  und 
Horaz  umsonst  geschrieben.  Selbst  die  Einheit  der  Person  hat  er  bei 
seiner  überschwenglichen  Phantasie  nicht  zu  wahren  vermocht:  er  beginnt 
ab  ovo,  oder  vielmehr  ab  ovo  ovi  mit  der  Entführung  der  Europe  durch 
den  in  einen  Stier  verwandelten  Zeus,  um  auf  langen  Umwegen  im  achten 
Gesang  auf  die  Geburt  des  Dionysos  zu  kommen,  und  nimmt  auch  im 
weiteren  Verlauf  jede  Gelegenheit  beim  Schopf,  um  irgend  eine  Fabel  aus 
der  Götter-  oder  Heroenwelt  in  sein  Gewebe  einzuflechten.^)  Wie  leicht 
er  es  dabei  nimmt,  zeigt  besonders  der  38.  Gesang,  wo  die  Erwähnung 
einer  Sonnenfinsternis  dem  Dichter  ausreicht,  um  den  ganzen  Phaethon- 
mythos  in  aller  Breite  zu  erzählen.  Sein  Gedicht  ist  so  in  der  That  ge- 
worden, was  es  im  Eingang  verspricht,  ein  notMkov  siSog,  in  welchem  fast 
alle  Verwandlungsgeschichten  der  alexandrinischen  Dichter  ihre  Stelle 
fanden.  Von  selbst  drängt  sich  dabei  jedem  die  Vergleichung  mit  Ovids 
Metamorphosen  auf,  aber  der  geschmackvolle  römische  Dichter  hatte  sich 
vor  der  Verkehrtheit  gehütet,  alle  diese  Einzelerzählungen  in  den  Rahmen 
einer  einzigen  Handlung  zu  spannen.  Dieselbe  Grenzenlosigkeit  der  Phan- 
tasie lässt  unseren  Dichter  auch  sonst  nirgends  das  richtige  Mass  finden, 
so  dass  die  plastische  Klarheit  und  Wahrheit,  die  wir  als  hervorragend- 
sten Zug  der  klassischen  Poesie  der  Griechen  preisen,  diesem  ägyptischen 
Spätling  des  hellenischen  Epos  ganz  und  gar  abgeht.  In  den  Schlachten- 
bildern setzt  er  sich  leichthin  über  die  Grenzen  des  Ortes,  der  Zeit  und 
namentlich  der  menschlichen  Kraft  hinweg;  alles  geht  ins  Groteske  und 
Übernatürliche,  so  dass  der  junge  Gott  im  Mutterleibe  tanzt  (8,  27),  der 


1)  Lüdwich  Rh.  M.  42,  233  ff.  weist 
nach,  dass  Nonnos  Verse  des  Gregor  von 
Nazianz  nachgeahmt  hat  und  demnach  nicht 
vor  390  gedichtet  haben  kann. 

^)  Fr.    Koepp,    De    Gigantomachiae   in 


poeseos  artisque  monumentis  usu,  Bonn  Diss. 
1883. 

*)  Manche  Episoden  sind  erst  spftter  ein- 
gelegt; 8.  ScHEiNDLBR,  Wien.  Stad.  II  43  ff. 


Bb)  Römische  Periode  nach  Konatantin.    2.  Die  Poesie.    (§  585.) 


787 


Eithairon  Thränen  vergisst  (5,  357),  der  Atlas  den  Himmel  im  Kreise 
dreht  (13,  359).  Dabei  überbietet  er  sich  selbst  mit  immer  neuen  Aus- 
schmückungen, wie  wenn  er  bei  der  Schilderung  der  Sintflut  (6,  229  flf.) 
kein  Ende  in  der  Ausmalung  der  Umkehr  der  natürlichen  Vorgänge  findet 
und  bis  ins  Endlose  sich  in  der  Gegenüberstellung  ähnlicher  Situationen 
und  Personen  gefallt.  *)  Auf  solche  Weise  will  dem  Dichter  trotz  des  un- 
erschöpflichen Reichtums  seiner  Einbildungskraft  doch  nur  selten  eine 
wirklich  hübsche  Erzählung  oder  Schilderung  gelingen;  sie  gelingt  ihm 
am  ehesten,  wenn  er  sich  eng  an  seine  Vorgänger  unter  den  alexandrini- 
schen  Dichtern  hält,  wie  in  der  Mythe  von  Ikarios  und  Erigone  (47,  1 
bis  264),^)  oder  wenn  er  mit  veränderten  Namen  eine  homerische  Situation 
wiedergibt,  wie  im  40.  Gesang,  wo  die  Erzählung  vom  Entscheidungskampf 
des  Dionysos  und  Deriades  den  Gesang  von  Hektors  Fall  zum  Muster  hat») 
Ganz  im  Gegensatz  zu  dieser  Masslosigkeit  der  Phantasie  steht  die 
bis  zur  Einförmigkeit  gesteigerte  Strenge  der  metrischen  Form  unseres 
Dichters.  Derselbe  hat  sich  mit  feinem  Wohllautsgefühl  eine  eigene,  dem 
dionysischen  Rausche  des  Inhalts  entsprechende  Form  des  daktylischen 
Hexameters  ausgedacht,  die  wesentlich  darin  besteht,  dass  nirgends  in 
demselben  Eolon  zwei  Spondeen  aufeinanderfolgen,  dass  die  Hexameter 
regelmässig  einen  Einschnitt  nach  dem  Trochäus  des  dritten  Fusses  (To.arJ 
TQoxMxj^)  haben,  dass  der  Hiatus,  selbst  der  legitime  in  der  Arsis,  fast  ganz 
vermieden  und  auch  die  Elision  in  sehr  enge  Grenzen  gewiesen  ist.  Durch 
diesen  Bau  der  Füsse  und  die  aus  der  volkstümlichen  Poesie  herüber- 
genommene Vorliebe  für  Einklang  des  Vers-  und  Wortaccentes  in  der 
vorletzten  Verssilbe  ^)  bekommt  der  Vers  einen  einschmeichelnden  Fluss, 
dessen  Zauber  nur  die  ermüdende  Wiederholung  derselben  Form  Eintrag 
thut.  An  einer  ähnlichen  Eintönigkeit  leidet  auch  der  sprachliche  Aus- 
druck: Nonnos  hat  die  Sprache  wie  keiner  der  nachklassischen  Dichter  in 
seiner  Gewalt;  er  wagt  kühn  neue  Bildungen  und  Wendungen,  aber 
namentlich  am  Versschluss  wiederholen  sich  zu  oft  die  gleichen  Phrasen, 
wie  a%*Tvya  xoa/iov,  avTvya  fxa^wv,  xvxXa  nqoifoinüov^  xvxXa  xeXev&tßV^  xvxka 
fiield^QdoVy  xvxka  xahvtAv^  und  Lieblingsausdrücke,  wie  ivdaXiia^  tfTTiv&rjga^ 
dAjyr?;^,  dsdovrfto  kehren  jeden  Augenblick  wieder.  Aber  trotz  aller  Mängel 
bleibt  doch  richtig,  dass  Nonnos  ein  Dichter  von  wirklichem  Talent,  voll 
Feuer  und  Schöpfungskraft  war,  der  das  Zarte  und  Liebliche  der  bukoli- 


>)  Vgl.  25,  31  ff.;  47,  500  ff.;  25,  136  ff.; 
47,  49  ff. 

*)  Bentttzungen  alexandrinischer  Vor- 
bilder in  16,  257  ff.  u.  17,  42  ff.  weist  Maass, 
Herrn.  24,  522  ff.  nach.  Ueber  die  Quellen 
der  Fabeln  des  Nonnos  überhaupt  R.  Eöhleb, 
Ueber  die  Dionysiaka  des  Nonnus,  Halle  1853. 

*)  Nach  Homer,  II.  23,  sind  anch  die 
Leichenspiele  des  Nonnos  im  Gesang  37  ge- 
dichtet, indem  sich  dabei  unser  Autor  weit 
sklavischer  als  Quintus  Smymaeus  IV  180  — 
595  an  Homer  hftlt  ohne  Berücksichtigung 
der  inzwischen  erfolgten  Äendemng  der  Spiele. 

^)  Ueber  die  metrischen  Giiindsätze  des 


Nonnos  s.  G.  Hermann  ad  Orphica  p.  690  ff., 
Lud  WICH,  Beitr.  zur  Ejitik  des  Nonnos,  Kö- 
nigsberg 1873,  und  in  Rossbachs  Griech. 
Metr.'  55  ff.,  Scheindlbr,  Quaestiones  Non- 
nianae,  Brunae  1878.  Dass  die  Betonung 
auf  der  vorletzten  Verssilbe  sich  schon  auf 
Inschriften  des  2.  u.  3.  Jahrh.  durchgeführt 
findet  uud  dass  dieses  mit  dem  Charakter 
der  volkstümlichen  Poesie  zusammenhängt, 
beweist  Deutsghhann,  De  poesis  Graecorum 
rhythmicae  primordiis  p.  7  ff.  Nonnus  und 
seine  Schule  hat  sich  aber  nur  auf  die  Ver- 
pönung  von  Proparoxytona  im  Versschluss 
beschränkt. 

50* 


788  Qrieohisohe  LitteratiirgeBohiohte.    ü.  NAohklaesisohe  Lüteratur. 

sehen  Genremalerei,  sowie  die  halb  frivolen,  halb  sentimentalen  Schilde- 
rungen der  Erotiker  auf  den  Boden  der  epischen  Poesie  verpflanzt  hat. 
Ausser  den  Dionysiaka  hat  Nonnos  nach  dem  eingangs  erwähnten 
Epigramm  auch  noch  eine  Gigantomachie  geschrieben.  Von  dieser  hat  sich 
nichts  erhalten,  ebenso  sind  seine  Bassarika  bis  auf  vier  bei  Stephanos 
Byz.  unter  Jaqaavia  erhaltene  Verse  verloren  gegangen.  Hingegen  ist 
eine  metrische,  eng  an  das  Original  sich  anschmiegende  Metaphrase  des 
Evangeliums  Joannes  auf  uns  gekommen.  Dieselbe  verfasste  er  offenbar 
nach  seinem  Übertritt  zum  Christentum  und  in  hohem  Alter.  Denn 
während  die  Dionysiaka  ausgelassene  Jugendfrische  atmen,  hat  die  Über- 
setzung des  Evangeliums  etwas  Greisenhaftes;  nur  der  dithyrambische 
Schwulst  des  Ausdrucks  ist  geblieben,  der  Reiz  der  Episoden  und  die  Sinn- 
lichkeit der  Darstellung  ist  verschwunden. 

Auf  uns  gekommen  sind  die  Dionysiaka  nur  durch  einen  Kanal,  der  am  besten  ans 
der  ed.  princ.  (1569),  welche  Gebhard  Falkenbübg  ex  cod.  loann.  Sambuci  besorgte,  zu  er- 
schliessen  ist.  Kommentierte  Ausgabe  von  Gräfb,  Lips.  1819 — 36;  kritische  Textausgabe 
von  KöcHLY  in  Bibl.  Teubn.  —  Nouni  Panop.  metaphrasis  evangelii  lohannei  rec.  Fb.  Pas- 
soYius,  Lips.  1834  mit  dem  Text  des  Evangeliums  unter  den  Versen;  ed.  Sohbikdlbb,  Lips. 
1881  in  Bibl.  Teubn.;  KOchlt,  De  evangelii  loannei  parapbrasi  a  Nonno  fiacta,  Opnsc.  I 
421—46.  —  Wild,  Die  Vergleiche  bei  Nonnus,  Regensb.  Progr.  1886. 

586.  An  Nonnos  schloss  sich  eine  Schule  von  Epikern  an,  welche 
ebenfalls  das  mythologische  Epos  kultivierte  und  sich  an  die  durch  Nonnos 
eingeführte  Technik  des  Versbaus  hielt.     Zu  derselben  gehören: 

Tryphiodoros  aus  Ägypten,  Grammatiker  und  Dichter  von  Epen. 
Suidas  führt  von  demselben  an:  Maga^mviaxd^  ^iKov  al(o<rig,  Td  xtna 
^l7t7toSäfji€iav^  'Odvaaeia  Xemoyqdiiiicnoq.^)  Davon  hat  sich  nur  das  unbe- 
deutende Epyllion  'Ikiov  äXaxrig  in  691  Versen  erhalten,  das  sich  wesent- 
lich an  die  kleine  Ilias  des  damals  antiquierten  Eyklos  hält.^)  Ausgabe 
von  Wernicke,  Lips.  1819;  von  Weinberger  in  Bibl.  Teubn. 

Eolluthos  aus  Lykopolis  in  der  ägyptischen  Thebais  lebte  nach 
Suidas  zur  Zeit  des  Kaisers  Anastasios  (491 — 518).  Die  von  Suidas  er- 
wähnten Epen  KaXvdm'iaxä  in  "6  B.,  nsqaixd  und  iyxwfiia  sind  verloren 
gegangen;  erhalten  ist  uns  eine  ^Äquayf^  'EXävrjg  in  nicht  ganz  400  Hexa- 
metern. Kommentierte  Ausg.  von  Lennep  1747,  wiederholt  von  Schafer, 
Lips.  1825;  mit  kritischem  Apparat  von  Abel,  Berol.  1880. 

Musaios,  über  den  uns  nichts  überliefert  ist  und  über  dessen  Zeit 
infolgedessen  die  mannigfachsten,  um  mehr  als  1000  Jahre  auseinander- 
gehenden Vermutungen  aufgestellt  wurden,*)  lebte  nach  Nonnos  und  ge- 
hörte zu  dessen  Schule.  Das  hat  schon  Casaubonus  aus  Stil  und  Metrum 
erkannt  und  neuerdings  Schwabe,  De  Musaeo  Nonni  imitatore  (Tüb.  1876), 
aus  den  Nachahmungen  zur  vollen  Sicherheit  erhoben.  Auf  der  anderen 
Seite  muss  er  vor  Agathias  gelebt  haben,  da  dieser  Anth.  V  263  auf  das 
Gedicht  Hero  und   Leander  anspielt.^)     Das  unterstützt   die   Vermutung 

^)  Vergl.  die  *lXtag  XeinoyQdfAfiatog  des  ,  Tryphiodoros  von  Tzetzes  in  Posthomeric«. 


Nestor  §  453. 

*)  Ferd.  Noack,  Die  Quellen  des  Try- 
phiodor,  Herrn.  27  (1892)  452  ff.  nimmt  als 
Hauptquelle  ein  mythogi-aphisches  Excerpt 
an.  Benutzt,  vielmehr  ausgeschrieben,  wurde 


')  Der  Kuriosität  halber  sei  erwtimt, 
dass  Jul.  Gaes.  Scaliger,  Poet.  5,  2  ihn  mit 
dem  alten  Seher  Musaios  identifizierte. 

^)  Dazu  stimmt,  dass  Paulus  Silentiarias 
Verse  des  Musaios  nachgeahmt  hat»  wofOr 


Bb)  BömiBohe  Periode  nach  Konstantin.    2.  Die  Poesie.    (§  586.) 


789 


Passow's,  dass  unser  Musaios  eine  Person  mit  dem  gleichnamigen  Freund 
des  Rhetors  Prokopios  unter  Justinian  gewesen  ist.  Anklänge  an  Bibel- 
steDen,  wie  V.  137  yaazrjQ  rj  er'  iXoxsvas  fiaxaQTdrr],  lassen  ausserdem  ver- 
muten, dass  auch  er,  wie  Nonnos,  zum  Christentum  übergetreten  war, 
obschon  sonst  bei  ihm  alles  griechische  Grazie  und  Anmut  atmet.  Sein 
berühmtes  Epyllion,  das  hübsch  Eöchly  die  letzte  Rose  aus  dem  hin- 
welkenden Garten  der  griechischen  Poesie  nannte,  behandelt  den  roman- 
tischen Stoff  von  Hero  und  Leander  (vd  xa&'  ^Hqio  xai  Aäavdqov)  in  340 
Versen.  Das  schönste  indes  an  dem  Gedicht,  die  Sage,  ist  nicht  des  Mu- 
saios Erfindung,^)  und  die  Diktion  lässt  vielfach  die  Einfachheit  der 
klassischen  Zeit  vermissen,  manchmal  selbst  die  Korrektheit  der  Sprache, 
wie  wenn  otti  für  ort  (V.  108)  und  aneiXsiwai  (V.  131)  nach  der  falschen 
Analogie  des  homerischen  xslehvci,  gebraucht  ist.  In  unserer  Zeit  wurde 
der  Stoff  bekanntlich  von  Grillparzer  für  die  Bühne  bearbeitet,  wiewohl 
er  sich  für  ein  novellistisches  Epyllion  ungleich  besser  eignete.  Ausgabe 
mit  Einleitung  und  Noten  von  Fr.  Passow,  Leipz.  1810.  Kritische  Ausg. 
von  Dilthey,  Bonnae  1874.  —  Vielleicht  ist  Musaios  auch  der  Verfasser 
des  hübschen,  leider  nur  lückenhaft  erhaltenen  Gedichtes  von  der  Liebe 
des  Alpheios  und  der  Arethusa  (Anth.  Pal.  IX  362),  das  in  der  Kunstweise 
des  Nonnos  gedichtet  ist  und  auf  die  Besiegung  der  Gothen  in  Elis  im 
Jahre  396  n.  Chr.  Bezug  nimmt.«) 

Kyros  aus  Panopolis,  Konsul  im  Jahre  441,  später  Bischof  von 
Eotyaion,^)  genoss  als  Epiker  grosses  Ansehen,  so  dass  ein  Epigramm  der 
Anth.  Plan.  IV  217  ihn  von  der  Muse  Kalliope  mit  derselben  Milch  wie 
Homer  und  Orpheus  genährt  sein  lässt.  Von  ihm  kannte  man  bis  jüngst 
nur  einige  Verse  auf  Theodosius  und  das  glänzende  Haus  des  Maximinos 
in  Konstantinopel  (Anth.  Pal.  XIII  878).  Neuerdings  hat  ihm  Bücheier, 
Rh.  M.  39,  277  vermutungsweise  auch  die  unlängst  aus  einem  Papyrus  von 
Theben  ans  Licht  gezogenen  Verse  auf  die  Besiegung  der  Blemyer,  eines 
räuberischen  Volkes  von  Oberägypten,  beigelegt. 

Claudian  der  Jüngere  aus  Alexandria  lebte  nach  Suidas  zur  Zeit 
des  Arkadius  und  Honorius  (395—408).  Ob  er  der  Jüngere  heisst  im 
Gegensatz  zu  dem  lateinischen  Dichter  Gaudius  Claudianus,  ist  zweifelhaft  ; 
eher  ist  er  mit  dem  letzteren,  der  gleichfalls  aus  Alexandria  stammte, 
eme  Person.*)  Von  dem  unsrigen  haben  einige  Epigramme  Aufnahme 
in  die  Anthologie  gefunden;  aus  einer  Beischrift  derselben  ersehen  wir,^) 
dass  er  auch,  ähnlich  wie  Christodoros,  die  Stadtgeschichte  (td  ndtgia)  von 
Tarsos,  Anazarba,  Berytos,  Nikäa  in  Versen  geschrieben  hat.  Von  einer 
Gigantomachie,    der   das   Bruchstück    eines    gleichnamigen  Gedichtes    in 


MEBiAV-Gsif  A8T,  De  Panli  Sil.  p.  103  Belege 
gibt 

^)  Aaf  die  Sage  spielt  Bchon  Ansonius 
in  der  Moeella  Y.  287  ff.  an. 

')  So  beweist  der  neueste  Herausgeber 
md  ErklSrer  des  Gedichtes  Rich.  Holland, 
De  Älpheo  et  Arethnsa,  in  Comm.  Ribbeck. 
381  bis  414. 


*)  Suidas  unt.  Kvqos,  Euagr.  Hisi  eccl.  1 19. 

^)  lieber  den  Stand  der  Kontroverse  s. 
Lud  WICH  in  seiner  Ausgabe  p.  161  ff.  Für 
die  Identität  spricht,  dass  Claudian  selbst  in 
der  epist.  ad  Probinum  XLI  13  bezeugt: 
Romanos  bibimus  primum  te  canaide  fontes 
et  Latiae  aecesait  Grata  Thalia  togae, 

»)  Jacobs,  Anth.  t.  Xm  p.  872. 


790 


Chrieohiaohe  Litteratargeschiohte.    II.  N aohklaasisohe  litteratur. 


lateinischer  Sprache  zur  Seite  Rteht,  sind  uns  über  70  Hexameter  er- 
halten, die  ebenso  sehr  wegen  der  Leichtigkeit  des  Versbaus  als  wegen 
der  Erhabenheit  der  Schilderung  Lob  verdienen.  Nach  dem  hexametri- 
schen Gedicht  auf  Christus  (Anth.  XIII 615)  zu  schliessen,  ist  Claudian  später 
zum  christlichen  Glauben  übergetreten. 

Eudokia,  Tochter  des  athenischen  Philosophen  Leontios,  die  wegen 
ihrer  Schönheit  und  geistigen  Bildung  der  Kaiser  Theodosios  II  im  Jahre 
421  zur  Gemahlin  erkürte,  gehört  wie  ihre  ältere  Zeitgenossin  Hypatia 
zu  den  berühmten  Jrauen  der  griechischen  Litteratur.  i)  Aber  während 
jene  dem  Heidentum  treu  blieb  und  als  gelehrte  Philosophin  glänzte,  ver- 
schaflfte  sich  Eudokia  einen  Namen  als  Dichterin  und  war  bei  ihrer  Er^ 
hebung  auf  den  Eaiserthron  zum  Christentum  übergetreten.  Auch  den 
Namen  hatte  sie  mit  der  Annahme  der  Taufe  geändert:  als  heidnische 
Tochter  des  Philosophen  Leontios  hiess  sie  Athenais,  als  Christin  und 
Kaiserin  nahm  sie  den  Namen  Eudokia  an.  Von  ihren  Dichtungen  hat 
sich  das  am  Anfang  und  Ende  verstümmelte  Epos  auf  den  Märtyrertod 
des  heiligen  Cyprian  von  Antiochia  erhalten.  Das  Ganze  war  nur  eine 
metrische  Paraphrase,  die  sie  nach  einer  prosaischen  Vorlage,  der  latei- 
nisch und  zum  Teil  auch  noch  griechisch  erhaltenen  Confessio  Gypriani, 
in  gewandten,  aber  nicht  fehlerfreien  Hexametern  verfasste.*)  Auch  von 
ihren  Homercentonen,  die  sie  gemeinsam  mit  dem  Bischof  Patrikios  dich- 
tete, gibt  Ludwich  in  seiner  Ausgabe  der  Eudokia  Augusta  Proben.  Ver- 
loren gegangen  sind  ihre  metrischen  Paraphrasen  einzelner  Teile  des  alten 
Testamentes  und  ihre  panegyrischen  Verse  auf  den  Sieg  ihres  kaiserlichen 
Gemahls  über  die  Perser  im  Jahre  422,  von  denen  uns  der  Kirchenhisto- 
riker Sokrates  VII  21  berichtet. 

Eudociae  Augustae,  Procli  Lycii,  Clandiani  carminum  graecomm  reliqniae,  Blernyo- 
machiae  fragmenta  rec.  Arth.  Ludwich  in  Bibl.  Teabn.  1897.  —  Die  griechischen  Gedichte 
des  Claudian  neben  den  lateinischen,  als  von  demselben  Verfasser  herrührend,  auch  pabü- 
zirt  von  Birt  in  Monumenta  Germaniae  historica  tom.  X,  Berolini  1892. 

587.  Orphika.  Unter  dem  Namen  des  Orpheus  sind  auf  uns  ge- 
kommen: Ug-yoravtixä,  ein  Epos  in  1384  Hexametern,  das  in  der  fabel- 
haften Schilderung  der  Argofahrt  seinen  Hauptreiz  hat,*)  dadurch  aber, 
dass  Orpheus  in  ihm  als  Teilnehmer  des  Zuges  eine  hervorragende  Rolle 
spielt,  Zusammenhang  mit  dem  Kulte  der  Orphiker  zeigt;  Aiö^ixa,  in  768 
Versen,  in  denen  Orpheus  den  Priamiden  Theiodamas  über  die  wunderbare 
Kraft  der  Steine  belehrt;  eine  Sammlung  von  88  Hymnen  auf  verschiedene 
Gottheiten  und  personifizierte  Kräfte  der  Natur  und  sittlichen  Weltordnung. 
Alle  drei  Dichtungen  geben  sich  für  Werke  des  Orpheus  aus;  die  Argo- 
nautika  und  Hymnen  sind  ausserdem  an  Musaios,  den  Schüler  des  Orpheus, 
gerichtet.  Aber  das  alles  ist  frommer  Betrug:  die  Gedichte  sind  dem 
alten  Sänger  Orpheus  untergeschoben  und  stammen   aus  der  Sekte  der 


*)  Greooboviüb,  Aihenais,  Geschichte 
einer  byzantinischen  Kaiserin,  Leipz.  1892. 

*)  Das  Epos  der  Endokia  in  3  B.  lag 
noch  voUstftndig  dem  Photios  Bibl.  cod.  184 
vor.  üeber  die  Confessio  Chrpriani  in  Prosa 
benchtefc  Theod.  Zahn  bei  Ladwich  in  der 


Ausgabe  der  Endokia  p.  20  ff. 

*)  Gefolgt  ist  der  Dichter  hierin  weniger 
dem  ApoUonios  Rhodios  als  dem  Timaios, 
dessen  Anschauungen  über  die  Atgofahrt 
Diodor  IV  56  referiert. 


Bb)  Römische  Periode  nftoh  Konstantin.    2.  Die  Poesie.    (§  587.)  791 

Orphiker,  welche  bereits  in  der  Zeit  der  Peisistratiden  aufgekommen  war 
und  sich  bis  in  die  christliche  Zeit  hinein  erhielt.  Bedeutung  für  den 
Kult  der  Orphiker  hatte  insbesondere  die  Sammlung  der  Hymnen,  ein 
orphisches  Gesangsbuch,  0  ^^  ^^^  einem  Hymnus  auf  die  Geburts- 
göttin Eileithyia  beginnt  und  mit  einem  auf  den  Todesgott  Thanatos 
endet.  —  Die  Namen  der  wirklichen  Verfasser  der  Orphika  sind  ganz 
unbekannt;  auch  über  die  Zeit  ihrer  Entstehung  war  man  lang  im  un- 
klaren. Buhnken  hielt  noch  den  Verfasser  der  Argonautika  für  einen 
alten  Dichter.*)  Dagegen  erkannte  J.  G.  Schneider»)  mit  Recht  in  ihm 
einen  halbbarbarischen  Fälscher  der  jüngsten  Zeit.  Genauer  bestimmte 
die  Grenzen  G.  Hermann  in  seiner  Ausgabe  der  Orphika  p.  763  und  810, 
indem  er  nach  metrischen  Anzeichen  den  Verfasser  in  die  Zeit  zwischen 
Quintus  Smymäus  und  Nonnus  setzte,  aber  zugleich  zugab,  dass  den 
jüngeren  Hymnen  auch  ältere  aus  dem  1.  und  2.  Jahrhundert  n.  Chr. 
beigemischt  seien.  Für  eine  späte  Zeit  spricht  ausser  dem  Versbau  auch 
der  umstand,  dass  die  Argonautika  bereits  Ibemia  oder  Irland  erwähnen,^) 
und  dass  in  den  gelehrten  Scholien  der  Argonautika  des  Apollonios  nirgends 
des  orphischen  Gedichtes  gedacht  ist.  Die  Zeit  der  Lithika  bestimmt  sich 
durch  den  Hinweis  auf  die  Verfolgungen  der  theurgischen  Weisheit  (V.  67 
bis  75),  welche  Hermann  auf  die  Philosophenaustreibung  unter  Domitian, 
Tyrwhitt  und  Abel  mit  mehr  Wahrscheinlichkeit  auf  die  Dekrete  des  Gon- 
stantius  (357)  und  Valens  (371)  gegen  die  Ausübung  des  alten  Kultus  be- 
zogen haben.  Älter  sind  im  allgemeinen  die  Hymnen,  welche  in  der  Per- 
sonifikation abstrakter  Begriffe  deutliche  Spuren  des  Einflusses  der  Stoa 
verraten,  und  unter  anderem  auch  Verse  auf  die  Dike  (hymn.  61,  2  f.) 
enthalten,  die  bereits  in  der  pseudodemosthenischen  Rede  gegen  Aristo- 
geiton  (Dem.  25,  11)  als  orphisch  bezeichnet  werden. ö) 

Es  waren  die  drei  erhaltenen  Dichtungen  nicht  die  einzigen,  welche 
unter  Orpheus  Namen  in  Umlauf  waren.  Es  gab  von  Orphikem  auch 
Weihen,  Orakelsprüche,  theogonische  Schriften  allerlei  Art.  Titel  derselben 
waren:  ^IsQog  i.6yog,  Kgatr^Q,  KoQvßavtixog^  Ilenkog^  Jfxtvov,  Kaxaßaaiq  ig 
Äi'SoVy  2ani]Qia,  'AaTQOvofiixd,  recoQyixd  mit  'EfprifAeQideg^^)  Jia&rjxai,  Vieles 
lag  bereits  dem  Piaton  vor;')  das  meiste  wurde  erst  später  teils  zuge- 
dichtet, teils  umgedichtet.  Epigenes  hat  in  der  Zeit  des  Eallimachos  nach 
dem  Zeugnis  des  Clemens  Alex,  ström.  I  p.  144  die  Hinabfahrt  in  den 
Hades  und  das  heilige  Wort  CifQog  Xoyog)  dem  Pythagoreer  Kerkops,  den 

i)Maa88,  Orpheus,  München  1895  8. 175  ff.  1  Hannover  S.  124  ff.  setzt  die  Mehrzahl  der 
Ueber  verwandte  Werke  in  Prosa  s.  §  625.   I  Hymnen  in  das  1.  u.  2.  Jahrh.  v.  Chr.;  Albb. 


*)  RuuNKEK,  Epist.  crit.  II,  in  Opnsc. 
p.  610  ff.,  wo  er  geradezu  den  Dichter  der 
Argonautica  einen  acriptor  meo  iudicio  vetu- 
stissifntts  nennt. 

')  J.  G.  ScHHBiDBB,  Anal.  crit.  in  Script. 
vet.  graec,  Frankfurt  1777. 

*)  V.  1171:  yi^oKUv  'legylaiy  Sacov 
txtofjiai.  Die  Vermischung  alter  nnd  neuer 
Erdkunde  in  den  orphischen  Argonautika  hat 
ihr  Analogen  an  dem  um  dieselbe  Zeit  ent- 
standenen Gedicht  des  Avien,  Ora  maritima, 

^)  Petbrsbh  Yerhandl.  d.  PhiloLVers.  in 


DiBTBRicH,  De  hymnis  Orphicis,  Marburg  1891 
geht  noch  weiter  bis  200  v.  Chr.  hinauf,  weil 
sich  in  den  orphischen  Hymnen  noch  nicht 
die  synkretistischen  Gestalten  des  Serapis 
Osiris  Mithras  finden,  und  weil  die  orphischen 
Hymnen  bereits  den  Ägyptischen  Verfassern 
der  magischen  Papyri  vorlagen. 

")  üeber  diese  Georgika  handelt  Baum- 
STABK  Phüol.  53  (1894)  687  ff. 

')  Plat  Protag.  p.  316;  Cratyl.  p.  265, 
de  rep.  p.  364. 


792 


Qrieehisohe  LitteratiirgeBohiohte.    TL,  Naohklassiftohe  litterator. 


Peplos  und  die  Physika  dem  Orphiker  Brontinos  zugeschrieben.^)  Bei  den 
Neuplatonikern  spielte  eine  grosse  Rolle  die  Orphische  Theogonie  in 
24  Rhapsodien.^)  Dieselbe  mag  viel  orphisches  Gut  der  älteren  Zeit  in  sich 
aufgenommen  haben,  stammte  aber  sicher  erst  aus  später  Zeit  und  wird 
selbst  mit  dem  von  Cicero  de  nat.  deor.  I  38,  107  citierten  älteren  7«^ 
koyog  nicht  identificiert  werden  können. 

Mit  den  orphischen  Hymnen  berühren  sich  die  sieben  philosophischen 
Hymnen  des  Neuplatonikers  Proklos  auf  Helios,  Aphrodite,  die  lykische 
Aphrodite,  die  Musen,  Pallas,  Janus  und  die  Gesamtheit  der  Götter;  sie 
bilden  nur  einen  Teil  der  Hymnen  des  Philosophen,  die  sein  Biograph 
Marines  erwähnt.  In  der  metrischen  Form  folgte  Proklos  der  neuen  Kunst 
des  Nonnos,  ohne  sich  sklavisch  an  sein  Vorbild  zu  binden.*)  —  In  die 
gleiche  Kategorie  gehören  auch  die  paar  inschriftlichen  Hymnen  auf 
Apollon,  Helios,  Päan,^)  Asklepios,  Hygieia,  Telesphoros,  Isis,  Anubis,  die 
Kaibel  in  seine  Sammlung  griechischer  Steinepigramme  p.  432 — 460  auf- 
genommen hat.  Noch  enger  an  die  orphischen  Hymnen  schliessen  sich 
die  mystischen  Verse  an  die  Götter  der  Unterwelt  an,  welche  auf  goldenen 
Plättchen  in  Unteritalien  gefunden  wurden  und  aus  vollständigen  Hymnen 
herausgerissen  sind.*)  —  Ähnlichen  Charakters  sind  die  vielen  Orakel- 
sprüche in  Versen  aus  den  ersten  Jahrhunderten  unserer  Zeitrechnung, 
unter  denen  ein  unlängst  von  Buresch  gefundener  und  publizierter  aus 
der  lydischen  Stadt  Kaisareia  Troketta  einen  hervorragenden  Rang  ein- 
nimmt. 

Ausgabe  der  Orphica  mit  den  Noten  der  Früheren  von  G.  Hebm akv,  Lips.  1805.  — 
Lithica  rec.  notasque  adiec.  Tyrwbitt,  London  1781.  —  Orphica  et  ProcH  hymn.  rec.  Abh. 
1885  in  Bibl.  Schenk.  —  Orphei  Lithica  rec.  Abel,  Berl.  1881  auf  Grundlage  des  Cod. 
Ambros.  6  98.  —  Drei  neue  orphische  Hymnen  auf  Hekate,  Helios,  Selene  hat  Milleb, 
M^langes  aus  Papyrusrollen  veröffentlicht.  Die  grosse  AehnÜchkeit  derselben  mit  den  von 
Parthby,  Abh.  d.  Berl.  Ak.  1885  S.  109  ff.,  und  Wessbly,  AbhdL  d.  österr.  Ak.  t.  36  (1888) 
veröffentlichten  Zauberpapyri  wiesen  nach  Dilthby  Rh.  M.  27,  375 — 419,  und  Kopp,  Beitr. 
zur  griech.  Exzerptenlitt.  46  f.  —  Bubbsch,  Klares,  Lips.  1890,  stellt  die  Orakel  von  Klaroe 
zusammen  und  gibt  in  einem  Anhang  die  Tübinger  X^rjofioi  xuiy  iXXfjyixtoy  deeSy.  —  Hymnen 
der  Magier  hat  uns  auch  Hippolytus  Refut.  lY  erhalten;  sie  macht  leserlich  mit  einziger  Konsi 
WiLAMowiTz,  Ind.  Gott.  1889  p.  29  f. 

Lobeck,  Aglaophamns  sive  de  theologiae  mysticae  Graecorum  causis,  Regiom.  1829, 
wo  p.  410—1104  die  Fragmente  zusammengestellt  sind.  Dazu  Wbrfbr,  Zvyaywyij  ^O^tpvaiy 
cinoünaofAttiitay  itoy  iy  xaU  UqoxXov  eig  xov  KQaxvXoy  naQCxßoXaiq,  in  Act.  phllol.  Mon.  11. 
115—156.  —  0.  Gruppe,  Die  griech.  Culte  u.  Mytiben,  Leipz.  1887,  1612-674.  —  Rosbk- 
booh,  Quaest.  de  Orphei  Argonauticomm  elocutione,  Diss.  ptiilol.  Hai.  IX  67  ff. 

588.   Mit  den  Fälschungen   der  Orphiker  sind  verwandt  die  sibyl- 

linischen  Weissagungen    {xQv^aiiol  2ißvXliaxo()  in   14   Büchern.     Nur 

sind  jene  dem  Mystizismus  der  Griechen  entsprossen,   während  diese  auf 

dem  Boden  des  alexandrinischen  Judentums  entstanden  sind.     Den  Namen 

Sibylla,   verbunden  mit  dem  Begriff  der  Wahrsagerin,   finden  wir  bereits 


*)  Noch  andere  Schriften  der  Orphiker 
nennt  und  schreibt  bestimmten  Personen  zu 
Suidas  unt.  'OQ(pF.vg^  vermutlich  nach  der 
gleichen  Quelle  wie  Clemens  Alex. 

*)  Bei  Suidas  a.  0.  heissen  sie  'UqoI 
Xoyoi  iy  §a%^to^iatg  xd".  Ueber  diese  jüngere 
Theogonie  s.' Gruppe  Jahrb.  f.  Phil.Suppl.XVn 
689  ff.  und  Rohdb,  Psyche  II«  414  ff. 


*)  M.  ScHNBiDBB,  Die  Hymnen  des  Pro- 
klos in  ihrem  YerhSltnis  zu  Nonnos,  PhiloL 
51,  593  ff. 

*)  Als  Verfasser  dieses  Hymnus  nennt 
sich  Patroinus. 

^)  Inscr.  graec.  Italiae  et  Siciliae  tos 
Kaibel  n.  641;  die  Verse  znsammeBgelegt 
und  beleuchtet  von  DiBTXBiaH  a.  0.  p.  30  S. 


Bb)  Bömisohe  Periode  nach  Konetantin.    2.  Die  Poesie.    (§  588.) 


793 


bei  Piaton  im  Phädrus  p.  244^ ;  nach  dem  Periegeten  Pausanias  X 12  verfolgte 
man  die  Geschichte  der  Sibyllen  sogar  bis  über  die  Zeit  der  Troika  hin- 
aus.^) Aber  die  bei  den  alten  Griechen  in  Umlauf  befindlichen  Sibyllen- 
verse i^Tir/)  sind  in  unsere  Sammlung  nicht  aufgenommen  worden;  insbe- 
sondere finden  sich  in  ihr  die  zahlreichen  Sibyllenverse  nicht,  welche 
Plutarch  in  seinen  pythischen  Dialogen  anführt.  Ebensowenig  haben  die 
römischen  Sibyllenorakel,  welche  bekanntlich  auch  in  griechischer  Sprache 
abgefasst  waren, 2)  Aufnahme  in  unsere  Sammlung  gefunden.  Die  uns 
erhaltene  Sammlung  stammt  lediglich  aus  den  Kreisen  der  alexandrinischen 
Juden  und  der  Juden  und  Christen  der  drei  ersten  Jahrhunderte  der  römi- 
schen Kaiserzeit.  —  Das  Ganze  ist  ein  buntes,  erst  spät  und  nur  notdürftig 
zur  Einheit  zusammengefasstes  Gemeng  von  Weissagungen  verschiedener 
Zeiten  und  verschiedener  Verfasser.  Verse  daraus  citieren  als  Verse  der 
Sibylle  bereits  die  ältesten  christlichen  Kirchenväter,  wie  Theophilos 
Justinus  Lactantius;  aber  daraus  darf  natürlich  nicht  geschlossen  werden, 
dass  zur  Zeit  derselben  die  Sammlung  als  Ganzes  bereits  bestanden  habe. 
Der  älteste  Teil,  IH  97—828,  rührt  von  einem  alexandrinischen  Juden  aus 
der  Zeit  des  Ptolemaios  Philometor  her;  der  Verfasser  wollte,  indem  er 
sich  die  Alexandra  des  Lykophron  und  die  Orakel  der  erythräischen  und 
kumanischen  Sibylle  zum  Vorbild  nahm,  die  Hoffnungen  der  Juden  durch 
Yoraussagung  eines  neuen  salomonischen  Reiches  (III  167)  neu  beleben. 
Das  vierte  Buch  weist  deutlich  auf  die  Zeit  des  Titus  und  den  Ausbruch 
des  Vesuv  hin  (IV  130).  Der  Eingang  des  fünften  Buchs  enthält,  natür- 
lich in  der  Form  von  vaticinia  post  eventum,  eine  kurze  Kaisergeschichte 
bis  auf  Hadrian  und  ist  nach  V  52  unter  dem  dritten  Kaiser  nach  Hadrian, 
also  unter  Gommodus  gedichtet.  Im  übrigen  sind  auch  in  den  einzelnen 
Büchern  so  verschiedene  Teile  zusammengewürfelt,  dass  es  bedenklich  ist, 
aus  einem  einzelnen  Vers  auf  die  Abfassungszeit  des  ganzen  Buches  oder 
auf  die  Religion  des  Verfassers  des  Buches,  ob  Jude  oder  Christ,  zu 
ziehen.')  Den  jüngsten  Teil  bilden  die  letzten,  erst  von  Ang.  Mai  ans 
Licht  gezogenen  Bücher.  Von  ihnen  enthalten  B.  XII  u.  XIII  einen  Abriss 
der  Geschichte  von  der  Sintflut  bis  zum  3.  Jahrhundert  n.  Chr.;  derselbe 
ist  zu  Ehren  des  Odenathos,  des  Gemahls  der  Königin  Zenobia,  gedichtet, 
mit  dessen  Verherrlichung  das  13.  Buch  abschliesst.  —  Der  Veranstalter  der 
Sammlung  war  ein  Christ  und  setzt  selbst  im  Prolog  den  Plan  seines  Unter- 


*)  Die  titesie  Sibylle  war  eine  griechi- 
sche, die  Sibylle  von  Erythrä,  deren  Erin- 
nening  in  das  8.  Jahrb.  v.  Chr.  hinaufreicht; 
an  sie  schlössen  sich  allmählich  andere  Si- 
byllen an,  wie  die  von  Samos,  Delphi,  Troia, 
Cmnä,  sodann  die  Jüdische  und  babylonische 
Sibylle,  bis  die  Zwölfzahl  voll  war;  siehe 
£.  Maass,  De  sibyllamm  indicibus,  Berlin 
1879.  Ueber  den  in  den  Sibyllenorakeln 
enthaltenen  Betrag  bemerkt  Döllinobr,  Akad. 
Vortrftge,  Einflnss  der  griech.  Litt,  and  Kultur 
auf  die  abendländische  Welt  im  Mittelalter 
8. 168:  Derartiges  Erdichten  und  Interpolieren 
erregte  damals  keine  Gewissensbedenken; 
man  bemhigte  sich  mit  der  guten,  das  Mittel 


heiligenden  Absicht;  die  Neupythagoreer 
thaten  dasselbe,  wie  unter  andern  die  orphi- 
schen  Dichtungen  beweisen. 

^)  Diese  für  echt  gehaltenen  sibyllischen 
Orakel  hatte  der  Kaiser  Augustus  von  dem 
sonstigen  Quark  sondern  und  unter  der  Basis 
des  Palatinus  Apollo  niederlegen  lassen;  s. 
Suet.  Aug.  31. 

")  Den  Anteil  der  Juden  und  Christen 
an  den  Teilen  der  Sammlung  bespricht  Har- 
NACK,  Gesch.  der  altchristl  Litt.  II  1,  581  ff.; 
nach  ihm  ist  sicher  ein  Christ  Verfasser  von 
B.  VI.  Vri.  VIII 217-501.  XII.  XIII,  wahr- 
scheinlich auch  XI  u.  XIV,  ein  Jude  von  B. 
III.  IV. 


794 


Orieohiflche  LitteratnrgeBohiohte.    II.  Vaehklassiflohe  littentiir. 


nehmens  auseinander.  Wie  der  Sammler  hiess  und  welcher  Zeit  er  an- 
gehörte, ist  nicht  überliefert;  jedenfalls  lebte  er  nach  Lactantius,  dessen 
Bücher  er  benutzte ;  Alexander,  der  verdiente  Herausgeber,  setzt  ihn  unter 
Justinian. 

Die  Codd.  gehen  auf  zwei  Stämme  zurück,  die  nicht  einmal  in  der  Bucheintdhmg 
miteinander  tibereinstimmen.  Dieselben  sind  an  vollständig  auf  uns  gekommen,  indem 
in  der  einen  die  ersten,  in  der  andern  die  letzten  Bücher  fehlen;  näheres  in  der  praefatio 
von  Rzach. 

Ausgaben:  Oracula  Sibyllina  ed.  Alexandre,  ed.  II,  Paris  1869;  rec.  Frisdlieb,  Ups. 
1855,  2  Bde,  mit  einem  Nachtrag  von  Yolkkakk,  Sedini  1854;  rec.  Rzach,  Vindobonae 
1891  mit  kritischem  Apparat;  dazu  Jahrb.  f.  cl.  Phil.  1892  8.  433  ff.  —  Zwei  sibylliniache 
Orakel  Roms  bei  Zosimos  11  1  und  Phlegon  (Müller  FHG  III  610)  bearbeitet  von  Diels, 
Sibyllinische  Blätter,  Berlin  1890,  wozu  Bübesoh  Wochenschr.  f.  cl.  Phil.  1890  N.  46. 

Erläuterungsschriffcen:  Ewald,  Ueber  Entstehung,  Inhalt  und  Wert  der  sib^.  Bücher, 
Abhandl.  der  Gott.  Ges.  VIII  (1858),  43—152,  wozu  Recension  von  Gdtschmid  Kl.  Sehr.  II 
322  ff.  und  Inhaltsangaben  IV  222—278;  Volkmann,  Verh.  d.  15.  Philologenversamml.  (1860), 
317  ff.;  Zelleb,  Philos.  d.  Gr.  III»  2,  269  f.;  0.  Gruppe,  Die  griech.  Kulte  I  675  -701;  Rzach, 
Jahresber.  d.  Alt.  VIII  1,  76  ff.;  Bang,  in  Forhandlinger  i  videnskabs  v.  Christiania  1882 
Nr.  8  u.  9. 

689.  Dem  Sieg  des  Christentums  ist  eine  vollständige  Überschwem- 
mung des  Abendlandes  mit  ägyptischem,  syrischem,  persischem  Wunder- 
und Aberglauben  vorhergegangen.  Namentlich  waren  es  die  chaldäischen 
Astrologen,  welche,  gestützt  auf  eine  uralte  Religion  und  auf  tausend- 
jährige Beobachtung  der  Sternenwelt,  gläubiges  Gehör  fanden.  So  haben 
diese  denn  nicht  bloss  den  superstitiösen  Mithraskultus  eingeführt  und  in 
den  Ausgleichsversuchen  der  Neuplatoniker  eine  grosse  Rolle  gespielt,^) 
sondern  auch  auf  die  poetische  Litteratur  der  letzten  Jahrhunderte  des  Altei^ 
tums  mannigfachen  Einfluss  geübt.  Aus  ihren  Kreisen  stammen  die  soge- 
nannten Orakel  des  Zoroaster  und  die  Erweiterungen  der  Apoteles- 
matika  des  Pseudo-Manetho,*)  und  die  unter  die  magischen  Papyri 
gekommenen  Hymnen  und  Beschwörungsformeln  (s.  §  625). 

Oracula  magica  cum  scholiis  Plethonis  et  Pselli,  Oracula  metrica  et  Astrampsydii 
'OysiQoxgiTixoy  ed.  Opsopoeüs,  Par.  1599.  —  Wolfp,  Porphyrii  de  philosophia  ex  oncnlis 
haurienda  rell.,  Berl.  1856. 

590.  Epigrammatiker.  Mit  dem  allgemeinen  Aufschwung  der 
Yersifikation  in  Byzanz  kam  auch  das  leichte  Spiel  des  Epigranmis  und 
der  Anakreontea  wieder  in  Aufnahme.  Eine  Auswahl  von  neuen  Epi- 
grammen vereinigte  in  der  zweiten  Hälfte  des  6.  Jahrhunderts  Agathias 
aus  Myrina  zu  einem  sachlich  geordneten  Kyklos  von  sieben  Büchern.') 
Von  den  Epigrammen  des  Agathias  selbst  hat  Konstantinos  Kephalas  an 
100  Nummern  in  seine  Anthologie  aufgenommen.*)  Dieselben  sind  mannig- 
fachen Inhaltes  und  zeugen  von  einem  anerkennenswerten  Talent  im  Vers- 


^)  lamblichos  schrieb  negl  r^g  XnX&n'Cxijg 
XEXetoiaTt]^  ^eoXoyiasy  Porphyrios  negi  rrjg 
ix  Xoylüiv  g>iXoüoq)tag. 

*)  Siehe  oben  §  457. 

')  Diese  sachliche  Anordnung  wich  von 
den  alphabetischen  der  beiden  älteren  Kykloi 
des  Meleager  und  Philippos  ab.  Die  sieben 
Abteilungen  des  Kyklos  sind  1.  Weih- 
epigramme, 2.  Epigr.  auf  Kunstwerke,  3.  Grab- 


epigramme, 4.  Epigr.  auf  Lebensgeschicke  und 
Spiele  derSchicksfdsgOttan,  5.Spottepigrainiiie, 
6.  Liebesepigr.,  7.  Weinepigr.  Ausser  Epi- 
grammen hat  Agathias  nach  seinem  eigenen 
Zeugnis  Eist.  I  in.  JatpyMd  fivS^oi^  tt^i  nenw- 
xiXfiiva  igtatixots  gedichtet;  vgl.  Sakolowsci, 
De  Anthologia  PaJatina  quaestiones,  Leipi. 
1898  p.  59  ff.;  Kbümbachbb  Byz.  lit*  240  ff. 
*)  Vgl.  oben  8.  515. 


Bb)  B6miaohe  Periode  nach  Konstantin.    2.  Die  Poesie. 


( 589-590.)      795 


bau  und  sprachlichen  Ausdruck;  aber  der  Mangel  an  Witz  und  Originali- 
tät wird  durch  die  geschwätzige  Breite  nicht  aufgewogen.  Viele  der  Epi- 
gramme haben  den  Umfang  von  ganzen  Elegien,  und  auf  die  Trümmer 
von  Troia  begegnen  uns  gleich  vier  Epigramme  (IX  152—5).  Kürzer  und 
wahrer  sind  seine  Liebesepigramme,  aber  auch  hier  hat  die  Impotenz  des 
Schmachtens  und  Küssens  (V  261.  269.  285)  die  gesunde  Natürlichkeit 
des  Altertums  verdrängt.  Die  Knabenliebe  ist  noch  nicht  ganz  ver- 
schwunden, wird  aber  doch  als  sündhafte  Unnatur  verpönt  (V  278). 

Palladas  blühte  um  die  Wende  des  4.  Jahrhunderts  zur  Zeit  des 
Kaisers  Arkadios.  Er  stammte  aus  Alexandria,  und  auf  Verhältnisse 
Äg3rptens  beziehen  sich  viele  seiner  Epigramme,  wie  das  auf  die  gefeierte 
Philosophin  Hypatia  (IX  400).  Er  war  Heide  und  sein  Leben  lang  ein 
armer  Schlucker,  der  in  der  Not  seinen  Pindar  und  Kallimachos  verkaufen 
musste  und  zu  Haus  unter  der  Bosheit  eines  zänkischen  Weibes  zu  leiden 
hatte.  Das  gab  seinen  Versen  Kraft  und  spitzigen  Stachel;  die  150  Epi- 
gramme, die  sich  von  ihm  erhalten  haben,  gehören  zum  besten,  was  das 
untergehende  Heidentum  hervorgebracht  hat.  Auch  die  Form  ist  gut, 
insbesondere  zeichnen  sich  seine  iambischen  Trimeter  durch  strengen  Bau 
aus,  während  sich  Agathias  und  Paulus  Silentiarius  den  schlottrigen  Gang 
des  komischen  Trimeters  erlaubten. 

Christod oros^)  von  Koptos  unter  Kaiser  Anastasios  am  Schlüsse 
des  5.  und  im  Anfange  des  6.  Jahrhunderts  verdient  weniger  wegen  seiner 
Epigramme  als  wegen  seiner  Beschreibung  der  im  Jahre  532  durch  Feuer 
vernichteten  Statuen  des  Gymnasiums  des  Zeuxippos  zu  Konstantinopel 
rühmend  genannt  zu  werden.  Diese  Ekphrasis  in  416  Hexametern  bildet 
das  zweite  Buch  der  Anthologie  und  hat  nicht  bloss  für  die  Kunstgeschichte 
hohe  Bedeutung,^)  sondern  ist  auch  ein  schönes  Denkmal  der  poetischen 
Kunst  geschmackvoller  und  anschaulicher  Beschreibung. 

Paulus  Silentiarius,  Sohn  des  Kyros,  bekleidete  das  Amt  eines 
ruhegebietenden  Hofbeamten  unter  Justinian.*)  Von  ihm  sind  78  Epi- 
gramme, zum  grössten  Teil  erotischen  Inhaltes,  erhalten,  welche  die  Spiele 
seines  Freundes  Agathias  an  Feinheit  und  Witz  weit  überragen.  Ausser- 
dem haben  wir  von  ihm  ein  lyrisches  Gedicht  auf  die  pythischen  Heil- 
quellen Bithyniens  (ij/xm/x/?a  slg  rd  iv  Jlvd'ioig  &€oiJ,a)^  dessen  Echtheit 
bezweifelt  wird,^)  und  eine  geschickte  Beschreibung  der  Sophienkirche  und 
ihrer  Kanzel  (a^ßwv)  in  fliessenden,  nach  der  Manier  des  Nonnos  gebauten 
Hexametern.  Das  letztere  Gedicht  reiht  sich  den  ähnlichen  beschreibenden 
Gedichten  des  Christodoros  und  Joannes  an  und  zeugt  von  der  Beliebtheit, 
deren  sich  diese  Gattung  der  Poesie  (Bxifqdaeig)  in  der  justinianischen  Zeit 


*)  Suidaa  und  ein  Scholion  der  Antho- 
logie bei  Jacobs,  Anth.  XIII  871;  Über  seine 
Epen  vgl.  §  583. 

')  Dass  manche  Statuen  von  dem  Dichter 
falsch  benannt  sind,  beweist  K.  Lanok,  Die 
Statuenbeschreibung  des  Christodor,  Rh.  M. 
35,  110  ff.  Diese  fVage  und  die  dem  Nonnos 
nachgebildete  Yersform  erörtert  Baumgartbn, 
De  Christodoro  poeta  Thebano,   Bonn  1881. 


»j  Agathias  bist.  V  9:  og  (sc.  JlavXog  6 
Kv^ott  rov  ^XaiQov)  tti  ngtaxa  reXaiy  ip  roig 
djbKfl  Toy  ßaaiXen  aty^g  intfuataig  yivovg 
XB  xoofÄOVfÄByog  do^fj  xai  tiXovtop  atp&ovov 
^lade^afÄeyog,  öfnog  nat&eia  ye  avit^  xai 
X6yo)v  nüxrjüig  dieanovdaajo  xtX. 

*)  Hauptquelle  bildeten  die  Mirabilia  des 
Ps.  Aristoteles. 


796 


OriMhiaohe  LitteratnrgMohiohte.    II.  HaehklftMiMhe  Utteratar. 


erfreute.  Wie  ehedem  Homer  seine  Heldengesänge  im  hohen  Saale  der 
Königsburg  vortrug,  so  las  Paulus  die  drei  Bücher  seines  beschreibenden 
Epos  vor  erlauchter  Versammlung  im  Bischofssaal  des  Patriarchates  vor; 
und  wie  in  der  Zeit  der  Rhapsoden  dem  Heldengesang  ein  Proömium  vor- 
ausging, so  schickt  Paulus  den  einzelnen  Abteilungen  seines  Gedichte  Ein- 
leitungen (nQoXaXtai)  in  iambischen  Trimetern  voraus. i)  Verfasst  ist  das 
Gedicht  nach  der  zweiten  Einweihung  der  heiligen  Weisheitskirche,  welche 
im  Jahre  563  stattfand. 

Sonderausgabe  der  Ekphrasis  von  Grakfb»  Ups.  1822,  und  von  Im.  Bbuler,  za- 
sammen  mit  Georgios  Pisida  in  der  Bonner  Ausgabe  der  ßyzantiner  1887.  —  Lsssnrfi, 
Paulus  Silentiarius  auf  die  pythlschen  Bäder,  Berl.  Ausg.  d.  W.  Bd  XIEL  —  Mebun-Genabt, 
De  Paulo  Silentiario  Byzantino,  Nonni  sectatore,  Ups.  Dias.  1889  handelt  erschöpfend  vom 
Leben  und  den  Gedichten  des  Paulus.  Nachahmungen  des  Eallimachos  weist  nach  Kibbs- 
LiNG  Phil.  Unters.  II  55.  —  W.  Salzekbebo,  Altchristliche  Bandenkmale  von  Eonstantinopel, 
Berl.  1854,  enthält  im  Anhang  eine  metrische  Uebersetzung  und  Erläuterung  von  des  Silen- 
tiarius Paulus  Beschreibung  der  h.  Sophia  und  des  Ambon  von  W.  Eortum. 

591.  Ausserdem  verdienen  von  den  Dichtem  des  ausgehenden  Alter- 
tums genannt  zu  werden:  Metrodoros  unter  Konstantin,  von  dem 
wir  an  30  arithmetische  Probleme  in  Epigrammenform  haben,  Androni- 
kos,  den  Libanios  ep.  75  und  Ammianus  Marcellinus  19,  12  als  berühmten 
Dichter  ihrer  Zeit  erwähnen,  Apollinarios,  christlicher  Dichter  (gest  390), 
von  dem  uns  eine  Paraphrase  der  Psalmen  in  Hexametern  erhalten  ist, 
Marianos,'der  nach  Suidas  unter  Anastasios  ausser  Epigrammen  iambische 
Metaphrasen  des  Theokrit,  Apollonios,  Eallimachos,  Arat  und  Nikander 
schrieb,  Julianos  der  Ägypter  unter  Justinian,  der  zahlreiche  Epigramme 
auf  Kunstwerke  und  ein  hübsches  anakreontisches  Gedicht  (Planud.  388) 
hinterlassen  hat,  Leontios  Scholastikos  (d.  i.  Sachwalter),  Damocharis 
und  Makedonios  aus  der  Zeit  des  Kaisers  Justinian,  von  denen  Epi- 
gramme auch  in  die  Anthologie  aufgenommen  wurden,  Theophilos  aus 
Gaza,  der  in  Hexametern  ein  Gedicht  ttcqI  Cycnr  'Iviixm*  schrieb.  Ihnen 
schliesse  ich  noch  den  Grammatiker  Joannes  von  Gaza  an,*)  von  dem 
uns  im  Anhang  der  Anthologie  die  Beschreibung  einer  Weltkarte  («ey^cri^ 
Tov  xocfAixov  mvaxog  in  2  B.)  in  Hexametern  der  nonnischen  Art  und 
ausserdem  sechs  mit  der  alten  Götterwelt  tändelnde  Epigramme  (bei  Bergk 
PLG  in  1080  ff.)  erhalten  sind.») 


3.  Die  Prosa, 
a)  Geschichtschreiber  und  Geographen. 
592.   Die  Geschichtschreibung  hat  in  den  Zeiten  nach  Konstantin  am 
wenigsten  Pflege  gefunden,  sogar  der  Name  laTOQixog  ging  von  dem  soliden 


^)  Eine  ähnliche  Einleitung  in  lamben 
schickt  Persius  seinen  Satiren  voraus,  üeber 
die  Sitte  vgl.  Bouvy,  ^tudes  sur  les  origines 
du  rythme  tonique,  Nimes  1886  p.  161  ff. 

')  Derselbe  lebte  jedenfalls  nach  Nonnos, 
dessen  Versbau  er  nachahmte,  vermutlich  vor 
Paulus  Silentiarius,  dessen  Ekphrasis  die 
grösste  Aehnlichkeit  mit  der  seinigen  hat. 
Aus  dem  Scholion  der  Pariser  Handschrift 
der  Anthologie  iXXoyi^oi  ravjtjg  rrjg  TtoXctog 


(sc.  räCrjg)  *ltadvyfjg,  JJ^oxoniog,  7^/uo9fo(  o 
ygd\ffag  ncQi  ^tfitny  lyot-xtuy  hat  man  ge- 
schlossen, dass  er  noch  etwaa  vor  den  bdden 
letzten,  die  anter  Anastasios  1  (491—518) 
blühten,  gelebt  habe. 

')  loannis  Gazaei  descriptio  tabulae  mandi 
et  Anacreontea  rec.  E.  Abbl,  BeroL  1882.  Das 
Gem&lde  selbst  fand  sich  nach  einer  Bei- 
Schrift  des  Codex  iy  /e<jU€^if»  Xovtq^,  natflr- 
lich  in  Gaza,  nicht  in  Antiochia,  wie  Petersen 


B  b)  Böm.  Periode  nach  Konatantin.  8.  D.Proaa.  a)  Geachichtachreiber.  (§§  591-598.)  797 


Geschichtsforscher  auf  den  phantastischen  Romanschreiber  über.  Erst 
unter  Justinian  ist  mit  Prokop  und  Agathias  die  Historie  wieder  zu  Ehren 
gekommen,  aber  diese  fallen  jenseits  der  Linie,  die  wir  uns  gezogen  haben. 
In  der  vorausgehenden  Zeit  stehen  die  Eirchenhistoriker  im  Vordergrund; 
von  heidnischen  Historikern  haben  wir "  nur  wenige  Namen  und  noch 
wenigere  Reste.  Wir  zählen  zuerst  die  Verfasser  von  verloren  gegangenen 
Chroniken  auf. 

Porphyrios,  der  bekannte  Neuplatoniker  (233 — 304),  beschäftigte 
sich  auch  mit  historischen  Studien;  aus  ihnen  gingen  seine  XQovixd  her- 
vor, die  von  der  Einnahme  Troias  bis  zum  Jahre  270  n.  Chr.  reichten, 
und  aus  denen  Eusebios  das  Verzeichnis  der  Könige  Makedoniens  und 
der  Lagiden  entnommen  hat.     Fragmente  bei  Müller  FHG  HI  688—727. 

Helikonios,  Sophist  aus  Byzanz,  schrieb  nach  Suidas  einen  chrono- 
logischen Abriss  (xQovixrj  innofiri)  von  Adam  bis  Theodosios  d.  Qr.  in  10  B., 
der  neben  den  staatlichen  auch  die  litterarischen  Verhältnisse  berücksich- 
tigte,^) und  in  dem  deshalb  Daub  eine  Hauptquelle  des  Hesychios  von 
Milet  vermutet. 

Eunapios  aus  Sardes,  der  bekannte  Verfasser  der  Sophistenbio- 
graphien, gab  eine  Fortsetzung  der  Chronik  des  Dexippos  (siehe  §  491)  in 
14  B.  {xQovMTj  tcTOQicc  7)  n€%d  Jä^iTVTvov).  Dioselbo  umfasste  in  zwei  Ab- 
teilungen {Uyoig)  die  Geschichte  vom  Kaiser  Claudius  H  bis  auf  Honorius 
und  Arcadius  (270—404);  zu  rühmen  war  an  ihr,  dass  sie  die  Ereig- 
nisse nicht  mehr  nach  Olympiaden  oder  Jahren  zerstückelte,  sondern  zu 
grösseren  Abschnitten  nach  Kaisern  verbunden  darstellte.  Von  dem 
fliessenden,  nur  allzu  blumenreichen  Stil  und  der  gesinnungstüchtigen 
Parteinahme  für  Julian  geben  uns  die  umfangreichen  Fragmente  einen 
vorteilhaften  Begriff.»)  Fragmente  bei  Müller  FHG  IV  7—56  und  Dindorf 
HGM  205-274. 

Olympiodoros  aus  dem  ägyptischen  Theben  setzte  mit  seinen  i^oyot 
iiXTOQixoi  in  22  B.  den  Eunapios  fort.  Die  Fortsetzung  behandelte  die 
Geschichte  von  407—425;   einen  Auszug  daraus  enthält  Photios  cod.  80. 

Aristodemos  ist  nach  der  Randglosse  tovto  iail  ro  ^tjTovfdsyoy  xov  'AqiaxodrjfjLov 
der  Verfasser  eines  historischen  Abrisses,  von  dem  der  bekannte  Grieche  Minas  aus  einer 
jetzt  in  Paris  befindlichen  Pergamenthandschrift  (snppl.  607)  ein  fragwürdiges  Fragment 
ans  licht  gezogen  hat.  Dasselbe  umfasst  die  Geschichte  von  den  Perserkriegen  bis  zum 
Ausbrach  des  peloponnesischen  Krieges  und  enthält  neben  mehreren  groben  Irrtümern  doch 
auch  einige  aus  anderen  Quellen  nicht  bekannte  Thatsachen.  Wacbsmcth  Rh.  M.  23,  303  ff. 
erklärt  dasselbe  mit  guten  Gründen  für  einen  groben  litterarischen  Schwindel.  Müller 
FHG  V  1—20;  Mathias,  Das  Fragment  des  Aristodemos,  Gotha  1874. 

693.    Zosimos^)  ist  Verfasser  einer  uns  noch  erhaltenen  und  auch 

in  dem  Exzerptenwerk   des  Konstantinos  Porphyrogennetos  ausgezogenen 

Eaisergeschichte    in    6   B.      Derselbe    ist   vielleicht    identisch    mit    dem 

Ton  Suidas  aufgeführten  Sophisten  Zosimos  aus  Gaza  oder  Askalon,   der 


wegen  der  Nachschrift  iv  Tal^i  .x.  rj  iy 
*JyTtox^^  vermutet  hat;  siehe  darüber  Lcd- 
wich Rh.  M.  44  (1889)  S.  194--206.  Ueber 
den  Anakreontiker  loannes  von  Gaza  siehe 


Habssbh  Philol.  Snppl.  Y  2,  205. 
*)  Soidas  nnt.  'Aniatv  und  '^ 


jQQiityog, 


*)  In  der  öfter  erwähnten  yea  exdoais 
waren  die  den  Christen  anstössigen  Stellen 
weggelassen,  worüber  de  Boob  Rh.  M.  47, 
321  fF. 

')  Mendelssohn,  De  Zosimi  aetate,  Rh. 
M.  42,  525  ff.  ^  Prol.  der  Ausg.  p.  V  sqq. 


798 


QrieohUohe  IdtteraturgoBohiohte.    U.  Kaohklasaisohe  Litieratiir. 


zur  Zeit  des  Kaisers  Anastasios  I  (491—518)  lebte,  von  dem  aber  aller- 
dings der  Lexikograph  nur  rhetorische  Schriften  anführt.  Seine  Geschichte 
behandelt,  ähnlich  wie  die  meisten  Geschichtswerke  jener  Zeit,  die  ältere 
Kaisergeschichte  bis  zum  Jahre  270,  mit  welchem  Jahr  das  Werk  sein« 
Vorgängers  Dexippos  abschloss,  nur  in  allgemeinen  Umrissen  (I  1—36); 
von  da  an  wird  sie  breiter  und  ausführlicher  und  schliesst  mit  den  Vei^ 
handlungen,  welche  der  Einnahme  Roms  durch  Alarich  (410)  vorhergingen; 
an  dem  vollständigen  Abschluss  wurde  der  Verfasser  offenbar  durch  den 
Tod  oder  sonst  einen  Unfall  verhindert.  Zur  Bestimmung  der  2^it,  in 
welcher  Zosimos  sein  Geschichtswerk  abfasste,  sind  zwei  Anhaltspunkte 
gegeben:  einesteils  hat  der  Chronograph  Eustathios  aus  Epiphania,  der 
den  Zosimos  benutzte,  sein  eigenes  Werk  bis  zum  Jahre  503  herabgefiihrt; 
anderseits  ist  die  Abschaffung  der  drückenden  Steuer  des  Chrysargyroa 
auf  die  II  38  angespielt  ist,  im  Jahre  501  erfolgt;^)  danach  hat  Zosimos 
nach  501  unter  dem  Kaiser  Anastasios  I  sein  Geschichtswerk  geschrieben. 
Der  Verfasser  war  ein  charakterfester  Römer,  der  den  Grund  des  Nieder* 
gangs  der  römischen  Weltherrschaft  in  dem  Abfall  von  dem  Glauben  d& 
Väter  sah.*)  Sein  Werk  ist  für  uns  Hauptquelle  zur  Geschichte  des 
4.  Jahrhunderts,  aber  auch  über  die  ältere  Kaiserzeit  enthält  es,  wie  üh& 
die  Säkularspiele  unter  Augustus,  manche  beachtenswerte  Notizen. 

Ansgabe  von  Ihm.  Bbkeer  in  den  Scriptores  bist  Byzant.  1837;  von  Mbüdelssorv, 
Lips.  1887  mit  Prolegomenis  und  kritischem  Apparat.  Die  Ueberliefenmg  aller  Haitd- 
schriften  zeigt  zwei  grosse  Lücken,  eine  zwischen  dem  1.  und  2.  B.  und  eine  andere  aa 
Schlüsse. 

594.  Durch  Exzerpte  sind  uns  ausserdem  bekannt:  Praxagoras  ans 
Athen,  der  in  ionischem  Dialekt  eine  Geschichte  Konstantins,  Alexanders 
d.  Gr.  u.a.  schrieb  (Phot.  cod.  62) ;  Magnus  aus  Earrae  und  Eutychianus 
aus  Eappadokien,  die  beide  unter  Julian  den  Krieg  gegen  die  Perser  mit- 
machten und  eine  von  Malalas  (p.  328,  20  ed.  Bonn.)  benutzte  Geschichte 
jenes  Krieges  lieferten;  Pausanias  von  Damaskos,  der  ein  von  dem 
Antiochener  Malalas  vielfach  angezogenes  Buch  über  die  Gründung  and 
Geschichte  von  Antiochia  schrieb;^)  Priskos  aus  Panion  in  Thrakien, 
Sophist  unter  dem  jüngeren  Theodosios,  von  dessen  hroQia  ror&txfj  und 
Bv^avTiax/j  uns  noch  umfangreiche  Fragmente  erhalten  sind;  Malchos 
aus  Philadelphia  in  Syrien,  der  des  Priskos  Geschichte  bis  zum  Jahr  480 
fortsetzte;  Philostratos,  den  Malalas  p.  297,  10  als  Gewährsmann  for 
den  Perserkrieg  unter  Yalerian  anführt;  Eustathios  aus  Epiphania  in 
Syrien,  der  einen  Abriss  der  Geschichte  von  den  ältesten  Zeiten  bis  aaf 
das  12.  Regierungsjahr  des  Anastasios  (503)  verfasste;^)  Candidus  der 
Isaurier,  christlicher  Geschichtschreiber  der  Zeit  von  Leon  bis  Anastasios 
(457 — 491).  Alle  die  genannten  Historiker  gehen,  wenn  sie  auch  noch  in 
unserer  Zeit  lebten,   doch  hauptsächlich  die  Litteratur  des  byzantinischen 


»)  RüBL  Rh.  M.  46  (1891)  146  f. 

*)  Vgl.  II  7  bei  Gelegenheit  der  Säkular- 
spiele  unter  AugustuB.  Zur  Charakteristik 
des  Zosimos  Rankb,  Weltgeschichte  IV  2 
S.  264-84. 

')  Ueber  die  Beziehung  zum  Periegeten 
Pausanias  §  501.     Wie  mein  junger  Freund 


Bourier  nachweisen  wird,  hat  Malalas  nidit 
direkt,  sondern  durch  Yermitteluiig  do6  Do- 
minicus  den  Historiker  Pausanias  benotit 

*)  Zu  den  Fragmenten  des  Eastathks 
gehören  noch  nach  einer  Vermutung  mdse 
Freundes  Haury  die  Ezcerpte  in  Craiis 
Anecd.  gi-.  11  4—86. 


B  b)  Rom.  Periode  naoh  Eonstantiii.  8.  Die  Prosa,  a)  Geographen.  (§§  594^596.)     799 

Mittelalters  an,   da  sie  zu  den  Quellen  der  uns  erhaltenen  byzantinischen 
Historiker  Prokop,  Malalas,  Theophanes,  Euagrios  u.  a.  gehören. 

596.  Zu  den  Historikern  im  weiteren  Sinn  gehört  auch  der  Alter- 
tumsforscher Joannes  Lydus.^)  Derselbe,  geboren  um  490  in  der  lydi- 
schen  Stadt  Philadelphia,  bekleidete  unter  Anastasios  und  Justinian  hohe 
Hof-  und  Staatsämter,  bis  er  552  in  Ungnade  fiel  und  seinen  Abschied 
zu  nehmen  genötigt  wurde.  Wahrscheinlich  lebte  er  noch  in  die  ersten 
Regierungsjahre  des  Kaisers  Justinus  II  (565 — 578)  hinein,  da  sich  auf 
diesen  Kaiser,  und  nicht  auf  Justinian  die  Stelle  in  dem  Buch  von  den 
Beamten  II 8  zu  beziehen  scheint.')  Derselbe  liegt  demnach  seiner  Lebenszeit 
nach  schon  jenseits  der  uns  gezogenen  Grenze,  verdient  aber  noch  hier 
behandelt  zu  werden,  da  sein  Gesicht  ganz  nach  rückwärts  in  die  Zeiten 
der  alten  römischen  Welt  gewandt  ist.  Die  Zeit  seiner  unfreiwilligen 
Müsse  benutzte  er  nämlich  zu  antiquarischen  Untersuchungen,  nachdem 
er  früher  mit  Reden  auf  den  Präfekten  Zotikos  und  den  Kaiser  Justinian 
hervorgetreten  und  mit  der  Abfassung  einer  Geschichte  der  Perserkriege 
des  Justinian  beauftragt  worden  war.  Die  drei  Schriften,  die  von  ihm 
auf  uns  gekommen  sind  und  die  schon  zu  Photios  Zeiten  allein  noch  be- 
kannt waren,  sind:  tisqI  iurjvm'  (de  mensibus),  nsql  aQx<^v  Tfjg  ^Payiiaioav 
nohxeiag  (de  magistratibus  reip.  rom,),  tisqI  dioarjusrnv  (de  ostentis).  Von 
diesen  sind  die  beiden  letzten  erst  in  unserem  Jahrhundert  vollständig  ans 
Licht  gezogen  worden,  von  der  ersten  haben  wir  überhaupt  nur  Frag- 
mente und  Exzerpte.  Alle  drei  beziehen  sich  auf  römische  Verhältnisse 
und  haben  dadurch  grossen  Wert,  dass  ihr  Autor  noch  viele  alte,  jetzt 
verloren  gegangene  Quellen,  wie  die  Bücher  des  Nigidius  und  Labeo,  be- 
nutzt hat.  Ihre  Bedeutung  wird  freilich  auf  der  andern  Seite  wesentlich 
dadurch  verringert,  dass  ihr  Verfassser  ein  abergläubischer,  kritikloser 
Windbeutel  war,  der  mit  Titeln  von  Büchern  um  sich  warf,  die  er  nie 
gesehen,  sicher  nicht  durchgelesen  hatte.*) 

Codices:  Gaseolinus  s.  X,  von  dem  französischen  Gesandten  Ghoiseul-Gouffier  1785 
bei  Konsiantinopel  endeckt  und  nach  Paris  gebracht  (SnppL  n.  257);  Laurentianus  28,  34 
s.  XI  ein  Sammelcodez  von  astrologischen  Traktaten.  —  Lydi  de  magistratibus  reip.  rom. 
libri  tres  ed.  Fuss,  praefatus  est  Hase,  Paris  1812.  —  Gesammtaasgabe  von  Ihm.  Bbkkeb 
in  der  Ausgabe  der  Scriptores  Byzantini,  Bonn  1837.  —  Lydi  de  ostentis  ed.  G.  B.  Hase, 
Paris  1823;  ed.  C.  Wachsmuth  in  Bibl.  Teubn.  1863,  iterum  ed.  1897,  in  vollständigerer  Ge- 
stalt und  mit  einem  Anhang  Calendaria  graeca  omnia.  —  Ein  Excerpt  aus  dem  Buche  de 
ostentis  von  Wünsch,  Byz.  Ztschr.  V  (1896)  410  flf.;  Wachsmuth  Rh.  M.  52,  137  flf. 

696.  Die  Geographie  ging  in  den  letzten  Jahrhunderten  des  Alter- 
tums ebenso  leer  aus  wie  die  Geschichte.  Neue  Länder  wurden  nicht 
entdeckt,  das  Reich  wurde  kleiner  statt  grösser;  die  Handelsverbindungen 

*)  C.  B.  Hase,  Commentarius  de  Joanne   1   oroXj  ylyyBTai  (seil.  vTiarog  6  i^/Ä^egog  na- 


Laurentio  Philadelpheno  Lydo,  in  der  Pariser 
und  Bonner  Ausgabe;  ein  magerer  Artikel 
steht  im  Snidas,  ein  ausftihrlicherer  in  Photios 
cod.  180.  Bigrichtigungen  zu  den  bisherigen 
Annahmen  bringt  Zachabue  von  Linoenthal 
in  Ztschr.  fOr  Rechtsgeschichte,  Romanische 
Abt.XII  (1891)  77— 80,  wonach  Laurentii,  nicht 
Lanrentius  zu  schreiben  und  in  diesem  der 
Vater  unseres  loannes  Lydus  zu  erkennen  ist. 
*)  De  magistr.  II  8  von  Kaiser:  ig  <W 


■trJQ  XB  lifAci  xai  ßaaiXevg),  örav  xoofÄBiy  xrjv 
TVXV^  ^^sXtjaoi,  ßtt&fÄoy  avfore^ov  ßaaiXeiag 
Xfjy  vnaxov  xifitjy  ogiCofisyog,  wo  das  Fu- 
turum ii^eXijcoi,  wie  Zachariae  a.  0.  bemerkt, 
besser  auf  den  neuen  Kaiser  Justinus  II  als 
den  alten  Justinian  passt. 

«)  Ueber  die  Quellen  des  Buches  von 
den  Vorzeichen  der  Blitze,  Erdbeben,  Wetter 
liefert  eine  umsichtige  Untersuchung  Wachs- 
muth, Lydi  de  ostentis  p.  XVII  sqq. 


800  Orieohisohe  litteratiirgeMliicht«.    IL  ffaehklAMdsehe  LiiUratiir. 

zogen  sich  infolge  der  Kriege  im  Osten  und  Norden  immer  mehr  in  die 
Enge;  von  einem  rein  wissenschaftlichen  Forschungs-  und  Entdeekungs- 
geist  war  ohnehin  nicht  mehr  die  Rede.  So  haben  wir  denn  hier  fast  nur 
von  Kompendien  und  geographischen  Lexicis  zu  reden. 

Marcianus,  der  um  400  lebte  und  mit  dem  Marcianus  des  Synesios 
ep.  100  u.  191,  vielleicht  auch  mit  dem  JSthoq  JvQtjXiog  Maqxuxvog  o  n^og 
aQX<^v  der  Inschrift  von  Amastris  in  Paphlagonien  GIG  4151  identisch  ist, 
verfasste  eine  ^EmTOfJuj  toyv  h'dsxa  xi^g  ^Aqtefuddqov  %ov  ^E^BCiov  yerny^fiag 
ßtßkion',  einen  UeQinXovg  r^^  M^w  ^aXäcar^g  dv  ßißX.  ß\  ein  Buch  na^  %m 
ano  '^Poifitfi  TiQog  %dg  eTviar^fiovg  zf^g  oixov/Aävtfi  noXcig  Staat MswVy  eine  'Em" 
to/uitj  toiv  TQtwr  Tov  T^$  ivTog  d-aXdcarfi  ncQinXov  ßißXfiar  M^vinnov  Ub^- 
ya/uir^rov.  Von  diesen  Werken  ist  das  zweite  und  vierte  in  verstümmelter 
Gestalt  auf  uns  gekommen  und  von  Müller,  Geogr.  gr.  min.  I  515-— 573 
neuerdings  herausgegeben.  Der  bis  auf  zwei  Lücken  gut  erhaltene  Peri- 
plus  des  äusseren  Meeres  behandelt  im  1.6.  dias  östliche,  im  2.  das  west- 
liche Meer,  und  ist  eine  Zusammenstellung  aus  Ptolemaios  und  einem 
gewissen  Protagoras,  der  in  der  Zeit  nach  Ptolemaios  eine  von  Photios 
cod.  188  skizzierte  Geographie  in  6  B.  geschrieben  hatte.  Der  Periplns 
des  inneren  Meeres  ist  ein  sehr  dürftiger  Auszug  aus  dem  gleichnamigen 
Buche  des  Menippos  aus  Pergamon,  der  ein  Freund  des  Epigrammatikers 
Krinagoras  ^  war  und  demnach  unter  Augustus  und  Tiberius  gelebt  haben 
muss. 

Ein  anonymer  nsqinXovg  ev^sivov  novroVy  der  in  drei  Teilen  durch 
einen  römischen  (Vatic.  143),  einen  Heidelberger  (n.  398)  und  einen  aus 
Athos  stammenden  Londoner  Codex  (n.  19391)  auf  uns  gekommen  ist, 
enthält  in  der  Hauptsache  nur  Auszüge  aus  Arrians  Periplus  des  Pontus 
Euxinus,  Marcians  Überarbeitung  des  Menippos  und  dem  geographischen 
Gedicht  des  Ps.  Skymnos.  Ausgabe  in  Müller  Geog.  gr.  min.  p.  402—23, 
ergänzt  durch  Müller  FHG  V  174-87. 

Agathemeros  ist  Verfasser  eines  Abrisses  der  Geographie  (yf«y^- 
(piag  vTroTvnoyatg),  Darin  ist,  indem  Geographie  in  dem  engeren  Sinn  von 
Erdzeichnung  genommen  ist,  eingangs  von  den  älteren  Erdkarten  (mraxfc), 
denen  des  Anaximander,  Hekataios,  Demokritos,  Eudoxos,  Krates,  und 
dann  in  dem  Hauptteil  von  den  Grenzen  und  Massen  der  Meere,  der  Lange 
und  Breite  der  Erde,  den  Grössenverhältnisssen  der  Insehi  gehandelt.  Der 
Abriss  ist  wertvoll,  da  er  zum  Teil  wie  in  der  Angabe  der  älteren  Karten 
und  in  den  Länge-  und  Breite  Verhältnissen  auf  Eratesthenes,  Artemidor 
und  Poseidonios.  zurückgeht.*)  Die  Übereinstimmungen  mit  Marcian  will 
Müller  t.  II  p.  Xn  aus  der  gemeinsamen  Benützung  der  Geographie  des 
Protagoras  erklären. 

Dem  Agathemeros  wurden  ehedem  auch  die  zwei  in  denselben  Hand- 
schriften befindlichen  Schriften  Jiayvmaig  iv  imzoiif^  riy^  iv  rg  a^ai^ 
y€(üyqa(fiag  und  ^YTtoxvnoaaig  yetay^atpCag  iv  irntofAfi}  zugeschrieben,  aber 
beide  Schriften  gehören,  wie  Müller  a.  0.  nachweist,  anderen  anonymen 
Verfassern  an. 


»)  Anth.  Pal.  IX  559. 

*)  RuGB,  Quaestiones  Artemidoreae,  in  Comm.  Ribbeck.  475—85. 


Bb)  BOmiache  Periode  nach  Eonstaatin.   8.  Die  Prosa,   a)  Geographen.  (§597.)    gQl 


ursprünglich  griechisch  verfasst,  uns  aber  nur  in  einer  lateinischen, 
sklavisch  an  das  Original  sich  anschliessenden  Übersetzung  erhalten  ist 
die  periegetische,  fiir  die  Handelsverhältnisse  des  römischen  Reiches  wich- 
tige Schrift  Exposüio  totius  mundi  et  gentium.  Der  anonyme  Verfasser 
war  ein  Syrer  und  schrieb  zwischen  den  Jahren  345  und  348. 

597.  Stephanos  von  Byzanz  heisst  der  Verfasser  des  geographischen 
Lexikons,  das  zum  grössten  Teil  nur  im  Auszug  auf  uns  gekommen  ist. 
Dasselbe  hatte  den  Titel  'Eä^'txd  und  war  sehr  umfangreich  angelegt,  da 
mit  dem  Buchstaben  2  bereits  das  51.  Buch  begann.^)  Den  Auszug  hat 
nach  dem  Zeugnis  des  Suidas  Hermolaos,  ein  Grammatiker  aus  Eon- 
stantinopel,  in  der  Zeit  des  Justinian  gemacht.*)  Über  die  Zeit  des  Ste- 
phanos selbst  ist  uns  nichts  überliefert;  er  scheint  indes  nach  Dexippos 
und  Marcianus  gelebt  zu  haben,  da  beide  öfters  in  dem  erhaltenen  Aus- 
zug citiert  sind.»)  Er  war  nicht  der  erste,  der  den  Plan  eines  geographi- 
schen Lexikons  fasste;  aus  dem  Et.  M.  221,  31  erfahren  wir,  dass  schon 
der  Grammatiker  Epaphroditos  sich  auf  ein  geographisches  Lexikon  des 
Aegineten  Kleitarchos  bezog,  der  demnach  sicherlich  vor  dem  zweiten 
Jahrhundert  unserer  Zeitrechnung  lebte.  Die  Anlage  des  Originalwerkes 
können  wir  noch  aus  den  Artikeln  ^Ißr^qia  und  Jviirj  bis  Jciviov,  die  voll- 
ständig auf  uns  gekommen  sind,^)  ermessen.  Danach  war  das  Ganze  ein 
sehr  gelehrtes  Werk,  in  welchem  zu  den  einzelnen  Artikeln  reiche  Belege 
aus  der  älteren  und  neueren  Litteratur,  aus  Dichtem  und  Prosaikern  an- 
geführt und  ausser  der  geographischen  Lage  auch  die  Geschichte  und  die 
berühmten  Männer  der  einzelnen  Orte  berücksichtigt  waren.  Erkennt  man 
schon  daraus  den  Grammatiker,  so  tritt  derselbe  noch  mehr  in  der  starken 
Betonung  hervor,  die  derselbe  auf  die  richtige  Schreibung  der  Namen  und 
die  richtige  Bildung  der  abgeleiteten  Wörter  legt.  Hierin  wie  in  allen 
grammatischen  Fragen  folgt  er  wesentlich  der  Autorität  des  Herodian, 
den  auch  zu  citieren  er  nicht  unterlässt,'^)  wenn  er  auch  direkt  nur  die  jüngeren 
'Exh^ixä  des  zeitgenössischen  Grammatikers  Oros  benutzt  zu  haben  scheint. 
In  der  Sache  und  den  geographischen  Angaben  stützt  er  sich  auf  die 
Werke  der  grossen  Geographen  und  Historiker  Hekataios,  Herodot,  Erato- 
sthenes,  Ephoros,  Polybios,  Artemidor,  Strabon,  Pausanias;  zunächst  be- 
nutzt aber  wurden  von  ihm  das  Buch  des  Herennios  Philon  negi  noXetov 
xai  or^  ixdaxri  avtdv  evdo^ovg  ijveyxev  und  ein  Städteverzeichnis  (aray^ayi* 
nolemv),  ähnlich  dem  von  Müller  FHG  V  p.  LXVI  ff.  publizierten.«)  Ohne 
Nachlässigkeiten    und   Irrtümer   ging    es   bei   dem  Exzerpieren  und  Zu- 


')  Steph.  ant.  IvQtixovam;  der  Artikel 
Tnt»yevf  äand  ün  52.  Buch. 

')  Suidas:  'EQ/A.öXaog  ygafjLfJuxxiniog  Kfav- 
üjatmyovnoXstag  ygd^pas  trjy  innofAijy  ttov 
E&yixtiv  SxBtpayov  yQafJLfjLaxinov,  n^oatpayr]' 
^Hauv  'lovariyiaytp  t^  ßaaiXei.  Die  Richtig- 
keit der  Angabe  wird  bestritten  von  Saxo- 
L0W8KI  in  PhiloL-histor.  Beiträge  zu  Ehren 
Wachsmuths,  1897  S.  107. 

')  Sakolowsri  a.  0.  setzt  ihn  unter  Ju- 
stin (518—27). 

^)  Erhalten  ist  der  voUstftndige  Artikel 
Bandbneh  der  klut.  AltertumswiaBenscbftft.    VII. 


'ißijQitt  durch  Konstantinos  Porphyrogennetos, 
De  admin.  imperio  c.  23.  Auch  Eustathios 
benutzte  noch  das  Originalwerk,  s.  Westkr- 
MANN,  Praef.  p.  XV  sqq.  und  Et.  M.  788,  50. 

*)  Zu  weit  geht  Lemtz,  Herod.  rell.  p. 
GXXXYII:  fere  totum  Stephani  opus  ex 
Herodiano  exscriptum  esse.  Dagegen  Ben. 
NiBSB,  De  Stephani  Byzantini  auctoribns, 
Kiliae  1873. 

•)  Steph.  unt.  ^Ayrio/eia  '  6ixa  noXsig 
ayay^fpoyxaif  eial  di  nXeiovg, 


3.  Aufl. 


51   . 


802 


Orieohieohe  littoratorgeschiohte.    II.  KaehklaMiaohe  littoratiir. 


sammenstellen  nicht  ab,  indem  der  Lexikograph,  durch  Varianten  des 
Textes  verleitet,  mehrmals  dieselbe  Stadt  zweimal  aufführt,  wie  'Agiav&T; 
und  ^JQfv^Tjy  Jäifiac(fa  und  MädfiacfXa,  ^Ifiäga  und  Xeifidga,  SeXatfta  und 
SsXXaaitty  femer  rX^veg  und  TXrjteg^  rdßioi  und  Tdßtoi^  Xofjtipci  und  Taxffitfm. 
Das  Ärgste  ist,  dass  er  aus  der  Stelle  des  Herodot  1 125  eati  Sä  rdSe,  i^  «r 
iaXXoi  ndvTsg  dqzäaxai  Uhqacti  Uacagyadai  Mtxqdiftoi  Mdcnioi  einen  per- 
sischen Stamm  'AQxeätai,  herausgelesen  hat,  der  sich  dem  famosen  Suato- 
tanda  des  Ptolemaios  würdig  zur  Seite  stellt.^) 

Hauptaasgabe  mit  den  Noten  der  Früheren  von  G.  Dihdobf,  Lips.  1825,  4  toL  — 
Kritische  Ausgabe  von  Wbstbrmann,  Lips.  1839;  von  Meinekb,  Berol.  1849;  der  2.  Band 
der  letzten  Ausgabe,  der  den  Kommentar  enthalten  sollte,  ist  nicht  erschienen.  —  Bts. 
NiBSE,  De  Stephani  Byzantii  auctoribus,  Kiel  1873.  —  Gbffgkbn,  De  Stephane  Bjrzantio. 
Gott  1889. 

b)  Die  Jüngere  Sophlstlk. 

598.  Einen  erneuten  Aufschwung  nahm  die  Sophistik  im  4.  Jahr- 
hundert,^) nachdem  dieselbe  eine  Zeitlang  den  philosophischen  Studien  der 
Neuplatoniker  hatte  nachstehen  müssen.  An  allen  Bildungsstätten  des 
Ostreichs,  besonders  in  Athen,  Antiochia,  Konstantinopel  stand  sie  im 
Vordergrund  des  litterarischen  Interesses.  Die  Lehrer  derselben  hielteo 
teils  in  geräumigen  Hörsälen  vor  einem  aus  Erwachsenen  und  Jünglingen 
zusammengesetzten  Publikum  ihre  schöngeistigen  Vorträge,  teils  übernahmen 
sie  die  Aufgabe  bei  festlichen  Anlässen  die  Tugenden  und  Thaten  der 
Kaiser  und  ihrer  Statthalter  in  pathetischen,  von  Schmeichelei  über- 
fliessenden  Reden  zu  preisen.  Zu  ihren  Hörsälen  drängte  sich  alles,  was 
dereinst  eine  Rolle  im  Staate  oder  bei  den  Gerichten  zu  spielen  gedachte; 
auch  berühmte  Kirchenväter,  wie  Basileios  und  Gregorios,  haben  in  ihrer 
Jugend  zu  den  Füssen  angesehener  Rhetoren  gesessen.  Die  Hauptvertreter 
dieser  Nachblüte  der  Sophistik,  die  erst  nach  dem  Tode  des  Theodosios 
unter  den  fanatischen  Kämpfen  theologischer  Sekten  und  der  einsichts- 
losen Schwäche  der  Kaiser  ihrem  gänzlichen  Verfall  entgegenging,  warra 
Libanios,  Himerios,  Themistios,  Julian.  3)  Geschichtschreiber  derselben  war 
Eunapios,  der  zu  Beginn  des  5.  Jahrhunderts,  um  405,  die  Biih  ^loai- 
g)(ov  xal  aoifiaxwv  verfasste,  welche  uns  noch  erhalten  sind  und  einen 
interessanten  Einblick  in  das  eitle  Getriebe  der  damaligen  Schulhäupt»* 
gewähren. 

Ennapii  Vitae  sophistamm  rec.  Boissonade,  Amstelod.  1822,  2  vol.;  itemm  ed.  B» 
soNADE,  Paris  bei  Didot  1849,  wonach  wir  citieren.  Cod.  archetypos  ist  Laurent.  86,  7.  — 
Ueber  seine  Geschichte  s.  §  592. 


*)  Ueber  ähnliche  Irrtümer  Atkrstadt, 
De  Hecataei  Milesii  fragmentis  p.  10  ff. 

^)  Aus  den  letzten  Jahrzehnten  vor  Kon- 
stantin werden  uns  genannt  die  Sophisten 
Genethlios  ans  Paträ,  Paulus  aus  Aegyp- 
ten,  Andromachos  aus  Neapolis  in  Palä- 
stina; vgl.  Wbstermann,  Gesch.  d.  Bereds. 
I§96u.  97.  Nur  von  Kallinikos  aus  Petra 
in  Palästina  (über  ihn  ein  Artikel  des  Suidas) 
hat  sich  ein  Fragment  erhalten  *Ex  rtüy  sig 
T«  naTQia  'Pw^iyc,  gedruckt  bei  Orblli,  Phi- 


lonis  lib.  de  sept  spect,  Lips.  1816. 

')  Von  Eunapios  werden  noch  erwähnt: 
Aidesios,  Mazimos,  Priskos,  Jnlianoi 
aus  Kappadokien,  Prohaireaios  ans  O 
sarea  (276—368),  Epiphanios,  Diophan- 
tos,  Sopolis,  Apsines  aus  LakedfiinoB, 
Oreibasios,  Chrysanthios  n.  a.  Schäl» 
des  Aidesios  war  Eusebios  ana  Mynd«, 
von  dem  uns  Stobaios  viele  schöne  Sprüeke 
(zusammengestellt  von  Mullagh  FPQ  Ul  7 
bis  10)  erhalten  hat. 


B  b)  BOmische  Periode  nach  Konetantin.  8.  Die  Prosa,  b)  Sophietik.  (§§  598—599.)    803 

699.  Libanios  (314 — 393) *)  entstammte  einer  angesehenen  und 
reichen  Familie  Antiochia's,  der  damaligen  Hauptstadt  Syriens.  Da  er 
bereits  in  dem  Alter  von  11  Jahren  seinen  Vater  verlor,  so  leitete  seine 
Erziehung  die  um  ihre  Kinder  überzärtlich  besorgte  Mutter.  Zum  Lehrer 
hatte  der  schwächliche  Jüngling,  den  früh  seine  Natur  zur  Rhetorik  zog, 
den  Zenobios,  einen  gefeierten  Rhetor  seiner  Vaterstadt,  dem  er  selbst 
später  die  Leichenrede  hielt.  Zur  Vollendung  seiner  Ausbildung  besuchte 
er  dann  vier  Jahre  lang  die  hohe  Schule  von  Athen,  wo  er  bei  Diophantos 
als  Schüler  sich  einschreiben  liess,  ohne  deshalb  sich  an  diesen  oder  ein 
anderes  Schulhaupt  Athens  enger  anzuschliessen.  Eine  eigene  Schule  er- 
öffnete er  zuerst  in  Eonstantinopel,  wo  er  gleich  anfangs  noch  einmal  so 
viele  Schüler  fand,  als  man  ihm  in  Aussicht  gestellt  hatte.  Aber  infolge 
der  Intriguen  seiner  Neider  war  sein  Aufenthalt  in  der  Hauptstadt  des 
Reiches  nicht  von  Dauer,  und  verpflanzte  er  bereits  im  Jahre  344  seine 
Schule  nach  Nikomedia,  der  aufblühenden,  durch  Schönheit  und  gesunde 
Lage  ausgezeichneten  Stadt  an  der  Propontis,  in  der  er  hochgeehrt  die 
fünf  schönsten  Jahre  seines  Lebens  verbrachte.^)  Nachdem  er  nochmals 
auf  kurze  Zeit  nach  Eonstantinopel  zurückgekehrt  war  und  einen  Ruf 
nach  Athen  ausgeschlagen  hatte,  siedelte  er  354  definitiv  nach  seiner 
Vaterstadt  Antiochia  über,  wo  er  bis  zum  Ende  seines  Lebens  blieb.  Auch 
hier  wirkte  er  bis  in  sein  hohes  Greisenalter  hinein  als  vielbesuchter 
Lehrer  der  Beredsamkeit.  Unter  seinen  zahlreichen  Schülern  waren  die 
namhaftesten  Dio  Ghrysostomus  und  Ammianus  Marcellinus.  Aber  auf  die 
Schulstube  beschränkte  sich  damals  ein  angesehener  Rhetor  nicht  und  am 
wenigsten  der  ehrgeizige,  unruhige  Libanios.  In  besonderem  Ansehen 
stand  er  bei  dem  Kaiser  Julian,  der  ihm  die  Würde  eines  Quaestorius 
verlieh  und  durch  dessen  jähen  Tod  er  tief  niedergebeugt  wurde.  Aber 
wiewohl  er  mit  Julian  seine  Hoffiiungen  zu  Grabe  getragen  sah  und  seinem 
Schmerz  in  der  Monodie  auf  den  gefallenen  Kaiser  in  leidenschaftlicher 
Weise  Ausdruck  gab,  so  wusste  er  sich  doch  auch  bei  den  nachfolgenden 
Kaisern  Valens  und  Theodosios  Einfluss  zu  verschaffen  und  unterhielt 
namentlich  mit  den  Statthaltern  von  Antiochia  und  den  anderen  kaiser- 
lichen Würdeträgem  der  Provinz  regsten  persönlichen  und  brieflichen  Ver- 
kehr. Die  Zeit,  wo  die  politischen  Kämpfe  in  der  Öffentlichkeit  auf  dem 
Marktplatze  sich  abspielten,  war  längst  entschwunden;  an  die  Stelle  der 
Freiheit  und  der  Rednerbühne  war  die  Kanzlei  und  die  Selbstherrlichkeit 
der  Kaiser  und  ihrer  Beamten  getreten.  An  sie  drängte  sich  alles  heran, 
was  Macht  und  Einflusss  suchte;  für  das  Spiel  der  Schmeichelei  und 
Intrigue,  das  sich  hier  entspann,  war  die  Rhetorik  die  beste  Waffe.  Sie 
hat  Libanios  in  zahlreichen  Reden  und  Briefen  erfolgreich  wie  kein  zweiter 
gehandhabt,  so  dass  er  wie  die  grossen  Rhetoren  des  alten  Athen  nicht 
bloss  als  Lehrer  der  Beredsamkeit  thätig  war,  sondern  auch  praktisch  seine 
Kunst,  nur  in  anderer  Weise  wie  jene  übte. 


M  Artikel  des  Suidas;  Selbstbiographie 
des  Libanios,  Xoyog  negl  r^g  iavrov  rv^r^g. 
Ennapios  Vit.  soph.  p.  495  ed.  Did.  —  G.  R. 
SiBVBBS,  Das  Leben  des  Libanios,  Berl.  1868. 


*)  In  er.  I  p.  88  nennt  er  seinen  Anf- 
enthalt  in  Nikomedia  rov  navxog  ov  ßeßimxa 
XQovov  %ttQ  fj  ay&og. 


bV 


804 


Grieohiache  LüteraturgMohichte.    U.  HaohklaMUche  litUratar. 


Seiner  ganzen  Bildung  nach  war  Libanios  Hellene ;  er  hatte  die  atti- 
schen Redner,  besonders  Demosthenes  und  von  den  Späteren  Aristides^) 
fleissig  von  Jugend  auf  studiert,  war  auch,  wenngleich  nur  in  beschränktem 
Masse,  in  den  klassischen  Dichtern  und  Philosophen  belesen,  >)  und  schrieb 
ein  gutes  Griechisch,  was  wohl  in  mannigfachen  rhetorischen  Farben  spielte, 
aber  sich  von  Schwulst  und  überladenem  Prunk  fern  hielt.  Dem  römischen 
Wesen  war  er  entschieden  abgeneigt  und  riet  mit  Nachdruck  denen  ab, 
die  nach  Rom  ziehen  wollten,  um  dort  ihre  Studien  zu  machen.  Der 
lateinischen  Sprache  war  er  so  wenig  mächtig,  dass  er  eines  Dolmetschers 
bedurfte,  wenn  er  einen  lateinischen  Brief  erhielt.')  In  dem  engen  Ge- 
sichtskreis der  Rhetorik  aufgewachsen,  hielt  er  alles  auf  Rede  und  Stil 
und  drang  nirgends  tiefer  in  das  Wesen  der  Dinge  ein.  Den  neuen  Ideen 
des  Christentums  blieb  er  fremd  und  schwankte  auch  in  jenen  Zeiten  des 
Glaubenswechsels  nicht  in  seiner  Anhänglichkeit  an  die  alten  Götter 
Griechenlands.  Gerade  darum  war  der  Kaiser  Julian  sein  Ideal  und 
schmerzte  es  ihn  tief,  dass  mehrere  seiner  Schüler  und  so  auch  der  be- 
gabteste, Joannes  Chrysostomos,  sich  dem  Christentum  zuwandten.  Man 
erzählte  sich  die  Anekdote,  dass  er  dem  Tode  nahe  auf  die  Frage,  wem 
er  seine  Schule  hinterlassen  wolle,  geantwortet  habe:  dem  Chrysostomos, 
wenn  diesen  nicht  die  Christen  geraubt  hätten.^)  Von  Natur  war  er 
schwächlich  und  hatte  viel  über  Migräne  und  in  höherem  Alter  auch  über 
Podagra  zu  klagen;  doch  hatte  er  immerhin,  wie  viele  derartige  Leute, 
eine  zähe  Gesundheit,  so  dass  er  es  zu  einem  hohen  Alter  brachte.  Ver- 
heiratet war  er  in  rechtmässiger  Ehe  nie ;  *)  von  einer  Geliebten,  mit  der 
er  zusammenlebte,  hatte  er  einen  Sohn,  Kimon,  dem  er  wie  einem  recht- 
mässigen Sprossen  sein  Vermögen  zuzuwenden  gedachte,  der  aber  infolge 
eines  Unfalls  schon  vor  ihm  in  das  Grab  sank. 

600.  Die  Schriften  des  Libanios  sind,  wenn  sie  sich  auch  alle  wesent- 
lich in  einer  Richtung  bewegen,  sehr  zahlreich  und  fanden  schon  zu  Leb- 
zeiten des  Autors  weite  Verbreitung.  Dafür  sorgte  der  eitle  Rhetor  selbst, 
indem  er  einen  Schwärm  von  Abschreibern  in  seinen  Sold  nahm.  Auch 
haben  sich  die  meisten  seiner  publizierten  Werke  durch  das  Mittelalter 
hindurch  erhalten.  Aus  dem  Dunkel  der  Bibliotheken  ans  Licht  gezogen 
und  durch  den  Druck  veröffentlicht  wurden  sie  erst  allmählich,  und  noch 
steht  eine  vollständige  kritische  Gesamtausgabe  aus.  Von  geringstem  Wert 
sind  diejenigen  Schriften,   welche  lediglich   der  Schule   dienten   und  sich 


0  In  der  Bede  für  die  Tänzer  t.  II  p. 
475  sagt  er  von  Aristides:  ro  yng  i^yixa  av 
noiui  koyovgt  rtoy  iyyaiy  e/eadui,  'jQiifteidov 
xtti  neiQac&ai  xovg  sfiovg  aqtofjioiovp  eis  öaoy 
olov  re  roig  ixeiyov  .  .  atifABtov  oluai  nnfA- 
fjLiyB&eg  rov  rwy  äxQOjy  i^yetai^m  xov  ^tjjoqa. 

*)  Die  Autoren,  auf  die  er  Bezug  nimmt, 
sind  aufgezählt  von  Förster  Rh.  M.  32,  86  ff. 

»)  Siehe  ep.  923.  956.  1241;  in  dem 
zweiten  der  genannten  Briefe  verübelt  er  es 
seinem  Freunde  Postumianus,  dass  er  die 
Sprache  der  Hellenen  meide,  durch  die  er 
doch  seine  Seele  mit  Homer  und  Demosthenes 


erfüllt  habe.  Aehnlich  standen  die  Yerhilt- 
nisse  in  Rom,  worüber  Dölluvgeb,  Akadem. 
Vortr.  I  172:  Im  Anfang  des  5.  JahrinmdeitB 
konnte  der  römische  Bischof  einmal  nieman- 
den in  Rom  mehr  finden,  der  ein  griechi- 
sches Schi*eiben  hätte  abfassen  können. 

*j  Sozom.  VIII  2;  Cedrenus  I  674  ed. 
Bonn. 

')  Echt  sophistisch  sagt  er  or.  I  p.  40 
von  sich,  als  er  eine  reiche  Partie  aoage- 
schlagen  hatte:  cJf  ifjioL  yc  ovctig  nnl  y^ 
yaix6s  Ttjs  rixytig. 


Bb)  BOmisohe  Periode  nach  Konstantin.   3.  Die  Prosa,   b)  Sophistik.   (§  600.)    g05 

ganz  in  dem  Rahmen  des  damaligen  rhetorischen  Unterrichtes  bewegen. 
Dazu  gehören  47  7iQoyvfivcianai;a^  36  dirjyrmaTa^  27  r]x^onouat  oder  Cha- 
rakterskizzen, 33  exfpQccaeig  oder  Beschreibungen  von  Kunstwerken,  50  fie- 
lerat  oder  Deklamationen  auf  fingierte  Themata.  Eben  dahin  gehören 
auch  seine  Lebensbeschreibung  des  Demosthenes  und  die  Inhaltsangaben 
{v7iPo^€(f€ig)  der  demosthenischen  Staatsreden.  —  Dauernden  Ruhm  aber  ver- 
dankte er  seinen  Reden  {^oyoi),  von  denen  68  auf  uns  gekommen  sind. 
Dieselben  haben  mit  der  Schule  im  engeren  Sinne  nichts  zu  thun  und  be- 
wegen sich  auf  dem  realen  Boden  der  Zeitgeschichte.  Reden  indes  im 
strengen  Sinne  des  Wortes  sind  auch  sie  nicht,  wenigstens  nicht  alle. 
Mehrere  haben  nur  die  Form  von  Reden,  sind  aber  den  hohen  Herren,  an 
die  sie  gerichtet  sind,  einfach  zugeschickt  oder  direkt  durch  den  Buch- 
handel unter  die  Leute  gebracht  worden.  Hervorgehoben  zu  werden  ver- 
dienen: der  Ba(nXix6g,  Lobrede  auf  die  Kaiser  Konstans  und  Konstantins, 
gehalten  348  in  Nikomedia,  der  ^Avtioxixoq^  Preisrede  auf  die  Stadt  Anti- 
ochia,  ihre  Salubrität  und  die  Humanität  ihrer  Bewohner  (wahrscheinlich 
aus  dem  Jahre  360),  0  sechs  Reden  auf  den  Kaiser  Julian,  darunter  eine 
zu  seiner  Bewillkommnung  beim  Einzug  in  Antiochia  (nQoa^ayvrjrixog),  drei 
auf  seinen  Tod  (jiovfjitdia^  iniTa^iog,  vnbq  rijg  ^lovXtavov  TifiwQfag)^  fünf 
Reden  auf  den  wilden  Aufruhr  der  Antiocheer  und  die  kaiserliche  Gnade 
des  Theodosios  (387),  femer  die  Reden  auf  den  verwahrlosten  Zustand 
der  Gefängnisse  [negl  %£v  SefrfKoxwv),  über  die  schlechten  Gehalte  der 
Rhetoren  (vti^q  tdv  j^rjroQtov),  für  die  Tänzer  oder  Pantomimen  {nQogUQ^- 
areiifjv  vnhQ  to)v  o^x^ctöJv),»)  gegen  seine  Verkleinerer  {rtQog  Tovg  slg  trjv 
Tiiudsiav  avxov  unoaxoiyjavTag),  Ein  altes  Thema  mit  Benutzung  der  da- 
mals noch  vorhandenen  Reden  des  Polykrates  Xenophon  und  Lysias  be- 
handelte er  in  seiner  Apologie  des  Sokrates.^)  —  Fast  noch  interessanter 
als  die  Reden  sind  die  Briefe  des  schreibseligen  und  im  Empfehlen,  Klagen, 
Raterteilen  unermüdlichen  Mannes,  die  für  das  Verständnis  des  Charakters 
unseres  Rhetors  und  der  ganzen  Zeitgeschichte  von  unschätzbarem  Werte 
sind.  Es  sind  uns  im  ganzen  1607  Briefe  im  griechischen  Original  er- 
halten, neben  denen  lange  Zeit  etliche  400  Briefe  in  lateinischer  Über- 
setzung einhergingen,  die  sich  aber  als  Fälschungen  eines  Humanisten 
erwiesen  haben.*)  Sie  sind  an  alle  möglichen  Personen  gerichtet,  darunter 
auch  an  christliche  Bischöfe  und  Gelehrte.  Auf  solche  Weise  hat  Libanios 
durch  seine  Thätigkeit  als  Lehrer,  Redner,  Schriftsteller  und  seine  unab- 
lässigen Bemühungen  für  das  Staatswohl  und  die  Interessen  seiner  Schüler 
und  Freunde  einen  grossen  Namen  und  glänzende  Auszeichnungen  bei  seinen 
Zeitgenossen  gefunden.    Man  hat  ihn  den  kleinen  Demosthenes^)  genannt; 


*)  Vgl.  PöHLMAHV,  Die  üebervölkerang 
der  antiken  Groesst&dte  S.  149. 

')  Diese  Rede  wird  im  cod.  Yat.  gr.  90 
intümlich  dem  Lnkian  zugeschrieben,  wo- 
rflber  R.  Pöbstbb,  Libanii  ^ni^  rtay  o^xv- 
arnSy  oratio,  Rostochii  1878. 

*)  Hierüber  Schanz,  Einleitung  zur  Apo- 
logie Piatons  8.  27-35;  vgl.  oben  §  305. 


^)  Dieses  ist  nachgewiesen  von  R.  Fön- 
STEH,  Franc.  Zambeccari  und  die  Briefe  des 
Libanins,  Stattgart  1876. 

*)  Thomas  Magister  unt.  tv^vt}  p.  108, 
14;  Lexic.  Seguer.  in  Bekkers  An.  gr.  135, 
12;  140,  13;  168,  12;  172,  7;  s.  Föbsteb  Rh. 
M.  32,  87. 


806 


Grieohiflche  Litteratiurgesoliiohte.    II.  Vanhklasfliache  litteratar. 


dem  grossen  war  er  freilich  nicht  zu  vergleichen;  dazu  waren,   wie  die 

Zeiten  zu  klein,  so  auch  die  Männer,  die  in  ihr  lebten. 

Libanii  soph.  orationes  et  declamaiiones  rec.  Rbibkb,  Altenbuig  1784 — 97,  4  vol.;  die 
letzten  Bände  sind  von  der  Frau  Reiske  besorgt  —  Libanii  epistolae  ed.  J.  Ch.  Wolf, 
Amstelod.  1788.  —  Zwei  unedierte  Deklamationen  aus  cod.  Paris.  2998  u.  Matrit  gr.  49 
heransgegeben  von  R.  Föbstbr  in  Herrn.  9,22  ff.  u.  11,218  ff.,  andere  aus  Dozopaten 
Kommentar  zu  Hermogenes  gezogene  Bruchstflcke  in  M^l.  Graux  p.  629-641.  Von  Irrster 
erhoffen  wir  eine  den  heutigen  Anforderungen  der  Wissenschaft  entsprechende  Gesamt- 
ausgabe. 

601.  Themistios  (um  330  bis  um  390),^  Zeitgenosse  des  Libanios 
und  ebenso  einflussreich  in  Konstantinopel  wie  jener  in  Antiochia,  stammte 
aus  Paphlagonien.  Sein  Vater  Eugenios,  von  dem  uns  der  Sohn  in  der 
20.  Rede  ein  anziehendes  Bild  entwirft,  verband  mit  der  Pflege  des  Land- 
baues das  Studium  der  Philosophie  und  der  klassischen  Litteratur.  Er 
selbst  im  väterlichen  Hause  und  in  einer  Rhetorenschule  des  Kolcherlandes 
sorgfältig  erzogen,^)  verfasste  bereits  als  junger  Mann  Paraphrasen  aristo- 
telischer Werke.  Solche  Schriften,  welche  die  präzisen  Sätze  der  alten 
Denker  breit  treten  und  verwässern,  sind  bei  uns,  Gott  sei  Dank,  wieder 
ausser  Kurs  gekommen;  damals  erblickte  man  in  jener  Popularisierung 
der  grossen  Philosophen,  durch  welche  der  in  dunkle  Worte  verschlossene 
Geist  der  Meister  auch  den  Nichteingeweihten  zugänglich  gemacht  werden 
sollte,^)  eine  Hauptaufgabe  der  Lehrer  der  Philosophie.  Speziell  Themistios 
zog  durch  seine  Paraphrasen  die  Aufmerksamkeit  weiter  Kreise  auf  sich, 
so  dass  er  auf  einflussreiche  Empfehlungen  hin  nach  der  Hauptstadt  des 
Ostreiches,  nach  Konstantinopel,  gezogen  wurde.*)  Dort  trat  er  als  Lehrer 
der  Beredsamkeit  und  Philosophie  auf,  erlangte  aber  auch  bald  eine  ein- 
flussreiche Stellung  am  Hof.  Während  40  Jahren,  wie  er  selbst  in  einer 
seiner  spätesten  Reden  an  den  Senat  ^)  sagt,  diente  er  dem  Vaterland  und 
den  in  rascher  Folge  sich  ablösenden  Kaisem  Konstantins,  Julian,  Jovian, 
Valens,  Theodosius;  denn  er  wollte  nicht  das  Leben  eines  grübelnden 
Philosophen  führen,  sondern  als  Familienvater  und  thätiger  Staatsmann 
die  Sätze  der  Weisheit  in  die  Praxis  des  Lebens  einfuhren.  So  wurde 
er  Senator,  Hess  sich  vielfach  als  Gesandter  verwenden,  bekleidete  ver- 
schiedene Staatsämter  und  ward  zuletzt  von  seinem  Hauptgönner,  dem 
Kaiser  Theodosius,  mit  der  höchsten  Würde,  der  eines  Stadtpräfekten  (384), 
und  mit  der  Ehre  zweier  eherner  Standbilder  ausgezeichnet.  Den  Neidern, 
die  ihn  darob  anfeindeten,«)  antwortete  er  kräftig  in  mehreren  Reden, 
besonders  in  der  erst  durch  Angelo  Mai  an  das  Tageslicht  gezogenen  Rede 
negi  Tr;g  aqx^g,  Gastrollen  als  Rhetor  gab  er  in  vielen  Städten,  nament^ 
lieh  in  Nikomedia,   Antiochia,   Rom;   aber  die  Hauptstätte  seiner  Thätig- 


^)  Suidas  unt.  Ssfiiattos.  £.  Barbt,  De 
Themistio  sophista  et  apud  imperatores  ora- 
tore,  Par.  1858. 

»)  Or.  XXVII  p.  401 D.  Nach  der  leidi- 
gen Gewohnheit  der  Rhetoren  ist  der  Name 
der  Stadt  seihst  nicht  genannt. 

•)  Or.  XXmp.355;  ififpayl^siy  di  int- 
X^^s^  "foy  yovy  roy  *AQictoxiXovs  xai  i^dytiy 
ix  j(oy  ^rifAdx(oy,  iy  olg  ixetyog  avroy  xa- 
^siqU   TB  xal  iff^d^ajo   xov   fjiij   inidQOfÄoy 


eiyai  totg  nayranac^y  afivtjtoif, 

*)  Or.  XXni  p.  356. 

^)  Or.  XXXI  p.  426. 

•)  Palladaa  in  Antii.  XI  292: 
*'Jyrvyog  ovQayirjg  vne^fieyog  ig  yio^y  i^l^tf 

ayjvyog  dgyvqivig,  uttaroq  dnciQ^cioy. 
^Hif&a  noxk  XQBiifatoy  '  av^  (T  fyiyov  noiir 

oev^^  ayttßri&h  xdxto,  pvv  ydq  ayt»  Mtefff^- 


B  b)  B5mi8ohe  Periode  nach  Konstantin.  8.  Die  Prosa,  b)  Bopldstik.  (§§  601 —602.)    807 


keit  blieb  Konstantinopel.  Hier  war  er  der  eigentliche  Festredner  zur 
Begrüssung  und  Verherrlichung  der  Kaiser;  hier  suchte  er  in  Lehre  und 
Rede  für  die  Bildung  und  Philosophie  zu  wirken.^)  Wie  er  seinen  Beruf 
als  philosophischer  Redner  auffasste,  hat  er  am  schönsten  in  der  Rede 
loffiaxrfi  niedergelegt;  wie  er  sich  im  Anschluss  an  Piaton  das  Ideal  eines 
Kaisers  dachte  und  in  Theodosius  verwirklicht  fand,  hat  er  nicht  ohne 
einen  starken  Anflug  von  Byzantinismus  in  den  Reden  auf  Theodosius 
ausgesprochen.  Sein  Schlagwort,  das  er  unendlich  oft  wiederholt,  ist  die 
(fiXav&Qwma,  und  damit  geht  Hand  in  Hand  seine  Toleranz  in  religiösen 
Dingen,  der  er  besonders  in  der  Begrüssungsrede  an  den  Kaiser  Jovian 
Worte  leiht.  Auch  bei  den  christlichen  Würdenträgern,  wie  Oregor  von 
Nazianz,^)  fand  er  glänzende  Anerkennung,  aber  er  lebte  doch  ganz  in 
den  Werken  und  Anschauungen  der  grossen  Philosophen  und  Schriftsteller 
der  heidnischen  Zeit,  besonders  des  Plato,  Aristoteles,  Herodot,  Thuky- 
dides,  Homer  und  Pindar.»)  Aus  dem  Studium  jener  Alten  schöpfte  er 
auch  die  Beredsamkeit  und  die  Eleganz  der  Sprache,  die  ihm  bei  Gregor 
von  Nazianz  (ep.  140)  den  ehrenden  Beinamen  eines  ßacdsvg  Xoywv  ein- 
trug.^) Geschrieben  und  hinterlassen  hat  er  ausser  Paraphrasen  zur 
Physik,  Analytik  und  Psychologie  des  Aristoteles,  eine  Sammlung  von 
R^den,^)  von  denen  Photios  cod.  74  noch  36  las,  wir  noch  34  im  Original 
und  1  (12.)  in  lateinischer  Übersetzung  besitzen.  Im  Mittelalter  spielte 
er  als  Vermittler  des  Aristoteles  und  der  alten  Logik  eine  grosse,  über 
seine  wirklichen  Verdienste  hinausgehende  Rolle. 

Themistii  orationes  ex  cod.  Mediolanensi  emend.  Gu.  Dindobf,  1832  mit  den  Noten 
der  froheren  Heransgeber  Petavius  (1618)  und  Hardain  (1684)  und  mit  Benutzung  des 
handschriftlichen  Apparates  von  Fb.  Jacobs.  —  Zwei  Reden  negl  uQBx^g  (nicht  im  Original 
vorhanden)  und  nsQl  <pikiag  aus  syrischen  Uebersetzungen  publiziert  von  Saohac,  Inedita 
Spriaca,  Wien  1870,  wozu  erläuternde  Bemerkungen  von  Baumstabk  Jahrb.  f.  cl.  Phil.  Suppl. 
XKI  464  ff.  —  Themistii  paraphrases  Aristotelis  ed.  L.  Spbngbl  1866.  —  Eine  aus  dem 
Hebräischen  rfickttbersetzte  Paraphrase  zu  Arist.  met.  A  in  der  akademischen  Ausgabe  des 
Aristoteles  IV  798  — 813.  —  Ueber  das  vielleicht  auf  Themistius  Aissende  ps.augnstinische 
Bach  Gategoriae  decem  ex  Aristotele  excerptae,  s.  Pbantl,  Gesch.  d.  Logik  I  669  ff.  u.  724; 
über  eine  in  einem  Cod.  Paris,  erhaltene  Schrift  Themistius  de  arte  dialectica  s.  Pbantl, 
Michael  Psellus  u.  Petrus  Hispanus  S.  19. 

602.  Himerios,«)  Sohn  des  Rhetors  Ameinias,  war  um  315  in  der 
bithynischen  Stadt  Pnisa  geboren,  fand  aber  seine  höhere  Ausbildung  und 
den  gewünschten  Boden  für  seine  sophistische  Thätigkeit  in  Athen.  Vom 
Kaiser  Julian  an   den  Hof  nach  Eonstantinopel  berufen,   kehrte   er  nach 


')  Auff&lligerweise  hat  ihn  Eunapios 
nicht  der  Aufnahme  in  die  Biographien  der 
berOhmten  Philosophen  und  Sophisten  seiner 
Zeit  gewürdigt. 

>)  Siehe  den  139.  und  140.  Brief  des 
Gregor  von  Nazianz. 

*)  Vom  Einweihen  in  die  Mysterien  ist 
die  Rede  in  einem  von  StobaioB  Flor.  120,  28 
unter  Themistios  Namen  überlieferten  Frag- 
ment; aber  dasselbe  hat  mit  Reeht  (vage 
Einwftnde  von  Maass,  Orpheus  303  ff.)  Wvt- 
tenbach  dem  Themistios  ab-  und  dem  Plu- 
tarch  zageechrieben. 

4)  BezQglich  dieses  Beiwortes  vergleiche 


Philostr.  vit.  soph.  U  10  und  Lukian,  rhet 
praec.  11.  Von  andern  erhielt  er  den  Bei- 
namen 0  6vq>Qaiffjg.  Allzu  überschwenglich 
urteilt  Ano£LO  Mai,  praef.  orat.  ne^l  aQxvs: 
8%  perspicue,  si  copiose,  si  erudüe,  si  ornate 
verba  facere,  si  praeterea  nihil  habere  moU 
lUifie  nee  ineptiarum  perfecti  generis  ora^ 
torii  est,  Themistium  aio  in  optitnorum  orct- 
torum  flore  veraari, 

')  Diese  sind  bei  Suidas  unter  ^laXä^sig 
gemeint  nach  einem  namentlich  oft  bei  Hi- 
merios  vorkommenden  Sprachgebrauch. 

*)  Suidas  unt.  7/u^^oc/  ^Eonap.  vit.  soph. 
p.  494  ed.  Didot. 


808 


Griechische  litteratitrgesohiohte.    II.  Nachklaaeieche  litteratur. 


dem  frühen  Tod  des  Kaisers  wieder  nach  Athen  zurück.  Ein  gewandter 
Mann  von  einnehmenden  Formen,  wusste  er  zahlreiche  Schüler  aus  weiter 
Feme,  darunter  auch  Oregor  von  Nazianz  und  Basilios  d.  Or.,  an  sich  zu 
ziehen  und  an  seinen  Hörsaal,  das  kleine  ^äargov,  wie  er  ihn  selber 
nannte,  zu  fesseln.  Nach  manchem  häuslichen  Ungemach,  nachdem  er 
selbst  seinem  Sohne  Rufinus  die  Klagerede  (^ovipdia)  hatte  halten  müssen 
und  auch  seine  Tochter  ins  frühe  Grab  hatte  sinken  sehen,  starb  er  hoch- 
betagt an  der  heiligen  Krankheit  (386).  Himerios  hatte  keine  Stellung 
im  Staat  und  spielte  keine  politische  Rolle;  er  ist  der  reine  Repräsentant 
der  müssigen  Sophistik,  der  höchstens  hin  und  wieder  von  der  Bürger- 
schaft zur  Begrüssung  des  neuen  Statthalters  aufgestellt  wurde,  im  übrigen 
aber  nur  die  Aufgabe  sich  setzte,  andere  zu  einem  gleich  unfruchtbaren, 
tändelnden  Thun  anzuleiten.  So  waren  denn  auch  alle  seine  Reden,  die 
er  veröffentlichte  und  von  denen  Photios  noch  71  las,i)  uns  nur  24  voll- 
ständig erhalten  sind,  Schulübungen  oder  Schaudeklamationen.  Ein  Teil 
derselben  gehörte  in  die  Gattung  der  erdichteten  oder  fingierten  Reden, 
so  eine,  die  er  den  Hypereides  zu  Gunsten  des  Demosthenes,  eine  andere, 
die  er  den  Demosthenes  für  die  Zurückberufung  des  Aischines,  eine  dritte, 
die  er  einen  Ungenannten  gegen  den  der  Gottlosigkeit  angeklagten  Epikur 
halten  liess.  Von  diesen  haben  wir  nur  Kenntnis  durch  die  Auszüge  des 
Photios;  erhalten  ist  uns  der  noXsfiagxixog,  der,  ähnlich  wie  der  Mene- 
xenos  des  Piaton,  zum  Preise  der  für  das  Vaterland  Gefallenen  bestimmt 
ist  und  noXsiiaqxixoq  heisst,  weil  dem  Archen  polemarchos  ursprünglich 
diese  Aufgabe  zufiel.  Die  meisten  aber  der  erhaltenen  Deklamationen 
sind  Gelegenheitsreden,  gehalten  beim  Beginn  eines  neuen  Kurses,  oder 
bei  der  Ankunft  eines  neuen  Statthalters,  oder  bei  einem  Todesfall,  oder 
bei  dem  Besuche  einer  Stadt.')  So  liess  sich  der  gern  gehörte  und  gern 
sprechende  Rhetor  auf  seiner  Reise  zu  Julian  in  Thessalonike,  Philippi, 
Konstantinopel  anhalten,  um  im  Vorbeigehen  Lobreden  auf  die  genannten 
Städte  zu  halten.  Überall  entledigte  er  sich  des  Auftrages  in  gefalliger 
Weise;  denn  er  war  der  Hauptrepräsentant  des  blumenreichen,  süssen  und 
anmutigen  Stils.  An  ihm  war  ein  Dichter,  verloren  gegangen;  da  aber  in 
seiner  Zeit  Gedichte  weniger  als  Reden  geliebt  wurden,  so  übertrug  er 
die  dichterische,  von  Metaphern  überfliessende  Sprache  ^)  auf  die  rednerische 
Prosa.  Zur  Dichtung  hatte  er  sich  auch  mehr  als  zur  ernsten  Beredsam- 
keit vorgebildet:  während  er  sich  in  Demosthenes  und  Thukydides  nur 
wenig  belesen  zeigt,  lässt  er  überall  den  vorzüglichen  Kenner  der  Sappho, 
des  Alkaios,  Ibykos,  Anakreon,  Pindar  erkennen.^)  Für  uns  hat  dieses 
hohen  Wert,  da  er  teils  ganze,  inzwischen  verloren  gegangene  Gedichte 
der  klassischen  Periode  in  Prosa  wiedergibt  (or.  14,  10),  teils  Stellen  und 
Phrasen  aus  ihnen  wörtlich  in  seine  Reden  einflicht,  teils  neue  Reden  im 
Geiste  der  alten  Lyrik  verfasst,   wie  die  Hochzeitsrede  auf  den  Severus 


»)  Photios  p.  107—9  und  353-77  Bekk. 

^)  Mehreren  Reden  ist  eine  nQo&eioQia 
vorausgeschickt,  in  der  der  Rhetor  den  An- 
läse und  die  theoretische  Technik  erörtert, 
ähnlich  wie  es  Synesios  that. 


s)  noifixtxrj  ÜQa  von  ihm  selbst  or.  I  2 
genannt,  üeher  seinen  Stil  fiberhaapi  Nobdbt, 
Die  antike  Eunstprosa  428—81. 

^)  TEUBEByQuaestionesJffimerianae^BresL 
1882. 


Bb)B6iiii8ohe  Periode  nach  Konatantin.  8.  Die  Prosa,  b)  Sophiatik.  (§603.)     809 


(or.  1)  nnd  die  jubelnde  Begrüssung  des  Basileios  beim  Beginne  des  Lenzes 
(or.  3). 

Himerii  qnae  supersunt  rec.  Webnsdobf,  Grotting.  1790.  —  Kritische  Textausgabe  auf 
Grund  des  cod.  Roman,  von  DObnek  in  der  Didot'schen  Sammlung,  Paris  1849. 

603.  Julianus  Apostata  (331—363),^)  der  bedeutendste  Mann  der 
Zeit,  gehörte  seiner  Bildung  und  seinen  Schriften  nach  zur  Klasse  der 
Sophisten,  war  gewissermassen  der  Sophist  auf  dem  Throne.  Seine  hohe 
Stellung  als  absoluter  Herrscher  des  mächtigsten  Reiches  gab  natürlich 
ihm,  ähnlich  wie  Friedrich  dem  Grossen  in  unserer  Zeit,  eine  Bedeutung, 
die  weit  seine  Stellung  in  der  Litteraturgeschichte  überragt ;  aber  was  er 
als  Kaiser  that  und  anstrebte,  hing  auf  das  engste,  noch  mehr  als  bei 
dem  Helden  der  preussischen  und  deutschen  Geschichte,  mit  seinem  Bil- 
dungsgang und  mit  seinen  Beziehungen  zu  den  Sophisten  und  Philosophen 
seiner  Zeit  zusammen.  Von  Geburt  gehörte  unser  Flavius  Claudius  Julianus 
der  herrschenden  Kaiserfamilie  an;  sein  Vater  war  Julius  Konstantins, 
ein  Bruder  des  Kaisers  Konstantin.  In  sein  Kindesalter  fiel  das  furcht- 
bare Gemetzel  (338),  durch  das  nach  dem  Tode  des  Kaisers  Konstantin 
sein  Vater  und  sein  Vetter  Dalmatius  Cäsar  nebst  zahlreichen  Gliedern 
des  kaiserlichen  Hauses  auf  Anstiften  des  neuen  Kaisers  Konstantins  hin- 
geschlachtet wurden.  Er  selbst  und  sein  Bruder  Gallus  blieben  verschont, 
aber  doch  entzog  sie  bald  darauf  ihr  kaiserlicher  Vetter  den  BUcken  der 
Welt,  indem  er  sie  auf  längere  Zeit  (340—6)  nach  einem  einsamen  Schlosse 
Kappadokiens  bringen  Hess.')  In  dieser  Zeit  wurde  Julian  unter  der  Auf- 
sicht eines  vortreflflichen  Pädagogen,  des  Eunuchen  Mardonios,  durch  christ- 
liche Lehrer  in  Grammatik  und  Rhetorik  eingeführt.  In  Nikomedia,  wo 
wir  ihn  bald  nachher  treffen,  vollzog  sich  in  dem  Geiste  des  jungen  Prinzen 
die  tiefgehende  Wandlung,  welche  ihn  dem  aufgezwungenen  Glauben  ent- 
fremdete und  den  alten  Göttern  Griechenlands  zuführte.  Von  Einfluss  auf 
seine  Entscheidung  waren  neuplatonische  Philosophen  3)  und  der  Rhetor 
Libanios,  welch  letzterer  damals  in  Nikomedia  lehrte  und  dessen  Vorträge 
sich  Julian,  da  er  dieselben  selbst  nicht  besuchen  durfte,  insgeheim  nach- 
schreiben Hess.  Als  bald  darauf  sein  älterer,  zum  Cäsar  erhobener  Bruder 
Gallus  auf  unerwiesene  Verdächtigungen  hin  von  dem  Despoten  Konstantins 
ermordet  worden  war  (354),  ward  auch  er  sieben  Monate  lang  eifersüchtig 
bewacht  und  von  einem  Ort  zum  andern  geschleppt,  bis  die  mittleidsvolle 
Kaiserin  Eusebia  von  ihrem  Gemahl  erwirkte,  dass  er  nach  Athen  gehen 
nnd  dort  seiner  Herzensneigung  folgend  den  rhetorischen  und  philosophi- 
schen Studien  obliegen  durfte.  Aber  nach  kurzer  Zeit  wurde  er  wieder 
den  Musen  entrissen,  indem  er  an  den  kaiserlichen  Hof  nach  Mailand  ge- 


*)  Quellen:  ein  Artikel  des  Snidas,  der 
'Ernrdg>io^  des  Libanios,  zwei  Schmfthreden 
(or.  2  u.  3)  des  Gregor  von  Nazianz,  die  be- 
treifenden Abschnitte  in  dem  Geschichtswerk 
des  unparteiischen  Ammianus  Marcellinus. 
Tbüftbl,  Kaiser  Julianus,  in  Studien  und 
Charakteristiken  S.  147 — 177.  Eellbbbaurr, 
Kaiser  Julians  Leben,  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl. 
IX  183—221.  W.  Schwarz,  De  vita  et  scrip- 
tis  luliani  imperatoris,  Diss.  Bonn  1888,  mit 
sorgftltigen   fasti;   dazu  Philol.   51    (1892) 


623—53. 

*)  Dieser  Aufenthalt  des  Julian  in  Ma- 
celli  fundo  ist  nicht  erwfthnt  von  Libanios, 
wohl  aber  von  Julian  selbst  ep.  ad  Athen, 
p.  270  D,  271 D.;  siehe  darüber  Teuffel 
S.  148  flf. 

')  Unter  diesen  spielten  Aidesios  und 
Maximus  eine  Rolle,  indem  sie  den  jungen 
Julian  in  die  geheimnisvolle  Welt  der  Geister- 
beschwörungen und  Mysterien  einweihten; 
s.  Kbllerbaubb  S.  187  ff. 


810  Chrieohiaohe  LitteratnrgMchiohte.    IL  VaohklaMisohe  litUratiir. 

rufen  und  bald  nachher  als  Cäsar  nach  Gallien  geschickt  wurde  (356). 
Hier  zeigte  sich   bald,    dass   der  junge  Mann  über   den  philosophischen 
Studien  nicht  die  Thatkraft  des  Mannes  und  die  praktische  Tüchtigkeit 
eingebüsst  hatte:  in  glücklichen  Feldzügen  warf  er  die  über  den  Rhein 
vorgedrungenen  Horden   der   Barbaren  zurück   und   brachte   der  schwer 
heimgesuchten  Provinz    die  Segnungen    einer   geordneten  und  gerechten 
Verwaltung  zurück.     Aber  je  glänzender  sein  Stern   zu   leuchten  begann, 
desto  mehr  steigerte  sich  die  Scheelsucht  und  der  Argwohn  seines  kaiser- 
lichen Vetters,    der  ihm   unter   dem  Vorwand   eines   Krieges   gegen   die 
Perser  die  besten  Truppen  entzog.     Da  steigerte  sich  der  Unmut  der  Sol- 
daten zur  offenen  Empörung,  sie  weigerten  sich,  ihren  geliebten  Feldherm 
Julian  zu  verlassen  und  riefen  ihn  zum  Augustus  aus  (Mai  360).     Julian, 
anfangs  zögernd,   entschloss   sich   schliesslich   aus  Furcht   vor   dem  Lose 
seines  Bruders  Gallus,    dem  Konstantins  den  Gehorsam  zu  kündigen  und 
denselben  mit  Krieg  zu  überziehen.    Dieser  starb,  noch  ehe  es  zum  ent- 
scheidenden  Kampfe  kam,  in  Kilikien  auf  dem  Wege  von  Edessa  zum 
Occident,  und  Julian  ward  so  alleiniger  Herr  des  ganzen  Reiches.     Nun- 
mehr suchte  er  in  seiner  kurzen  Regierung  —  denn  schon  Ende  Juni  363 
fiel  er  im  Kriege  gegen  die  Perser,  ungewiss  ob  von  Feindes  oder  Meuch- 
lers  Hand,   im  32.  Jahre  seines  Lebens  —  in  den  Jahren  361 — 363  also 
suchte  er  mit  dem  Hochdruck  der  kaiserlichen  Gewalt  seine  philosophischen 
und  religiösen  Ideen  zur  Geltung   zu   bringen.     Er  hatte  auf  der  einen 
Seite  im  persönlichen  Gedankenaustausch  mit  den  gebildetsten  Philosophen 
und  Sophisten  seiner  Zeit  und  im  geistigen  Verkehr  mit  Homer,  Piaton 
und  Aristoteles  die  Herrlichkeiten  des  freien,  altgriechischen  Geistes  kennen 
gelernt;  er  hatte  auf  der  anderen  Seite  in  seiner  Jugend  nur  allzu  bitter 
erfahren,   wie  am  kaiserlichen  Hofe  hinter  der  Maske   christlicher  Reli- 
giosität sich  Heuchelei,  Grausamkeit,   Gemeinheit  der  Gesinnung  verbarg. 
So  betrachtete  er  es  denn  als  seine  Lebensaufgabe,   den  Hellenismus  und 
den  alten  Glauben  wieder  zurückzuführen,   nicht  zwar  mit  roher  Gewalt, 
aber  doch  mit  entschiedener  Begünstigung  der  Hellenisten,  indem  er  gleich 
bei  seiner  Thronbesteigung  für  alle  diejenigen,  welche  wegen  ihres  Glaubens 
unter   den   vorausgegangenen  Regierungen  verbannt  worden  waren,   eine 
aUgemeine  Amnestie  erliess  und  die  Christen,   welche   er  selbst  mit  dem 
Namen  Hebräer  zu  bezeichnen  pflegte,  von  den  Ehrenämtern  am  Hof  und 
von  den  Lehrstühlen  der  Rhetorik  und  Philosophie  ausschloss.     Riefen  ihm 
deshalb  die  Verehrer  des  Hellenismus  und  der  Philanthropie  lauten  Beifall 
zu,   so  liess  es   die  Gegenpartei  nicht  an  Anfeindungen  aller  Art  fehlen. 
Lange  schwankte  so  bei  Mit-  und  Nachwelt   das  Bild   des  merkwürdigen 
Mannes,    von  der  Parteien  Gunst  und  Hass  verzerrt,   bis  in  unserer  Zeit 
eine  unbefangenere  Würdigung  anerkannte,   dass   derselbe  wohl   an  Adel 
der  Gesinnung  und  heroischem  Mute   den  grössten  Herrschern  des  römi- 
schen Reiches  zuzuzählen  sei,  dass  er  aber  doch  der  vollen  Unbefangen- 
heit des  Geistes  entbehrte   und  seine  Kraft  an  ein  aussichtsloses  Unter- 
nehmen setzte. 

604.   Zur  schriftstellerischen  Thätigkeit  fand  Julian  in  seinem  kurzen 
Leben   und   bei  seiner  rastlosen  praktischen  Thätigkeit  nicht  viel  Müsse; 


Bb)  fiOmiache  Periode  nach  Konstantin.   8.  Die  Prosa,   b)  Sophiatik.   (§  604.)     811 


doch  übte  er  schon  in  seiner  Jugend  die  Kunst  der  Rede,  stand  mit  Philo- 
sophen und  Freunden  in  lebhaftem  Briefverkehr  und  wusste  bei  seiner 
raschen  Eonzeptionsfähigkeit  auch  kurze  Mussezeit  zu  bedeutenden  Arbeiten 
auszunutzen.  1)  Nicht  alles,  was  er  schrieb,  ist  auf  uns  gekommen:  sein 
Werk  gegen  die  Christen  hat  die  nachfolgende  Zeit  unterdrückt;  viele 
Briefe,  welche  der  Kirchenhistoriker  Sozomenos  noch  las,  fehlen  in  unserer 
Sammlung,  und  auch  die  erhaltenen  Schriften  sind  durch  viele  Lücken 
verstümmelt.^)  Sämtliche  Schriften  bewegen  sich  im  Oeleise  der  Sophistik 
und  berühren  sich  in  Stil  und  Darstellungsweise  vielfach  mit  Lukian.  Auch 
Julian  befleissigte  sich  des  neumodischen  Atticismus,  indem  er  viele  ver- 
altete Formen  der  altattischen  Litteratur,  wie  den  Dual  des  Nomons  und 
teilweise  sogar  des  Yerbums  wieder  in  die  Sprache  einführte;  auch  er 
liebt  es,  die  prosaische  Rede  mit  Floskeln  der  Dichtersprache  zu  schmücken: 
Homer  und  Hesiod  sind  ihm  vertraute  Lieblinge,  aber  auch  Verse  des 
Pindar,  Euripides,  Aristophanes,  Menander  führt  er  gelegentlich  an;  wie 
Lukian  verweb  er  mit  Witz  sprichwörtliche  Wendungen  in  seine  Reden.*) 
Der  äusseren  Form  nach  besteht  der  litterarische  Nachlass  unseres  Julian 
in  Reden,  Briefen  und  Dialogen. 

Voran  stehen  in  unseren  Handschriften  und  Ausgaben  acht  Reden, 
nämlich  drei  konventionelle  Lobreden  auf  Konstantius  und  Basileia,  zwei 
theosophische  Deklamationen  auf  Hehos  und  die  Göttermutter  im  Geiste 
des  Neuplatonismus,  zwei  Streitschriften  gegen  die  Verkehrtheiten  der 
jüngeren  Kyniker,  und  eine  an  sich  selbst  gerichtete  Trostrede  bei  der 
Trennung  von  seinem  Freunde  Salustius.  Die  Lobreden  auf  Konstantins 
sind  nicht  frei  von  unwahrer  Schönfärberei;  wie  er  wirklich  über  jenen 
Despoten  dachte,  enthüllt  er  in  dem  interessanten  Manifest  an  seine  ge- 
liebten Athener,  worin  er  den  Schritt  offener  Auflehnung  gegen  den  Kaiser 
zu  rechtfertigen  sucht.  Bedeutender  als  seine  Reden  ist  seine  witzige, 
im  Geist  der  römischen  Satire  *)  geschriebene  Schrift  2vii7i6aiov  rj  Kqovia^ 
von  ihrem  Hauptinhalt  auch  Ka(aaQtg  benannt,  in  welcher  zu  einem  an 
den  Saturnalien  im  Himmel  veranstalteten  Gastmahl  die  vergötterten  Kaiser 
erscheinen  und  den  Gegenstand  einer  witzigen,  an  bitteren  Bemerkungen 
und  Anspielungen  reichen  Darstellung  abgeben.  An  die  griechischen 
lambographen  knüpft  Julian  in  dem  Miaonoiywv  an,  in  welchem  er  sich 
selbst,  den  von  den  undankbaren  Antiocheern  wegen  seines  Philosophen- 
bartes {nwyoov)  verspotteten  Kaiser,  anklagt  und  dabei  allerlei  interessante 


^)  Wie  rasch  er  arbeitete,  bezeugt  er 
selbst  in  der  4.  Rede  p.  204,  4:  ravtä  aoi 
.  .  ,  ir  rquai  ^aXiova  yv^iy  «ic  otoy  xb  ^v 
ineX96vta  fioi  xj  fJ^yfjfiJJi  xal  ygaipai  nqos 
ae  MX^rjaa, 

*)  Siiidas  in  dem  wirren  Artikel  über 
Julian  erwähnt  eines  rfttselhaffcen  Baches 
negi  jtSy  tQtwy  axtifJiaxmy,  Lydos  de  mag. 
I  47  Mij/ayixa,  Julian  selbst  in  den  Briefen 
Kommentare  fiber  die  Kriege  mit  den  Ala- 
mannen. 

>)  Der  Atticismus  des  Julian  und  na- 
mentlich die  Dichtercitate  gut  behandelt  von 
BsAMBS,  Stadien  zu  den  Werken  Julians  des 


Apostaten,  Progr.  Eichstätt  1897. 

*)  Verwandt  ist  insbesondere  des  Seneca 
Satire  ^AnoxoXoxvyroHfts.  Verschieden  von 
dem  erhaltenen  Buche  IvfAitoaioy  rj  Kqovia 
müssen  die  Kgoyia  gewesen  sein,  welche  er 
Or.  8  p.  204,  7  erwfthnt  und  aus  denen  uns 
Suidas  unt.  ^fJLitB^oxifÄog  eine  Stelle  erhalten 
hat.  —  Mit  den  KQoyia  haben  die  Satnmalia 
des  Macrobius  nur  den  Titel  und  die  Voraus- 
setzung geschftftsfreier  Ferien  an  den  3  Sa- 
tumustagen  des  Dezember  gemeinsam;  die- 
selben sind  ohne  Beziehung  auf  die  Schrift 
unseres  Julian  erst  später,  geraume  Zeit  nach 
385,  abgefasst. 


812 


Oriechisohe  LltieratvrgMchiohte.    ü.  N achklassisohe  Litteratur. 


Dinge  von  seinem  Wesen  und  seiner  Jugendgeschichte  erzählt.  Einge- 
flochten ist  in  die  Rede  auch  eine  anziehende  Schilderung  der  Hauptstadt 
Galliens,  in  der  man  schon  in  nuce  das  heutige  lebenslustige  und  ver- 
gnügungssüchtige Paris  vor  sich  zu  haben  vermeint. 

Die  wichtigste  Stelle  unter  den  erhaltenen  Werken  unseres  Kaisers 
nehmen  die  Briefe  ein.  Darunter  sind  drei,  welche  in  Briefform  allge- 
meine Fragen  behandeln,  nämlich  das  oben  schon  erwähnte  Manifest  an 
die  Athener,  ein  Brief  an  den  Philosophen  Themistios,  in  welchem  der 
Kaiser  die  Besorgnis  ausspricht,  ob  er  den  in  ihn  als  Regenten  gesetzten 
Erwartungen  auch  entsprechen  könne,  und  ein  Schreiben  an  einen  Un- 
bekannten, das  sich  in  starken  Ausfällen  gegen  die  Christen  ergeht.  Die 
übrige  Sammlung  von  im  ganzen  84  Briefen  umfasst  auch  die  kaiserlichen 
Breveni)  und  Erlasse,  enthält  aber  auch  mehrere  unechte  Stücke.*)  Im 
allgemeinen  lernt  man  aus  den  Briefen  recht  den  hochherzigen,  von 
wärmster  Begeisterung  für  das  Hohe  und  Edle  erfüllten  Geist  des  Kaisers 
kennen.  Herrliche  Denkmale  seiner  schwärmerischen  Hingabe  für  Freunde 
und  Lehrer  sind  namentlich  seine  Briefe  an  Maximus  (ep.  15),  Eugenios 
(ep.  18),  Priscus  (ep.  71),  Libanios  (ep.  3,  44,  74).  Für  seine  Anschau- 
ungen über  religiöse  Toleranz  und  seine  Stellung  zu  den  Christen  und 
Juden  sind  besonders  wichtig  die  Briefe  25,  51,  52. 

Nicht  mehr  erhalten  sind  die  drei  Bücher  gegen  die  Christen,  welche 
er  auf  dem  Feldzuge  gegen  die  Perser  schrieb,  wie  einst  Julius  Cäsar  auf 
seinem  Zug  über  die  Alpen  die  Bücher  de  andlogia  lingual  laünae  ge- 
schrieben hatte.  Wir  kennen  den  Gedankengang  der  Schrift  aus  der  Ent- 
gegnung, welche  60  Jahre  später  (429)  der  Bischof  Kyrillos  verfasste.  Da 
aber  von  den  30  Büchern  der  Gegenschrift  nur  die  10  ersten  auf  uns  ge- 
kommen sind,  so  werden  uns  nur  aus  dem  ersten  Buch  der  kaiserlichen 
Schrift  die  betreffenden  Sätze,  meist  in  wörtlicher  Anführung,  mitgeteilt 
Man  sieht  aus  denselben,  dass  der  Kaiser  ausser  den  Werken  der  grie- 
chischen Philosophen  auch  die  Schriften  des  alten  und  neuen  Testamentes 
mit  kritischem  Urteil  studiert  hatte,  so  dass  er  z.  B.  eine  exakte  Gegen- 
überstellung der  Schöpfungsgeschichte  des  Pentateuch  und  der  Physik  des 
platonischen  Tiraaios  zu  liefern  vermochte.  So  sehr  uns  indes  auch  der 
klare  Blick  des  Verfassers,  sein  begeistertes  Lob  der  Erfindungen  des 
hellenischen  Geistes,  die  scharfe  Verdammung  der  christlichen  Unduldsam- 
keit für  den  Verfechter  des  Hellenentums  einnehmen,  so  fehlen  doch  auch 
diesem  Werke  nicht  die  schwachen  Seiten:  man  kann  gegen  die  Wunder 
der  christlichen  Legende  nicht  erfolgreich  polemisieren,  wenn  man  sich 
selbst  zum  Glauben  an  die  Wahrheit  der  heidnischen  Vorbedeutungen  und 
Wahrsagungen  bekennt.  —  Auch  ein  paar  poetische  Kleinigkeiten  des  Julian 


0  Das  lateinische  hreve  ist  bekanntlich 
das  Original  für  unser  deutsches  Brief. 

*)  Gleich  der  1.  Brief  gehört,  wie  Heb- 
CHKR  im  Hermes  I  474  erkannte,  nicht  dem 
Julian,  sondern  Prokop  aus  Gaza  an.  Sicher 
unecht  und  von  einem  christlichen  Fälscher 
herrührend  ist  der  Brief  des  Gallus  an  seinen 
Bruder,  und  der  in  leerer  Prahlerei  geschrie- 


bene 75.  Brief.  Als  unecht  erweist  W.  Schwau 
a.  0.  23  ff.  auch  die  an  lamblichoe  gerich- 
teten Briefe.  Zu  weit  geht  in  der  Anzwei- 
felung der  Herausgeber  Heyler;  s.  Teüffbi 
I  162  ff.,  Fb.  Gumont,  Sur  Tauthencit^  de 
quelques  lettres  de  lullen,  Gand  1889.  Ueber 
die  chronologische  Reihenfolge  der  Briefe  a. 
Nabrb  Mnem.  XI  387  ff. 


Bb)  Bömisohe  Periode  nach  Konstantin.    8.  Die  Prosa,    b)  Sophistik.  (§  605.)    gl3 

haben  sich  bis  auf  unsere  Zeit  gerettet,  darunter  ein  witziges  Epigramm 
auf  den  Bock  oder  den  keltischen  Gerstensaft. 

Codices:  Der  beste  ist  der  Yossianus  77,  wovon  eine  Nachlese  gibt  Gobet,  Mnem. 
X  n.  XI.  —  Juüani  quae  supersnnt  cum  notis  Pietayii  (1630)  rec.  Spanbemius,  Lips.  1696; 
rec. 'Hbbtlbih  in  Bibl.  Teubn.  1876  mit  kritischem  Apparat.  —  Joliani  librorum  contra 
Christianos  qnae  sapersnnt  rec.  G.  J.  Neuhakn,  Lips.  1880;  dazu  kritische  Nachlesen  von 
GoLLWiTZEB,  in  Acta  sem.  Erlang.  TV  357—94;  Asmrs,  Theodorets  Hierapentik  und  ihr  Ver- 
hältnis zu  Julian,  Byz.  Ztschr.  lU  116  ff.  —  Juliani  epistolae  ed.  Hetleb,  Mognnt.  1828.  — 
Sechs  neue  Briefe  aus  dem  Kloster  Ghalke  bei  Eonstantinopel  teilt  Papadopulos,  im  Rh.  M. 
42,  15  ff.  mit;  die  Echtheit  der  drei  ersten  bezweifelt  W.  Schwabz,  De  vita  et  scriptis  Juliani 
p.  30.  —  Ueber  die  Anregung,  die  Julians  heroische  Gestalt  auf  die  Dichtung  des  Mittel- 
alters und  der  Neuzeit  übte,  siehe  M.  Eooh  Beilage  der  Mttnch.  Allg.  Ztg.  1898  n.  236. 

605.  Ghorikios  von  Gaza  aus  der  Zeit  des  Kaisers  Anastasios  ist 
Verfasser  mehrerer  Deklamationen  und  Beschreibungen,  die  durch  Zufall 
sich  bis  auf  unsere  Zeit  erhalten  haben.  Die  Reden,  mehrere  mit  nach- 
folgenden Erläuterungen  (StaXä^sig),  behandeln  teils  vulgäre  Themata  der 
Rhetorenschulen,  wie  von  dem  Tyrannenmörder,  dem  Geizhals,  den  Mimen 
(vnäf  Tciv  fiiiuLwv),  teils  sind  sie  Lob-  oder  Grabreden  auf  hochstehende 
und  befreundete  Männer.  Neu  ist  die  Gattung  von  Hochzeitsreden  («tt*- 
^alafAioi)  an  ehemalige  Schüler,  in  denen  der  Rhetor  zur  herkömmlichen 
Feier  des  Tages  durch  Tänze  und  Gesang  auch  noch  das  Angebinde  von 
Reden  fügt,  indem  er  Glück  und  Kindersegen  dem  Brautpaar  wünscht  und 
mit  dem  obligaten  Preis  des  Bräutigams  und  der  Braut  fade  erotische 
Erzählungen  verbindet.  Ist  auch  der  innere  Wert  der  Reden  gering,  so 
lassen  sie  uns  doch  ihren  Verfasser  als  einen  gutunterrichteten  Litteraten 
erkennen.  Wie  die  sophistischen  Redner  jener  späten  Zeit  überhaupt,  so 
sucht  auch  Ghorikios  hauptsächlich  durch  Reminiscenzen  an  Homer,  Pindar 
u.  a.  die  Darstellung  zu  beleben;^)  ausserdem  ist  ihm  wie  der  ganzen  Schule 
von  C^a  eine  besondere  Peinlichkeit  in  der  Vermeidung  des  Hiatus  eigen. ^) 

Lehrer  des  Ghorikios  war  der  Sophist  Prokopios  (450 — 513),^)  ver- 
schieden von  dem  berühmten  Historiker  der  Zeiten  Justinians.  Derselbe 
wird  von  Photios,  Bibl.  cod.  160  als  Verfasser  von  Reden  und  Metaphrasen 
Homers  gepriesen;  auf  uns  gekommen  sind  von  ihm  Briefe  und  Kom- 
mentare zu  Schriften  des  alten  Testamentes  und  eine  Entgegnung  auf 
Proklos,  worüber  Bardenhewer,  Patrologie  504,  Erhard  in  Krumbachers 
Byzant.  Litt.^  125  ff.,  unten  §  623.  —  Ausserdem  sind  aus  jener  Zeit 
noch  auf  uns  gekommen  einige  unbedeutende  Schulübungen  der  Rhetoren 
Adrianus  und  Severus.*)  Denn  die  skizzenhaften  Aufsätze  {fiekäTat) 
des  Adrianus  entbehren  zu  sehr  des  Glanzes  der  rhetorischen  Phrase, 
als  dass  man  sie  mit  Walz,  dem  neuesten  Herausgeber  derselben,  dem 
berühmten  Sophisten  Adrianos  aus  der  Zeit  des  Kaisers  Marcus  An- 
tonius zuschreiben  dürfte.    Noch  weniger  haben  dieselben  mit  dem  Kaiser 

*)  Malchik,  De  Choricii  Gazaei  veterum  [           ')    Die    Lebenszeit    nachgewiesen    von 

graecoram    scriptorom    studiis,    Kiel    1884.  Dräseke,  Byz.  Zeitschr.  VI  85. 

Ueber  gleiche  Phrasen  bei  unserem  Ghorikios  >           ^)  Suidas  unt.  Zeß^gog  und   Damaskios 

und  dem  Historiker  Prokop  infolge  des  glei-  bei  Phot.   bibl.   cod.  242,    wo  es  p.  340^^  4 

chen   Studiums  der  Vorbilder  Herodot  und  von  diesem  Rhetor  Severus  heisst:  'Pwfituog 

Thakydides    Hauby,     Beurteilung    des    Ge-  ^y  ovtog  xal  ^Av^BfAiov  (gest.  471)   nuQaa- 

achichtschreibers  Prokop  von  Cäsarea,  Progr.  /oVroj   iXnidag  (ög  «J  'PcJ^iy   neaovoa   naXiv 

des  Wilhelm-Gymnas.  München  1896  S.  10  ff.  5t'  nvtov  ayaatijaeiat,   inl  ^Ptofitjy,  ratntjg 

*)  Nachgewiesen  von  Robdbn,  De  mundi  I   nQoayax(OQijattgy  inavrjxe  xal  rifArjg  vnwxixrjg 

mimculis  p.  41.  '   hv^Bv, 


gl4  Orieohisohe  LitteratiirgMchiohte.    U.  Haohklaasische  Littoimtiir. 

Hadrian  etwas  zu  thun,  wie  der  Patriarch  Photios  angenommen  zu  haben 
scheint;^)  vielmehr  werden  sie  von  demselben  Adrianos  herrühren,  von 
dem  Photios,  Bibl.  cod.  2  eine  Einführung  in  die  heilige  Schrift  {shaymyr^ 
Tfjg  yQuffvfi)  verzeichnet.*) 

Choricii  Gazaei  orationes  declamationes  fragmenta  cur.  Boissokadb,  Paris  1846.  Nach- 
träge lieferten  Gbaux,  Revue  de  phil.  1877,  und  R.  Föbstbb,  M^l.  Granx  639 — 41.  Henn. 
17,  208  ff.  Derselbe  Gelehrte  veröffentlichte  im  Ind.  lect  Vrat  1891  zwei  neue  Epfcha- 
lamien.  Zur  Würdigung  des  Mannes  vgl.  Satbas,  JoxlfjiiQv  nBQi  tov  i^eatQov  xai  r^c 
fÄovatxrj^  Ttoy  BvCayriyfoy,  p.  339  ff.  Kirsten,  Quaest.  Choricianae,  Diss.  Breslau  VII  2  a  1894. 
—  'A&Qtttvov  TOV  fiJTOQog  fieXeta$  und  2evfj^ov  SiriytjfAaxa  xai  tj&onouai  in  Walz,  Rhei  gr. 
1. 1  p.  526-48. 

606.  Rhetorika.  Auch  in  unserer  Periode  ging  den  litterarischen 
Werken  der  Sophistik,  den  Reden,  Briefen,  Romanen,  die  Theorie  der 
Beredsamkeit  zur  Seite.  Libanios  und  Themistios  waren  zugleich  Lehrer 
der  Rhetorik  und  gaben  sich  mit  Erklärung  der  alten  Redner  und  Ver- 
fertigung rhetorischer  Kompendien  ab.  Ausserdem  gehören  mehrere  be- 
reits im  vorigen  Abschnitt  besprochene  Commentatoren  rhetorischer  Schrif- 
ten, wie  Sopatros,  Markellinos,  Aphthonios,  Nikolaos,  ihrer  Lebenszeit  nach 
unserer  Periode  an.  Einen  besonderen  Namen  erwarb  sich  gegen  Ende 
des  Altertums  Lachares,  der  um  450  in  Konstantinopel  die  Rhetorik 
lehrte.  3)  Er  war  Verfasser  eines  gepriesenen,  aber  wesentlich  aufDiony- 
sios  und  Hermogenes  fussenden  Werkes  tisqI  xuHov  xal  xofi/Aarog  xai  ticqI' 
63ov.  Von  demselben  ist  uns  ein  Auszug  erhalten,  den  im  10.  Jahrhundert 
zur  Zeit  des  Kaisers  Leo  des  Weisen  ein  unbekannter  Schulmann  ver- 
fertigte. Bis  in  neuester  Zeit  lief  dieser  Auszug  unter  dem  stolzen  Namen 
des  Rhetors  Kastor,  den  wir  oben  §  405  als  Zeitgenossen  Ciceros  kennen 
gelernt  haben.  Jetzt  ist  es  durch  L.  Cohn  erwiesen,  dass  der  Name  eine 
Fälschung  ist  und  dass  derselbe  erst  im  16.  Jahrhundert  von  dem  unver^ 
schämten  Fälscher  Konstantinos  Palaiokappa  dem  CJod.  Paris.  2929  vor- 
gesetzt wurde.*) 

Erste  Ausgabe  von  Walz,  Rhet  gr.  III 712 — 23;  berichtigte  von  Stddbitukd,  Pseudo- 
Castoris  excerpta  rhetorica,  Vratisl.  1888.  —  Ein  neues  Fragment  des  Lachares  aus  einem 
Pariser  Cod.  suppl.  gr.  670  teilt  mit  Gbabven  Henn.  30  (1895)  288—313. 

c)  Der  Roman.  ^) 

607.  Auf  dem  Boden  der  Sophistik  ist  auch  der  Roman  entstanden; 
die  Romane  selbst  hiessen  loyoi  iQ<otixoi\  und  die  Romanschriftsteller 
hatten  neben  dem  speziellen  Namen  iQwnxoi  auch  den  allgemeinen  qr;;to^q 
oder  aoifiazai.     Die  Sophistik  repräsentierte  eben  die  Kunst  der  poetischen 

')  Phot.  Bibl.  cod.  100:  dreyywodtj  i  Mftngel  des  Textes  s.  Sohlürbk  Jhrb.  f.  pro- 
"    " test.  Theologie  13  (1887),  136—59. 

')  Suidas  unter  AaxaQfjgy  Photios,  Bibl. 
p.  341  Bekk.,  Marines,  vit.  Procl.  c  11. 

*)  L.  GoHN  in  Philol.  Abhandl.  zu  £3iieii 
von  M.  Hertz  S.  125  f. 

^)  Chassano,  Histoire  du  roman  daos 
Tantiquitö,  Paris  1862;  Nicolai,  EntBitefanng 
u.  Wesen  des  griech.  Romans,  BerL  1867; 
RoBDE,  Der  griechische  Roman  und  seine 
Yorlftufer,  Leipzig  1876,  Hauptwerk.  Ed. 
ScHWABTz,  FOnf  Vorträge  Aber  den  griechi- 
schen Roman,  Berlin  1896. 


'jdQiayov  xov  ßaaiXitag  fteXhai  dia(poQoiy 
eig  to  fAETQtoy  ror  Xoyov  nyrjyfi^yni  xai  ovx 
nrjdsTg,  Wahrscheinlich  waren  das  dieselben 
fieXäTtttf  die  uns  noch  vorliegen,  nur  scheint 
Photios  noch  ein  vollständigeres  Exemplar 
gehabt  zu  haben;  das  unsere  ist  offenbar  am 
SchluBS  verstümmelt. 

*)  Diese  Isagoge  aus  2  Augsburgem, 
jetzt  in  München  befindlichen  Handschr.  (cod. 
Mon.  107  u.  477)  herausgegeben  von  Höschel, 
Augsb.  1604,  wiederholt  in  Migne^s  Patrol. 
gr.  t.  98.     Ueber  neue  Hilfsmittel   und   die 


B  b)  fiOnÜBclie  Periode  naeh  Konstantin,  d.  Die  Prosa,  o)  Der  Roman. 


-608.)    815 


Prosa,  und  der  Koman  wollte  mit  seiner  freien  Erfindung  und  seiner  ge- 
zierten Sprache  Ersatz  für  die  verschlungenen  Liebesabenteuer  der  eroti- 
schen Elegie  und  der  neuen  Komödie  bieten.  Nachdem  einmal  das  poe- 
tische Liebesspiel  des  Dramas  von  der  Bühne  so  gut  wie  ganz  ver- 
schwunden war  und  die  Freunde  des  Menander  und  Diphilos  deren  Stücke 
nur  noch  aus  Büchern  kennen  lernten,  war  es  den  Dichtern  nahe  gelegt 
den  Dialog  und  die  Cantica  ganz  aufzugeben  und  eine  Form  zu  suchen, 
die  sich  besser  zur  einfachen  Lektüre  eignete ;  das  war  aber  die  des  Ro- 
mans oder  der  poetischen  Erzählung.  Dass  dabei  auch  die  metrische  Ein- 
kleidung der  Rede  geopfert  wurde,  darf  uns  nicht  befremden;  ward  doch 
in  der  Zeit  der  Sophistik  nur  auf  den  rhythmischen  Tonfall  der  prosaischen 
Rede  Wert  gelegt,  so  dass  die  Sophisten  Himerios  und  Ghorikios  selbst 
Epithalamien  in  Prosa  schrieben.  Aber  ganz  und  gar  eignete  sich  der 
Roman  von  der  Poesie  und  speziell  von  der  neuen  Komödie  die  schöpfe- 
rische Freiheit  der  Erfindung  an,  die  sich  noch  mehr  wie  im  Drama  der 
Fesseln  der  Wirklichkeit  und  Überlieferung  entschlug  und  an  dem  Wunder- 
glauben der  Zeitgenossen,  den  fabelhaften  Berichten  aus  fernen  Ländern 
und  dem  launenhaften  Walten  der  Göttin  Fortuna  reiche  Nahrung  fand.^) 
Mehr  aber  noch  als  von  den  Schöpfungen  der  poetischen  Muse  galt  von 
den  Romanen  der  Satz,  dass  sie  lediglich  zur  Unterhaltung  geschafifen 
waren,  ^)  weshalb  schon  der  Kaiser  Julian  der  kräftigen  Nahrung  wirk- 
licher Oeschichtserzählung  vor  der  leichten  Ware  dieser  phantasieerhitzen- 
den Erdichtungen  den  Vorzug  gab.*) 

608.  Als  Vorläufer  des  Romans  können  die  milesischen  Fabeln  {Mi- 
XrjCmxa)  des  Aristides  von  Milet  und  die  Erzählungen  erotischer  Lebens- 
schicksale (iQcoTtxd  na^rjna%a)  des  Parthenios  angesehen  werden.  Die 
ersteren,  die  sich  einer  seltenen  Beliebtheit  erfreuten,^)  sind  uns  leider 
verloren  gegangen,  doch  kann  uns  von  ihrem  Ton  die  hübsche  Erzählung 
in  Petronius  Arbiter  c.  111  eine  gute  Vorstellung  geben  ;^)  in  der  Grazie 
der  Erzählung  und  in  der  schlüpfrigen  Anzüglichkeit  ihres  Inhaltes  ver- 
gleichen sie  sich  den  altfranzösischen  fabliaux  und  den  Novellen  Bocca- 
cios.*)  — 'Die  iQwzixd  nax>i]iiaTa  des  Parthenios,  die  wir  noch  besitzen,  sind 
aus  Historikern  und  Dichtern  in  Exzerptenform  zum  Zwecke  dichterischer 
Anleitung  zusammengetragen  und   vom   Verfasser  seinem  Freunde,   dem 


')  In  der  gleichen  Atmosphäre  entstan- 
den die  Wundergeschichten  der  christlichen 
Heiligen,  von  denen  unten ;  beachtenswert  ist 
efg^  dass  geradezu  2  Romane  späteren  christ- 
lichen Bischöfen  zugeschrieben  wurden. 

•)  Lucian,  Wahre  Geschichten  I  1:  roTg 
negi  xovg  Xoyovg  ianov^axoaiv  riyovfjiai  nQoa- 
fJMBiv  (ABXtt  rtjy  noXXijy  rtSv  anovdaiorigwy 
aräyymaiy  ayt^yai  rtjy  dufyoiay  .  .  .  yiyotxo 
cT  ay  ififieXig  ij  dyanavaig  avxolq,  bI  roTg 
roiovTotg  ttav  «yayymcftttTfoy  ofnXoUy,  a  firj 
fAot^oy  ix  tov  aareiov  rs  xal  /a^cfiio'oc  ifftXijy 
nagi^et  rny  ^pv^aytoylny,  (iXXd  riya  xal 
^ewQiay  ovx  dfiowroy  inidei^Bxai, 

»)  Julian  I  386  H.:  Ttqinoi,  <r  «V  ij^r^ 
Ictoqlaiq  iyjvy^dyuyi  onocai  avyeyQutptjatty 


inl  nenoifjfiiyoig  roTg  igyoig,  oaa  di  iaxiy 
iy  laxogiag  stdei  nagd  xotg  ^firiQoa&ey  dnijy- 
yeXfiiya  nXdafxaxay  nagaixtjxBoy,  igtoxMdg 
vno9saevs  xal  ndyxG  dnXfog  xd  xoiccvxa, 

*)  Vgl.  Plut.  Crassus  32,  Lucian  Amor. 
1,  Ovid.  Trist.  II  413. 

^)  Aus  den  milesischen  Erzählungen 
scheint  auch  die  Erzählung  bei  Aelian  fr.  12 
zu  stammen.  Die  lateinische  Uebersetzung 
des  Sisenna  ist  gleich  dem  Original  verloren 
gegangen. 

*)  Erw.  Robdr,  üeber  griechische  No- 
vellendichtung und  ihren  Zusammenhang  mit 
dem  Orient,  Vhdl.  d.  30.  Vers.  d.  Phil.  S. 
55—70. 


816 


Grieohisohe  litteratargeBohiohte.    IL  VaohkUMische  litterator. 


römischen  Elegiker  Cornelius  Qallus,  gewidmet,  i)  Nach  dem  Verlust  der 
Originale,  aus  denen  das  Büchlein  gezogen  ist,  hat  dasselbe  für  uns  grossen 
Wert,  der  noch  dadurch  erhöht  wird,  dass  die  Quellen  der  einzelnen  Er- 
zählungen, wenn  auch  nach  Horchers  Nachweis*)  erst  von  fremder  Hand 
angemerkt  sind.*)  Es  sind  aber  dieselben  teils  aus  den  Tragikern,  teils 
aus  alexandrinischen  Elegikern,  teils  aus  den  Lokalhistorikern  namentUch 
von  Lesbos,  Milet,  Naxos  entnommen.  —  Auch  Asopodoros  aus  Phlius, 
von  dem  ausser  Jamben  Athenaios  p.  639  auch  ein  Buch  über  Liebe  er- 
wähnt, scheint  in  diesen  Kreis  und  diese  Zeit  zu  gehören.^) 

609.  unter  den  eigentlichen  Romanschriftstellern  sind  die  ältesten, 
von  dem  schon  oben  §  537  besprochenen  Lukios  von  Paträ  abgesehen, 
Antonios  Diogenes,  lamblichos  und  Xenophon. 

Der  Ninusroman,  von  dem  neuerdings  zwei  längere  Bruchstücke  aus 
Papyri  des  Berliner  Museums  bekannt  geworden  sind,*)  ist  wahrscheinlich 
noch  älter  als  der  Thuleroman  des  Antonios  Diogenes.  Denn  nach  einer  auf 
der  Bückseite  geschriebenen  Rechnung  muss  er  vor  100  n.  Chr.  verfasst  sein. 
Er  enthielt  die  Liebe  des  assyrischen  Eönigssohns  Ninus  zur  jungen  Tochter 
der  Derkeia  (Semiramis?);  eingeflochten  war  in  die  Liebesgeschichte  der 
Kriegszug  des  Ninus  gegen  das  wilde  Gebirgsvolk  der  Armenier. 

Antonios  Diogenes  wird  von  Rohde,  Griech.  Rom.  258,  ins  1.  Jahr- 
hundert gesetzt;  sicher  lebte  derselbe  vor  Lukian,  der  ihn  in  den  wahren 
Geschichten  und  im  Ikaromenippos  parodiert,  wahrscheinlich  auch  vor 
Plutarch,  der  auf  seine  fabelhaften  Reiseerzählungen  in  der  Geschichte 
vom  Gesicht  im  Mond  anspielt.  Von  seinem  24  Bücher  füllenden  Roman 
über  die  Wunderdinge  jenseit  Thule's  {t€ov  vnhQ  &ovXf]v  ämanav  koyw  xJ') 
sind  uns  ausser  dem  Auszug  des  Patriarchen  Photios,  noch  grössere  Stücke 
in  dem  Leben  des  Pythagoras  von  Porphyrios  erhalten.  Die  Einkleidung 
der  Erzählung  war  eine  ähnliche  wie  in  des  Diktys  Gretensis  Tage- 
büchern vom  trojanischen  Krieg. «)  Wie  diese,  in  einer  Bleikapsel  ge- 
borgen, zur  Zeit  des  Nero  bei  einem  Erdbeben  wieder  zum  Vorschein 
gekommen  sein  sollten,  so  erzählt  Antonios  Diogenes  seinen  Lesern,  dass 
der  Hauptheld  seines  Romans,  Dinias,  seine  Erlebnisse  auf  zwei  Tafeln 
von  Cypressenholz  geschrieben  habe,  die  dann  bei  der  Eroberung  von 
Tyrus  durch  Alexander  in  der  Grabkammer  des  Dinias  wieder  zum  Vor- 
schein gekommen  seien.  7)  Jene  Erlebnisse  aber  drehen  sich  um  die  Liebe 
des  Arkadiers  Dinias  zur  schönen  Derkyllis,  der  Tochter  eines  vornehmen 
Tyriers,  die  derselbe  in  dem  äussersten  Thule  kennen  gelernt  hatte. 
Unter  den  Nebenpersonen  spielt  Astraios,  ein  Schüler  des  Pythagoras,  eine 


')  Siehe  §  355. 

2)  Herchbb,  Herrn.  12,  306  ff. 

»)  Siehe  §  378  über  ein  Ähnliches  Ver- 
hältnis bei  Antoninus  Liberalis. 

*)  Siehe  jedoch  Susbmihl,  AI.  Lit.  II  677 
Amn.  9. 

')  M.  WiLOKEN,  Ein  neuer  griechischer 
Roman,  Herrn.  28  (1893)  161  ff.  ^ 

•)  Nach  Suidas  hatten  diese  'Eipfj^sQl&eg 
9  Bücher,  von  denen  sich  nur  die  lateinische 
Bearbeitung  des  Septimius  De  hello  Troiano 


aus  dem  Anfang  des  4.  Jahrhunderts  er- 
halten hat.  Ueber  die  Erhaltung  des  grie- 
chischen Diktys  im  Mittelalter  Noack,  Da 
griechische  Diktys,  Philol.  Suppl.  VI  408- 
97;  Patzig,  Byz.  Ztschr.  I  131  f..  II  413  ff. 
^)  So  schwindelt  auch  Flaccius  Afri- 
cus  in  dem  Traktat  von  den  7  Planeten- 
pflanzen, s.  Sathas,  Ms.  gr.  cl.  IV  n.  57: 
inveni  in  civitcUe  Troiana  in  monumemto 
reclusum  prciesentem  libeüum  eum  anibw 
primi  regia  Kiranidis. 


Bb)Böiiiisoh6PeriodenaoliKoii8taiitin.  S.DieProaa.  oDerBoman.  (§§609—611.)    817 

Bolle;  in  die  Liebesabenteuer  sind  mancherlei  phantastische  Berichte  von 
Reisen  zu  den  äussersten  Erdwinkeln,  ja  bis  zum  Hades  und  bis  zum  Mond 
eingeflochten. 

610.  lamblichos  von  syrischer  Herkunft  schrieb  unter  Lucius  Verus 
Baßvlcaviaxä  in35  Büchern.  Dieselben  enthielten  die  wunderbaren  Ge- 
schicke des  Liebespaares  Sinonis  und  Rhodanes,  das  verfolgt  von  dem 
Könige  Babylons,  der  sich  in  die  schöne  Sinonis  verliebt  hatte,  aus  einem 
Abenteuer  in  das  andere  gestürzt  wurde;  erhalten  ist  uns  nur  ein  trockener 
Auszug  der  ersten  16  Bücher  durch  Photios. 

Xenophon  der  Ephesier,  den  Suidas  neben  zwei  anderen  Roman- 
schriftstellern gleichen  Namens,  aber  verschiedener  Herkunft  anfuhrt,  wird 
von  den  neueren  Forschem  i)  in  die  Grenzscheide  des  2.  und  3.  Jahr- 
hunderts gesetzt  und  schrieb  jedenfalls  den  uns  erhaltenen  Roman  Ephe- 
siaka')  noch  vor  der  Zerstörung  des  berühmten  Tempels  der  Diana  in 
Ephesos  (263).  Anlage  und  Inhalt  desselben  erinnern  an  das  Liebespaar 
Habrokomes  und  Pantheia  der  xenophontischen  Eyropädie  und  zugleich 
an  das  alte  Epos  der  Odyssee:  zwei  Liebende,  Habrokomes  und  die  schöne 
Antheia,  welche  gleich  der  keuschen  Penelope  allen  Verlockungen  wider- 
standen hatte,  erzählen  sich,  nachdem  sie  sich  nach  langen  L:rfahrten 
endlich  in  Rhodos  wiedergefunden,  ihre  früheren  Erlebnisse.  Mit  der 
Odyssee  teilt  der  Roman  auch  die  Einlage  zahlreicher  Episoden.  Die  Er- 
zählung ist,  wenn  auch  mitunter  knapp,  so  doch  fliessend  und  anmutig. 

611.  Heliodoros  aus  Emesa  ist  Verfasser  des  meistgelesenen  und 
umfangreichsten  der  uns  erhaltenen  Romane,  des  avvtayfia  %&v  nsQi  0£a- 
yävriv  xai  XaQixXeim'  Al&tonix(ov  in  10  B.  Hauptheldin  des  Romans  ist 
die  äthiopische  Königstochter  Charikleia,  welche  von  der  Mutter  aus  Furcht 
vor  dem  Argwohn  ihres  Mannes  ausgesetzt  nach  Delphi  gebracht  worden 
war,  dort  bei  den  delphischen  Spielen  den  schönen  Theagenes  kennen  ge- 
lernt hatte  und  nach  vielen  und  schweren  Gefahren  endlich,  als  sie  mit 
Theagenes  bereits  zum  Opfertode  geführt  wurde,  als  Königstochter  wieder 
erkannt  und  dem  Theagenes  feierlich  angetraut  wird.  Der  Erzählung  eignen 
gegenüber  der  des  Xenophon  die  Hauptvorzüge  des  Romans,  epische  Breite, 
Anschaulichkeit  der  Schilderung,  Erhaltung  der  Spannung  des  Lesers.  Wir 
werden  gleich  im  Anfang  in  medias  res,  in  den  wilden  Kampf  der  eifer- 
süchtigen Piratenführer  Trachinos  und  Peloros  an  der  Mündung  des  Nil 
versetzt  und  erfahren  erst  nach  und  nach  aus  dem  Munde  anderer  die 
früheren  Geschicke  der  Charikleia,  die  jene  Scene  der  Eifersucht  hervor- 
gerufen hatte,  und  die  Vorgeschichte  des  Theagenes,  der  in  jenem  Kampfe 
schwer  verwundet  worden  war.  Im  übrigen  wird  der  Vorhang  erst  nach 
und  nach  weiter  aufgezogen  und  das  volle  Geheimnis  erst  am  Ende  ent- 
hüllt, freilich  so,  dass  wir  von  der  Mitte  an  (IV  8)  den  weiteren  Verlauf 
und   den   schliesslichen  Ausgang   unschwer   erraten.     In    der   Kunst   der 


*)  RoHDE,  Griech.  Rom.  S.  392.  Scbkepf,  I  ')  Die  uns  erhaltenen  'Eq>e<naxtt   haben 

De  imitationis  ratione  inter  Heliodonim  et      5  Bücher,   Suidas  hingegen  spricht  von  10 
Xenophontem  Ephesium,  Kempten  1887,  weist      Bttchem,   weshalb  Rohdb  S.  401   an  einen 

nach,   dass  Xenophon  vor  Heliodor,  der  ihn  |   Auszug  denkt, 

nachahmte,  gelebt  hat.  | 

Baadlmoh  der  klaas.  AltertnmtwlMeiisohAn.  Vn.    8.  Aufl.  52 


818         Grieoblsohe  LittaraiiirgMohiehte.    IL  Jachkla— iaohe  littoimtnr. 

lebendigen  Schilderung  äusserer  Dinge,  wie  der  pythischen  Spiele  und  der 
Sümpfe  an  der  Niknündung,  fordert  Heliodor  seinesgleichen;  weniger  ge- 
Ungt  ihm  die  Darstellung  des  inneren  Seelenlebens,  zumal  wir  in  diesem 
Punkte  aus  der  Natürlichkeit  antiker  Auffassung  ganz  in  die  dumpfe 
Atmosphäre  des  Orakel-  und  Dämonenglaubens  versetzt  werden.  Gleich 
die  Haltung  der  beiden  Hauptpersonen,  die  geschworen  hatten,  sich  der 
geschlechtlichen  Berührung  bis  zur  Aufdeckung  der  Herkunft  der  Ghari- 
kleia  zu  enthalten,  die  sich  aber  trotzdem  in  Liebkosungen  und  Um- 
armungen nicht  genug  thun  können,  hat  etwas  Unnatürliches,  was  am 
wenigsten  zum  hellenischen  Wesen  passt.  Das  geringste  Lob  verdient  der 
sprachliche  Ausdruck ;  Heliodor  war  eben  Semite  von  Geburt,  und  es  war 
ihm  nicht  so  gut  wie  seinem  Landsmann  Lukian  geglückt,  sich  in  das 
fremde  Idiom  hineinzuleben;  er  verrät  sich  überdies  mehr  denn  gut  als 
Schüler  der  Sophistik  nicht  bloss  in  den  eingelegten  Reden  und  Gerichts- 
verhandlungen, sondern  auch  in  den  überkühnen  Metaphern  und  gesuchten 
Wendungen.  Von  den  alten  Autoren  war  ihm  ausser  Homer  besondere 
Euripides  geläufig,  dessen  Hippolytos  er  in  der  weitausgesponnenen  Epi- 
sode von  der  Liebe  der  Demainete  zu  ihrem  Stiefsohn  Knemon  kopierte.  >) 
Der  Verfasser  gibt  sich  selbst  am  Schlüsse  seines  Werkes  mit  den 
Worten  kund:  avvära^sv  ävrJQ  ^oTvi^  'Efxrjaccvog  twv  d(p*  "^Hltov  0€oSotftov 
nalq  ^HhoScoQog,  Damit  sagt  uns  derselbe  nicht  viel  mehr  als  wir  aus 
dem  Buche  selbst  erraten  würden.  Das  Priestertum  und  speziell  der 
Sonnenkult  spielt  eben  eine  Hauptrolle  in  dem  Roman  und  zeigt  sich  auch 
von  seiner  vorteilhaften  Seite  in  der  reineren  Moral,  der  Scheu  vor  dem 
Selbstmord,  der  Abwesenheit  der  Knabenliebe,  der  strengen  Büssung  auch 
kleiner  Vergehen.  Leider  sagt  uns  Heliodor  nichts  von  der  Hauptsache, 
die  wir  zu  wissen  wünschten,  von  der  Zeit,  in  der  er  lebte.  Der  wich- 
tigste Anhaltspunkt  bleibt  uns  daher  die  freilich  von  einem  Hauptkenner, 
Rohde  Griech.  Rom.  432  flf.  bestrittene  Notiz  des  im  5.  Jahrhundert  leben- 
den Kirchenhistorikers  Sokrates,  Hist.  eccl.  V  22,  51,  dass  der  Bischof  von 
Trikka  in  Thessalien  in  seiner  Jugend  den  Roman  verfasst  habe.^)  Auf 
der  anderen  Seite  scheinen  die  siegreichen  Kämpfe  des  Aethioperkonigs 
gegen  die  Satrapen  von  Oberägypten  ein  Reflex  der  wachsenden  Macht 
der  Blemyer  zu  sein,  welche  Diokletian  mit  der  Zahlung  eines  schimpf- 
lichen Tributes  abfinden  musste,^)  und  demnach  unseren  Heliodor  an  das 
Ende  des  3.  Jahrhunderts  zu  versetzen. 

612.  Achilles  Tatius  {'AxiXXevg  Tcfreo^)  *)  aus  Alexandria,  Verfasser 
der  Geschichte  von  Leukippe  und  Klitophon  {zä  xatd  Asvxinnr^v  xal 
KkenotfMVTtt  ßißX.  r/),  und  neben  Heliodor  der  gelesenste  Romanschrift- 
steller des  Mittelalters, ö)   lebte  nach  Heliodor,   den  er  vielfach  plünderte; 


*)  Heliodor  selbst  war  hinwiederum  be- 
liebtes Vorbild  der  französischen  Dramatiker, 
worüber  Tüohkbt,  Racine  u.  Heliodor,  Zwei- 
brücken Progr.  1889. 

')  Ein  Christ  war  der  Heliodor,  der 
die  269  holprigen  Trimeter  ne^i  xrjg  ttoy 
(ptXoa6(f(oy  fjivatixrjg  re'xyfjg  in  der  Zeit  des 
Kaisers    Theodosios    verfasste;    aber    dieser 


an  sprachlicher  Gewandtheit  nachsteht»  nichts 
zu  uiun. 

»)  Procop.,  Bell.  Fers.  I  19;  beachtens- 
wert ist,  dass  Suidas  oder  Hesrchius  too 
Milet  den  Heliodor  ebenso  wie  Chaiiton  und 
Longus  in  seinem  Lexikon  nicht  erwähnt. 

*)  EoHDB,  Griech.  Rom.  472. 

6)  Vgl.  Bbkkbb,  An.  gr.  p.  1082.   Heber 


Heliodor  hat  mit  dem  unseren,  dem  er  weit  |   die  Nachahmung  durch  Eustathios  in  der  Ge- 


B  b)  fiOmisohe  Periode  nach  Konstantin.  8.  Die  Prosa,  c)  Der  Boman. 


-ßl4.)    819 


ob  auch  nach  Musaios,  lässt  sich  deshalb  nicht  mit  Sicherheit  entscheiden, 
weil  man  mit  dem  gleichen  Recht  Benützung  des  Musaios  durch  Tatios 
als  umgekehrt  annehmen  kann.^)  Nach  Suidas  trat  er  zum  Christentum 
über  und  wurde  sogar  Bischof.  Seinem  Roman  merkt  man  nichts  von 
christlicher  Moral  an;  umgekehrt  gehört  die  Diskussion  des  Themas,  ob 
die  Mädchenliebe  oder  die  Knabenliebe  den  Vorzug  verdiene  (2,  35 — 38), 
zu  den  gemeinsten  Stellen  der  alten  Litteratur.  Auch  in  der  Kunst  der 
Komposition  steht  er  dem  Heliodor  nach;  die  Charakterzeicbnung  und 
Scenenschilderung  tritt  zurück  hinter  dem  sophistischen  Beiwerk  von 
Reden,  Briefen  und  Bilderbeschreibungen,  welche  die  eigentliche  Erzählung 
in  üppiger  Fülle  überwuchern. 

613.  Chariten  gilt  uns  als  Repräsentant  des  historischen  Romans, 
indem  er  seine  Geschichte  des  Chaireas  und  der  Kallirrhoe  in  die  Zeit  des 
peloponnesischen  Krieges  verlegt,  wo  der  Vater  der  Kallirrhoe,  Hermo- 
krates  als  Feldherr  der  Syrakusaner  die  Athener  besiegte.  Auch  der  Ab- 
fall der  Ägypter  von  den  Persern,  in  den  das  Geschick  des  Chaireas  ver- 
flochten wird,  hat  eine  historische  Basis,  ist  aber  ohne  genaue  Beachtung 
der  Chronologie  nur  herangezogen,  um  die  Helden  des  Romans  an  den 
Hof  des  Perserkönigs  kommen  zu  lassen.  Im  übrigen  ist  der  Roman  des 
Chariten  der  geringste  von  allen.  Der  Inhalt  lässt  überall  die  kunstlose 
Nachahmung  des  Xenophon  und  Heliodor  erkennen,  die  Sprache  ist  ein- 
tönig und  voll  von  Solökismen,  die  eingelegten  Volksversammlungen  und 
Gerichtsverhandlungen  verraten  einen  Mann,  der  von  dem  öffentlichen 
Leben  der  alten  Zeit  kein  Verständnis  hatte.  Von  der  Zeit  und  den  per- 
sönlichen Verhältnissen  des  Verfassers  wissen  wir  so  gut  wie  nichts.  Denn 
selbst  seine  eigene  im  Anfang  und  am  Schluss  seines  Werkes  wiederholte 
Angabe^  dass  er  aus  Aphrodisias  stamme  und  Schreiber  des  Rhetors  Athena- 
goras  sei,  scheint  auf  Pseudonyme  Erdichtung  hinauszulaufen. 

614.  Aus  älterer  Zeit  stammt  das  ganz  in  sagenhafte  Erzählungen 
aufgelöste  Leben  Alexanders  von  Pseudo-Kallisthenes,^)  dessen  Kern 
in  der  Ptolemäerzeit  entstanden  ist,  3)  wie  schon  die  Hervorhebung  des 
Ptolemaios  wahrscheinlich  macht,  das  aber  später  unter  den  orientalischen 
Kaisem  des  3.  Jahrhunderts  vielfach  erweitert  und  fortgesponnen  ward.^) 
An  der  Hand  der  Widersprüche  und  durch  Beobachtung  der  abgerissenen 
Fäden  der  Erzählung  ist  es  zum  Teil  noch  möglich,   den  ursprünglichen 


schichte  von  Hysmine  n.  Hysminias  siehe 
Erumbacbbb,  Byz.  Litt.'  764. 

*)  Das  erstere  nimmt  Rohdb  S.  472 
Anm.  2  an. 

*)  Statt  des  Eallisthenes  werden  auch 
Aeeopias,  Antisthenes,  Onesikritos,  Aristote- 
les, Anian  als  Verfasser  genannt,  s.  Chri- 
STBVSSN,  Die  Vorlagen  des  byzantinischen 
Alexandergedichtes,  Sitzb.  d.  b.  Ak.  1897 
S.  43  f. 

3)  Rohdb,  Griech.  Rom.  184  ff. 

*)  Anf  die  römische  Eaiserzeit  führt  die 
Erwähnung  des  Favorinna.  Wie  die  Ale- 
zandersage  im  8.  Jahrhundert,  als  die  Ale- 
xander   auf    dem   Kaiserthron  sassen,   ins 


Wunderbare  ausartete,  einsieht  man  aus 
Aelian  v.  h.  I  25 ;  Lampridius  vit.  Alex. 
Sev.  29.  Auf  das  8.  Jahrhundert  weist 
der  Bau  der  eingelegten  Verse  hin,  wo- 
rüber Deutscbm ANN ,  De  poesis  Graecorum 
rhythmicae  primordiis,  Malmedy  1883  p.  17. 
Im  übrigen  s.  Zaober,*  PseudocaUisthenes, 
Forschungen  zur  Kritik  und  Geschichte  der 
ältesten  Aufzeichnung  der  Alexandersage, 
Halle  1867 ;  Paul  Mbtbr,  Alexandre  le  Grand 
dans  la  litt^rature  franc.  du  moyen  ftge, 
Paris  1886,  voll.  2;  Hbbtz,  Aristoteles  in  der 
Alexandergeschichte  des  Mittelalters,  Abhdl. 
d.  b.  Ak.  t.  XIX,  1890. 


52* 


820 


Grieohiiohe  LitteratiirgMoliiohta.    U.  HaohklMsisohe  Litierainr. 


Bestandteil  des  Romans  von  seinen  späteren  Zus&tzen  zu  sondern;^)  namentr 
lieh  waren  es  die  in  der  Kaiserzeit  so  beliebten  Stilproben  erdichteter 
Briefe,  welche  zur  Ausschmückung  und  Erweiterung  der  ursprünglich  ein- 
facheren Erzählung  dienten.^)  Die  romanhaft  ausgeschmückte  Geschichte 
des  grossen  Königs  gefiel  so  sehr,  dass  dieselbe  ins  Lateinische,  Syrische, 
Armenische,  Slavische  übertragen  wurde.*)  In  griechischer  Sprache  sind 
nur  Bearbeitungen  aus  dem  Mittelalter  auf  uns  gekonmien  und  zwar  zwei 
in  Versen  und  zwei  in  Prosa,  worüber  Krumbacher  Byz.  Lit.*  849  f. 

Der  Alexandergeschichte,  und  zwar  dem  dritten  Buche  derselben  ist 
des  verwandten  Inhalts  wegen  in  dem  Cod.  Paris.  1711  die  Schrift  des 
Palladios  über  Indien  und  die  Brahmanen  {nsQl  Toiv  tijg 'IvSiag  eä-rdv  xal 
Twv  BQaxfiavcjv)  eingefügt.  Dieselbe  besteht  aus  zwei  ursprünglich  selb- 
ständigen Teilen:  der  erste  enthält  in  Briefform  einen  Bericht  des  Brief- 
schreibers über  seine  Reise  nach  dem  Saume  Indiens  und  über  das,  was 
er  dort  von  einem  thebanischen,  vielgereisten  Sachwalter  über  die  Weisen 
Indiens,  die  Brahmanen  oder  Gjrmnosophisten  erfahren  hatte;  der  zweite 
teilt  in  breiter  Ausführung  eine  moralisierende  Unterredung  zwischen  Ale- 
xander und  den  Brahmanen  und  deren  Lehrer  Dandamis  mit.*)  Der  Ver- 
fasser des  ersten,  allein  beachtenswerten  Teiles  ist  Palladios,  Bischof 
von  Helenopolis,  der  410  oder  418  starb.  Die  ganze  Schrift  wurde  in 
freier  Bearbeitung  ins  Lateinische  übertragen  und  ist  uns  unter  dem  fal- 
schen Titel  S.  Ämbrosii,  De  moribus  Brachmanorum  erhalten.  Verwandten 
Inhaltes  ist  die  anonyme,  gleichfalls  aus  dem  Griechischen  stammende, 
aber  nur  in  lateinischer  t5l)ersetzung  erhaltene  Schrift  Alexandri  magni 
regia  Macedonum  et  Dindimi  regis  Bragmanorum  de  phäosophia  per  lükras 
facta  collatio,  welche  einen  vom  Standpunkt  eines  griechischen  Philosophen 
fingierten  Briefwechsel  des  Königs  Alexander  und  des  Brahmanen  Dindi- 
mus  enthält  und  im  Mittelalter  in  die  lateinische  Bearbeitung  der  Alexander- 
geschichte durch  den  Archipresbyter  Leo,  die  sogenannte  Victoria  de  jpreliw, 
eingeschoben  wurde. 

Nur  aus  fremdländischen  Übersetzungen  und  Überarbeitungen  ist  uns 
die  Geschichte  des  Apollonius  von  Tyrus  bekannt;  die  älteste  uns  er- 
reichbare Gestalt  des  Romans  in  lateinischer  Sprache  scheint  auf  ein  grie- 
chisches Original  des  3.  Jahrhunderts  zurückzugehen.^) 


^)  Mit  Scharfsinn  ist  dieser  Versuch 
unternommen  von  Ad.  Ausfeld,  Zur  Kritik 
des  griechischen  Alexanderromans;  Unter- 
suchungen über  die  unechten  Teile  der  älte- 
sten üeberliefemng,  Progr.  Bruchsal  1894. 

^)  Diese  Briefe  selbst  erscheinen  in  den 
verschiedenen  Fassungen  des  Romans  in  den 
verschiedensten  Formen.  Interessant  vor 
allen  ist  der  Brief  Alexanders  an  seinen 
Lehrer  Aristoteles,  worüber  H.  Becker,  Zur 
Alexandersage;  Alexanders  Brief  über  die 
Wunder  Indiens,  Progr.  des  Friedrichs-Eol- 
legium  Königsberg  1894. 

>)  Ins  Lateinische  wurde  dieselbe  zwei- 
mal übertragen,  zuerst  von  Julius  Yalerius 
im  Beginne   des  4.  Jahrhunderts,  und  dann 


nochmals  von  dem  Archipresbyter  Leo  im 
10.  Jahrhundert  Ausgabe  des  letzteren  von 
Laitdobaf  1885;  des  ersteren  von  Küblu 
1888.  Ihrem  Original  kommt  am  nftchsteo 
eine  armenische  Uebersetzung  aus  5.— & 
Jahrh. 

*)  Heinr.  Broker,  Die  Brahmanen  in 
der  Alexandersage,  Progr.  des  Friedrichd- 
Kolleginm,  Königsberg  1889,  nach  dessen 
kundiger  Darstellung  ich  meine  früheren 
Angaben  umgestaltet  und  erweitert  habe, 
nimmt  noch  einen  dritten  kurzen  Zwisdieo- 
teil  an,  der  aus  dem  einen  kurzen  Kap.  H 
besteht. 

<^)  Historia  ApoUonii  ed.  Riese  1871  in 
Bibl.  Teubn. 


Bb)  Römische  Periode  nach  Konstantin.  8.  Die  Prosa,  o)  Der  Boman.  (§  615.)    821 


Ebenso  ist  uns  nur  in  der  lateinischen  Überarbeitung  des  Septimius 
die  romanhafte  Erzählung  des  trojanischen  Krieges  von  Diktys  erhalten. 
Die  griechische  Originalfassung  lag  noch,  wie  Patzig  Byz.  Zeitschr.  I  (1892) 
131  flF.  und  Noack  Philol.  Suppl.  IV  (1892)  403  S.  nachweisen,  dem  Malalas 
und  anderen  Schriftstellern  des  byzantinischen  Mittelalters  vor.  Vgl. 
Erumbacher  Byz.  Lit.*  845. 

615.  Longos  ist  der  Verfasser  des  berühmten,  namentlich  zur  Zeit 
der  Renaissance  vielgelesenen  Hirtenromans  Jd^viq  xal  Xkorj  in  4  B.  Von 
der  Zeit  und  dem  Leben  des  Verfassers  selbst  ist  uns  nichts  überliefert; 
wahrscheinlich  gehörte  er  noch  dem  2.  Jahrhundert  an,  da  ihn  bereits 
Älkiphron  in  seinen  Briefen  nachgeahmt  zu  haben  scheint,  i)  Jedenfalls 
lebte  er  noch  mitten  im  Heidentum  und  stammte  aus  der  Insel  Lesbos. 
Denn  in  Lesbos  lässt  er  seine  Erzählung  spielen  und  von  den  örtlichkeiten 
der  Insel  entwirft  er  die  anschaulichsten,  von  Autopsie  zeugenden  Schil- 
derungen, etwas  was  um  so  mehr  auf  persönlichen  Beziehungen  des  Autors 
beruhen  muss,  als  sonst  Sikilien  Sitz  der  bukolischen  Poesie  war.  Die 
Hirtengeschichten  unseres  Longos  sind  nämlich  die  letzten  Erzeugnisse 
der  bukolischen  Muse  *)  und  unterscheiden  sich  von  den  Idyllen  nur  durch 
die  prosaische  Form  und  die  Einflechtung  der  Bilder  in  den  Rahmen  einer 
zusammenhängenden  Erzählung,  hier  von  den  Geschicken  zweier  ausge- 
setzten Kinder,  die  von  gutmütigen  Hirten  aufgenommen,  schliesslich  als 
Kinder  reicher  Eltern  von  Mytilene  erkannt  werden,  aber  die  lieblichen 
Triften  so  lieb  gewonnen  hatten,  dass  sie  dieselben  wieder  aufsuchen,  um 
dort  ihre  Hochzeit  zu  feiern  und  fem  von  der  Stadt  ein  glückliches  Leben 
zu  führen.  Bevölkert  ist  wie  in  den  Idyllen  die  Scene  von  den  anmutigen 
Gestalten  der  ländlichen  Muse,  von  Nymphen,  Eroten  und  Panen.  Nur 
wird  die  Unschuld  des  Hirtenlebens  arg  gestört  durch  die  lüsternen  Schil- 
derungen nacktester  Sinnlickeit,  wie  von  der  schamlosen  Verführerin  Ly- 
kainion  und  dem  lockeren  Päderasten  Gnathon.  Der  Stil  des  Romans  mit 
seinen  kurzen  Sätzen  und  seiner  einfachen  Diktion  ist  trefflichst  dem 
Charakter  des  Gegenstandes  angepasst  und  kann  uns  als  wahres  Muster 
derjenigen  Stilgattung  gelten,  welche  die  Alten  mit  dem  Namen  dg)€kfjg 
läSig  bezeichneten. 

Erotici  scriptores  graeci  ed.  Mitbghbblich,  3  vol.,  Biponti  1794;  recogn.  Hebghbb  in 
Bibl.  Tenbn.  1858,  2  Bde;  rec.  Hibbohig-Lb  Pas  Lapaumb  et  Boissonadb,  Par.  1856.  — 
Xenophon  Eph.  rec.  Pbeblkamp,  Harlem  1818.  -  Heliodor  rec.  Mitschbblich,  Argent  1798, 
2  Bde;  rec.  Kobaes,  Paris  1804;  dazu  Thbbeianos  im  Leben  Eoraes,  Triest  1889  t.  I, 
p.  382  ff.  —  Longus  ed.  Villoisok,  Paris  1778  mit  reichem  Kommentar;  ed.  Oovbibb,  Rom 
1810  auf  Grund  der  allein  massgebenden  Florentiner  Handschrift;  ed.  |8eilbb  cum  notis 
Bnmckii  Schaeferi  etc.,  Lips.  1843.  —  Achilles  Tatius  rec.  et  not.  adi.  Jacobs,  Lips.  1821, 
2  voL   -  Chariten  ed,  d'Obvillb  (1750»,  ed.  II  cur.  C.  D.  Beck,  Lips.  1783. 

Gallisthenes  ed.  Mülleb,  Par.  1846;  Gbbistbnsbn,  Die  Vorlagen  des  byzantinischen 
Alexandergedichtes,  Sitzb.  d.  b.  Ak.  1897  S.  33  —  118.  —  Palladius  (mit  den  lat  Bearbeitungen) 
ed.  Bissabub,  Lond.  1665;  ed.  Mülleb  in  der  Ausg.  des  Gidlisthenes  p.  102 — 120  als  1.  III 
c.  7 — 16;  neue  kritische  Hilfsmittel  und  eine  lateinische  Uebersetzung  weist  nach  Bebnhabdt, 
Anal,  in  geogr.  gr.  min.  p.  34—48. 

1)  Yergl.  Long.  lY  15  n.  Alk.  HI  12;  DisB.  Königsberg  1893,  p.  46  ff. 
Long,  in  3  n.  Alk.  III  30;   Long.   lY  8  u.  *)  Die  Anlehnungen  des  Longos  an  Theo- 
Alk,  ni  21 ;  die  Stellen  sind  teilweise  schon  krit  nfther  ausgef&hrt  von  Reich  a.  O.  56 
von  Rohde  verglichen  worden,  genauer  von  bis  65. 
Hebm.  Bkicb,  De  Alciphronis  Longique  aetate. 


822 


ChrieolÜMhe  litieratiirgeschiohte.    II.  HaohklMwlaohe  litteratitr. 


616.  Eine  Abart  des  Romans  bilden  die  erotischen  Briefe.  Er- 
finder der  poetischen  Epistel  ist  Ovid,  dessen  epistidae  heroidum  bekannt- 
lich so  viel  Anklang  fanden,  dass  sich  viele  in  der  gleichen  Art  poetischen 
Spiels  versuchten.  Mit  besonderem  Eifer  aber  griff  die  griechische  Sophistik 
diese  Gattung  fingierter  Briefe  auf,  zumal  es  schon  in  älterer  Zeit  zu  den 
Lieblingsaufgaben  der  Rhetoren  gehört  hatte,  grossen  Männern,  namentlich 
berühmten  Philosophen  und  Rednern  Briefe  zu  unterlegen.^)  Die  Sophistik, 
wie  sie  in  der  römischen  Kaiserzeit  zur  Blüte  kam,  hatte  es  ohnehin  vor- 
nehmlich mit  fingierten  Thematen  zu  thun  und  pflegte  um  so  eifriger  jene 
Gattung  erdichteter  Briefe.*)  Die  ältesten  erotischen  Briefe  {iQWTixaiim- 
(TToAaf'),  von  denen  wir  Kenntnis  haben,')  sind  die  des  Rhetors  Lesbonax. 
Idyllische  Liebespoesie  durchweht  auch  die  bereits  oben  besprochenen 
ländlichen  Briefe  der  Sophisten  Philostratos  und  Aelian.  Nur  durch 
Suidas  haben  wir  Nachricht  von  dem  Epistolographen  Zonaios,  der  ercH 
tische  und  ländliche  Briefe  schrieb,^)  sowie  von  Melesermos,  einem 
athenischen  Sophisten  aus  ungewisser  Zeit,  von  dem  Suidas  Hetären-, 
Bauern-,  Fleischer-,  Feldherrnbriefe  anführt.  Auf  uns  gekommen  sind  die 
Liebesbriefe  von  Alkiphron  und  Aristainetos. 

Alkiphron,  Nachahmer,  vielleicht  auch  jüngerer  Zeitgenosse  des 
Lukian,^)  hat  118  Briefe  in  5  B.  hinterlassen,  die  in  feingezeichneten,  meist 
nach  Stücken  der  attischen  Komödie  oder  Dialogen  Lukians^)  entworfenen 
Skizzen  verschiedene  Verhältnisse  des  heiteren  Genusslebens  der  hellenisti- 
schen Zeit  wiedergeben  und  von  schwärmerischer  Liebe  für  Athen  und 
attisches  Leben  durchhaucht  sind.  Ihre  Anziehungskraft  besteht  in  dem 
poetischen  Reiz,  der  sie  umfliesst;  einige,  wie  die  zwischen  Menander  und 
seiner  Geliebten  Glykera  (2,  3  und  4),  haben  noch  ein  besonderes  Inter- 


M  Das  ganze  Gewirr  der  BrieffftLschun- 
gen  wurde  zuerst  blossgelegt  von  Bbntlby, 
De  epistolis  Phalaridis  1697  (ursprünglich 
englisch,  dann  ins  Lateinische  übersetzt  von 
Lennep;  die  lat.  Bearbeitung  in  BenÜeii  opusc. 
philoL,  Lips.  1781,  deutsche  Bearbeitung  von 
W.  Ribbeck,  Leipz.  1857),  in  der  mit  be- 
wunderungswürdigem Scharfsinn  die  Unecht- 
heit  zunächst  der  Briefe  des  Phalaris,  dann 
aber  auch  der  des  Themistokies,  Sokrates, 
Euripides  u.  a.  aufgedeckt  ist.  Die  Unter- 
suchungen sind  weiter  geführt  von  Westbr- 
MANN,  De  epistolamm  scriptoribus  graecis, 
8  Programme,  Leipz.  1860 — 5;  Susemihl,  AI. 
Lii  II  579  ff.  Scnwer  ist  im  einzelnen  zu 
bestimmen,  aus  welcher  Zeit  die  Fälschungen 
stammen;  schon  dem  Aiistophanes  von  By- 
zanz  lagen  unechte  Briefe  Piatons  vor. 

^)  Den  iniiFToXixog  /a^axri;^  bespricht 
bereits  Demetrios  de  interpr.  228;  dann  haben 
wir  über  ihn  eine  eigene  Schrift  unter  dem 
Namen  des  Proklos  oder  Libanios;  s.  §  623. 

')  Schol.  Luciani  de  salt.  69. 

^)  Diesem  Zonaios  hat  der  Fälscher 
Palaiokappa  in  Cod.  Paris.  2929  auch  die 
anonyme  Schrift  negl  axrjfAdrtoy  beigelegt, 
wie  L.  CoBN,  Phil.  Abh.  an  Hertz  S.  128  f. 


nachgewiesen  hat. 

')  Als  Sioitgenossen  scheint  ihn  Aristei- 
netos  epist  1  5  u.  22  zu  betrachten.  Beideo 
gemeinsam  sind  auch  die  Reminiazenzen  von 
Versen  der  Komödie;  s.  Kogk  Rh.  M.  43. 29 iL 
u.  FGG  III  p.  643  ff.  Ob  aber  AUdphn« 
selbständig  ohne  Lukians  Vorbild  die  atti- 
schen Komiker  benutzt  hat»  ist  sehr  zweifel- 
haft, wie  Herm.  Rbiob,  De  Aldphroms  Lon- 
giqne  aetate,  Diss.  Königsberg  1894  bewiesen 
hat  Der  letztere  setzt  den  Alkiphron,  indem 
er  die  erotischen  Briefe  des  Aelian  ftr  echt 
hält  (s.  §  529),  in  die  Zeit  zwischen  Liüdan, 
den  Alkiphron  nachahmt,  und  Aelian,  von 
dem  derselbe  nachgeahmt  wird,  also  zwiscken 
170  und  229. 

^)  So  hat  die  Beschreibung  eines  Hoch- 
zeitsmahles bei  Alkiphron  3,  55  auffallende 
Aehnllchkeit  mit  dem  Symposion  des  Lokian, 
und  zwar  scheint,  wie  Fritoche  in  der  Ans- 
gäbe  Lukians  urteilt.  Alkiphron  den  Lukian 
in  den  Hauptlinien  kopiert  zu  haben  (umge- 
kehrt urteilt  BoLDBBKANK,  Stad.  Lacian.40ff.). 
Andere  auffällige  Berührungspunkte  bieten 
Luc.  Tox.  13  u.  Ale.  3,  62;  Luc.  Tox.  15  u. 
Ale.  3,  50. 


Bb)BömiMlie  Periode  nach  Konstantin.  8.  Die  Prosa,  d)  Philosophie.  (§§616—617.)  g23 

esse  durch  die  Mitteilungen  über  die  Lebensverhältnisse  grosser  Männer 
der  Litteratur;  andere  können  uns  gewissermassen  als  Kommentar  von 
berühmten  Werken  der  Kunst  gelten,  wie  der  89.  Brief  des  ersten  Buches 
von  der  'Ag>QoSivri  xaXXinvyog. 

Aristainetos,  der  zweite  Epistolograph,  wurde  früher  irrtümlich 
mit  dem  Aristainetos  aus  Nikäa,  der  im  Jahre  858  bei  dem  Erdbeben  von 
Nikomedia  umkam  und  an  den  mehrere  Briefe  des  Libanios  gerichtet  sind, 
identifiziert;  er  lebte  vielmehr  nach  I  26,  in  welchem  Brief  ein  zur  Zeit 
des  Sidonius  ApoUinaris  lebender  Mime  GamaruUus  genannt  ist,  um  die 
Wende  des  5.  Jahrhunderts.  *)  Seine  zwei  Bücher  erotischer  Briefe  ent- 
halten vollständige  Liebesnovellen,  eingekleidet  in  die  Form  von  Briefen, 
denen  aber  nur  zu  sehr  der  Zauber  attischer  Anmut  und  origineller  Sprache 
abgeht.  Seine  Hauptquelle  waren  die  erotischen  Elegien  der  Alexandriner; 
80  erzählt  er  I  10  die  Liebe  der  Kydippe  und  des  Akontios  nach  den  Aitia 
des  Kallimachos. 

Briefe  überhaupt  gehörten  zu  den  Liebhabereien  der  Sophisten  der 

zweiten  Periode,   indem  sie  teils  den  berühmten  Männern  des  Altertums 

Briefe  an  Zeitgenossen  unterlegten,  teils  ihre  eigenen  Briefe  als  Stilproben 

der  Öffentlichkeit  übergaben.     Ausser  den  an  anderer  Stelle  angeführten 

Briefen  des  Libanios,  Julian,  Synesios,  Basileios  seien  hier  noch  erwähnt 

die  eleganten  kurzen  Briefe  des  Aineias  aus  Gaza  (um  500),  eines  Schülers 

des  Sophisten  Hierokles,*)  und  die  idyllischen  ^EniaxoXal  i^x^ixal  oyQoixixai 

haiQixaC  des  Theophylaktos  Simokattes,   der  unter  Kaiser  Heraklios 

blühte  und  demnach  schon  dem  byzantinischen  Mittelalter  angehört.') 

Epiatolographi  graeci  rec.  Hebchbr,  Paris  bei  Didot  1878.  —  Alciphron  ed.  Bebolbb, 
Leipz.  1715;  ed.  Waonbb,  Leipz.  1878  in  zwei  BiLnden;  ed.  Mbikbkb,  Leipz.  1853.  —  Ari- 
BtainetoB  ed.  Boissovadb,  Par.  1822.  —  Eine  Sammlung  inschriftlicher  Briefe  wird  noch 
vermisst.  Ein  neuer  an  einen  Kaiser  gerichteter  Brief  aus  Cod.  Laurent,  conv.  soppr.  84 
TerOffenilicht  von  Vitelli  1893  in  Studi  ital.  di  Filol.  class.  vol.  I  pag.  380  ff. 


d)  Die  Philosophie. 

617.  Gegen  SchluBs  des  Altertums  raffte  sich  nochmals  die  griechische 
Philosophie  zu  kräftigerem  Anlauf  zusammen,  um  den  alten  Besitz  gegen 
den  Ansturm  orientalischer,  in  religiöses  Gewand  gekleideter  Philosopheme 
zu  verteidigen.  Die  Religion  hatte  in  dem  griechischen  Geistesleben  der 
klassischen  Zeit  eine  untergeordnete  Stelle  eingenommen.  Die  bunten  Ge- 
stalten des  griechischen  Polytheismus  wurden  frühzeitig,  schon  zur  Zeit 
Homers,  von  einem  Gewebe  poetischer  Mythen  umsponnen;  die  Qöttervor- 
stellungen  gewannen  dadurch  an  künstlerischer  Schönheit,  verloren  aber 
um   so  mehr  an  ehrwürdiger  Hoheit.    Es  kamen  dann  die  Philosophen, 


')  M BBC1BB  in  der  Ausgabe  von  Bois- 
sonade  p.  581.  Ueber  Nachahmungen  des 
Achilles  Tatius  siehe  Rohde,  Griech.  Rom. 
473  An. 

')  Die  Briefe  bei  Hbroheb,  Epistologr. 
gr.  p.  24 — 82.  Ausserdem  schrieb  derselbe 
einen  Dialog  aber  die  Unsterblichkeit  der 
Seele,    9e6<p^aaros  betitelt,    herausgegeben 


mit  dem  Dialog  Ufifioipios  des  Zacharias 
b^cholastikos  (um  530)  Yon  Boissonaoe,  Ae- 
neas  Gazaeus  et  2^charias  Mitylenaeus,  De 
immortalitate  animae  et  consummatione  mun- 
di,  Paris  1836. 

')  Die  Briefe  bei  Hebcheb,  Epistologr. 
gr.  p.  768—786;  im  ftbrigen  s.  Kbükbacheb, 
Byz.  lat.-'  248. 


824  GrieohiBohe  LitteratnrgeBohiohte.    IL  NaohUaMisohe  Litteratnr« 

welche  teils,  unbekümmert  um  die  Lehren  der  Priester,  ihre  eigenen  Ideen 
über  Gott  und  Sittlichkeit  aufstellten,  teils  geradezu  die  überlieferten  An- 
schauungen der  Menge  mit  den  scharfen  Waffen  der  Dialektik  und  Satire 
bekämpften.  Zu  den  aufgeklärten  Geistern,  welche  sich  entweder  von  den 
religiösen  Opfern  und  Gebräuchen  ganz  fern  hielten  oder,  wenn  sie  die- 
selben mitmachten,  nur  der  Überlieferung  der  Väter  einen  erzwungenen 
Tribut  brachten,  zählte  nahezu  alles,  was  in  Wissenschaft,  Kunst  oder 
Staatsverwaltung  eine  Rolle  spielte.  Es  ist  gerade  diese  Freiheit  des 
Geistes,  welche  der  Phantasie  der  griechischen  Dichter  und  Künstler  den 
höheren  Schwung  gab  und  den  Werken  der  klassischen  Autoren  ihre  geist^ 
befreiende  Anziehungskraft  verleiht.  Aber  übersehen  darf  man  dabei  nicht, 
dass  die  menschliche  Begehrlichkeit,  nicht  gezügelt  durch  Gottesfurcht 
und  Religion,  in  nackte  Sinnlichkeit  sich  verirrte,  und  dass  mit  dem  zu- 
nehmenden Verfall  des  religiösen  Glaubens  die  sittliche  Fäulnis  immer 
mehr  die  menschliche  Gesellschaft  zersetzte.  Das  ebnete  den  orientaUschen 
Religionen,  in  denen  die  Gesetze  der  Sittlichkeit  und  Menschenliebe  durch 
Lehren  der  Religion  festgesetzt  und  an  religiöse  Gebräuche  gebunden 
waren,  den  Weg  zu  immer  weiterer  Verbreitung.  Die  ägyptischen  Isis- 
priester mit  ihrer  asketischen  Reinheit  des  Lebenswandels,  die  Juden  mit 
ihrem  hehren  Monotheismus,  die  Mithrasdiener  mit  ihren  Sühne-  und 
Reinigungsgebräuchen,  die  Christen  mit  ihrer  Religion  der  Bruderliebe  und 
Menschenwürde  begannen  seit  Anfang  des  römischen  Kaiserreiches,  seit- 
dem die  alten  Schranken  der  Völker  gefallen  waren,  allwärts  sich  zu 
rühren  und  Anhänger  zu  werben.  Die  Griechen,  bisher  gewohnt,  das 
Szepter  im  Reiche  des  Geistes  zu  führen,  sahen  sich  allmählich  in  ihren 
Ansprüchen  bedroht.  Der  Spott,  wie  ihn  Lukian  über  die  Geistesbefangen- 
heit und  den  Trug  der  orientalischen  Sektierer  ausgoss,  wollte  allein  nicht 
mehr  verfangen,  war  auch  nicht  nach  dem  Sinne  der  tiefer  und  sittlicher 
angelegten  Naturen.  So  suchten  andere  Hellenen  das  Eindringen  fremder 
Religionen  dadurch  hintanzuhalten,  dass  sie  die  Rückkehr  zu  den  frommen 
Bräuchen  der  Väter  predigten  und  der  heimischen  Religion  einen  höheren 
sittlichen  Gehalt  einzuimpfen  sich  bemühten.  Der  Hellenismus,  um  sich 
der  barbarischen  Religionen  zu  erwehren,  wurde  selbst  religiös.^)  Dieser 
Zug  übte  einen  mächtigen  Einfluss  auf  das  Geistesleben  des  untergehenden 
Hellenismus  aus,  stellte  aber  namentlich  der  Philosophie,  die  schon  in 
früherer  Zeit  bei  den  Gebildeten  die  Stelle  der  Religion  vertreten  hatte, 
neue  und  schwere  Aufgaben.  Die  Philosophen  versuchten  dieselben  sof 
doppeltem  Wege  zu  lösen:  einmal  bemühten  sie  sich,  das  Höchste,  was 
die  freie  Spekulation  der  Väter  geschaffen  hatte,  die  Weisheit  des  Piaton 
und  Aristoteles,  zu  neuem  Leben  zu  erwecken;  sodann  gaben  sie  dem 
eigenen  Denken  eine  Richtung  auf  das  Göttliche  und  stellten  die  Theo- 
logie, welche  schon  Aristoteles  mit  der  ersten  Philosophie  identifiziert 
hatte,*)  in  den  Vordergrund  der  philosophischen  Spekulation.  Aber  indem 
sie  die  Erforschung  der  Natur  vernachlässigten  und  unfähig  waren,  mit 
der  blossen  Dialektik  des  Geistes  über  Aristoteles  hinauszukommen,  ge- 


»)  MüNK,  Griech.  Litt.  II  515.  |  «)  Vgl.  § 


Bb)aOmisohe  Periode  nach  Konstaatin.  8.  Die  Prosa,  d)  Philosophie.  (§§618—619.)  825 

rieten  sie  auf  die  nebelhaften  Wege  des  verklärten  Schauens  und  des 
sinneverleugnenden  Mysticismus.^)  Hatte  einst  die  spekulative  Philosophie 
befruchtend  auf  die  Einzelwissenschaften,  namentlich  die  Mathematik  und 
Physik  eingewirkt,  so  erging  sich  jetzt  die  Philosophie  in  geheimnisvoller 
Spekulation  über  die  allgemeinen  Prinzipien  der  Mathematik  und  der  Natur- 
wissenschaften und  hemmte  auf  solche  Weise  mehr  die  Entwicklung  der 
exakten  Einzelforschung,  als  dass  sie  zum  fruchtbaren  Betriebe  derselben 
hinüberleitete.  Das  war  die  Atmosphäre,  in  der  die  phantastischen  Kosmo- 
gonien  des  untergehenden  Altertums  entstanden,  und  in  der  die  Philosophie 
des  sogenannten  Neuplatonismus  ihre  Wurzeln  schlug,  die  zwar  schon  vor 
Konstantin  aufgekommen  ist,  aber  als  Ausläuferin  der  antiken  Philosophie 
vorzüglich  unserer  Periode  angehört. 

618.  Vorläufer  des  Neuplatonismus  war  Numenios  aus  Apamea 
(2.  Jahrhundert  n.  Chr.),  der  die  platonische  Lehre  als  Ausfluss  der  pytha- 
goreischen zu  erweisen  suchte  und  die  Gottheit  in  drei  Stufen,  als  reinen 
Geist,  als  Weltschöpfer  {irjfitovQyo^)  und  als  Kosmos  zur  Entfaltung  kommen 
liess.*)  Als  eigentlicher  Begründer  der  neuplatonischen  Lehre  gilt  Ammo- 
nios  Sakkas  (um  175—242),  der,  von  christlichen  Eltern  entsprossen, 
aus  einem  Sackträger  ein  grosser  Denker  und  einflussreicher  Lehrer  der 
Philosophie  in  Alexandria  wurde.  Zu  den  Neuplatonikem  nimmt  derselbe 
eine  ähnliche  Stellung  wie  Sokrates  zu  den  Sokratikern  ein,  das  ist,  er 
hat  selbst  nichts  geschrieben,  aber  den  Anstoss  zu  der  umfangreichen  neu- 
platonischen Litteratur  gegeben.^) 

619.  Plotinos  (204—270)*)  stammte  aus  Lykopolis,  einer  Stadt 
Ägyptens,  und  hörte  in  schon  gereiftem  Alter  zu  Alexandria  den  Ammonios, 
dessen  begeisterter  Schüler  und  Anhänger  er  wurde.  Im  phantastischen 
Verlangen,  die  Lehre  der  Magier  an  der  Quelle  kennen  zu  lernen,  schloss 
er  sich  243  dem  Zug  des  Gordian  gegen  die  Perser  an,  kehrte  aber  nach 
dem  unglücklichen  Ausgang  des  Unternehmens  bald  wieder  zurück  und 
schlug  244  in  Rom  seine  Lehrkanzel  auf.  Bald  sammelte  er  durch  die 
Tiefe  der  Gedanken,  den  allen  Prunk  verschmähenden  Adel  der  Gesinnung, 
zum  Teil  auch  durch  den  Schein  göttlicher  Inspiration  einen  grossen  Kreis 
von  Schülern  und  Schülerinnen  um  sich.  Auch  an  dem  Kaiser  Gallien 
(260 — 8)  und  dessen  Frau  Salonina  hatte  er  begeisterte  Verehrer;  es  war 
sogar  nahe  daran,  dass  der  Kaiser  ihm  zur  Verwirklichung  seines  Ideals, 
zur  Gründung  einer  Philosophenstadt  in  Kampanien,  verhelfen  hätte.  Wie- 
wohl körperlich  leidend  und  halb  des  Augenlichtes  beraubt,  blieb  er  un- 


^)  Die  abertriebene  Wertschfttzang  des 
Nenplatonismiis  durch  Heobl,  Gesch.  d.  PhU. 
I  182,  m  11  n.  81,  der  ihn  als  die  Vereöh- 
zrang  der  p^osophischen  Gegensätze,  als  die 
absolate  Vollenaung  der  alten  Philosophie 
bezeichnete,  ist  anf  das  richtige  Mass  za- 
rückgeföhrt  von  Zeu.ee,  Phil.  d.  Gr.  III»  2, 
419  ff. 

')  Wir  haben  yon  dem  tiefen  Denker 
nur  durch  Anftlhrongen  der  Späteren,  nament- 
lich des  Kirchenvaters  Ensebius  Kenntnis; 
zusammengestellt  sind  dieselben  von  Mül- 


lach FPG  m  153  ff. 

*)  Von  den  Vorträgen  des  Ammonios 
ward  Mitteilung  gegeben  von  seinem  Schüler 
Theodotos  und  des  weiteren  von  Porphyrios 
in  dessen  Sv/nfjuxta  Cv^ijfjiata,  s.  v.  Arnim 
Rh.  M.  42,  276  ff. 

^)  Ausser  dem  Artikel  des  Suidas  und 
einer  kurzen  Notiz  des  Euna^os  in  Vit.  soph. 
belehrt  uns  sein  Schüler  rorphyrios  negl 
nXtüTivov  ßlov.  Ein  ausführlicher  Artikel  von 
Stbikhart  in  Paulys  Realencykl. 


826 


OriMhisohe  UtteratiirgMohiohto.    n.  HaohUMsisdie  Lütaratnr. 


ermüdlich  als  Lehrer  und  philosophischer  Schriftsteller  thätig,  bis  er  im 
Alter  von  66  Jahren  auf  dem  Landgut  seines  Schülers  Zethos  in  Kampanien 
starb.  Hinterlassen  hat  er  48  Schriften,  die  er  in  späten  Lebensjahren, 
nach  254,  allmählich  herausgegeben  hatte.  Porphyrios  im  Leben  seines 
Lehrers  gibt  uns  von  allen  die  Entstehungszeit  an,  so  dass  Eirchhoff  die- 
selben in  seiner  Ausgabe  nach  der  Zeitfolge  ordnen  konnte.  Nach  dem 
Tode  des  Meisters  besorgte  sein  Schüler  Porphyrios  eine  revidierte  Ge- 
samtausgabe in  sechs  Enneaden,  neben  der  das  Altertum  noch  eine  zweite 
von  Eustochios  hatte.  In  der  Ausgabe  des  Porphyrios,  auf  die  unsere 
Handschriften  zurückgehen,  waren  die  Bücher  nach  dem  Inhalt  geordnet, 
so  dass  die  erste  Enneade  die  ethischen  Schriften,  die  zweite  und  dritte 
die  physikalischen,  die  vierte  die  über  die  Seele,  die  fünfte  die  über  den 
vov^^  die  sechste  und  letzte  die  über  das  Eins  und  das  Gute  enthielt  Die 
Anordnung  hat  vielfache  Mängel,  da  sie  nicht  bloss  die  Merkmale  der 
Abfassungszeit  verwischt,  sondern  auch  zusammengehörige  Aufsätze  aus- 
einanderreisst.  So  hat  z.  B.  Plotin  selbst  durch  den  Schluss  von  Y  8  xai' 
aXXrjv  orfor  ndkiv  av  ist  sncX^slv  (Sie  und  den  Anfang  von  H  9  inftii^ 
tot  VW  €(pdvrj  sattsam  angedeutet,  dass  die  drei,  jetzt  weit  auseinander- 
gerückten Abhandlungen  Y  8,  Y  5,  II  9  eng  zusammengehören  und  dass 
der  Bekämpfung  der  Gnostiker  in  H  9  die  Klarstellung  der  eigenen  Lehre 
von  dem  Urschönen  und  Urguten  vorausgehen  sollte.  9 

Die  48  Abhandlungen  sind  von  sehr  verschiedenem  Umfang;  einige 
sind  ganz  kleine,  zum  Teil  nur  ein  Kapitel  umfassende  Betrachtungen; 
andere  mussten  wegen  ihres  übermässigen  Umfangs  von  dem  Herausgeber 
in  zwei  und  drei  Teile  zerlegt  werden,  wie  die  Untersuchung  von  der 
Seele  (III  3—5),  von  den  Arten  des  Seins  (VI  1—3),  von  der  Yorsehong 
(HI  2  u.  3).  Im  Inhalt  und  in  der  Form  gleichen  sich  alle  so  sehr,  dass 
zwischen  den  früheren  und  späteren  kein  wesentlicher  Unterschied  besteht') 
Ihr  philosophischer  Autor  war  eben  im  wesentlichen  mit  sich  fertig,  ak 
er,  bereits  ein  Fünfziger,  seine  Anschauungen  niederzuschreiben  begann. 
Seine  Schriften  wollten  keine  Kunstwerke  fQr  sich  sein;  sie  sollten  nur 
die  Vorträge,  wie  er  sie  im  Kreise  seiner  Yerehrer  ohne  systematischen 
Plan  gehalten  hatte,  in  schlichter,  einfacher  Form  wiedergeben.  Keines 
der  Bücher  hat  eine  eigene  Einleitung  oder  einen  förmlichen  Epilog:  mitten 
in  eine  Frage  werden  wir,  meist  durch  Aufwerfung  von  Aporien,  hinein- 
geführt und  allmählich  zu  immer  höheren  Stufen  emporgehoben.  Die  Ge- 
sprächsform des  Piaton  hat  Plotin  aufgegeben,  aber  seine  anregende  Art, 


*)   Man    muss    eigentlich    noch    weiter 
gehen  und  die  7  Abhandlungen  IV  3,  IV  4, 

IV  5,  IIl  8,  V  8,  V  5,  II  9  zu  einem  grossen 
Ganzen  verbinden,  wie  sich  aus  dem  inneren 
Zusammenhang  nicht  unschwer  erweisen 
lÄsst.    Auch  die  4  Abhandlungen  VI  4,  VI  5, 

V  6,  II  5  sind  nicht  bloss  in  dieser  Folge 
geschrieben,  sondern  bauen  sich  auch  die 
eine  auf  die  andere  auf.  Vgl.  Eirohhoff, 
Specimen  novae  editionis  operum  Plotiniano- 
nun,  Berol.  1847.  Zu  bedauern  ist,  dass 
Volk  MANN    den    von    Kirchhoff  gewiesenen 


Weg  in  der  neuen  Ausgabe  wieder  Terlasseo 
hat.  Zum  Glück  ist  uns  bei  Plotin  eine  Kunde 
ttber  die  ursprüngliche  Folge  der  Bfieher 
überliefert.  Man  kann  sich  daraus  einen  Be- 
griff machen,  wie  unsicher  der  Boden  bei 
anderen  Schriftstellern,  wie  Aristoteles,  tstir 
deren  Werke  gleichfalls  erst  nach  des  Au- 
tors Tod  von  Schülern  herausgegeben  wurden. 
')  Einen  stArkeren  Unterschied  zwischen 
den  früheren  und  spftteren  Schriften  will 
Porphyrios,  Vita  Plotmi  6,  auüstellen. 


Bb)BOiiiiMhe  Periode  naohKoiMtantin.   8.  Die  Prosa,  d)  Plülosopliie.  (§620.)    827 


den  trockenen  Lehrton  immer  wieder  durch  Fragen  zu  unterbrechen,  er- 
innert doch  lebhaft  an  das  Vorbild  der  platonischen  Dialoge.  Die  Sprache 
ist  kunstlos,  lässt  sogar  hier  und  da  grammatische  Korrektheit  vermissen, 
aber  trotzdem  ist  die  Darstellung  anziehend  und  fesselnd.  Ähnlich  wie 
Piaton  liebt  er  den  Schmuck  der  Bilder,  Mythen,  Allegorien;  viele  Ver- 
gleiche finden  sich  zuerst  bei  ihm,  so  der  von  dem  Jüngling,  der  sich 
durch  sinnliche  Reize  von  der  Klarheit  geistigen  Erkennens  abziehen  lässt, 
mit  dem  schonen  Narkissos,  den  das  Schattenbild  in  die  Tiefe  des  Wassers 
hinabzieht  (I  6,  18);  geistvoll  auch  und  neu  hat  er  das  Bleibende  im 
Wechsel  der  Erscheinungen  mit  dem  Schauspieler  verglichen,  der  derselbe 
bleibt,  während  er  Kleidung  und  Rolle  wechselt  (III  2,  5). 

620.  In  der  philosophischen  Lehre  fusst  Plotin  auf  Piaton,  den  richtig 
zu  verstehen  und  weiter  zu  entwickeln  er  sich  zur  Hauptaufgabe  gestellt 
hatte.  ^)  Daneben  hat  er  aber  auch  die  Errungenschaften  anderer  Philo- 
sopheme,  wie  die  Lehre  des  Aristoteles  von  den  Kategorien,  den  Sphären- 
bewegungen, dem  thätigen  und  leidenden  Nus,  gelegentlich  verwertet.^) 
Aber  trotzdem  teilte  er  nicht  die  Vielseitigkeit  des  geistigen  Interesses 
der  grossen  Denker  der  klassischen  Zeit;  er  lebte  ganz  in  der  einen  Idee 
des  reinen  Guten  und  Schönen,  das  im  Geiste  zu  schauen  die  höchste 
Seligkeit  und  zu  dem  sich  emporzuarbeiten  durch  Erkenntnis  der  Abbilder 
des  Schönen  in  der  Sinnenwelt  und  durch  Entäusserung  der  unreinen  Leib- 
lichkeit die  oberste  Lebensaufgabe  des  Weisen  sei.  Dadurch  aber,  dass 
er  immer  wieder  diesen  Grundgedanken  ausspricht  und  die  Darstellung 
ebenso  wenig  durch  die  Kunst  feiner  Ironie  als  die  Schärfe  schneidiger 
Polemik  belebt,^)  haben  seine  Schriften  etwas  von  der  Langweile  salbungs- 
reicher Kanzelreden.  Übrigens  ist  Plotin  ein  viel  zu  tiefer  Denker  und 
ein  zu  gewandter  Dialektiker,  als  dass  er  einfach  nur  die  Lehren  Piatons 
reproduzierte.  Er  geht  vielmehr  nur  von  den  Lehren  Piatons  aus,  um  die 
seine  Zeit  bewegenden  Fragen,  wie  Gott  am  reinsten  zu  fassen  sei,  wie 
die  Einheit  zur  Vielheit  komme,  wie  das  Schlechte  in  die  Welt  gekommen 
sei,  vermittels  des  Dualismus  und  der  transcendentalen  Ideenlehre  Piatons 
zu  lösen.  Zu  diesem  Behufe  nimmt  er  drei  Stufen  des  wahren  Seins  (ovaia) 
an :  das  mit  dem  Guten  wesenseine,  über  allem  konkreten  Sein  und  Denken 
erhabene  üreins  {xß-eog  ßamlsvg  II  9,  9,  nqoTidxioQ  V  5,  3),  den  sich  selbst 
denkenden,  auf  jenes  Eins  gerichteten  Geist  {yoig  und  vor/mg),  die  das 


1)  Plot.  V  18:  nXätmva  ei&ivM  ix  fxhp 
tayaäov  tov  vovv,  ix  <f^  yov  tijy  ^^XV^i 
xui  €tyai  TovV  Xoyovq  rova&e  f4rj  xairoüs 
fifj&i  vvp  aXkd  ndXni,  (Aky  slgija&ai  fifj 
ayanenritfÄiyiog,  tovg  da  vvv  Xoyovg  i^rjytjrdg 
ixelrtoy  yeyopivai. 

*)  Heraklit  und  Empedokles  sind  ihm 
Denker,  welche  schon  das  Richtige  ahnten, 
es  aber  nicht  zam  klaren  Aasdmck  brachten, 
8.  IV  8,  1  u.  5;  ähnlich  urteilt  er  von  Ana- 
xagoras  lY  1,  9.  Beachte,  dass  der  hera- 
klitische  Satz  vom  ocfoV  dvto  und  odog  xatw 
schon  von  Philon  in  der  Schrift  von  dem 
&b6n  der  göttlichen  Dinge  {Tlg  6  xcSy  &€la}y 


ngay/iättoy  xXrjQoyofiog  c.  13  u.  38)  für  seine 
Lehre  verwertet  wurde. 

')  Von  den  zeitgenössischen  Gregnem 
Plotins  erfahren  wir  aus  dessen  Schriften 
keine  Namen;  selbst  die  Schulen  (al^saeig), 
welche  er  bekämpft,  bezeichnet  er  nur  im 
allgemeinen,  so  dass  wir.  z.  B.  erst  durch 
die  von  Porphyrios  hinzugefügte  Ueberschrift 
TfQog  Tovc  yyoHTTixovg  bestimmt  erfahren, 
dass  das  interessante  Buch  II  9  gegen  die 
Gnostiker  gerichtet  ist.  Ueber  die  Beziehun- 
gen Plotins  zu  den  Gnostikem  s.  Zbller, 
Phil.  d.  Gr.  UP  2,  438  ff. 


828 


OrieohiBohe  LitteratiirgeMliielite.    n.  HachkUasiflohe  Littttratiir« 


Geistige  und  Sinnliche  vermittelnde,  den  Formen  des  Seienden  {rd  xSv 
ovT«»»  eTSrj)  innewohnende  Seele  (i;  tov  vorjtov  xoCfiov  ^vxrj).^)  Diesen 
drei  Stufen  des  wahren  Seins  stellt  er  auf  der  anderen  Seite  die  Materie 
{vlr^  entgegen,  die  zwar  keinen  Teil  am  wahrhaften  Sein  habe,  aber 
gleichwohl  von  Ewigkeit  her  existiere  und  Quelle  der  Notwendigkeit 
(arayxj;')  und  des  Schlechten  sei.  Die  diesseitige  Welt  (o  rySe  xofffiog) 
lässt  er  dadurch  entstanden  sein,  dass  Teile  des  göttlichen  Nus,  von  der 
himmlischen  Seele  ausströmende  Funken,  in  die  Materie  drangen  und  hie- 
nieden  die  unvollkommenen  Abbilder  (eidfoXa)  der  göttlichen  Ideen  (eTSr^) 
hervorbrachten.  Die  Menschenseele  ist  ihm  zwar  ein  Teil  der  oberen 
Seele,  aber  gehemmt  und  verunreinigt  durch  die  Gemeinschaft  mit  der 
Materie,  von  deren  Fesseln  sie  sich  zu  befreien  und  zur  Reinheit  des  göttr 
liehen  Geistes  zurückzukehren  habe;  so  vollziehe  sich  der  Doppel  weg,  dass 
einerseits  die  Gottheit  in  die  Welt  und  das  Endliche  sich  ergiesse  und 
anderseits  die  Seele  des  endlichen  Menschen  sich  wieder  zur  Gottheit  er- 
hebe. Man  kann  gegen  diesen  Lösungsversuch  einwenden,  dass  er  die 
der  platonischen  Auffassung  entgegenstehenden  Schwierigkeiten  nicht  im 
geringsten  hebt;  man  kann  des  weitern  im  plotinischen  System  die  Be- 
rücksichtigung der  realen  Verhältnisse  vermissen  und  in  der  Yoranstellung 
des  ekstatischen  Schauens  eine  Verkümmerung  des  verstandesmässigen 
Forschens  und  der  praktischen  Schaffenslust  erblicken;*)  aber  hohen  Seelen- 
adel und  Tiefe  der  Auffassung  wird  man  dem  letzten  der  grossen  Denker 
des  Altertums  nicht  absprechen  dürfen.  Auch  bleibt  derselbe  bei  aller 
Überspanntheit  doch  ,immer  noch  ein  echter,  an  seinen  alten  Göttern 
hängender  Hellene.^)  Er  zeigt  dieses  in  der  Bekämpfung  des  Aberglaubens 
der  Astrologie  (11  3),  in  dem  edlen  Optimismus,  mit  dem  er  das  Gute  und 
Schöne  wohl  ein  Hemmnis  in  der  sinnlichen  Materie  finden,  aber  schliess^ 
lieh  doch  immer  im  grossen  Ganzen  obsiegen  lässt, ^)  in  der  Befehdung 
der  finsteren  Lebensauffassung  der  Gnostiker,  welche  die  Welt  für  eine 
Schöpfung  des  bösen  Geistes  ausgaben  und  das  Licht  offener  Diskussion 
scheuten  (II  9),^)  zuletzt  und  nicht  zum  geringsten  in  dem  enthusiastischen 
Preis  des  Schönen,  das  ihm  von  dem  Guten  unzertrennlich  ist  (xaXa/ax^r) 


*)  Siehe  besonders  die  schöne  Abhand- 
lung IV  8;  ferner  IV  1;  11  3,  7;  II  9,  1. 

')  Ueber  den  hohen  Wert,  den  Plotin 
anf  das  Schauen  {&€<oQ€iy)  als  die  Erhebung 
zum  Höchsten  legt,  siehe  I  2,  3;  III  8,  6; 
IV  9,  3.  In  der  Abkehr  gegen  die  Sinnlich- 
keit geht  Plotin  so  weit,  dass  er  III  5,  1 
die  Begattung  fOr  eine  Sünde  erklftrt  («^  ngog 
fiUiv  exnTioais  afAaQxia\  freilich  so,  dass  er 
hintendrein  selbst  die  Ehrbarkeit  der  Ver- 
bindung des  Mannes  mit  der  Frau  zur  Er- 
haltung des  Geschlechtes  (ol  fiixtop  l^tora 
iQwyfeg,  l'ya  xal  ro  aei)  einräumt. 

')  Siehe  Lehbs,  GOtter  und  Dämonen, 
in  Pop.  Aufs.*  163.  Die  alten  Götter  des 
griechischen  Volksglaubens  lässt  Plotin  be- 
stehen, stellt  sie  aber  unter  dem  Namen 
tfaifioyeg  als  göttliche  Mächte  der  diesseitigen 


Welt  eine  Stufe  tiefer  als  den  Unrater  and 
die  wahren  Götter  {»eoi)  der  jenseitigeB 
Geisteswelt;  s.  III  5,  2. 

*)  III  2,  3:  öXoy  yng  n  inoifjce,  sc. 
^co;,  näyxaXov  xal  avzoQxes  xai  fptXoy  avim 
xal  toig  fjt6Q€CW  avtov.  II  3,  18:  ii  (i^  »« 
xax«,  dxBUg  av  ^y  x6  ndy  '  xai  yd^  Z?«*«^ 
td  noXXd  avTtoy  ij  td  ndyja  na^ix^tai  10 
öA^,  Xay^ye^  ^k  xd  nXsiffia  dkd  tl,  V^ 
II  9,  8;  I  7,  1. 

^)  Gegen  die  Gnostiker  ist  auch  die 
Polemik  bezQglich  des  Logos  gerichtet,  den 
die  Gnostiker  als  Mittler  zwischen  Gott  und 
Mensch,  himmlischer  und  irdischer  Welt  aos 
Philon  herQbergenommen  hatten,  dessen  Ein- 
schaltung aber  Plotin  als  treuerer  Interpret 
Piatons  fOr  nicht  nötig  hielt 


Bb)BOmiaohe  Periode  nach  Eonstantin.  8.  Die  Prosa,   d)  Piiiloaophie.  (§621.)     829 


und  ihn  zu   den  schönsten  seiner  Aufsätze  (I  6   negl  xaXov,  III  5   negl 
^^E^wTog,  V  8  negl  rov  vor/vov  xäXXovg)  begeistert  hat. 

Die  €k>diceB,  von  denen  keiner  ftlter  als  das  13.  Jahrhundert  ist,  gehen  aof  einen 
lackenhaften,  fehlerhaft  geschriebenen  Archetypus  zurück,  so  dass  der  Eonjekturalkritik 
ein  grosser  Spielraum  bleibt  Aufschluss  über  die  Handschriften  und  ihr  Verhältnis  gibt 
H.  F.  MOllbb  Herrn.  XIV  93— 118.  —  Eine  dem  Porphyrios  zugeschriebene  Paraphrase  der 
Bücher  IV — VI  kursierte  im  arabischen  Mittelalter  unter  dem  falschen  Titel  einer  Theologie 
des  Aristoteles;  davon  ist  der  arabische  Text  des  Abdallasch  Naima  aus  Emesa  mit 
lateinischer  üebersetzung  publiziert  von  Dibtebici^  Disputatio  prima  libri  Aristotelis  philo- 
sophi  qui  graece  vocatur  theologia,  ezplicatio  Porphyrii  Tyrii,  Lips.  1883.  —  Im  Abendland 
ist  Plotin  zuerst  in  der  lateinischen  Üebersetzung  des  Ficinus  bekannt  geworden,  Florenz 
1492.  —  Erste  Ausgabe  des  griechischen  Textes  erschien  zu  Basel  1580.  —  Kritische  Aus- 
gabe von  Grbuzek,  Oxonii  1835,  3  vol.,  iterum  ed.  Paris  1855;  Textausgabe  in  der  Bibl. 
Teubn.  von  Kibcbhoff  1856;  von  Volkmann  1883;  rec.  H.  F.  Müllbr  mit  Üebersetzung, 
Berl.  1878.  —  Kibchnbb,  Die  Philos.  des  Plotin,  1874;  Zbllbb,  Phil.  d.  Gr.  IIl»  2,  466—631. 

621.  Porphyrios  aus  Tyrus  (283  bis  ca.  304) i)  war  der  bedeutendste 
Schüler  Plotins  und  zugleich  Herausgeber  seiner  Werke.  Anfangs  widmete 
er  sich  in  Athen  unter  der  Leitung  des  Longin  grammatischen  und  rhe- 
torischen Studien ;  ^)  262  kam  er  nach  Bom  und  schloss  sich  bald  ganz  der 
philosophischen  Richtung  des  Plotin  an.  Von  tiefer  Melancholie  und  Lebens- 
flucht befallen,  ward  er  durch  seines  Lehrers  väterlichen  Zuspruch  wieder 
aufgerichtet,  war  aber  zur  Zeit  von  dessen  Tod  in  Sikilien  abwesend.  Nach 
fun^ahriger  Abwesenheit  kehrte  er  wieder  nach  Bom  zurück,  begann  unter 
Aurelian  eine  selbständige  Thätigkeit  zu  entfalten  und  wirkte  bis  in  die 
Zeit  der  Begierung  Diokletians  hinein.^)  Seine  Thätigkeit  scheint  mehr 
die  eines  Schriftstellers  als  eines  Lehrers  gewesen  zu  sein  und  erstreckte 
sich  nicht  bloss  auf  Philosophie,  sondern  auch  auf  Grammatik  und  Historie. 
Ein  tiefer  Denker  war  er  nicht;  das  sieht  man  schon  an  seiner  am  Äusseren 
haftenden  Darstellung  des  Lebens  seines  Lehrers.  Von  Eunapios  wird  ihm 
hauptsächlich  die  Kunst  nachgerühmt,  durch  klare  Darstellung  die  dunkle 
Lehre  Plotins  dem  allgemeinen  Verständnis  näher  gebracht  zu  haben.  Auf 
das  Mittelalter  übte  er  als  Vermittler  der  aristotelischen  Logik  einen  ausser- 
ordentlichen Einfluss. 

Die  zahlreichen  Schriften  des  Porphyrios,  von  denen  uns  Suidas  ein 
Verzeichnis,  aber  ein  unvollständiges,  gibt,  gehören  nur  zum  Teil  der 
spekulativen  Philosophie  an;  viele  beziehen  sich  auf  die  Geschichte  der 
Philosophie  und  die  Erklärung  der  älteren  philosophischen  Werke,  andere 
faUen  ganz  in  das  Gebiet  der  Grammatik  und  Geschichte.^)  Von  den  er- 
haltenen beschäftigen  sich  mit  Plotin  die  schon  besprochene  Schrift  ne^i 
nkonh'ov  ßiou  xal  Trjg  rd^ecog  tcov  ßißXiiov  avrov  und  die  damit  zusammen- 
hängenden, die  Hauptgedanken  der  Lehre  Plotins  enthaltenden  UifOQfiai 
nqoq  xd  vor/rd.^)  —  Der  Uv&ayoQov  ßiog   bildete  ursprünglich   einen  Teil 


*)  Suidas  unt.  üoQtpvQiog,  Eunapios  Vit 
soph.  p.  455  Didot;  manches  enthält  seine 
Vit.  Plotini.  Neuere  Litteratnr:  Lüoas  Hol- 
BTEBius,  De  yita  et  scriptis  Porphyrii,  Cant. 
1655;  Stxinbabt  in  Pauly's  Realencykl.  Sein 
heimischer  Name  war  Malchos,  den  seine 
Verehrer  mit  Baa^Xevg  wiedergaben. 

*)  Seinem  Lehrer  Longin  setzt  er  ein 
Denkmal  in  einem  Abschnitt  der  ^iXoXoyog 
Uno^ia  bei  Eusebios  pr.  ev.  X  3. 


*)  Suidas:  yeyoytSg  im  ttSv  xQoytov  Av- 
QfjXiavov  xal  naQaxsiyag  itog  JioxXrjtiayov 
rov  ßaaiXidtg. 

*)  üeber  einen  Dialog  des  Porphyrios 
siehe  Hirzel,  Der  Dialog  II  861. 

*)  Unter  dem  nach  Volkmann's  Urteil 
(ed.  Plot.  vol.  II  praef.)  erdichteten  Namen 
des  Porphyrios  ging  auch  die  oben  erwähnte, 
aus  dem  Arabischen  bekannt  gewordene 
Paraphrase  der  3  letzten  Bttcher  des  Plotin. 


830 


Qri«obüiohe  Littermtitrgeftoliiolite.    II.  VaohklasBiflohe  Litterator. 


des  1.  Buches  der  <DU6<Toq>og  laxoqla^^)  welche  aus  vier  Büchern  bestand, 
aber  bloss  bis  auf  Piaton  herabging.  Das  erhaltene  Leben  des  Pjrthagoras 
ist  am  Schluss  verstümmelt;  die  Übereinstimmungen  desselben  mit  dem 
gleichnamigen,  umfangreicheren  Buche  des  lamblichos  ist  auf  die  Benützung 
der  gleichen  Quellen,  vorzüglich  des  Nikomachos,  ApoUonios  und  Antonios 
Diogenes  zurückzuführen.  —  Neben  der  <DiXiaoq>aq  taxoqia  schrieb  Plotin  eine 
^DiXoXoyog  taxoqia  (axqoaaig  bei  Euseb.),  aus  der  uns  der  Kirchenvater 
Eusebios  Praep.  ev.  X  3  einen  interessanten  Abschnitt  mitteilt,  in  dem  von 
der  litterarischen  Freibeuterei  der  Alten,  wie  des  Ephoros,  Theopomp, 
Hypereides,  Herodot,  Piaton,  auf  Grund  älterer  Forschungen  gehandelt 
ist.  —  Die  Schrift  neQi  ano%riq  ifiipvxünv  in  4  B.,  von  denen  der  Schluss 
des  letzten  fehlt,  ist  an  Firmus  Castricius,  den  Mitschüler  Plotins,  ge- 
richtet und  empfiehlt  die  Enthaltung  von  Fleischspeisen  unter  Verwerfung 
des  Tieropfers.  Der  Wert  der  Abhandlung  besteht  hauptsächlich  darin, 
dass  in  ihr  die  Meinungen  der  älteren  Philosophen  meist  wörtlich  an- 
geführt sind  und  namentlich  das  Buch  des  Theophrast  nsQl  evasßeiaq  aus- 
giebig benutzt  ist.^)  —  Das  Buch  nqog  MaqxsXXav  ist  ein  Erbauungs- 
schreiben an  Marcella,  die  Porphyrios  ihres  philosophischen  Geistes  wegen, 
wiewohl  sie  Witwe  von  sieben  Kindern  und  weder  er  noch  sie  mit  zeit- 
lichen Gütern  gesegnet  war,  zur  Frau  genommen  hatte.*)  —  In  das  Gebiet 
der  Grammatik  greift  über  die  Abhandlung  negl  tov  iv  ^Odvaasiijt  %wy 
Nvfi^wv  ävTQoVy  die  den  unglücklichen  Versuch  enthält,  die  Stelle  der 
Odyssee  von  der  Nymphengrotte  (Od.  €  102—112),  weil  eine  solche  sich 
in  Wirklichkeit  in  Ithaka  nicht  finde,  als  Allegorie  zu  fassen  und  auf 
den  Kosmos  zu  deuten.  Ebenso  nichtige  Ausgeburten  verkehrter  Inter- 
pretation enthalten  die  VfirjQixd  ^rjTrjfiaTa,^)  und  nicht  besser  werden  die 
verlorenen  Abhandlungen  neql  v^g  XyfirjQov  q>iXo(roq>{ag  und  ne^l  twv  na^- 
XeXeififievwv  Tip  noirjTr^  ovofiarwv'^)  gewesen  sein.*)  Allegorien  suchte  Por- 
phyrios auch  in  der  Fabel  negi  STvyog,  wie  uns  die  Bruchstücke  bei 
Stobaios  lehren.  —  Von  den  Kommentaren  des  Porphsrrios  ist  uns  ausser 
der  Erläuterung  zur  Harmonik  des  Ptolemaios  die  Einleitung  zu  den 
Kategorien  des  Aristoteles  {elttayoayr^  elg  tag  'AQiffroTäXovg  xctrrjyoQiag 
und  c^i^yrjaig  elg  rag  *Aqi<tt,  xarrjyoqiag  xard  nevaiv  xal  arroxQimv)  ^)  er- 
halten. Dieselbe  wurde  selbst  wieder  von  Ammonios  Hermeiu,  Joannes 
Philoponos,  Theodoros  Prodromos,  Boetius  kommentiert  und  galt  im  Mittel- 
alter als  Kompendium  der  Logik,  ^j  —  Für  seinen  Piaton  gegen  die  Angriffe 


^)  Dieselbe  wird  auch  als  <pi^X6<ro<pos 
XQoroyQatpia  citiert. 

*)  J.  Bebnays,  Theophrastos  Schrift  über 
Frömmigkeit,  Ber.  1866.  —  Unserem  Por- 
phyrios wird  auch  das  unter  Galens  Namen 
überkommene  Büchlein  n€(}i  tov  tkJ;  ifA^it- 
XovxM  xa  IfxßQva  zugewiesen  von  Kalb- 
fleisch, Abhdl.  der  Berl.  Ak,  1895. 

')  Das  Schreiben  ist  eine  Mosaikarbeit, 
zu  der  die  Steinchen  allwärts  hergenommen 
sind;  s.  Üseneb,  Epicurea  p.  LVIII  sqq. 
Durch  unverschämte  Verleumdung  wird  der 
Edelmut   des  Philosophen  in  Habsucht  um- 


gewandelt in  X^tjitfiol  rtov  *Elkfjyixtay  ^ew^ 
n.  85. 

*)  Vgl.  oben  §  43. 

&)  SchoL  Hom.  r  250  u.  314. 

^)  Ueber  die  ähnliche  Schrift  ne^  imr 
xttttt  Illv6aQO¥  tov  NeiXov  ntiymtf  s.  BsifiK 
zu  Pind.  fr.  252. 

^)  Daneben  hatte  er  einen  ausführlichen 
Kommentar  zu  den  Kategorien  in  7  B^  ferner 
einen  ne^  kgfiifvsiag  und  zur  Physik  ge- 
schrieben; s.  Zbllbb  II>  2,  640  f. 

8)  Vgl.  Prartl,  Geach.  d.  Logik  1 626  f. 
und  oben  p.  489. 


B  b)BömiBo]ie  Periode  nach  Eonstaatin.  8.  Die  Prosa,  d)  Piülosophie.    (§622.)    831 


des  Rbetors  Aristides  trat  er  in  der  verlorenen  Schrift  n^og  'ÄQiarstSrjv  in 
7  B.  ein.  —  Aus  den  historischen  Studien  des  betriebsamen  Autors  waren 
die  Chronika  und  die  Schrift  nQog  &ovxvd(iov  ngootfxiov  hervorgegangen; 
von  den  XQovtxd,  einem  bis  auf  270  n.  Chr.  herabgehenden  Kompendium 
der  Geschichte,  war  bereits  oben  §  592  die  Rede. 

Den  religiösen  Fragen,  die  bei  den  Neuplatonikern  einen  Hauptgegen- 
stand  weniger  des  Forschens  als  der  ahnenden  Spekulation  bildeten,  ist  der 
Brief  an  den  ägyptischen  Priester  Anebon  gewidnet;  derselbe  rief  die 
Entgegnung  des  lamblichos  hervor  und  wird  häufig  von  Eusebios,  Kyrillos 
and  Augustin  angezogen.^)  Interessanter  ist  die  leider  nur  fragmentarisch, 
zumeist  durch  Eusebios  erhaltene  Schrift  nsgi  Ttjg  ix  XoyCwv  (fiXoao(piag,  in 
der  sich  Porphyrios  zum  Glauben  an  den  Humbug  der  Orakel  und  den 
Hexensahbath  der  synkretistischen  Gotteslehre  bekannte,  indem  er  aus  an- 
geblichen Orakeln  des  Apoll,  der  Hekate  und  anderer  Götter  Beweise  für 
seine  theosophischen  Ansichten  zu  gewinnen  suchte.  Vielen  Staub  hatte 
zu  ihrer  Zeit  die  oft  von  den  Kirchenvätern  erwähnte  Schrift  xatd  X^i- 
atiavwv  in  15  B.  aufgewirbelt;  dieselbe  enthielt  eine  scharfe  Polemik 
gegen  das  Christentum  und  rief  Gegenschriften  des  Eusebios,  ApoUinarios, 
Methodios  und  Makarios  hervor. 

Porphyrii  opnsc.  selecta  ed.  Nauck,  (Vita  Pyth.,  de  antro  Nymph.,  de  abstin.,  ad 
Marc.)  ed.  II,  Lips.  1886.  —  Vita  Pythag.  zusammeD  mit  des  lamblicnoB  vit.  Pyth.  von 
KiBssLiNO,  Lips.  1816.  -^  Porphyrii  Quaest.  Homer,  ed.  Sohradeb,  Ups.  1880.  —  Poiph. 
atfOQfiai  ngog  td  yotjxtt,  in  Cbeüzbks  Ausgabe  des  Plotin,  Par.  1855  p.  XXXI— L.  —  Die 
Kommentare  zu  Aristoteles  Kategorien  mit  der  Uebersetzung  des  Boethius  in  Comment.  in 
Aristot.  t.  rV  1  ed.  Büssb,  Berl.  1887.  —  Porphyrii  de  philosophia  ex  oractdis  haorienda 
librorum  reliqniae,  ed.  Güst.  Wolff,  Berlin  1856,  Hauptwerk,  dazu  Bbbkats,  Ges.  Abh.  II 
286  ff.,  BuRXSCH,  Klares,  Ups.  1889.  —  Eine  Gesamtausgabe  mit  Sammlung  der  Fragmente 
steht  noch  aus. 

622.  lamblichos  (gest.  um  830)«)  von  Chalkis  in  Kölesyrien,  Schüler 
des  Anatolios  und  Porphyrios,  lebte  unter  Konstantin  und  ist  Hauptvertreter 
der  phantastischen  Dämonenlehre,  in  welche  der  Neuplatonismus  ausartete. 
Die  unverdiente  Bewunderung,  welche  die  Anhänger  des  untergehenden 
Heidentums  diesem  mystischen  Schwätzer  und  unselbständigen  Kompilator 
schenkten,»)  erklärt  die  Erhaltung  so  vieler  seiner  Schriften,  für  die  wir 
gern  Besseres  aus  alter  Zeit  in  Kauf  nähmen.  Erhalten  sind  uns  von  ihm 
die  Schriften  negi  tov  nv&ayoQeiov  ßtov,  Xoyog  nqoxQemixog  elg  ifikoaoif(av^^) 
n€Ql  TTig  xoivvfi  [laxhjfiaTixTJg  e7Ti(fti^firjg,  negl  v^g  NixofAccxov  dgid firjTixijg 
HC^xyviyijgy  d'eoXoyovfXBva  ccQix^fiTjrix^g^  ^Aßdfifxwvog  SiSaffxdXov  nqdg  trjv  Iloq- 


^)  Der  merkwürdige  Brief  ist  aus  den 
Anfahrungen  wieder  hergestellt  von  Thom. 
Galb  in  der  Ausg.  des  lamblichus,  De  my- 
sterüs  Aegyptiorum  1878,  und  Pabthey, 
lamblichi  de  mysterüs  lib.  Berlin  1857  p. 
XXIX  sqq. 

^)  Ausser  dem  Artikel  des  Suidas  eine 
Vita  bei  Eunapios  Vit.  soph.  p.  457  ff. 

•)  Pseudo-Iulian  ep.  34:  cv  ye  ov  niv- 
SaQoy  fAoyov  ov^h  Jt^uoxQtioy  ij  'Og^ea  tov 
nakaioiatoVy  aXXa  xai  avfinay  ofitHg  to  'EX- 
Xfjrixoy,  oTtocoy  sig  äxQov  ffiXocofpiag  iXdsTy 
ftyfjfÄoyeverniy    xadttneg    iy   Xv^ijc    notxiXmy 


(pSoyytoy  iyaQfioyi(^  üvctdaBi,  ngog  to  iy- 
leXig  Tijg  fjLovavxrjg  xegdaag  ex^tg.  Nicht 
bloss  in  den  untergeschobenen  Briefen,  auch 
in  den  echten  Schriften  spricht  lulian,  wenn 
auch  in  gedämpfterem  Ton,  von  dem  xXeiyog 
iBQOfpuyxrig  *IäfjißXixog. 

^)  Die  Schrift  trägt  den  gleichen  Titel 
wie  eine  der  populären  Schriften  des  Aristo- 
teles (s.  §  314).  Dass  dieselbe  von  lambli- 
chos hier  und  in  dem  Brief  bei  Stob.  ecl.  II 
2,  6  benutzt  sei,  zeigen  Bywatbr  Joum.  of 
philol.  II  55  f.  und  Diels  Arch.  f.  Gesch.  d. 
Philos.  I  477  f. 


832 


Chneohiflolie  LÜteratnrgettoliiolite.    H.  Hftohklawdsohe  littentiir. 


ifVQiov  TiQog  'Aveßw  iniittoXrjv  änoxQiifig.^)  Am  wichtigsten  ist  das  Leben  des 
Pythagoras;  aber  auch  dieses  ist  eine  unkritische  Kompilatien  aus  älteren 
Werken,  durch  die  uns  indes  manche  anziehende  Erzählung,  wie  die  von 
Dämon  und  Phintias  (c.  33),  nach  der  Schiller  seine  Bürgschaft  dichtete, 
erhalten  ist.  Die  beiden  Hauptquellen,  die  lamblichos  nebeneinander, 
zum  Teil  mit  lästigen  Wiederholungen  abschrieb,  waren  Nikomachos  und 
Apollonios;  aus  dem  ersteren  sind  auch  mehrere  wertvolle  Notizen  aus 
älteren  Autoren,  wie  Ps.  Aristoteles  negi  ilv&aYOQeifov^  Aristoxenos  und 
Dikäarch   geflossen.') 

Kritiache  Ausgabe  der  Vita  Pythagorica  von  Naück,  Petrop.  1884;  ttber  die  hand< 
schriftlichen  Quellen  Pistblli  Mob.  ital.  di  antich.  class.  11  457 ;  der  beste  Codex  ist  Laor. 
86,  3  s.  XIY,  wahrscheinlich  der  Archetypos  aller  anderen.  —  Adhort.  ad  philos.  rec.  Kins- 
UNo,  Lips.  1823;  ad  fidem  cod.  florentini  ed.  Pistrlli,  in  Bibl.  Teubn.  1888;  von  demselben 
De  mathematica  scientia.  —  De  Nicomachi  arithm.  ed.  Tbnhvllius,  Devenier  1667;  ed. 
Festa  in  Bibl.  Teubn.  —  Theologumena  ed.  Ast,  Lips.  1817.  —  lamblichi  de  mysteriia 
A6g3rptiorum  ed.  Pabthey,  Berl.  1857. 

623.  Proklos  (410—485),*)  der  Lykier  genannt  von  der  lykischen 
Stadt  Xanthos,  wo  er  erzogen  wurde,  ist  der  angesehenste  jener  achtbaren 
Schar  von  Philosophen,  welche  im  5.  Jahrhundert  die  Fahne  der  alten 
Philosophie  und  Bildung  gegen  die  andrängende  Phalanx  christlicher 
Eiferer  aufrecht  erhielt.  In  Alexandria,  durch  den  Aristoteliker  Olympio- 
doros  in  die  Philosophie  eingeführt,  ward  er  in  Athen  eifriger  Anhänger 
der  Neuplatoniker  Plutarch  und  Syrian  und  folgte  dem  letzteren  um  450  anf 
dem  Lehrstuhl  der  Philosophie  in  Athen,  wovon  er  den  Zunamen  Diadochos, 
d.  h.  Nachfolger  erhielt.  Bei  seinen  Zeitgenossen  genoss  er,  wie  uns  sein 
Biograph  Marines  bezeugt,  durch  seine  Gelehrsamkeit,  Frömmigkeit  und 
wunderthätige  Kraft  ein  ausserordentliches,  uns  schwer  begreifliches  An- 
sehen. Dem  religiösen  Zug  seiner  Zeit  folgend,  hatte  er  sich  auch  in  die 
eleusinischen  Mysterien  einweihen  lassen.^)  Den  Tod  erlitt  er  485  in 
hohem  Alter;  seine  von  ihm  selbst  verfasste,  durch  seinen  Biographen 
Marines  und  die  Anthologie  7,  341  erhaltene  Grabschrift  lautete: 
ÜQOxkog  eyci  YBVoixrjv  Avxtoq  yävog^  ov  2vQiav6g 

ivx^di'  afioißov  iijg  &Qäip€  diSaaxaktrjg, 
^vvoQ  d'  dfi(poTeQ(üv  ods  <t(afiaza  ii^cno  Tvfißog, 
ca&€  i^  xai  tpvx^cg  x^Q^^  ^**S  A^Aa^oi. 

Seine  mehr  zahlreichen  als  inhaltreichen  Werke  ^)  galten  zum  grösseren 
Teil  der  Erklärung  der  Dialoge  Piatons  und  der  Deutung  derselben  zu 
Gunsten  der  neuplatonischen  Lehre  vom  Eins   und  Guten.     Auf  uns  ge- 


M  Näheres  bei  Zeller,  Philos.  d.  Gr.  HP 
2,  681  ff.;  über  die  Zweifel  an  der  Echtheit 
der  letztgenannten  Schrift  ebenda  p.  715  f.; 
Bkrok,  Gr.  Litt.  lY  470  schreibt  sie  einem  ge- 
borenen Aegypter  und  Schüler  des  lamblichos 
zu.  Nicht  erhalten  ist  Xak&aXxrj  zeXeiotartj 
^eoXoyia,  von  der  Damaecius  de  princ.  43 
ein  28.  Buch  citiert.  Eunapios,  Vit.  soph.  hat 
unter  lamblichos  einen  breiten  Bericnt  aus 
dessen  Biographie  des  Rhetors  Alypios  ge- 
liefert. 

')  RoHDB,  Die  Quellen  des  lamblichos 
in  seiner  Biographie  des  Pythagoras,  Rh.  M. 


26,  552  ff,  27,  28  ff. 

')  Suidas  unt.  IIqoxXo^  6  Avxiog,  Marines 
ÜQoxXog  fj  negi  evdaifjiovlaq  ed.  Boissonade, 
Par.  1850;  Frbcdbkthal  in  Herrn.  16,201  ff.; 
R.  Scholl  in  Ausg.  der  Conunent  in  PLaL 
de  rep.  p.  4  f.  Das  von  Marinos  c  35  mit- 
geteilte Horoskop  führt  anf  das  Jahr  412  aJs 
Geburtsjahr,  scheint  aber  auf  fehlerhafter 
Rechnung  zu  beruhen;  s.  Fbbudbhthal  Rh. 
M.  43,  486  ff. 

^)  Maass,  Orpheus  8.  15. 

8)  Siehe  Zbllbr,  Phü.  d.  Gr.  HI»  2, 778  ff. 


Bb)ROmiaohe  Periode  nach  Konstantin.  8.  Die  Prosa,  d)  Philosophie.  (§§623—624.)  833 

kommen  und  nach  und  nach  auch  durch  den  Druck  veröffentlicht  sind  die 
weitläufigen  Kommentare  zum  ersten  Alkibiades,  zum  Parmenides,  ^)  zur 
Politeia,  zu  Timaios,  Eratylos.  In  freierer  Form  sind  diese  Anschauungen 
entwickelt  in  der  Schrift  Ttegl  xfjg  xaxd  nXdrwva  v^sokoyfag.  Auch  mit 
der  Erklärung  der  logischen  Schriften  des  Aristoteles  hatte  sich  Proklos 
abgegeben,  doch  ist  nichts  davon  erhalten.*)  Die  Hauptsätze  der  neu- 
platonischen  Philosophie  enthalten  die  kompendiarischen  Schriften  2toi.x€i(oaig 
&€oXoyixij  in  211  Kapiteln*)  und  die  SToixefcomg  (pvaixrj  ij  nsqi  xivi^aecog, 
sowie  die  nur  in  der  lateinischen  Uebersetzung  des  Wilhelm  von  Mörbecke 
auf  uns  gekommenen  Bücher  von  der  menschlichen  Freiheit,  von  der  Vor- 
sehung, von  dem  Übel.  Auch  in  Versen  hat  Proklos  seine  theosophischen 
Gedanken  ausgedrückt  ia  den  bereits  oben  §  587  erwähnten  Hymnen.  Der 
Mangel  an  klarer  Bestimmtheit  und  schöpferischer  Originalität,  welcher 
des  Proklos  philosophische  Schriften  kennzeichnet,  findet  sich  auch  in 
seinen  sonstigen  enkyklopädischen  Arbeiten,  in  seinen  Kommentaren  zu 
Hesiod,*)  Euklid,  Ptolemaios  und  in  dem  Buche  nsgl  aipaiqag.  Gehalt- 
reicher und  exakter  ist  die  grammatische  Chrestomathie,  die  eben  deshalb 
einem  anderen,  älteren  Grammatiker  Proklos  anzugehören  scheint.^)  Nach 
Suidas  hatte  er  auch  eine  Streitschrift  gegen  die  Christen  in  18  B.  ver- 
fasst  {inix^iQYiiiaxa  tr/  xaxd  XQiauavcov),  die  eine  Entgegnung-  von  Joannes 
Philoponos  fand.  Wahrscheinlich  war  dieselbe  nicht  verschieden  von  der 
auf  Piaton  fussenden  aToi^xsmaig  x^eoXoyfxr^  gegen  die  der  christliche 
Philosoph  Prokopios  von  Gaza  eine  Erwiderung  (avTiQQrjiXig  elg  %d 
IJqoxXov  ^eokoytxd  x€(pdi,aia)  schrieb,  welche  uns  dem  Hauptinhalt  nach 
in  der  Schrift  UvdnTv^ig  rijg  d^soXoyixrfi  axoixsid^ewg  UqoxXov  des  byzan- 
tinischen Theologen  Nikolaos  von  Methone  (12.  Jahrhundert)  erhalten 
ist.^)  Von  seinem  Kommentar  zu  den  heiligen  Schriften  (Xoyia)  der  Chaldäer 
sind  neuerdings  unbedeutende  Eklogen  ans  Licht  gekommen.  Wenig  in 
die  Richtung  unseres  Philosophen  passt  die  in  anderen  Handschriften  dem 
Rhetor  Libanios  zugeschriebene  elementare  Schrift  über  den  Briefstil  {ttcqI 
imaxoXiiiaiov  x^Q^^^fJQog). 

Procli  opera  ed.  Cousin,  Par.  1820—7,  6  vol.,  2.  Aafl.  in  einem  Band  1864,  enthftlt 
die  Kommentare  zu  Piatons  Alkibiades  I,  Parmenides  (unvollständig)  und  die  drei  latein. 
Schriften.  —  Comment.  in  Plat.  Parm.  ed.  Stallbaux  1839;  in  Plat.  Timaeum  ed.  Chr. 
ScHHSiDBB  1847;  in  Plat.  de  rep.  ed.  R.  Sohöll,  Berol.  1886,  ed.  Pitra  Spicil.  Solesm.  t.  V.  — 
£tmX'  ^eoX.  in  Crkuzkrs  Ausgabe  des  Plotin,  Par.  1855  p.  LI — CXVII;  £toix>  (pvaixtj  ed.  Gry- 
9AB1T8,  Basil.  1531 ;  ns^l  rijs  xatd  JlXäTwya  &BoXoyias  interpr.  Aemil.  Portus,  Hamb.  1618. 
UqoxXov  ix  T^g  XaXSaixijs  (piXoaofpiag  ed.  Alb.  Jahn;  accedit  Hymnus  in  deum  Platonicus, 
vulgo  Georgio  Nazianzeno  adscriptus,  Halle  1891.  ~  negi  imaToXtjuaiov  /«^«jfrjy^off  ed. 
Wbbtrbmann,  Lips.  1856;  auch  zusammen  mit  Demetrii  Phalerei  rvnoi  äniaioXixoL  heraus- 
gegeben von  Hebcrbb,  Epistologr.  gr.  p.  1— 18.    Eine  kürzere  Fassung  der  Schrift  gab  aus 


*)  Der  Kommentar  umfasst  7  B.;  ein  8. 
f&gte  Damaskios  hinzu. 

*)  Pbantl,  Gesch.  d.  Log.  I  641  f. 

*)  Davon  ein  Auszug  ist  das  von  einem 
Araber  gefertigte,  in  lateinischer  uebersetzung 
im  Abendland  verbreitete  ps.-aristoteb'sche 
Bach  de  causis,  herausgegeben  von  Babden- 
hbwbr,  IVeiburg  1882.  Vgl.  Hanebbro,  üeber 
die  neuplatonische  Schrift  von  den  Ursachen, 
Stzb.  d.  b.  Ak.  1863  I  261  ff. 

^)  Willkommene  Gelegenheit,  seine  Dä- 
Hudbnch  der  klMs.  Altertnmswinenachaft.  VU.    8.  Aufl,  53 


monen  unterzubringen,  gab  dem  Proklos  die 
Stelle  Hes.  Erga  352  rglg  yäg  fdVQioi  shlv 
inl  x^^oyl  TtovXvßoreiQn  tt&äv(tTOi  Zrjyog  q>V' 
Xnxsg  (^vrjxiav  avdQioJitav, 

*)  Darttber  unten  §  637. 

')  Das  Verhältnis  aufgedeckt  von  Russos, 
TQBig  raCmoif  1893,  weiter  ausgeführt  von 
Dräbeke,  Byz.  Zeitschr.  VI  (1897)  55  ff.;  vgl. 
§  692,  und  über  die  Gegenschrift  des  Philo- 
ponos §  698. 


834  Griechische  Lüteratnrgeechiohte.    11.  VachklaMiMhe  Idtteraior. 

Handschriften  des  Vatikan  heraus  H.  Hinck  in  Jahrb.  f&r  Phil.  99  (1869)  537-^562;  vgl 
Kbumbacbbb  Byz.  Litt*  452  f.  —  Ueber  den  Irrtum,  dass  bei  Suidas  dem  Syrianus  dieeelben 
Werke  wie  dem  Proklos  beigelegt  werden,  s.  Daub,  De  Suidae  biogr.  p.  408. 

624.  Auf  Proklos  war  gefolgt  sein  Biograph  Marinos,  auf  diesen 
Isidor,  Hegias  und  zuletzt  Damaskios,  der  die  Auflösung  der  Philosophen- 
schule  in  Athen  erlebte,  und  im  Jahre  529  mit  Simplicius,  Diogenes,  Her- 
meias,  Isidoros,  Eulalios,  Priscianus  nach  Persien  auswandern  musste.  Von 
Damaskios  sind  uns  erhalten  ein  Buch  nsq!  xmv  rtQciTfov  a^x^)',^)  Kom- 
mentare zu  Aristoteles  und  ein  Auszug  aus  dem  Leben  Isidors  (Phoidos  cod. 
181  und  242).  Von  Priscian  haben  wir  in  lateinischer  Übersetzung 
Solutiones  eorum  de  quibus  dubitauü  Chosroes  Persarum  rex,  in  denen  unter 
anderm  die  <Dv<Tixai  So^ai  des  Theophrast,  die  Meteorologika  des  Geminos 
und  die  JSvfifiixra  fijrijjwara  des  Porphyrius  benutzt  sind.")  Simplicius 
haben  wir  bereits  oben  als  ausgezeichneten  Kommentator  der  physika- 
lischen Schriften  «des  Aristoteles  kennen  gelernt. 

Zeitgenosse  des  Proklos  war  Hierokles  aus  Alexandria, ^)  ein  an- 
gesehener Philosoph,  der  auch  eine  Zeitlang  in  Konstantinopel  weilte,  dort 
aber  bei  den  Machthabern  solchen  Anstoss  erregte,  dass  er  in  den  Kerker 
geworfen  und  blutig  geschlagen  wurde. ^)  Ausser  Kommentaren  zu  Piatons 
Gorgias,  die  sein  Schüler  Theosebios  herausgab,  ^)  schrieb  er  eine  weitläufige 
Erläuterung  zu  den  Goldenen  Sprüchen  des  Pythagoras.  Dieser  in  kor- 
rekter Sprache  und  in  weihevollem  Ton  geschriebene  Kommentar  (h^ 
xXt'ovg  Tov  (fiXoaoifov  slg  vd  t<3v  nv^ayogeicov  xqvaä  iirr^  vnofivtjfia)  stand 
bei  den  Gelehrten  des  Mittelalters  und  der  Renaissance  in  hohem  Ansehen 
und  ist  vollständig  auf  uns  gekommen.^)  Überdies  haben  wir  von  Photios 
bibl.  cod.  214  u.  251  Auszüge  aus  dem  Werke  negl  nqovoiaq  xal  elfiOQ- 
fisvrjg  in  7B.,  das  unser  Philosoph  als  Trostschrift  an  seinen  Gönner  Olympio- 
dor  gerichtet  hatte.  Mehrere  andere  seiner  Schriften,  insbesondere  die  Streit- 
schrift Tiva  TQOTiov  x^soTg  xqi^aräov^  citiert  und  benutzt  Stobaios  ecl.  phys.  c.  7.^) 

Zu  den  Neuplatonikern  gehört  auch  Salus tius,  den  wir  schon  oben 
als  Zeitgenossen  und  Freund  des  Kaisers  Julian  kennen  gelernt  haben.  ^) 
Von  ihm  ist  ein  Buch  neqi  x^eäv  xal  xocfiov  auf  uns  gekommen,  das  in 
21  Kapiteln  gewissermassen  einen  Katechismus  der  theologischen  Lehre  der 
Neuplatoniker  enthält.»)  In  diesem  Charakter  des  Buches  ist  es  begründet, 
dass  es  nicht  tief  auf  die  einzelnen  Fragen  eingeht;  aber  wer  sich  über 

»)  Damascius  bei  Photins  Bibl.  p.  338^  35. 

*)  Abgedruckt  ist  derselbe  von  Mullacb 
FPG  t.  I  p.  416-484. 

')  Von  einem  Hierokles,  schwerlich  dem 
unsrigen,  rOhrt  auch  eine  Sammlung  Toa 
Anekdoten  her,  worüber  s.  §  640. 

^)  Verschieden  von  diesem  ist  derRhetor 
und  Sophist  Salustius  Syrus,  der  dem 
Anfang  des  6.  Jahrhunderts  angehörte  and 
als  tre£Elicher,  ged&chtniastarker  Kenner  des 
Demosthenes  und  Nonnos  in  Alezandria  das 
grosse  Wort  führte;  s.  Damaskios  bei  Photios 
cod.  242  und  Suidas  s.  h.  y.  Von  ihm  rthrea 
wahrscheinlich  die  Scholien  zu  Sophokles  nnd 
Herodot  her. 

^)  Wiederabgedruckt  ist  dasselbe  in 
MuLLAOH  FPÜ  m  80—50. 


^)  Herausgegeben  von  Kopp,  Frankfurt 
1826;  aber  diese  am  Schluss  verstOmmelte 
Schrift  und  die  mit  derselben  vordem  irr- 
tümlich vereinigten  ano^lai  xai  iniXvaeis  zu 
des  Proklos  Kommentar  über  Piatons  Par- 
menides  s.  E.  Hbitz,  Der  Philosoph  Damas- 
kius,  in  Strassb.  Abhandl.  zur  Philos.,  Frei- 
burg 1884  S.  1—25.  —  Ausserdem  erwähnt 
Photios  cod.  130  von  Damaskios  nagado^o^ 
Xoyoi  in  4  B. 

*)  Neubearbeitet  von  Bywatbb,  Aristot. 
Bupplem.  I  2.  Die  Schrift  des  Priscian  de 
ventis  ist  von  Val.  Rosb,  An.  gr.  I  53—58 
herausgegeben. 

*)  Ueber  die  verschiedenen  Hierokles  s. 
Behr  in  Pauly's  Realenc. 

*)  Suidas  unt.  'Ugoxkijs. 


B  b)  Bömisobe  Periode  nach  Eonetantiii.  8.  Die  Proea.  d)  Philoeophie.  (§§  624—625.)  835 

die  Stellung  der  Neuplatoniker  zum  Mythus,  zur  Lehre  vom  Kosmos,  dem 
Nus,  dem  Bösen,  der  Seelenwanderung  orientieren  will,  kann  es  nicht  leicht 
besser  als  aus  diesem  gutgeschriebenen  Kompendium. 

Vom  Neuplatonismus  angehaucht  ist  auch  ein  christlicher  Schrift- 
steller, von  dem  uns  ein  Dialog  "Eqßinnoq  rj  nsgi  äcTQoXoyiag  2.  B,,  in 
korrekter,  ja  eleganter  Sprache  erhalten  ist.  Dialogisch  ist  an  demselben 
freilich  nur  die  Einleitung  und  der  Schluss;  im  übrigen  gibt  der  Haupt- 
träger des  Dialoges  Hermippos,  so  benannt,  wie  es  scheint  nach  dem 
gleichnamigen  berühmten  Peripatetiker,  in  fortlaufender  Rede  eine  phan- 
tasiereiche Kosmogonie  unter  Berücksichtigung  des  vermeintlichen  Ein- 
flusses der  Planeten.  Der  Verfasser  ist  ein  Christ,  der  aber  in  der  alten 
Litteratur  gut  belesen  war  und  uns  aus  derselben  einige  sehr  wertvolle 
Bruchstücke  erhalten  hat;  er  lebte  nach  Proklos  in  der  2.  Hälfte  des  5. 
oder  gar  im  6.  Jahrhundert. 

Ausgabe  des  Hermippos  von  Bloch,  Kopenhagen  1830,  neueste  von  Eboll  u.  Yibb- 
ECK  1895  in  Bibl.  Teubn. 

Das  unter  dem  Namen  des  Herennios  umlaufende  Kompendium  der  neuplatonischen 
Metaphysik  (E^tyyiov  (piXoa6g>ov  i^ijyijaig  sig  t«  fieraipvavxd  ed.  Mai,  Class.  auct.  t.  IX), 
das  früher  irrtümlich  als  Kommentar  der  aristotelischen  Metaphysik  ausgegeben  wurde,  ist 
eine  fange  Fälschung,  wahrscheinlich  aus  dem  16.  Jahrhundert.  Die  Sache  ist  aufgeklärt 
von  J.  Bkrnays,  Ges.  Abb.  I  349  f.;  E.  Heitz  Sitzb.  d.  Berl.  Ak.  1889  S.  1167  ff. 

Von  den  tüchtigen  Kommentatoren  des  Piaton  und  Aristoteles  aus  dieser  letzten  Zeit 
der  alten  Philosophie,  von  Syrianos,  Hermeias,  Ammonios  Hermeiu,  Olympiodoros, 
David,  Simplicius,  Asklepios,  loannes  Philoponos  ist  bereits  oben  an  ihrer  Stelle 
die  Rede  gewesen.  —  Von  dem  neuplatonischen  Kommentator  Dexippos,  der  im  4.  Jahr- 
hundert nach  lamblichos  lebte,  haben  wir  ausser  einem  Kommentar  zu  den  Kategorien  des 
Aristoteles  einen  Dialog  über  die  von  Plotin  gegen  die  Kategorien  gerichteten  Einwände, 
herausgegeben  von  L.  Spbhobl  in  Monum.  saecul.  d.  b.  Ak.  1859. 

625.  Synkretismus  und  orphischer  Mysticismus.  Der  Neu- 
platonismus hatte  seine  Wurzeln  in  dem  Bestreben  einer  Verschmelzung 
der  griechischen  Lehre  des  Piaton  mit  den  zu  steigender  Bedeutung  ge- 
langten Religionssystemen  des  Orients.  Dieses  Bestreben  ist  schon  bei 
Plotin  wahrnehmbar,  trat  aber  immer  stärker  bei  den  späteren  Neupla- 
tonikem,  namentlich  lamblichos  und  Proklos,  hervor.  Vorgearbeitet  ge- 
wissermassen  war  den  Philosophen  durch  die  synkretistische  Richtung  der 
Volksreligion,  welche  insbesondere  seit  dem  Beginne  der  römischen  Kaiser- 
zeit die  Reinheit  der  altgriechischen  Götterverehrung  durchbrach  und  all- 
gemach auch  die  denkenden  Geister  in  ihren  philosophischen  Anschauungen 
beeinflusste.  Eingewirkt  haben  die  verschiedensten  Religionen  Asiens  und 
Afrikas;  selbst  die  Lehren  der  Druiden  Galliens  und  der  Brahmanen  Indiens 
spielten  in  diesem  Mischmasch  eine  Rolle  ;i)  auch  die  altehrwürdigen  Sätze 
des  Zoroaster  gewannen  durch  den  Einfluss  der  Magier  und  die  Ver- 
breitung des  Mithraskultus  erhöhte  Bedeutung  in  der  bunten  Völkermasse 
des  römischen  Kaiserreichs,  ^)  welche  die  griechische  Sprache  als  Verstän- 
digungsmittel  der  Gebildeten  beibehielt,  ohne  deshalb  noch  hellenisch  oder 
auch  nur  noch  hellenistisch  zu  denken.  Vorzüglich  aber  waren  es  die 
jüdisch-christliche  Gnosis  und  die  Weisheit  der  ägyptischen  Priester,  welche 


*)  Belehrend  ist  in  dieser  Richtung  be- 
sonders Diogenes  Laert.  pro5m.;  vgl.  Palla- 
dio8  Ober  Indien  §  614. 

^)  Aus    den    bezeichneten  Kreisen  der 


orientalischen  Neuplatoniker  stammten  die 
erhaltenen  Xoyta  T^QotiatQov  und  das  von 
Clemens  Alex.,  Lactantius  u.  a.  citierte  Buch 
Hystaspes. 

53* 


836 


Grieehiaoho  Litteratnrgesoliiokte.    n.  HaohklassUMshe  litterator. 


die  Denkweise  des  in  Ägypten  entstandenen  Neuplatonismus  beinflussten 
und  ähnliche  mystische  Schriften  hervorriefen. 

Die  Bücher  der  ägyptischer  Weisheit  wurden  unter  dem  Namen  des 
^EQfirjg  TQifJiAsyiatoq^  eines  fingierten  altägyptischen  Weisen,^)  zusammen- 
gefasst  und  sind  uns  teilweise  noch  im  griechischen  Original,  zum  TeQ 
nur  noch  in  lateinischer  und  arabischer  Übersetzung  erhalten.  Das  haupt- 
sächlichste ist  der  Poimander  oder  das  Buch  vom  guten  Hirten,  eine 
Sammlung  von  14  philosophischen  Traktaten,  in  denen  Hermes  seinen 
Sohn  Tat  und  seinen  Schüler  Asklepios  in  der  Gottesgelehrsamkeit  unter- 
richtet. Ähnlicher  Art  sind  die  Weisungen  des  Asklepios  an  den  König 
Ammon  {oqoi  'AaxXrjniov  nQog  "Afifim*a  ßatfikäa),  die  zerstreuten  Anführungen 
bei  Stobaios  und  das  nur  in  der  lateinischen  Übersetzung  des  Pseudo- 
Apuleius  erhaltene  Buch  Asdepius  sive  dialogus  Hermetis  trismegistij  ein 
Schmerzensruf  des  seinen  Untergang  voraussehenden  Heidentums.^)  Schriften 
des  Hermes  werden  bereits  von  Plutarch  de  Iside  c.  61,  Clemens  Alex,  ström.  VI4, 
TertuUian  de  an.  H  33  erwähnt;  die  uns  erhaltenen  zeigen  Einfluss  des  Neu- 
platonismus und  sind  in  den  letzten  Jahrzehnten  des  3.  Jahrh.  entstanden.') 

Der  medizinischen  Zauberlitteratur  gehören  die  Eyranides  an,  mit 
denen  das  Büchlein  von  den  Pflanzen  der  sieben  Planeten  in  Verbindung 
steht.*)  —  In  höheres  Alter  reichen  die  mystischen  Schriften  hinauf, 
welche  aus  der  Yerquickung  orphischer  Anschauung  mit  ägyptischem  Aber- 
glauben entstanden  sind  und  uns  teilweise  noch  in  den  Zauberpapyri  der 
Leydener,  Berliner  und  anderer  Bibliotheken  vorliegen.  Schon  seit  Mitte 
des  1.  Jahrhunderts  v.  Chr.  waren  die  astrologischen  und  theologischen 
Schriften  des  Priesters  Petosiris^)  und  seines  königlichen  Oönners  Nechepso 
aus  Aegypten  zu  den  Griechen  gekommen  und  hatten  zur  Verbreitung  der 
Scheinweisheit  der  Astrologie  und  Magie  bei  Griechen  und  Römern  beigetragen. 

Pabthet,  Hermetis  trifimegisti  Poemander,  Berl.  1854.  Im  Anhang  dazo  die  "0^ 
'j4axXfjniov  n^og  "AfjLfjLovtt  ßnatXia,  Paris  1554.  —  M^nard,  Hermes  trimegiste,  trad.  comp!, 
pr^c^d^  d'one  ^tode  sor  Torigine  des  livres  herm^tiques,  Paris  1866.  —  '£^/uof*  xw  7^16- 
fiByictov  nsQi  xaTaxXiafotg  yoaovytwyy  ne^l  yvoHftixijq  ix  xrjg  fia&fifunix^g  iniifr^fiijf  n^ 
"Jfifjtiova  Alyvntiovy  in  Idblbrs  Physici  et  medici  graeci  I  430—440. 

Die  Kyraniden  in  zwei  lateinischen  Bearbeitungen  stehen  in  Mysteria  physica  medica» 
1681 ;  den  Tractatus  de  Septem  herbis  Septem  planeüs  attribntis  veröffentlichte  Sathas,  Ma. 
gr.  cl.  IV,  n.  57,  wozu  berichtigende  Ergänzungen  liefert  H.  Haupt  Phü.  48,  371  ff. 

Parthbt,  Papyri  Berolinenses,  Stzb.  d.  Berl.  Ak.  1865.  —  Wessblt,  Griech.  Zauberpapyri 
von  Paris  und  London,  in  Denkschr.  der  Wien.  Ak.  1888  u.  1894.  —  Lbemahs,  Papyri  graeeae 
musei  Lugdunensis  töm.  II,  Leyden  1885.  Dibtbbich,  Papyrus  magica  Lugdunenisis  Batavi, 
denuo  edit,  commentario  critico  instruxit,  Prolegomena  scripsit  Alb.  Dieterich,  Jahrb.  f.  Phil. 
Suppl.  XYI  (1888)  747—827.  —  Nechepsonis  et  Petosiridis  fe&gm.  magica  ed.  Ribss,  in  Philol. 
Suppl.  VI  325—388. 

Von  Horapollon  aus  dem  Nomos  Panopolis  in  Aegypten,  der  nach  Soidas  in  Ale- 
xandria und  sp&ter  in  Eonstantinopel  unter  Theodosius  lehrte  und  ein  Buch  Teusyixa  schrieb^ 
haben  wir  lBpoyXv(pi.xtt,  mit  Kommentar  herausgegeben  von  Lbbxans,  Amsterdam  1835. 

Ueber  den  Einfluss  der  Religion  des  Zoroaster  s.  Wi]n>iscHMAHN,  Die  SteUen  der  Alten 
fiber  Zoroastrisches,   in  Zoroastrische  Studien,  Berlin  1863,  S.  260—318.   —   Wacbsvittd, 

Lactantius  kannte. 

*)  Suidas  erwähnt  von  Petosiiis  indo- 
yag  ix  xtov  ieQüiv  ßißXimy,  äar^oXoyopfiera, 
ns^  jwy  ncr^'  Atyvnxioiq  fAvaitiqiny. 

')  Schon  Galen,  De  simpL  medic.  facul- 
tatibus  (lY  1)  kennt  die  dem  Hermes  zöge* 
schriebene  Schrift  Qber  die  34  ßoxayta  rwr 
lü^oaxontay. 


*)  Aegyptisch  Thot;  Pibtschmahv,  Her- 
mes Trismegisthos,  Leipz.  1875. 

^)  Jak.  Bernats,  Ueber  den  Dialog  As- 
klepius,  Stzb.  d.  Beri.  Ak.  1871,  Ges.  W.  I 
327  ff.;  Berok  Gr.  Litt.  IV  569—78. 

»)  Zeller,  Philos.  d.  Griech.  IIl*  2  p. 
224  ff.  Daselbst  ist  aach  nachgewiesen,  dass 
unseren  Poimander  bereits  der  Kirchenvater 


B  b)  BOmiflce  Periode  nach  Konetanün.  8.  Die  Prosa,  e)  Grammatik.  (§§  626—628.)    837 


Ljrdiia  de  ostentiB  p.  XU  weist  einen  Cod.  Lanrent.  38,  34  nach,  der  eine  reiche  Sammlung 
griechischer  Astrologen  enthält.  —  In  die  gleiche  Kategorie  gehören  auch  die  astrologischen 
Lehrgedichte,  Orakelsprüche  und  Zauherverse,  von  denen  oben  §  587  die  Rede  war. 

e)  Die  Grammatik. 

626.  Die  Kritik  oder  das  Vermögen,  Wahres  von  Falschem  zu  sondern, 
war  in  unserer  Periode  unter  den  Nullpunkt  gesunken.  Damit  hatte  die 
Grammatik  und  gelehrte  Forschung  ihre  Grundlage  verloren;  beeinträchtigt 
wurden  dieselben  des  weitem  durch  die  Abnahme  des  Interesses  an  der 
alten  Litteratur  und  die  Beschränkung  der  Lektüre  auf  wenige  Autoren 
und  Schriften.  Die  attischen  Komiker  wurden  gänzlich  vernachlässigt, 
von  Piaton  fast  nur  Gorgias,  Alkibiades  und  Phaidros  gelesen,  von  den 
Tragikern  nur  die  drei  Heroen  beachtet  und  selbst  von  diesen  Aischylos 
mehr  genannt  als  studiert.  Gleichwohl  beanspruchen  die  verhältnismässig 
zahlreichen  grammatischen  Schriften,  die  aus  der  Zeit  des  untergehenden 
Griechentums  auf  uns  gekommen  sind,  in  hohem  Grade  unsere  Aufmerk- 
samkeit. Denn  dem  Streben  der  Grammatiker  unserer  Periode,  die  Ar- 
beiten der  Früheren  in  kurze  Auszüge  zu  bringen,  verdanken  wir  die  Er- 
haltung vieler  Sätze  der  alten  Gelehrsamkeit.  In  dem  Kehricht,  das  uns 
hier  zu  durchstöbern  ist,  vermischt  sich  die  Grenze  zwischen  Altertum  und 
Mittelalter.  Denn  die  Grammatik  blieb,  wenn  man  auch  im  späten  Mittel- 
alter die  grammatischen  Regeln  zuweilen  nach  dem  Leierkasten  bekannter 
Kirchenlieder  absang,  doch  ihrem  Wesen  nach  stets  von  dem  Kirchentum 
und  Glaubensbekenntnis  unberührt.  Zudem  hat  nach  Herodian  kein  Gram- 
matiker mehr  etwas  Selbständiges  geleistet,  und  macht  es  daher  keinen 
Unterschied,  ob  ein  Heide  oder  ein  Christ  die  Sätze  und  Sammlungen  einer 
besseren  Zeit  plünderte.  Wir  fürchten  daher  keinem  Tadel  zu  begegnen, 
wenn  wir  hier  öfters  die  Grenzscheide  der  Regierung  Justinians  über- 
schreiten und  für  solche,  die  nicht  das  ausgezeichnete  Buch  Krumbachers 
über  byzantinische  Litteraturgeschichte  nachschlagen  können,  diejenigen 
byzantinischen  Werke,  deren  Kenntnis  auch  für  den  klassischen  Philologen 
absolut  notwendig  ist,  in  den  Kreis  der  Besprechung  ziehen. 

627.  Von  der  empirischen  Grammatik,  Kritik  und  Exegese  der 
Autoren,  gilt  am  meisten,  was  wir  von  den  grammatischen  Studien  im 
allgemeinen  bemerkt  haben.  Neues  wurde  hier  nichts  geleistet;  die  älteren 
gelehrten  Scholien  wurden  in  einem  schlechten  Extrakt  dem  Texte  der 
wenigen  noch  gelesenen  Autoren  am  Rande  beigefügt.  Hie  und  da  ist 
auch  der  Name  desjenigen  genannt,  der  den  Auszug  gemacht  und  mit  be- 
deutungslosen eigenen  Zugaben  bereichert  hat;  so  wurden  die  Scholien  zu 
Sophokles  redigiert  von  Salustios,^)  die  zu  Euripides  von  Dionysios,  die 
zu  Aristophanes  von  Phaeinos,  die  zu  Theokrit  von  Eratosthenes,^) 
die  zu  Demosthenes  von  Zosimos  und  ülpian.^) 

628.  In  der  grammatischen  Theorie  beschränkte  man  sich  wesent- 
lich auf  Kommentierung  der  kleinen  Schulgrammatik  des  Dionysios  Thrax, 
auf  Exzerpte  aus  Herodian  und  Einleitungen  in  das  Studium  der  Grammatik. 


')  Üeber  Salustios  den  Sophisten  ein  Ar- 
tikel des  Sxiidas  ohne  Zeitangabe.  Unser 
Salostins  heisst  in  den  Scholien  üv^ayogeios 
imd  dieser  war  ein  Schüler  des  lamblichos; 
8.  WiLAMOWiTZ,  £nr.  Herakl.  1 197  f.;  vgl.  §  624. 


')  Eratosihenes  Scholastikos  kommt  unter 
den  Epigrammatikern  vor. 

')  Ein  OvXniayoi  aofpicttjs  unter  Kon- 
stantin wird  von  Suidas  erwfthnt. 


838 


Orieohisohe  LüteratiirgeMhichte.    IL  Haohklaasuiohe  Littermtiir. 


Theodosios  aus  Alexandria,  der  gegen  Schlass  des  4.  Jahrhunderts 
lebte,  ^)  leiht  seinen  Namen  einer  Zusanimenstellang  von  Kommentaren  zu 
der  Schulgrammatik  des  Dionysios  Thrax.')  Derselbe  ist  wirklich  Ver- 
fasser der  Deklinations-  und  Konjugationsregeln  {eicaywyixol  xavovsg  m^ 
xUasmq  ovoi^iatwv  xai  ^rjfi(it(ov),  die  sich  bis  ins  späte  Mittelalter  grossen 
Ansehens  in  den  Schulen  erfreuten  und  von  Choiroboskos  eines  eigenen 
Kommentars  gewürdigt  wurden.  3)  Demselben  wird  mit  Wahrscheinlich- 
keit auch  die  Epitome  der  allgemeinen  Prosodie  des  Herodion  {xav6r€^ 
rrjg  xad^olixrjg  TiQüaffSiag)  zugeschrieben,*)  welche  auf  Grund  des  minder- 
wertigen Zeugnisses  eines  jungen  Cod.  Paris.  2102  von  Barker  (1823)  and 
M.  Schmidt  (1860)  unter  dem  Namen  des  Arkadios,  eines  angesehenen 
Grammatikers  von  Antiochia,^)  veröffentlicht  wurde.  Von  dieser  Epitome, 
welche  sich  eng  an  das  Originalwerk  des  Herodian  anschliesst,  sind  uns 
die  ersten  19  B.  in  der  Form  erhalten,  welche  der  Epitomator  ihnen  ge- 
geben hat;  das  20.  Buch  welches  in  den  älteren  Handschriften  fehlt,  ist 
von  einem  Fälscher  des  16.  Jahrhunderts  aus  den  anonym  umlaufenden 
Traktaten  ncQi  nvevficTiav  und  ncQl  xQoviov^  welche  gleichfalls  auf  Herodian 
zurückgehen,  ergänzt.^) 

Tbeodosii  Alex,  grammatica  ed.  Göttlino,  Lipe.  1822.  —  Theodosü  Alex,  canones, 
Georgü  ChoeroboBci  scholia,  Sophronii  patriarchae  Alex,  excerpta  ed.  Hiloabd,  in  Gorp. 
gramm.  gr.  pars  IV,  Lipa.  1889.  —  Die  Ka&oXtxij  n^oaadla  des  Ps.  Arkadios  ist  herus- 
gegeben  von  Barkbr-Boissoraob,  Lips.  1820,  and  verarbeitet  von  Lentz  in  Herodiani  relL. 
worüber  s.  §  565. 

Georgios  Choiroboskos  (d.  i.  Georg  der  Sauhirt)  war  um  600  Lehrer 
an  der  grossen  ökumenischen  Schule  in  Eonstantinopel.'^)  Seinen  gram- 
matischen Vorträgen  legte  er  die  Kanones  des  Theodosios  zu  grund.  Diese 
Vorträge,  in  denen  er  sich  als  einen  guten  Kenner  des  Apollonios,  Herodian, 
Orion  bewährt,  sind  nach  den  Nachschriften  {äno  (pcovijg)  seiner  Schüler 
auf  uns  gekommen.    Ausserdem  kennen  wir  von  ihm  ein  Buch  über  Ortho- 


^)  Derselbe  ist  wahrscheinlich  identisch 
mit  dem  Oav^aciog  yQftfufianxof  Seodociog, 
dem  Synesios  ep.  4  einen  Gniss  schickt. 

')  Ueber  die  wirklichen  Verfasser  dieses 
Sammelsorinms  s.  Uhlio,  Dionys.  Thraz  p. 
XXXVI. 

')  Im  Mittelalter  wurden  diese  Kanones 
in  die  Form  eines  Katechismus  gebracht  und 
in  Fragen  und  Antwort  zerlegt;  der  Kate- 
chismus ist  in  der  älteren  Form  erhalten  in 
cod.  Guelf.  Gud.  112,  der  von  Moschopulos 
verbesserte  ist  im  Druck  erschienen  1493 
u.  Basel  1540. 

*)  Die  besten  Codices  (Matrii  38,  Haun. 
1965,  Barocc.  179)  haben  die  üeberschrift 
Kat^oyeg  xrjs  xaS^oXixijg  rtgoofodittg  tov  <fo<p<0'- 
ttitov  'HQfo&iayov  ovg  neQUiBfis  Seodoaiog  6 
yQttfAfjLaxixog  (pvXd^ag  tov  dgi^^fioy  xtop  ßi- 
ßXiojyy  aber  vor  dem  Prolog  steht  die  reser- 
vierte Fassung  Tt^Xoyog  oifjLm  Seodociov  tig 
Tot's  xayopttg.  Galland,  De  Arcadii  qui 
fertur  auctoritate,  Diss.  Argent.  VII,  denkt 
an  den  Grammatiker  Aristodemos  als  Ver- 
fasser, von  dem  Suidas  eine  inixofxtj  r^g 
xa^oXov  ÜQto&iayov  erwähnt.   Näheres  Cohn 


im  Artikel  Arkadios  bei  Wissowa. 

')  Dem  Arkadios  schreibt  Suidas  sd: 
nsQi  og&o/Qafflag,  negl  avyfd^BtAg  twr  ror 
Xoyov  fÄBQtoy,  oyofiaiftixoy. 

*)  Die  Ergänzung  geschah  durch  J»k. 
Diassorinos,  von  dem  auch  der  Titel 
*j4Qxadiov  herrtthrt;  s.  Cohk,  Phil.  Abh.  xd 
Ehren  von  M.  Hertz  S.  141.  üeber  andere 
Auszüge  der  Bttcher  des  Herodian  nf^  nnv- 
fiartüy  und  nsgl  /^Vcu»'  siehe  Egssolff, 
Die  orthoepischen  StDcke  der  byzantinischeD 
Litteratur,  Mannh.  Progr.  1887  S.  10  ff. 
Ueber  die  dem  Theodosios  sonst  noch  ftlack- 
lich  beigelegten  Schriften  vergl.  Uhli«,  DioD. 
Thraz,  Index  p.  208. 

')  In  den  Handschriften  der  Prol  ia 
Theod.  heisst  er  VewQytog  dtunoreg  xai  /«^ 
xoffvXtt^,  fisyag  ygafifÄurixog  xttl  oixwutn^ 
xog  didaaxaXog.  Seine  Lebenszeit  steht  nicht 
fest;  sicher  lebte  er  nach  dem  BegiBDe  des 
6.  Jahrb.,  aber  fOr  die  Zeitgrenze  fehlen 
sichere  Anhaltspunkte;  Ernmbacher  Byi. 
Lit.>  S.  583  setzt  ihn  .näher  dem  6.  als  don 
10.  Jahrhundert.  • 


B  b)  Bömisohe  Periode  naoh  Konstantm.  3.  Die  Prosa,   e)  Chrammatik.  (§  628.)    839 


graphie  (Gramer,  An.  Ox.  11  167—281  im  Excerpt),*)   einen  Traktat  71€qI 

n^oati^dt^v  (Bekk.  An.  gr.  703 — 8),  Kommentare  zu  Hephästion  und  Diony- 

sios  Thrax,^)  letztere  in  der  abgekürzten  Form,   die  ihnen  ein   gewisser 

Heliodoros  gab.    Unter  seinen  Namen  gehen  auch  grammatische  Analysen 

(SrnfACQ^afioi)  zu  den  Psalmen.*) 

Georgii  Ghoerobosci  Dictata  in  Theodosii  canones  et  epimerismi  in  psalmos,  ed.  Gais- 
FORD,  Ozon.  1842;  nene  Ausgabe  in  dem  Corpus  gramm.  graec.  IV  von  Hilgabd  Lipe.  1889. 

Andere  Grammatiker  des  untergehenden  Altertums  waren:  Eugenios, 
der  nach  Suidas  unter  Kaiser  Anastasios  in  Konstantinopel  lehrte  und  ausser 
einem  attischen  Lexikon,  welches  noch  Suidas  benutzte,  eine  metrische 
Analyse  {xiaXofiBXQia)  der  melischen  Partien  von  15  Dramen  des  Aischylos, 
Sophokles,  Euripides  verfasste;^)  Eudaimon  aus  Pelusium,  Zeitgenosse 
des  Libanios  und  Verfasser  einer  xäxvri  YQcififiaTixr^  und  einer  ovofiavutr^ 
oQd-oy^aqia  (Suidas),  welche  beide  verloren  gegangen  sind;  Horapollon 
aus  Ägypten  unter  Theodosios  ü,  der  nach  Suidas  Kommentare  zu  Alkaios, 
Sophokles,  Homer  schrieb  und  von  dem  uns  die  ^UqoyXvffMd  erhalten  sind 
(s.  §  625);  Timotheos  aus  Gaza,  Schüler  des  Horapollon,  unter  Anastasios  I, 
der  nach  Suidas  über  Wunderdinge  in  Versen  schrieb  und  unter  dessen 
Namen  elementare  Regeln  über  die  Lautverbindungen  {xavoveg  xax^ohxoi 
negi  awrä^ciog)  auf  uns  gekommen  sind ;  ^)  loannesPhiloponos  aus  der 
Zeit  Justinians,^)  ein  schreibseliger  Kommentator  des  Aristoteles  und  Ver- 
fasser des  Buches  nsQi  StaXhxTwv  (im  Anhang  von  Stephanus'  Thesaurus 
ling.  graec),  der  %ovixd  naQayyäluaxa  (ed.  Dindorf,  Lips.  1825)  und  des 
im  Mittelalter  oft  abgeschriebenen  und  zuletzt  von  Egenolff  (1880)  heraus- 
gegebenen Schullexikons  nsgl  td)v  iiatpoQoog  tovovfjuivwv  xai  StatpoQa  arjfiai- 
rovvav;  Theodoretos  aus  unbestimmter  Zeit,  von  dem  uns  ein  aus  Hero- 
dian  gezogenes  Buch  nsqi  nvsviidxiov  in  lexikalischer  Form  erhalten  ist;^) 
Joannes  Charax,«)  Verfasser  des  von  Bekker,  An.  gr.  1149—56  publi- 
zierten Traktates  neql  iyxXivofiävaov  fxoQiwv^  sowie  einer  Schrift  neQi  o^^o- 


1)  üeber  einen  Traktat  des  Choiroboskos 
n%Qt  nyevfittTiov  im  Cod.  Matrit.  95  fol.  138  fF. 
von  zwe^elhafter  Echtheit  gibt  Kenntnis 
BesnoLFF,  Die  orthoepischen  Stücke  S.  26. 

^)  Aach  zu  Apolionios  Dyskolos  und 
Herodian  hatte  er  Scholien  geschrieben;  vgl. 
Hilgard  in  den  Prol.  der  Ausgabe  p.  LXIXff. 

*)  Lehbs,  Herodiani  scripta  tria  p.  439 
besireitet  die  Echtheit.  Choiroboskos'  Namen 
trftgt  aach  eine  Figurenlehre  in  Spenobl's 
Rhet.  gr.  m  244—255. 

^)  Auf  diesen  Eugenios  gehen  wohl  die 
eiiialtenen  metrischen  Analysen  der  Drama- 
tiker zurück,  die  indes  ebensowenig  Wert 
wie  die  pindarischen  haben.  Aus  der  Zahl 
dgafjiar<ay  te  ersehen  wir,  dass  man  sich  da- 
mals, also  um  500,  bereits  beschränkte  auf 
eine  Auslese  von  3  Stücken  des  Aischylos, 
3  des  Sophokles,  9  des  Euripides. 

^)  Diesen  Traktat  und  Exzerpte  aus  dem 
Wunderbuch  publizierte  Cbaicer  An.  Oz.  IV 
263  ff.  u.  An.  Par.  IV  239  ff.;  Exzerpte  aus 
dem  Buche  von  den  Tieren  veröffentlichte  M. 


Haupt,  Herm.  m  1  ff.  =  Onusc.  III  274  ff. 
Der  gnunmatische  Traktat  gehörte  zur  Lehre 
von  der  Orthographie,  die  nach  Herodian  in 
die  3  Teile  zerfiel:  cvvta^is,  noiottjg^  nocoxrjg. 
Vgl.  Reitzrnstbin,  Gesch.  d.  gr.  Etymol.  296  f. 

«)  Nach  Pbahtl,  Gesch.  d.  Log.  I  643 
erlebte  er  als  Greis  die  Einnahme  Alexan- 
drias durch  Omar  (640),  was  sich  wenig  mit 
den  Nachrichten  über  die  Polemik  des  Leon- 
tios  Monachos  gegen  Philoponos  vereinigen 
lässt.  Danach  gehört  vielmehr  Philoponos 
der  Mitte  des  6.  Jahrhunderts  an.  Lud  wich 
De  Joanne  Philopono  grammatico,  Ind.  lect. 
Königsberg  1888/9.  Ueber  seine  theologische 
Thatigkeit  Erukbacber  Byz.  Lit.^  53  u.  581. 

')  Eine  Ausgabe  im  Corpus  gramm.  gr. 
bereitete  Studemund  vor;  eine  vorläufige  An- 
zeige gibt  Ublio  in  Jahrb.  f.  Phil.  121,  789  ff. 

^)  Derselbe  war  verschieden  von  dem 
Erzieher  des  Kaisers  Theophiloe  und  gehörte 
dem  6.  Jahrhundert  an;  s.  Ludwioh,  De 
Joanne  Philopono  p.  9;  Hilgard  Theodosii  pro- 
leg, p.  cxxm. 


840 


Griechische  Litteratnrgeschichte.    II.  NachkUaeieche  Litteratar. 


YQatfiag  und  von  Erläuterungen  zu  den  Eanones  des  Theodosios;  Sergios 
Anagnostes  aus  Emesa,  schwerlich  identisch  mit  dem  um  500  blühenden 
Sergius  grammaticus/)  von  dem  Hilgard  eine  emTOfii}  %div  ovo/narixif 
xavovcov  AiKov  "^Hqfüdiavov  veröffentlicht  hat  (Heidelb.  Progr.  1887). 

Lexika. 

629.  Das  Beste  und  Meiste  wurde  in  der  Lexikographie  geleistet, 
zu  deren  mechanischer  Thätigkeit  am  ehesten  noch  die  Kräfte  der  arm- 
seligen Gelehrten  des  untergehenden  Hellenentums  ausreichten. 

Ammonios,  der  nach  Zerstörung  der  heidnischen  Tempel  Alexandrias 
(389)  nach  Eonstantinopel  auswanderte  und  dort  Lehrer  des  Kirchen- 
historikers Sokrates  wurde,')  ist  angeblich  Verfasser  des  synonymischen 
Lexikons  negl  ofiotwv  xai  diaifoQoav  kä^ecov.  Auf  so  späte  Zeit  passt  es, 
dass  die  Glosse  inni^riüov  des  Lexikons  auf  das  Evangelium  Lukas  7,  3 
Bezug  nimmt.  Aber  der  Umstand,  dass  sonst  nur  ältere  Grammatiker, 
wie  Didymos,  Aristonikos,  Tryphon,  Aristokles,  Neanthes  als  Gewährs- 
männer angegeben  werden  und  dass  einmal  sogar  der  Grammatiker  Hera- 
kleides aus  Milet  mit  dem  Zusatz  6  rj^äxeQoq  citiert  wird,  beweist  deutlich, 
dass  der  Grundstock  unseres  Lexikons  aus  viel  älterer  Zeit  stammt.  Val- 
ckenaer  hat  daher  in  der  Einleitung  seiner  Ausgabe  einen  neuen  Ammo- 
nios  aus  der  Wende  des  1.  und  2.  Jahrhunderts  in  die  Litteratnrgeschichte 
einfuhren  wollen.  Da  uns  aber  aus  anderen  Quellen  mehrere  Artikel  des 
Lexikons  unter  dem  Namen  Eranios  und  Ptolemaios  überliefert  sind  und 
Eustathios  sich  in  dem  Homerkommentar  wiederholt  auf  ^Egewioc  ne^ 
diafpoQcog  (frjinaivofiävcov  bezieht,  so  scheint  vielmehr  Herennios  Philo  der 
eigentliche  Verfasser  des  Lexikons  über  synonyme  Ausdrücke,  Ammonios 
aber  nur  der  Überarbeiter  desselben  zu  sein. 

HauptauBgabe  von  Valokenaer,  LB.  1739  (Nachdruck  Lips.  1822);  Ton  Ammoh,  Er 
langen  1787.  Eine  neue  Bearbeitong  der  synonymischen  Worfcveneichnisse  hat  fttr  das 
Corpus  der  griechischen  Grammatiker  Cohk  übernommen;  die  litfcerar-historische  Frage  ist 
ins  Reine  gebracht  von  Kopp,  De  Ammonii  Eranii  aliorum  distinctionibns  synonymids, 
Königsberg  1883.  —  Schon  Seleukos  hatte  nach  Suidas  negl  rijs  iv  cvwtavvfjLoig  ^atpo^i 
geschrieben.  —  Hbylbut,  Ptolemaeus  negl  &ta<poQtts  Xi^sms,  Herrn.  22,  388  ff. 

Ein  Auszug  aus  dem  Synonymen-Wörterbuch  ist  das  von  Boissokadb  An.  gr.  III 
262  ff.  veröffentlichte  Büchlein  negi  dxvQoXoylagy  das  der  Fälscher  PalAokappa  in  Codd- 
Paris  2551  und  2929  dem  Herodian  zuschrieb. 

630.  Orion  und  die  Etymologika.  Orion  aus  dem  ägyptischen 
Theben  lehrte  um  425  in  Alexandria,  wo  ihn  Proklos  hörte,  ging  dann 
um  die  Mitte  des  5.  Jahrhunderts  nach  Eonstantinopel,  wo  seine  gram- 
matischen Vorträge  so  beliebt  waren,  dass  dieselben  sogar  die  Kaiserin 
Eudokia,  die  schöngeistige  Gemahlin  des  Kaisers  Theodosios  II,  mit  ihrem 
Besuche  beehrte.^)  Den  Hauptsitz  seiner  Thätigkeit  aber  muss  derselbe 
in  Cäsarea  gehabt  haben,  da  er  in  den  Handschriften  ygafifiaTixog  Kataa- 
QBiag  genannt  wird.     Suidas  erwähnt   von  ihm   eine  Sammlung  von  Sen- 


»)  Photios  p.   288b, 
p.  546,  32;    Et.  M.  p.  '^ 


;    Choiroboskos 
1.     üeber    den 
Jüngeren  Sergios  Ant.  Bauxstarck,  Lucubr. 
Syro-Graec.  Jahrb.  f.  Phil.  Snppl.  XXI  869  ff. 
«)  Sokrates,  ffist.  eccl.  5,  16. 
»)  Marinus    vit.  Procl.   c.   8;    Tzetzes, 


Chiliad.  X  60.  Unterschieden  hat  von  dem- 
selben Suidas  einen  älteren  Grammatik» 
*Qqliav  UXs^aydgev^,  dessen  Zeit  sich  dadmd^ 
bestimmt,  dass  er  ein  iyxwfjuoy  *aS^ww 
%ov  Kalca^og  schrieb. 


Bb)BOiiiiBohe  Periode  nach  KoBBtantin.  3.  Die  Prosa,  e)  Qrammatik.  (§§629—630.)  841 


tenzen,  welche  er  der  Kaiserin  Eudokia  widmete.  Erhalten  haben  sich 
von  ihm  Trümmer  seines  Hauptwerkes,  eines  etymologischen  Lexikons, 
in  welchem  er  die  älteren  etymologischen  Forschungen  des  Apollodoros, 
Herakleides  Pontikos,  Philozenos,  Soranos,  Eirenaios,  Apollonios,  Herodianos 
zusammenfasste.  —  Verwandter  Richtung  mit  Orion  war  Oros,  den 
Ritschi,  De  Oro  et  Orione  (Opusc.  I  582 — 673),  den  grossen  Grammatikern 
der  Antoninenzeit  zugesellte,  den  aber  neuerdings  wieder  Reitzenstein, 
Oeschichte  der  griech.  Etymologika  287 — 350,  ins  5.  Jahrhundert  herabzu- 
rücken sucht.*)  Die  Hauptschriften  desselben  handelten  von  der  Orthographie 
(TTsgi  oQd-oyQa^iag)  und  den  Völkernamen  {tvsqI  id-vixCäv)^  unter  welchen 
aber  nicht  bloss  die  Namen  der  Völker,  sondern  auch  die  der  Ortschaften 
inbegriffen  waren.  Aus  den  etymologischen  Lexikis  des  Oros  und  Orion 
gingen  durch  Vereinigung  mit  Auszügen  aus  dem  Lexikon  des  Methodios, 
den  rhetorischen  Lexicis  des  Aelius  und  Pausanias,  den  Grammatiken  des 
Herodian,  Ghoiroboskos  und  Theognostos,  den  Epimerismen  des  Methodios 
u.  a.  die  etymologischen  Kompilationen  des  Mittelalters  hervor:  das  echte 
Etymologicum  magnum  oder  Etym.  genuinum  (entstanden  zur  Zeit 
des  Photios  im  9.  Jahrhundert),*)  das  Etymologicum  Gudianum,^)  das 
erweiterte  Etymologicum  magnum,*)  das  Etymologicum  Symeonis,«^) 
wozu  noch  kommen  das  Lexikon  des  Zonaras  oder  richtiger  des  Anto- 
nios Monachos,  in  welches  ein  älteres  Etymologikon  mit  dem  Lexikon  des 
Kyrillos  verarbeitet  ist,  und  die  aus  anderen  Handschriften  ans  Licht  ge- 
zogenen Recensionen  des  ursprünglichen  Etymologicum,  nämlich  das  Ety- 
mologicum Florentinum,  Etymologicum  parvum  und  Etymologi- 
cum Angelicanum.     Dieselben  gehen  alle   auf  eine  Grundlage  zurück 


')  Snidas  fiOhrt  ilm  ein  mit  lO^o^  AXe- 
^ttvdgevq  ygafÄfiarixog,  nai&svcaq  iy  K<oy- 
fftayivov  noXei,  worin  wahrscheinlich  eine 
VerwechBelong  mit  Ä^iwv  üegt.  Im  Ety- 
mologinm  wird  er  als  T^Qog  MtXijciog  citiert. 
Fflr  eine  ältere  Lebzeit  des  Oros  spricht 
anch  die  Stellmig,  welche  er  in  dem  Kanon 
der  Grammatiker  einnimmt,  der  hier  zur  Er- 
g&nzong  von  §  339  seine  Stelle  haben  möge: 
Uff  Ol  yQttfAfitttixol  •  Jiovvciog  6  Bqu^,  *  AnoX- 
tuviog  JvaxoXog^  'AXi^av^Qog  (sc.  KoxxvBvg  ' 
"Agog  add.  BodL),  'Aatväytjg  (£2^iyäyijg  add.  B^, 
'AyantjTog  {^tXonopoi  add.  B),  IsQyiog  6  veto- 
jegog  ('loMxyyijg  6  Xdga^  add.  B),  Av^oviog, 
^Adgcurtog,  Seayeyt^g,  (fort.  exe.  oaoi  neQi  nqoa- 
lo&iag')  'HQfodiayog  (FswQytog  6  Xoi^oßoaxog 
add.  B),  Beodociog.  (fort.  exe.  öffoi  negi  dia- 
X&nwy)  T^(fu>y,  JidvfAog  6  v^ioxegogj  Nuco- 
xXßg,  EvdalfJiwy,  TQ^og^  Atoyvaiog  6  'aXixuq- 
voüCBvg  (sc.  o  (jL0vüi,x6g)y  TIoQtfVQiogy  'AxMavg, 
'AQxädtog,  'SiQajioXXtoy  Tiuo^eog  6  Va^evg, 
'Öao*  n€Qi  ÖQS^ayQatpiag  '  ^AnoXXuiyiog,  'Hqtodi- 
ayog,  Ißgog,  'Ptofiayog,  Seodociogy  6  ^Mnoyog, 
0  XaQai,  6  XoiQoßoaxog»  "Oooi  negl  dixQo- 
ymy  'TS^og,  UafAnqiniog,  Ai&iQiog  ^AnafXBvg. 
(fori.  exe.  ocoi  neQi  i&yixtäy)  ^og,  Iretpayog 
0  KtayatayriyonoXetog  ^'Oaoi  i&yMioy]^  'hgiwy 
9f]ßaTog,    MtjxQodtogog,    ^M^eyog,  Aoyylvog, 


')  Dieses  echte  'ExvfxoXoyLxoy  fieya,  aus 
dem  durch  Verschmelzung  mit  dem  "Etv- 
^oXoyixoy  äXXo,  verwandt  mit  Etym.  Gudi- 
anum,  dos  bisher  Etym.  magn.  genannte  Lexi- 
kon hervorgegangen  ist,  wird  Reitzenstein 
aus  den  Handschriften  des  10.  Jahrh.  Vatic. 
gr.  1818  u.  Florent.  S.  Marc.  304  wieder  her- 
stellen; vorläufige  Mitteilungen  gibt  derselbe 
PhiloL  48  (1890)  450  ff.,  Verh.  der  40.  Vers, 
d.  Phil,  in  Görlitz  und  Geschichte  der  griech. 
Etymologika,  Leipz.  1897. 

')  Benannt  ist  dasselbe  nach  Gude,  dem 
ehemaligen  Besitzer  der  Wolfenbüttler  Hand- 
schrift. 

^)  Dasselbe  läuft  bis  auf  unsere  Tage 
unter  dem  mit  Unrecht  ihm  verliehenen  Titel 
Etymologicum  magnum.  Verfasst  ist  das- 
selbe nach  Photios,  der  benutzt  ist,  und  vor 
Eustathios,  der  dasselbe  citiert;  s.  Naber, 
Phot.  lex.  I  167  ff.  Der  Verfasser  hat  auch 
eigenes  hinzugefügt  und  bemerkt  zum  un- 
sinnigen Artikel  über  niog  selbstgefällig: 
iyto  insyotjaa.  Nach  einer  missverstandenen 
Beischrift  hielt  man  ehedem  den  Nikas  fOr 
den  Verfasser;  s.  Millbb,  M^lang.  3  f. 

^)  Reitzenstein,  Gresch.  d.  gr.  Etym.  254 
bis  286. 


842 


OriMhiMhe  Utter»tiirgMoliiohte.    IL  Haohklaanisdie  Littorfttor. 


and  dienen  sich  zur  gegenseitigen  Ergänzung;  am  reinsten  liegt  die  ur- 
sprüngliche Grundlage  in  dem  alten  Etymologicum  magnum  vor,  das  in 
der  Zeit  des  Photios  im  9.  Jahrhundert  entstanden  ist  Wert  für  die 
Wissenschaft  der  Wortherleitung  haben  diese  Etymologika  sämtlich  so  got 
wie  keinen;  die  Alten  tappten  eben  auf  diesem  Gebiet  ganz  im  Dunkeln, 
ohne  durch  methodische  Analyse,  Erforschung  der  Lautgesetze  und  Ve^ 
gleichung  der  verwandten  Sprachen  den  richtigen  Boden  zu  ihren  Ver- 
suchen zu  legen.  Aber  für  die  Geschichte  der  griechischen  Grammatik 
sind  gleichwohl  jene  Werke  von  Bedeutung,  zumal  meistens  die  Zeugen 
für  die  verschiedenen  Sätze  beigeschrieben  sind.  Vgl.  Krumbacher  Byz. 
Litt»  573  flf. 

Ed.  pr.  des  Etym.  magnam  von  Mububüs,  Venet.  1499,  beste  Ausgabe  bis  jetzt  yob 
Gaibford  1848.  —  Etym.  Gudianum  nnd  die  andern  Etymologica  von  Sturz,  ups.  1816—20. 
Etym.  Florentinnm  u.  Etym.  parvum  von  E.  Miller  in  Mölanges  de  litt  grecqne,  Paris  1868, 
p.  1—318  u.  319—340.  —  Proben  aus  Etvm.  Angelicanmn  von  Ritschl  Oposc.  I  674  £L  — 
Eine  Neubearbeitung  des  ganzen  Materiius  mit  den  seither  bedeutend  vermehrten  Hilfr- 
mitteln  ist  ein  dringendes  Bedürfnis,  dessen  Abhilfe  von  Rbitzbnstein  erwartet  wird.  — 
Ein  byzantinisches  Lexikon  des  Theodoros  Ptochoprodromos  publizierten  aus  einer 
Handschrift  von  Smyma  Papadopulos  u.  Miller  in  Annuaire  de  Fassociation  pour  Fencoa- 
ragement  des  ^tudes  grecques  t.  X  (1876)  p.  121  bis  136;  s.  Egbnolff  Jahresber.  d.  Alt 
XIV  1,  157  flf. 

631.  Hesychios  von  Alexandria,  wahrscheinlich  dem  S.Jahr- 
hundert angehörig,  ist  Verfasser  des  reichhaltigsten  der  aus  dem  Alter- 
tum uns  erhaltenen  Lexika.  Dasselbe  sollte  nach  dem  Brief,  den  der 
Verfasser  an  seinen  Freund  Eugenios  vorausschickt,  eine  Neuauflage  der 
UeQifQyonävTjTsg  des  Diogenianos  sein,^)  ergänzt  durch  Glossen  aus  den 
Homerlexicis  des  Apion  und  Apollonios.  Ob  das  zu  gründe  liegende  Werk 
des  Diogenianos  der  oben  §  556  erwähnte  Auszug  aus  Pamphilos  oder  ein 
davon  unabhängiges  selbständiges  Werk  gewesen  sei,  ist  eine  zwischen  Mor. 
Schmidt,  dem  verdienten  Herausgeber,  und  Hugo  Weber,  dem  tuchtigeD 
Sachkenner,  lebhaft  erörterte,  noch  nicht  definitiv  geschlichtete  Streit- 
frage.') Das  erhaltene  Lexikon  des  Hesychios  enthält,  abgesehen  von  den 
jungen  biblischen  Glossen,  in  knappster  Form  teils  bemerkenswerte  Les- 
arten der  Autorentexte  ßä^eig),  teils  ungewöhnliche,  nur  in  einzelnen  Dia- 
lekten oder  Städten  gebräuchliche  Ausdrücke  (yXaxrirm),  Die  ersteren 
haben  für  die  Kritik  und  Emendation  der  Autoren  schon  sehr  gute  Dienste 
geleistet,  indem  zuerst  Ruhnken  und  dann  andere  nach  ihm  aus  einzelnen 
Artikeln  die  ursprünglichen,  durch  die  darüber  geschriebenen  Glossen  aus 
dem  Text  verdrängten  Lesarten  der  klassischen  Autoren  nachwiesen.  Die 
dialektischen  Glossen  haben  für  das  Studium  der  griechischen  Dialekte 
hohen  Wert,  wenn  dieselben  auch  vielfach  durch  die  auf  Inschriftsteinen 
uns  erhaltenen  Zeugen  berichtigt  werden.»)     Eine  arge  Kopflosigkeit  liess 


*)  Der  Titel  UegtSQyoTieyijregy  den  SchluBS 
eines  Hexametere  bildend,  scheint  zu  be- 
deuten , Wörterbuch  fÄr  arme  Studenten.* 

0  Weber,  De  Hesychii  ad  Eulogium 
epistula,  Weimar  1865;  Untersuchungen  über 
Ä?  ,I^««kon  des  Hesychios,  Phüol.  Suppl. 
?i  ^^r^^^'  ^"-  Zarhckk,  Symbolae  ad 
Jul.  Pollucem  p.  46  sqq.  Auf  die  Seite  von 
»chnudt  stellt  sich  auch  Reitzbnstbin,  Rh. 


M.  43,  456  f. 

»)  Dass  von.  257  kyprischen  Glossen 
nur  das  einzige  ßgovxog  sich  im  heatigeo 
Kyprischen  erhalten  hat,  bemerken  Miun 
u.  Sathas  in  der  Ausgabe  des  Leontios 
Machaeras,  introd.  p.  XIIl.  lieber  die  latei- 
nischen Glossen  s.  Ihmisch,  Leips.  Stod.  VUI, 
266-878. 


B  b)  BömiBohe  Periode  nach  Konstantüi.  3.  Die  Proea.  e)  Grammatik.  (§§  631—633.)  848 


sich  der  Lexikograph  darin  zu  schulden  kommen,  dass  er,  durch  die  Ähn- 
lichkeit der  Buchstaben  r  und  F  verleitet,  alle  mit  Digamma  beginnenden 
Wörter. unter  dem  Buchstaben  y  aufführte.  Im  byzantinischen  Mittelalter 
wurden  in  das  alte  Werk  des  Hesychios  christliche  Glossen,  insbesondere 
Artikel  des  Eyrill-Qlossars,  nicht  ohne  vielfache  Missverständnisse  hinein- 
gearbeitet.^) 

Hesycliii  lex.  ed.  Albbbti,  confecit  Ruhnken,  LB.  1766,  2  vol.  —  rec.  Mob.  Schmidt, 
Jenae  1858—68,  4  vol.;  edit.  minor  1867,  1  vol.,  worin  der  Versuch  gemacht  ist,  die  Artikel 
des  DiogenianoB  von  den  Zns&tzen  des  Hesychios  zu  scheiden. 

632.  Hesychios  von  Milet,  mit  dem  Beinamen  lUustrius,  der  im 
6.  Jahrhundert  unter  Justinian  lebte,  war  Verfasser  des  für  die  griechische 
Litteraturgeschichte  hochwichtigen  litterarhistorischen  Lexikons  'Orofiaro- 
Xoyog  ^  niva^  twv  iv  naideitf  6roiita<XT(ov,  Dasselbe  ist  uns  nicht  im  Ori- 
ginal') erhalten,  sondern  nur  in  den  Auszügen,  die  aus  ihm  Suidas  in 
sein  Lexikon  aufnahm.»)  Hesychios  selbst  hinwiederum  war  im  wesent- 
lichen nur  Übermittler  älterer  Gelehrsamkeit,  indem  er  seine  Angaben 
zumeist  der  Movaixr]  laxoqia  des  Aelius  Dionysius  *)  und  den  litterarhisto- 
rischen Werken  des  Herennios  Philon  entnahm.  0)  Näheres  bei  Krum- 
bacher Byz.  Litt.«  323  flf. 

Hesychü  Milesii  Onomatologi  quae  supersunt  ed.  Flach  Lips.  1882.  —  Volkmann, 
De  Suidae  biographicis,  Bonn  1861;  Wachshuth,  De  fontibus  ex  quibus  Suidas  in  scriptorum 
graecornm  vitis  hauserit,  in  Symb.  phil.  Bonn.  I  137  ff.;  Daüb,  De  Suidae  biographicomm 
origine  et  fide,  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  XI  403  ff. 

633.  Suidas,  der  Verfasser  des  umfangreichsten  griechischen  Lexi- 
kons, welches  Sprach-  und  Reallexikon  zugleich  ist,  gehört  seiner  Lebens- 
zeit nach  dem  tiefen  Mittelalter  (10.  Jahrh.)  an,  fusst  aber  wesentlich  auf 
lexikalischen  und  grammatischen  Werken  des  Altertums.  Von  ihm  selbst 
werden  in  dem  Proömium  als  Quellen  angeführt:^)  Evörj^iog  ^i^twq  neQi 
Ih^soov^'')  ^EXXd6iog^^)  Evyävioq  AvyovtfTOT^o lecog  rtjg  iv  ^Qvyiif,  Zwcifiov  Fa- 
^aiov  Xs'^sig  ^r/tOQixai\^)  KaixiXiov  Sixekicitov  exkoyrj  Xä^eiov,  Aoyyivov  Kaa- 
cfov  A«j€i$,  AovnsQxov  Brjgvtiov  ^ÄTtixal  Xä^eig,^^)  Ovrjaxivov  ^lovXiov  dnizofirj 
Uafi^iXov  y^oxrcrwr,!!)    Ilaxaxog  tisqI  avvrix^etag  'ArTixJjg,    UaficptXov  Xeifiwv 


1)  Reitzevstein,  Die  üeberarbeitung  des 
Lexikons  des  Hesychios,  Rh.  M.  48  (1888) 
443  ff. 

•)  Das  Bftchlein  nfgl  tw*'  iy  nai^eitf 
^aXttfM^ayraty  aotpöyy  (neuerdings  heraus- 
gegeben von  Flach  in  BT.)  ist  ein  wertloses 
Fabrikat  der  Humanistenzeit,  wie  erwiesen 
von  I.EHBS  Rh.  M.  17,  453  ff. 

')  Suidas  n.  'Hcv^to^  MiXijaiog  *  fy^a^per 
oyofĀttoX6yoy  ij  nivaxa  ttoy  iy  naideiff  oyo- 
fAoazmy,    ov  innofjitj   i<ni    iwio  ro  ßißXioy. 

^)  Suidas  u.  'Bgtudiayoi. 

»)  RoBDB  Rh.  M.  38,  161  ff. 

*)  üeber  die  Quellen  des  Suidas  im  all- 
gemeinen handelt  Bernbardy  in  seiner  Aus- 
gabe; G.  Wkntzel,  Beitrftge  zur  Geschichte 
der  griechischen  Lexikographie,  Stzb.  d. 
preoBs.  Ak.  1895  S.  477  ff.  Von  den  meisten 
der  von  Suidas  seihet  angefahrten  Quellen 
war  bereits  im  vorausgehenden  die  Rede. 

')  Ueber  Eudemos  ein  Artikel  des  Suidas; 


RnsoHL,  Opusc.  I  669  setzt  ihn  vermutungs- 
weise ins  3.  Jahrh.  n.  Chr.  Eine  Ausgabe 
des  Eudemos,  unter  dessen  Name  Epitomai 
aus  Suidas  in  Handschriften  erhalten  sind, 
stellt  in  Aussicht  Botsen,  De  Harpocrati- 
onis  lexici  fontibus,  Kiel  1876. 

*)  Helladios  lebte  unter  Theodosios  II; 
sein  Lexikon  lag  noch  dem  Photios  vor,  der 
es  cod.  145  Xs^ixuiy  noXvaxixtüxaxoy  nennt. 
Suidas  hat  es  direkt  benutzt. 

^)  Dieser  Zosimos,  verschieden  von  dem 
Historiker,  lebte  nach  Suidas  unter  Ana- 
stasios  und  schrieb  ausser  dem  Lexikon 
Kommentare  zu  Lysias  und  Demosthenes; 
von  ihm  rührt  das  erhaltene  Leben  des 
Demosthenes  und  wahrscheinlich  auch  das 
des  Isokrates  her. 

^^)  Luperkos  lebte  nach  Suidas  unter 
Claudius  IL 

^M  Ueber  Vestinos,  Eirenaios  Pacatus 
und  die  andern  Attikisten  s.  §  571. 


844 


Grieohiaohe  LitteratiirgeBohiohte.    11.  NaohklassiMhe  Litteratiur« 


Xä^ewv  noixiXdüv^  UwUon'og  'Ale^avdqäwc  ^Arrixäv  Xä^ewv  cvvaywyrj.  Abw 
dieses  Quellenverzeichnis  hat  nur  auf  den  sprachlichen  Teil  des  Lexikons 
Bezug;  wahrscheinlich  hat  sogar  nicht  einmal  in  diesem  Suidas  die  an- 
geführten Werke  alle  selbst  vor  sich  gehabt,  sondern  ihr  Verzeichnis  zum 
Teil  nur  dem  Sammelwerk  entnommen,  das  ihm  in  den  sprachlichen  Ai^ 
tikeln  als  hauptsächlichste  Vorlage  diente.^)  Auserdem  benutzte  er  noch 
manche  andere,  nicht  ausdrücklich  genannte  Quellen,  insbesondere  gute 
Schollen  zu  Aristophanes,  den  Tragikern,  Homer  und  Thukydides,  ferner 
den  Onomatologos  des  Hesychios  Milesios,  das  Elxzerptenwerk  des  Eon- 
stantinos Porphyrogennetos,')  die  Philosophenbiographien  des  Diogenes. 
Endlich  ergänzte  er  das  aus  den  genannten  Quellen  Exzerpierte  durch 
eigene  Lektüre  der  im  10.  Jahrhundert  noch  fleissig  in  Byzanz  gelesenen 
Schriften  des  Aelian,  Arrian,  Athenaios,  Philostratos,  Babrios.  Die  An- 
ordnung der  Artikel  ist  in  den  Handschriften  alphabetisch,  doch  so,  dass 
unter  Berücksichtigung  der  damals  herrschenden  Aussprache  die  Wörter 
mit  beginnendem  ai  nicht  unter  a,  sondern  nach  <f,  die  mit  «f  zusanunen 
mit  denen  auf  rj  und  i  nach  C  stehen  (xar'  avrtatoixtc^v).  Der  Wert  des 
Werkes  ist  treffend  mit  dem  Epitheton  vdlus  aureum  bezeichnet:  Suidas 
ist  für  Litteraturgeschichte  und  Antiquitäten  eine  unschätzbare,  mit  Gold 
nicht  aufzuwiegende  Quelle,  aber  er  selbst  hat  ohne  Kritik  und  ohne  Methode 
mit  wüster  Gelehrsamkeit  seine  Vorlagen  ausgeschrieben. 

Dem  Suidas  ward  früher  gewöhnlich  als  Appendix  das  Violarium 
(7<üi'icf)  der  Kaiserin  Eudokia  (1059—1067)  angehängt  und  von  denLit- 
terarhistorikem  zur  Ergänzung  einzelner  Artikel  des  Suidas  benutzt  Jetzt 
muss  dieses  Lexikon  aus  dem  Verzeichnis  der  alten  Quellenwerke  ge- 
strichen werden,  nachdem  Nitzsche,  Quaestiones  Eudocideae  (1868)  und 
Pulch,  De  Eudociae  quod  fertur  Violario  (1880)  den  Nachweis  geliefert 
haben,  dass  dasselbe  die  Fälschung  eines  gelehrten  Griechen  der  Renais- 
sance ist,  welcher  seine  Auszüge  aus  Suidas  mit  einigen  aus  Athenaeus, 
Maximus  Tyrius  u.  a.  geschöpften  Notizen  bereicherte.  Der  Name  des 
Fälschers  war  Konstantinos  Palaiokappa  aus  Kreta,  der  unter  Heinrich  II 
an  den  Pariser  Bibliotheken  thätig  war.») 

Codices  des  Suidas:  Paris.  2625  (A),  Leidensis  Voss.  2  (V).  Hauptansgaben  vob 
Küster,  Cambr.  1705;  von  Gaisford,  Oxon.  1834,  3  vol.  foL;  von  Bkbnhabdt,  Halis  1853; 
2  vol.  fol.;  von  I.  Bekkeb,  Berol.  1854,  handliche  Ausgabe,  ganz  nach  dem  Alphabet  ge- 
ordnet. —  Eudokia  zuerst  herausgegeben  von  Yilloison,  Anecd.  gr.  I,  1781,  neuerdings  vob 
Flach  in  Bibl.  Teubn.  1880.  Der  einzige  Codex  derselben  ist  der  Paris.  3057  ans  dem 
16.  Jahrhundert. 

Aus  einer  Epitome  des  Suidas,  welche  auf  der  anderen  Seite  wieder  durch  gram- 
matische Glossen  des  Et.  M.  und  Sprichwörtererkl&rungen  des  Ps.Diogeniano6  erweitert  war. 


')  Zu  beachten  ist  aber  dabei,  dass 
Suidas  in  dem  Lexikon  allen  diesen  Männern 
sehr  ausfOhrliche  Artikel  gewidmet  hat. 
Vgl.  Naber,  Phot  lex.  I  164  ff.  Drastisch 
sagte  bereits  Valckbnaeb  zu  Theoer.  Adon. 
p.  297:  Suidam  ego  quidem  iudico  nullnm 
vidisse  lexicorum,  quae  in  fronte  libri  memo- 
rantur.  Ueber  das  Verhältnis  zu  Photios  s. 
§  634. 

*)  Dass  die  historischen  Nachrichten  des 
Smdas  nicht  aus  den  grossen  Originalwerken, 


sondern  aus  dem  Exzerptenwerk  des  Koa- 
stantinos  Porph3rrogennetos  geflossen  sind 
und  Suidas  höchstens  die  Chronik  des  Geor- 
gios  Monachos  selbst  einsah,  beweist  Db 
BooB,  Herrn.  21,  1—26. 

»)  PuLOH,  Herrn.  17, 176  ff.  Näheres  ober 
diesen  Fälscher  und  seinen  Grenossen  giW 
L.  CoHN,  Konstantin  Palaeokaraa  und  Jakw 
DiassorinoB,  in  Phil.  Abh.  zu  Ehren  von  M. 
Hertz  S.  123—143. 


B  b)  Bömisclie  Periode  nach  Eonatanün.  8.  Die  Prosa,  e)  Grammatik.  (§§  684—635.)  845 


sind  geflossen  das  Lex.  des  cod.  Coislin.  177  und  das  Lexikon  des  Ps.Endemos  in  cod.  Vindob. 
gr.  132,  Lanr.  59,  38,  Par.  2635,  worüber  Bbbn.  Sohneck,  Quaest  paroemiographicae,  Bresl. 
1892  Diss. 

634.  Photios,  der  einflussreiche  Patriarch  von  Eonstantinopel  (858 
bis  867  u.  878 — 886),^)  ist  Verfasser  des  grossen  Exzerptenwerkes -Bi/?A*o- 
>jjxi;  ij  MvQioßißXog  und  eines  Lexikons  Aä^emv  crvraycoyij.  Die  Bibliothek 
enthält  ein  reichhaltiges,  mit  Inhaltsangaben  und  Auszügen  ausgestattetes 
Verzeichnis  von  280,  jetzt  zum  grossen  Teil  verloren  gegangenen  Werken, 
welche  Photios  teils  mit  seihen  Schülern  besprochen,  teils  auf  einer  Ge- 
sandtschaftsreise nach  Persien  gelesen  hatte.  Das  Buch  ist  schlecht  an- 
gelegt, indem  die  verschiedensten,  heidnischen  und  christlichen  Schrift- 
steller bunt  durcheinander  geworifen  sind,  gibt  uns  aber  einen  höchst 
erwünschten  Ersatz  für  die  verlorenen  Originalwerke  und  enthält  zugleich 
ein  interessantes  Zeugnis  für  den  damaligen  Bestand  der  Bibliotheken  des 
byzantinischen  Reiches.  —  Das  Lexikon  fusst  teils  auf  Diogenian,*)  dessen 
Kenntnis  dem  Verfasser  durch  die  rhetorischen  Lexika  des  Dionysios  und 
Pausanias  (s.  §  562)  vermittelt  war,  teils  auf  Speziallexicis  zu  Piaton,  den 
attischen  Rednern  und  Homer;')  auf  der  Gleichheit  der  Quellen  beruht 
die  häufige  Übereinstimmung  mit  Suidas;  benutzt  ward  es  bereits  von  dem 
Verfasser  des  alten  Etymologicum  magnum.*) 

Hauptcodex  der  Bibliothek  des  Photios  ist  Marc.  450;  ed.  princ.  von  Hösohbl,  Augs- 
burg 1601;  Ausgabe  mit  kritischem  Apparat  von  Bbkker,  Berol.  1824,  2  vol.  üeber  die 
dorch  dieselbe  vermittelte  Bereicherung  der  iJten  Litteratur  s.  Soböll,  Gr.  Litt.  III  209—218. 

Der  Cod.  archetypus  des  Photios-Lexikons  befindet  sich  zu  Cambridge;  aus  ihm  hatten 
schon  einzelnes  BenÜey,  Ruhnken,  Alberti  mitgeteilt,  bis  G.  Hermann  den  ersten  Druck  im 
Nachtrag  zum  Lexikon  des  Zonaras  besorgte  (1808).  Hauptausgaben  desselben  sind  von  Porson, 
Lond.  1822,  2  vol.,  und  von  Nabbr,  LB.  1866,  2  vol.  mit  ausftlhrlichen,  die  ganze  Lexiko- 
graphie der  Griechen  beleuchtenden  Prolegomenis. 

635.  Ausserdem  sind  uns  noch  mehrere  Lexika  ohne  Namen  oder 
unter  falschem  Namen  überliefert.  Die  wichtigsten  sind  die  sechs  Lexika 
Segneriana,  so  betitelt  nach  dem  ehemals  im  Besitz  von  Seguier  be- 
findlichen Cod.  Coislinianus  345  der  Pariser  Bibliothek.  Das  namhafteste 
derselben  ist  das  sogenannte  JC^^/cri^cov-Lexikon,  mit  dem  vollständigen 
Titel  Swaytüfq  Xs^etov  xqriaiiiwv  ix  iiatpoQwv  aoifiav  re  xal  ^rfüoqdov  noXXeov. 
Dazu  kommen  die  aus  praktischen  Bedürfnissen  entsprungenen  lateinisch- 
griechischen und  griechisch-lateinischen  Lexika,  von  denen  ich  das  be- 
deutendste bereits  oben  §  573  besprochen  habe.  —  Falsche  Namen  tragen 
die  Olossaria  des  Philoxenus  (Konsul  525)  und  Cyrillus^)  und  das 
Lexikon  technologicum  des  Philemon.  Gar  nichts  mit  dem  alten  Favo- 
rinus  hat  zu  thun  das  zu  Rom  1523  gedruckte  Lexikon  des  Varinus  Pha- 
vorinus  (d.  i.  Guarino's,  Bischofs  von  Nocera).  —  Aus  dem  Altertum  stammt 
vielleicht  noch  das  Lexikon  des  echten  Kyrillos,  der  nach  der  Überschrift 
KvQiXXov  TOI»  ctyKordiov  a^xteniaxonov  ^AXe^avS^siaq  Xh^ewv  avvayoayq  xard 


^)  Erukbacher  Bvz.  Lit.'  515  ff. 

')  Diogenianos  seihst  ist  citiert  u.  «.  tt, 

')  BILLIG,  Quae  ratio  inter  Photii  et 
Suidae  lexicon  intercedat,  Diss.  Hai.  VÜI 
(1887)  1  ff.;  Wentzel,  Die  attikistischen 
Glossen  im  Lexikon  des  Photios,  Herm.  30 
(1895),  367  ff. 

*)  Reitzbkstein,  Geschichte  der  griech. 
Etymologika  60  f.;   wenn  das  Lexikon  des 


Photios  im  Etymologicum  gewöhnlich  unter 
dem  Titel  t6  QtjroQixoy  citiert  ist,  so  zeigt 
dieses,  dass  Photios  zu  seiner  Hauptquelle, 
einem  älteren  anonymen  Lexikon,  nur  weniges 
selbst  hinzufügte. 

^)  Die  Unechtheit  erwiesen  von  Rudorff, 
lieber  die  Glossare  des  Philoxenus  und  Cy- 
liUus,  Abhdl.  d.  Berl.  Akad.  1865. 


846  Chrieohisohe  LüUratnrgMohiohte.    IL  HaehklMsiflohe  Lüierater. 

ctoixeiov  eine  Person  mit  dem  berühmten  Patriarchen  von  Alezandria  war. 
Näheres  bei  Krumbaeher  Byz.  Lit.»  561  f.  u.  571  ff. 

Ausgabe  der  Lexika  Segueriana  von  Bbkkbb  Anecd.  gr.,  Berlin  1814.  Das  6.  auf 
p.  319—476  enüiält  von  dem  X^f/^ri/iaif-Lexikon  den  Buchstaben  A  (neubearbeitet  von 
BoTSBir,  Marburg  1891);  das  vollstAndige  X^ijaifitoy-Lex.  von  Bachmann  An.  gr.  1 1—422. 
(Dazu  LiBBBBiCH  in  Abhdl.  zu  Ehren  Christa,  Manchen  1891  S.  264  fL)  —  Das  5.  Bekker'acke 
Lexikon  (An.  gr.  195 — 318),  dessen  Grundstock  ein  sprachliches  und  sachliches  Lexikon  zo 
den  zehn  Rednern  bildet,  deckt  sich  vielfach  mit  dem  Lexikon  des  Photios  infolge  der  Be- 
nutzung gleicher  Vorlagen.  —  Von  dem  auf  den  Granunatiker  Methodios  zurackgehenden 
JlfKodsiy 'Lejlkon  hat  Stukz  im  Anhang  des  Et  Gnd.  p.  617  fL  ein  Exzerpt  veröffentlicht; 
s.  Kopp,  Zur  Quellenkunde  des  Et.  M.,  Rh.  M.  40,  871  ff.  Neue  Gesamtausgaben  der  Lexico- 
graphi  graeci  in  10  Bdn  angekündigt  von  Teubner. 

Die  Glossaria  des  Philoxenns  und  C^rillus  haben  wir  jetzt  in  kritische  Bea^ 
beitung  im  2.  Bde  des  Corpus  glossariorum  latmorum  von  GOtz  u.  Gurdbbxakn,  ups.  1888. 

Vom  Lexikon  des  Eyrillos  (in  Cod.  Vallicellianus  £  11  s.  X  und  vielen  anderen 
codd.)  wird  eine  kritische  Gesamtausgabe  von  Rbitzbnstbin  erwartet.  In  dasselbe  sind 
Artikel  aus  dem  biblischen  Stbphanus-Glossab  {X^Uü  Toiy  iv^a^etaty  y^aqmr)  gekommen, 
das  im  Cod.  Coislinianus  394  s.  X  existiert  und  seinen  Namen  davon  hat»  dass  es  Stephanns 
im  Anhang  seines  Thesaurus  veröffentlichte. 

Das  Lexikon  technologicum  des  Philemon,  das  sein  Herausgeber  Osann  (1821)  in 
das  5.  Jahrhundert  setzen  wollte,  ist  erst  im  16.  Jahrhundert  unter  erlogenem  Titel  &bn- 
ziert  worden;  dieses  ist  nachgewiesen  von  Lbhbs  Jahrb.  f.  Phil.  105  (1872),  465  ffL  =  Die 
Pindarscbolien  p.  164  ff.;  vgl.  Cohn,  Phil.  Abh.  zu  Ehren  von  Hertz  133  ff. 

Das  Lexikon  Vindobonense  (aus  Cod.  Vind.  169  herausgegeben  von  Nauck, 
Petrop.  1867)  ist  nach  dem  Patriarchen  Georgios  Kyprios  (1283 — 9),  der  öfters  citiert  wird, 
von  Andreas  Lopadiotes  verfasst,  und  enth&lt  ausser  spftrlichen,  meist  aus  Hsrpokration 
geflossenen  Glossen  der  alten  Zeit  zahlreiche  Znsfttze  aus  den  Schriften  der  sophistiacbeD 
Rhetoren  Aristides,  Libanios,  Synesios,  Julianos,  Gregorios.  —  Im  Anhang  gibt  Nauck  nocb 
eine  Reihe  anderer  Lexika  und  grammatischer  Schriften. 

Chrestomathien. 

636.  Die  Grammatiker  hatten  seit  alters,  in  steigendem  Masse 
aber  in  der  römischen  Zeit  die  Gewohnheit,  die  alten  Autoren  nach  ge- 
wissen Gesichtspunkten  durchzulesen  und  aus  ihnen  dasjenige  auszuziehen 
{ExXsyead^m)^  was  ihnen  fUr  die  Anlage  ihrer  Sammlungen  und  zur  Durch- 
führung irgend  einer  Untersuchung  von  Belang  zu  sein  schien.  Schon  Dio- 
genes III  65  fand  in  seinem  Piaton  öfters  am  Rande  ein  X  ne^etmyiuvw 
ngog  tag  ixXoydg  xal  xaXXiyQa<f(aq^  und  auch  wir  begegnen  noch  häufig 
in  griechischen  Handschriften  diesem  X^  das  mit  x^iycrro'v  oder  xQrflipm 
gedeutet  wird  und  mit  jenen  Bestrebungen  der  Grammatiker  und  Sophisten 
zusammenhängt.!)  Eine  vollständige  Litteratur  von  Exzerpten  (inloyai), 
Blütenlesen  {av^oloyia)^  Chrestomathien  (xQrfl%ofiaO^(ai)  entstand  gegen  Ende 
des  Altertums,  als  man  sich  nicht  mehr  die  Mühe  nahm,  die  grossen  Werke 
von  vom  bis  hinten  durchzulesen,  sondern  sich  mit  einer  Auswahl  der 
vorzüglichsten  Stellen  begnügte.  Die  Exzerpte  haben  nicht  wenig  zum 
Untergang  der  Originalwerke  beigetragen,  für  uns  aber  haben  dieselben, 
nachdem  nun  einmal  doch  die  Originale  verloren  gegangen  sind,  eine  nicht 
zu  unterschätzende  Bedeutung. 

637.  Proklos  wird  von  Photios  cod.  239  als  Verfasser  einer  K'r 
CTOfia^ia  YQafijiiaTixfj  in  4  B.  angeführt.  Erhalten  sind  Auszüge  [ixloyai) 
aus  den  2  ersten  Büchern,  in  denen  zuerst  kurze  einleitende  Bemerkungen 
über  den  Unterschied  von  Prosa  {Xoyog)  und  Poesie  (noir^iia)  gegeben  und 

^)  Eine   ähnliche  Bedeutung  hatte  auch  das  oft  am  Rande  heigeschriebene  m^>- 


Bb)  BömiMhe  Periode  naoh  Eonstantin.  3.  Die  ProM.  e)  Grammatik.  (§§  636-688.)  847 

dann  ausführlicher  vom  Epos,  der  Elegie,  dem  lambos,  den  verschiedenen 
Arten  der  melischen  Poesie  gehandelt  ist,  und  zwar  so,  dass  bei  jeder 
Dichtgattung  die  Hauptvertreter  derselben  aufgezählt,  von  den  Dichtungen 
des  epischen  Eyklos  auch  Inhaltsangaben  beigegen  sind.^)  Die  2  letzten 
Bücher  handelten  vermutlich  von  der  dramatischen  Poesie  und  den  Gat- 
tungen der  prosaischen  Rede.  In  dem  Exemplar  des  Suidas,  der  im  Gegen- 
satz zu  Photius  nur  3  Bücher  anführt,  wird  die  Prosa  ganz  gefehlt  haben. 
Suidas  schreibt  ebenso  wie  ein  Scholiast  des  Gregor  von  Nazianz*)  diese 
Chrestomathie  dem  Neuplatoniker  Proklos  des  5.  Jahrhunderts  zu;  dass 
dieses  ein  Irrtum  sei  und  die  Chrestomathie  einem  nüchternen,  besser 
unterrichteten  Grammatiker  und  wahrscheinlich  auch  einer  älteren  Zeit, 
dem  2.  oder  3.  Jahrhundert  n.  Chr.,  angehöre,  haben  Valesius  und  Welcker, 
Ep.  Cycl.  I  3  ff.  richtig  erkannt.')  Aber  schwer  ist  es,  eine  bestimmte 
Persönlichkeit  herauszufinden.  Denn  mit  dem  Grammatiker  Eutychius 
Proklus  von  Sicca,  dem  Lehrer  des  Kaisers  Antoninus,  darf  der  Verfasser 
unserer  Chrestomathie  nicht  identifiziert  werden,  da  jener  nach  Capitolinus, 
vit.  Anton.  2,  ein  Lateiner  war.*)  Die  solide  Gelehrsamkeit  unseres  Proklos 
stimmt  auch  nicht  zu  der  abergläubischen  Manier  des  Grammatikers  Pro- 
culus  bei  Trebellius,  vit.  Aemil.  22.  Der  Proclus  interpres  Pindari  des  un- 
echten Apuleius  de  orthogr.  43  kommt  ohnehin  mit  der  Unechtheit  jener 
Schrift  in  Wegfall.  Um  den  Proklos,  von  dem  Alexander  Aphrodiensis 
zu  Arist.  soph.  el.  p.  4  eine  ioQtdv  anagiO^iAr^mg  anführt,  mit  dem  Verfasser 
unserer  Chrestomathie  zu  identifizieren,  fehlen  nähere  Anhaltspunkte. 

Procli  chrestom.  ed.  Gaisford  in  der  Ausgabe  des  Hephästdon,  Oxon.  (1810),  ed.  III. 
1856.     Daraus  wiederholt  von  Wsstphal,  Scriptores  metrici  graeci,  in  Bibl.  Teubn. 

688.  Sopatros,  Sophist  aus  Apamea  oder  Alexandria,  wird  von 
Photios  cod.  161  als  Verfasser  von  ixXoyaX  didtfOQoi  in  12  B.  angeführt. 
Derselbe  ist  wohl  eine  Person  mit  dem  Rhetor  Sopatros,  von  dem  sich  noch 
langweilige  rhetorische  Schriften  und  Kommentare  erhalten  haben.  ^)  Sein 
buntes  Exzerptenwerk  begann  mit  den  Göttern,  wobei  vorzüglich  die  Schrift 
des  ApoUodor  nsQi  &€(ov  und  ausserdem  Juba  und  Athenaios  benutzt  waren. 
Die  beiden  folgenden  Bücher  waren  aus  den  Sammelwerken  der  Pamphila 
und  des  Favorinus  und  dem  Buche  des  Artemon  aus  Magnesia  über  aus- 
gezeichnete Frauen<^)  ausgezogen.  Den  nächsten  3  Büchern  lag  hauptsäch- 
lich die  lAovaixrj  iaxoQia  des  Rufus  zu  gründe,  der  selbst  hinwiederum  die 
-i^savQixrj  taroQia   des  Juba  und  die  flov(X^xrj  latoQta   des  Aelius  Dionysius 


*)  Diese  Inhaltsangaben  sind  im  wesent- 
lichen identisch  mit  denen  der  vervollstän- 
digten Bibliothek  des  Apollodor  (oben  §  576); 
v^.  Bbtbe  Herrn.  26,  593  ff. 

')  Patrol.gr.  ed.  Migne  36,914  c:  l7eoxAo( 
6  BXtettoytxog  iy  fioyoßlßXta  negl  xvxXov  int^ 
rsrO^fifiiyH, 

»)  WiLAMOWiTZ,  Phil.  Unt.  VU  330  sieht 
keine  Veranlassung,  die  byzantinische  Tra- 
dition za  bezweifeln.  Aber  alles,  was  wir 
von  den  grammatischen  Theorien  des  Neu- 
platonäLera  Proklos  wissen,  spricht,  wie  einer 
meiner  Schüler  nachweist,  gegen  die  Tra- 
dition.    Auch  ans  der  Stillehre  beweist  W. 


ScHMiD  Rh.  M.  49,  161,  dass  der  Verfasser 
unserer  Chrestomathie  im  2.  Jahrh.  kurz  vor 
Hermogenes  lebte.  Es  mfisste  also  nur  der 
Neuplatoniker  Proklos  sich  geradezu  ein 
älteres  Buch  angeeignet  haben. 

*)  Schmidt,  Didymi  fragm.  p.  390. 

^)  Vergl.  oben  §  547. 

«I  S.  Wbstbbmann,  Paradoxogr.  213—8, 
und  Val.  Rose,  An.  gr.,  Berl.  1864,  der  I, 
14  bezüglich  der  dort  publizierten  Schriften 
Fvyaixeg  iy  noXifJLOig  avyetal  xal  aydQeiai 
und  Tiyeg  oJxoi  ayäatarot  did  yvyaixag  iyä^ 
poyxo  an  Sopaters  Eklogen  erinnert. 


848 


Griechische  Litteratnrgeechiehte.    IL  HachklaMUiche  Litteratur. 


geplündert  hatte.  Das  6.  Buch  war  aus  Herodot,  die  fünf  letzten  zumeist 
aus  den  Schriften  des  Plutarch  ausgezogen.  Me  Eklogen  sind  verloren 
gegangen,  Reste  davon  enthält  die  von  Rose,  Anecd.  gr.  I  publizierte 
Schrift  über  die  klugen  und  tapferen  Frauen. 

Helladios  aus  Ägypten  unter  Licinius  und  Maximinianus,  wahr- 
scheinlich verschieden  von  dem  Lexikographen  Helladius,  der  unter  Theo- 
dosios  dem  Jüngeren  lebte,  i)  schrieb  in  iambischen  Versen  eine  Chresto- 
mathie in  4  B.  über  vermischte,  dem  weiten  Gebiet  der  grammatischen 
Historie  angehörende  Dinge;   einen  Auszug  davon  gibt  Photios  cod.  279. 

639.  Joannes  Stobaios  ist  Verfasser  eines  wertvollen,  uns  noch 
erhaltenen  Exzerptenwerkes.  Derselbe  hatte  den  Namen  Stobaios  von 
seiner  Vaterstadt  Stoboi  in  Makedonien  und  lebte  nach  dem  Neuplatoniker 
Hierokles,2)  aus  dessen  Schrift  Tfva  tqotiov  &€oTg  xQ^i^^^'ov  er  mehrere 
Stellen  anführt.  Aber  schwerlich  überlebte  er  lange  diesen  Philosophen, 
da  er  noch  der  heidnischen  Religion  anhing  und  nirgends  christliche 
Schriften  citiert.  Seine  Anthologie  (äv&okoyiov)  in  4  B.,  aus  mehr  als  500 
Schriftstellern,  Dichtem  und  Prosaikern,  zusammengestellt,  widmete  er 
seinem  Sohne  Septimius,  auf  dessen  Bildung  er  durch  die  gesammelten 
Blütenlesen  einwirken  wollte.  Dem  Patriarchen  Photius  cod.  167  lag  das 
Werk  noch  unverstümmelt  in  4  Büchern  und  2  Bänden  {^evx^j)  vor.«)  Diese 
Zweiteilung  scheint  der  Grund  gewesen  zu  sein,  dass  dasselbe  im  Laufe 
des  Mittelalters  in  2  Werke,  in  die  ^ExXoyai  (Eclogae  physicae  et  ethicae) 
und  das  ^Av&oXoyiov  (Florilegium  oder  Sennones)^  auseinandergenonmien 
wurde.  Innerlich  ist  diese  Trennung  unberechtigt,  da  alle  Bücher  in  der 
gleichen  Weise  angelegt  sind  und  das  3.  Buch  sogar  enger  mit  dem  2., 
als  das  2.  mit  dem  1.  zusammenhängt.  Gehandelt  ist  in  dem  1.  Buch, 
nach  einer  inzwischen  verloren  gegangenen  Einleitung  über  den  Wert  der 
Philosophie  und  die  philosophischen  Sekten,  von  Fragen  der  Metaphysik 
und  Physik;  das  2.  und  3.  Buch  ist  nach  Erörterung  einiger  Punkte  der 
Erkenntnislehre  {t6  koytxov)  ganz  der  Ethik  gewidmet;  das  4.  Buch  end- 
lich handelt  von  der  Politik  und  im  Anschluss  daran  von  der  Familie  und 
der  Hausverwaltung  {oixovof^ita),  t)ie  Methode  ist  die,  dass  regelmässig 
ein  Beweissatz  (60  im  1.  Buch,  46  im  2.,  42  im  3.,  58  im  4.)  vorangestellt 
und  dazu  die  passenden  Belegstellen  zuerst  aus  Dichtern  und  dann  aus 
Philosophen,  Historikern,  Rednern  und  Ärzten  gegeben  werden.  Hätte 
Stobaios  die  Stellen  alle  selbst  gesammelt,  so  würde  das  eine  ausserordent- 
liche Belesenheit  voraussetzen;  aber  wahrscheinlich  hat  derselbe  vieles 
älteren  Sammlungen  entnommen.*)  Unter  allen  Umständen  aber  ist  uns 
das  Werk  durch  die  zahlreichen  wörtlich  angeführten  Stellen  aus  inzwischen 
verloren  gegangenen  Schriften  von  ausserordentlichem  Wert.  Um  so  mehr 
ist  es  zu  bedauern,  dass  dasselbe  nicht  vollständig  und  unverfälscht  auf 
uns  gekommen  ist;  von  dem  1.  Buch  fehlt  der  Eingang,  das  2.  hat  zwei 
grosse  Lücken,  durch  welche  mehr  als  die  Hälfte  des  Buches  ausgefallen 


*)  An  eine  Identität  beider  glanbt  Na- 
BBR,  Phot.  lex.  I  184  ff. 

*)  Ueber  diesen  s.  §  624. 

•)  Wachsmuth,   De   Stobaei   eclogis,  in 


Studien  zu  den  griech.  Florilegien,  BerL  1^2, 
S.  55  ff.;  Henbe,  Teletis  rell.  proleg.  p. 
Vn  sqq. 

^)  Vgl.  DiBLS,  Rhein.  Mus.  30,  172  £ 


B  b)  BOmiBohe  Periode  nach  Konetantm.  3.  Die  Prosa,  e)  Grammatik.  (§§  639—640.)  849 

ist,  das  3.  und  4.  aber  sind  zu  einem  Buche  unter  Veränderung  der  alten 
Abschnitte  zusammengezogen. 

Die  Vulgata  berohte  auf  der  Ausgabe  von  E.  Gbsnbr,  Turici  1549,  der  die  Reihen- 
folge willkttrlich  änderte  und  ausserdem  das  Anthologion  durch  selbstgesammelte  Eklogen 
vermehrte.  Die  ursprüngliche  Ordnung  auf  Grund  der  besten  Handschriften  ist  wieder  her- 
gestellt  in  der  kritischen  Ausgabe  von  G.  Waobsmuth  u.  0.  Hensb  3  Bd.,  Berol.  1884/94. 
Frühere  Hauptausgaben  von  Heeren,  Gotting.  1792;  von  Gaisfobd,  Oxon.  1812.  Textes- 
ansgabe  von  Meinkke  in  Bibl.  Teubn.  —  Eine  metrische  üebersetzung  der  angeführten 
Dichterstellen  gab  Huoo  Gbotius,  Dicta  poetarum  quae  apud  Stobaeum  ezstant,  Paris  1623. 
—  Ein  Verzeichnis  der  angeführten  Autoren  u.  Bücher  gibt  Photios,  abgedruckt  bei  Meinbke, 
praef.  p.  XXXVil  sqq.,  und  danach  Scholl,  Gr.  Litt.  IH  399—411.  -  Der  Anteil  des  Stoikers 
Chrysippos  an  der  Spruchlitteratur  nachgewiesen  von  Elteb,  De  Gnomologiorum  graecorum 
historia  atque  origine,  Bonn  1893. 

640.  Sentenzensammlungen.  Einer  besonderen  Beliebtheit  er- 
freuten sich  im  Altertum  die  Aussprüche  berühmter  Männer,  mit  deren 
Anfuhrung  man  sowohl  die  mündliche  Rede  zu  würzen,  als  die  philoso- 
phischen und  sophistischen  Schriften  zu  schmücken  liebte.  Sammlungen 
von  solchen  Aussprüchen  {dnotpx^äyfiaTa)  und  Sentenzen  {yvwfiai),  die  man 
teils  aus  der  mündlichen  Überlieferung  über  das  Leben  und  die  Eern- 
sprüche  bewährter  Männer  schöpfte,  teils  aus  den  Schriften  sentenzen- 
reicher Autoren  und  Dichter  auszog,  sind  frühzeitig  gemacht  worden. 
Derart  sind  die  unter  Plutarchs  Namen  erhaltenen  äno^px^syficna  von 
Königen  und  Feldherrn ;  ^)  derart  waren  auch  die  verlorenen  Gnomologika 
des  Favorinus  und  die  Anthologie  aus  Demokrit,  Isokrates  und  Epiktet.^) 
Im  5.  Jahrhundert  hat  ein  solches  'Avx^oXoyiov  yvmii£v  der  Grammatiker 
Orion  für  die  Kaiserin  Eudokia  zusammengestellt,  dessen  dürftige  Über- 
bleibsel im  Meineke'schen  Stobaios  IV  249 — 66  stehen.  In  metrische  Form 
gekleidet  waren  die  aus  ungefähr  gleicher  Zeit  stammenden,  von  uns  schon 
bei  anderer  Gelegenheit  besprochenen  Blütenlesen  MevdväQou  xal  (DiXusti- 
avog  avyxQiaigj    Ti3v  imd  ao(pwv  onoffd^äyiiaTa, 

Der  Philogelos  ist  eine  Sammlung  witziger  Aussprüche  {darsia), 
die  den  Grammatikern  Hierokles  und  Philagrios  beigelegt  wird^) 
und  vermutlich  im  5.  Jahrhundert  entstanden  ist.  Dieselbe  enthält  in 
etwas  über  260  Nummern  allerlei  schlechte  Witze,  manche  gute,  meistens 
aber  wirklich  schlechte  —  facetias  vel  potius  ineptias  hat  sie  ein  geist- 
reicher Herausgeber  genannt  — ,  die  teils  Charakterpersonen,  wie  dem 
Scholastikos,  dem  Witzbold,  dem  Geizhals,  dem  Weiberfeind,  teils  den  Be- 
wohnern gewisser  Städte,  wie  den  Abderiten,  Sidoniern,  Kumäem,  in  den 
Mund  gelegt  werden.  Ein  Teil  wenigstens  derselben  stammt  aus  der  Zeit, 
in  der  noch  Komödien  und  Tragödien  auf  der  Bühne  gegeben  wurden 
(n.  246  u.  259);  einen  bestimmten  Zeitpunkt  bietet  Nr.  62,  wo  der  römi- 
schen Säkularspiele  im  Jahre  246  n.  Chr.  gedacht  ist.  Dass  der  Samm- 
lung unserer  Handschriften  zwei  ältere  Sammlungen  zu  gründe  liegen, 
ergibt  nicht  bloss  der  Titel,  der  die  zwei  sonst  nicht  näher  bekannten 
Verfasser  nennt,  sondern  auch  der  Umstand,  dass  öfters  derselbe  Witz 
zweimal  an  verschiedenen  Stellen  erzählt  wird. 


*)  WACHSMtJTH,  Studien  zu  den  griech. 
Florilegien  S.  162  ff.  Vgl.  Useneb,  Epicurea 
p.  LIY  f.  über  ein  gnomologium  Epicureum 
aus    Briefezzerpten    des    Epikur,    Metrodor, 


Polyän,  Hermarchos. 

^)  Ein  4»iXiaTi<oy  NixaBvg  wird  nach  einem 
Epigramm  des  Suidas  u.  *iXicrlioy  als  Ver- 
fasser des  Philogelos  bezeichnet. 


Bandbuch  der  klan.  AltertumswiaBenflchaft.    TU.    8.  Aufl.  54 


850  OrieohlBohe  LüteratorgeMhichte.    n.  HaohUMsisolia  Lltteratar. 

Dem  Mittelalter,  wahrscheinlich  der  Mitte  des  10.  Jahrhunderts,  ge- 
hören die  aus  profanen  und  sakralen  Quellen  gezogenen  Parallela  des 
Joannes  Damaskenos  an.^)  Ihr  Verfasser  hatte  in  dem  profanen  Tdl 
seiner  Anthologie  ausser  Stobaios  noch  manche  inzwischen  verloren  ge- 
gangene Sammlung  benutzt ;  seine  Anthologie  selbst  muss  aus  den  jüngeren, 
allein  uns  erhaltenen  Florilegien  rekonstruiert  werden.  Diese  sind  das 
Florilegium  des  Cod.  Parisinus  1168,  die  ursprünglichste  und  verlässigste 
Quelle,  ferner  die  Eklogai  des  Mazimus  Confessor  (in  einer  Handschrift 
des  10.  Jahrhunderts),  die  Melissa  des  Antonius  und  des  Cod.  Augustano»- 
Monacensis  429,  das  Forilegium  Laurentianum  (Cod.  Laur.  Y  2). 

Wachskuth,  Stadien  zu  den  griech.  Florilegien,  Berlin  1882.  Schon  vor  Plntaich 
existierte  eine  reichhaltige  Sammlnng  von  Apophthegmaten,  auch  berühmte  Anaspilche  von 
Königen  und  Feldherm  umfassend,  aber  die  uns  zwei  aus  ihr  geflossene  Anales^  einer 
Wiener  (dnoq>S'iyfjLafa  xal  yytüfiai  diaipogcty  (piXoaoipay  xard  utoi^^toy)  und  einer  toU- 
ständigeren  Vatikanerhandschrift  nnterrichten.  Wachsmcth,  Die  Wiener  Apophtiiegmen- 
sammlung,  Festschr.  zur  PhiloLVers.  1882.  Sterhbaoh,  De  gnomologio  Vaticano  inediio, 
Wien.  Stud.  IX  175—206  u.  X  1—49.  —  Das  Verhältnis  der  Sammlungen  bespricht 
H.  ScBBNKL,  Die  epiktetischen  Fragmente,  eine  Untersuchung  zur  Ueberliefemngsgeschiehte 
der  griech.  Florilegien,  Sitzb.  d.  Wiener  Ak.  115  (1888),  443—546. 

Hieroclis  et  Pbilagrii  facetiae  ed.  Boxssomadb,  Paris  1848  mit  Erläuterungen;  rec 
Ebkbhard,  Berol.  1869. 

Ueber  die  byzantinischen  Sentenzensammlungen  s.  Kbümbaohbr»  Byz.  litt.'  600  £ 
Aus  dem  Zeitalter  der  Renaissance  stammt  das  ehedem  oft  aufgelegte  Veilchenbeet  Clnuw) 
des  Arsenios,  Erzbischofs  von  Monembasia,  worüber  Kbumbaoher,  Byz.  Litt.'  603. 


^)  Fr.  Loofs,    Studien  über  die  dem  Johannes  von  Damaskos  zugeschriebenen  Pa- 
rallelen, Halle  1892. 


Dritte  Abteilang. 

Anhang. 

A.  Fachwissenschaftliche  Litteratur.^) 

641.  Die  fach  wissenschaftlichen  Werke  nehmen  eine  untergeordnete 
Stelle  in  der  Litteraturgeschichte  ein.  Sie  stehen  nicht  bloss  ausserhalb 
des  Kreises  der  allgemeinen  Bildung,  es  tritt  auch  bei  ihnen  die  künstle- 
rische Seite  des  Stils  hinter  dem  sachlichen  Inhalt  zurück.  Wir  hoffen 
daher  auf  Nachsicht,  wenn  wir  sie  auch  in  diesem  Buche  nur  anhangs- 
weise und  nur  summarisch  behandeln.^)  In  der  Natur  der  Sache  ist  es 
auch  begründet,  wenn  wir  bei  ihnen  von  der  Gliederung  nach  Perioden 
absehen.  Denn  abgesehen  davon,  dass  durch  eine  solche  Scheidung  der 
ohnehin  magere  Stoff  noch  mehr  zerstückelt  würde,  hat  auch  die  Entvack- 
lung  der  Wissenschaften  ihren  eigenen  Gang  genommen,  bei  dem  andere 
Faktoren  als  bei  der  schönen  Litteratur  massgebend  waren.  Alexandria 
z.  B.  war  und  blieb  Hauptsitz  der  mathematischen  Studien  so  gut  zur  Zeit 
als  es  noch  Hauptstadt  eines  selbständigen  Königreichs  war,  als  zur  Zeit 
der  römischen  Weltherrschaft.  Im  übrigen  tritt  in  dem  Ausbau  der  fach- 
wissenschaftlichen Litteratur  die  schöpferische  Kraft  des  heUenischen 
Geistes  nicht  minder  als  in  der  schönen  Litteratur  hervor.  Nur  gering 
waren  die  Anregungen,  die  hier  die  Griechen  von  aussen,  insbesondere 
von  Ägjrpten,  empfangen  hatten;  wesentlich  waren  sie  es  selbst,  welche 
die  Wissenschaften  der  Medizin,  Mathematik,  Astronomie,  Naturkunde  be- 
gründeten. 


^)  Mbikbbs,  Geschichte  des  UrsprangSi 
Fortgangs  und  Verfalls  der  Wissenschaften 
in  Griechenland  und  Rom,  Lemgo  1781, 
2  Bftnde.  —  Güntbbb,  Mathematik,  Natur- 
wissenschaft und  Erdkunde  im  Altertum, 
Handb.  der  klass.  Alt.  V  1,  2.  Aufl.  1894. 
M.  Schmidt,  Jahresb.  d.  kl.  Alt.  1892  (78. 
Bd.)  u.  1896  (90.  Bd.). 

')  Diese  Nachsicht  habe  ich  nicht  ge- 
fanden bei  dem  bekannten  Reformer  Ed. 
ScwABcz,  Briefe  an  Prof.  Nerrlich  Ober  die 
litteratur  der  Griechen,  Leipz.  1896.  Aber 
Wel  konnte  ich  an  den  fest  gezogenen  Linien 


dieses  Buches,  das  eine  Geschichte  der  lit- 
terae,  keine  Kulturgeschichte  und  keine  Ge- 
schichte der  Wissenschaften  sein  will,  nicht 
ändern,  zumal  in  diesem  Handbuch  der 
Naturwissenschaft  ein  eigenes  Buch  gewidmet 
ist.  —  Eine  Zeitlang  habe  ich  geschwankt, 
ob  ich  nicht  auch  in  gleicher  Weise  die 
Grammatik  behandeln  solle;  es  hielt  mich 
schliesslich  davon  die  Erwägung  ab,  dass 
doch  die  Grammatik  mit  der  schönen  Litte- 
ratur viel  inniger  als  die  Mathematik  und 
Medizin  verwachsen  sei. 


54  • 


852 


Qrieohiaohe  LitteratnrgeBohichte.    UL  Anhang. 


Im  Anfang  bildeten  Mathematik,  Astronomie,  Physik  noch  einen  Td 
der  Philosophie  und  waren  es  zumeist  Philosophen,  die  sieh  mit  Problemen 
der  Zahlen  und  der  Naturerscheinungen  abgaben.  Die  Philosophen  Demokrit, 
Aristoteles,  Theophrast  haben  die  Naturwissenschaften  mit  Eifer  kultiviert, 
ja  schon  Thaies  beschäftigte  sich  mit  astronomischen  Problemen;  der 
grosse  Denker  Pythagoras  war  Begründer  der  Geometrie  und  verpflanzte 
die  Neigung  für  mathematische  Studien  auch  auf  seine  Schule;  unter  den 
Pythagoreem  war  der  Krotoniate  Alkmaion  zugleich  als  Arzt  und  als 
Philosoph  angesehen.^)  Zuerst,  und  zwar  schon  in  der  klassischen  Zeit 
ist  die  praktischste  der  Fachwissenschaften,  die  Heilkunde,  aus  jenem  all- 
gemeinen Hintergrund  zur  selbständigen  Stellung  herausgetreten.  Im 
übrigen  war  es  das  alexandrinische  Zeitalter,  das  den  einzelnen  Wissen- 
schaften ihre  Ausbildung  und  damit  auch  ihre  selbständige  Bedeutung  ge- 
geben hat.  Vor  allem  hat  die  Stadt  Alexandria  zu  allen  Zeiten  den  Ruhm 
gehabt,  Hauptpflegestätte  der  Wissenschaften  zu  sein. 

1.  Medizin.') 

642.  Hippokrates,')  der  Vater  der  Heilkunde,  stammte  aus  einem 
alten  Asklepiadengeschlecht  der  Insel  Kos;^)  geboren  ward  er  Ol.  80,  1 
oder  460  v.  Chr.  In  den  Zeiten,  wo  in  solchen  Geschlechtern  zugleich  mit 
dem  Kultus  des  Gottes  sich  die  Heilkunst  und  ärztliche  Praxis  vererbte, 
war  der  Vater  der  natürliche  Lehrer  des  Sohnes;  aber  ausser  bei  seinem 
Vater  soll  der  junge  Hippokrates  bei  dem  Arzte  Herodikos  aus  Selymbria 
in  die  Schule  gegangen  sein.  Wenn  auch  die  Sophisten  Gorgias  und  Pro- 
dikos, sowie  der  Philosoph  Demokrit  als  seine  Lehrer  genannt  werden, 
so  deutet  das  wohl  nur  auf  Beziehungen  hin,  welche  Hippokrates  während 
seines  langen  und  bewegten  Lebens  mit  jenen  Männern  unterhielt*)  Als 


^)  Wachtleb,  De  Alcmaeone  Crotoniata, 
Leipz.  1896. 

^)  Medicorum  graecomm  opera  omnia, 
graece  et  latine  ed.  Eühk,  Lips.  1821 — 30, 
23  vol.  —  Eclogae  physicae  ed.  J.  G.  Schnbi- 
DBR,  Jena  1800,  2  vol.,  eine  unterrichtende 
Chrestomathie  aus  naturwissenschaftlichen 
Werken  der  Alten.  —  Physici  et  medici 
graeci  minores  ed.  Ideler,  Berl.  1842,  2  vol., 
grösstenteils  Byzantiner.  —  Sprengel,  Gre- 
schichte  der  Arzneikunde,  4.  Aufl.,  Wien 
1846;  Häseb,  Lehrbuch  der  Geschichte  der 
Medizin,  3  Bde,  3.  Aufl.,  Jena  1875—1881; 
Pqschmann,  Geschichte  des  medizinischen 
Unterrichtes  von  den  ältesten  Zeiten  bis  zur 
Gegenwart,  Leipz.  1889.  —  Im  Altertum 
hatten  Soranus  und  Herennius  Philon 
71€qI  iccTQMy  geschrieben.  In  den  von  Mont- 
faucon  und  Gramer  veröffentlichten  Kanones 
(s.  §  338)  steht  folgendes  Verzeichnis  be- 
rühmter Aerzte:  Jrj/uoxQiioiy  'InnoxQocrtjgy 
//loaxoQidfjSj    'AQXi^yiyrjgy    yovg^og,    r«Xfjv6g, 

* AXi^ttv&Qog  TQaXXittvog  —  JfjfjLoa&ivtjg,  Ibv- 
riQogy  ^iXovfJLevogy  JioxXrjgy  Aetoyi&rjs,  ^Av- 
TvXXog,  2(aqav6gj  'O^ißdatog,  *Ainog,  'Idxfoßog 


IxvnaXog  (KtaviSJayxivonoXijrjg  corr.  Brink- 
mann ap.  Kroehnert).  Vgl.  EBOEmrsBT,  ۥ- 
nonesne  p.  54 — 63),  wo  noch  ein  Älteres  Ver- 
zeichnis besprochen.  —  Ueber  die  Anfibige 
der  Medizin  bei  den  Griechen  6oipnz> 
Griech.  Denker  I  221—254. 

')  Quellen  sind  ausser  einem  Artikel 
des  Suldas  und  Stephanos  Byz.  u.  tmg  eine 
bei  KöHN  m  85Q  abgedruckte  Vita,  die  yer- 
mutlich  aus  Soranos'  Bloi  iat^v  exzerpi«ri 
ist.  Die  Briefe,  weil  unecht,  können  mir  mit 
Vorsicht  in  Betracht  gezogen  werden.  - 
Historia  litteraria  Hippocratis  aaf 
Grund  der  Vorarbeiten  von  Fabbicius  und 
Ackermann  in  Eühn's  Ausg.  I;  PBTBBfflft 
Hippocratis  scripta  ad  temporis  rationem  di9> 
posita,  Hamb.  1839.  Vgl.  Gompbri,  Griedt 
Denker  I  238  ff. 

*)  Wie  sehr  die  Heilkunde  im  Altertom 
an  den  Asklepioskult  geknttpft  war,  h«!»" 
insbesondere  die  in  der  *E(ßtjfiBQig  «?/«*•" 
Xoyixij  1885  veröffentlichten  Lwchriiten  des 
Asklepiosheiligtums  von  Epidanros  geleh^ 

*)  Der  untergeschobene  Briefwechsel  des 
Demokrit  und  Hippokrates  steht  in  Hbbchms 
Epistol.  gr.  D.  306—9. 


A.  FaohwiBseiiBohaftliche  Litteratnr.    1.  Hedisiner.    (§  642.) 


853 


berühmter  Arzt  kam  er  viel  in  der  Welt  herum;  er  weilte  eine  Zeitlang 
in  Thasos,  Abdera,  Eyzikos,  Erannon,  behandelte  den  König  Perdikkas 
von  Makedonien  und  erhielt  eine  Einladung  an  den  persischen  Hof.  Dass 
er  auch  in  Athen  sich  längere  Zeit  aufgehalten  und  namentlich  in  der 
grossen  Pest  zu  Anfang  des  peloponnesischen  Krieges  seine  Kunst  gezeigt 
habe,  nimmt  man  gewöhnUch  an;  doch  fehlt  darüber  nicht  bloss  jegliches 
Zeugnis,^)  sondern  es  lässt  auch  der  Umstand,  dass  Galen  unter  den 
Stätten,  denen  Hippokrates  mit  seiner  Kunst  Hilfe  geleistet,  wohl  Krannon 
und  Thasos,  nicht  aber  Athen,  nennt,  eher  das  Gegenteil  vermuten.  Den 
Tod  fand  er  im  thessalischen  Larissa ;  über  das  Todesjahr  schwanken  die 
Angaben  zwischen  377  und  359.  —  Unter  dem  Namen  des  Hippokrates 
ist  eine  Sammlung  von  53  Schriften  (in  72  Büchern)  in  ionischem  Dialekt 
auf  uns  gekommen.  Hippokrates  schrieb  also  wie  sein  älterer  Landsmann 
Herodot  nicht  in  dem  Dialekt  seiner  dorischen  Heimat,  sondern  in  der 
Sprache,  welche  vor  dem  peloponnesischen  Krieg  in  der  Prosa  herrschend 
war.')  Die  53  Schriften  sind  an  Gehalt  und  Stil  sehr  verschieden  und 
rühren  nur  zum  kleineren  Teil  von  Hippokrates  selbst  her.»)  Eine  der- 
selben, negl  q>vaiog  dv^Qoinov,  wird  von  Aristoteles  Hist.  anim.  3,  3  als 
Werk  des  Polybos,  eines  Schwiegersohnes  des  Hippokrates,  angeführt;*) 
andere  wurden  von  den  Kennern,  man  weiss  nicht  auf  welche  Zeugnisse 
hin,  den  Söhnen  desselben,  Thessalos  und  Drakon,  zugeschrieben;  andere 
hinwiederum  waren  erst  von  jüngeren  Ärzten  unter  dem  falschen  Namen 
des  berühmten  Asklepiaden  den  Königen  Ägyptens  verkauft  worden  ;<^) 
endlich  haben  auch  die  alten  und  echten  Werke  im  Laufe  der  Zeit  viele 
Zusätze  und  Änderungen  erfahren.  In  der  Kaiserzeit,  als  die  medizinischen 
Studien  zu  neuem  Glänze  kamen,  bemühten  sich  daher  die  philologisch 
gebildeten  Ärzte  das  Echte  vom  Unechten  auszuscheiden.^)  Der  berühmte 
Arzt  Galen  schrieb  darüber  ein  eigenes,  nicht  auf  uns  gekommenes  Buch 
und  kommt  in  den  uns  erhaltenen  Kommentaren  sehr  oft  auf  die  Echt- 
heitsfrage zu  sprechen;'')  er  selbst  erkannte  nur  13,  ein  jüngerer  Ge- 
lehrter, Palladios  (7.  Jahrb.),  nur  11  Schriften  als  echt  an;  nicht  so  weit 
ging  in  der  Verwerfung  Erotiänos  (um  100  n.  Chr.),   der  in  der  Vorrede 


>)  Ohne  alle  Beweiskraft  ist  die  Stelle 
m  Platons  Protagoras  p.  HIB,  wo  nur  der 
Homonymit&i  wegen  der  Eoer  Hippokrates 
angef&hrt  ist. 

')  Ueber  den  ionischen  Dialekt  des  Hip- 
pokrates O.  Hoffmann,  Die  griech.  Dialekte 
in  p.  192  ff. 

*)  Schriften  des  Hippokrates  waren  schon 
za  Platons  Zeit  in  Umlauf;  s.  Plat.  Phaedr. 
270c,  Protag.  311b;  aber  Piaton  nennt  uns 
keine  Titel  und  Ifisst  ans  auch  bezüglich  des 
Ursprungs  der  Rede  des  Arztes  Eryximachos 
im  Symposion  nur  raten;  siehe  indes  die  Aus- 
leger zu  p.  186d.  Aristoteles  benutzte  bereits 
die  meisten  Schriften  imserer  Sammlung,  wie 
PoscHENBiBDBB,  Aristotoles  im  Verhältnis  zu 
den  hippokratischen  Schriften,  Bamberger 
Progr.  1887  nachwies.  Beachtenswert  ist  das 
Urteil  des  Kenners  Gompbrz,  Griech.  Denker 


I  227,  „dass  kein  Bestandteil  der  sogenannten 
hippokratischen  Sammlung,  von  verschwin- 
dend geringfügigen  Ausnahmen  abgesehen, 
jünger  ist  als  die  Wende  des  fünften  und 
vierten  Jahrhunderts/ 

^)  Dass  aber  der  Aristoteliker  Menon 
schon  unechte  Schriften  als  hippokratische 
citierte,  beweisen  die  latrika  Menonea. 

»)  Kühn  I  p.  XX  sq. 

*)  Von  den  unechten  Schriften  des  Hip- 
pokrates im  allgemeinen  spricht  Augustinus 
contra  Faust.  XXII  6. 

^)  Galen  erkannte  nur  13  Schriften  als 
echt  an  und  statuierte  auch  bei  diesen  weit- 
gehende Interpolationen;  s.  Ilberg,  Studia 
Pseudohippocratea,  Lips.  1883;  Bböokbb,  Die 
Methode  Galens  in  der  litterarischen  Kritik, 
Rhein.  Mus.  40,  415  ff. 


854 


(hieohisoho  LitteratiirgeBchiohte.    IQ.  Anhang. 


seines  Glossars  ein  Verzeichnis  von  30  echten  Schriften  aufstellt.  Am 
meisten  tragen  das  Gepräge  der  Echtheit  und  sind  durch  Zeugnisse  der 
Alten  verbürgt:  nQoyv(oaTixä,  ä^ogurfioi^^)  nsQi  as^wv  vSarwv  TOTfafv,*)  mni 
Siaixrfi  o^hiov^^)  nsqi  iynSrjfwSv  Buch  1  und  3,*)  ne^i  zwv  iv  xsgiaXy  f^ 
fAavmv.  In  zweiter  Linie  stehen  negl  ayfidv,  ncQl  xvfiäy,  neqi  isQrjg  vocov,^) 
negi  aq&Qfov  (von  den  Gelenken).  Das  Buch  nfQi  tpvaiog  av&^nov  wird 
von  Aristoteles,  wie  wir  sahen,  dem  Polybos,  zugeschrieben.  Unter  den  zweifel- 
haften Büchern  gehen  zum  Teil  in  die  Zeit  vor  Hippokrates  zurück  die 
Kfoaxal  nqoyvwssi^^  welche  kurzgefasste  Sätze  der  Asklepiaden  von  Ko8 
enthalten.  Die  meisten  der  unechten  Schriften  aber  stammen  aus  späterer 
Zeit;  interessant  sind  unter  denselben  besonders  die  ngoQQrjrixa,  deren  ün- 
echtheit  Erotianos  nachzuweisen  versprach,  das  Buch  von  den  Muskeln 
(ncQi  (faQxtav)  und  die  sich  daran  anschliessende,  nur  in  einer  arabiBchen 
und  lateinischen  Übertragung  erhaltene  Schrift  über  die  Siebenzahl,  die 
aus  der  Feder  eines  vorschnell  schliessenden  Jüngers  der  Naturphilosopliie 
geflossen  sind,  die  vier  Bücher  nsgl  dtairrjg^  für  die  Galen  ein  hsdbes 
Dutzend  von  Verfassern  (^t'^v^r  (Haupt  der  knidischen  Schule)  rj  ^amv 
j]  (Dikiim'(ov  fj  ^ÄQiaxwv  rj  %ig  alloq  %wv  naXtxmv)  aufführt.  •)  Gegen  Satee 
der  Schrift  der  Diät,  des  weiteren  aber  gegen  naturphilosophische  Rich- 
tungen der  Medizin  überhaupt  ist  gerichtet  die  besonnene  Schrift  eines 
aufgeklärten  Praktikers  der  alten  Schule  neq!  aqxair^  IrjftQ^xrjqJ)  Aus  den 
Kreisen  der  sophistischen  Physiker  stammen  die  Schriften  negl  tpvwv  (de 
flatibus),  TiBQi  tpvaioq  naidtovy  negi  vovawv  4.  B.^)  In  den  Schulen  der  Rhe- 
toren  erdichtet  sind  die  Briefe  und  die  Rede  am  Altar  (loyoq  imßtipitog)^ 
in  welch  letzterer  der  Redner  die  Thessalier  an  dem  Altare  der  Athene 
zur  Rache  gegen  die  Athener,  die  Zerstörer  ihres  Landes,  aufruft  Dem 
Hippokrates  als  Vater  der  Arzte  wurden  auch  mehrere  Schriften  allge- 
meinen Charakters  zugeschrieben,  wie  der  Eid  der  Asklepiaden,  das  Gfesetz 
der  Ärzte,  von  der  ärztlichen  Kunst.  Die  beiden  ersten  zeugen  von  der 
hochentwickelten  Humanität  der  alten  Asklepiadenschulen  und  enthalten 
manche  auch  noch  heutzutag  beachtenswerte  Vorschriften.  Die  Schrift 
von  der  Heilkunst  {negl  rs'xvijg)  hat  einen  stark  sophistischen  Anstrich 
und  ist  von  Gomperz  keinem  geringeren  als  Protagoras  beigelegt  worden.*) 
Unter  den  unechten  Schriften  befindet  sich  auch  eine  über  die  Träume 
{negt  €vv7vvim'),  die  älteste,  welche  die  Weissagung  aus  Träumen  lehrt 
und  zu  erklären  sucht. 


^)  Auch  die  dq>oqiafxoiy  d.  i.  firztliche 
YorBchnffcen  in  abgerissenen  Sfttzen,  ent- 
halten viele  Interpolationen. 

^)  Auf  diese  interessante  Schrift,  welche 
die  Elemente  der  Hygiene  enthält,  wird  in 
den  Scholien  Arist.  Nub.  333  Bezug  genom- 
men; über  ihre  Bedeutung  fOr  Ethnographie 
8.  §  258. 

')  Daher  unser  Ausdruck  akute  Krank- 
heiten. 

^)  Die  B.  2  n.  4 — 7  galten  schon  dem 
Galen  als  untergeschoben. 

')  Darunter  ist  die  Epilepsie  verstanden, 
welche    heilige   Krankheit   hiess,    weU   das 


Volk  die  ^ötzlichen  Konvulsionen  auf  die 
Kraft  der  Dftmonen  zurdckführte  and  mit 
den  Verzückungen  der  Priester  und  Prophe- 
tinnen verglich. 

*)  Ueber  die  Beeinflussung  des  Autors 
der  Schrift  nsQi  diatTrjg  durch  Heraklit  nnd 
Empedokles  Gompbrz,  Griech.  Denk.  I  i5S, 
229  ff. 

^)  Die  Bedeutung  dieser  Schrift  trefflidi 
erläutert  von  Gk>MFBBZ,  Griech.  Denk.  I 
238  ff. 

•)  Vgl.  DiBLS  Henn.  28  (1898)  426 1 

•)  Näheres  darftber  oben  §  296. 


A.  Faohwuseiuiohaftliohe  Idtteratnr.    1.  Hedisiner.    (§  643.) 


855 


Ansgaben  im  Alteitnm:  in  Alezandria  hatte  die  erste  kritiBche  Ausgabe  der  gelehrte 
Aizt  Mnemon  ans  Side  besorgt,  von  der  aber  schon  Galen  nnr  durch  Hörensagen  etwas 
wnsete.  Unter  Hadrian  besorgten  neue  Ausgaben  Artemidorus  Capito  und  Dios- 
korides;  s.  Köhk  I  p.  XXIV  sq.  und  Ilbbrg  Rh.  M.  45  (1890)  111  ff.  —  Gedruckte  Aus- 
gaben: ed.  princ.  apud  Aldum  1526;  cum  vers.  et  not  ed.  Foesius  1595,  oft  wiederholt;  ed. 
Chabtibb  1679;  ed.  Eübn  in  der  Gesamtausgabe  der  Medici  gr.,  Lips.  1821,  3  Bftnde;  ed. 
LiTTRE  mit  kritischem  Apparat,  Par.  1839^61,  10  Bände;  ed.  Ebmerivs,  Utr.  1859—63, 
3  BSade.  Eine  neue  Ausgabe  mit  kritischem  Apparat  von  Ilberg  und  Eühlbwein,  im  Er- 
scheinen. —  Spezialausgabe  ttc^c  di^iav  v&nxtav  r6n<oy  von  Kobabs  (dem  berühmten  grie- 
chischen Arzte  und  Philologen),  Paris  1800,  2  Bde. 

Glossare:  Twv  nag*  InnoxQatei  Xi^etoy  avyaymyij  von  Erotianos  mit  einer  Wid- 
mung an  den  agxlf^^Qog  Uydipo^a/of,  Leibarzt  des  Kaisers  Nero  (einen  jflngeren  Andro- 
niachoB  zu  Anfang  des  2.  Jahrhunderts  nimmt  Klein  an);  das  Glossar  ist  in  alphabetischer, 
nicht  vom  Verfasser  herrOhrender  Ordnung  auf  uns  gekommen,  neubearbeitet  von  Klein, 
Ups.  1865.  —  Jüngere  Glossare  haben  wir  von  Galen,  Juiy  rov  'InnoxQttjovg  yX(oa<F(6y 
i^yfjaig,  und  Herodotos  Lykios. 

Hauptkommentator  ist  Galen,  der  Kommentare  zu  17  Schriften  des  Hippokrates 
schrieb.  Ausserdem  haben  wir  noch  kleinere  Kommentare,  gedruckt  in  der  Ausgabe  Apol- 
lonü  Citiensis.  (um  70  v.  Chr.),  Stephani  (8.  Jahrh.  n.  Chr.),  Palladii  (7.  Jahrb.),  Theophili 
(7.  Jahrh.),  Meletii,  Damascii,  loannis,  alioram  schoUa  in  Hippocratem  et  Galenum  ed.  Dietz, 
KOnigsb.  1834,  2  Bände.  —  Kommentar  des  ApoUonius  aus  Kitium  zu  Hippocr.  ncQl  ctQ&Qioy 
von  Hebm.  Schöne,  Leipz.,  im  Erscheinen.  —  Uebersetzung  mit  Erläuterungen  von  Fuchs  1895. 

Den  wissenschaftlichen  Bestrebungen  des  Hippokrates  und  seiner  Schule  gingen  die 
Knrpfoschereien  und  Wunderkuren  in  den  Heiligtümern  des  Asklepios  zur  Seite.  Ein  merk- 
wOrdiges  Denkmal  derselben  sind  die  Heilungen  des  Asklepios  ('JnoXXtjyos  xat 'AaxXrj- 
7HOV  id^aia,  die  bereits  von  Pausanias  U  27,  3  erwähnt  werden  und  die  neuerdings  auf 
zwei  S&ulen  in  Epidauros  neben  dem  Tempel  aufgedeckt  wurden,  publiziert  in  ^Ikpijfx. 
aQx^toX.  1883  u.  1885,  wiederholt  in  Colutz,  Dialektinschriften  HI  n.  3339  u.  3340.  Dieses 
Verzeichnis  ist  redigiert  im  4.  Jahrh.  v.  Chr.  Durch  das  ganze  Altertum  erhielt  sich  der 
Hambug  von  Beschwörungen  {inaoidai)^  Ober  den  die  Zeugnisse  zusammenstellt  Rich. 
Hbix,  Incantamenta  magica  graeca  et  latma,  Jahrb.  f.  klass.  Philol.  Suppl.  XIX  (1893)  463 
bis  576. 

648.  Mediziner  des  alexandrinischen  Zeitalters.  In  Alexandria 
und  Pergamon  wurden  die  medizinischen  Studien  wie  alle  Wissenschaften 
mit  erhöhtem  Eifer  und  grösserem  Erfolge  betrieben.  Der  grössere  Erfolg 
wurde  wesentlich  durch  den  Aufschwung  der  Anatomie  und  Physiologie 
herbeigeführt.  In  Alexandria  bestand  ein  anatomisches  Institut,  in  dem 
nicht  bloss  menschliche  Leichname  seciert,  sondern  auch  Vivisektionen  von 
Verbrechern  vorgenommen  wurden,  i)  Der  bedeutendste  Arzt  Alexandriens 
war  Herophilos,')  Schüler  des  Praxagoras  aus  Eos;  er  blühte  unter 
Ptolemaios  I  und  n  und  begründete  sein  Ansehen  hauptsächlich  durch 
anatomische  Beobachtungen:  er  unterschied  zuerst  die  Nerven  von  den 
Sehnen  (beide  ehedem  vbvqu  genannt)  und  erkannte  das  Wesen  der  Pulse 
{negl  {rgjvyfiwv).  Mit  ihm  rivalisierte  Erasistratos  aus  Julis  in  Keos,*) 
der  Leibarzt  bei  König  Seleukos  I  von  Syrien  war,  später  aber  nach  Sa- 
mos  sich  zurückzog,  um  ganz  den  theoretischen  Studien  zu  leben:  er 
unterschied  die  Bewegungs-  und  Empfindungsnerven,  und  beobachtete  die 
Unterschiede  von  Tier-  und  Menschengehim;  in  der  Therapie  legte  er  dss 
Hauptgewicht  auf  die  Nahrung  und  Diätetik.  An  diese  beiden  berühm- 
testen Ärzte  schlössen  sich  die  meisten  andern  an,  so  dass  sich  zwei 
grosse  Schulen,   cdgäaetg  (Häresien)  wie   die  Alten  sagten,,  bildeten,   die 


^)  Plinius  n.  h.  19,  86;  Celsus  prooem.  I 
p.  4,  36  Dar. 

2)  lieber  diesen  und  die  anderen  Aerzte 
der   i^ezandiinischen   Zeit  8.  Wblljcamn  in 


Susemihls  AI.  Lit  Kapp.  24  u.  84. 

»)  Strabo  p.  486.  580.  -  R.  Fuchs.  De 
Erasistrato  capita  selecta,  Herrn.  29  (1894) 
171—208. 


856 


Grieohisohe  LitteratergMohiehte.    m.  Anhang. 


Herophileer  und  Erasistrateer,*)  zu  denen  später  noch  die  Empiriker  hin- 
zutraten, deren  Haupt  Heraklei  des  von  Tarent  (um  100  v.  Chr.)  war. 
Leider  hat  sich  von  den  Schriften  weder  der  Meister  noch  ihrer  Schüler 
etwas  erhalten,  so  dass  wir  ihre  Lehre  wesentlich  nur  aus  Galen  kennen. 
Daneben  erhielt  in  Pergamon  die  Heilmittellehre  ihre  Ausbildung;  sie 
führte  zur  Beobachtung  der  Gifte  und  Gegengifte  und  rief  die  oben  §  372 
besprochenen  Gedichte  des  Nikander,  0tjQiaxd  und  Ule^i^agfiaxa,  hervor. 

üeber  die  Lehren  der  Aerzte  und  Natorphilosophen  der  filteren  Zeit  bis  auf  den  nnter 
AugoBtos  lebenden  Arzt  Alezander  Philalethes,  von  dem  Galen  VIII  726,  10  ein  fOnftes 
Buch  rwy  a^eaxoyttoy  anführt,  haben  wir  neuerdings  durch  einen  medicinischen  PapyiuB 
(jetzt  in  London  n.  137)  Aufschluss  erhalten.  Derselbe  enthfilt  eine  Zusammenstellung  der 
Ansichten  der  medizinischen  Autorit&ten  Ober  die  Natur  und  die  Ursachen  der  Terscbiedenen 
Krankheiten  und  geht  in  der  Hauptsache  auf  die  latrika  des  Menon,  eines  Schülers  des 
Aristoteles,  zurück.  Ausgabe  von  Dibls,  Anonymi  Londensis  ex  Aristotelis  latricis  Menoneis 
et  aliis  medicis  ezcerpta,  in  Supplementum  Aristotelicum  lU  1,  Berl.  1893.  Dazu  Dibub, 
Ueber  die  Excerpte  von  Menons  latrik,  Herm.  28  (1893)  407—434.  Vgl.  oben  S.  47L 

644.  Medizin  in  Rom.  Nach  Rom  verpflanzte  die  Heilkunde  Ar- 
chagathos,  der  nach  Plinius  n.  h.  29,  12  im  Jahr  219  v.  Chr.  aus  dem 
Peloponnes  nach  Rom  kam  und  von  Staatswegen  eine  Klinik  an  der  Aci- 
lischen  Kreuzstrasse  angewiesen  erhielt.  Zu  glänzenderem  Ansehen  kam 
die  Heilkunst  in  Rom  durch  Asklepiades  aus  Prusa,  der  zur  Zeit  des 
Pompeius  nach  Rom  übersiedelte  und  bald  Ansehen  und  Reichtum  gewann. 
Er  war  aus  einem  Rhetor  ein  gefeierter  Arzt  geworden  ')  und  galt  namenÜicli 
den  römischen  Medicinern,  wie  Gelsus  und  Gaelius  Aurelianus  als  Haupt- 
autorität.  Rom  war  eben  damals  die  Stadt  des  Luxus  und  der  Oladia- 
torenspiele,  wo  geschickte  Ärzte  ein  reiches  und  lohnendes  Feld  ihrer 
Thätigkeit  fanden.  Hier  in  Rom  entwickelte  sich  auch  in  den  zwei  ersten 
Jahrhunderten  der  Kaiserzeit  eine  reiche  medizinische  Litteratur,  die  sich 
an  die  vier  grossen  Sekten  der  Mediziner,  die  Dogmatiker,  Empiriker, 
Methodiker,  Pneumatiker,*)  anschloss  und  an  den  ärztefreundlichen  Laien 
{^iXiazQoi)  ein  leseeifriges  Publikum  hatte.*)  Weitaus  der  bedeutendste 
Mediziner  der  römischen  Kaiserzeit  war  Galen.  Ehe  wir  zu  ihm  über- 
gehen, wollen  wir  in  Kürze  erwähnen,  was  sich  aus  der  Zeit  vor  ihm  an 
medizinischen  Schriften  erhalten  hat. 

In  Versen,  und  zwar  in  Distichen  schrieb  Andromachos,  Leibarzt 
des  Kaisers  Nero,  ein  Lehrgedicht  GrjQiaxrj  dt'  exidvwv,  das  uns  durch 
Galen  t.  XVH  p.  761  K  erhalten  ist.  —  Durch  denselben  Galen  sind  uns 
mehrere  Reste  der  medizinischen  Gedichte  des  Arztes  Damokrates  er- 


*)  Schiller  des  Erasistratos  war  Apollo- 
mos  von  Memphis,  der  in  seiner  Arzneimittel- 
lehre altägyptische  Texte  benutzte;  s.  Ebbrs, 
Wie  Altftgyptisches  in  die  europäische  Volks- 
medizin gelangte,  Ztschr.  fOr  ägypt.  Spr. 
XXXIII. 

«)  Cic.  de  erat.  I  14,  62;  Plinius  n.  h. 
26,  12.  Plinius  n.  h.  26,  25;  7,  124  und  Cel- 
sus  2,  6  erzählen  von  ihm  die  Geschichte,  dass 
er  einst  einen  Leichenzug  umkehren  hiess  und 
den  als  tot  Hinausgetragenen  zum  Leben  wie- 
der zurflckrief. 

')  Wbllmank,  Die  pneumatische  Schule 
bis  auf  Archigenes  in  ihrer  Entwicklung  dar- 


gestellt, Berlin  1895.  Die  Pneumatiker  tnten 
in  der  Zeit  des  Galen  gegenüber  den  drei 
anderen  Sekten  zurQck,  so  dass  Ps.  Galen 
nsQi  tij^  dgimr^g  al^icem^  nur  die  S  Sekten 
tuSp  Xoyixtuv  xai  rtüy  ^finet^ixtay  und  rwr 
fieS^odixuSy  annimmt. 

*)  Kenntnis  der  Heilkunde  yo^angte 
schon  Yarro  von  den  Gebildeten;  Galen  Pro- 
trept.  c.  14  stellt  geradezu  unter  die  aites 
liberales  {rix*'^'^  cefAval)  neben  ^ogtr^, 
fiovtrix^y  ysfOftezQia  auch  die  ^arpixt/.  Vergl. 
auch  Plutarch  Mor.  p.  122e. 

»)  Plinius  n.  h.  25,  87. 


A.  FaohwiMettBehaftliohe  Litteratnr.    1.  HediEiner.    (§  644.) 


857 


halten,  der  kurz  vor  dem  älteren  Plinius  (N.  H.  XXV  87)  in  iambischen 
Trimetem  über  verschiedene  Arzneien  schrieb.  —  Von  dem  Arzte  Mar- 
kellos Sidetes,  der  nach  Suidas  42  B.  'latQixd  in  heroischen  Hexa- 
metern geschrieben  hatte,  sind  durch  Handschriften  und  Steine  einige 
Bruchstücke  über  Fische  und  Menschenscheu  {Ivxav&Qtoma)  auf  uns  ge- 
kommen. 

Poetamm  de  re  physica  et  medica  rell.  ed.  Bussemakbb  Par.  1851.  —  Eine  neue  Be- 
arbeitang  stellte  Studbmund  in  Aussicht,  der  vorläufig  in  Ind.  lect.  Vratisl.  1888  Servilii 
Bamocratis  poetae  medici  fragmenta  in  musterhafter  Weise  herausgegeben  hat.  Vgl.  §  457, 
wo  auch  das  Carmen  de  herbis  in  Hexametern  berührt  ist. 

Xenokrates  von  Aphrodosias  ist  Verfasser  einer  Schrift  nsQi  rfjg 
ano  %&v  evvigwv  r^oy^g  (Austemernährung),  die  einen  Abschnitt  eines 
grösseren  Werkes  negi  rrjg  ano  twv  ^(fwv  rQog)rjg  bildete.  Ausgabe  in 
Ideler's  Phys.  et  med.  I  121—133. 

Ruf  US  aus  Ephesos,  der  in  der  Zeit  Traians  lebte,  ^)  war  Verfasser 
zahlreicher  Schriften;  davon  haben  sich  erhalten:  negi  ovoiiaaiag  tSv  tov 
av&Qcinov  fiOQiwVy^)  negi  t(6v  iv  ve^Qotg  xal  xvCTSi  nad-m^  TtBQi  zcov  ^a^- 
fidxoDv  xad^aQTixdv,  neg/l  oaxäwv.  Auf  unsichere  Vermutung  hin  hat  man 
ihm  auch  ein  Lehrgedicht  neQi  ßotavwv  in  215  Hexametern  *)  und  eine 
Synopsis  ttsqI  fSipvyiiSv  beigelegt.  Hauptausgabe  von  Daremberg-Ruelle, 
Paris  1879. 

Soranos  aus  Ephesos,  eine  Hauptsäule  der  sogenannten  Methodiker 
in  der  Medizin,  lehrte  unter  Traian  und  Hadrian*)  in  Rom  und  Alexandria. 
Erhalten  haben  sich  von  ihm  nsQi  (frjiJ,€i(ov  xaTayfiavcov^  nsgl  firjTgag  xal 
aldoiov  yvvaixeiovy  negl  yvvaixeiwv  nad^mv.  Die  beiden  ersten  Schriften 
sind  gedruckt  bei  Ideler,  Med.  min.  I  248 — 260;  die  letzte  wurde  erst 
von  Dietz  gefunden  und  aus  dessen  Nachlass  publiziert,  Königsberg 
1838;  neuerdings  hat  den  griechischen  Text  zusammen  mit  einer  alten 
lateinischen  Übersetzung  des  Muscio  aus  dem  6.  Jahrhundert  Val.  Rose, 
Lips.  1882  herausgegeben.  Von  dem  Hauptwerke  des  Soranos  über  akute 
und  chronische  Erkrankungen  (nsQi  oitwv  xal  xQovicov  nad^dv)  existieren 
in  griechischer  Sprache  nur  spärliche  Auszüge  (in  Handschriften  der 
Pariser  Bibliothek),  in  lateinischer  aber  eine  vollständige  Überarbeitung 
von  Caelius  Aurelianus  aus  Afrika.  Nach  Suidas  verfasste  Soranos 
auch,  neben  einem  grossen  encyklopädischen  Werk  algäaeig  xal  avvvdyfiaTa 
in  10  Büchern,  Biographien  von  Ärzten  {ßiovg  latQdv),  aus  welchem  Buche 
vermutlich  das  erhaltene  Leben  des  Hippokrates  geflossen  ist.^) 


*)  Suidas :  'Povtpo^  iar^Sg  yeyoywg  ini 
Tqaiavov, 

')  Ueber  ihre  Benützung  durch  Pollux 
8.  §  573  und  Voigt,  Sorani  Ephesii  liber  de 
etjinologiis  corporis  humani  quatenus  restitui 
possit,  Greifsw.  Diss.  1882. 

')  Gesners  Vermutung  stützt  sich  auf  die 
Angabe  des  Galen  de  compos.  medic.  t.  XX 
p.  425  E.,  dass  Rufus  ein  Gedicht  nsqi  ßora- 
rtuy  geschrieben  habe;  aber  metrische  Eigen- 
tümlichkeiten rflcken  unser  Gedicht  unter  die 
Zeit  des  Astrologen  Manetho  herab;   s.  G. 


Hermann,  Orphica  p.  717. 

^)  Suidas  unterscheidet  einen  filteren  und 
jüngeren  Soranos  und  gibt  bei  dem  ersten  nur 
die  Lebensyerhfiltnisse,  bei  dem  zweiten  nur 
die  Schriften  an,  so  dass  ein  Irrtum  vorzu- 
liegen scheint,  zumal  Galen  nur  einen  So- 
ranos kennt. 

^)  Zwei  unechte  Traktate  des  Soranos, 
Introductio  ad  medicinam  und  De  pulsibus, 
veröffentlichte  Val.  Rose,  Anecd.  gr.  11  243 
bis  280. 


858 


Qrieohuiohe  IdtteratiirgeBohiohta.    m.  Anhang, 


Aretaios  aus  Kappadokien,  wahrscheinlich  dem  2.  Jahrhundert 
n.  Chr.  angehörig,  schrieb  in  dem  ionischen  Dialekt  des  Hippokrates  ne^ 
ahiwv  xal  (fr^fneiwv  o^ewv  xai  XQoviwv  naxhav^  ne^i  &€Qa7re{ag  o^sm'  xm 
XQoviwv  na&£v,  in  welchen  Werken  er  sich  nach  dem  Urteil  der  Kenner 
als  einen  scharfen  Beobachter  kundgibt.  Beide  Schriften,  jede  in  2  B., 
sind  uns  nur  in  lückenhaftem  Zustande  erhalten.  Ausg.  von  Kühn,  Med. 
gr.  t.  XXIV;  Neubearbeitung  von  Ermerins,  Utrecht  1847. 

645.  Galenos  (Claudius  Galenus  Niconis  architecti  fil.),0  der  frucht- 
barste und  gebildetste  der  alten  Mediziner,  war  im  Jahre  130  n.  Chr.  in  Per- 
gamon  geboren.  Dort  in  seiner  Heimatstadt  lag  er  zunächst  philosophischen 
Studien  ob,  indem  er  seiner  eklektischen  Neigung  folgend  Akademiker  wie 
Stoiker  und  Peripatetiker  hörte.  Mit  dem  Studium  der  Medizin  begann 
er  noch  in  Pergamon  und  setzte  dann  dasselbe  in  Smyrna,  Korinth  und 
Alexandria  fort.  Eine  praktische  Thätigkeit  entfaltete  er  zuerst  in  seiner 
Heimatstadt,  wo  er  sechs  Jahre  lang  als  Gladiatorenarzt  fungierte.  Im 
Jahr  168  begab  er  sich  nach  Rom  und  blieb  daselbst  mit  einer  einzigen 
mehrjährigen  Unterbrechung  bis  zu  seinem  Lebensende.  Der  Tod  traf 
ihn  im  70.  Lebensjahr,  nicht  vor  201  n.  Chr.  —  Ueber  seine  litterarische 
Thätigkeit  berichtet  Galen  selbst  in  den  Schriften  negi  trjg  ra^coi^  %wv 
idmv  ßißXiwv  TiQog  Evyeviavcv  und  ticqI  t(ov  Idiiav  ßißXifov.  Er  war  einer 
der  fruchtbarsten  und  vielseitigsten  SchriftsteUer  der  Eaiserzeit, ')  aber 
weder  ein  schöpferischer  Forscher  noch  ein  klassischer  Stilist.  Wir  haben 
Kenntnis  von  mehr  als  250  Schriften;^)  erhalten  haben  sich  von  denselben 
100  echte  und  18  zweifelhafte,^)  mehrere  nur  in  arabischer  oder  lateini- 
scher Übersetzung.  Die  meisten  gehören  natürlich  dem  Gebiet  der  Medizin 
an,  von  diesen  der  kleinere  Teil  der  Erläuterung  des  Hippokrates,  der 
weitaus  grössere  der  selbständigen  Bearbeitung  der  verschiedenen  Teile 
der  Heilkunde.  Einen  einleitenden  propädeutischen  Charakter  haben  die 
Schriften  von  den  ärztlichen  Schulen  und  Methoden,  tisqI  aiQeaewv  und  ne^ 
dQi<TT7jg  at^eifetag.^)  Von  den  systematischen  sind  die  gelesensten  und  von 
den  Kennern  am  meisten  geschätzten  folgende:  r^x^t]  iaTQixrj,  ein  kurzer 
Abriss  der  Therapeutik,  im  Mittelalter  unter  dem  Namen  Mikrotechni 
bekannt,  &€Qan€vvixij  fie^odog  in  14  B.,  Megalotechni  im  Mittelalter  ge- 


*)  Suidas  u.  FaXtjyog;  Labb^,  Vita  Claudii 
Galeni,  Paria  1660;  Pass,  Galeni  vita  eius- 
que  de  medicina  merita  et  scripta,  Berol.  1854. 
Vieles  über  persönliche  Verhftltiiisse  enthält 
die  Schrift  nsQi  dtayyaiasuag  xai  ^eganeias 
TcJj/  iy  rfi  ixätrrov  xffvxj  idiwy  na&wy, 

^)  Ath.  Ic:  rnXfjyos  o  UsQyafÄijyog  og 
Toaavi^  ixdedoixs  üvyyQttfifÄura  (fiXocotpa  re 
xm  iaiQixd  tog  Tiayrag  vnegßaXety  rovg  noo 
avxov,  xal  xaxd  trjy  kQfAtjvBlay  ov&eyog  toy 
Xioy  aQ/altoy  ddvyatioxBQoq, 

3)  Ein  Verzeichnis  der  Schriften  gibt 
AcKERMANM,  Historia  literaria  Galeni  in  Fabri- 
cius  Bibl.  gr.  V  397  flF.,  wiederholt  von  Kühn 
im  1.  Bande  der  Ausgabe  p.  LXVn  sqq.;  die 
zeitliche  Folge  behandelt  Ilbbro,  Die  Schrift- 
steUerei  des  Klaudios  Galenos,  Rh.  M.  44 
(1889)  S.  207-239;  47  (1892)  489-514;  51 


(1896)  165—196. 

^)  Zu  den  unechten  gehört  auch  die 
Schrift  TiBql  svnoglattoy,  mit  der  das  too 
BuBSiAN,  Ind.  len.  1873  veröffentlichte  Fragm. 
medicum  der  Leipziger  Bibliothek  im  wesent- 
lichen flbereinstiinmt 

*)  Galen  hatte  aber  die  aglffifj  aSf^a 
geschrieben;  aber  dass  die  flberliefeite  Sdiiift 
ausser  Zusammenhang  mit  der  fibrigen  Scbrift- 
steUerei  des  Galen  stehe  und  von  einem  m- 
verständigen  Redaktor  aus  mehreren  nieht- 
galenischen  Schriften  zusammengestQckelt 
sei,  erweist  Iw.  Müllbr,  Ueber  die  demCjalen 
zugeschriebene  Abhandlung  nc^  r^c  a^ctfr^r 
alg^astog  (Sitzb.  d.  b.  Ak.  1898  8. 53  ff.)  gegen- 
Ober  dem  Verteidiger  der  Echtheit  Ilbbb«, 
Rh.  M.  52,  603—5. 


A.  FaohwiBMiisohaftliche  Litteratnr.    1.  Hedissiner.    (§  645.) 


859 


nannt;  negl  xqeiaq  rwv  iv  avd^Qoinov  (fcifiazi,  fioQitov  in  17  B.,  nsgl  aipvy- 
fAoSv  in  16  B.,  wozu  für  die  Anfänger  ein  Abriss  und  eine  Synopsis  über 
die  Pulse  in  je  1  B. ;  tisqI  tcSv  tictiov&otwv  xonwv  in  6  B. ;  avaTo^iixal 
iYX€i^<f€^g  in  15  B.,  von  denen  aber  nur  die  neun  ersten  erhalten  sind; 
7t£Qi  xQd<r€(og  xai  dvvdfxetog  twv  änXüiv  q^agfAaxwv  in  11  B.;  nsgi  üvvO-etSsnag 
ffccQikdxwv  Tciv  xard  Tonovg  in  10  B.;  tisqI  avv&saewq  (paQfjidxfov  tdov  xazd 
yävT^  in  7  B. ;  vytcivwv  koyoi,  in  6  B.  —  Von  allgemeinerem  Interesse  waren 
die  philosophischen  und  grammatischen  Schriften  unseres  Autors.  Dieselben 
galten  teils  der  Kommentierung  der  alten  Philosophen,  i)  teils  der  Aus- 
bildung der  Logik,*)  der  populären  Ethik  und  der  philologischen  Wort- 
erklärung.') Das  meiste  von  dieser  Klasse  von  Schriften  ist  verloren  ge- 
gangen, insbesondere  fast  alle  logischen  Schriften,  worunter  auch  die  um- 
fangreiche n€Qi  dnodei^eiog  in  15  B.;*)  erhalten  haben  sich:  Tiqotqsmixdg 
irtl  xdq  Täxvag,  negl  aQiatrjg  didaftxaXiag  (gegen  Favorinus  gerichtet),  o%i 
xaXg  %ov  üdfiaxog  xQdaeaiv  at  zijg  ipvxrjg  Svvdfisig  ^novxai^  neQi  Siayvwascog 
xal  x^€Qan€iag  twv  iv  ixdtfzov  ipvxfj  tSicov  nad-dv^  ein  goldenes  Büchlein, 
in  dem  indes  das  meiste  aus  Poseidonios  nsql  na^cov  genommen  ist,  tisqI 
Tov  Sid  x'qg  CfiixQccg  Cipaiqag  yvfJLvatfioVy  negl  rSv  Jiaqd  Ttjv  Xe^iv  (fotpiff- 
fidroov^  nsQl  t(ov  ^iTinoxQdrovg  xal  nldrcovog  doyfidrwv  in  9  B.,  negi  (pvfftxdv 
Svväfi€(ov  in  3  B.  Fälschlich  dem  Galen  beigelegt  ist  die  g)U6(fo^og  IfStoQla^ 
von  der  der  zweite  Teil  von  c.  16  an  einfach  aus  der  ps.-plutarchischen 
Schrift  n€Qi  dqscxovttov  herübergenommen  ist,  der  erste  wesentlich  mit 
Sextus  Empiricus  übereinstimmt.*)  Seine  örundanschauung  über  die  Not- 
wendigkeit medizinischer  und  allgemein  philosophischer  Bildung  vertritt 
Galen  in  der  Schrift  ort  6  agicxog  latQog  xal  ^ik6(fo(pog,  unter  Hinweis 
auf  das  grosse  Vorbild  des  Hippokrates.  Als  bahnbrechender  Denker 
und  Gelehrter  zeigt  sich  auch  hier  Galen  nicht,  aber  gleichwohl  sind  uns 
diese  philosophischen  und  philologischen  Schriften  von  hohem  Interesse 
dadurch,  dass  sie  uns  in  den  Betrieb  der  gelehrten  und  grammatischen 
Studien  der  römischen  Kaiserzeit  einen  sehr  erwünschten  Einblick  ge- 
währen.^) 


^)  ErwSluit  werden  von  Galen  Kommen- 
tare zu  Piatons  Timaios  (Fragments  du  com- 
mentaire  de  Gallen  sor  le  Tim^e  de  Piaton, 
ed.  Dabkxbbro,  Par.  1848),  negl  UXajiovixüiv 
diaXoyiop  üvyo^peiofy  negl  xuiy  iy  ^iXijß^ 
fmaßaaetoy,  femer  zu  Aristoteles  negl  kgfjifj'- 
ysiag,  xtnijyoqita,  dyaXvrixd,  zu  Theophrast 
nsQl xatafpdcemg xai  dnoqxxtretai,  zuEudemos 
negl  Xi^Bd^,  zu  den  logischen  Schriften  des 
Chiyaippos  und  Eleitomachos.  Vgl.  Zellbr, 
Gesch.  d,  gr.  Phil.  IIP  1,  823  ff. 

»)  Pbantl,  Gesch.  d.  Log.  I  559  ff.  Galen 
gilt  inshesonders  als  Begründer  der  4.  Schluss- 
form. Als  unecht  sucht  Prantl  p.  591  ff.  das 
von  dem  Griechen  Minas,  Paris  1844,  hervor- 
gezogene Buch  Elaaytoyij  dutXexrixtj  zu  er- 
weisen; dagegen  tritt  für  die  Echtheit  mit 
durchschlagenden  Grttnden  ein  Ealbflbisoh, 
üeber  Gkdens  Einleitung  in  die  Logik,  Jahrb. 
f.  Phü.  SuppL  XXXm  (1897)  679—708. 

>)  Galen  schrieb  nach  seinen  eigenen  An- 


gaben t.  XIX  p.  48  u.  61  K.  ausser  über  sel- 
tene Wörter  {yXiSaaixi)  des  Hippokrates  auch 
vn^Q  oyofAttxtay  oQ^oxrjiog  in  3  B.,  Ttsgi  rtuy 
nag*  EvnoXtdij  nag*  'jig^notpayei,  nagd  Kga~ 
xiyt^  noXixixtjy  oyo/nditoy,  ei  XQV^''l^^^  dyd~ 
yyoKffxa  xoTq  nai^Bvofxiyoiq  ^  naXaid  xto/Lna- 
dia.  Vgl.  Iw.  Müller,  Galen  als  Philologe, 
Verhdl.  d.  41.  Philologenvers,  in  Mttnchen 
1891  S.  80-91. 

^)  üeber  die  Schicksale  und  den  Inhalt 
dieses  verlorenen  Werkes  Iw.  Müller,  üeber 
Galens  Werk  vom  wissenschaftlichen  Beweis, 
Abh.  d.  b.  Ak.  XX  (1895)  403-78.  Auch  der 
Auszug,  den  Galen  von  jenem  Werk  machte, 
Svyo^ig  x^g  iitiffeixxixtjs  ^Btogias,  ist  ver- 
loren gegangen. 

^)  Dibls,  De  Galeni  historia  philosopha, 
Diss.  Bonn  1870. 

^)  Bröoker,  Die  Methoden  Galens  in  der 
litterarischen  Kritik,  Rh.  M.  40,  415  ff. 


860 


Grieohisohe  LitteratiirgMiohiohte.    m.  Anhang. 


Edit  princ:  Aldina  1525;  ed.  Chartikb,  Paiis  1679;  davon  abhftngig  Eühk  in 
Medici  graeci  t.  I— XX,  Lips.  1821—33.  —  Galeni  scripta  minora  rec.  Marqüabdt,  Iw. 
Müller,  Helkbbich,  in  Bibl.  Teubn.  im  Erscheinen;  Galeni  scripta  de  placitis  HippocratiB 
et  Piatonis,  ed.  Iw.  Müllbr,  Lips.  1874;  Galeni  Protreptici  qoae  supersont  ed.  Kaibbi, 
Berl.  1894.  —  lieber  die  handschriftliche  Grundlage  der  medmnischen  BUcher  s.  Stctdb- 
MUND.  Ind.  lect.  Vratisl.  1888.  —  Unecht  sind  die  überlieferten  Massverzeichnisse  von  Grälen, 
worüber  Hultsoh,  Metr.  Script.  I  85  ff.  —  üeber  lateinische  Ueberarbeitnngen  von  Werken 
des  Galen  Yal.  Rosb,  Anecdota  graeca  et  graeco-latina.  Ein  neues  Fragment  verOffenÜicht 
E.  Landgraf,  Ein  lateinisches  medizinisches  Fragment  Ps.  Galens,  Progr.  Ludwigshafen  a.  Rh. 
1895.  —  Darbmbbro,  Oeuvres  de  Galien,  Par.  1856,  üebersetzung  mit  Erlfluterungen. 

646.  Mediziner  nach  Galen.  Aus  der  letzten  Zeit  des  Altertums 
haben  wir  noch  ausser  den  Phantasmagorien  der  medizinischen  und  bota- 
nischen Zauberlitteratur  1)  mehrere  enkyklopädische  Werke  über  Medizin 
und  Naturwissenschaft,  die  teils  durch  ihre  Einwirkung  auf  das  Mittel- 
alter,  teils  durch  Mitteilungen   aus  älteren  Werken   von  Bedeutung  sind. 

Oreibasios  (v.  1.  Oribasios),  *)  nach  Suidas  aus  Sardes,  nach  Eunapios 
aus  Pergamon,  war  Leibarzt  des  Kaisers  Julian  und  verfasste  auf  dessen 
Veranlassung  eine  medizinische  Enkyklopädie  'JoTQixal  awayonyaC  in  72  B., 
von  der  er  selbst  eine  Epitome  in  9  B.  anfertigte.»)  Vom  grösseren  Werke 
sind  nach  und  nach  umfangreiche  Teile  durch  Matthäi  aus  einer  Moskauer 
und  von  Mai  aus  einer  römischen  Handschrift  bekannt  geworden.  Ihre 
Verlässigkeit  können  wir  dadurch  kontrollieren,  das  darin  auch  mehrere 
uns  noch  im  Original  vorliegende  Werke,  wie  namentlich  Galens,  excerpiert 
sind.  Oeuvres  d'  Oribase  par  Boussemaker  et  Daremberg,  Par.  1851—76, 
6  vol. 

Aetios,  gebildet  in  Alexandria  und  später  kaiserlicher  Leibarzt  in 
Eonstantinopel  mit  dem  Rang  eines  comes  obsequii,  gehört  der  Mitte  des 
6.  Jahrhunderts  an.  Seine  'larQixd  in  16  B.  wollten  einen  Abriss  der  ge- 
samten Heilkunde  geben;  PhotioS;  der  in  cod.  221  einen  ausfuhrlichen 
Auszug  des  Werkes  gibt,  zieht  dasselbe  den  verwandten  Büchern  des 
Oreibasios  vor.  Neuere  Bearbeitung  der  Reste  in  Darembergs  Ausgabe 
des  Rufus  p.  85 — 126  und  in  der  des  Oreibasios  II  90 — 145. 

Alexander  von  Tralles  aus  der  gleichen  Zeit  ist  Verfasser  eines 
grossen  medizinischen  Sammelwerkes  Ofganevrixä  in  12  B.  Hauptausg. 
von  Puschmann,  Wien  1879,  2.  Bd.;  dazu  ein  Nachtrag  in  Berl.  Stud.  V2 
(1886),  der  die  alte  lateinische  Übersetzung  von  zwei  jenem  Sammelwerk 
angehörigen  Abhandlungen  des  Philumenos  (1.  Jahrhundert  n.  Chr.)  und 
Philagrios  (4.  Jahrhundert)  und  zwei  griechische  Abhandlungen  über 
Augenkrankheiten  enthält. 

Paulus  Aegineta,  der  in  der  Mitte  des  7.  Jahrhunderts  lebte,  ist 
Verfasser  eines  seiner  Zeit  hoch  geschätzten,  auch  ins  Arabische  über- 
tragenen Handbuches  der  Arzneikunde  in  7  B.  (iniTofArjg  larQixf^g  ßißX.  ^') 
Venediger  Ausg.  1528,  Baseler  1538,  von  Ren6  Brian,  Paris  1855.  Näheres 
bei  Krumbabher  Byz.  Lit.«  616. 


*)  Ueber  die  dem  Hermes  trismegistos  zu- 
geschriebenen KvQayideg  und  das  Buch  von 
den  Pflanzen  der  7  Planeten  s.  §  625;  vgl. 
Meybb,  Gesch.  d.  Botanik  II  348  ff. 

')  Suidas  u.  'O^eißdtnog;  Eunapios  Vit. 


soph.  p.  498  f.;  Photios  cod.  217  u.  218. 

s)  Nach  Photios  p.  180a,  3  hat  er  andi 
eine  üvrotf/ii  n^og  Ev^anioy  und  eine  ffvi^^C 
t<öy  raXrjyov  ßißXi(oy  geschrieben ;  die  obige 
ist  an  seinen  Sohn  Eustathios  gerichtet. 


A.  FaohwiBBenaohaftliohe  Litteratnr.    1.  Hedisiner. 


.  646-648.) 


861 


647.  Auf  Anregung  des  byzantinischen  Kaisers  Eonstantinos  Porphyro- 
gennetos  wurde  im  10.  Jahrhundert  das  medizinische  Sammelwerk  'Emrofirj 
icrfqixwv  x^€taqri(id%(ov  von  Theophanes  Nonnos  verfasst.  —  Gleichfalls 
aus  dem  Mittelalter,  aber  von  einem  unbekannten  Redaktor  stammt  das 
Excerptenwerk  "^JnniaxQixd  in  2  B.  Dasselbe  enthält  Auszüge  aus  Africanus, 
Anatolios  und  dem  Hauptveterinärarzt  Apsyrtos  aus  Prusa,  der  nach 
Suidas  unter  Konstantin  d.  6r.  lebte.  Von  Apsyrtos  haben  wir  auch 
Kenntnis  durch  eine  unlängst  von  W.  Meyer  aufgedeckte  lateinische  Über- 
arbeitung. 

Nonnns  Theophanes,  epitome  de  curatione  morbonun,  ed.  Bernabd,  Gothae  1795, 
2  Bde.  —  Veierinariae  medicinae  libri  duo  ed.  Qbtkabus,  Basel  1537;  aus  anderen  und 
vollständigeren  Recensionen  von  E.  Miller  in  Not.  et  Extr.  XXI,  2,  Paris  1865;  eine  neue 
Ausg.  in  Bibl.  Teubn.  in  Aussicht  gestellt  von  Odbb.  —  Eine  lateinische  Ueberarbeitung  des 
Chiron  Centaurus  und  Apsyrtns  entdeckte  W.  Mbybb  in  einem  Cod.  lat.  243  der  Münchener 
Staatsbibliothek;  davon  gibt  der  Entdecker  vorläufige  Notiz  m  Sitzb.  d.  b.  Ak.  1885  S.  395, 
indem  er  dabei  bemerkt,  dass  der  rOmische  Yeterinfir  Yegetius  dieses  Werk  gekannt  und 
im  wesentlichen  nur  eine  Ueberarbeitung  desselben  geliefert  habe. 

648.  Heilmittellehre.i)  Mit  der  Heilkunst  steht  die  Heilmittel- 
lebre,  die  Pharmazie  und  sogenannte  materia  medica  in  natürlichem  Zu- 
sammenhang. Es  waren  daher  vornehmlieh  Ärzte,  welche  von  den  hei- 
lenden Kräutern  und  Säften  und  den  angrenzenden  Gebieten  der  Gegen- 
gifte und  Verschönerungsmitteln  handelten.  Selbst  fürstliche  Personen, 
wie  Attalos  Philometor  und  Mithradates  haben  teils  aus  Liebhaberei,  teils 
aus  Furcht  an  dem  Anbau  von  Heilpflanzen  und  der  Erfindung  von  Gegen- 
giften sich  beteiligt.*)  Von  den  poetischen  Werken  über  Heilmittel,  ins- 
besondere den  GrjQuxxd  und  UXs^itpccQfjiaxa  des  Nikander  haben  wir  bereits 
oben  §  372  gehandelt.  Als  eigentlicher  Begründer  der  materia  medica 
aber  gilt  Dioskorides. 

Dioskorides,  mit  dem  vollständigen  Namen  Pedanius  Dioscorides 
aus  Anazarbos,')  lebte  vor  Erotianos,  der  ihn  in  seinem  Hippokrateslexikon 
unter  xamiuQif  anführt,  wahrscheinlich  gleichzeitig  mit  dem  älteren  Plinius, 
der  in  den  Abschnitten  über  Botanik  die  gleichen  Quellen  wie  er,  nämlich 
die  Werke  der  Ärzte  Krateuas  und  Sextius  Niger  benutzte.*)  Nach  seiner 
eigenen  Angabe  in  der  Vorrede  des  gleich  zu  besprechenden  Buches  war  er 
geradeso  wie  Plinius  in  seinen  jüngeren  Jahren  Militär  und  ist  erst  später 
zu  schriftsteUerischer  Thätigkeit  auf  dem  Gebiete  seiner  Lieblingsstudien 
gekommen.  Sein  Hauptwerk,  das  vollständig  auf  uns  gekommen  ist,  han- 
delt von  der  Arzneikunde,  speziell  den  medizinischen  Pflanzen,  und  trägt 
den  Titel  nsQi  vXrfi  latQixijg  oder  de  materia  medica.  Die  Autorität  des- 
selben hat  im  ganzen  Mittelalter,  bei  den  Arabern  und  im  Abendland,  die 


*)  Bersndes,  Die  Pharmacie  bei  den  alten 
Kulturvölkern,  Halle  1892,  2  Bde. 

«)  Plut.  Demetr,  20;  Justin  36, 4;  Plinius 
n.  h.  25,  5. 

*)  Spbsngel  in  der  Praef.  seiner  Ausg. 
unterscheidet  4  Dioskorides:  Dioskorides  den 
Herophileer  mit  dem  Beinamen  Phakas  zur 
Zeit  der  Kleopatra,  Dioskorides  Anazarbeus 
unter  Nero  und  Verfasser  unserer  Materia 
medica,  Dioskorides  aus  Tarsos,  endlich  Dios- 
korides aus  Alexandria,  der  kurz  vor  Galen 
lebte  und  eine  Ausgabe  des  Hippokrates  mit 


I  Glossar  besorgte.  Photios  124  a,  12  macht  die 
nichtssagende  Bemerkung  iyw  di  ivetvxov 
Tialy  oV  JlBddyioy  aua  xctl  ^Aya^a^ßsct  ratg 
iniyQatpeig  insxdXovy.  Galen  im  Lex.  Hippocr. 
p.  64  JioaxoQidfjs  ot'x  6  inixXrj&eig  *«xf?ff 
d  'H^OKplXsiog,  «ÄA*  6  vetaiB^og  6  xard  na- 
tiqag  i^fjuov  unterscheidet  nur  2  Dioskorides. 
*)  Wbllmanw,  Sextius  Niger,  eine  Quellen- 
untersuchung zu  Dioskorides,  Herm.  24  (1889), 
S.  530—69.  Von  anderen  Botanikern  gibt 
Kunde  Plinius  n.  h.  25,  8;  s.  Mbteb,  Gesch. 
der  Botanik  1  250  ff. 


862 


Grieohuioh«  LittoraturgMobiohte.    UI.  Anhang. 


Wissenschaft  in  Bann  gehalten,^)  so  dass  es  eines  neuen  Auüachwungs 
der  Botanik  im  15.  Jahrhundert  bedurfte,  um  über  die  600  Pflanzen  des 
Dioskorides  hinüberzukommen.  —  Den  fünf  echten  Büchern  angehängt 
fand  bereits  Photios  cod.  178  als  6.  und  7.  Buch  Uke^iqxxQfiaxa  und  ©r/^ 
axd,  welche  Sprengel  dem  jüngeren  Dioskorides  aus  Alexandria  zuweist. 
Bezweifelt  wird  auch  die  Echtheit  der  dem  Andromachos  gewidmeten 
Schrift  Tiegi  einoQiaxfov  dnltav  %€  xai  avvd-ärwv  ifaqftdxwv.  Nur  ein  kärg- 
licher Auszug  aus  Dioskorides  und  Stephanos  ist  das  Lexikon  nsQi  q>a^ 
fxdxnav  ifiineiQiag. 

Erhalten  ist  daa  Hauptwerk  des  Dioskorides  durch  viele  alte  Handschnften,  von 
denen  am  berühmtesten  ist  der  mit  Bildern  versehene  Codex  der  Joliana  Anicia  s.  V, 
welchen  der  Reisende  Busbeg  zu  Eonstantinopel  für  Kaiser  Maximilian  II  und  die  Wiener 
BiblicÜiek  erwarb;  derselbe  wird  in  phototypischer  Reproduzierung  erscheinen  in  der  Lei- 
dener Sammlung  Codices  Graeci  et  Lafcini  von  Sijtboff;  vom  hat  derselbe  eine  TStel- 
miniatur,  darstellend  Dioskorides  u.  Heuresis,  wie  in  den  Aratea  des  Germanicus  in  einem 
Madrider  Cod.  ein  Titelbild  Aratos  u.  Urania,  s.  Bbths  Rh.  M.  48,  99.  —  Alte  lat.  Ueber- 
Setzung  in  longobardischer  Schrift,  daher  Dioscorides  Longobardus,  von  Stadlkb,  in  Roma- 
nische Forschungen  X  (1896)  181  ff.  —  Ausgabe  von  Spbihobl,  Lips.  1829,  als  25.  n.  26. 
Band  der  Med.  graec.  von  Kühn. 

649.  Metrologen.  Aus  den  Bedürfnissen  der  Ärzte  sind  grössten- 
teils auch  die  uns  erhaltenen  Verzeichnisse  von  Massen  und  Gewichten 
{ncQi  fie'iQwv  xai  aiai^ndn)  hervorgegangen.  Zu  einer  förmlichen  Wissen- 
schaft ist  die  Metrologie  bei  den  Alten  nicht  ausgebildet  worden:  man 
hat  weder  den  Ursprung  und  die  Herkunft  der  Masse  und  Oeiinchte  er- 
forscht, noch  die  verschiedenen  Masse  in  ein  System  gebracht;  man  hat 
sich  wesentlich  damit  begnügt  zu  praktischen  Zwecken,  für  die  Abwägung 
der  Arzneien  und  die  Vermessung  der  Felder  Verzeichnisse  von  Massen 
und  Gewichten  aufzusteUen.  Es  ist  daher  auch  von  einer  eigentlichen 
Litteratur  der  Metrologie  im  Altertum  kaum  die  Bede.  Aber  jene  Ver- 
zeichnisse sind  für  uns  als  Ergänzung  der  in  Wirklichkeit  erhaltenen 
Masse  und  Gewichte  von  sehr  grosser  Bedeutung,  weshalb  in  unserer  Zeit 
die  Metrologen  und  vor  allem  der  Hauptbegründer  dieser  Disziplin,  Fr. 
Hultsch,  auch  diese  kleinen  Denkmale  der  alten  Litteratur  zu  sammeln 
und  erläutern  begonnen  haben. 

Fa.  HüLTSCH,  Metrologorum  ecriptorum  reliquiae,  Bibl.  Teubn.  1864,  2  vol.  —  Padl 
DB  Laoabdb  gibt  den  griechischen  Text  des  Arztes  AMcanus  in  den  Symmicta  I  p.  210  bis 
225,  nnd  ebenda  II 149 — 216  eine  Rttckübei'setzung  des  Epiphanios  nBQi  fterguy  xai  ataSfimv 
aus  dem  Syrischen  ins  Griechische.  -  Pbbniob,  Galeni  de  ponderibos  et  mensmis  testimonia, 
Bonn  1888  Diss.;  von  demselben  eine  neue  Tafel  des  Diodoros  n^qi  üxa^fuär  um 
/ÄSTQwy,  Rh.  M.  44  (1889)  S.  569  f.,  Nachträge  zu  den  griechischen  Metrologen  aas  arme- 
nischen Handschriften  yerOffentlichte  Papadopulns  Eerameus,  '0  iy  Ktjyct.  kXXfjr,  t^o- 
Xoyixde  (fvXXoyos  t.  XV,  1884. 


2.  Naturkunde  und  Landbau. 

660.     Die  Medicin  ist,   wissenschaftlich  betrachtet,  nur  ein  Teil  der 

Naturkunde  {(pv<nxjj).     Aber  während  die  Heilkunde  infolge  ihrer  grossen 

praktischen  Bedeutung  eine  reiche  Litteratur  hervorgerufen  hat,  blieb  die 

Naturgeschichte  bei  den  Griechen  in  den  Anfängen  stecken  und  spielte  in 


*)  Für  das  17.  Buch  der  Origines  des 
Isidor,  aus  denen  zumeist  das  lateinische 
Mittelalter  seine  Kenntnisse  schöpfte,   war 


der  ins  Lateinische  ttbenetite  Dioakorides 
eine  Hauptquelle,  woraber  Stadlbb,  Archir 
fQr  lat.  Lexik.  X  403  ff. 


A.  FaohwiBBenaobaltliohe  litteratnr.  2.  Natiirlninde  und  Landban.  (§§  649—651.)    863 

ihrer  Litteratur  nur  eine  ganz  untergeordnete  Rolle.  Das  lag  in  der 
Richtung  des  griechischen  Qeistes  und  des  Altertums  überhaupt.  Die  Grie- 
chen hatten  zwar  Sinn  für  scharfe  und  klare  Beobachtung  der  Aussenwelt, 
aber  die  blosse  Beobachtung  erregte  zu  wenig  ihr  geistiges  Interesse,  und 
das  wiederholte  Beobachten,  um  erst  allmählich  zu  einem  kleinen,  schein- 
bar bedeutungslosen  Resultat  zu  kommen,  war  ihnen  zu  langweilig.  Statt 
auf  diesem  mühesamen  Wege  vorzugehen,  wollten,  sie  gleich  den  Orund 
der  Dinge  begreifen  und  aus  wenigen  Beobachtungen  weittragende  Schlüsse 
ziehen.  Das  führte  sie  zur  philosophischen  Spekulation  über  die  Natur, 
ehe  sie  durch  ausreichende  Beobachtungen  und  experimentelle  Proben  den 
Grund  zu  einem  soliden  Wissen  gelegt  hatten.  Dazu  kam,  dass  sie  durch- 
weg in  ihrer  Überschätzung  der  Rhetorik  und  Politik  die  Praktiker 
und  Handwerker  über  die  Achsel  anschauten  und  damit  auch  den  von 
jenen  in  der  Praxis  gemachten  Naturbeobachtungen  keine  grosse  Be- 
achtung widmeten.  So  beobachteten  sie  wohl  die  Kraft  des  Magneteisen- 
steins und  übten  auch  in  ihren  Werkstätten  das  Legieren,  Oxydieren, 
Destillieren,  aber  sie  errichteten  keine  Observatorien  und  Laboratorien 
und  erfanden  nicht  die  Kunst,  die  Natur  durch  das  Experiment  zu  be- 
fragen. Auf  solche  Weise  haben  sie  in  der  Naturbeschreibung  nur  wenig 
geleistet  und  sind  in  der  Naturerforschung  nicht  über  voreilige  Theoreme 
hinausgekommen.  Nur  wo  sich  die  Erscheinungen  in  eine  höhere  Formel 
mathematischer  Zahlenverhältnisse  bringen  liesen,  wie  in  der  Mechanik 
und  Astronomie,  da  hat  auch  schon  bei  den  Griechen  der  mathematische 
Scharfsinn  glänzende  Resultate  des  Wissens  erzielt. 

651.  Waren  so  die  Leistungen  der  Griechen  in  der  Naturkunde  schon 
an  sich  klein,  so  sind  dieselben  noch  weniger  in  die  Litteratar  eingetreten. 
Nur  Aristoteles  und  die  Peripatetiker  machten  unter  den  griechischen 
Schriftstellern  eine  rühmliche  Ausnahme;  selbst  in  Alexandrien,  das  sonst 
so  sehr  die  Wissenschaft  begünstigte,  beschäftigte  man  sich  lieber  mit 
den  kleinsten  Quisquilien  der  Grammatiker  als  mit  der  Erforschung 
der  Naturreiche.  In  der  römischen  Kaiserzeit  hat  dann  ein  Römer, 
der  ältere  Plinius,  die  Naturbeobachtungen  und  Erkenntnisse  der 
fi:tlheren  Zeit  in  einem  grossen  encyklopädischen  Werk  Naturalis  hi- 
storia  zusammengefasst,  infolgedessen  die  Arbeiten  der  Griechen  noch  mehr 
in  den  Hintergrund  traten.  Unsere  Ernte  ist  daher  auf  diesem  an  und 
für  sich  so  grossen  Gebiete  eine  sehr  kleine.  Das  meiste  ist  obendrein 
bereits  früher  von  uns  an  anderer  Stelle  besprochen  worden,  so  die  Tier- 
geschichte des  Aristoteles,  die  Pflanzengeschichte  des  Theophrast, 
die  Wunderberichte  der  Paradoxographen,  die  Tiergeschichte  des  Aelian, 
die  naturgeschichtlichen  Betrachtungen  des  Plutarch,  die  vir}  lazQix/]  des 
Dioskorides.  Von  einzelnen  Teilen  der  Naturkunde  behandelten  Dorion 
(1.  Jahrhundert  v.  Chr.),*)  Sotakos,  Sudines,  Zenothemis,  Haupt- 
quellen des  Plinius,  die  Steine,^)  Krateuas,  Zeitgenosse  des  Mithradates, 
die  Wurzeln  (^iforojuiWr) ,  Alexander  Myndios  die  Vögel.*)  Der  De- 
mokriteer   {llv&aydfsiog  bei  Suidas)  Bolos   aus  dem  ägyptischen  Mendes 

»)  Wellmawi  Herrn.  23  (1888)  179  ff.      j  »)  Wkllmanw  Herrn.  26  (1891)  481  ff. 

>)  Odir  in  SuBemilil  AI.  Lit.  I  680  ff.       | 


864 


QriachMohe  litteraturgMohiohta.    IIL  Anhang. 


(sicher  vor  Columella,  der  ihn  de  agric.  VII  5,  17  citiert,  wahrscheinlich 
Zeitgenosse  des  Eallimaehos)  zog  den  alten  naturkundigen  Philosophen 
Demokritos  wieder  hervor,  indem  er  ihm  zugleich  nach  der  Art  der  neu- 
pythagoreischen Schwindler  ein  neues  Buch  von  den  geheimen  Natur- 
kräften tk-qI  avfinad^tfdv  xal  avTiiiad^enov  unterschob.  Ein  solcher  Traktat 
ist  uns  noch  erhalten  unter  dem  Namen  des  Neptunalios,  der  im 
2.  Jahrhundert  n.  Chr.  lebte  und  ^Pwnxä  im  phantastischen  Sinn  seiner 
Zeit  schrieb  (ed.  GemoU,  Striegau  Progr.  1884).  Eine  allgemeine  Samm- 
lung der  Fragmenta  scriptorum  rerum  naturalinm,  wie  wir  solche  von 
den  Historikern,  Geographen  und  Philosophen  haben,  hat  noch  niemand 
unternommen. 

Lbnz,  Zoologie  der  alten  Griechen  und  ROmer,  Gotha  1856.  —  Gabus,  Geschichte  der 
S^ologie  bis  auf  J.  Müller  und  Darwin,  in  der  Sammlung,  Geschichte  der  Wissenachafteo, 
München  1872.  -  E.  Meybb,  Geschichte  der  Botanik,  Königsberg  1854.  —  Lbkz,  Minera- 
logie der  alten  Griechen  und  ROmer,  Gotha  1861. 

662.  Geoponiker.  An  die  Naturkunde  schliesst  sich  die  Lehre 
vom  Landbau  an.  Dieselbe  wurde  von  den  Griechen  der  klassischen  Zeit 
als  ein  Teil  der  Ökonomik  betrachtet.  Demgemäss  berücksichtigten  die 
Hauptvertreter  dieser  im  übrigen  von  den  Alten  stark  vernachlässigten 
Wissenschaft,  Xenophon  und  Aristoteles  in  ihren  Otxovofuxd  auch  die 
Landwirtschaft.  Grössere  Aufmerksamkeit  wandte  man  der  Lehre  von 
dem  Landbau  in  der  alexandrinischen  Periode  zu.  Varro  de  re  rust.  1 1,  8 
zählt  50  Schriftsteller  auf,  darunter  zwei  Könige,  Hieron  H  und  Attalos 
Philometor,  welche  über  Landbau  und  Verwandtes,  wie  Bienenzucht  und 
Gartenbau,  geschrieben  hatten.  Gegen  Ende  der  alexandrinischen  Periode 
verfasste  ein  gewisser  Gassius  Dionysius  ein  grosses  Sammelwerk,  in 
dem  er  zunächst  eine  Uebersetzung  des  Karthagers  Mago  über  Ackerbau 
und  dann  Auszüge  aus  den  griechischen  Geoponikern  gab.  Die  umfang- 
reiche Encyklopädie  brachte  Diophanes  aus  Bithynien  für  König  Deio- 
tarus  in  einen  Auszug  von  6  B.,  welchen  Auszug  dann  wieder  der  Sophist 
Asinius  PoUio  aus  TraDes  um  100  n.  Chr.  in  2  B.  zusammenzog.^)  — 
Die  Schriften  der  griechischen  Geoponiker  des  Altertums  sind  sämtlich 
verloren  gegangen;  wir  haben  nur  aus  dem  Mittelalter  Reste  dieser  Lit- 
teratur.  Es  ist  uns  nämlich  eine  Ekloge  von  Werken  über  Landbau, 
Geoponika  in  20  B.,  erhalten,  welche  nach  dem  voranstehenden  Widmungs- 
schreiben durch  den  Kaiser  Konstantinos  Porphyrogennetos  im  10.  Jahr- 
hundert veranlasst  wurde.  In  einer  der  Handschriften  jenes  Sanunei- 
werkes,  dem  Cod.  Marcianus  524,  wird  als  geistiger  Vater  desselben 
Kaaatavoq  Bdaaog  axoXaarixoq  genannt;  es  ist  dieses  aber  nicht  der  ober- 
flächliche und  lüderliche  Schreiber,  welcher  das  Buch  für  die  Exzerpten- 
sammlung des  Kaisers  Konstantin  herrichtete,  sondern  ein  älterer,  ge- 
lehrterer und  sorgfilltigerer  Schriftsteller,  der  im  6.  Jahrhundert*)  aus  zahl- 
reichen Schriften  der  besseren  Zeit  das  Werk  zusammengestellt  hatte.  Eine 


1)  Oder  in  Sasemihls  AI.  Lit.  I  829  ff. 

*)  Dahin  weist  der  Name  axoXaoxinog 
„Sachwalter*,  der,  wie  Oder,  dem  wir  die 
Aufkl&nmg  dieses  ganzen  Sachverhftltnisses 


verdanken,  im  Rh.  M.  48,  32  nachweist,  im 
6.  Jahrh.  ausserordentlich  hftufig  war,  nach 
Kaiser  Heraclius  (t  641)  aber  anderen  Be- 
nennungen Platz  machte. 


A.FaohwiMeiuichaftlioheLitteratiir.  8.][athematik6rn.ABtronomen.  (§§652—658.)  865 

seiner  Hauptquellen  war  das  ältere  Exeerptenwerk  des  Vindanios  Ana- 

tolios  aus  Berytos,^)  der  auf  Anregung  des  Kaisers  Julian  die  Schriften 

über  Landwirtschaft')  zu  einer  Svvaywyrj  yBdoqyixiüv  iniTTjäevficcroov  in  12  B. 

vereinigt  hatte.  ^) 

AnBgabe  der  Greoponika  von  Nbbdham,  Cantabr.  1704;  von  Niolas,  4  Bde,  Lips.  1781; 
kritische  Ausgabe  mit  Beoatzang  der  syriscliei]  Uebersetzong  von  H.  Bkokb,  Bibl.  Tenbn. 
1895;  dazu  die  Vorarbeit  De  Geoponicorom  codicibns,  in  Acta  sem.  Erlang.  IV  261  ff.  —  Die 
syrische  (unyollst&ndige)  üebersetzimg  des  Vindanios  ist  herausgegeben  von  P.  de  Lagabde, 
Geoponicomm  in  sermonem  Syriacum  versomm  quae  supersunt,  Lips.  1860.  Ueber  diese 
syrische  üebersetzung  des  Sergios  und  die  danach  gemachte  arabische  von  Eosta  s.  Baük- 
STABK,  Lucubrationes  Syro-Graecae,  in  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  XXI  384  ff.  Ueber  eine  arme- 
nische Üebersetzung,  veröffentlicht  von  den  Mechitaristen  1877,  s.  Bbockblmakn  in  Byz. 
Zeitschr.  V  385  ff. 


8.  Mathematiker  und  Astronomen.^) 
653.  Die  ersten  Anregungen  zu  mathematischen  Studien  empfingen 
die  Griechen  von  den  Ägyptern,  von  denen  uns  ein  Rechenbuch  mit  ein- 
fachen und  trigonometrischen  Aufgaben  aus  dem  3.  Jahrtausend  v.  Chr. 
erhalten  ist  Bei  den  Griechen,  die  rasch  über  die  erstarrte  Kunst  der 
Ägypter  hinausgingen,  beschäftigten  sich  mit  mathematischen  Problemen 
zuerst  die  Philosophen  Thaies  und  Pythagoras.*)  Auch  in  der  Akademie 
stand  die  Mathematik  in  hohen  Ehren:  dem,  der  nicht  Geometrie  ver- 
stand, war  der  Eingang  in  die  Akademie  verwehrt.  Nur  Aristipp  und  die 
Eyniker  trugen  in  ihrer  niederen  Gesinnungsart  Verachtung  der  Mathe- 
matik zur  Schau.  Auch  brachte  schon  die  klassische  Zeit  bedeutende 
Mathematiker  hervor,  wie  den  Geometer  Theodoros,  den  uns  Piatons 
Theätet  kennen  lehrt,  den  Chronologen  Meton,  der  in  seinen  Zeitberech- 
nungen sich  bereits  der  Sonnenuhr  bediente,  den  Pythagoreer  Archytas, 
den  Diogenes  8,  83  Begründer  der  Mechanik  nennt.  Der  angesehenste 
war  Eudoxos  aus  Enidos,^)   der   neben  Piaton  in  der  Akademie  lehrte 


^)  Gegen  dessen  Identifizierong  mit  dem 
in  den  Briefen  des  Libanios  vorkommenden 
gleichnamigen  Juristen  aus  Berytus  erklärt 
sich  Odbb  Rh.  M.  45  (1890),  95. 

')  Ausgezogen  waren:  Ps.  Demokrit,  die 
yBtoQyixd  ßißXia  des  Pamphüos,  die  xsütol 
des  Africanus,  die  yetagyixd  des  Morentinus 
(aas  der  Zeit  des  Kaisers  Severus),  die  Ency- 
klopädie  des  Apuleius,  Tarentinus,  Leo,  Valens; 
B.  Odeb,  Beiträge  zur  Geschichte  der  Land- 
wirtschaft bei  den  Griechen,  Rh.  M.  45  (1890), 
58—99.  212—222  und  48  (1893)  1—40. 

*)  Einen  Auszug  gibt  Photios  cod.  163; 
fiber  seine  Person  und  die  Anlage  seines 
Werkes  handelt  Gbmoll,  Untersuchungen 
fiber  die  Quellen,  den  Verfasser  und  die  Ab- 
fassungszeit  der  Geoponika,  BerL  1883,  in 
Berliner  Stud.  I  221  ff.;  Krumbagheb,  Byz. 
Lit«  262  f. 

^)  Veterum  mathematicorum  opera  omnia 
ed.  Theyenot,  Par.  1693;  Opera  mathematica 
ed.  Wallis,  Oxon.  1699,  4  vol.  —  Urano- 
loginm  sive  systema  variorum  autorum  qui 
de  sphaera  sc  sideribus  eorumque  motibus  | 
Haadtrach  der  klaai.  Altertumswiaaenachaft.    YII.    3. 


graece  commentati  sunt.  Gemini,  Achülis 
Tatü,  Hipparchi,  Ptolemaei,  cura  Dion.  Pbtayii, 
Par.  1630,  Amstel.  1703.  —  Dblambbe,  Hi- 
stoire  de  l'astronomie  ancienne,  Paris  1817.  — 
Cai^tob,  Vorlesungen  über  (jreschichte  der 
Mathematik  P  1894.  —  Martin,  Astronomie 
grecque  et  romaine,  Paris  1875.  —  Tannery, 
La  g^ometrie  grecque,  Paris  1887. 

^)  Ueber  die  ältere  Geschichte  der  Mathe- 
matik verdanken  wir  sehr  willkommene  An- 
gaben dem  Kommentar  des  Proklos  zu  Euklid 
p.  19  ed.  Bas.,  der  selbst  wiederum  aus  des 
Eudemos  retofÄSXQixi]  UsxoQia  schöpfte. 

«)  Ueber  Eudoxos  s.  Böckh,  Kl.  Sehr,  m 
343  ff.;  Ukgeb  Phiiol.  1891  S.  291  ff.;  Maass, 
Aratea,  p.  281—304.  Eutokios  (6.  Jahrh.)  zu 
Archimedes,  De  sphaera  et  cyl.  II  2  kannte 
noch  die  mathematischen  Schriften  des 
Eudoxos.  Ein  stark  interpoliertes  Stück  der 
Evdo^ov  tex^T]  veröffentlichten  aus  einem 
Pariser  Papyrus  Bbunet  de  Pbbsle,  Notices 
et  extraits  t.  XVIII  pl.  1—5;  vgl.  Wachs- 
HUTH,  Lydi  de  ostentis  et  calendaria  graeca 
p.  272 — 5.  Ueber  die  Verwechselung  des 
Aufl.  55 


866 


Qiieohis^he  Litteratiirg^Mliiohte.    IIL  Aiüiang. 


und  als  der  grösste  Astronom  seiner  Zeit  galt;  sehr  verbreitet  war  seine 
Oktoeteris,  ein  Kalender  mit  Witterungsangaben;  seine  Bücher  Phaino- 
mena  und  Enoptron  lagen  den  Phainomena  des  Arat  zu  gründe.  Die  Sphären- 
theorie des  Eudoxos  verbesserte  bald  nach  ihm  der  Astronom  Eallippos, 
über  dessen  Verhältnis  zu  Eudoxos  uns  hauptsächlich  Aristoteles  Met 
IX  8  und  des  Simplicius  Scheuen  zu  Arist.  de  coelo  11  12  unterrichten.  ^ 
Einen  höheren  Aufschwung  nahmen  die  mathematischen  Disziplinen  unter 
den  Ptolemäern;  auch  sind  uns  erst  aus  dieser  Zeit  vollständige  Werke 
erhalten. 

654.  Autolykos  (um  310)  aus  Pitane  im  äolischen  Eleinasien, 
Lehrer  des  Akademikers  Arkesilaos  (Diog.  4,  29),  ist  der  älteste  der  uns 
erhaltenen  Mathematiker.  Auf  uns  sind  von  demselben  zwei  kurze  astro- 
nomische Schriften  gekommen:  ne^i  x^vovpiävrjg  cqiaiqaq  (über  rotierende 
Kugel)  in  1  B.  und  nsqi  imtoX^v  xal  ivtrswv  (über  Auf-  und  Untergänge 
der  Fixsterne)  in  2  B.  In  denselben  steht  eine  Anzahl  von  Definitionen 
{oQot)  der  Hauptbegriflfe  voran  und  werden  dann  die  Beweise  der  Sätze 
{rr^oTMeig)  in  bündiger  Klarheit  entwickelt.  Kritische  Ausgabe  von 
Hultsch  in  Bibl.  Teubn.  1885. 

655.  Euklid  {EvxkeiSrjg),  nach  den  einen  aus  Gela,  nach  den  andern 
aus  Tyrus,  blühte  unter  Ptolemäus  Lagi  und  lehrte  in  Alexandria.  *)  Das 
berühmteste  Werk  desselben,  das  lange  Zeit  bei  den  Griechen  und  Arabern 
dem  Unterricht  in  der  Geometrie  zu  grund  gelegt  wurde  und  durch  die 
lateinische  Übersetzung  des  Boetius  auch  im  Abendland  Verbreitung 
fand,')  sind  die  SroixeTa  (Elementa)  in  18  B.  Denselben  ist  als  14.  und 
15.  Buch  ein  Anhang  angefugt,  von  dem  der  erste  Teil  (14.  B.)  von 
Hypsikles  aus  Alexandrien  (vgl.  §  658),  der  zweite  (15  B.)  von  einem 
Schüler  des  im  6.  Jahrhundert  lebenden  Mechanikers  Isidoros  Milesios 
herrührt.  —  Das  zweite  Hauptwerk  des  Euklid  sind  die  Jsdoiiäva  (Data), 
eine  Art  von  Einleitung  in  die  geometrische  Analysis,  die  zusammen  mit 
der  Einleitung  des  Philosophen  Marines  (vgl.  §  624)  und  reichen  Scholien 
auf  uns  gekommen  sind.  —  Ausserdem  schrieb  Euklid  'O/rrixa,  die  uns  in 
einer  doppelten  Rezension  erhalten  sind.  Später  ward  die  Optik  des 
Euklid  zusammen  mit  den  JsSofiäva,  den  ^aivofieva  und  den  wahrschein- 
lich von  dem  Erklärer  des  Euklid,  Theon,  zugefügten  KaTonvQixd^)  in  den 
sogenannten  imxQog  MtQovovfievog  aufgenommen,  welcher  der  fieydli]  avr- 
rcc^ig  des  Ptolemaios  gegenübergesetzt  wurde.  ~  Endlich  haben  wir  von 
Euklid  noch  eine  Einteilung  des  musikalischen  Kanon  {xaraTOfiij  xccvörog]^ 


Astronomen  Eudoxos  mit  dem  gleichnamigen 
Verfasser  der  geographischen  Jlsgiodoi  yijs 
B.  oben  §  406. 

')  Martin,  Memoire  sur  les  hypotheses 
astronomiques  d'£udoxe,  de  Gallippe,  d'Aii- 
stote,  Paris  1880;  darüber  referiert  Hultsoh, 
Jahrber.  d.  Alt.  XII  3,  50  ff. 

')  Berühmt  wurde  der  Aussprach  des 
Euklid  an  Ptolemaios:  /jirj  elvai  paciUittjv 
nx^anov  TtQog  ystofiex^lav, 

•)  üeber  eine  filtere  lateinische  üeber- 
setzimg,  von  der  Reste  in  einem  Yeroneser 


Palimpsest   n.  40   erhalten,  siehe  Heibeso 
Ausg.  V  prol.  XCIX. 

^)  Dass  die  Eatoptrik,  die  Plnoklos  noch 
nicht  kennt,  nicht  yon  Euklid  selber  her 
rührt,  beweist  Heibkbo,  Literargeschichtliche 
Studien  zu  Euklid  p.  151  und  Ausg.  Vü 
prol.  XLIX.  Man  unterschied  aber  im  Alter- 
tum und  Mittelalter  8  Teile  der  Optik,  die 
Optik  im  engeren  Sinn,  die  Eatoptrik,  unserer 
heutigen  Dioptrik  vergleichbar,  und  die  «0^ 
y^atfia  oder  ffxtjroygaipia. 


A.Fac]iwi«ieiuichaftlio]ieLitieratiir.  8.  Mathematiker  n.ABtronomen.  (§§654—656.)  867 


oder  die  Intervalle  der  diatonischen  Skala  auf  Grund  der  Beobachtungen 
des  Pythagoras.  —  Die  zwei  Bücher  Tonoi  nQog  imipavedf,  welche  Pappos 
7,  3  noch  las,  sind  verloren  gegangen;  ebenso  die  Koonxd  und  üoQiaiiaTa 
und  das  Buch  ns^l  diai^äasiovA)  Die  EhayfOYV  ^Ql^oviictj  trägt  fälschlich 
den  Namen  des  Euklid ;  sie  rührt  von  einem  Schüler  des  Aristoxenos  her, 
vielleicht  von  Eleonides,  der  in  einigen  Handschriften  als  Verfasser  ge- 
nannt ist.') 

Godd.  haben  wir  von  Euklid,  dem  vielgelesenen  Autor,  sehr  viele  und  sehr  alte ;  die 
meisten  gehen,  z.  T.  nach  ausdrücklicher  Vormerkung,  auf  die  Recension  des  Mathematikers 
Theon  zurück  {anS  rtjs  Bitavog  ixdoaeoig);  einer,  der  Yatic.  gr.  190  s.  X  (P),  den  zuerst 
Peyrard  in  der  Pariser  Ausgabe  1814  hervorgezogen  hat,  enthält  die  vortheonische  Re* 
cension. 

Hanptausgabe  mit  kritischem  Apparat  und  lateinischer  Uebersetzung  von  Heibebo  u. 
Menge,  in  Bibl.  Teubn.  1883—96,  7  Bde;  über  die  früheren  Ausgaben  s.  Heiberg  Y  prol. 
c.  lY  sqq.;  Euclidis  elementa  ed.  August,  Berl.  1826.  —  Kommentar  des  Proklos  zum  1.  Buch 
der  Elemente  von  Fbibdliin,  1873;  Scholia  zu  den  Elementa  in  Ausgabe  von  Heiberg  t.  Y, 
zu  den  Data  t.  YI.  —  Hbibbbo,  Litteraturgeschichtliche  Studien  über  Euklid,  Leipz.  1882. 

Ich  füge  hier  gleich  in  Ergänzung  zu  Euklids  Optik  an  die  KetpccXaia  rtov  onxixiay 
v7io&i<f€wy  von  Damianos,  dem  Sohne  des  Heliodor  aus  Larissa,  aus  der  Zeit  nach  dem 
Kaiser  Tiberius.')  Dieselbe  ist  in  der  Pariser  Ausgabe  des  Bartholinus  1657  zusammen  mit 
zwei  fremdartigen  Bestandteilen,  einem  dürftigen  Excerpt  aus  einer  anderen  optischen 
Schrift  (des  Geminus,  nach  Schöne)  und  einer  Auswahl  aus  der  Euklidischen  Optik,  in 
2  B.  herausgegeben;  das  1.  Buch  allein  nach  kritischer  Prüfung  und  mit  handschriftlichem 
Apparat  von  R.  Schöne,  Damianos  Schrift  über  Optik,  mit  Auszügen  aus  Geminos,  griech. 
a.  deutsch,  Berl.  1897. 

Ein  neues  Bruchstück  einer  Optik  publiziert  aus  einem  Pariser  Papyrus  Wbssbly 
Wien.  Stud.  Xm  (1891)  312  ff. 

666.  Archimedes  (287— 212),  Sohn  des  Astronomen  Pheidias,  hatte 
das  dorische  Syrakus  zur  Heimat,  machte  aber  seine  Studien  in  Alexan- 
dria, wo  er  mit  den  berühmten  Mathematikern  Eonon  und  dessen  Schüler 
Dositheos  in  nähere  Beziehung  trat.^)  Den  Tod  fand  er  im  Jahre  212 
bei  der  Einnahme  seiner  Vaterstadt,  angeblich  durch  einen  rohen  römi« 
sehen  Soldaten.^)  Seinen  Namen  hat  er  unsterblich  gemacht  durch  die 
glänzenden  Erfindungen  in  der  Mechanik,  mit  denen  er  auch  lange  die 
Belagerungsversuche  der  Römer  vereitelte.  Aber  auch  um  die  Wissen- 
schaft der  reinen  Mathematik  hat  er  sich  hervorragende  Verdienste  er- 
worben durch  die  Kreismessung,  ^)  die  Kugel-  und  Cylinderberechnung ') 
u.  a.  Die  von  ihm  erhaltenen  Schriften  sind :  negl  aipaiQccq  xai  xvXivdqov 
2  B.,  xvxXov  fiezQTja^g^  n€Ql  inmädwv  hoqqonioSv  (vom  Gleichgewicht  der 
Flächen   oder  Grundzüge   der  Statik  2  B.),   negii  xwvoeidäwv  xai  affaiQosi- 


1)  GüKTHBB,  Handb.  d.  kl.  Alt.  V  33. 

»)  C.  V,  Ja»,  Die  Harmonik  des  Kleo- 
nides,  Landsberg  a/W.  1870. 

*)  Erwähnt  ist  c.  2  der  Kaiser  Tiberins 
als  Nachtseher:  x6  xivaq  xai  rvxrtoQ  6q«v 
ovdir  reSv  e^to&ey  n^oc&BOfjtivovg  ipioTog;  olog 
ixBiyog  6  Tiß^Qhog  yiyovBV  6  'Vtafjiaiojy  ßaat- 
XsvS'  Ben  Geometer  Heron  citiert  Damia- 
nosc.  14.    Vgl.  Sneton  Tib.  68. 

*)  In  Aegypten  erfand  er  die  Wasser- 
schraube, Jiyvntiftxog  xoxXias,  nach  Diodor 
V  37    3. 

»)  Livins  25,  31;  Plut.  Marc.  19.  üeber 
sein  Grabdenkmal  bei  Syrakus  s.  Cicero, 
Tuscul.  V64. 


^)  Die  Peripherie  des  Kreises  bestimmte 
er  auf  mehr  als  3*®/?!  und  weniger  als  3**'/'/o 
Diameter. 

^)  Zum  ehrenden  Andenken  dieser  Er- 
findung war  auf  sein  Grabdenkmal,  das  Cicero 
(Tuscul.  y  23, 64)  als  Quästor  Sikiliens  wieder 
aufrichten  liess,  eine  von  einem  Cylinder  um- 
schriebene Kugel  gesetzt.  —  Berühmt  ist  auch 
seine  Bestimmung  des  spezifischen  Gewichtes 
einer  für  König  Hieron  verfertigten  Krone, 
um  nachzuweisen,  in  welchem  Yerhftltnis  in 
jener  Krone  Gold  und  Silber  gemischt  seien; 
vgLVitruv  rX  praef.;  Plutarch  Mor.  1094  b. 
Berühmt  auch  sein  Ausspruch  cfoV  f^oi  ndg 
(fTü)  xai  xiytö  Jtjy  ytjy. 

55* 


868 


Chrieohisolie  litteratiirgMohiohte.    HL  Anhang. 


Jäav,  71€qI  eUxfav  (von  den  Schneckenlinien  oder  Spiralen),  tpafifUTrfi  (Sand- 
berechnung oder  von  den  höheren  über  10,000  (ßvQiot)  hinausgehenden,  in  der 
Sprache  nicht  ausgedrückten  Zahlen),  rsTQaywvuffiog  naQaßoXrjg  (Quadratur 
der  Parabel),  ne^l  twv  oxovfiävwv  (von  den  schwimmenden  Körpern,  Hydro- 
statik), i)  Die  letzte  Schrift  existiert,  von  kleinen  Fragmenten  abgesehen, 
nur  noch  in  der  lateinischen  Übersetzung  von  Tartalea.')  Nur  durch  eine 
arabische  Übersetzung  ist  der  nur  zum  Teil  auf  Sätze  unseres  Mathematikers 
zurückgehende  Liber  assumptorum  auf  uns  gekommen.  Der  ursprüngliche 
dorische  Dialekt  der  Schriften  des  Archimedes  ist  bei  den  beiden  ersten, 
am  meisten  gelesenen  Werken  ganz  verwischt,  bei  den  andern  aber  ziem- 
lich gut  erhalten.  >)  Zu  den  Schriften  in  Prosa  kommt  noch  ein  Rätsel 
in  Distichen  über  die  Rinder  des  Helios  {nQoßXrjfia  ßoeixov,  problema  ho- 
vinum),  das  Archimedes  dem  alexandrinischen  Grammatiker  Eratosthen^ 
zum  Lösen  aufgab.^) 

HanptauBgabe  mit  kritischem  Apparat  (der  älteste  Codex  Yallae  ist  inzwischen  Te^ 
loren  gegangen)  von  Hbibebo,  in  Bibl.  Tenbn.  1880,  3  vol.  —  Heibebo,  Quaestiones  Archi- 
medeae,  Eopenh.  1879;  Studien  zn  griechischen  Mathematikern,  Jahrb.  f.  Phil.  Snppl.  XIII 
542—577.  —  Zu  den  drei  an  erster  Stelle  aufgefOhrten  Werken  ist  uns  auch  ein  alter 
Kommentar  von  Gutokios,  einem  Mathematiker  aus  der  Zeit  Justinians,  erhalten,  üeber 
diesen  Eutokios,  Schüler  des  berOhmten  Architekten  Isidor  unter  Justinian  s.  Heibrbo, 
Philol.  Stud.  zu  den  griech.  Mathematikern  in  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  XI  357  ff. 

667,  Apollonios  von  Perge  in  Pamphylien,  der  um  200  v.  Chr.  in 
Alexandria  und  Pergamon  thätig  war,  ^)  ist  Verfasser  des  berühmten  Werkes 
über  die  Kegelschnitte  (Ellipse,  Parabel,  Hyperbel),  Kwvixd  (stil.  frvoix^ta) 
in  8  B.,  wovon  die  vier  ersten  im  griechischen  Original  mit  einem  Kom- 
mentar des  Eutokios  und  den  Hilfssätzen  (A?;ju/iaTa)  des  Pappos,  die  drei 
folgenden  in  arabischer  Übersetzung  auf  uns  gekommen  sind.  Apollonios 
war  nicht  der  Entdecker  der  Kegelschnitte;  schon  100  Jahre  vor  ihm 
hatten  Aristaios  der  Ältere  und  Euklid  von  den  Kegelschnitten  gehandelt; 
aber  Apollonios  hat  durch  seine  scharfsinnigen  Berechnungen  alle  froheren 
Arbeiten  in  Schatten  gestellt;  weshalb  er  schon  von  den  Alten  der  grosse 
Geometer  genannt  wurde.  Von  seinem  berühmten  Hauptwerk  veranstaltete 
er  selbst  eine  zweite  verbesserte  und  erweiterte  Ausgabe.  Ausserdem 
hat  sich  von  Apollonios  ein  Buch  tvsqI  Xoyov  dTvorofArjg  in  arabischer,  von 
Halley  ins  Lateinische  übertragenen  Übersetzung  erhalten.  Die  zahl- 
reichen anderen  Schriften  des  genialen  Meisters,  darunter  auch  der  arith- 
methische  Schnellrechner  {(oxvtoxiov)  und  eine  astronomische  Schrift  über 
den  Stillstand  und  die  rückläufige  Bewegung  der  Planeten,  sind  ganz  ver- 
loren gegangen. 


^)  Andere  Schriften  sind  verloren  ge- 
gangen, wie  negl  ^vywyj  xaxonxqtxa,  atpai^go- 
noita. 

^)  Den  Versuch  einer  Rückflhersetznng 
machte  Heibeeo,  M^l.  Grauz  p.  689—709. 

")  Hbibbro,  Ueher  den  Dialekt  des  Archi- 
medes, Jahrh.  f.  Phü.  Suppl.  XIII  542—566. 
Anstoss  erregen  die  Üherlieferten  Donamen 
a/AMvs  (gegenüber  lat.  semis)  und  irxi  =  ian, 
in  welch  letzterer  Form  sich  die  Hand- 
schriften des  Archimedes  mit  denen  des  Theo- 


krit  begegnen. 

*)  Ueber  die  oft  behandelten  Zweifel  an 
der  Echtheit  Eeumbibgel  und  Aitteob,  Das 
Problema  bovinum  des  Archimedes,  Ztschr. 
f.  Math.,  bist.  Utt.  Abt.  XXV,  121  fif.  Das  Ge- 
dicht  wurde  von  Lbssikg  in  einer  Wolfen- 
bUUeler  Handschrift  aufgefunden  und  1773 
zum  erstenmal  ediert 

*)  Dem  König  Attalos  I  (247-197)  hat 
er  das  4.  Buch  seiner  Konika  gewidmet 


A.FaoliwiMeiiaohaftlioheLitt6ratiir.  8.Mftihemfttikera.A8troiiomeii.  (§§657—660.)  869 

Ausgabe  von  Hallbt,  Ozoil  1710;  von  Hbibbbg  in  Bibl.  Teubn.  auf  Gnmdlage  des 
cod.  Vat.  206,  Ups.  1888—93;  Zbuthen,  Die  Lehre  von  den  Kegelschnitten  im  Altertum, 
Kopenhagen  1886. 

658.  Hypsikles  aus  Alexandria,  den  man  früher  in  die  Zeit  der 
Antonine  setzte,  der  aber  nach  Friedleins  Nachweis^)  nicht  lange  nach 
Apollonios  um  170  v.  Chr.  lebte,  hat  den  schon  erwähnten  Nachtrag  zu 
Euklids  Elementen  verfasst.  Von  demselben  rührt  auch  der  sogenannte 
Xiyoq  äva^oQixog  über  das  Aufsteigen  der  Gestirne  in  der  Ekliptik  her, 
in  welcher  Schrift  zum  erstenmal  sich  der  Kreis  in  360  Grade  eingeteilt 
findet. 

Der  Xoyog  äyagfOQucos  neubearbeitet  von  Manitius,  Dresden  1888,  Programm  der 
Kreuzschule. 

Diokles,  der  Erfinder  der  Kissoide  (Epheulinie)  aus  unbestimmter  Zeit  hat  diese 
seine  Entdeckung  in  einem  Buche  ne^l  nvgitay  (Brennspiegel)  niedergelegt,  das  noch 
in  arabischer  Uebersetzung  handschriffclich  (cod.  Escorialensis  955)  vorhanden  ist. 

659.  Aristarchos  von  Samos  (um  280  v.  Chr.),^)  Schüler  des  Peri- 
patetikers  Straten,  ist  in  der  Geschichte  der  Astronomie  dadurch  bekannt, 
dass  er  zuerst  die  dann  an  2000  Jahre  wieder  ruhende  Entdeckung  ge- 
macht hat,  dass  sich  nicht  die  Sonne  um  die  Erde,  sondern  die  Erde  um 
die  Sonne  und  zugleich  um  ihre  eigene  Achse  dreht.  >)  Durch  diese  Lehre 
zog  er  sich  von  Seiten  des  Stoikers  Eleanthes  den  Vorwurf  der  Gottlosig- 
keit zu,  wie  ähnliches  und  schlimmeres  dem  grossen  Entdecker  Galilei 
von  Seiten  der  Theologen  begegnet  ist.  Auch  einen  verbesserten  Gnomon 
(Sonnenuhr),  das  sogenannte  Skaphion,^)  eine  hohle  Halbkugel  mit  einem 
Deuter  {yvwfAfov)  in  der  Mitte  zur  Messung  der  Sonnenhöhe  durch  den 
Schatten  nach  den  auf  der  Halbkugel  angebrachten  Teilungslinien,  soll 
er  erfunden  haben.  Auf  uns  gekommen  ist  von  ihm  nur  eine  einzige  Ab- 
handlung ncQl  fAcye^äv  xal  cmaatrificctwv  jqUov  xal  asXrjvrjq^  die  in  das 
kleine  astronomische  Lehrbuch  {iiixQoq  MTQovovfievog)  der  Alexandriner 
Aufnahme  gefunden  hatte  (Pappos  VI  554 — 68). 

Aristarchi  Samii  de  magnitudine  et  disLantia  Solis  et  lunae,  ed.  Wallis,  Ozon.  1699. 
Neue  Ausg.  von  db  F(obtia  d'Ubbah),  Paris  1810;  von  Nizzb,  Stralsund  1856. 

Seleukos  von  Seleukia  hat  die  Theorie  des  Aiistarch  von  der  Bewegung  der  Erde 
und  der  Planeten  um  die  Sonne  weiter  ausgebildet,  indem  er  zugleich  in  einer  Schrift  gegen 
den  Grammatiker  Erates  von  Mallos  die  Erscheinungen  der  Ebbe  und  Flut  mit  der  Stellung 
des  Mondes  zur  Erde  in  Verbindung  setzte.  Aber  ausser  gelegentlichen  Anführungen  ist 
uns  von  diesem  erfindungsreichen  Kopfe  nichts  erhalten. 

660.  Hipparchos  aus  Nikäa  in  Bithynien  war  der  gefeiertste  Astro- 
nom des  Altertums^)  und  zugleich  Begründer  der  Trigonometrie;  er  lehrte 
in  Rhodos  und  Alexandria  und  blute,  nach  den  von  ihm  angestellten  Beob- 
tungen  zu  schliessen,  um  160—125  v.  Chr.  Seinen  Ruf  erwarb  er  sich 
durch  Erfindung  vollkommenerer  Instrumente,  Abfassung  eines  Sternkata- 


*)  FBiBDLBDf,  De  Hypsicle  mathematico, 
in  Bull.  Boncampagni  YI  498—529. 

'j  Im  Jahre  281/80  stellte  Hipparch  eine 
Beobachtung  des  Sonnensolstitiums  an. 

»)  Flut,  de  fade  c.  6;  Diog.  Vü  174; 
Aichimedes  in  der  Sandrechnung.  Hinge- 
worfen war  der  (bedanke  schon  von  Hera- 
kleides Pontikos;  s.  Bebok,  Fünf  AbhdL  zur 
Philos.  u.  Astron.  S.  189—171;  Hültsoh,  Das 
astronomische  System  des  Herakleides  von 
Pontos,  in  Jahrb.  f.  cl.  Phü.  1896  S.  305  ff.; 


SoHiAFABBLLi,  Como  i  Groci  arrivarono  al 
primo  concetto  del  sistema  planetario  elio- 
centrico,  Atene-Roma,  1898  n.  2. 

*)  So  benannt  im  Gegensatz  zur  grossen 
Syntazis  des  Ptolemaios. 

>)  Bei  Plinius  h.  n.  TL  26,  95  heisst  er: 
Hipparchus  nunqitam  satis  latidatus,  ut  gMO 
nemo  moffis  adprobaverii  eognatUmem  cum 
Kamine  siderum  animasque  nostrae  partem 
esse  caeli. 


870 


Grieoliuohe  Litteimtiirgeaohiohie.    m.  Anhang. 


loges  mit  1080  Sternen,  Entdeckung  des  Vorrückens  der  Nachtgleichen 
(in  100  Jahren  nur  ein  Grad);  mit  Hilfe  der  Trigonometrie  berechnete 
er  die  Parallaxe  der  Sonne  und  die  Entfernung  derselben  von  der  Erde 
(1200  Erdradien).  Von  seinen  zahlreichen  Schriften  ist  vollständig  nur 
eine  Jugendschrift,  tdv  'Aqotov  xal  EiSo^ov  (paivo^itvoav  i^rjyijiTfig  in  3  B. 
auf  uns  gekommen.  Ausserdem  hat  uns  Ptolemäus  Synt.  VII  5  sein  Stern- 
verzeichnis (ixv^etng  MreQKffAcov  rj  71€qI  rdv  änXavwv  avayQafpai)  erhalten^) 
und  kennen  wir  aus  dem  zweiten  Buch  des  Strabon  seine  Kritik  der 
mathematischen  Geographie  des  Eratosthenes.  —  Schüler  und  Erklärer  des 
Hipparch  war  Serapio  aus  Antiochia,  der  zur  Zeit  Giceros  lebte  und  den 
Plinius  in  den  Büchern  II.  IV.  V  seiner  Naturgeschichte  benutzte. 

661.  Etesibios  von  Alexandria  war  Begründer  der  Mechanik  und 
wandte  bereits  diese  Wissenschaft  auf  dasjenige,  was  in  jener  Zeit  der 
Eroberungen  die  Mächtigen  der  Erde  am  meisten  interessierte,  die  Er- 
findung und  Verbesserung  von  Kriegsmaschinen  an.  Er  war  der  Erfinder 
grosser  Wurfgeschosse,  welche  durch  komprimierte  Luft  in  Bewegung  ge- 
setzt wurden  (Philon  Belop.  77),  und  eines  mechanischen  Apparates,  um 
ohne  Sturmleitern  eine  Mauer  zu  ersteigen  (Athen,  mechan.  29,  9  W.).  Er- 
halten hat  sich  von  seinen  Werken  nichts.  Seine  Lebenszeit  bestimmt 
sich  daraus,  dass  ihn  der  Epigrammatiker  Hedylos  bei  Athen.  497  d  als 
Erfinder  eines  Trinkhorns  im  Tempel  der  Arsinoe  preist.  Danach  lebte  er 
unter  Ptolemaios  Philadelphos ')  und  muss,  wenn  nicht  eine  Verwechselung 
vorliegt,  verschieden  gewesen  sein  von  dem  Bader  Ktesibios,  der  nach 
Athen.  174<^  unter  Euergetes  II  die  Wasserorgel  erfunden  haben  soU^) 
{ydqavXog). 

662.  Heron  von  Alexandria,*)  Schüler  des  Ktesibios,  blühte  im 
2.  Jahrhundert  v.  Chr.*)  und  war  einer  der  vielseitigsten  Mathematiker  der 
Griechen.  Vorzugsweise  galten  seine  Studien  der  Geometrie  und  der  damit 
verbundenen  Vermessungskunde  (Geodäsie),  ausserdem  der  Optik  und  Me- 
chanik. Erhalten  haben  sich  von  geometrischen  Werken:  "Oqoi  t^v  yew- 
fACTQtag  ovofAOTooVy^)  recofjiergotfAevay  Ehaydayai  %wv  CT€Q€oii€tQovfX€vm%\  woran 
sich   die  geodätische  Schrift  nsqi  diomQug  (eine  Art  von  Theodolith)  an- 


>)  Die  Origmalschrift  des  Hipparch  unter 
dem  lateinischeD  Titel  de  magnitudine  et  posi- 
tione  inerrantium  stellarum  {ne^  f^yi&ovi 
xal  jd^etoe  xtay  anXaytav  aaiigtoy)  liegt  auch 
den  lateinischen  Ezcerpten  zu  grund,  welche 
Maass  Aratea  =  Philol.  ünt.  XII  375  f.  aus 
Baseler  Handschriften  veröffentlicht  hat 

*)  Zu  dieser  Zeit  stimmt  auch  die  Be- 
ziehung des  Etesihios  zu  dem  Epikureer 
Anaxarchos,  worüber  J.  Bebnats  Ges.  Abh. 
I  128. 

•)  Da  andere  wie  Vitruv  IX  9,  2  und 
Trypho  bei  Athen.  174  e  den  Mechaniker 
Ktesibios  zum  Erfinder  der  Wasserorgel 
machen,  so  ist  vieUeicht  Euergetes  U  (145 
bis  116)  mit  Euergetes  I  (247-21)  verwech- 
Ä  196  ®^*""^^  ^-  ^*-  I  "^^  »»*^  746 


*)  Mabtin,  Recherches  sur  la  vie  et  les 
ouvrages  d'Höron  d'Alex.»  Par.  1854;  Gastob, 
Gesch.  d.  Math.,  Kap.  18  u.  19,  Die  rOmiachen 
Agrimensoren,  Leipz.  1875  S.  1—63.  Unter- 
schieden werden  drei  Heron,  unser  Heron 
Otesibii,  Heron  der  Lehrer  des  Proklos 
(5.  Jahrb.),  der  Byzantiner  Heron. 

^)  Die  umstnttene  Lebenszeit  des  Heron 
hängt  von  der  des  Ktesibios  ab,  wor&ber  za- 
vor  §  661  gehandelt  ist 

•)  CüRTZB,  Jahrber.  d.  Alt  XH  3,  28  be- 
richtet:  Tannkby,  L'arithmetique  des  Grecs 
dans  H^ron  d'Alez.  zeigt,  dass  der  Verfi^ser 
der  sogenannten  Definitionen  nicht  der  Ale- 
xandriner Heron  sein  kann,  da  danmier 
solche  aufgenommen  sind,  welche  nachweis- 
lich Eigentum  des  Poaidonius  sind. 


A^FftohwiMBiuoliamiolieLitteratiir.  8.  Mathematiker  «.ABtronomen.  (§§661—663.)  871 

reiht.  ^)  Aus  der  Geometrie  und  Geodäsie  unseres  Heron  ist  der  mit  fremden 
Zusätzen  durchsetzte  Traktat  negl  fiävQoov  ausgezogen.  Umfangreiche  Bruch- 
stucke von  Herons  Mechanik  fQllen  das  8.  Buch  des  Pappos.  In  das  Ge- 
biet der  Mechanik  gehören  auch  die  kriegswissenschaftlichen  Schriften 
unseres  Autors:  BeXonoU'xd  (vom  Qeschützbau),  BaXiaxQag  xataaxsvr^  (An- 
fertigung der  Handschleuder),  ferner  BaQovXxog  (von  der  Hebewinde,  ein 
Bruchstück),  IIvevfAatixd  (von  den  Druckwerken,  darunter  auch  Feuer- 
spritzen),^) ncQt  avTOfAaronoirjTixwv  (von  den  von  selbst  sich  bewegenden 
Maschinen).  Das  der  Optik  angehörige  Werk  KaTontQMf]  ist  nur  durch 
die  lateinische  Übersetzung  des  Wilhelm  von  Mörbecke  unter  dem  falschen 
Titel  Ptolemaeus  de  speculis  auf  uns  gekommen. 

Heroiiis  geometriae  et  stereometriae  reU.  ed.  Hültboh,  Berol.  1864.  —  Heron  negl 
dionr^s  von  Vincent,  Notices  et  extraits  t  XIX,  Par.  1858.  —  Herons  Fragmente  der 
Mechanik  von  Hültscb,  Comment.  in  honorem  Mommseni  p.  114—124.  —  W.  Schxidt,  Das 
ProOmium  der  Pneumatik  des  Heron  von  Alexandrien,  mit  kritischem  Apparat,  Braun- 
schweig 1894,  Progr.  No.  692.  —  Die  Schrift  negl  fA^xQioy  in  Hültoob's  Metrol.  Script., 
ups.  1864.  —  Die  kriegswissenschaftlichen  Werke  hei  Theyenot,  Mathem.  vet  —  Die 
Katoptrik  des  Heron  in  latein.  üehersetzung  heraosgegehen  von  Yal.  Rose,  Anecd.  gr.  II  290 
n.  317—386.  —  Yiot.  Pboü,  La  chirohaüste  d'H^ron  d'Alez.,  Notices  et  extr.  26,  2  (1877). 

Geminus  aus  Rhodos  ist  Verfasser  der  EUrayiayfj  eis  zd  q>my6fi€ya,  einer  £r- 
Unterongsschrift  zu  den  Phainomena  des  Arat  (§  367).  Seine  Zeit  ward  nach  der  Angabe 
aber  das  Isisfest  c.  6  von  Petayius  und  Böckh  (Ueber  die  vierjährigen  Sonnenkreise  der 
Alten  S.  203  f.)  auf  73—70  v.  Chr.  berechnet.  Nach  Simplicius  zu  Allst.  Phys.  II  p.  291,  11 
ed.  Diels  und  nach  Priscianus  philosophus  p.  553  ed.  Did.  schrieb  Geminus  auch  eine  Epi- 
tome  der  Meteorologika  des  Stoikers  Poseidonios,  die  jedoch  Blass,  De  Gemino  et  Posidomo, 
Kiel  1883,  mit  guten  Gründen  fOr  eine  Schrift  h&lt  mit  jenem,  hauptsächlich  auf  Posei- 
donios fnssenden  Kommentar  zu  den  Phainomena.  üeber  andere  maÜLematische  Schriften 
des  angesehenen  Mathematikers  s.  Max  C.  P.  Schmidt  Philol.  45  (1886)  63—81;  Tittel,  De 
Gemini  stoicis  studüs  mathematicis,  Leipz.  Diss.  1895. 

Karpos  aus  Antiochia,  der  von  den  einen  (M.  Schkidt  Philol.  45  (1886)  72)  nach, 
von  andern  (Tittel,  PhiloL-hist.  Beitr.  zu  Ehren  Wachsmuths,  161  ff.)  vor  Geminus  gesetzt 
wird,  hatte  als  praktischer  Mechaniker  und  Yerfertiger  von  Astrolabien  einen  Namen;  doch 
haben  sich  von  seiner  aaxQoyofi^xtj  ngay/iareia  nur  wenige  und  unbedeutende  Fragmente 
erhalten. 

663.  In  der  römischen  Periode  ist  auch  auf  dem  Gebiete  der  Mathe- 
matik und  Astronomie  die  Selbständigkeit  der  Forschung  zurückgegangen; 
erst  gegen  Ende  des  Altertums  erfolgte  in  Alexandria  ein  neuer  Aufschwung. 
Den  bedeutendsten  Astronomen  der  Eaiserzeit  Ptolemaios  haben  wir 
bereits  oben  §  498  besprochen.  Ausserdem  haben  wir  aus  den  ersten 
Jahrhunderten  unserer  Aera  von  Menelaos  aus  Alexandria  (unter  Traian) 
Sphairika  in  lateinischer  Übersetzung;  von  dessen  Zeitgenossen  Theo- 
dosios  aus  Tripolis  in  Lydien  3  Bücher  2(paiQMa^)  und  zwei  nur  in  latei- 
nischer Übersetzung  erhaltene  astronomische  Schriften  ttcqI  rfieQwv  xal 
vvxTcSv  und  nsQl  otxijtrewv  (ed.  Nizza,  Berl  1852);  von  Serenos  aus  Anti- 
noeia  in  Ägypten  2  Bücher  negl  TOfxfjg  xvXivdQov  xal  xcivov  (gedruckt  in 
der  Ausgabe  des  ApoUonios  von  Halley,  gesondert  herausgegeben  von 
Heiberg,  1896  in  Bibl.  Teubn.);  von  Kleomedes  eine  KvxXixrj  ^ewQi'a  twv 
lAsxiWQwv  im  Sinne  der  stoischen  Schule,  welche  sich  seit  Poseidonios  auch 


*)  Vgl.  Caktob  a.  0.  und  dazu  Cubtzb  !  in  kteinischer  Üehersetzung  erhalten,  heraus- 


Jafarber.  d.  Alt  Y  8,  169  ff. 

')  Davon  auch  eine  alte  lateinische  Üeher- 
setzung von  selbständigem  Werte. 

*)  Die  Sphairika  des  Menelaos  sind  uns 


gegeben  von  Halust-Gostabp,  Ozon.  1758. 
Schollen  zu  den  Sphairika  des  Theodosios  ver- 
öffentlichte HuLTSCH,  Abh.  d.  sAchs.  Ges.  X  5. 


872 


Orieohiaohe  LitterfttargMohiohte.    m.  Anhang. 


mit  Fragen  der  Meteorologie  und  Himmelskunde  beschäftigte  (rec.  Bake 
LB.  1820;  ed.  Ziegler  1891  in  Bibl.  Teubn.). 

Eine  hervorragendere  Stellung  nahm  weniger  durch  den  Gehalt  seiner 
Arbeiten  als  durch  das  Ansehen,  dessen  sich  der  Vermittler  griechisch- 
orientalischer  Weisheit  im  Altertum  und  Mittelalter  erfreute,  der  Neu- 
pythagoreer  Nikomachos  aus  Gerasa  im  peträischen  Arabien  (um  150 
n.  Chr.)  ein.1)  Von  demselben  existiert  ein  'AQi^firjrixfj  eüfaywyrj^  gewisser- 
massen  eine  Metaphysik  der  Zahlenlehre  (ed.  Hoche,  Lips.  1864),  und  ein 
^EfxsiQidiov  ägfjLovtxfjg  (gedruckt  in  Mus.  graec.  von  Meibom  und  von  C.  Jan) 
in  je  2  B.  Von  diesen  Werken  fand  namentlich  das  erstere  ungeheueren 
Anklang,  so  dass  es  um  die  Wette  von  lamblichos  (ed.  Tennulius,  1667), 
Philoponos  (ed.  Hoche,  Wesel  1864),  Soterichos  (ed.  Hoche,  Elberf.  1871) 
kommentiert  und  von  Apuleius  und  Boetius  ins  Lateinische  übertragen 
wurde.  Photios  cod.  187  erwähnt  von  Nikomachos  auch  'AQi^fxijvixd  ^fo- 
XoyovfJLsva  im  Geiste  des  pythagoreischen  Mysticismus,  aber  die  erhaltenen 
(ed.  Ast,  Lips.  1817)  rühren  nicht  von  Nikomachos,  sondern  von  lamblichos 
her.  Ausserdem  verspricht  Nikomachos  selbst  in  dem  Kompendium  über 
Harmonik  eine  ausführlichere  Darstellung  des  Gegenstandes  in  einem  Werk 
über  Musik,  von  dem  sich  nur  Exzerpte  erhalten  haben,  das  aber  noch 
vollständig  Boetius  benutzt  zu  haben  scheint.^)  —  In  einem  ähnlichen  Fahr- 
wasser bewegt  sich  die  Schrift  des  der  gleichen  Zeit  angehörenden  Inter- 
preten des  Piaton,  Theon  Smyrnaeus  negl  %wv  xa%d  %6  fir^&r^jÄcnixov 
XQTjffifjLmv  slg  rrjv  IlXdxwvog  ärayvoitsiv  (ed.  Hiller  in  Bibl.  Teubn.). 

Aus  dem  4.  Jahrhundert  stammen  das  Kompendium  der  Astrologie 
(neQl  xaraQxoiv  3  B.)  von  Hephästion  aus  dem  ägyptischen  Theben 
(381  n.  Chr.),  von  dem  das  1.  Buch  Engelbrecht,  Wien  1887,  an  das  Tages- 
licht gezogen  hat,  und  die  eltyayfoyTJ  elg  aTioreXecfjLaTixrjV  des  Paulus  aus 
Alexandria  (378  n.  Chr.),  das  von  Schato,  Wittenberg  1586,  ediert  wurde. 

664.  In  den  letzten  Jahrhunderten  des  Altertums,  als  die  Kultur 
Roms  und  Italiens  unter  den  Einfällen  der  Barbaren  zerixeten  wurde  und 
auch  Konstantinopel  immer  neuen  Bedrohungen  von  der  Donau  her  aus- 
gesetzt war,  entstand  in  Alexandria  von  neuem  den  Studien  ein  von 
wüstem  Waffenlärm  ungestörter  Sitz.  Wie  diese  friedlichen  Verhältnisse 
dem  Wiederaufblühen  der  epischen  Poesie  und  Romanschriftstellerei  zu- 
gute kamen,  haben  wir  bereits  kennen  gelernt.  Insbesondere  aber  ge- 
diehen unter  dem  Schutze  des  Friedens  diejenigen  Studien,  welche  von 
jeher  in  dem  Nilthal  eine  besondere  Pflege  gefunden  hatten,  die  mathe- 
matischen und  astronomischen.  Grosse  neue  Entdeckungen  wurden  zwar 
nicht  gemacht,  die  Kommentierung  der  alten  Werke  bildete  wie  in  der 
Philosophie  so  auch  in  der  Mathematik  den  Hauptgegenstand  der  gelehrten 
Thätigkeit,  aber  dem  nochmaligen  Aufleuchten  der  Sonne  der  Wissenschaft 
über  den  Hallen  und  Museen  Alexandriens  verdanken  wir  die  Erhaltung 


^)  Des  Nikomachos  Lebenszeit  bestimmt 
sich  dadurch,  dass  er  den  Thrasyllns  dtiert 
und  Apnleius  seine  Arithmetika  ins  Latei- 
nische abertrug ;  vgl.  C.  ▼.  Jan,  Mus.  Script, 
gr.  p.  211  flf. 

*)  Siehe  darüber  ▼.  Jak,  Mus.  Script,  gr. 


p.  228  ff.  —  Dass  Nikomachos  auch  ein  Leben 
des  Pythagoras  geschrieben  habe  und  daas 
dasselbe  eine  Hanptqnelle  der  gleichnamigen 
Schrift  des  Jamblichus  gewesen  sei,  Ter- 
mutet  RoHDB  Rh.  M.  26  (1871),  563. 


A.  FaohwisBenachaftliche  Litteratiir.  3.  Mathematiker  und  Aetronomen.  (§  664.)    873 

der  grossen  Entdeckungen  des  alten  Oriechenlands  und  die  Hinüberleitung 
der  exakten  Wissenschaften  in  das  Reich  der  Araber. 

Diophantos  von  Alexandria,  wahrscheinlich  aus  der  Zeit  des  Kaisers 
Julian,^)  ist  Verfasser  der  'AQi^fir]rixd,  welche  für  die  Arithmetik  und  Al- 
gebra eine  ähnliche  Bedeutung  haben  wie  die  Elemente  des  Euklid  für 
die  Geometrie.  Namentlich  ist  es  die  Potenzenlehre,  die  wir  durch  ihn 
kennen  lernen;  der  Ausdruck  Potenz,  griechisch  Svvafitg,  stammt  von  ihm. 
Von  den  13  Büchern  der  Arithmetika  sind  nur  6  erhalten,  zu  den  zwei 
ersten  auch  Schollen  von  Planudes.  Ausserdem  ist  von  ihm  die  Abhand- 
lung TrsQi  noXvywvfov  aQi&fjioiv  auf  uns  gekommen  und  haben  wir  durch 
ihn  selbst  Kenntnis  von  seinem  Buche  Iloqiaiiata, 

Die  6  Bücher  Arithmetica  sind  zuerst  in  lateinischer  Uebersetzung  herausgegeben 
worden,  von  Xylandbb,  Basel  1575.  Griechischer  Text  in  der  Ansg.  von  Bachbt  de  Mezibiac, 
Paris  1621;  von  Fsbmat,  Toulouse  1670;  cum  graecis  commentariis  ed.  Tannery  1895  in 
Bibl.  Teubn.,  2  vol.  —  uebersetzung  mit  erläuternden  Anmerkungen  von  Webthbim,  IVank- 
fnrt  1890. 

Papp  OS  aus  Alexandria,  der  nach  Suidas  gleichzeitig  mit  Theon 
unter  Theodosius  I  (379— -395)  lebte,  aber  nach  einem  von  Usener,  Rh.  M. 
28,  403  ans  Licht  gezogenen  Scholion  vielmehr  unter  Diokletian  (284—305) 
blühte,  ist  Verfasser  des  im  Anfang  verstümmelten  Sammelwerks  IvvayiDyrj 
lAa&TjfiaTiKij,^)  welches  äusserst  wertvolle  Excerpte  aus  älteren  Mathe- 
matikern enthält.  Hauptausg.  auf  Grundlage  des  Yatic.  218  von  Hultsch, 
Berl.  1876—8.3) 

Theon  von  Alexandria,*)  Vater  des  Hypatia,  war  der  Hauptlehrer 
der  Mathematik  im  4.  Jahrhundert.  Aus  seinen  Schulvorträgen,  die  sich 
wesentlich  an  die  berühmten  Mathematiker  und  Astronomen  der  Ver- 
gangenheit anschlössen  und  mit  guter  Sachkenntnis  philologische  Methode 
verbanden,  sind  die  uns  noch  erhaltenen  Recensionen  und  Schollen  zu 
Arat,  Euklid,  Ptolemäus  hervorgegangen,  von  denen  bereits  oben  die  Rede 
war.  Aus  seinen  Kommentaren  zu  den  Handtafeln  des  Ptolemaios  (s.  §  498) 
ist  das  Verzeichnis  der  römischen  Konsuln  ("YnaToi  'Pw^aiwv)  von  138—372 
n.  Chr.  hervorgegangen,  das  Usener  auf  Grund  des  Cod.  Leidensis  gr.  78 
in  Mommsens  Chronica  minora  HI  p.  359—381  veröffentlicht  hat. 

Hypatia,  die  gefeierte  Tochter  des  Theon,  die  415  bei  einem  Auf- 
stand des  christlichen  Pöbels  umkam,^)  hat  ihre  Hauptrolle  als  feurige 
Vertreterin  der  heidnischen  Philosophie  gespielt,  sich  daneben  aber  auch 


^)  Sicher  lebte  er  nach  Hypsikles,  auf 
den  er  sich  bezieht,  und  vor  Hypatia,  die 
ihn  kommentierte.  Die  Araber  setzten  ihn 
unter  Julian;  ob  er  mit  dem  Diophantos,  den 
Soidas  als  Lehrer  des  Khetors  Libanios  an- 
fahrt, identisch  sei,  ist  mehr  als  zweifelhaft. 

•)  Der  Znsatz  /ia^f4artxij  fehlt  in  den 
Handschriften;  auch  handelt  das  8.  Buch  von 
der  Mechanik.  Ausserdem  erwfihnt  Suidas 
von  Pappos  x^Q^Q"9>^^  oixovfxeyixijy  eig  td 
<r  {ly  corr.  Hultsoh)  ß^ßXia  rijg  IlxoXBfjialov 
fieydXijs  avyrdieios  vitofxvrifxa  (Fragm.  bei 
HuLTSOB  t  HI  p.  XVn  sqq.),  noxafxoi  ol  iy 
Aißvu,    ovBiQoxqmxd.     Ueber    einen    Kom- 


mentar desselben  zu  Euklid  s.  Hültsgh  t.  UI 
p.  IX. 

')  Im  Anhang  des  3.  Bandes  gibt  Hultsch 
noch:  Anonymi  camment.  de  figuria  planis 
isoperimetris,  Scholia  in  Pappum,  Zenodori 
(der  nicht  lange  nach  Archimedes  lebte)  negl 
laofthQ(oy  axijf^dtmy. 

*)  Sitoy  6  ix  tov  fxovüBiov  heisst  er  bei 
Suidas;  verschieden  ist  er  von  dem  Mathe- 
matiker Theon  aus  Smyrna. 

^)  HooHE,  Hypatia,  die  Tochter  Theons, 
Phil.  15,  435  ff.  Romanhafte  Dichtung  von 
EiNOSLET,  Hypatia  or  new  foes  wiüi  an 
old  face. 


874 


Grieohisohe  litteratorg— chiohte.    IIL  AwhMig. 


wie  ihr  Vater  mit  Mathematik  und  Astronomie  abgegeben.  Soidas  e^ 
wähnt  von  ihr  Kommentare  zu  Diophantos  und  ApoUonios  und  eineo 
astronomischen  Kanon;  aber  diese  Schriften  sind  sämtlich  verloren  ge- 
gangen, wir  haben  nur  einige  Briefe  an  sie  in  der  Sammlung  des  Synesios. 
Schon  in  das  beginnende  Mittelalter  flUlt  der  Mechaniker  und  Aidä- 
tekt  Anthemios  von  Tralles,  nach  dessen  Plänen  Kaiser  Justinian  die 
Sophienkirche  erbauen  liess.  Von  ihm  ist  ein  Bruchstück  der  Schrift  ftsgi 
nagado^wv  ^Jixavtjixdxwv  (Westermann,  Paradox.  149 — 158)  auf  uns  ge- 
kommen, mit  dem  sich  einige  Pergamentblätter  des  Cod.  Bobiensis  der 
Ambrosiana  L  99,  Über  den  Brennspiegel,  berühren.  Dasselbe  hat  neuere 
dings  Beiger  Herm.  16,  261  ff.  herausgegeben  und  Wachsmuth  Herrn.  16, 
637  vollständiger  hergestellt. 


4.  Taktiker.') 

(i65.  Die  Kriegskunst,  die  als  Wissenschaft  wesentlich  auf  Mathe- 
matik fusst,  hat  bei  dem  tapferen,  kriegstüchtigen  Volk  der  Hellenen  schon 
in  der  klassischen  Zeit  einzelne  litterarische  Produkte  hervorgerufen.  Von 
den  betreffenden  Büchern  des  Xenophon  über  Reiterei  und  des  Aineias 
über  Taktik  ist  bereits  oben  §  249  u.  252  die  Rede  gewesen.  Aber  ihre 
eigentliche  Ausbildung  erhielt  die  Kriegswissenschaft  doch  erst,  nachdem 
aus  der  republikanischen  Bürgerwehr  ein  Berufsheer  geworden  war  und 
unter  Alexander  und  den  Diadochen  die  Fortschritte  der  Mechanik  in  der 
Belagerung  und  Verteidigung  der  Städte  ihre  praktische  Anwendung  fanden. 
Ein  Werk  über  Mechanik  haben  wir  bereits  unter  dem  Namen  des  Aristo- 
teles kennen  gelernt;  von  den  Mathematikern  haben  insbesondere  Archi- 
medes,  Ktesibios  und  Heron  auch  in  der  angewandten  Mathematik,  der 
Mechanik,  bedeutende  Entdeckungen  gemacht.  Von  speziellen  Taktikern 
sind  zu  erwähnen: 

Philon  aus  Byzanz,  Schüler  des  Ktesibios  und  älterer  Zeitgenosse 
des  Heron,«)  verfasste  um  200  v.  Chr.  ein  grosses  Werk  über  Mechanik, 
Mr^X^nxrj  avvra^ig,  das  er  einem  gewissen  Ariston  widmete.  In  diesem 
war  der  erste  hauptsächlichste  Teil  dem  Militärwesen  gewidmet  Davon 
ist  das  4.  Buch,  welches  von  den  Wurfgeschossen  {BelonoU'xd)  handelt, 
vollständig  erhalten.  Das  5.  oder  vielmehr  5. — 8.  Buch,  welche  vom 
Festungsbau,  Verproviantierung,  Verteidigung  und  Angriff  handelten,  sind 
in  einem  Auszug  auf  uns  gekommen.  Von  einem  anderen  Teile  des  Werkes, 
das   die   Luftdruckwerke   (nvsvfiaTtxa)   betrifft,    existiert   eine   nach   dem 


^)  Sammelansgaben :  Thkybnot,  Mathe- 
matici  veteres,  Par.  1693;  Köchly  u.  Rüstow, 
Griech.  EriegBSchrifteteller,  griech.-deatBch 
mit  krit.  a.  erklär.  Anin.,  Leipz.  1853 — 5, 
2  Teile.  —  Wbsobeb,  Poliorc^tiqne  des  Grecs, 
Par.  1867.  —  Eine  kritische  Gesamtausgabe 
wurde  geplant  von  Fr.  Haase,  dessen  Vor- 
arbeiten m  den  Besitz  E.  Müllers  über- 
gegangen sind,  von  dem  wir  eine  Aosgabe 
erwarten.  —  Handschriftlich  sind  die  b^Og- 


lichen  Schriften  vereint  in  dem  Laurent  55, 4. 
*)  Philon  bezieht  sich  einerseits  p.  67  o. 
68  anf  Ktesibios  und  wird  anderaeitB  yoo 
Heron,  Autom.  p.  268,  erwAhnt;  vgl  K(kau.Y, 
Kriegsschriftsi  I  199;  Gbbaux,  Bevne  philo- 
logique  IH  (1879)  p.  91  ff.;  Süsemihl  AI.  Tit.  I 
744.  Ueber  seine  Beziehungen  zu  dem  Philo- 
sophen Anazarchos  s.  Bbrkats,  Ges.  Abh. 
I  128. 


A.  FaohwisselUiohftftliohe  Litteratnr.    4.  Taktiker.    (§  665.) 


875 


Arabischen   angefertigte  Übersetzung    {de  ingeniis  spirüualibus),  die  Yal. 
Rose,  Anecd.  gr.  11  299—313  veröffentlicht  hat. 

SpezialAosgabe:  Philonis  Mechanicae  syntaxis  libri  quaiiuB  et  quintos  rec.  Rice.  Soböke, 
BerL  1893,  auf  Grund  der  massgebenden  codd.  Paris.  2442,  Vatic.  gr.  1164,  Escorial.  E.  — 
Frohere  Veröffentlichung  des  5.  Buchs  vom  Festungsbau  (tetxonoiXxd)  durch  Rochas  und 
Gkxaux  m  Revue  philol.  JII  91—181. 

Biton  ist  Verfasser  einer  Schrift  über  den  Bau  von  Kriegsmaschinen 
und  Katapulten  (Kataffxsval  noXsfAixwv  oqyavwv  xai  xataneXxixwv),  Seine 
Zeit  bestimmt  sich  dadurch,  dass  er  sein  Werk  dem  König  Attalos  (I.  oder 
n.?)  widmete. 

Athenaios  hat  eine  kleine  Schrift  über  den  Bau  und  Gebrauch  von 
Kriegsmaschinen  (n€Ql  firjxavrjfiarwv)  hinterlassen;  gewidmet  ist  dieselbe 
einem  gewissen  MarceUus,  unter  dem  man  früher  ohne  sicheren  Anhalt 
den  berühmten  Eroberer  von  Syrakus  verstanden  und  demnach  die  Schrift 
an  das  Ende  des  3.  Jahrhunderts  v.  Chr.  gesetzt  hat.  Er  selbst  gibt 
nach  seinem  eigenen  Geständnis  nur  dasjenige  wieder,  was  er  bei  Hegesi- 
stratos,  einem  Schüler  des  Mechanikers  Apollonios,  gelesen  hatte  ;^)  ausser- 
dem bezieht  er  sich  auf  Ktesibios  und  Philon  (p.  15,  3  u.  29,  9).  Diels, 
Stzb.  d.  pr.  Ak.  1893  S.  111  setzt  ihn  wegen  seines  Rokokostiles  in  die 
Zeit  Hadrians.^)  Die  mit  interessanten  Angaben  ausgestatteten  Beispiele 
sind  aus  der  Diadochenzeit  genommen. 

Asklepiodotos,  Schüler  des  Philosophen  Poseidonios,^)  ist  Verfasser 
des  aus  nur  12  Kapiteln  bestehenden  Grundrisses  Taxtixd  xstpdXaia.  Das 
systematische  Kompendium,  das  wohl  die  Hauptsätze  der  Vorträge  des 
vielseitigen  Philosophen  Poseidonios  über  Kriegswissenschaft  enthielt,  ist 
von  Aelian  in  seiner  Taktik  ausgiebig  benutzt  worden. 

Der  Platoniker  Onasandros*)  unter  Nero  verfasste  ein  kriegs wissen- 
schaftliches Werk  n€Qi  arQaTrjyrj/idTooVj  das  er  dem  Veranius,  der  im  Jahre 
49  Konsul  war  und  im  Jahre  59  starb,  widmete.  In  demselben  handelt  er 
mit  Verständnis  und  Geschick,  aber  ohne  den  Reiz  historischen  Details 
von  den  verschiedenen  Aufgaben  des  Feldherrn.  In  der  Sprache  und  in 
dem  naiven  Glauben  an  Wahrzeichen  erinnert  er  an  sein  Vorbild  Xenophon. 

Apollodoros  aus  Damaskos,  der  unter  Traian  die  Bauten  des  Forum 
Traianum  leitete  und  die  erste  Donaubrücke  baute  (105),  schrieb  eine  dem 
Kaiser  Hadrian  gewidmete  Schrift  noXioQxrjrixd.  Von  ihr  sowie  von  den 
Schriften  des  Biton  und  Athenaios  haben  wir  Auszüge,  welche  Wescher 
a.  O.  bekannt  machte. 

Aelian  unter  Kaiser  Trajan,  verschieden  von  dem  gleichnamigen 
Verfasser  der  Bunten  Geschichten,  schrieb  in  Anregung  eines  von  Fron- 
tinus,  dem  berühmten  römischen  Baumeister  und  Feldherm,  hingeworfenen 
Gedankens  eine  Taxuxrj  ^sooQta^  welche  die  griechisch-makedonische  Taktik 


*)  Auf  die  Zeit  des  Wiederaufblühens 
der  Rhetorik  weist  namentlich  die  Stelle 
p.  6,  6  ed.  Wesch.  did  xovg  eito&orag  ev&v- 
yeiy  Ttixguig  ras  cvy^icetg  taiy  X^^ewy,  Da 
er  aber  den  Heron  nicht  erwähnt,  so  h&lt  es 
HuLTSCH  bei  Pauly-Wissowa  nicht  für  rät- 
bch,  die  Schrift  in  das  1.  Jahrh.  v.  Chr.  oder 
später  zu  setzen. 


')  Seneca  nat.  quaest.  11  26:  Aaclepio- 
dotus  auditor  Posidonü.  Vgl,  oben  §  405. 

*)  'OyaaaydQog  =^  gemeingriechisch  'Oi^iy- 
aay^QQg  ist  die  Namensform  in  den  besten 
Hdschr.;  'Oyooaydqog  heisst  unser  Autor  bei 
Snidas.  —  Von  Onosandros  führt  Suidas  an : 
jaxTixä,  negi  argaxijytj/Aättayy  inofjtyrjijuxtn 
eis  Zfjy  IlXaitayog  nohtsiay. 


876 


Qrieohisohe  Litteimtnrgesohiolite.    EI.  Anhang. 


im  Gegensatz  zur  römischen  darstellen  sollte.  Dieselbe  stimmt  mit  der 
Taktik  des  Historikers  Arrian  infolge  der  Benützung  der  gleichen  Quelle 
(Asklepiodot)  derart  überein,  dass  Köchly  die  letztere  nur  für  eine  ver- 
schiedene Redaktion  des  Aelian  erklären  wollte.^)  Merkwürdigerweise  nennt 
Aelian  jene  seine  Hauptquelle  gar  nicht,  rühmt  sich  aber,  die  älteren  und 
berühmteren  Schriftsteller  über  Taktik,  wie  Aineias,  EQearch,  Polybios, 
Poseidonios  benutzt  zu  haben. 

Sext.  Julius  Africanus,  der  bekannte  Eirchenhistoriker,  hat  in 
seinem  enkyklopädischen  Werk  Kearoi  auch  dem  Kriegswesen  mehrere  Ab- 
schnitte gewidmet,  die  im  byzantinischen  Mittelalter  in  grossem  Ansehen 
standen.^)  Kaiser  Leo  der  Weise  (886 — 911)  hat  dieselben  in  seine  Samm- 
lung taktischer  Schriften,  Const.  18—20  aufnehmen  lassen. 

Von  Polyän,  dem  Verfasser  der  JStQatrjyijfiaTa,  ist  wegen  des 
wesentlich  historischen  Charakters  jener  Schrift  bereits  oben  §  493  die  Bede 
gewesen. 

5.  Kunstschriftsteller. 
666.  Die  Römer  haben  ihren  Vitruv,  die  Griechen,  welche  doch  die 
Hauptbaumeister  waren  und  deren  Schriften  Vitruv,  wie  er  selber  bekennt 
(1.  Vn  praef ),  hauptsächlich  benutzt  hat,  haben  uns  weder  über  die  Archi- 
tektur noch  über  die  übrigen  Künste  ein  spezielles  Werk  hinterlassen. 
Denn  was  wir  aus  Epigrammen  und  dem  Periegeten  Pausanias  über  grie- 
chische Künstler  und  Kunstwerke  erfahren,  ist  zunächst  in  anderer  Ab- 
sicht geschrieben  und  soll  in  erster  Linie  den  Zwecken  poetischer  Schil- 
derung oder  Wegweisung  dienen.  Wir  sind  daher,  wenn  wir  uns  über 
die  Leistungen  griechischer  Schriftstellerei  auf  diesem  Gebiete  unterrichten 
wollen,  lediglich  auf  gelegentUche  Anführungen,  namentlich  auf  Vitruv  de 
archit.  VII  praef.  und  Plinius  nat.  bist.  XXXIV— XXXVI  angewiesen.  — 
Aus  diesen  Anführungen  ersehen  wir,  dass  die  Griechen  eine  sehr  reiche 
und  alte  Litteratur  über  Kunsttechnik  und  Kunstgeschichte  hatten,  und 
dass  sich  an  derselben  mit  Vorliebe  ausübende  Künstler  beteiligten.  So 
schrieb,  abgesehen  von  dem  Dichter  Sophokles,  von  dem  uns  eine  Prosa- 
schrift über  den  Chor  genannt  wird,*)  Agatharchos,  der  für  Aischylos 
die  Theaterdekorationen  malte,  auch  Kommentare  über  diese  Kunst,  und 
haben  auf  seine  Aufmunterung  hin  Demokritos  und  Anaxagoras  über 
die  Perspektive  in  der  Malerei  geschrieben.*)  Unter  den  grossen  Bild- 
hauern der  klassischen  Zeit  schrieb  Polyklet  im  Anschluss  an  eine  Kanon 
genannte  Statue,  vermutlich  den  sogenannten  Doryphoros,  eine  Schrift 
über  die  Proportionen  oder  das  Verhältnis  der  Körperteile,  von  deren  In- 
halt durch  gelegentliche  Anführungen  noch  manches  auf  uns  gekommen 
ist.*)     Von  Architekten  des  6. — 4.  Jahrhunderts  zählt  Vitruv  in  der  En- 


^)  EöoHLY,  Eriegsschriftst.  11 2, 5  ff.;  vgl. 
§  487. 

')  Ausg.  in  Theybnots  Math.  vet.  p.  275 
bis  316;  Meursii  opera  ex  rec.  Lami  t.  VII 
p.  897—984. 

')  Vgl.  oben  §  175.  Aach  von  dem 
älteren  Muedker  Lasos  von  Hennione  erwähnt 
Suidas  einen  Xoyog  nsgl  f^ovaixijg. 


*)  Yitrav  VII  praef.:  Namque  j^nmam 
Agatharehus  Athenis  Aesehylo  daeente  tra- 
goediam,  seenam  feeit  et  de  ea  commentarium 
reliquit.  Ex  eo  monüi  Democritus  et  Amaxa- 
garcLs  de  eadem  re  scripserunt  etc. 

^)  PliniuB  n.  h.  34,  55;  vgl.  Bsuim,  Ge- 
schichte  der  griechischen  Künstler  I  219  ff. 


A.7aohwiueiuioli.Liit6ratiir.  S.KunaUohriftsteller.  6.  Juriaprudenz.  (§§666-667.)  877 

leitung  des  7.  Buches  seiner  Architektur  eine  ganze  Reihe  von  Schrift- 
stellern auf,  welche  über  ihre  Bauten  und  die  dabei  beobachteten  Gesetze 
des  Ebenmasses  {de  symmetriis)  geschrieben  hatten,  wie  Theodoros,  der  Er- 
bauer des  Heraion  in  Samos,  Iktinos  und  Earpion,  die  berühmten  Bau- 
meister der  perikleischen  Zeit,  Philon,  der  ausser  Tempeln  auch  das  Arsenal 
(axevo&T^xtj)  im  Piräus  erbaute,^)  Satyros  und  Phytios,  die  Erbauer 
des  Mausoleums  in  Halikarnas.  —  In  der  alexandrinischen  Zeit  haben 
gleichfalls  mehrere  Künstler,  wie  Xenokritos  aus  Sikyon,  Antigenes 
ans  Karystos,  Pasiteles  aus  Neapel  mit  der  Ausübung  der  Kunst  die 
schriftstellerische  Thätigkeit  über  Kunst  und  Künstler  verbunden.  Ausser- 
dem haben  Polemon,  Heliodor,  Anaxandrides  u.  a.  vom  technischen 
und  antiquarischen  Standpunkt  aus  zum  Ausbau  der  Kunstgeschichte  bei- 
getragen. >)  Was  sodann  in  der  römischen  Zeit  von  dem  Periegeten  Pau- 
sanias  und  den  Sophisten  Philostratos  in  der  Beschreibung  von  Kunst- 
werken geleistet  worden,  ist  bereits  oben  §  501  und  526  unter  anderen 
Gesichtspunkten  dargethan  worden. 

Obersbck,  Die  antiken  SchriftqneUen  zur  Greschichte  der  bildenden  Künste  bei  den 
Griechen,  Leipzig  1868,  eine  Sammlung  von  SteUen  ttber  Künstler  und  Kunstwerke.  — 
n.  L.  Ublichs,  üeber  griechisclie  KunstschriftsteUer,  Diss.  Würzburg  1887.  —  Miss  Sellers, 
The  eider  Pliny's  chapters  on  the  historj  of  arts,  London  1896,  mit  einer  über  die  griechische 
Kunstgeschichte  gut  orientierenden  Introduction. 

6.  Jurisprudenz. 

667.  In  eine  Litteraturgeschichte  gehört  nach  dem  Begriffe  des 
Wortes  alles,  was  in  Buchstaben  und  Schriften  niedergelegt  ist,  also  auch 
das  Staats-  und  Rechtsleben,  insoweit  es  in  Schriften  bekundet  oder 
von  Schriftstellern  dargelegt  worden  ist.  In  der  römischen  Litteratur- 
geschichte nehmen  denn  auch  thatsächlich  die  Juristen  einen  ziemlich 
breiten  Raum  ein;  wenn  wir  in  unserem  Werke  mehr  nur  durch  eine 
Überschrift  das  Fach  andeuten  als  durch  litterarische  Angaben  die  Linea- 
mente  desselben  ausführen,  so  hat  dieses  seinen  natürlichen  Grund  in  der 
Dürftigkeit  des  Stoffes.  In  dem  Ausbau  des  Rechts  waren  die  Römer 
Meister  und  nur  bei  ihnen  hat  sich  eine  förmliche  Litteratur  der  Rechts- 
wissenschaft entwickelt.  Die  Griechen  haben  zwar  auch  ihre  Gesetzgeber 
gehabt  und  es  haben  sogar  die  Gesetze  des  Selon  dem  Zwölftafelgesetz 
der  Römer  zum  Vorbild  gedient,  aber  von  jenen  alten  Gesetzesbüchern 
sind  ausser  dem  Recht  von  Gortyn  nur  ganz  spärliche  Reste  auf  uns  ge- 
kommen, und  als  man  in  Rom  an  die  grosse  Codification  des  Rechts  ging, 
hatte  das  griechische  Volk  schon  längst  aufgehört,  sich  staatlicher  Selb- 
ständigkeit und  nationalen  Einflusses  auf  die  Gesetzgebung  zu  erfreuen. 
Wenn  daher  auch  aus  der  römischen  Eaiserzeit  sich  mehrere  Testamente, 
Kontrakte,  Kaufurkunden  in  griechischer  Sprache  erhalten  haben,  so  sind 
dieselben  doch  mehr  Zeugen  römischen  als  griechischen  Rechtes.  In  der 
klassischen  Zeit,  die  demnach  für  das  griechische  Recht  allein  in  Betracht 
kommt,  hat  sich  bei  den  Griechen  weder  in  Athen  noch  sonstwo  ein  eigener 


*)  Die  auf  diesen  Arsenalbau  bezügliche  1  und  publiziert  von  Meletopulos,  Athen  1882. 
grosse  Inschrift  wurde  neuerdings  gefanden  |  ')  Siehe  oben  §  484. 


878  Orieohische  Litteratlirgeaohiohte.    m.  Anhang. 

Stand  von  Rechtslehrem  entwickelt:  in  die  Aufgabe,  das  Recht  zu  deutot 
zu  verbessern,  aufzuzeichnen,  teilten  sich  die  Philosophen  und  RhetoreB. 
Von  den  einschlägigen  Schriften  der  Philosophen,  namentlich  den  zefao 
Büchern  Nofioi  des  Piaton  und  der  'Ax^rivamv  nohreia  des  Aristotdes 
haben  wir  bereits  oben  an  ihrer  Stelle  gehandelt.  Die  Reden  der  Rfae> 
toren,  von  denen  uns  ja  ziemlich  viel  aus  der  besten  Zeit  erhalten  ist 
liefern  an  sich  für  die  Kenntnis  des  Rechts  kein  gerade  ausgiebiges  oi& 
verlässiges  Material,  da  sie  ja  ihre  Hauptkunst  darin  sahen,  das  Gesetz 
und  Recht  zu  ihren  oder  ihrer  Klienten  Gunsten  zu  deuten  und  zu  ver- 
drehen, i)  Aber  sehr  wichtig  für  uns  sind  die  Aktenstücke,  Gesetze,  Volks- 
beschlüsse,  Klageschriften,  Eide,  Zeugnisse,  welche  in  mehrere  Reden 
(Antiphon  de  mysteriis,  Aeschines  in  Timarchum,  Lycurg  in  Leoeratem. 
Demosthenes  de  Corona,  in  Midiam,  in  Aristocratem,  in  Timocratem,  in 
Lacritum,  in  Pantaenetum,  in  Macartatum,  in  Stephanum  I.  H,  in  Neaeran) 
eingelegt  sind.  Freilich  lassen  sich  dieselben,  nachdem  mehrere  derselben, 
wie  insbesondere  die  der  Kranzrede  und  der  Midiana  des  Demosthenes 
und  die  der  Timarchea  des  Aischines  als  unverschämte  Fälschungen 
späterer  Grammatiker  erwiesen  sind  (§  285),  nicht  mehr  so  leichthin  als 
sichere  Rechtsquellen  verwerten.  Aber  wenn  auch  nur  zu  wenigen  Reden 
(Antiph.  de  myst..  Dem.  in  Macart.,  in  Steph.,  in  Pantaen.,  Ps.  Dem.  in 
Neaeram)  die  Aktenstücke  von  vornherein  mit  dem  Texte  der  Rede  seM 
veröffentlicht  zu  sein  scheinen,  so  sprechen  doch  auch  bei  den  Gesetzen  i& 
anderen  Reden  innere  Gründe  dafür,  dass  sie  nicht  von  Grammatikern  ganz 
willkürlich  fingiert,  sondern  teilweise  aus  den  Archiven  oder  dem  Urkunden- 
werk des  Krateros  (§  394)  genommen  sind,  so  dass  sie  zusammen  mit  den  ai^ 
der  gleichen  Quelle  geflossenen  Angaben  der  Lexikographen  Harpokration 
und  Pollux  eine  nicht  verächtliche  Grundlage  des  griechischen  Staa^ 
und  Privatrechtes  bilden.  Das  verlässigste  Material  bieten  aber  immerhin 
die  Inschriften  auf  Stein  und  Erz,  durch  die  uns  namentlich  an  Volks- 
beschlüssen  eine  grosse  Zahl,  freilich  in  der  Mehrheit  Ebrendekrete,  er- 
halten sind.  Diese  inschriftlichen  Dokumente  des  alten  Rechts,  die  bei 
dem  rühmlichen  Wetteifer  der  Epigraphiker  aller  Nationen  fast  ta^eh 
noch  Zuwachs  erhalten,  sind  jetzt  auch  in  einem  grossen  Spezialwerk 
zur  bequemen  Benutzung  zusammengestellt. 

Von  Drakons  Blatgesetzen  ein  Fragment  CIA  I  61.  —  Das  Recht  von  Gortyn  §  22ä: 
Dabestb,  le  leggi  di  Gortyna  e  le  altre  isciizioni  arcaiche  cretesi,  Pans  1893.  —  Recneil  de» 
inscriptions  juridiqnes  grecques  par  Darbste  Hausoullieb  Rbikach,  Paiie  1891 — 5,  in  t 
Fase,  eine  weitere  Serie  von  Skiavenbefreinngen,  Testamenten,  Käufen  etc.  ist  in  Aib- 
sieht  gestellt.  —  Ueber  griechische  Urkunden  aus  Aegypten  s.  §  337  u.  343;  Th.  lloxasa 
Aegyptisches  Testament  v.  J.  149  n.  Chr.  (=  Aeg.  Urk.  d.  Mus.  zu  Berlin  n.  326)  in  Sit^  i 
Berl.  Ak.  1894  III  47—59;  Habtel,  Ein  griech.  Papyrus  aus  d.  J.  487,  Wien.  Stad.  V  I  £  - 
Zum  juristischen  Wert  der  Berliner  Papyri  insbesondere  Mitteis,  Zur  Berliiier  Pi^ji»- 
Publikation,  Herm.  30  (1895)  564—618.  —  Corpus  papyrorum  Rainen  archiducis  Aostr.  toi 
Wbssely  1. 1,  Rechtsurkunden.  —  Leges  Graecorum  sacrae  e  titulis  coUectae  ed.  lo.  Dit  Ptorr 
et  Lud.  Ziehen,  Lips.  bei  Teubner,  im  Erscheinen. 


^)  So  urteilt  von   den   Tetralogien   des  1  Tetralogien  scheiden  ans  der  Zahl  der  QoeUa 
Antiphon  Dittenbeboeb  Herm.  31,  277:    die  |  für  das  attische  Recht  ans. 


B.  ChrifltUohe  BohrifbsteUer.    (g  668.)  879 

B.  Christliche  Schriftsteller. 

668.  Die  Zugehörigkeit  zur  griechischen  Litteratur  bemisst  sich  nicht 
danach,  dass  ein  Buch  bloss  in  griechischer  Sprache  geschrieben  ist;  die 
Schriften,  welche  hier  zur  Sprache  kommen  sollen,  müssen  auch  auf  dem 
Boden  der  hellenischen  Kultur  gewachsen  und  von  hellenischem  Geiste 
durchweht  sein.  Da  aber  der  Hellenismus  vom  Christentum  bekämpft 
wurde  und  nach  jahrhundertlangem  Kampfe  der  Macht  der  sittlichen  Ideen 
des  Christentums  erlag,  i)  so  gehören  an  und  für  sich  die  Werke  der  christ- 
lichen Schriftsteller  nicht  mehr  in  den  Rahmen  einer  griechischen  Lit- 
teraturgeschichte.  Wenn  ich  dieselben  aber  doch  hier  im  Anhang  zur 
Sprache  bringe,  so  geschieht  dieses  nach  einem  speziellen  Gesichtspunkt 
und  mit  einer  bestimmten  Beschränkung.  Der  Eintritt  des  Christentums 
in  die  Weltgeschichte  bedeutete  eine  Erneuerung  des  Menschengeschlechtes, 
hervorgegangen  aus  einer  vertieften  Auffassung  der  Menschenwürde  und 
einer  reineren  Anschauung  von  Gott  und  dem  Verhältnis  des  Menschen 
zur  Gottheit.  Diese  sittliche  Wiedergeburt  der  Menschheit  war  bestimmt 
auch  auf  dem  Gebiete  der  Kunst,  der  Poesie  und  Wissenschaft  mit  der 
Zeit  eine  höhere  Kulturstufe  zu  zeitigen.  Aber  eingeführt  und  verbreitet 
wurde  die  neue  Lehre  durch  einfache,  ungebildete  Männer,  die  ihren  hohen 
Erfolg  zum  grossen  Teil  gerade  dem  Umstände  verdankten,  dass  sie  den 
Glanz  der  äusseren  Bildung  hinter  den  höheren  Aufgaben  des  sittlichen 
Menschen  zurücktreten  liessen.  Als  aber  dann  im  Laufe  der  Zeit  die 
neuen  Ideen  der  Nächstenliebe  und  Sittenreinheit  aus  den  niederen  Kreisen 
des  Volkes  in  die  Paläste  der  Vornehmen  und  die  Hallen  der  Gelehrten 
vorzudringen  begannen,  änderte  sich  auch  die  Stellung  und  Aufgabe  der 
christlichen  Lehrer ;  sie  mussten  mit  einer  hochentwickelten,  auch  in  ihrem 
Verfall  noch  vielvermögenden  Kultur  den  Kampf  aufnehmen,  sie  mussten 
sich  zu  diesem  Behufe  die  Schlagfertigkeit  der  Dialektik,  die  Gewandtheit 
der  Rhetorik,  die  Eleganz  der  poetischen  Diktion  aneignen.  Diese  aber 
erwarben  sie  sich  in  den  Hörsälen  und  Museen  der  Griechen,  im  4.  Jahr- 
hundert ganz  gewöhnlich  an  der  Seite  heidnischer  Jünglinge.  Die  Werke 
der  Kirchenväter  sind  daher  nach  ihrer  formalen  Seite  dem  Boden  des 
Hellenismus  entsprossen  und  tragen  das  Gespräge  der  zu  jener  Zeit  herr- 
schenden Richtung  in  Philosophie  und  Rhetorik.  Wenn  die  kirchlichen 
Schriftsteller  in  der  Dogmatik  die  abstossende  Seite  der  Streitsucht  und 
Wortklauberei  herauskehren,  wenn  sie  in  den  Predigten  die  hohle  Phrase 
und  den  breiten  Wortschwall  lieben,  wenn  sie  in  der  Exegese  Präzision 
und  nüchternen  Scharfsinn  vermissen  lassen,  so  treten  darin  dieselben 
Mängel  zutag,  die  wir  an  den  profanen  Erzeugnissen  des  absterbenden 
Griechentums  auszusetzen  hatten.  Ein  zweiter  Grund,  der  uns  in  diesem 
Anhange  die  griechische  Patristik  kurz  zu  behandeln  veranlasst,  liegt 
darin,  dass  uns  diese  Schriftsteller,  eben  weil  sie  in  der  heidnischen  Weis- 


^)  G^radeza  entgegengesetzt  werden  bei  1  Hellenismus  anch  in  Stil  and  litterarischen 

Zonaras  m  344  ed.  Dind.  ov  ydq  XQiüxiayog,   \  Principien  ebenso  wie  Aber  die  Berübnmgs- 

ovx  "^Xkfip,  ovx  'iovdaios  hvyx^^^^  ^^'   ~    1  Punkte  Ed.  Nordek,   Die  antike  Knnstprosa, 

Ueber  den  Gegensatz  von  Christentoni  und   |  Leipz.  1898,  S.  452  ff. 


880 


Grieohisohe  Idtteratargesoliiohte.    IH  Anhang. 


heit  gross  gezogen  waren,  eine  Fülle  von  Nachrichten  aus  der  griechische 
Litteratur,  namentlich  der  philosophischen  und  litterarhistorischen  erhaltoi 
haben,  die  uns  aus  direkter  Quelle  entweder  gar  nicht,  oder  doch  niclit 
in  gleicher  Vollständigkeit  zugekommen  sind.  In  dieser  Beziehung  sind 
auch  dem  Philologen  die  Kirchenväter  eine  reiche,  noch  immer  nicht  ganz 
ausgeschöpfte  Quelle  der  Erkenntnis.  Gehören  aber  auf  solche  Weise 
zunächst  nur  die  Schriften  der  gelehrten  Kirchenväter  der  letzten  Jahr- 
hunderte in  eine  griechische  Litteraturgeschichte,  so  habe  ich  doch  der 
Vollständigkeit  und  des  Zusammenhangs  halber  auch  die  älteren  christ- 
lichen Schriften,  wenn  sie  gleich  fast  gar  keine  Beziehungen  zum  Helle- 
nismus haben,  nicht  ganz  übergeben  wollen. 

Harnaok,  AlichrisÜiche  LitieratargeBchichie  bis  Gusebius,  in  3  Abteilungen:  1.  Die 
üeberlieferung  nnd  der  Bestand  der  altcbristlichen  Litteratur,  erschienen  in  2  Bden  189S, 
2.  Die  Chronologie  d.  altchr.  Lit.,  im  Erscheinen,  3.  Charakteristik  und  innere  £ntwickliiii^ 
geschichte,  in  Aussicht  gestellt.  -  Holtzmakk,  Lehrbach  der  historisch-kritischen  Einleitm^ 
in  das  neue  Testament,  liVeiburg  1885,  3.  Aufl.  1892.  —  Jülichsr,  Einleitang  in  das  New 
Testament,  im  Grundriss  der  Theologischen  Wissenschaft,  Freibarg  1894.  —  Erdobs,  Ge- 
schichte der  altchristlichen  Litteratur  bis  auf  Eusebius,  Freiburg-Leipzig  1895.  —  Gbbbabot- 
Härnack,  Texte  und  Untersuchungen  zur  Geschichte  der  altchristlichen  Litteratiir,  nod 
fortlaufend. 


1.  Die  Sehriften  der  altchristliehen  Kirche.^) 
669.  Das  neue  Testament.  Die  ältesten  in  griechischer  Sprache 
verfassten  Schriften  der  Christen  sind  die  27  Schriften  des  neuen  Testa- 
mentes. Die  aus  einer  grösseren  Anzahl  von  Schriften  seit  Mitte  des 
2.  Jahrhunderts  allmählich  ausgesonderte,  als  kanonisch  bezeichnete  Samm- 
lung*) umfasst:  1)  die  vier  Evangelien  (evayyäha),  an  welche  sich  die 
Apostelgeschichte  {ngd^eig  roSv  anoaroliov)  des  Lukas  anschliesst,  2)  die 
13  paulinischen  Briefe  und  die  7  sogenannten  katholischen  d.  i.  allge- 
mein anerkannten  Briefe  des  Jakobus,  Petrus  (2),  Johannes  (3)  und  Judas. 
3)  die  Offenbarung  (anoxdXvipig)  des  Johannes.') 

Von  diesen  heiligen  Urkunden  sind  am  ältesten  die  Briefe  des 
Paulus,  die  dieser  glaubensstarke,  frühe  über  die  Engherzigkeit  der 
jüdisch-christlichen  Gemeinde  hinausgehende  Heidenapostel  an  die  Galater. 


^)  Eosebios  Hist.  eccl.  DI  25  unterschei- 
det 4  Arten  altchristlicher  Schriften:  1.  kano- 
nische, 6f4oXoyovf46fity  darunter  ^  rcSy  evayys- 
klioy  jBTQaxTvgy  ngd^eig  xwv  dno<rr6X(oy,  ini- 
axoXal  IlavXov,  ausserdem  mit  einem  Aus- 
druck des  Zweifels  dnoxdXvipig  'Itoayyovy 
2.  angezweifelte,  dyrtXeyofxeya,  wie  die  Briefe 
des  Jakobus,  Judas,  der  2.  Brief  Petri  und 
der  2.  u.  3.  Johannis,  3.  unechte,  y6^ay 
zu  den  dynXsyo/jtya  im  weiteren  Sinne  ge- 
hörend, darunter  der  Hirt,  der  Brief  des 
Bamabas,  IlftvXov  nod^etg^  ruiy  dnoaioXojy  cfi- 
cTa/a/,  nach  einigen  auch  das  Evangelium  der 
Hebräer,  4.  häretische,  rd  ovofxaxv  twy  dno^ 
aroXioy  ngog  tcJv  ((lQ6tix(oy  nQO(peQ6f46ya, 
darunter  die  apokryphen  Evangelien  des 
Petrus,  Thomas,  Matthias  und  «l  cJj  'Ay- 
6q^ov  xal  'Icadyyov  xal  jwy  dXXtoy  dnooioXoiy 
Tigd^eig. 


*)  Haupturkunde  für  den  Kanon  ist  afis 
dem  Altertum  das  sogenannte  Fragm.  Mara- 
t  o  r  i  a  n  u  m  (genannt  nach  dem  ersten  Heraie- 
geber  Muratori  1740,  der  dasselbe  in  «aer 
ehemals  dem  Kloster  Bobbio  angehSri^pa 
jetzt  in  Mailand  befindlichen  Miacellanhairf- 
Schrift  entdeckte).  Das  jetzt  verst&madk 
Verzeichnis  begann  ehedem  mit  dem  Evmage- 
lium  Matthaei.  Die  85  uns  erhaltenen  Ze&t 
reichen  von  Lukas  bis  auf  den  Hirten  moi 
die  antimontanistischen  Schriften.  —  Neoerr 
Untersuchungen  ttber  den  Kanon:  Tbk» 
Zahn,  Greschichte  des  neutestamentl.  Kanflss, 
in  3  Bänden,  Erlangen  1888;  HABKA(x,Alt 
chrisÜ.  Lit.  11  1,  681  ff. 

')  0.  Pfleidbrsb,  Das  ürchriatentan. 
seine  Schriften  u.  Lehren,  Berl.  1887;  Wib- 
SÄCKBB,  Das  apostolische  Zeitalter  der  chiiit- 
liehen  Kirche,  2.  Aufl.,  Freiburg  1^9. 


B.  Chriatliche  Sohriftateller.  t  Die  Sohriften  der  altohrietliohen  Kirohe. 


9.)     881 


Philipper,  Thessalonicher,  Korinther,  Römer,  Kolosser  und  Epheser  ge- 
richtet hat.  Von  diesen  Briefen  ist  der  älteste  der  an  die  Qalater,  im 
Jahre  50  n.  Chr.  geschrieben ;  ^)  die  übrigen  gehören  der  Zeit  vor  64  an, 
in  welchem  Jahre  der  Apostel  in  Rom  den  Märtyrertod  erlitt.  *)  Alle 
tragen  ein  individuelles,  die  jeweiligen  Verhältnisse  getreu  widerspiegeln- 
des Kolorit.  Griechische  Bildung  besass  der  Apostel  wenig,  so  dass  seine 
Sprache  nichts  von  hellenischer  Eleganz  verrät;  doch  citiert  er  in  einem 
der  Briefe  an  die  Korinther  I  15,  33  einen  Vers  des  Menander  fpx^etQovtriv 
i]x^rj  xqria^'  o/^Mai  xaxaL^)  Gewissermassen  einen  Kommentar  zu  den 
Briefen  bildet  das  Tagebuch  des  Begleiters  des  Apostels,  Timotheos,  im 
zweiten  Teil  der  Apostelgeschichte  des  Lukas.  —  Zeitlich  zunächst  steht 
die  Apokalypse,  geschrieben  im  judaischen  Geiste  nach  dem  Vorbild  der 
alttestamentlichen  Prophezeiungen  im  Buch  Daniel  und  Henoch.  Als  Ver- 
fasser derselben  nennt  sich  im  Vorwort  1  9  Johannes,  Diener  Jesu  von 
der  Insel  Patmos.  Dieselbe  gehört  der  phantastischen  Welt  des  Orients 
an,  wenn  sie  auch  einige  Züge  den  mystischen  Vorstellungen  der  heid- 
nischen Orphiker  entnommen  hat.^)  Gesetzt  ist  sie  unter  den  6.  der  römischen 
Kaiser,  wahrscheinlich  unter  Vespasian,^)  noch  vor  die  totale  Zerstörung  des 
Tempels  von  Jerusalem;^)  geschrieben  ist  sie  nach  Titus.  Aufnahme  in  die 
kanonische  Sammlung  des  neuen  Testamentes  fand  das  Buch  erst  im  3.  Jahr- 
hundert, woraus  sich  seine  Stellung  am  Schlüsse  der  Sammlung  erklärt."^) 
Von  den  vier  Evangelien  bilden  die  des  Markus,  Lukas,  Matthäus 
eine  enger  zusammenhängende,  im  wesentlichen  übereinstimmende  Gruppe 
(synoptische  Evangelien).  Die  vier  Evangelien  gehören  alle  dem  letzten 
Drittel  des  ersten  Jahrhunderts  oder  dem  Anfang  des  zweiten  Jahrhunderts 
an;  wenn  zwei  von  ihnen,  die  des  Matthäus  und  Johannes,  den  Namen 
von  Aposteln  tragen,  so  kann  dieses  höchstens  nur  so  erklärt  werden, 
dass  ihr  Inhalt  auf  die  Überlieferung  jener  Apostel  zurückgeht.^)     Die 


^)  Nach  den  Angaben  des  Briefes  selbst» 
in  dem  der  Apostel  einen  Abriss  seines  bis- 
herigen Lebens  gibt. 

')  Ueber  das  Jahr  64,  statt  dessen  Euse- 
bios  68  angibt,  s.  Harnack,  Altchristi.  Lit. 
n  1  240  flf. 

')  In  der  Rede,  welche  der  Verfasser  der 
Apostelgeschichte  den  Paulus  in  Athen  auf 
dem  Areopag  halten  liess,  Act.  apost.  17,  28 
kommt  der  Vers  des  Arat  vor  tov  yag  xai 
yiyog  hfxiy.  Das  beweist  f&r  die  helleni- 
schen Studien  des  Paulus  nichts  Sicheres. 
Ueber  diese  Rede  handelt  vom  archäologi- 
schen Gesichtspunkt  E.  Curtius,  Paulus  in 
Athen,  Ges.  Abb.  II  527  ff.  Ueber  den  Stil 
der  Paulinischen  Briefe  und  den  Grad  der 
griechischen  Bildung  des  Briefschreibers 
Norden,  Die  antike  Kunstprosa  S.  492  ff. 

*)  Ueber  die  orphischen  Elemente  in  der 
christlichen  Apokalyptik  Maass,  Orpheus 
S.  249  ff. 

*)  Apok.  17,  10:  ßafftXeTs  hnr«  eiaiy  ol 

nivxs  Bneaay,  6  elg  laxiv,  6  äXXog  oviku  tjX^s 

Ttal  oxav  iXl^fi,   oUyov   avtoy   du  sivai.     Es 

fragt  sich  dabei  nur,  ob  Julius  Cftsar  in  die 

Handbuch  der  klaas.  Altertumawiasenflohaft.    VII. 


Zahl  der  Könige  mit  einzurechnen  ist  oder 
nicht;  das  letztere  scheint  das  Wahrschein- 
lichere zu  sein;  vgl.  unten  über  den  Brief  des 
Bamabas. 

^)  So  möchte  man  schliessen  aus  Apok. 
11,  2.  MoMMSEN,  Rom.  Gesch.  V  520  f.  und 
ebenso  Pflbi  derer  a.O.  gehen  auf  die  letzten 
Regierungsjahre  Vespaaians  herab,  wozu 
besser  die  Andeutung  der  von  den  Parthem 
drohenden  Gefahr  (9,  14)  stimmt.  Irenaios 
V  30,  3  setzt  das  Buch  nqdg  t(p  leXet  t^g 
JofjLBXiavov  (XQXVSy  worau  neuerdings  Har- 
NACK,  Altchristi.  Lit.  II  1,  245  festhält;  Jüli- 
CHBR  Einl.  179  setzt  es  um  100. 

^)  Noch  im  2.  Jahrb.  wurde  aus  der  Mitte 
der  katholischen  Kirche  von  Gaius  die  Apo- 
kalypse als  ketzerisches  Werk  verworfen; 
s.  Euseb.  bist.  eccl.  III  25;  Zahn  a.  0.  220  ff. 

8)  Harnack,  Altchristi.  Lit.  II 1, 654  stellt 
folgende  Vermutungen  über  die  Entstehungs- 
zeit der  einzelnen  Evangelien  auf:  Markus 
65-70,  Matthäus  70-75,  Lukas  78-93,  Jo- 
hannes um  110.  Die  Datierungen  sind  nicht 
sicher;  vor  der  rückläufigen,  jetzt  auch  von 
I  Hamack  geteilten  Bewegung  in  der  Bibel- 
8.  Anü.  56 


882 


Orieohüiohe  Lüteratargosohiolite.    m.  Anhang. 


Abfassung  in  griechischer  Sprache  beweist,  dass  damals  bereits  das  Christen- 
tum gemäss  seiner  universellen  Natur  sich  über  die  Grenzen  von  Judäa 
hinaus  verbreitet  und  in  den  hellenistischen  Provinzen  und  Conventikeln 
des  römischen  Reiches  Eingang  gefunden  hatte.  —  Der  Evangelist  Markus 
war  ein  Schüler  und  Begleiter  des  Apostels  Petrus^)  und  schrieb  sein 
Evangelium  sicher  noch  im  1.  Jahrhundert,  aber  nach  Zerstörung  von  Jem- 
salem,^)  um  das  Jahr  70.  Dasselbe  zeichnet  sich  vor  den  andern  durch  den 
gemütvollen  Ton  der  Erzählung  und  den  poetischen  Reichtum  an  Bildern 
und  Gleichnissen  aus;  auch  der  grammatische  Ausdruck  ist  verhältnis- 
mässig gut.  Der  Schluss  (16,  9—20)  fehlt  in  guten  Handschriften  und 
wurde  erst  zugesetzt,  nachdem  der  echte  Schluss  verloren  gegangen  oder 
vielmehr  unterdrückt  worden  war. s)  —  Lukas,  der  sein  Evangelium  und 
seine  Apostelgeschichte  einem  gewissen  Theophilos  gewidmet  hat,  war 
nach  der  Überlieferung  des  Hieronymus  ep.  19  ein  litterarisch  ge- 
bildeter Arzt  und  bezeugt  selbst  im  Eingang  des  Evangeliums,  dass  er 
viele  Vorgänger  hatte.^)  Dass  darunter  auch  Markus  war,  kann  nach 
den  zahlreichen  wörtlichen  Übereinstimmungen  nicht  zweifelhaft  sein.*) 
Derselbe  Lukas  verfasste  auch  als  Ergänzung  seines  Evangeliums  eine 
Apostelgeschichte  {nQti^eig  tmv  änoaToXwv)^  die  bis  zum  Tode  des  Apostels 
Paulus  (denselben  nicht  einbegriffen)  reicht,  in  ihrem  zweiten  Teile  aber 
wesentlich  nur  die  Aufzeichnungen  eines  Reisebegleiters  des  Paulus,  viel- 
leicht des  Timotheos,  den  sich  der  Apostel  in  Lystra  zu  seinem  Begleiter 
ausgewählt  hatte, ^)  in  treuer  Kopie  wiedergibt.^)  Zu  welcher  Zeit  der 
Evangelist  Lukas  geschrieben  habe,  darüber  gehen  die  Urteile  der  Kenner 
weit  auseinander.  Die  moderne  Kritik  hat  in  dem  überall  hervortretenden 
Bestreben,  das  Christentum  gegen  die  an  die  römischen  Beamten  ge- 
brachten Denunziationen  zu  verteidigen,  ein  Anzeichen  gefunden,  dass 
Lukas  zur  Zeit  der  erneuten  Christenverfolgung  unter  Trajan  gelebt  habe.^) 
Auf  der  anderen  Seite  spricht  die  Benutzung  der  Schriften  des  Markus 


forschung    ging    man    mit   der   Entstehung 
weiter  herab,  bis  auf  Trajan. 

*)  Im  Briefe  des  Petrus  5,  13  heist  er 
MttQxos  6  vlos  fiov.  Aber  auch  in  dem  deutero- 
paulinischen  Brief  an  Timotiieus  II  4,  11 
kommt  ein  Markus  vor,  den  Timotheus  mit 
nach  Rom  bringen  soll. 

')  Das  folgt  aus  13,  2.  24,  was  indes 
Hamack  bezweifelt. 

•)  üeber  die  Gründe  der  Unterdrückung 
s.  Habnack  II  1,  696. 

*)  Luk.  1,  1:  inei^rj  ncQ  noXXol  inexel- 
Qtjaay  dvaxd^aa&ai  dtijyrjiny  nsQi  x(ov  ne^ 
TtXrjQotpoQfjfji^vbiy  iy  ^fjiTy  n^ayfidttov,  xaSwg 
TtaQiSocay  i^fAiy  ol  an*  ^qxV^  avTonrai  xai 
vTir^Qhai  yeyofisyot  rov  Xoyov,  edo^e  xdfiol 
TtaQtjxokov&fjxoti  dy(o^9ey  ndaiy  dxQ^ßüig 
xcf^efiyf  aot  yodxffai,  xQuiurre  BsofpiXe,  l'ya 
iniyyt^g  neQt  tjy  xtnijxij^s  Xoytay  trjy  daipd- 
Xsiay,  Vorganger  war  wahrscheinlich  auch 
Matthäus. 

^  *)  Nicht  im  Weg  steht,  dass  in  dem  Spruch 
ftty  cf^  To  dXag  f4(0Qay»n,  iy  reVt  dXia^ij- 
<f^rai;  (Matth.  5, 13;  Luc.  14, 34)  Marc.  9, 40 


I  statt  fitJQtty&g  die  interpolierte  Form  dyaXor 
yiytjttti  hat.  Die  Interpolation  wird  sich 
eben  erst  später  in  den  Text  eingeachUchen 
haben. 

^)  Act.  apost.  16,  1  ff.;  im  Briefe  des 
Paulus  an  die  BOmer  heisst  er  16,  21  Tiftö^ 
&eos  6  avycQyog  fjiov.  Auch  2  Briefe  des 
Paulus  an  TimoÜieus  haben  wir,  deren  Echt- 
heit aber  bezweifelt  wird. 

')  Davon  zeugt  die  häufige  Beibehaltung 
der  1.  Pers.  plur.  (der  Wir-Bericht)  und  das 
gute  Griechisch,  das  diesen  2.  Teil  der  Apo- 
stelgeschichte vor  dem  ersten  und  dem  in 
hellenistischer  Vulgärsprache  geschriebenen 
Evangelium  auszeichnet  Timotiieos  fthrt 
einen  Halbvers  Homers  an  (27,  28)  und  be- 
zieht sich  auf  Demosthenes  in  der  Schilde* 
rung  der  nur  nach  Neuigkeiten  verlangenden 
Athener  (17,  21). 

^)  So  auch  UsENER,  Religionsgeschiditl. 
Untersuch.  I  152:  Unsere  heutige  Apostel- 
geschichte kann  kaum  früher  entstanden  sein 
als  zur  Zeit  des  Kerinthos,  um  120. 


B.  ChriBtUohe  Bohriftsteller.  1.  Die  Schriften  der  altohrisüichen  Kirche.  (§  669.)    883 

und  Timotheus  für  die  alte  Annahme,  dass  auch  unser  Evangelist  in  dem 
Kreise  der  Verehrer  des  Apostels  Paulus  zu  suchen  sei;  die  Tradition 
hat  ihn  geradezu  mit  dem  getreuen  Lukas,  der  allein  in  Rom  bei 
Paulus  ausharrte  (ad  Timoth.  II  4,  11),  identifiziert,  i)  —  Das  Evan- 
gelium Matthäus  enthält  neben  vielen,  mit  Markus  und  Lukas  über- 
einstimmenden Partien  auch  manches  Neue,  wie  vom  Stammbaum  Jesu, 
von  der  Flucht  nach  Ägypten,  von  den  drei  Königen  aus  dem  Morgenland. 
Als  Vorlage  dienten  dem  Redaktor,  dessen  Lebenszeit  jedenfalls  nach 
Markus  anzusetzen  ist,^)  die  von  dem  Apostel  Matthäus  in  hebräischer 
Sprache  geschriebenen  Sprüche  {koyia)  des  Herrn. »)  Aus  dieser  Vorlage 
flössen  namentlich  die  vielen  Aussprüche  und  Verschilften  Christi,  die  in 
dieses  Evangelium  eingelegt  sind.  Doch  hat  sich  der  Verfasser  nicht  mit 
einer  einfachen  Übersetzung  begnügt,  sondern  mit  der  Anführung  der 
Sprüche  auch  einen  historischen  Abriss  des  Lebens  Christi,  wesentlich 
nach  dem  Evangelium  des  Markus,  verbunden.^) 

Einer  anderen  Richtung  gehört  das  Evangelium  Johannes  an,  das 
weniger  ein  schlichtes  Geschichtsbuch  als  eine  christologische  Lehrschrift 
ist  und  uns  gleich  mit  dem  Eingang  €v  dQxfj  ^^  o  Xoyog  xal  6  Xoyog  r^v 
nqoq  rov  d'sov  xal  &€6g  Vjv  6  loyog  in  eine  ganz  andere  Atmosphäre  ver- 
setzt. Aber  wenn  dasselbe  auch  einen  theosophischen  Charakter  trägt  ^) 
und  in  Einzelheiten  auf  jüngere  Zeit  hinweist,  0)  so  muss  doch  der  Grund- 
stock desselben  auf  alte  Aufzeichnungen  eines  Augenzeugen  zurückgehen. 
Dafür  sprechen  die  vielen  neuen  Momente  aus  dem  Leben  Jesu,  die  ge- 
naue Ortskenntnis,  das  Fehlen  von  Erzählungen  aus  der  Geburt  und  Kind- 
heit Jesu ;  auch  tragen  die  meisten  der  von  Johannes  angeführten  Wunder 
ein  einfacheres  und  deshalb  altertümlicheres  Gepräge.  Nach  der  alten 
Überlieferung  des  Papias  hatte  der  Apostel  Johannes  seiner  Gemeinde  ein 
Evangelium  hinterlassen;*^)  aber  in  seiner  heutigen  Gestalt  rührt  das 
Evangelium  Johannes  sicher  nicht  von  dem  Liebesapostel  selbst  her,  son- 


>)  JüLiCHEB,  Eml.  in  das  N.  T.  Ifisst 
Um  das  Evangeliiun  80—100,  die  Apostel- 
geschichte 100 — 105  geschrieben  haben. 

*)  Entscheidend  ist,  dass  erst  Matthäus, 
keiner  der  übrigen  EvangeUsten,  Maria  als 
Jungfrau  den  Herrn  gebftren  Iftsst,  indem  er 
z^ar  1,  18  nach  alter  Ueberliefenmg  Maria 
und  Joseph  als  Eltern  desselben  anftthrt,  aber 
mit  dem  Zusatz  ngiy  tj  avvBXd^slv  avxovg. 
Wichtig  fttr  das  Zeitverh&ltnis  ist  auch  der 
berOhmte  Ausspruch  Christi  über  Petrus  als 
Fels  der  Kirche  Matth.  16, 18  f.,  von  welchem 
Ausspruch  keiner  der  übrigen  Evangelisten 
etwas  meldet.  Derselbe  weist  offenbar  auf 
die  Zeit  des  beginnenden  Vorrangs  der  römi- 
schen Kirche  hin,  ebenso  wie  das  Anhängsel 
zum  Evangelium  Joh.  21,  15—19. 

*)  Papias  bei  Euseb.  bist.  eccl.  IIl  39: 
JUarSaiog  fikv  ovv  ^Eßgatdi,  dtaXixrta  i«  Xnyta 
avyeyQd^axo^  i^Q/atj^evas  cf'  avra  wg  tjy  dv- 
yatog  ixaarog.  Früher  also  übersetzte  der 
Presbyter  jedesmal  aus  dem  Stegreif  die  be- 
treffenden   Abschnitte  jenes   Buches;    jetzt 


trat  an  ihre  Stelle  die  authentische  griechi- 
sche Uebersetzung. 

^)  So  urteilte  insbesondere  Schleier- 
macher; Zahn  a.  0.  894  ff.  plädiert  für  eine 
einfache  Uebersetzung. 

'^)  Nicht  nur  war  die  Logoslehre  von  dem 
alexandrinischen  Philosophen  Philon  vorbe- 
reitet; es  sagte  auch  bereits  Heraklit  im 
Anfang  seines  Werkes  tov  di  Xoyov  rovde 
ioytog  aBt. 

«)  Wichtig  ist  der  Vergleich  der  Stellen 
über  Lazarus  bei  Lucas  16,  20 — 31,  der  die 
Wiederauferweckung  des  Lazarus  noch  nicht 
kennt,  und  Johannes  c.  11,  der  in  Weiter- 
fUhrung  einer  Andeutung  jener  ersten  Stelle 
die  Erzählung  ausschmückt.  Hauptsächlich 
mit  Rücksicht  darauf  setzt  Pfleiderer  a.  0. 
720  das  Evangelium  Johannes  in  das  2. 
Viertel  des  2.  Jahrhunderts.  Einen  sicheren 
Terminus  post  quem  bildet  die  Anspielung 
auf  den  Tod  des  h.  Petrus  21,  18. 

^)  Cod.  Vat.  Reginensis  14  bei  Zahn 
a.  0.  898. 

56* 


884 


ChriachiBch«  LÜteratnrgeschicht«.    m.  Anhang. 


dem  von  einem  jüngeren  Redaktor,  wahrscheinlich  dem  Presbyter  Johannes, 
dessen  überarbeitende  Hand  noch  an  vielen  Stellen  deutlich  zu  erkennen 
ist.^)  Mit  der  Apokalypse  hat  es  nicht  bloss  den  Autornamen  gemein, 
es  sind  auch  beide  Schriften  an  der  gleichen  Stelle,  in  den  christlichen 
Gemeinden  Kleinasiens,  entstanden  und  teilen  die  gleiche  Bezeichnung 
Christi  als  Lamm  Gottes.  Die  Stellung  unseres  Evangeliums  hinter  den 
übrigen  Evangelien  erklärt  sich  daraus,  dass  es  am  spätesten  allgemeine 
Anerkennung  unter  den  Christen  fand.  Das  geschah  warscheinlich  erst 
infolge  eines  Kompromisses  zwischen  den  Kirchen,  welche  die  synop- 
tischen Evangelien,  und  denen,  welche  das  Johannesevangelium  dem 
Gottesdienst  zugrunde  legten.^)  Alle  Gemeinden  indes  hatten  sich 
nicht  angeschlossen ;  wenigstens  bezeugt  der  Bischof  Epiphanios,  Panar. 
II  51,  3,  dass  die  Sekte  der  Alogoi  die  Echtheit  des  Evangeliums  und  der 
Apokalypse  des  Johannes  bestritten  und  beide  dem  Cerinthus,  einem 
Gnostiker  aus  der  ersten  Hälfte  des  2.  Jahrhunderts,  zuschrieben. 

Endlich  bilden  einen  Teil  des  neuen  Testamentes  die  jüngeren,  den 
alten  nachgebildeten  Briefe,  nämlich  der  Brief  an  die  Hebräer,  verfasst 
unter  dem  Eindruck  einer  Christenverfolgung,  wahrscheinlich  der  unter 
Trajan  im  Jahre  115,^)  die  deuteropaulinischen  Briefe,  insbesondere  die 
sogenannten  Pastoralbriefe  an  Timotheos,  Titus*)  und  Philemon,*)  endlich 
die  unechten  Briefe  des  Jakobus,  Petrus,  Johannes, «)  Judas.  Schon  durch 
die  Sprache  erweisen  sich  die  meisten  dieser  Briefe,  namentlich  der  des 
Jakobus,  der  an  die  Hebräer  und  die  an  Titus  und  Philemon,  als  Pro- 
dukte einer  jüngeren  Zeit,  als  die  christlichen  Lehrer  sich  bereits  die  Fein- 
heiten des  rhetorischen  Stiles  und  die  Korrektheit  der  griechischen  Gram- 
matik anzueignen  begonnen  hatten.*^)  Dass  aber  auch  fingierte  Briefe  in 
das  neue  Testament  gekommen  sind,  darf  uns  nicht  allzu  sehr  wunder 
nehmen;   sind  dieselben  doch  in   einer  Zeit  entstanden,  in  der  sich  auch 


M  Es  liegt  die  Yermutang  nahe,  dass 
dieser  Redaktor  identisch  ist  mit  dem  Pres- 
byter loannes,  der  nach  dem  Zeugnis  des 
Papias  bei  Euseb.  Hist.  eccl.  III  39  im  Be- 
ginne des  2.  Jahrhunderts  in  Ephesus  lebte 
und  dem  auch  einer  der  johanneischen  Briefe 
angehört.  Beachtung  verdient,  dass  Johannes 
in  dem  Evangelium  selbst  nur  als  2^uge 
angeführt  wird  (19,  35:  o  itogaxws  fiefiag^ 
jv^xe  xal  (xXf]&iyij  aviov  iüxiv  iq  fiaQxvqia), 
in  dem  falschen  Schlüsse  aber  als  Zeuge  und 
Verfasser  (21,  25:  ovtog  [seil.  'Itadvyrjgl  iciiy 
6  fAadrjxrjg  6  fioQivQtSy  tebqi  xovrtoy  xal 
yQätpag  javra, 

*)  Der  Streit  um  den  Vorrang  der  ein- 
zelnen Evangelien  hallt  nach  in  dem  inter- 
essanten Kapitel  des  Eusebius  Hist.  eccl.  III 
24  7f€Qi  jtjg  T€(^eo}g  rtoy  evayyeXiuty, 

«)  Vgl.  10,  32  u.  12,  1.  Dagegen  setzt 
ihn  Harkack,  Altchr.  Litt.  II  1,  475,  weil 
ihn  Clemens  Rom.  reichlich  benutzt  habe,  in 
das  J.  95,  so  dass  an  die  Christenverfolgung 
unter  Nero  zu  denken  sei. 

*)  Im  Brief  an  Titus  findet  sich  1,  12 


sogar  ein  Vers  des  Homer  dtiert 

')  Es  gab  noch  mehrere  dem  Paulas  za- 
geschriebene  Briefe;  2  unechte  Paulasbriefe 
werden  erwfihnt  und  zurückgewiesen  in  dem 
muratorischen  Fragment;  Markion  (um  150] 
hatte  nur  10  Briefe  des  Paalus  in  seine 
Sammlung  aufgenommen.  Ueber  den  theo- 
sophischen  Epheserbrief  s.  Pflkioerib,  He- 
raklitische  Sparen  auf  theologischem,  insbe- 
sondere altchristlichem  Boden,  Jahrb.  f.  prot 
Theol.  XHl  (1887)  192-212. 

^}  Von  den  3  Briefen  des  Johannes 
rühren  die  beiden  letzten  laut  der  Anfschiift 
nicht  von  dem  Apostel,  sondern  dem  Pres- 
byter Johannes  her. 

^)  Vom  Hebräerbrief  bemerkt  dieses  be- 
reits Origenes  bei  Euseb.  hist  eccL  VI  28: 
Oll  6  /a^crxri;^  rijg  Xs^Sfag  ii^g  TtQoc  'Eß^iwg 
iTnyeygafifieytjg  iniaroX^g  ovx  1/«  i6  h 
Xoyfp  idimxucoy  xov  dnoaxoXov  ofjLoXoyrfCarfg 
iavxoy  iduoxtjy  eivai  ri^  Ao/^,  xovti^i  rj 
(pQoaei,  ccXXd  iaxiy  ^  inurxoXij  avySioei  x^ 
Xe^Ciog  iXXtjyixütx^Qa,  nag  6  inurxfifiet^  x^- 
yeiy  ipgäcewy  duttpoQttg  6fioXayijca$  ar. 


B.  Christliche  Sohriftsteller.  1.  Die  Schriften  der  altchrietlichen  Kirche.  (§  670.)    885 


die  fiellenen  darin  gefielen,  Briefe  im  Geiste  eines  Themistokles,  Xeno- 
phon,  Aristoteles  zu  verfertigen  und  dieselben  dann  jenen  Grössen  der 
Vergangenheit  unterzuschieben. 

Die  Codices  der  Bibel  gehen  in  mehrere  Familien  auseinander:  die  ftltesten  sind  der 
Sinaiticns  s.  IV  (jetzt  in  Petersbarg),  Alexandrinas  s.  V  (jetzt  im  britischen  Museum),  Yati- 
canus  s.  IV,  Ephraemi  rescriptus  s.  Y  (in  Paris),  Cantabrigiensis  s.  VI.  Eine  syrische 
üehersetzung  der  4  Evangelien  ward  1893  in  einem  Cod.  rescr.  des  Klosters  Sinai  von 
Harris  gefunden.  Vgl.  Bibeltext  und  Bibelfibersetzungen  in  Realencyklopädie  ffir  protestan- 
tische Theologie,  3.  Aufl.  1897. 

Ausgaben  auf  kritischer  Grundlage:  von  Griesbacb  ed.  II,  Halle  1796—1806;  von 
Lachxann,  Berl.  1831,  ed.  maior  1842 — 50;  von  Tisohbnbobf  mit  den  reichsten  handschrift- 
lichen Hilfsmitteln,  Lips.  1842;  ed.  octava  crit.  maior  1864 — 72.  —  Acta  apostolorum  secun- 
dum  formam  quae  videtur  Romanam  ed.  Fa.  Blass  1896;  Evangelium  secundum  Lucam  ed. 
Fb.  Blass  1897. 

WiHBB-SoHMiEDBL,  Grammatik  des  neutestamenthchen  Sprachidioms,  7.  Aufl.,  1896; 
Fb.  Blajbs,  Grammatik  des  neutestamenthchen  Griechisch,  Göttingen  1896;  Wilkb-Gbimm, 
Clavis  novi  testamenti  philologica.  ed.  III,  Lips.  1888;  Cbbmeb,  Wörterbuch  der  neutestament- 
lichen  Grftcität,  Gotha  1895.  —  Uebrigens  weisen  die  Schriften  des  neuen  Testamentes  sehr 
grosse  unterschiede  in  Stil  und  Sprache  auf,  worauf  erst  neuere  Forscher  grössere  Aufmerk- 
samkeit gerichtet  haben,  besonders  Nobdbn,  Die  antike  Eunstprosa  480  ff.  Schon  früher 
hatte  man  beobachtet,  dass  in  dem  ganzen  Evangelium  Johannis  kein  Optativ  vorkommt. 

670.  Ausserkanonische  Schriften.  Ausser  den  in  den  Kanon  ^) 
aufgenommenen  heiligen  Schriften  gab  es  noch  eine  Anzahl  apokrypher,^) 
in  die  Apostelzeit  zurückdatierter,  aber  von  der  Kirche  nicht  als  authen- 
tisch anerkannter  Schriften. «)  Nur  ein  kleiner  Teil  derselben  hat  sich 
erhalten,  darunter  ein  Brief  des  Barnabas,*)  geschrieben  in  Ägypten 
unter  Hadrian,^)  als  die  Juden  sich  Hoffnung  machten,  dass  der  Tempel 
in  Jerusalem  wieder  aufgebaut  werde  (16, 4);  femer  die  Thaten  {TtQccS^ig)  des 
Barnabas  und  der  Apostel  Thomas,  Johannes,  Andreas,  Paulus  und  Petrus  (aus 
Anfang  des  3.  Jahrh.) ;  ^)  endlich  die  neulich  aufgefundenen  umfangreichen 
Bruchstücke  der  Apokalypse  und  des  EvangeUums  Petri,  welche  verwandter 
Art  mit  den  zwei  für  kanonisch  gehaltenen  Briefen  Petri  und  der  aus  Citaten  be- 


^)  Gewöhnlich  nimmt  man  an,  dass  um 
170  ein  solcher  Kanon  aufgestellt  ward,  und 
statzt  sich  dabei  auf  Eirenaios  Uli  u.  11.  Dort 
ist  allerdings  vorausgesetzt,  dass  die  jetzt  in 
unser  Testamentum  novum  aufgenommenen 
Evangelien  und  Briefe  als  authentisch  von 
der  katholischen  Kirche  anerkannt  wurden. 
Aber  weder  ist  fiberliefert,  wer  einen  solchen 
Kanon  aufgestellt  hat,  noch  durch  welche 
kirchliche  Autorität  derselbe  allgemein  re- 
zipiert worden  ist,  so  dass  man  nur  sagen 
kann,  dass  im  2.  Jahrh.  sich  allmählich  durch 
den  Gebrauch  im  Gottesdienst  eine  feste 
Praxis  über  die  zulässigen  Schriften  heraus- 
gestellt hat;  s.Zahk,  Gesch.  des  neutest.  Kanon 
436  ff.  Dabei  hat  offenbar  neben  Rom«  wo  die 
synoptischen  Evangelien  entstanden,  die  klein- 
asiatische  Kirche,  in  der  das  Evangelium  und 
die  Apokalypse  des  h.  Johannes  besonders  in 
Ehren  gehalten  wurden,  einen  massgebenden 
Einfluss  geübt;  es  war  ja  auch  Eirenaios,  der 
erste  Hauptzeuge  des  Kanon,  als  Schüler 
des  Polykarp  ein  Kind  der  kleinasiatischen 
Kirche.^ 

*)  'Jnox^vtpa  ßißXia  bedeutet  secreta  et 
recondita  scripta. 


>)  Eusebius  Hist.  eccl.  m  25  fOhrt  als 
nichtkanonische  Schriften  auf:  xdq  orofzau 
t(oy  änoaroXioy  TtQog  xtav  ai^suxuiy  ngo- 
fpSQofi^yag  ygatfdg  ijtoi  tag  JlitQov  xal  Saifjiä 
xal  Mard-la  rj  xctl  xirtav  naqd  rovtovg  «Xktiv 
evayydXia  naQBxovaag,  tj  tag  *Jv^qiov  xai 
'loiävpov  xai  rcSy  dXXcjy  d-noatoXtov  nQcc^eig, 

*)  Barnabas  war  Mitarbeiter  des  Paulus 
im  Weinberg  des  Herrn;  später  trennte  er 
sich  von  demselben  und  suchte  mit  Markus  die 
Provinz  Kypem  auf;  s.  Act.  apost.  15,  35  ff. 

^)  Ha^an  ist  4,  3  als  11.  Kaiser  be- 
zeichnet, indem  ähnlich  wie  in  der  Apokalypse 
gezählt  ist:  1.  Augustus,  2.  Tiberius,  3.  Gaius 
Caesar,  4.  Claudius,  5.  Nero,  6.  Yespasian, 
7.  Titus,  8.  Domitian,  9.  Nerva,  10.  Trajan, 
11.  Hadrian.  Funk  und  Hilgenfeld  nehmen 
den  Nerva  heraus. 

^)  Epiphanios  Panar.  30, 16  p.  108, 25  er- 
wähnt ausser  unserer  Apostelgeschichte  noch 
ngd^sig  aXXag  dnottToXtav ;  ein  gewisser 
Leukios  Charinos  hat  eine  Geschiente  der 
Apostel  Johannes,  Thomas,  Andreas  ge- 
schrieben, worüber  Näheres  gleich  nachher. 
Ueber  die  Zeit  Habnagk  H  1,  492  n.  548  f. 


886 


GriaohiBoha  Lütaratargasohiclite.    in.  Anhang. 


kannten  Verkündigung  {xrJQvyfAo)  Petri  sind  und  in  die  erste  Hälfte  des 
2.  Jahrhunderts  gesetzt  werden.^)  —  Eine  kompendiöse  Zusammenfassung 
der  alten,  auf  die  Apostel  zurückgeführten  Eirchenlehre  enthält  die  un- 
längst von  dem  Metropoliten  Bryennios  aus  einer  Eonstantinopolitaner 
Klosterbibliothek  ans  Tageslicht  gezogene  Lehre  der  zwölf  Apostel 
{SiSaxt}  xvQiov  Siä  tdv  SwSexa  a/rocnroAaii'),  von  welcher  der  erste  Teil 
(c.  1—6)  allgemeine  Sittengebote,  der  zweite  (c.  7 — 15)  speziell  kirchliche 
Vorschriften  über  Taufe,  Gebet,  Heiligung  des  Herrntages,  Eucharistie, 
Beicht  enthält.  Das  Kompendium  wird  schon  von  Clemens  Alex,  ström. 
I  20  citiert;  seine  Abfassung  setzt  Hamack  aus  inneren  Gründen  in  die 
Zeit  von  130—160.  Mit  der  Didache  hängen  zusammen  die  etwas  jüngeren 
Kavovtg  ixxXi^aiaHTixoi  twv  dyiwv  anoaxohov  (Canonea  apostolici)^  welche 
die  ägyptische,  gleichfalls  auf  die  Apostel  zurückgeführte  Kirchenordnung 
enthalten.  Zu  einem  umfangreichen,  die  Lehre  und  heiligen  Bräuche 
umfassenden  Handbuch  sind  jene  Überlieferungen  angewachsen  in  den  um 
300  entstandenen  Anordnungen  der  heiligen  Apostel  (at  xwv  dytwr 
anoatoliav  Siard^eig^  Constitutiones  apostolicae)  in  acht  Büchern.*)  —  End- 
lich der  Zeit  nach  Eusebius  gehören  an  das  I^otoevangelium  von  der  Kind- 
heit Jesu  {ybvvrflig  MaQiaq  rrjg  ayiag  &€ot6xov)  und  die  Aufzeichnungen 
des  Nikodemos  von  dem  Tode  Christi  (oder  Acta  Pilati  vnopLVTjiicna  twv 
Tov  XVQIOV  rfi(ov  *Irj<rov  XQiaxov  ngaxv^^i'^tov  im  DovTiov  niXdrov),^) 

unter  den  ausserkanonischen  Schriften  sind  für  die  Geschichte,  auch 
die  allgemeine,  am  wichtigsten  die  Apostellegenden,  die  zwar  von  Wundem, 
Visionen  und  phantastischen  Erzählungen  überströmen,  aber  auch  manche 
historische  Erinnerungen*)  und  wertvolle  Reste  altchristlicher  Hymnen,  Ge- 
bete und  Zeremonien  enthalten.  Auf  diese  Weise  bilden  dieselben  eine 
äusserst  erwünschte  Ergänzung  zu .  den  kanonischen  Ttgä^sig  dnoaiohav 
des  Lukas,  indem  sie  uns  über  die  Gründungssagen  der  einzelnen  Kirchen 
und  die  Verbreitung  des  Christentums  über  die  verschiedenen  Länder  der 
Erde  unterrichten.  Denn  wie  einstens  von  den  Städten  Griechenlands  und 
Italiens  jede  ihren  Heros  oder  Archegeten  sich  schuf,  womöglich  einen 
aus  dem  Kreis  der  troianischen  Helden,  so  bildeten  sich  in  den  christ- 
lichen Gemeinden  bunte,  mehr  oder  minder  auch  historisch  begründete 
Sagen  von  der  Gründung  der  einzelnen  Kirchen  durch  einen  der  zwölf 
Apostel  oder  70  Jünger.  Indien  ward  so  das  Missionsgebiet  des  Thomas, 
der  Pontus  und  der  kimmerische  Bosporus  das  des  Petrus  und  Andreas, 
Vorderasien  und  Phrygien  das  des  Johannes  und  Philippus,  Parthien  und 
Äthiopien  das  des  Matthäus,  Kypern  das  des  Bamabas.  Noch  mehr  haf- 
teten in  dem  Gedächtnis  der  Gläubigen  die  Erinnerungen  an  den  Tod  und 


«)  Harnaok,  Altchr.  Lit.  II 1,  456  flf.  Das 
Evangelium  des  h.  Petras  lässt  derselbe  110 
bis  130  in  Aegypien  entstanden  sein;  in  ihm 
allein,  in  keinem  der  kanonischen  Evange- 
lien spricht  der  Verfasser  mit  „ich*  mid  »wir". 

')  Interessant  für  die  Stellung  der  Chri- 
sten zu  der  alten  Litteratur  ist  1,6,  wo  von 
der  Beschäftigung  mit  den  heidnischen  Schrif- 
ten, den  aoipunixa  und  noitjtcxd,  abgemahnt 
wird. 


')  Pilatusacten  erwfihnt  bereits  Eusebius 
Hist.  eccl.  9,  5  nach  Tertnllian  Apolog.  5,  aber 
die  uns  erhaltenen  werden  von  den  Kennern 
für  jttnger  gehalten;  s.  Harhack,  Altchr.  Lit 
I  21  f. 

^)  Hanptnachweise  von  Gctschhid,  Die 
Königsnamen  in  den  apokryphen  Apostel- 
geschichten, Rh.  M.  19  (1864)  161  fF.  =  Kl. 
Sehr,  n  332  ff.  —  üeber  das  Romanhafte  in 
jenen  Erzählungen  s.  §  607. 


B.  ChriBtUcha  SchriftsteUar.  1  Dia  Schriftan  der  altchristliohen  Kirche.  (§  67 1.)    887 


die  Grabstätte  der  Gründer  der  Gemeinden,  so  dass  man  in  Ephesos  das 
Andenken  an  Johannes,  in  Hierapolis  das  an  Philippus,  in  Rom  das  an 
Paulus  und  Petrus  nicht  bloss  bewahrte,  sondern  auch  mit  bestimmten 
Örtlichkeiten  in  Verbindung  brachte.  Von  den  unter  diesen  Umständen 
entstandenen  Legenden  hat  sich  ziemlich  viel  bis  auf  unsere  Tage  erhalten, 
zum  Teil  freilich  nur  durch  lateinische,  syrische,^)  koptische,  slavische 
Übersetzungen.  Als  Verfasser  der  dnoazoXwv  nsQiodoi^  welche  die  nqu^eiq 
näxQov  '1(odvvov  ^Avdqäov  Gcofia  UavXov  umfassten,  wird  Leukios  Cha- 
rinos,  ein  Manichäer,  also  ein  Nichtkatholik,  genannt;^)  aber  ihr  Inhalt 
erregte  so  lebhaftes  Interesse,  dass  sich  dieselben  trotz  ihres  ketzerischen 
Ursprungs  zum  grossen  Teil  erhalten  haben,  wenn  auch  vielfach  nur  in 
orthodoxer  Umgestaltung  als  katholische  Akten.  Ausserdem  sind  aus 
anderer  Quelle  auf  uns  gekommen  die  Acta  des  Barnabas,  Philippus,  Mat- 
thäus, Petrus  und  Thekla. 

TiscHBivDORF,  Evangelia  apocrypha,  Lipe.  1843.  Derselbe,  Acta  apost  apocr.  1851. 
Derselbe,  Apocal.  apocr.  1866.  —  Lifbits-Boknet,  Acta  apost.  apocrypha^  Lips.  1891.  — 
R.  A.  Lipsiüs,  Die  apokryphen  Apostelgeschichten  und  Apostellegenden,  ein  Beitrag  zur  alt- 
christlichen litteraturgesctüchte,  Braunschweig  1883—91,  3  Bde. 

Fragmente  eines  neuen  apocryphen  Evangeliums  aus  den  Papyri  von  Fajjum  von  Bickell, 
Mitteilungen  aus  der  Sammlung  der  Papyri  Erzherzogs  Rainer,  1887,  1  53—61,  und  von 
Habnack  in  Texte  und  Unters.  Bd  V,  Leira.  1889.  —  Petri  neuentdecktes  Evangelium  und 
Apokalypse,  von  Harnack  1893;  dazu  Dietkbich,  Beiträge  zur .  Erklärung  der  Petrus- 
apokalypse,  Leipz.  1893.  —  üeber  das  Evayy^Xioy  xar«  Maqiäfx  in  einer  koptischen  Pap3niis- 
handschrift  C.  Schmidt  in  Sitzb.  d.  pr.  Ak.  1896  p.  839  ff.  —  Von  den  Acta  Pauli  eine  neue 
Recension  neuerdings  entdeckt  in  einem  Heidelberger  Papyrus.  —  Aus  einem  Papyrus- 
blatt allemeueetens  ans  Licht  gezogen  Aoyia  'Itjitov  by  Grenfell-Hunt,  London  1897. 

Jtdttxtj  taiy  ^ixa  anofftoXioy  ed.  Bbyenkios,  Eonstantinopel  1883;  zusammen  mit 
den  Canones  apostolici,  von  Hasnagk  in  Texte  und  Unters.  1884;  von  IVnck  in  Opera 
patnun  apostoL  vol.  1,  Tübingen  1887.  —  Constitutiones  apostolornm  ed.  Lagarde,  Lips. 
1862;  dieselben  in  einer  älteren  Fassung  syrisch  herausgegeben  von  Laoardb,  DidascaJia 
aposiolorum  syriace,  Lips.  1854.  —  Didascaliae  apostolorum  latine  redditae  fragmenta  Vero- 
nensia  ed.  Hauleb,  Lips.  1897  (von  80  Palimpsestseiten). 

671.  Apostolische  Väter.  Eine  dritte  Klasse  altchristlicher 
Schriften  bilden  die  Bücher  der  apostolischen  Väter,  d.  i.  der  ehrwürdigen 
Lehrer  und  Eirchenvorstände  aus  der  nächsten  Zeit  nach  dem  Tode  der 
Apostel.     Zu  ihnen  gehören  vor  allen: 

Clemens  Romanus,  römischer  Bischof  in  der  späteren  Regierungs- 
zeit des  Kaisers  Domitian  (88 — 97).  Erhalten  ist  von  demselben  ein  Brief 
an  die  Gemeinde  von  Korinth  aus  dem  Jahre  93 — 95,  geschrieben  zur 
Schlichtung  innerer  Zerwürfnisse  der  dortigen  Gemeinde.  Angehängt  ist 
dem  ersten,  echten  Brief  ein  zweiter  unechter  an  die  gleiche  Gemeinde 
aus  der  Mitte  des  zweiten  Jahrhunderts.  Später  wurden  unserem  Clemens 
Romanus  weiter  untergeschoben  zwei  Briefe  über  die  Jungfräulichkeit  und 
20  Homilien  und  Rekognitionen;»)  auch  als  Verfasser  der  oben  besprochenen 
Satzungen  und  Anordnungen  der  heil.  Apostel  wurde  derselbe  ausgegeben. 


^)  Wright,  Apocryphal  acta  of  the 
apostles,  edited  from  syrian  manuscripts, 
Lond.  1871. 


jfoy 


»)  PhotioB  Bibl.  cod.  114:  al  Xe^ofieym 
,joy  dnootoXtay  nsQiodoi,  iv  als  nsQieixoyto 
nQd^Btf  UitQOv  *Tiodyyov  'jy^giov  Saud 
JlavXav.  ygtx^Si  «tt  avjdg  log  drjXoZ  xo  (tvi6 
ßhßXiw  Aevxios  Xdgtyog.    Im  Verlauf  nennt 


er  sie  als  Orthodoxer  ndarjg  atgioBtog  nriyrjy 
xal  ui]T^Qa,  Vgl.  Habnack,  Altchr.  Lit.  I 
116  flf.;  11  1,  491  flf. 

')  Die  Recognitionen  {dyayytoQiafAol)  sind 
1861  dnrch  Lagaadb  aus  dem  Syrischen  ans 
Licht  gezogen  worden,  üeber  ihr  Verhältnis 
zu  den  Homilien  s.  Habnack,  Altchr.  lit.  I 
213  ff. 


888  GrieohiBohe  Litteratorgesohlohte.    m.  Anhang. 

Die  Anrufung  des  römischen  Bischofs  von  seilen  der  korinthischen  Ge- 
meinde zur  Schlichtung  kirchlichen  Streites  wurde  in  der  Folgezeit  zum 
Ausgangspunkt  genommen,  um  daraus  die  Superiorität  des  römischen 
Bischofs  über  die  anderen  Kirchen  zu  beweisen  und  den  alten  Inhaber 
des  römischen  Stuhles  zum  Urheber  der  allgemeinen,  katholisch-apostoli- 
schen Kirchenordnung  zu  machen. 

Zu  den  apostolischen  Vätern  gehören  ferner: 

Ignatius,  Bischof  von  Antiochia,  der  bei  der  Christenverfolgung 
unter  Trajan  im  Jahre  115  den  Märtyrertod  fand.  Von  ihm  sind  sieben 
feurige  Briefe  auf  uns  gekommen,  die  er  auf  seiner  Reise  nach  Rom,  wo 
er  für  den  Herrn  sterben  sollte,  an  die  Gemeinden  von  Ephesos,  Magnesia, 
Tralles,  Rom,  Philadelphia,  Smyma  und  an  Polykarp  richtete.  Dieselben 
haben  in  späterer  Zeit  umfangreiche,  auch  durch  handschriftliche  Mittel 
auszuscheidende  Interpolationen  erfahren.  Die  erweiterte  Sammlung  liegt 
der  alten  lateinischen  Übersetzung  zugrund. 

Polykarpos,  Lehrer  des  Irenäus  und  Bischof  von  Smyma,  der  am 
23.  Februar  154  (nach  andern  166)  durch  den  Prokonsul  Statins  Quadratus 
hingerichtet  wurde  und  als  Märtjrrer  noch  heute  in  der  griechischen  Kirche 
verehrt  wird.  Von  ihm  haben  wir  einen  langen,  vollständig  aber  nur  in 
lateinischer  Übersetzung  erhaltenen  Brief  an  die  Presbyter  und  Diakone 
der  Gemeinde  von  Philippi. 

Papias,  Bischof  von  Hierapolis  und  Freund  des  Polykarp,  angeblich 
Hörer  des  Johannes.  Derselbe  war  Verfasser  der  ältesten,  nur  bruch- 
stückweise uns  erhaltenen  Erklärung  der  Sprüche  des  Herrn  {Xoyfatr  xvQut- 
xMv  €^ijyT}aig)  in  fünf  Büchern. 

Der  Verfasser  des  Briefes  an  Diognetos,  einen  hochgestellten 
Heiden,  über  die  Göttlichkeit  der  christlichen  Religion,  aus  der  Mitte  des 
2.  Jahrhunderts. 

Opera  patrum  apostoliconun  ed.  Hbfele,  neubearbeitet  von  Fukx,  Tübingen  1878,  in 
2  Bden;  rec.  Gebhardt-Habnack-Zahit,  Lips.  1876 — 8,  ed.  mai.  in  3  Bdn,  ed.  min.  in  1  Bd.  — 
Neue  Papiasfragmente  von  De  Boob  in  Texte  und  Unters.  Bd.  Y  165-184. 

672.   Hermas.     Dem    Zeitalter   der   apostolischen  Väter   und  der 

Evangelienlitteratur  steht  zunächst  der  Hirt  {noifir^v^  pastor)  des  Hermas. 

Seinen  Namen  hat  das  Buch  von  dem  Hirten  in  Engelsgestalt,  der  dem 

sündigen  Menschen  in  einer  Vision  erscheint  und  ihn  in  Vorschriften  und 

Oleichnissen  über  die  Hauptsätze  der  christlichen  Lehre  unterrichtet.   Das 

Buch  ist  nicht  aus  einem  Guss,  sondern   setzt  sich  aus  mehreren,  erst 

durch  Hermas  zu   einem  Ganzen  verbundenen  Teilen  zusammen,  ^j    Der 

Name  Hirt  kommt  eigentlich  nur  dem  mittleren  Hauptteil  zu,  der  mit  der 

fünften  Vision  beginnt.     Der  Hirt  ist  die  personifizierte  Kirche  und  hängt 

mit  der  in  den  christlichen  Schriften  und  in  den  Bildern  der  Katakomben 

oft  wiederkehrenden  Vorstellung  von  Christus  als  Hirt  der  Christengemeinde 

zusam^men.     Die  Anschauungen  und  die  Sprache  des  Buches  gehen  auf  die 

apokryphe  Litteratur  der  Apokalypsen  zurück.  Der  Mysticismus  des  Werkes 

hat  früh  auch  den  Verfasser  in  ein  mystisches  Halbdunkel  gehüllt.    Schon 

Origenes  im  Kommentar  zu  den  Briefen  des  Paulus  war  geneigt,  ihn  mit 

^)  üeber  diese  einzelnen  Teüe  und  ihr  zeitliches  Yerhftltnis  zu  einander  s.  Habhack, 
Altchr.  Lit.  II  1,  263. 


B.  Christliche  Sohriftsteller.    2.  Die  Eirohenvftier.    (§§  672—673.) 


889 


dem  Hermas  des  paulinischen  Briefes  an  die  Römer  16,  14  zu  identifizieren. 
Aber  daneben  erhielt  sich  die  andere  glaubwürdigere  Überlieferung,  i)  dass 
ein  um  140  lebender  Hermas,  ein  Bruder  des  römischen  Bischofs  Pius  I, 
Verfasser  des  merkwürdigen  Buches  sei.  Dasselbe  ist  uns  vollständig  in 
zwei  alten  lateinischen  Übersetzungen  erhalten; 2)  daneben  kamen  in 
unserem  Jahrhundert  Blätter  des  griechischen  Originaltextes  in  Hand- 
schriften von  Sinai  und  vom  Berge  Athos  zutag. 

üeber  die  Geschichte  der  üeberliefemng  s.  Haknack,  Altchr.  Lit.  I  49  ff.  Von  dem 
cod.  Athous  brachte  zaerst  Simonides  3  Blätter  nach  Leipzig,  wo  sie  sich  jetzt  noch  auf 
der  Bibliothek  befinden;  später  entdeckte  Lambros  im  Gregoriuskloster  von  Athos  6  weitere 
Blätter  (publiziert  von  Robinson,  Cambr.  1888),  von  denen  bereits  Simonides  eine  nicht  ge- 
naue Abschrift  nach  Leipzig  gebracht  hatte;  vgl.  Byz.  Zeitschr.  11  (1893)  79  f.  u.  610  f.  Ueber 
einen  Papyras  Berol.  Wiloken,  Tafehi  z.  Paläogr.  1891  Nr.  111. 

Hermae  ed.  princ.  von  Akoeb  u.  Dinoobf,  Lei^.  1856.  —  Berichtigte  Ausg.  mit  der 
Yersio  lat.  von  Gebhardt-Harnack,  Lips.  1877;  von  Hiloenfbld  ed.  IIl,  Ldps.  1887. 

2.  Die  Kirchenväter. 
673.  Die  Kirchenväter  (patres  ecclesiae)  werden  als  Träger  und 
Zeugen  der  reinen  christlichen  Lehre  aus  dem  allgemeinen  Kreis  der 
Eirchenschriftsteller  ausgeschieden.  Voran  stehen  unter  ihnen  die  Apolo- 
geten oder  die  Verteidiger  der  christlichen  Lehre,  deren  Blüte  noch  in  das 
2.  Jahrhundert  unserer  Zeitrechnung  fallt.  Ihnen  folgt  mit  Clemens  von 
Alexandrien  die  Klasse  der  gelehrten  Kirchenschriftsteller,  welche  teils 
zur  Begründung  des  christlichen  Glaubens  tiefer  auf  die  altgriechische 
Philosophie  und  Poesie  eingingen,  teils  sich  selbständig  an  der  historischen 
Litteratur  vom  christlichen  Standpunkte  aus  beteiligten.  Die  dritte  Stelle 
nehmen  die  in  den  Schulen  der  Sophistik  gebildeten  Kirchenväter  Basileios, 
Qregorios  von  Nyssa,  Gregorios  von  Nazianz,  Johannes  Chrysostomos  u.  a. 
ein,  welche  christliche  Reden,  Briefe,  Aufsätze  den  ähnlichen  Werken  der 
heidnischen  Sophisten  in  glücklicher  Rivalität  gegenüberstellten.  Die  ersten 
waren  schlichte  Männer,  deren  Bedeutung  in  der  Festigkeit  des  Glaubens 
und  der  Überzeugung  von  der  Wahrheit  der  christlichen  Lehre  wurzelte ; 
die  zweiten  knüpften  an  die  Gelehrkamkeit  und  die  litterarischen  Studien 
der  Alexandriner  an,  aber  ohne  von  ihnen  das  Beste,  die  Unbefangenheit 
und  Klarheit  des  kritischen  Urteils,  gelernt  zu  haben;  die  dritten  waren 
Kinder  ihrer  Zeit  und  teilten  mit  ihren  heidnischen  Rivalen  die  Vorzüge 
und  Fehler  der  Sophistik;  zwischen  den  zweiten  und  dritten  stehen  die 
Dogmatiker,  welche  mit  theosophischer  Bildung  ausgerüstet,  die  Ausprägung 
der  Kirchenlehre  in  bestimmten  Sätzen  ((foy/iarcr)  bewirkten.  In  den  ersten 
Jahrhunderten  wurden  die  christlichen  Schriften  fast  durchweg  in  griechischer 
Sprache  abgefasst;  selbst  in  Rom  bediente  sich  in  der  älteren  Zeit  die  Christen- 
gemeinde des  griechischen  Sprachidioms;  erst  gegen  Schluss  des  2.  Jahr- 
hunderts begann  sich  mit  Minucius  Felix  und  TertuUian  eine  lateinisch- 
christliche Litteratur  allmählich  der  griechischen  zur  Seite  zu  stellen. ') 


1)  Muratorisches  Fragment  in  Mione 
Patr.  gr.  X  36:  pastarem  nuperrime  tempo- 
ribus  nostris  in  urbe  Roma  Herma  conscri- 
psU  sedewte  cathedra  urbis  Romae  ecclesiae 
Pio  episcopo  fratre  eius. 

*)  Hausleitbb,  De  yersionibus  pastoris 


Hermae   latinis,   Acta  sem.  Erlang.  III,  399 
bis  477. 

')  Dieses  ist  im  einzelnen  nachgewiesen 
von  0.  P.  Caspari,  Zur  Gesch.  des  Tauf- 
symbols, Christiania  1875,  Bd.  Hl,  8.  267 
bis  465. 


890  Griechische  Idtieratnrgoschichte.    in.  Anhang. 

Sacra  bibliotheca  Banctonun  Patrum,  per  MiiBOABiNini  db  la  Bignb,  Paria  1575, 
8  Bde.  —  Maxima  bibliotheca  vetemin  patmm  (laianomin  et  graeconim),  LB.  1677,  27  Bde.  — 
Bibliotheca  veterum  patrnm  ed.  Galland,  Yen.  1765  ff.,  13  Bde.  —  Gursos  completos  potro- 
logiae  ed.  Miqnb,  Paris  1857  ff.,  t.  1 — 104  die  Griechen  umfassend.  -  Berliner  Corpus 
oder  kritische  Aasgabe  der  griechischen  christlichen  Schriftsteller  der  ersten  3  Jahrhunderte, 
mit  literarhistorischen  Einleitungen,  in  ca.  50  Bftnden,  geleitet  von  der  prenss.  Akademie; 
davon  1896  ausgegeben  1.  Band,  enthaltend  Hippolytos. 

Corpus  apologetarum  christianorum  saeculi  secundi,  ed.  Otto,  9  Bde,  Jena  1842—61; 
ed.  II  seit  1876;  auf  Grundlage  des  von  Arethas,  Bischof  von  Eaisarea,  am  919  yenur 
lassten  Cod.  Paris.  451.  —  Tatian  und  Athenagoras  von  Sohwartz,  Lipe.  1888,  Anfang  einer 
neueu  Ausgabe  der  Apologeten  in  Texte  und  Unters,  von  Gbbhabdt-Harnack  Bd  lY. 

MöHLEB,  Patrologie,  Regensb.  1840;  Alzoo,  Qrundriss  der  Patrologie,  f^ibotg,  4.  Anfl. 
1888.  —  Fk8slkii,  Institutiones  patrologiae,  Innsbr.  1850,  2  tom.  —  Babdbnhbwer,  Fatrth 
logie,  Freiburg  1894,  Hauptwerk.  —  Einzelne  Artikel  in  der  Realencykl.  f.  proi  TheoL  3.  Aofl., 
seit  1897. 

Die  Apologeten. 

674.  Justinus  Martyr,^)  von  heidnischen  Eltern  in  der  samari- 
tanischen  Stadt  Flavia  Neapolis  geboren,  hörte  in  der  Jugend  griechische 
Philosophen  und  behielt  auch  noch  nach  seinem  Übertritt  zum  Christen- 
tum den  Philosophenmantel  bei,  woher  er  den  Ehrennamen  philosophus 
Christianus  erhielt.  Als  Verteidiger  der  christlichen  Lehre  gegen  Heiden 
und  Juden,  besonders  gegen  den  Kyniker  Crescentius,  trat  er  in  verschie- 
denen Städten,  wiederholt  in  Rom  und  Korinth  auf.  Den  Tod  fand  er 
unter  Marc  Aurel  zwischen  163  und  167  als  standhafter  Zeuge  (jntQU"^) 
seines  Glaubens.  Von  seinen  Schriften  (acht  enthält  der  Katalog  des 
Eusebios  Hist.  eccl.  IV  18,  11,  zum  Teil  verschiedene  nennen  die  Hand- 
schriften) sind  am  bedeutendsten  die  zwei  zusammengehörigen  Ver- 
teidigungsreden {anoXoyiai  vntQ  XQKfriavm'),  gerichtet  an  Kaiser  und  Senat 
zu  Gunsten  der  Christen.  Angeredet  werden  im  Eingang  der  Kaiser  An- 
toninus  Pius  und  seine  Söhne  Marcus  und  Lucius  Verus,  wonach  dieselben 
mit  Wahrscheinlichkeit  in  das  Jahr  150  gesetzt  werden.  Justinus  tritt 
darin,  seine  Sache  mehr  von  der  praktischen  und  politischen  als  der  theo- 
retischen und  philosophischen  Seite  auffassend,  als  warmer  Anwalt  der 
Christen  auf,  indem  er  ihren  tugendhaften  Lebenswandel  und  ihre  Loyalität 
als  Bürger  und  ünterthanen  hervorhebt.  —  Seinen  eigenen  Bildungsgang 
legt  er  in  dem  Zwiegespräch  mit  dem  Juden  Tryphon  dar.  Bestritten-  ist 
die  Echtheit  der  Rede  an  die  Hellenen  (loyog  TtQog^EkXtjvag  oder  cifyx®?)» 
der  Mahnrede  an  die  Hellenen  (loyog  naQuiverixog  ngog  "Eklr^vag  i)  und  des 
Buches  von  der  Gotteinheit  (negl  piovaQxtag),  Verloren  gegangen  ist  ausser 
anderem  seine  von  Irenäus  1,  6  citierte  Schrift  gegen  den  Gnostiker  Markion 
{avvTayiÄft  uQog  MaQxmva), 

Aristides,  Philosoph  aus  Athen,  hat  noch  vor  Justinus  eine  Ver- 
teidigungsrede der  Christen  (nsql  ^eoasßeiag)  an  die  kaiserlichen  Macht- 
haber gerichtet.  Früher  nahm  man,  gestützt  auf  das  Zeugnis  des  Eusebios 
Hist.  eccl.  IV  3  an,  das  offene  Sendschreiben  sei  an  den  Kaiser  Hadrian 
während  seines  Aufenthaltes  in  Athen  125/6  gerichtet  worden.  Das  ist 
aber  ein  aus  der  Flüchtigkeit  des  Eusebios  hervorgegangener  Irrtum,  da 
die  Zueignung  der  Schrift  nach  der  syrischen  Übersetzung  lautete  Ävto- 
xQccTOQi  KaiaaQi   TtTtp  ^ASQiar^  ^AvTCDveCvfj)  2€ßa(ftfp  Evaeßst  Maqxiavig  'A^i- 

^)  Habnaok,  Altchr.  Lit.  I  99  ff.;   ü  1,  274  ff. 


B.  GhriBtliohe  SohriftsteUer.    2.  Die  Kirchenvftter. 


I  674-675.) 


891 


CTCiSrjg  q>iX6(fo(pog  \4&r]vaTog.  Demnach  muss  dieselbe  ebenso  wie  die  des 
Justinus  an  Antoninus  Pius  (vollständig  T.  Aelius  Hadrianus  Antoninus 
Pius)  gerichtet  sein.^)  Auf  uns  gekommen  ist  die  Schrift  auf  dreifachem 
Wege:  in  einer  syrischen  Übersetzung,  von  R.  Harris  1889  im  Katharinen- 
kloster  des  Sinai  aufgefunden,  in  einer  armenischen,  nur  den  Anfang 
enthaltenden  Übersetzung,  von  den  Mechitaristen  Venedig  1878  heraus- 
gegeben, und  endlich  in  griechischer  Originalsprache,  in  der  sie,  wie 
Robinson  entdeckte,  in  das  mittelalterliche  Erbauungsbuch  Barlaam  und 
loasaph  Aufnahme  gefunden  hatte. 

Ausgabe  von  Edgab  Henneckb,  Die  Apologie  des  Aristides,  Recension  und  Rekon- 
staruktion,  Leipz.  1893  (=  Texte  und  Unters.  iV  3);  von  Sbbbbbg  in  Zahn,  Forschungen  V 
159 — 414,  Erlangen  1893.  —  Ausser  der  Apologie  ist  die  armenische  Uebersetzung  einer 
unter  dem  Namen  des  Anstides  gehenden  Predigt,  De  latronis  clamore  et  crucifizi  respon- 
aione,  von  den  Mechitaristen  1878  publiziert. 

In  der  Chronik  nennt  Eusebios  neben  Anstides  einen  gewissen  Qua- 
d  rat  US,  der  Hörer  der  Apostel  gewesen  sein  soll,  als  ältesten  Apologeten. 
Von  seiner  dem  Kaiser  Hadrian  überreichten  Verteidigungsschrift  ist  uns 
aber  so  gut  wie  nichts  erhalten.*)  —  Aus  der  gleichen  Zeit  stammte  ein 
von  Ariston  aus  Pella  verfasster  Dialog  zwischen  dem  Judenchristen 
Jason  und  dem  alexandrinischen  Juden  Papiskos  (Idaovog  xal  Damaxov 
avxiXoyia  negl  XQiatov),^)  in  dem  nachgewiesen  war,  dass  die  Prophezei- 
ungen des  alten  Testamentes  zu  der  Person  Christi  stimmen.  Die 
Schrift  selbst  ist  verloren  gegangen,  aber  erhalten  ist  uns  eine  ihr  nach- 
gebildete Ältercaüo  Simonis  Judaei  et  Theophili  Christiani  aus  dem  5.  Jahr- 
hundert, herausgegeben  von  Harnack  in  Texte  u.  Unters.  I  1,  3.*) 

675.  Tatianos  aus  Syrien  war  im  Heidentum  geboren  und  in  Rom 
durch  Justinus  für  das  Christentum  gewonnen  worden ;  in  seinem  späteren 
Leben  fiel  er  wieder  von  der  Kirche  ab  und  wirkte,  in  seine  Heimat  nach 
Mesopotamien  zurückgekehrt,  für  die  Irrlehre  der  Enkratiten,  welche  in 
ihrer  Strenge  {iyxQaTeia)  jede  fleischliche  Vereinigung,  auch  die  eheliche, 
als  sündhaft  verwarfen.  In  Rom  schrieb  er  um  152  die  Rede  an  die  Hel- 
lenen (Xoyog  TVQog  '^ElXrjvag)  in  42  Kapiteln,  aus  der  mehr  der  Sohn  der 
Sophistik  als  der  philosophische  Denker  spricht.  Er  wendet  sich  darin 
gegen  die  sittlichen  Ausartungen  der  Hellenen  und  Römer  seiner  Zeit, 
insbesondere  gegen  die  Grausamkeit  der  Gladiatorenspiele  und  die  Unsitt- 
lichkeit  der  Theater,  weist  die  Versuche,  mit  Hilfe  der  Dämonenlehre  und 
der  Allegorie  dem  alten  Götterglauben  aufzuhelfen,  zurück  und  macht  zu 
Gunsten  des  Christenglaubens  das  geringere  Alter  der  griechischen  Philo- 
sophie und  die  Uneinigkeit  der  sich  selbst  gegenseitig  befehdenden  Philo- 
sophen geltend.  <^)  In  der  Sprache  trägt  er  geradezu  Geringschätzung  der 
Regeln  der  Attikisten  zur  Schau,  indem  er  verlangt,  dass  einer  spreche, 
wie   ihn  die  Natur,  nicht  wie  ihn  die   rhetorischen  Schulmeister  lehren 


»)  Harwaok,  Altchr.  Lit.  II  1,  271  f. 

«)  Haenaok,  Altchr.  Lit.  I  95  f.;  H  1, 
269  f. 

»)  Habnack,  Altchr.  Lit.  I  92  ff.;  II  1, 
268.  Die  Hauptstelle  aber  die  Schrift  steht 
bei  Origenes  c.  Gels.  IV  51. 

^)  üeber  den  von  Eusebios  öfters  citierten 
dogmatischen  Dialog  des  Caius  und  Proculus 


aus  der  Zeit  des  römischen  Bischofs  Zephyrin 
um  218  s.  Harnack,  Altchr.  Lit.  I  601  f. 

*)  üeber  die  geringe  Zuverlässigkeit  des 
Tatian  in  seiner  Galerie  plastischer  Kunst- 
werke (c.  33—35)  s.  Ealkxank,  Tatians 
Nachrichten  über  Kunstwerke,  Rh.  M.  42, 489 
bis  524. 


892  Griaohüiohe  LitieratnrgMohiohte.    m.  Anhang. 

(c.  26).  Von  seinen  späteren  häretischen  Schriften  war  am  bekanntesten 
To  Sid  TtffifäQiav  evayyähov^  worin  er,  einem  sehr  praktischen  Gedanken 
folgend,  die  4  Evangelien  in  1  zusammenzog,  dabei  aber  auch  manches, 
was  sich  nur  bei  einem  Evangelisten  fand,  wegzulassen  sich  erlaubte. 

Von  lateinischen  Kirchenvätern  schrieb  einen  Apologeticus  Tertullian 
unter  Severus  im  Jahre  197  ;i)  derselbe  war  so  angesehen,  dass  er  nach 
Euseb.  Hist.  eccles.  II  2  auch  in  das  Griechische  übersetzt  wurde ;  von  der 
Übersetzung  hat  sich  aber  nichts  erhalten. 

676.  Athenagoras  aus  Athen  war  vom  Piatonismus  zum  Christen- 
tum übergetreten;  über  seine  sonstigen  Lebensverhältnisse  schweben  wir 
im  Dunkel ;  ansprechend  indes  ist  die  Vermutung  von  Zahn  (Forschungen 
III  60),  dass  er  eine  Person  sei  mit  dem  Athenagoras,  dem  der  Platoniker 
Boethos  sein  Buch  nsQl  tdov  naqd  nidtonvi  dnoQovpikvaiv  Xä^scov  gewidmet 
hat  (Photius  cod.  155).  Von  Alexandria  aus  richtete  er  im  Jahre  177  an 
den  Kaiser  M.  Aurel  und  dessen  Sohn  Commodus  eine  wohl  disponierte 
und  gut  geschriebene  Schutzschrift  {nQBcßeia  nsql  XQKfTiavtoVy  supplicatio 
pro  Christianis,  in  37  Kapiteln),  in  der  er  in  ruhigem  Ton  und  mit  über^ 
zeugender  Kraft  die  gegen  die  Christen  erhobenen  Vorwürfe  des  Atheis- 
mus, der  ödipodischen  Verbindungen  (Blutschande)  und  der  thyestischen 
Mahle  (Verzehrung  der  Kinder)  zurückweist.  Eine  andere  Schrift  des- 
selben von  der  Auferstehung  der  Toten  {loyog  ncQi  dvaa%da€wg  %wv  vsTt^mv) 
sucht  die  Lehre  der  christlichen  Kirche  dialektisch  zu  begründen.  Athena- 
goras zeichnet  sich  vor  allen  Apologeten  des  2.  Jahrhunderts  durch  Kor- 
rektheit der  Form  und  Schönheit  der  Sprache  aus. 

677.  Eirenaios  (Irenaeus),  aus  Kleinasien  stammend,  war  Schüler 
des  Polykarp  und  starb  als  Bischof  von  Lugdunum  (Lyon)  den  Märtyrer- 
tod bei  der  Christenverfolgung  unter  Severus  202.  Von  einem  Empfehlungs- 
schreiben, welches  ihm,  der  damals  noch  Presbyter  war,  die  Bekenner  von 
Lyon  und  Vienne  an  den  römischen  Bischof  Eleutheros  mitgegeben  hatten, 
berichtet  uns  Eusebios  in  der  Kirchengeschichte  V  4.  Eirenaios  war  einer 
der  hauptsächlichsten  Vermittler  der  Kirchen  Roms  und  Kleinasiens,  indem 
er  die  durch  den  ehrwürdigen  Polykarp  festgesetzte  Kirchenordnung  des 
Ostens  nach  dem  Westen  und  der  Hauptstadt  des  Reiches  brachte.  Seine 
schriftstellerische  Thätigkeit  war  eine  reiche  und  mannigfaltige.  Die 
meisten  der  16  Schriften,  von  denen  wir  Kenntnis  haben,  betreffen  die 
Erklärung  von  Büchern  des  alten  und  neuen  Testamentes.  Aber  sein 
grösstes  und  berühmtestes  Werk  war  die  apologetische  oder  vielmehr 
polemische  Schrift  ^'Elsyxoq  xal  ävarQonr]  Ttjg  xp€vdwi'vp.ov  yr<ii<r€o)g  in  5  B. 
Dieselbe  war,  wie  schon  der  Titel  ansagt,  nicht  gegen  die  Heiden,  son- 
dern gegen  die  gnostische  Sekte  der  Valentinianer  gerichtet;  im  griechi- 
schen Original  sind  uns  von  derselben  nur  Bruchstücke  erhalten,  so  dass 
wir  wesentlich  auf  die  alte  lateinische  Übersetzung  angewiesen  sind.  Von 
dem  dogmatischen  Brief,  den  Eirenaios  unter  Kaiser  Commodus  an  einen 
gewissen  Plorinus  in  Kleinasien  richtete,  Ttsgi  liovaqxiaq  fj  nsqi  %ov  /*ij  «rai 
^sov  noir^xf^  xaxiov,  haben  wir  ein  Fragment  bei  Eusebios  Hist.  eccles.  5, 20. 

*)  ScHAKz,  Rom.  Lit.  III  248. 


1 


B.  ChriBtliohe  Bohriftstoller.    2.  Die  Eirohenvater.    (§§  676—679.) 


893 


Von  seinen  verschiedenen  Sendschreiben  betriift  das  uns  teilweise  erhaltene 
an  den  Papst  Victor  die  strittige  Frage  über  die  Zeit  der  Osterfeier. 
Gesamtausgabe  von  Harvey  in  2  Bdn,   Cambridge  1857. 

678.  Theophilos,  der  gleichfalls  von  heidnischen  Eltern  geboren 
war  und  nach  Eusebios  als  sechster  Bischof  der  Kirche  von  Antiochia 
vorstand/)  ist  Verfasser  der  drei  Streitschriften  gegen  Autolykos.  Dieser 
Autolykos  war  ein  früherer  Bekannter  des  Bischofs,  gegen  dessen  Be- 
spöttelungen des  Christentums  die  zu  Anfang  der  Regierung  des  Commodus, 
nach  180,  geschriebenen  drei  Schriften  gerichtet  sind.  Auch  hier  werden 
die  Christen  gegen  die  Beschuldigungen  der  Blutschande  und  die  aus  der 
Abendmahlsfeier  (Eucharistie)  entstandenen  Gerüchte  von  Menschenmahlen 
in  Schutz  genommen ;  seine  Weisheit  schöpfte  der  Apologet  nicht  aus  der 
Lektüre  der  klassischen  Autoren,  sondern  aus  der  Kompilation  landläufiger 
Florilegien.^)  Theophilos  hatte  ausserdem  katechetische  Bücher  und  pole- 
misch-dogmatische Schriften  gegen  den  Gnostiker  Markion  und  die  Sekte 
des  Hermogenes  verfasst,  die  aber  frühzeitig  verschollen  sind. 

Ungefähr  der  gleichen  Zeit  gehören  an  ApoIIinaris,  Bischof  von 
Hierapolis  in  Kleinasien,  und  Melito,  Bischof  von  Sardes,  die  gleiehfalls 
Apologien  für  die  Christen  an  den  Kaiser  (Apollinaris  an  M.  Aurel)  ge- 
richtet und  die  Wahrheit  des  Glaubens  {tisqI  ahj&slag)  gegen  Anders- 
denkende verteidigt  hatten.') 

Undatiert,  aber  doch  wahrscheinlich  der  Zeit  der  Apologeten  ange- 
hörend ist  die  Schrift  eines  gewissen  Hermeias  JiaavQfiog  xtöv  €^w  (fi^ 
Xoaoipwv  in  10  Kapiteln.  Dieselbe  ist  mit  Witz  in  der  Absicht  geschrieben, 
die  Nichtigkeit  der  heidnischen  Philosophie  aus  dem  Widerstreit  der  Mei- 
nungen darzuthun.  Aber  sein  Wissen  verdankte  der  Verfasser  nicht  einem 
tieferen  Studium  der  alten  Philosophen  selbst,  sondern  den  landläufigen 
Kompendien  der  Lehrsätze  der  Philosophen  über  das,  was  Seele,  was 
Gott,  was  Welt  ist.*) 

Die  gelehrten  Kirchen?ftter  bis  Konstantin. 

679.  Seit  dem  3.  Jahrhundert  trat  in  der  christlichen  Litteratur  eine 
weittragende  Wendung  dadurch  ein,  dass  Rom  und  das  Abendland  von  dem 
griechischen  Einfluss  sich  allmählich  emanzipierte,  und  nunmehr  die  Abend- 
länder in  dem  Gottesdienste  und  in  der  Litteratur  ihre  eigene  Sprache, 
die  lateinische,  zu  gebrauchen  begannen.  Schon  gegen  Ende  des  2.  Jahr- 
hunderts hatten  die  lateinischen  Kirchenväter  Minucius  Felix  und  Tertullian 
diesen  Umschwung  vorbereitet;  namentlich  hatte  das  Ansehen  des  letzteren 
viel  dazu  beigetragen,  die  Selbständigkeit  des  lateinischen  Idioms  zum  Durch- 
bruch zu  bringen.  Auf  der  anderen  Seite  änderte  sich  im  3.  Jahrhundert 
der  Charakter  der  christlichen  Litteratur  dadurch,  dass  Asien  mit 
seiner  Vorliebe  für  Reden  und  Apologien  in  den  Hintergrund  trat,  dafür 
aber  Alexandrien  mit  seiner  altererbten  Gelehrsamkeit  steigenden  Einfluss 


^)  Bezüglich  der  Zeit,  welche  Eusebios 
falsch  angibt,  steht  nur  so  viel  fest,  dass 
Theophüos  nicht  vor  181  gestorben  ist;  s. 
Harhack,  Altchr.  Lit.  U  1,  211. 


«)  DiBLS  Rh.  M.  30,  174  ff. 

»)  Habnack,  Altchr.  Lit.  I  243  ff.  246  ff. 

*■)  DiBLS,  Doxographi  graeci  p.  259  ff. 


894 


Qrieohiflche  LitteratiirgeBoliichte.    m.  Anhang. 


gewann.    Die  bedeutendsten  Eirchenschriftsteller  des  3.  und  teilweise  des 

4.  Jahrhunderts,  mochten  sie  nun  griechisch  oder  lateinisch  schreiben, 
waren  eben  in  Afrika  geboren.  Aber  während  f&r  die  Lateiner  das  feurige 
Blut  der  Nachkommen  der  Altkarthager  den  Antrieb  gab,  nährten  sich  die 
griechischen  Kirchenväter  an  der  Gelehrsamkeit  der  alten  Schulen  Ale- 
xandriens.  So  fanden  nunmehr  die  gelehrten  und  historischen  Studien, 
in  welche  zu  Alexandrien  infolge  alter  Tradition  die  Gebildeten  eingeweiht 
wurden,  auch  in  die  kirchliche  Litteratur  der  Griechen  Eingang. 

680.  Hippolytos  hatte  die  Vorträge  des  Eirenaios  in  Gallien  ge- 
hört^) und  war  dann  in  der  ersten  Hälfte  des  3.  Jahrhunderts  in  Rom 
als  Erzpriester  {aQxitQsvg)  thätig.  Mit  dem  römischen  Bischof  Kallistus  11 
entzweite  er  sich  in  Sachen  der  kirchlichen  Disziplin,  indem  er  sich  den 
Grundsätzen  der  Noetianer  zuneigte.*)  Im  Jahre  235  musste  er  nach  Sar- 
dinien in  die  Verbannung  wandern.  In  der  Ghristenverfolgung  des  Kaisers 
Decius  starb  er  in  Rom  den  Märtyrertod,  nachdem  er  sich  zuvor  mit  der 
Kirche  wieder  ausgesöhnt  hatte.  Ein  Gedicht  auf  ihn  als  Märtyrer  ver- 
fasste  der  Papst  Damasus  und  später  Prudentius,  Peristeph.  XI  de  passione 

5.  Hippolyti.')  Mit  dem  geistesverwandten  Origenes  stand  er  nach  dem 
Zeugnis  des  Photius  cod.  121  in  intimem  Gedankenaustausch.  Eine  sitzende 
Statue  von  ihm  befindet  sich  im  Lateran ;  auf  dem  Stuhle  derselben  steht 
ringsum  ein  leider  verstümmeltes  und  unvollständiges  Verzeichnis  seiner 
Werke,*)  ähnlich  wie  bei  der  sitzenden  Statue  des  Euripides.  Die  zahl- 
reichen, zum  grössten  Teil  verlorenen  Schriften,  bestanden  in  Kommentaren 
zu  Büchern  des  neuen  und  namentlich  des  alten  Testaments,  in  dogmati- 
schen Streitschriften  und  historischen  Abrissen,  endlich  in  metrischen  Auf- 
schriften zu  den  heiligen  Büchern  {(pial  etg  ndaag  %äg  y^ayxig),^)  Von 
den  historischen  Schriften  sind  die  XQovixd,  in  denen  nach  dem  Vorgang 
des  Julius  Africanus  zur  profanen  Geschichte  der  alten  Chronographen 
auch  noch  die  jüdische  und  christliche  gestellt  war,  uns  teilweise  in  latei- 
nischen Bearbeitungen,  namentlich  in  dem  sogenannten  Liber  generationis 
erhalten.^)  Zu  den  historischen  Schriften  im  weiteren  Sinne  gehört  auch 
die  chronologische  Schrift  über  die  Osterzeit  mit  dem  Anhang  einer  Oster^ 
tafel  {dnoSsi^ig  xQ^'ov  tov  ndaxa  xal  tu  iv  %^  nlvaTu).'^)    Das  Hauptwerk 


fjia^Tijg  EiQijyaiov 


*)  Photios  cod.  121: 
6  'InnoXvTog, 

*)  DöLLiNOER,  Hippolytus  und  Kallistus, 
Regensbnrg  1853. 

•)  Die  metrische  Inschrift  auf  ihn  im 
Cosmeterium  Hippolyts  von  Damasus,  in  Da- 
masi  epigr.  ed.  Ihm  n.  37. 

*)  CIG  8613;  genauere  Abschrift  bei 
Habnack,  Altchr.  Lit.  I  607. 

*)  Die  Lesart  eis  beruht  auf  Ergänzung 
der  lückenhaften  Stelle;  Habnack  1 609  wollte 
dafür  i^dai  ü  =  (^idai  diaxooiai  lesen;  dann 
würde  aber  ndaag  rag  yQatfdf  ganz  in  der 
Luft  schweben.  Vermutlich  waren  die  tadai 
metrische  Aufschriften  zu  den  einzelnen 
Schriften  des  Testamentes,  ähnlich  den  litte- 
rarischen Distichen  des  Varro  und  Kalli- 
machos.    So  deutete  die  üeberüeferung  schon 


J.  Scaliger,  De  emend.  tempor.  p.  729:  qn- 
grammaia  in  omnea  libros  aacros,  quae  sunt 
quasi  neQioxai  et,  ut  vulgo  loquuniur,  argu- 
menta librorum. 

«)  Das  Verhältnis  klar  gestellt  von  C. 
Fbick,  Chronica  minora,  Lips.  1893,  vol.  I; 
dazu  vgl.  Harnaok,  Altchr.  Lit.  I  626  f.  und 
645  f.;  Schanz,  Rom.  Lit  ni  404  f .  —  Ueber 
den  mit  dem  Liber  generationis  verbondeoeo 
JittfABQiafiog  rijg  yijg  Gdtschmid  Kl.  Schr.V 
613  flf. 

^)  Aus  der  Zeit  nach  Hippolytos  stammt 
die  verwandte  Schrift  über  das  Ostemfest 
von  Anatolius,  Bischof  von  Laodicea  [aäi 
286),  die  uns  nur  in  lateinischer  Ueber- 
Setzung  unter  dem  Titel  Anatoli  de  ratione 
paschali  erhalten  ist;  vgl.  Harrack,  Altchr. 
Lit.  1  436;  Sohamz,  Rdm.  Lit  Ul  405. 


B.  ChristUolie  SohriftoteUer.    2.  Die  Kirohenvftter.    (§§  68()--681.) 


895 


unseres  Autors  war  gegen  die  Irrlehren  gerichtet  und  hatte  den  Titel 
^'EXeyxog  xata  nacwv  aiQäaswv  in  12  B.,  wofür  Photius  bibl.  123  kurzweg 
sagt  (fviTayfia  xard  cdqsaewv  iß\  Das  Werk  war  nach  den  in  demselben 
enthaltenen  Anzeichen  um  230  verfasst.  Von  demselben  kannte  man  früher 
nur  das  erste  Buch  mit  dem  Spezialtitel  <S>iXoaoifovfx€va^  und  dieses  unter 
dem  falschen  Namen  des  Origenes.^)  Im  Jahre  1842  wurden  durch  den 
Griechen  Minas  auch  die  Bücher  4 — 10  aus  einem  jetzt  in  der  Pariser 
Bibliothek  befindlichen  Codex  ans  Licht  gezogen.  Am  wichtigsten  für  die 
Kenntnis  des  Altertums  ist  der  erste  Teil  des  Werkes  oder  Buch  1 — 4. 
Derselbe  handelte,  wie  der  erhaltene  Eingang  des  fünften  Buches  angibt, 
von  der  Religion  und  der  Philosophie  der  alten  Griechen.  Leider  fehlen 
gerade  von  diesem  Teil  die  Bücher  2  und  3;  von  dem,  was  auf  uns  ge- 
kommen ist,  bezieht  sich  das  erste  Buch  auf  die  Systeme  der  alten  Philo- 
sophie,^) das  vierte  auf  den  Aberwitz  der  Astrologen  und  Magier.  Das 
erste  bleibt  zu  sehr  auf  der  Oberfläche,  als  dass  wir  aus  ihm  etwas  Neues 
von  Bedeutung  lernen  könnten,  das  vierte  aber  enthält  viele  interessante, 
wenn  auch  wenig  erfreuliche  Angaben  über  den  herrschenden  Aberglauben 
des  Volkes. 

Ed.  princ.  des  Hauptwerkes  von  Miller,  Paris  1851;  Hanptausg.  von  Dunckbr  und 
ScHNBiDEWiN,  Gött.  1859.  —  Die  Fragmente  der  Übrigen  Werke  gesammelt  von  Paul 
DK  Laoardb,  Hippolyti  Romani  ^uae  feruntur  onmia,  Lips.  1858.  Dazu  Bradkk,  Das  neu- 
entdeckte vierte  Buch  des  Damel-Commentars  von  Hippolyt,  Bonn  1831.  —  Die  Philo- 
Bophomena  neuerdings  herausgegeben  von  Diels,  Doxogr.  gr.  551—576.  —  Der  Unechtheit 
verdfichtig  ist  die  unter  seinem  Namen  erhaltene  Predigt,  wenn  echt,  die  ftlteste  ihrer  Art, 
Xoyoq  €ig  ta  ayia  »sotpayeia.  —  Hauptausgabe  der  Gesamtwerke  im  Berliner  Corpus  1. 1. 

681.  Clemens  Alexandrinus,  mit  vollem  Namen  T.  Flavius 
Clemens,  eröfihet  die  Reihe  der  gelehrten  Kirchenväter  Alexandriens.  Der- 
selbe war  Presbyter  von  Alexandria  und  ein  Zögling  der  um  die  Mitte  des 
2.  Jahrhunderts  gegründeten  Katechetenschule  von  Alexandria.  Dort  hatte 
er  als  begeisterter  Schüler  den  Pantainos  gehört,  der  selbst  von  der  Stoa 
zum  Christentum  übergetreten  war.»)  An  dessen  Seite  wirkte  er  dann  selbst 
seit  189  an  jener  Schule,  verliess  aber  202  die  bisherige  Stätte  seiner 
Thätigkeit,  um  sich  der  Christenverfolgung  unter  Septimius  Severus  zu 
entziehen.  In  hohem  Alter  zwischen  211  und  218  starb  er  eines  natür- 
lichen Todes.  Clemens  ist  der  erste  unter  den  Kirchenvätern  des  Orients, 
der,  über  die  schüchternen  Anfänge  kleiner  Verteidigungsschriften  hinaus- 
gehend, eine  ausgedehnte  und  selbständige  Schriftstellerei  entfaltete.  Von 
seinen  zahlreichen  Schriften  sind  uns  drei  erhalten,  welche  in  engerem 
Zusammenhang  zu  einander  stehen  und  gewissermassen  eine  Trilogie  im 
platonischen  Sinne  bilden,*)  nämlich  der  llQOTQsmixdg  Xoyoq  TtQOQ^'EXXrjvag^ 
der  in  einleitender  Weise  die  Griechen  für  die  christliche  Lehre  zu  ge- 


^)  üeber  die  bestrittene  Autorschaft  des 
Hippolytos  s.  ÜEBBBWBO,  Grundriss  IP  56, 
Caspabi,  Taufsymbol  III  377  ff.,  und  das 
Hauptwerk  von  G.  Yoleji ab,  Hippol^tus  und 
die  römischen  Zeitgenossen  oder  die  Philo- 
sophumena  und  die  verwandten  Schriften, 
nach  Ursprung,  Komposition  und  Quellen 
untersucht,  Zürich  1855. 

*)  DiBis,  Doxogr.  gr.  144—156. 


»)  üeber  Pantainos  Habnack,  Gesch.  d. 
altchr.Lit.  I  291-6. 

^)  Ausgesprochen  ist  der  Zusammenhang 
im  Eingang  des  Paidagogos;  er  war  es  ge- 
wiss auch  im  Anfang  der  Strom ateis,  der  aber 
verloren  gegangen  ist.  Das  4.  Werk  der  Tetra- 
logie scheinen  die  verlorenen  'YTiortmaSaet^ 
gewesen  zu  sein. 


896 


Grieohüieha  littoratnrgMohiohte.    lEL  Anhang. 


winnen  sucht,  der  naidayfoyog  in  3  B.,  der  die  Hauptsätze  der  ehrisÜiclien 
Sittenlehre  enthält,^)  die  2tQ(a^a%eig  in  7  B.,^)  welche  von  ihrem  bunten 
Inhalt  Teppiche  (vollständig  xa%tt  %i]v  äXfi&fj  <p$Xo(ro<f(av  yvwaux^v  vnofivri- 
fioTwv  arQODfiareTg  ström.  I  29  extr.,  Phot.  cod.  111)  genannt  sind.')  Verloren 
gegangen  sind  die  "^Ynoxvnoiaeig^  welche  im  Anschluss  an  Schriftstellen  des 
alten  und  neuen  Testamentes  die  Hauptsätze  (Umrisse)  der  christlichen  Lehre 
enthielten,^)  und  mehrere  kleinere  Schriften,  die  schon  Photios  cod.  111  nur 
mehr  vom  Hörensagen  kannte.  Für  den  Philologen  ist  von  den  erhaltenen 
Werken  weitaus  am  wichtigsten  das  letztgenannte,  welches  durch  die  Fülle  der 
Citate  und  gelehrten  Notizen  an  das  ungefähr  zu  gleicher  Zeit  entstandene 
Sophistenmahl  des  Athenaios  erinnert.  Stützt  sich  Clemens  in  den  ge- 
lehrten Erörterungen  auch  nicht  auf  eigene  ausgedehnte  Belesenheit  und 
lässt  er  auch  nur  zu  oft  die  Unbefangenheit  kritischen  Urteils  vermissen,^) 
so  verdanken  wir  ihm  doch  die  Erhaltung  einer  Fülle  interessanter  Be- 
obachtungen der  Gelehrten  Älexandriens.  Keiner  der  übrigen  Kirchen- 
väter kommt  ihm  an  Kenntnis  und  allgemeiner  Bildung  gleich.  Eusebios, 
der  den  Schein  gleicher  Gelehrsamkeit  zu  Schau  trägt,  hat  das  Beste 
einfach  ihm  abgeschrieben.  Der  leitende  Gedanke  seiner  Schriften  ist 
derselbe,  den  schon  die  alexandrinischen  Juden,  insbesondere  Aristobulos 
im  Anschluss  an  Piaton  Tim.  p.  22  ausgesprochen  hatten,  dass  nämlich  die 
Philosophie  und  die  ganze  Wissenschaft  der  Griechen  jünger  als  die  der 
anderen  Völker  sei,  und  dass  dieselben  das  Beste  von  den  Juden  entlehnt 
hätten.  <^)  Im  übrigen  steht  Clemens  der  griechischen  Philosophie  und  Bil- 
dung freundlich  gegenüber,  da  nach  ihm  zwar  erst  das  Christentum  die 
Wahrheit  gebracht  hat,  aber  doch  die  Schriften  der  alten  Griechen  dazu 
beitragen,  den  Geist  zu  veredeln,  und  so  als  nQonaideviiata  ^)  ihn  zur  Auf- 
nahme und  zum  Verständnis  der  christlichen  Lehre  empfanglich  machen.^) 


*)  Ueber  die  Benützung  des  Paidagogos 
durch  Teitullian  de  spectaculis  Noblbeghkn 
Phüol.  Suppl.  VI  762. 

')  Ein  achtes,  aus  verschiedenen  TeUen 
zusammengesetztes  Buch  ist  von  fremder 
Hand  zugefügt.  Dass  mit  dem  7.  Buch  das 
Werk  schüessen  sollte,  sagt  Clemens  aus- 
drücklich YIl  18.  Der  Schlusssatz  xal  dtj 
fÄBxd  Toy  ißdofAoy  rovioy  ^fjuv  axQiafJiaxia 
tmy  i^fjg  an'  ccXXfjg  ff'p/^c  noirja6fA6&a  toV 
Xoyoy  ist  natürlich  interpoliert. 

«)  Strom.  IV  p.  204:  larw  cf^  ^/aty  ra 
vno/nytjfiara  TtoixlXa,  tog  avto  Tovyofid  (ptjai., 
öiBütQfofjLiytt,  ähnlich  am  Schluss  des  7.  Buches. 
Vgl.  die  ähnlich  benannten  KbotoL  des  Julius 
Africanus  und  den  ninXog  des  Aristoteles. 
Den  Titel  stromaton  hatte  bereits  Caesellius 
Vindex  (Priscian  I  210,  17;  230,  11  ed.  Hertz) 
seinem  Buche  gegeben;  auch  von  Plutarch 
erwähnt  ZrQfofiateig  Euseb.  pr.  ev.  T  7,  16. 

*)  Nach  Photios  cod.  109  enthielten  die 
YnoTvntoaeig  viele  gottlose  Annahmen  (eis 
aceßerg  xai  fiv9(o66ig  Xoyovg  ixg)iQetai),  Dar- 
aus erklärt  sich  ihr  frühes  Verschwinden, 
üebngens  hat  sich  ein  Teil  des  Buches  in 
latemischer  üebersetzung  erhalten  unter  dem 


Titel  Adumbrationes  in  epistolas  caiMicai, 
angefertigt  von  Gassiodor,  in  neuer  Beacbei- 
tung  von  Zahk,  Forschungen  lü  79—103. 

<)  .Clemens  ist  ein  Schiifteteller,  der  die 
Gepflogenheiten  seiner  Zeit,  das  Erbeachehi 
einer  profunden  Gelehrsamkeit  und  YersteckeD 
der  sehr  trivialen  Handbücher,  aus  denen  sie 
stammt,  aus  dem  Grunde  versteht.'  Wila- 
MOWiTZ,  Eur.  Herakl.  1 171.  Ueber  die  Qaelleo 
s.  Ad.  Scheck,  De  fontibus  Clem.  Alex.,  Progr. 
Augsb.  1889;  Dbbbkwbg,  arundriaa  IV  70  £ 

')  Die  Kenntnis  von  den  Schriften  der 
alexandrinischen  Juden  schöpfte  Clemens  ans 
Alexander  Polyhistor;  s.  Cobbt,  *EQfi^g  1 170. 
—  Die  Stelle  des  Piaton  lautet:  xm  tim 
einety  rtöy  IsQ^toy  sv  fjUtXa  TiaXatoy  e»  JSo2«r, 
£6X(oy,  ISXXrjyeg  dei  naideg  icri,  yiqmr  di 
"^Xtjy  ovx  hfxiy. 

^)  Vgl.  Norden,  Die  antike  Kunstprosa 
S.  673  £f.,  wo  auch  der  Zusammenhang  mit 
dem  alexandrinischen  Juden  Philo  gut  be- 
tont ist. 

»)  Strom.  I  16  p.  133:  dXT  W  x«i  fiV 
XttXttXafAßdyst  9/  "^EXXrjyixt)  ffnXoaoipia  x6  fU- 
ys&og  xfjg  dXi]&€lag,  hidk  iiaa&ByBi  n^xxeu^ 
xdg  xvQiaxdg  iytoXdg,  dXX'  ovy  ye  ji^owfTff- 


B.  Chriatliche  Schriftsteller.    2.  Die  Eirchenvftter.    (§  682.)  897 

Die  christlichen  Zeloten  der  folgenden  Jahrhunderte  haben  ihn  vielfach 
geradezu  verketzert,  weil  er  namentlich  in  dem  Buche  '"YnorvTiciffBig  Ge- 
danken aussprach,  die  über  die  engherzigen  Schranken  der  von  Atha- 
nasios  und  Kyrillos  ausgeklügelten  Dogmen  hinausgingen.  Für  die  Ge- 
schichte der  griechischen  Litteratur  sind  besonders  wichtig  die  Abschnitte 
von  den  Erfindungen  der  Alten  (ström.  I  16,  p.  76—80),  von  der  Lebens- 
zeit Homers  (ström.  I  21,  p.  117),  von  den  Werken  der  Orphiker  (ström. 
I  21),  von  den  Stellen  der  griechischen  Philosophen  und  Dichter,  welche 
aas  der  jüdisch-christlichen  Lehre  gestohlen  sein  sollen  (ström.  Y  14),  oder 
in  denen  dieselben  einander  selbst  bestohlen  haben  (ström.  VI  2). 

Ausgaben:  von  Sylbürg,  Heidelberg  1592,  nach  ihren  Seiten  wird  von  ans  citiert; 
von  PoTTEB,  Ozonii  1715,  in  2  Bden;  von  Dikdobf  mit  den  älteren  Kommentaren,  Oxonii 
1869,  in  4  Bden;  Texiansgabe  von  Klotz  in  der  Bibliotheca  patmm  ecclesiae  graec,  Lips. 
1831.  —  lieber  die  handschriftliche  Grundlage  (Paris.  451  Hauptcod.,  im  Auftrag  des  lärz- 
bischofs  Arethas  im  J.  914  geschrieben;  Laurent.  5,  3)  erstattet  vorläufigen  Bericht  Stahlin, 
Obs.  crit.  in  dem.  Alex.,  Erl.  1890;  von  demselben  wird  eine  neue  kritische  Ausgabe  des 
ganzen  Origenes  erwartet.  —  Ad.  Scbbck,  De  fontibus  ClementiB  Alexandrini,  Progr.  von 
St  Stephan  in  Augsburg  1889. 

682.  Origenes  ist  der  grosse  Polyhistor  der  griechischen  Kirche, 
den  schon  Hieronymus  mit  dem  römischen  Polyhistor  Varro  zusammenstellte, 
und  der  von  seinen  Zeitgenossen  wegen  seines  andauernden  Fleisses  den 
Beinamen  6  ädafidvziog  erhielt.  Er  war  185  zu  Alexandria  als  Sohn 
christlicher  Eltern  geboren  und  machte  seine  Studien  unter  der  Leitung 
des  Clemens  Alexandrinus.  Daneben  soll  er  auch  mit  dem  Neuplatoniker 
Ammonios  Sakkas  verkehrt  haben.  ^)  Zum  Lehrer  und  Gelehrten  geschaffen, 
hielt  er  nach  Clemens'  Weggang  (202)  in  Alexandria  und  später,  seit  216 
nach  dem  Blutbad,  das  Caracalla  in  Alexandrien  angerichtet  hatte,  im 
palästinischen  Cäsarea  Vorträge  und  beteiligte  sich  auch  anderwärts,  in 
Arabien,  Antiochia,^)  Athen  an  Disputationen  über  Fragen  der  Lehre  und 
der  Disziplin  der  Kirche.  Dadurch  wurde  er  in  den  Strudel  der  kirchlichen 
Streitigkeiten  gezogen  und  sogar  von  der  Synode  zu  Alexandria  exkom- 
muniziert (232).  3)  Nach  einem  bewegten  Leben  starb  er  im  Jahre  254  in 
Tyrus  bei  der  Christenverfolgung.  —  Von  den  Werken  des  Origenes  gab  der 
lateinische  Kirchenvater  Hieronymus  in  der  Vorrede  zum  Kommentar  des  Ori- 
genes über  die  Genesis  ein  Verzeichnis ,  das  zum  grossen  Teil ,  zusammen  mit 
dem  der  varronischen  Schriften,  in  einer  Handschrift  von  Arras  auf  uns  ge- 


cxeväCei  irjy  odoy  xj  ßaaiXixtoTttTn  Macxakitjc 
ttfÄijyäni]  coD^QoyiCovaa  xal  ro  rjdog  tiqo- 
Ttmovoa  xal  ngoatvfpovaa  eig  naQuSoxrjy  xrjg 
aXfi^eiag  trjy  nQoyoiay.  Wichtig  fttr  die  philo- 
sophische Auffassung  des  Clemens  sind  auch 
die  Sätze:  nXioy  de  ian  lov  matevaai  td 
yytoyai  Strom.  VI  14  p.  283,  und  dia  r^g 
yytuaewg  xeXeioviai  17  niang  tag  teXeiov  rov 
niaxov  xavxn  fioyatg  yiyyofiiyov  Strom.  VII 10 
p.  310.  Ganz  anders  sagt  schon  Basileios 
d.  Gr.  hei  Migne  30,  104  nlaxig  ijyeia&<o  xcSy 
nBQi  ^Bov  Xoytoy.  Freilich  von  einer  kon- 
sequenten Durchfuhrung  des  Vemunftprinzips 
ist  auch  hei  Clemens  keine  Rede. 

*)  80  herichtet  Porphyrios  hei  Eusehios 
Hist.  eccl.  VI  19,  7;  eine  Verwechselung  des 


christlichen  Origenes  mit  dem  gleichnamigen 
heidnischen  Schüler  des  Ammonius  vermutet 
Zblleb,  Phil.  d.  Gr.  III»  2,  459  f. 

')  Nach  Antiochia  herief  den  Origenes 
Julia  Mammaea  (Euseh.  Hist  eccl.  VI  21),;,die 
Mutter  des  nachmaligen  Kaisers  Alexander 
Severus,  und  die  Nichte  der  Julia  Domna, 
welche  den  Philostratos  zur  Abfassung  des 
Lebens  des  ApoUonios  von  Tyana  bewogen 
hatte. 

•)  Unter  anderem  warf  ihm  sein  neidi- 
scher Gegner  vor,  dass  er  sich  in  der  Jugend, 
um  den  Versuchungen  zu  entgehen,  unter 
Berufung  auf  Matth.  19,  12  Bvyoyxioay  iav- 
xovg  dtd  xYJy  ßaaiXeiay  xtoy  ovqaydiy  ent- 
mannt habe;  s.  Euseb.  h.  e.  VI  8. 


Handbuch  der  klan.  AltertunuiwiaseiiBchAft.    VII,    3.  Aafl.  57 


898  Qrieohiaoho  LitteratnrgMchiohte.    m.  Anlumg. 

kommen  ist.^)  Die  Zahl  der  Schriften  war  dadurch  ins  ungemessene  ge- 
stiegen, dass  er  nicht  bloss  selbst  rasch  mit  der  Feder  arbeitete,  sondern 
auch,  ähnlich  wie  später  der  Sophist  Libanios,  zu  seinen  Vorträgen  Steno- 
graphen zuziehen  Hess,  die  seine  gesprochenen  Worte  zu  Papier  brachten 
(Eus.  bist.  eccl.  VI  36).  Von  seinen  zahlreichen  Schriften  haben  später 
Basileios  und  Gregor  von  Nazianz  eine  Auslese  unter  dem  Namen  0ilo- 
xaXia  veranstaltet.  Diese  ist  uns  erhalten;  ausserdem  aber  auch  noch 
vieles  andere  teils  im  griechischen  Original,  teils  in  lateinischer  (von  Bu- 
finus  und  Hieronymus)  oder  syrischer  Übersetzung,  teils  endlich  auszugs- 
weise in  den  Gatenen  der  jüngeren  Bibelerklärer.  Am  bedeutendsten  ist 
Origenes  als  Bibelerklärer,  so  dass  er  von  den  Theologen  als  der  eigent- 
liche Begründer  der  gelehrten  Exegese  der  heiligen  Schriften  gepriesen 
wird.  Doch  genügt  er  auch  hier  nicht  den  strengeren  Anforderungen 
nüchterner  Methode,  zumal  er  durch  Unterscheidung  der  wörtlichen  (irw/ia- 
xixmg)  und  der  sinngemässen  (nvsviiaxixbäq)  Deutung  der  Allegorie  und 
leeren  Phantasterei  Thür  und  Thor  öffnete.  —  Das  heidnische  Altertum  und 
allgemeine  Fragen  berühren  vornehmlich  die  nur  durch  die  Exzerpte  des 
Photios  und  die  lateinische  Überarbeitung  des  Rufinus  auf  uns  gekommene 
Schrift  n€Qi  aqxiov,  von  den  Qrundlehren  des  Christentums  in  4  B.,  und 
die  acht  Bücher  gegen  Celsus  {nqoq  %ov  iTnyeyQaniAävov  Käixtov  dXrj&ij  Xoyov). 
Die  letzteren  verfasste  er  248  auf  Anregung  seines  Freundes  Ambrosius 
als  Erwiderung  auf  den  fast  100  Jahre  zuvor  erschienenen  aXr^O-i^g  Xojoc 
des  Celsus.')  Dieser  hatte  den  Ursprung  des  Christentums  aus  dem  Juden- 
tum behauptet,  den  Sätzen  der  Bibel  solche  des  Piaton  gegenübergestellt 
(Orig.  VI  1 — 22),  die  Lehre  von  der  Abstammung  und  dem  Leiden  Christi 
als  unglaubliche  Fabeln  verspottet  und  überdies  den  Christen  Mangel  an 
Patriotismus  und  Kunstsinn  vorgeworfen.  Die  Art  der  Widerlegung,  dass 
nämlich  den  Wundern  der  christlichen  Lehre  die  viel  unglaublicheren 
Wunder  der  heidnischen  Mythen  entgegengestellt  und  gegenüber  dem  For- 
schungseifer der  Gebildeten  das  Glaubensbedürfnis  des  niederen  und  unge- 
bildeten Volkes  geltend  gemacht  wird,  stösst  natürlich  die  Grundsänlen 
des  wahren  Wortes  des  heidnischen  Philosophen  nicht  um.  In  den  philo- 
sophischen Anschauungen  des  Origenes,  namentlich  in  seiner  Lehre  von 
dem  Logos  als  dem  Mittler  zwischen  Gott  und  Welt  und  von  der  Pril- 
existenz  der  mit  der  Inkorporation  aus  dem  vollkommeneren  Zustand  ge- 
fallenen Seele  zeigt  sich  ein  entschiedener  Einfluss  des  Neuplatonismus 
und  der  Logoslehre  des  Philon.»)     Infolgedessen   konnte  es  nicht  fehlen, 


')  RiTSOHL,  Opusc.  m  425  ff.    Hierosy-  |   Philo!.  Abhdl.    zu   Ehren  von   Mart  HerU, 

mns  hatte  dabei  die  Materialien  des  Eiisebios  1888   S.  197—214   zu   erweisen;    vgl.  oben 

benützt,    der   ein   besonderer  Verehrer   des  §  538.    Zwischen  Origenes  und  Celsna  be- 

Origenes  war  und  auch  eine  Sammlung  seiner  {   stand  ein  ähnliches  Verhältnis  wie  zwischen 


Briefe  veranstaltet  hatte  (Euseb.  h.  e.  VI  36). 
^)  Das  Werk  des  Celsus  ist  aus  Origenes 
rekonstruiert  von  Th.  Keim,  Celsus  wahres 
Wort,  älteste  Streitschrift  antiker  Welt- 
anschauung gegen  das  Christentum  vom  Jahre 
178  n.  Chr.,  Zürich  1873.   Dass  unser  Celsus 


Eyrill  und  Julian.  —  Ueber  das  Abfassungs- 
jahr s.  K.  J.  Neumanit,  Der  rOm.  Staat  u.  d. 
allgem.  Kirche  bis  auf  Diokletian.  Leipz.  1890, 
S.  265  flF. 

*)  J.  Denis,  De  la  philosophie  d'Orig^ne, 
Paris  1884;    Schnitzer,   Origenes   über  die 


ein  Platoniker  und  verschieden  von  dem  Epi-   i   Grundlehren  der  Glaubenswiasenschaft,  Stntt- 
kureer  Celsus  des  Lukian  war,  sucht  0.  Heine,   |   gart  1835. 


B.  Chriatliohe  Sohriftsteller.    2.  Die  KircheiiYäter.    (§  683.)  899 

dass  viele  seiner  Sätze  schon  seinen  Zeitgenossen  anstössig  erschienen  und 
später  von  der  Synode  zu  Konstantinopel  im  Jahre  543  und  dem  allge- 
meinen Konzil  des  Jahres  553  förmlich  censuriert  wurden.  —  Eine  inter- 
essante philologische  Arbeit  lieferte  unser  Kirchenvater  in  den  sogen. 
Hexapla,  in  welchen  er  in  sechs  Kolumnen  die  griechische  Übersetzung 
der  Septuaginta  mit  zwei  hebräischen  Originaltexten  und  drei  anderen 
Übersetzungen  (des  Aquila,  des  Symmachus  und  Theodotion)  zusammen- 
stellte und  mit  kritischem  Urteil  Fehler  der  Septuaginta  teils  durch  kri- 
tische Zeichen  anmerkte,  teils  direkt  auskorrigierte.  Diese  Erstlingsarbeit 
biblischer  Kritik  hat  auf  die  Textgestaltung  der  Septuaginta  weittragen- 
den Einfluss  geübt.  1)  —  Von  den  verloren  gegangenen  Schriften  des  viel- 
schreibenden Autors  verdienen  noch  besondere  Erwähnung  die  zehn  Bücher 
ffr^fiara,  in  denen  er,  ähnlich  wie  sein  Lehrer  Clemens  von  Alexandrien 
in  den  (jTQWfiaTeTg^  die  christliche  Lehre  mit  den  Sätzen  der  alten  Philo- 
sophen, des  Plato,  Aristoteles,  Numenius  und  Gomutus   zusammenstellte. 

Gesamiansgabe:  OrigeniB  opera  omnia  ed.  C.  de  la  Rue,  Paris  1738 -—59,  4  vol.  foL; 
wiederholt  und  vermelirt  von  Mignb  t.  XI — XVU.  —  Spezialansgabe  der  Schrift  gegen  Celsus 
von  HoBSCHBL,  Augsb.  1605;  mit  lat.  üebers.  und  Noten  von  Spenobb,  2.  Aufl.,  Cantabr.  1677; 
neue  Ausg.  in  Vorbereitung  von  Koetschau;  vgl.  dessen  Abhandl.,  Die  Textesttberlieferung 
des  Origenes  gegen  Celsus  in  den  Handschriften  dieses  Werkes  und  der  Philokalia,  Leipz. 
1889,  in  Gbbhasdt-Harnaok,  Texte  und  Unters.  Bd  VI,  H.  1.  —  Origenis  de  principiis  ed. 
Rbobfbnnino,  Lips.  1836.  —  Philocalia  ed.  Robinson,  Cambridge  1898.  —  Uebersetzungen 
ins  Lateinische  von  Ruflnus  (gest.  410)  zusammengestellt  bei  Mione  XXI  37  If.  —  Ueber 
die  frflher  fälschlich  dem  Origenes  zugeschriebenen  ^iXoaotpovueya  s.  §  679. 

688.  Nachfolger  des  Origenes  an  der  Katechetenschule  Alexandriens 
war  in  zweiter  Folge  Dionysios  (248—264/5),  der  in  einer  philosophi- 
schen Schrift  TtsQl  ifvaewg,  von  welcher  uns  sein  Verehrer  Eusebios,  praep. 
ev.  14,  23 — 7  ein  umfangreiches  Stück  erhalten  hat,  den  epikureischen 
Atomismus  bekämpfte.  Derselbe  behandelte  ausserdem  in  zahlreichen 
Briefen  Fragen  der  christlichen  Glaubenslehre.  Viele  dieser  Briefe  hat 
Eusebios  in  seine  Kirchengeschichte  aufgenommen;  sie  zeugen  von  den 
grossen  formalen  Fortschritten,  welche  inzwischen  die  christlichen  Schrift- 
steller in  den  Schulen  der  Rhetoren  und  Sophisten  gemacht  hatten. 

Schüler  des  Origenes  war  auch  Gregorius  der  Wunderthäter 
{^avfiatovgydg),  gestorben  als  Bischof  von  Neocäsarea  in  Pontus  um  270. 
Seinem  geliebten  Lehrer  hat  er  eine  uns  erhaltene  Lobrede  gewidmet 
[slg  ^Qqiyävifpf  7iQO(f(f(ovrjTix6g  xai  navrjyvQixog  ^oyog),  in  welche  er  auch  die 
Schilderung  seines  eigenen  Bildungsganges  einflocht.  Zu  dieser  Bede  und 
anderen  kleineren  dogmatischen  Schriften  sind  neuerdings  noch  Homilien 
aus  einer  syrischen  Übersetzung  gekommen. 

In  die  Fusstapfen  des  Origenes  trat  in  der  Exegese  und  Lehre  Di- 
dymos  der  Blinde  aus  Alexandria,  angesehener  Vorstand  der  Katecheten- 
schule in  Konstantinopel  (gest.  395).  Den  Beinamen  des  Blinden  hatte 
er  davon,  dass  er  in  früher  Jugend,  im  fünften  Lebensjahr,  das  Augenlicht 
verlor  und  nun  nach  den  Worten  des  Rufinus  Hist.  eccl.  II  7  quod  aliis 
Visus  hoc  Uli  conferebat  auditus.    Mit  seinem  grossen  Lehrmeister  Origenes 


^)  Die  Ueberiaragung  der  hexaplasischen 
Recension  ins  Syrische  mitsamt  den  Obelen 
und  Asterisken  findet  sich  in  einem  Codex 


der  Ambrosiana  in  Mailand  und  ist  photo- 
typographisch vervielfältigt  von  Cbriant,  Mai- 
land 1872. 

57* 


900  Gkieohiaohe  litteratnrgesoliiolite.    in.  AnhAiig. 

teilte  er  das  Geschick,  dass  über  seine  Lehrsätze  das  Konzil  von  553  das 
Anathema  aussprach.  —  Gleichfalls  als  Origenist  ward  verdächtigt  Euag- 
rios  Pontikos  (gest.  um  400),  von  dessen  Schriften  nur  dürftige 
Reste  sich  erhalten  haben. 

Simon  de  Magi8tbi8,  S.  Dionysü  Alexandrini  quae  sapersunt,  Romae  1796.  Neaere 
Bereicherungen  verzeichnet  Bardbnhsweb  Patrol.  165  f.  -  Die  Schriften  des  Grregorios 
Thaumatnrgos  bei  Migne  X  963—1232;  dazu  Babdehhbweh  PatroL  170.  —  Die  erhaltenen 
Schriften  des  Didjrmos  bei  Migne  XXXIX;  eine  lateinische  Uebersetzung  des  Baches  Tk 
spiritu  sancto  von  Hieronymus. 

684.  Eusebius  Pamphili,  so  benannt  von  seinem  geistigen  Nähr- 
vater Pamphilos,  stammte  aus  Palästina.  Bei  der  Ghristenverfolgung  des 
Jahres  309  war  er  nach  Ägypten  geflüchtet;  später  aber  nach  Herstellung 
des  kirchlichen  Friedens  ward  er  auf  den  Bischofsstuhl  von  Gäsarea  in 
Palästina  erhoben,  den  er  von  314  bis  zu  seinem  Ende,  340,  inne  hatte. 
In  den  gehässigen  Streitigkeiten  der  Arianer  und  Athanasianer  über  die 
Trinität  ward  ihm  eine  schwankende  Halbheit  zur  Last  gelegt,  die  aus 
seiner  Abneigung  gegen  dogmatische  Zänkereien  und  aus  seinen  vertrauten 
Beziehungen  zum  kaiserlichen  Hofe  entsprang.  In  der  christlichen  Litte- 
ratur  nimmt  er  eine  hervorragende  Stelle  ein,  wenn  auch  seine  umfang- 
reichen Werke  mehr  auf  Kompilation  als  feinem  Urteil  und  kritischem 
Quellenstudium  beruhen.  Die  Hauptwerke  des  Eusebius  sind,  abgesehen 
von  den  unten  zu  besprechenden  historischen  Schriften  und  der  schon  oben 
§  526  berührten  Streitschrift  gegen  Hierokles,  llQOTtaQaaxevT]  {Praeparatio 
evangelica)  in  15  B.  und  die  daran  sich  anschliessende  EvayyeXixi]  aTtoist^ic 
(Demonstratio  evangelica),  die  ehedem  mindestens  auch  15  B.  umfasste,  von 
der  aber  nur  10  auf  uns  gekommen  sind.  In  der  zweiten  Schrift  wird 
die  Vorausverkündigung  des  Herrn  aus  den  Schriften  des  alten  Testamentes 
nachgewiesen,  in  der  ersteren  wurden  die  Irrtümer  der  heidnischen  Philo- 
sophie, insbesondere  der  griechischen,  widerlegt,  um  auf  solche  Weise  den 
Übertritt  der  Heiden  und  Juden  zum  Christentum  zu  rechtfertigen.  In 
diesem  Sinne  bringt  der  Kirchenvater  eine  Menge  von  Stellen  griechischer 
Philosophen  und  Dichter  zur  Besprechung.  Dabei  zeigt  er  aber  keine 
Kenntnis  der  grossen  Autoren  selbst  und  ist  kritiklos  genug,  viele  falsche 
Stellen  heranzuziehen,  welche  der  fromme  Betrug  den  griechischen  Geistes- 
heroen angedichtet  hatte,  um  dieselben  als  Zeugen  der  monotheistischen 
Gotteslehre  anführen  zu  können.  Statt  der  Originalwerke  dienten  dem 
Eusebius  als  hauptsächlichste  Quellen  Clemens  von  Alexandria,  Porphyrios, 
Alexander  Polyhistor,  i)  Von  den  zahlreichen  Kommentaren  und  dogmatischen 
Streitschriften  des  Kirchenvaters  ist  das  meiste  verloren  gegangen  oder 
ruht  noch  ungedruckt  in  den  Bibliotheken.  Nähere  Nachweise  bei  Harnack 
Altchr.  Lit.  I  572  flf. 

Eusebios'  sämtliche  Werke  bei  Migne  XIX— XXIV.  —  Eusebü  Praep.  evang.  ed. 
G AISFORD,  OxoD.  1843;  Prodromus  einer  neuen  kritischen  Ausgabe  von  Heikel,  De  praep. 
evang.  Eusebü  edendae  ratione,  Helsingfors  1888.  —  Eusebii  opera  (praep.  ev.,  demonstr.  ev., 
bist,  eccl.)  ed.  G.  Dindorp,  1867—71,  4  Bde  in  Bibl.  Teubn. 


*)  Vgl.  Frküdbnthal,  Hell.  Stud.  I  3-10. 


B.  Ghriatliohe  Schriftsteller.    S.  Die  EirohenTäter.    (§§  684—685.)         901 

Die  rhetorigierenden  KirchenTäter  des  4.  Jahrhanderts. 

686.  Nachdem  das  Christentum  zur  Staatsreligion  erhoben  war  und 
die  kirchliche  Lehre  in  bestimmten  Glaubenssätzen  sich  konsolidiert  hatte, 
nahm  die  christliche  Litteratur  eine  andere  Richtung.  Der  apologetische 
Charakter  und  die  Bekämpfung  des  heidnischen  Altertums  traten  zurück, 
das  Streben,  sich  den  Meistern  der  hellenischen  Litteratur  in  Gewandtheit 
des  Ausdrucks  und  der  Dialektik  ebenbürtig  zu  zeigen,  überwog.  Wie  die 
gleichzeitigen  Rhetoren  und  Sophisten,  so  verschmähten  auch  die  kirch- 
lichen Schriftsteller  dieser  Richtung  die  Exaktheit  der  Gelehrsamkeit  und 
ergingen  sich  dafür  um  so  mehr  in  pathetischen  Deklamationen.^)  Dem 
ungeheueren  Ansehen,  in  dem  sie,  voran  die  drei  Eappadokier,  bei  ihren 
Zeit-  und  Glaubensgenossen  standen,  entspricht  nicht  der  innere  Wert 
ihrer  Schriften.  Wir  können  uns  mit  einer  kurzen  Erwähnung  um  so 
mehr  begnügen,  als  wir  aus  ihnen  ausserordentlich  wenig  für  unseren 
nächsten  Zweck,  die  Erkenntnis  des  klassischen  Altertums,  lernen. 

Basileios  der  Grosse  (um  330—379)  war  Sohn  eines  Rhetors  in 
Neocäsarea  in  Pontus  und  erhielt  seine  Bildung  an  den  Rhetorenschulen 
erst  seiner  Heimat,  dann  von  Eonstantinopel  und  Athen.  In  letzter  Stadt 
kam  er  mit  Gregor  von  Nazianz  zusammen,  mit  dem  er  fürs  ganze  Leben 
einen  Bund  inniger  Freundschaft  schloss.  In  seine  Heimat  zurückgekehrt, 
trat  er  zuerst  als  Rhetor  auf,  Hess  sich  aber  bald  darauf  taufen,  um  z  u- 
nächst  in  der  Einöde  bei  Cäsarea  in  Gemeinschaft  mit  anderen  gleich- 
strebenden Männern  das  zurückgezogene  Leben  eines  Eoinobiten  (nicht 
Anachoreten)  zu  führen.  Später  von  dem  Metropoliten  Eusebios  nach  Cä- 
sarea gezogen,  um  ihn  in  der  Verwaltung  der  Diözese  zu  unterstützen, 
wurde  er  nach  dessen  Tod  (370)  selbst  auf  den  bischöflichen  Stuhl  von 
Cäsarea  erhoben,  in  welch  hervorragender  Stellung  er  als  entschiedener 
Verteidiger  des  orthodoxen  Glaubens  gegen  die  häretischen  Arianer  bis 
zu  seinem  Tode  (377)  erfolgreich  wirkte.  —  Die  grosse  Bedeutung  des 
Basileios,  die  ihm  schon  zu  seinen  Lebzeiten  den  Beinamen  des  Grossen 
verschaffte,  bestand  wesentlich  darin,  dass  er  die  rechte  Glaubenslehre 
(Orthodoxie),  wie  sie  Athanasios  begründet  hatte,  durch  Schrift  und 
Eorchenordnung  befestigte.  Durch  Einführung  eines  bis  ins  Einzelne  ge- 
regelten Gottesdienstes  {Isnovgy^'^)  und  durch  Aufstellung  von  bestimmten 
Ordensregeln  (ogoi,  regulae)  gab  er  dem  kirchlichen  Leben  der  orthodoxen 
Kirche  diejenigen  Formen,  welche  sie  im  wesentlichen  bis  auf  den  heutigen 
Tag  bewahrt  hat.  Die  dogmatischen  Streitschriften  über  die  Trinitäts- 
lehre,  die  Schriften  über  das  Mönchsleben  {acxijTixa)  und  die  Liturgie 
bilden  auch  den  Grundstock  der  hinterlassenen  Werke  des  Basileios,  in 
welche  sich  indes  viele  unechte,  den  Namen  des  grossen  Kirchenlehrers 
erheuchelnde  Zuthaten  eingeschlichen  haben.  Von  grösserem  allgemeineren 
Interesse  sind  die  Homilien,  74  an  der  Zahl,  und  die  Briefe,  365,  mit 
deren  Sammlung  bereits  Gregor  von  Nazianz  (s.  ep.  53)  begonnen  hatte, 
unter  den  Homilien,  welche  teils  dogmatische,  teils  ethische  Gegenstände 


1)  Ihre    Reden    wurden    durch    Tachy-  {   worfiber  Gregor  Naz.  or.  42,  26  p.  767  C;  vgl 
graphen    in    den    Kirchen   nachgeschrieben,  |  über  die  Stenographen  des  Origenes  §  682. 


902  Grieohuioho  Litteratiirgeschiolite.    in.  Anhang. 

behandeln,  ragt  hervor  die  Rede  an  die  studierende  Jugend  über  den 
aus  der  Lektüre  der  klassischen  Autoren  zu  ziehenden  Gewinn  {loyog 
TiQog  rovg  veovg  oncog  äv  «f  ^Ekkr^vixuiv  (i(p€loTvTO  loycov).  Von  der  Philo- 
calia,  einer  Auswahl  aus  den  Schriften  des  Origenes,  welche  er  mit  Gregor 
von  Nazianz  gemeinsam  besorgte,  war  bereits  oben  die  Bede. 

Gesamtwerke  in  der  Benedikimerausgabe  besorgt  von  Garnier  1721,  wiederholt  1889, 
3  Bde;  bei  Migne  t.  29—32;  über  neuere  Nachträge  zu  den  Gesamtausgaben  und  über  die 
Uebersetznngen  einzelner  Werke  des  Basileios  ins  Lateinische  durch  Rufinus,  ins  Syrische, 
Armenische  und  Koptische  Bardmnhewee,  Patrol.  26]  f.  —  ^»ezialausgabe  der  Rede  an  die 
Jünglinge  über  den  Gebrauch  der  heidnischen  Schriften  von  Lotholz,  Jena  1857 ;  von  Wak- 
dingrr,  München  1858;  Sommer,  Paris  1894.  —  Erabikger,  Basilius  d.  Gr.  auserlesene 
Homilien,  Uebersetzung  von  14  Homilien  mit  kritischen  Erläuterungen,  Landshut  1839. 
Alb.  Jahn,  Basilius  M.  platonizans,  Bern  1838. 

686.  Gregorios  von  Nyssa,  jüngerer  Bruder  des  Basileios,  war 
gleichfalls  anfangs  Rhetor,  liess  sich  aber  später  von  Gregor  von  Nazianz 
zu  dem  höheren  Dienste  eines  Priesters  der  Kirche  bestimmen.  Im  Jahr 
371  zum  Bischof  von  Nyssa,  einer  kleinen  Stadt  Eappadokiens,  erhoben, 
ward  er  375  in  den  Streitigkeiten  der  Arianer  und  Athanasianer  durch 
eine  unter  dem  Einfluss  des  Statthalters  Demetrios  stehende,  zum  Arianis- 
mus  hinneigende  Synode  abgesetzt.  Später  nach  dem  Tode  des  Kaisers 
Valens  (378)  durch  Theodosios  wieder  zu  Ehre  und  Würde  gebracht, 
starb  er  nach  thatenreichem  Leben  um  394.  —  In  der  Litteratur  hat  er 
die  zweifelhafte  Ehre,  ein  sehr  fruchtbarer  Schriftsteller  auf  sehr  unfrucht- 
barem Boden  zu  sein.  Denn  in  den  zahlreichen  exegetischen  und  dog- 
matischen Schriften  sucht  er  teils  durch  allegorische  Deutungskünste  den 
einfachen  Erzählungen  der  Schrift  ethische  Absichten  unterzulegen,  teils 
durch  gewundene  Argumentation  die  metaphysischen  Sätze  der  orthodoxen 
Trinitätslebre  aus  den  schlichten  Berichten  der  Evangelien  herauszulesen. 
Unter  den  dogmatischen  Schriften  sind  besonders  namhaft  der  x^ty^xi^- 
rixog  loyog  und  die  umfangreiche  Entgegnung  (12  B.)  auf  die  Recht- 
fertigungsschrift des  Arianers  Eunomios  {TiQog  Evvofiiov  ävzig^/tixog  loyog). 
Ein  dauernderes  Interesse  gewähren  seine  Homilien  und  Briefe.  Diese 
beiden  Formen  des  schriftstellerischen  Verkehrs  waren  damals  bei  Christen 
und  Heiden  so  ausserordentlich  beliebt,  weil  man  durch  sie  am  leichtesten 
ohne  tiefe  Forschung  über  die  Dinge  und  Gedanken,  welche  die  Zeit  be- 
wegten, sich  aussprechen  konnte.  Die  Homilien  und  Briefe  des  Oregorios 
stehen  zwar  an  Zahl  und  Gehalt  denen  seines  thatkräftigeren  Bruders 
nach,  sind  aber  doch  von  mannigfacher  Bedeutung  für  die  Kenntnis  der 
kirchlichen  und  sozialen  Verhältnisse  jener  Zeit,  wie  die  gegen  die  Wu- 
cherer {xazd  T<ov  Toxi^ovKov)^  an  diejenigen,  welche  das  Taufen  hinaus- 
schieben (nQog  tovg  ßQadvvovxag  slg  iro  ßamiffiia)^  über  die  Wallfahrer  nach 
Jerusalem  {nBqi  toov  äniovrfüv  eig  ^IsQOiTolvfid),  Interessant  sind  auch  die 
Lebensbeschreibungen  seiner  Schwester  Makrina  und  des  Wunderthäters 
Gregorios,  sowie  die  apologetische  Schrift  ngog  "EXlrit'ag  ix  lon-  xwvmv 
ivvomv,  und  der  Dialog  negl  ipvxrjg  xal  avaa%aa€iag,  in  welchem  der  Ver- 
fasser seine  Schwester  Makrina  auf  dem  Sterbelager  die  christlichen  An- 
schauungen von  der  Wiederauferstehung  und  dem  Wiedersehen  nach  dem 
Tode  entwickeln  lässt. 


B.  ChriflUiolie  Sehriftateller.    2.  Die  Kirohonyater. 


f  686-687.)         903 


Gesamtwerke  bei  Migne  t  44 — 46;  eine  neue  Bearbeiiong  haben  begonnen,  aber 
nicht  ausgefOhrt  Fobbbs,  Burntisland  1855,  und  Oehleb,  Halle  1865.  —  Speziidausgabe  des 
Dialogs  neQt  tpvxfjs  xai  dyaataaetog  von  Krabingbr,  laps.  1837,  Xoyog  xaxtjxv^i'Xog  von 
demselben,  München  1838,  tibqI  svxrjs  von  demselben,  Landshufc  1840.  Zur  Schrift  über 
Moses  Papvmsfragmente  aus  Faijum  veröffentlicht  von  Landwehr  Philol.  XLIY  (1885) 
7 — 19.  —  J.  Baubb,  die  Trostreden  des  Gregorius  von  Nyssa  in  ihrem  Verbfiltnis  zur 
antiken  Rhetorik,  Marburg  1892. 

Mit  den  Homilien  des  Gregor  von  Nyssa  berühren  sich  und  wurden  teilweise  mit 
ihnen  konfimdiert  die  Homilien  (21)  des  hl.  Aster ios,  der  Metropolit  von  Amasia  in  Pontus 
gegen  Ende  des  4.  Jahrhunderts  war. 

687.  Gregorios  von  Nazianz  (um  330—390),  o  d^eoloyog  genannt,i) 
erhielt  seine  Ausbildung  anfangs  in  Cäsarea,  später  in  Alexandria  und 
Athen,  in  welch  letzterer  Stadt  er  mit  Basileios  Freundschaft  för's  Leben 
schloss.  Wie  jener,  so  Hess  auch  er  sich  erst  nachdem  er  in  seine  Heimat 
zurückgekehrt  war  (360),  taufen,  um  dann  zunächst  seiner  Neigung  zur 
beschaulichen  Askese  nachzugehen.  Aus  der  stillen  Zurückgezogenheit, 
wohin  ihn  nebst  der  Liebe  zur  religiösen  Betrachtung  sein  poetischer 
Natursinn  zog,  durch  das  Drängen  der  Freunde  herausgerissen,  verwaltete 
er  seit  372  anfangs  als  Eoadjutor  seines  greisen  Vaters,  dann  in  selb- 
ständiger Stellung  das  Bistum  Nazianz  in  Eappadokien.  Unter  Theodosios 
auf  den  Patriarchenstuhl  von  Konstantinopel  berufen  (380),  verliess  er 
bald  wieder,  des  kirchlichen  Haders  überdrüssig,  Konstantinopel,  um  von 
neuem  in  stiller  Einsamkeit  der  asketischen  Übung  und  der  litterarischen 
Müsse  zu  leben.  Auf  seinem  heimatlichen  Landgut  Arianz  verschied  er  um 
390.  —  Die  Stärke  unseres  Gregor  von  Nazianz  bestand  in  der  rhetorischen 
Kunst  und  formalen  Gewandtheit:  mit  leichter  Feder  schrieb  er  gleich 
gut  in  Prosa  und  Vers;  auch  seine  Prosa  hatte  durch  die  Kühnheit  der 
Bildersprache  und  die  starke  Anwendung  der  Redefiguren  einen  poetischen 
Anflug.*)  Hinterlassen  hat  er  Reden  (45),  Briefe  (242)  und  Gedichte. 
Von  seinen  Reden  oder  Homilien  standen  die  56  Reden  (27 — 31),  in  denen 
er  die  Trinitätslehre  der  orthodoxen  Kirche  auseinandersetzt  (o*  ttsqI  &€<h 
Xoytag  koyoi),  und  die  ihm  den  Beinamen  des  Theologen  eintrugen,  in  be- 
sonderem Ansehen.  Für  uns  sind  anziehender  als  diese  dogmatischen 
Reden  die  historischen,  in  denen  er  Zeitverhältnisse  und  einflussreiche 
Persönlichkeiten  darstellt,  wie  insbesondere  die  Lobrede  auf  Basileios  und 
die  zwei  Verdammungsreden  {arrjkiTsvTixoi  Xoyoi)  auf  Julian.  In  den 
letzteren  verfolgte  er  mit  grimmem  Hass  das  Andenken  des  Kaisers, 
welcher  den  Christen  dadurch,  dass  er  ihnen  den  Zutritt  zu  den  Bildungs- 
stätten wehrte,  mehr  als  andere  durch  blutige  Verfolgungen  geschadet 
hatte.  Die  Briefe  stammen  fast  alle  aus  der  Zeit,  in  der  sich  Gregor 
von  der  Bühne  des  öffentlichen  Lebens  der  Kirche  zurückgezogen  hatte; 
mehrere  derselben,  besonders  der  30.,  sind  wichtig  für  die  Zeitgeschichte 
und  die  Stellung  der  Christen  zur  heidnischen  Litteratur.^)  Aus  seinen 
Gedichten  spricht  wahre  Naturempfindung  und  tiefe,  von  philosophischem 
Geiste   erleuchtete  Religiosität,   wodurch    er  sich   weit   über   die   leeren 


>)  Ullmann,  Gregorins  von  Nazianz,  2. 
Aofl.,  Gotha  1867. 

')  NoBDBVjDie  antike  Eonstprosa,  S.  562  ff. 

s)  Der  Üieologische  Brief  (Nr.  243)  ngdg 
KvdyQioy  fioya^oy  ns^i  ^Boxi^xog^   von   dem 


nns  auch  eine  syrische  üehersetzimg  erhalten 
ist,  wird  von  anderen  dem  Gregorios  von  Neo- 
cfisarea  zugeschrieben,  worüber  J.  Dbasekb, 
Patristische  Untersuchungen  S.  103—8. 


904 


Griechische  Litteratnrgeachichte.    IIL  Anhang, 


Tiraden  und  kalten  Tändeleien  seiner  Zeitgenossen  erhebt.  Durch  seinen 
Inhalt  erregt  als  biographische  Quelle  ein  besonderes  Interesse  das  lange,  an 
2000  Verse  umfassende  Gedicht  über  sein  Leben.  Viel  gelesen  und  nach- 
geahmt wurden  wegen  ihres  ethischen  Oehaltes  die  Tetrasticha  {yviofuxa 
rsTQtiauxce),  die  den  Monosticha  des  Menander  verwandt  sind  und  davon  ihren 
Namen  haben,  dass  sie  in  je  vier  Versen  (iarabischen  Trimetem)  eine 
Lebensregel  oder  Sentenz  darlegen.  Der  grösste  Teil  der  Gedichte  ist 
nach  den  Gesetzen  der  alten  Prosodie,  in  Hexametern,  Distichen,  Jamben, 
und  Anakreonteen,  abgefasst;^)  zwei,  ein  Abendlied  (vfirog  ianeQirog)  und 
eine  Mahnung  zur  Jungfräulichkeit  {ngog  naQ&ävov  na^atverixog)  folgen 
den  neuen  Gesetzen  der  rhythmischen  Poesie.  Eine  Auswahl  von  Epi- 
grammen auf  seinen  Freund  Basileios,  seine  Mutter  Nonna,  seinen  Bruder 
Eaisarios  u.  a.  hat  Aufiiahme  in  die  griechische  Anthologie  (Buch  8)  ge- 
funden. Fälschlich  hat  man  ihm  auch  die  mittelalterliche  Tragödie  Xgiciog 
7idax(jov  beigelegt.*)  —  Die  Werke  des  formgewandten  Kirchenvaters  erfreuten 
sich  im  byzantinischen  Mittelalter  eines  besonderen  Ansehens,  so  dass 
ihnen  auch  die  Ehre  zu  Teil  wurde,  durch  exegetische  Kommentare  er- 
läutert zu  werden.  Schon  im  6.  Jahrhundert  schrieb  Nonnos  abbas  Scholien 
zu  den  Reden;  ihm  folgten  die  Kommentatoren  Elias  von  Kreta  (um  900), 
Basilius  Minimus,  Maximus  Gonfessor,  Niketas  von  Serrä,  Georgios  Akro- 
polites.  Die  Gedichte  versah  mit  Kommentaren  der  berühmte  Melode 
Kosmas  von  Jerusalem.^) 

Gesamtausgabe  der  Werke  Gregors  von  Nasdanz  durch  die  Mauriner  in  2  B&nden 
1778—1840;  bei  Mignb  t.  85—38.  —  E.  Dronkb,  Gregorii  Naz.  carm.  selecta,  Gdtt.  1840.  — 
Die  rbyihmiscben  Gedicbte  am  besten  bei  W.  Mbybb,  Anfang  und  Ursprung  der  lat  und 
griech.  rhythmischen  Poesie,  in  Abhdl.  d.  b.  Ak.  1885  S.  400  ff,;  dazu  Hanssbn  Philol.  44« 
133  ff.  —  Ein  Auszug,  den  Gregor  von  den  logischen  Schriften  des  Aristoteles  machte,  ist 
noch  ungedruckt,  s.  Pbantl,  Gesch.  d.  Log.  I  667. 

Die  Scholien  sind  zum  grossen  Teil  gedruckt  bei  Mione  t  36  u.  38;  neue  veröffent- 
lichte ans  florentinischen  Handschrift  Piogolomini  in  Annal.  delle  Univers.  Toscane  XVl 
(1879),  und  Norden,  Scholia  in  Gregorii  Nazianzeni  orationes  inedita,  Herm.  XXYIII  (1892) 
606  ff.  —  Uebersetäsung  von  10  Reden  ins  Lateinische  von  Rufinus. 

688.  Johannes  Chrysostomos  (347  oder  344—407)*)  war  ein 
Syrer  von  Geburt  und  hörte  in  seiner  Vaterstadt  Antiochia  den  Rhetor 
Libanios,  der  seiner  rednerischen  Begabung  auch  noch,  nachdem  derselbe 
zum  Christentum  übergetreten  war,  das  glänzendste  Zeugnis  ausstellte.^) 
Durch  den  Bischof  Meletios  von  Antiochia  in  die  christliche  Lehre  einge- 
führt und  getauft,  gab  er  die  Stellung  eines  Sach Verwalters  auf  und 
wandte  sich  anfangs  einem  beschaulichen  Leben  zu.  Dann  zum  Priester 
geweiht,  nachdem  er  zuvor  den  Versuch  gemacht  hatte,  sich  durch  Flucht 
der  Priesterweihe  zu  entziehen,  spielte  er  als  hinreissender  Eanzelredner, 
namentlich  in  der  Zeit  des  Aufruhrs  und  der  Zerstörung  der  kaiserlichen 


^)  Stoppbl,  Quaestiones  de  Gregorii  Naz. 
poetarum  scen.  imitatore  et  arte  metr.,  Ro- 
stock 1881.  Nach  dem  Muster  des  Gregor 
hat  im  Mittelalter  Ignatius  die  äsopischen 
Fabeln  in  Tetrasticha  gebracht. 

*)  Siebe  darüber  Braxbs  in  seiner  Aus- 
gabe der  Tragödie,  Leipz.  1885.  Dass  Gregor 
in  seinen  echten  Gedichten  viele  Floskehi  den 
früheren   Dichtem,   wie  selbst  dem  Empe- 


dokles,  entlehnte  tuid  anderseits  dem  Nonnos 
Vorbild  war,  zeigt  Ludwich,  Nachahmer  und 
Vorbilder  des  Gregor  von  Nazianz,  Rh.  M. 
XULI  (1887)  233  ff. 

>)  Näheres  in  EBUHBAcasB  Byz.  lit^ 
137  f.  und  680. 

^)  Nbandbb,  Der  b.  JoL  Chrysostomas, 
3.  Aufl.,  Berl.  1848. 

B)  Siehe  oben  §  599. 


B.  Chriatlioho  Schriftsteller.    2,  Die  KircheiiYäter.    (§  688.)  905 

Bildsäulen  (387),  eine  grosse  Rolle  in  Antiochia.  Später  im  Jahre  397 
ward  er  zum  Patriarchen  von  Konstantinopel  erkoren,  musste  aber  404 
den  Anfeindungen  der  Gegenpartei  und  der  Missgunst  des  Kaisers  Arka- 
dios  und  dessen  Gemahlin  Eudoxia  weichen;  er  starb,  nachdem  er 
zum  zweitenmal  den  Wanderstab  hatte  ergreifen  müssen,  in  der  Ver- 
bannung 407.  Unter  dem  Patriarchen  Proklos  im  Jahre  438  wurden 
seine  Gebeine  als  die  eines  Heiligen  nach  Konstantinopel  zurück- 
gebracht und  in  der  Apostelkirche  beigesetzt.  —  Johannes  war  der 
grösste  Kirchenredner  der  Griechen;  zu  seinem  Preise  ergingen  sich  die 
Zeitgenossen  und  die  nachfolgenden  Geschlechter  in  überschwenglichen 
Ausdrücken;  einer  der  Ehrennamen,  die  man  ihm  beilegte,  XQvaoatoiioQ 
„Goldmund",  hat  sich  erhalten  und  hat  seit  dem  6.  Jahrhundert  geradezu 
die  Bedeutung  eines  Eigennamens  angenommen.  Dadurch,  dass  er  die 
Laufbahn  eines  griechischen  Rhetors  aufgab,  und  sich  dem  Dienste  der 
christlichen  Kirche  weihte,  hat  er  für  seine  Beredsamkeit,  namentlich  nach- 
dem er  zum  Patriarchen  der  Reichshauptstadt  erhoben  worden  war,  einen 
ungleich  grösseren  Wirkungskreis  erlangt.  Die  Kanzel  der  Patriarchen- 
kirche in  Konstantinopel  hatte  damals  keine  geringere  Bedeutung  wie  ehe- 
dem die  Rednerbühne  des  athenischen  Marktes.  Und  Johannes  benutzte 
sie  nicht  bloss,  um  die  Gläubigen  über  den  Sinn  der  heiligen  Schriften  zu 
belehren  und  dieselben  zu  gottesfürchtigem  Leben  anzuhalten,  er  zog  auch 
in  seinem  heiligen  Eifer  die  Ereignisse  des  Tages  in  den  Kreis  seiner 
Kanzelreden  und  scheute  sich  nicht,  gegen  die  Habgier  des  allmächtigen 
Eunuchen  Eutropios  und  nach  dessen  Sturz  selbst  gegen  die  Kaiserin  und 
deren  eitle  Prunksucht  zu  Felde  zu  ziehen.  Der  kühne  Sittenprediger  zog 
zwar  in  jenem  Kampf  zwischen  Imperium  und  Sacerdotium  den  Kürzeren, 
indem  die  weltlichen  Machthaber  in  kluger  Politik  gegen  den  unbequemen 
Kirchenfürsten  seine  geistlichen  Rivalen  und  namentlich  den  Patriarchen 
von  Alexandria,  Theophilos,  aufriefen;  aber  immerhin  gab  der  sittliche  Mut 
und  das  Hineingreifen  in  das  wirkliche  Leben  den  Reden  des  Johannes 
ein  ganz  anderes  Relief  als  den  Deklamationen  der  Sophisten  über  abge- 
droschene Schulthemata.  —  Hinterlassen  hat  Johannes  viele  Hunderte  von 
Homilien  und  zahlreiche  Briefe;  die  meisten  Homilien  sind  Predigten  über 
Stellen  des  alten  und  neuen  Testamentes;  auf  die  Zeitgeschichte  beziehen 
sich  die  Reden  über  die  Zerstörung  der  kaiserlichen  Standbilder,  die  zwei 
Reden  gegen  Eutrop,  nachdem  derselbe  gestürzt  war  und  an  dem  Altar 
der  Kirche  Schutz  suchte,  die  Reden  vor  und  nach  seiner  ersten  Verban- 
nung. Von  seinen  Reden  auf  kirchliche  Festtage^)  und  Institutionen  der 
Kirche  sind  am  berühmtesten  die  noch  in  Antiochien  gehaltenen  sechs 
Reden  über  die  Würde  und  Bürde  des  Priesteramtes  (n€Qi  IsQiaainvfi), 

Gesamtausgabe  von  Saviles,  8  Bde.,  Eton  1612.  —  Montfaucon,  13  Bde.,  Paris 
1718—38;  von  Mignb  t.  47—54.  Opera  selecta  ed.  Dübvsb,  Par.  1861.  —  Spezialausgabe 
nBQi  UQWüvyrjs  von  Bekoel,  Stuttgart  1725;  von  Seltmann,  Paderborn  1887.  —  Auswahl 
VCD  Matthat,  Novae  ex  Joanne  Gluysostomo  eclogae  LH,  Moskau-Leipzig  1807.  —  Ueber 
neue  Bereicherungen  und  über  Schoben  Babdemheweb  PatroL  327. 


^)  Die  Zeit  der  einzelnen  Reden  hellt  auf  Usbkeb,  ReligionsgeschichÜ.  Untersuchungen 
I  227  ff. 


906  Grieohische  latteraiiirgesoliiohte.    HL  Anhang. 

Mit  Johannes  Chrysostomos  war  Schüler  des  Rhetors  Libanios  Theo- 
doros  von  Mopsuestia,  so  zubenannt  von  der  Stadt  Mopsuestia  in  Kili- 
kien,  wo  er  36  Jahre  lang  Bischof  war.  Wie  Johannes  so  hat  auch 
Theodoros  sich  erst  in  spateren  Jahren  taufen  lassen;  aber  die  Richtung 
seiner  Thätigkeit  war  eine  andere:  er  wandte  sich  vorzüglich  der  Exegese 
zu  und  übte  dieselbe  in  selbständigem  kritischen  Geiste.  Das  meiste  von 
ihm  ist  nur  durch  syrische  Übersetzungen  auf  uns  gekommen;  in  beson- 
derem Ansehen  stand  er  bei  den  Nestorianern,  welche  ihre  Lehre  in  seinen 
Schriften  begründet  fanden. 

3.  Christliehe  Theosophen  und  DogmaÜker. 

689.  Jede  Religion  hat  von  Natur  aus  Beziehungen  zur  Philosophie: 
das  Wesen  Gottes,  das  Verhältnis  Gottes  zur  Welt,  die  Gebote  der  Sitt- 
lichkeit sind  Objekte,  die  beide  gemeinsam  angehen;  verschieden  ist  nur 
die  Weise,  wie  sie  dieselben  erfassen  und  behandeln.  Aber  wenn  auch 
die  Religion,  gestützt  auf  die  Lehre  von  einer  göttlichen  Offenbarung,  Mch 
unmittelbar  an  den  Glauben  ihrer  Anhänger  wendet,  so  führt  doch  bei  den 
Gebildeten  der  von  Natur  den  Menschen  eingepflanzte  Forschungstrieb  von 
selbst  dahin,  dass  sie  nachträglich  wenigstens  die  Sätze  des  Glaubens  zu 
begreifen  und  dialektisch  sich  zurecht  zu  legen  suchen.  Dieser  Fortgang 
vom  Glauben  {maTiq)  zur  Gnosis  oder  denkenden  Erfassung  der  religiösen 
Wahrheiten  trat  zuerst  und  in  besonders  lebhafter  Weise,  wenn  auch  stark 
mit  Aberglauben  und  Magie  vermischt,  bei  den  Gnostikem  auf.^) 

Ausgegangen  ist  die  Gnosis  von  Syrien,  wo  Simon  der  Magier  ihr 
ältester  Repräsentant  war  und  Markion  in  der  ersten  Hälfte  des  2.  Jahr- 
hunderts eine  einflussreiche  Sekte  gründete.  Neue  Nahrung  fand  dieselbe 
in  Ägypten,  wo  schon  Philon  platonische  Ideen  in  die  reliösen  Schriften 
der  Juden  hineinzutragen  begonnen  hatte  (s.  §  505),  und  im  2.  Jahrhundert 
Basileides  und  Karpokrates  mit  ihren  theosophischen  Spekulationen  die 
schlichte  Einfachheit  der  christlichen  Lehre  entstellten.  Schon  im  Briefe 
des  Barnabas  und  in  den  untergeschobenen  Briefen  des  Paulus  an  Timo- 
theos  (1,  1.  4)  und  Titus  (3,  9)  blicken  die  Störungen  durch,  welche  jene 
dunkeln,  vielspaltigen  Theosopheme  in  den  christlichen  Gemeinden  hervor- 
riefen. Heftig  entbrannten  dann  in  der  zweiten  Hälfte  des  2,  Jahrhunderts 
die  Kämpfe  gegen  die  gnostischen  Lehren  der  Yalentinianer,  Basilidianer, 
Noetianer.  Die  altchristliche  Lehre  ging  als  allgemeine  oder  katholische 
siegreich  aus  jenen  Kämpfen  hervor,  aber  die  Gnostiker  behaupteten  sich 
als  mächtige  Sekte  noch  im  3.  und  4.  Jahrhundert,  und  ihre  Richtung 
blieb  nicht  ohne  Einfluss  auf  die  weiteren  Versuche  einer  philosophischen 
Ausgestaltung  des  christlichen  Glaubens.  In  ihren  Lehren  gingen  die- 
selben von  einer  dualistischen,  weltfeindlichen  Auffassung  aus  und  erhoben, 
auch  darin  den  Einfluss  platonischer  Philosophie  nicht  verleugnend,  die  ein- 
zelnen Stadien   des  Denkens   (i'Oyog^   ^^XVi  <^^<P^^)   zu   wirklichen  Wesen 

^)  AuBLiNBAv,  Le  gnosticisme,  ses  deve-  den  Einfluss  der  Gnosis  auf  die  kirchlicfae 

loppements   et  son   origine   ^gyptienne,    in  Lehre  und  Ueberliefening   s.  Ussvbr,  ReL 

Armales  du  mus^e  Guismet  t.  XIV,  Par.  1887.  ünt.  I  27  f.  —  Alb.  Dibtebich,  Abraxas  oder 

Ueber  das  Hereinspielen  der  alexandrinischen  Studien  zur  Religionsgeschicbte  des  spAtereo 

Mysterien,  in  denen  die  Köre  als  Jungfrau-  Altertums,  Leipa.  1891. 
üche  Mutter  des  Aion  verehrt  wurde,   und 


B.  Christliche  Sohriftsteller.    3.  Christliche  Theosophen. 


689-690.)    907 


{vnoardiTeig).  Auf  diesem  Wege  gelangten  sie  in  der  Sittenlehre  zu  fin- 
sterem Pessimismus  und  zu  rigoroser  Bekämpfung  der  fleischlichen  Ver- 
einigung.^) Grösser  und  phantastischer  waren  die  Abwege,  auf  welche  sie 
im  Gebiete  des  Überirdischen  gerieten,  indem  sie  eine  Unzahl  von  Engeln 
und  Äonen  als  Stufen  des  Geistes  annahmen  und  auch  die  Person  Christi 
zu  einem  Wesen  mit  einem  blossen  Scheinkörper  verflüchtigten. 

690.  Auch  unter  den  Lehrern  der  katholischen  Kirche  rührte  sich 
mit  der  Zeit  immer  mehr  das  Bestreben  nach  einer  philosophischen  Be- 
gründung der  kirchlichen  Lehre.  Da  dieselben  sich  ihr  geistiges  Rüstzeug 
zum  grössten  Teil  in  den  Schulen  der  Philosophen  und  Sophisten  geholt 
hatten,  so  war  es  natürlich,  dass  sie  in  den  Versuchen  einer  nachträg- 
lichen Begründung  der  Glaubenssätze  an  die  zu  ihrer  Zeit  herrschende 
Richtung  der  Philosophie  anknüpften.  Das  trat  hauptsächlich  nach  zwei 
Seiten  hervor:  seit  dem  3.  Jahrhundert  war  es  der  Neuplatonismus ,  der  dem 
Drange  der  Menschen  nach  Erkenntnis  des  Göttlichen  am  meisten  entsprach 
und  die  älteren  Philosopheme  fast  ganz  in  den  Hintergrund  drängte ;  an  seine 
unklaren  Anschauungen  und  an  die  mystischen  Sätze  der  Orphiker,  des 
Syrers  Pherekydes  und  des  Heraklit  hielten  sich  um  so  eher  die  chris1>- 
lichen  Denker,  je  leichter  sich-  mit  ihnen  der  Monotheismus  und  die  Trans- 
cendenz  der  christlichen  Lehre  vereinigen  Hessen.  Schlimmer  wirkte  der 
Einfluss,  den  die  etwas  weiter  zurückreichende  Scheidung  der  philosophi- 
schen Lehren  nach  Schulen  und  Sekten  geübt  hat.  Die  Divergenzen, 
welche  auch  bei  den  Versuchen  philosophischer  Feststellung  der  christ- 
lichen Glaubenslehre  nicht  ausbleiben  konnten,  spitzten  sich  gleichfalls  zu 
schroffen  Gegensätzen  und  Anfeindungen  zu;  es  wurden  sogar  die  ab- 
weichenden Lehrmeinungen  unter  den  Christen  mit  dem  gleichen  Namen, 
aiQtaeiq,  wie  bei  den  heidnischen  Dogmatikern  bezeichnet.^)  Bildete  aber 
schon  das  heidnische  Sektierertum,  wie  es  uns  Lukian  so  drastisch  ge- 
schildert hat,  eine  der  unerquicklichsten  Seiten  des  hellenistischen  Alter- 
tums, so  wirkten  unter  den  Christen  diese  dogmatischen  Spaltungen  noch 
viel  verhängnisvoller,  da  die  sich  befehdenden  Theologen  nun  auch  den 
ganzen  Schwärm  der  gläubigen  Anhänger  mit  in  den  Strudel  fanatischen 
Streites  hineinzogen,  woraus  bei  der  Zähigkeit  religiöser  Gegensätze  die 
von  Geschlecht  zu  Geschlecht  sich  vererbenden,  selbst  in  unserer  Zeit  noch 
nicht  ausgeglichenen  Spaltungen  der  Christengemeinde  hervorgingen.  Inso- 
fern hängt  auch  die  christliche  Lehre,  insbesondere  die  Zusammenfassung 
derselben  in  feste  Glaubenssätze  {doy/xata)  und  der  Häresienstreit  der 
christlichen  Theologen  mit  der  Philosophie  der  Griechen  zusammen.  Aber 
ich  begnüge  mich,  diesen  Zusammenhang  bloss  anzudeuten,  da  die  dog- 
matischen Zänkereien  der  Christen  im  einzelnen  nicht  bloss  des  Zusammen- 
hangs mit  dem  griechischen  Altertum  entbehren,  sondern  auch  jeder  kriti- 
schen   Voruntersuchung    über   Wissensquellen    und    Wissensgrenzen    er- 


*)  Gegen  ihre  Lehre,  dass  die  Welt  eine 
Schdpfong  des  bösen  Geistes  sei,  wandte  sich 
der  Neuplatoniker  Plotin;  s.  §  619. 

')  Die  Neigung,  sich  in  Sekten  (alQdcsig) 
zn  sdieiden,   nahm  in  der  nachklassischen 


Zeit  immer  mehr  Ausdehnung  an.  Die  Zänke- 
reien der  algeasig  finden  wir  in  der  Kaiser- 
zeit nicht  bloss  bei  den  Philoso^en,  sondern 
auch  bei  den  Medizinern  und  Khetoren ;  s. 
Register  unt-  Sekten. 


908 


Qrieohische  litteratorgeBchiolite.    m.  Anhang. 


mangeln,  ohne  die  in  der  Wissenschaft  verschiedene  Meinungsänsseningeii 
kein  allgemeines  Interesse  beanspruchen  können.  Ohne  daher  auf  die 
Dogmen  selbst  einzugehen,  werde  ich  nur  die  hauptsächlichsten  Verb-eter 
der  kirchlichen  Parteien  und  die  namhaftesten  dogmatischen  Streitschriften 
des  4.  u.  5.  Jahrhunderts  in  aller  Kürze  erwähnen,  um  dann  am  Schlüsse 
dieses  Abschnittes  noch  einige  christliche  Schriftsteller  von  philosophi- 
scher Richtung  zu  besprechen. 

lieber  die  patristische  Philosophie  s.  Uebkbwbg,  GruDdriss  der  Geschichte  der  Ffafle- 
Sophie  IP,  3 — 127;  Jon.  Hubeb,  Die  Philosophie  der  Kirchenväter,  München  1859.  —  Die 
Quellen  unserer  Kenntnis  der  Gnosis  sind  ausser  der  in  koptischer  Uebersetzong  uns  er- 
halten Pistis  Sophia  (ed.  Pbtebmann,  Berl.  1851)  die  Schriften  ihrer  Bestreiter,  namenilidi 
des  Eirenaios  und  Hippolytos,  von  denen  wir  bereits  oben  gesprochen  haben,  und  die  Ab- 
handlung des  Plotin  II  9.  —  Ad.  Harnaok,  Lehrbuch  der  Dogmengeschichte,  2  Bde^  Frei- 
burg 1886,  3.  Aufl.  1894. 

691.  Dogmatische  Streitschriften.  In  dem  streitlustigen  und 
schreibseligen  4.  Jahrhundert  loderte  der  Funken  dogmatischen  Streites, 
welcher  in  dem  vorausgehenden  Jahrhundert  unter  der  Asche  des  Gnosti- 
cismus  fortgeglommen  hatte,  wieder  zur  hellen  Flamme  auf.  Dieses  Mal 
war  es  die  transcendentale  Trinitätslehre  und  das  Verhältnis  der  beiden 
Naturen,  der  göttlichen  und  menschlichen  in  Christus,  welche  die  Kirche 
spaltete  und  die  heftigsten,  durch  weltliche  Interessen  genährten  Fehdes 
hervorrief.  Arius  und  Athanasius  waren  die  beiden  Führer  im  Streit; 
von  Athanasius,  der  Säule  der  siegreichen  orthodoxen  Kirche,  sind  uns 
auch  die  Schriften  erhalten,  während  von  der  gegensätzlichen  Litterator 
nur  sehr  wenig  auf  uns  gekommen  ist. 

Athanasios,  geboren  um  295  in  Alexandrien,  ward  bereits  326 
(nach  andern  328)  als  noch  ganz  junger  Mann  nach  dem  Tode  seines 
Gönners  Alexander  auf  den  Patriarchenstuhl  von  Alexandrien  erhoben.^) 
Nachdem  er  fünfmal  in  jenen  Zeiten  kirchlichen  Haders  den  Anfeindungen 
seiner  arianischen  Gegner  hatte  weichen  müssen,  starb  er  nach  dem  sieg- 
reichen Ausgang  der  Kämpfe  als  Hirte  seiner  Diözese  im  Jahre  373.  Ifi 
seinen  jungen  Jahren,  noch  ehe  er  als  Patriarch  in  den  Strudel  der  Partei- 
kämpfe hineingezogen  ward,  schrieb  er  gegen  die  Heiden,  oder  Helleneiu 
wie  man  höflicher  im  Osten  sagte,  zwei  apologetische  Schriften,  den  Ufoc 
xaid  '^ElXr^rcov  und  den  Xcyog  7T€qI  trjg  ivavK^QioTrdaewg  tov  Xoyov^  in  dena 
er  die  Nichtigkeit  des  Polytheismus  und  die  Wahrheit  der  Menschwerdung 
Christi  mit  beredtem  Munde  darlegte.  Die  beiden  Schriften  gehören  zu- 
sammen und  werden  schon  von  Hieronymus  De  vir.  ill.  87  als  ein  Werk 
unter  dem  Titel  Ädversiim  gentes  duo  libri  angeführt.  Die  übrigen  zahl- 
reichen Schriften  des  hl.  Athanasios  sind  fast  alle  gegen  die  Lehren  des 
alexandrinischen  Presbyters  Areios  (gest.  336)  gerichtet  oder  dienen  der 
Verteidigung  seiner  Handlungsweise  gegenüber  seinen  Gegnern.  In  des 
ersteren  verfocht  er  die  göttliche  Wesensgleichheit  {ofioovma)  von  Vater 
und  Sohn  gegenüber  dem  Areios,  der  den  Logos  oder  Sohn  als  Geschöpf 
und  Werkzeug  von   Gott  Vater,    dem   einzigen  wahren  Gott,    dargestellt 


^)  Zeitbestimmungen  für  Athanasios  von 
GuTBOHMiD  El.  Sehr.  II 428  ff.,  woza  Artikel 
Athanasius  von  Loofs  in  3.  Aufl.  der  Real- 


encyklopftdie  fOr  protestantische  Tlieolop« 

1896. 


B.  Christliche  Bohriftsteller.    8.  Christliche  Theoeophen.    (§§  691—692.)    909 

hatte.  Durch  sie,  mehr  aber  noch  durch  sein  standhaftes,  entschiedenes 
Auftreten  erwarb  er  sich  den  Ruhm,  Begründer  der  durch  das  Konzil  von 
Nikäa  (325)  festgestellten  Orthodoxie  zu  sein;  aber  das  Symbolum  Atha- 
nasianum,  in  welchem  die  rechtgläubige  Lehre  in  kurzen  Sätzen  zusammen- 
gefasst  ist,  rührt  nicht  von  Athanasios  selbst  her,  sondern  ist  erst  aus 
dem  Lateinischen  ins  Griechische  rückübersetzt  worden.  Die  Verteidi- 
gungsschriften änoXoytjTixoi  xatcc  UQeiavdv,  anoXoyia  nqoq  xov  ßaaiXta  KcoV' 
oTamor,  anoXoyia  n€Qi  Tt^q  g>vYrjg  avrov  sind  wichtig  nicht  bloss  für  die 
Lebensgeschichte  des  Verfassers,  sondern  auch  für  die  allgemeine  Zeitge- 
schichte. Von  den  sonstigen  Schriften  des  fruchtbaren  Kirchenvaters  ver- 
dient die  Biographie  des  hl.  Antonius,  Stifters  des  Koinobitenklosters  aut 
dem  Berge  Kolzion  am  Roten  Meer,  hervorgehoben  zu  werden,  da  ihr 
warmer  Ton  viel  zu  der  im  4.  Jahrhundert  so  ausserordentlich  wachsenden 
Neigung  zum  Klosterleben  beitrug.  Untergeordnet  sind  des  Athanasios 
exegetische  Schriften,  interessanter  seine  Briefe  und  bischöflichen  Oster- 
sendschreiben  {intaToXai  soQxaaxixai), 

Gesamtausgabe  der  Werke  des  hl.  Athanasios  von  Montfaucon,  Paris  1698,  in  3  Bde. 
2^;  vermehrt  bei  Migne,  t.  25 — 28.  —  Die  Vita  Antonii  ins  Lateinische  übersetzt  von 
Eoagrias  aus  Antiochien  (gest.  893)  findet  sich  neben  dem  griechischen  Originaltext  bei 
Montfaucon.  —  The  Festai  letters  of  Athanasios,  discovered  in  an  ancient  Syrian  version,  by 
CüRETON,  London  1848.  —  Möhleb,  Athanasins  der  Grosse  und  die  Kirche  seiner  Zeit, 
Mainz  1827,  2  Bde. 

Die  Schriften  der  Gegner  der  orthodoxen  Kirche  sind  zum  grössten 
Teil  mit  dem  Untergang  ihrer  Sache  zu  Grunde  gegangen.  Von  Areios 
selbst  hat  sich  ausser  zwei  Briefen  und  dürftigen  Resten  seines  poetischen 
Buches  Thalia  nichts  erhalten,  von  Eunomios,  der  im  Jahre  360  wegen 
ketzerischer  Gesinnung  seines  Episkopats  in  Eyzikos  entsetzt  wurde, 
ist  die  erste  Verteidigungsrede  (anoXoyiixtxog)  vollständig  auf  uns  gekom- 
men (Migne  vol.  30),  und  haben  wir  von  der  zweiten  (in  3  Büchern  nach 
Photios  bibl.  cod.  138)  aus  den  Entgegnungen  des  Gregor  von  Nyssa  Kenntnis. 
Schlecht  ist  es  auch  bestellt  mit  der  Überlieferung  der  schriftstellerischen 
Leistungen  des  angesehenen,  zum  Arianismus  hinneigenden  Bischofs  von 
Laodicea  in  Syrien,  Apollinarios  (v.  1.  Apollinaris,  gest.  390),  der  zu- 
gleich als  Exeget  und  Dichter  christlicher  Stoffe  in  hohem  Ansehen  stand, i) 
und  des  Nestorios  (seit  428  Bischof  von  Konstantinopel),  der  an  Kyrillos 
und  dem  Papste  Cölestinus  seine  Gegner  fand. 

In  häretische  Streitigkeiten  des  dritten  Jahrhunderts  greifen  zurück 
die  nur  in  lateinischer  Übersetzung  erhaltenen  Ada  disputationis  Archelai 
ejnscopi  Mesopotamiae  et  Manetis  haeresiarchae  (Migne  X  1405 — 1528)  von 
Hegemonios,    die  gegen   den  Dualismus  der  Manichäer   gerichtet  sind. 

692.  Erwiderungen  auf  heidnische  Angriffe.  Im  4.  und  5. 
Jahrhundert  gaben  drei  heidnische  Schriften  der  Philosophen  Porphyrios 
und  Proklos  und  des  Kaisers  Julian  den  Christen  Ärgernis  und  Anlass  zur 
Entgegnung«)  (siehe  §§  603  und  621).  Gegen  Porphyrios,  der  haupt- 
sächUch  den  Zorn  der  Christen  erregte  und  von  dem  sie  daher  nicht 
anders  als  von  dem  Gottlosen  sprachen,   wandte   sich  der   eben  genannte 

')  J.  Dbabbke,   Apollinarios  von  Laodi-   |  n.  Unt.  von  Gebhardt-Harnack  Bd.  VII  (1892). 
cea,  sein  Leben  und  seine  Schriften,  in  Text  |  >)  Siehe  oben  §§  604.  621.  623. 


910 


Grieohischo  Litteratargeflehiohte.    tll.  Anhang. 


Apollinarios  von  Laodicea  in  30  B.,*)  der  Kirchenhistoriker  Eusebios 
in  ebenfalls  30  B.,^)  ferner  Methodios  von  Oljrmpus')  und  Makarios 
von  Magnesia  (um  410).  Alle  diese  Yerteidigungeschriften  sind  ebenso 
wie  die  AngrifTsschrift  des  Philosophen  Porphyrios  verloren  gegangen. 
Erhalten  dagegen  haben  sich  von  der  den  Angriffen  des  Julian  Schritt 
auf  Schritt  folgenden  Verteidigung  des  hl.  Kyrillos  {vrt^Q  ttjc  ttov  X^iStt- 
av<av  evayovg  d-qr^axeiag  nqoq  xd  toi  iv  ad-soiq  in  30  B.),  die  ersten  10 
Bücher.  Kyrillos,  Patriarch  von  Alexandria  (412—444),  war  einer  der 
angesehensten  aber  auch  zanksüchtigsten  Kirchenfürsten  seiner  Zeit; 
ausser  gegen  den  damals  schon  längst  verstorbenen  Kaiser  Julian  eiferte 
er  in  mehreren  Schriften  gegen  die  Lehre  der  Nestorianer,  welche  die 
Einheit  der  zwei  Naturen  in  Christus  läugneten  und  es  daher  für  einen 
Frevel  erklärten,  die  Mutter  des  Herrn  als  Qottesgebärerin  {^foxoTtog)  zo 
bezeichnen.  Auch  exegetische  Schriften,  Homilien  und  Briefe  haben  sich 
von  ihm  erhalten.  Gesamtausgabe  von  Aubert,  Paris  1838  in  6  Bänden, 
Migne  t.  68—77.*) 

Auch  die  Entgegnung  des  christlichen  Rhetors  Prokopios  von  Gaza 
auf  die  Lehre  des  Neuplatonikers  Proklos  (§  623)  hat  sich  zum  grössten  Teil 
erhalten.  Die  Entgegnung  trug  den  Titel  'AvriQqrjaig  slg  rä  HqoxXov  ^to- 
Xoyixd  xfffdXaia  und  war  um  470  abgefasst.*)  Von  derselben  war  schon 
früher  durch  Ang.  Mai  Glass.  auct.  IV  274  ein  versprengtes  Bruchstück 
aus  einer  vatikanischen  Handschrift  an  das  Tageslicht  gezogen  worden. 
Jetzt  ist  durch  den  Scharfsinn  eines  Griechen^)  aufgedeckt  worden,  dass 
ein  byzantinischer  Theolog  des  12.  Jahrhunderts,  Nikolaos  von  Methone, 
die  ganze  Schrift  des  Gazäers  in  sein  neues  Buch  'Avdmv^ig  %ffi  ä'soXoyixr^g 
aroix^iwasiag  JIqoxXov'^)  aufgenommen  hat,  ohne  auch  nur  mit  einer  Silbe 
des  eigentlichen  Autors  zu  gedenken. 

Unabhängig  von  einer  bestimmten  Anklageschrift^)  ist  das  Buch: 
Die  Heilung  der  heidnischen  Krankheiten  (EXXrjvixwv  ^eganevtixt}  na^if 
fidviov  ij  evayyeXix^g  dXr]&€iag  i$  *EXXr]vtxfjg  (piXoaoifiag  iniyvwaig  in  12  B.) 
von  Theodoretos  aus  Kypern  (um  386—458),  desselben,  von  dem  uns 
auch  eine  Kirchengeschichte  und  mehrere  Exegesen,  Homilien  und  Briefe 
erhalten  sind.  Gesamtausg.  von  Schulze,  Halle  1774  in  5  Bänden,  Migne 
t.  80 — 84;  Theodoreti  ^EXXrjvixdv  na&tjfjidt(ov  d'BQanevt^xfi^)  rec.  Gaisford, 
Oxon.  1839. 


»)  Hieronymns  De  vir.  ill.  c.  104;  Snidas 
unt.  AnoXkivfi^og. 

*)  Hieronymns  De  \Tr.  ill.  c.  81. 

•)  HieronymuB  c.  83. 

^)  Verschieden  von  dem  Alexandriner  ist 
der  Hierosolymitaner  Kyrillos,  Bischof 
von  Jerusalem  (350—381),  der  als  Antd- 
arianer  und  Verfasser  von  24  Katechesen  (Tauf- 
reden) einen  Namen  hat;  Migne  t.  XXXIII. 

^)  So  angesetzt  von  DbIseke,  Prokopios' 
von  Gaza  Widerlegung  des  Proklos,  Byz. 
Zeitschr.  VI  (1897)  55  flF. 

•)  DemosÜienes  Russos,  Tgstg  FaCwoi, 
Constant.  1893. 


^)  Ausgabe  von  Yöwsl,  Frankfurt  1825. 
—  Prokopios  schrieb  auch  einen  KommenUr 
zum  Hohenlied,  wovon  Mitteilung  gibt  Axo. 
Mai,  Glass.  auct.  t.  IX,  eine  Lobrede  auf 
Kaiser  Anastasios  und  eine  fior^^m  'Awn»- 
/«('a;  auf  das  Erdbeben  von  458  (?). 

^)  Dass  indirekt  der  Kaiser  Julian  be- 
kämpft wird,  weist  nach  Asmus,  TheodoretB 
Therapeutik  und  ihr  Verh&ltnis  zu  Julian, 
Byz.  Zeitschr.  3,  116  ff. 

*j  Der  Titel  der  »Schrift  nachgebildet  den 
Xoyoi  ScQixnsvTtxol  ttSv  na^wy  des  Dioo 
Chrysostomos. 


B.  Christliche  Schriftsteller.    3.  Christliche  Theosophen.    (§693.)         911 

698,  Epiphanios  (367—403)  von  Eleutheropolis  in  Palästina, 
Bischof  von  Konstantia  in  Kypern  seit  367^)  ist  der  Geschichts- 
schreiber der  Heräsien  geworden  durch  das  umfangreiche,  aus  3  Büchern 
und  7  Abschnitten  (tojiio«)  bestehende  Werk  IlavccQiov  xard  naaon*  twv 
cuQhaemv  „Arzneikasten  gegen  alle  Ketzereien*',  das  die  Widerlegung  von 
80  Irrlehren  enthält,  unter  denen  die  christlichen  und  gnostischen  Sekten 
die  Mehrzahl  bilden,  zu  denen  aber  auch  die  verschiedenen  philosophischen 
Systeme  der  Griechen  und  Juden  zählen.  Das  Werk,  von  dem  der  Ver- 
fasser selbst  einen  Auszug  {dvaxsipaXaioaaig)  machte,  ist  für  uns  die  Haupt- 
quelle der  Geschichte  der  dogmatischen  Streitigkeiten,  gibt  aber  für  die 
ältere  Zeit  im  wesentlichen  nur  die  Angaben  des  Hippolytos  wieder. 

Dem  Epiphanios  wird  ausserdem  ein  Buch  über  die  Masse  [neql 
^uxQün'^  s.  §  649)  und  in  den  besten  Handschriften  auch  die  Überarbeitung 
des  sogenannten  Physiologus  zugeschrieben  {^Enifpaviov  ix  twr  'Agiazo- 
TbXovq  ifvaioXoyov  tisqi  i^won»).«)  Das  Buch  enthält  in  49  Kapiteln  wunder- 
bare Erzählungen  aus  dem  Naturreich,  vom  Löwen,  Pelikan,  Phönix,  Ein- 
horn u.  a.,  so  angelegt,  dass  die  wunderbaren  Eigenschaften  der  Tiere 
auf  die  christliche  Lehre  gedeutet  werden,  wie  auf  die  Auferstehung  von 
den  Toten  der  aus  seiner  Asche  neu  entstehende  Phönix,  auf  die  christ- 
liche Liebe  der  seine  Jungen  mit  seinem  eigenen  Blute  nährende  Pelikan.^) 
In  seinem  Kerne  gehört  das  Buch  zur  Wunderlitteratur  (negji  ^avßaamv) 
und  hat  mit  dem  Tierbuch  des  Sophisten  Aelian  manche  Berührungs- 
punkte. Epiphanios  ist,  wenn  ihm  überhaupt  mit  Recht  das  Buch  beige- 
legt wird,  nicht  Urheber,  sondern  nur  Überarbeiter  des  Buches.  Das 
Original  stammte  aus  früherer  Zeit,  da  es  bereits  von  Origenes,  Homil. 
117,  5  citiert  wird,  und  ist  in  Alexandria  im  Kreis  der  hellenistischen 
Juden  entstanden,  wohin  insbesondere  auch  die  ägyptischen  Monatsnamen 
führen;  es  ist  ein  Produkt  ägyptischer  und  hebräischer  Tiersymbolik  aus 
der  ersten  Hälfte  des  2.  Jahrhunderts  n.  Chr.,  in  das  aber  Stücke  aus 
noch  viel  älterer  Zeit,  bis  aus  dem  2.  Jahrtausend  v.  Chr.  aufgenommen 
wurden.  Mit  Aristoteles  hat  das  Buch  nichts  zu  thun;  der  Name  des  be- 
rühmten Philosophen  wurde  demselben  nur  vorgesetzt,  weil  derselbe  als 
der  erste  Naturkenner  {q^vaioXoyoq)  galt.  Im  Mittelalter,  das  an  solchen 
wunderbaren  Dingen  und  Allegorien  ein  besonderes  Gefallen  hatte,  gehörte 
der  Physiologus  zu  den  gelesensten  Büchern;  wir  haben  von  demselben 
lateinische,  äthiopische,  syrische,  deutsche  Übersetzungen. 

Epiphanü  opera  ed.  Peiavius  1622;  ed.  G.  Dindobf,  Lips.  1859;  Migne  t  41—43. 
—  Aus  dem  Panarion  gibt  Diels,  Doxogr.  gr.  585—93  den  die  alte  Philosophie  betrefFen- 
den  Abschnitt.  —  R.  A.  Lipsius,  Zur  Quellenkunde  des  Epiphanios,  Wien  1865,  wo  nach- 
gewiesen ist,  dass  die  Uebereinstimmungen  unseres  Epiphanios,  der  um  377  sein  Panarion 


1)  ßiV  'Ertitparlov  im  1.  Bde  der  Aus- 
gabe von  Dlndorf. 

')  In  den  Ausgaben  des  Epiphanios  findet 
sich  das  Buch  nicht,  in  den  Siteren  so  wenig 
wie  in  der  neuesten  von  Dindorf ;  wohl  aber 
steht  in  denselben  eine  Schrift  über  die  12 
Edelsteine  in  dem  Gewände  des  hohen  Prie- 
sters {nsgl  roiv  ißf^  Xi9foy  rtor  ovttor  iy  tot^  \   im  symbolischen  Sinne  verwendet. 


axoXiüfjtolq  ror  ^AaQtäv\  das  durch  die  Schil- 
derung von  der  Wunderkraft  jener  Steine 
einige  Verwandtschaft  mit  unserem  Physio- 
logus zeigt. 

*)  In  verwandter  Weise  sehen  wir  in  den 
Katakomben  antike  Figuren,  wie  den  Hermes 
Eriophoros  und  den  tierbändigenden  Orpheus, 


912 


GriechiBche  litteratiirgeschichte.    III.  Anhatig. 


schrieb,  mit  den  latemischen  Antoren  Philastrius  (f  B87)  und  Ps.  Tertallian,  U- 
bellus  adv.  omnes  haereses,  aus  der  Benützung  der  gleichen  Vorlage  zu  erklären  ist  und 
dass  die  Eetzergeschichte  zunächst  auf  Hippel  jtos  und  dann  weiter  auf  Irenäns  und  Jusiinas 
zurückgeht. 

£xcerpta  ex  Epiphanii  libro  de  mensuris  et  ponderibus,  in  Hültsch's  Metrologiconun 
scriptorum  reliquiae  1. 1  p.  259 — 276 ;  vollständiger  mit  einer  für  die  alten  Bibelfibersetzungeii 
wichtigen  Einleitung  nach  dem  Syrischen  von  Paul  db  Lagabdb,  Symmicta  II  (1880)  p.  149 
bis  216;  das  Buch  sollte  zur  Erklärang  der  Masse  in  der  Bibel  dienen. 

Physiologus.  Der  Text  im  Laufe  der  Zeit  vielfach  erweitert  und  durch  Umstellungen 
getrübt,  geht  zurück  auf  den  Wiener  cod.  theolog.  128  und  Pitras  cod.  A.  —  Laughert, 
Geschichte  des  Physiologus,  mit  kritischer  Ausgabe  des  griechischen  Textes,  Straasborg 
1889.  —  Goldstaub,  Die  Entwicklung  des  lateinischen  Phvsiologos,  in  Verh.  d.  Philol. 
Vers,  in  München  (1891)  S.  212  ff..  Ueber  den  viilgärgriechischen  Physiologus  in  politischen 
Versen  Krumbachrb,  Byz.  Lit. '  874.  —  Deutsche  Cebersetzung  mit  kritischen  und  sadi- 
kundigen  Anmerkungen  von  Em.  Pbtbrs,  Der  griechische  Physiologus  und  seine  orientalischen 
Uebersetzungen,  Berlin  1898. 

694.  Synesios,!)  geboren  um  370,  stammte  aus  einer  vornehmen 
heidnischen  Familie  der  kyrenäischen  Pentapolis.  In  Alexandria  wurde 
er  durch  Hypatia,  die  berühmte  Tochter  des  Mathematikers  Theon,  in  die 
geheimnisvolle  Welt  der  neuplatonischen  Philosophie  eingeführt.  Noch 
als  junger  Mann  erhielt  er  im  Jahre  397  von  seiner  Vaterstadt  den  Auf- 
trag einer  Gesandtschaft  an  den  kaiserlichen  Hof  von  Konstantinopel. 
Später  lernte  er  auch,  nicht  ohne  starke  Enttäuschung,  Athen,  die  Lehr- 
stätte seines  Piaton  und  Zenon,  kennen.')  Aber  der  mystische  Zug  seiner 
Natur  und  der  Einfluss  seiner  Frau  machten  ihn  immer  mehr  der  Lehre 
des  fleischgewordenen  Logos  zugänglich,  bis  er  schliesslich  im  Jahre  410 
sich  von  dem  alexandrinischen  Bischof  Theophilos  taufen  und  zum  Priester 
ordinieren  liess,  um  die  auf  ihn  gefallene  Wahl  zum  Metropoliten  der 
Pentapolis  annehmen  zu  können.  8)  Er  starb  jung,  nicht  viele  Jahre,  nach- 
dem er  die  schwere  Last  eines  Bischofs  übernommen  hatte;  keine  Spur 
in  seinen  Briefen  führt  über  das  Jahr  413  hinaus.  —  Die  Schriften  unseres 
Synesios  stammen  zum  grössten  Teil  noch  aus  der  Zeit  vor  seinem  Übei^ 
tritt  zum  Christentum  und  atmen  sogar  zum  Teil  einen  feindseligen  Geist 
gegen  das  Mönchtum  und  den  Bildungsmangel  christlicher  Priester;  aber 
sie  gehören  zu  dem  Besten,  was  die  Vereinigung  philosophischer  und 
sophistischer  Bildung  in  jener  Zeit  hervorgebracht  hat.  Voran  stehen  an 
Bedeutung  die  155  an  verschiedene  Freunde,  darunter  auch  an  Hypatia 
gerichteten  Briefe,*)  die  uns  einen  anziehenden  Einblick  in  die  Zeitver- 
hältnisse, die  weltlichen  wie  geistlichen,  und  das  leicht  erregbare  Gemüts- 
leben des  philosophischen  Schwärmers  gestatten ;  dem  byzantinischen  Mittel- 
alter galten  sie  als  Muster  des  Briefstiles,  weshalb  Suidas  im  Artikel  über 
Synesios  sie  als  &avfia^ofitvag  inioroXdg  bezeichnet  und  Thomas  Magister 
den  Synesios  wiederholt  als  Vertreter  des  Attikismos  anführt.     Von  Adel 


*)  Volkmann,  Synesiiis  von  Cyrene, 
Berl.  1869 ;  Schneider,  De  vita  Synesii,  Diss. 
Grimma  1876;  0.  Serck,  Studien  zu  Synesios, 
Philol.  LH  (1893)  442  ff. 

^)  Synes.  ep.  54  u.  186, 

■)  Seine  Zweifel,  ob  er,  der  mit  seiner 
Gattin  in  glücklicher,  kindergesegneten  Ehe 
zusammenlebte  und  nicht  in  allem  die  Dogmen 
der  Kirche  mit  seiner  philosophischen  üeber- 
zeugung  in   Einklang   bringen   konnte,    die 


Wahl  annehmen  solle,  entwickelt  er  in  dem 
schönen,  offenbar  zur  VeröffenÜichnng  und 
persönlichen  Rechtfertigung  bestimmten  Brief 
an  seinen  Bruder  Euoptios  (ep.  105). 

^)  Die  Ordnung  der  Briefe  ist  nicht  die 
gleiche  in  allen  Handschriften;  die  in  des 
Drucken  überlieferte,  die  das  Zosammen* 
gehörige  vielfach  auseinandeireisBt,  ist  kaum 
die  richtige.  Eine  Untersuchung  dieses  Punktes 
thäte  not 


B.  GluriBiliche  Sohriftsteller.    8.  Chriatliche  Theosophen.    (§§  694—695.)    913 

der  Gesinnung  und  männlichem  Freimut  zeugt  die  schöne  Rede  über  das 
Königtum  {nagl  ßaaiXeiag),  die  er  im  Jahre  398  bei  einer  Gesandtschaft 
vor  dem  Kaiser  Arkadios  hielt,  i)  Von  den  Verhältnissen  des  Ostreiches 
in  jener  Zeit  handeln  die  noch  in  Konstantinopel  entworfenen  Alyvmtoi 
Xiyoi  rj  negi  nqovoiag^  worin  sich  unter  der  Hülle  der  mythischen  Kämpfe 
des  Osiris  und  Typhos  allegorische  Anspielungen  auf  die  Zeitgeschichte, 
insbesondere  auf  die  Geschicke  des  Präfekten  Aurelius  und  dessen  Bruders 
bergen.^)  Ein  interessantes  Zeugnis  von  seiner  eigenen  Stellung  zur  So- 
phistik  und  dem  Mönchtum  enthält  die  um  405  abgefasste  litterarhistorische 
Schrift  Dion,  in  der  er  die  in  jenem  Manne  so  glänzend  hervorgetretene 
Verbindung  von  Philosophie  und  Redegewandtheit  seinem  noch  nicht  ge- 
borenen, aber  nach  einem  Traumgesicht  erwarteten  Sohne  als  Muster  vor- 
hält. Eine  Ausgeburt  einerseits  der  spielenden  Sophistik,  anderseits  des 
träumerischen  Mysticismus  sind  seine  frostige  Lobrede  auf  die  Kahlköpfig- 
keit {ifaXaxQccq  iyxaifxiov) »)  und  seine  unklare  Abhandlung  über  die  Träume 
{negl  ivvnvmv),  —  Christliche  Ideen  sind  mit  den  Anschauungen  des  Neu- 
platonismus  verquickt  in  den  zehn  zu  verschiedenen  Zeiten  entstandenen 
Hymnen.^)  Dieselben  sind  noch  nach  den  Gesetzen  der  alten  Prosodie 
gedichtet ;  aber  von  einer  Zusammenfassung  der  kleinen  Kola  zu  Perioden 
oder  Strophen  ist  ebensowenig  mehr  die  Rede  wie  von  einem  Wechsel  in 
den  Versformen  und  dem  Rhythmus:  in  dem  ermüdenden  Einerlei  des  ana- 
pästischen oder  ionischen  Leierkastens  geht  es  vom  Anfang  bis  zum  Schluss 
fort.  Der  Dialekt  ist  der  dorische,  derselbe  also,  der  in  der  Pentapolis 
seit  alters  gesprochen  wurde;  aber  Synesios  wird  denselben  nicht  dem 
Volksmund  abgelauscht,  sondern  der  alten  Lyrik  Pindars  nachgebildet 
haben. 

Gesamtausgabe  von  Pbtayiub,  Paris  1612,  nnd  danach  von  Migkb  t.  LXYI.  —  Synesii 
Cyrenaei  orationes  et  homiliarom  fragm.  rec.  Kbabinger,  Landsbut  1850  (unvollendet).  Eine 
nene  Ausgabe  der  Briefe  mit  kritischem  Apparat  vorbereitet  von  W.  fVitz  in  Nördlingen. 
—  Synesii  hymni  ed.  Flach  1875,  iivozu  Rh.  M.  32,  538  ff.  Dieselben  stehen  auch  in 
Cbrist-Pabanikas'  Anthol.  carm.  christ.  p.  3—23.  —  Briefe  bei  Hbecheb,  Epistologr.  p.  638 
bis  739.  —  Schollen  von  Nikephoros  Gregoras  zu  tisqI  iyvnyiwp  bei  Peiavius. 

695.  Methodios,  Bischof  von  Tynis,  der  um  312  als  Märtyrer  starb, 
erhielt  von  seiner  Nachahmung  des  Piaton  den  Ehrennamen  platonizans.^) 
In  den  verloren  gegangenen  Dialogen  negl  yevr^Twv  und  negl  ävaazdaewg 
bekämpfte  er  die  Lehre  des  Origenes  von  der  Ewigkeit  der  Welt  und  der 
Nichtauferstehung  des  Leibes,  in  dem  Dialog  vom  freien  Willen  {nsgi  avre^ 
^ova(ov)  den  Determinismus  der  Qnostiker.  In  dem  uns  noch  erhaltenen  Qast- 
mahl  {avinnociov  tmv  dtxa  TinQd^eriov  nsql  trjg  ayyelofufxt^tov  naQ^sviaq  xal 
ayv€tag)  behandelt  er  die  Liebe  vom  christlichen  Standpunkte,  indem  er 
die  beim  Mahle  versammelten  Jungfrauen  in  Prosa  und  Vers  die  Keusch- 


)  Vgl.  Gt.  Barner,  Comparantur  inter  se 


Graeci  de  regentium  hominum  virtutibns  auc- 
tores,  Marb.  1889  p.  47  ff. 

')  Darfiber  unterrichtet  die  der  Rede 
vorausgeschickte  Ttgoffstogia  (vgl.  Himerios 
§  602  Anm.).  Dem  entgegen  will  Eug. 
Gaiser,  Des  Synesius  von  Cyrene  ägyptische 
ErzAhlungen,  Wolfenbfittel  1886,  in  dem 
Typhos   den  Gotenffihrer  Gainas  erkennen. 

Handbuch  der  kiMs.  Alterttunswlssenschaft.    Tu.    8.  Aufl.  58 


Synesius  selbst  hielt,   wie  man   aus 


dem  hfibschen  Begleitbrief  ep.  1  sieht,  sehr 
viel  auf  dieses  Machwerk. 

*)  Den  3.  Hymnus  dichtete  er  noch  in 
Eonstantinopel,  den  8.  um  405,  den  letzten 
wahrscheinlich  als  Bischof. 

^)  Alb.  Jahn,  Methodius  platonizans, 
1865. 


914  Ghrieohische  LitteratorgMoldohte.    IIL  Anhang. 

heit  und  Jungfräulichkeit  verherrlichen  lässt.  Ausgabe  von  Alb.  Jahn, 
Halis  1865 ;  vermehrt  durch  den  Fund  einer  altslavischen  Übersetzung  von 
Bonwetsch,  Methodius  von  Oljrmpus,  Erlangen  1891. 

696.  Nemo si OS,  Bischof  von  Enoesa  in  Phönizien  (um  400),  ist 
Verfasser  einer  theosophischen  Schrift  über  die  Natur  des  Menschen  (negl 
ipvaetoq  äv&Q<6nov),  welche  die  christliche  Lehre  von  der  Unsterblichkeit 
der  Seele,  der  Freiheit  des  menschlichen  Willens,  dem  Walten  der  gött- 
lichen Vorsehung  und  ähnlichen  Dingen  mit  der  neuplatonischen  Philo- 
sophie verquickt.^)  Das  im  Mittelalter  vielgelesene  Buch  wurde  frühzeitig 
auch  ins  Lateinische  übertragen.  Einige  Kapitel  desselben  sind  unter  dem 
Titel  Tti-Qi  ipvxrjg  unter  die  Werke  des  Gregor  von  Nyssa  (Migne  XLV  188 
bis  221)  geraten. 

Ausgabe  des  Nemesios  yon  Mattbat,  Halle  1802;  eine  neue  in  der  Bibl.  Tenbn.  an- 
gekflndigt  von  Burkhard,  der  in  Wien.  Stnd.  X  93  ff.,  XI  143  ff.,  XV  192  ff.  vorllnfige  Mit- 
teilung von  seinen  Hilfsmitteln  gibt.  Die  eine  der  lateinischen  Uebersetznngen  wurde  im 
12.  Jflubrbundert  von  dem  Pisaner  Burgundio  gemacht,  herausgegeben  von  Burkhard,  Wien 
1892,  1896  Progr. ;  eine  andere  Verbalflbersetzung  wurde  aus  einer  Bamberger  Handachrifl 
neuerdings  herausgegeben  von  Holzinobr,  Wien  1887;  über  deren  Verfaftltnis  s.  Ditthbybr, 
Blfttter  f.  b.  Gymn.  1888  S.  868  ff.  Weitere  handschriftliche  Mittel  f&r  diese  2.  üebersetzung 
weist  nach  Babuhckbb  Woch.  f.  kl.  Phil.  1896. 

697.  Von  Aineias,  einem  feingebildeten  Sophisten  aus  Gaza,  der 
den  heidnischen  Philosophen  Hierokles*)  gehört  hatte,  selbst  aber  Christ 
war,  haben  wir  einen  in  eleganter  Sprache  geschriebenen  Dialog  öfo- 
^Qaarog  über  die  christliche  Lehre  von  der  Unsterblichkeit  der  Seele.  Die 
Hauptträger  des  Dialogs  sind  Theophrastos,  der  die  Lehren  der  alten 
Philosophen,  des  Heraklit,  Empedokles,  Piaton,  Aristoteles,  von  der  Seele, 
insbesondere  von  der  Präexistenz  der  Seele  und  von  der  Seelenwanderung 
vertritt,  und  Euxitheos,  der  die  Widersprüche  und  Ungereimtheiten  jener 
Lehren  nachweist  und  ihnen  die  christliche  Jichre  von  der  Fortdauer  der 
Seele  und  ihrer  Wiedervereinigung  mit  dem  verklärten  Leibe  entgegen- 
stellt.') Das  mit  Scharfsinn  und  ohne  allen  Fanatismus  geführte  Gesprach 
endigt  damit,  dass  sich  Theophrastos  von  der  Wahrheit  der  neuen  Lehre 
überzeugen  lässt  und  ihr  mit  den  Worten  beitritt:  nsiv^ofiai  •  tjörj  yägvffi 
€Vfi€vstag  ttlad-dvofxai  xov  x^eov  •  dkkd  xaiqbtco  /liv  dxadjjfiiay  nqog  ixeirov 
S^  lüdfxev  •  avxog  ydq  6  nXdrfov  ixexQi  rovtov  xeXsvsi  nai^aad^ai  nXdtatn, 
k'wg  äv  avTov  ao(f<6t€Qog  dva^avfj.  Geschrieben  ist  der  Dialog,  den  ich 
nicht  anstehe,  das  beste  philosophische  Werk  des  untergehenden  Altertums 
zu  nennen,  bald  nach  dem  Jahre  484,  auf  dessen  Ergebnisse  p.  75  ed. 
Boiss.  angespielt  ist. 

Aeneas  Gazaeus  et  Zacharias  Myiilenaens  de  immortaütate  animae  et  consummatioiie 
mundi  ed.  Boissonade,  Par.  1836.  —  Briefe  desselhen  Aineias  bei  Hkbcheb,  Epist  gr. 
p.  24—32.  —  Demosthbnbs  Rusbos,  Tgetg  Fa^aioi,  Diss.  Leipz.  Konstantinopel  1893. 

^)  Benatzt  sind  besonders  im  2.  und  3.  |  lieber    das    Leben    nnd    die    Schriften   des 

Kapitel  die  ZiyriJ^irr«  <ri»^^txTa  des  Porphy-  ;   Aeneas   selbt    handelt  Werhsdorf,    Dispo- 

nos;   s.  V.  Arnim  Rh.  M.  42,  278  ff.;   über  i   tatio  de  Aenea,   wiederabgedruckt  bei  Bois- 

die  Benutzung  des  Aetios  s.  Diels,  Doxogr.  |   sonade  p.  IX  -XXV;  vgl.  §  616. 

p.  49.  lieber  die  Benutzung  des  Stoikers  Phi-  »)  Die  Namen  sind  gut  gewählt;   Theo- 

lopator,   der  in  dem  Buche  negl  elfÄaQfn^yrjg  phrast  war  die  Hauptquelie  fQr  die  (beschichte 

die    Lehre    des    Chrysipp    verarbeitete,    s.  l  von  den  Lehrsätzen  der  Philosophen;    Euxi- 

v?fr*' n«;.  Chrysippea  in  Jhrb.  f.  Phil.  Suppl.  theos  bedeutete  den  zu  Gott  betenden  christ- 

,?^?T  ?•  I  Wehen  Philosophen. 

«)  üeber  diesen  Hierokles  s.  §  624.  —  | 


B.  Christliche  Schriftsteller.    8.  Christliche  Theosophen.   (g§  696—699.)    915 

698.  Eine  plumpe  Nachahmung  ist  der  Dialog  Ammonios  des  Scho- 
lastikers (Rechtsgelehrten)  Zacharias,  der  später,  in  der  Mitte  des 
6.  Jahrhunderts,  Bischof  von  Mytilene  wurde.  Der  Dialog  hat  den  Namen 
davon,  dass  der  Neuplatoniker  Ammonios^)  die  Hauptrolle  in  demselben 
spielt.  Derselbe  vertritt  die  heidnische  Anschauung  von  der  Ewigkeit  der 
Welt  und  bekämpft  die  christliche  Lehre  von  der  Erschaffung  der  Welt 
durch  Gott  und  von  ihrem  dereinstigen  Vergehen;  ihm  gegenüber  ver- 
teidigt mit  siegenden,  aber  stumpfen  Waffen  der  christliche  Sprecher  die 
biblische  Erzählung  von  der  Erschaffung  der  Welt,  indem  er  die  Sterb- 
lichkeit des  Menschen  und  die  dazu  stimmende  Vergänglichkeit  der  Welt 
aus  dem  Sündenfall  des  ersten  Menschen  erklärt.^)  —  Das  gleiche  Thema 
behandelte  der  philosophisch  gebildete  Grammatiker  und  schreibselige 
Kommentator  des  Aristoteles,  Johannes  Philoponos,  gegenüber  dem 
Neuplatoniker  Proklos,  aber  nicht  in  der  gefälligen  Form  eines  Gesprächs, 
sondern  mit  der  Spitzfindigkeit  dialektischer  Polemik,  indem  er  die  18 
Sätze,  mit  denen  Proklos  die  Ewigkeit  der  Welt  als  platonische  Lehre  zu 
erweisen  suchte,  einer  scharfen  Kritik  unterzieht.    Vgl.  §  623. 

loannes  Philoponns  contra  Proclum  de  mundi  aetemitate  ed.  Tbincavellus,  Venet. 
1535,  am  Anfang  nnd  Schlnss  verstümmelt. 

699.  Dionysios  Areopagites  nennt  sich  der  apokryphe  Verfasser 
der  vier  zusammenhängenden  Bücher  ticqI  oiqaviaq  tsqaqx^ctg^  ttcqI  ixxXrj- 
ciafrTixrjg  teqaQxtciq^  nsQi  d^eicov  ovofiatwv,  negl  fivanxfjg  ^eokoyCag^  und  von 
zehn  in  der  gleichen  öeistesrichtung  sich  bewegenden  Briefen.  5)  Die  vier 
Bücher,  welche  an  den  Presbyter  Timotheos  gerichtet  sind,  und  in  denen 
sich  der  Verfasser  auf  seinen  Lehrer  Hierotheos  beruft,*)  geben  unter  An- 
lehnung an  die  neuplatonische  Lehre  von  dem  Eins  und  Guten  und  der 
von  jenem  Eins  ausströmenden  Vielheit  der  Dämonen*)  eine  Darlegung 
und  mystische  Begründung  des  öottesstaates,  des  himmlischen  und  irdischen. 
Die  von  Gott,  dem  Inbegriff  des  Eins  und  Guten,  ausstrahlenden  Kräfte 
sind  im  Himmel  die  Engel,  auf  Erden  die  Priester,  beide  in  streng  ge- 
gliederter Ordnung.  —  Dass  der  Athener  Dionysios,  der  Schüler  des 
Apostels  Paulus,  der  Verfasser  des  Buches  sei,  daran  ist  unter  keinen 
umständen  zu  denken.  Fraglich  kann  es  nur  sein,  ob  ein  jüngerer  gleich- 
namiger Dionysios  des  4.  oder  5.  Jahrhunderts  das  Buch  geschrieben  habe,^) 
oder  ob  auch  der  Name  des  Verfassers  eine  Fälschung  sei,  gemacht,  um 
der  in  diesen  Schriften  begründeten  Hierarchie  das  Ansehen  einer  altehr- 


^)  Gemeint  ist  offenbar  der  jflngere  Am- 
monios, mit  dem  Beinamen  d  ^E^/neTog,  den 
loannes  Philoponos  als  seinen  Lehrer  nennt. 

')  Derselbe  Zacharias  Rhetor  hat  eine 
Eirchengeschichte  yerfasst,  die  uns  noch  teil- 
weise in  syrischer  üeberarbeitung  erhalten 
ist,  Land,  Anecd.  Syriaca  in,  Leyden  1870. 

*)  Der  Verfasser  erwähnt  auch  noch  7 
andere  Schriften  von  sich,  negl  ipvxrjg,  deo- 
koytxai  vnoxvntoneig  etc.,  aber  ob  er  solche 
wirklich  geschrieben  hat,  ist  sehr  zweifel- 
haft; vielleicht  wollte  er  damit  nur  den  Ver- 
dacht einer  F&lschung  verwischen.  \  s.  Pflbidbrkr,  Urchristentum,  S.  828. 

58* 


^)  Die  Benützung  des  Proklos  ist  nach- 
gewiesen von  Jos.  Stiolhatr,  Der  Neuplato- 
niker Proklos  als  Vorlage  des  sog.  Dionysins 
Areopagita  in  der  Lehre  vom  üebel,  Bist. 
Jahrb.  1895  S.  253  ff.  Die  sprachlichen  Nach- 
ahmungen bespricht,  ohne  das  Verhältnis  zu 
Proklos  ins  äare  zu  bringen,  Alb.  Jahn, 
Dionysiaca,  Alt.  1889. 

^)  Ueber  den  ähnlichen  Zweck  des  Fäl- 
schers der  Briefe  des  Ignatius,  welcher  die 
Begründung  des  monarchischen  Episkopats 
auf  eine  hohe  Autorität  zurückführen  wollte, 


916  Qriaohiioho  LitteraiiirgeMhiolite.    m.  Anhang. 

würdigen,  in  die  Zeit  des  Apostels  Paulus  hinaufreichenden  Institution  zu 
geben. ^)  Das  letztere  ist  weitaus  das  Wahrscheinlichere;  denn  wenn  man 
auch  leicht  im  4.  oder  5.  Jahrhundert  einen  Kirchenschriftsteller  Dionysios 
finden  kann,  so  doch  nicht  leicht  einen,  der  zugleich  einen  Timotheos  zum 
Schüler  und  einen  Hierotheos  zum  geistigen  Nährvater  hatte.  Vor  der  ein- 
fachen Lösung  des  Problems  scheute  man  nur  zurück,  solange  man  von 
den  Fälschungen,  auf  welche  sich  die  ganze  Hierarchie  des  Mittelalters 
stützte,  keine  Ahnung  hatte.  Entstanden  sind  die  Schriften  erst  nach 
Verbreitung  des  Neuplatonismus,  wahrscheinlich  erst  gegen  Ende  des 
5.  Jahrhunderts,  nach  dem  Neuplatoniker  Proklos,  auf  dessen  Lehre  sich 
der  Fälscher  hauptsächlich  stützt.*)  Erwähnt  werden  dieselben  zuerst  in 
dem  Religionsgespräch  von  Eonstantinopel  aus  dem  Jahre  531 ;  nach 
diesen  soll  bereits  der  Bischof  Kyrillos  derselben  gedacht  haben.  Allge- 
meines Ansehen  erlangten  dieselben  seit  dem  Lateranconcil  vom  Jahre 
649.  In  dem  Mittelalter  spielten  sie  in  der  griechischen  Kirche  und  noch 
mehr  in  der  lateinischen  des  Abendlandes  eine  sehr  grosse  Rolle.  Auch  in 
das  Syrische  wurden  sie  frühzeitig  übertragen. 

Gesamtausgabe  von  Morel,  Par.  1562;  von  Balte.  Gobdesius,  2  Bde.,  Ant.  1684, 
wiederholt  Ven.  1756,  Mione  t.  III  u.  IV.  —  Dionys.  de  mystica  theol.  et  de  div.  nominibDa^ 
mit  lat.  Uebers.  u.  Erkl&r.  von  Ficinus,  Ven.  1538.  —  Ekqelhabdt,  Die  angeblichen 
Schriften  des  Axeopagiten  Dionysius,  Sulzbach  1823.  —  Ein  lateinischer  Brief  des  Dionysins 
an  Timotheos  ttber  den  Tod  der  Apostel  Petras  und  Paulus,  gedrackt  in  Mohbbitius, 
Sanctnarium  II  194 — 6,  ist  im  9.  Jahrhundert  in  St.  Denis  bei  Paris  erdichtet  worden,  wo 
834  der  Abt  Hüdoin  durch  gef&lschte  Mftrtyrerakte  die  Identität  des  h.  Dionysius  Ton  Paiis 
mit  dem  Dionysius  Areopagita  zu  erweisen  suchte. 

700.  Wie  der  neuplatonische  Philosoph  Porphyrios  ein  Buch  über  die 
aus  den  Orakeln  zu  schöpfende  Philosophie  geschrieben  hatte,  so  haben  um- 
gekehrt nun  auch  christliche  Theosophen  die  heidnischen  Orakel  benützt, 
um  nachzuweisen,  dass  in  ihnen  bereits  durch  göttliche  Eingebung  christ- 
liche Gedanken  den  Menschen  offenbart  worden  seien.  Eine  solche  An- 
schauung, welche  auf  den  jüdischen  Peripatetiker  Aristobulos  zurückgeht, ') 
lag  der  Oeocotpia  eines  anonymen  christlichen  Schriftstellers  aus  der  Zeit 
des  Kaisers  Zenon  (474—491)  zu  grund,  von  der  uns  ein  Auszug  unter 
dem  Titel   X^ijC^ol  %<ov  eXXtjvixiav   &€c5v   erhalten   ist.     Die   vollständige 

^)  HiPLBR,  Dionysius  der  Areopagite,  I  in  die  christliche  Litterator  bis  zum  Lateran- 
Regensburg  1861,  sucht  in  Timotheos  und  |  konzil  649,  Progr.  des  Gymn.  an  der  Stella 
Hierotheos  historische  Persönlichkeiten  des      matutina  zu  Feldkirch  1895.  Seine  Meinung 


schliessenden  4.  Jahrhunderts.  Jon.  Dräsekb 
will  in  seinen  gesammelten  patristischen  Ab- 
handlungen, Altona  1889,  zweite  Abhandlung, 
Dionysios  von  Rhinokolura,  S.  25—77,  die 
hier  behandelten  Schriften  und  das  flÜsch- 
lieh  dem  Hippol3rtos  beigelegte  Bruchstück 
neQi  &eoXoyiag  xal  auQXiuostog  dem  Mönche 
Dionysios  von  Rhmokolura,  angeblichem 
Freunde  des  Theologen  Apollinarios,  zu- 
weisen. 

^)  In  den  Ausgang  des  5.  Jahrh.  setzt 
unsere  Schrift  auf  Grund  sorgfältiger,  vor- 
urteilsfreier Untersuchung  Jos.  Stiolhayb, 
Der  Neuplatoniker  Proklus  als  Vorlage  des 
sog.  Dionysius  Areopagita,  Hist.  Jahrb.  1895 
S.  253  ff.,  und  Das  Aufkommen  der  Pseudo- 
Dlonysischen   Schriften   und  ihr  flindringen 


hält  derselbe  Gelehrte  gegenüber  Einwen- 
dungen Drasbkes  (Dionysische  Bedenken,  in 
Theol.  Stud.  u.  Krit.  1897  S.  381  ff.  und  Des 
Prokopios  von  Gaza  Widerlegung  des  Prokloe, 
in  Byz.  Zeitschr.  1897  S.  85  ff.)  sowie  gegen 
Langen  und  A.  Jahn  siegreich  aufrecht  in 
dem  Aufsatz,  zur  Lösung  Dionysischer  Be- 
denken, Byz.  Zeitschr.  YII  (1898)  91  ff. 

>)  In  unserer  Theosophie  selbst  heisst  es 
c.  10  nach  Euseb.  Praep.  ev.  XTTT  12:  owi 
'jQiajoßovXoSy  6  i|  'Eßgaltay  neQinaifjiixof 
(ptX6ao(pogy  innTxeXXmtf  JTioile/ucrc^  ^vrttfAo^ 
Xoytjaey,  ix  lijs  ißQaixfg  ^Boco^ing  rijy  ikXa^- 
yixrjy  toQ/biijc&tti  *  (payegoy  yd^  iaur^  or« 
xaxrjxoXov9fia6v  6  flXätiay  iß  xa^  i^fiag  ro^». 
^Heaiif,  xrct  dijXog  icri  ne^is^Qyaafiiyog  Ixmrr« 
j(oy  iy  avtj. 


B.  ChriatUche  Sohriftsteller.    4.  Kirohenhistoriker.    (§§  700-702.) 


917 


Theosophie  umfasste  4  B.,   denen  selbst  wieder  sieben  Bücher  nsQl  rrjg 

oQ&f^g  m'ifrcwg  vorausgeschickt  waren.     Der  Verfasser  benutzte   aber  für 

seine  These  nicht  bloss  Orakel,  die  er  zumeist  dem  obengenannten  Werke 

des  Porphyrios  entnahm,  sondern  auch  orphische  und  sibyllinische  Verse 

und  schöne  Aussprüche  der  alten  Dichter  und  Philosophen,  namentlich  des 

Menander,  Piaton  und  Heraklit.     Kritische  Prüfung  sucht  man  vergeblich 

bei  ihm ;  umgekehrt  hat  er  offenbarste  Fälschungen,  wie  ganz  junge  Verse 

der  Orphika,  für  alt  und  echt  ausgegeben. 

Die  Exzerpte  waren  vollstftndig  nur  durch  eine  jetzt  verloren  gegangene  Strass- 
barger  Handschrift  auf  unsere  Zeit  gekommen;  von  dieser  machte  im  Jahre  1580  Bemh. 
Hansius  eine  Abschrift  für  Professor  Crusius  in  Tübingen.  Diese  Abschrift  entdeckte  un- 
Iftngst  Prof.  Neümann;  eine  Ausgabe  danach  veranstaltete  Bubbsch,  Klaros,  Leipz.  1889, 
im  Anhang  S.  89—126. 

4«  Kirchenhistoriker. 

701 .  Die  Anfänge  der  christlichen  Historie  sind  in  den  bereits  oben 
erwähnten  Erzählungen  von  den  Thaten  ier  Apostel  {n^d^eiq  rwv  anoaxo- 
Xcav)  zu  erblicken.  Nachrichten  über  die  christliche  Kirche  und  ihre  Vor- 
stände (imaxonot),  die  christlichen  und  jüdischen  Sekten  und  die  Verfol- 
gungen der  Christen  stellte  zuerst  Hegesippos  zusammen.^)  Derselbe 
lebte  unter  Antoninus  Pius  und  Marc  Aurel  und  schrieb  jedenfalls  nach 
dem  Tode  des  Lieblings  des  Kaisers  Hadrian,  Antinoos,  über  dessen  Ver- 
götterung er  sich  skandalisierte.^)  Seine  Beziehungen  zu  Ägypten  und 
seine  guten  Kenntnisse  der  jüdischen  Schriften  lassen  vermuten,  dass  er 
mit  der  Klasse  der  alexandrinischen  Juden  in  Verbindung  stand ;  aber  von 
seiner  Heimat  aus  hatte  er  viele  und  grosse  Reisen  unternommen ;  speziell 
erwähnte  er  seinen  Besuch  bei  der  Christengemeinde  in  Korinth  und  seinen 
längeren  Aufenthalt  in  Rom.^)  Seine  historischen  Aufzeichnungen  {vTiofi^r»- 
fAccra  in  5  B.)  benutzte  Eusebios  als  Hauptquelle  für  die  ältere  Zeit;  der- 
selben gedenkt  noch  der  Patriarch  Photios  bibl.  p.  288  b,  10. 

702.  Geschichtsbücher  (Xqovixcc)  allgemeiner  Natur,  aber  mit  spezieller 
Berücksichtigung  der  biblischen  und  kirchlichen  Ereignisse  verfassten 
Hippolytos  und  Sext.  Julius  Africanus.*)  Der  letztgenannte  war 
Presbyter  in  Alexandria  zu  Anfang  des  3.  Jahrhunderts.  Seine  Chrono- 
graphie in  5  B.,  Jl€%^dßißlov  xQovoXoytxov  von  den  Neueren  genannt,  stellte 
hebräische  und  griechisch-römische  Ereignisse  chronologisch  geordnet 
nebeneinander;  sie  ging  von  Erschaffung  der  Welt  oder  5500  v.  Chr.  bis 
auf  221  n.  Chr.  herab  und  war  eine  Hauptquelle  nicht  bloss  des  Eusebios, 
sondern  auch  der  älteren  Chronikenschreiber  von  Byzanz.  Durch  Eusebios 
ist  uns  auch  aus  dem  Werke  seines  Vorgängers  das  wertvollste  Stück, 
die  'OXvfimädtav  avayqa^>i!^^  erhalten, ö)  welche  Rutgers  in  einer  vorzüg- 
lichen Sonderausgabe  (Leyden  1862)  bearbeitet  hat.  Julius  Africanus  war 
ausserdem  Verfasser  eines  enkyklopädischen  Werkes  KbctoL  (d.  i.  gestickter 


0  Habnack,  Altchr.  Lii  11  1,  311. 
»)  Eußeb.  ffist.  eccl.  IV  8. 
»)  Euaeb.  ffist.  eccl.  IV  22. 
^)  Gelzer,  Sext.  JnliuB  AfricaniiB  und  die 
byzantinische  Chronologie,  Leipz.  1885,  2  Bde. 


')  Zuerst  aufgefonden  von  Casaubonus 
und  dem  grossen  Scaliger,  als  er  an  seinem 
Thesaums  tempomm  arbeitete,  zurVerfttgung 
gestellt,  jetzt  vollständig  herausgegeben  aus 
Cod.  Par.  2600  von  Crameb,  An.  Par.  II  115  ff. 


918 


Qrieohisohe  Litteratargeschiohte.    ni.  Aiiliang. 


Gürtel,  von  der  Mannigfaltigkeit  des  Inhaltes)  in  14  (24  nach  Said.)  B., 
aus  dem  uns  Auszüge  der  auf  das  Kriegswesen  und  den  Ackerbau  bezüg- 
lichen Abschnitte  erhalten  sind.^)  Auch  zwei  interessante  Briefe  des  Afri- 
canus  haben  sich  auf  unsere  Zeit  gerettet,  einer  an  Origenes  über  die 
apokryphe  Geschichte  der  Susanna,  und  ein  anderer  an  Aristides  über  die 
Genealogie  Christi.^) 

703.  Eusebios,  von  dem  ich  bereits  oben  §  684  als  Kirchenlehrer 
gehandelt  habe,  hat  den  Ehrennamen  eines  Vaters  der  Kirchengeschichte 
wie  Herodot  den  eines  Vaters  der  allgemeinen  Geschichte.^)  Er  ist  in 
der  That  der  bedeutendste  christliche  Historiker,  von  unschätzbarem  Wert 
nicht  bloss  für  die  Kirchengeschichte,  sondern  auch  die  Profangeschichte. 
Von  ihm  sind  drei  historische  Werke  auf  uns  gekommen,  das  Leben 
Konstantins  in  4  B.,  die  Kirchengeschichte  {'ExxlrjCiaaTixfj  lazoQia) 
in  10  B.,  und  die  Ghronika  in  2  Teilen.  Das  Leben  Konstantins, 
verfasst  nach  dem  Tode  des  Kaisers,  ist  eine  Verherrlichung  Konstantins 
mit  stark  tendenziösem  Anstrich.^)  Schon  zuvor  hatte  Eusebius  auf  ihn 
bei  Gelegenheit  seines  30  jährigen  Regierungsjubiläums  einen  Panegyrikus 
verfasst  {elg  Ktovatavurov  rov  ßaaikäa  TQiaxovTaeTtjQixog),  der  natürlich 
noch  überschwenglicher  gehalten  ist.  Die  Kirchengeschichte,  an  und  für 
sich  bedeutend  als  erste  Zusammenstellung  der  Entwicklung  der  christ- 
lichen Kirche  vom  Anfang  bis  zum  Jahr  324  oder  bis  zur  Alleinherrschaft 
Konstantins,  erhält  noch  besondere  Bedeutung  dadurch,  dass  ihr  Verfasser 
aus  älteren,  verloren  gegangenen  Büchern,  wie  Papias,  Dionysios,  Apollo- 
nios,  ganze  Seiten  wörtlich  herübergenommen  hat.  Ins  Lateinische  ist  das 
Werk  übertragen  von  Rufinus.^)  Mit  der  Kirchengeschichte  in  Zusammen- 
hang stand  die  leider  verloren  gegangene  Sammlung  der  alten  Glaubens- 
zeugnisse {Svvaywyr]  to)v  aqxadav  fiagzvQicov).  Am  wichtigsten,  und  nicht 
bloss  für  die  Theologen,  sondern  mehr  noch  für  die  Philologen  und  Histo- 
riker ist  die  kurz  vor  der  Kirchengeschichte  herausgegebene,  uns  leider 
nur  teilweise  erhaltene  Chronik.  Zu  ihrem  Verständnis  muss  ich  etwas 
weiter  ausgreifen. 

Unter  Chronik  verstand  man  im  Altertum  einen  zumeist  für  den 
Unterricht  und  die  Selbstunterweisung  bestimmten  Abriss  der  zeitlich  (xawd 
XQfvov)  geordneten  Hauptereignisse  der  Geschichte.  Begründer  dieser  Art 
von  Geschichtsschreibung  war  ApoUodor  aus  dem  Ende  des  2.  Jahrhunderts 
V.  Chr.;  seitdem  hatten  viele  Gelehrte  das  Unternehmen  mit  erweitertem 
Plan,  unter  Hereinziehung  der  orientalischen  und  hebräischen  Geschichte 
weitergeführt.  Die  Chronika  des  Eusebios  in  zwei  Teilen  (avv%a^€ic;)  ent- 
hielten eine  allgemeine  synchronistische  Geschichte  von  den  ältesten  histo- 
risch greifbaren  Zeiten  bis  auf  das  Jahr  325.    Der  erste  Teil  (xQovoy^^ta) 


*)  GrExoLL,  Die  Quellen  der  G^oponika 
p.  78-92;  vgl.  oben  §  665. 

*)  Spitta,  Der  Brief  des  Julius  Africanus 
an  Aiißtides,  Halle  1877.  Der  andere  Brief 
und  die  sonstigen  Fragmente  bei  Mignb  X 
37-94.  Vgl.  Euseb.  bist.  eccl.  6,  31. 

')  F.  Chb.  Baus,  Gomparatur  Eusebius 
bistoriae  ecclesiasticae  parens  cum  parente 


bistoriarum  Herodoto  Halic.  Tubing.  18S4. 

<)  Rankb,  Weltgeschicbte  IV  2,  249  ff.; 
P.  Meybb,  De  vita  Constaniüii  Eusebiana, 
Bonn  1882. 

^)  Eine  nacb  einer  syrischen  Vorlage  ge- 
machte armenische  üebersetrauig,  gedruckt 
Venedig  1877. 


B.  Chrüitlioho  Sohriftsteller.    4.  Eirchenhistoriker.    (§  708.) 


919 


gab  in  zusammenhängendem  Text  einen  kurzen,  aus  mannigfachen  Excerpten 
zusammengelesenen  Abriss  der  Geschichte ;  ^  der  zweite,  für  uns  wichtigste 
Teil  (x^orfxog  xavciv),  bestand  in  chronologischen  Tafeln,  in  welche  die 
Jahreszahlen  der  Hauptären  und  dazu  die  Hauptereignisse  in  fortlaufender 
Reihe  eingetragen  waren.  Zugrunde  gelegt  waren  und  standen  in  der  ersten 
Reihe  die  Jahre  Abrahams,  2017  v.  Chr.  bis  225  n.  Chr.;  zu  diesen  kamen 
die  später  einsetzenden  Jahre  der  jüngeren  Ären,  zunächst  der  assyrischen, 
argivischen,  spartanischen  Könige,  dann  der  Olympiaden  (seit  1240  Abra- 
hams) und  der  Gründung  Roms  (seit  1264  Abrahams).  Zur  Rechten  und 
zur  Linken  dieser  Zeitkolumnen  waren  in  Worten  die  historischen  Data 
angemerkt  (spatium  historicum),  und  zwar  getrennt  die  der  profanen  und 
die  der  heiligen  Geschichte.  Da  aber  zu  den  einen  Jahren  nichts  oder 
nur  weniges,  zu  anderen  sehr  vieles  anzumerken  war,  und  der  Raumer- 
sparung  wegen  die  Jahreszahlen  nicht  weit  genug  auseinanderstanden,  so 
mussten  früh  in  den  Abschriften  Verwirrungen  eintreten,  indem  dieselbe 
Sachangabe  bald  zum  mittleren,  bald  zum  vorausgehenden  oder  nachfolgenden 
Jahr  bezogen  wurde.  —  Im  Original  ist  das  Werk  des  Eusebios  nicht  auf 
uns  gekommen;  wir  haben  nur  Fragmente,  und  zwar  ziemlich  zahlreiche 
in  griechischer  Sprache  aus  den  späteren  Chronographen,  welche  den  Eu- 
sebius  ausgeschrieben  haben,  besonders  aus  Synkellos  (800  n.  Chr.);  des 
weiteren  Übersetzungen  des  Kanon  in  drei  Sprachen,  eine  lateinische  von 
dem  Kirchenvater  Hieronymus,  der  in  freier  Überarbeitung  des  Originals 
Data  aus  der  römischen  Geschichte  und  Litteratur  (bis  378)  hinzufügte,*) 
eine  armenische,  welche  getreuer  das  Original  wiedergab  und  erst  im  An- 
fang unseres  Jahrhunderts  aus  einer  Handschrift  des  Klosters  der  Mechi- 
taristen  in  Venedig  ans  Licht  gezogen  wurde  (ed.  Aucher,  Yen.  1818),  und 
endlich  eine  noch  später  bekannt  gewordene  syrische  (ed.  Siegfried  und 
Geizer,  Leipz.  1884),  welche  der  Patriarch  Dionysios  von  Telmahar  im 
Jahre  775  angefertigt  hatte.  Mit  diesen  Hilfsmitteln  haben  die  Gelehrten 
das  wichtige  Werk  nach  und  nach  zu  rekonstruieren  versucht.  Das 
Riesenuntemehmen  nahm  zuerst  Scaliger  in  seinem  Thesaurus  temporum 
in  Angriff  (1606),  aber  erst  in  unserem  Jahrhundert  ist  nach  Auffindung 
neuer  Hilfsmittel  den  Bemühungen  von  Gutschmid,  Geizer,  Schöne  u.  a. 
ein  annähernder  Abschluss  der  Arbeit  gelungen.  Jedoch  bleiben  auch  jetzt 
noch  infolge  der  oben  angedeuteten  Fehler  in  der  Anlage  des  Werkes 
viele  Zeitangaben  unsicher,  woher  das  grosse  Schwanken  der  alten  Chrono- 
logie in  den  zahlreichen  Fällen,  wo  wir  lediglich  auf  die  Angaben  des 
Eusebios  angewiesen  sind. 

Die  Chronika  des  Eusebios  sind  für  uns  von  einziger  Wichtigkeit, 
da  auf  ihnen  das  chronologische  Gerüste  der  alten  Geschichte  aufgebaut 
werden  muss;  aber  Eusebios  selbst  hat  nur  ein  kleines  Verdienst,  das 
Hauptverdienst  gebührt  seinen  gelehrten  Vorgängern,  welche  die  Funda- 
mente  der  alten  Chronologie  gelegt  hatten.     Sein  nächster  Gewährsmann 


^)  Cliron.  1.  n  in. :  Sp  tiJ  nQo  tavxrjg  avy- 
ttiiet  vXas  ixnogi^ttjy  ifAuvxi^  jjf^oVoi»'  dyayQa- 
ipdi  avysU^ä/Ätjy  nayroias.  Daraas  etammte 
der  Nebentitel  Uaytodarnj  UsxoQla,  d.  i.  All- 


gemeine Weltgeschichte. 

*)  Ueber  die  zum  Teü  stark  von  einander 
abweichenden  Handschriften  des  Hieronymus 
s.  Waohsmuth  Einl.  171  S. 


920  Orieohisohe  Litteratnrgeschichte.    III.  Anhang. 

war  der  christliche  Presbyter  Julius  Africanus.  Überdies  hielt  er  sich  in 
der  jüdischen  Geschichte  hauptsächlich  au  Josephos,  in  der  profanen  as 
Alexander  Polyhistor,  Abydenos'  Geschichte  der  Assyrer  und  Meder,  Ma- 
netho's  Aigyptiaka,  die  Chronographen  Kephalion,  Cassius  Longinus,  Phle- 
gon,  Kastor,  Thallos,  Porphyrios,  welch  letztere  er  selbst  in  dem  Eingang 
des  von  der  römischen  Geschichte  handelnden  Abschnittes  als  seine  Haupt- 
quellen aufführt.  Also  meistens  nur  Kompendien,  und  Kompendien  der 
späteren  Zeit  waren  es,  aus  denen  Eusebios  sein  neues  Buch  zusammen- 
stöppelte; von  den  grossen  Geschichtswerken  der  klassischen  Zeit  hatte 
er  nichts  gelesen,  selbst  von  den  Begründern  der  Chronologie,  von  Era- 
tosthenes  und  Apollodor  hatte  er  keine  direkte  Kenntnis. 

Eusebii  opera  ed.  Gr.  Dikdobp  in  Bibl.  Tenbn.;  vgl.  §  684.  —-  Ensebii  acripU  histor. 
(Kirchengeschichte  und  Leben  Konstantins)  ed.  itemm  Hbinioubn,  Lips.  1868.  —  Ensebii  Qu^ 
nica  ed.  Alfb.  Schöne  1875;  dazu  die  fortlaufenden  Besprechungen  von  Gutschmib,  jetzt 
in  dessen  Ges.  Sehr.  I  417  ff. 

Eusebios  hatte  in  der  Chronologie  seine  Nachfolger  und  Konkurrenten.  An  der 
Spitze  derselben  stehen  zwei  alexandrinische  Mönche,  Panodoros  und  Annianos  (am 
400),  aus  deren  Bttchem  sich  gleichfalls  vieles  durch  byzantinische  Schriftsteller,  nament- 
lich Synkellos  erhalten  hat;  s.  Wachsmütb  Einl.  177  ff.;  KauiiBAceBB,  Byz.  Litt*  340  f. 
—  Ein  griechisches  Original  lag  auch  den  lateinischen  Chronica  von  334  und  den  so- 
genannten Excerpta  Barbari  zu  Grunde;  vgl.  §  680. 

Eine  grosse  Rolle  in  der  chronologischen  Litteratur  der  Christen  spielen  die  Oster- 
tafeln,  die  bis  auf  Hippolytos  zurQckgehen  und  sich  um  die  Berechnung  des  Osterfestes 
drehen.  Ihnen  waren  öfter  auch  Abrisse  der  Weltgeschichte  angehängt  Eine  solche 
Ostertafel  ist  das  Chronicon  paschale  mit  einem  Geschichtsabriss  von  Adam  bis  auf  den 
Kaiser  Heraklios  (627),  in  welchen  die  Konsularfasten  des  Jahres  354  eingelegt  sind.  Haupt- 
werk :  C.  Fbick,  Chronica  minora,  in  Bibl.  Teubn.  1893. 

704.  Die  Kirchengeschichte  haben  nach  Eusebios  bis  auf  Justinian 
fortgesetzt  vier  Historiker:  Sokrates  Scholastikos,  d.  i.  Sachwalter,  der 
in  7  B.  die  Kirchengeschichte  bis  zum  Jahre  439  herabfuhrte ;  i)  Sozo- 
menos,  welcher  in  seinem  am  Schluss  verstümmelten  Werk  in  9  B.  den 
gleichen  Zeitraum  mit  starker  Benutzung  des  Sokrates  und  des  auch  von  So- 
krates benutzten  Quellenwerkes  des  Sabines  SvvayfOYV  ^*^*'  cvvodwv  behan- 
delte;*) Theodoretos,  welcher  eine  Kirchengeschichte  bis  zum  Jahre  428  in 
5  B.  verfasste»)  und  darin  die  Werke  seiner  Vorgänger  ergänzen  wollte/) 
in  der  That  aber  dieselben  nur  ausschrieb  und  mit  einigen  leeren  Zier- 
raten bereicherte;  Theodoros  der  Vorleser  (o  avayvwatrjg)^  der  in 
seiner  dreiteiligen  Geschichte  {historia  tripartüa)  die  Zeit  von  Konstantin 
bis  518  behandelte.  Die  Exzerpte  des  letztgenannten  Werkes  bilden  drei 
Teile,  von  denen  aber  nur  der  erste  Teil,  welcher  von  Thedosius  II  bis 
auf  Justinus  I  geht,  unzweifelhaft  echt  ist.  Etwas  älter  als  die  genannten 
Kirchenhistoriker  war  Philostorgios,  welcher  spätestens  365  geboren 
war«^)  und  in  12  B.  vom  Standpunkte  eines  Arianers  die  Geschichte  von 
300—425  schrieb.  Die  Heterodoxie  des  Verfassers  hat  in  jenen  streitr 
süchtigen    und   engherzigen  Zeiten    den  Untergang  des  Werkes    herbei- 


>)  Jbbp,  Quellenuntersncbungen  zu  den 
griechiscben  Eircbenhisfcorikem,  Jahrb.  f.  Pbil. 
Suppl.  XIV  57—178,  speziell  S.  137.  Siehe 
Sokrates  selbst  II  1. 

^)  Zum  Beweise  dient  Sozom.  I  22  nach 
Socr.  1 10;  s.  Jekp  a.  0. 138  ff.  Vgl.  Batiffol, 
Sozom^ne  et  Sabines,  Byz.  Ztschr.  VII 265—85. 

•)  Jebp  a.  0. 154  ff.  Güldenfennikg,  Die 


Kirchengeschichte  des  Theodoret  von  KjttIios, 
Halle  1889.  Ueber  des  Theodoreioe  Schiift 
'EXXtjvixtxiy  na^fidxiay  ^eganet^un}  (ed.GAJS- 
FOBD,  Oxon.  1839)  s.  oben  §  692.  —  Die  6e^ 
samtwerke  bei  Migne  t.  80—84. 

^)  Theod.  bist.  eccl.  prooem.:  rtj^  ixxh^ 
aiaanx^g  (atogias  tot  Xemofura  ^vyy^mfm, 

»)  Jbbp  a.  0.  57  ff. 


B.  ChriBtliohe  SohrifUiieller.    4.  Eirchenh  storiker. 


i  704-705.)         921 


geführt,  doch  haben  wir  von  ihm  Exzerpte  und  einen  Auszug  bei  Photios 
cod.  40.  Die  Eirchengeschichte  der  Zeit  nach  Eusebios  ist  auch  behandelt 
von  Euagrios  in  seiner  taxoqia  ixxXrfiiaaxMT^  in  sechs  Büchern;  doch 
gehört  derselbe  seiner  Lebenszeit  nach  schon  dem  6.  Jahrhundert  und  so- 
mit nicht  mehr  unserem  Zeiträume  an;  über  ihn  siehe  Erumbacher  Byz. 
Lit.»  245  flf. 

Eist,  eccles.  Eiisebii  Socratis  Sozomeni  Theodoreti  ed.  Valesius,  Par.  1673,  bei 
Migne  t.  67.  —  Tillehont,  Memoires  ponr  servir  ä  rhistoire  eccl^siastique  des  six  premiers 
si^cles,  Ven.  1732.  —  Fragmente  des  Theodoros  bei  Craüer,  An.  Par.  11  87 — 114,  und 
E.  MiLLKR,  Rev.  arch^ol.  26  (1873)  273  ff.  396  ff.  —  Jeep,  Quellenuntersuchungen  zu  den 
griecb.  Kirchenhistorikern,  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  14  (1885)  53—178,  wo  S.  158  auf  eine 
ungedruckte  Tollstftndige  Handschrift  des  Theodoros  Anagnostes  in  der  Marciana  no.  344 
hingewiesen  ist.  —  Ueber  einen  vollstftndigeren  Cod.  des  Sokrates  auf  dem  Athosberge 
Lambros  Byz.  Ztschr.  IV  481—6. 

Chronicon  paschale  Alexandrinum  ed.  Radbb,  Monachii  1615;  ed.  Du-Gange,  Par. 
1688;  ed.  Diroorf  mit  Zugrundelegung  der  Haupthandschriffc  der  Yaticana,  Bonn  1832. 

705.  Martyrien  und  Legenden.  Die  Entwicklung  der  christlichen 
Kirche  war  eng  mit  den  Verfolgungen  der  Christen  durch  die  römischen 
Kaiser  und  Statthalter  verbunden.  Die  sechs  grossen  Christenverfolgungen 
unter  Nero  (64),  Trajan  (112—15),  Septimius  Severus  (202),  Maximin  (235—8), 
Decius  (249 — 51),  Diocletian  (303),^)  die  strengen  kaiserlichen  Edikte,  die 
Quälereien  einzelner  Präfekten  und  Statthalter  vermochten  nicht  die  Kreuzes- 
lehre zu  unterdrücken,  trugen  umgekehrt  viel  zum  standhafteren  Zusammen- 
halten der  Christen  und  zur  grösseren  Verbreitung  des  neuen  Glaubens 
bei.  Aber  viele  Glieder  der  Christengemeinden,  namentlich  viele  der  Vor- 
steher,*) hatten  bei  jenen  Verfolgungen  als  Bekenner  ((xaQTvqsg)  ihres 
Glaubens  unter  schrecklichen  Martern  das  Leben  lassen  müssen.  Das 
Andenken  dieser  Märtyrer  wurde  von  den  Gemeinden  bei  dem  Sinn  für 
Pietät,  der  die  Christen  auszeichnete,  hoch  in  Ehren  gehalten  und  all- 
jährlich an  dem  Gedächtnistag  ihres  Todes  erneuert.  Daraus  entstanden 
die  fiaQTVQia  oder  die  Aufzeichnungen  des  Lebens  und  des  Todes  der  Be- 
kenner, welche  an  den  Erinnerungstagen  zur  Erbauung  und  Aneiferung 
der  jüngeren  Generation  vorgelesen  wurden.  Da  dieselben  trotz  ihrer 
wunderreichen  Ausschmückungen  eine  Hauptquelle  für  die  Geschichte  der 
Kirche  und  ihrer  einzelnen  Gemeinden  bildeten,  so  hat  sie  für  seine  Kir- 
chengeschichte Eusebios  gesammelt  und  in  einem  umfangreichen  Werke 
Svvayuiyr]  %wv  dgxaicov  fjia(ftvQi(ov  in  21  B.  herausgegeben.  Dieses  grosse 
Werk  des  Kirchenvaters  ist  verloren  gegangen,  3)  aber  auf  dasselbe  gehen 
zwei  erhaltene  Sammlungen  des  5.  Jahrhunderts  zurück,  das  Syrische 
Martyrologium  von  411  und  das  sogenannte  Martyrologium  Hierony- 
mianum  (um  440).  Ausserdem  erhielten  sich  neben  den  Sammelwerken 
auch  viele  der  alten  Einzelakten,  die  in  unserer  Zeit  besonders  üsener 
wieder  aus  dem  Staube  der  Bibliotheken  hervorgezogen  und  in  muster- 
haften Ausgaben  veröffentlicht  hat.   Dieselben  haben  ein  besonderes  Inter- 


')  Ueber  diese  Ghristenverfolgungen  und 
die  rechtliche  Stellung  der  Christen  im  römi- 
schen Staat  s.  ScHAKZ  Rom.  Litt,  m  205 
bis  225. 

')  Speziell  die  a^x^^^"^  ^^^  Christen,  die 


Bischöfe,  Presbyter  und  Diakone,  liess  Ma- 
ximin verfolgen  nach  Eusebios  h.  e.  6,  28. 

')  Erhalten  ist  das  SvyygafXfjta  nsQt  xtav 
xad-^  avToy  fjiaQivQYi<sdyxtoyy  bei  Migne  XX 
1457-1520. 


922  Orieohisohe  Litteratargesohiohte.    IIL  Anhang. 

esse  dadurch,  dass  sie  von  den  späteren  Interpolationen  frei  geblieben 
sind  und  noch  manche  Spuren  alter  Vermischung  heidnischer  und  christ- 
Ucher  Wundererzählungen  an  sich  tragen.  —  In  den  letzten  Jahrhunderten 
des  Altertums,  als  mit  der  Anerkennung  des  Christentums  als  Staatsreligion 
die  gewaltsame  Bedrückung  der  Bekenner  Christi  aufgehört  hatte,  ge- 
sellten sich  zu  den  Martyrologien  die  Heiligengeschichten  {ßm  zoiv  d/im), 
die  im  byzantinischen  Mittelalter  von  Symeon  Metaphrastes  (10.  Jahrhun- 
dert) zu  einer  grossen  Legendensammlung  verarbeitet  und  in  den  litur- 
gischen Menäen,  den  nach  Monaten  geordneten  Gebetbüchern,  auf  die  ein- 
zelnen Tage  des  Jahres  verteilt  wurden. 

Habnack,  Altchr.  Lit.  I  807  ff.,  Aber  MArtyrerakten  ans  den  3  ersten  Jahrhunderten 
sowie  dem  1.  Viertel  des  4.  Jahrhunderts.  —  Syrisches  Martyrologium  ed.  Wright,  im  Journal 
of  Sacred  literature,  London  1865/6.  —  Mar^rrium  Hieronymi&num  ed.  Rossi-Düchxshe  in 
Acta  Sanctorum  1894.  Dazu  Duchesne,  Les  sources  du  Martyrologe  Hi^ronjmien,  Borne 
1885.  —  Hagiographie  des  byzant.  Mittelalters,  von  Ebbbard  in  Krumbacher  Byz.  JAL* 
176  ff.;  derselbe  Über  filtere,  dem  Simon  Metaphrastes  vorausgehende  Menfien  in  5  Hand- 
schriften, in  der  Abhandlung  Forschungen  zur  Hagiographie  der  griechischen  Kirche,  Roma 
1897.  —  Rdinart,  Acta  primorum  martyrum  sincera,  Paris  1689;  ed.  H  1713,  Neudruck 
Augsburg  1802,  Regensburg  1857;  Supplement  von  £.  lb  Blant,  Paris  1883.  —  Acta 
Sanctorum  der  Bollandisten  (nach  dem  Jesuiten  Holland,  der  1643  das  Werk  unter- 
nahm) bis  jetzt  in  62  Folianten  bis  zum  November  geführt. 

Neue  Ausgabe  der  Acta  Timothei,  der  Legende  der  Pelagia,  der  Acta  8.  Ma- 
rinae  et  S.  Ghristophori  von  Usbnbr,  Bonn  1877--86;  der  Acta  des  Karpas  Pa- 
pylus  und  der  Agathonike  aus  der  Zeit  M.  Aureis  von  Habnack  in  Texte  u.  ünteis. 
III  2  (1888)  433—66;  Akten  zum  Leben  des  h.  Spyridion  von  Theodoros,  von  Usbnbb 
in  Jhrb.  f.  prot.  Theol.  XIII  (1887)  219—59;  die  Acta  des  Justinus  Martyr  aus  einem 
Codex  von  Grotta  Ferrata  herausgegeben  von  Pafebroch  1695,  und  mit  Ausnahme  des 
Anfangs  und  Schlusses  als  zuverlässig  erwiesen  von  Harnack,  Texte  und  Unters.  I  193  ff.; 
Acta  Nerei  et  Achillei  von  Albr.  Wirth  1890;  Acta  Perpetuae  et  Felicitatis  ed.  Harris 
1890;  Acta  Anthissae,  Athanasii  episcopi,  Charisioni  et  Neophyti  von  üsrner  in  AnaL 
Holland.  1893;  Acta  Anastasii  Persae  von  Usener  1894;  Callinici  vita  Hypatü  von  den 
Mitgliedern  des  Bonner  Seminars  1895;  Marci  diaconi  vita  Porphyrii  episcopi  Gazensis  von 
M.  Haupt  1874,  von  der  philologischen  Societät  Bonn  1895. 

706.  Listen.  Von  hoher  Bedeutung  für  die  Eirchengeschichte  war 
die  Aufzeichnung  der  Eirchenvorstände  auf  den  hauptsächlichsten  Bischofs- 
stühlen. Wie  die  Profangeschichte  der  Griechen  mit  den  Eöniga-  und 
Priesterlisten  (ävayQa^af)  beginnt,  und  wie  in  den  Philosophenschulen  die 
Nachfolge  der  Schulhäupter  sorgfältig  aufgezeichnet  zu  werden  pflegte 
{diaioxcci)^  SO  haben  auch  die  Christen  in  den  Hauptgemeinden  Aufzeich- 
nungen der  Gründer  der  Gemeinde  und  der  ihnen  nachfolgenden  Bischöfe 
veranstaltet.  Solche  Listen  hatte  Eusebios  bei  der  Abfassung  seines  Cfaroni- 
kons  und  seiner  Eirchengeschichte  vor  sich  liegen;  natürlich  wurden  die- 
selben auch  nach  Eusebios  fortgesetzt;  später  wurden  dann  auch  einzelne 
von  ihnen  herausgegeben.  Dass  es  dabei  nicht  ohne  Interpolationen  und 
namentlich  nicht  ohne  vermutungsweise  eingesetzte  Zeitbestimmungen  ab- 
ging, lag  in  der  Natur  der  Sache  und  in  der  Mangelhaftigkeit  der  alten 
Aufzeichnungen.  Erhalten  sind  uns  die  Listen  der  Bischöfe  von  Rom  vom 
Apostel  Petrus  an,  von  Antiochia  von  Euodios  an,  von  Alexandiia  vom 
Apostel  Marcus  an,  von  Jerusalem  vom  Apostel  Jacobus  an. 

Auf  Dorotheos,  Bischof  von  Tyros  im  4.  Jahrhundert,  geht  zurück 
das  cvyyQafifia  ixxlrjetaatixov  ncQi  zdov  o  fiad-r/rciv  rov  xvQtov.  Dasselbe 
hat  zur  Hauptquelle  das  5.  Buch  des  verloren  gegangenen  Werkes  ^Ynorth 
noiceig  des  Clemens  Alexandrinus   und   ist  nach  einer  Schlussbemerkung 


B.  ChriBtliche  Sohriftateller.    5.  Christliche  Dichtungen.    (§§  706—708.)    923 

der  Handschrift  von  dem  Presbyter  Prokopios  (525)  aus  den  historischen 
Werken  (tatoQixd  avy^qd^iiiata)  des  Dorotheos  exzerpiert.  —  Von  Hippo- 
lytos,  nicht  dem  römischen,  sondern  dem  ägyptischen  aus  Theben,  der 
dem  4.  Jahrhundert  angehört  und  von  dem  auch  Beste  einer  Chronik  er- 
halten sind,  existiert  in  äthiopischer  Übersetzung  ein  Verzeichnis  der 
Patriarchen  von  Alexandria  bis  zum  Jahr  384. 

Kritische  Bearbeitung  der  ältesten  Bischofslisten  yon  Harnack,  Altchr.  Lit  II  1, 
70  ff. ;  Das  Patriarchenverzeichnis  von  Alezandrien  von  Gutsohmid  Kl.  Sehr.  II  395  ff.  — 
Das  Syngramma  des  Theodoros  ist  gedruckt  im  Appendix  zum  Chroniken  paschale  von 
Du-Gange,  ed.  Bohnbt  U  p.  120  ff. ;  eine  Sonderansgabe  wird  erwartet  von  Gblzbb.  —  lieber 
Hippolytos  gibt  nach  Mitteilungen  Dillmann's  Kunde  Gütschuid  bei  Lipsius,  Die  apokryphen 
Apostelgeschichten  11  2,  416  Aiim. 

707.  Armenische  Geschichte.  Durch  armenische,  zum  Teil  wieder 
ins  Griechische  rückübersetzte  Übersetzungen  sind  uns  die  historischen 
Werke  zweier  christlicher  Annalisten  des  4.  Jahrhunderts,  des  Agathangelos 
und  Faustus  Byzantinus,  erhalten.  Agathangelos,  angeblich  aus  Rom, 
der  bei  dem  armenischen  König  Tiridates  II  die  Stelle  eines  Sekretärs 
versah,  ist  Verfasser  einer  Geschichte  jenes  Königs,  der  ein  Abriss  der 
älteren  Geschichte  Armeniens  und  der  Gründung  des  Reiches  der  Arsaciden 
vorausgeht.  Den  hauptsächlichsten  Inhalt  des  Geschichtswerkes  bildet  die 
Verfolgung  der  Christen  durch  den  vom  Kaiser  Diokletian  aufgestachelten 
König  Tiridates  und  die  in  romanhafter  Weise  erzählte  Bekehrung  des 
Königs,  die  durch  dessen  leidenschaftliche  Liebe  zur  keuschen  Märtyrin 
Rhipsime  eingeleitet  und  durch  Gregorios,  den  grossen  Apostel  der  Ar- 
menier, ins  Werk  gesetzt  ward.  Der  überlieferte  bilingue,  armenische 
und  griechische  (der  letztere  verkürzt)  Text  enthält  eine  spätere  Redak- 
tion des  Originalwerkes,  in  dem  vieles  weggelassen  und  das  Ganze  in  die 
Form  einer  Heiligenlegende  umgearbeitet  ist.  —  Nur  in  armenischer  Über- 
setzung haben  sich  die  Annalen  des  sonst  nicht  näher  bekannten  Faustus 
von  Byzanz  erhalten.  Dieselben  knüpfen  an  die  Geschichte  des  Königs 
Tiridates  an  und  erzählen  unter  starker  Betonung  der  Heiligenlegenden 
die  Geschichte  Armeniens  in  den  nächsten  50  Jahren  von  Chosroes  II  an 
bis  zur  Teilung  Armeniens  durch  den  Perserkönig  Sapor  und  den  byzan- 
tinischen Kaiser  Arcadius.  Der  bekannte  Historiker  der  justinianischen 
Zeit  Prokop  hat  dieselben  in  seinem  Perserkrieg  1,  5  benutzt. 

Ausgabe  und  Uebersetzung  der  beiden  Annalen  von  Langlois  in  Müllbb,  FH6.  V  2. 
P.  DB  Lagarde,  Agathangelus  und  die  Akten  Gregors  von  Armenien,  GOttingen  1887.  — 
GuTSCHUiD,  Agathangelos,  in  Ztscbr  d.  deutsch.  Morgenl.  Ges.  XXX  (1877)  1—60  =  El. 
Sehr.  III  339—420.  Gblzbb,  Die  Anfänge  der  armenischen  Kirche,  Bericht  der  sächs.  Ges. 
d.  W.  1895  S.  111-21. 

5.  Christliche  Dichtunsren. 

708.  Die  christliche  Litteratur  begann  im  Zeitalter  der  Prosa  und 
war  so,  trotz  des  hohen  poetischen  Gehaltes,  der  in  der  Lehre  und  in  der 
Geschichte  des  Christentums  lag,  auf  die  ungebundene  Form  der  Rede 
hingewiesen.  Die  apostolischen  Konstitutionen  1,  6  verweisen  die  Christen, 
welche  nach  poetischen  Werken  Verlangen  tragen,  einfach  auf  die  Psalmen 
des  alten  Testamentes,  i)    Das  Absingen  von  Psalmen  wird  auch  wie  vom 

^)  Vgl.  Const.  apost.  n  57:  npd  &vo  Xeyo^  1   ^aXX^tcj  vfivovg  xoc  o  Xaog  xd  dxQWStlxM 
IJLivmv  dyayyüxffddrmy  irsQog  rig  toi»   Jaßid  \   vnotffaXXhto» 


924 


Oriechisoha  LitteratiirgeBohiolito.    m.  Anhaag. 


Apostel  Paulas  so  nachher  von  Clemens  Alexandrinus  den  Christen  vor 
dem  Essen  und  dem  Schlafengehen  anempfohlen.^)  Eigene  Gedichte  in 
griechischer  Sprache  begegnen  uns  bei  den  katholischen  Christen  erst  im 
3.  Jahrhundert.  Hippolytos  dichtete,  wie  wir  oben  §  680  sahen,  fiSag 
Hg  TTiiaag  rag  yQa(fag,  das  waren  aber  nichts  weiter  als  einleitende  me- 
trische Inhaltsangaben  zu  den  Schriften  des  Testamentes.  Aus  derselben 
Zeit  stammen  die  Lieder  {ipalfitpÜM)  des  ägyptischen  Bischofs  Nepos 
(ca.  230  —  250),  an  denen  sich,  wie  Dionysios,  der  Gewährsmann  des  Eu- 
sebios  Hist.  eccl.  7,  24  erzählt,  noch  nach  dessen  Tod  die  Brüder  erfreuten 
und  erbauten.*)  Was  das  für  Psalmen  waren,  wird  uns  nicht  gesagt; 
man  wird  aber,  nach  dem  Ausdruck  tpakfitpitai  zu  schüessen,  an  gesungene 
Lieder  zu  denken  haben,  wie  sie  nach  Clemens  Alex,  ström.  YII  7  von  den 
Christen  während  des  Mahles  und  vor  dem  Aufstehen  und  Schlafengehen 
gesungen  wurden.  Auch  im  Abendland  tauchten  gegen  Ende  des  3.  Jahr- 
hunderts christliche  Gedichte  in  lateinischer  Sprache  auf,  von  denen  die 
Unterweisungen  (Instructiones  in  2  B.)  und  das  Apologeticum  des  Commo- 
dian  die  ältesten  sind.  Zur  Blüte  aber,  oder  doch  zur  kräftigeren  Ent- 
wicklung kam  bei  den  Orthodoxen  die  Poesie  erst  im  4.  Jahrhundert. 
Nur  bei  den  häretischen  Gnostikern  hatte  sich,  wie  wir  nachher  sehen 
werden,  schon  früher  eine  selbständige  christliche  Poesie  entfaltet. 

709.  Gregor  von  Nazianz  und  Synesios  sind  die  hervorragend- 
sten Vertreter  der  christlichen  Poesie  in  griechischer  Sprache.  Aber  die 
Gedichte  beider  Männer,  von  denen  wir  bereits  oben  gesprochen  haben, 
wandeln  in  der  metrischen  Form  und  im  Gedankenausdruck  noch  wesent«- 
lich  die  alten  Pfade  der  hellenischen  Dichter;  sie  sind  Kunstprodukte,  die 
sich  zum  kirchlichen  Gesang  nicht  eigneten  und  nicht  den  Weg  zum  Herzen 
des  Volkes  und  der  christlichen  Gemeinde  nahmen.  Das  Gleiche  gilt  von 
dem  Hymnus  des  Clemens  von  Alexandrien,  der  am  Schlüsse  von 
dessen  Ilmdaycoyog  steht  ^)  und  ebenso  wie  die  grösseren  Hymnen  des 
Synesios  in  anapästischen  Monometem  und  Dimetern  abgefasst  ist.  — 
Noch  weniger  Eingang  in  das  Volk  fanden  die  versifizierten  Paraphrasen 
oder  Metaphrasen,  wie  sie  gegen  Ende  des  Altertums  von  Nonnos,  Apol- 
linarios  (gest.  390),  Eudokia  u.  a.  gedichtet  wurden.  Des  Nonnos  Über- 
setzung des  Evangeliums  des  h.  Johannes  haben  wir  bereits  oben  §  585 
kennen  gelernt.  ApoUinarios  schrieb  eine  Metaphrase  der  biblischen  Psalmen 
in  Hexametern;  auch  mehrere  Epigramme  der  Anthologie  tragen  dessen 
Namen.  Eudokia,  die  berühmte  Gemahlin  des  Kaisers  Theodosios  H 
schrieb  in  Hexametern  Paraphrasen  des  Oktateuchs  und  der  Prophezeiungen 


^)  Paulos  ad  Goloss.  3,  16:  tlmXfjioig 
viAvoiq  xai  (pdaTs  nvBVfjitttvxalg  iv  x^qitc 
ffdoyteg.  Giern.  Alex,  paedag.  11  4  p.  194:  17 
eig  ^Boy  di*  evj^aQKTTi'ag  xal  \^aXfA(^dlag  ys- 
viüB^ta  (fiXotpQoavytj,  ström.  VII  7  p.  309:  ^aX- 
fjLol  dh  xal  vfAvoi  na^d  re  trjp  ifftiaocy  ngo  te 
XTJg  xo'iTvjg.  Darauf  auch  zu  deuten  die  An- 
gabe des  jüngeren  Plinius  epist.  10,  96  von 
den  Gbristen:  ante  lucem  convenire  Carmen- 
que  Christo  dicere, 

»)  Euseb.  Hist.  eccl.  7,  24,  4:   iy   aXkoig 


fjikv  noVioig  dnodäxofjiai  xai  ayanm  Ntnmwa. . 
xai  rijg  noXX^g  iJ/aXf^iftdiagy  m  f*^X9^  ^^ 
noXXol  xiäy  adeXgmy  ev&vfxovytai.  üeber 
Nepos  s.  Habnaok,  Altchr.  Lit  I  427.  —  Aach 
in  dem  Katalog  der  Schriften  des  Jnstiniffi 
wird  ein  VfäXtfjg  angeführt  (Hainack  102); 
ob  er  aber  eigene  Lieder  enthalten  hat,  ist 
sehr  nngewiss. 

')  Zu  beachten  ist,  daas  derselbe  in  den 
codd.  Par.  P  u.  Oxon.  N  fehlt 


B.  Chriiiliohe  Schriftsteller.     5.  Chrietliche  Dichtungen.    (§§  709--711.)    925 


des  Zacharias  und  Daniel  neben  dem  Martyrium  des  h.  Cyprian  (s.  §  586). 
Auch  von  Am  mi  an  OS  ist  handschriftlich  eine  versificierte  Psalmen- 
metaphrase auf  uns  gekommen. 

Apollinarii  metaphraslB  psalmomm  ed.  Ludwich,  Ind.  lect.  Regiom.  1880;  dazu  Lud- 
wich Herrn.  13  (1878)  335  ff.,  und  Königsb.  Studien  I  (1887)  80  ff.  DrXsekb,  Zur  Psalmen- 
metaphrase des  ApollinarioB,  Ztschr.  f.  wiss.  Theol.  31  (1888)  177  ff. 

£udociae  Augustae  canninum  reliquiae  ed.  Ludwich,  in  Bibl.  Teubn.  1897;  dazu 
Lüdwich,  Eudokia  als  Dichterin  Rh.  Mus.  37  (1882)  206  ff.;  vgl.  oben  §  586. 

Ammianos  Psalmenmetaphrase  in  Cod.  Laur.  5,  37;  davon  eine  Probe  von  Bandini, 
Catalogus  bibliothecae  Mediceae  Laurentianae  I  64  ff. 

710.  Einen  volkstümlicheren  Charakter  trägt  das  Parthenion  oder 
der  Jungfrauengesang  des  heil.  Methodius  (gest.  um  312),  der  so  an- 
gelegt ist,  dass  in  den  Gesang  der  Vorsängerin  Thekla  nach  jeder  der 
24  Strophen  der  Chor  mit  einem  Refrain  einfällt  (vTtaxovti),  Denn  das 
war  die  Form  des  heiligen  Gesangs  der  Therapeuten,  wie  ihn  Philon  in 
dem  Buche  ncQi  ßiov  &€(üQrjTtxov  beschreibt  und  wie  er  sich  zur  Zeit  des 
Athanasios  und  Ghrysostomos  über  die  christlichen  Gemeinden  ausgebreitet 
hatte.  ^)  Nur  hielt  sich  auch  Methodios  noch  an  die  Regeln  der  alten 
quantitierendeu  Poesie,  welcher  er  auch  das  trochäische  Metrum  entnahm. 
Denn  in  dem  Volksmund  war  damals  bereits  die  Quantität  entschieden 
hinter  dem  Accent  zurückgetreten,  so  dass  es  nur  der  mächtige  Einfiuss 
der  altgriechischen  Kunstpoesie  war,  der  den  Methodios  zur  Beibehaltung 
des  Quantitätsprinzips  veranlasste. 

Volkstümlich  waren  auch  des  Areios  lebensvolle,  angebUch  nach 
dem  Muster  des  Sotades  (ob  in  Sotadeen?)  gedichtete  Müller-,  Schiffer-, 
Reiselieder,  die  einen  Teil  seines  berühmten,  Prosa  und  Poesie  mischenden 
Buches  Thalia  {i^äXeia  =  satura)  bildeten,  dem  die  Orthodoxen  eine  ähn- 
liche Sammlung  Antithalia  entgegensetzten.^) 

Der  Jungfrauengesang  der  Methodios  in  Gbrist-Paranikas,  Anthol.  graeca  carm. 
Christ,  p.  33—7.    Dazu  W.  Meyer,  Abh.  d.  bay.  Ak.  XVÜ  (1885)  309  ff. 

711.  Eine  vollständige  Umgestaltung  der  metrischen  Form  ging  von 
Ägypten  und  Syrien  aus,  wo  sich  am  frühesten  im  Anschluss  an  die 
hebräische  Psalmendichtung  und  das  Hohelied  eine  selbständige,  für  den 
Kirchengesang  bestimmte  religiöse  Poesie  entwickelte.  Durch  Hippolytos, 
Elench.  V  2,  10  ist  uns  ein  griechischer  Psalm  der  Naassener  in  freien 
melodischen  Rhythmen  erhalten,  der  in  hochpoetischer  Sprache  die  Mysterien 
der  Gnosis  von  dem  unsteten  Wandel  {nXdvr^)  der  Seele  besingt.  5)  Das  ist 
nur  einer  von  den  vielen  und  mannigfaltigen  Hymnen,  welche  nach  Hippo- 
lytos Elench.  V  6  die  Naassener  auf  Adam  hatten.  Auch  von  den  Gno- 
stikem  Basilides,  Valentin  und  Markion  gab  es  Anrufungen  und  Psalmen.'^) 
Zur  Blüte  aber  kam  in  S)rrien  das  heilige  Lied  durch  die  Meloden  Bar- 


*)  Ein  alter  Hymnus  in  Acta  loannis  ed. 
Zahn  p.  220  enthält  eine  Dozologie  und  einen 
Bittgesang,  gesungen  vom  Vorsänger,  dem 
der  Chor  in  den  einzelnen  Absä&en  mit 
«^171^  antwortet;  der  Schluss  '17  X"9^^  x^Q^^'^^9 
avXijaat,  &i'Aio,  o^/iy<ra<rÄe  nnyzBg.  uurjy, 
»^9r^aai  S^iXia,  xoipaa^e  ndyxeg.  ufArjy.  er- 
innert lebhaft  an  die  alten  Hyporchemen  und 
Threnen. 


*)  Harnack,  Altchr.  Ut.  I  532. 

*j  Christ-Paranikas,  Anthologia  graeca, 
carminum  christianorum  p.  32;  gute  Verbesse- 
rungen dazu  von  Usbnbr,  Altgriech.  Vers  94. 
Das  anapästisch-logaödische  Versmass  gleicht 
dem  eines  in  Athen  gefundenen  Päan  CIA 
m  1,  171  ^ 

*)  Harnack,  Altchr.  Lit.  I  161.  177. 


92ß 


Orieohisohe  Litteratorgesohichte.    IIL  Anhaiig. 


desanes  (geb.  154)  und  Ephraem  (gest.  373).  Von  dem  letzteren  sind 
die  religiösen  Gesänge  in  syrischer  Sprache  uns  noch  erhalten.^)  Von 
Bardesanes  stammt  vermutlich  der  phantasiereiche  Hjrmnus  von  den  Schick- 
salen der  Seele,  welche  von  der  himmlischen  Heimat  herabgesandt  ward, 
um  die  von  der  Schlange  behütete  Perle  zu  holen.  Derselbe  ist  in  sechs- 
zeiligen  Rhythmen  gedichtet  und  uns  nur  dadurch  erhalten,  dass  er  nebst 
der  Ode  auf  die  Weisheit  (cxoyia)  und  zwei  Weihgebeten  in  die  Akten 
des  Apostels  Thomas  aufgenommen  wurde.') 

712.  Durch  die  hebräische  und  syrische  Poesie  angeregt  und  durch 
den  Wandel  der  Aussprache  infolge  der  Übermacht  des  expiratorischen 
Accentes  unterstützt,  entwickelte  sich  gegen  Ende  des  Altertums  auch 
bei  den  katholischen  Gemeinden  eine  neue  Gattung  rhythmischer  Poesie. 
Es  vollzog  sich  der  Umschlag  von  der  alten,  lediglich  durch  die  Quantität 
bestimmten  Weise  zur  neuen  rhythmischen,  durch  den  Accent  regulierten 
Poesie  auf  gleiche  Weise  im  lateinischen  Abendland  wie  im  griechischen 
Morgenland.  Vorangegangen  sind  wohl  die  griechischen  Meloden,  aber 
aus  dem  lateinischen  Altertum  sind  uns  von  dieser  neuen  Liedergattung 
etwas  mehr  Reste  erhalten.  Aus  dem  Griechischen  gehören  hieher  der 
Abendgesang  (vfivog  iiXTieQn'og)  des  Gregor  von  Nazianz  und  einige  andere 
für  die  Andacht  am  Morgen  und  Abend,  beim  Frühstück  und  der  Licht- 
anzündung  bestimmte  Lieder  unbekannter  Verfasser.  Der  gegen  Ende  des 
Altertums  ausgestreute  Samen  ging  zur  vollen  Saat  erst  im  byzantinischen 
Mittelalter  auf,  wo  sich  im  Anschluss  an  die  entwickeltere  Liturgie  und 
unter  dem  Einfluss  der  Formen  der  syrischen  Poesie »)  eine  reiche  Lit- 
teratur  rhythmischer  Kirchengesänge  entfaltete. 

Die  Texte  der  altchriBtlichen  Gedichte  sind  yeröffentlicht  und  dnrch  ProlegomeDS 
erläutert  von  Christ-Paranikab,  Anthologia  graeca  carminom  christianomm,  ups.  1871. 
Dazu  W.  Mbybr,  Anfang  und  Ursprung  der  lai  u.  griech.  rhyÜunischen  Dichtung,  Abhdl. 
d.  b.  Ak.  XVII  (1885)  S.  309  ff.;  Derselbe,  Pitra  Mone  und  die  byzantinische  Strophik, 
Stzb.  d.  b.  Ak.  1896.  S.  49  f. ;  Boüvt,  Etudea  sur  les  origines  du  rhythme  tonique.  Nimes 
1886.    Weiteres  bei  Erümbachbb  Byz.  Litt'  660  ff. 


^)  Macke,  Syrische  Lieder  gnostischen 
Ursprungs,  Tüb.  theol.  Quartalschr.  1874  S.  1 
bis  70.  —  Hüb.  Grikme,  Der  Strophenban 
in  den  Gedichten  Ephraems  des  Syrers,  Coli. 
Friburg.  II  893. 

')  R.A.LiP8rcs,  Die  apokryphen  Apostel- 
geschichten I  292  ff.,  wo  auch  eine  metrische 


Uebersetzung  gegeben   ist.    Vgl.   ELarhacc, 
Altchr.  Lit.  II  1,  546. 

')  Die  Litteratur  ttber  diese  strittige  Frage 
bei  Erümbachbb  Byz.  lit*  657.  —  Nordsv, 
Die  antike  Eunstprosa  S.  827  ff.,  nimmt  wenig- 
stens für  den  Reim  Ursprung  aus  Griechen- 
land, aus  dem  o/AoioTäXevroy  der  Rhetoren  in. 


Register. 


Die  elnfkohen  Zahlen  bedeuten  die  Selten,  der  naohgeiietzte  Stern  die  Hauptatelle. 


AbariB,  Hyperboreer  108. 
AbydenoB,  Historiker  920. 
Achaer  13. 

Achaios,  Tragiker  277. 
Achilles    Statins,    Astronom 

532. 
Achilles      Tatios ,      Roman- 

schreiber  618. 
Acta  aposiol.  s.  Apostel. 
Adamantios,  Sophist  734. 
Adonisfeier  528. 
Adraatos,  Aristoteliker  489. 
Adrianos,  Sophist  729,  813*. 
Aeneas  etc.  s.  Aineias  etc. 
Aegyptische    Einflüsse     159, 

439,   835  f.,  856   Anm.  2, 

865;  ägyptische  Sitte  311; 

Urkunden  501;  Aigvptiaka 

des  Manetho  559;  des  He- 

kataios  559. 
Aeolisches  Versmaass  178. 
Aesop  s.  Aisopos. 
Aetios,  Philosoph  710. 
AetioB,  Arzt  860. 
Aetna  bei  Hesiod  90  Anm.  3. 
Afrikanus,  Arzt  862. 
Afrikanns,  s.  Julius  Afric. 
Agathangelos,  Historiker  923. 
Agaiharchides,  Geograph  571. 
Agatharchos,    Ettnstler   224 

Anm.  4,  876. 
Agathemeros,  Geograph  800. 
Agathias,  £pigranmiatUcer515, 

794  f. 
Agathodaimon,  Geograph  689. 
Agathokles,  Grammatiker  595. 
Agathokles,    Historiker    554 

Anm.  3. 
Agathon,    Tragiker    277    f., 

300,  441. 
Agias,  s.  Hagias. 
Aglaosihenes,  Historiker  554. 
Agone,  lösche  120  f.,   155; 

dramatiBche  199;  musische 

544;    Agon    der   Komödie 


284;  nationale  Wettkftmpfe 

176   Anm.  5;    Preise  202; 

Agonothet309;  litterarische 

Agone  in  Rom  615  f.;  auch 

fttr  Reden  712  Anm.  3. 
Agrippas  Reichskarte  682. 
Aiantides,  Tragiker  539  Anm.2. 
Aidesios,  Sophist  802  Anm.  3. 
Aiginetika  554. 
Ailianos,     Sophist    730    ff.; 

anim.  bist.  731  f.;  var.  bist. 

732;  Bauembriefe  732  f. 
Ailianos,  Taktiker  875. 
Ailios  Dionysios  s.  Dionysios. 
Ailios  Harpokration  s.  Harpo- 

kration. 
Aineias    von    Gaza,    Sophist 

823,  914*. 
Aineias,  der  Taktiker  358. 
Ainesidemos,  Skeptiker  585. 
Aischines ,     Redner ,     Leben 

405  f.;  Porträt  405  Anm.  3; 

Reden  407;  Briefe,  unechte 

407;  Scholien  407. 
Aischines,   Sokratiker   420*, 

433. 
Aischrion,  lambograph  137. 
Aischylos,    Tragiker,    Leben 

209  ff.;  Reisen  nach  Sikilien 

210  ff.;  Bild  212  Anm.2  u. 
6;  Neuerungen  in  der  dra- 
matischen Kunst  223  f.; 
Charakteristik  224  f.;  Dich- 
tungen 212  ff.;  Schutzfle- 
hende 213  ff.;  Perser  214  f.; 
Sieben  216  f.;  Prometheus 
217  ff.;  Orestie289ff;  ver- 
lorene Dramen  222  f.;  Ver- 
hftltnis  zu  Pindar  219,  225; 
zu  Sophokles  228;  Hand- 
schriften 226;  Scholien  226. 

Aischylos,  alex.  Dichter  535 

Anm.  2,  539  Anm.  2. 
Aisopos,  Fabeldichter  139  f. 
Aithiopis,  Epos  80. 


Akademie  426,  455,  574  f. 

Akakios,  Komiker  741  Anm.  2. 

Akesandros,  Historiker  555. 

Akusilaos,    Logograph     102, 
323*. 

Albinos,  Platoniker  456. 

Alexamenos,   Dialogschreiber 
428  Anm.  2. 

Alezander  von  Aigai,  Aristo- 
teliker 489. 

Alezander   Aetolus,    Dichter 
508  f.,  538. 

Alezander  Aphrodisiensis,  Ari- 
stoteliker 489,  702*. 

Alexander     von     Kotyaion , 
Grammatiker  336,  720. 

Alezander  der  Lttgenprophet 
745. 

Alexander    Lychnos ,     Lehr- 
dichter 538,  691. 

Alexander  Myndios  610,  863. 

Alexander    Numenii,   Rhetor 
752. 

Alexander  Peloplaton,  Sophist 
729. 

Alexander  Polyhistor  609  f. 

Alexander,  Arzt  856,  860. 

Alexanderroman  819  f. 

Alexandria  494,  716,  781,  872. 

Alexandrinisches    Zeitalter 
491  ff. 

Alexes(v.l.  Alexias),  Kinäden- 
dichter  546. 

Alexion,  Grammatiker  763. 

Alexis,  Komiker  311  f. 

Alkaios,  Lyriker  147  f. 

Alkaios,  Epigrammatiker  514. 

Alkaios,  Koiniker  303  Anm.  3. 

Alkibiades,  Epiker  784  Anm.  2. 

Alkidamas,  Rhetor  385*;  über 
Hesiod  88,  101. 

Alkimenes,  Komiker  288. 

Alkiphron,  Sophist  822  f. 

Alkmaion,  Arzt  852. 

Alkmaionis,  Epos  104. 


928 


Register. 


Alkman,  Lyriker  155  f. 
Allegorische  Deutung  66 ;  theo- 

sopfaische      Allegorie      95 

Amn.  1,  898. 
Alpheios,  Epigrammatiker  622. 
Alypios,    Musiker    771,    832 

Anm.  1. 
aXtantj^  aus   dem    Indischen 

138  Anm.  6. 
Amarantes,  Scholiast  763;  zu 

Theokrit  527. 
Ameinias,  Dramatiker  539. 
Ameipsias,  Komiker  290,  295 

Anm.  3,  298  Anm.  1. 
Amelasagoras,  Logograph  324. 
Amerias  Glossen  761. 
Amerika  662  Anm.  1. 
Ammianos,     christl.    Dichter 

925. 
Ammianos,     Epigrammatiker 

622. 
Ammonios,  Epiker  784. 
AmmonioB     Hermeiu,     Neu- 

platoniker  489,  915. 
Ammonios,  Akademiker  648. 
Ammonios,  Grammatiker  605, 

758  Anm.  2. 
Ammonios,  Lexikograph  840. 
Ammonios  Sakkas,  Philosoph 

825. 
Amphikrates,     Grammatiker 

612  Anm.  3. 
Amphis,  Komiker  312. 
Amyklftischer  Thron  49. 
Amynthianos,  Historiker  679. 
Anagraphai  7,  319. 
Anakreon,    Lyriker     151   f.; 

Statue  151  Anm.  8. 
Anakreontea  152  f.,  624. 
Analogie  und  Anomalie  593. 
Ananios,  lambograph  137. 
Anatolius,  Bischof  894  Anm.  4. 
Anaxagoras,  Philosoph  414. 
Anaxandrides,  Komiker  311. 
Anaxandrides,  Perieget  601. 
Anaxarchos,  Demokriteer  415 

Anm.  3. 
Anaxilas,  Komiker  312. 
Anaximander,  Philosoph  323. 

364,  411  f. 
Anaximenes,  Philosoph  411  f. 
Anaximenes,  Historiker  362, 

363*;  Rhetorik  483  f. 
AnaxippoB,  Komiker  317. 
Andokides,  Redner  370  f. 
Andriskos,  Historiker  554. 
Andromachos,  Arzt  630,  856. 
Andromachos,     Rhetor    802 

Anm.  2. 
Andren,  Historiker  557  Anm.  5; 

Androns  Tripus  129  Anm.  4. 
Andronikos,   Epigrammatiker 

796. 
Andronikos,  Grammatiker  280 

Anm.  6. 


Andronikos,  Peripatetiker460, 
477  Anm.  1,  488. 

Androsthenes,  Geograph  364. 

Androsthenes,  Historiker  364. 

Androtion,  Historiker  553. 

Annubion,  Astrolog  631. 

Antagoras,  alex.  Dichter  514, 
529  Anm.  1  u.  7. 

Antandros,  Historiker  550. 

Antheas,  Dichter  281. 

Anthemios,  Architekt  874. 

Anthologie  512,  849;  Palatina 
515;  Planudea  515;  klei- 
nere syllogae  516. 

Antigenes,  Dithyrambiker  188. 

Antigenes  Karystios,  Gram- 
matiker und  Epigramma- 
tiker 598*,  621;  Kflnstler 
877. 

AntigonoB,  Historiker  561 
Anm.  5. 

Antikleides,  Historiker  555. 

Antimachos  aus  Tees,  Epiker 
84. 

Antimachos  '  aus  Kolophon, 
Epiker  107  f. 

Antiochia  499,  781,  805. 

Antiochos ,  Epigrammatiker 
622. 

Antiochos,  Grammatiker  310 
Anm.  4. 

Antiochos,  Historiker  357, 
685. 

Antiochos,  Philosoph  575. 

Antiochos,  Sophist  729. 

Antipater ,  Epigrammatiker 
514,  621. 

Antipater,  Stoiker  579,  593. 

Antiphanes,  Anekdotenschrei- 
ber 552. 

Antiphanes,  Epigrammatiker 
621. 

Antiphanes,  Komiker  310  f.*, 
393  Anm.  2. 

Antiphiles,  Epigrammatiker 
621. 

Antiphon,  Redner  368  f.; 
Lehrer  des  Thukydides  337. 

Antiphon,  Sophist  368  Anm.  2. 

Antiphon,  Tragiker  280. 

Antisthenes,  Historiker  555, 
709. 

Antisthenes,  Philosoph  349, 
380,  384,  421*,  717. 

Antoninus  Liberalis,  Mytho- 
graph  778. 

Antonius  Diogenes,  Roman- 
schriftsteller 816. 

Antonios  Monachos  841,  850. 

Antonios  Polemon  s.  Polemon. 

Antyllos,  Scholiast  des  Thu- 
kydides 337  Anm.  4,  344 
Anm.  9. 

Anyte,  Dichterin  512. 

ApWeus,  Tragiker  280. 


Aphihonioe,  Rhetor  753. 

Apion,Grfunmatiker  647, 761  f.; 
homerische  Glossen  66 
Anm.  3. 

Apokalypse  881. 

Apokryplie  Schriften  des  d.  T. 
885  f. 

ApollinarioB,  christl.  Dichter 
796. 

ApoUinarios,  Epigrammattker 
622. 

ApoUinarios,  Kirchenvater  8, 
909*,  910. 

Apollinaris,  Apologet  893. 

ApoUodor  von  Artemita,  Hi- 
storiker 570,  684. 

Apollodor  von  Athen,  Gram- 
matiker 607  f.,  684;  Chro- 
nika  568,  608*;  ApoUodofs 
BibUoÜiek  777  f. 

Apollodor,  Epikureer  709. 

Apollodor  von  Erythrft,  Histo- 
riker 555. 

Apollodor,  Komiker  317. 

Apollodor,  Rhetor  750. 

Apollodor,  Taktiker  875. 

Apollonides,  Scholiast  546. 

ApoUonios  Archibii  763;  Ho- 
merlexikon 60. 

Apollonioe,  Arzt  855,  856 
Anm.  1. 

Apollonios  Dyskolos«  Gram- 
matiker 766. 

Apollonios  eidographoe  173 
Anm.  6,  175  Anm.  1. 

Apollonios,  Historiker  555. 

Apollonios ,  Paradozograpfa 
733. 

Apollonios,  Mathematiker  868. 

Apollonios  Rhodioe,  Epiker 
529,  532  ff.;  Argonantika 
532  f.;  Kommentare  dazu 
534  f. 

Apollonios,  Scholiast  des  He- 
rodot  336;  des  Aischines 
404  Anm.  3.  407. 

Apollonios,  Stoiker  593. 

Apollonios  von  Tyana  699, 725. 

Apollonios  von  Tyms,  Roman 
820. 

Apologeten  890  ff. 

Apostelgeschichten  882, 885f.; 
Lehre  der  Apostel  886; 
Anordnungen  der  Apostel 
886. 

Apostolische  Väter  887. 

Appian,  Historiker  673  f. 

Apsines,  Rhetor  755*,  802 
Anm.  3. 

Apsyrtos,  Arzt  861. 

Apuleius  de  deo  Socntia661 
Anm.  5;   metamorph.  746. 

Araber,  Erklärer  des  Plato 
456;  des  Aristoteles  490; 
des  Ptolemäns  688. 


Register. 


929 


Araros,  Komiker  312. 

Arat  von  Soli,  Dichter  499, 

520  f.,    529  ff.;    Büd   529 

Amn.  5,  531;   Werke  530; 

Kommentare  zn  den  Phai- 

nomena  531. 
Arat  von  Sikyon,  Historiker 

552. 
Archagathos,  Arzt  856. 
ArcheboloB,  Dichter  516. 
Archedikos,  Komiker  317. 
ArchelaoB,  Dichter  515,  733 

Anm.  3. 
Archelaos,   König  von  Make- 
donien 338. 
Archemachos,  Historiker  555. 
Archestratos,  Parodiendichter 

547,  737. 
•Archias,  Dichter  529,  622. 
Archibios     za     Kallimachos 

508. 
Archilochos,   Dichter  134  ff., 

138;    nach    Kallmos    125; 

Büste  135  Anm.  6. 
Archimedes ,      Mathematiker 

867  f. 
Archimelos,  Dichter  514. 
Archippos ,      Komiker     290, 

292  Anm.  4,  298  Anm.  4, 

312. 
Archytas,    Pythagoreer  413, 

865. 
Areios   (Anns),    Christ    909; 

Lieder  925. 
Areios    Didymos,    Philosoph 

456,  710*   696. 
Areios,  Homeriker  497  Anm.  5. 
Aretaios,  Arzt  858. 
Argas,  Dithyrambiker  189. 
Ai^ntarins,  Epigrammatiker 

622. 
Argolika  554,  601. 
Argonaatensage  24;  Argonan- 

tika  790. 
Arimaspeia,  Epos  106. 
Arion  157*,  206. 
Ariost  39. 
Aiiphron,  Dith3rrambiker  189, 

624  Anm.  1. 
Aristagoras,  Geograph  364. 
Aristagoras,  Komiker  290. 
Arifitainetos,  Erotiker  823. 
Ariatarch,  A^stronom  571,  662, 

869*. 
Aristarch,  Dramatiker  276. 
Aristarch,  Grammatiker  603  f., 

Porträt  604  Anm.;  zu  Ho- 
mer 64;  gegen  Ghorizonten 

32;  zn  Hesiod  89  Anm.  3; 

zu  Pindar  184. 
Aristarcheer  605. 
Aristeas,  Epiker  106. 
Aristeas,  Tragiker  208. 
Aristeas  Aber  die  Juden  497, 

648. 


Aristides,  Apologet  890  f. 

Aristides  Milesius  815. 

Aristides  Quintilianus,  Musiker 
770  f. 

Aristides,  Rhetor  718  ff.;  Por-  ^ 
trat  719;  Techne  719;  Re- 
den   720  ff.;   gegen   Plato 
720. 

Aristippos,  Philosoph  422; 
Statue  422. 

Aristobulus,  Historiker  363, 
670. 

Aristobulos,  Peripatetiker497, 
643,  916  Anm.  3. 

Aristodemos,  einer  der  sieben 
Weisen  129. 

Aristodemos ,  Grammatiker 
605. 

Aristodemos,  Historiker  797. 

Aristokles,  Dichter  733  Anm.  1. 

Aristokles,  Grammatiker  611. 

Aristokles,  Sophist  729. 

Aristokrates,  Historiker  555. 

Aristomenes,  Komiker  290, 
294  Anm.  2,  303  Anm.  3. 

Ariston,  Apologet  891. 

Ariston,  Historiker  570  Anm.  2. 

Ariston,  Philosoph  578. 

Ariston,  Tragiker  276. 

Aristonikos,  Grammatiker  605, 
763;  zn  Homer  65;  zn  He- 
siod 102  Anm.  4. 

Aristonoos,  Dichter  511. 

Aristonymos,  Komiker  290. 

Aristophanes  von  Byzanz, 
Grammatiker  602  f.;  zn  Ho- 
mer 64;  zn  Pindar  173, 
184;  zu  Sophokles  251;  zu 
Aristophanes  307 ;  zu  Plato 
429  Anm.  3. 

Aristophanes,  Historiker  554. 

Aristophanes,  Komiker,  Leben 
290  f.;  Werke  292  ff.;  Cha- 
rakteristik 304  ff.;  Achamer 
293;  Ekklesiazusen  301, 
444  Anm.  3;  Frieden  297; 
Frösche  302 ;  Lysistrate 
299;  Plntos  303;  Ritter 
294 ;  Thesmophoriazusen 
299;  Vögel  298;  Wespen 
296;  Wolken  295;  Frag- 
mente 304;  Kokalos  und 
Aiolosikon  292  Anm.  1 ; 
Handschriften  und  Schollen 
307 ;  Verhältnis  zu  Sokrates 
296;  zu  Euripides  300;  zu 
Aischylos  und  Euripides 
302  f.,  805  f.;  üri»il  des 
Galen  und  Plntarch  293 
Anm.  1  665. 
Aristoteles,  Historiker  554. 
Aristoteles,  Philosoph,  Leben 
457  ff.;  Statue  451;  Lehrer 
Alexanders  458;  Kataloge 
der  Schriften  459  f.;  exote- 


Baadbvcb  der  klau.  Altertnnuwiasenaohaft.  YII.    3.  Aufl. 


rische  Schriften  461;  Dia- 
loge 461  f.;  Sammlungen 
462  f.;  Pythionikai  463; 
Didaskalien  462,  484;  sy- 
stematische Schriften  463  ff.; 
Chronologie  derselben  464 ; 
logische  Schriften  464  ff.; 
naturwissenschaftliche  466 ; 
de  anim.  471  f.;  Parva  na- 
turalia  472  f.;  Metaphysik 
473  ff.;  Ethik  475  ff.;  Poli- 
tik  477  ff.;  Politeiai  480; 
*j49-tjynl(üy  noXitBia  480  f.; 
Poetik  481  f.;  Rhetorik 
482  f.;  Briefe  484;  Gedichte 
484;  Peplos  484;  un- 
echte Schriften:  de  mundo 
468  f.;  Physiognomik  469; 
Oekonomik  481;  de  admi- 
raculis470;  Probleme  470; 
Rhetorik  an  Alexander  483; 
untergeschobene  Schriften 
im  Mittelalter  488;  theo- 
logia  829;  de  causis  883; 
Gesamtcharakter  468, 485ff.; 
Verhältnis  zu  Tsokrates  458, 
483;  zu  Plato  449  Anm.  1, 
457,  483;  Stü  463,  464, 
485 ;  Schule  des  Aristoteles 
487  ff.,  552;  Kommentare 
489;  Handschriften  490. 

Aristoxenos,  lambograph  282 
Anm.  1. 

Aristoxenos  der  Musiker  589  f., 
654  Anm.  1,  665. 

Arkadios,  Grammatiker  838. 

Arkesilaos,  Philosoph  574. 

Arktinos,   Epiker  80,  81,  82. 

Armenische  Geschichte  923. 

Arrian,  Epiker  626. 

Arrian,  Historiker  669  ff.;  phi- 
losophische Schriffcen  670; 
Anabasis  670  f.;  Periplus 
672,  800;  Taktik  672. 

Arsenios,  Erzbischof  850. 

Artemidor,  Geograph  572, 694, 
800. 

Artemidor,  Grammatiker  603 ; 
Sammler  derBukolika  519; 
zu  Theokrit  527. 

Artemidor,  Traumdeuter  734. 

Artemon,  Grammatiker  606. 

Asinius  Pollio  von  Tralles 
554,  570,  864;  vgl.  Pollio. 

Asinius  Quadratus  745  Anm.  3. 

Asios,  Epiker  105. 

Asklepios,  Dialog  836. 

Asklepiades,  Arzt  706  Anm.  2, 
856*. 

Asklepiades,  Epigrammatiker 
513,  514. 

Asklepiades  Myrleanus,  Gram- 
matiker 606  f. 

Asklepiades'  Schollen  zu  Thu- 

59 


930 


kydides   344  Anm.  9;   m 
ApolloniM  535. 

ABklepiades  TragüenaiB  206 
Anm.  3,  363*. 

ABklepios'  Heilungen  855;* 
AflUepioe  an  Ammon  836. 

Afiklepios  zn  Ariatoteles  489. 

ABklepiodotoB,  Taktiker  569, 
875  ♦. 

Asopodoroe,  Sophist  816. 

Aspaaios,  Scholiaatdea  Aischi- 
nea  407;  des  Ariatoteles 
489. 

Aaterios,  Christ  908. 

AstrampaychoB,  Traomdenter 
734. 

Astrologie  680  f.,  688,  794, 
836. 

Astronomen  687,  865  ff. 

Astvdamas,  Rhetor  n.  Tragiker 
279. 

Asynarteten  135  Anm.  8. 

Athanas,  Historiker  360. 

Athanasios,  Kirchenvater  908. 

Athen  und  Attika  127;  att. 
Drama  194  f.;  att.  Lyriker 
184  ff.;  att.  Redner  367  ff.; 
att.  Philosophie  416  ff.;  Phi- 
losophenschulen in  Athen 
574 ;  Mittelpunkt  der  griech. 
Renaissance  711;  nach  Kon- 
stantin 781. 

Athenagoras,  Apologet  892. 

Athenaios,    Sophistenmahl 
734  ff. 

Athenaios,  Taktiker  875. 

Athenodoros  aus  Tarsos  569 
Anm.  6,  593*. 

Athenodoros,  Stoiker  593, 696. 

Attalos,  Scholiast  zu  Arat 
531. 

Atthis,  Epos  105. 

Atthidenschreiher  553  f. 

Attikisten  771  ff. 

Attischer  Dialekt  14;  des 
Dramas  191;  seine  Vor- 
züge 195  Anm.  2,  318 
Anm.  2;  attische  Lyriker 
184  ff. 

Attikos,  Platoniker  456. 

Attikusausgaben  404. 

Aurelius  s.  Marc  Aurel. 

Ausgabe  von  ixtfttfoyai  HO. 

Autolykos,  Mathematiker  866. 

Automatentheater  542. 

Automedon,  Epigrammatiker 
621. 

Avien,  Ora  maritima  361,  561, 
791  Anm.  4. 

Babrios,  Fabeldichter  627  ff. 
Babyloniaka  556. 
Bakcheios,  Musiker  771. 
Bakchylides,  Dichter  164  ff. 
Barbarismus  12  Anm.  1. 


Bardesanes,  christl.  Diditer 
925 

Bamabas,  Christ  885. 

BartholomaeusMessanios,  Ari- 
stoteliker  490. 

Basileioe,  Kirchenvater  901  f. 

Basileios,  Dichter  152. 

Baten,  Historiker  555. 

Baten,  Komiker  817. 

Batrachomyomaehie,  Epos  75  f. 

Beredsamkeit  s.  Redner. 

Berosos,  Historiker  558. 

Berytos  782. 

Bianor,  Epigrammatiker  621. 

Bias,  einer  der  sieben  Weisen 
129. 

Bibelabersetzung  496  f. 

Bibliothek  des  Peisistratos 
63;  in  Alexandria  495;  in 
Pergamon  498 ;  in  Rom 
615;  in  Konstantinopel  780. 

Biographien  6,  552. 

Biologos  625  Anm.  3. 

Bion,  Bukoliker  527  f. 

Bion  Borysthenites  547,  584, 
703. 

Bion  der  Prokonnesier  323 
Anm.  2. 

Biton,  Taktiker  875. 

Blaisos,  Phlyakendichter  544. 

Boethos,  Epigrammatiker  622. 

Boethos  zu  Plato  456;  zu 
Aristoteles 489;  zu  Arat  531. 

Boios,  alex.  Dichter  588. 

Boiotika  554. 

Boiotos,  alex.  Dichter  548. 

Boiskos,  alex.  Dichter  516. 

Bolos,  Arzt  863. 

Bolos  aus  Mendes,  Demokriteer 
415. 

Briefe  699,  822  f.;  des  neuen 
Test.884  f.;  untergeschobene 
383,  451. 

Brontinos,  Orphiker  109,  792. 

Bryson,  Sophist  418. 

BAcher  16,  321;  Buchhandel 
16,  385;  in  Sikilien  385 
Anm.  3;  Widmungen  493. 

Bühne,  Teil  des  Theaters  198; 
in  hellenistischer  Zeit  309. 

Bukolische  Poesie  517  ff.;  An- 
fänge bei  Stesichoros  159  f., 
518;  Bukoloi  des  Kratinos 
287. 

Buntschriftstellerei  730  ff. 

Byzanz  691  f.;  s.  Konstanti- 
nopel. 

Caecilius,  Rhetor  642  f. 

Caesarea  782. 

Calvisius  Taurus,   Platoniker 

456. 
Candidus,  Historiker  798'. 
Cassianus  Bassus,  Geoponiker 

864. 


Cassius  Dio,  Historiker  675  £ 
CatnU  505,  506,  528,  608. 
Celsus,  Philosoph  745,  898. 
Chairemon,  Stoiker  648. 
Chairemon,  Tragiker  279, 280. 
Chairephon,     Aiihftnger    des 

Sokrates  437. 
Chairis,  Grammatiker  605. 
Chalcidins,  Platoniker  456. 
Chamaileon,  Peripatetik^  587 

f.;   über  Pindar  168;   Ober 

Komödie  280  Anm.  6. 
Charax,  Grammatiker  839. 
Charax,  Historiker  679. 
Chares  zu  ApoUonioe  534. 
Chares,  Historiker  363. 
Charilaos,  Diihyrambikerl89. 
Charisios,  Redner  410. 
Chariten,  Romansdireiber819.' 
Charon,  Logograph  324. 
Chersias,  Epiker  105. 
Chilon,  einer  der  sieben  Weisen 

129. 
Chionides,  Komiker  286. 
Chironis  praecepta  101. 
Choirilos   von    lasos,   Epiker 

107,  528. 
Chohilos  von  Samos,   Epiker 

107,  368  Anm.  1. 
Choirilos,  Tragiker  209. 
Choiroboskos ,     Grammatiker 

752  Anm.  6,  769. 
Choliamben  137. 
Chor,  Bedeutung  des  Ntmens 

120;     Mftdchenohare    156; 

Skiische  144;  Zahl  der 
<veuten  201,  234;  Auf- 
stellung 202;  Chor  gesang 
119f.,  140;  Arten  desselben 
203;  Stellung  bei  Sophokles 
236;  chorische  Lyriker  154ff4 
Choregie  201  Anm.  2;  Ver- 
stummen des  Chors  808  f., 
539. 

Chorikios,  Sophist  813. 

Chorizonten  82. 

Chrestomathien  846  ff. 

Chrien  (/^r«*)  541. 

Christus  646;  Christentum 
verdrtngt  Heidentom  782  f.; 
christliche  Schriftsteller 
879  ff.;  christliche  Philo- 
sophie 906  ff.;  chxistlidie 
Poesie  923  ff.;  Christenv«^ 
folgungen  921. 

Christodoros,  Dichter  515, 
784,  795. 

Christophoros,  byz.  Rhetor  754. 

Chronika  319  f.,  568,  678  f.; 
Chronicum  Partum  557; 
Chronicum  paschale  921. 

Chronologie ,  Epochen  596 
Anm.  1. 

Chrysanthios ,  Sophist  802 
Anm.  3. 


Begister. 


931 


Chryaippos,  Stoiker  578, 580*, 
593,787;  Bild580  Aiim.5; 
Tafel. 
GhrysippoB,  Scholiast  Pinda» 

184,  593. 
Chrysothemis,  Sänger  20  Anm. 

8;  118  Anm.  2. 
Chrysofltomos  siehe  Joannes 
Chrys. 

Cicero  Academica  575;  de 
officiis  569;  de  divinaüone 
569,  575;  de  nat.  deonun 
583;  de  rep.  u.  de  leg.  449. 

Circe  n.  Girceinm  prom.  89 
Amn.  6. 

Gimbii  =  KifAfxi^ioihl  Anm.  2. 

Claudian,  Epiker  789  ff. 

Claudius  Didymus,  Gramma- 
tiker 763. 

Clemens  Romanus  887  f. 

Clemens  Alexandrinns  895  f. 

Cornelius  Nepos  608. 

Comutus,  Rhetor  755. 

Oomutas,  Stoiker  702. 

Crescentins,  Philosoph  890. 


Dftmonenglauben  660,  700  f., 

828  Anm.  3. 
DaidaloB,  EflnsÜer  556. 
Daimachos,  Historiker  560. 
Daktylo-Epitriten  178. 
Dama8kios,Neuplatoniker  456, 

833*. 
Damastes,  Logograph  6, 326*. 
Damianos,  Optiker  867. 
Damocharis,  Epigrammatiker 

796. 
Damokrates,  Arzt  856. 
Damophile,     Dichterin     151 

Anm.  1. 
Damozenos,  Komiker  317. 
Danais,  Epos  85. 
Daphidas,   Grammatiker  717 

Anm.  3. 
Dares  nnd  Diktys  768;  siehe 

Diktys. 
David  der  Armenier  zu  Ari- 
stoteles 489. 
DeJicationen  493. 
Deikelisten  281. 
Deinarchos,  Redner  409  f. 
Deiniaa,  Historiker  554. 
Deinoloehos,  Komiker  283. 
Deinon,  Historiker  363. 
Deiochos,  Logograph  324. 
Deipnographen  547  f. 
Delphi,     Wettkftmpfe     121; 

8oterien  539  Anm.  3. 
Demades,  Redner  410;  Dema- 

deia  410. 
Demetrios  von  Byzanz,  Histo- 
riker 549. 
Demetrios  Ixion.  Grammatiker 
606. 


Demetrios  flher  die  Juden 
592,  643. 

Demetrios  Magnes,  Gramma- 
tiker 610  f. 

Demetrios  von  Phaleron  494, 
591  f.;  Sammlung  derFaheln 
140;  nBQi  i^/irjyelag  591  f. 

Demetrios  von  Skepsis  555. 

Demochares,  Redner  u.  Histo- 
riker 409,  410*,  469. 

Demodokos,  Elegiker  130. 

Demodokos,  Epigrammatiker 
514. 

Demodokos,  Sfinger  23  Anm.  3. 

Demokies,  Logograph  324. 

Demokrates,  Philosoph  698. 

Demokritos,  Künstler  876. 

Demokrit,  Philosoph  415*; 
flher  die  Sprache  441  Anm. 
1;  üher  Homer  63  Anm.  7; 
Sentenzen  415. 

Demon,  Historiker  553. 

Demon  zu  Homer  67  Anm.  4. 

Demonax,  Philosoph  743. 

Demophilos,  Historiker  360. 

Demophilos,  Komiker  316 
Anm.  8. 

Demophilos,  Philosoph  698. 

Demosthenes,  alex.  Dichter 
529  Anm.  2. 

Demosthenes,  Lehen  386  ff.; 
Schaler  des  Isaios  387, 
397;  Tod  396;  Portr&t  398, 
400,   402  Anm.  5;    Werke 

401  f.;  öffentliche  Reden 
3881;  Leptinea  388,  720; 
Aristocratea  389;  Midiana 
389;  Demegorien  389  f.; 
olynthische  Reden  390; 
philippische  390,  393;  Pa- 
rapresli>eia  392,  398;  Aber 
Halonnesos  393;  gegen  den 
Brief  des  Philipp  393; 
erotikos  401 ;  Kranzrede 
394  f.,  398;  epitaphios  394; 
Privatreden  387,  401  f.; 
Yormundschaftareden  387, 
402;  Reden  gegen  Aristo- 
geiton  401;  gegen  Neaira 
401;  Prooimia  401;  Briefe 
401;  Lehrthfttigkeit  388; 
Studien    zu     Demosthenes 

402  f.;  eingelegte  Urkunden 
403;  Attikusausgabe  393, 
399.  404;  Schollen  404; 
Hypothesis  403  f.;  Hand- 
schriften u.  Ausgaben  404; 
Charakter  396  f.,  399  f.; 
Vorwurf  der  Doppelzüngig- 
keit 387  f.;  Kunst  396  ff.; 
Stil  398;  Verhältnis  zu 
Thokydides  397. 

Demostratos ,  Naturforscher 
732. 


Derkyllides,  Platoniker  429 
Amn.  3. 

Derkylos,  Historiker  554. 

Dens  ex  machina  271. 

Dezippos,  Historiker  679. 

Dexippos,  Philosoph  489,  679, 
835. 

Di. .  8.  Dei. . 

Diadochai  der  Philosophen- 
schalen 708  f. 

Diagoras,  Dithyrambiker  187. 

Dialekte  der  Griechen  12  ff.; 
litterarische  Dialekte  15; 
Homers  17;  keine  dialektos 
493. 

Dialektik  418,  447;.  diaX^^etg 
418. 

Dialog  427  f. 

Didaktische  Poesie  s.  Lehr- 
gedicht. 

Didaskalien  203. 

Didymos  Areios  s.  Areios. 

Didymos  der  Blinde,  Christ 
899  f. 

Didymos,  Grammatiker  611  ff.; 
zu  Homer  65,  68;  zu  He- 
siod  102;  zu  Pindar  184; 
zu  Aischylos  226;  zu  So- 
phokles 251;  ZQ  Euripides 
275;  zu  Aristophanes  807; 
zu  Demosthenes  403. 

Didymus  Claudias,  Gramma- 
tiker 768. 

Didymos,   Masiker  690,  771. 

Dieuchidas,  Historiker  554. 

Digamma  bei  Homer  52  Anm. 
2,  58;  bei  Hesiod  90  Anm., 
99 ;  bei  Eomelos  103 
Anm.  3. 

Dikaiarchos ,  Peripatetiker 
588  f. 

Dikaiogenes,  Tragiker  280. 

Dikiys  Cretensis  816,   821*. 

Dinarch  s.  Deinarchos. 

Dio  Cassius  s.  Cassias  Dio. 

Dio  Chrysostomos ,  Rhetor 
247,  715  ff.;  Reden  u.  Dia- 
loge 716  ff.;  Getika  716; 
Euboikos  718;  Stil  718. 

Diodor,  Arzt  862. 

Diodor,  Epigrammatiker  und 
Grammatiker  603,  621, 772. 

Diodor,  Epiker  82  Anm.  2. 

Diodor,  Historiker  631  ff.;  Stil 
u.  Quellen  635  f. 

Diodor,  Perieget  600. 

Diodor  862;  zu  Arat  531. 

Diodotos,  Historiker  363. 

Diogene8,Romanschreiber  816. 

Diogenes  von  ApoUonia,  Philo- 
soph 415. 

Diogenes,  Epikareer  584. 

Diogenes     Laertius ,     Philo- 
sophenbiograph 707  f.;  Epi- 
grammatiker 622  f. 
59* 


932 


Begiatar. 


Diogenes  von  Sinope,  Philo- 
soph 421;  Dichter  280. 

Diogenes,  Stoiker  575,  579. 

Diogenianos,  Epigrammatiker 
622,  623. 

Diogenianoe,  Epikureer  583. 

Diogenianos,  Lexikograph  761, 
776,  842. 

Diokles,  Botaniker  577  Anm.  1. 

Diokles,  Historiker  561. 

Diokles  der  Magnesier  709. 

Diokles,  Mathematiker  869. 

Diomedes  zu  Dionysios  Thrax 
609. 

Diomos,  Bnkoliker  518. 

Dion  s.  Dio. 

Dionysiades,  Tragiker  538. 

Dionysien  s.  Dionysos. 

Dionysins  Areopagita  915  f. 

Dionysios,  Ailios,  Attikist  765. 

Dionysios  Chalkns,  Elegiker 
133. 

Dionysios  von  Chalkis,  Histo- 
riker 555. 

Dionysios,  Christ  899. 

Dionysios  630;  angeblicher 
Verfasser  von  Hymnen  623 
Anm.  2. 

Dionysios  Halicamassensis, 
Rhetor  n.  Historiker  637  ff.; 
römische  Archäologie  637  f.; 
rhetorische  Schriften  639  ff.; 
überDemosthenes  386  Anm. 
2,  403,  641*;  angeblicher 
Verfasser  der  Schrift  vom 
Erhabenen  757. 

Dionysios  Halicam.,  Masiker 
765,  771. 

Dionysios  lambos,  Gramma- 
tiker 602  Anm.  2. 

Dionysios  von  Kalliphon,  Geo- 
graph 589. 

Dionysios,  Kyklograph  77, 
557. 

Dionysios  von  Milet,  Logo- 
graph 324. 

Dionysios  von  Milet,  Sophist 
470,  729. 

Dionysios  der  Perieget  691. 

Dionysios  von  Phaseiis,  Gram- 
matiker 612  Anm.  3. 

Dionysios  zu  Enripides  275, 
837. 

Dionysios  Sidonios,  Gramma- 
tiker 605. 

Dionysios  Skytobrachion  557*. 
776. 

Dionysios  Thrax,  Grammatiker 
608  f. 

Dionysios,  Tyrann  u.  Dichter 
279. 

Dionysodoros ,     Grammatiker 

605. 
Dionysodoros,  Sophist  418. 


Dionysodotos,  Dichter  Spartas 
156  Anm.  2. 

Dionysos,  Grott  der  Zeugnng 
191  f.;  Dionysien  199;  dio- 
nysischer  EflnsÜ  erverein 
232,  511,  544  f. 

Diophanes,  Geoponiker  864. 

Diophantos,  Historiker  555; 
Sophist  802  Anm.  3,  803. 

Diophantos,Maihematiker  873. 

Dios,  Historiker  648. 

Dioskorides,  Arzt  861  f. 

Dioskorides,  Epigrammatiker 
514. 

Dioskorides,  Grammatiker  746 
Anm.  2;  Ober  die  Sitten  bei 
Homer  66  f.,  737. 

Diotimos,    EiMgrammatiker 
514. 

Diphilos,  angeblicher  Epiker 
105. 

Diphilos,  Komiker  316. 

Diple,  kritisches  Zeichen  65 
Anm.  1. 

Dithyrambus  144;  jüngerer 
Dithyrambus  185  f. 

Diyllos,  Historiker  327  Anm.  5 
549. 

Dogmatiker  der  Christen 
908  ff. 

Dorion,  Mineraloge  863. 

Dorotheos,  Tragiker  539. 

Dorotheos,  Astrolog  631. 

Dorotheos,  Grammatiker  763. 

Dorotheos,  Kirchenhistoriker 
922  f. 

Dosiadas,  Hofdichter  516 
Anm.  2. 

Dositheos,  Grammatiker  774. 

Doxographen  709  f. 

Doxopatres,  byz.  Rhetor  754. 

Drakon,  Gesetzgeber  320. 

Drakon,  Historiker  554  Anm.  2. 

Drakon,  Metriker  770. 

Drama  3, 190  ff.,  538  ff.,  624  f.; 
Name  191 ;  Arten  des  Dra- 
mas 192  f.;  Teile  des  Dra- 
mas 203;  Lesedramen  279, 
386;  lyrische  Dramen  166, 
173  Anm.  6,  206  Anm.  6. 

Duris,  Historiker  549. 

Echembrotos,  Musiker  und 
Elegiker  119. 

Eid  der  Hellenen  405. 

Eirenaios,  Apologet  892  f. 

Eirenaios  (Pacatus),  Gramma- 
tiker 763,  772,  843. 

Eiresione  Bittlied  74. 

Ekphantides,  Komiker  286. 

Elegie  123  ff.;  Ursprung  124; 
Vortragsweise  124;  Arten 
der  Elegie  125;  alexandri- 
nische  501  ff. 

Eleusis  bei  Aristides  722. 


Embateria  fjtiXfj  126. 

Emmenides ,  Komiker  288 
Anm.  8. 

Empedokles,  Philosoph  111*, 
414. 

Enkomien  147. 

enkyklisch  77  Anm.  3. 

Ennius'  Sota  546;  Hedypha- 
getica  547;  Euemems  556. 

Epaphroditos  645,  647,  70S 
Anm.  3,  763;  zu  Kallima- 
chos  508. 

Epeisodien  205,  249. 

Ephippos,  Komiker  312. 

Ephoros,  Historiker  360  f.; 
über  Homer  53  Anm.  6,  63 
Anm.  6;  benutzt  von  Dio- 
dor  636;  von  Aristides  721. 

Ephraem,  christl.  Dichter  926. 

Epicharmos,  Komiker  282  ff. 

Epigenes,  Kritiker  21. 

Epigenes,  Tragiker  207. 

Epigonoi,  kyklisches  Epos  84. 

^igramme  163, 511  ff.,  620  ff., 
794  ff.;  vgl.  Anthologie. 

Epiktet,  Phüosoph  670,  703  f. 

Epikur  582  f.,  736;  Epikureer 
581  ff.,  702. 

Epimenides  aus  Kreta  108  f.. 
531 ;  Argonautika  53S 
Anm.  2. 

Epinikien  147;  des  Archi- 
lochos  136  Anm.  4. 

Epinikos,  Komiker  317. 

Epiparodos  203. 

Epiphanios,  Kirchenvater  911. 

Epiphanios,  Sophist  802  Anm.8. 

Epithalamien  143. 

Epoden  135,  160. 

Epos  10  ff.,  528  ff.,  626  f.; 
Etymologie  3;  heroisches 
Epos  23  ff.;  didaktisches 
Epos  91 ;  philosophische 
Epen  109  ff.;  genealogisches 
Epos  103  ff.;  Kunstepos 
106  ff.;  528  ff. 

Epischer  Kyklos  49,  76  ff., 
778,  784. 

Erasistratos,  Arzt  855. 

Eratosthenes,  Grammatiker  n. 
Geograph  492,  595  ff.;  Ge- 
dichte 597;  Katasterismoi 
597. 

Eratosthenes  zu  Theokrit  527, 
837. 

Eiinna,  Dichterin  154. 

Erotianos,  Aizi  853,  855. 

Erykios,  Epigrammatiker  622. 

Et^ologika  840  ff.;  etymo- 
logische Versuche  des  PUto 
441;  der  Stoiker  593. 

Euagrios ,  Kirchenlustoriker 
921. 

Euagrios  Pontikos  900. 

Euboios,  alex.  Dichter  548. 


Beguiter. 


933 


Enboloe,  Komiker  312. 

Eudaimon,  Grammatiker  889. 

Endemos,  Logograph  824. 

Endemos,  Lexikograph  848. 

Elldemos,  Philosoph  475,  488, 
865  Anm.  5. 

Endokia,  Kaiserin  u.  Dichterin 
69,  790*,  824. 

Eadokia,  Kaiserin,  angeblich 
Leadkograph  844. 

Eadoros  zu  Arat  581. 

Eudoxos,  Astronom  580, 865*. 

Eudoxos,  Historiker  tmd  Geo- 
graph 570. 

Endoxos,  Komiker  817. 

Eaenos,  Elegiker  188. 

Euenoe,  EpigrammatUcer  621. 

Eugammon,  Epiker  88. 

Eugenikos  728  Anm.  6. 

Eugenios,   Grammatiker    288 
Anm.  1,  889. 

Engeon,  Logograph  824. 

Enhemeroe,  Mythograph  556. 

Ellkleides,  Grammatiker  607. 

Eokleides,  Sokratiker420,424. 

Enkles,  Dithyrambiker  189. 

Euklid,  Mathematiker  866  f. 

Eumelos,  Epiker  82  Anm.  6, 
103  f.,  328  Anm.  7. 

Enmenes,  Historiker  868. 

Enmolpoe,  alter  Sänger  19,  82 
Anm.  2. 

Ennapios,  Sophist  und  Histo- 
riker 714,  797,  802. 

Eunomios,  Christ  909. 

Euphanes,  Dichter  von   Epl- 
nikien  179  Anm.  2. 

Euphantos,      Tragiker      589 
Anm.  2. 

Enphorion  von  Chalkis,  Dich- 
ter 499,  585  f. 

Euphorien  (y.  1.  Ennhronios) 
yon  Chersones,  Dicnter  586. 

Enphorion,  Tragiker  228,  276. 

Enphron,  Komiker  817. 

Euphronios ,     Tragiker     589 

Anm.  2. 
Eupolemos,  Historiker  648. 
EuDolis,  Komiker  288  f.,  298 
Anm.  3,  306;  die  Schmeich- 
ler 297  Anm.  8, 486  Anm.  8; 
Baptai  295  Anm.  2. 
Enripides,  Leben  252  ff.;  Bild 
255  Anm.  7;  ^lilosophische 
Stadien  258;  Pamilienleben 
254 ;  dichterische  Knnst 
271  f.;  Siege  256;  Kunst- 
stodien  258  Anm.  8,  278 
Anm.  1;  Verhältnis  zu  den 
Eoinikem256f.,818;  Werke 
255  ff.;  zeitliche  Folge  der 
Werke  257,  258  Anm.  8; 
Alkestis  264;  Andromache 
265 ;  Archelaos  255 ;  Bacchae 
265;  Elektro  266;  Hekabe 


265;  Helena  266;  Herakles 
267;  Herakleidai  266 ;  Hippo- 
Mos  259  f.,  261  f.;  Ion  268; 
fphigenia  Aul.  268;  Iphi- 
genia  Taur.  261;  Kyklops 
268;  Medea258f.;  Orestes 
269,  539;  Phaethon  270; 
Phönissen  249, 268  f.;  Rhesos 
269;  Supplices267;  Troades 
269;  Fragmente  270;  Hand- 
schriften und  Schollen  275; 
Melodien  275. 

Euripides  der  Jüngere  276. 

Ensebios,  Dichter  784. 

Ensebios,  Kirchenvater  726, 
900;  Chronika  918  f. 

Ensebios  aus  Myndos  698,  802 
Anm.  8. 

Eustathios,  Historiker  798. 

Eustathios,  zu  Homer  68;  zu 
Pindar  168;  zu  Dionysios 
691. 

Eustratios,  Kommentator  des 
Aristoteles  489. 

Euteknios,  Grammatiker  587. 

Enthydemos,  Sophist  418. 

Eutokios,  Mathematiker  865 
Anm.  6,  868. 

Eutychianos,  Historiker  798. 

Euzoios,  Bischof  701. 

Evangelien  881  ff. 

Ezechiel,  Dichter  541. 

Fabel  187  ff.;  milesische  Fa- 
beln 815. 

Fachwissenschaften  851  ff. 

Faustus  Byzantius ,  Histo- 
riker 923. 

Favorinus,  Sophist  649  Anm.  5, 
668,696Anm.  1,705*,  737; 
korinthische  Rede  716 
Anm.  5;  var.  bist.  732 
Anm.  5. 

Feste  711;  s.  Agone. 

Festspiele   120  f. 

Figuren  bei  Isokrates  888; 
bei  Demosthenes  898,  408. 

Figurenlehre  751  f.;  figurata 
carmina  516;  figurata  oratio 
642,  755. 

Flaccius  Africus,  Botaniker 
806  Anm.  7. 

Flöten  115;  Flötenvirtuoeen 
116  Anm.  5;  Rivalität  mit 
Sänger  185  Anm.  1. 

Florentinus,  G«oponiker  865 
Anm.  2. 

Fremde  Einflüsse  in  Musik 
115  f. 

Fronte,  Epigrammatiker  622. 

Qätulicus,     Epigrammatiker 

622. 
Galen,  Arzt  707,  785,  858  ff. 
Galenos,  Diakonos  102. 


Galliamben  506. 

Gaudentius,  Musiker  771- 

Gaza  782. 

Gellius  zu  Arrian  670  Anm.  5. 

Geminus,  Mathematiker  582. 
569,  871*. 

Geminus,Epigrammatiker622. 

Genethlios,  Rhetor  756,  802. 

Geographen  364  f.,  570  ff., 
595  f.,  681  ff.,  799  ff. 

Geoponiker  864. 

Georgios  Ghoiroboskos,  Gram- 
matiker 838  f. 

Georgios  Diairetes ,  Rhetor 
754. 

Gephyrismoi  284. 

Germanicus,  Epigrammatiker 
622. 

Gesetee  870  f.,  877  f.;  von 
Gortyn  820  f.,  878. 

Gitiades ,  Dichter  Spartas 
156  Anm.  2. 

Glauke,  Kitharodin  517. 

Glaukos  (Glaukon),  Gramma- 
tiker 6,  68,  214  Anm.  5, 
326*. 

Globus  in  Pergamon  498. 

Gnostiker  827  Anm.  8,  828 
Anm.  5,  906  f. 

Goethe  81,  153,  262,  265, 
270,  298,  307  Anm.  3,  487 
Anm.  2,  546  Anm.  4,  678 
Anm.  4,  728  Anm.  4. 

Gatter ,  althellenische  und 
fremde  11  f.,  94  Anm.  2. 

Gorgias,  Rhetor  und  Sophist 
866  f.*,  416  f,  487;  Lehrer 
des  Isokrates  883  Anm.  6. 

Gorgias,  Rhetor,  über  Figuren 
751. 

Gorgos,  Dichter  511. 

Gorfyn,  s.  Gesetze. 

Grammatiker  585  ff.,  758  ff., 
887  ff.;  grammatisches  Lehr- 
gebäude 609;  yQafifdatixij 
=  litteratura  1;  Aufgaben 
der  Grammatik  586,  594, 
607  Anm.  2,  609. 

Gregoras,  byz.  Musiker  690. 

Gregorios  von  Korinth,  byz. 
Grammatiker  754. 

Gregor  von  Nazianz  515,  883, 
903  f. 

Gregor  von  Nyssa  902  f. 

Gregor  Thaumaturgos  899. 

GryUos  s.  Xenophon. 

Hadrian,  Epigrammatiker  622. 
Hadrian,  der  Kaiser  618,  711. 
Hadrianos,  Sophist  s.  Adnanos. 
Hagias  (Agias),  Epiker  82. 
Harmonik  589. 
Hanno,  Geograph  570. 
Harpokration,     Grammatiker 
335,  773. 


934 


Bsgistor. 


Harpokration,  Platoniker  456. 

Hedyle,  Dichterin  512. 

Hedylofl,  Epigrammatiker  5 1 4. 

Hegemon,   alex.  Epiker  529 
Anm.  8. 

Hegemon,  Dichter  von  Paro- 
dien 290. 

HegemonioB,  Christ  909. 

Hegesander,  Perieget  601. 

Hegesianax,  alex.  Dichter  530 
Anm.  3. 

Hegesianax,  Historiker  555. 

Hegesias,  Philosoph  422. 

Hegesias,  Rhetor  750. 

Hegesinos,  Epiker  80,  105. 

Hegesippos,  Komiker  817. 

Hegesippos,  Redner  393,  410. 

Hegesippos,  Eirchenhistoriker 
917. 

Hekateios   von   Milet,    Logo- 
graph 323,  828  Anm.  7. 

Hekataios   von    Abdera,    Hi- 
storiker 559. 

Helikonios,  Historiker  797. 

Heliodor,  didaktischer  Dichter 
630. 

Heliodors  Optik  s.  Damianos: 

Heliodor,    Metriker   762;   zu 
Aristophanes  307. 

Heliodor,  Perieget  601,  630. 

Heliodor,     Romanschreiber 
817  f. 

Helladios,  Grammatiker  843, 
848. 

Hellanikos,Dith7rambikerl89. 

Hellanikos,  der  Chorizont  32, 
•     595. 

Hellanikos,  Logograph  325  f. 

Hellenen,  erstes  Vorkommen 
12. 

Hellenismos  491  ff. 

Heniochos,  Komiker  212. 

Hephaistion,  Astrolog  872. 

Hephaistion,   Metriker  769  f. 

Heptachord  114,  117. 

Herakles  106;  Herakleiai  105, 
106,  107. 

Herakleides,  Arzt  856. 

Herakleides,  Historiker  549  f. 

Herakleides   Kretikos    (y.   1. 
Kritikos)  589. 

Herakleides  Lembos,    Gram- 
matiker 587,  709. 

Herakleides  Milesios,   Gram- 
matiker 763. 

Herakleides  Pontikos,    Philo- 
soph 208,  586  f.,  589  Anm.  1. 

Herakleides     Pontikos      der 
Jüngere  624. 

Herakleides  aus  Tarent  737. 

Herakleitos,  Mythograph  778; 
Allegorien  zu  Homer  66. 

Herakleitos,    Philosoph  412; 
Briefe,  unechte  412. 

Herakleon,  Grammatiker  763. 


'  HerennioB  Dexippos,  Histo- 
riker 679. 

Herennios,  Neuplatoniker  885. 

Herennioe  Philon,  Grammati- 
ker 764,  801,  840. 

Hermagoras,  Rhetor  750. 

HermarchoB,  Epikureer  583. 

Hermas,  Christ  888  f. 

Hermeias,  Imbograph  137. 

Hermeias,  Neuidatoniker  456. 

Hermeias,  chnstl.  Philosoph 
893. 

Hermes  Trismegistos  885  f. 

Hermesianax,  Elegiker  503. 

HerminoB,  Aristoteliker  489. 

Hermippos,  astrologischer  Dia- 
log 834  f. 

Hermippos,  Komiker  und  lam- 
bograph  137,  288. 

Hermippos  Berytios,  Gram- 
matiker 379,  764  f. 

Hermippos,  der  Kallimacheer 
508,  599*;  zu  Aristoteles 
und  Theophrast  460  Anm.  3. 

Hermippos,  Epikureer  709. 

Hermodoros,  Epigrammatiker 
515. 

Hemodoros,  Platoniker  430 
Anm.  3. 

Hermogenes,  Historiker  680. 

Hermogenes,  Rhetor  7 19,  753, 
754  f. 

Hermokles,  Dichter  510. 

Hermolaos,  Geograph  801. 

Herodes  Attikos ,  Sophist 
729. 

Herodas  s.  Herondas. 

Herodian,  Grammatiker  737, 
766  ff.,  770;  zu  Homer 
66. 

Herodian,  Historiker  677  f. 

Herodian,  Rhetor  752. 

Herodikos,  Grammatiker  280 
Anm.  6,  606  ♦,  888. 

Herodoros,  Logograph  326. 

Herodot,  Historiker,  Leben 
326  f.;  Reisen  828  f.;  Ge- 
schichtewerk 330  ff.;  die 
'JeifvQioi  loyot  331;  Bild 
328 ;  über  vorhomerische 
Dichter  21;  über  Homer 
32,  328  Anm.  8;  Verhält- 
nis zu  Sophokles  229,  328 
Anm.  2;  Dialekt  382  f.; 
historische  Treue  888  f.; 
Schollen  336;  angeblicher 
Verf.  einer  Vite  Homeri 
29  Anm.  8 

Herodotos  Lykios,  Arzt  855. 

Heron,   Mathematiker  870  f. 

Heron,  zu  Herodot  336;  zu 
Thukydides  844. 

Herondas  (Herodas),  Mimen- 
dichter 542  f. 

Herophilos,  Arzt  855. 


Hesiod  86  ff.,  1 88, 41 1 ,  Quellen 
der  Biograplde  86;  Ab- 
stammung 86;  Lebenszeit 
88  f.;  Tod  88;  Büd  88; 
hesiodischer  Charakter  91  f.; 
Erga  92  ff.;  Theogonie  94  ff.; 
Schild  99  f.;  Eöen  und  Ka- 
talog 97  f.,  503;  Certamen 
Heaiodi  86, 101 ;  hemodisehe 
Schule  100  f.;  Dialekt  91; 
strophische  Gliederung  91, 
95  Anm.  4;  Studien  zo 
Hesiod  102. 

Hestiaia,   alex.  Gelehrte  556. 

Hesychios  aus  Alexandrieii, 
Lexikograph  S42  f. 

Hesychios  Hlustrius  aus  Milet 
843*,  844. 

Hiatus,  gemieden  von  Ibo- 
krates  888;  selten  bei  De- 
mosthenes  398;  bei  Aristo- 
teles 464  Anm.  4;  bei  Po- 
lybios  567;  Diodor  635; 
bei  Plutarch  668. 

Hieratische  Poesie  18  f.,  21  f. 

Hierax,  Musiker  117. 

Hierokles,  Grammatiker  849. 

Hierokles,  Philo6oph698, 834*, 

Hieronymos,Kirchenvater919. 

HieronymoB  von  Kardia,  Hi- 
storiker 548  f. 

Hieronymos  von  Rhodos,  Peri- 
patetiker  552  f. 

Hilaroti^agOdie  544. 

Himerios,  Sophist  807  ff. 

Hipparch,  Astronom  531,  571, 
869  f. 

Hipparch,  Komiker  317. 

Hipparch  der  Peisistratide  60, 
183. 

Hippias,  Sophist  826,  416  f.* 

Hippiatriker  861. 

Hippobotos,  Philosoph  709. 

Hippodamos,   Architekt  477. 

Hippodromos,  Soplust  729. 

Hippokrates,  Arzt  864.  415, 
688,  Anm.  3,  852  ff.;  Sdio- 
lien  855. 

Hippolytus  Aegyptius  923. 

Hippolytus  Romanus  894  f., 
916  Anm.  1. 

Hippen,  Philosoph  412  Anm.  1. 

Hipponax,  lambograph  137, 
542. 

Hippostratoe,  Historiker  680. 

Hippys,  Logograph  326. 

Historiker  822  ff.,  548  ff. 
796  ff.;  tatf^iff  826  Anm.  7. 

Homer  26  ff. ;  Biographie  29 
Anm.  3 ;  Name  31 ;  Leb«s> 
zeit  81,  48  ff.*;  Heimat 
80,  52,  54f.;  Bild  29  f.; 
blind  80  Anm.  2;  Apo- 
theose 80  Anm.  1,  62, 
Anm.  8,   75   Anm.  6;  vw- 


Begiater. 


935 


homerische  Poeaie  16  ff.; 
Ilias  26  f.,  42  ff.";  Ein- 
teilung 27,  65;  Doloneia35; 
Schilbkatalog  35,  44,  49  f., 
56;  Preebeia  38,  44;  Pa- 
tnikleia  87,  88  Anm.  1,  42; 
Odvssee  27  f.,  44  ff.*;  Ein- 
teilnng  29 ;  Ortsknnde  55  f. ; 
Nostos  Od.  39,  44  f.;  Al- 
kina apologoa  29  Anm.  1; 
Telemachie  40,  45*;  Ne- 
kvia  45  f.,  51;  Hymnen 
70  ff.;  Batiachomyomachie 
75  f.;  Paignia  oder  Epi- 
gramme 74;  Margites  74; 
epischer  Kyklos  30,  76; 
homerische  Frage  31  ff.; 
homerische  Sprache  17, 
41  f.,  52  ff.*;  Liedertheorie 
88,  85  f.;  Chronologie  der 
Gesftnge  37  f.;  Diaäeaast 
89  f.;  Kunst  des  Homer 
46  ff.;  Nichtgebrauch  der 
Schrift  56  ff. ;  erste  Nieder- 
schrift 60;   Homeriden  80, 

59,  60*;  Homerschulen  54, 
59;  Rhapsoden  58  f.,  60; 
Redaktoren  des  Peisistra- 
tos  82,  60  f.*;  Einfluss 
Homers  auf  die  Nation 
62 ;  Homerstudien  in  Attika 

60,  68;  in  Alezandria  64  f.; 
Chorizonten  32 ;  Einfluss  auf 
Rom  69;  auf  Abendland  69; 
auf  neuere  Zeit  69;  Hand- 
schriften 64,  67;  69;  Scho- 
lien  67  f.;  Lexika  66,  70; 
Studien  im  Mittelalter  68; 
Paraphrasen  68;  Centonen 
68;  über  die  Philosophie 
Homers  67,  Anm.  8,  704, 
Anm.,  705,  756;  üeber- 
setEungen  69. 

Homerus  latinus  69. 

Homeros,  Tragiker  538. 

Horapollon  886,  889. 

Horatius  carm.  I  8,  8:  508 
Anm,  3;  I  12,  27:  527; 
I  12,  57:  717  Anm.  1;  I 
15:  167;  III  3.  17:  266; 
epod.  14,  12:  152  Anm. 
1;  cann.  saec:  508;  sat. 
I  6,  12:  86  Anm.  5;  1  7, 
24:  512  Anm.;  epist.  I  19, 
28:    149  Anm.  9. 

Hymnus,  Etymologie  11;  ho- 
merische Hymnen  70  ff. ;  ly- 
rische 143,  orphische  71, 
791  f.;  des  Eallimachos 
506  f. ;  alexandrinische 
509  ff.;   christliche  923  ff. 

Hypatia,  Philosophin  873. 

Hypereides,  Redner,  Leben 
407  f.;  Reden  408  f. 

Hyporchem  145  f.,  204. 


Hypotheseis  oder  Argumenta 

7,  625. 
Hypsikles,  Mathematiker  866, 

869*. 
Hypsikrates,   Historiker   683 

Anm.  7. 


lambische  Poesie  134  ff.; 
lambyke  136. 

lamblichos,    Neuplatoniker 
831  f.,  872. 

lamblichos,  Romanschreiber 
817. 

lambulos,  Historiker  560. 

Ibykos,  Lyriker  160  f. 

Idaios,  Homeriker  75  Anm.  1. 

Idomeneus,  Historiker  583 
Anm. 

Idyll,  Etymologie  518. 

Ignatius  888. 

Dias  26;  kleine  Ilias  81  f. 

Iliupends,  Epos  87;  des  Ste- 
sichoros  159. 

Indien  358;  Indika  560,  672. 

Indogermanische  Elemente 
des  Griech.  10  f. 

Inschriften  Sammlungen  318f., 
557. 

loannes  Charax,  Grammatiker 
839. 

lohannes  Ghrysostomos  804, 
904  f. 

loannes  Damaskenos  850. 

lohannes,  Evangelist  883  f. 

loannes  von  Gaza,  Dichter  796. 

loannes  Lvdus,  Antiquar  799. 

loannes  Philoponos,  Gramma- 
tiker 839,  872;  zu  Aristo- 
teles 489;  gegen  Proklos 
833,  915. 

loannes  Stobaeus  848  f. 

Ion,  Tragiker  277. 

lonier  13 ;  ionische  Philosophen 
411  f.;  ionische  Verse  545. 

lophon,  Tragiker  230,  276*. 

losephos,  Historiker  645  ff. 

Irenaeus  892  f. 

Isagoras,  Sophist  626. 

Isaios,  Redner  877. 

Isaios,  Sophist  729. 

Isidoros,  Geograph  692. 

IsigonoB,  Paradoxograph  738. 

Isi^Lrates,  Redner ,  Leben 
377  f.;  Porträt  379;  Reden 
379  ff.;  gerichtliche  880  f. ; 
Tte^i  avttd6(f€a>g  881;  so- 
phistische 381  f.;  parftne- 
tische  382 ;  epideiktische 
382  f.;  Briefe  383;  Techno 
380;  Stil  383;  Schule  878 f.; 
VerhAltnis  zu  Piaton  877  f., 
438  Anm.  2,  439,  440;  zu 
Aristoteles  458. 

Isokrates  von  Apollonia  382. 


Istros  aus  Kyrene,  Gramma- 
tiker 551,  599*. 

Istros  aus  Kallatis,  Gramma- 
tiker 206  Anm.  3,  599. 

IsvUos,  Dichter  510. 

IthyphaUoi  510. 

Juba,Grainmatiker684  Anm.3, 
697  Anm.  1,  759  f. 

Juden  in  Alexandria  496;  im 
rönuschen  Reich  643;  bei 
Diodor  6§4;  jüdische  Hi- 
storiker 643  ff.;  üeber- 
setzung  jüdischer  Schriften 
496;£nthaltungvomSchwei- 
nefleisch  666. 

Julia  Balbilla,  Dichterin  623. 

Julianus  Apostata  809  ff.;  Re- 
den 811;  Briefe  812;  gegen 
die  Christen  812;  Verse 
812  f. 

JuUanus,  Dichter  158  Anm.  2, 
796,  802  Anm.  3. 

Julius  Africanus  876,  917  f. 

Julius  Pollux  8.  Pollux. 

JuliusPolyftn,  Epigrammatiker 
622. 

Julius  Vestinus,  Grammatiker 
772. 

Juristen  877  f. 

Justinus,  Martyr,  Apologet 
890. 

Justus  von  Tiberias,  Histo- 
riker 648. 

Kadmos  von  Milet,  Logograph 

321,  323*. 
Eallias,  Dramatiker  244  Anm. 

3,  289. 

Eallias,  Historiker  550. 

Eallimachos  503  ff.,  516,  534 
Anm.  1;  Elegien  505;  Hekale 
505;  Ibis  506;  Epigramme 
506 ;  Hymnen  506  f.;  Pinakes 
504;  Schriften  in  Prosa  504; 
Verhältnis  zu  ApoUonios 
506. 

Eallinikos,  Rhetor  756,  802*. 

Eallinos,  Elegiker  125. 

Eallinos,  Rhetor  802  Anm.  2. 

Eallippos,  Astronom  467  Anm. 

4,  866. 

Eallisthenes,  Historiker  368*, 
459;  Ps.Ealli8thenes  819  f. 

Eallistos,  Epiker  784. 

Ealli8tratos,Grainmatiker  603. 

E[allistrato8,  Eomiker  und 
Schauspieler  292. 

Eallistratos,  Sophist  728. 

Eallixenos,  Perieget  601. 

Eanon  7,  der  Alexandriner 
495  f.,  der  Historiker  822 
Anm.  1,  der  Redner  368, 
643,  der  Sophisten  714,  der 
Grammatiker  841  Anm.  1, 
der  Mediziner  852  Anm.  2. 


936 


Begüiter. 


Kanon  des  neuen  TestamentB 

880,  885. 
Karer  13. 

Karkinos,  Epiker  104. 
KarkinoB,  Tragiker  277. 
Kameades,  Philosoph   574  f. 
Kameen,  Apollofest  117. 
Karpos,  Mathematiker  871. 
Kastor,  Ghronika  568. 
Kastor,  Rhetor  404,  814. 
Kastorion,  alex.  Dichter  509. 
xatttXiyHtf  and  xtttaXoyddrjy 

yeyQttftftdva  2. 
Kataloge  von  Agonen  3 1 9,  von 

Büchern  495,  498. 
Kebes,  Philosoph  585. 
Kephalion,  Historiker  555, 678. 
Kephisodoros,  Historiker  363. 
Kerinthos,  Gnostiker  884. 
Kerkidas,  lambograph  137. 
Kerkops,  Epiker  85,  101. 
Kerkops,  Orphiker  109,  791. 
Kerkopes,  Epos  75. 
Kinftdenpoesie  545. 
Kinaithon,  Epiker  82  Anm.  2, 

84,  104  f.* 
Kineas,  Historiker  554. 
Kineas,  Taktiker  359. 
Kinesias,  Dithyrambiker  188. 
Kirchenväter  889  ff. 
Kirchenhistoriker  917  ff. 
Kitharistik  114. 
Kleainetos,  Tragiker  280,  539 

Anm.  2. 
Kleanthes,  Stoiker  578;  Hym- 

nos  511,  580. 
Klearchos,  Peripatetiker  590. 
Kleisthenes,     Tragiker     539 

Anm.  2. 
Kleitarchos,  Geograph  801. 
meitarchos,  Historiker  363. 
Kleitodemos  (v.  1.  Kleidemos), 

Historiker  553. 
Kleobulos,  einer  der  7  Weisen 

74  Anm.  3,  129. 
Kleobulina,  eine  der  Weisen 

130. 
Kleomachos,  Dichter  von  lo- 

nika  546. 
Kleomedes,  Mathematiker  569 

Anm.  5,  871*. 
Kleomenes ,      Dithyrambiker 

189. 
Kleonides,  Musiker  867. 
Kleophon,  Tragiker  276  Anm. 

1,  279. 
Kleostratos,  Astronom  530. 
Klitomachos,  Philosoph  575. 
Klonas,  Musiker  119. 
Kokondrios,  Rhetor  752  Anm.6. 
Kolluthos,  Epiker  788. 
Kolotes,  Epikureer  582,  657; 

gegen  Piaton  434  Anm.  2. 
Kommoi  der  Tragödie  205. 
KomoB  175  Anm.  3. 


Komödie  193  f.,  280  ff.,  541  f.;  I 
2^it  der  Aufführung  200;  . 
Anftnge  der  Korn.  280  ff.; 
attische  284  ff.;  mittlere  I 
308  ff.;  neue  312  ff.;  mitt-  ' 
lere  von  der  neuen  unter- 
schieden 309  Anm.  3. 

Konnis,  Fabeldichter  138 
Anm.  5. 

Konon,  Mythograph  778. 

Konstantin  779  ff. 

Konstantinopel  779  f.,  782. 

Konstantinos  Kephalas,  Ord- 
ner der  Anth.  Pal.  515. 

Konstantinos  Porphyrogenne- 
tos  564. 

Korax,  Rhetor  366. 

Korinna,  Dichterin  153;  Ver- 
hältnis zu  Pindar  170. 

Korinth  103,  157. 

Kosmas  von  Jerusalem  904. 

Krantor,  Philosoph  455,  659. 

KrateroB,  Epigraphiker  557. 

Krates,  Akademiker  445. 

Krates,  Grammatiker  498, 
605  f.;  zu  Homer  65. 

Krates,  Komiker  287  f. 

Krates,  Kyniker  138,  547, 
584*;  Dichter  280. 

Krateuas,  Arzt  863. 

Kratinos,  Komiker  287,  293 
Anm.  3,  294  Anm.  2,  295 
Anm.  3,  306. 

Kratippos,  Historiker  388, 889 
Anm.  3,  351  Anm.  2. 

Kratylos,  Herakliteer,  über  die 
Sprache  441. 

Kreophylos,  Epiker  84. 

Kretal20,  kretischeT&nzer  120. 

Krinagoras,  Epigrammatiker 
509,  621. 

Kritias,  Politiker  und  Dichter 
133,  279,  356. 

Kritik  495  f. ;  kritische  Zeichen 
64  f.,  404,  604. 

Kritolaos,  Philosoph  575. 

Ktesias,  Historiker  358. 

Ktesibios,  Mathematiker  879. 

Kunstschriftsteller  600f.,876  f. 

Kybissos,  Fabeldichter  138 
Anm.  5. 

Kykliker  s.  Epischer  Kyklos. 

Kyklographen  557. 

Kynaitiios,  Homeride  60,  72. 

Kyniker  584. 

Kypria,  Epos  79  f. 

Kypseloskasten  101,  103. 

Kyranides ,  Zauberlitteratur 
836. 

Kyrenaika  555. 

Kyrillos,  Bischof  812,  910*. 

KyriUos,  Lexikograph  845. 

Kyros,  Epiker  789. 

Kyzikenische  Epigramme  515. 


Lachares,  BJietor  404,  814. 

Laertius  Diogenes  s.  Diogenes 
Laert 

Lakonika  555. 

Lamprias,  Brader  des  Plutarch 
662;  Katalog  des  Platarch 
651. 

Lamprokles,  Dithyrambiker 
187. 

Lasos  von  Hermione,  Dithy- 
rambiker 187,  876  Anm.3; 
Lehrer  Pindars  170. 

Legenden,  christliche  921. 

Lehi^edicht  528  ff.,  626  f. 

Lehrstühle  711. 

Leleger  13. 

Lenften,  Fest  199;  Ableitung 
199  Anm.  5;  auch  für  Tra- 
gödien 200  Anm.  8. 

Leodamas,  Redner  410. 

Leon  der  Akademiker  747. 

Leon  Byzantios,  Historiker 
555. 

Leonidas  von  Tarent,  Epi- 
grammatiker 514. 

Leonidas  Alexandrinus,  Epi- 
grammatiker 514  Anm.  1  u. 
4,  622. 

Leontios,  Astronom  532. 

Leontios ,    Epigrammatiker 
796. 

Lesbiaka  555 ;  lesbische 
Sänger  117,  147. 

Lesbonaz,  Rhetor  714,  822. 

Lesbonaz  über  Figuren  752. 

Lesches,  Epiker  82*,  101. 

Leschides,  Ejnker  528. 

Lesedramen  625  f. 

Leukios  Charinos,  Christ  885 
Anm.  6,  887*. 

LeukippoB,  Philosoph  415. 

Leukon,  Komiker  290,  296 
Anm.  3,  297  Anm.  3. 

Lexika  771  ff.,  840  ff.;  i«<. 
^ritOQtxoy  l^h\  Lex.  Segue- 
riana  845;  Lex,  Vindobo- 
nense  846. 

Libanios,  Sophist  803  ff.;  zu 
Demosthenes  886  Anm.  2, 
404;  für  Sokrates  433  Anm. 
2,  805. 

Likymnios ,  Dithyrambiker 
189,  279. 

Lines,  Liedweise  20  f. 

Listen  von  Siegera  819,  von 
Priestern  319,  der  Apostel 
und  Jünger  922. 

Utteratur,  Ursprung  des  Na- 
mens 1 ;  Gattungen  der  Litt 
2  f.;  Perioden  der  griech. 
Litt.  4;  littenirhistorische 
Studien  im  Altertum  6  f-, 
in  neuerer  Zeit  7  f. 

Livius  und  Dionysins  638  f., 
640. 


Begiater. 


937 


Lobon,  Grammatiker  130  Anm. 
1,  709  Amn.  1. 

Logographen  822  ff. ;  Xoyos  2, 
41  Anm.  4,  200  Amn.  1,317 
Anm.  4,  700  Anm.  5;  Logos 
und  Apolog- Fabel  138 
Anm.  7;  Logoslehre  700  f. 

LoUianns,  Sophist  729. 

Lollios  Bassos,  Epigrammati- 
ker 622. 

Longin,  Rhetor  756  f.;  Kom- 
mentar zn  Plato  456;  zu 
Hephftstio  709. 

Longus,  Erotiker  821. 

Lukas,  Evangelist  882. 

Lukian,  Epigrammatiker  622. 

Lukian,  Satiriker,  Leben  738  ff ; 
Verhältnis  zu  Piaton  439 
Anm.  2;  Schriften  741  ff.; 
Chronologie  der  Schriften 
741;  Deklamationen  739, 
742;  Dialoge  740,  742  ff.; 
Briefe  745;  Romane  746; 
Gedichte  741 ;  unechte 
Schriften  747;  Philopatris 
747;  Macrobioi  747;  Cha- 
rakteristik 748 ;  Schollen 
749. 

Lukilios  (Lukillos),  Epigram- 
matiker 622. 

Lukillos  von  Tarra,  Gram- 
matiker 535,  622, 764*,  775. 

Lukios  von  Paträ,  Roman- 
Bchreiber  746. 

Lucreüns  582. 

Lupercus,  Grammatiker  843. 

Lydus  8.  Joannes  Lydns. 

Lykon,  Peripatetiker  575. 

Lykophron,  alex.  Dichter  538, 
540  f. 

Lykophron,  Rhetor  384. 

Lykophronide8,Dithyrambiker 
189. 

Lykos,  Historiker  554,  733 
Anm.  3. 

Lykurgos  brachte  die  Gedichte 
Homers  nach  Sparta  59 
Anm.  6. 

Lykurgos ,  Redner  404  f. ; 
Statue  405  Anm.  1. 

Lynkeus.  Komiker  817. 

Lyra  114. 

Lyriker  3,  112  ff.,  140  ff., 
503  ff.;  Arten  der  Lyrik 
141  ff.;  Melik  und  Chor- 
gesang 141;  lyrische  Sprünge 
182. 

Lysanias,  Grammatiker  555 
Anm.  4,  595. 

Lysiades,  Dithyrambiker  189. 

Lysias,  Redner,  Leben  371  ff.; 
Reden  873  f.;  Rede  für  So- 
krates  375,  433;  Rede  über 
die  Liebe  373,  438;  Epi- 
taphios  375;  Verhältnis  zu 


Piaton   374,   zu  Isokrates 

380. 
Lysimachos,  Verfasser  eines 

Kyklos  77. 
Lysimachos,    Historiker   361 

Anm.  3,  723  Anm.  3. 
Lysippos,  Komiker  290. 
Lysis,  alex.  Dichter  546  Anm.  1 . 

Machon,  Komiker  317,  541*. 
Macrobius    benutzt    Plutarch 

666. 
Magnes,  Komiker  286  f. 
Magnus,  Historiker  798. 
Magodie  543. 

Maiandrios,  Historiker  554. 
Maison,  Komiker  281. 
Makarios,  Christ  910. 
Makedonios,  Epigrammatiker 

796. 
Makedonios,      Päanendichter 

624,  796. 
Malchos,  Historiker  798. 
Manetho,  Astrolog  630. 
Manetho,  Historiker  558  f. 
Marc  Aurel,  Kaiser  und  Philo- 
soph 704. 
Marcellinus  zu  Thuky  dides  336 

Anm.  2,  754. 
Marcellus,   Arzt  und  Dichter 

630,  857. 
Marcian,  Geograph  800. 
Margites,  Epos  74. 
Marianus,  Grammatiker  508, 

527,  534,  796*. 
Marinus,  Geograph  689. 
Marinus,  Neuplatoniker  833, 

866. 
Markus,  Evangelist  882. 
Marmor  Parium  557. 
Marsyas,  Historiker  363,  553. 
Martyrologien  921. 
Mathemata  =  ailes  liberales 

707. 
Mathematiker  865  ff. 
Matris,  Rhetor  636. 
Matron,   parodischer  Dichter 

547. 
Matthäus,  Evangelist  883. 
Maximus,  Astrolog  631. 
Maximus  Confessor  850. 
Maximus,  Sophist  802  Anm.  3. 
Maximus  Tynus,  Sophist  705  f. 
Mediziner  852  ff. 
Megara,  komische  Spässe  281 ; 

Megarika  554. 
Megasthenes,  Historiker  560. 
Melampodie,  Epos  101. 
Melampus,  Grammatiker  609. 
Melanippides,   Dithyrambiker 

188. 
Melanopus,  Hymnendichter  20 

Anm.  6,  86  Anm.  4. 
Melanthios,  Tragiker  276. 
Melanthios,  Historiker  553. 


Meleagros,  Kyniker  und  Epi- 
grammatiker 512,  515*. 

Melesermos ,  Sophist  733 
Anm.  1,  822. 

Meletos,  Ankläger  des  Sokrates 
279 

Meliker  147  ff. 

Melinno,  Dichterin  517. 

Melissos,  Philosoph  414. 

Melito,  Apologet  893. 

Meliton,  mstoriker  554  Anm. 2. 

Melodien  511,  623,  624,  640 
Anm.  1. 

Memnon,  Historiker  680. 

Memoirenschreiber  552  f. 

Menaichmos,  Historücer  554. 

Menander,  Historiker  560, 648. 

Menander,  Komiker  314  f.; 
Monosticha  315. 

Menander,  Rhetor  755  f. 

Menedemos,  Philosoph  421. 

Menekrates,  Dichter,  vom 
Laudbau  538. 

Menekrates,  Geograph  571 
Anm.  2. 

Menekrates,  Grammatiker  529. 

Menelaos,  Mathematiker  871. 

Menexenos,  Rede  451,  462. 

Menippos,  Geograph  800. 

Menippos,  Kyniker  547,  584, 
742. 

Menodotos,  Historiker  552. 

Menon,  Arzt  856. 

Mesomedes,  Lyriker  623. 

Metagenes,  Komiker  290. 

Methodios,  Bischof  910,  913  f., 
925. 

Methodios,  Lexikograph  846. 

Meton,  Astronom  865. 

Metriker  768  ff. 

Metrodoros,  Epigrammatiker 
796. 

Metrodoros,  Historiker  569. 

Metrodoros,  Homeriker  63. 

Metrodoros,  Philosoph  582. 

Metrologen  862. 

Metrophanes,  Rhetor  737,  754. 

Michael  Ephesios  zu  Aristo- 
teles 489. 

Milesiaka  554;  milesische  Fa- 
beln 815. 

Mimnermos,  Elegiker  127. 

Mimus  283,  542  f.,  625;  Pan- 
tomimus  288. 

Minos,  Herkunft  24  Anm.  2. 

Minucius  Pacatus  s.  Eirenaios. 

Minukianos,  Rhetor  755. 

Minyas,  Epos  84. 

Mnasalkas ,  Epigrammatiker 
514. 

Mnaseas,  Geograph  571;  Peri- 
eget  601. 

Mörbecke,  Übersetzer  des  Ari- 
stoteles 490. 

Molen,  Rhetor  750  Anm.  3. 


938 


Bagiirtmr. 


Moiris,  Attikist  772. 

Morsimos,  TVagiker  276. 

Moschion,  Tragiker  280. 

Moschion,  Pythagoreer  698. 

Moschopulos  zu  Pindar  184; 
zu  Philostratos  728  Anm.  2. 

Moschos,  Bukoliker  528. 

Munatins  zu  Theokrit  527. 

Muratorianom  frag;m.  880 
Anm.  2. 

MusaioB,  alter  Sftnger  19  f., 
531. 

Musaios,  alter  Epiker  83. 

Musaios  Ephesios,  Dichter  528, 
529  Anm.  1,  788  f. 

Mnsa,  Etymologie  11  Anm.  3, 
18  Anm.  3;  olympische  Ma- 
sen  18;  helikonische  18; 
Zahl  der  Musen  18  Anm.  2 ; 
ihre  Priester  die  Dichter  22. 

Museum  in  Alexandria  497. 

Musik  verbunden  mit  Poesie 
112;  musikalische  Instru- 
mente 114  f.;  musici  scrip- 
tores  771. 

Musonius,  Stoiker  703. 

Mykenische  Kultur  25;  Schrift 
16  Anm.  2. 

Myllos,  Komiker  282. 

Mymas,  Sophist  418. 

Myro  (Moiro),  Dichterin  512. 

Myron,  Historiker  694. 

Myrsilos,  Historiker  555. 

M3rrti8,  Dichterin  153. 

Myson,  einer  der  sieben  Weisen 
129. 

Mystas,  Sophist  418. 

Mythen  23  f.;  Mythos  =  fa- 
bula  138  Anm.  7;  Mythen 
bei  Plato  454. 

Mythographen  und  Mythen- 
deuter 556  f.,  776  S.;  der 
Stoiker  702. 

Naassener  925. 

Naupaktia,  Epos  104. 

Neanthes,  Historiker  552. 

Nearch,  Admiral  364. 

Nechepso  836. 

Nemesios,  christlicher  Philo- 
soph 914. 

Neophron,  Tragiker  259,  277. 

Neoptolemos,  alex.  Dichter 
537  f. 

Nepos,  christl.  Dichter  924. 

Neptunalios,  Arzt  864. 

Nestor  von  Laranda  631. 

Nestorios,  Christ  909. 

Neues  Testament  880  ff. 

Neuplatoniker  825  ff. 

Nigrinus,  Philosoph  739. 

Nikainetos,  alex.  Dichter  99 
Anm.  6,  515,  529  Anm,  4. 

Nikander,  alex.  Dichter  529 
Anm.  2,  536  f.* 


Nikanor,  Grammatiker  765; 
ttber  Inteipunktion  bei  Ho- 
mer 66;  Kallimachos  508; 
Theokrit  527. 

Nikas ,  Grammatiker  841 
Anm.  4. 

Niketes,  Sophist  714. 

Nikias,  Arzt  und  Dichter  514. 

Nikias  von  Elea,  Orphiker  109. 

Nikias  aus  Nikaia  709. 

Nikochares ,  Komiker  303 
Anm.  3. 

Nikokles,  Dithyrambiker  189. 

Nikolaos  Damaskenos,  Histo- 
riker und  Philosoph  469, 
489,  625,  645  f. 

Nikolaos  aus  Myra,  Rhetor 
753. 

Nikomachos,  Epigrammatiker 
622. 

Nikomachos,  Mathematiker 
872. 

Nikomedia  782. 

Nikophon  303  Anm.  3. 

Nikostratos,  Komiker  312. 

Nikostratos,  Rhetor  627,  728, 
729,  753*. 

Ninus-Roman  816. 

Nomos  113  ff.;  Ursprung  des 
Namens  113;  Arten  113  f.; 
Teile  des  Nomos  118, 178 f.; 
polykephalos  117;  pythikos 
119;  in  Attika  185  f. 

Nonnos,  Epiker  785  ff.;  Dio- 
nysiaka  786  ff.;  Metaphrase 
des  Evang.  Johannes  788. 

Nossis,  Dichterin  512. 

Nostoi,  kyklisches  Epos  82  f. 

Notenschrift  119  Anm.  4. 

Numenios,  alex.  Dichter  538, 
548,  737. 

Numenios  zu  Thukydides  344. 

Numenios,  Neuplatoniker  825. 

Numenios,  christl.  Philosoph 
914. 

Nymphis,  Histwiker  549. 

Nymphodoros,  Historiker  733 
Anm.  3. 


Obelos,  Zeichen  der  Unecht- 

heit  65  Anm.  1. 
Oichalias  halosis,  Epos  84. 
Oidipodeia,  Epos  84. 
Oinomaos,  Kyniker  506  Anm.8, 

626,  704. 
Oinopides ,     Astronom      687 

Anm.  3. 
Okellos,  Pythagoreer  698. 
Ölen,  Sftnger  20. 
Olymp,  Musensitz  18. 
Olympiadenrechnung  551. 
Olympiodoros,  Historiker  797. 
Olympiodoros,  zu  Plato  456, 

zu  Aristoteles  489. 


Olympoe,  Musiker  16  f.;  Ele- 

giker  124  Anm.  6. 
Onasandros,  Taktiker  875. 
Onesikrates,  Arzt  649. 
Onesikritos,  Historiker  364. 
Onomakritos,   Orphiker  109; 

Fftlscher  21;  Redaktor  des 

Homer  61. 
Oppian,  Dichter  629  f. 
Opramoas,  Dekrete  730. 
Orakel,  delphische  108;  my- 
stische  792,    794;     chiisir 

liehe  916  f. 
Orchestra  197. 
OreibaaioB,  Arzt  860. 
OreibasioB,  Sophist  802  Anm.  3. 
Organen  in   der  Philosopliie 

465. 
Origenes,  Kirchenvater  897  f. 
Orion,  Grammatiker  840,  849. 
Gros,  Grammatiker  772,  801, 

841*. 
Orpheus  19,  21  f.;  Eiymolagie 

19  Anm.  5;  Orphika  790  ff. 
Orpheus  aus  Kroton  zu  Homer 

61. 
Ovid  505,  506,  513,  523,  536, 

537,  621  Anm.  3. 

Pacatus  s.  Eirenaios. 
Pftane  144  f.,  510  f.,  623  f.; 

Pftone  178. 
Paignia  74,  516. 
Palaiphatos,  Mythograph  556  f. 
Palamedes,  Grammatiker  184. 
Palladas,  Epigrammatiker  795. 
PaUadios,  Arzt  853,  855. 
Palladios  über  Indien  820. 
Pamphüa,  Grammatikerin  327, 

358  Anm.  5,  761*. 
Pamphilos,  Grammatiker  760, 

843. 
Pamphos,  Dichter  20,  21. 
Panaitios,  Phüoeoph  579. 581*. 
Pankrates,  Didaktiker  538. 
Pantomimus   283,   625,  744, 

805. 
Panyassis,  Epiker  107,  327. 
Papias,  Christ  883,  888*. 
Pappos,  Mathematiker  873. 
Papyri  501,  836. 
Parabase  der  Komödie  204  f., 

286. 
Paradoxographen  733  f. 
Parakataloge  135  f.,  204. 
ParaUela  des  loannes  Dam. 

850. 
Paraphrasen  806. 
Parische  Marmorchronik  557. 
Parmenides,   Philosoph  HO*, 

413  f.,  448. 
Parmenion,    Epigrammatiker 

621. 
Parmeniskos ,     Grammaüker 

605. 


E^gistor. 


939 


Parodie  290,  545  f. 

Parodos  des  Dramas  203. 

Parßmiographen  775  f. 

ParÜienien  146;  des  Alkman 
156. 

ParÜienios,  Elegiker  509, 815. 

Parthenios,  Homeride  60 
Amn.  1. 

Pasikles,  Aristoteliker  475. 

Paaiteles,  EttnsÜer  601,  877. 

Patroinos,  Hynmendichter  792 
Amn.  4. 

Patrokles,  Geograph  365, 560. 

Paulos,  Apostel  880  f. 

Paulus,  Arzt  860. 

Paulus,  Asürolog  872. 

Paulus  von  Gerene,  Rhetor 
374  Amn.  3. 

Paulus,  Rhetor  802  Amn.  2. 

Paulus  Silentiarius,  Epigram- 
matiker 795  f. 

Pausanias,  Historiker  695, 798. 

Pausanias,  Lexikograph  765. 

Pausanias,  Perieget  692  ff.; 
Quellen  derPeriegese  693  f. 

Pausanias,  Sophist  694  f.,  729. 

Tte^og  Xoyog  2  Anm.  2. 

Peisandros,  Epiker  106. 

Peisandros  der  Jüngere,  Epi- 
ker 106  f.,  626. 

Peisistratos,  Redaktor  Homers 
60  f.;  Grttnder  einer  Bihlio- 
üiek  63  Anm.  1. 

Pelasger  13;  pelasgische  In- 
schriften 13  Anm.  3. 

Pella  in  Makedonien  499. 

Peplos  des  Aristoteles  484. 

Peregrinus,  Kyniker  745. 

Pergament  498. 

Pergamon  498  f. 

Periander  von  Eorinth  129. 

Perioden  der  Litteratur- 
geschichte  4  f. 

Peripatetiker  575  ff. 

Periplus  364,  691  f.;  des  roten 
Meeres  672;  des  schwarzen 
Meeres  672,  800;  des  Hos- 
poms  691;  des  mittelländi- 
schen Meeres  692;  des  äus- 
seren Meeres  800. 

Persaios,  Stoiker  578,  580. 

Petofliris  836. 

Peiams,  Apostel  885  f. 

Phaeinos,  Grammatiker  307, 
887. 

Pfahlbauten  364  Anm.  2. 

Phaidimos,  Epigrammatiker 
514. 

Phaidon,  Sokratiker  421. 

Phaidros,  Epikureer  583. 

Phaistos,  alex.  Dichter  529 
Anm.  2. 

Fhalaikos,  Epigrammatiker 
514,  516. 

Phaleas,  Politiker  477. 


Phallika  198,  280  f. 
Phanias,  Peripatetiker  und  Hi- 
storiker 555,  590*. 
Phanodemos,  Historiker  553. 
Phanokles,  Elegiker  503. 
Phemios,  S&nger  23. 
Pherekrates,  Komiker  288 ;  die 

Wilden  298  Anm.  4;  436 

Anm.  3. 
Pherekydes  von  Leros   oder 

Athen  824  f. 
Pherekvdes  von  Syros   321, 

411. 
Pherenikos,  Lehrdichter  538. 
Phidias  62,  716. 
Philagrios,  Arzt  860. 
Philagrios,  Grammatiker  849. 
Philammon,  Sänger  in  Delphi 

20. 
Phileas,  Logogi^aph  326,  365 

Anm.  3. 
Fhilemon,  Komiker  316. 
Philemon,    Lexikograph    771 

Anm.  3,  845. 
Philetairos,  Komiker  800  Anm., 

312. 
Philes  zu  Ailian  731. 
Philetas,  Elegiker  502  f. 
Philinos,  Historiker  561. 
Philippides,  Komiker  317. 
Philippos,       Epigrammatiker 

620,  621  f. 
PhilippoB,      Platoniker     und 

Herausgeber  der  Nomoi  449 ; 

Verfasser  der  Epinomis  451 ; 

Aber  Plato  422  Anm.  6. 
Philiskos,  Isokrateer  550,  552. 
Philiskos,  alex.  Dichter  516, 

538*. 
Philistion,  Komiker  315,  625, 

849  Anm.  2. 
Philistos,  Historiker  359  f. 
Philochoros,  Historiker  553  f. 
Philodemos,  Epikureer  583. 
Philodemos,   Epigrammatiker 

621. 
Philogelos,  Sammlung  849. 
Philokalia  aus  Origenes  898. 
Philokles,  Tragiker  245,  276. 
Philolaos,  Pythagoreer  412  f. 
Philologie  447  Anm.  2,  595, 

756. 
Philon,  Akademiker  575. 
Philon,  Architekt  877. 
Philon  Byzantios  734. 
Philon,  Dichter  529  Anm.  2, 

700  Anm.  1,  622. 
Philon     ludaeus,     Philosoph 

699  ff. 
Philon,  Mathematiker  874. 
Philonides,      Komiker      und 

Schauspieler  288,  292. 
Phüophron ,      Dithyrambiker 

189. 
Philoponos  s.  loannes  Philop. 


Philosophen  410  ff.,  572  ff., 
695  ff.,  823  ff.;  philos.  Ge- 
dichte 109  f.;  Philosophen- 
schulen 574;  Philosophen- 
vertreibung 499,  574,  697; 
Christi.  Philosophie  906  ff. 

Philostephanos,  Grammatiker 
508. 

Philostorgios,  Kirchenhistori- 
ker 920. 

Philostratoi  625,  723  ff.;  der 
Dialog  Nero  724, 747;  Leben 
des  Apollonios  725 ;  Heroik  os 
726;  Sophistenleben  714, 
726*;  Gymnastikos  727; 
Imagines  727 f.;  Briefe  727. 

PhilostratoB,  Historiker  648, 
754  Anm.  1,  798. 

Philoxenos,  Dithyrambiker 
188. 

Philoxenos,  Grammatiker  763. 

Philoxenos,  Lexikograph  845. 

Philumenos,  Arzt  860. 

Phlegon,  Historiker  678*,  733. 

Phlyaken  543  f. 

Phokais,  Epos  84. 

Phoibammon,  Rhetor  752, 754; 
zu  Thukydides  344  Anm.  9. 

Phönikides  317. 

Phönikische  Elemente  im  Grie- 
chischen 12;  phönikische 
Schrift  16. 

Phönix,  lambiker  137. 

Phokvlides,  Elegiker  130 ;  Pho- 
kyüdea  130. 

Phorminx  bei  Homer  112  f.; 
Herkunft  114. 

Phormis,  Komiker  282. 

Phoronis,  Epos  105. 

Photios,  Patriarch  845. 

Phrynichos,  Attikist  772. 

Pl^rynichos,  Komiker  289, 298 
Anm.  1. 

Phrynichos,  Tragiker  208  f., 
214  Anm.  5. 

Phrynis,  Musiker  188  f. 

Phylarchos,  Historiker  551. 

Physiognomiker  469  f.,  730. 

Physiologos  911. 

Pigres,  Dichter  74  f.,  76. 

Pindar,  Leben  168  ff.;  Werke 
173  ff.;  Epinikien  174  ff.; 
Dithyrambus  auf  Athen  171 ; 
Threnoi  174;  Vortrag  und 
Metrum  177;  Melodienreste 
177;Metra770;Kun8tl80ff.; 
Religiosität  181 ;  Sprache 
und  Stil  181  ff.;  Verwandt- 
schaft mit  Aischylos  183, 
219;  Handschriften  184; 
Scholien  184. 

Pistis  Sophia,  der  Gnostiker 
908. 

Pittakos,  einer  der  sieben 
Weisen  129. 


940 


Bsgistor. 


Planudes,  byz.  Grammatiker 
515,  754. 

Piaton,  Komiker  289*,  306 
Anm.  1. 

Platoii,Phi]o8oph,Leben  422  ff.; 
Namen  423;  Bild  426  Anm. 
4;  Stadien  423  f.;  militä- 
rische Dienstleistnng  424; 
Reisen  424  f.;  Schulgran- 
dang  426;  Verhältnis  za 
Isokrates  378,  439,  440,  za 
Xenophon  354  f.,  za  Aristo- 
teles 449  Anm.  1,  453,  462 
Anm.  5,  485,  487;  Werke 
427  ff.;  dialogische  Form 
427  ff.;  Tetralogien  429; 
Arten  der  Dialoge  432  f.; 
Zeitfolge  derSchriften  430  ff.; 
Alkibiades  450 ;  Alkyon 
450;  Apologie  433;  Axi- 
ochos  450;  Charmides  434; 
Epinomis  451 ;  Erasfcai  451 ; 
Eathyphron  434;  Eathydem 
439;  Gorgias  437,  721; 
Hermokrat^  446 ;  Hipparch 
450;  Hippias,  kleiner  435; 
Hippias,  grosser  435,  450; 
Ion  435 ;  Klitophon  451, 717 
Anm.  2;  Eratylos  441;  Kri- 
tias  446 ;  Kriton  433 ;  Laches 
435;  Lysis  434;  Menezenos 
451;  Menon  437;  Minos 
451;  Nomoi  449;  Panne- 
nides 448;  Phaidon  440; 
Phaidros  438,  665;  Philebos 
449;  Philosophos  429,  444, 
447;  PoHteia  301,  442  ff.*, 
565  Anm.  2;  PoHtikos  447  f.; 
Protagoras  436;  Sophistes 
447;  Symposion  354,  441  f.*; 
Theätet  446  f.;  Theages 
450;  Timaios  445  f.;  Briefe 
451  f.;  Definitionen  (oqoi) 
430;  anechte  Schriften  439, 
450  f.;  Dichtangen  423; 
Diaireseis  430;  Philosophi- 
sches System  452  ff.;  M3rtnen 
432  Anm.  4,  54  Anm.  1; 
Mangel  an  historischer  Kri- 
tik 455;  Kunst  and  Stil 
454  f. ;  Sprache  431  Anm.  5, 
455;  Konunentatoren  455  f.; 
Scholien456;  Codices  456; 
der  junge  Sokrates  447. 

Platomos,  Grammatiker  280 
Anm.  6. 

Plautus  überarbeitet  griech. 
Komödien  314;  Amphitruo 
312,  544;  Asinaria  316; 
Bacchides  315;  Captivi  311 
Anm.  2,  312  Anm.  4;  Ca- 
sina  316;  Cistellaria  315; 
Menaechmi  317  Anm.  3; 
Mercator  316;  Mostellaria 
815  Anm.  4;  Poenulus  315 


Anm.3;  Rnden8316;  Stichos 
315;  Trinummas  316;  Vidu- 
laria  316. 

Pleias  der  Tragiker  538. 

Plethon,  byz.  Geograph  687. 

Plotin,  Neuplatoniker  825  ff. 

Platarch,  Leben  468  ff. ;  Schale 
650, 662 ;  Katalog  derWerke 
651;  Biographien  651  ff.; 
Apophthegmen  655;  Über 
Parteilichkeit  Herodots  655 ; 
griechische  and  römische 
Fragen  655  f.;  Moralia656ff.; 
Declamationen  656;  einlei- 
tende Schriften  656;  Plato- 
nische Untersachangen  456, 
657;  gegen  Epikureer  und 
Stoiker  657;  Über  Ethik 
658  f.;  Trostreden  659;  Trost- 
rede an  Apollonios  659; 
religiöse  Sehr.  659  ff.;  del- 
phische  Dialoge  660 ;  de  sera 
numinis  vindicta  661;  das 
Daimonion  des  Sokrates  661; 
Isis  and  Osiris  650,  661*; 
physikalische  Sehr.  661  ff.; 
das  Gesicht  im  Mond  662; 
Fleischenthal tnng  662;  hy- 
gienische Vorschriften  668; 
politische  Sehr.  663  f.;  poli- 
tischeVorschriften  663;  über 
Liebe  664;  eheliche  Vor- 
schriften 664 ;  Erotikos  664 ; 
litterarische  Sehr.  665;  über 
Aristophanes  und  Menander 
665;  Musik  665;  Sprich- 
wörter 776;  Symposiaka 
665  f.;  Gastmahl  der  sieben 
Weisen  666 ;  unechte  Schrif- 
ten: parailela  minora  656; 
de  fluviis  656,  667;  de  pla- 
citis  philoBophorum  667;  vit. 
decem  oratorum  365,  667; 
de  vita  Homeri  29  Anm.  3, 
667;  Gedichte  651;  Kom- 
mentare zu  Hesiod  86,  665; 
Ober  Pindar  168;  zu  Arat 
631,  665;  Plutarch  benutzt 
von  Apuleius  66 1  ,yon  Macro- 
bius  666 ;  Charakteristik 
667  f.;  Synkretismus  660; 
Stil  und  Sprache  668. 

Poesie,  Wesen  der  Poesie  2; 
Etymologie  1 12 ;  Arten  der 
Poesie  3;  hieratische  Poesie 
18  ff.;  Volks-  und  Helden- 
poesie 22  ff.;  Poesie  der 
Alexandriner  501  ff.;  Poesie 
der  römischen  Periode  620ff., 
783  ff. 

Poimander  836. 

Polemon,  Historiker  680. 

Polemon,  Perieget  551,  600  f. 

Polemon,  Philosoph  455. 

Polemon,  Sophist  729  f. 


PoUianns,  Epigrammatiker  77 
Anm.  2. 

Pollio,  Granmiatiker  530, 772, 
844;  vgl.  AsiniuB  PoUio. 

Pollio,  Philosoph  703. 

Pollux,  Lexikograph  746,773f. 

Polos,  Rhetor  384,  437. 

Polyän,  Epigrammatiker  622. 

Polyän,  Historiker  680  f.,  876. 

Polybios,  Historiker,  Leben 
562  f.;  BUd  563  Anm.  2; 
Geschichtswerk  563  ff.;  über 
den  numantiniscben  Krieg 
563;  Taktik  563;  geogra- 
phisches Werk  563;  prag- 
matische (reschichte  564; 
Geographie  565;  Stil  562. 

Polybios,  Rhetor  752. 

Polybos,  Arrt  853. 

Polyeidos,  Sophist  und  Tra- 
giker 189,  280. 

Polygnot,  Maler  227,  247. 

Polykarp,  Bischof  888. 

Polyklet,  Künstler  876. 

Polykrates,  Sophist  418;  Rede 
gegen  Sokrates  352,  433. 

Polykritos,  Epik^  529. 

Polynmastos,  Musiker  119. 

Polyphradmon,  Tragiker  209. 

Polystratos,  Epikureer  583. 

nounai  Alexandriens  544. 

Pompeius  Capito  626. 

Porphyrios  aus  Gaza  782 
Anm.  6. 

Porphyrios,  Neuplatoniker  797, 
829  ff.;  gegen  Christen  909  f.; 
zu  Homer  67;  zu  Plato  456; 
zu  Aristoteles  489;  zu  Pto- 
lemaios  690. 

Poseidippos,  Epigrammatiker 
513. 

Poseidippos,  Komiker  317, 408 
Anm.  4. 

Poseidonios,  Aristarcheer  605. 

Poseidonios,  Stoiker  532, 568  f., 
579,  690;  Portr&t  auf  Tafel. 

Potamon,  Platoniker  456. 

Pratinas,  Dramen  und  Dithy- 
ramben 168,  187,  208*. 

Praxagoras,  Ifistoriker  798. 

Praxilla,  Dichterin  153. 

Praxiphanes,  Peripatetiker  S38 
Anm.  4,  504,  592*. 

Priapeia  517,  536. 

Priskian,  Neuplatoniker  834. 

Priskos,  Historiker  798,  802 
Anm.  3. 

Proagon  der  Dramatiker  202. 

Prodikos,  Epiker  84. 

Prodikos,  Sophist  416  f. 

Progymnasmata  752  f. 

Prohairesios ,  Sophist  802 
Anm.  3. 

Proklos,  Neuplatoniker  882  f.: 
zu  Plato  456;  Hymnen  792; 


Register. 


941 


Entgegnungen  der  Christen 
910. 

ProkloB'  Chrestomathie  78, 
846  f. 

ProkopioB  aus  Gaza,  Rhetor 
812  Anm.  2,  813,  838, 910*. 

Prokopios,  Presbyter  923. 

Prolalia  der  Rhetoren  740. 

Prolog  des  Dramas  205;  bei 
Aischylos  2 1 9 ;  bei  Eoripides 
271. 

Promathidas,  Dichter  516. 

Prooimia  70,  722  Anm.  2. 

Prosa,  Etymologie  2;  Unter- 
schied von  Poesie  2  f. ,.660; 
Prosaiker  317  ff.,  548  ff., 
631  ff.,  796  ff.;  prosodischer 
Rhythmus  144;  prosodische 
Zeichen  603. 

Prosodien  der  Lyrik  143  f. 

Protagoras,  Geograph  800. 

Protagoras,  der  Sophist  416  f. ; 
dytiXoyixd  416  Anm.  4,  446 
Anm.  1. 

Protogenides,  Historiker  552 
Anm.  5. 

Proxenos,  Historiker  554. 

Psaon,  Historiker  549. 

Psellos,  byz.  Gelehrter  456, 
589. 

Ptolemfter,  Könige  Aegyptens 
494. 

Ptolemaios,  Askalonita,  Arist- 
archeer  605,  763. 

Ptolemaios,  Astronom  und  Geo- 
graph 687  ff.,  800;  Alma- 
gest  687  f. ;  Tetrabiblos  688 ; 
Kanon  689 ;  Geographie  689 ; 
Hannonik  690;  philosophi- 
sche Schriften  690. 

Ptolemaios  Chennos  626, 762  f. 

Ptolemaios  Epithetes,  Gram- 
matiker 65. 

Ptolemaios  Euergetes  Ü,  Hi- 
storiker 553. 

Ptolemaios,  Historiker  363, 
670. 

Ptolemaios,  Lexikograph  840. 

Ptolemaios  Pindarion,  Gram- 
matiker 605. 

Ptolemaios  Philopator,  Dra- 
matiker 539  Anm.  2. 

Ptolemaios,  Sophist  729. 

Pyres,  Kmftdendichter  545. 

lynche,  Tanzart  120. 

I^rrrhon,  Skeptiker  584. 

I^thagoras  412  f.;  Leben  von 
Porphyrios  829  f.,  von  lam- 
blictios831 ;  goldene  Sprüche 
697. 

Pythagoreer  412  f. ;  Neapytha- 
goreer  662,  697  f. 

Pythainetos,  Historiker  554. 

Pytheas,  Historiker  560  f. 

Pytheas,  Redner  410. 


Pythermos,  Lyriker  and  Mu- 
siker 122  Anm.  2,  151,  545. 

P3rthiadenrechnang  169  Anm. 
8,  176  Anm.  5. 

Pytiion,  Tragiker  280. 

Quadratus,  Apologet  891. 
Quintilian  inst.  erat.  X   640. 

718. 
Quintus  Smymaeus  784  f. 

Racine  260,  297. 

Redegattungen  2  ff. 

Redeteile  593. 

Redner  365  ff.;  Kanon  der 
Redner  368. 

Religion  der  Griechen  10  f., 
12;  bei  Hesiod  94  ff.;  bei 
Polybios  564;  bei  den  Neu- 
platonikern  823  f.;  fremde 
Götter  94  Anm.  2;  religiöse 
Epen  108  ff.;  Heroenkulte 
159  Anm.  1 ;  Verhältnis  zum 
Schicksal  222. 

Remmius  Pal&mon,  Gramma- 
tiker 609. 

Rhapsoden  435 ;  von  Epen  58  f.; 
von  lamben  136  Anm.  1. 

Rhetorik  366  f.,  749  ff.,  814. 

Rhianos,  alex.  Dichter  529 
Anm.  1,  535*,  694. 

Rhinthon,  Dichter  von  Phlya- 
ken  544. 

Rhodos  499,  568;  Rhodiaka 
555 

Rhytii^en  117,  121. 

Römische  Periode  der  griech. 
Litt.  613  ff.;  Griechenlands 
Einfluss  auf  Rom  613  f.; 
römische  Geschichte  bei 
griech.  Historikern  561  ff.; 
Griechen  in  Rom  615;  grie- 
chisch gesprochen  und  ge- 
schrieben in  Rom  561  f., 
614  Anm.  4,  615  f.;  Biblio- 
theken in  Rom  615  Anm.  2; 
Stellung  der  römischen  Kai- 
ser zur  griech.  Litt.  615, 
617  f.,  710  f.;  Büdungs- 
Stätten  des  römischen  Rei- 
ches 619;  römische  Kultur- 
bestrebungen 685  Anm.  3. 

Roman  814  ff. 

Rufos,  Arzt  774,  857. 

Rufns,  Rhetor  755. 

Rutilius  Lupus  751. 

Babinins  PoUio  s.  PoUio. 
Sabinus,Kirchenhi8toriker  920. 
Sage  oder  Mythos  23;  Sagen- 
noesie 22  ff. ;  Sagenkreise  24. 
Sakadas,  Musiker  119. 
Salier  120. 
Salustius,  Neuplatoniker  834. 


Salustius  zu  Sophokles  251, 
837;  Herodot  336;  Kalli- 
machos  508. 

Sanchuniathon,  Historiker  764. 

Sappho  148  f.,  706;  Statue  148 
Aimi.  5. 

Satumischer  Vers  17. 

Satyros ,  Aristarcheer  595 
Anm.  9,  605. 

Satyros,  Peripatetiker  600. 

Satyrspiel  194. 

Schauspieler  208  Anm.  4,  Zahl 
201,  233;  Schauspieler- 
partien 205;  Wettkämpfe 
der  Schauspieler  279. 

SchiUer  160,  222,  537,  546 
Anm.  4. 

Schrift  15;  bei  Homer  57; 
phönikische  Buchstaben  16, 
altes  Alphabet  bei  Pindar 
183  Anm.  1;  Notenschrift 
119;  Schreibmaterial  16; 
vgl.  Bttcher. 

Secundns,   Pythagoreer  698. 

Seikilos,  Dichter  624. 

Sekten  der  Philosophen  574; 
der  Rhetoren  750  f.;  der 
Mediziner  855,  856;  der 
Christen  907. 

Seleukos,  schenhafter  Dichter 
546. 

Seleukos,  Grammatiker  605, 
667. 

Seleukos,  Astronom  869. 

Semonides  s.  Simonides. 

Semos,  Perieget  601. 

Seneca  tragoedus  526. 

Sentenzensammlungen  849. 

Septuaginta  496. 

Serapio,  Mathematiker  870. 

Serenus,  Mathematiker  871. 

Sergios,  Grammatiker  840. 

Severus,  Platoniker  456. 

Severus,  Rhetor  753,  813. 

Sextius  Niger,  Botaniker  861. 

Sextus  Julius  Africanus  s. 
Julius  Afr. 

Sextus  von  Chäronea  707. 

Sextus  Empuicus  706  f. 

Sextus  (Sextius) ,  Spruch- 
sammlung 698. 

Shakespeare  245  Anm.  3. 

Sibyllen  540,  792  f.;  Sibyl- 
Imische  Orakel  792  ff. 

Sieben  Weisen  129*,  411, 591, 
666. 

Sieben  Weltwunder  504  Anm. 
7,  734. 

Sikilischer  Buchhandel  385 
Anm.  3;  sikil.  Historiker 
550  f. 

Sikyonische  Tafel  320,  Si- 
kyonika  554. 

Silenos,  Historiker  561. 

Silloi,  Spottgedichte  546. 


942 


Eegictor. 


Simias  (v.  1.  Simmias),  Epi- 
grammatiker 513,  516. 

Simmias,  Philosoph  418,  425 
Anm. 

Simodie  543,  546  Anm.  1. 

Simon,  Aber  Reiterei  356. 

Simon  ladftua  891. 

Simon,  Sokratiker  418,  421. 

Simonides  (Sem.)  von  Amor- 
gos,  lambograph  136  f. 

Simonides  von  Keos,  Lyriker 
161  ff.,  852. 

Simonides  Magnes ,  alex. 
Dichter  515,  528. 

Simos,  alex.  Dichter  543,  546 
Anm.  1,  548*. 

Simplicius,  Anstoteliker  489. 

Skene  im  Theater  197  f; 
Skenenmalerei  235. 

Skeptiker  584  f. 

Skiras,  Phlyakendichter  544. 

Skolien  142  f.;  attische   154. 

Skopelianos,  Sophist  626,  729. 

SkyJax,  Geograph  365. 

Skymnos,  Geograph  361, 572  *. 

Skythinos,  lambiker  137. 

Sokrates,  Historiker  570. 

Sokrates,  Eirchenhistoriker 
920. 

Sokrates,  Komiker  288  Anm.  8. 

Sokrates,  Perieget  601. 

Sokrates,  Philosoph  352,418  ff.; 
dichtete  Fabeln  140;  2a>- 
xQatixol  Xoyot  424;  der 
junge  Sokrates  447  Anm.  9. 

Selon,  Staatsmann  n.  Dichter 
127  ff.;  Gesetze  320;  Ahn- 
yater  des  Plato  423  Anm.  1, 
446. 

Sopater,  Phlyakendichter  544. 

Sopater,  Rhetor  723, 754, 847  f. 

Sophainetos,  Historiker  348. 

Sophisten  416  ff.;  die  neue 
Sophistik  710ff.;  cofpiüxrjgn, 
^ijTWQ  synonym  712  Anm.  1. 

Sophokles  Leben  227  ff.;  Stra- 
tegenamt 228 ff.;  Bild  231; 
Werke  232  f.;  Siege  232; 
Aias  238  f.;  Antigene  228, 
240ff.;Elektra242ff.;  Oe- 
dipus  Rex  244  f.;  Oedipus 
Coloneus  233  Anm.  6, 249  f.; 
Philoktet  247  ff.;  Trachiniai 
246  f.;  Chryses  263;  Trip- 
tolemos  227;  Phaidra  260; 
Fragmente  250  f.;  PÄan230; 
Prosaschrift  über  den  Chor 
234,  251;  Neuerungen  in 
der  Tragödie  233  ff,;  Kunst- 
Charakter  235  f.;  Metrum 
237  f.;  sophokleisches  Sche- 
ma 238;  Verhältnis  zu 
Aischylos  228  Anm.  3;  zu 
Herodot  229;  Schule  des 
Sophokles      276;       Hand- 


Schriften     251 ;     Schollen 
251. 

Sophokles  der  Jüngere  280, 
I      249  Anm.  2,  276*. 

Sophokles,  alex.  Tragiker  539. 

Sophokles  zu  ApoUonios  535. 

Sophonias  zu  Aristoteles  489. 

Sophron,    Mimendichter  283. 

Sophronios,  bp.  Dichter  153. 

Sopolis,  Sophist  802  Anm.  3. 

Soranos,  Arzt  857. 

Sosibios,  Grammatiker  555. 

Sosibios,  Historiker  555. 

Sosikrates,  alex.  Dichter  99 
Anm.  6;  Komiker  317. 

Sosikrates  aus  Rhodos  709. 

Sosilos,  Historiker  561. 

Sosipater,  Komiker  317. 

Sosiphanes,  Tragiker  538. 

Sositheos,  Tragiker  538. 

Sotades,  alex.  Dichter  545. 

Soterichos,  Epiker  626,  686. 

Soterichos,  Mathematiker  872. 

Sotion,  Geoponiker  733  Anm.  5. 

Sotion,  Philosoph  709,  733. 

Sozomenos,  Kirchenhistoriker 
920. 

Sparta  in  Litteratur  156,  vgl. 
Lakonika. 

Spenden,  Dichter  Spartas  156 
Anm.  2. 

Speusippos,  Philosoph  455; 
gegen  Isokrates  379  Anm.  4 ; 
über  Plato  709. 

Spiele  s.  Agone. 

Sporos  zu  Arat  531. 

Sprache  griechische,  indoger- 
manische  Elemente   10  f. 
fremde  12;  lateinische  780 
Dialekte  12  ff.;  Vorztige  15 
Vulgärsprache  495  Anm.  1 
Griechisch  im  christl.  Rom 
889;  Abnahme  des  Lateins 
804. 

Sprichwörter  154,  775. 

Stasima  im  Drama  204. 

Stasinos,  Epiker  80. 

Stenographen  804,  898,  901 
Anm.  1. 

Stephanos  Byzantios ,  Geo- 
graph 695,  801  f. 

Stephanos,  Komiker  312. 

Stephanos  zu  Aristoteles  489. 

Stemsagen  531. 

Stesichoros,  Lyriker  158  ff.; 
Bild  158  Anm.  5. 

Stesimbrotos ,  Historiker  6, 
326*;  über  Homer  63. 

Stilpon,  Philosoph  421,  573. 

Stobaios'  Anthologie  848  f. 

Stoa  578  ff.,  702  f.;  stoische 
Grundsätze  579;  stoische 
Grammatiker  592  f. 

Strabon ,  Geograph,  Leben 
682  f.;  Gesehichtfiwerk  683; 


Geographika  684  ff.;    Stü 

686. 
Stratoklea,  Redner  410. 
Straten,  Epigrammatiker  622. 
Straten,  Peripatetiker  469, 575. 
Strattis,  Komiker  310. 
Sueton  774;  Prata  761. 
Suidas,  Lexikograph  843  f. 
Suidas,  Historiker  554. 
Susarion,  Komiker  281. 
Symmachos  zu  Aristof^anes 

307. 
Synesios,  Bischof  912  f. 
Synkellos,  byz.  Chronist  919. 
Synkretismus  660,  700,  835*. 
Syrakus  161,  171,  282,  499. 
Syrianos  zu   Plato   456;    zu 

Aristoteles  489;  zu  Hermo- 

genes  754. 

Tabula  Diaca  78. 

Tadtos  Germania  7 16  Aiun.  8, 
748  Anm.  6. 

Taktiker  874  f. 

Tanz  119  f.,  122;  im  Diania 
404,  s.  Pantomimus. 

Tarraioe  s.  LnkiUos. 

Tarsos  499. 

Tatianus,  Apologet  891  f. 

Teiaias  (Tisias),  Rhetor  366; 
Lehrer  des  Lysias  372. 

Telegoneia,  Epos  83. 

Telekleides,  Komiker  28a 

Telephos,  Grammatiker  190 
Anm.  1,  772. 

Teles,  Philosoph  584. 

TelesUla,  Dichterin  153. 

Telestes,  Dithyrambiker  189. 

Terentius  ahmt  nach  Menander 
315;  Diphilos  317;  ApoUodor 
817. 

Terpander,  Musiker  u.  Lyrikar 
117  f.;  terpandiische  Nomoi 
178  f.,  510, 

Tertullian  892. 

Testament,  neues  880  ff 

Tetralogie  der  Tragödie  199  f., 
234;  der  Reden  des  Anti- 
phon 369;  der  Werke  De- 
mokrits  415;  der  Dialoge 
Piatons  429. 

Thaies,  PhUosoph  129,  411f. 

Thaletas,  Chorlyriker  120. 

Thallos,  Epigrammatiker  622. 

Thallos,  Historiker  648. 

Thamyris,  Sftngw  20. 

Theagenes,  Historiker  290 
Anm.  11,  680. 

Theagenes,  Homeriker63,324. 

Theano  697. 

Theater  195  ff.;  Teile  197;  am 
hellenist  Zeit  309,  539;  zn 
Volksyersammlungen  be- 
nutzt 620  Anm.  2. 

Thebais,  Epos  83. 


BegUiUr. 


943 


Themistios,  Philosoph  und 
Sophist  806  f.;  za  Aristo- 
teles 489. 

Themistogenes^Hisioriker  848, 
557  Anm.  2. 

Theodektes,  Rhetor  483. 

Theodektes,  Tragiker  u.  lUietor 
279  f. 

Theodoretos,  Grammatiker 
889. 

Theodoretos ,  Kirchenhisto- 
riker  710,  910*,  920. 

Theodoridas,  Epigrammatiker 
514. 

TheodoroB  Anagnostes,  Kir- 
chenhistoriker  920. 

Theodoros,  Historiker  554 
Amn.  2. 

Theodoros ,  Verfasser  eines 
Kyklos  78. 

Theodoros,  Mathematiker  424, 
865. 

Theodoros  von  Mopsaestia, 
Christ  906. 

Theodoros,  Rhetor  873  Anm.  2, 
750*. 

Theodoros ,  Sotadeendichter 
546  Anm.  1. 

Theodosios,  Grammatiker  838. 

Theodo6ios,Mathematiker  87 1 . 

Theodotos,  fiher  Juden  529 
Anm.  2. 

Theodotos,  Nenplatoniker  825 
Anm.  8. 

Theodotos,  Sophist  729. 

Theognetos,  Komiker  317. 

Theognis,  Elegiker  180  fF.,  847 
Anm.  9. 

Theognis,  Tragiker  279. 

Theogonie  Hesiods  94  ff.;  ky- 
klische  79;  des  Epimenides 
109;  orphische  792. 

Theokies,  Dichter  510. 

Theokrit,  Lehen  519  ff.;  Dich- 
tungen  528  ff.;  Bukolika 
523  f.;  Gedichte  in  der  Art 
des  Sophron  524;  E^llien 
524;  unechtes  525;  Kunst- 
charakter 525  f.;  falsche 
Sprachformen  525  Anm.  3; 
Scholien  527. 

Tfaeokritos,  Historiker  863. 

Theokritos,  Rhetor  520  Anm.  1. 

Theologen,  philosophische  41 1 . 

Theolykos,  Epiker  529  Anm.  1. 

Theon,  Grammatiker  612  Anm. 
2,760  *;  zu  Eallimachos  508; 
zu  Theokrit  527;  zu  Arat 
581;  zu  ApoUonios  535;  zu 
Nikander  537;  zu  Lyko- 
phron  541. 

Theon  Smym&us,  Platoniker 
456. 

Theon ,  Mathematiker  688 
Anm.  2,  872,  873. 


Theon,  Rhetor  753, 758  Anm.  4. 

Theophanes,  Historiker  und 
Epigrammatiker  569,  622, 
684. 

Theophanes  Nonnos,  Arzt  861. 

Theophüos,  Apologet  893. 

Theophilos,  Dichter  796. 

Theophilos,  Grammatiker  595. 

Theophrast,Philo8oph  488,530, 
576  ff.;  Schriften  576  f.; 
Botanik  576;  ^vxtixioy  do^ai 
577,  710;  Gharakteres  313 
Anm.  4,  577*;  Dialog  Theo- 
phrastos  914. 

Theophylaktos  Simokattes 
823. 

Theopomp,  Historiker  861  ff. 

Theopomp,  Komiker  310  *,  440. 

Theosophia,  Orakelsammlnng 
916  f 

Theotimos,  Historiker  555. 

Theseis,  Epos  105. 

Thespis,  Tragiker  207  f. 

Thesprotis,  Epos  83,  105. 

Thestorides ,  Homeriker  82 
Anm.  2. 

Thomas  Magister  184. 

Thrakische  Sftnger  19  f. 

Thrasylos,  Platoniker  429 
Anm.  8,  696  Anm.  6. 

Thrasymachos,  Sophist  366, 
418,  443. 

Threnoi,  Totengesftnge  146  f. 

Thukydides  Lehen  336  ff.;  Bild 
828, 337  Anm.2 ;  Geschichts- 
werk 338  ff.;  Einteilung  in 
Bücher  339  Anm.  7;  das 
8.  Buch  339;  Pentekontae- 
tie  340,  343;  eingelegte 
Reden  342;  Charakter  341  f.; 
historische  Treue  341 ;  Stil 
837  Anm.  5,  343;  Ansehen 
hei  den  Späteren  344,  641 ; 
nachgeahmt  you  Demos- 
thenes  397;  Scholien  344, 
845. 

Thuros,  Fabeldichter  138 
Anm.  5. 

Thymele,  Teil  des  Theaters 
197. 

Tiberius,  Kaiser  615. 

Tiberius,  Rhetor  403,  752; 
zu  Herodot  336. 

Thyrrhenier  324. 

Timachides,  parodischer  Dich- 
ter 547. 

Timocharides,  Sotadeendichter 
546  Anm.  1. 

Timagenes,  Historiker  570. 

Timaios,  Historiker  388, 550  f.* 

Timaios,  Lexikograph  456. 

Timaios,  Pythagoreer  413, 
446. 

Timokles,  Komiker  312. 

Timokreon,  Lyriker  168. 


Timokritos ,  Lyriker  179 
Anm.  2. 

Timon,  Philosoph  und  Sillo- 
graph  546  f.,  584,  743. 

Timosthenes,   Geograph  571. 

Timotheos,  Musiker  188  f. 

Timotheos  aus  Gaza,  Gram- 
matiker 889. 

Tisias  s.  Teisias. 

Tonarten  122,  177. 

Topoi  und  Topik  465. 

Tragödie  192, 206  ff.;  Ursprung 
des  Namens  192;  Defini- 
tion 192;  lyrische  Trag.  206 
Anm.  6;  Tragödie  im  spä- 
teren Sinn  541;  tragische 
Pleias  538;  traidsche  Ironie 
237,  244. 

Traianus,Epigrammatiker  622. 

Triklinios  zu  Pindar  184;  zu 
Aischylos  226;  zu  Sopho- 
kles 251. 

Trilogie  im  Drama  199  f.;  im 
philosophischen  Gespräch 
429. 

Trinklieder  154. 

triumphus  griech.  Ursprungs 
176  Anm.  8. 

Troianischer  Sagenkreis  24  f.; 
Troika  555,  556. 

Troilos,  Rhetor  754. 

Tropenlehre  751. 

Tryphiodor,  Epiker  788. 

Tryphon,   Grammatiker  760. 

Tryphon,  Rhetor  752. 

Tumus  Laureas,  Epigramma- 
tiker 621. 

Tynnichos,  Päanendichter  145. 

Tyrannion,  Grammatiker  460, 

6n. 

Tyrtaios,  Elegiker  125  f. 

Tzetzes  zu  Homer  68;  über 
Tragödie  190  Anm.  1;  zu 
AiristophaneB  280  Anm.  6, 
307;  zu  Lykophron  541. 

ülpian,  Jurist  bei  Athenaios 

735. 
Ulpian  zu  Demosthenes  404, 

887. 
Unterricht  116,  295,  712,  781. 

Valerius  Diodorus,  Gramma- 
tiker 772. 

Valerius  Pollio,  Grammatiker 
772. 

Varro  sat.  362  Anm.  4. 

Vegetius,  Veterinär  861. 

Vergilius  Bukolika  518;  Geor- 
gika  537;  Katalekta  530 
Anm.  2;  Moretum  u.  Ciris 
509. 

Verzeichnisse  s.  Kataloge. 

Vestinus,  Grammatiker  761, 
772. 


944 


Eegiater. 


Vettius  Valens,  Ajatrolog  689 

Anm.  1. 
Vindanios  Anatolios,   Geopo- 

niker  865. 
Volksgesang  23;  Volkslieder 

154. 
Vorhomerische  Poesie  16  ff. 
Volgftrsprache  493. 

Wettkämpfe  s.  Agone. 

Widmungen  493. 

Wilhelm  von  MOrbecke  490. 

X&nthos,  Logograph  324. 
Xanthos,  Dichter  158. 
Xenarchos,  Mimendichter  283. 
Xenarchos,     Sotadeendichter 

546  Anm.  1. 
Xenodamos,  Musiker  120. 
Xenokles,  Tragiker  277. 
Xenokrates,  Arzt  857. 
Xenokrates,  Eunstschriftstel- 

1er  601. 
Xenokrates,  Philosoph  455. 
Xenokritos,  Musiker  120, 158. 
Xenomedes,  Logograph  324. 
Xenon,  alex.  Grammatiker  32. 
Xenophanes ,   Philosoph   und 

Dichter  64,  110*,  413. 
Xenophon,     Romanschreiber 

817. 


Xenophon,  Historiker,  Leben 
345  f.;  Charakter  347; 
Schriften  347  f.;  Verhftltnis 
zu  Plato  442  Anm.  1 ;  Ana- 
basis 348;  Kyropädie  349, 
444  Anm.  3;  Hellenika 
350  f.;  Memorabilien  352  f.; 
Apologie  354;  OekonomJkos 
353;  Symposion  354*,  442; 
Agesilaos  35 1  f.;  Hieron  352 ; 
Staatsverfassung  der  Lake- 
dftmonier  355;  der  Athener 
355  ^  428  Anm.  2;  über 
Einkünfte  356;  Yon  der 
Reiterei  356;  Kynegetikos 
357;  Briefe  357;  Stil  347; 
sein  Sohn  Gryllos  346  Anm. 
4,  382  Anm.  2,  462;  der 
junge  Xenophon  354  Anm.  2. 

Xiphilinos,  byz.  Historiker  676. 


Zacharias    Scholastikos    823 

Anm.  2,  915. 
2^1eukos,  Gesetzgeber  320. 
Zauberlitteratur  836. 
Zeichnen  478  Anm.  2. 
Zeitrechnung  s.  Chronologie. 
Zenobios,  Sophist  766  Anm.  5, 

775*,  803. 
Zenodoros,  Grammatiker  66. 


Zenodoros,  Mathematiker  873 
Anm.  3. 

Zenodot  aus  Ephesos,  Gram- 
matiker 532,  594  f.^  606; 
zu  Homer  64. 

Zenodot  aus  Malloa,  Grfamma- 
tiker  504  Anm.  6. 

Zenon,  Grammatiker  611. 

Zenon,  Historiker  555. 

Zenon,  eleatischer  Pfailoeoph 
414. 

Zenon,  stoischer  Philosoph  57d. 

Zenon,  Rhetor  733  Anm.  1. 

Zeuxis,  Maler  742. 

Zoiloa,  Sophist  64. 

Zonaios,  Rhetor  752,  822. 

Zonaras,  byz.  EQstoiiker  676. 

Zonaras,  Lexikograph  841. 

Zenas,  Epigrammatiker  621. 

Zopyrion,  Lexikograph  761. 

Zopyros  aus  HeraUea,  Re- 
dactor  des  Homer  61. 

Zopyros  ans  Magnesia,  Gram- 
matiker 53  Amn.  1,  105. 

Zopyros,  Orphiker  109. 

Zoroastrisches  794. 

Zosimos,  Ifistoriker  797  f. 

Zosimos ,  Grammatiker  zo 
Demosthenes  404, 837,843*. 

Zosimos,  Rhetor  377  Ajim.  Z, 
404. 


Verzeichnis  der  Abbildungen. 


1.  Homer,  Idealbüste  des  Museo  Capitolino. 

2.  Aesop,  Halbfignr  der  Villa  Albani. 

3.  Sappno,  angebliche,  Kopf  der  Villa  Albani. 

4.  Anakreon,  Idealbfiste  im  neuen  kapitolinischen  Mnsemn. 

5.  Aischylos  (?),  nach  unsicherer  Vermutung,  Büste  des  Museo  Capitolino. 

6.  Sophokles,  Statue  des  Museum  Lateranense. 

7.  Euripides,  Büste  des  Vatikan. 

8.  MenandroB,  nach  Vermutung  von  Stndniczka,  Büste  des  Vatikan. 

9.  Poseidipnos,  Sitzende  Statue  des  Vatikan. 

10.  Dichter  der  neuen  Komödie,  Sitzende  Statue  des  Vatikan. 

11.  Herodot,  Doppelherme  (mit  Thukydides)  in  Neapel. 

12.  Thukydides,  Doppelherme  (mit  Herodot)  in  Neapel. 

13.  Lysias,  Büste  in  Neapel. 

14.  Isokrates,  Büste  der  ViUa  Albani. 

15.  Demosthenes,  Statue  des  Vatikan. 

16.  Aischines,  Statue  in  Neapel. 

17.  Sokrates,  Büste  der  Villa  Albani. 

18.  Posidonios,  Büste  des  Museo  nazionale  in  Neapel. 

19.  Piaton,  Büste  des  Vatikan. 

20.  Aristi(ppos),  ehedem  für  Aristoteles  ausgegeben,  sitzende  Statue  des  Palastes 
Spada  in  Rom,  mit  fremdem  Kopf. 

21.  Antisthenes,  Büste  des  kapitolinischen  Museum. 

22.  Epikur,  Bronzebüste  in  Neapel. 

23.  Hippokrates  (?),  nach  unsicherer  Vermutung,  Büste  der  Villa  Albani. 

24.  Theophrast,  Büste  der  Villa  Albani. 

25.  Chrysippos,  Büste  in  ijondon. 

26.  Arat,  nach  Münze  von  Soloi  oder  Pompeiopolis. 

27.  Aristides  Rhetor,  Kopf  der  sitzenden  Statue  des  Vatikan. 

28.  Julianus  Apostata,  nach  einer  Pariser  Goldmedaille. 


H»ndbtieh  der  klass.  AlterttimswlflscDBchAft.    Vn.    3.  Aufl  60 


Homeros. 


Aisopos. 


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Aischylos  (?). 


Sophokles. 


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(ehedem  für  Aristoteles  ausgegeben). 


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Chrysippos. 


Aratos. 


Aristides  Rhetor. 


Julianus  Apostata. 


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THE  BORROWER  WILL  BE  CHARGED 
AN  OVERDUE  FEE  IFTHIS  BOOK  IS  NOT 
RETURNED  TO  THE  UBRARY  ON  OR 
BEFORE  THE  LAST  DATE  STAMPED 
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